Plenarsitzung
des Bundesrates


Stenographisches Protokoll

 

902. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 12. März 2020

 

 

 

Großer Redoutensaal

 


Stenographisches Protokoll

902. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 12. März 2020

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 12. März 2020: 9.13 – 15.52 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Punkt: Wahl einer/eines 2. Schriftführerin/Schriftführers für den Rest des 1. Halbjah­res 2020

2. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Durchführung von Europäischen Bürgerinitiativen (Europäische-Bürgerinitiative-Gesetz – EBIG), BGBI. I Nr. 12/2012, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBI. I Nr. 32/2018, geändert wird

3. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Ge­werbliche Sozialversicherungsgesetz und das Bauern-Sozialversicherungsgesetz ge­ändert werden

4. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Mag. Reinhard Pisec, BA MA, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend staatsvertragliche Verpflichtung des Bundes für das Weltkulturerbe „historisches Zentrum der Stadt Wien“

5. Punkt: Wahl von Mitgliedern und Ersatzmitgliedern des Ständigen gemeinsamen Ausschusses des Nationalrates und des Bundesrates im Sinne des § 9 des Finanz-Verfassungsgesetzes 1948

*****

Inhalt

Bundesrat

Ansprache des Präsidenten Robert Seeber anlässlich aktueller Entwicklungen zum Coronavirus     ................................................................................................................................. 7

Schreiben des Burgenländischen Landtages betreffend Wahl von Mitgliedern und Ersatzmitgliedern des Bundesrates ................................................................................................................... 30

Angelobung der BundesrätInnen Mag. Sandra Gerdenitsch, Bernhard Hirczy und Günter Kovacs              ................................................................................................................................. 7


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Schreiben des Steiermärkischen Landtages betreffend Mandatsverzicht bezie­hungsweise Wahl eines Ersatzmitgliedes des Bundesrates ................................................................................ 31

1. Punkt: Wahl einer/eines 2. Schriftführerin/Schriftführers für den Rest des 1. Halbjahres 2020             ............................................................................................................................... 34

Wortmeldungen zur Geschäftsbehandlung:

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ..... 57

Karl Bader ................................................................................................................ ..... 58

Unterbrechung der Sitzung ...................................................................................  65, 91

Verlangen auf Durchführung einer namentlichen Abstimmung .................................... 91

Aktuelle Stunde (75.)

Thema: „Aktuelle Entwicklungen zum Corona-Virus“ .............................................. 8

RednerInnen:

Dr. Karlheinz Kornhäusl ........................................................................................ ....... 8

Ingo Appé ................................................................................................................. ..... 11

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ..... 13

Claudia Hauschildt-Buschberger ......................................................................... ..... 15

Bundeskanzler Sebastian Kurz ............................................................................. ..... 16

Mag. Christian Buchmann ..................................................................................... ..... 18

Doris Hahn, MEd MA .............................................................................................. ..... 19

Ing. Bernhard Rösch .............................................................................................. ..... 21

Marco Schreuder .................................................................................................... ..... 23

Vizekanzler Mag. Werner Kogler ........................................................................... ..... 23

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse .......................................................................... 34

Ausschüsse

Zuweisungen ...........................................................................................................  25, 92

5. Punkt: Wahl von Mitgliedern und Ersatzmitgliedern des Ständigen gemein­sa­men Ausschusses des Nationalrates und des Bundesrates im Sinne des § 9 des Finanz-Verfassungsgesetzes 1948                  64

Dringliche Anfrage

der BundesrätInnen Markus Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen an den Bun­desminister für Inneres betreffend „restriktiver Schutz unserer Staatsgrenze an­statt Willkommenskultur“ (3739/J-BR/2020)      ............................................................................................................................... 65

Begründung: Markus Leinfellner .................................................................................. 65

Bundesminister Karl Nehammer, MSc ..................................................................... 68

Debatte:

Josef Ofner .............................................................................................................. ..... 77

Karl Bader ................................................................................................................ ..... 82

Dominik Reisinger .................................................................................................. ..... 84

Claudia Hauschildt-Buschberger ......................................................................... ..... 86

Bernhard Hirczy ...................................................................................................... ..... 89

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ..... 90


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Entschließungsantrag der BundesrätInnen Josef Ofner, Kolleginnen und Kolle­gen betreffend „sofortiger Schutz Österreichs Grenzen“ – Ablehnung (nament­liche Abstimmung) ...............  81, 91

Verzeichnis des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung ...................................... 92

Verhandlungen

2. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 27. Februar 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Durchführung von Euro­pä­ischen Bürgerinitiativen (Europäische-Bürgerinitiative-Gesetz – EBIG), BGBI. I Nr. 12/2012, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBI. I Nr. 32/2018, geändert wird (275/A und 43 d.B. sowie 10284/BR d.B.) .............................................................. 35

Berichterstatterin: Klara Neurauter .............................................................................. 35

RednerInnen:

Ing. Eduard Köck .......................................................................................................... 35

Mag. Elisabeth Grossmann ........................................................................................ 36

MMag. Dr. Michael Schilchegger .......................................................................... ..... 38

Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross .......................................................................................... ..... 40

Stefan Schennach ................................................................................................... ..... 42

Bundesministerin Mag. Karoline Edtstadler ....................................................... ..... 44

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................... 46

3. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 27. Februar 2020 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz und das Bauern-Sozialversicherungsgesetz geändert werden (195/A und 50 d.B. sowie 10285/BR d.B.)               46

Berichterstatter: Andreas Lackner ............................................................................... 46

RednerInnen:

Andreas Lackner .......................................................................................................... 47

Heike Eder, BSc MBA .................................................................................................. 47

Korinna Schumann ................................................................................................ ..... 49

Marlies Steiner-Wieser ........................................................................................... ..... 51

Otto Auer ................................................................................................................. ..... 52

Ing. Bernhard Rösch .............................................................................................. ..... 53

Ernest Schwindsackl .............................................................................................. ..... 53

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................... 54

4. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Mag. Reinhard Pisec, BA MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend staatsvertragliche Verpflichtung des Bundes für das Weltkulturerbe „historisches Zentrum der Stadt Wien“ (271/A(E)-BR/2020 sowie 10286/BR d.B.) .......................................................... 55

Berichterstatter: Mag. Bernd Saurer ............................................................................ 55

RednerInnen:

Mag. Reinhard Pisec, BA MA ..................................................................................... 55

Stefan Schennach (tatsächliche Berichtigung) ............................................................ 58

Dr. Andrea Eder-Gitschthaler ............................................................................... ..... 59

Rudolf Kaske ........................................................................................................... ..... 60

Marco Schreuder .................................................................................................... ..... 61


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Andrea Kahofer ....................................................................................................... ..... 62

Mag. Bernd Saurer ................................................................................................. ..... 63

Annahme des Antrages des Berichterstatters, dem Antrag 271/A(E)-BR/2020 keine Zustimmung zu erteilen ............................................................................................................................... 64

Eingebracht wurden

Anträge der BundesrätInnen

Marlies Steiner-Wieser, Kolleginnen und Kollegen betreffend endlich mehr Tierschutz im Bereich Lebendtiertransporte (272/A(E)-BR/2020)

Mag. Reinhard Pisec, BA MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend Maßnahmenpaket zur Abfederung der negativen Auswirkungen auf die heimische Wirtschaft aufgrund des Coronavirus (273/A(E)-BR/2020)

Anfragen der BundesrätInnen

Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend 15a-Vereinbarung des Bundes (3735/J-BR/2020)

Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend betreffend Arbeitsinspektionen in den Jahren 2017 bis 2019 (3736/J-BR/2020)

Markus Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Landes­verteidigung betreffend Stand und Ausbau von „Sicherheitsinseln“ im Bundesgebiet (3737/J-BR/2020)

Michael Bernard, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres be­treffend gehäufte Aufgriffe von Flüchtlingen in Niederösterreich (3738/J-BR/2020)

Markus Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend restriktiver Schutz unserer Staatsgrenze anstatt Willkommenskultur (3739/J-BR/2020)

Josef Ofner, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend Gedenken anlässlich des Inkrafttretens des Vertrages von Saint-Germain (3740/J-BR/2020)

Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Landesverteidigung betreffend Concluding Observations of the Committee on the Rights of the Children on the combined fifth and sixth periodic reports of Austria (Ab­schließende Bemerkungen des Komitees für Kinderrechte der Vereinten Nationen zum fünften und sechsten Staatenbericht Österreichs) (3741/J-BR/2020)

Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Concluding Obser­vations of the Committee on the Rights of the Children on the combined fifth and sixth periodic reports of Austria (Abschließende Bemerkungen des Komitees für Kinder­rechte der Vereinten Nationen zum fünften und sechsten Staatenbericht Österreichs) (3742/J-BR/2020)

Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus betreffend Concluding Observations of the Committee on the Rights of the Children on the combined fifth and sixth periodic reports of Austria (Abschließende Bemerkungen des Komitees für Kinderrechte der


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Vereinten Nationen zum fünften und sechsten Staatenbericht Österreichs) (3743/J-BR/2020)

Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend betreffend Concluding Observations of the Committee on the Rights of the Children on the combined fifth and sixth periodic reports of Austria (Abschließende Bemerkungen des Komitees für Kinderrechte der Vereinten Nationen zum fünften und sechsten Staatenbericht Österreichs) (3744/J-BR/2020)

Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung betreffend Concluding Observations of the Com­mittee on the Rights of the Children on the combined fifth and sixth periodic reports of Austria (Abschließende Bemerkungen des Komitees für Kinderrechte der Vereinten Nationen zum fünften und sechsten Staatenbericht Österreichs) (3745/J-BR/2020)

Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend Concluding Observations of the Committee on the Rights of the Children on the combined fifth and sixth periodic reports of Austria (Abschließende Bemerkungen des Komitees für Kinderrechte der Vereinten Nationen zum fünften und sechsten Staatenbericht Österreichs) (3746/J-BR/2020)

Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort betreffend Concluding Observations of the Committee on the Rights of the Children on the combined fifth and sixth periodic reports of Austria (Abschließende Bemerkungen des Komitees für Kinderrechte der Vereinten Nationen zum fünften und sechsten Staatenbericht Österreichs) (3747/J-BR/2020)

Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für EU und Verfassung betreffend Concluding Observations of the Committee on the Rights of the Children on the combined fifth and sixth periodic reports of Austria (Abschließende Bemerkungen des Komitees für Kinderrechte der Vereinten Nationen zum fünften und sechsten Staatenbericht Österreichs) (3748/J-BR/2020)

Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten betreffend Concluding Observations of the Committee on the Rights of the Children on the combined fifth and sixth periodic reports of Austria (Abschließende Bemerkungen des Komitees für Kinderrechte der Vereinten Nationen zum fünften und sechsten Staatenbericht Österreichs) (3749/J-BR/2020)

Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Frauen und Integration betreffend Concluding Observations of the Committee on the Rights of the Children on the combined fifth and sixth periodic reports of Austria (Abschließende Bemerkungen des Komitees für Kinderrechte der Vereinten Nationen zum fünften und sechsten Staatenbericht Österreichs) (3750/J-BR/2020)

Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Concluding Observations of the Committee on the Rights of the Children on the combined fifth and sixth periodic reports of Austria (Abschließende Bemerkungen des Komitees für Kinderrechte der Vereinten Nationen zum fünften und sechsten Staatenbericht Österreichs) (3751/J-BR/2020)

Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Concluding Observations of the Committee on the Rights of the Children on the combined fifth and sixth periodic reports of Austria (Abschließende


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Bemerkungen des Komitees für Kinderrechte der Vereinten Nationen zum fünften und sechsten Staatenbericht Österreichs) (3752/J-BR/2020)

Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend Concluding Observations of the Committee on the Rights of the Children on the combined fifth and sixth periodic reports of Austria (Abschließende Bemerkungen des Komitees für Kinderrechte der Vereinten Nationen zum fünften und sechsten Staatenbericht Österreichs) (3753/J-BR/2020)

Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie betreffend Con­cluding Observations of the Committee on the Rights of the Children on the combined fifth and sixth periodic reports of Austria (Abschließende Bemerkungen des Komitees für Kinderrechte der Vereinten Nationen zum fünften und sechsten Staatenbericht Österreichs) (3754/J-BR/2020)

Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport betreffend Concluding Observations of the Committee on the Rights of the Children on the combined fifth and sixth periodic reports of Austria (Abschließende Bemerkungen des Komitees für Kinderrechte der Vereinten Nationen zum fünften und sechsten Staatenbericht Österreichs) (3755/J-BR/2020)

Marlies Steiner-Wieser, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend Schächten in Österreich (3756/J-BR/2020)

Marlies Steiner-Wieser, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Sozia­les, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Schächten in Österreich (3757/J-BR/2020)

Anfragebeantwortung

der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Tech­nologie auf die Anfrage der BundesrätInnen Mag. Elisabeth Grossmann, Kolleginnen und Kollegen betreffend Mautbefreiungen von Autobahnabschnitten durch die Neu­ordnung des Bundesstraßen Mautgesetzes (3440/AB-BR/2020 zu 3712/J-BR/2019)

 

 

 

 

 


 


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09.13.38Beginn der Sitzung: 9.13 Uhr

Vorsitzende: Präsident Robert Seeber, Vizepräsident Michael Wanner, Vizeprä­si­dentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler.

09.13.39*****


Präsident Robert Seeber: Meine Damen und Herren! Ich wünsche allen einen guten Morgen und einen schönen Tag. Herzlich willkommen! Ich eröffne die 902. Sitzung des Bundesrates.

Die nicht verlesenen Teile des Amtlichen Protokolls der 901. Sitzung des Bundesrates vom 13. Februar 2020 sind aufgelegen, wurden nicht beanstandet und gelten daher als genehmigt.

09.14.06Ansprache des Präsidenten anlässlich aktueller Entwicklungen zum Coronavirus


Präsident Robert Seeber: Mein sehr geehrten Damen und Herren! Das Coronavirus stellt für uns alle eine herausfordernde und dynamische Situation dar. Die beiden ge­setzgebenden Körperschaften als staatliche Grundpfeiler und oberste Gesetzgebungs­organe haben sich daher entschlossen, den parlamentarischen Betrieb bis auf Weiteres aufrechtzuerhalten.

Es zählt zum demokratiepolitischen Selbstverständnis, dass Nationalrat und Bundes­rat – egal, unter welchen Umständen – in der Lage sein müssen, Beschlüsse zu fas­sen. Zur Minimierung des Ansteckungsrisikos können daher an der heutigen Plenarsit­zung keine Besucher und Besucherinnen teilnehmen, sondern die anwesenden Medien­ver­treter dienen der Herstellung der demokratisch legitimierten Öffentlichkeit.

Der Bundeskanzler, den ich hiermit herzlich in unserer Runde willkommen heißen darf, wird uns gleich in der zu Beginn der Sitzung stattfindenden Aktuellen Stunde einen Überblick über die aktuelle Entwicklung zum Coronavirus geben.

09.15.16Angelobung


Präsident Robert Seeber: Eingelangt ist ein Schreiben des Burgenländischen Land­tages betreffend die Wahl von Mitgliedern und Ersatzmitgliedern. (siehe S. 30)

Die neuen Mitglieder des Bundesrates sind im Hause anwesend. Ich werde daher sogleich die Angelobung vornehmen.

Nach Verlesung der Gelöbnisformel durch die Schriftführung wird die Angelobung mit den Worten „Ich gelobe“ zu leisten sein. – Ich ersuche nun die Schriftführung um Verlesung der Gelöbnisformel.


Schriftführerin Mag. Daniela Gruber-Pruner: Ich verlese die Gelöbnisformel für die Mitglieder des Bundesrates: „Sie werden geloben unverbrüchliche Treue der Republik


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Österreich, stete und volle Beobachtung der Verfassungsgesetze und aller anderen Gesetze sowie gewissenhafte Erfüllung Ihrer Pflichten.“

*****

(Über Namensaufruf durch Schriftführerin Gruber-Pruner leisten die BundesrätInnen Mag. Sandra Gerdenitsch, Bernhard Hirczy und Günter Kovacs die Angelobung mit den Worten „Ich gelobe“.)

*****

Herzlich willkommen im Bundesrat. (Allgemeiner Beifall.)


Präsident Robert Seeber: Ich begrüße die neuen Mitglieder beziehungsweise das wiedergewählte Mitglied des Bundesrates recht herzlich in unserer Mitte.

09.16.40Aktuelle Stunde


Präsident Robert Seeber: Wir gelangen nun zur Aktuellen Stunde mit Herrn Bun­deskanzler Sebastian Kurz zum Thema:

„Aktuelle Entwicklungen zum Corona-Virus“

In der Präsidialkonferenz wurde Einvernehmen über folgenden Ablauf erzielt: Zunächst kommt je ein Redner/eine Rednerin pro Fraktion zu Wort, dessen beziehungsweise deren Redezeit jeweils 10 Minuten beträgt. Sodann folgt die Stellungnahme des Herrn Bundeskanzlers, die ebenfalls 10 Minuten nicht überschreiten soll. Danach folgt wiederum je ein Redner/eine Rednerin der Fraktionen mit jeweils einer 5-minütigen Redezeit. Zuletzt kann noch eine abschließende Stellungnahme des Herrn Bundes­kanzlers erfolgen, deren Dauer nach Möglichkeit 5 Minuten nicht überschreiten soll.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Karlheinz Kornhäusl. Ich mache darauf aufmerksam, dass entsprechend der Vereinbarung in der Präsidialkonferenz die Redezeit 10 Minuten beträgt, und erteile ihm das Wort.


9.17.46

Bundesrat Dr. Karlheinz Kornhäusl (ÖVP, Steiermark): Werter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Sehr geehrte Kolle­gin­nen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren, die via Livestream oder Fernsehen zugeschalten sind! Ich stehe heute hier auch als Arzt vor Ihnen, und ich darf Ihnen versichern, ich blicke deshalb um nichts weniger angespannt und mitunter auch sorgenvoll auf diese neue Situation, denn das neue Coronavirus, Sars-Cov-2, heißt nicht nur neu, es ist auch neu. Das bedeutet auch, dass wir jeden Tag etwas dazu­lernen. Es wird niemanden geben, keine Expertin oder keinen Experten in Österreich oder auf der ganzen Welt, die endgültig alles über dieses Virus wissen.

Dasselbe gilt aber natürlich auch für unseren Organismus. Auch er kennt dieses neue Virus nicht, auch er weiß nicht endgültig damit umzugehen. Deswegen ist es unser größtes Ziel, die Verbreitung einzudämmen, zu verlangsamen. Das ist es, was so wichtig ist. Wir brauchen Zeit, werte Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen deshalb Zeit, weil ein Abflachen der Neuinfektionen auf der Zeitachse – und das ist das Ent­scheidende – bewirkt, dass weniger Menschen gleichzeitig krank sind und möglicher­weise eine stationäre Behandlung benötigen.


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Es ist weniger die Gesamtzahl entscheidend, sondern es ist entscheidend, wie schnell sich der Erreger ausbreitet. Die Technische Universität Wien hat diesbezüglich eine Modellrechnung angestellt, und die hat ergeben, dass die Höhe des Gipfels der Neu­infektionen auf rund 50 Prozent herabgesetzt werden kann, wenn es uns gelingt, nur 25 Prozent unserer sozialen Kontakte zu reduzieren.

Wenn es gelingt, die sozialen Kontakte um 50 Prozent zu reduzieren, so wird die Höhe des Peaks – also des Gipfels – auf 30 Prozent sinken. Das hat Martin Bicher, einer der Forscher aus dieser Gruppe, errechnet. Das bedeutet also, meine Damen und Herren, wir können etwas tun.

Ich hatte vor allem Ende der letzten Woche den einen oder anderen Kontakt zu Mitarbeitern in Gesundheitsbehörden und Bezirkshauptmannschaften. Da habe ich, vor allem wenn es um die Frage ging, ob man beispielsweise eine Veranstaltung geneh­migen oder nicht genehmigen soll, eine gewisse Sorge verspürt. Das Maßnahmen­paket unserer Bundesregierung hat das nun geändert. Es gibt gute Rahmenbedin­gungen in Form klarer Erlässe und Verordnungen. Das gilt für Reisen, für Veranstal­tungen, für das gesamte öffentliche Leben, ja sogar Schulen und Universitäten sind davon betroffen.

Professor Krause, der Leiter der Infektiologie am Universitätsklinikum Graz, hat in einer Aussendung gesagt, diese Maßnahmen sind drastisch, aber sie sind alternativlos. Dafür gebührt der gesamten Bundesregierung, allen voran aber natürlich unserem Bundeskanzler Sebastian Kurz, unserem Innenminister Karl Nehammer und Gesund­heitsminister Rudolf Anschober allergrößter Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei BundesrätInnen der SPÖ.)

Ich denke, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es Ihnen vor allem gestern so wie mir ergangen ist. Mein Telefon hat geglüht, permanent sind Nachrichten hereingekommen. Und das waren sehr unterschiedliche Meinungen. Die einen haben gefragt: Warum kann nicht noch mehr gemacht werden? – Andere haben wiederum gefragt: Warum reicht denn nicht weniger? – Ja, es ist ein Balanceakt. Wir müssen alles daransetzen, die Verbreitung des Virus einzuschränken. Wir wissen, dass der Kampf gegen Covid-19 unser aller Leben einschränkt. Mir ist auch völlig klar, dass man nicht alles bis ins letzte kleinste Detail vorgeben kann. Ich vertraue hier aber auf den Hausverstand. Ich vertraue auf die Klugheit und das Verantwortungsbewusstsein der Österreicherinnen und Österreicher. (Bundesrätin Mühlwerth: Da würde ich mich nicht so sehr darauf verlassen!)

Es ist vielleicht möglich, das eine oder andere Fest, den einen oder anderen Ausflug ausfallen zu lassen. Anderes wird vielleicht schwieriger sein. Dabei ist jeder gefordert, seine persönlichen Prioritäten zu setzen. Es ist aber unser aller Pflicht, jene zu schüt­zen, die sich nicht selbst schützen können. Da ist jeder Einzelne angehalten, seinen eigenen wichtigen Beitrag zu leisten.

Manche Einschränkungen werden als sehr hart empfunden. Wer sich beispielsweise schon monatelang auf ein Konzert gefreut hat, ist traurig, dass er nicht hingehen darf, ein anderer ist traurig, dass er seinen Fußballverein jetzt nicht anfeuern darf. Noch wesentlich schwerwiegender treffen die Einschränkungen aber Bereiche der Wirtschaft und der dort Beschäftigten. Es gibt keine Veranstaltungstechnik mehr, es gibt kein Catering, Reiseveranstalter zittern, Importe, Exporte sind schwierig geworden. Gestern hat mich sogar eine Friseurin aus meinem Bezirk angerufen und mir erzählt, dass sie kaum mehr neue Termine vergibt, weil sich niemand meldet.

Das Leben geht nicht einfach ungebremst weiter, meine Damen und Herren. Das hat aber einen guten Grund, nämlich unser gutes Leben, so wie wir es kennen, auch durch vorübergehende Einschränkungen zu schützen.


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Die betroffenen Wirtschaftsbereiche brauchen unser aller Solidarität. Wir müssen ihnen helfen, wieder auf die Beine zu kommen, wenn sich diese Gesundheitskrise entspannt hat. Und das wird sie! Wir wissen nicht genau wann, auch Fachleute können das nicht endgültig sagen, und daher müssen wir um Verständnis bitten, dass es keine end­gültigen Zeit- und Fahrpläne gibt. Was es aber gibt, ist der feste Wille, diese zu machen und umzusetzen, wenn wieder neue Fakten klar sind. Man muss mehrmals täglich die Lage neu evaluieren. Das Richtige zur richtigen Zeit tun, das ist es, worum es jetzt geht. Dabei müssen wir vor allem um eines bitten, was in dieser Zeit rar geworden ist, nämlich um etwas Geduld.

Als Steirer darf ich einen Kärntner zitieren, den Chefredakteur der „Kleinen Zeitung“. Er hat gestern in seinem Leitartikel von einer „Reifeprüfung für das Wir“ gesprochen. Das ist eine gescheite und angemessene Formulierung. Wir schützen unsere Mütter und Väter, unsere Omas und Opas, wenn es uns gelingt, die Verbreitung des Virus zu entschleunigen. Wir schützen damit letzten Endes das Leben, das wir lieben.

Ich habe anfangs gesagt, ich bin Arzt, Internist, um genau zu sein. Noch zu Wochen­beginn stand ich in der Notaufnahme meines Krankenhauses, ein großes Grazer Spital, das als Referenzzentrum mit einer Abteilung für Infektiologie auch Covid-19-Patienten behandelt. Ich habe an diesem Tag viele andere Patienten mit vielen anderen Gebrechen behandelt. Das ist mir wichtig, zu sagen, um zu verdeutlichen: Es gibt auch ein Leiden und Leben neben Covid-19. Das dürfen wir nicht vergessen, und wir dürfen nicht zulassen, dass sich alles in unseren Köpfen nur mehr um dieses eine Virus dreht.

Ich möchte Ihnen eine kurze Geschichte nicht vorenthalten: Eine ältere Dame ist bei mir gesessen, sie schaut mich an und sagt zu mir: Herr Doktor, Sie tun mir jetzt aber leid. Ich lächle sie an und sage: Nein, ich muss Ihnen nicht leid tun! Ich mache meinen Beruf gerne und dafür bin ich ja da. Aber wie geht es Ihnen? – Und sie sagt dann zu mir: Wissen Sie, natürlich habe ich Angst, aber ich vertraue auf jene, die entschei­den. – Und sie vertraut auf unser Gesundheitssystem.

Wir haben in Österreich ein gutes und starkes Gesundheitssystem. Das muss gesagt werden! Wir haben bezogen auf die Einwohnerzahl mehr Spitalsbetten und Intensiv­betten als andere Länder. Wir haben vor allem auch hochmotivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Als zum Beispiel am Sonntagnachmittag bekannt wurde, dass Teile des Krankenhauses im Bezirk Hartberg geschlossen werden müssen, haben fünf Hausärztinnen und Hausärzte sofort und spontan einen 24-Stunden-Dienst ins Leben gerufen, um vor allem in den Pflegeheimen die Versorgung der Bevölkerung sicherzu­stellen.

Als Arzt könnte ich jetzt sagen: Ja klar, das entspricht unserem Berufsethos. Als Politiker, vor allem aber als Mitbürger, als Sohn, als Ehemann, als Vater von zwei Töchtern, darf ich aber allen in der ärztlichen Betreuung, in der Pflege, in den Labors, in den Verwaltungsbehörden, bei den Telefonhotlines für ihren unermüdlichen Einsatz von Herzen danken. (Beifall bei ÖVP, Grünen und SPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf zum Ende kommen – es ist auch die zentrale politische und gesellschaftliche Botschaft –: Wir müssen diese Krise gemein­sam meistern, damit wir das gesamte Leben meistern können. Dafür müssen wir zu­sammenrücken, vielleicht unsere Sprache entschärfen, unseren Hausverstand schär­fen, auch und vor allem in den sozialen Medien.

Wir sind sicher keine Zauberer. Ich weiß, jeder würde sich jemanden wünschen, der kommt und diese Krise mit einem Fingerschnippen beendet. Wir sind keine Zauberer, wir sind Menschen – Menschen, die sich auf ihrem jeweiligen Platz bemühen, mit Be-


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sonnenheit das Richtige zu tun. – Herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei BundesrätInnen der SPÖ.)

9.28


Präsident Robert Seeber: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ingo Appé. Ich erteile ihm dieses.


9.28.43

Bundesrat Ingo Appé (SPÖ, Kärnten): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Herr Vizekanzler! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer vor den Bildschirmen! Seit mehr als zwei Monaten beherrscht Corona die Schlagzeilen, und nunmehr ist der Zeitpunkt gekommen, dass es auch bei uns angekommen ist. Auch die WHO hat nunmehr die Coronavirusver­brei­tung als Pandemie eingestuft. Mit den nunmehr verkündeten Maßnahmen erleben wir tiefe Einschnitte im öffentlichen, wirtschaftlichen und sozialen Alltag, ohne dass noch die meisten von uns die Folgen persönlich am eigenen Leib erfahren.

Sie stellen einen radikalen Bruch mit unseren bisherigen Lebensgewohnheiten des modernen, grenzenlosen, mobilen Bürgers dar. Wir stehen vor der Herausforderung, ältere und chronisch kranke Menschen zu schützen. Gerade die Jungen sind auf­gefordert, die Älteren zu schützen. Dies können sie in der Art und Weise tun, dass sie in nächster Zeit soziale Kontakte vermeiden, in den nächsten Wochen den von den Behörden erlassenen Anweisungen folgen und den zurzeit noch nicht greifbaren Virus und seine Folgen nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Es gilt nun, uns dafür zu rüsten und gegen eine drohende Katastrophe so aufgestellt zu sein, um die zu erwartenden Schäden so gering wie möglich halten zu können. An erster Stelle steht daher, die Ausbreitung der Coronaepidemie, so lange wie es nur irgendwie geht, hinauszuzögern, um eine ansonsten drohende Überlastung unseres Gesundheitssystems zu verhindern.

Jetzt sind professionelles Krisenmanagement sowie Besonnenheit und kühle Köpfe bei allen Menschen gefragt. Das ist nicht der Zeitpunkt für politisches Hickhack. Es ist ein Gebot der Stunde, sich über die Parteigrenzen hinweg gemeinsam den Herausforde­rungen dieser für uns noch nie dagewesenen Krise zu stellen. Dafür sind österreich­weite Vorgaben durch die Bundesregierung dringend notwendig. Die SPÖ begrüßt die bereits gesetzten Maßnahmen, es ist für uns aber auch klar, dass Österreich einen nationalen Krisenplan, einen Krisenkoordinator und bundesweit einheitliche Regelun­gen braucht. (Beifall bei der SPÖ.)

Jetzt gilt es, den Virus gemeinsam zu bekämpfen und die Infektionsrate zu bremsen. Wir müssen achtsam sein und gut zusammenarbeiten. Dazu wird es auch notwendig sein, das Vertrauen der Bevölkerung für die zu setzenden Maßnahmen zu gewinnen. Dies wird aber nur dann möglich sein, wenn es glaubhafte und transparente Infor­mationen gibt. Es ist uns klar, dass es schwierig ist, nicht als Panikmacher hingestellt zu werden, wenn nunmehr unpopuläre Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung gesetzt werden.

Das Vertrauen ist eigentlich die wichtigste Basis für diese Kommunikation. Vielleicht ist es besser, wenn Experten anstelle von Politikern Informationen an die Medien weiter­geben, wie es zum Beispiel gestern der Fall war. Über die unterschiedlichen Werte von Politikern und Ärzten im Vertrauensindex brauchen wir hier, glaube ich, nicht zu dis­kutieren. Beobachten wir zeitweise die Berichterstattung, ist die teilweise bestehende Skepsis in der Bevölkerung zu verstehen. Soll die Botschaft transportiert werden, dass Schutzmasken niemanden schützen, der noch nicht infiziert ist, zeigt man im Fernsehen Bilder von Polizisten mit Schutzmasken. Zu einer Lachnummer wurde ein


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Beitrag in der „ZIB“, in der ein Reporter vor einem Innsbrucker Hotel berichtet, dass dieses abgeriegelt sei und keiner rein oder raus könne. Im Hintergrund öffnet sich dann die Hoteltür und eine Person verlässt das Hotel munter mit einem Scooter. Als vertrau­ensbildende Maßnahme kann das nicht gewertet werden. Das fördert die Skepsis in der Bevölkerung.

Kehren wir zurück zur Thematik: Wir sind bestens gerüstet. Apropos bestens gerüstet: Ich möchte an dieser Stelle all jenen Dank aussprechen, die bisher unter größt­mög­lichem Einsatz sehr viel dazu beigetragen haben, dass sachliche Informationen, rasche Befunderstellungen und alle bisher gesetzten Maßnahmen möglich waren. (Beifall bei der SPÖ sowie bei BundesrätInnen von ÖVP, FPÖ und Grünen.) Ein ganz besonderer Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ages, der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit. Dort wurde und wird rund um die Uhr vorbildliche Arbeit geleistet.

So können wir nur hoffen, dass uns die Chance bleibt, aus dieser Krise auch zu lernen, denn eines muss uns klar sein: Es gibt eine Vielzahl von Punkten, die noch zu meistern sein werden. So hat bereits der Ausbruch in China gezeigt, dass die Globalisierung nicht der große Segen ist. Beinahe 70 Prozent der Produktion von Medikamenten findet dort statt, da europäische Firmen gewinnorientiert Produktionsauslagerungen durchgeführt haben. Es werden in Europa kaum mehr Antibiotika hergestellt. Wie sieht es also mit der Verfügbarkeit von Medikamenten aus? Wie sieht es mit der Vor­halte­kapazität in den Krankenhäusern oder in der Ages aus? Kann es sein, dass die Spar­politik doch nicht der Weisheit letzter Schluss war? Es besteht diesbezüglich drin­gender Handlungsbedarf, um die Finanzierung dieser – wie sich jetzt erwiesen hat – wichtigen Einrichtung auch für die Zukunft sicherzustellen. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Finanzierung der Ages ist bei Auflösung aller Rücklagen noch für zwei Jahre gesichert. Seit Jahren bleibt die Forderung an den Finanzminister nach einer Valorisie­rung und einer vernünftigen Basisfinanzierung ungehört. Was passiert ist, war eine Reduktion des Personalstandes von 2012 bis heute von 1 400 Vollzeitäquivalenten auf 1 300, wobei noch zusätzliche Aufgaben an die Ages übertragen wurden und die Re­duktion des Personalstandes hauptsächlich im humanmedizinischen, im veterinär­medizinischen Bereich und im Lebensmittelbereich durchgeführt wurde. Diese Be­reiche sind genau jene, die in der Krise vorbildliche Arbeit leisten und nun an ihre Leistungsgrenzen stoßen.

Gerade die jetzige Lage sollte dazu genützt werden, mit einer sofortigen finanziellen Hilfe sicherzustellen, dass der Betrieb aufrechterhalten werden kann, denn eines ist klar: Die personellen und maschinellen Vorhaltekapazitäten reichen nicht aus, um einen noch höheren Arbeitsanfall bewältigen zu können. Ich spreche jetzt nicht an, dass die derzeitigen personellen und maschinellen Ressourcen des veterinärmedi­zinischen Bereichs für die virologischen Arbeiten herangezogen werden. Es ist ja auch kein Geheimnis, dass in den östlichen Nachbarländern im Veterinärbereich bereits die Afrikanische Schweinepest aufgeschlagen ist. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis da die Dienste der Ages notwendig werden.

Daher darf ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, die dringende Bitte übermitteln, rasch zu handeln, auch unter dem Aspekt, dass wir damit für den Ernstfall – der kommen wird – entsprechend gerüstet sind, denn es sollte nicht die Situation eintreten, dass wir zwar ein tolles Feuerwehrhaus errichtet haben, aber nicht über genügend Feuerwehr­ein­satzfahrzeuge und Feuerwehreinsatzkräfte verfügen.

Wie schon eingangs erwähnt ist jeder Tag, an dem wir Infektionen verhindern bezie­hungsweise verzögern können, ein gewonnener Tag. Wenn wir die Fakten und Bilder aus Italien betrachten, können wir nur hoffen, dass dieses Szenario uns nicht in dieser


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Intensität trifft und wir es schaffen, in der verbliebenen Zeit alles daranzusetzen, größt­möglichen Schutz und die medizinische Vorsorge sicherzustellen. Trotz beziehungs­weise gerade wegen der sich überschlagenden Ereignisse sind Ruhe und Besonnen­heit gefordert. Ob die gesetzten Maßnahmen zu früh oder zu spät gesetzt wurden, werden wir erst nach der Bewältigung der Krise erkennen können. Aus dem Bauch heraus überwiegt das Gefühl, dass sie angemessen und sinnvoll sind. Hoffen wir das Beste im Sinne der Gesundheit aller Österreicherinnen und Österreicher! – Glück auf! (Beifall bei der SPÖ.)

9.37


Präsident Robert Seeber: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Monika Mühlwerth. Ich erteile ihr dieses.


9.37.47

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Fernsehbildschirmen und via Livestream! Da wir das sonst anders handhaben, wenn neue Bundesräte angelobt werden, möchte ich zuerst einmal alle, die neu oder auch wiedergewählt worden sind, von dieser Stelle namens der Freiheitlichen auf das Allerherzlichste bei uns im Bundesrat begrüßen.

Wir sind in einer sehr veränderten Situation, in einer schwierigen Situation, unser Leben hat sich radikal geändert. Vor zwei, drei Wochen konnten wir uns das in dieser Dimension noch gar nicht vorstellen: dass man nicht mehr reisen kann, dass man keine Veranstaltungen mehr abhalten kann und so weiter. Ich finde ja – das möchte ich voranstellen –, dass die Bundesregierung das bis jetzt ganz gut gehandhabt hat. Allerdings haben wir – und ein bisschen Kritik darf bei aller Ernsthaftigkeit und Sach­lichkeit beziehungsweise beim Bemühen um Sachlichkeit in der Diskussion schon erlaubt sein – schon vor Ende Februar darum gebeten, dass entsprechende Maßnah­men gesetzt werden.

Kollege Appé hat schon recht, wir werden erst im Nachhinein wissen, ob es zu früh oder zu spät war beziehungsweise was richtig und was falsch war. Das liegt in so einer schwierigen Situation, die ja auch für uns völlig neu ist, in der Natur der Sache. Das hatten wir ja in den vergangenen 70 Jahren nicht, weil man das Grippevirus – das wissen wir mittlerweile – ja nicht damit vergleichen kann.

Was ich schon kritisch anmerken muss, ist, dass wir noch sehr lange Flugzeuge aus Asien haben landen lassen, ohne, dass getestet worden ist. Das halte ich schon für problematisch.

Wir haben 100 000 Masken nach China geschickt und die eigenen Polizisten mit abge­laufenen Grippeschutzmasken versehen. Jetzt lese ich in der Zeitung, dass die Chine­sen an die Italiener Masken geschickt haben. – Ich sage, dass das schon sehr hinter­fragens­wert ist. Und auch eine Bitte für die Zukunft: Schaut man sich die Seite des Gesundheitsministeriums an und forscht nach, wie viele Intensivbetten es in Österreich eigentlich gibt, so kommt man zu dem Schluss, dass die Kapazität sehr schnell ausgelastet sein kann, sollte sich das Virus noch dramatischer verbreiten – was wir ja nicht hoffen, weil wir ja hoffen, dass die gesetzten Maßnahmen es eher eindämmen. Man kommt nicht einmal auf genaue Zahlen. Warum? – Weil das Gesundheitswesen sehr zersplittert ist. Bei aller Liebe zum Föderalismus ist das schon etwas – wir haben das in der Vergangenheit schon oft genug diskutiert –, bei dem eine zu große Zersplitterung stattfindet. Man müsste das Ganze zentraler zusammenfassen, um auch


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wirklich einen entsprechenden Überblick zu haben, bei dem auch die Zahlen verläss­lich sind.

Als ich mich gestern auf meine Rede vorbereitet habe, habe ich mir drei Mal gedacht, die Zettel kann ich schon wieder wegwerfen, weil sich ja stündlich etwas an den Informationen geändert hat – ein Teil davon betraf die Schulschließungen.

Ein Schulterschluss auch quer über die Parteigrenzen wird aber natürlich nur dann funktionieren können, wenn auch die Opposition informiert wird. Herr Bundeskanzler, da muss ich Ihnen – Sie waren es nicht persönlich – aber Folgendes mitgeben: Mein Kollege aus dem Unterrichtsausschuss hat mir erzählt, dass Bundesminister Faßmann dort war und er gefragt worden ist: Werden Schulschließungen stattfinden? Seine Antwort war: Weiß man noch nicht, wir überlegen noch, wir reden mit den Sozial­partnern und mit den Stakeholdern. – Da bin ich schon einmal der Meinung, wenn wir schon eine Krise haben, dann macht man das einfach, da muss man nicht erst mit den Sozialpartnern und den Stakeholdern reden. (Beifall bei der FPÖ.)

Zum Zweiten: Wenn 10 Minuten später in der „Kronen Zeitung“ steht, dass die Schulen geschlossen werden, dann ist man einfach verärgert, denn dann fühlt man sich als Oppositionspartei und als Abgeordneter nicht informiert. Da ist also, glaube ich, Verbesserungsbedarf vorhanden, dem hoffentlich auch nachgekommen wird. (Beifall bei der FPÖ sowie des Bundesrates Novak.)

Die Schulschließungen sind sinnvoll, ja, gleichzeitig aber auch problematisch, weil zwar die Betreuung dankenswerterweise stattfinden wird, das aber natürlich auch wie­der ein Risiko ist, weil man Kinder, vor allem die kleinen Kindergartenkinder, nicht auf Abstand halten kann. Daher müssen diese Betreuungspersonen besonders vorsichtig sein, sie müssen sich selber auch besonders schützen; das kann man ihnen gar nicht eindringlich genug sagen. Ich glaube schon, dass die Pädagogen die Ernsthaftigkeit der Situation erfassen, aber insgesamt werden wir es ja sehen. Je länger es dauert, desto schlampiger werden die Leute auch wieder werden. Unsere sogenannten mün­digen Bürger, von denen wir immer reden, sind dann nicht immer so mündig, wie wir glauben und wie wir auch hoffen. Man wird dann schnell fahrlässig und sagt: Mich betrifft das eh nicht, mich erwischt es eh nicht und ich muss mich nicht unbedingt daran halten. – Da müssen wir auch bei der Information mit aller Nachdrücklichkeit wirklich jeden darauf hinweisen, dass jeder Einzelne Verantwortung trägt und nicht nur die Allgemeinheit.

Die Wirtschaft trifft es jetzt natürlich mit voller Wucht. Wirtschaftsforscher sagen, es wird noch viel schlimmer werden als die Krise 2009, die ja noch gar nicht wirklich überstanden ist. Wir haben diese zwar ganz gut bewältigt, aber sie ist noch nicht ausgestanden; und schon rollt die nächste heran, die man nicht unterschätzen und auch nicht kleinzureden versuchen sollte. Wir hatten schon vorher eine Delle in der Wirtschaftsentwicklung, die sich jetzt natürlich rasant verstärken wird.

Das heißt, auch wir in Österreich werden vor allem die Klein- und Mittelbetriebe ent­sprechend unterstützen müssen. Ministerin Schramböck hat ja schon gesagt, dass das kommen wird, nur sage ich Ihnen, dass 100 Millionen Euro aber viel zu wenig sein werden. Das wird ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Wir werden da mindestens 1 Milliarde Euro in die Hand nehmen müssen, und das können und müssen wir stemmen, denn das Überleben der Betriebe zu sichern heißt auch, Arbeitsplätze zu sichern. Daher ist es ganz wesentlich, dass wir da raschest tätig werden. (Beifall bei der FPÖ und bei BundesrätInnen der SPÖ.)

Es wird dabei auch wichtig sein, Zahlungen zu stunden, Steuerleistungen zu stunden oder zu reduzieren, damit der Wirtschaft geholfen wird, damit nicht jeder dritte Betrieb zusperren muss. Das ist ganz wichtig. Auch für die Veranstalter wäre es wichtig, einen


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Entschädigungsfonds zu haben, damit diese die Absagen, die ja jetzt täglich zu Hunderten eintreffen, überstehen können. Das war ja auch in den Medien heute schon ein Thema und wir selber wissen, es sind mittlerweile auch Restaurants, Hotels, et cetera betroffen, nicht nur größere und mittlere Events. Das ist auch ein ganz wesentlicher Teil, dass wir denen unter die Arme greifen.

Zum Schluss noch ein Appell, wirklich auch an jeden Einzelnen, da ich immer wieder in der U-Bahn höre – ich fahre nach wie vor mit den Öffis, obwohl das ja auch schon schwierig ist (Bundesrat Schreuder: Radfahren!), die sind aber mittlerweile eh halb leer; heute in der Früh waren in der Straßenbahn, die ich immer benütze und die um die Zeit, zu der ich gefahren bin, normalerweise voll ist, gerade noch zehn Leute drinnen; ich bin aber ohnehin jemand, der viel lieber zu Fuß geht, wenn es irgendwie geht –, dass die Leute noch nicht dieses Wirgefühl haben: Da wird ungeniert gehustet, nicht einmal die Hand vorgehalten, geschweige denn ein Ellbogen, es wird durch die Gegend geniest. Da ist wirklich jeder Einzelne gefordert, mit Schnupfen, wenn es geht, kein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen oder entsprechend vorzugehen. Wir müs­sen auch auf die anderen Rücksicht nehmen, wir können nicht mehr so tun – wie das manche bis jetzt getan haben –, als ob wir allein auf der Welt wären und rundherum nichts ist. Wir wissen, dass es bei aller Disziplin, die die Bevölkerung hat, immer wieder Ausreißer gibt, die sich an gar nichts halten; an diese sei dieser Appell auch gerichtet.

Wir hoffen alle, dass diese Maßnahmen und weitere, die vielleicht noch getroffen wer­den müssen, auch wirklich helfen, die Verbreitung dieses Virus einzudämmen, damit wir möglichst bald unser normales Leben – das ja eh nie mehr, glaube ich, wieder so sein wird, wie es vorher war; es wird einiges davon hängen bleiben – wieder aufneh­men können. Wir werden dazu beitragen, wir werden alles, was getan werden muss, unter­stützen, in der Hoffnung, dass das auch alles hilft. (Beifall bei der FPÖ und bei BundesrätInnen der SPÖ.)

9.47


Präsident Robert Seeber: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger. Ich erteile ihr dieses.


9.47.48

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehr­ter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher via Live­stream! Meine Vorredner haben jetzt schon sehr viel gesagt, insbesondere bedanke ich mich bei Kollegen Kornhäusl, der die medizinische Sicht, wie ich glaube, sehr gut dargestellt hat.

Ich möchte jetzt auch nichts wiederholen, aber einige Dinge, die aus meiner Sicht doch von Bedeutung sind, erzählen. Da möchte ich auf die persönliche Ebene gehen und Sie einfach fragen: Wer von Ihnen hat Familienmitglieder, die älter als 70 Jahre alt sind, Bekannte, die sich einer Chemotherapie unterziehen, Freunde, die an schweren Erkrankungen leiden, und deshalb besonders vulnerabel sind?

Ich persönlich habe ein 24-jährige Tochter, die aufgrund einer schweren Erkrankung ständig Immunsuppressiva einnehmen muss, und als ich vorgestern die Information erhalten habe, dass keine öffentlichen Lehrveranstaltungen an den Universitäten mehr stattfinden und auf E-Learning umgestellt wird, bin ich unglaublich erleichtert gewesen, denn so ist es gewährleistet, dass meine Tochter sich im Rahmen ihres Studiums nicht mehr dem Risiko einer für sie wahrscheinlich schwerwiegenden Erkrankung aussetzen muss und ohne Nachteile zu Hause bleiben kann, bis das Hauptrisiko der Infektions­übertragung ausgesetzt ist. (Vizepräsident Wanner übernimmt den Vorsitz.)


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Ich glaube, genau darum geht es bei den Maßnahmen, die die Regierung derzeit setzt. Es muss gewährleistet sein, dass wir alle vulnerablen Personengruppen schützen, nämlich genau jene, bei denen der Krankheitsverlauf problematisch oder sogar tödlich sein kann; und das alles mit der notwendigen Ruhe und Seriosität und vor allem ohne Populismus. Das österreichische Gesundheitssystem ist in der Lage, für eventuell erkrankte Menschen die bestmögliche Versorgung zu gewährleisten, aber wie heute eben auch schon öfter gesagt worden ist: Wir müssen den Peak möglichst flach halten.

Das ist unsere Aufgabe, denn wir werden an unsere Grenze kommen, wenn die Zahl der Erkrankten explosionsartig ansteigt. Darum ist es wirklich notwendig, dass wir unsere sozialen Kontakte absolut einschränken. Das ist im täglichen Leben nicht einfach, aber genau diese Situation führt uns auch vor Augen, was soziale Kontakte eben bedeuten. Die Regierung gibt uns dafür den Guide, und die Vorgaben, wie sie seit gestern vorliegen, legen den Rahmen fest – und dieser Rahmen wird Gott sei Dank neu überdacht, engmaschiger und bei Bedarf auch verändert. Das bedeutet Seriosität und Verantwortung, die in so einer Ausnahmesituation notwendig sind.

Ganz wichtig ist es dabei meiner Meinung, auch das Bewusstsein in der Bevölkerung zu schärfen, um den Sinn hinter den Maßnahmen zu verstehen. Eine Veranstaltung, auch mit nur 50 Personen, birgt natürlich weiter das Risiko, das Virus zu verbreiten; und – das wurde heute eben auch schon gesagt – nur eine Einschränkung eines Viertels unserer Sozialkontakte mindert das Infektionsrisiko um 50 Prozent.

Das schlägt sich natürlich nicht nur auf die Wirtschaftstreibenden, sondern auch auf die Kommunen nieder. Wir hatten zum Beispiel gestern bei uns in der Gemeinde eine dreieinhalbstündige Besprechung, in der man einmal eruiert hat, was es für Veran­staltungen und überhaupt notwendige Sachen gibt. Es ist eigentlich ganz einfach, das zu verschieben und aus einer Frühlingsflurreinigung einen Herbstputztag zu machen. Das ist auch deshalb so einfach – das habe ich in den letzten Tagen auch gesehen –, weil wirklich alle an einem Strang ziehen. Gestern Morgen hat es unser Gesundheits­minister Rudi Anschober ganz richtig gesagt, es entsteht ein neues Team Österreich. Solidarität ist überall in der Gesellschaft zu spüren und wird auch so gelebt – nur so soll und kann es sein.

Ja, und wir sollten darauf vertrauen, dass unsere Regierung unter Zuhilfenahme von ExpertInnen diese sehr große Herausforderung bestmöglich meistern und weiter aus Verantwortung für Österreich, für Europa und für die Menschen handeln wird. Dafür möchte ich mich bei allen Beteiligten sehr herzlich bedanken. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie der Bundesrätin Schumann.)

9.52


Vizepräsident Michael Wanner: Zu einer ersten Stellungnahme zu Wort gemeldet hat sich der Herr Bundeskanzler. Ich erteile es ihm und bitte auch ihn, die Redezeit von 10 Minuten nicht zu überschreiten. – Bitte, Herr Bundeskanzler.


09.52.19

Bundeskanzler Sebastian Kurz: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte, vor allem aber geschätzter Herr Vizekanzler! Ich möchte zunächst mit einem großen Dank an den Vizekanzler, an die Mitglieder der Bundes­regierung, allen voran an den Gesundheitsminister und den Innenminister, vor allem aber auch an alle Mitglieder des Einsatzstabes und all jene, die im Gesundheitssystem, aber auch bei der Polizei und darüber hinaus im Moment ihren Dienst versehen, begin­nen.

Es werden mehr als nur herausfordernde Wochen für Europa und für Österreich wer­den. Wir sind mit einer Situation konfrontiert, auf die wir uns die letzten Wochen vorbe-


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reitet haben, für die wir auch die letzten Maßnahmen vorbereitet haben, wobei wir uns bewusst damit auseinandergesetzt haben, was zu tun ist, wenn diese Situation, wenn dieses Szenario eintritt; insofern sind wir vorbereitet. Allerdings – darüber muss ich Sie informieren –: Dieses Szenario tritt jetzt auch ein. Wir sind damit konfrontiert, dass sich das Coronavirus in Europa ausbreitet. Sie wissen, ich habe vor ungefähr zwei Wochen gesagt, es wird keinen Bogen um Österreich machen. Genau diese Situation findet statt, und sie findet in voller Härte statt. Die Ausbreitung in Europa ist quer durch die europäischen Länder in einem sehr, sehr rasanten Tempo und mit einer Geschwindig­keit gegeben, die uns dazu veranlasst, intensive Maßnahmen zu setzen und drastisch in das Leben der Menschen einzugreifen. Wir tun das keinesfalls leichtfertig, wir tun das auch nicht gern, aber es ist mehr als notwendig.

Wir haben daher in den letzten Tagen einige Maßnahmen gesetzt, die natürlich eine starke Einschränkung für das Leben der Menschen in unserem Land bedeuten. Ich muss jetzt schon ankündigen, dass weitere Maßnahmen, weitere drastische Schritte notwendig sein werden. Wir haben zwar nach wie vor in Österreich eine geringe Zahl an Infizierten, aber – weil ich das so oft gefragt werde –: Es geht nicht um die Zahl der Infizierten, sondern es geht einzig und allein um die Steigerung. Wenn ich Ihnen jetzt sage, dass wir mittlerweile bei über 300 Infizierten sind, dann können Sie sich sehr leicht selbst ausrechnen, was das an Steigerung im Vergleich zu gestern, zu vorge­stern bedeutet. Sie können sich auch sehr leicht ausrechnen, dass das bedeutet, in einigen Tagen die Tausendergrenze zu durchstoßen, eine Woche darauf die Zehntau­sender­grenze.

Insofern werden wir – auch wenn andere europäische Länder da noch zögern und nicht so intensive Maßnahmen setzen – unseren Weg fortsetzen. Wir werden ganz konsequent reagieren, in einer Phase, in der diese Maßnahmen noch Sinn machen und zumindest eine Verlangsamung stattfinden kann.

Ich werde immer wieder gefragt: Ist es möglich, die Ausbreitung des Virus aufzu­halten? – Nein, das ist nicht möglich. Es ist aber möglich, eine Verlangsamung zu erreichen, und das ist ganz entscheidend, um die Kapazitäten in unserem Land nicht sofort überzubelasten. Wir müssen in Österreich alles tun, um die älteren Menschen in unserem Land zu schützen. Sie sind hauptbetroffen, auch wenn es um die Frage der Sterblichkeit geht. Insofern ist unser absolutes Ziel – das absolute Ziel der Bundes­regierung –, alle Maßnahmen zu setzen, um eine Verlangsamung der Ausbreitung sicherzustellen.

Ich bitte Sie als Bundesräte, als verantwortungsvolle Politiker selbst mit gutem Beispiel voranzugehen und keinesfalls zu beschwichtigen. Ich bitte Sie, die Bevölkerung und vor allem diejenigen, die noch nicht zu 100 Prozent realisiert haben, womit wir es hier zu tun haben, aufzuklären. Ich bitte Sie vor allem auch, einige Botschaften unter die Menschen zu bringen – nämlich zum Ersten, dass es absolut notwendig ist, ältere Menschen zu schützen, und das bedeutet auch, so schwer das fällt, den Kontakt zur Eltern- und Großelterngeneration deutlich zu reduzieren oder wenn möglich gänzlich auszusetzen.

Ich habe ein ausgezeichnetes Verhältnis zu meinen Eltern, aber ich treffe sie die nächsten Wochen nicht. Es wird keine gemeinsamen Familienessen an den Wochen­enden geben, obwohl wir das sonst gerne machen. Aber es ist möglich, diesen Kontakt einzuschränken, und es ist sinnvoll, weil ich meinen Vater, der 70 Jahre alt ist und bei dem eine Erkrankung ganz andere Auswirkungen hätte als bei mir, schützen möchte. Meine Mutter kann den Kontakt zu meiner Großmutter nicht einstellen, weil sie pflege­bedürftig und auf Unterstützung angewiesen ist. (Bundesrätin Grimling: Eben!) Aber dort, wo es möglich ist, sollte der Kontakt eingeschränkt werden. So hart das klingt und so schwer einem das selbst über die Lippen geht, bitte ich Sie, das in der Bevölkerung


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auch weiterzutragen. Das ist die effizienteste Methode, um die ältere Generation zu schützen.

Zweiter Punkt: Ich höre in den letzten Tagen im Freundeskreis immer wieder die Frage – meistens per SMS, weil ich so viel in Sitzungen bin, dass ich telefonisch nicht erreichbar bin –: Darf ich da noch hingehen? Soll ich da noch hinfahren? All diese Fragen sind sehr leicht zu beantworten, nämlich immer mit derselben Antwort: Nein. – Alles, was nicht notwendig ist, sollte nicht stattfinden! Wenn Sie sich die Frage stellen: Soll ich etwas tun?, dann beinhaltet die Frage schon, dass es möglich ist, darauf zu verzichten, und das bedeutet: Verzichten Sie darauf! Der Messbesuch genauso wie die Familienfeier, all das sind Veranstaltungen, wenn auch im kleinsten Kreis, wo eine Übertragungsgefahr besteht, und all das sollte in den nächsten Wochen reduziert werden.

Abschließend, sehr geehrte Damen und Herren: Ich werde gleich im Anschluss mit den Zuständigen in der Bundesregierung und dem Einsatzstab weitere Maßnahmen besprechen und diese auch zügig für Österreich umsetzen. Darüber hinaus bereiten wir selbstverständlich auch Maßnahmen vor, um die österreichische Wirtschaft best­möglich zu unterstützen, stets mit einem Ziel, nämlich die Arbeitsplätze in unserem Land zu sichern.

Es werden herausfordernde Wochen, aber es sind Wochen, in denen wir Handlungen setzen können, um die Ausbreitung zu verlangsamen, um den Peak vielleicht hinter die Grippesaison zu verschieben und so die Leben von älteren Menschen in unserem Land zu retten. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei BundesrätInnen der SPÖ.)

9.59


Vizepräsident Michael Wanner: Ich danke dem Herrn Bundeskanzler.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmer und Teil­nehmerinnen an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minu­ten nicht übersteigen darf.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Christian Buchmann. Ich erteile es ihm.


10.00.12

Bundesrat Mag. Christian Buchmann (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Bun­des­kanzler! Geschätzter Herr Vizekanzler! Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, nicht nur mich, sondern auch Sie haben die Worte des Bundeskanzlers sehr betroffen gemacht. Wir sind in der Tat in einer existenziellen Krise und das in verschiedenen Sphären unserer Gesell­schaft. Dabei gilt es, zu beachten, dass dieses Land handlungsfähig bleiben muss, dass dieses Land versorgungsfähig bleiben muss und dass wir gemeinsam – auch als Mitglieder des österreichischen Parlaments, in dem Fall der Kammer des Bundes­rates – eine ganz besondere Verantwortung für dieses Land tragen.

Mir ist bewusst, dass der Herr Bundeskanzler, der Herr Vizekanzler und die Mitglieder der Bundesregierung in diesen sehr intensiven Stunden wichtige Aufgaben wahrneh­men müssen. Ich wollte eigentlich sehr umfangreich darüber referieren, welche Aus­wirkungen der Coronavirus auf die Wirtschaft, auf die Arbeitsplätze im Lande und international hat und welche Maßnahmen wir gemeinsam ergreifen können, um diese Auswirkungen zu mildern. Ich möchte aber nicht lange reden, weil ich die Herren der Bundesregierung nicht hier im Saal binden möchte. (Präsident Seeber übernimmt den Vorsitz.)


BundesratStenographisches Protokoll902. Sitzung, 902. Sitzung des Bundesrates am 12. März 2020 / Seite 19

Ich weiß, dass sie in ihrer Handlungssphäre im Moment andere Entscheidungen zu treffen haben, die unser Land vor weitere große Herausforderungen stellen. Daher nur drei Anmerkungen:

Erstens: Ich bin dankbar, dass der Herr Bundeskanzler, der Herr Vizekanzler, der Ge­sundheitsminister, der Innenminister und die weiteren Mitglieder der Bundesregierung handlungsfähig sind, dass sie die richtigen Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt setzen, dass sie die notwendigen Maßnahmen setzen. Sie müssen stündlich abwägen, ob diese Maßnahmen auch hinreichend sind. Wir werden in den nächsten Stunden und in den nächsten Tagen weitere Maßnahmen erleben, die diese hinreichenden Auswir­kungen näher beschreiben werden.

Zweitens: Ich bin dankbar, dass die Bundesregierung gesagt hat, das wichtigste Thema, das wir aktuell haben – und der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen –, ist der Schutz von Leib und Leben. Da können wir alle gemeinsam in unseren Familien, in unseren Vereinen, in unseren Betrieben die richtigen Maßnahmen setzen. Da ist viel gemeinsam und mit Selbstverantwortung zu tun, und das sollten wir auch entsprechend tun.

Drittens: Es ist alles zu unternehmen, damit die österreichische Wirtschaft – und sie ist für mich unteilbar; das sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Betrieben, das sind die Unternehmungen, die großen, die kleinen, die mittleren Unternehmungen, jede und jeder in ihrer und seiner Branche und mit eigenen Erfordernissen – handlungsfähig bleibt. Die Bundesregierung wird ein Maßnahmenbündel, einen Instrumentenkasten entwickeln und täglich ausbauen müssen, damit diese Handlungsfähigkeit gewähr­leistet bleibt.

Ich bin überzeugt davon, dass wir aus den Überlegungen der Wirtschafts- und Finanz­krise und deren Auswirkungen heraus die richtigen Entscheidungen treffen werden. Ich war selbst in meinem Heimatbundesland, der Steiermark, im Jahr 2008/2009 für die Wirtschaft zuständig. Ich weiß, dass wir es, wenn wir es gemeinsam tun, auch ge­meinsam schaffen können. Herzlichen Dank an die Bundesregierung! Treffen wir gemeinsam die richtigen Entscheidungen! Mögen sie nicht nur notwendig, sondern auch hinreichend sein! (Beifall bei der ÖVP sowie der Bundesräte Schererbauer und Schreuder.)

10.03


Präsident Robert Seeber: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Doris Hahn. Ich erteile ihr dieses.


10.04.01

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Geschätzte Damen und Herren des Bundesrates! Liebe ZuhörerInnen und ZuschauerInnen zu Hause, da ja heute die Galerie für Besucher gesperrt ist!

Die aktuellen Zahlen aus dem Sozialministerium: knapp 70 000 Fälle weltweit, 5 869 Testungen und 302 positiv getestete Fälle in Österreich – was heißt Fälle? –, Men­schen, die vom Coronavirus betroffen sind. Ohne Zweifel stehen Österreich und die ganze Welt aktuell mitten in einer Ausnahmesituation, einer Situation, die man sonst wahrscheinlich nur aus schlechten Hollywoodfilmen kennt, einer Situation, die – wie wir heute schon sehr ausführlich gehört haben – nahezu alle Bereiche unseres Lebens beeinflusst und vermutlich auch nachhaltig verändern wird. Dass natürlich verschie­denste Maßnahmen notwendig waren, um eine Ausbreitung des Virus möglichst hint­anzustellen, ist klar.


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Positiv ist, dass da über alle Parteigrenzen hinweg alle zusammenstehen und gemein­sam um Lösungen bemüht sind. Hört man sich aber um, dann bemerkt man inzwi­schen doch eine deutliche Verunsicherung in der Bevölkerung, die meines Erachtens auch größer zu werden scheint. Es herrscht da eine große Unsicherheit, nicht zuletzt auch aufgrund der gesetzten Maßnahmen – so notwendig und so richtig sie auch sein mögen.

Dazu nur ein kleines Beispiel – auch wenn ich weiß, dass es in diesem Ausmaß nicht zu vergleichen ist –: Wenn mir im öffentlichen Raum ständig und überall Uniformierte begegnen, vielleicht noch dazu schwer bewaffnet, dann fördert das nicht zwangsläufig auch wirklich mein individuelles und persönliches Sicherheitsgefühl – oft ist ganz genau das Gegenteil der Fall, und da kann es sich unter Umständen ähnlich verhalten und entwickeln. (Beifall bei der SPÖ.)

Es ist daher aus meiner Sicht die Aufgabe der Politik, aufzuklären, zu informieren und selbstverständlich auch weitere nötige vorbeugende Maßnahmen zu treffen. Ich denke, für politisches Kleingeld ist in diesen Zeiten kein Platz, und ich hoffe, da sind wir uns alle einig. Es ist die Verantwortung der Politik, auch dafür zu sorgen, dass eben keine Panik, keine Hysterie in der Bevölkerung ausbricht. Es muss dafür gesorgt werden, dass es zu keiner Eskalationsspirale kommt. Es zeigen sich beispielsweise erste negative Aspekte der Social-Media-Plattformen mit all ihren Auswirkungen, wie zum Beispiel falsche Gerüchte und Informationen, die sich rasend schnell verbreiten und die Unsicherheit so noch mehr anheizen – von angeblichen Naturheilmitteln bis abstrusen Verschwörungstheorien ist da alles dabei.

Auf der anderen Seite wird die Situation aber auch teilweise unnötig verharmlost, frei nach dem Motto: Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben. – Das alles könnte im schlimmsten Falle jegliche noch so gut von Behördenseite vorbereitete Maßnahme konterkarieren. Da gilt es aus meiner Sicht, ganz dringend aufzuklären und an die Vernunft der Bevölkerung zu appellieren.

Lassen Sie mich an dieser Stelle – selbstverständlich auch als Pädagogin – noch auf die Auswirkungen im Bildungsbereich zu sprechen kommen, eine wirklich höchst diffizile Angelegenheit für die Pädagoginnen und Pädagogen, aber natürlich auch für die Eltern, für die Erziehungsberechtigten! Gerade in diesen Minuten werden auch an meiner Schule Vorbereitungen und Vorbereitungsmaßnahmen für die uns bevorste­hende – möglicherweise längere – schulfreie Zeit getroffen. Da geht es natürlich zual­lererst um eine entsprechende Information und Vorbereitung der Schüler selbst, aber auch der Erziehungsberechtigten, es geht um das Erstellen von Arbeitsplänen, von Arbeitsmaterial und um das Sicherstellen von Betreuung, wenn sie zu Hause nicht möglich ist, es müssen aber auch Projektwochen, Sprachwochen im Ausland, Exkur­sionen abgesagt und storniert werden.

Es braucht da ganz konkrete Informationen seitens des Bildungsministeriums. Die Eltern sind teilweise wirklich massiv verunsichert und melden sich auch an meiner Schule mit zahlreichen ungeklärten Fragen, wie: Bleibe ich auf den Kosten für die stornierte Englandsprachwoche sitzen? Bin ich vielleicht sogar eine schlechte Mutter, wenn ich für mein Kind keine Betreuung sicherstellen kann, wenn mein Kind in der Schule, im Kindergarten betreut werden muss? – Meine dringende Bitte an den Herrn Bildungsminister lautet, da rasch für Aufklärung zu sorgen, für Infomaterial zu sor­gen und das zur Verfügung zu stellen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Schererbauer.)

Außerdem muss sich Österreich aus meiner Sicht auch auf die Zeit danach vorbe­reiten. Die wirtschaftlichen Auswirkungen lassen sich ja jetzt noch gar nicht vorher­se­hen – Kurzarbeit, vorübergehende Schließungen, Konkurse, Entlassungen stehen da


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und dort im Raum. Es wird also ein groß angelegtes Konjunkturpaket brauchen, um die Wirtschaft dann auch wieder in Gang zu bringen, um Arbeitsplätze zu sichern. Aktuell ist die Frage der Entgeltfortzahlungen bei einer möglicherweise länger andauernden Betreuung der Kinder rasch zu klären. (Beifall bei der SPÖ.)

Irgendwann werden auch Reisebeschränkungen wieder aufgehoben werden, werden auch Veranstaltungen mit größeren Menschenansammlungen wieder stattfinden kön­nen. Ich möchte auch auf die soziale Komponente der Problematik hinweisen. Ich nehme an, viele von uns haben das TV-Interview mit einem niederösterreichischen Ehepaar gesehen, das ganz klar angesprochen hat, dass ihre Kinder, die nicht infiziert und damit nicht betroffen waren, wie Aussätzige behandelt werden. Menschen, die asiatisches Aussehen haben, werden in den öffentlichen Verkehrsmitteln gemieden und sehen sich ob dieser gesamten Thematik tagtäglich auch mit rassistischen Äuße­rungen konfrontiert.

Wie gehen wir als Gesellschaft auch in Zukunft mit dieser Art des vielleicht sich steigernden Alltagsrassismus um? All das und noch viel mehr wird uns wahrscheinlich noch lange beschäftigen.

Wie lange Österreich durch die Coronakrise – die sie ja ist – und ihre Auswirkungen auf den verschiedensten Ebenen beeinträchtigt sein wird, lässt sich heute noch nicht abschätzen. Tatsache ist, dass wir das nur gemeinsam werden bewältigen können, um besonders die vulnerablen Gruppen in unserer Gesellschaft entsprechend schützen zu können.

Abschließend gilt es natürlich noch, all jenen Menschen zu danken, die auch unter diesen widrigen Umständen ein Minimum an gesellschaftlichem Leben in Österreich aufrechterhalten, nämlich allen Personen im Gesundheitsbereich, im Pflegebereich, jenen im Einzelhandel – ganz besonders im Lebensmitteleinzelhandel –, auch den Pädagoginnen und Pädagogen, die Betreuungstätigkeiten übernehmen, und vielen, vielen anderen mehr. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

10.10


Präsident Robert Seeber: Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolle­ginnen und Kollegen! Aufgrund der aktuellen Brisanz ist der Herr Bundeskanzler gezwungen, das Hohe Haus zu verlassen. Er nimmt an einer Videokonferenz mit den anderen Staats- und Regierungschefs teil. Der Herr Vizekanzler wird bei uns im Hohen Haus verbleiben. Ich bitte darum, dies aufgrund der brisanten aktuellen Lage zu verstehen. – Danke. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Bernhard Rösch. Ich erteile es ihm.


10.11.36

Bundesrat Ing. Bernhard Rösch (FPÖ, Wien): Sehr geehrtes Präsidium! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Werter Herr Vizekanzler! Ein Gruß an alle Zuseherinnen und Zuseher! Schade, dass der Herr Kanzler weg muss, aber Koor­dination ist ganz einfach wesentlich in dieser Krise, weil wir gesehen haben, in welcher Kürze der Zeit dieser Virus um sich gegriffen hat.

Wir haben noch am Anfang des Jahres von diesem Virus erfahren. Wir haben gewusst, er ist schnell übertragbar, es gibt eine lange Übertragbarkeitsrate. Die Risikopatienten waren schwer in den Griff zu bekommen, weil man diesen Virus einfach nicht kannte, und bei 80 Prozent der Bevölkerung hat man gewusst: Für sie wird es nicht bedrohlich sein, wobei die Erkrankung dann praktisch bei 20 Prozent der Betroffenen einen schwereren Verlauf nimmt oder genommen hat.


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Wir haben erfahren, dass dieser Virus noch vor Weihnachten auf einem Markt in China aufgetaucht ist. Es gab dort mit 26.1. bereits 2 000 Erkrankte und 50 Tote. Hier in Österreich, muss ich ganz ehrlich sagen, habe ich dazu keine Reaktion vernommen – und diese Kritik muss mir erlaubt sein. Am 28.1. wurde das Coronagenom, die Corona­sequenz, entschlüsselt. Am 1.2. haben wir allerdings schon gesehen: Die ersten Fälle sind in Deutschland aufgetreten. So schnell ist das von China nach Europa gekommen.

Professor Christian Drosten hat Anfang Februar schon gesagt: „Wir müssen uns auf eine Epidemie einstellen“. – Wir haben dazu in Österreich an Maßnahmen noch nichts gehört. Wir haben nur gehört, dass wir eine Politik mit ruhiger Hand machen werden, anstatt dass wir schauen, wie wir das an und für sich schon aus den Katastro­phen­fällen zuvor gelernt haben, als wir Epidemien hatten wie Sars, die Vogelgrippe, die Schweinegrippe und, und, und, wozu es ja Katastrophenschutzpläne geben muss, wie wir beim Aufkommen von derartigen Fällen, von derartigen Krankheiten, Epidemien, vorgehen sollen.

Irgendwann – kann ich mich erinnern – hat es dann eine Pressekonferenz gegeben, in der man einen Katastrophenschutzplan herausgegeben hat, der anscheinend der falsche war. Er dürfte gegen atomare Verseuchung gewesen sein, denn darin steht, dass man praktisch immer Wasser und Vorräte zu Hause haben sollte, weil es dann schwierig wäre, verseuchte und kontaminierte Dinge zu konsumieren. In diesem Fall, muss man ganz einfach sagen, war das eine völlig falsche Beratung. Man hat sich also wirklich gewundert, warum so etwas in einer Pressekonferenz präsentiert wird. Es muss doch – so wie auch bei Firmen und Konzernen, wo jeder schon Pandemiepläne bereithält und ganz genau weiß, was er tun muss – Schritt für Schritt ein Plan abgearbeitet werden, ohne dass man große Konferenzen abhalten muss, weil man ganz genau weiß, dass es da ums wirtschaftliche Überleben geht.

Da geht es ums Überleben der Menschen, und wir wissen ganz genau, dass in Krankenhäusern größter Schutz geboten ist. Wir wissen, dass in den öffentlichen Verkehrsmitteln größter Schutz geboten ist. Wir haben bis jetzt nicht gesehen, dass es zuvor Überprüfungen an den Grenzen gegeben hat – jetzt erst gibt es sie. In den Krankenhäusern, wo es eine gleich hohe Zahl an kranken und bedürftigen Menschen gibt, da gibt es keine solchen Überprüfungen und, und, und, so wie an vielen wichtigen Stellen, wo man sich heute die Frage stellen muss: Warum hat man nicht schon früher darauf reagiert?

Schaut man sich den Katastrophenschutzplan, den wir haben, an, so stellt man fest, dass man nicht in jedem Krankenhaus und überall solche Quarantänestationen einrichten kann. Also ich möchte, ganz ehrlich gesagt, im Kaiser-Franz-Josef-Spital nicht in einem Vierbettzimmer in Quarantäne aufgenommen werden und dort versorgt werden, denn das hat ein bisschen einen antiken Charme, wie ich mir habe sagen lassen. Wahrscheinlich wird es einem aber, wenn man betroffen ist, nicht so wesentlich sein, wo man liegt. Man hätte aber schon wesentlich früher auf solche Katastrophen eingehen können, man hätte schon ordentliche Pläne machen müssen. Diesen Vorwurf mache ich ganz einfach.

Ich hoffe, dass wir das in Zukunft gemeinsam lösen – und nur gemeinsam können wir das –, mit einem guten Management, mit einer Disziplin aller und in der großen Hoffnung, dass die Pharmaindustrie bald in der Lage sein wird, uns die richtigen Medikamente zu bringen. (Beifall bei der FPÖ.)

10.17


Präsident Robert Seeber: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Marco Schreuder. Ich erteile es ihm.



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10.17.38

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte es nach folgendem Motto wirklich kurz halten: Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von jedem. Wir wissen alle über den Ernst der Situation Bescheid. Ich glaube, wir müssen das hier nicht unendlich oft betonen.

Die vier wichtigsten Dinge haben wir allerdings nicht gesagt: Bitte wascht euch immer die Hände! Bitte gebt euch nicht die Hände! Womit ich mir am schwersten tue: Bitte fummelt euch nicht im Gesicht herum! Und: Schränkt die persönliche Kontakte wirklich so weit wie möglich ein! In Italien gibt es den Hashtag Bleibt zu Hause!; ich finde diesen Rat nicht schlecht, denn womit wir im Moment wirklich am meisten helfen, ist, wenn die Menschen nur noch dort hingehen, wo es notwendig ist. Natürlich muss man seine Einkäufe erledigen, natürlich muss man das eine oder andere tun, wenn man beispielsweise seinen Arm gebrochen hat, muss man trotzdem zum Arzt – also im Wartezimmer sitzen, das ist keine Frage –, aber wo es nicht notwendig ist: Bleibt zu Hause! Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Botschaft.

Wir haben es in unserem Haus im 15. Wiener Gemeindebezirk geschafft, uns dabei abzuwechseln, für eine Mitbewohnerin im Haus, die über 70 ist, einkaufen zu gehen, damit sie nicht noch größerer Gefahr ausgesetzt ist. Ich glaube, wir alle haben solche Nachbarn und Nachbarinnen. Bitte folgt diesem Beispiel und tut das auch!

Einen Punkt wollte ich noch anmerken – dafür setze ich auch kurz meinen Hut auf –, der mir als Vertreter von 10 000 Unternehmerinnen und Unternehmern in Wien, davon zwei Drittel EPUs, wichtig ist – das erwähne ich, weil wir sehr viel über Arbeitsplätze gesprochen haben –: Es ist natürlich gerade für die Branche der Eventmanager, der PR-Büros, die alle mit Veranstaltungen zu tun haben, aber auch natürlich für die Künstlerinnen und Künstler selbst eine wirklich sehr, sehr schwierige Zeit. Ich werde gerade mit E-Mails bombardiert. Ich und wir alle können noch keine Antwort geben, aber wir wissen, dass die Antworten notwendig sind, und wir arbeiten alle intensiv daran. Mehr will ich auch nicht sagen. Passen Sie alle auf sich auf! – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

10.19


Präsident Robert Seeber: Zur Abgabe einer abschließenden Stellungnahme gelangt der Herr Vizekanzler zu Wort. Ich erteile es ihm und darf ihn bitten, nach Möglichkeit die Redezeit von 5 Minuten einzuhalten.


10.20.09

Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport Vizekanzler Mag. Werner Kogler: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Dank gebührt auch für das Verständnis sowie die Anteilnahme, die von den Mitgliedern des Bun­des­rates aufgebracht wird, wenn auch bei manchen kleinen Differenzen in der Einschät­zung, was – auch das sage ich an dieser Stelle – noch kein Problem ist.

Ich möchte ausdrücklich erwähnen, dass wir gestern eine Telefonkonferenz mit den Landeshauptleuten abgewickelt haben, in der jeweils die nächsten Schritte beraten wurden, und möchte – weil wir uns hier ja in einem föderalen Gremium befinden – betonen, dass das in diesem Fall nach meinem Eindruck sehr, sehr gut funktioniert. Wir haben aufgrund der Erlässe auf Basis des Epidemiegesetzes jetzt ziemlich viele Kompetenzen direkt beim Bund. Ich finde es gut, dass die Gebietskörperschaften diesbezüglich jetzt bestens zusammenarbeiten. Das ist ohnehin Voraussetzung dafür, dass wir die beschlossenen Maßnahmen möglichst rasch ausrollen können. – Dazu möchte ich, auch Bezug habend auf die vorletzte Rede, meinen Eindruck damit wie-


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dergeben, was sonst der Herr Bundeskanzler immer wieder sagt: Nehmen Sie das einfach mit!

Es ist erst ein paar Tage her, dass im Übrigen auch Vertreter aus Bundesländern eingemeldet haben: Na ja, ist all das nicht ein bisschen übertrieben? Ist das nicht viel zu schnell? Ist das nicht die halbe Lahmlegung der Republik und vor allem des Wirtschaftslebens et cetera? Es ist noch nicht so lange her, dass möglicherweise die mehrheitlichen Zurufe in diesem Sinne waren.

Ich habe die Krisen- und Einsatzstäbe so wahrgenommen, dass man versucht hat, den Zeitpunkt zu erwischen, ab wann man den Instrumentenkoffer richtig aktiviert, und das wurde gerade auch vom Herrn Bundeskanzler und vom Herrn Gesundheitsminister immer wieder angekündigt. Es war und ist nämlich abzuwägen, wie schnell und wie intensiv man in das öffentliche Leben eingreift.

Ich möchte dafür einmal um Verständnis werben, damit wir uns gleich den zukünftigen Aufgaben zuwenden können: Ja, die Lage ist dramatisch. Wir versuchen, das immer mit Bildern darzustellen – ich weiß das aus den Bereichen Kunst und Kultur, aber vor allem auch aus dem Sportbereich –; wir werden in den nächsten Stunden und Tagen noch viel mitteilen müssen, es ist nämlich noch immer nicht richtig angekommen, dass jetzt möglichst viele soziale Kontakte – wie wir sagen – zu reduzieren sind, weil es nämlich zu wenig Verständnis gibt, was ein exponentielles Wachstum ist. Vielleicht sollten wir diese Ausbreitung und die Ausbreitungsgeschwindigkeit einfach simplifizie­rend mit explodierendem Wachstum vergleichen.

Warum? – Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass wir morgen beziehungsweise zum Wochenende hin 500 Fälle haben und die Verdoppelung – das wäre einmal eine Annäherung – nicht einmal drei Tage dauert, dann ist das für den Fall einer Nichtein­leitung von Maßnahmen leicht auszurechnen: Dann haben wir irgendwann in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch 1 000 Fälle, am Freitagmorgen 2 000, am Montag darauf 4 000 und, und, und. Möglicherweise ist das jetzt aber noch gar nicht die richtige Schätzung, weil es auch eine Spur dramatischer sein könnte. Deshalb redet der Herr Bundeskanzler davon, dass wir innerhalb einer guten Woche vielleicht 10 000 Fälle haben könnten.

Ich sage sozusagen für alle Geister der lebendigen Diskussion: Man wird im Nach­hinein nie genau nachmessen können, was welche Maßnahme jeweils wirklich bewirkt hat, aber es ist eben – und jetzt komme ich zum Punkt und zum Appell – das Vor­sichtsprinzip, das uns hierbei noch zusätzlich leitet. Es werden alle verfügbaren Erkenntnisse in diese Entscheidungsgrundlagen eingepreist, und diese führen uns dazu, wirklich dramatische Maßnahmen zu setzen. Wahrscheinlich werden sogar noch welche folgen.

Ich appelliere an Sie und sage: Ich hielte – begründen Sie es mit welchem Beispiel auch immer! – die Nichtanordnung von Maßnahmen einerseits und auch deren Nicht­befolgung andererseits jetzt für verantwortungslos. Das gilt für das Kollektiv der Politik, also für uns, das gilt aber auch für Individuen. Es geht nur gemeinsam, deshalb wurde auch vom Roten Kreuz oder vom Herrn Gesundheitsminister der Begriff vom Team Österreich vorgebracht; wir sollen jetzt ein Team sein, um auch in dieser sehr schwierigen Situation an die Zusammengehörigkeit und den Zusammenhalt der Ge­meinschaft zu appellieren, was ja gewissermaßen eine Kunst ist: Wir sollen physisch mehr Abstand halten, weil wir zusammenhalten.


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Denken Sie darüber nach, wie Sie das motivieren können! Wir haben selbst noch genug zu tun. Ich kann auch diesbezüglich nur appellieren. Wir werden das in den nächsten Tagen machen, und ich sage das bei dieser Gelegenheit auch im Hinblick auf Sportveranstaltungen: Wenn wir von Montag bis Mittwoch den Schulbetrieb drastisch reduzieren, so gut wir können, dann gilt das natürlich auch für alle möglichen Trai­ningseinheiten in Vereinen, wo viele Menschen zusammenkommen. Wenn drei Leute irgendwo sind, ist das noch etwas anderes. Man kann das aber nur unterschätzen.

Ich bitte Sie alle, sich so zu verhalten, dass diese Kontakte reduziert werden, wenn etwas nicht unbedingt sein muss! Wir haben ohnehin weiterhin Kontakte in der Bevöl­kerung oder auch im öffentlichen Bereich, denn der öffentliche Dienst muss ja gerade in dieser Situation aufrechtbleiben, die Schlüsseleinsätze müssen normal funktionieren, und zwar jetzt erst recht. Deshalb muss man differenzieren. Man muss, wo es irgendwie geht, reduzieren, ansonsten muss das öffentliche Leben aber auf­recht­erhalten werden. Das gilt auch für Schlüsselbereiche der Wirtschaft und für die strate­gischen Einheiten in der Republik, das ist doch klar. – Also: Wo es geht, bitte runter­fahren! Ansonsten machen Sie es auch gut in diesem Sinne! (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der ÖVP.)

10.27


Präsident Robert Seeber: Danke, Herr Vizekanzler, für diese abschließende Stellung­nahme.

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.

10.27.10Einlauf und Zuweisungen


Präsident Robert Seeber: Hinsichtlich der eingelangten, vervielfältigten und verteilten Anfragebeantwortungen,

jenes Verhandlungsgegenstandes, der gemäß Art. 42 Abs. 5 Bundes-Verfassungs­ge­setz nicht dem Mitwirkungsrecht des Bundesrates unterliegt,

des Beharrungsbeschlusses des Nationalrates gem. Art. 42 Abs. 4 B-VG,

des Schreibens des Landtages Steiermark betreffend Mandatsverzicht beziehungs­weise Wahl eines Ersatzmitgliedes

verweise ich auf die im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen gem. § 41 Abs. 1 der Ge­schäftsordnung des Bundesrates, die dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Ebenso verweise ich hinsichtlich der eingelangten Verhandlungsgegenstände und de­ren Zuweisungen im Sinne des § 19 Abs. 1 der Geschäftsordnung auf die gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäftsordnung im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen, die dem Steno­graphischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:

A. Eingelangt sind:

1. Anfragebeantwortung:

(Anlage 1) (siehe auch S. 6)


BundesratStenographisches Protokoll902. Sitzung, 902. Sitzung des Bundesrates am 12. März 2020 / Seite 26

2. Beharrungsbeschluss des Nationalrates gemäß Art. 42 Abs. 4 B-VG:

Der ursprüngliche Gesetzesbeschluss des Nationalrates vom 11. Dezember 2019 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundeshaftungsobergrenzengesetz geän­dert und das EUROFIMA-Gesetz aufgehoben wird (20 d.B.) wird gemäß Art. 42 Abs. 4 B-VG wiederholt

3. Eingelangter Verhandlungsgegenstand, der gemäß Art. 42 Abs. 5 B-VG nicht dem Mitwirkungsrecht des Bundesrates unterliegt:

Beschluss des Nationalrates vom 27. Februar 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem eine vorläufige Vorsorge für das Finanzjahr 2020 getroffen wird, (Gesetzliches Budgetprovisorium 2020) und das Bundesfinanzrahmengesetz 2019 bis 2022 geändert werden. (282/A und 42 d.B.)

4. Schreiben der Landtage:

Schreiben des Burgenländischen Landtages betreffend Wahl von Mitgliedern und Ersatz­mitgliedern (Anlage 2)

Schreiben des Landtages Steiermark betreffend Mandatsverzicht bzw. Wahl eines Ersatzmitgliedes (Anlage 3)

B. Zuweisungen:

1. Gesetzesbeschlüsse (Beschlüsse) des Nationalrates

(siehe Tagesordnung)

2. Vorlagen der Bundesregierung oder ihrer Mitglieder:

Bericht des Bundesministers für Justiz betreffend Jahresvorschau des BMJ auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2020 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des rumänischen, finnischen und kroatischen Ratsvorsitzes (III-700-BR/2020)

zugewiesen dem Justizausschuss

Gemeinsamer Bericht des Bundeskanzlers und der Bundesministerin für EU und Verfassung betreffend EU Jahresvorschau 2020 gemäß Artikel 23f Absatz 2 B-VG (III-701-BR/2020)

zugewiesen dem Ausschuss für Verfassung und Föderalismus

Bericht des Bundesministers für europäische und internationale Angelegenheiten über das EU-Arbeitsprogramm 2020 (III-702-BR/2020)

zugewiesen dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten

Bericht über die Situation und Entwicklung kleiner und mittlerer Unternehmen der österreichischen Wirtschaft („KMU im Fokus 2019“), vorgelegt von der Bundesminis­terin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (III-703-BR/2020)

zugewiesen dem Wirtschaftsausschuss


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Bericht der Bundesministerin für Landesverteidigung betreffend Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission und Vorhaben des Rates für 2020 (III-704-BR/2020)

zugewiesen dem Landesverteidigungsausschuss

Bericht der Bundesministerin für Frauen und Integration betreffend EU-Jahresvorschau 2020 gemäß Artikel 23f Absatz 2 B-VG (III-705-BR/2020)

zugewiesen dem Gleichbehandlungsausschuss

Bericht der Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort betreffend EU Vorhaben 2020 (III-706-BR/2020)

zugewiesen dem Wirtschaftsausschuss

Bericht des Bundesministers für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport betreffend EU-Jahresvorschau 2020 (III-707-BR/2020)

zugewiesen dem Ausschuss für Tourismus, Kunst und Kultur

Bericht des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend EU-Jahresvorschau 2020 gemäß Artikel 23f Absatz 2 B-VG auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2020 und des kroatischen Arbeitsprogramms für das 1. Halbjahr 2020 sowie des Achtzehnmonats-programms des rumänischen, finnischen und kroatischen Rats­vor­sitzes (III-708-BR/2020)

zugewiesen dem Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz

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Präsident Robert Seeber: Eingelangt sind und den zuständigen Ausschüssen zuge­wiesen wurden jene Beschlüsse des Nationalrates, die Gegenstand der heutigen Ta­ges­ordnung sind. Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen abgeschlossen und schrift­liche Ausschussberichte erstattet.

Ich habe die zuvor genannten Verhandlungsgegenstände, die Wahl einer zweiten Schrift­führerin/eines zweiten Schriftführers für den Rest des ersten Halbjahres 2020 sowie die Wahl von Mitgliedern und Ersatzmitgliedern des Ständigen gemeinsamen Ausschus­ses des Nationalrates und des Bundesrates im Sinne des § 9 des Finanz-Verfas­sungs­gesetzes 1948 auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Wird zu Tagesordnung das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Ankündigung einer Dringlichen Anfrage


Präsident Robert Seeber: Bevor wir in die Tagesordnung eingehen, gebe ich be­kannt, dass mir ein Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundesräte Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen betreffend „restriktiver Schutz unserer Staats­grenze anstatt Willkommenskultur“ an den Herrn Innenminister vorliegt.

Im Sinne des § 61 Abs. 4 der Geschäftsordnung verlege ich die Behandlung an den Schluss der Sitzung, aber nicht über 16 Uhr hinaus. Im Einvernehmen mit den Frak­tions­vorsitzenden wird die Behandlung der Dringlichen Anfrage um 14 Uhr erfolgen.

Wir gehen nun in die Tagesordnung ein.

10.30.011. Punkt

Wahl einer/eines 2. Schriftführerin/Schriftführers für den Rest des 1. Halb­jah­res 2020


Präsident Robert Seeber: Wir gelangen nun zum 1. Punkt der Tagesordnung.

Wir kommen zur Wahl einer zweiten Schriftführerin, eines zweiten Schriftführers. Durch das Ausscheiden von Frau Bundesrätin Marianne Hackl ist die gegenständliche Funk­tionswahl erforderlich geworden.

Es liegt mir der Vorschlag vor, Frau Bundesrätin Johanna Miesenberger für den Rest des 1. Halbjahres 2020 zur zweiten Schriftführerin des Bundesrates zu wählen.

Ich bitte nun jene Bundesräte und Bundesrätinnen, die diesem Wahlvorschlag ihre Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Wahlvorschlag ist somit angenommen.

Ich frage die Gewählte, ob sie die Wahl annimmt.

*****

(Bundesrätin Johanna Miesenberger nimmt die Wahl an. – Beifall bei der ÖVP.)

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Gratulation!


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10.31.012. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 27. Februar 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Durchführung von Europäischen Bürger­initiativen (Europäische-Bürgerinitiative-Gesetz – EBIG), BGBI. I Nr. 12/2012, zu­letzt geändert durch das Bundesgesetz BGBI. I Nr. 32/2018, geändert wird (275/A und 43 d.B. sowie 10284/BR d.B.)


Präsident Robert Seeber: Wir gelangen nun zum 2. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Klara Neurauter. – Ich bitte um den Bericht.


10.31.29

Berichterstatterin Klara Neurauter: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Minister! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den Beschluss des Nationalrates vom 27. Februar 2020 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Durchführung von Europäischen Bürger­initiativen (Europäische-Bürgerinitiative-Gesetz – EBIG), BGBI. I Nr. 12/2012, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBI. I Nr. 32/2018, geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, daher komme ich gleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 10. März 2020 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.


Präsident Robert Seeber: Danke für den Bericht.

Wir gehen nun in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Eduard Köck. Ich erteile ihm dieses.


10.32.52

Bundesrat Ing. Eduard Köck (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Geräten zu Hause! (Vizepräsident Wanner übernimmt den Vorsitz.)

An einem Tag mit einem derart überstrahlenden Thema ist es schwierig, Aufmerk­sam­keiten auf ein anderes Thema zu lenken. Es ist, meine ich, auch nicht gut, mit einer Dringlichen Anfrage eine Politshow abzuziehen, aber man kann ja niemandem etwas verbieten, auch wenn es zu seinem eigenen Vorteil wäre. (Beifall bei ÖVP und Grü­nen.)

Zu dem vorliegenden Gesetz: Das Wesen einer Demokratie sind Wahlen, aber Wahlen alleine machen noch keine Demokratie. Daher gibt es in klugen Systemen immer auch die Möglichkeit für Bürger, sich direkt am politischen Prozess zu beteiligen. Auch die EU hat einige Instrumente für die europäischen Bürgerinnen und Bürger, sich direkt am politischen Entscheidungsprozess zu beteiligen; unter anderem bestehen das Peti­tionsrecht seit 1993 und das Beschwerderecht beim Europäischen Bürgerbeauftragten seit 1995.

In diese Reihe reiht sich eben auch die Europäische Bürgerinitiative ein. Mit dem Ver­trag von Lissabon wurde auf europäischer Ebene ein neues Element der direkten Demokratie geschaffen. Seit dem 1. April 2012 haben Unionsbürgerinnen und Unions­bürger die Möglichkeit, europaweite Bürgerinitiativen in die Wege zu leiten und zu unterstützen. Die Europäische Bürgerinitiative fordert die Europäische Kommission direkt zur Vorlage eines bestimmten Gesetzesvorschlages auf.


BundesratStenographisches Protokoll902. Sitzung, 902. Sitzung des Bundesrates am 12. März 2020 / Seite 36

Vor dem Start einer Europäischen Bürgerinitiative muss durch sieben Unionsbürgerin­nen und Unionsbürger, die in sieben verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sind und die das Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament besitzen, ein Bürger­ausschuss gebildet werden. Nach erfolgter Einreichung der Initiative hat die Euro­päische Kommission zwei Monate Zeit, die geplante Europäische Initiative zu prüfen und, wenn alle in der Verordnung festgelegten Bedingungen erfüllt sind, zu registrieren. Die Bürgerinitiative muss dabei vor allem auch in die Zuständigkeit der Europäischen Kommission fallen, darf nicht offenkundig missbräuchlich, unseriös oder schikanös sein und darf nicht gegen die Werte der Union nach Artikel 2 des EU-Vertrages verstoßen.

Für eine erfolgreiche Bürgerinitiative sind eine Million Unterschriften aus mindestens einem Viertel der Mitgliedstaaten, also derzeit sieben Mitgliedstaaten, erforderlich. In jedem dieser Mitgliedstaaten ist dafür eine bestimmte Anzahl von Unterschriften – ab­hängig von der Anzahl der jeweiligen Abgeordneten zum Europäischen Parlament – erforderlich; in Österreich sind das derzeit 14 250.

Mit dieser Änderung, die wir heute beschließen, ist nun in allen Ländern eine Betei­ligung ab 16 Jahren möglich. Diese Änderung zielt eben vor allem auf die Einführung dieser Altersgrenze, auf eine Erleichterung für die Organisationsgruppen Europäischer Bürgerinitiativen, auf eine einfache Registrierung, um teilnehmen zu können – zum Bei­spiel auch für Auslandsösterreicher –, und auf eine einfachere, individuelle Sammel­stelle, die online angeboten werden muss, ab.

Für manche sind diese Maßnahmen immer noch zu wenig, die Einstiegshürden zu hoch oder die Fristen zu kurz. Diese werden solche Initiativen immer kritisieren; denn man muss Grenzen festlegen, und daher können sie immer sagen: Das eine ist zu gering, zu hoch, zu kurz oder zu lang!

Ist denke, dass wir damit ein sehr gutes Instrument haben, mittels dessen die Bür­gerinnen und Bürger der Europäischen Union direkt am Entscheidungsprozess mit­wirken können. Es bringt die Europäische Union den Bürgern näher, daher ist es ein sehr guter Gesetzesbeschluss, den wir auch unterstützen und dem wir auch zustim­men. – Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der ÖVP.)

10.37


Vizepräsident Michael Wanner: Danke schön.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Bundesrätin Mag. Elisabeth Grossmann. Ich erteile es ihr.


10.37.44

Bundesrätin Mag. Elisabeth Grossmann (SPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir werden diesen Gesetzes­beschluss auch unterstützen.

Die Europäische Bürgerinitiative, die durch den Vertrag von Lissabon implementiert wurde, wurde seinerzeit als direktdemokratisches Highlight gefeiert. Sie sollte auch das europäische Bewusstsein stärken und die Europäische Union den Bürgerinnen, den Bürgern näherbringen. Dieses Instrument war auch tatsächlich etwas Neuartiges, allerdings wurde es nur sehr zögerlich in Anspruch genommen.

Mein Vorredner hat schon die gesetzlichen Grundlagen erwähnt. Die Hürden sind ja sehr hoch: eine Million Unterschriften in einem Viertel der Mitgliedstaaten, das zu bil­dende Bürgerkomitee mit Mitgliedern aus verschiedenen Staaten und die Tatsache, dass die Unterschriften in zwölf Monaten gesammelt werden müssen. Das verfolgte Ziel ist, die Kommission als Trägerin des Initiativrechts zu einem Rechtsakt zu be­wegen.


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Das Ganze wurde einer Evaluierung unterzogen. In dieser Evaluierungsphase im Jahr 2015 hat sich unter anderem auch Österreich für eine Veränderung sehr stark gemacht, damit eben diese Hürden herabgesetzt werden. Diese Initiative war erfolg­reich, das Ergebnis ist diese Verordnungsänderung, die uns heute veranlasst, die entsprechenden Anpassungsgesetze im Bundesrat nachzuvollziehen. Der nationale Gesetzgeber hat da die Umsetzungsverpflichtung. Alle, die Europarecht gelernt haben, werden sich fragen: Na, warum eigentlich, eine Verordnung ist direkt anwendbar, unmittelbar umsetzbar?

Diese Verordnung lässt aber doch auch einen Gestaltungsspielraum offen und ist daher nicht unmittelbar anwendbar, deshalb muss da eben auch der nationalstaatliche Gesetzgeber tätig werden; das tun wir heute.

Bis 2022 soll – und das sind die wesentlichen Inhalte dieser Änderung – ein kosten­loses Zentrales Online-Sammelsystem zur Verfügung gestellt werden, das macht individuelle Sammelsysteme und auch deren Zertifizierungen praktisch obsolet. Online­signaturen, die mit dem Zentralen Wählerregister verknüpft werden, sollen ermöglicht werden, damit auch die Staatsbürgerschaft entsprechend geprüft und nachgewiesen werden kann. Es gibt einzelne Klarstellungen, und wichtig ist eben auch – weniger für Österreich, aber für viele andere Staaten –, dass das Mindestalter dafür, so eine Initiative zu unterstützen, auf 16 Jahre abgesenkt werden kann.

In Österreich haben wir ja schon seit Längerem generell die Wahlaltersenkung be­schlossen. Das heißt, für uns hat das jetzt praktisch keine Auswirkungen, ich hoffe aber, dass sehr viele europäische Staaten von der Möglichkeit der Absenkung des Mindestalters Gebrauch machen, weil dadurch auch die Hürde etwas abgeflacht wird. Das wäre ein wichtiges demokratiepolitisches Signal, weil die Jugend so zu mehr zivilgesellschaftlicher Courage bewegt werden kann und eben auch zur Teilhabe moti­viert werden kann. Wir wissen, aufgrund des Brexits fallen sehr viele Millionen Wahl­berechtigte beziehungsweise – in diesem Fall – Initiativberechtigte weg, sodass die Hürde von einer Million, die ja gleich bleibt, dadurch insgesamt eigentlich höher ist. Wenn aufgrund der Absenkung des Alters theoretisch mehr Personen teilnehmen könnten, würde das insgesamt natürlich auch eine Abflachung dieser Hürde bedeuten.

Es gibt einige Initiativen, die erfolgreich waren, allerdings nur sehr wenige. Diese Initia­tiven sind ja auch immer ein Indikator dafür, welche Themen in der Bevölkerung ge­rade besonders emotionalisieren, besonders unter den Nägeln brennen; ich möchte einige erwähnen, zum Beispiel jene betreffend Wasser als Menschenrecht. Das haben ja wir auch im Bundesrat schon sehr früh erkannt, es gab eine sehr erfolgreiche Enquete und darauf aufbauend eine Verfassungsänderung. Ein wichtiges Thema, das auch von einer Europäischen Bürgerinitiative aufgegriffen wurde, ist das Thema leist­bares Wohnen. Es hat eine sehr interessante Initiative gegeben, „Housing for All“, und daran sieht man dann schon, wie brennend das Problem der Wohnungssuche ist, gerade in Weltstädten. Wien wurde da immer wieder als Vorbild genannt; das gut funk­tionierende System des sozialen Wohnbaus wird eben von vielen, vielen Städten als sehr erstrebenswert erachtet. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Schennach: Jawohl!)

Ich habe mich in dieses Instrument jetzt wirklich ein bisschen eingelesen und auch gesehen, welche praktischen Hürden es dann noch gibt. So eine Bürgerinitiative muss ja auch entsprechend beworben werden, um eine Breitenwirkung zu erzielen, und das kostet unglaublich viel Geld. Diese Bürgerinitiative ist zum Beispiel zurückgezogen worden, da sind zwar im Rahmen des Fundraising 51 000 Euro aufgebracht worden, aber um so etwas wirklich bewerben zu können, braucht es viel, viel mehr Geld; das ist schon auch ein großes Problem.


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Ich habe dann ein bisschen recherchiert, wie das praktisch läuft, und bin auf eine andere interessante Bürgerinitiative gestoßen, die man aktuell noch unterschreiben kann. Da geht es um eine klarere Lebensmittelkennzeichnung nach dem Ampelsystem, damit man quasi sieht, wie gesund oder ungesund ein Lebensmittel ist. Diese Bürger­initiative betreffend Nutriscore – so ist der Fachausdruck – kann noch bis Mitte Mai unterzeichnet werden. Ich möchte gleich die Gelegenheit nützen, für diese Bürger­initiative zu werben. Ich habe sie jetzt auch unterschrieben, habe mich in dieses System eingeloggt. Das ist, wenn die Daten zur Verfügung stehen, gar nicht so kompli­ziert. Mit dem Reisepass kann man sich in das System einloggen, man gibt einfach die Reisepassnummer ein; ich habe die Dienstpassnummer eingegeben, das hat auch funktioniert. Sie können es jetzt gleich versuchen, wenn Sie das auch ausprobieren wollen; es ist gar nicht so schwer.

Das Entscheidende ist aber wirklich, von aktuell laufenden Bürgerinitiativen überhaupt Kenntnis zu haben, und da sehe ich schon Verbesserungspotenzial dahin gehend, dass die Öffentlichkeitsarbeit verstärkt wird, gerade seitens der Kommission, damit diese Initiativen auch mit Leben erfüllt werden können. – Danke für Ihre Aufmerk­samkeit. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der Grünen.)

10.45


Vizepräsident Michael Wanner: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Dr. Michael Schilchegger. Ich erteile es ihm.


10.46.04

Bundesrat MMag. Dr. Michael Schilchegger (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der gegenständliche Beschluss des Nationalrates wird zu punktuellen Verbesserungen bei der Durchführung von Europä­ischen Bürgerinitiativen führen. Die Unterstützung und der Ausbau derart direktdemo­kratischer Entscheidungsmechanismen und -instrumente ist und war immer schon ein Herzensanliegen der freiheitlichen Fraktion, selbstverständlich werden wir daher auch diesem Antrag zustimmen.

Man muss die Sache aber schon auch in das politische System der Europäischen Union einordnen. Wo sind denn die Entscheidungsträger der EU wirklich demokratisch durch das Wahlvolk legitimiert? – Das Europäische Parlament ist es, keine Frage, aber die Kommission hat das Initiativmonopol, also die Möglichkeit, neue Rechtsetzung vor­zu­schlagen, und es lässt sich gegen den Willen des Europäischen Rates beziehungs­weise des Rates auf Ministerebene und gegen die Beamtenebene nichts bewirken. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu unserem österreichischen System.

Die Europäische Union jedenfalls ist derart undemokratisch, dass sie, wenn sie selbst eine Republik wäre, nicht einmal ihre eigenen Anforderungen für den Beitritt zur Euro­päischen Union erfüllen könnte. (Beifall bei der FPÖ.) Genau innerhalb dieses unde­mokratischen Gesamtsystems der Europäischen Union, das wir eben so vorgefunden haben, als Österreich beigetreten ist, gibt es nun das Instrument der Europäischen Bürgerinitiative, das in Wahrheit ein Placebo ist, weil es den Bürger einlädt, auf euro­päischer Ebene Millionen Unterschriften zu sammeln, um sodann eine Petition vorle­gen zu dürfen, die dann von der Europäischen Kommission behandelt wird. Die Kom­mission erklärt dann, wie es in der Vergangenheit immer der Fall war, dass sie das Anliegen nicht teile, und das Anliegen wird in der Schublade begraben.

Meine Damen und Herren, das kann nicht unser Anspruch sein! Wem die Partizipation der Bürger und des Wahlvolks wirklich ein Anliegen ist, wer sich zur Demokratie bekennt, der muss konsequenterweise auch wirksame Instrumente einer direkten De­mokratie bereitstellen. (Beifall bei der FPÖ.)


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Wie Sie wissen und wie die Erfahrung zeigt, sind nur solche Instrumente wirksam, die es Bürgerinitiativen ermöglichen, über ihre eigenen Anliegen abstimmen zu lassen. Natürlich soll das nur bei einer entsprechend hohen Beteiligung gelten, es soll ja nicht jede kleinere Petition, für die man schnell einmal 10 000 Unterschriften sammelt, dazu führen, dass es ständig zu einer Volksabstimmung kommen muss; das fordert ja nie­mand. Sehr wohl soll es aber bei Überschreitung einer bestimmten Schwelle, bei einer sehr hohen Beteiligung möglich sein, dieses Anliegen gegen den Willen einer aktuellen parlamentarischen Mehrheit dem gesamten Wahlvolk zur Abstimmung vorzulegen, wobei das Ergebnis dieser Abstimmung dann natürlich auch Gesetzeskraft hat und verbindlich ist. – Meine Damen und Herren, die Schweiz zeigt vor, wie das praktisch möglich ist und wie das auch vorbildlich funktioniert.

Wirksame direktdemokratische Instrumente werden in diesem Hohen Haus jedoch alleine von der freiheitlichen Fraktion unterstützt, und das ist ja auch in Ordnung. Man kann ja auch der politischen Meinung sein, dass Eliten in der Entscheidungsfindung immer und in jeder Frage klüger sind als das Wahlvolk, dass es gar keine Weisheit der vielen gibt, dass es dem Wahlvolk nicht erlaubt werden darf, Entscheidungen gegen den Willen der Eliten herbeizuführen. Das ist ja in Ordnung, man kann diese Meinung haben, meine Damen und Herren. Es ist zulässig, auch im politischen Wettstreit, zu sagen: Wir misstrauen dem Wahlvolk, wir bekennen uns nur zur indirekten Demokratie, lehnen die direkte Demokratie ab! Das ist ja zulässig. Was ich aber schon kritisieren muss, meine Damen und Herren, das ist die Haltung der Österreichischen Volkspartei. Ich habe schon vor den Wahlen gesagt, es gibt derzeit im Parlament keine einzige Fraktion, in der Reden und Tun so weit auseinanderklaffen wie bei der ÖVP. (Beifall bei der FPÖ.) Jetzt, da die Grünen auch wieder im Bundesrat vertreten sind und da sie auch in die Regierung gekommen sind, streiten sie sich sozusagen um diesen Ehrenplatz, bei wem das mehr auseinanderklafft.

Allerdings bleibe ich dabei (in Richtung ÖVP): Sie sind immer noch die Fraktion, der diese Diskrepanz zwischen Reden und Tun am meisten vorzuwerfen ist. Sie haben in Ihrem Wahlprogramm nämlich gefordert, dass es bei Volksbefragungen, die von 10 Prozent des österreichischen Wahlvolkes unterstützt werden, zwingend zu einer Volksabstimmung kommen soll. Sie haben diese freiheitliche Forderung also in Ihr eigenes Wahlprogramm übernommen und dann auch im Rahmen der damaligen türkis-blauen Regierung 2017 im Regierungsprogramm festgeschrieben und verein­bart.

Im jetzigen Regierungsprogramm findet sich davon nichts mehr. Sie haben diese For­derung einfach stillschweigend fallen gelassen. Sie wollen davon nichts mehr wissen. Jetzt frage ich Sie schon, meine Damen und Herren von der Volkspartei: Sie wurden vom Wahlvolk bei den Wahlen 2019 mit einem überwältigenden Vertrauen ausge­stattet. Warum haben Sie jetzt in dieser Situation, in der Sie mit Ihrem Regie­rungskurs bestätigt wurden, diese zentrale Forderung, die in Ihrem eigenen Wahlpro­gramm ge­standen ist, still und heimlich fallen gelassen?

Sagen Sie einfach ehrlich, sagen Sie Ihren Wählern, dass Sie die direkte Demokratie in Wahrheit nicht wollen! Das ist ja auch in Ordnung, das habe ich ja gesagt. Man kann ja dieser Meinung sein. Oder wollen Sie jetzt wirklich behaupten, Sie hätten das ohnehin gefordert, aber in den Koalitionsverhandlungen hätten Sie sich nicht gegen die Grünen durchgesetzt? Wollen Sie das wirklich behaupten? (Beifall bei der FPÖ. – Heiterkeit des Bundesrates Steiner.)

Es bleibt also dabei: Die einzige Fraktion, der direkte Demokratie wirklich ein Herzens­anliegen ist, ist und bleibt die freiheitliche Fraktion. Wir stimmen dem Antrag zu. (Beifall bei der FPÖ.)

10.51



BundesratStenographisches Protokoll902. Sitzung, 902. Sitzung des Bundesrates am 12. März 2020 / Seite 40

Vizepräsident Michael Wanner: Danke schön.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross. Ich erteile es ihm.


10.51.39

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Herr Präsident! Hohes Haus! Frau Ministerin! Selbstverständlich sind Europäische Bürgerinitiativen eine wichtige Möglichkeit, dass sich BürgerInnen in der Europäischen Union überhaupt einbringen können. Vor allem sind sie eine direkte Aufforderung an die Kommission, Rechtsakte zu setzen, die innerhalb der europäischen Kompetenz liegen – auch das ist natürlich ein wichtiger Punkt; es wird leider auch bei einigen Initiativen ein bisschen übersehen, wer eigentlich zuständig ist –, und genauso muss sich auch das Europäische Parla­ment damit auseinandersetzen.

Sie sind derzeit ja auch im Wesentlichen die einzige Möglichkeit, sich an europäischen Entscheidungsprozessen direktdemokratisch zu beteiligen. Eingeführt wurden sie, Sie wissen es, 2009 mit dem Vertrag von Lissabon. Kern der Verbesserung ist – das haben wir gehört, deswegen mache ich es sehr kurz –, dass die Kommission jetzt – das ist natürlich sehr gut – für alle Initiativen ein Onlinetool zur Verfügung stellt. Das ist kostenlos. Das erleichtert die Sache doch sehr wesentlich.

Darüber hinaus – auch nicht ganz unwichtig – übersetzt die Kommission die Texte von solchen Initiativen in alle europäische Sprachen; das ist natürlich auch wichtig. Auf nationaler Ebene, haben wir gehört, werden die Abwicklungen erleichtert, weil die nationale Ebene prüfen muss, ob die Unterschriften auch rechtens zustande gekom­men sind, und mit dem Zugriff auf das Wählerregister wird das erleichtert. Ansonsten ist ja von den Rahmenbedingungen her alles gleich geblieben. Um zu starten – das greife ich noch heraus –, braucht es Bürgerinnen und Bürger aus sieben Mitglied­staaten. Das ist einmal nicht einfach, denn sie müssen sich irgendwie zusammentun und gemeinsam eine Initiative starten.

Was heute gemeinsam beschlossen werden wird, ist jedenfalls zu unterstützen – keine Frage. Trotzdem ist es so, dass man damit noch nicht wirklich zufrieden sein kann. Natürlich braucht es noch mehr an demokratischen Instrumenten in der Europäischen Union, eine weitere Demokratisierung ganz generell der EU und eine Stärkung der Mitsprachemöglichkeiten. Ich bin beziehungsweise wir sind überzeugt, dass das in Hinkunft noch eine wichtigere Frage werden wird, eine wichtige Frage der Legitimation der Europäischen Union überhaupt, eine wichtige Frage der Akzeptanz gegenüber der Europäischen Union als demokratisches Gebilde.

Wir dürfen nämlich nicht vergessen, welche Generation jetzt heranwächst. Vor allem für die jungen Leute, die nach 1989 geboren wurden, ist die Europäische Union ja etwas anderes als für Menschen, die deutlich früher geboren wurden. Für sie ist das viel mehr als eine Wirtschaftsunion. Das war ja damals der Gründungsgedanke, es war auch ein Friedensprojekt, aber es ist über Jahrzehnte natürlich sehr stark als Wirt­schaftsunion entwickelt worden. Diese jungen Leute haben einen anderen Zugang. Sie fühlen sich europäisch, sie können in aller Regel eine gemeinsame Sprache, nämlich Englisch. Wenn sie studieren, studieren sie inzwischen ja fast immer auch in anderen europäischen Ländern. Wir haben viele Instrumente für junge Leute, um in anderen Ländern teilweise auch eine Berufsausbildung zu machen; das gilt beispielsweise auch für Lehrlinge. Diese jungen Leute kennen nur den Euro und keine andere Währung.

Kurzum könnte man es so zusammenfassen: Diese Leute, diese jungen Menschen, sind Europäerinnen und Europäer, und sie wollen natürlich eine demokratische Union, sie wollen – das zeigen Befragungen sehr klar – eine umweltfreundliche Europäische Union, die ihre Lebensgrundlagen sichert, und sie wollen eine soziale Europäische


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Union. Da sind solche staatenübergreifenden direktdemokratischen Möglichkeiten wichtig – für ein Zusammenwachsen in Europa, für ein Zusammenwachsen der Bürge­rinnen und Bürger in der Europäischen Union und für ein solidarisches Europa. Nur wenn man zusammenwächst, nur wenn man sich kennt, versteht man einander und wird auch solidarisch handeln.

Was wären Beispiele für weitere Verbesserungen? – Eines ist von Kollegin Grossmann angesprochen worden: Ich glaube auch, dass es noch eine bessere Unterstützung dieser Initiativen braucht. Es gibt viel Interesse, es sind inzwischen über 70 Initiativen gestartet worden, 48 sind zugelassen worden. Allerdings waren sehr wenige erfolg­reich, ich glaube, nur vier, fünf waren überhaupt erfolgreich. Das sollte natürlich schon auch zu denken geben. Ich verstehe es: Es ist sicher sehr, sehr schwierig, eine Initiative über viele Staaten hinweg, über viele Sprachen hinweg zu starten und eine Million Unterschriften zustande zu bringen. Das Ganze ist extrem aufwendig, braucht viel Geld, braucht sehr starke Organisationen, und lokal entstehende Bürgerinitiativen sind, sage ich jetzt einmal, wahrscheinlich gar nicht in der Lage, so ein Riesending wie eine Europäische Bürgerinitiative auf die Beine zu bringen. Da sollte sich also, davon bin ich überzeugt, die Kommission überlegen, wie man das noch besser unterstützen kann, auch finanziell, damit man solchen Initiativen ein bisschen auf die Beine hilft.

Gut ist übrigens Transparenz: Die Gelder, die solche Initiativen sammeln, müssen offengelegt werden.

Ein weiterer Zugang wäre, noch besser zu klären, wie mit erfolgreichen Initiativen um­zugehen ist – das ist ein bisschen vage formuliert –, also: Was genau hat die Kom­mission jetzt damit zu machen, wie hat sie zu verfahren? Das soll auch Richtung Euro­päisches Parlament gedacht werden. Da sind, denke ich, sicher noch ein bisschen mehr Verbindlichkeit, mehr Auseinandersetzung angebracht.

Ein Thema, das ein bisschen darüber hinausgeht, aber in diesem Zusammenhang auch sehr wichtig ist, wäre endlich die Einführung von europäischen Wahllisten bei europäischen Wahlen – denn Wahlen sind eigentlich das Instrument per se, um sich demokratisch zu beteiligen. Nur: Das geht nicht. Bislang können wir nur auf nationaler Ebene wählen. Was heißt das? – Jetzt ein ein bisschen hinkender Vergleich: Das wäre so, wie wenn man bei einer Nationalratswahl in Österreich nur bundesländerweise Listen wählen könnte, aber keine gemeinsame Liste hätte. Auf europäischer Ebene ist das so; das ist eigentlich nicht nachvollziehbar. Das wäre ein wichtiger Punkt.

Die Wahlbedingungen in den Ländern muss man angleichen. Auch da ist jetzt bei der Bürgerinitiative ein wichtiger Schritt gesetzt worden: die Empfehlung, das Wahlalter 16 einzuführen oder anzuwenden. Und – no na – es braucht eine Stärkung des Parla­ments selbst, ein stärkeres Initiativrecht – das hat es nur sehr eingeschränkt –, und das wäre sehr stark im Zusammenhang mit europäischen Wahllisten zu verstehen, weil das Parlament ja eigentlich die Institution in Europa ist, die noch, sage ich jetzt einmal, annähernd direkt gewählt wird – das wäre mit europäischen Listen viel besser –, denn der Rat und so weiter sind ja nicht direkt gewählt, sondern sind eigentlich über die Staaten zusammengesetzt.

Mir ist schon bewusst, dass das Wünsche ans Christkind sind, und wir haben März und das Christkind ist noch weit weg, aber vielleicht hilft uns die Europaministerin (Hei­terkeit des Redners und der Bundesministerin Edtstadler) in der weiteren Entwicklung in diese Richtung. Ich finde das wirklich wichtig, in Zeiten wie diesen – schauen wir auf die globalen Entwicklungen –: China wird sehr stark, es erstarken Asien, Indien; wir beobachten in den Vereinigten Staaten von Amerika eine Entwicklung, in der America First zum obersten Prinzip gemacht und ein multilaterales, solidarisches Denken eigentlich aufgegeben wurde.


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Da wird die Europäische Union als eine Union in demokratischer Verfasstheit wichtiger, das darf man nicht aus den Augen verlieren. – Das muss man verbessern! Da muss Europa auch diesem eigenen Anspruch, der auch oft kommuniziert wird, gerecht werden, und das geht nur mit den Bürgerinnen und Bürgern und das geht nur mit einer sehr gut ausgebauten Demokratie. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Bundes­rätInnen der ÖVP.)

11.00


Vizepräsident Michael Wanner: Danke schön.

Zu Wort gemeldet ist Bundesrat Stefan Schennach. Ich erteile es ihm.


11.00.28

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geschätzte Frau Bundesministerin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Als ich Kollegen Schilchegger bei seiner Rede zugehört habe, hatte ich zwei Déjà-vu-Erlebnisse:

Erstens habe ich mich an die ganze Debatte über den Vertrag von Lissabon und das Argument, dass Österreich zu existieren aufhören würde, sollte es den Lissabonvertrag ratifizieren, Anfang der 2000er-Jahre erinnert. In Wirklichkeit hat er die EU demokrati­scher gemacht, mehr auf eine Verfassung gestellt als vorher und letztlich durch die Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung durch den EU-Ausschuss die größte Reform des Bundesrates nach sich gezogen, womit der Bundesrat in EU-Angelegen­heiten dem Nationalrat gleichgestellt ist. Noch nie hatten wir so eine Reform!

Zweitens: Herr Kollege Schilchegger, manchmal predigt man Wasser und trinkt heim­lich Wein. Ich muss einmal ganz kurz aus einer Laune der Natur heraus die Türkisen in Schutz nehmen (Ruf bei der ÖVP: Das war noch nie ...!), denn Ihre direktdemo­kra­tischen Möglichkeiten hatten Sie vor Kurzem in der Regierung, was Sie aber geflis­sentlich negiert haben. Ich erinnere nur an die fast eine Million Unterschriften des Don’t-smoke-Volksbegehrens. Wenn Sie in der Regierung sind, vergessen Sie das, was Sie fordern; kaum sind Sie wieder in der Opposition, sind Sie die Helden der direkten Demokratie. Das heißt, Wasser predigen und Wein trinken. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrätin Mühlwerth: Dann nimm dich einmal bei der eigenen Nase!) – Ja, ja, das tue ich sowieso und jeden Tag, liebe Frau Mühlwerth! (Bundesrätin Mühlwerth: Ja, aber heute so und morgen so, das könnt ihr auch ganz gut!) Das wäre eigentlich das Prinzip von jedem, der in der Politik ist: sich in den Spiegel zu schauen und sich einmal bei der Nase zu nehmen. (Bundesrätin Mühlwerth: Im Moment vielleicht nicht an der Nase, sondern an den Ohren!) Das sollten wir im Sinne der Reflexion immer tun.

Nun kommen wir zur Europäischen Bürgerinitiative, die ein Produkt und ein Konstrukt des Vertrags von Lissabon ist. Der kleine Unterschied und das Missverständnis basiert auf dem Namen, denn die Europäische Bürgerinitiative ist ein Zwitterwesen: Es ist mehr eine Petition als ein Volksbegehren, wie wir es zum Beispiel in Österreich ken­nen. Darüber hinaus gibt es natürlich auch Schönheitsfehler: Der, den wir heute be­seitigen, betrifft die Partizipation, der andere Schönheitsfehler liegt aber auf der anderen Seite, nämlich dass eine Bürgerinitiative registriert werden muss.

Ein Drittel aller Versuche, eine Bürgerinitiative durchzuführen, wurde von der Kom­mission, also von der Regierung, abgelehnt. Jetzt stellen wir uns das einmal bildlich vor: Die FPÖ plant wieder einmal ein Volksbegehren und geht zur Regierung und fragt: Dürfen wir das Volksbegehren machen? – Jede kluge Regierung wird wahrscheinlich sagen: Nein, nein, das brauchen wir jetzt wirklich nicht!, oder so ähnlich. – So schaut das aus!


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Da brauchen wir ein viel höheres direktdemokratisches beziehungsweise demokra­tisches Verständnis im Rahmen der EU-Kommission, weil sich nämlich schon Folgen­des gezeigt hat: Nehmen wir die drei besten Europäischen Bürgerinitiativen: Eine hat über drei Millionen Unterschriften gebracht – Sie werden dafür unterschrieben haben, wir haben auch unterschrieben –, das war die gegen TTIP und Ceta. Und was ist herausgekommen? – Die Kommission hat es nicht zugelassen. Damit ging aber die Bürgerinitiative zum Europäischen Gerichtshof, und der Europäische Gerichtshof hat die rechtliche Position der Kommission für nichtig erklärt. Das heißt, in dem Moment hätte die Kommission eigentlich nachdenken und sich denken müssen: Hallo, guten Morgen! Wir haben ein Problem mit der Demokratie!

Nehmen wir das zweitbeste Ergebnis her! Was ich ja sensationell finde, ist, dass die Initiative betreffend Stammzellenforschung in Europa 1 720 000 Unterschriften bekom­men hat. Da war die Kommission klug, hat das angenommen und arbeitet daran.

Jetzt kommen wir aber zu etwas, was auch wir hier im Bundesrat ganz stark the­matisiert haben, das ist die Right-to-Water-Initiative beziehungsweise die sogenannte Trinkwasserinitiative. Und jetzt kommt es: 1,7 Millionen Menschen, darunter ganz viele aus Österreich, haben sie unterschrieben. Was hat die Kommission dann gemacht? – Sie hat sich für nicht zuständig erklärt – sie sei nicht zuständig für das Trinkwasser –; gleichzeitig hat man aber – Sie erinnern sich alle – durch die Wettbewerbsrichtlinie und die Konzessionsrichtlinie versucht, die Gemeinden zu zwingen, das Trinkwasser zu privatisieren. Ist man jetzt also zuständig oder ist man nicht zuständig?

Da kommt manchmal die Realpolitik herein, weil die 1,7 Millionen Unterschriften beim Trinkwasser Highspeedunterschriften waren: So schnell kam man innerhalb der EU noch nie auf eine solche Anzahl von Unterschriften. Das hat dann die Kommission dazu bewegt, sie zwar nicht zu akzeptieren, aber das Signal zu verstehen. Das Signal zu verstehen heißt in dem Fall, dass man den Druck auf die Städte und Gemeinden, das Trinkwasser künftig zu privatisieren, privaten Anbietern zu überlassen, zurückge­zogen hat – genauer gesagt betrifft das die Wettbewerbs- und die Konzessionsricht­linie.

So schaut es aus bei den Erfolgreichen. Ein Drittel wurden nicht zugelassen, ein weiteres Drittel wurde vorzeitig abgebrochen oder hat am Ende die notwendige Zahl an Unterschriften nicht erreicht.

Was Frau Kollegin Grossmann gesagt hat, ist völlig richtig: Es fällt ein ganz großer Mitgliedstaat aus. Wir machen jetzt eine Reform, eine Erleichterung, aber die Hürde von einer Million Unterschriften muss heruntergesetzt werden. Das muss in Richtung 900 000 gehen, wenn man die Bevölkerungszahl von Großbritannien in Betracht zieht.

Lässt man seinen Blick ein bisschen über die 70 Initiativen schweifen, fällt einem auf, dass da sehr vieles im Bereich des Sozialen angesiedelt ist. Übrigens, nur so neben­bei, aber für Österreich interessant: Wissen Sie, welche Bürgerinitiative als erste von der Kommission als nicht zulässig zurückgewiesen wurde? – Das war die Bürger­initiative gegen die Nutzung der Atomenergie in Europa. Es ist meiner Meinung nach bedenklich, dass man das zurückwirft. Möglicherweise sollte man bei diesen Dingen auch mehr das Europäische Parlament befassen.

Da gibt es ein ganzes Kapitel. Ich schaue Silvester (der Redner blickt in Richtung Bun­desrat Gfrerer) an: Alles, was mit Tierschutz, Tierqual und so weiter und Artenvielfalt zu tun hat, ist ein ganz wichtiger Bereich, aber auch der Sozialbereich ist ein ganz wichtiger Bereich. Dazu gehören zum Beispiel auch Forderungen wie jene nach einem – wie soll ich das sagen? – Grundeinkommen, nach Inklusion von Menschen mit Behinderung, nach Teilhabe von Kindern und Erwachsenen an der Bildung und so weiter, nach Minderheitenschutz, nach der europäischen Staatsbürgerschaft bis hin zu


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Forderungen nach Medienpluralismus, nach Beendigung von Scheinfirmen in Europa – also ganz interessante Sachen.

Bei solch einer Debatte sollte man vielleicht auch anmerken, dass es derzeit möglich ist, für acht Bürgerinitiativen zu unterschreiben – acht sind offen. Dazu zählen – im Bereich des Artenschutzes – „Rettet die Bienen! Schutz der Artenvielfalt [...]“, aber auch Anliegen wie das Ende der Steuerfreiheit für Flugkerosin, die Einführung eines Mindesteinkommens, die inklusive Bildung für Kinder und Menschen mit Behinderung, der soziale Wohnbau – „Housing for All“ –, „Klimawandel [...] stoppen“ und eine Kohä­sionspolitik, die eine Gleichstellung der Regionen nach sich zieht.

Das ist alles offen. Vielleicht hören uns einige Menschen zu, vielleicht wollen auch die Kollegen und Kolleginnen das weitervermitteln: Da wäre es heute noch möglich, sich zu beteiligen, und es wäre wichtig, das zu tun!

In diesem Sinne: Wir stimmen diesen Veränderungen gerne zu, hoffen aber auch, dass die erforderliche Mindestzahl von einer Million aufgrund des – leider! – erfolgten Aus­tritts des Vereinigten Königreiches herabgesetzt wird. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

11.11


Vizepräsident Michael Wanner: Als Nächste zu Wort gemeldet hat sich Frau Bun­desministerin Karoline Edtstadler, die ich auch recht herzlich bei uns begrüße. – Bitte.


11.11.15

Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren Bundesräte! Die Europä­ische Bürgerinitiative steht auf der Tagesordnung. Es ist eine Materie, die in die Zuständigkeit des Innenministeriums fällt; gleichzeitig handelt es sich dabei um eine Initiative, die auf europäischer Ebene sehr wesentlich ist und die mich daher als Europaministerin beschäftigt. Ich werde später noch darauf zu sprechen kommen, warum eigentlich und wie intensiv genau.

Das ist aber nicht der Grund, warum ich heute hier vor Ihnen stehe, sondern ich vertrete heute Bundesminister Karl Nehammer. Warum? – Auch das war schon Thema der Aktuellen Stunde. Die große Herausforderung, das Coronavirus, beschäftigt uns alle, im Speziellen auch den Innenminister, sehr intensiv, und deshalb wird er derzeit an anderen Orten gebraucht und hat mich gebeten, diesen Termin zu übernehmen.

Ich komme nicht umhin, heute hier vor Ihnen zu sprechen, ohne auch zumindest kurz auf die aktuelle Situation in Österreich einzugehen. Wir alle spüren, dass eine große Veränderung auch im sozialen Leben bereits Platz gegriffen hat. Das beginnt damit, dass wir uns nicht mehr, wie gewohnt, zur Begrüßung die Hände schütteln, körper­lichen Kontakt überhaupt weitgehend meiden, einen Abstand einhalten, uns möglichst oft die Hände waschen und die sozialen Kontakte insgesamt zurückfahren.

Warum? – Ich möchte hier auch an Sie als Vertreter appellieren, das weiterzugeben: Wir brauchen die Eigenverantwortung, die Eigeninitiative jeder Österreicherin und jedes Österreichers, damit wir die Verbreitung des Coronavirus möglichst reduzieren können, verlangsamen können, um einerseits Gegenmittel, Medikamente zu entwickeln und andererseits die parallel noch stattfindende Grippewelle abebben zu lassen, damit wir im Fall des Falles die Betreuungs- und Krankenhausplätze für jene Personen frei haben, die sie tatsächlich brauchen.

Als Europaministerin kann ich Ihnen auch sagen, dass ich in ständigem intensivem Austausch mit unseren Nachbarstaaten, aber auch mit anderen großen und betrof­fenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union bin – und betroffen sind mittlerweile wohl alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union, der Verlauf geht aber in den einzel-


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nen Mitgliedstaaten unterschiedlich vonstatten. Ich habe gestern mit Mitgliedstaaten rund um Österreich, aber auch mit anderen Staaten wie Spanien oder Polen telefoniert, und man sieht anhand der Zahlen, dass die Situation sehr unterschiedlich ist und dass diese unterschiedlichen Zahlen und der unterschiedliche Verlauf auch erfordern, unter­schiedlich restriktive Maßnahmen zu ergreifen. Einig sind wir uns alle darüber, dass abgestimmt, je nach den wesentlichen und relevanten Verhältnissen in den Staaten, Maßnahmen zu treffen sind, die bei uns mittlerweile bis zur nächsten Woche begin­nenden Schulschließung reichen und in anderen Staaten mit der Schließung von Uni­versitäten oder auch der Einschränkung – auch in Ministerien – von Reisetätig­keiten begonnen haben.

Für uns ist wichtig – und das ist mir ein großes Anliegen –, dass wir jetzt handeln, dass wir handlungsfähig bleiben, dass wir uns gut koordinieren und diese Maßnahmen auch kommunizieren, weil es ja, wie wir auch gehört haben, große Auswirkungen auf Wirtschaft, Kultur und das gesellschaftliche Leben gibt, und dass wir dann aber in weiterer Folge – und damit bin ich beim nächsten Schritt –, nach dem Abebben dieser Krise, die richtigen Schlüsse aus dieser Krise ziehen. Ich bin jemand, der Dinge immer auch positiv sieht, und für mich bedeutet das, aus einer derartigen Situation dann letztlich die Chancen und auch die notwendigen Veränderungen auf europäischer Ebene abzuleiten.

Damit möchte ich zum eigentlichen Thema, zur Europäischen Bürgerinitiative – und auch zu meiner Betroffenheit, wenn Sie so wollen, von diesem Thema – zurückkom­men: Österreich war einer von wenigen Mitgliedstaaten, die die Initiative ergriffen haben, die Europäische Bürgerinitiative auf einen neuen Weg zu bringen, attraktiver zu machen, damit die Menschen auch tatsächlich davon Gebrauch machen können.

Was ist das Ziel? – Das Ziel ist, die Demokratie zu stärken, Menschen einzubinden, nicht nur in Österreich, sondern auf europäischer Ebene. Ich war selbst während der Ratspräsidentschaft Österreichs als Vertreterin bei insgesamt fünf Tagungen des Europäischen Parlaments, hauptsächlich in Straßburg, aber auch bei einer in Brüssel, bei einem Miniplenum, und ich habe auch die Trilogverhandlungen zur Europäischen Bürgerinitiative geführt. Ich kann Ihnen sagen, dass Österreich da auch sehr fortschritt­lich gewesen ist, denn Österreich hat immer gesagt, wir wollen die Einbindung schon für Menschen ab 16. – Ja, bei uns ist das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt, das macht Sinn, das ist gut so, und wir haben das auch auf europäischer Ebene vertreten.

Ich kann Ihnen aber auch sagen, es war gar nicht so leicht, diese Trilogverhandlungen zu führen. Die Kommission ist immer dafür eingetreten, aber wir hatten zu diesem Zeitpunkt die Ratspräsidentschaft, hatten den Vorsitz inne und ich hatte zu diesem Zeitpunkt die Aufgabe, die Meinung von 27 Mitgliedstaaten zu vertreten, und darunter war nur ein weiterer Mitgliedstaat, der ebenfalls die Herabsenkung auf 16 Jahre befür­wortet hat, und das war Malta; alle anderen waren, gelinde gesagt, strikt dagegen. Jetzt gibt es die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, das Mindestalter für die Beteiligung an einer Bürgerinitiative auf 16 Jahre zu senken. Ich hoffe, es machen auch viele davon Gebrauch.

Es gibt weiters die Möglichkeit, diese Bürgerinitiative online einzubringen, auch – auf diesem im 21. Jahrhundert natürlich mittlerweile sehr verbreiteten Weg – online Unter­schriften zu sammeln, und es sollte in Zukunft einfach leichter sein, diese Schwellen auch zu erreichen. Es war schon die Rede davon, dass eine Million Unterschriften, Beitritts-, Unterstützungserklärungen notwendig sind. Das klingt nach sehr viel, wenn man sich aber die Zahl der Gesamtbevölkerung der Europäischen Union vor Augen hält, dann muss man sagen, dass es eigentlich auch wieder nur ein relativ kleiner Bruchteil ist. Großbritannien ist weggefallen – auch das wurde schon gesagt –, nichts­destotrotz sind es knapp 500 Millionen Menschen, die in der Europäischen Union


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leben, und diese sollten auch die Möglichkeit haben, sich aktiv zu beteiligen, ihre Anliegen an die Europäische Kommission heranzutragen.

Und ja, Herr Bundesrat Schennach, ich bin bei Ihnen, es wird auch an der Kommission liegen, wie man dann mit derartigen Initiativen umgeht. Da geht es um die Glaub­würdigkeit der Institutionen der Europäischen Union, insbesondere der Europäischen Kommission, die ja den Lead hat, wenn es darum geht, auch Initiativen, Gesetzes­initiativen auf europäischer Ebene vorzulegen.

Was heute hier passiert – und ich freue mich sehr über diesen positiven Zugang zu dieser Initiative –, ist die Anpassung des österreichischen Rechts. Dabei geht es teil­weise um Begriffsbestimmungen, es geht um Fristen, die geregelt werden müssen, und es geht darum, die Umsetzung der Onlinebeteiligung bei der Europäischen Bürger­initiative auch im österreichischen Recht einzuführen.

Ich stelle fest, dass das quer über alle Parteien und über Parteigrenzen hinweg positiv gesehen wird. Ich als Europaministerin stehe dahinter, ich habe die Genese aktiv mitverfolgt und auch aktiv mitgestaltet, und daher freue ich mich über den Zuspruch und hoffe auch auf eine breite, einhellige Zustimmung zu dieser Gesetzesänderung. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Lackner.)

11.19

11.19.13


Vizepräsident Michael Wanner: Danke, Frau Ministerin.

Weitere Wortmeldungen liegen mir dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Zeichen mit der Hand. – Das ist die Einhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

11.19.463. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 27. Februar 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialver­sicherungsgesetz und das Bauern-Sozialversicherungsgesetz geändert werden (195/A und 50 d.B. sowie 10285/BR d.B.)


Vizepräsident Michael Wanner: Wir gelangen zu Punkt 3 der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Andreas LacknerIch bitte um den Bericht.


11.20.08

Berichterstatter Andreas Lackner: Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Ich erstatte Bericht über die Verhandlungen über den Beschluss des Nationalrates vom 27. Februar 2020 be­treffend ein Bundesgesetz, mit das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Ge­werbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz und das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz geändert werden.

Der Ausschussbericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 10. März 2020 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorlie­genden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

11.21


Vizepräsident Michael Wanner: Wir gehen in die Debatte ein.


BundesratStenographisches Protokoll902. Sitzung, 902. Sitzung des Bundesrates am 12. März 2020 / Seite 47

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Lackner. – Bitte.


11.21.16

Bundesrat Andreas Lackner (Grüne, Steiermark): Ja, wie wir alle wissen, wurden im September einige Pensionsregelungen beschlossen, und wie es in Wahlkampfzeiten halt so ist, geht da oft Geschwindigkeit vor Qualität. Dabei passieren auch Fehler. Ein Fehler betraf die Erhöhung des Ausgleichszulagenrichtsatzes.

Der Ausgleichzulagenrichtsatz ist so etwas wie das Existenzminimum im Alter, in der Pension, im konkreten Fall für Paare. Das betrifft circa 28 000 Personen in Österreich, deren existenzsichernde Pension praktisch gekürzt wird, würde dieser Fehler nicht korrigiert.

Zwei positive Aspekte möchte ich da hervorheben: zum einen die erfolgreiche Inter­aktion zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und der Politik. Auf den Fehler auf­merksam gemacht haben nämlich Betroffene, Pensionistinnen und Pensionisten. Herausgekommen ist eine rasche, positive Reaktion der Politik, ein durchaus positives Beispiel gelebter Demokratie im Sinne der Bürgerinnen und Bürger mit der richtigen Botschaft: Es bringt auch etwas, sich an die Politik zu wenden. Zum Zweiten möchte ich die gute Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg erwähnen. Alle Parteien bis auf NEOS waren dafür, diesen Fehler zu beheben und rasch zu handeln. SPÖ und FPÖ haben ihren Antrag im Nationalrat beziehungsweise Sozialausschuss zur Verfü­gung gestellt, und so konnte eine Korrektur rasch auf den Weg gebracht werden. Fehler zu machen ist das eine, sie einzugestehen und zu korrigieren steht heutzutage oft auf einem anderen Blatt.

Ich freue mich, dass in diesem Fall rasch gehandelt wird und für eine Personengruppe, die es ohnehin nicht leicht hat, gemeinsam eine positive Lösung gefunden wurde. –Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

11.23


Vizepräsident Michael Wanner: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Heike Eder. Ich erteile es ihr.


11.23.31

Bundesrätin Heike Eder, BSc MBA (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein herzliches Willkommen auch allen Zusehern daheim vor den Bildschirmgeräten! Ja, ich möchte zu Beginn meiner Rede nochmals kurz die Fakten zusammenfassen. Mein Vorredner Kollege Lackner hat einige Punkte bereits beleuchtet: worum es in diesem Tagesordnungs­punkt konkret geht und was heute beschlossen werden soll.

In Österreich gibt es bekanntermaßen keine Mindestpension. Die Sicherung eines Min­desteinkommens für Pensionistinnen und Pensionisten kann aber über die Aus­gleichszulage erfolgen. Ein Pensionsbezieher oder eine Pensionsbezieherin hat dann Anspruch auf Ausgleichszulage, wenn ein gesetzlich festgelegter Betrag, der soge­nannte Richtsatz, nicht erreicht wird.

Für die Höhe des Gesamteinkommens sind neben der Pension das sonstige Netto­einkommen oder eventuelle Unterhaltsansprüche relevant. Die Höhe des Richtsatzes ist von verschiedenen Faktoren – wie zum Beispiel der Pensionsart, der Dauer der Erwerbstätigkeit oder von familiären Verhältnissen – abhängig.

Im September 2019 wurde beschlossen, den Ausgleichszulagenrichtsatz für Paare, also Ehepaare oder eingetragene Partnerschaften, außertourlich anzuheben. Ziel war es, einen Verlust durch die gleichzeitig vorgesehene Streichung der Steuerbefreiung zu


BundesratStenographisches Protokoll902. Sitzung, 902. Sitzung des Bundesrates am 12. März 2020 / Seite 48

vermeiden. Der Hintergedanke dieser Regelung, also die gleichzeitig vorgesehene Streichung der Steuerbefreiung war es, dass Ausgleichszulagenbezieherinnen und Pensionisten mit gleich hoher Eigenpension steuerlich gleichgestellt sind. Jedoch wurde dabei darauf vergessen, im Pensionsanpassungsgesetz die geplante Pensions­erhöhung von 3,6 Prozent zu berücksichtigen. Das hatte zur Folge, dass die Betrof­fenen durch diese Besteuerung kaum eine Erhöhung bekamen. Das war so nicht gedacht, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, aber wo gehobelt wird, da fallen bekanntlich auch Späne. Daher wird jetzt rückwirkend mit 1.1.2020 die Ausgleichs­zulage für Paare von 1 472 Euro auf 1 524,99 Euro angehoben.

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der heutige Beschluss ist aus zweierlei Gründen wichtig und richtig. Zum einen ist es richtig, die sozial Schwächeren in einer Volkswirtschaft bestmöglich, aber sozial verträglich zu unterstützen, und dem von der Regierung gesetzten Ziel, die Altersarmut zu reduzieren, wird man mit diesem Be­schluss gerecht. Zum anderen zeigt der heutige Beschluss, dass eine parlamen­tarische Arbeit über Parteigrenzen hinaus effizient funktionieren kann und Schulter­schlüsse möglich sind. Das gibt mir Hoffnung auf eine zukünftige zwischenparteiliche Zusammenarbeit.

Gleichzeitig möchte ich nun noch die Gelegenheit nutzen, um eine Brücke zu meiner Generation und den nachfolgenden Generationen, die wir auf keinen Fall vergessen dürfen, zu schlagen. Dabei sind wir alle gefragt, genau hinzusehen und mit dem gleichen zwischenparteilichen Engagement sicherzustellen, dass auch diese Gene­rationen ein würdiges Leben im Alter führen können.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen bereits heute, dass das Real­einkommen seit Jahrzehnten stagniert. Auch wenn trotz des niedrigen Realeinkom­mens die Möglichkeit besteht, Kapital anzusparen, gibt es aufgrund des Niedrigzins­umfelds, in dem wir uns derzeit befinden, nicht die Möglichkeit, diese Ersparnisse mittels Zins- und Zinseszinseffekte zu vermehren. Wir wissen auch, dass die demo­grafische Alterspyramide keine Pyramide mehr ist und somit in der Zukunft Druck auf das Umlageverfahren ausüben wird.

Wir wissen außerdem, dass die jetzigen Rentner im Durchschnitt mehr aus dem Pen­sionssystem herausnehmen, als sie tatsächlich einbezahlt haben. Dass dem auch so ist, zeigt eine Modellrechnung aus Vorarlberg, von der ich Ihnen kurz berichten möchte. Ein Dienstnehmer eines bekannten Vorarlberger Industriebetriebs hat nämlich über seine gesamte Berufslaufbahn hinweg akribisch genau Buch über seine Einkünfte und Beiträge an die Pensionsversicherung geführt. Die Einzahlungen plus die Kapita­lisierung dieser Einzahlung konnten somit seiner tatsächlichen Rente gegenüber­ge­stellt werden.

Dieser Mann hat seine gesamte Berufskarriere im selben Unternehmen verbracht. Er hat dort seine Lehre als Werkzeugmechaniker begonnen, hat sich hinaufgearbeitet und bis zum Ende seiner Karriere zum Leiter des Werkzeugbaus weiterentwickelt. In seinen letzten Beitragsjahren lag sein Einkommen deutlich über der sozialversicherungs­rechtlichen Höchstbeitragsgrundlage. Man kann somit mit Fug und Recht behaupten, dass dieser Dienstnehmer zu der Gruppe gehört, die zu den bessergestellten Mitglie­dern unserer Gesellschaft zählt.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Was glauben Sie, was bei so einem Idealfall eines Einzahlers in das Pensionssystem herausgekommen ist? – Ich sage es Ihnen gerne: Würde dieser Dienstnehmer nicht die Hacklerregelung, die ihm zustünde, in Anspruch nehmen und mit 65 Jahren in Pension gehen, also dem Regelpensionsalter, wäre nach Sterbetafeln der Deutschen Aktuarvereinigung die faire Rente um 7 Prozent niedriger, als dies der Pensionsausweis bescheinigt. Das heißt, dass es selbst bei


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einem idealtypischen Fall wie diesem im Erwartungswert zu einer Querfinanzierung von Jung zu Alt kommt. Was dies für die Hacklerregelung impliziert, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das liegt, denke ich, auf der Hand.

Schlussendlich möchte ich jetzt noch zwei Punkte in meiner Rede hervorheben und unterstreichen. Erstens: die Reduktion der Altersarmut. In diesem Sinne ist der heutige Beschluss wichtig und richtig. Zweitens ist die zwischenparteiliche Zusammenarbeit unerlässlich, um das Pensionssystem auch zukünftig tragfähig und nachhaltig auszu­gestalten. Dabei ist die Zusammenarbeit aller politischen Akteure gefragt, damit auch unsere jüngeren Österreicherinnen und Österreicher in Würde altern können. –Danke. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei BundesrätInnen der FPÖ.)

11.29


Vizepräsident Michael Wanner: Danke schön.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Korinna Schumann. Ich erteile es ihr.


11.30.10

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Der Familienrichtsatz muss dringend angepasst werden, und zwar rückwirkend. Diese Reparatur ist ein Muss, das ist für uns SozialdemokratInnen völlig klar! Es geht da um eine dringend not­wendige Unterstützungsleistung für die Betroffenen: Würde man den Richtsatz nicht anpassen, hätten 28 000 Paare monatlich 50 Euro weniger zur Verfügung – es wurde bereits gesagt –, und das geht gar nicht, denn 50 Euro weniger sind gerade für diese Menschen, die am Existenzminimum leben, ganz, ganz wichtig.

SPÖ und FPÖ haben im Nationalrat ihren Antrag zur Verfügung gestellt, damit wurde die Reparatur dieses Fehlers, der wirklich schwerwiegende Folgen für die Betroffenen gehabt hätte, überhaupt erst möglich. Wäre das nicht passiert, hätten die Menschen noch länger auf ihr Geld warten müssen, und, wie gesagt, das ist viel Geld für die Bezieherinnen und Bezieher dieser Ausgleichszahlung. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesräte Rösch und Lackner.)

Armut in der Pension, im Alter ist ein schweres Los, und wir müssen alles nur Mögliche tun, um diese zu verhindern. Der Frauentag ist ja erst wenige Tage her, und wir wissen, dass in Österreich der Unterschied zwischen Frauen und Männern betreffend die Höhe der Pension 42,3 Prozent beträgt. Damit hat Österreich die viertgrößte Pen­sionslücke in der gesamten Europäischen Union.

Positiv zu sehen ist, dass die Zahl der Frauen, die eine eigenständige Pension erhalten, in den letzten fünf Jahren ganz deutlich gestiegen ist. Die zu erwartende Pen­sionsleistung ist aber so gering, dass man damit im Alter sicher kein eigenständiges Leben führen kann, das ist für viele Frauen Realität.

Wichtig ist, auf die Ursache zu schauen: Wo liegt der Hund begraben? – Das Problem liegt am Arbeitsmarkt. Die Einkommen in den Branchen, in denen hauptsächlich Frau­en beschäftigt sind, sind viel geringer als jene in Männerbranchen. Der Einsatz der Gewerkschaften für einen kollektivvertraglichen Mindestlohn von 1 500 Euro war in fast allen Branchen, also zu 99 Prozent erfolgreich – nun gilt es, die 1 700 Euro umzu­setzen. (Beifall bei der SPÖ.)

Das Positivste, das im Sinne einer Verbesserung der Situation für die Frauen in der letzten Zeit passiert ist, war die gesetzliche Anrechnung der Karenzzeiten. Das war ein großer Erfolg, der im Interesse der Frauen durchgesetzt wurde, im freien Spiel der Kräfte war das möglich, und das war ein Erfolg der SPÖ. Das Schließen der Ein-


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kommensschere von 20 Prozent zwischen Frauen und Männern muss der Auftrag für die aktuelle Regierung sein.

Der hohe Anteil von Frauen mit Teilzeitarbeit ist ein weiterer Faktor, der seine Aus­wirkungen auf die Pensionsleistungen hat: fast 50 Prozent Teilzeitquote bei Frauen in Beschäftigung, und sogar 73 Prozent bei Frauen mit Kindern im betreuungspflichtigen Alter. Teilzeitarbeit ist oft nicht freiwillig gewählt: Es fehlt die nötige Kinderbetreuung, vor allem im ländlichen Bereich. Wien ist da mit seinem ausgezeichneten Kinderbetreu­ungsangebot Vorbild, und nun folgt in Wien auch noch der Ausbau der Ganztags­schule; das ist ein ganz, ganz wichtiger Schritt für die Eltern und für die Frauen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ein flächendeckendes Kinderbetreuungsangebot für jedes Kind, auf das die Eltern einen Rechtsanspruch haben, das gratis ist und das Vollzeitarbeit ermöglicht, muss das Ziel sein. Frauen müssen eine echte Wahlfreiheit haben, wie viele Stunden sie arbeiten wollen – und nicht permanente Sorgen haben, wie sie Beruf und Familie unter einen Hut bringen. Dazu braucht es natürlich auch entsprechende Mittel, auch für die Gemeinden, das ist ganz klar. In die Kinderbildung zu investieren, das heißt, in die Zukunft zu investieren: Beste Bildung und Förderung für alle Kinder, weniger Sorgen für die Eltern, die Schaffung qualitätsvoller Arbeitsplätze und die Stärkung des länd­lichen Raums müssen unsere Ziele sein! (Beifall bei der SPÖ.)

Es braucht dringend eine bessere Anrechnung der Kindererziehungszeiten für Frauen, denn Frauen haben auch im Alter ein Recht auf ein gutes Leben. Diese Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, den Anteil armutsgefährdeter Personen innerhalb dieser Legis­laturperiode zu halbieren. Das ist ein hohes, aber wichtiges Ziel, und an diesem wer­den wir sie sicher messen.

In Österreich waren im Jahr 2018 1,2 Millionen Menschen armutsgefährdet – das sind 14 Prozent der Bevölkerung –, und AlleinerzieherInnen haben ein Armutsrisiko von 37 Prozent. Wir sind also aufgefordert, alle familienpolitischen Maßnahmen auch aus dem Blickwinkel der Armutsbekämpfung zu sehen.

Vor allem der Familienbonus, so positiv er sich für einzelne Teile der Bevölkerung aus­wirkt, sollte in diesem Zusammenhang auf seine Wirksamkeit bei der Bekämpfung der Armutsgefährdung überprüft werden. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemo­kraten gilt grundsätzlich: Jedes Kind ist gleich viel wert, und Kinderarmut darf es in Österreich nicht geben! (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Lackner.)

Prekäre Beschäftigungsformen, Arbeitsplätze, die nur mehr als Teilzeitstellen ange­boten werden, junge Menschen, die keine Chance auf stabile Arbeitsverhältnisse haben, Menschen mit Behinderung ohne Arbeitsmarktperspektive, ältere Arbeitneh­merInnen, die verzweifelt einen Job suchen: Das sind die Herausforderungen, und da geht es immer auch um die Frage, wie die Pensionsleistung aussieht, die die ArbeitnehmerInnen erwarten können.

Die Entwicklung der Digitalisierung und alle ihre Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu ignorieren, wie es derzeit leider seitens der ÖVP-MinisterInnen getan wird, ist der falsche Weg – die Digitalisierung muss im Interesse der Menschen gestaltet werden. Auch da ist wieder Wien positiv zu erwähnen, da setzt Wien die richtigen Schritte: Wien stellt die Forderung in den Mittelpunkt, dass die Digitalisierungsentwicklung nicht zu einer Gesellschaft der zwei Geschwindigkeiten führen darf.

Der digitale Fortschritt soll nicht nur einem Teil der Bevölkerung nutzen, die Entwick­lungen der Digitalisierung dürfen nicht zu einer Vertiefung der sozialen Gegensätze führen. Das Digitalisierungspaket, das Wien mit den Sozialpartnern umgesetzt hat, ist da ein wichtiges Zeichen, und es ist auch ein Zeichen dafür, dass Wien die Sozial-


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partnerschaft immer gelebt hat und auch jetzt auf Augenhöhe lebt. (Beifall bei der SPÖ.)

Chancen für alle, das Recht auf Aus- und Weiterbildung, um den Veränderungen begegnen zu können, und genügend Mittel für das AMS sind wichtig. Dabei sei besonders erwähnt, dass es jetzt in dieser schweren Krise ausreichend Mittel für die Kurzarbeit braucht. Diese 20 Millionen Euro, die für die Kurzarbeit budgetiert wurden, reichen nicht aus, auf keinen Fall! Es braucht neues Geld, und es darf auch nicht gefor­dert werden, dass Mittel innerhalb des AMS umgeschichtet werden. Kurzarbeit ist ein wichtiges Modell, das die Sozialpartner entwickelt haben, um Arbeitsplätze zu erhalten, und dafür braucht es auf jeden Fall Geld. (Beifall bei der SPÖ.)

Zum Coronavirus und dessen Bekämpfung sei noch gesagt: Es ist für die Eltern be­sonders jetzt bei der Schließung von Schulen oder Kinderbetreuungseinrichtungen ganz wesentlich, dass sie Anrecht auf eine Entgeltfortzahlung über den gesetzlichen Rahmen hinaus haben. Wir können da die Eltern nicht im Stich lassen, denn es ist ganz, ganz wichtig, dass sie sich darauf verlassen können, dass sie ihr Entgelt weiter bezahlt bekommen.

Einer Alleinerzieherin soll jetzt nicht gesagt werden, na ja, du bekommst jetzt halt eine Woche frei, dann nimmst du dir ein bisschen Pflegefreistellung und dann nimm bitte deinen eigenen Urlaub! – Das darf so nicht sein, es muss eine wirklich gesicherte Entgeltfortzahlung geben. Am Nachmittag finden die Verhandlungen der Sozialpartner mit der Regierung statt, und ich hoffe, dass es da zu einem positiven Ergebnis kommen wird. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen niemanden zurücklassen, dazu darf ich noch einmal aus dem Regierungsprogramm zitieren: „Diese Bundesregierung verfolgt das Ziel, Armut im Alter deutlich zu reduzieren und nach Möglichkeit zu überwinden.“ – Wir hoffen wirklich, dass dies nicht nur leere Phrasen sind, und wir werden diese Regierung an diesen Zielen messen. – Glück auf! (Beifall bei der SPÖ.)

11.38


Vizepräsident Michael Wanner: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Marlies Steiner-Wieser. Ich erteile es ihr.


11.39.11

Bundesrätin Marlies Steiner-Wieser (FPÖ, Salzburg): Sehr geehrtes Präsidium! Werte Kolleginnen und Kollegen! Hohes Haus! Zu Beginn darf ich mich bei all jenen Menschen bedanken, die jetzt schon fast Tag und Nacht unterwegs sind, um an der Bekämpfung des Coronavirus zu arbeiten, um die Verbreitung des Virus einzudäm­men. Dieses Virus trifft unsere ältere Generation besonders hart, und es ist unsere Aufgabe, diese Generation zu schützen, ihr die bestmöglichen Maßnahmen zukommen zu lassen und ein Altern in Würde zu gewährleisten.

Zu einem Altern in Würde gehören aber auch die finanziellen Leistungen, die Pen­sionen. Darum freut es mich besonders und ich begrüße es, dass wir heute diese Korrektur, diese Klarstellung bei den Ausgleichszulagenrichtsätzen durchführen kön­nen, sodass auch der Familienrichtsatz, der Ehegattenrichtsatz gleich wie der ganz normale Ausgleichszulagenrichtsatz um 3,6 Prozent angehoben wird, rückwirkend ab 1. Jänner.

Diese Anpassung beziehungsweise Klarstellung ist richtig und gut und bedeutet für unsere Pensionsbezieher gar nicht so wenig Geld, das sie jetzt auch nachträglich ausbezahlt bekommen: Der Richtsatz wird von 1 472 auf 1 524 Euro angehoben – das sind diese 3,6 Prozent, in Euro ausgedrückt monatlich 52,99 Euro, 14-mal im Jahr. Das sind immerhin jährlich 741 Euro mehr, die wir – diese Korrektur ist ja ursprünglich von


BundesratStenographisches Protokoll902. Sitzung, 902. Sitzung des Bundesrates am 12. März 2020 / Seite 52

einem Antrag von Sozialdemokraten und uns Freiheitlichen ausgegangen – den Seni­oren, den Pensionsbeziehern, jetzt geben können.

Schade finde ich, dass der – auch wieder freiheitliche und sozialdemokratische – Antrag bezüglich der Ausweitung des Widerspruchsrechts gegen Bescheide der Pensionsver­sicherung von Schwarz-Grün nicht unterstützt wurde. Da habt ihr euch leider nicht darübergetraut. Wir Freiheitlichen hätten in einer besseren Einbindung der Versicher­ten einen wesentlichen Vorteil gesehen.

Was erfreulich ist: Gott sei Dank konnte sich, wie man gelesen hat, im November nach gefühlten 100 Jahren endlich die Alterssicherungskommission konstituieren. Ich hoffe, dass diese mittlerweile auch Fahrt aufgenommen hat, die Arbeit aufgenommen hat, dass sie im Interesse der Senioren die Pensionsentwicklungen und demografischen Veränderungen genau beobachtet, analysiert und gegebenenfalls auch reagiert. (Bundesrätin Grimling: Danke, danke!)

Da wir ja momentan niemanden von der Regierung hier haben – was ich zum Teil verstehe –, darf ich jetzt an die Kollegen von ÖVP und Grünen ein Anliegen richten: Es ist mir ein Riesenanliegen, dass ihr die Hacklerpension bitte nicht anrührt und schon gar nicht auf die Idee kommt, sie abschaffen zu wollen! (Beifall bei der FPÖ.)

Schaut bitte, dass diese Regelung für alle Versicherten, nämlich sowohl für ASVG-Versicherte als auch für den öffentlichen Dienst, sprich speziell für die Beamten, gilt! Schaut bitte, dass die Bundesheerzeiten angerechnet werden! Auch da hat sich Schwarz-Grün leider unserem Antrag nicht angeschlossen. Gerade jetzt sehen wir, wie wichtig unser Bundesheer ist. Gerade jetzt wissen wir es zu schätzen, wenn wir unsere Soldaten gut ausrüsten können – unsere Soldaten, die für uns Österreicher, für unser Österreich da sind.

Schauen Sie bitte auch, dass die Jahrgänge 1953 bis 1957 in diese Regelung mitein­bezogen werden, denn 540 Beitragsmonate, das sind 45 Jahre! Wie der Name Bei­trags­monate schon sagt: Das sind keine geschenkten Ersatzzeiten, sondern die Men­schen – es sind ohnehin nicht viele, die es schaffen, 45 Jahre zu arbeiten –, die wirk­lich 45 Jahre hart gearbeitet haben, Beitragsmonate geleistet haben, Steuern bezahlt haben, haben diesen Beitrag geleistet. Wie gesagt, es sind harte Arbeitsjahre gewe­sen, keine geschenkten Ersatzzeiten, und genau jene Menschen haben es sich ver­dient, nach 45 Jahren abschlagsfrei in Pension zu gehen. Daher: 45 Jahre harte Arbeit sind genug. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

11.44


Vizepräsident Michael Wanner: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Bundesrat Otto Auer. Ich erteile es ihm.


11.44.41

Bundesrat Otto Auer (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Kolle­ginnen und Kollegen! Gäste zu Hause vor den Bildschirmen! Die Entscheidungen, die in der Politik fallen, sind speziell in unbestimmten Politikzeiten, wie sie zwischen den Regierungsbildungen auftreten, oft nicht sehr durchdacht und gehen auch nicht immer in die Richtung, dass die Verteilung der Mittel an Berechtigte funktioniert und gerecht ist. Somit, denke ich, ist es gut und richtig, dass diese Korrektur heute hier be­schlos­sen wird.

Es geht nicht um Schuldzuweisungen, sondern es geht um Richtigstellungen, und es sollte, wie schon die Vorredner gesagt haben, kein Ausspielen von Jung gegen Alt sein und auch nicht die Möglichkeit bieten, Vorteile oder Nachteile bei den einzelnen Gesellschaftsschichten zu orten. Der gerechte Anteil am Wohlstand steht jedem zu. Da


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sind wir uns alle einig. Deshalb appelliere ich an euch alle, diesen Beschluss mitzu­tragen, damit da eine entsprechende Richtigstellung stattfindet.

Die steuerlichen Veränderungen haben auch negative Auswirkungen. Die Richtsatz­erhöhung um 5,2 Prozent mit 1.1.2020 sowie die Vervielfachung um 3,6 Prozent sind ein notwendiges Mittel, um wirklich für die ältere Generation mehr Netto vom Brutto zu schaffen, damit auch diese Menschen genug Geld für ihr Leben zur Verfügung haben. Durch diese Anhebung entsteht keine Minderung der Pension und durch die steuerliche Wirkung wird auch nichts mehr herabgesetzt. Somit ist sie ein wichtiges Werkzeug für die Existenzgrundlage dieser Menschen, damit sie genug Einkommen haben.

Ich denke, das ist ein notwendiger und gerechtfertigter Schritt, und ich hoffe auf Ihre Zustimmung. – Danke. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Schreuder.)

11.46


Vizepräsident Michael Wanner: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Bundesrat Ing. Bernhard Rösch. – Bitte.


11.46.36

Bundesrat Ing. Bernhard Rösch (FPÖ, Wien): Zu dieser Promaterie ist eigentlich schon alles gesagt worden. Die Gesetzesänderung ist nicht nur gerecht, sondern auch fair. Ich will eigentlich nur noch an die ÖVP appellieren, dass man auch beim Pen­sionsantritt Fairness walten lässt und sagt: 45 Jahre sind genug!, denn Leistung muss sich lohnen.

In der Lebensbilanz muss sich das ganz einfach für den, der Leistung erbracht hat, auch widerspiegeln. Man hört jedoch, dass man all das, was da gekommen ist, wieder aufweichen will, anstatt dass man die anderen, die kleine Gruppe, die noch nicht im Boot ist, mithineinholt, um den Österreicherinnen und Österreichern zu signalisieren, dass derjenige, der für Österreich etwas leistet, auch etwas bekommt. (Beifall bei der FPÖ.)

Damit will ich gleich schließen, denn: Wer der österreichischen Wirtschaft hilft, dem hilft auch die österreichische Wirtschaft. Wirtschaft sind wir alle, Arbeitgeber und Arbeitneh­mer (Bundesrätin Zwazl: Danke!), sonst würde ganz einfach das österreichische System nicht funktionieren. (Beifall bei der FPÖ.)

11.48


Vizepräsident Michael Wanner: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Bundesrat Ernest Schwindsackl. Ich erteile es ihm.


11.48.15

Bundesrat Ernest Schwindsackl (ÖVP, Steiermark): Geschätzter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Damen und Herren zu Hause via Livestream! Die Redezeiten sind jetzt ja kaum mehr zu unterbieten, auch ich werde mich ent­sprechend kurz halten, damit vielleicht andere wesentliche Dinge genauer besprochen werden können.

Glück ist kein Naturzustand, Gesundheit auch nicht – das ist eigentlich tagespolitisch sehr aktuell. Nicht jeder, der gesund ist, ist glücklich – solche Leute soll es auch geben –, und nicht jeder, der krank ist – natürlich gegendert: auch jede –, ist unglück­lich. Wer aber öfter glücklich ist, wird seltener krank und lebt länger – hoffentlich. Eckart von Hirschhausen hat das vor einigen Jahren in einem seiner Bücher nie­dergeschrieben, ohne zu wissen, was sich jetzt in diesen Tagen und Stunden tut.


BundesratStenographisches Protokoll902. Sitzung, 902. Sitzung des Bundesrates am 12. März 2020 / Seite 54

Ich glaube, gerade auch, was hier heute als Beschluss vorliegt, nämlich dass der Familienrichtsatz speziell für Ehepaare korrigiert wird – die Zahlen wurden schon alle genannt, 28 173 betrifft es ganz konkret –, kommt wirklich der Gruppe zugute – und das ist ein wesentlicher Punkt des Beschlusses –, die es nicht nur verdient, sondern der es auch zusteht. Diese Reparatur, von der heute schon gesprochen wurde, war eine sehr wichtige und gute Entscheidung.

Ich würde sagen, es ist ein guter Tag – von glücklich kann man heute nicht reden. Für diese Gruppe ist das sicherlich ganz, ganz wesentlich, weil es doch um ein Netto­einkommen von 35,92 Euro geht.

Wir, die Seniorenverbände – ich komme ja vom Seniorenbund Steiermark und bin Obmann in der größten Stadt Österreichs, in Graz; wie Sie wissen, ist Wien ja ein Bundesland – haben speziell bei dieser vorigen Regelung einige oder sehr viele Kritikpunkte wahrgenommen. Es war auch zu verstehen, dass es dann zu einer Änderung gekommen ist. Ich glaube, es ist auch wichtig, dass wir vonseiten der ÖVP-Fraktion heute diese Zustimmung geben.

Gestatten Sie mir zu sagen, dass wir als Österreichische Volkspartei speziell die Diskussion über Jung gegen Alt nicht so stehen lassen wollen und auch nicht führen möchten! Das Ausspielen Junger gegen Ältere darf nicht stattfinden.

Ich darf kurz noch einen Exkurs in die Landeshauptstadt Graz machen: Dort leben immerhin – Stand gestern, ich hoffe, das bleibt so – 27 über 100-Jährige relativ rüstig und humorvoll, davon 26 Frauen und ein Mann. Dies spiegelt also die Lebens­erwartung von uns Männern wider. Darüber sollte an einem Tag wie heute auch ein bisschen geschmunzelt werden: Eine 103-jährige Dame antwortete bei der Verab­schiedung des gratulierenden Grazer Bürgermeisters auf seine Worte: Ich hoffe, dass ich Ihnen auch zum 104. Geburtstag gratulieren kann!, Folgendes: So wie Sie aus­sehen und wie ich Sie heute einschätze, werden Sie das schon erleben! (Allgemeine Heiterkeit.) – Bürgermeister Nagl ist 55 Jahre jung und auch sehr sportlich und jung aussehend.

Für die jetzt auf die Welt kommende Generation – ich werde in ein paar Tagen das erste Mal Großvater – wird eine Lebenserwartung von 110 bis 115 Jahren prognos­tiziert. Das hat schon etwas Besonderes und zeigt, dass sich hier in Zukunft noch mehr tun wird.

Wir brauchen die Jugend, wir brauchen die Älteren, und nur gemeinsam werden wir die Herausforderungen meistern. Ich glaube, es ist ganz wesentlich, dass vor allem Fragen, die immer wieder diese Spaltung herbeiführen, möglichst gut und schnell aus­diskutiert werden, damit wir der Zukunft, und zwar vor allem einer guten Zukunft, ge­nerationsübergreifend wohlwollend entgegensehen können.

Ich wünsche Ihnen vor allem: Bleiben Sie gesund!, und schließe mit einem steirischen Glück auf! (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Lackner.)

11.52

11.52.44


Vizepräsident Michael Wanner: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.


BundesratStenographisches Protokoll902. Sitzung, 902. Sitzung des Bundesrates am 12. März 2020 / Seite 55

11.53.154. Punkt

Entschließungsantrag der Bundesräte Mag. Reinhard Pisec, BA MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend staatsvertragliche Verpflichtung des Bundes für das Weltkulturerbe „historisches Zentrum der Stadt Wien“ (271/A(E)-BR/2020 sowie 10286/BR d.B.)


Vizepräsident Michael Wanner: Wir gelangen zu Punkt 4 der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Bundesrat Mag. Bernd Saurer. – Ich bitte um den Bericht.


11.53.42

Berichterstatter Mag. Bernd Saurer: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich erstatte Bericht über die Verhandlungen des Ausschus­ses für Tourismus, Kunst und Kultur vom 10. März 2020 über den Entschließungs­antrag der Bundesräte Reinhard Pisec, Kolleginnen und Kollegen betreffend „staats­vertragliche Verpflichtung des Bundes für das Weltkulturerbe ‚historisches Zentrum der Stadt Wien‘“.

Der Ausschussbericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher zur An­tragstellung.

Als Ergebnis seiner Beratung stellt der Ausschuss für Tourismus, Kunst und Kultur somit den Antrag, der Bundesrat wolle dem Entschließungsantrag 271/A(E)-BR/2020 keine Zustimmung erteilen.


Vizepräsident Michael Wanner: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Bundesrat Mag. Reinhard Pisec. Ich erteile es ihm.


11.54.40

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA MA (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ministerin oder Minister ist keiner anwesend, was mich bei diesem Thema nicht wundert. Gegen den Willen zahlreicher Bürgerinitiativen, gegen den Willen des internationalen Denkmalschutzes Icomos – ein Teil der Unesco, eine Organisation der Vereinten Nationen –, gegen die zahlreichen städtischen Inter­essen und zum Nachteil hinsichtlich der Tourismusströme, von denen wir in Österreich und gerade Wien in hohem Maße profitieren: Trotz all dieser vernünftigen Argumente wird kein Argument für die rot-grüne Stadtregierung stichhaltig. – Da frage ich mich schon nach dem Warum, und beim Warum landet man immer beim Geld. Das ist das Entscheidende: das Geschäftsmodell der rot-grünen Stadtregierung. Die sind ja nur der Handlager und die verlängerten Arme der internationalen und vor allem in Österreich sehr starken, und in Wien besonders starken Bauspekulanten.

Kommen wir zurück in die 1960er-Jahre, zum Heumarkt, denn das ist ein gutes Bei­spiel, wie dieses Bauspekulantentum funktioniert! In den 1960er-Jahren haben Wiens Rathaussozialisten im Stile der Kulturrevolution von Mao Tse-tung, alles Alte zu zer­stören, das Jugendstiljuwel, das Bauwerk von Architekt Ludwig Baumann aus der Zeit der Belle Époque Österreichs, der zweiten Gründerzeit Wiens, einfach abgerissen, gesprengt.

Wer war Ludwig Baumann? – Zum Beispiel sind der Festsaal unweit, etwa 100 Meter, von hier – der Ballsaal Österreichs und vor allem Wiens schlechthin –, das Konzert­haus, das Akademietheater und so weiter und so fort von Architekt Baumann.

Das Bauwerk am Heumarkt wurde abgerissen. Es wurde vom Stadterweiterungsfonds, vom damaligen schwarzen Innenministerium, 2007 an Bauspekulanten um – sage und schreibe! – nicht einmal 5 Millionen Euro verscherbelt. Jahrelang dauert es dann. Was ist die Arbeit von diesen Bauspekulanten? – Die Gefügigmachung von Verantwort-


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lichen in der Stadtregierung. Das Gefügigmachen heißt nichts anderes – und das ist das Geschäftsmodell – als die Flächenumwidmung, die Änderung der Bebauungsbe­stim­mungen, dass man Hochhäuser errichten kann. Der Bauspekulant vom Heumarkt hat einen gültigen Baubescheid in Händen und damit wachelt er bei jeder Konferenz.

Wie funktioniert so ein Geschäftsmodell der Bauspekulanten? – Nehmen wir das Beispiel Heumarkt: 50 000 Quadratmeter brutto Geschoßfläche kann man dort in einem Hochhaus errichten, der heutige Preis ist 15 000 Euro pro Quadratmeter in diesem historischen Zentrum Wiens. Die Baukosten betragen in etwa – das ist aber schon sehr hoch geschätzt – 5 000 Euro pro Quadratmeter für die Errichtung dieses Hochhauses. Das sind insgesamt 10 000 mal 50 000, also 500 Millionen Euro Gewinn nur aufgrund der Flächenumwidmung. – Das ist das Geschäftsmodell dieser Bau­spekulanten.

Wie dieses Modell hinter den Kulissen tatsächlich funktioniert, wird derzeit gerade in einem U-Ausschuss im Wiener Rathaus geklärt, der dank der FPÖ eingesetzt wurde. Ganz groß im Mittelpunkt sind Mandatare der Grünen, die Verantwortung nicht tragen können, die rücksichtslos hinsichtlich der Wiener Stadtkultur, der Bausubstanz und noch rücksichtsloser hinsichtlich des Stadtbilds der Städte Österreichs und vor allem Wiens wirken.

Wir von der FPÖ fordern die Rücknahme der Abänderung der Bebauungsbe­stimmun­gen, die Wiederherstellung der ursprünglichen Version für den Heumarkt, die Revita­lisierung des Wiener Eislaufvereins und der abgerissenen Jugendstilbauten sowie die Aufklärung, wie in Wien Flächenumwidmungen zustande kommen. Wir wollen einen Blick hinter den Vorhang, hinter die Kulissen, hinter das Unter-den-Teppich-Kehren haben.

Allein im Herbst 2018 wurden 50 Gründerzeithäuser in wenigen Monaten einfach ab­gerissen. Kommen wir zu einem Beispiel! Der Rückblick ist immer ein guter Ausblick und ein Blick in die Zukunft, denn wir Wiener werden keinesfalls vergessen, was da permanent passiert. Kommen wir zum Haus Rothschild – eine jüdische Bankiers­familie, ein Philanthrop, Mäzen und Kunstliebhaber Österreichs aus der Belle Époque!

Der großartige Historiker Roman Sandgruber hat darüber ein Buch verfasst – 2019 wurde es zum Wissenschaftsbuch des Jahres gekürt; der wertvollste Preis überhaupt –, er schreibt von der Chronologie der Auslöschung, wie er es selber nennt. In den Sech­zigerjahren wurde das Palais Rothschild in der Prinz-Eugen-Straße abgerissen, heute steht dort die Arbeiterkammer. Ein Palais unweit davon in der There­sianum­gasse, Palais Rothschild, wurde auch abgerissen, heute steht dort ein ÖGB-Haus. Ein Rothschild-Spital am Währinger Gürtel wurde abgerissen, und der Rothschild’sche Nordbahnhof wurde gleichfalls in den Sechzigerjahren abgerissen. Die Rothschilds wurden damit ausgelöscht; das, was das NS-Regime nicht geschafft hat, haben Wiens Rathaus­sozialisten erledigt.

Der Nordbahnhof wurde auch als Filmkulisse verwendet. Er war der schönste Bahnhof, mit wunderbaren Fresken versehen, und wurde einfach gesprengt und abgerissen. Von Ästhetik hat diese rot-grüne Wiener Stadtverwaltung noch nie etwas gehört und hat auch niemals bildungspolitische Interessen gezeigt. (Bundesrat Schennach: Und das Maria-Theresien-Schlössel?)

Was schreibt Andreas Unterberger, bei der Tageszeitung „Die Presse“ ein Redak­tionskollege des legendären Vaters des jetzigen Beschuldigten – es wird sich zeigen, was da herauskommt – Chorherr, Thomas Chorherr, über den Heumarkt? – „Sie wollen uns schon wieder betrügen“. Ich zitiere: „Aber dennoch sind die Verbrechen an der Bausubstanz Wiens noch viel schlimmer, weil sie praktisch irreversibel sind. Und weil sie nicht nur mit Unfähigkeit der Stadtregierung zu begründen sind, sondern mit etwas


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viel Üblerem. Können doch derzeit Spekulanten an nichts so viel verdienen wie an Bau­projekten in zentralen städtischen Lagen“; Beispiel Heumarkt, das historische Zentrum Wiens.

Allein am Beispiel meiner Nachfolgeredner, die von allen Fraktionen kommen, von der ÖVP, von den Grünen und Roten zeigt sich, wie weit diese Flächenumwidmungsmafia bereits unsere Politik und die Politiker infiltriert hat. (Bundesrat Beer: Ungeheuerlich!) Wir von der FPÖ wollen dagegenhalten. Holen wir uns unser historisch-kulturelles Wien zurück! Nein zum Heumarkt und Sistierung der erteilten Baubewilligung! – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

12.01


Vizepräsident Michael Wanner: Danke schön.

Zur Geschäftsbehandlung hat sich Frau Klubvorsitzende Monika Mühlwerth gemel­det. – Bitte.

*****


12.01.47

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien) (zur Geschäftsbehandlung): Herr Prä­sident! Ich muss dies deshalb tun, weil wir ja heute eine Dringliche Anfrage eingebracht haben.

Es gibt seit den Morgenstunden die unterschiedlichsten Erklärungen dazu, ob der Minister kommt oder nicht. Die Erklärungen, die wir von der ÖVP bekommen haben, sind auch einander widersprechend. Wir hoffen jetzt, dass er kommt, aber wir wissen immer noch nicht definitiv, ob es so sein wird.

Wir wissen natürlich, dass wir uns jetzt in einer Krise befinden, und wir haben nor­malerweise jedes Verständnis dafür, dass es in einer Krise besondere Erfordernisse gibt. Auf der anderen Seite muss man aber schon auch bedenken: Das hat ja gerade erst begonnen. Was machen wir denn, wenn sich das allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz noch mehr ausweitet? – Dann ist das Parlament handlungsunfähig. Dann gibt es überhaupt keine Erklärungen. Wir können nichts mehr fragen, bekommen keine Ant­worten mehr. Also das lässt dann schon fast Erinnerungen an 1933 wach werden. (Zwischenrufe bei ÖVP und Grünen. – Bundesrat Rösch: Na, ganz unrecht hat sie nicht!) – Ja, da hat sich das Parlament selbst ausgeschaltet. Wir müssen schon auf­passen, dass wir uns nicht so behindern, dass das einer Selbstaufgabe gleichkommt, zumal ja der Herr Innenminister einen Generalsekretär hat, der alle Agenden wahr­nehmen kann. Die einzige Ausnahme ist, sich dem Parlament und der Beantwortung von Fragen zu stellen.

Gerade in Zeiten wie diesen mit dem Coronavirus, mit dem ja jetzt auch schon Flücht­linge oder Migranten infiziert sind, die sich noch in Griechenland befinden, wissen wir erstens nicht, wer sich da trotzdem illegal über die Grenzen schleichen kann. Zweitens ist das eine weitere Bedrohung, zusätzlich zu der schon vorhandenen, und daher ist es aus sicherheitspolitischen Gründen ganz wichtig, dass da auch die Bevölkerung informiert wird. Sie hat ein Recht darauf, auch zu diesen Fragen informiert zu werden, weil der Schutz der Staatsgrenzen wirklich exorbitant wichtig ist.

Wir haben diese Dringliche Anfrage ja gestern schon bekannt gemacht. Das heißt, der Innenminister wusste, dass wir diese Dringliche Anfrage stellen. Die Hauptlast liegt bei dieser ganzen Krise ja wohl mehr auf den Schultern des Gesundheitsministers und weniger auf denen des Innenministers. Daher wünschen wir uns, dass der Herr Innenminister wenigstens kommt, um die Fragen zu beantworten. Wir kommen ihm da


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entgegen und sagen: Ja, wir verstehen, dass Sie jetzt nicht 2 Stunden hier sitzen und sich die ganze Debatte anhören können. Wir erwarten aber schon, dass wenigstens die Fragen beantwortet werden. Ich hoffe wirklich, dass unser Appell fruchtet und der Herr Innenminister auch tatsächlich kommt. (Beifall bei der FPÖ.)

12.04


Vizepräsident Michael Wanner: Es gibt eine weitere Wortmeldung zur Geschäfts­behandlung von Herrn Klubvorsitzenden Bader. – Bitte.


12.04.58

Bundesrat Karl Bader (ÖVP, Niederösterreich) (zur Geschäftsbehandlung): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei aller Wertschätzung auf der persönlichen Ebene, liebe Frau Kollegin Mühlwerth, ist das, was du von dir gege­ben hast, eine Ungeheuerlichkeit: den Vergleich mit dem Jahr 1933 hier in diesem Hohen Haus vorzunehmen. Das ist unanständig, und das ist wirklich unerträglich. – Das ist einmal der eine Punkt. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Der zweite Punkt in dieser Angelegenheit ist: Wir sind natürlich in einer ganz beson­deren Situation, und daher ist es legitim, dass man auch Gespräche abseits der Ple­nardiskussion führt. Diese Gespräche habe ich mit dir geführt und dich gefragt, ob es wirklich notwendig ist, diese Dringliche Anfrage heute zu stellen. Dazu werden wir aber in der inhaltlichen Diskussion noch kommen.

Zum Dritten: Selbstverständlich wird der Herr Innenminister kommen und seine Ant­worten geben. Im Anschluss an die Beantwortung der Fragen aus der Dringlichen An­frage wird er sich aber entschuldigen und bei der Debatte keinesfalls dabeibleiben. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

12.06

*****


Vizepräsident Michael Wanner: Darf ich fragen, Kollege Schennach: zur Geschäfts­behandlung, tatsächliche Berichtigung oder zum vorhergehenden Thema? Zur Ge­schäfts­behandlung? – Nein. Gut. 

Die weitere Vorgehensweise wurde ja hier und auch mit den Klubvorsitzenden fest­gelegt. Um 14 Uhr, sollte unterbrochen werden, geht es weiter mit der Dringlichen Anfrage. Dann geht es ganz normal gemäß der Geschäftsordnung weiter. Ist der Herr Minister da, beantwortet er die Fragen. Ist er nicht da, gäbe es weitere Möglichkeiten, und die Geschäftsordnung greift da voll. – Das dazu.

Jetzt eine tatsächliche Berichtigung von Bundesrat Schennach. – Bitte.


12.06.52

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Ich möchte nur den Erstredner mit seiner selektiven Wahrnehmung, dass alles von der Familie Rothschild in Wien zerstört ist, kurz berichtigen. – Das ist falsch. Das wissen Sie auch.

Die Stiftung Maria-Theresien-Schlössel in der Hofzeile im 19. Bezirk existiert und wurde jetzt vom früheren Botschafter Lauder in eine School of Economics umgewandelt.

Zweitens: Der älteste Fußballverein Österreichs trägt einen englischen Namen: First Vienna Football-Club, Kurzform Vienna. Dazu wurde von Herrn Rothschild das soge­nannte Viennastadion im 19. Bezirk initiiert. Das existiert voll, nicht mehr in der Größe wie seinerzeit bei der Aida-Aufführung, als nahezu 100 000 Menschen in dem einzigen Naturstadion inmitten Europas waren, aber immerhin: Das funktioniert, es ist nicht alles


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ausgelöscht, und der First Vienna Football-Club, der von den Gärtnern der Familie Rothschild gegründet worden ist, existiert nach wie vor. (Beifall bei der SPÖ. – Bun­desrat Steiner: Dann sind noch zwei Sachen übrig! Super!)

12.08


Vizepräsident Michael Wanner: Wir gehen in der Rednerliste weiter.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler. Ich erteile ihr das Wort.


12.08.17

Bundesrätin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP, Salzburg): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Es ist sehr schwierig, aus der einen Debatte wieder in die andere Debatte zu kommen. Es geht jetzt um den Entschließungsantrag betreffend „staatsvertragliche Verpflichtung des Bundes für das Weltkulturerbe ,historisches Zentrum der Stadt Wien‘“, der von der FPÖ eingebracht wurde und den wir am 10.3. im Bundesratsausschuss für Tourismus, Kunst und Kultur auf der Tagesordnung hatten. Kollege Pisec hat das ja schon sehr ausführlich ausgeführt.

Ich bin keine Wienerin. Das habe ich auch schon im Ausschuss gesagt. Ich werde mich auch nicht in den Wiener Vorwahlkampf einmischen. Ich möchte nur kurz erklären, warum meine Fraktion diesem Antrag nicht zustimmen kann. Dieser Antrag bezieht sich auf das geplante Hochhausprojekt am Heumarkt. Wir haben im Ausschuss auch gehört: Dieses Projekt soll ein Bauvolumen von 360 Millionen Euro haben, und 5 000 Arbeitsplätze sind dort geplant. Das wissen aber meine Kolleginnen und Kollegen aus Wien besser. Da werden Kollege Kaske und Kollege Schreuder dann sicherlich noch einiges ausführen.

Im vorliegenden Fall – was uns schon sehr stört – geht es nun um die Aufforderung an die Bundesregierung, der Wiener Landesregierung und dem Wiener Landeshauptmann umgehend eine Weisung zu erteilen, wonach der Weltkulturerbestatus der Wiener Innenstadt nicht gefährdet werden dürfe. – Schön und gut, aber das kann man doch als föderale Kammer nicht gutheißen, dass wir, der Bundesrat als Länderkammer, bei unterschiedlichen Meinungen Weisungen des Bundes an die Landesregierung verlangen. – Das ist der erste Punkt, warum wir nicht zustimmen können.

Der zweite Punkt: Der Inhalt dieses Antrages ist unserer Meinung nach auch deshalb gegenstandslos, weil es ja in Wien seit zwei Jahren intensivste Besprechungen und Dialoge mit der Bundesregierung, mit dem Bundeskanzleramt, weiteren zuständigen Stellen wie dem Welterbekomitee und Projektbetreiber Tojner gibt. Es gibt also eine offene Gesprächsbasis zwischen Unesco, Stadt Wien, BKA et cetera. Auch ist mittler­weile bekannt, dass der Projektbetreiber bereit ist, seine ursprünglichen Pläne zuguns­ten des Weltkulturerbestatus zu ändern.

Daher gibt es von unserer Fraktion und meines Wissens auch von den Grünen und von der SPÖ keine Zustimmung zum Antrag. Das habe ich auch im Ausschuss so ange­führt. Es gab daher einen negativen Ausschussbericht, und wir werden dem negativen Ausschussbericht natürlich zustimmen. (Beifall bei der ÖVP sowie der BundesrätInnen Schumann und Schreuder.)

12.11


Vizepräsident Michael Wanner: Danke schön.

Als Nächster gelangt Bundesrat Rudolf Kaske zu Wort. Ich erteile es ihm.



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12.11.13

Bundesrat Rudolf Kaske (SPÖ, Wien): Sehr geschätzter Herr Präsident! Geschätzte Mitglieder des Bundesrates! Meine sehr geehrten Damen und Herren, die via Live­stream dabei sind! Vorweg möchte ich mir eine Bemerkung erlauben: Ich finde es schade, dass die Kulturstaatssekretärin nicht den Weg zu uns gefunden hat. Ich weiß, das Coronavirus hat auch die Kultur erwischt, aber ich glaube, das kann nicht das einzige Thema sein.

Meine Damen und Herren, ich bin zwar noch nicht so lange Mitglied des Bundesrates, habe aber in dieser kurzen Zeit einiges erlebt. Heute setzen die freiheitlichen Kolle­ginnen und Kollegen aus meiner Sicht wieder einmal eins drauf. Kollege Pisec hat schon damit begonnen, indem er hier von einer „Flächenumwidmungsmafia“ gesprochen hat – das finde ich höchst eigenartig –, und der Entschließungsantrag der FPÖ betreffend Erhalt und Schutz des Unesco-Weltkulturerbestatus ist einer der Anträge, die aus meiner Sicht zumindest an Unglaublichkeit nicht zu überbieten sind, meine Damen und Herren. (Vizepräsidentin Eder-Gitschthaler übernimmt den Vorsitz.)

Da verlangen allen Ernstes FPÖ-Ländervertreter im Bundesrat eine Kontrolle der Bundesregierung über ein Bundesland – das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen! Meine Damen und Herren von der FPÖ, wie Sie eigentlich wissen sollten, sind das Leben und die politische Arbeit kein Wunschkonzert. Ich darf Ihnen auch mitgeben, dass die FPÖ nicht die politische Polizei in unserer Republik ist, die alles kontrollieren kann. (Bundesrat Steiner: Das macht eh ihr!) Natürlich ist mir be­wusst, dass Sie anlässlich des Wiener Wahlkampfes wegen Ihrer schwindenden Wahlchancen in Wien das SPÖ-Bashing verstärken wollen. Ihr Entschließungsantrag, das muss ich ganz offen sagen, würde mich ja fast amüsieren, wäre die Unesco-Geschichte nicht so eine ernste Angelegenheit. (Bundesrat Steiner: Dann nehmt sie ernst!) – Mann der Berge, zuhören! (Allgemeine Heiterkeit.)

Außerdem würde ich mir gerne anschauen, ob sie als Partei zum Beispiel betreffend die Landesregierung in Oberösterreich auch nach einem Kontrollauftrag der Bundes­regierung rufen würden. Natürlich verstehe ich, dass es wohl in Ihrer blauen Seele schmerzt, dass Wien eine der lebenswertesten Metropolen weltweit ist (Beifall bei der SPÖ sowie der BundesrätInnen Zwazl und Schreuder), und dafür eine sozialde­mo­kratisch geführte Landesregierung die Verantwortung trägt. (Bundesrat Steiner: Trotz!)

Ich will mich aber nicht auf das Niveau Ihres Entschließungsantrages begeben bezie­hungsweise abgleiten. (Bundesrat Steiner: Sie sind eh schon darunter!) Ich möchte hier einige Fakten darlegen. Erstens: Da es sich um eine Flächenwidmung der Stadt handelt, ist eine Weisung der Bundesregierung aus meiner Sicht nicht möglich. Wäre sie möglich, dann wäre die Bundesregierung schon tätig geworden; davon gehe ich aus, das glaube ich ganz sicher. (Bundesrätin Mühlwerth: Na ja, darauf würde ich nicht wetten!)

Zweitens: Sie können davon ausgehen, dass die Stadt Wien in der Sache Heumarkt beziehungsweise Weltkulturerbe einen sehr engen Kontakt zu Unesco und Icomos in Paris pflegt. Icomos ist übrigens ein internationaler Denkmalbeirat, der aus Architekten besteht; das ist ein Welterbebeirat, der die Unesco berät.

Drittens, meine Damen und Herren, vor allem aus den anderen Bundesländern, würde ich Ihnen empfehlen: Nehmen Sie sich einmal Zeit und schauen Sie sich den Heumarkt an! Ich sage Ihnen, das ist ein Teil Wiens, der unbedingt saniert gehört.

Viertens, falls es Ihnen entgangen ist: Das Projekt wurde bereits 2017 beschlossen, Stichwort Flächenwidmungsplan. Gleichzeitig wurde, fünftens, mit dem Investor ein städtebaulicher Vertrag abgeschlossen, der einen öffentlichen Nutzen produziert.


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Dazu sechstens: Der Weiterbestand des Wiener Eislaufvereins mit einer Fläche von 6 000 Quadratmetern wird durch diesen städtebaulichen Vertrag für die nächsten 100 Jahre gesichert, inklusive unterirdischer Trainingsmöglichkeiten für Vereine. (Bun­desrat Pisec: Er hatte mal 9 000 Quadratmeter! Bevor Baumann ... gesprengt worden ist, hatte er 9 000 Quadratmeter!)

Siebtens: Die Konferenzräumlichkeiten beziehungsweise Flächen im Hotel Interconti­nental werden von 1 500 Quadratmetern auf 7 000 Quadratmeter erweitert. (Bundesrat Pisec: 200 Millionen Profit, super Geschäft!) Das freut mich auch als Touristiker, denn das stärkt natürlich den Konferenzstandort Wien.

Achtens, und das ist wohl einer der entscheidenden Punkte: Es gibt, und das dürfte Ihnen anscheinend entgangen sein, einen Plan B, ohne Turm – weil Sie sich immer auf den Turm kaprizieren, der seinerzeit angedacht war. Es gibt, wie gesagt, einen Plan B, der Kultur – Stichwort Konzerthaus –, Sport – Stichwort Eislaufverein – und Hotel – Stichwort Tourismus – vereint. Dieses modifizierte Konzept wird bis Anfang Juli dieses Jahres in Paris endverhandelt. Ich gehe davon aus, dass aufgrund dieser veränderten Bedingungen Wien von der sogenannten Roten Liste der Unesco gestrichen wird.

Neuntens – schon zum Schluss kommend – darf ich bemerken, dass Ihnen, geschätz­ter Kollege Pisec, und wahrscheinlich auch manch anderen von der FPÖ das wirt­schaftliche Einmaleins ein wenig fremd sein dürfte. (Bundesrat Steiner – erheitert –: Und das von einem Sozi!) Das Projekt Heumarkt bewirkt, wie Kollegin Gitschthaler schon angesprochen hat, eine Wertschöpfung von 360 Millionen Euro (Bundesrätin Steiner-Wieser: Er arbeitet in der Wirtschaft, der Kollege Pisec!) und sichert durch den Bau und die Nachfolgenutzung insgesamt bis zu 5 000 Arbeitsplätze. Dies, meine Damen und Herren von der FPÖ, negieren Sie bewusst. Verzeihen Sie mir, ich sehe es ja an Ihren Reaktionen jetzt wieder, bei mir entsteht der Eindruck, dass Ihnen die Wirtschaftswelt mehr als fremd ist (Bundesrätin Mühlwerth: Das sagen ausgerechnet Sie! – Bundesrat Steiner: Ein ganzes Leben im geschützten Bereich, und er redet über Wirtschaft!), sonst würden Sie nicht so einen eigenartigen Entschließungsantrag einbringen. (Beifall bei der SPÖ. – Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Steiner.)

Meine Damen und Herren, aus den genannten Gründen darf ich Ihnen mitteilen, dass wir als sozialdemokratische Fraktion diesen rechtlich problematischen Entschließungs­antrag ablehnen. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundes­rates Schreuder.)

12.19


Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Marco Schreuder. – Ich erteile es Ihnen, Herr Bundesrat.


12.19.46

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin­nen und Kollegen! Ich habe immer das Pech, am Schluss zu reden, wenn alles schon gesagt worden ist. Ich kann mich den Ausführungen meines Kollegen Kaske, aber auch jenen der Frau Präsidentin vollinhaltlich anschließen.

Dieser Antrag – ich muss jetzt wirklich aufpassen, dass ich nicht ein Wort verwende, das mir einen Ordnungsruf einbringen würde – ist so abstrus, ich habe selten so etwas gehört. Ich meine, wenn wir jetzt anfangen würden, im Bundesrat immer dort, wo wir in einem Bundesland in der Opposition sind – irgendeine Partei ist immer irgendwo in der Opposition –, Anträge – nämlich über den Bundesrat – zu stellen, dass die Bun­desregierung immer dort eingreifen soll, wo es einem nicht passt, na dann hätten wir hier viele Entschließungsanträge abzustimmen. Es wäre, glaube ich, wirklich eine absurde Vorstellung, dass der Bundesrat laufend nur noch über Entschließungsanträge


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abstimmt; da könnten wir hier Hunderte pro Sitzung haben. Ich glaube, das sollten wir nicht zulassen, dass das im Bundesrat ein übliches Instrumentarium wird.

Zum Inhalt: Es ist überhaupt keine Frage, dass das kulturelle Erbe in Wien ein wichtiges Faktum ist – für uns alle, für die Bevölkerung, die allerdings, nebenbei bemerkt, auch nicht in einem Museum leben und zum Beispiel auch eislaufen will. Es war eines der ganz wichtigen Elemente im Zusammenhang mit dem Heumarkt – und das ist ja Privatbesitz, das muss man schon auch dazusagen; dieses Grundstück gehört ja nicht der Stadt Wien –, dass dort in langen, langen, langen Verhandlungen der Eislaufverein gerettet werden konnte, damit Wienerinnen und Wiener weiterhin eis­laufen können. Das wäre nämlich sonst nicht möglich gewesen. (Bundesrat Pisec: Das mach’ ich mir aus, bevor ich was verhandle!)

So, und dann muss man sagen – das sei auch nochmals erwähnt; ich würde auch empfehlen, dort jetzt einmal hinzuschauen –: Kulturelles Erbe ist das Gelände jetzt auch nicht. Das ist, glaube ich, einer der schiachsten Flecken der Innenstadt. Das muss man auch einmal dazusagen. (Bundesrat Pisec: ... Stephansplatz!)

Man sollte aber auch ganz deutlich sagen, dass es einen langen Prozess mit einem Wettbewerb gab. Da haben wir mit der Architektenkammer zusammengearbeitet, das war ein öffentliches Verfahren, da konnte sich jede und jeder seit Jahren einbringen. Ich war oft dort, aber ich habe nie gesehen, dass sich Kollege Pisec da eingebracht hätte, sich da vorab eingebracht hätte. (Bundesrat Pisec: Ich red’ mit Bauspekulanten nicht!) Ihn habe ich erst jetzt im Nachhinein kennengelernt, als er mit einem abstrusen Antrag hier in den Bundesrat gekommen ist.

Übrigens: Ich habe Sie zum Beispiel auch nie am Jüdischen Friedhof, um dessen Rettung ich seit Jahren kämpfe, gesehen. Das interessiert Sie alles nicht, Sie wollen einfach nur politisches Kleingeld für den Wahlkampf machen. (Bundesrätin Steiner-Wieser: A geh, so ein Schmarrn!) Mit einer wirklichen politischen Haltung und einem wirklichem Interesse am kulturellen Erbe hat das überhaupt nichts zu tun. (Bundesrat Pisec: Mit Bauspekulanten soll man gar nicht reden!)

Fakt ist auch, dass der Präsident des Wiener Landtages, Ernst Woller, seit zwei Jahren in regem Dialog mit der Bundesregierung steht, in regem Dialog mit der Unesco steht, und in regem Dialog mit Icomos Austria und dem Welterbekomitee steht, damit wir zu einer Lösung kommen. Ja, es gab eine Diskussion, ja, die Stadt Wien ist lebendig genug, um zu sagen: Wir arbeiten weiter daran, wir hören zu! Es ist nach wie vor ein interessanter politischer Prozess, aber für so einen Antrag habe ich wirklich kein Verständnis. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ. – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

12.23


Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Andrea Kahofer. – Ich erteile es Ihnen, Frau Bundesrätin.


12.23.38

Bundesrätin Andrea Kahofer (SPÖ, Niederösterreich): Hohes Präsidium! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ja, ich kann mich dem Vorredner anschließen: „abstrus“, paradox. Es ist meiner Meinung nach absolut paradox: Vertreter einer Länderkammer fordern eine Weisung des Bundes an einen Landtag, an einen Landeshauptmann. – Das stellt ja das System komplett auf den Kopf, das ist absolut paradox! Sich dann als Länderkammervertreter zu sehen, das ist mehr als paradox. (Bundesrat Pisec: Die Elite! Die politische Elite! ... Establishment! Die Herrschaften!)

Ich finde das Gleiche wie der Vorredner erstaunlich: Seit Jahren - - (Bundesrat Pisec: Die Wiener Herrschaften!) – Mit dem Zuhören tun Sie sich ein bissl schwer, Herr Kol-


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lege, gell? (Bundesrat Pisec: Ich mache keinen Hofknicks!) Das nutzt aber auch nix, deshalb wird es auch nicht besser. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Pisec: Die Herr­schaften! Die politische Elite! – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Erstaunlich ist es wirklich – wie der Kollege gesagt hat –: Ihr wart vor noch nicht allzu langer Zeit in der Regierung. Da habt ihr keine Weisung gemacht – vielleicht weil ihr gewusst habt, dass das rechtlich äußerst kritisch ist. Jetzt ist es leicht, groß zu reden und die anderen vorzuschicken. Ihr habt alle Möglichkeiten gehabt, euch einzubringen. Warum hat es keiner gemacht? – Weil ihr genau wisst, wie paradox und abstrus (die rechte Hand neben das Gesicht hebend und eine Bewegung in Richtung Saalmitte ausführend) das ist. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Aber das Zeichen geht gar nicht!) – Welches Zeichen? (Die BundesrätInnen Mühlwerth und Steiner – die entsprechende Geste ausführend –: Das Zeichen geht gar nicht!) – Ich habe es so gemacht (die Geste wiederholend), ich habe es so gemacht. So, genau! (Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Seid froh, dass es einem Landeshauptmann, einer Regierung gelungen ist, einen Investor zu finden, der sich bereit erklärt, das, was für die Wienerinnen und Wiener, und das, was für die Besucher Wiens wichtig ist, zu erhalten, zu verbessern, neu zu gestalten! (Bundesrat Pisec: Für 3 Millionen Cash in der Tasche! Für 300 Millionen Cash! – Bundesrat Steiner – erheitert –: ... Das ist lustig!) Das ist nämlich eine Leis­tung, und ich glaube nicht, dass irgendjemand dem Landeshauptmann oder dem Land­tagspräsidenten erklären muss, wie wichtig das Unesco-Weltkulturerbe ist. (Bundesrat Steiner: Fasching ist schon vorbei!) Die kennen das schon lange und wissen das schon lange viel besser. (Bundesrat Steiner: Wien ist auf der Roten Liste!)

Aber: Ein Schelm, wer denkt, dass das reiner Populismus vor der Wienwahl ist! (Bun­desrätin Schumann: FPÖ! Strache!) Genau daran liegt es nämlich bei euch: Es geht nicht um die Sache, es geht um reinen Populismus, es geht rein darum, Wienbashing zu betreiben. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Pisec: Vox populi – die Stimme des Volkes! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Was mich jetzt interessiert: Das finde ich eigentlich sehr schön, dass sich die FPÖ plötzlich ganz große Gedanken darüber macht, dass Wien jetzt auf die Rote Liste der Unesco kommen könnte. (Bundesrätin Mühlwerth: Nicht erst seit heute, seit Jahren! Seit Jahren!) Die FPÖ hat sich aber 2010 keine Gedanken darüber gemacht, dass Österreich aufgrund eurer Regierungsbeteiligung auf der Schwarzen Liste war. – Danke. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

12.26


Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Bernd Saurer. – Ich erteile es Ihnen, Herr Bundesrat. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Jetzt gibt er ihnen Saures, der Saurer!)


12.26.52

Bundesrat Mag. Bernd Saurer (FPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Geschätzte Kolle­ginnen und Kollegen! (Rufe und Gegenrufe zwischen den BundesrätInnen Schumann und Rösch.)  Die Wogen sind bei diesem Sachthema etwas hochgegangen, was in mir das Gefühl erwachsen lässt, jemand fühlt sich da auf frischer Tat – bei welcher auch immer – ertappt. (Beifall bei der FPÖ.) Ich habe mich abschließend zu Wort gemeldet, um nüchtern auf die Chronologie des Heumarktprojekts sowie auf den einen oder anderen Vorredner einzugehen.

Zur Chronologie: Mit zunächst 73 Metern Höhe veranschlagt, haben die ersten Pro­teste dazu geführt, die Turmhöhe zumindest einmal auf 66 Meter zu redimensionieren. Das war natürlich noch immer zu hoch, deswegen gab es Bürgerpetitionen – der Erst-


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redner hat es schon angesprochen –, Bürgerversammlungen und selbst einen Mehr­heitsentscheid der grünen Basis gegen das Hochhausprojekt; aber all das wurde miss­achtet.

Im Frühjahr 2019 wurde endlich reagiert. Die rot-grüne Stadtregierung hat das Projekt für zwei Jahre auf Eis gelegt. Diese Redewendung wurde leider zu ernst genommen, denn sobald das Eis in der Frühlingssonne geschmolzen war, nahm das Projekt wieder Fahrt auf. Die Forderung der Unesco, die, wie bereits erwähnt, der Wiener Innenstadt den Weltkulturerbestatus abzuerkennen droht, ist da eindeutig: eine maximale Ober­grenze von 43 Metern Höhe. Als Vergleich: Das ist in etwa die jetzige Bauhöhe des Hotel Intercontinental.

Die lapidare Gegenposition des Wiener Landtagspräsidenten Woller – er wurde von Kollegen Schreuder auch schon genannt – sowie des SPÖ-Planungssprechers Al-Rawi war einfach die Antwort: Das ist lächerlich! Begründet wird diese Lächerlichkeit damit, dass zum einen die Beschränkung auf 43 Meter lediglich von der österreichischen Unesco-Kommission, die aber in dem internationalen Beratungsgremium so und so kein Entscheidungsrecht hat, genannt wird – dem widerspricht naturgemäß die öster­reichische Unesco-Kommission –, und zum anderen damit, dass ein Rechtsanspruch seitens des Bauwerbers besteht; dagegen könnte man nichts machen.

Das bedeutet jetzt also im Klartext: Die Gemeinde Wien verpflichtet sich gegenüber Immobilieninvestoren, um dann bei Protesten oder Gegenwind argumentieren zu kön­nen: Jetzt können wir leider nichts mehr machen, aber wir verhandeln eh! Es wird also eine Beruhigungsphase eingeleitet.

Wenn Rot-Grün in Wien das Weltkulturerbe sowie auch Bürgerinitiativen ernst nimmt, kann dabei noch nicht das letzte Wort gesprochen sein. Der Antrag zielt jetzt darauf ab, dass letztendlich auch die Bundesregierung in die Pflicht genommen wird. (Beifall bei der FPÖ.)

12.29

12.29.46


Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Da der Ausschuss für Tourismus, Kunst und Kultur des Bundesrates mit Stimmen­mehrheit beschlossen hat, dem Antrag keine Zustimmung zu erteilen, ersuche ich jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag auf Annahme des gegenständlichen Antrages keine Zustimmung erteilen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmen­mehrheit. Der Antrag auf Nichtannahme des gegenständlichen Antrages ist somit angenommen.

12.30.335. Punkt

Wahl von Mitgliedern und Ersatzmitgliedern des Ständigen gemeinsamen Aus­schusses des Nationalrates und des Bundesrates im Sinne des § 9 des Finanz-Verfassungsgesetzes 1948


Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Wir gelangen nun zum 5. Punkt der Tagesordnung.

Nach der Geschäftsordnung dieses Ausschusses sind die Mitglieder und Ersatz­mit­glieder vom Bundesrat direkt zu wählen, wobei sowohl bei den Mitgliedern als auch bei den Ersatzmitgliedern jedes Bundesland vertreten sein muss.


BundesratStenographisches Protokoll902. Sitzung, 902. Sitzung des Bundesrates am 12. März 2020 / Seite 65

Es liegen mir folgende Nominierungen der Fraktionen vor:

Als Mitglieder werden von der SPÖ Bundesrätin Mag.a Sandra Gerdenitsch (Burgen­land) und von den Grünen Bundesrat Andreas Lackner (Steiermark) vorgeschlagen.

Als Ersatzmitglieder werden von der ÖVP Bundesrat Bernhard Hirczy (Burgenland), von der SPÖ Bundesrat Günter Kovacs (Burgenland) und von den Grünen Bun­des­rätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Oberösterreich) vorgeschlagen.

Sofern sich kein Einwand erhebt, werde ich die Abstimmung über diese Wahlvor­schläge durch Handzeichen vornehmen lassen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem vorliegenden Wahlvorschlag ihre Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit.

Die genannten Mitglieder und Ersatzmitglieder sind somit mit Stimmeneinhelligkeit gewählt.

Ich gratuliere sehr herzlich. (Allgemeiner Beifall.)

Die Tagesordnung ist erschöpft.

Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr zur Durchführung der Dringlichen Anfrage.

12.32.28*****

(Die Sitzung wird um 12.32 Uhr unterbrochen und um 14.02 Uhr wieder aufge­nom­men.)

*****


Präsident Robert Seeber (den Vorsitz übernehmend): Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf.

Sehr geehrter Herr Minister Nehammer, herzlich willkommen im Hohen Haus! (Allge­meiner Beifall.)

14.02.52Dringliche Anfrage

der BundesrätInnen Markus Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen an den Bun­desminister für Inneres betreffend „restriktiver Schutz unserer Staatsgrenze an­statt Willkommenskultur“ (3739/J-BR/2020)


Präsident Robert Seeber: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über die Dringliche Anfrage der Bundesräte Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen an den Herrn Bundes­minister für Inneres.

Da die Dringliche Anfrage inzwischen allen Mitgliedern des Bundesrates zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch die Schriftführung.

Ich erteile Herrn Bundesrat Leinfellner als erstem Fragesteller zur Begründung der Anfrage das Wort.


14.03.23

Bundesrat Markus Leinfellner (FPÖ, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzter Herr Bundesminister! Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuhörer zu Hause vor den Bildschirmen! Vor zwei Wochen verlautbarte der türkische Präsident Erdoğan, die Grenzen für Migranten aus aller Herren Länder in Richtung EU zu öffnen. Wir


BundesratStenographisches Protokoll902. Sitzung, 902. Sitzung des Bundesrates am 12. März 2020 / Seite 66

haben die Tore geöffnet!, war die Botschaft des Präsidenten in Richtung Tausender Personen, die nach Europa strömen wollen.

Griechische Behörden haben nach der türkischen Grenzöffnung innerhalb von zwei Tagen mehr als 24 200 versuchte illegale Grenzübertritte verzeichnet. Die Regierung in Athen verlautbarte, dass sie keine illegalen Grenzübertritte dulden werde und ordnete als Sofortmaßnahme die Aussetzung des Asylrechts an.

Am 5. März 2020 ließ der türkische Innenminister 1 000 Polizisten an die türkische Grenze abkommandieren, um ein Zurückströmen jener Migranten, die bereits die Türkei in Richtung EU verlassen hatten, aber nicht in Griechenland einreisen konnten, zu unterbinden. Darüber hinaus gab die Türkei bekannt, dass sie ihre Landesgrenzen zu Syrien für vermeintliche und tatsächliche Flüchtlinge öffnen werde, sodass diese rasch nach Europa kommen können. Um den Flüchtlingen die Reise nach Europa zu erleichtern, sollen türkische Militärfahrzeuge versucht haben, den EU-Grenzzaun zu Griechenland niederzureißen. Das behaupten einerseits die griechischen Behörden, andererseits veröffentlichten sie aber auch ein Beweisvideo dazu.

Selbst wenn den an den EU-Außengrenzen wartenden Migranten die Einreise in die EU nicht auf legalem Weg gelingt, besteht die Gefahr, dass Tausende Illegale auf Schlepperrouten in die EU einsickern. (Bundesrat Schennach: ... geschlossen?!) Darüber hinaus erscheint es fraglich, ob griechische Sicherheitskräfte dem immer größer wer­denden Druck der sich bewegenden Menschenmengen noch lange standhalten kön­nen.

Trotz dieser für Europa und Österreich äußerst prekären Situation vermag sich die türkis-grüne Bundesregierung nicht zu einer abgestimmten Position durchzuringen. Zu groß sind die ideologischen Unterschiede, zu groß sind die ideologischen Gräben in dieser Bundesregierung. Vizekanzler Werner Kogler und Justizministerin Alma Zadić wollen gerne freiwillig eine große Zahl weiterer Flüchtlinge in Österreich aufnehmen. (Bundesrat Schennach: ... auch!) Die ÖVP gibt vor, dass sie genau das nicht will.

Folgendes sei als Beispiel für die Zerrissenheit in dieser Bundesregierung genannt: Zwei Nationalratsabgeordnete der Grünen nahmen vor wenigen Tagen an einer De­monstration gegen die Flüchtlingspolitik des Bundeskanzlers Sebastian Kurz vor der ÖVP-Parteizentrale teil. Ich kann mich noch ganz gut an die Worte des Kollegen Christoph Steiner erinnern, der gesagt hat: Es wird nicht lange dauern, bis die Linken da draußen gegen die Linken da herinnen demonstrieren. – Ich sage: Es hat nicht einmal zwei Monate gedauert. Das Problem dabei ist aber, dass die Linken von hier herinnen mit den Linken von da draußen gemeinsam demonstriert haben! (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Steiner.)

Es wäre eigentlich schon fast witzig, wenn es nicht so traurig wäre: Die Regierungs­parteien demonstrieren gegen sich selbst. Die Fassade der ÖVP-Parteizentrale wird mit rohen Eiern beworfen, Ihre Exekutive, Herr Bundesminister, muss Ihre Partei­zen­trale vor Ihrem Koalitionspartner schützen – also das ist aus unserer Sicht wirklich sehr, sehr traurig. (Ruf bei der ÖVP: Zur Sache!) Ein Kundgebungsteilnehmer wurde wegen eines tätlichen Angriffs im Rahmen der Demonstration festgenommen, und die beiden grünen Abgeordneten waren mittendrin. (Ruf bei der FPÖ: Unglaublich!)

Zumindest in der Rhetorik sind vom Herrn Bundeskanzler und von Ihnen klare Worte zu vernehmen – es bleibt jedoch bei diesen Worten, denn Taten haben wir bis jetzt vergeblich gesucht. Wenn das Entsenden von rund 20 Polizisten alles ist, was die Sicherheits- und Europapartei ÖVP zustande bringt, dann ist das angesichts des bevorstehenden Migrantenansturms dieselbe Vogel-Strauß-Politik, wie wir sie bereits 2015 erleben mussten. Der jetzige Bundeskanzler Kurz war 2015 auch Mitglied der damaligen Chaosregierung, von der sich der Österreicher Schutz an unseren Grenzen


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gewünscht hätte. Sehr geehrter Herr Innenminister, ich selbst bin 2015 als Militär­poli­zist an der Grenze gestanden, ich habe die Chaoszustände in Nickelsdorf, in Spielfeld miterlebt, und ich möchte sie im Jahr 2020 nicht noch einmal miterleben. (Beifall bei der FPÖ.)

Sehr geehrter Herr Bundesminister, wenn Sie glauben, dass die Entsendung von 20 Polizisten dieses Problem lösen wird, dann muss ich Ihnen sagen, das ist nicht einmal ein laues Lüfterl! Das darf ich Ihnen hier an dieser Stelle ins Stammbuch schrei­ben. Dass es auch anders geht, hat der damalige SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil unter Beweis gestellt. Er war es, der im November 2016 rund 225 Sol­daten zum Einsatz an die EU-Außengrenze in den serbisch-ungarischen Grenzbereich verabschiedet hat – der Einsatz dauerte bis September 2017. Die Soldaten hatten überwiegend Pionieraufgaben zu erfüllen. Den Einsatz in Ungarn begründete Doskozil damit, dass man nicht nur Forderungen an die Europäische Union stellen könne, sondern auch handeln müsse. Genau dieses Handeln braucht es auch jetzt, und genau dieses Handeln wünschen wir uns von Ihnen, Herr Innenminister! (Beifall bei der FPÖ.)

Die Regierungen in Griechenland und Italien hingegen handeln. Beide Länder haben das Asylrecht temporär ausgesetzt und somit eine unmissverständliche politische Bot­schaft an das Schlepperwesen gesandt. Was hört man hingegen von der türkis-grünen Bundesregierung, was hört man von Ihnen, Herr Bundesminister? – Die Antwort ist einfach: Man hört gar nichts. Irgendwie befindet sich die gesamte Regierungs­mann­schaft bezüglich der Migrationsfrage auf Tauchstation.

Sehr geehrter Herr Bundesminister, ich sage Ihnen an dieser Stelle: Was in Italien und in Griechenland möglich ist, ist auch bei uns in Österreich möglich. Es braucht ein sofortiges Aussetzen des Asylrechts (Beifall bei der FPÖ) und keine einzige Aufnahme eines Asylanten, solange Tausende Migranten an der EU-Außengrenze stehen. (Bun­desrätin Mühlwerth: Richtig!)

Dass Sie und die gesamte türkis-grüne Bundesregierung beim Migrationsthema auf dem falschen Fuß erwischt worden sind, sieht man ja auch an einem anderen Beispiel: Vor wenigen Tagen soll eine geplante Grenzschutzübung von Bundesheer und Polizei­einheiten in Nickelsdorf im Burgenland vom Innenministerium abgesagt worden sein. Diese Absage ist Sinnbild für die Untätigkeit und genau das falsche Signal an die Schlepper und die eigene Bevölkerung. Genau solche Übungen braucht es heute, damit wir klipp und klar unseren Willen zum Schutz der eigenen Landesgrenzen sig­na­lisieren.

Geschätzter Herr Innenminister, auch wenn es vor Ihrer Zeit als Minister gewesen ist, so kann ich Ihnen sagen, dass unter Innenminister Herbert Kickl und Verteidigungs­minister Mario Kunasek im Juni 2018 in Spielfeld eine große Grenzschutzübung abge­halten wurde, bei der von Bundesheer, Polizeieinheiten und Behördenvertretern gemeinsam für das sogenannte Worst-Case-Szenario – einen Grenzsturm – geübt worden ist.

Ich frage Sie: War diese Übung in Ihren Augen wirklich so schlimm? Genau wie jeder Skifahrer, jeder Sportler üben muss, damit er seine Leistung abrufen kann, genauso müssen auch unsere Einsatzeinheiten üben, um für den Ernstfall gerüstet zu sein. Daher fordern wir Freiheitlichen auch die Abhaltung von Großübungen in allen grenz­nahen Bereichen, und ich hoffe, dass wir bei Ihnen in diesen Belangen auf Gehör stoßen können.

Da ich gerade von Spielfeld gesprochen habe: Derzeit stehen rund 160 Soldaten an der grünen Grenze und überwachen sie sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag. Diese Soldaten bekommen aber auch mit, was sich in Griechenland zusammenbraut und was auf sie zukommen könnte. Ich glaube, es gilt daher auch, an dieser Stelle


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einmal in Richtung dieser Soldaten, die tagtäglich einen großartigen Dienst für unsere Sicherheit leisten, Danke zu sagen. (Beifall bei der FPÖ sowie der BundesrätInnen Novak und Schumann.) Genau sie sind es, die im Ernstfall in der ersten Reihe für unsere Sicherheit stehen.

Was die Soldaten aber auch brauchen, sind nicht nur schöne Worte, sondern mehr Befugnisse, damit sie ihre Arbeit ordentlich erledigen können. Der rechtliche Rahmen würde es auf jeden Fall hergeben, es ist der Behördenauftrag aus Ihrem Innen­minis­terium, der sehr eng – und ja, ich sage: zu eng – gesteckt ist. Es ist Ihr Behör­den­auftrag, dass die gut ausgebildeten Soldaten im Assistenzeinsatz keine Personen­kon­trollen und keine Fahrzeugkontrollen durchführen dürfen. Ich glaube, gerade jetzt braucht es eine Anpassung an die Lebenssituation, an die Lebenswirklichkeit, wir müssen den Soldaten für ihre Fähigkeiten auch die notwendigen rechtlichen Rahmen­bedingungen zugestehen.

Dass unsere türkis-grüne Bundesregierung in der Frage der aktuellen Flüchtlingskrise keine gemeinsame Sprache spricht, kann für sämtliche Grenzorte verheerende Aus­wirkungen haben. Der Bevölkerung sind die verheerenden Bilder aus dem Jahr 2015 nur zu gut in Erinnerung. Ich war selbst beim Grenzsturm in Nickelsdorf dabei, ich war am 21. Oktober und am 26. Oktober dabei, als die Grenze in Spielfeld überrannt wurde: Menschenmassen in den grenznahen Gebieten im Burgenland, in der Steier­mark, in Kärnten, herumirrende Asylanten auf den Straßen und Autobahnen, devas­tierte öffentliche und private Einrichtungen und vieles, vieles mehr. Nicht zu vergessen sind auch die mittel- und langfristigen Folgen der verhängnisvollen Politik der offenen Grenzen aus dem Jahr 2015.

Diese Migrationswelle hatte nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf das Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesen unseres Staates, sondern belastet unser Budget nachhaltig und in einem ungeahnten und nicht vorhersehbaren Ausmaß. Sie erfordert den Einsatz von Budgetmitteln, die im Bereich der Landwirtschaft, im Bildungs- und Gesundheitswesen, bei der Sicherheit, bei der Landesverteidigung oder im Infrastruk­turbereich dringend gebraucht würden. Um die Zustände des Jahres 2015 nicht noch einmal erleben zu müssen – ich glaube, die Folgeerscheinungen sind in diesem Land bereits wie der sprichwörtliche Germteig aufgegangen –, haben wir heute eine Dring­liche Anfrage eingebracht.

Ich hoffe auf eine lückenlose Beantwortung durch Sie, Herr Innenminister, und darf abschließend noch einen Entschließungsantrag einbringen: Der Bundesrat wolle be­schließen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass alle abschreckenden und präventiven Maßnahmen - -


Präsident Robert Seeber: Es geht nicht, im Rahmen der Begründung einen Ent­schließungsantrag einzubringen; nur im Rahmen der Debatte, aber nicht jetzt. (Bun­desrat Novak: Das ist richtig!) – Später, bitte.


Bundesrat Markus Leinfellner (fortsetzend): Dann werden wir ihn später einbrin­gen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit! (Beifall bei der FPÖ.)

14.16


Präsident Robert Seeber: Zur Beantwortung hat sich der Herr Bundesminister für Inneres zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm dieses.


14.16.56

Bundesminister für Inneres Karl Nehammer, MSc: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglieder des Bundesrates! Hohes Haus! Österreich steht derzeit vor zwei großen Herausforderungen; eine wurde durch die freiheitlichen Bundesräte in der Dringlichen Anfrage angesprochen, und die andere ist die Ursache dafür, dass Sie ein


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wenig auf mich warten mussten – ich bitte dafür auch um Nachsicht und danke für Ihr Verständnis –, nämlich die äußerst herausfordernde Situation, vor der wir angesichts der Entwicklung im Zusammenhang mit dem Coronavirus stehen.

Es finden derzeit laufend Lagebesprechungen im Bundeskanzleramt statt. Ich bin für die Dringliche Anfrage der FPÖ-Bundesräte von der Lagebesprechung mit den Ver­treterinnen und Vertretern der kritischen Infrastruktur – Lebensmittelversorgung, medi­zinische Versorgung und Arzneimittelversorgung, Energieversorger et cetera – jetzt zu Ihnen gekommen (Bundesrat Rösch: ... drei Monate Zeit gehabt!) und komme der Aufgabe der Beantwortung der Dringlichen Anfrage, eingebracht von den freiheitlichen Bundesräten, sehr gerne nach, weil Demokratie vom Parlamentarismus lebt, und als Abgeordneter, der ich einmal war, bin ich mir dessen bewusst, wie wichtig das Zusam­menwirken mit dem Nationalrat, aber auch mit dem Bundesrat ist.

Gestatten Sie mir aber noch, eine Minute lang auf die derzeit größere Herausforderung einzugehen, die uns alle betrifft: die Gefahr durch die Ausbreitung des Coronavirus. Wir erleben derzeit eine dramatische Entwicklung in Italien: ein ganzes Land hat sich unter Quarantäne gestellt. Auch das ist in der Geschichte der Zweiten Republik eine völlig neue Entwicklung. Ich bin als Innenminister gemeinsam mit dem Gesundheits­minister vom Bundeskanzler beauftragt worden, mit allen anderen ressortverant­wort­lichen Ministern dafür Sorge zu tragen, alles zu unternehmen, damit sich der Virus nicht weiterverbreitet.

Ziel ist das Eindämmen seiner Verbreitung, und gestatten Sie mir – deswegen habe ich jetzt um Ihre Geduld gebeten, um diese eine Minute –, einen Appell an Sie zu richten, denn ich werde Sie dabei brauchen: Wir treten jetzt in eine Phase ein, in der wir sehen, dass die Kurve der Zahl der Infizierten in Österreich rapide ansteigt, und wir leider auch den ersten Todesfall zu beklagen haben. In Italien entwickelt sich die Lage noch dra­ma­tischer. Jeder von uns – auch jeder hier im Plenarsaal – hat es in der Hand, dazu beizutragen, dass der Virus sich langsamer ausbreitet. Es geht immer um Zeitgewinn – jetzt gerade für die Expertinnen und Experten, die in der Forschung auf der einen Seite daran arbeiten, dass es eine Medikation gibt, auf der anderen Seite daran, den Virus und auch die Art, wie er sich verändert, noch besser kennenzulernen. Meine große Bitte an Sie ist, dass wir als Verantwortungsträger dieser Republik gemeinsam daran arbeiten, auch als Vorbilder in die Gesellschaft hineinzuwirken.

Wir hatten heute eine für mich auch sehr beeindruckende Lagebesprechung mit den Vertretern aller Religionsgemeinschaften, die einstimmig zugestimmt haben, alle Maß­nahmen, Empfehlungen der Bundesregierung nicht nur mitzutragen, sondern sie vor allem bei den Mitgliedern ihrer Glaubensgemeinschaften selbst einzumahnen. Unser dringender Appell ist: Es gilt jetzt alles daran zu setzen, dass wir soziale Kontakte reduzieren. Da müssen wir bei uns anfangen.

Ich bin selbst Vater zweier Kinder. Mein Vater, meine Mutter, die wahrscheinlich jetzt wieder zuschauen, sind beide knapp 80 Jahre alt und großartige Großeltern. Es liegt jetzt in meiner Verantwortung, dafür zu sorgen, dass ich nicht ihr Risiko erhöhe, sich zu infizieren. Das Gleiche gilt für meine Schwiegereltern. Wir sind eine große Familie, haben uns immer gerne am Sonntag getroffen, sind zusammengesessen. Das war eine große Freude für alle, die daran teilnehmen. Das werden wir jetzt nicht tun. Meine Bitte ist: Tragen Sie das in Ihre eigene Familie, tragen Sie es in Ihren Freundeskreis. Leben wir – als Beispiel für politische Vertreter  genau so, dass wir alles daran setzen, jetzt in dieser intensiven Phase soziale Kontakte einzuschränken, uns nicht mehr die Hand zu geben. Es beginnt oft so einfach. Gleichzeitig sollten wir aber auch im Freundeskreis darauf einwirken, dass jetzt die Zeit ist, sich weniger zu sehen, weniger Kontakte zu haben, um all das zu versuchen, was jetzt geboten ist, nämlich den Virus einzudämmen.


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Sehr geehrte Damen und Herren! Nun aber zum Thema Ihrer Dringlichen Anfrage. Die zweite große Herausforderung für die Republik ist natürlich die Entwicklung an der griechisch-türkischen Grenze. Eines muss man da wohl betonen, es handelt sich hier nicht um eine zufällig entstandene humanitäre Krise, sondern um eine durch die türki­sche Regierung gegenüber der Europäischen Union bewusst herbeigeführte Provo­kation, ein Mitgliedsland der Europäischen Union unter Druck zu setzen.

Wir haben es mit irregulären, gewaltbereiten Migranten zu tun, die vor der Grenze sind und versuchen, diese gewaltsam zu überschreiten. Es handelt sich in übereinstim­men­der Meinung – ich war erst beim EU-Innenministerrat – nicht um Syrer, die unmittelbar von der kriegerischen Auseinandersetzung betroffen sind, sondern um hauptsächlich irreguläre Migrantinnen und Migranten, in dem Fall gewaltbereite Migranten, aus Afghanistan und anderen Ländern.

Es wurde vorher angesprochen, ich komme in der Anfragebeantwortung noch dazu: Ich habe jetzt gerade – bevor ich zu Ihnen gefahren bin –, um die aktuellsten Infor­mationen für Ihre Dringliche Anfrage zur Verfügung zu haben – mit dem Komman­danten der Einheit Cobra gesprochen, den ich ebenfalls entsendet habe. Wir haben als erstes europäisches Mitgliedsland auch auf Wunsch des griechischen Innenministers nicht nur die Sondereinheit Cobra entsendet, sondern damit verbunden auch ein ge­pan­zertes Fahrzeug, den Survivor. Warum? – Weil die Situation an der Grenze wirklich gefährlich für die dort diensttuenden griechischen Beamtinnen und Beamten ist, genauso wie jetzt auch für die Beamtinnen und Beamten im Frontex-Einsatz, von denen Sie schon in der Begründung der Dringlichen Anfrage gesprochen haben. Große Dankbarkeit und Respekt gebührt einerseits diesen Beamten und gleichzeitig aber auch den Cobrabeamten, die in Verbindung mit der griechischen Spezialeinheit ihren Dienst tun und damit auch gleichzeitig Augen und Ohren hinsichtlich Entwicklung der Lage vor Ort für die Republik Österreich sind. (Beifall bei der ÖVP.)

Gleichzeitig muss ich sagen, eines hat mich beeindruckt: Sie wissen, ich bin jetzt knapp acht Wochen Innenminister und kenne die Position, die Sie (in Richtung Bun­desrätInnen) einnehmen, habe also vorher schon auf die Minister auf der Regie­rungsbank geschaut, wir haben sozusagen im parlamentarischen Weg zusammen­gearbeitet, wie es üblich ist. Was mich aber jetzt in der kurzen Zeit als Innenminister wirklich beeindruckt hat, ist die europäische Zusammenarbeit. Wir sind im intensiven Austausch mit dem griechischen Innenminister, mit dem griechischen Migrationsminis­ter, mit dem bulgarischen Innenminister. Deswegen sieht man auch genau, wie provo­kant und zum Teil perfide die türkische Republik, Präsident Erdoğan, die Europäische Union unter Druck setzt, denn der Druck findet ausschließlich an der griechisch-türkischen Grenze statt, nicht weiter – wenige Kilometer – entfernt an der bulgarischen. Warum? – Bulgarien ist ein traditioneller Verbündeter der Türkei, hat selbst eine türki­sche Minderheit im eigenen Land, bemüht sich als europäisches Land, als Mit­gliedsland der EU auch um gute diplomatische Beziehungen. Man sieht, wie da ganz bewusst gesteuert und auch provoziert wird.

Das wirklich Schlimme dabei ist, sehr geehrte Damen und Herren, dass Menschen missbraucht werden. Es gibt natürlich nicht nur die irregulären gewaltbereiten De­monstranten, die wir auf den Bildern sehen und die die Polizistinnen und Polizisten im Einsatz bedrohen – nein! –, sondern es gibt auch Menschen, die mit falschen Ver­sprechungen an die griechisch-türkische Grenze hingeführt worden sind und jetzt plötzlich zum Spielball der Politik werden.

Das, was mich beeindruckt und begeistert hat, war die Geschlossenheit der Euro­pä­ischen Union, vor allem der Innenminister. Im Innenministerrat gab es volle Unterstüt­zung für das Vorgehen Griechenlands, volle Solidarität für Griechenland. Ja, wir Österreicher leisten auch unseren Beitrag dazu, und zwar nicht nur, indem wir darüber


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sprechen und den Griechen auch Danke sagen, da der EU-Außengrenzschutz, den sie derzeit gerade leisten, meine sehr geehrten Damen und Herren, der Grenzschutz für Österreich ist, der Grenzschutz für die Binnengrenzen der Europäischen Union ist und in Wahrheit auch der Schutz dafür ist, dass wir wirklich noch daran glauben dürfen, dass es binnenmäßig ein grenzenloses Europa gibt.

Es ist aber auch ein Beweis dafür, dass man etwas tun muss. Österreich tut etwas, einerseits durch die Entsendung der Frontex-Beamten. Sie wissen, man hat einen So­forteinsatz ausgerufen und dadurch die Möglichkeit geschaffen, in Summe 1 200 Beamte an die Grenze zu bringen. Derzeit wird von 100 ausgegangen. Wonach richten sich solche Einsätze? – Das ist mir wichtig, da ich das vorher auch in der Begründung des Bundesrates gehört habe: All diese Einsätze, die wir leisten, auch die Entsendung der Spezialeinheit Cobra, richtet sich immer nach den Wünschen des Gastgeberlandes. Nicht wir schreiben den Griechen vor, was für sie unserer Meinung nach gut ist, sondern die griechische Regierung definiert, was sie braucht, und das stellen wir zur Verfügung. Ich bin stolz darauf, dass Österreich das erste europäische Land ist, dass mit einer Sondereinheit vor Ort unterstützt, mit der Spezialeinheit Cobra inklusive – wie gesagt – des gepanzerten Fahrzeuges. (Beifall bei der ÖVP.)

Die Frage der Grenzsicherung, die nehmen wir in dieser türkis-grünen Bundes­regie­rung sehr, sehr ernst. Wir gehen von drei Sicherheitsnetzen aus, das erste habe ich gerade beschrieben, das ist der EU-Außengrenzschutz, das ist jetzt Griechenland, das so unendlich viel leistet und unsere volle Solidarität braucht.

Das zweite Sicherheitsnetz ist die Grenzsicherung der Staaten entlang der Balkan­route, mit denen gibt es eine lange und gute Zusammenarbeit, gerade seit 2015. Da hat der Begründer der freiheitlichen Bundesräte vollkommen recht, wir dürfen Bilder wie 2015 nie wieder zulassen. (Bundesrat Steiner: Hoffentlich!) In dieser Beurteilung der Lage finden wir uns. Genau aus diesem Grund gibt es eine intensive Zusam­menarbeit mit den Staaten entlang der Balkanroute, schon lange eine Kooperation des Innenministeriums mit den Sicherheitsbehörden in Nordmazedonien, wo auch öster­reichische Polizistinnen und Polizisten Dienst tun. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit meinem Innenministerkollegen in Ungarn, wir haben jetzt gerade 20 Polizisten inklusive Diensthundeführer und Diensthund verabschiedet, um auch bei der Sicherung der serbisch-ungarischen Grenze zusammenzuarbeiten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch da ist immer auf eines hinzuweisen: All diese Unterstützungsleistungen vonseiten der Republik Österreich werden den ande­ren Mitgliedstaaten oder einem betroffenen Staat, auch nicht auf der Balkanroute, aufs Auge gedrückt, sondern sie entstehen in Absprache anhand einer Bedarfsanalyse und durch eine Beurteilung der Lage. Über den Einsatz entscheidet das Land, das die Unterstützungsleistung erhält. Das ist das zweite Sicherheitsnetz.

Das dritte Sicherheitsnetz, von dem gesprochen worden ist, ja, das ist unser eigener Grenzschutz. Ich als Innenminister sage das auch mit Stolz, ich habe das Privileg, Poli­zistinnen und Polizisten nicht nur bei mir im Stab, sondern auch in den Landes­polizeidirektionen zu haben, die 2015 – so wie der Bundesrat der Freiheitlichen als Militärpolizist in Assistenzleistung – für das Innenministerium im Einsatz stehend erlebt haben. Das waren dramatische Tage und Wochen. Warum spreche ich von einem Privileg? – Diese Polizistinnen und Polizisten, sei es jetzt in den Landes­polizei­direk­tionen, sei es bei mir im Stab im Innenministerium, haben eine Expertise aufgebaut, wissen, was wir anders machen müssen, haben die Einsatztaktik für unseren eigenen Grenzschutz mitentwickelt. Außerdem – ja! – haben wir mehr Polizistinnen und Polizisten als 2015 zur Verfügung. Wir haben aber auch – und das ist sehr wichtig für die Kolleginnen und Kollegen vor Ort – eine bessere Ausrüstung als 2015. (Zwi­schen­ruf der Bundesrätin Schartel. – Bundesrat Steiner: Danke, Kickl!) – Das ist jetzt ein


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interessanter Zwischenruf aus der freiheitlichen Bundesratsfraktion, denn eigentlich arbeiten alle im Interesse der Republik zusammen.

Wie laufen Beschaffungsvorgänge ab, auch bei der Polizei? – Angeschafft wurden noch unter Innenminister Wolfgang Sobotka Stichschutz- und ballistische Westen sowie die neuen Sturmgewehre, ausgeliefert wurden sie während der Zeit des Innen­ministers Kickl. Wissen Sie, was jedoch das Besondere ist? – Diese Vorgänge dienen immer der Sicherheit der Republik, unabhängig davon, welche Parteifarbe der jeweilige Innenminister hat. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Pisec. – Bundesrat Steiner: Und der Beamten! Der Sicherheit der Beamten hoffentlich!)

Genau diesem Ziel sehe auch ich mich verpflichtet, und ja, wir sind auch hier im Haus zur Zusammenarbeit aufgerufen, wenn es darum geht, dass wir auf das, was kommt, bestmöglich vorbereitet sein müssen. Die Polizistinnen und Polizisten sind gut ausge­bildet. Wir haben jetzt auch beschlossen, den Assistenzeinsatz des österreichischen Bundesheeres auf 2 200 Mann zu erhöhen. In der Zusammenarbeit mit dem Bun­desheer gibt es eine lange Tradition: Es ist eine gute Tradition der gemeinsamen Ausbildung, der Beurteilung der Lage und gleichzeitig betreffend die Herangehens­weise, wie das Bundesheer mit dem sicherheitspolizeilichen Assistenzeinsatz die Polizei bestmöglich unterstützen kann. Die rechtliche Ausgangslage ist übrigens eine, für die uns viele europäische Länder beneiden, weil es da kein Gegeneinander oder keine Diskussionen – wer darf was tun –, gibt, sondern ein Miteinander im Interesse der Sicherheit Österreichs.

Wir haben aber bei diesen Themen noch genug zu tun, gerade jetzt muss etwa Griechenland weiter unterstützt werden. Die Europäische Union hat beschlossen, Griechenland 350 Millionen Euro sofort zur Verfügung zu stellen, weitere 350 Millionen Euro können angefordert werden. Wissen Sie, warum das auch wichtig ist? – Robuster Grenzschutz an der Außengrenze ist kein Widerspruch zu Humanität vor Ort. Wenn ich die Bilder von Lesbos sehe, wie dort die Flüchtlingskinder und allgemein die Flücht­linge untergebracht sind, dann erschüttert mich das genauso.

Es ist als Bundesregierung unsere Verpflichtung, mitzuhelfen, dass die Lebensum­stän­de dort besser werden. Gleichzeitig müssen wir auch wissen, dass die Europäische Union Griechenland seit 2015 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt hat, um die Umstände auf den griechischen Inseln und die Unterbringung der dort irregulär aufhältigen Migranten und Flüchtlinge zu verbessern.

Vor Kurzem hat es einen Regierungswechsel in Griechenland gegeben, und damit gibt es nun eine Regierung, die den Grenzschutz, wie man sieht, ernst nimmt, aber gleichzeitig auch ernsthaft bemüht ist, die humanitäre Situation der Betroffenen zu verbessern. Diese Bestrebungen gilt es zu unterstützen, und dazu sind wir bereit, tatsächlich Geld in die Hand zu nehmen, das hat die Regierung schon gezeigt – Geld nicht nur für Griechenland, sondern auch für das hauptbetroffene Land Syrien, für die Bewältigung der Katastrophe in Idlib.

Ja, es gilt auch in den Verhandlungen mit der Türkei, darauf Rücksicht zu nehmen, dass dieses Land außergewöhnlich belastet ist, nur eines muss die Türkei – und vor allem Präsident Erdoğan – wissen: Der EU-Türkei-Deal sieht ja vor, 6 Milliarden Euro für die Betreuung der Flüchtlinge vor Ort in der Türkei zur Verfügung zu stellen, davon wurden erst 3,3 bis 3,4 Milliarden Euro abgerufen. Der türkische Präsident hat nun gefordert, man solle das Geld doch gleich der türkischen Regierung geben und nicht lange darüber diskutieren, wofür es eingesetzt wird – das wird die Europäische Kommission so nicht zulassen! Entscheidend ist für die Kommission nämlich, wie mit diesem Geld umgegangen und wo geholfen wird, und dass es nicht missbräuchlich verwendet wird.


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Für uns als Europäer, als Mitglieder der Europäischen Union ist es wichtig, eines immer wieder zu signalisieren – auch jetzt im Austausch mit Griechenland, das in dieser Frage gerade so bedrängt wird –: Eines ist klar, die Europäische Union wird sich nicht erpressen lassen, diese Botschaft muss eindeutig sein. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Ofner.)

Nun aber zur Beantwortung der von Ihnen gestellten Fragen.

Zur Frage 1:

Zum Schutz der österreichischen Grenzen ist ein dreistufiges Sicherheitsnetz vorge­sehen. Das erste und wichtigste Sicherheitsnetz stellt der Schutz der EU-Außengrenze dar. Die Europäische Kommission hat für Griechenland bereits eine Finanzhilfe von 700 Millionen Euro in Aussicht gestellt, Österreich wird Griechenland ebenfalls Hilfs­gelder für die humanitäre Unterstützung zur Verfügung stellen.

Das zweite europäische Sicherheitsnetz wird in enger Abstimmung mit den Staaten des Westbalkans verstärkt. Auch da geht es um Unterstützung im Bereich des Grenz­schutzes sowie Rückführungen, Schleppereibekämpfung und Unterstützung im Bereich Asyl. Österreich unterstützt die Westbalkanstaaten seit vielen Jahren aktiv und wird dieses Engagement auch in Zukunft weiterhin fortsetzen.

Das dritte Sicherheitsnetz stellt der Schutz der österreichischen Binnengrenzen dar. Entscheidend ist unter anderem eine klare Kommunikation und Haltung, dass sich die Situation von 2015 nicht wiederholen darf. Es wird zu keinem Durchwinken von Migran­tinnen und Migranten kommen.

Zur Frage 2:

Durch das dreistufige Sicherheitsnetz wird sichergestellt, dass es einen umfassenden Plan zur konsequenten Verhinderung illegaler Grenzübertritte gibt. Das Sicherheitsnetz sieht sowohl nationale als auch europäische Maßnahmen vor, die illegale Grenz­über­tritte konsequent verhindern werden.

Zu den Fragen 3 bis 8:

Bauliche Maßnahmen sind Teil unserer einsatztaktischen Überlegungen. Details kön­nen daher aus einsatztaktischen Gründen nicht bekannt gegeben werden, denn es kann in niemandes Interesse liegen, dass gewaltbereite, irreguläre Migrantinnen und Migranten sich darauf vorbereiten können, den Grenzschutz zu überwinden.

Zu den Fragen 9 und 10 sowie zu den Fragen 22 bis 24:

Durch das dreistufige Sicherheitsnetz wird sichergestellt, dass es einen umfassenden Plan zur konsequenten Verhinderung illegaler Grenzübertritte gibt. Das Sicherheitsnetz sieht sowohl nationale als auch europäische Maßnahmen vor, um illegale Grenz­übertritte konsequent zu verhindern. Als Konsequenz aus der Situation von 2015 wurde an zwölf neuralgischen Grenzübergangsstellen ein sogenanntes Grenzmanage­ment eingerichtet. An diesen Grenzübergangstellen können mithilfe der geschaffenen technischen Ressourcen Fremde medizinisch erstversorgt, verpflegt, durchsucht, regis­triert und angehalten werden.

Zu den Fragen 11, 12, 13 und 14:

Unsere Polizistinnen und Polizisten sind für solche Herausforderungen bestens aus­gebildet. Der Waffengebrauch der Exekutive ist im Waffengebrauchsgesetz klar ge­setz­lich geregelt, weitere Grundlagen sind das Sicherheitspolizeigesetz und das Straf­gesetzbuch.


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Zur Frage 15:

Nach Auskunft unserer Verbindungsbeamten wurden in Griechenland von 28.2. bis 11.3.2020 480 Personen am Festland aufgrund illegaler Grenzübertritte aufge­griffen, es sind im gleichen Zeitraum 1 925 Personen auf den Inseln angelandet. In Bul­garien – das passt jetzt zu dem, was ich Ihnen vorher in meiner Ausführung dargelegt habe, wie unterschiedlich sich der Druck verteilt – wurden in diesem Zeitraum neun illegale Migranten bei Grenzübertritten aufgegriffen.

Zur Frage 16:

„Wie viele Aufgriffe illegaler Migranten gab es seit der Grenzöffnung durch die Türkei in Österreich?“ – Laut Schlepperdatenbank des Bundeskriminalamtes wurden von 28.2. bis 11.3.2020 in Österreich insgesamt 615 geschleppte, illegal eingereiste und illegal aufhältige Personen aufgegriffen.

Zur Frage 17:

Von 1.3. bis 10.3.2020 wurden in Österreich 465 Asylanträge gestellt.

Zur Frage 18:

In den Monaten Jänner und Februar 2020 wurden insgesamt 2 608 Asylanträge ge­stellt, davon 1 504 im Jänner und 1 104 im Februar. Eine Ergänzung dazu, weil das auch immer wieder ein Thema war: Zwischen Jänner und Februar 2020 wurden 1 000 Kinder und Frauen in die Grundversorgung und in ein Asylverfahren in der Re­publik Österreich aufgenommen.

Zur Frage 19:

2019 wurden bis Ende Februar 1 895 Asylanträge gestellt, heuer waren es 2 608 Asyl­anträge.

Zu den Fragen 20 und 21:

Derartige Maßnahmen der Aufnahme, wie Relocation oder Resettlement, sind aktuell nicht geplant, da Österreich bereits derzeit einen überproportionalen Beitrag zum inter­nationalen Flüchtlingsschutz leistet.

Zu den Fragen 25 bis 28:

Seit letzter Woche finden Gesundheitschecks durch die Gesundheitsbehörden an den Grenzen zu Italien statt. Seit 11.3.2020 finden zusätzlich Binnengrenzkontrollen an den Grenzen zu Italien statt. Aufgrund der Verordnung des Gesundheitsministers müssen nun alle Personen bei der Einreise aus Italien ein Gesundheitszeugnis vorweisen, Per­sonen ohne Gesundheitszeugnis kann die Einreise verweigert werden. Von dieser Regelung sind auch illegal eingereiste Personen umfasst. Über Quarantäne­maßnah­men entscheidet die zuständige Gesundheitsbehörde.

Zu den Fragen 29 bis 31:

Die Organe des Bundesheeres werden von der Sicherheitsbehörde aufgrund ihres Einsatzprofils mit den notwendigen Befugnissen ausgestattet.

Zu den Fragen 32 und 33:

Es wurden keine Grenzschutzübungen abgesagt.

Zur Frage 34:

Meinungen und Einschätzungen sind nicht Gegenstand des Interpellationsrechts.


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Zur Frage 35:

Nachstehende Maßnahmen wurden gesetzt: verstärkter Informationsaustausch mit na­tio­nalen und internationalen Partnern, Behörden und Organisationen sowie Nutzung aller rechtlich zulässigen Informationsquellen.

Zu den Fragen 36 und 37:

Österreich verfolgt das Ziel einer umfassenden Migrationssteuerung zur nachhaltigen Verhinderung von illegaler Migration sowohl in den Herkunftsstaaten außerhalb Euro­pas als auch in Transitstaaten wie den Westbalkanstaaten. Durch kapazitätsbildende Maßnahmen sowie enge Kooperation werden Grenzmanagement, Schleppereibe­kämpfung und Rückführungen optimiert sowie die Ursachen illegaler Migration redu­ziert. Österreich befindet sich im ständigen Austausch und in guter Kooperation mit den Staaten des Westbalkans. Diese Kooperation findet sowohl auf bilateraler, multilate­raler als auch auf EU-Ebene statt. Frontex ist ein wichtiger Partner in der Bekämpfung illegaler Migration und Österreich beteiligt sich aktiv am Einsatz.

Zur Frage 38:

Miteinander verbundene Hauptzielsetzungen sind: erstens die Stärkung des euro­pä­ischen Außengrenzschutzes; zweitens eine darauf aufbauende EU-Asylreform mit dem Ziel, unkontrollierten Zuzug sowie Sekundärmigration zu verhindern; drittens die nach­haltige Bekämpfung der Schlepperei; viertens schnellstmögliche Rückführung nicht Schutzbedürftiger möglichst bereits vor der EU-Außengrenze; fünftens Hilfeleistung für Schutzbedürftige vor Ort unterstützen und verhindern, dass aus Seenot gerettete Menschen automatisch ein Ticket nach Europa erhalten.

Zur Frage 39:

Nein, die Balkanroute ist geschlossen. Durch die enge Kooperation mit Drittstaaten, insbesondere mit den Ländern des Westbalkans, unter anderem auch im Rahmen des Salzburg Forum, wird ein engmaschiges Kontrollnetz im Sinne des bereits zuvor ausgeführten dreistufigen Sicherheitsnetzes entlang der Westbalkanroute sicherge­stellt.

Zur Frage 40:

Nach den vorliegenden Informationen befinden sich derzeit in den genannten Staaten insgesamt rund 125 000 Migranten, wobei sich der Großteil von rund 100 000 in Griechenland befindet. Rund 42 000 Migranten befinden sich auf den griechischen Inseln. Hauptländer am Balkan sind Serbien mit rund 13 000 und Bosnien mit rund 8 000 aufhältigen Migranten. Der Rest teilt sich auf die anderen genannten Staaten auf.

Zur Frage 41:

In den einzelnen Staaten erfolgten nach den mir vorliegenden Informationen bis An­fang März 2020 folgende Aufgriffe, wobei auch Mehrfachzählungen möglich sind:

Griechenland: 8 472, Bulgarien: 160, Nordmazedonien: 4 370, Kosovo: 800, Montene­gro: 1 300, Serbien: 10 990, Bosnien und Herzegowina: 2 960, Kroatien: 2 250, Slowe­nien: 1 130, Rumänien: 6 600 und Ungarn: 5 600.

Zu den Fragen 42 bis 44:

Der Budgetgestaltungsprozess ist derzeit noch am Laufen. Das Budget des Bundes­ministeriums für Inneres kann deshalb vor Beschlussfassung des Bundesfinanz­ge­setzes nicht als abgeschlossen betrachtet werden. Die mit einer verstärkten Migra­tions­bewegung verbundenen, über die bisherige Planung hinausgehenden Ausgaben werden vom BMF bei Bedarf im Budgetvollzug bereitgestellt.


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Zu den Fragen 45 und 46:

In der Frage, ob, und wenn ja, inwiefern gesetzliche Verschärfungen vorzunehmen sind, möchte ich mit meiner Antwort dem Hohen Haus als Gesetzgeber nicht vor­greifen. Die Bundesregierung hat sich in ihrem Regierungsprogramm 2020–2024 „Aus Verantwortung für Österreich“ im Bereich Migration und Asyl auf wesentliche Maßnah­men verständigt, um auf zukünftige Herausforderungen in diesem Bereich mit den aus der Migrationskrise 2015/2016 gezogenen Lehren adäquat reagieren zu können, etwa durch „Stärkung des europäischen Außengrenzschutzes“, „Schutz der österreichischen Binnengrenze, solange der EU-Außengrenzschutz nicht lückenlos funktioniert“, „Schlep­pereibekämpfung durch intensivierte operative und strategische internationale Zusam­menarbeit“, Zusammenführung der Tätigkeitsfelder Grundversorgung, Rechts- und Rückkehrberatung sowie Dolmetschleistungen und Menschenrechtsbeobachtung in der BBU.

Zu den Fragen 47 bis 49:

Österreich hat in den letzten Jahren mit etwa 115 000 Schutzgewährungen einen enor­men Beitrag zum internationalen Flüchtlingsschutz geleistet und führt Asylverfahren in hoher Qualität und unter Einhaltung aller völker- und europarechtlichen sowie natio­nalen Vorgaben durch.

Zu den Fragen 50 bis 53:

Der Bundeskanzler hat wiederholt klargestellt: Es wird keine Aufnahme von Kindern, Minderjährigen, Frauen oder sonstigen Personen von den griechischen Inseln durch Österreich geben. Es ist offensichtlich, dass kriminelle Schlepperbanden nur auf ein derartiges Signal warten, um mit der falschen Nachricht neue Menschen in diese oft tödliche, illegale Geschäftemacherei zu locken. Die sicherlich oft gut gemeinten Ab­sichten einiger würden im Sinne einer falsch verstandenen Humanität damit direkt zum gegenteiligen Ergebnis führen und viele weitere Kinder und Frauen in größere Gefahr bringen. Eine wirklich humanitäre und faire Asylpolitik erfordert jedoch ein grundsätz­liches Umdenken. Es muss sichergestellt werden, dass Schutz vor Verfolgung bereits in den Herkunftsregionen gewährleistet ist und illegale Migration beziehungsweise der Missbrauch unseres Systems konsequent verhindert werden. Dafür setzt sich die österreichische Bundesregierung ein.

Zur Frage 54:

Mechanismen zur Verteilung von Migranten beziehungsweise Asylwerbern innerhalb der EU sind gescheitert. Österreich setzt daher diesbezüglich keine Initiativen, sondern verfolgt die unter Frage 38 angesprochenen Hauptzielsetzungen.

Zu den Fragen 55 und 56:

Die Zahlen betreffend Schutzgewährung für unbegleitete Minderjährige stellen sich wie folgt dar: 2019 waren es 91 unbegleitete Minderjährige, davon 63 unbegleitete minder­jährige Flüchtlinge über 15 Jahre. In Summe – 2015, 2016, 2017, 2018, 2019 – waren es 1 625 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, davon 1 383 unbegleitete minder­jäh­rige Flüchtlinge über 15 Jahre. Die Anzahl derjenigen, denen subsidiärer Schutz ge­währt wurde, lag von 2015 bis 2019 bei 2 444 unbegleiteten Minderjährigen, davon 2 120 unbegleitete Minderjährige über 15 Jahre.

Zur Frage 57:

Diesbezüglich liegen nun für die Jahre 2018 bis 2019 sowie für Jänner und Feb­ruar 2020 Auswertungen vor. Es sind 140 unmündige Minderjährige, die einen Antrag auf Familiennachzug gestellt haben. Insgesamt 562 Familienmitglieder sind nachge­kommen, was etwa einem Verhältnis von 1 : 4 entspricht.


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Zu den Fragen 58 und 59:

In Österreich wurden seit 2015 nahezu 200 000 Asylanträge gestellt und circa 115 000 Personen haben einen Schutzstatus erhalten. Aufgrund dieser überpropor­tio­nalen Belastung ist derzeit weder geplant, im Rahmen von Resettlement, noch im Rahmen von Relocation, also Verteilung, zusätzliche Personen aufzunehmen. (Beifall bei der ÖVP.)

14.47


Präsident Robert Seeber: Danke für die Beantwortung, Herr Minister.

Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Ich mache darauf aufmerksam, dass gemäß § 61 Abs. 7 der Geschäftsordnung die Redezeit jedes Bundesrates mit insgesamt 20 Minuten begrenzt ist.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Josef Ofner. Ich erteile ihm dieses.


14.47.54

Bundesrat Josef Ofner (FPÖ, Kärnten): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Werte Zuhörer vor den Bildschirmen zu Hause! Österreich ist wahrlich, wie Sie gesagt haben, mit zwei sicherheitspolitischen Herausforderungen konfrontiert, einerseits mit der Bekämpfung der Verbreitung des Coronavirus, einer Thematik, die wir heute ohnehin auch in der Aktuellen Stunde umfassend erörtert haben, andererseits mit den Entwicklungen an der türkisch-griechischen Grenze, die ein erneutes Asyl- und Migrationschaos – vor allem ein Migrationschaos – befürchten lassen. Verschärfend in dieser Situation ist, dass diese zwei Bereiche auch unter dem Aspekt zu sehen sind, dass, wie wir auch aus den letzten Meldungen aus Lesbos erfahren mussten, sie zusammenspielen und damit in ihrer Gesamtheit eine sicherheitspolitische Bedrohung für Österreich und seine Bevölkerung darstellen.

Aus diesem Anlass haben wir die Migrationskrise im Zuge dieser Dringlichen Anfrage heute hier zum Thema gemacht und haben uns auch Antworten auf unsere Fragen erwartet, denn die österreichische Bundesregierung und (in Richtung Bundesminister Nehammer) Sie sind gefordert, gemeinsam dieser Bedrohung etwas entgegenzusetzen und diesen Herausforderungen zu begegnen. Das ist nicht gespielter Parla­menta­rismus – Sie haben zu Beginn ein bisschen angesprochen, Sie verstehen den Parla­mentarismus –, nein, da geht es um die Sicherheit Österreichs, da geht es um die Sicherheit der österreichischen Bevölkerung. (Beifall bei der FPÖ.)

Ich darf mich bei Ihnen selbstverständlich für Ihre Ausführungen und die Beantwortung der Fragen bedanken, wobei ich schon festhalten muss, dass Sie es in wichtigen Be­reichen, zu denen unsere Fragen detailliert gestellt worden sind, als kleine Übung, als umgekehrten Multiple-Choice-Test gesehen haben, indem Sie eine Antwort auf viele Fragen gegeben haben. Das war eigentlich nicht unsere Intention, denn wir wollten klare Maßnahmen hören, die wir für Bereiche, auf die ich noch zu sprechen komme, nicht gehört haben. Es dürfte aber wohl dem Koalitionspartner, den Grünen, geschul­det sein, dass Sie sich hier eher in ÖVP-Symbol- und Inszenierungsrhetorik üben, als klare Antworten auf unsere Fragen zu geben. (Beifall bei der FPÖ.)

Das sind wir mittlerweile von der ÖVP gewöhnt. (Ruf bei der ÖVP: Geh, geh, geh!) Ich erinnere an den ehemaligen Bundeskanzler Kern, der gesagt hat, 95 Prozent in der Politik sei Inszenierung. Er kann locker in die Bedeutungslosigkeit versinken, denn Sie schaffen jeden Tag – das gehört wahrscheinlich zu den täglichen Pflichtübungen – 100 Prozent, und das ganz locker. Wie gesagt, damit wurde die Intention unserer Dringlichen Anfrage auch nicht ganz verstanden, denn wir wollen klare Positionen in gewissen Bereichen. Es geht um einen wirkungsvollen und umfassenden Grenzschutz


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vor allem an unseren Staatsgrenzen, und dieser muss gewährleistet sein. (Beifall bei der FPÖ.)

Als ich Ihre heutigen Ausführungen vernommen habe, hatte ich in vielen Bereichen ein Déjà-vu aus dem Jahr 2015, denn wir haben in vielen Punkte keine klaren Positionen. Ich weiß schon, das mag auch darauf zurückzuführen sein, dass viele Bereiche noch nicht mit dem Regierungspartner abgestimmt sind. So aber, wie wir es heute erlebt haben, entsteht dieser Eindruck. Sie (in Richtung Bundesminister Nehammer) haben in Interviews immer gesagt – und es wird von Ihnen mittlerweile beinahe mantraartig verbreitet –, dass wir drei Sicherheitsnetze haben, dass das unser Zugang ist und dass dann von einem EU-Außengrenzschutz und von einem Schutz der Außengrenze auch in Griechenland gesprochen wird.

Wir aber wissen, genauso wie Sie und auch die ÖVP, was im Jahr 2015 geschehen ist. Wenn ich es so sagen darf: Ihre politische Ziehmutter im Innenministerium, Mikl-Leitner, hat damals von einer Festung Europa gesprochen, mit rigorosen Kontrollen an der EU-Außengrenze. Wir wissen, dass das bis heute nicht funktioniert und sehen uns jeden Tag an, was sich in Griechenland abspielt. Sie haben davon gesprochen – und ich danke für die diesbezüglichen Zahlen –, dass wir die organisierte Kriminalität in Form der Schlepperei noch nicht ausreichend bekämpft haben, sondern dass ihr noch immer Tür und Tor geöffnet sind. Wenn da aber wieder 615 Aufgriffe stattfinden, Sie aber gleichzeitig sagen: Wir haben die Situation in Griechenland und müssen Griechen­land jetzt unterstützen!, dann sagen wir: Nein!, denn wenn die Aufgriffe bei uns sind, dann haben wir das Problem bereits vor der Haustür. (Beifall bei der FPÖ.)

Sie sagen, 2015 darf sich nicht wiederholen; da muss man schon erinnern, wer 2015 in der Verantwortung war. Das, was sich abgespielt hat, dieses Chaos, war von einer ÖVP-Innenministerin mitverantwortet. Sie hat Österreich sicherheitspolitisch stiefmüt­terlich behandelt, denn das Migrationschaos und dessen Ausflüsse sind bis heute spürbar. Dies geschah natürlich gemeinsam mit der Wir-schaffen-das-Mutti aus Deutsch­land, aber wir sind damals an den Grenzen von den Migranten nahezu über­rannt worden. Diese Bilder haben wir alle noch im Kopf, als Einsatzkräfte, die sich damals selbst überlassen waren, die keine Chance gegen diesen Ansturm hatten, an der Grenze wirken mussten.

Heute haben wir mit Ihnen wieder einen ÖVP-Innenminister, und Sie haben die Situ­ation ungleich verschärft, denn jetzt – das glaube ich Ihnen auch – sind Sie sicher bereit, einen effektiven Grenzschutz aufzustellen. Jetzt aber haben Sie einen Koali­tions­partner, der alles, was Sie im Zusammenhang mit einem effektiven Grenzschutz umsetzen wollen, torpediert. Die Grünen torpedieren das, sie wollen nicht wahrhaben, dass dieses Szenario in Österreich eintreten kann. Daher ist man hergegangen und hat für dieses Szenario einen koalitionsfreien Raum vereinbart. Das heißt, dass die Um­setzung dieser propagierten Lösungen – um aktuell wirkungsvoll und verantwortungs­bewusst handeln zu können – mit einem solchen Koalitionspartner Lichtjahre entfernt ist. Das ist symptomatisch für diese schwarz-grüne Bundesregierung.

Da gibt es die einen, das sind die Sucher – das passiert übrigens gerade im Bereich der Migrationspolitik seit fünf Jahren –: Wir suchen da nach einer Lösung, wir suchen dort nach einer Lösung, wir verhandeln mit allen, aber wir haben keine Ergebnisse. Und dann gibt es die Schauer, die müssen sich das eine anschauen, die müssen sich das andere anschauen, bevor sie zustimmen. Also die Schauer schauen, was die anderen suchen, und währenddessen bleiben in der Migrationskrise Österreichs Sicherheit und seine Bevölkerung auf der Strecke. Da läuft einem der Schauer über den Rücken. (Beifall bei der FPÖ.)


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Vieles, was Sie heute gesagt haben (Ruf bei der ÖVP: Und ihr fahrts nach Ibiza und lösts die Probleme!) – bitte zur Sache, wenn man hineinschreit! –, können wir jeden­falls unterstreichen. Sie müssen das aber nicht uns sagen, das müssen Sie Ihrem Koalitionspartner sagen, der hat es noch nicht verstanden. (Beifall bei der FPÖ.)

Wenn es um Einwanderung geht, dann wissen wir schon eines (Bundesrat Schennach: Durch Wiederholung wird es nicht besser!): Bei Ihrem Koalitionspartner ist es völlig irrelevant, ob es legal oder illegal passiert, die Grünen würden am liebsten alle Regulative außer Kraft setzen, und die eigenen Haltungen werden augenblicklich über Bord geworfen. Ich erinnere nur daran, dass ein ehemaliger grüner Nationalrat aus Kärnten sogar wegen Schlepperei, Entschuldigung, wegen Begünstigung illegaler Migration – so heißt der nette Begriff, aber im Prinzip ist es dasselbe – verurteilt worden ist. Weiters reist eine Frau Dziedzic, die auch bei uns hier im Bundesrat war, nach Lesbos, und ich denke einmal, nicht nach Gretas Vorbild über die Donau und das Schwarze Meer, in die Ägäis und dann wieder zurück. (Bundesrat Schennach: Ja, ja, ja!) – Ich glaube nicht, dass sie geschippert ist, sondern den bequemeren Flug vor­gezogen hat. Deswegen habe ich auch gesagt, dass die Haltungen über Bord geworfen werden. Klimaschutz ist dann auf einmal kein Thema mehr, weil die Migran­ten natürlich mehr zählen. (Beifall bei der FPÖ.)

In der Diskussion werden Auffanglager für Flüchtlinge mit illegalen Grenzübertritten vermengt, und dann haben wir noch die Situation, dass sich der Herr Vizekanzler, ebenso wie der Herr Bundespräsident oder Landeshauptmann Kaiser in Kärnten für die Aufnahme von Migranten aus diesen Ländern ausspricht. Der Herr Vizekanzler sagt, er werde dem Bundeskanzler noch entsprechend ins Gewissen reden und versuchen, ihn zu überzeugen. (Bundesrat Schennach: Frauen und Kinder!) Dabei dürfte er eventuell sogar ganz gute Erfolgsaussichten haben, denn ein weiterer Umfaller des Herrn Bun­des­kanzler Kurz ist durchaus denkbar. Er war es, der im Jahr 2014 gemeint hat, wir haben zu wenig Willkommenskultur. Er war es auch, der gemeint hat, der durch­schnittliche Zuwanderer von heute ist gebildeter als der durchschnittliche Österreicher. Dieses Bildungsniveau gepaart mit einem deutlich zum Ausdruck gebrachten Rechts­verständnis sehen wir jetzt tagtäglich an der griechischen Grenze. (Bundesrat Schennach: Ja, ja, ja!) Diesbezüglich gibt es zu Frau Dziedzic vielleicht gewisse Assoziationen, wenn auch in sehr abgeschwächter Form, denn sie argumentiert ebenfalls gerne mit Pflastersteinen. (Beifall bei der FPÖ.)

Was aber macht die ÖVP in dieser Situation? – Da hat man die eigene Ideologie aus den Jahren 2014/15 über Bord geworfen. Man inszeniert selbstverständlich viel, und weil es gerade politisch opportun ist, geht man mit ernster Miene her und sagt in der Migrationsfrage nach außen: Es ist ganz klar, es gibt kein Durchwinken! Wir werden konsequent handeln!

Herr Bundesminister, einen Tag nach ihrer Angelobung haben Sie in einem Fernseh­interview gesagt: Wenn jemand einen negativen Asylbescheid hat, dann hat der- oder diejenige das Land zu verlassen! Ich frage mich, was in Ihrer ÖVP passiert ist, als es darum gegangen ist, Asylwerber mit Negativbescheid, die sich in einer Lehre befunden haben, abzuschieben? Da hat man auf einmal das Gesetz abgeändert, hat geschaut, dass man irgendwie mit Schlangenlinienkurs durchkommt, und auf einmal ist der ganze Instanzenzug ad absurdum geführt worden. Da sieht man: Die ÖVP ist betreffend diese Ausführungen nicht glaubwürdig. (Beifall bei der FPÖ.)

Daher habe ich natürlich Befürchtungen, auch wenn Sie in Ihrer Beantwortung heute sagen, der Herr Bundeskanzler habe ganz klar festgelegt, es komme zu keiner Aufnah­me von Flüchtlingen. Ganz klar hat er aber gesagt: Es kommt zu keiner freiwilligen Aufnahme von Flüchtlingen in Österreich. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Wenn es einen Deal auf EU-Ebene geben und zu einer Pflichtverteilung kommen wird, dann wird


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es wahrscheinlich auch zu Aufnahmen kommen. Da frage ich mich schon: Warum kann man da nicht eine klare Position halten? Zu diesem Ausweichen oder diesem Ausweichversuch, den Sie heute gemacht haben, indem Sie gesagt haben, Sie wollen dem Parlament nicht vorgreifen: Ja, wir wissen schon, dass Gesetze im Parlament beschlossen werden. Wir wissen aber auch, wer in der Regierung sitzt, und Sie hätten ja sagen können: Es wird unsere Intention sein, das Asylrecht entsprechend zu hemmen, weil wir keine weitere Aufnahme von Flüchtlingen zulassen! (Beifall bei der FPÖ.)

Dasselbe ist passiert, als Sie gesagt haben, Sie haben eventuell sogar vor, neue Asyl­zentren zu errichten. Der Herr Vizekanzler hat Ihnen umgehend Sprachverwirrung attestiert. Ich habe es – wie auch übrigens viele vom grünen Koalitionspartner – für einen schlechten Scherz gehalten. Sie haben dann einen Rückzieher gemacht. Im Gegensatz dazu fragen Sie den Herrn Vizekanzler in den letzten Tagen aber nicht, ob er im Hinblick auf den notwendigen effektiven Grenzschutz die geltenden Gesetze aus­hebeln will. Wenn er populistisch meint: Na selbstverständlich wird an der Grenze nicht herumgeschossen werden!, Entschuldigung, dann hätten Sie ihn, genau so, wie Sie es heute gemacht haben, darauf hinweisen müssen, dass es ein Sicherheitspolizeigesetz gibt, dass es ein Waffengebrauchsgesetz gibt, in denen ganz klar geregelt wird, welche Möglichkeiten es dahin gehend gibt. (Bundesrat Schennach: Bravo! Sensationell! – Bundesrat Schilchegger: Na siehst! Zahlt sich aus, dass du gekommen bist!)

Natürlich sind entsprechende Maßnahmen zu setzen, wenn es für einen effektiven Grenzschutz notwendig ist. Diese Maßnahmen sind anzugehen, und natürlich ist eben auch Waffengebrauch, die Anwendung von nichtletalen Waffen entsprechend vorzu­sehen (Bundesrätin Schumann: Auf Leute schießen!), um die Rechtsstaatlichkeit zu wahren – genau so wie Sie es heute gesagt haben; das hätten Sie eigentlich dem Vizekanzler und Koalitionspartner sagen müssen! (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Rösch.  Bundesrat Schennach: Wissen Sie überhaupt, was Sie hier reden? Wissen Sie, was Sie reden?)

Herr Innenminister! Meine Herren! Wir haben eine Situation, in der wir es nicht mit Flüchtlingen – Sie haben es gesagt –, sondern vor allem mit gewaltbereiten Personen zu tun haben. Wir haben es, wie wir auch von Experten wissen, mit Islamisten zu tun, die sich auf den Weg gemacht haben. Wir haben es mit ehemaligen IS-Kämpfern zu tun (Bundesrat Schennach: Ah, jetzt wird es klar!), somit haben wir es mit Invasoren zu tun (Bundesrat Schennach: „Invasoren“!), die vor der Türe der EU stehen und in Kürze, wenn wir nicht handeln, auch vor den Türen und Toren Österreichs stehen werden. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Schennach: Science-Fiction läuft da ab!)

Daher ist es toll, wenn man sich in dieser Frage mit vielen EU-Ländern einig ist, und diese das ebenso sehen, wie Sie das heute auch zum Ausdruck gebracht haben. Es ist aber schlimm für Österreich, wenn es der eigene Regierungspartner nicht so sieht. Es muss das oberste Ziel sein, auch die eigenen Grenzen zu schützen, das ist das Hauptanliegen, das diese Bundesregierung haben muss. Das Sicherheitsbedürfnis ist ein Grundbedürfnis, und es ist das Bedürfnis unserer österreichischen Bevölkerung. (Bundesrat Schennach: Soziale Sicherheit ist wichtiger!) Daher gilt es, Österreich und seine Bevölkerung auch entsprechend zu schützen und nicht zuzulassen (Die Bun­desrätInnen Grimling und Schennach: Soziale Sicherheit!), dass die staatliche Ord­nung angesichts nicht gelöster Herausforderungen destabilisiert wird. (Beifall bei der FPÖ.)

Ich bin bei Ihnen, dass selbstverständlich auch nicht zugelassen werden darf, dass wir uns vom türkischen Präsidenten erpressen lassen. Daher ist es auch gut, dass wir auf EU-Ebene entsprechend zusammenarbeiten, aber es braucht für Österreich, um einen effektiven Schutz der Staatsgrenzen zu gewährleisten, klare Maßnahmen und klare


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Positionen, die von der gesamten Regierung mitgetragen werden, denn nur so haben unsere Sicherheitskräfte, die wirklich hervorragende Arbeit leisten, eine eindeutige Handhabe, um den Schutz unserer Grenzen gewährleisten zu können. (Beifall bei der FPÖ.)

Meine Damen und Herren! Wenn ich mir unsere Regierungspolitik ansehe, muss ich sagen, sie lebt von der Hoffnung auf einen erfolgreichen EU-Außengrenzschutz, von der Hoffnung auf andere Länder. – Damit ist uns begründet worden, dass diese Übung abgesagt worden ist. Vielleicht war das heute eine gute Intervention des Kollegen Leinfellner und diese Übung findet jetzt doch statt; wir werden diesbezüglich einen entsprechenden Entschließungsantrag einbringen. Die Politik dieser Regierung ist auch von weit auseinanderklaffenden Positionen der Regierungsparteien geprägt, sie ist schlicht und einfach leider zu wenig vertrauenserweckend für Österreich und seine Bevölkerung. (Vizepräsident Wanner übernimmt den Vorsitz.)

Daher bringe ich folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Josef Ofner, Kolleginnen und Kollegen betreffend „sofortiger Schutz Österreichs Grenzen“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass als abschreckende und präventive Maßnahmen sofort

1. verschärfte Grenzkontrollen an den Binnengrenzen zur Republik Slowenien, Italien und Ungarn durchgeführt werden,

2. das Grenzmanagement sofort hochgefahren wird,

3. es zur Durchführung einer groß angelegten Grenzschutzübung nach Vorbild der 2018 stattgefundenen ‚Pro Borders‘ Übung kommt, bestehend aus Soldaten, Polizisten sowie Behördenvertretern in Spielfeld, um entsprechende Erfahrungswerte zu gene­rieren und für den Ernstfall gerüstet zu sein,

4. technischen Sperren an der Grenze vorbereitet werden, das heißt die baulich und infrastrukturell notwendigen Maßnahmen für einen wirksamen Grenzschutz zur Verhinderung illegaler Grenzübertritte sofort sichergestellt werden, und

5. sämtliche weiteren Maßnahmen gesetzt werden, um unsere heimischen Grenzen zu sichern und zu schützen.“

*****

(Bundesrat Schennach: Damit bleibt ihr allein! – Ruf bei der FPÖ: Das kann ich mir nicht vorstellen!)

Meine Damen und Herren, geschätzte Regierungsparteien, nehmen Sie die Sicherheit für Österreich ernst und nicht auf die leichte Schulter! Diese Befürchtungen, die wir hier ausgesprochen haben, sind gerade im Zusammenwirken mit der Coronaepidemie von großem Belang. Handeln Sie mit Verantwortung und Vernunft, bevor es wie im Jahr 2015 für alles zu spät ist! (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)

15.06



BundesratStenographisches Protokoll902. Sitzung, 902. Sitzung des Bundesrates am 12. März 2020 / Seite 82

Vizepräsident Michael Wanner: Der von den Bundesräten Josef Ofner, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „sofortiger Schutz Öster­reichs Grenzen“ ist genügend unterstützt und steht damit mit in Verhandlung.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Klubvorsitzender Karl Bader. Ich erteile es ihm.


15.07.23

Bundesrat Karl Bader (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte ZuschauerInnen vor den Bildschirmen! Am Beginn meiner Ausführungen möchte ich heute ein großes Danke aussprechen; ein großes Danke dem Herrn Innenminister, dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Gesundheitsminister, die in Zeiten wie diesen mit einem kompetenten und konse­quen­ten Krisenmanagement eine außerordentliche Situation, wie wir sie in der Zweiten Republik noch nie hatten, gemeinsam aus Verantwortung für die Bevölkerung handeln.

Es ist eine außerordentliche Situation, die außerordentliche Maßnahmen erfordert. Es ist auch gut, dass gerade in dieser Situation die Menschen sehr offensiv informiert werden, was zu tun ist und wie in dieser Situation vorzugehen ist. Es ist erfreulich, dass sich in dieser Situation 92 Prozent der Bevölkerung sehr gut beziehungsweise gut informiert fühlen.

Was aber die Dringliche Anfrage der Freiheitlichen betrifft, muss ich sagen: „Es wäre [...] fast witzig, wenn es nicht so traurig wäre“ – Kollege Leinfellner hat das in der Begründung dieser Anfrage so formuliert –, wenn ich daran denke, was Sie und der Kollege aus Kärnten hier geboten haben. 92 Prozent der Bevölkerung sind bestens darüber informiert, was momentan Sache ist, was momentan in dieser Republik wichtig ist. (Bundesrat Ofner: Der Schutz der Staatsgrenzen! – Bundesrätin Mühlwerth: Das ist eine Information von euch! – Bundesrat Spanring: Von der ÖVP-Zentrale!) Die anderen 8 Prozent scheinen Freiheitliche zu sein, die nicht entsprechend informiert sind. (Beifall bei der ÖVP.)

Ich merke, dass einigen hier herinnen gerade nicht ganz klar ist, dass wir in einer außerordentlichen Situation sind. (Bundesrat Spanring: Nicht einmal euer eigener Koalitionspartner, Karl!) Mit Verlaub, es stellt sich für mich daher auch die Frage: Was ist denn so dringlich an Ihrer Anfrage? Was ist so dringlich an Ihrer Anfrage, dass Sie dieses Theater – möchte ich fast sagen – hier abziehen? (Bundesrätin Mühlwerth: Die auf dem Weg sind! Die vielleicht infiziert sind!) Es ist etwas, was ja ohnehin schon am Laufen ist. Es sind Fragen – wenn ich die 59 Fragen hernehme –, die Sie in den letzten Tagen in Form einer parlamentarischen Anfrage an dieses Haus herangetragen haben. Also: Was ist so dringlich, um hier Verunsicherung zu schüren? – Ist der Grund mög­licherweise die Gemeinderatswahl in der Steiermark, die vor der Tür steht? (Bun­desrätin Mühlwerth: Die ist ja schon abgesagt! So viel zur Information!) Das, was hier geboten wurde, ist etwas, das ich nicht ganz verstehe und nicht nachvollziehen kann. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Herrn Bundesminister, der die Fragen, die Sie gestellt haben, klar und deutlich beantwortet hat. Ich weiß nicht, was da offengeblieben ist. Sind es die Fragen, die den Grenzschutz betreffen? – Der ist in dieser Republik gewährleistet! Was ist offengeblieben, frage ich mich. Was ist offengeblieben? (Bun­desrat Ofner: Das habt ihr 2015 auch schon gesagt!) – Es geht nicht um das Jahr 2015. Ich habe mir das bei dir auch schon gedacht, Herr Kollege (in Richtung Bundesrat Ofner), als du hier heraußen gestanden bist: Das ist eine historische Vorlesung, hat aber mit einer Dringlichen Anfrage überhaupt nichts zu tun! (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Bundesrat Rösch: Wehret den Anfängen!)


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Es ist sowohl vom Herrn Bundeskanzler als auch vom Herrn Innenminister klar und deutlich formuliert worden, dass es keine Aufnahmen in Österreich geben wird. Es ist klar formuliert worden, dass es um Hilfe geht, die vor Ort zu leisten ist, um die Men­schen in Syrien zu unterstützen. (Bundesrat Ofner: So wie 2015!) Es ist klar und deutlich informiert worden, dass Hilfe vor Ort zu leisten ist und dass auch Griechenland Unterstützung zu geben ist (Bundesrat Spanring: Ja, auch so wie 2015!), mit Exekutivbeamten, die wir zur Verfügung gestellt haben, aber auch mit monetärer Hilfe.

Gerade das Gespräch, dass der Herr Bundeskanzler mit seinem griechischen Amts­kollegen vor einigen Tagen geführt hat, hat das klare Ergebnis gehabt, dass wir bereit sind, entsprechende Unterstützung zu leisten. Und es ist auch klar, dass Europa und damit auch Österreich sich in dieser Frage nicht vom türkischen Präsidenten Erdoğan erpressen lassen möchte und erpressen lässt. Das ist das Thema. Da geht es nicht um eine humanitäre Krise, da ist ein politischer Angriff auf Europa gestartet worden, den Europa auch gemeinsam abzuwehren bereit ist

Es sind auch die drei Sicherheitsnetze angesprochen worden. Wir diskutieren das ja nicht, wir leben das. Die Griechen leisten fast Übermenschliches an der Grenze. Diese Bedrohung ist wirklich eine außerordentliche, und ihr wird von den Kolleginnen und Kollegen dort auch entsprechend konsequent begegnet: mit einem Sicherheitsnetz an der EU-Außengrenze.

Sie haben auch gehört: Es gibt die Abstimmung mit den Kolleginnen und Kollegen am Westbalkan als zweites Sicherheitsnetz und den Grenzschutz an der österreichischen Grenze. So etwas wie 2015 wollen wir nicht mehr, da sind wir uns einig. Das zeigt auch die Arbeit, die von dieser Regierung konsequent und kompetent gemacht wird. (Beifall bei der ÖVP.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Freiheitlichen! Für mich ist bei dieser Dring­lichen Anfrage ein ganz besonderer Beigeschmack und der Eindruck da, dass Sie zwei große, voneinander unabhängige Herausforderungen vermischen wollen: Corona auf der einen Seite und die Flüchtlingsproblematik auf der anderen. (Bundesrätin Mühlwerth: Keineswegs!) Da frage ich mich: Warum muss man die Bevölkerung in dieser Situation verunsichern? (Bundesrat Steiner: Die haben selbst Hausverstand!) Sie zeichnen Horrorszenarien. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenrufe der BundesrätInnen Steiner und Mühlwerth.) – Herr Kollege, du kannst dich gerne zu Wort melden! Sie zeichnen Horrorszenarien, Sie verbreiten fast schon Verschwörungstheorien. Vielleicht ist es doch politisches Kleingeld, das Sie hier wechseln wollen. (Zwischenruf des Bundes­rates Steiner.) Ich frage mich nur: Warum wollen Sie das? (Bundesrätin Mühlwerth: Die üblichen Floskeln!)

Wenn ich mir anschaue, was heute, was in den letzten Tagen tatsächlich die Sorgen der Menschen waren, dann sehe ich, dass es ganz einfach andere sind. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.) Es geht um ihre Gesundheit, es geht um ihre Arbeitsplätze, es geht auch um die Sicherheit. Du hast es gehört – Herr Kollege Steiner, du brauchst da nicht provokant hereinzuschreien –, du hast es vom Herrn Innenminister gehört: Beide Probleme, beide Herausforderungen werden von den verantwortlichen Ministern, von den Verantwortlichen in den Stäben, von den Mitarbeitern in den Kabinetten wirk­lich konsequent bearbeitet. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Steiner: Wir werden euch dann an euren Taten messen!)

Den Menschen geht es um ihre Gesundheit, ihre Arbeitsplätze (Die Bundesräte Ofner und Steiner: Und Sicherheit!), um alles, was mit dieser gesundheitlichen Heraus­forderung zusammenhängt, natürlich auch um die Sicherheit. Jetzt gibt es ganz einfach eine Priorität in der Bearbeitung der Problematik, um die Kurve, wie sie gezeichnet


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wurde, was die Infizierungsrate betrifft, möglichst flach zu halten und weitere Infektio­nen hinauszuzögern.

Bei allen parlamentarischen Rechten – und wir haben heute auch darüber diskutiert, dass die Dringliche Anfrage natürlich ein Recht im Bundesrat ist und in der Ge­schäfts­ordnung auch klar verankert ist –: Es stellt sich die Frage, ob es notwendig war, in dieser Ausnahmesituation diese Dringliche Anfrage zu stellen.

Liebe Frau Kollegin (in Richtung Bundesrätin Mühlwerth), du weißt, ich hege persönlich eine sehr große Wertschätzung für dich als Kollegin, aber der Vergleich in deinem vor­mittäglichen Redebeitrag, dass dich das an das Jahr 1933 erinnert (Bundesrätin Mühlwerth: Ich habe gesagt, man fühlt sich daran erinnert) – „man fühlt sich daran erinnert“ –, ist etwas, das nicht zu akzeptieren ist. (Rufe bei der FPÖ.) Dieser Vergleich ist schamlos, ist unanständig, und ich weise ihn zurück, denn es ist unerträglich, was Sie hier aufführen. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei BundesrätInnen der SPÖ. – Bundesrat Steiner: Lies die Parlamentskorrespondenz! Da steht das drinnen!)

Ich möchte aber auch klar und deutlich sagen, dass es das politische Kleingeld, das Sie hier schlagen wollen, nicht geben wird. Diese außerordentliche Situation der Men­schen in diesem Land, diese außerordentliche Situation und diese Herausforderung für alle Verantwortlichen in diesem Land für politische Zwecke zu missbrauchen, das wird sich für Sie nicht auszahlen. Das ist auch kein Beitrag zu dem von Ihnen geforderten nationalen Schulterschluss.

Ich bekenne mich zu diesem Beschluss genauso wie die ÖVP-Fraktion und alle Verantwortungsträger in der gesamten Bundesregierung. Es ist genau das Gegenteil, was Sie mit dieser Dringlichen Anfrage und mit dem, was hier auch an Beiträgen geleistet wurde, erreicht haben. Die Regierung im Gesamten und Herr Bundesminister Nehammer im Besonderen, sie tragen Verantwortung und sie stehen zu dieser Ver­antwortung und nehmen diese Verantwortung im Interesse der Bevölkerung dieser Republik auch wahr. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

15.17


Vizepräsident Michael Wanner: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Bundesrat Dominik Reisinger. Ich erteile es ihm.


15.17.29

Bundesrat Dominik Reisinger (SPÖ, Oberösterreich): Geschätzter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe ZuhörerInnen zu Hause vor den Bildschirmen! Es steht mir als Mitglied der sozialdemokratischen Bundesratsfraktion, die sich gegen­wärtig auch in der Opposition befindet, in keinerlei Hinsicht zu, das Einbringen einer Dringlichen Anfrage einer anderen Oppositionspartei grundsätzlich zu kritisieren, wenn­gleich – das muss ich sagen – der Zeitpunkt in dieser Situation völlig unpassend ist. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen. – Bundesrat Steiner: Euch war die Sicherheit 2015 wurscht! Euch wird sie auch 2020 wurscht sein!) – Herr Kollege, die ZuhörerInnen können Sie dort nicht hören, kommen Sie heraus ans Rednerpult! (Bundesrat Steiner: Nein, mir geht es um Sie!)

Heute wäre ein Tag gewesen, an dem alle Fraktionen unseres Landes geschlossen für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor den pandemischen Bedrohungen durch den Coronavirus eintreten sollten. (Bundesrat Steiner: Und das kann man nicht machen ...?) Es ist momentan nicht die richtige Zeit für Schuldzuweisungen aus parteitaktischen Überlegungen heraus (Beifall bei BundesrätInnen der SPÖ), und es ist auch nicht die richtige Zeit, aus den Umständen an der griechisch-türkischen Grenze mit Ausländerfeindlichkeit politische Vorteile ziehen zu wollen (Ah-Rufe bei der FPÖ),


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und deshalb richtet sich meine Kritik hauptsächlich gegen den Inhalt dieser Dringlichen Anfrage.

Doch nun einige Worte zu den Vorgängen an unseren EU-Außengrenzen: Die Vor­gänge sind zweifellos beschämend. Da wird Politik auf Kosten der Ärmsten gemacht. Menschen als Spielmasse zu missbrauchen, um aus der EU mehr Geld herauszu­pressen, ist verabscheuungswürdig. (Beifall bei der SPÖ.) Auch die Zustände in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln sind mit unseren europäischen Grund­werten in keinerlei Hinsicht vereinbar.

Man muss mit deutlichen Worten festhalten, dass politische Entscheidungen, bei de­nen es darum geht, ein Nicht-EU-Land – gemeint ist die Türkei – durch finanzielle Unterstützungen dazu zu bringen, eine wirklich große Anzahl von Flüchtlingen in seinem Staatsgebiet aufzunehmen und damit deren Einsickern nach Europa zu ver­hindern, natürlich äußerst sensible Entscheidungen sind, die, wie man im konkreten Fall sieht, zu unmenschlichen Situationen führen können, wenn diese Flüchtlinge für politische Zwecke eingesetzt werden. Dennoch ist es unabdingbar notwendig, dass Europa seine Grenzen schützt und nur rechtmäßige Zuwanderung zulässt. Unkon­trollierte Zuwanderung in großem Stil kann natürlich die Situation in Europa destabi­lisieren.

Wenn wir jetzt schon beim großen Thema Grenzschutz sind: Die Einsatzfähigkeit unse­res Bundesheeres ist für den nationalen Grenzschutz essenziell. Die sozialdemo­kratische Parlamentsfraktion hat schon öfters darauf aufmerksam gemacht, dass diese Einsatzfähigkeit leider nicht gegeben ist. Das österreichische Bundesheer ist finanziell ausgehungert. (Bundesrätin Mühlwerth: Und wer hat’s kaputtgespart? – Ruf bei der FPÖ: Darabos!) Man erinnere sich nur an die deutlichen Worte des vorigen Landes­verteidigungsministers Thomas Starlinger. Dieser hat den budgetären Mehrbedarf ganz detailliert dargestellt, und nach allem, was man hört, wird das nächste Budget diesen Bedarf leider nicht decken. Es ist daher auch unglaubwürdig, wenn die Bundes­regie­rung, wenn der Bundeskanzler mit Härte droht, aber gleichzeitig die Einsatzbereitschaft des österreichischen Bundesheeres durch eine viel zu geringe budgetäre Ausstattung gefährdet.

Nun zum Inhalt der Dringlichen Anfrage der FPÖ: Für besonders unappetitlich und eigentlich unstatthaft erachte ich die spekulativen Fragen, wann gegen Menschen Schusswaffen eingesetzt werden können. Dafür gibt es nämlich, das haben wir heute vom Minister gehört, rechtliche Bestimmungen. Es ist aber inakzeptabel, mit solchen Fragen die österreichische Bevölkerung zu verunsichern! Damit erzeugen Sie nämlich bewusst Bilder, die sich in den Köpfen der Menschen festsetzen und geeignet sind, Menschen Angst einzuflößen, sie zu manipulieren und auseinanderzudividieren. (Bundesrätin Mühlwerth: Das macht schon ihr! – Bundesrat Rösch: Wo sie recht hat, hat sie recht!)

Symptomatisch für die parteipolitischen Überlegungen, die hinter dieser Anfrage stehen, ist auch Frage 50, wonach der Innenminister ausschließen solle, dass Minder­jährige aus den griechischen Flüchtlingslagern nach Österreich geholt werden, wie dies der Bundespräsident und auch der Vizekanzler verlangt haben. (Bundesrätin Mühlwerth: Na und?) Der Bundesminister für Inneres ist für eine solche Maßnahme nämlich überhaupt nicht zuständig. Es soll damit bloß ein Keil zwischen die Regierungs­fraktionen getrieben werden. Wieder sind es minderjährige Flüchtlinge, die für diese Zwecke missbraucht werden. (Bundesrat Steiner: Wir dürfen jetzt also auch keine Fragen mehr stellen! Interessant! ... weil ihr so brav seid! – Rufe und Gegenrufe zwischen BundesrätInnen von SPÖ und FPÖ.) Vielmehr, Herr Kollege, wäre es unsere Aufgabe, nachzudenken, wie man diese bedauernswerten Kinder aus dieser unmensch­lichen Situation holen kann, wie man ihnen helfen kann. Das sollte unser Politikansatz


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sein. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der Grünen. – Zwischenruf des Bun­desrates Steiner.)

Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Es gibt eine Allianz von Bürgermeistern aus Ober­öster­reich. Diese Bürgermeister und ihre Gemeinden wären bereit, unbegleitete, kranke Kinder – und von denen ist die Rede – aufzunehmen. (Bundesrätin Mühlwerth: Meine Güte! Ihr habt es immer noch nicht kapiert!) Wie bringen wir die Kinder aus diesen Krisenzonen? (Bundesrat Steiner: ... Populismus!) Wie können wir vor Ort helfen, damit das Leben in diesem Gebieten sicher und menschenwürdig wird? Das sind zentrale Fragen und das ist doch der Stoff für eine wirklich dringliche Anfrage! (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Lackner. – Bundesrätin Mühlwerth: Ja, ja!)

Abschließend, meine sehr geehrten Damen und Herren: Spricht man sich gegen die Vereinnahmung von Flüchtlingen für politische Zwecke im Verhältnis zwischen Europa und der Türkei aus, so gilt das natürlich vollinhaltlich auch für die Politik auf nationaler, auf österreichischer Ebene. Deshalb meine Botschaft an die FPÖ: Hören Sie auf mit Pauschalisierungen über Flüchtlingen aus parteipolitischem Interesse!  – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Lackner. – Bundesrat Steiner: Auf Ihre Botschaft verzichten wir wieder gerne!)

15.24


Vizepräsident Michael Wanner: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger zu Wort. Ich erteile es ihr. (Bundesrat Rösch: Das wird wieder interessant!)


15.25.00

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehr­ter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuseherinnen und Zuseher via Livestream! Bevor ich jetzt anfange, möchte ich noch einen ganz kurzen Satz zu Kollegen Ofner sagen – wo sitzt er?  –: Unsere grüne Abgeordnete fliegt nach Lesbos, um sich ein Bild vor Ort zu machen, Ihr grüner Abgeordneter fliegt nach Ibiza, um die Republik zu verscherbeln. (Beifall bei den Grünen. – Rufe bei der FPÖ: Wir haben keinen grünen Abgeordneten!) – Flog! Ihr Abgeordneter! (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.  – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Bitte? (Bundesrätin Mühlwerth: Das ist ein Witz, der hat schon so einen Bart!) – Ja, es muss aber manchmal sein, denn Sie scheinen es schon vergessen zu haben. – Gut. (Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Warum war ich eigentlich überhaupt nicht verwundert, als ich gelesen habe, dass es eine Dringliche Anfrage vonseiten der FPÖ geben wird? – Weil in dieser Republik kein Tag vergehen darf, ohne dass die Freiheitlichen das Thema Nummer eins in den Vordergrund stellen. Das ist in der jetzigen Situation, in der jeder von uns gefordert ist, tatsächlich alles daran zu setzen, für das Wohl der Menschen in Österreich seine Kraft einem Virus entgegenzusetzen, wirklich schändlich! (Bundesrätin Schartel: ... ich bin Österreicherin, richtig!)

Worum geht es wirklich in Ihrer Anfrage? – Es geht um unqualifizierte Angstmache und um schändlichen Populismus. (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der ÖVP.)

Wir erleben derzeit die jüngsten Ereignisse an der syrisch-türkischen Grenze als eine weitere humanitäre Katastrophe. Viele Tausend von dem fast neun Jahre andauernden Krieg gebeutelte Menschen sind durch neuerliche Kriegshandlungen abermals in die Schusslinie geraten und fliehen, um ihr Leben in Sicherheit bringen. (Bundesrätin Mühlwerth: Die sind nicht in der Schusslinie!) Flucht, und das ist hinlänglich bekannt, erfolgt als erstes in das nächste sichere Gebiet, und das ist für viele Syrerinnen und Syrer die Türkei – oder es war die Türkei. Nun erleben wir das Phänomen, dass sich


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Herr Erdoğan diese Menschen zum Spielball macht, und das ist schändlich und bringt in der Folge die Europäische Union in eine Situation, die eine große Herausforderung birgt.

In den letzten Jahren wurden seitens der Europäischen Union 6 Milliarden Euro an Hilfsmitteln zugesagt und inzwischen wurden 3,2 Milliarden Euro ausbezahlt, darunter 45,6 Millionen Euro aus Österreich und 427 Millionen Euro aus Deutschland. Diese Gelder sollten dazu dienen, den Flüchtlingen in der Türkei ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Das bedeutet in der Realität, dass Flüchtlingskinder Schulen besuchen können (Bundesrat Schennach: Schulen besuchen in der Türkei? – Bun­des­rat Rösch – in Richtung Bundesrat Schennach –: ... und wo ...?), dass Flüchtlinge Wohnraum zur Verfügung haben, dass es den Flüchtlingen ermöglicht wird, ein den Umständen entsprechendes Leben führen zu können, dass Sie nicht weiter fliehen müssten. Das ist aber nicht gewährleistet. (Bundesrat Schennach – in Richtung Bun­desrat Rösch –: Ich habe mir die Flüchtlingslager in der Türkei angeschaut! Da gibt es keinen Schulbesuch!) Herr Erdoğan benutzt nämlich diese Flüchtlinge nun als Druck­mittel gegenüber der EU und macht diese Menschen zum Spielball. Es ist ein Verlangen der türkischen Regierung, dass die Hilfsgüter in Zukunft der türkischen Regierung zufließen sollen und nicht mehr den vor Ort tätigen Hilfsorganisationen, und das ist inakzeptabel.

Um dieser Situation gerecht zu werden, braucht es Gespräche innerhalb der EU. (An­haltende Rufe und Gegenrufe zwischen den Bundesräten Schennach und Rösch.) – Sie können hier diskutieren und ich rede danach weiter. (Bundesrat Schreuder – in Richtung Bundesräte Schennach und Rösch –: Das ist wirklich respektlos! – Rufe bei der FPÖ: Oh, geh bitte! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Was Österreich tun sollte, ist, sich in erster Linie im Sinne der Befriedung und Hilfe vor Ort stark zu machen, und das tut unsere Regierung auch. In den letzten Wochen hat sich gezeigt, dass in der Zwischenzeit Menschen nach Europa weiterflüchten mussten. Die Türkei besitzt eben eine Landgrenze zu Griechenland und Bulgarien, und die Situ­ation an dieser Grenze ist als prekär zu bezeichnen. Wir haben ja eben ausführlich von Herrn Innenminister Nehammer gehört, zu welchen Situationen es dort kommt.

Ein weiterer Hotspot sind aber die griechischen Inseln. Dort spielt sich derzeit aus meiner Sicht und aus der Sicht von ExpertInnen eine wirkliche humanitäre Katastrophe ab, die es zu entschärfen gilt. Das Wichtigste dabei ist, Griechenland nicht alleine zu lassen. Solidarität auf europäischer Ebene muss da die größte Priorität haben. (Bun­des­rat Schennach: Mit Ausnahme Österreichs!) Dazu gibt es viele Lösungsansätze, zu denen ich dann komme. Kein Lösungsansatz ist, das völkerrechtlich verankerte Recht auf internationalen Schutz auszusetzen, weder für Griechenland noch für Österreich.

Weil von den freiheitlichen Kollegen immer wieder in den Raum gestellt wird, dass das Asylrecht ausgesetzt werden soll, habe ich mich entsprechend erkundigt. – Das wird gar nicht so einfach möglich sein, nämlich gar nicht. Die Definition lautet nämlich: „Jeder, der vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden in seinem Herkunftsland flieht, hat das Recht, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen.“ (Bundesrat Steiner: In seinem Herkunftsland!) „Asyl ist ein Grundrecht und es ist eine internationale Verpflichtung der Vertragsparteien des Genfer Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951, zu denen auch die Mitgliedstaaten der EU gehören, Per­sonen, die die im Abkommen festgelegten Kriterien erfüllen, dieses Recht zu gewäh­ren. Die EU hat die Voraussetzungen für die Gewährung von internationalem Schutz in ihre eigene Rechtsetzung integriert und das Konzept“ sogar „erweitert, indem sie neben Flüchtlingen eine zusätzliche Kategorie von Personen, die internationalen Schutz genießen, geschaffen hat, nämlich Begünstigte des subsidiären Schutzstatus.


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Das Recht auf Asyl ist in Artikel 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert. Gemäß Artikel 19 sind Kollektivausweisungen nicht zulässig und nie­mand darf in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausge­liefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung be­steht.“

Durch die in Österreich geltenden Gesetze sind wir für sämtliche Situationen, die eine Aufnahme von schutzsuchenden Menschen betreffen, bestens gerüstet. (Bundesrat Steiner: Aber die Bevölkerung nicht! – Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Wir haben das Instrument der Dublinverordnung, die uns prinzipiell einen sehr großen Steuerungsmechanismus in Bezug auf Asylanträge in die Hand gibt. Was aber überhaupt nicht möglich ist, ist, Asylanträge nicht mehr anzunehmen.

Die letzten Jahre haben uns gezeigt, dass mehr als die Hälfte der gestellten Asyl­anträge zu einer Schutzgewährung geführt haben. (Bundesrätin Mühlwerth: Aber von denen redet ja auch niemand!) Es ist deshalb komplett absurd, darüber zu diskutieren, den Menschen das Recht abzusprechen, einen Asylantrag zu stellen, denn erwie­senermaßen ist jeder zweite Asylantragsteller im Sinne der Genfer Flüchtlingskon­vention schutzbedürftig. (Bundesrat Schennach: Ja, ihr seids in der Regierung, was macht ihr? – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Asylantragstellung, zeitnahe Überprüfung im Rahmen eines ordnungsgemäßen Verfahrens – so sieht es unsere Rechtsordnung vor und so soll es auch sein. Das Jahr 2015 war eine große Herausforderung und hat uns im Umgang mit Flucht­bewe­gungen sensibilisiert und geschult. Das Jahr 2015 hat Europa aber keinen Schaden zugefügt, sondern vielen Menschen das Leben gerettet und eine Zukunft ermöglicht (Bundesrat Steiner: Und anderen das Leben gekostet!), und nur mit Besonnenheit und Vernunft - - (Ruf bei der FPÖ: Vielen Frauen! – Neuerlicher Zwischenruf des Bun­desrates Steiner.) – Ich will da jetzt nicht darauf eingehen. (In Richtung Bundesrat Steiner:) Komm nach vorne, erzähl selber etwas, und lass mich jetzt bitte ausreden, wenn ich das so sagen darf! (Bundesrat Steiner: Ja, mei, arm!)

So: Ich komme auf Besonnenheit, Vernunft und Solidarität zurück, was für die FPÖ-Fraktion hier vorne wahrscheinlich ein bisschen ein Fremdwort ist. Nur mit diesen Eigenschaften kann Europa die neue Herausforderung meistern, und das ist unser grüner Zugang. Eine Umverteilung der schutzbedürftigen Menschen von Griechenland auf Europa kann dabei auch zu einer kurzfristigen und dringend notwendigen Ent­schärfung der Situation führen und ist durchaus sinnvoll. (Rufe und Gegenrufe zwi­schen den Bundesräten Ofner und Schreuder.) Besonders vulnerable Personen wie Kranke, Frauen und Kinder sind dabei schnellstmöglich zu versorgen.

Bereits sieben europäische Länder wollen 1 600 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufnehmen. Ich weise – wie der Kollege von der SPÖ vorhin – auch darauf hin, dass es bei uns sowohl in der Zivilgesellschaft als auch in den Kommunen bereits zahlreiche Willensbekundungen zur Aufnahme von Frauen und Kindern gibt (Bundesrat Saurer: Wer ist die Zivilgesellschaft?), und es gibt auch zahlreiche, bereits angemietete staatliche Unterbringungsplätze für Schutzbedürftige. (Bundesrat Schennach: Aber ihr sitzt in der Regierung!)

Das sind die Dinge, über die wir diskutieren sollen und müssen, aber nicht über den Gebrauch von Schusswaffen und das Aussetzen des Asylrechtes. – Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

15.33


Vizepräsident Michael Wanner: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Bernhard Hirczy. Ich erteile es ihm.



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15.34.08

Bundesrat Bernhard Hirczy (ÖVP, Burgenland): Sehr geehrter Herr Präsident! Ge­schätzte Kolleginnen und Kollegen! Hohes Haus! Ich darf zunächst herzlich Grüß Gott sagen, es ist meine erste Rede hier im Bundesrat. Als neuer Bundesrat aus dem Bur­genland freue ich mich auf die kommenden Aufgaben. Ich bin im Südburgenland zu Hause, konkret im Bezirk Jennersdorf, dort ist auch unser Familienbetrieb, eine Tischlerei. (Allgemeiner Beifall.)

Uns liegen eine Dringliche Anfrage sowie ein Entschließungsantrag vor. Alle 59 Fragen wurden von Innenminister Karl Nehammer ausführlich beantwortet. Wir kennen die aktuelle Situation in Österreich nur allzu gut, daher darf auch ich die Notwendigkeit dieser Dinglichen Anfrage hinterfragen: Die Bundesregierung arbeitet hervorragend und informiert die Bevölkerung hervorragend; dieser Aufwand – der personelle Auf­wand – ist daher wirklich zu hinterfragen, diese Zeit könnte effizienter betreffend das Thema Corona eingesetzt werden. (Beifall bei der ÖVP.) Dazu vielleicht ein Vergleich: Die Feuerwehr, die zu einem Einsatz ausrücken muss, um Menschenleben zu retten, wird abberufen und soll Feuerlöscher überprüfen. – Ich denke, das ist nicht im Sinne der Sache, da könnten wir die Zeit sinnvoller nutzen. (Beifall bei der ÖVP.)

Es geht dezidiert um die Sicherheit Österreichs. Als Südburgenländer darf ich fest­halten: 2015 darf sich nicht wiederholen. Damals wurden zu viele Menschen einfach durchgewunken. Es gab Hotspots, einige wurden heute schon genannt, beispielsweise Heiligenkreuz im Lafnitztal und Nickelsdorf. Ich war auch persönlich vor Ort, habe mir damals ein Bild von der Situation gemacht – und ja: Es darf sich nicht wiederholen. Damals stand neben mir auch der jetzige Landeshauptmann des Burgenlandes Hans Peter Doskozil, damals standen Busse bereit, und Menschenmassen fuhren und wan­derten vom Burgenland Richtung Wien und Salzburg. Egal ob es Rotes Kreuz, Bun­desheer, Polizei oder viele Ehrenamtliche waren, alle haben hervorragende Arbeit geleistet, und auch bei denen darf ich mich für die damalige Zeit nochmals recht herz­lich bedanken.

Worauf ich deutlich verweisen möchte, ist, dass die heutige Anfrage fast ident und deckungsgleich mit einer parlamentarischen Anfrage im Nationalrat ist. Auch da stehen wahrscheinlich nicht das Interesse der Allgemeinheit im Vordergrund, sondern vermut­lich politisches Kalkül.

Festzuhalten ist auch, dass der Assistenzeinsatz aufrecht bleibt; darauf darf ich auch als Burgenländer dezidiert verweisen. Der Status quo bleibt unverändert, dies ist auch im Sinne der Bevölkerung. Die Verlängerung des Assistenzeinsatzes mit bis zu 2 200 Soldatinnen und Soldaten ist erneut ein klares Signal für einen starken und robusten Grenzschutz auf allen Ebenen. Angesichts der Situation an der türkisch-griechischen Grenze hat dieser Schutz für uns höchste Priorität; das sage ich auch in Bezug auf mein Heimatbundesland Burgenland. Da haben Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Innenminister Karl Nehammer die richtigen Schritte gesetzt. Un­sere Beamten, Soldaten und Polizisten leisten Enormes und haben, unterstützt durch das Setzen der notwendigen Schritte, durch die Beschlüsse der Ministerien und der Bundesregierung, alles im Griff.

Österreich hat auch im Jahr 2020 bereits 1 000 Frauen und Kinder neu ins Asylver­fahren aufgenommen. Somit leisten wir, wie in den vergangenen Jahren, einen enor­men Beitrag. In den letzten beiden Jahren waren es rund 11 000 Kinder und 4 000 Frau­en, die einen entsprechenden Antrag stellten.

Es werden auch klare Lösungswege aufgezeigt: 3 Millionen Euro direkt aus dem Aus­landskatastrophenfonds für die Syrienhilfe, Unterstützung der Griechen beim Schutz


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der Außengrenzen, und eine wichtige Botschaft: Die Europäische Union muss ge­schlossen hinter Griechenland stehen.

Meine Botschaft zur aktuellen Situation: Lassen wir die Bundesregierung unter Sebastian Kurz, Vizekanzler Werner Kogler und Innenminister Karl Nehammer arbei­ten, denn diese Regierung und das Regierungsteam arbeiten sehr gut – und das im Sinne der Menschen! Wir werden diesem Entschließungsantrag nicht die Zustimmung erteilen. (Beifall bei der ÖVP.)

15.38


Vizepräsident Michael Wanner: Zu Wort gemeldet ist Frau Klubvorsitzende Mühlwerth. Ich erteile es ihr.


15.38.49

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseher via Livestream! Ich weiß schon, das Coronavirus überdeckt jetzt alles; das ist schon klar. Es ist eine ernsthafte Bedrohung, das haben wir heute Vormittag in der Aktuellen Stunde schon besprochen. Es ist wirklich ernst, aber das heißt doch bitte nicht, dass man jetzt alles andere bei­sei­teschieben kann und so tun kann, als ob es nicht existent wäre! (Beifall bei der FPÖ.)

Wir dürfen von einer Regierung schon verlangen – egal welche Konstellation sie hat –, dass sie auf mehreren Seiten gleichzeitig agieren kann, weil sie das auch muss. (Bei­fall bei der FPÖ. – Bundesrat Bader: Das tut sie! – Weiterer Ruf bei der ÖVP: Das tut sie!)

Zu unserer Dringlichen Anfrage: Die ist dringlich! Dass die ÖVP behauptet, die Be­völkerung sei von der Regierung eh bestens informiert, und dass der neue Kollege sagt, die Regierung arbeite super: Das haben wir auch gemacht, jeder Greißler lobt seine Ware und jeder sagt immer, die eigene Regierung ist die beste, das nehme ich niemandem übel, das ist so. Nur: Wir wissen, dass sich an der Grenze zu Griechen­land, das ja wirklich heillos überfordert ist, was aber nicht deren Schuld ist – ich mache jetzt nicht den Griechen den Vorwurf und sage, sie können es einfach nicht, sondern es ist einfach zu viel, weil, darin sind wir uns ja einig, die Türkei Europa erpresst –, etwas zusammenbraut. Dieses Thema kann man jetzt nicht einfach außen vor lassen und sagen: Na ja, das behandeln wir dann einmal später!, weil später zu spät sein könnte.

Sehr geehrte Kollegen der SPÖ, es ist ja eh immer das Gleiche: Sie sprechen von den Ärmsten der Armen. Da wird dann auf die Tränendrüse gedrückt: Das sind die Armen, die vor dem Krieg flüchten, et cetera. – Das stimmt aber einfach nicht! Auch der Herr Innenminister hat gesagt, die wenigsten sind Syrer, und zu Syrien muss man sagen: Es wird ja nur noch rund um Idlib gekämpft. Im Rest Syriens würden Leute gebraucht werden, die auch dabei mithelfen, das Land wiederaufzubauen. Da ist es also gar nicht so gut, wenn die gehen. Der Rest kommt aus ganz anderen Staaten, und das sind in den meisten Fällen nicht Verfolgte, die vom Tode bedroht sind. Wir machen ja den Menschen keinen Vorwurf, dass sie versuchen, in Europa ein besseres Leben zu bekommen, aber umgekehrt muss Europa auch sagen dürfen: Ihr könnt nicht alle zu uns kommen, weil wir sonst irgendwann Zustände haben, wie sie bei euch, wo ihr herkommt, herrschen! Die Finanzierbarkeit des Sozialstaates ist nämlich nicht unendlich. (Beifall bei der FPÖ.)

Daher ist es natürlich berechtigt, dass man nachfragt, ob an dieser Situation, die ja auch wieder in eine Krise ausarten könnte, auch gearbeitet wird, daher ist es auch recht und billig, dass die Bundesräte der Freiheitlichen Partei dies hinterfragen.

Zu diesen armen unbegleiteten Minderjährigen: Ich glaube, einige von Ihnen haben das System noch nicht verstanden, nach dem das vonstattengeht. Das ist nicht so, dass sich der arme 15-Jährige oder 17-Jährige auf den Weg macht, weil er so arm ist,


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sondern die werden meistens vorgeschickt, weil sie junge, starke Männer sind – und wenn sie einmal hier sind, kommt die Familie nach; wir haben das alles schon erlebt.

Ich sage Ihnen, 2015 ist noch nicht abgearbeitet, die Integration hat ja überhaupt nicht funktioniert. Wie viele dieser sogenannten armen unbegleiteten Jugendlichen haben unsere Frauen sexuell belästigt, unsere Frauen vergewaltigt und unsere Frauen auch getötet? Und das alles wollen Sie billigend in Kauf nehmen? (Beifall bei der FPÖ.)

Das kann nicht Ihr Ernst sein, und ich hoffe jetzt für Sie beide beziehungsweise für alle drei Fraktionen, dass die Art Ihres Umgangs mit unserer Dringlichen Anfrage einzig und allein Ihrem politischen Kalkül geschuldet ist – das hoffe ich! –, denn alles andere würde mir Angst machen, Angst, dass Sie der Situation überhaupt nicht gewachsen sind, und das hoffe ich doch nicht! (Beifall bei der FPÖ.)

15.44

15.44.28


Vizepräsident Michael Wanner: Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Josef Ofner, Kolleginnen und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend „sofortiger Schutz Österreichs Grenzen“ vor. Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Es ist hiezu eine namentliche Abstimmung verlangt worden.

Da dieses Verlangen von fünf BundesrätInnen gestellt wurde, ist gemäß § 54 Abs. 3 der Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung durchzuführen. Ich gehe daher so vor.

Im Sinne des § 55 Abs. 5 der Geschäftsordnung erfolgt die Stimmabgabe nach Aufruf durch die Schriftführung in alphabetischer Reihenfolge mündlich mit „Ja“ oder „Nein“.

Ich ersuche nunmehr die Schriftführung um den Aufruf der Bundesräte und Bun­desrätinnen in alphabetischer Reihenfolge.

*****

(Über Namensaufruf durch Schriftführerin Berger-Grabner geben die BundesrätInnen ihr Stimmverhalten mündlich bekannt.)

*****


Vizepräsident Michael Wanner: Ich mache von meinem Stimmrecht Gebrauch und stimme mit „Nein“.

Die Stimmabgabe ist beendet. Ich unterbreche die Sitzung zur Stimmauszählung.

*****

(Die zuständigen Bediensteten nehmen die Stimmenzählung vor. – Die Sitzung wird um 15.49 Uhr unterbrochen und um 15.50 Uhr wieder aufgenommen.)

*****

Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf und gebe das Abstimmungsergebnis bekannt.


BundesratStenographisches Protokoll902. Sitzung, 902. Sitzung des Bundesrates am 12. März 2020 / Seite 92

Demnach entfallen auf den Entschließungsantrag der Bundesräte Josef Ofner, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend „sofortiger Schutz Österreichs Grenzen“ bei 61 abge­gebenen Stimmen 14 „Ja“-Stimmen und 47 „Nein“-Stimmen.

Der Entschließungsantrag der Bundesräte Ofner, Kolleginnen und Kollegen ist somit abgelehnt.

Mit „Ja“ stimmten die BundesrätInnen:

Bernard;

Dim;

Leinfellner;

Mühlwerth;

Ofner;

Pisec;

Rösch;

Saurer, Schartel, Schererbauer, Schilchegger, Spanring, Steiner, Steiner-Wieser.

Mit „Nein“ stimmten die BundesrätInnen:

Appé, Auer;

Bader, Beer, Berger-Grabner, Buchmann;

Eder, Eder-Gitschthaler;

Gerdenitsch, Gfrerer, Grimling, Gross, Grossmann, Gruber-Pruner;

Hahn, Hauschildt-Buschberger, Hirczy, Holzner;

Kahofer, Kaltenegger, Kaske, Köck, Kornhäusl, Kovacs;

Lackner, Lancaster, Leitner;

Mattersberger, Miesenberger;

Neurauter, Novak;

Preineder, Prischl;

Raggl, Reisinger, Ringer;

Schachner, Schennach, Schreuder, Schumann, Schwarz-Fuchs, Schwindsackl, Seeber;

Wanner;

Zaggl, Zeidler-Beck, Zwazl.

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15.51.03Einlauf und Zuweisungen


Vizepräsident Michael Wanner: Ich gebe noch bekannt, dass seit der letzten bezie­hungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt 23 Anfragen eingebracht wurden.

Eingelangt ist der Entschließungsantrag der Bundesräte Marlies Steiner-Wieser, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend „endlich mehr Tierschutz im Bereich Lebendtier­trans­porte“, der dem Gesundheitsausschuss zugewiesen wird.


BundesratStenographisches Protokoll902. Sitzung, 902. Sitzung des Bundesrates am 12. März 2020 / Seite 93

Weiters eingelangt ist der Entschließungsantrag der Bundesräte Mag. Reinhard Pisec, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Maßnahmenpaket zur Abfederung der negativen Auswirkungen auf die heimische Wirtschaft aufgrund des Coronavirus“, der dem Wirt­schaftsausschuss zugewiesen wird.

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Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Wege erfolgen. Als Sitzungstermin ist Donnerstag, 26. März 2020, 9 Uhr, vorgesehen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen insbesondere jene Beschlüsse in Be­tracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit diese dem Ein­spruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterlie­gen.

Die Ausschussvorberatungen sind für Dienstag, 24. März 2020, 14 Uhr, vorgesehen.

Diese Sitzung ist geschlossen.

15.52.27Schluss der Sitzung: 15.52 Uhr

 

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