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Plenarsitzung
des Bundesrates


Stenographisches Protokoll

 

914. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 5. November 2020

 

 

 

Großer Redoutensaal

 


Stenographisches Protokoll

914. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 5. November 2020

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 5. November 2020: 14.03 – 21.13 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Punkt: Bericht der Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort be­treffend EU Vorhaben 2020

2. Punkt: Bericht über die Situation und Entwicklung kleiner und mittlerer Unternehmen der österreichischen Wirtschaft („KMU im Fokus 2019“)

3. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über besondere Förderungen von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU-Förderungsgesetz) geändert wird

4. Punkt: Bericht der Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus be­treffend Tourismus in Österreich 2019

5. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Kennzeichnung von Schusswaffen und wesentlichen Bestandteilen von Schusswaffen (Schusswaffenkenn­zeichnungsgesetz – SchKG) erlassen und das EU-Polizeikooperationsgesetz geändert wird

6. Punkt: Bericht des Bundesministers für Inneres betreffend Legislativ- und Arbeitspro­gramm der Europäischen Kommission für 2020 sowie dem Achtzehnmonats-Programm des rumänischen, finnischen und kroatischen Vorsitzes des Rates der Europäischen Union

7. Punkt: Bericht der Bundesregierung über die innere Sicherheit in Österreich (Sicher­heitsbericht 2018)

8. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Günther Novak, Kolleginnen und Kolle­gen betreffend keine Abwälzung der EU-Plastikabgabe auf SteuerzahlerInnen statt Plas­tikhersteller (280/A(E)-BR/2020)

*****

Inhalt

Bundesrat

Schreiben des Tiroler Landtages betreffend Mandatsverzicht der Bundesrätin Klara Neurauter beziehungsweise Wahl von Ersatzmitgliedern .............................................................. 28


BundesratStenographisches Protokoll914. Sitzung, 914. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2020 / Seite 2

Angelobung des Bundesrates Sebastian Kolland ....................................................... 6

Ansprache der Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler aus Anlass des Ter­roranschlags in Wien ........................................................................................................................................... 6

Schreiben des Bundeskanzlers Sebastian Kurz gemäß Art. 23c Abs. 5 B-VG be­treffend Nominierung eines Mitglieds in den Ausschuss der Regionen ........................................................... 30

Schreiben des Generalsekretärs des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten gemäß Art. 50 Abs. 5 B-VG betreffend die Ertei­lung der Vollmacht zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Abkommen zwi­schen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Republik Ser­bien über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Un­glücksfällen durch den Bundespräsidenten ....................................................................................... 36

Personalien

Verhinderungen ................................................................................................................ 6

Aktuelle Stunde (80.)

Thema: „Digitalisierung ist der Impfstoff der Wirtschaft – die Chancen aus der Krise nutzen“     ................................................................................................................................. 8

RednerInnen:

Mag. Christian Buchmann ............................................................................................. 8

Korinna Schumann ...................................................................................................... 10

Monika Mühlwerth ........................................................................................................ 13

Marco Schreuder .......................................................................................................... 15

Bundesministerin Dr. Margarete Schramböck ......................................................... 17

Mag. Marlene Zeidler-Beck, MBA ............................................................................... 20

Horst Schachner ........................................................................................................... 21

Mag. Reinhard Pisec, BA MA ...................................................................................... 23

Andreas Lackner .......................................................................................................... 24

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse ........................................................................... 40

Ausschüsse

Zuweisungen .................................................................................................................. 26

Verhandlungen

1. Punkt: Bericht der Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort betreffend EU Vorhaben 2020 (III-706-BR/2020 d.B. sowie 10436/BR d.B.) ....................................... 40

Berichterstatterin: Ing. Isabella Kaltenegger ............................................................... 40

RednerInnen:

Ing. Isabella Kaltenegger ............................................................................................. 40

Stefan Schennach ........................................................................................................ 41

Michael Bernard ........................................................................................................... 43

Marco Schreuder .......................................................................................................... 46

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-706-BR/2020 d.B zur Kenntnis zu nehmen ......................................................................................................................................... 47

2. Punkt: Bericht über die Situation und Entwicklung kleiner und mittlerer Unter­nehmen der österreichischen Wirtschaft („KMU im Fokus 2019“), vorgelegt von der


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Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (III-703-BR/2020 d.B. sowie 10437/BR d.B.)                       47

Berichterstatterin: Ing. Isabella Kaltenegger ............................................................... 47

RednerInnen:

Ing. Judith Ringer ......................................................................................................... 48

Andrea Kahofer ............................................................................................................ 49

Mag. Reinhard Pisec, BA MA ...................................................................................... 51

Marco Schreuder .......................................................................................................... 53

Sonja Zwazl ............................................................................................................  54, 57

Michael Bernard ........................................................................................................... 57

Sonja Zwazl (tatsächliche Berichtigung) ....................................................................... 57

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-703-BR/2020 d.B zur Kenntnis zu nehmen ......................................................................................................................................... 57

3. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 14. Oktober 2020 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Bundesgesetz über besondere Förderungen von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU-Förderungsgesetz) geändert wird (900/A und 402 d.B. sowie 10430/BR d.B.) ............ 58

Berichterstatterin: Elisabeth Mattersberger ................................................................ 58

RednerInnen:

Elisabeth Mattersberger .............................................................................................. 58

Mag. Bettina Lancaster ................................................................................................ 59

Thomas Dim .................................................................................................................. 61

Marco Schreuder .......................................................................................................... 63

Dipl.-Ing. Andrea Holzner ............................................................................................ 64

Bundesministerin Elisabeth Köstinger ...................................................................... 64

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ........................................................................................ 66

4. Punkt: Bericht der Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tou­rismus betreffend Tourismus in Österreich 2019 (III-717-BR/2020 d.B. sowie 10431/BR d.B.) ................ 67

Berichterstatterin: Elisabeth Mattersberger ................................................................ 67

RednerInnen:

Otto Auer ....................................................................................................................... 67

Günther Novak .............................................................................................................. 68

Marlies Steiner-Wieser ................................................................................................. 70

Marco Schreuder .......................................................................................................... 73

Ing. Eduard Köck .......................................................................................................... 74

Eva Prischl .................................................................................................................... 76

Bundesministerin Elisabeth Köstinger ...................................................................... 78

Entschließungsantrag der BundesrätInnen Marlies Steiner-Wieser, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Ausbau der psychosozialen Angebote in den Bundeslän­dern im Zusammenhang mit der Covid-19-Tourismuskrise“ – Annahme (328/E-BR/2020) .......................................  72, 80

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-717-BR/2020 d.B zur Kenntnis zu nehmen ......................................................................................................................................... 80

5. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 14. Oktober 2020 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Kennzeichnung von Schusswaffen


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und wesentlichen Bestandteilen von Schusswaffen (Schusswaffenkennzeich­nungsgesetz – SchKG) erlassen und das EU-Polizeikooperationsgesetz geändert wird (360 d.B. und 383 d.B. sowie 10432/BR d.B.)                80

Berichterstatter: Dr. Karlheinz Kornhäusl ................................................................... 80

RednerInnen:

Markus Leinfellner ........................................................................................................ 81

Mag. Christine Schwarz-Fuchs ................................................................................... 82

Dominik Reisinger ........................................................................................................ 84

Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross ................................................................................................ 85

Silvester Gfrerer ........................................................................................................... 86

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ........................................................................................ 87

6. Punkt: Bericht des Bundesministers für Inneres betreffend Legislativ- und Ar­beitsprogramm der Europäischen Kommission für 2020 sowie dem Achtzehnmo­nats-Programm des rumänischen, finnischen und kroatischen Vorsitzes des Rates der Europäischen Union (III-709-BR/2020 d.B. sowie 10433/BR d.B.) ............................................................................................................... 87

Berichterstatter: Silvester Gfrerer ................................................................................ 87

RednerInnen:

Elisabeth Mattersberger .............................................................................................. 88

Stefan Schennach ........................................................................................................ 89

Monika Mühlwerth ........................................................................................................ 91

Claudia Hauschildt-Buschberger ............................................................................... 93

Johanna Miesenberger ................................................................................................ 95

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-709-BR/2020 d.B zur Kenntnis zu nehmen ......................................................................................................................................... 97

7. Punkt: Bericht der Bundesregierung über die innere Sicherheit in Österreich (Sicherheitsbericht 2018) (III-699-BR/2019 d.B. sowie 10434/BR d.B.) ................................................................. 97

Berichterstatter: Silvester Gfrerer ................................................................................ 97

RednerInnen:

Ernest Schwindsackl ................................................................................................... 97

Mag. Elisabeth Grossmann ......................................................................................... 99

Markus Leinfellner ...................................................................................................... 101

Claudia Hauschildt-Buschberger ............................................................................. 103

Stefan Schennach ...................................................................................................... 104

Rudolf Kaske .............................................................................................................. 105

Karl Bader ................................................................................................................... 106

Monika Mühlwerth ...................................................................................................... 107

Entschließungsantrag der BundesrätInnen Markus Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Entlassung des Bundesministers für Inneres Karl Neham­mer“ – Annahme (329/E-BR/2020)      102, 108

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-699-BR/2019 d.B zur Kenntnis zu nehmen ....................................................................................................................................... 108

8. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Günther Novak, Kolleginnen und Kollegen betreffend keine Abwälzung der EU-Plastikabgabe auf SteuerzahlerIn­nen statt Plastikhersteller (280/A(E)-BR/2020 sowie 10435/BR d.B.) .................................................................................................. 109

Berichterstatter: Stefan Schennach ........................................................................... 109


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RednerInnen:

Dr. Peter Raggl ........................................................................................................... 109

Günther Novak ............................................................................................................ 111

Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross .............................................................................................. 112

Michael Bernard ......................................................................................................... 114

Annahme des Antrages des Berichterstatters, die dem schriftlichen Ausschuss­bericht 10435/BR d.B. beigedruckte Entschließung betreffend „keine Abwälzung der EU-Plastikabgabe auf SteuerzahlerInnen statt Plastikhersteller“ anzunehmen (330/E-BR/2020) ................................................ 115

Eingebracht wurden

Anfragen der BundesrätInnen

Markus Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betref­fend Gefängnisausbruch in Graz-Karlau (3805/J-BR/2020)

David Egger, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesund­heit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Testungen und Screenings von COVID-19 (3806/J-BR/2020)

Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Land­wirtschaft, Regionen und Tourismus betreffend Städtetourismus in Zeiten von Corona (3807/J-BR/2020)

Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Land­wirtschaft, Regionen und Tourismus betreffend Tourismus in Zeiten von Corona (3808/J-BR/2020)

Stefan Schennach, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Ge­sundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Tierschutz auf europäischer Ebene forcieren – schnellstmögliche Untersagung von Lebendtiertransporte (3809/J-BR/2020)

Stefan Schennach, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Landwirt­schaft, Regionen und Tourismus betreffend Vom Hof auf den Tisch – eine Strategie für ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem (3810/J-BR/2020)

Stefan Schennach, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Landwirt­schaft, Regionen und Tourismus betreffend Ratsposition zur GAP (3811/J-BR/2020)

Anfragebeantwortungen

der Bundesministerin für Landesverteidigung auf die Anfrage der BundesrätInnen Mar­kus Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen betreffend Umsetzung der Pionier- und Si­cherungskompanien (3519/AB-BR/2020 zu 3797/J-BR/2020)

der Bundesministerin für Landesverteidigung auf die Anfrage der BundesrätInnen Stefan Zaggl, Kolleginnen und Kollegen betreffend Militärkommando Tirol (3520/AB-BR/2020 zu 3798/J-BR/2020)


 


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14.03.17Beginn der Sitzung: 14.03 Uhr

Vorsitzende: Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler, Vizepräsidentin Mag. Elisa­beth Grossmann, Vizepräsident Mag. Christian Buchmann.

14.03.18*****


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Einen schönen Nachmittag, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 914. Sitzung des Bundesrates.

Die nicht verlesenen Teile des Amtlichen Protokolls der 913. Sitzung des Bundesrates vom 8. Oktober 2020 sind aufgelegen, wurden nicht beanstandet und gelten daher als genehmigt.

Als verhindert gemeldet sind heute die Mitglieder des Bundesrates Robert Seeber, Wolfgang Beer und Mag.a Sandra Gerdenitsch.

Ganz herzlich begrüße ich unsere Frau Bundesministerin Dr. Margarete Schramböck. (Allgemeiner Beifall.)

14.04.01Mandatsverzicht und Angelobung


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Eingelangt ist ein Schreiben des Tiroler Landtages betreffend Mandatsverzicht beziehungsweise Wahl von Ersatzmitgliedern. (siehe S. 28)

Das neue Mitglied des Bundesrates ist im Hause anwesend, ich werde daher sogleich die Angelobung vornehmen.

Nach Verlesung der Gelöbnisformel durch die Schriftführerin wird die Angelobung mit den Worten „Ich gelobe“ zu leisten sein. – Ich ersuche nun die Schriftführerin um Verle­sung der Gelöbnisformel.


Schriftführerin Mag. Daniela Gruber-Pruner: Ich verlese die Gelöbnisformel für Mit­glieder des Bundesrates: „Sie werden geloben unverbrüchliche Treue der Republik Ös­terreich, stete und volle Beobachtung der Verfassungsgesetze und aller anderen Geset­ze sowie gewissenhafte Erfüllung Ihrer Pflichten.“

*****

(Bundesrat Sebastian Kolland leistet die Angelobung mit den Worten „Ich gelobe“.)

*****

Herzlich willkommen im Bundesrat. (Allgemeiner Beifall.)


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Ich begrüße das neue Mitglied des Bun­desrates Sebastian Kolland sehr, sehr herzlich in unserer Mitte.

14.05.50Ansprache der Präsidentin aus Anlass des Terroranschlags in Wien


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist mir ein großes Bedürfnis, zu Beginn dieser Sit­zung ein paar Worte zum schrecklichen Terroranschlag vom Montag in der Wiener In­nenstadt zu sagen.


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Zunächst möchte ich den Hinterbliebenen der vier Todesopfer unser Mitgefühl ausdrü­cken: Wir alle hier sind in tiefer Trauer und in Gedanken bei Ihnen!

Den Verletzten darf ich an dieser Stelle baldige und vollständige Genesung wünschen.

Wir alle sind von diesem feigen Attentat und davon, dass der Terror nun auch nach Ös­terreich und in unsere Bundeshauptstadt Wien gekommen ist, geschockt. Dieser Ter­roranschlag ist auf das Schärfste zu verurteilen und muss konsequent aufgeklärt und aufgearbeitet werden.

Als Österreicherin, als Frau, als Mutter, als Großmutter kann ich die Ängste all jener, die am Montag in Wien noch fröhlich zusammengesessen sind oder deren Kinder oder En­kelkinder in der Nähe des Tatortes waren, gut verstehen. Angst um sein Leben oder um das seiner Angehörigen zu haben gehört wirklich zum Schrecklichsten, das jemand durchmachen muss. Angst, Zorn und Verunsicherung empfinden auch wir angesichts der Bilder, die wir am Montag gesehen haben.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir werden aber nicht nachgeben, wir werden unsere Ängste beherrschen, unseren Zorn hintanhalten. Unsere Verunsicherung wird der Gewissheit weichen, dass wir im gemeinsamen Zusammenhalt dem Terror die Stirn bieten werden, denn der Terror ist eine Strategie der Schwäche, die von denen genutzt wird, denen es an realer Macht fehlt. Der Gegner soll zu einer Überreaktion provoziert werden, was am Ende die Sicherheit unserer Gesellschaft mehr gefährdet als der Terror­akt an sich – das hat der israelische Historiker Yuval Noah Harari so treffend formuliert. Lassen wir uns unser Leben nicht von Verrückten stehlen! Unsere Werte stehen nicht zur Diskussion, wir werden unsere freie Gesellschaft mit allen Kräften verteidigen.

Mein besonderer Dank gilt allen Einsatzkräften, von Polizei, Rettung, Bundesheer und Feuerwehr bis zu allen anderen, die im Einsatz für unsere Gemeinschaft ihren Mut unter Beweis gestellt haben.

Ich danke auch allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die jene Menschen, die die Innen­stadt nicht verlassen konnten, bei sich aufgenommen haben oder sich um jene geküm­mert haben, die in diese schrecklichen Ereignisse hineingezogen wurden. Genau das ist es, was unser Österreich auszeichnet: beherzte und tapfere Menschen, die im Einsatz für unsere Gesellschaft Engagement, Mut und ein Herz für das Gemeinsame zeigen. Sie haben dazu beigetragen, unsere Demokratie und die Grundwerte des friedlichen Zusam­menlebens in Österreich zu verteidigen.

Abschließend bitte ich Sie, sehr geehrte Bundesrätinnen und Bundesräte, um ein ge­meinsames Bekenntnis, um einen Schulterschluss gegen den Terror. Dieser Angriff auf unsere Grundwerte muss uns aufrütteln und sensibel machen, aber wir werden uns nicht einschüchtern lassen. Corona ist die eine große Herausforderung dieser Tage, die an­dere der Kampf gegen den Terror und die Destabilisierung der Demokratie. Unser Herz für die Gemeinsamkeit werden wir uns bewahren, es schlägt weiter für Demokratie, Tole­ranz und Zusammenhalt.

Ich darf Sie daher bitten, sich im stillen Gedenken an die Opfer des Attentates zu einer Schweigeminute von den Plätzen zu erheben. (Die Anwesenden erheben sich von ihren Sitzplätzen und verharren einige Zeit in stiller Trauer.) – Vielen Dank für dieses gemein­same Bekenntnis. Ich danke Ihnen für dieses Zeichen der Trauer. (Die Anwesenden nehmen ihre Sitzplätze wieder ein.)

14.10.59*****


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Ich darf Sie noch an die Empfehlungen der Gesundheitsbehörde erinnern. Es wurden heute über 7 000 neue Covid-Infizierte gemel­det. Die Situation ist leider sehr, sehr ernst, darum bitte ich Sie, die Empfehlungen des Hauses, die allen bekannt sind, wirklich ernst zu nehmen, und bedanke mich dafür.


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14.11.33Aktuelle Stunde


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Wir gelangen nun zur Aktuellen Stunde mit dem Thema

„Digitalisierung ist der Impfstoff der Wirtschaft – die Chancen aus der Krise nutzen“

mit Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort Dr. Margarete Schram­böck, die ich bereits begrüßt habe.

In der Präsidialkonferenz wurde Einvernehmen über folgenden Ablauf erzielt: Zunächst kommt je eine Rednerin/ein Redner pro Fraktion zu Wort, deren/dessen Redezeit jeweils 10 Minuten beträgt. Sodann folgt die Stellungnahme der Frau Bundesministerin, deren Dauer ebenfalls 10 Minuten nicht überschreiten soll. Danach folgt wiederum je eine Red­nerin/ein Redner der Fraktionen mit jeweils 5 Minuten Redezeit. Zuletzt kann noch eine abschließende Stellungnahme der Frau Bundesministerin erfolgen, die nach Möglichkeit 5 Minuten nicht überschreiten soll.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Christian Buchmann. Ich erteile es ihm und mache darauf aufmerksam, dass entsprechend der Vereinbarung in der Präsi­dialkonferenz die Redezeit 10 Minuten beträgt. – Bitte, Herr Bundesrat.


14.12.52

Bundesrat Mag. Christian Buchmann (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsi­dentin! Geschätzte Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Sie unsere Debatte vor den Fernsehgeräten oder via Livestream mitverfolgen! Digitalisierung als „Impfstoff der Wirtschaft“ und damit verbun­den „die Chancen aus der Krise nutzen“ ist das Thema unserer Aktuellen Stunde. Ange­sichts der widerwärtigen, feigen und hinterhältigen Vorkommnisse am vergangenen Montagabend in unserer Bundeshauptstadt Wien, angesichts einer weltweiten Covid-19-Pandemie, die unsere Gesundheit beeinträchtigt, die unsere Lebensgrundlagen bedroht, mag es für manche verwunderlich erscheinen, eine Aktuelle Stunde zum Thema Digita­lisierung durchzuführen.

Ich glaube allerdings, dass es ein gut gewähltes Thema auch in Zeiten wie diesen ist, weil wir nicht im Entweder-oder Diskussionen führen und Maßnahmen treffen sollten, sondern im Sowohl-als-auch. Wir wollen sowohl als auch den Angriffen auf unsere Le­bensart, auf unsere freie Demokratie, auf unsere Werte trotzen. Ich sage das auch na­mens der Fraktion der Österreichischen Volkspartei und unseres Fraktionsvorsitzenden Karl Bader: Hier werden wir nicht weichen, hier werden wir nicht zurückweichen, für diese Werte, für diese Lebensgrundlagen, für diese freie Demokratie wollen wir gemein­sam eintreten.

Genauso ist es wichtig, die Pandemie zu meistern. Wir müssen offenkundig mit neuen Kulturtechniken leben lernen, was das Abstandhalten betrifft, was das Tragen von Mas­ken betrifft, was die Desinfektion betrifft, und wir werden weiter dafür kämpfen müssen, unsere Wirtschaft am Laufen zu halten und damit auch Arbeitsplätze und unsere Lebens­grundlagen gemeinsam zu sichern.

Es ist aber nicht nur wichtig, im Krisenmodus Probleme zu lösen, sondern es ist, glaube ich, auch an der Zeit – und so ist dieses Thema besonders gut gewählt –, sich mit der Konjunktur und mit möglichen impulsgebenden Maßnahmen für unsere Konjunktur aus­einanderzusetzen. Dazu zählen nun einmal Forschung und Entwicklung, die universitä­ren Forschungseinrichtungen genauso wie die außeruniversitären Forschungseinrich­tungen, die angewandten Forschungseinrichtungen in unseren Unternehmungen, die


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dann zu jenen Formen der Innovation führen, die wiederum auch beschäftigungswirk­sam sein sollen.

Digitalisierung ist ein solches Thema der Innovation. Der gesellschaftliche Wandel in diesen Bereichen ist massiv im Gange, und es ist aus meiner Sicht daher richtig und wichtig gewesen, dass die österreichische Bundesregierung insgesamt und die Frau Bundesministerin als oberste Chefin des Bundesministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort Maßnahmen eingeleitet haben, um der Pandemie zu trotzen. Ich er­wähne in diesem Zusammenhang den Fixkostenzuschuss, ich erwähne den Härtefall­fonds, ich verweise auf die Kurzarbeitsregelungen, auf den Umsatzersatz von 80 Pro­zent in der Gastronomie im Rahmen der europäischen Spielregeln oder auch auf die Investitionsprämie. Ich habe gerade in Vorbereitung dieser Aktuellen Stunde noch ein­mal nachgesehen: Es ist schon bemerkenswert, dass jeder fünfte Fall aus dieser Inves­titionsprämie heraus ein Vorhaben von Unternehmungen ist, die sich mit Digitalisierung auseinandersetzen. So gesehen ist es wichtig und richtig gewesen, diese Maßnahmen zu setzen.

Es ist eine Form der offensiven Politik, bei der Digitalisierung den Wandel nicht nur zu begleiten, sondern den gesellschaftlichen Wandel und den Wandel in unseren Unterneh­mungen auch zu gestalten und zur Transformation unserer Wirtschaft entsprechend auch Maßnahmen einzuleiten.

War die industrielle Revolution – ob man von 1.0, 2.0, 3.0 spricht – und die Entwicklung der Wirtschaft und der Industrie in den vergangenen Jahrhunderten noch eine sehr ana­loge, so ist sie aktuell eine der vierten Generation und damit eine, bei der die Digitalisie­rung in alle Bereiche des wirtschaftlichen Lebens, in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens Eingang findet. John Naisbitt als einer der Trendforscher des 20. Jahrhunderts hat einmal in einem seiner Bücher geschrieben, dass das 21. Jahrhundert „Möglichma­cher“ erfordert. Ich sehe in der Digitalisierung und in Maßnahmen des Wirtschaftsres­sorts diese Möglichmacherfunktion, indem wir nämlich den Blick in die Zukunft schärfen und einen Blick darauf haben, wo sich die Wirtschaft weiterentwickeln kann und insbe­sondere wo wir seitens der Politik unterstützen können, damit die Wirtschaft Arbeitsplät­ze absichern und – wenn geht – neue Arbeitsplätze schaffen kann. Das wird eine nicht ganz einfache Aufgabe, denn überall dort, wo es Chancen gibt, sind auch Risiken damit verbunden.

Es werden sich auch manche traditionellen Ökonomien, sofern es nicht bereits im Gange ist, in den nächsten Jahren ganz massiv ändern. Everett Rogers, der Vater der amerika­nischen Innovationsforschung, hat einmal gemeint, dass (englisch aussprechend) In­novation Invention plus Implementation wäre, also Innovation, Erneuerung etwas mit der Erfindungskraft, dem Schöpfergeist zu tun haben, aber auch mit der Implementation, das heißt mit der Umsetzung des Erdachten und Erforschten. Da kann die Digitalisierung uns, glaube ich, sehr, sehr dienlich sein.

Auch die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen hat jüngst im Europäischen Parlament in ihrer Rede zur Lage der Union dem Thema der Digitalisie­rung und der Entwicklung unserer Ökonomien und der Entwicklung der Wirtschaftsräu­me einen ganz besonderen Stellenwert eingeräumt und – was mich als Ländervertreter sehr gefreut hat – auch darauf hingewiesen, dass in der Digitalisierung auch für die länd­lichen Räume ganz besondere Chancen, aber natürlich auch Risiken bestehen.

Wir haben uns im gestrigen EU-Ausschuss mit dem Thema der Digitalisierung aus dem Blickpunkt der Bildung beschäftigt und wir werden uns ja heute im Rahmen der Agenda der Tagesordnung ebenfalls mit diesem Thema auseinandersetzen. Jedenfalls bin ich einer, der sich über Jahre mit der Wirtschaft auseinandergesetzt hat. Ich war immer ein großer Fan von Joseph Schumpeter – eine der Größen der österreichischen National­ökonomie –, der darauf hingewiesen hat, dass Innovation insbesondere aus einem


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kreativen Akt der Zerstörung entsteht. Zu seiner Zeit war eher gemeint, dass sich die Unternehmungen neu erfinden müssen, um aus der Erfindung neuer Produkte und neuer Dienstleistungen heraus neue Kraft zu entwickeln und damit wachsen zu können. Leider, sage ich dazu, ist diese Zerstörung mittlerweile in vielen Bereichen fremdbestimmt. Die Pandemie, die wir alle spüren, hat sich in eine Richtung entwickelt, die uns alle mit Sorge in die Zukunft blicken lässt. Nichtsdestotrotz stecken überall dort, wo es eine Krise gibt, auch Zukunft und Chancen drinnen – diese sollten wir entsprechend nutzen.

Ich bin der Frau Bundesministerin sehr dankbar dafür, dass sie in ihren Überlegungen zum Thema Digitalisierung der Bildung und insbesondere der Lehre einen breiten Raum einräumt, auch Fragen der Cybersecurity und der künstlichen Intelligenz sind genannt. Vor allem sollen digitale Kompetenzen in alle Berufsbilder integriert werden. Das ist gut, richtig und wichtig, und dafür ein herzliches Dankeschön, Frau Bundesministerin! (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht nur die österreichische Bundesregierung, auch die österreichischen Bundesländer nehmen sich des Themas Digitalisierung intensiv an. Mein Heimatbundesland, die Steiermark, tut es auch seit vielen Jahren – wir sind nicht umsonst als Europäische Unternehmerregion ausgezeichnet worden. Wir setzen sehr intensiv auf das Thema Hardware – die ja eine Voraussetzung für die Digitalisierung ist ‑, auf die Breitbrandinfrastruktur, die Chancen für die ländlichen Räume eröffnet. Ich ver­weise auch auf Initiativen wie Silicon Alps oder Silicon Austria Labs: Initiativen, die der Wirtschaft Impulse in eine ganz besondere Richtung geben sollen. Als eine Region, die stark mit dem Automobil verbunden ist, ist für uns natürlich die Teststrecke für autono­mes Fahren wichtig – das Thema setzt aber auch voraus, dass es die entsprechende Infrastruktur gibt, damit die Industrie und die Wirtschaft auch abseits der Antriebsstränge entsprechende Technologien entwickeln können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Digitalisierung birgt Chancen und Risiken. Jedes gute Unternehmen bereitet sich durch Swot-Analysen – also Stärken-, Schwä­chen-, Chancen- und Risikenanalysen – auf die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft vor. Mir erscheint es wichtig, dass Derartiges auch das Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort im Auge hat. Wenn ich die Einschätzung der Experten richtig lese, könnte durch verstärkte Digitalisierung ein Beschäftigungsplus von etwa 0,4 Prozent pro Jahr stimuliert werden, was jährlich bis zu 20 000 zusätzliche Ar­beitsplätze bedeuten würde. Das ist ein lohnenswerter Ansatz, den wir gemeinsam ver­folgen sollten. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Schreuder.)

14.23


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Korinna Schumann. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.


14.23.42

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe ZuhörerInnen und Zuse­herInnen! Als Fraktionsvorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion ist es mir ganz wichtig, Folgendes zu sagen: Mit großer Betroffenheit gedenken wir der Opfer des grau­samen Terroranschlags. Unser tiefstes Mitgefühl gilt den Angehörigen der Opfer und den Verletzten, unser Dank gilt den Polizistinnen und Polizisten, die in dieser schreckli­chen Situation ihr Leben für uns riskiert haben.

Unser Dank gilt den Wiener Rettungskräften, der Feuerwehr, den Beschäftigten der Wie­ner Linien und den Beschäftigten in den Krankenhäusern. Unser Dank gilt all jenen, die in dieser Situation vor Ort einfach ganz selbstverständlich geholfen haben: den Lokalbe­treibern, die gesagt haben: Kommt herein ins Lokal, wir helfen euch in den Keller hi­nunter, wir versorgen euch!; den Taxifahrerinnen und Taxifahrern, die gesagt haben:


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Steigt ein, wir nehmen euch mit!, und die natürlich nichts verlangt haben; den Hotelbe­treibern, die gesagt haben: Ihr könnt nicht nach Hause, wir stellen euch Hotelzimmer zur Verfügung!; und den Straßenbahnfahrern und Straßenbahnfahrerinnen, die die Tür auf­gerissen und gesagt haben: Bitte steigt ein, hier seid ihr in Sicherheit! – Danke vielmals an all jene! (Allgemeiner Beifall.)

Wien ist eine starke Stadt, und die Wienerinnen und Wiener sind stark. Die Präsidentin hat es schon angesprochen: Dem Terror werden wir keinen Millimeter weichen und statt­dessen mit aller Kraft für die Demokratie eintreten!

Nun zur Aktuellen Stunde: „Digitalisierung ist der Impfstoff der Wirtschaft – die Chancen aus der Krise nutzen“ – um so einen Titel zu wählen, muss man ehrlich gesagt schon sehr mutig sein. Die Digitalisierung mit einer Impfung für die Wirtschaft zu vergleichen und die Regierung dann vielleicht auch noch als verabreichenden Arzt darzustellen, das ist schon eine sehr erstaunliche Metapher.

Sprechen wir über die Digitalisierung: Es ist ein Thema, das Sie, Frau Bundesministerin, ja frei gewählt haben, im Wissen um die Situation der Wirtschaft und auf dem Arbeits­markt, aber schauen wir uns diesen Impfstoff einmal genauer an, denn bekanntlich hat ja alles viele Seiten. Amazon, Starbucks, Uber, Airbnb und Co: Sie alle zahlen keine nennenswerten Steuern in unserem Land, jedes Würschtlstandl zahlt mehr Steuern! (Beifall bei der SPÖ.)

Mit ihren Dumpingpreisen ruinieren sie unsere lokale Wirtschaft und vor allen Dingen unseren Sozialstaat. Das ist eine Seite der Digitalisierung, und man muss sich bewusst sein, dass es die gibt. Wir wissen auch, durch die aktuellen Entwicklungen sind die Ge­winne im Onlinehandel noch höher geworden, Millionäre sind gerade während dieser Krise noch einmal reicher geworden. Während also einige Menschen immer mehr Ver­mögen haben, sehen wir, dass andere Menschen, die LeistungsträgerInnen der Mittel­schicht, Gefahr laufen, in die Armut abzurutschen. Das darf nicht sein, das muss verhin­dert werden!

Die Digitalisierung wirbelt die gesamte Arbeitswelt durcheinander, gerade jetzt in der Coronakrise. Wir sehen Rationalisierung aufgrund von Digitalisierung, und das bedeutet meist Jobabbau, Kündigungen, weniger Arbeitsplätze und mehr Arbeitslose. Einige nut­zen gerade diese Zeit und diese Krise aus, um Beschäftigte im großen Stil freizusetzen und Stellen abzubauen. Es gibt die verschiedensten Begrifflichkeiten dafür: In einem Betrieb wurde den Betriebsräten gesagt, man starte ein Lohneinsparungsprogramm – übersetzt bedeutet das immer, dass Menschen freigesetzt werden und dann keine Arbeit mehr haben. Das muss verhindert werden, es muss mit aller Kraft dagegen angekämpft werden! (Beifall bei der SPÖ.)

Aus sozialdemokratischer Sicht steht jedenfalls fest, dass der technische Fortschritt nicht automatisch zu einer besseren Lebenssituation der Menschen, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer führt. Genau das wäre aber eigentlich der Sinn, und darauf muss man schauen.

Wenn wir zum Beispiel an Augmented Reality denken, dann stellt sich etwa die Frage, wie viele Fachkräfte wir zukünftig in der Wirtschaft brauchen werden, oder umgekehrt gefragt: Wie viele braucht es dann nicht mehr? Unberechtigt sind die Ängste der Men­schen vor Jobverlust und einem Zunehmen der Niedrigqualifizierung nämlich bei Weitem nicht. Fachkräfte werden durch Hilfskräfte ersetzt, alles andere zeigt die Augmented Reality vor. Im Bereich der Produktion übernehmen dann zum Beispiel in der Automobil­industrie angelernte Kräfte nach den Anweisungen dieser Technologie die Arbeitsschrit­te der Fertigung, Fachkräfte werden damit obsolet.

Ein weiterer Aspekt der Digitalisierung ist natürlich das Homeoffice. Klar, in der Corona­krise war oder ist Homeoffice ein gutes Mittel, um die Pandemie zu bekämpfen – aber


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es braucht klare Regelungen! Wir müssen über Freiwilligkeit sowie über die Ausstattung und den Kostenersatz für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer reden. (Beifall bei der SPÖ.)

Frauen waren und sind durch die Arbeit im Homeoffice noch einmal besonders belastet, das sehen wir durch viele Studien und auch durch die Gespräche mit betroffenen Frauen bestätigt. Homeschooling, Betreuungspflichten, Hausarbeit – all das kommt zusammen. Ich muss sagen, dass es doch etwas gibt, über das ich mich an diesem Tag ganz enorm freue: Ich freue mich sehr, dass es gelungen ist, den Rechtsanspruch auf Sonderbetreu­ungszeit umzusetzen. (Beifall bei der SPÖ.)

Das Übereinkommen der Sozialpartner ist gelungen, damit wird der Rechtsanspruch auf Sonderbetreuungszeit ermöglicht: insgesamt vier Wochen, rückwirkend gültig mit 1. No­vember, und den Arbeitgebern werden die vollen Kosten ersetzt. Ich glaube, das ist ge­rade in der Krise ein ganz wichtiger Schritt. Die Gewerkschaftsfrauen haben diesen ge­fordert, die SPÖ-Frauen haben ihn gefordert, und die Regierung hat diese Verbesserung jetzt dankenswerterweise umgesetzt. Darüber gilt es sich in dieser sehr, sehr schwieri­gen Zeit zu freuen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Schreuder.)

Digitalisierung muss aber alle Menschen mitnehmen, auch die älteren, sie dürfen nicht vergessen werden! Die Dynamik der Digitalisierung muss auch ihnen die Möglichkeit geben, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Es braucht weiters den flächendecken­den Breitbandausbau, denn alle Digitalisierungsmaßnahmen können nicht funktionieren, wenn die notwendigen Netze nicht zur Verfügung stehen.

Noch einmal zurück zu den Arbeitsplätzen in den eigenen vier Wänden – das Thema hat seine Tücken –: Wie wird denn das Thema Überwachung gehandhabt? Wie wird kontrol­liert, ob Arbeitnehmerinnen und Arbeiternehmer arbeiten? Wird dann in die privaten Räumlichkeiten hineingeschaut? Wird geprüft, ob der Arbeitnehmer gerade am Compu­ter aktiv ist oder nicht? Wird per Kamera überwacht? – All das wollen wir nicht!

Wir wollen auch nicht, dass die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit noch stärker verschwimmen, dass sozusagen der Arbeitnehmer, die Arbeitnehmerin just in time ar­beitet, gerade wenn man ihn oder sie braucht: Jetzt ist Mitternacht, jetzt muss diese Arbeit erledigt werden! – Das darf auf keinen Fall sein! Das Arbeitsrecht muss auch zu Hause gelten, die Menschen brauchen Ruhezeiten. Es geht um die Gesundheit der Men­schen, denn wir wollen nicht, dass Ausbeutung ein neues, ein digitales Gesicht be­kommt.

Wir werden in Zukunft sehen, dass der Druck auf Löhne und Gehälter natürlich steigt, denn wer nicht mitspielt, gerade in der aktuellen Arbeitsmarktsituation, riskiert seinen Job. Zuschläge, Bereitschaftszeiten oder Ähnliches fallen weg, und die Ausstattung für das Homeoffice geht tief ins Börserl der ArbeitnehmerInnen, der Arbeitsplatz zu Hause kann zur Kostenfalle werden. Wer profitiert? – Wohl die Unternehmen. Ich weiß nicht, wie viele Werbezuschriften ich schon von Firmen bekommen habe, die jetzt erklären, wie Unternehmen ihre frei werdenden Bürokapazitäten noch besser verwalten können, weil ja die Menschen jetzt im Homeoffice sind. Ich glaube, all das ist nicht der richtige Weg. Wir brauchen eine geregelte Arbeit im Homeoffice mit genauen Richtlinien, mit einem ordentlichen Arbeitsrecht. Digitalisierung kann nicht zu einem Impfstoff werden, der vielleicht manchen hilft und für alle anderen schädlich ist.

Es geht weiters auch um die Verteilung und die Umverteilung, aber auch um die Frage der Bildung. Wenn jemand, eine Kellnerin oder ein Fließbandarbeiter, seinen Job verliert, kann man nicht sagen: Du steigst jetzt sofort in die neue digitale Welt ein! – Das wird nicht funktionieren. Es braucht Übergänge, es braucht Möglichkeiten der Qualifizierung und des Lernens, möglichst niederschwellig, um alle mitzunehmen. Wir wollen nieman­den zurücklassen.


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Man wird auch die Antwort auf die Frage, wie der Sozialstaat finanziert wird, neu über­denken müssen. Dieser Sozialstaat, den wir jetzt in der Krise so zu schätzen gelernt haben, muss finanziert werden. Die Basis dafür kann nicht allein das Arbeitseinkommen der Menschen, die Abgaben darauf sein. Die Digitalisierung braucht Spielregeln, und wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden uns dafür einsetzen, dass es die richtigen Spielregeln sind, dass die Menschen durch die Digitalisierung Chancen bekom­men und nicht zu Verliererinnen und Verlierern werden. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

14.33


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Monika Mühlwerth. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.


14.33.47

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, die Sie via Livestream zuschauen! Frau Minister, dieses schreckliche Ereignis am Montag hat uns alle so tief getroffen, dass leider natürlich auch Ihre Aktuelle Stunde davon ein wenig betroffen ist, weil man an diesen Ereignissen einfach nicht vorbeisehen kann.

Ja, wir wollen unsere Demokratie behalten und wir werden dafür kämpfen. Ja, wir wer­den für unsere Freiheit kämpfen, und wir lassen uns unsere Art, wie wir leben wollen, nicht nehmen. Es ist dennoch ganz wichtig, auch in diesen schrecklichen Momenten zu zeigen: Wir arbeiten weiter, denn das Leben ist ja da. Wir empfinden dennoch tiefe Trauer um die vier Ermordeten, sinnlos gestorben durch die Tat eines Wahnsinnigen.

Es geistert ja durch das Netz – ich weiß nicht, ob man das hier am Rednerpult sagen darf –, wie ein typischer Wiener dem Täter zugerufen hat: Schleich di, du Oaschloch! – Diesen Satz, der die einzig richtige Reaktion ist, haben jetzt viele übernommen.

Es sind dennoch vier Menschen aus ihrem Leben gerissen worden, darunter auch eine junge Frau, die hier studiert hat, die sich ihren Lebensunterhalt oder ihr Studium durch Kellnern finanziert hat – und plötzlich wird sie aus dem Leben gerissen. Trauer herrscht auch darüber, dass Menschen verletzt worden sind, teils schwer verletzt worden sind, und unser Mitgefühl gilt ihren Angehörigen. Wir wünschen den Verletzten, dass sie bald genesen und völlig wiederhergestellt werden. Den Hinterbliebenen der Verstorbenen, der Ermordeten wünschen wir, dass sie damit fertig werden können, denn das ist nicht einfach.

Auch unser Dank geht an alle Einsatzkräfte, die sich zum Teil freiwillig in den Dienst gestellt haben, einige haben ja ihren freien Tag gehabt und sich sofort in den Dienst gestellt. Danke an alle, die das wirklich großartig gemacht haben, ob es jetzt die Polizei war, ob es die Rettung war, ob es die Wiener Linien waren, ob es die Sanitäter waren oder ob es die Feuerwehr war: Sie alle haben den Leuten völlig uneigennützig geholfen. Es war eine unglaublich schreckliche Situation, von der wir ja immer gehofft haben, da­rüber maximal in der Zeitung zu lesen, dass das irgendwo anders passiert ist, aber nicht im Herzen von Wien.

Wir verzweifeln ja manchmal an der Gesellschaft und glauben, sie wäre nicht mehr so­lidarisch, keiner helfe dem anderen und jeder wäre sich selbst der Nächste – aber nein, da haben Menschen anderen Menschen geholfen, indem sie diese zu sich nach Hause eingeladen haben, damit sie in Sicherheit sind. Sie haben in Lokalen und überall andere versorgt, wie es auch der Bericht einer Journalistin aus dem Burgtheater zeigt, wo sie mit Essen und Getränken versorgt worden sind. Das zeigt schon, dass unsere Gesell­schaft eine starke ist, wie es hier schon gesagt worden ist, und immer noch eine vitale ist. Das finde ich bei all diesem schrecklichen Leid, das erzeugt wurde, großartig. (Allge­meiner Beifall.)


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Es taucht trotzdem automatisch die Frage auf, wie das geschehen konnte. Das beson­ders Tragische an diesen Ereignissen ist, dass wir in den letzten 48 Stunden gehört haben, dass das hätte verhindert werden können, wenn es nicht ein massives Versagen gegeben hätte. Der Täter hat im Juli versucht, Munition für ein Sturmgewehr zu kaufen. Die Slowakei hat Österreich sofort Meldung erstattet, man hat gesagt: Da ist einer, der hat keine Waffenkarte, will aber für ein Sturmgewehr Munition kaufen!

Justizministerin Zadić hat gesagt, erst am Montag, am Tag dieses schrecklichen Terror­anschlags, habe die Staatsanwaltschaft davon erfahren, dass es diesen Vorfall gegeben hat, dass es dieses Ereignis gegeben hat. Da muss man auch angesichts der Betroffen­heit und der Trauer schon eines sagen: Dass ein Innenminister da nichts Besseres zu tun hat, als die Schuld von sich zu schieben und zu sagen: Na ja, da war die Justiz schuld, die hat da versagt! – obwohl die gar nichts damit zu tun gehabt hat –, und dann, was ich ja noch perfider finde, versucht, dem Vorgänger, Innenminister Kickl, die Schuld in die Schuhe zu schieben, weil der angeblich das BVT zerschlagen hätte, dann sage ich Ihnen schon: Das ist nicht das, was ich unter Verantwortung verstehe! (Beifall bei der FPÖ.)

Ein Polizist hat uns geschrieben und mitgeteilt – und er hat ausdrücklich eingewilligt, dass wir das hier auch öffentlich wiedergeben –: Dass sie so schnell einsatzfähig waren, ist unter anderem dem Umstand geschuldet, dass Innenminister Kickl Sicherheitswesten für alle Polizisten angeschafft und sie auch mit den entsprechenden Waffen ausgestattet hat; ohne das wäre der Einsatz in dieser Form gar nicht möglich gewesen. (Beifall bei der FPÖ.)

Daher muss man, wie das auch schon heute Vormittag in der Nationalratssitzung gesagt worden ist, Aufklärung betreiben, mutig, ehrlich, offen und transparent. Das wird nötig sein. Es wird entsprechende Gesetze brauchen, damit die Möglichkeiten, so etwas zu machen, zumindest minimiert werden können. Ich weiß, wir werden so etwas nie ganz verhindern können, weil es immer jemanden geben wird, in dessen Kopf es nicht rund­läuft, und man kann ja nicht jeden Staatsbürger rund um die Uhr beschatten und be­obachten. Man kann aber viel dazu beitragen, dass das Risiko, dass etwas passiert, möglichst gering gehalten wird. Dazu bedarf es aber nicht der bisher bekannten Sonn­tagsreden: Wir müssen etwas tun!, und dann passiert gar nichts, sondern wir müssen die entsprechenden Gesetze sofort auf den Weg bringen. Das wird ein ganz wesentli­cher Beitrag dazu sein, solche Taten möglichst zu verhindern. (Beifall bei der FPÖ.)

Weil aber das Thema unserer Aktuellen Stunde die Digitalisierung ist und meine Vorred­ner ja schon einiges gesagt haben, möchte ich auch ein bisschen auf sie Bezug nehmen. Die Digitalisierung ist ein wesentlicher Faktor und Bestandteil unseres Jahrhunderts. Ich glaube nur, dass wir da manchmal ein bisschen geschlafen haben, etwa im Vergleich zu den Chinesen, die uns ja jetzt nicht nur auf der einen Seite das Coronavirus gegeben haben, sondern auf der anderen Seite schon vor Jahren wesentlich mehr Geld in For­schung und Entwicklung gesteckt haben als die gesamte Europäische Union. (Beifall bei der FPÖ.)

Also da, glaube ich, hinkt man einer Entwicklung hinterher. Ungeachtet dessen werden das Lernen auf Distanz und die Videokonferenzen, mit denen wir im Zuge der Corona­krise arbeiten, den persönlichen Kontakt nie ersetzen können, denn wir alle wissen, wie sehr wir als Menschen davon abhängig sind, die Mimik, die Gestik, den Tonfall et cetera körperlich zu spüren und wahrzunehmen und uns so ein Bild zu machen. So ist der Mensch.

Auch das Lernen auf Distanz – ich habe es gestern im EU-Ausschuss schon gesagt – ersetzt nicht den Lehrer, von dessen Qualität aber vieles abhängt. Ich bin nicht so pessi­mistisch wie meine Vorrednerin und meine, dass die Digitalisierung sämtliche Arbeits­plätze vernichten wird. Es werden andere entstehen müssen, und wir werden unsere


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Schüler auch entsprechend bilden müssen: bilden und ausbilden. Und ja, wir müssen auch die mitnehmen, die vielleicht nicht so stark sind, aber das Wort Leistungsbereit­schaft ist damit nicht gestorben. Das Wort Leistungsbereitschaft ist ein wesentlicher Motor, sich entsprechend bilden und ausbilden lassen zu können, um in einem neuen, anders gearteten Zeitalter bestehen zu können.

Das gebe ich der Regierung mit auf den Weg: dass wir auch wirklich schauen müssen, dass wir die Schüler schon mitnehmen, ihnen aber klarmachen müssen – und das sage ich ja nicht zum ersten Mal hier an diesem Rednerpult –, dass es auch von ihnen ab­hängt. Den Nürnberger Trichter gibt es einfach nicht, Lernen heißt, sich auch anstrengen zu müssen. Das, glaube ich, wäre auch wichtig, den Schülern zu sagen, damit sie dann auf alle Herausforderungen vorbereitet sind, die im Laufe dieses Jahrhunderts noch auf sie zukommen werden. (Beifall bei der FPÖ.)

14.44


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Marco Schreuder. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.


14.44.12

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Mi­nisterin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, die zuschauen! Natürlich möchte auch ich als Wiener Bundesrat heute meiner Liebe zu dieser Stadt Ausdruck verleihen, denn ich glaube, das ist das Wichtigste, was wir heute mitnehmen müssen: Was ich seit Montag erlebe, ist kein türkises, kein rotes, kein blaues, kein pinkes, kein grünes Wien. Es ist kein heterosexuelles oder homosexuelles Wien, es ist kein weibliches Wien, es ist kein männliches Wien, es ist kein unternehmerisches Wien, kein ArbeitnehmerInnenwien, kein ArbeitgeberInnenwien. Es ist ein Wien. Es ist ein Wien, in dem man füreinander da ist, wenn Not da ist. Das ist etwas, was wir lernen konnten und zu einem gewissen Grad auch lernen müssen. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei BundesrätInnen der SPÖ.)

Viele von uns sind Wiener BundesrätInnen, heute sind einige wahrscheinlich das letzte Mal hier. Das ist ja so, weil es Wechsel gibt. Von einigen werden wir uns verabschieden, und mir ist wichtig, zu sagen, auch denen, mit denen wir uns manchmal hart auseinan­dersetzen: Wir retten einander, wenn es notwendig ist, und das ist eine wichtige Lehre, finde ich.

Frau Kollegin Mühlwerth hat das Wort schon verwendet, das in Wien für den Täter gefun­den worden ist, und ich finde es auch richtig, ihm mit Verachtung zu begegnen, ihn nicht zu einem Helden oder Märtyrer zu machen, sondern ihm genau das entgegenzuschleu­dern, was ihm jetzt ganz Wien entgegenschleudert, und dass wir die Opfer in den Vor­dergrund rücken, aber auch den Zusammenhalt, den dieses Attentat zur Folge hatte.

Ich möchte mich natürlich auch bei den Einsatzkräften, vor allem bei den Rettungs­kräften, bei der Feuerwehr, bei der Polizei und bei allen Helfern und Helferinnen bedan­ken, auch bei den drei jungen Männern, die dann sofort unter Beschuss geraten sind, aber nicht gezögert haben, zu helfen, und uns auch gezeigt haben, dass es keine Aus­einandersetzung zwischen irgendwelchen Religionen ist, sondern ein Kampf zwischen Fanatisierten und Friedfertigen. Das ist kein Kampf der Religionen.

Um den Bogen zur Digitalisierung und zu dieser Aktuellen Stunde zu schlagen – das ist sehr schwierig –, kann man vielleicht schon auch kurz einmal streifen, wie Fanatismus entsteht, auch in einer digitalen Welt, denn ich möchte schon festhalten, dass die US-amerikanischen Konzerne wirklich in der Pflicht sind, diesbezüglich radikal umzudenken und neue Wege zu finden.

Ich habe zufällig ein niederländisches Programm verfolgt, in dem ein Journalist mit einem neuen Computer, einer neuen Identität, also ohne dass sein Verlauf, seine Cookies ge­speichert waren, mit neu aufgesetztem Computer und neuem Google-Profil auf Youtube:


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Covid-19-Test sicher?, gesucht und dann dokumentiert hat, welche Videos Youtube in der Folge zeigt und welche anderen Videos empfohlen werden. Er ist immer mehr in diese Verschwörungserzählung, in die Fanatisierung gerutscht und war am Schluss so­zusagen in seiner digitalen Identität, die nicht seine eigene war, ein Q-Anon-Anhänger.

Das ist tatsächlich eine Form der Digitalisierung – und deswegen passt das auch zum heutigen Tag –, der wir als Demokratie entschieden entgegentreten müssen, uns dafür einsetzen müssen, dass das gestoppt wird, und da sind die amerikanischen Konzerne, und nicht nur die, sondern alle diese Konzerne tatsächlich in der Pflicht.

Zur Arbeitswelt, die im Zuge dieser Digitalisierungsdebatte auch genannt wurde: Wir hat­ten ja schon sehr viele technologische Erfindungen, die unsere Arbeitswelt radikal ver­ändert haben: die Sesshaftwerdung, die Erfindung des Rades, die industrielle Revolution wurde schon genannt. Ich möchte nur einen Bereich hervorheben, weil das noch gar nicht so lange her ist und wir vergessen, welche radikalen Veränderungen eine techno­logische Erneuerung zur Folge hatte: Das war die Elektrifizierung von Haushalten. Da­mals, in einer noch in sehr traditionellen Rollenbildern lebenden Gesellschaft waren ja vor allem Frauen zu Hause zu Knochenarbeit verdonnert. Die Elektrifizierung von Haus­halten – sie ist ungefähr 100 Jahre her – hat tatsächlich dazu geführt, dass die Gesell­schaft völlig erneuert worden ist und in der Arbeitswelt völlig neue Dynamiken entstan­den sind. Auch die Erfindung des Buchdrucks kann man als Beispiel nennen. So ähnlich muss man auch die Digitalisierung, die wir derzeit leben, sehen: als eine völlig neue Kraft, die unsere Arbeitswelt verändert.

Richtig ist auch, was Frau Kollegin Schumann gesagt hat: Wie bei der Elektrizität sind bei der Digitalisierung die Ersten, die die Neuerungen zu spüren bekommen, zum Bei­spiel im Homeofficebereich, die Frauen. Natürlich – da haben Sie auch recht, Frau Schu­mann – sind all die Fragen, die jetzt um Kinderbetreuung, Homeworking und Vereinbar­keit entstehen, nicht nur Frauenthemen, es sind auch Familienthemen, es sind auch Männerthemen, das sind unser aller Themen. Sie haben recht, daran werden wir alle gemeinsam noch hart arbeiten müssen.

Corona hat da ja auch zu einem Boost beigetragen, der vielleicht zu einem gewissen Grad auch gut ist – wenn man eine Lehre aus einer Katastrophe ziehen möchte –, weil Menschen jetzt tatsächlich völlig neue Dinge erleben und daraus lernen. Ich hatte einen großen Kongress und wollte einen Experten aus New York einladen, dann war der in einer Zoom-Konferenz dabei, und da habe ich bemerkt: Eigentlich muss ich keinen Flug und kein Hotelzimmer bezahlen. – Da ändert sich also auch etwas.

Ich bin ja noch immer stellvertretender Obmann in der Fachgruppe Werbung und Markt­kommunikation, und gerade Werbeagenturen sind so eine ganz typische Branche, in der diese Veränderungen jetzt ganz stark bemerkbar sind, in der sich ganz neue Dinge auftun, die auch für uns im Bundesrat, weil wir ja auch so gerne von der Entwicklung des ländlichen Raumes reden, interessant sind. Das ist tatsächlich eine neue Fragestellung, auf die wir jetzt sicher noch nicht die Antwort wissen, ich werde mich jetzt nicht hier­herstellen und Prophet spielen und so tun, als wüsste ich, wie es in 20 Jahren ausschaut, weil wir es de facto alle nicht wissen; aber wir bemerken ja, dass sich da etwas tut. Beispielsweise wird ein Grafiker oder eine Grafikerin, der oder die nicht im täglichen Kundenkontakt ist, feststellen: Na, eigentlich kann ich das zu Hause in Hollabrunn ge­nauso machen und brauch keine teure Wohnung in der Stadt!

Dann kommt aber das nächste Problem, und das kenne ich aus der unternehmerischen Perspektive: Kreative Prozesse benötigen auch immer wieder das Kollektiv, brauchen auch immer wieder den Austausch. Ich finde, immer wenn wir über digitale Kompetenzen sprechen, müssen wir auch über die menschlichen Kompetenzen sprechen, weil das eine ohne das andere nicht funktioniert. Empathie, Kreativität, das ist noch etwas zutiefst Menschliches; und auch wenn ich weiß, dass Artificial Intelligence Texte schreiben kann, so sind die von Menschen geschriebenen Texte besser. Das ist so.


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Auch wir als Unternehmer werden aber lernen müssen, dass die Kontrolle vielleicht nicht mehr über die Präsenzkultur funktioniert, die immer so wichtig war, dass man genaue Zeiten sagt, zu denen man da sein muss, sondern dass möglicherweise Ergebnisse wichtiger sind als Präsenz, als Zeiten. Das wird noch zu Veränderungen führen, die wir noch gar nicht abschätzen können.

Ich möchte alle hier einladen, gemeinsam daran zu arbeiten, denn ich glaube, die Digita­lisierung ist neben dem Gesundheitsbereich vor allem jetzt in der Coronakrise und im Kampf gegen den Klimawandel das entscheidende Thema der Zukunft, bei dem wir alle zusammenhalten sollen, weil wir einander helfen, wie wir es in dieser Woche gelernt haben. – Danke schön. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

14.53


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Zu einer ersten Stellungnahme zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort Dr. Margarete Schramböck. – Ich erteile es Ihnen; auch Ihre Redezeit soll 10 Minuten nicht überschreiten. Bitte, Frau Bundesministerin.


14.53.33

Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort Dr. Margarete Schram­böck: Frau Präsidentin! Werte Bundesrätinnen und Bundesräte! Sehr geehrte Damen und Herren! Am Montagabend haben wir in Österreich etwas Schreckliches erlebt, einen Terroranschlag. Dieser Anschlag war auch ein Angriff auf unsere Freiheit und auf die österreichische Demokratie. Es wurden Unschuldige verletzt, ja, es wurden Unschuldige sogar getötet.

Das macht mich unfassbar traurig. Doch wir dürfen uns nicht beirren und verängstigen lassen, und wir tun das auch nicht. Wir gedenken im Bewusstsein der Stärke unserer Werte und unserer Demokratie, und wir danken all jenen, die in diesen schwierigen Stun­den geholfen haben, die den Menschen geholfen haben, denn das ist immer etwas, das ein Mensch einem anderen gibt.

In diesem Fall hat ein Mensch etwas genommen, er hat Leben genommen, und dafür gibt es keine Entschuldigung. Dafür gibt es für viele auch sehr schwer ein Verzeihen, aber unsere Werte tragen uns gemeinsam weiter, sie tragen uns weiter in dieser Demo­kratie, die wir gemeinsam leben, Schulter an Schulter, und darauf bin ich stolz. Ich bin auch stolz darauf, dass dieses Parlament ein Teil dieser Werte der österreichischen De­mokratie ist, und in diesem Sinne möchte ich auch Ihnen danken. (Allgemeiner Beifall.)

Es ist schwierig, zur Tagesordnung überzugehen, und dennoch ist es notwendig und dennoch ist es wichtig, denn gemeinsam haben wir etwas zu tun. Wir haben die Ge­sundheit der Menschen in Österreich zu schützen und gleichzeitig ihre Arbeitsplätze und den Wirtschaftsstandort abzusichern, die Zukunft der nächsten Generationen abzusi­chern. Damit möglichst viele Menschen unbeschadet durch diese Covid-Krise kommen, haben wir beides zu tun und nicht das eine oder das andere.

Lassen Sie mich auch noch kurz, weil es wesentlich ist, auf die Infektionszahlen einge­hen: Sie steigen explosionsartig, und es ist unsere Aufgabe, diese Explosion im Schulter­schluss aller in unserer Gesellschaft zu verhindern und einzudämmen. Wir müssen die Spitäler entlasten und wir müssen gleichzeitig die Arbeitsplätze absichern, und das ist eben nicht ein Entweder-oder, sondern beides zählt.

Mir ist bewusst, dass es schon viele gibt, denen dieses Virus auf die Nerven geht, und das ist auch bei mir so, aber dieses Virus lässt leider nicht mit sich verhandeln. Deshalb ist es so wichtig, dass wir gemeinsam zu Österreichs Wirtschaft stehen und dass wir gesamtheitlich Schritte setzen, um sie zu retten, dass wir zusammenhalten und dass wir auch jene unterstützen, die es in dieser Zeit schwer haben, ArbeitnehmerInnen genauso wie Arbeitgeber.


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Es braucht dafür aber die Mithilfe aller Bürgerinnen und Bürger Österreichs. Jeder und jede kann und soll mitmachen und mithelfen, denn nur wenn wir jetzt diese entsprechen­den Schritte setzen und uns auch daran halten, haben wir eine Chance auf neues Wachstum, und diese Chance gibt es, denn es ist – unter Anführungszeichen – „nur“ ein Virus. Es wird vorübergehen, und das wird für uns die Möglichkeit schaffen, wieder ge­meinsam zu wachsen. Dafür müssen wir aber die Strukturen erhalten, dafür müssen wir die Schritte setzen, die Sie hier auch mittragen, wie Kurzarbeit, wie Garantien, wie Unter­stützung, direkte finanzielle Unterstützung. Das ist wichtig.

Es muss uns auch gelingen, wie beim ersten Lockdown die Gewerbe offen zu halten, die Industrien offen zu halten, den Handel offen zu halten und die Grenzen Europas offen zu halten, damit wir weiter wirtschaften können. Das ist ja während des ersten Lock­downs nicht gut gelungen, und daraus können wir lernen, auch auf europäischer Ebene.

Ich tausche mich regelmäßig mit Wirtschaftsforschern und natürlich auch mit den Unter­nehmen aus. Wir haben hier zwei Stufen: die erste der unmittelbaren Liquiditätssiche­rung und die zweite der Impulse, und wir befinden uns schon, auch wenn wir es nicht glauben, in dieser zweiten Stufe: dem Wirtschaftsstandort Impulse zu geben, wie bei­spielsweise durch die Investitionsprämie. Wir müssen aus der Krise heraus investieren. Diese Investitionsprämie hat noch etwas für sich: Sie hilft, den Blick nach vorne zu rich­ten und gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nach vorne und nicht nach hinten zu schauen.

Ich habe auch gehört, dass es Kritik an dieser Investitionsprämie gibt, und ich kann nur sagen, sowohl die Wirtschaftsforscher als auch die Unternehmen – wie auch viele von Ihnen – sehen, dass diese Investitionsprämie gerade jetzt richtig und wichtig ist. Es ist nicht zu früh und es ist Gott sei Dank nicht zu spät. Keine Wirtschaft wird besser, wenn man später investiert.

Was mich auch besonders freut, ist – und da nehmen wir jetzt diesen Schwung zur Di­gitalisierung –, dass diese 14 Prozent Investitionsprämie gut angenommen werden, dass über 50 Prozent aller Investitionen, die jetzt schon gemeldet wurden, in Nachhaltig­keit und in Digitalisierung gehen, dass die kleinen Unternehmen erkannt haben, hier und jetzt ist die Chance, jetzt ist es die Aufgabe, das zu nutzen. 63 Prozent aller Unterneh­men, die beantragt haben, sind Kleinstunternehmen, das heißt mit weniger als zehn Mit­arbeiterinnen und Mitarbeitern.

Hier im Bundesrat sei es auch erlaubt, darauf hinzuweisen, dass besonders Oberöster­reich, Niederösterreich und die Steiermark bei den Anträgen für die Investitionsprämie ganz weit vorne liegen.

Die Coronakrise markiert in gewisser Weise auch bei der Digitalisierung eine Zeitenwen­de. Vieles, was wir in den vergangenen Jahren immer wieder besprochen haben, wovon wir geredet haben, woran ich persönlich gearbeitet habe, vieles, von dem immer gesagt wurde, dass es nicht möglich sei, ist jetzt durch dieses Coronavirus möglich geworden. Dabei spreche ich nicht nur von dem Thema, von zu Hause aus zu arbeiten und von zu Hause aus zu lernen, sondern ich spreche ganz besonders von der digitalen Transfor­mation der mittelständischen Unternehmen. Diese machen 98 Prozent der österreichi­schen Unternehmen aus, und nur mehr 8 Prozent von ihnen glauben, dass die Digitali­sierung für sie keine Rolle spielt. 92 Prozent sind davon überzeugt, dass sie wichtig ist, und sie sagen es nicht nur, sondern sie tun auch etwas. Und unsere Aufgabe ist es, sie dabei gerade jetzt zu unterstützen.

Die Digitalisierung ist dreiteilig, sie ist für Gesellschaft, für Wirtschaft und für Verwaltung wichtig, das haben Sie in Ihren Reden bereits angesprochen. Was die Gesellschaft be­trifft, bin ich auch absolut davon überzeugt, dass wir alle – und ich sage: alle! – auf diese Reise mitnehmen müssen, zum Beispiel die Jugendlichen, die vielleicht nicht so privi­legiert sind, die in einem Haushalt aufwachsen, in dem das nicht vorgegeben ist. Ich darf


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Ihnen mein eigenes Beispiel bringen: Ich bin in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem Vater und Mutter keine Lehre machen durften, als Hilfsarbeiter gearbeitet haben und sich so ihren Lebensunterhalt verdient haben. Es ist mir deshalb ganz besonders wichtig, alle mitzunehmen, auch die älteren Generationen – auch Sie haben es angesprochen – auf diese Reise mitzunehmen und nicht zurückzulassen.

Es muss uns gelingen, dass die digitale Kluft nicht größer, sondern kleiner wird und dass jeder und jede die Chancen in dieser Zeit nutzen kann und auch muss. Es ist ein wich­tiges Thema, das uns in den Schulen und genauso in der Lehre – auch das ist ange­sprochen worden –, im Arbeitsleben und auch, wenn man nicht mehr im Arbeitsleben ist, begleitet, denn es soll niemand von dieser Entwicklung ausgeschlossen sein.

Dafür haben wir gemeinsam viel zu tun. Es gibt Mechanismen, es gibt Möglichkeiten, damit wir das vorantreiben. Wenn wir irgendwann auf diese Covid-Zeit zurückblicken, dann ist das vielleicht ein Punkt, bei dem uns dieses Virus geholfen hat, nämlich da Geschwindigkeit aufzunehmen, Entscheidungen zu treffen und das auch gemeinsam umzusetzen.

Das zweite Thema ist die Wirtschaft. Ja, ich stehe dazu: Als Impfstoff für die Wirtschaft kann die Digitalisierung deshalb gelten, weil sie die Unternehmen resilienter und krisen­fester macht und auch Arbeitsplätze schafft. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Es ist bereits angesprochen worden, dass dadurch Arbeitsplätze in Österreich entstehen, circa 20 000 pro Jahr. Ja, das sind andere Arbeitsplätze, und unsere Aufgabe ist es, in Umschulungen, in Weiterbildungen, in den Möglichkeiten, neue Berufsbilder zu schaffen, die Menschen, die in Österreich arbeiten, mitzunehmen und niemanden zurückzulassen.

Die Wirtschaft betreffend wird es auch unsere Aufgabe sein, uns um die KMUs zu küm­mern. Es geht nicht nur um die Leitbetriebe, sondern wir müssen auch neue Geschäfts­modelle ermöglichen. Ich möchte Ihnen ein Thema mitgeben, nämlich das Thema
E-Commerce. Gerade jetzt ist es wichtig, dass sich die kleineren Unternehmen nicht als Ersatz für das direkte Betreuen des Kunden, sondern als Ergänzung in diesen Bereich hineintrauen. Unsere Aufgabe, meine Aufgabe ist es, sie dabei auch massiv zu unterstüt­zen.
(Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Der dritte Punkt ist die digitale Verwaltung. Auch Sie haben in den vergangenen Jahren mit unterstützt, dass wir oesterreich.gv.at, das Digitale Amt, aufbauen. Daran werden wir weiterarbeiten. Warum? – Nicht zum Selbstzweck, sondern damit Bürgerinnen und Bür­ger gerade in so einer Krise ihre Behördenwege machen können und damit gerade die Unternehmen in so einer Krise nicht mit mehr Bürokratie belastet werden. Ja, das ist ein mühsamer Weg. Es ist ein Weg, Systeme umzubauen, Projekte zu machen, die oft – auch in der medialen Berichterstattung – nicht so große Aufmerksamkeit erhalten, die aber umso wichtiger sind, um die Unternehmen zu entlasten. Somit ist die Digitalisierung auch eine Möglichkeit, die Unternehmen in ihrem täglichen Tun zu unterstützen.

Wenn wir uns anschauen, wie viel jetzt investiert wird, so kann ich ganz klar sagen, dass jetzt mehr in die Digitalisierung investiert wird als je zuvor: mehr als 1 Milliarde Euro, und es wird noch mehr werden. Es sind mindestens 600 Millionen Euro aus der Investitions­prämie, es sind Investitionen in den Bereich Cybersicherheit, in den Bereich Bildung. Ich bin froh, dass die Schülerinnen und Schüler mit digitalen Endgeräten ausstatten werden. Dabei geht es nicht um dieses Endgerät, sondern es geht um die Chancen und Mög­lichkeiten, die diese Schüler haben, wenn sie sehr früh auf diesen Geräten, mit dieser Software arbeiten. Sie haben dann im beruflichen Leben natürlich auch einen besseren Start, als wenn sie das erst später lernen, wenn sie erwachsen sind, oder nur im privaten Bereich. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Auf europäischer Ebene hat das Thema Digitalisierung ebenfalls aufgeschlagen, auch das ist erwähnt worden. 20 Prozent des Recoveryfund sollen in die Digitalisierung ge­hen, und ich traue mich, zu sagen, es braucht neben diesem Green Deal, der sehr, sehr


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wichtig ist, auch einen Digital Deal für Europa. Es braucht ihn – Sie haben es selber angesprochen –, damit Europa vor allem im Wettbewerb mit den USA und mit China einen Schulterschluss macht und auch entsprechend vorankommt.

Da ist einiges aufzuholen, ich bin aber zuversichtlich, dass gerade die jetzige Situation viele Entscheidungen möglich macht. Ich sehe diese 20 Prozent im Bereich des Re­coveryfund. Unsere Aufgabe ist es, den Standort und den Wohlstand der zukünftigen Generationen zu sichern, egal was passiert. Unsere Väter, unsere Mütter, unsere Groß­väter und Großmütter haben auch schwierige Situationen erlebt. Unsere Aufgabe ist es, das jetzt gemeinsam gut durchzustehen und sogar stärker daraus hervorzugehen, als wir es jetzt sind. – Herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei BundesrätIn­nen der SPÖ.)

15.07


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Vielen Dank für Ihre Ausführungen, Frau Bundesministerin.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren TeilnehmerInnen an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minuten nicht übersteigen darf.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag.a Marlene Zeidler-Beck. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.


15.07.45

Bundesrätin Mag. Marlene Zeidler-Beck, MBA (ÖVP, Niederösterreich): Frau Präsi­dentin! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuse­herinnen und Zuseher! Was ist das für ein Jahr? Was sind das für Zeiten? – Erinnern wir uns vielleicht gemeinsam zurück, wie wir den letzten Jahreswechsel verbracht haben. Bei mir war es am Perchtoldsdorfer Turm mit einem herrlichen Panorama über Wien, mit einem Blick auf die Lichter einer friedlichen Weltstadt, mit meiner Familie, mit einer Freundin, die als Virologin in New York arbeitet, die über die Feiertage kurzfristig nach Wien geflogen ist. Wir haben unsere Pläne geteilt, wir haben in die Zukunft geschaut, wir haben uns umarmt und auf das neue Jahr gefreut.

Ein paar Wochen später hat mir dieselbe Freundin, die in ihrem Job natürlich an der Quelle sitzt, die ersten Infos über ein neuartiges Virus aus China geschickt. Dass uns das so betreffen wird, unseren Alltag, unsere Normalität so beeinflussen wird, haben wir uns damals nicht vorstellen können. Und am Montagabend ist binnen kürzester Zeit eine Nachricht aus New York gekommen: Geht es euch gut? Was ist da los? Warum Öster­reich?

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Gedenken an die Opfer und in tiefer Dank­barkeit für alle, die geholfen haben und helfen, fällt es auch mir persönlich schwer, zum parlamentarischen Alltag zurückzukehren. Ich möchte betonen, ich glaube, es ist nicht ein Übergehen zu unserer Tagesordnung, sondern es ist ein Herantasten und ein Kämp­fen für unsere Realität und für unseren Alltag.

Gerade die Ereignisse vom Montag haben uns die guten Seiten der digitalen Kommuni­kation gezeigt: die raschen Nachrichten von Familie, von Freunden, dass es ihnen gut geht, die Mithilfe bei der Aufklärung durch 20 000 Videos aus der Bevölkerung. Sie ha­ben uns aber auch ganz klar die schlechten Seiten der digitalen Kommunikation gezeigt: die rasche Verbreitung von brutalen Videos, von Hassbotschaften und auch von Fake­news.

Ich glaube, es muss uns eines klar sein: Es liegt an uns, die guten Seiten der digitalen Kommunikation zu entdecken und zu nutzen, es liegt aber auch an uns, als Gesetzgeber Strategien zu finden, gegen die schlechten Seiten vorzugehen; ich nenne als Stichwort


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das Gesetzespaket gegen Hass im Netz. Es liegt aber auch an den Konzernen, etwas gegen diese rasche Verbreitung zu tun. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Gerade in der ersten Phase der Pandemie wurde die Digitalisierung einem regelrechten Stresstest unterzogen, da wurde unsere digitale Infrastruktur ebenso geprüft wie unser aller digitale Fähigkeiten. Auch dabei liegt es an uns, uns die Schwächen und die Gefah­ren genau anzuschauen, sie zu identifizieren, es liegt aber auch an uns, die Chancen der Digitalisierung gerade jetzt zu nutzen. Deswegen sage ich vielen Dank an unsere Frau Bundesministerin für dieses Thema der Aktuellen Stunde. Ich glaube, gerade mitten in einer Krise kann es uns helfen, den Fokus auf das Comeback zu lenken, und gerade wir vonseiten der Politik sind jetzt gefordert, weiter zu denken und Perspektiven zu schaffen.

Ich bin froh, dass unsere Bundesregierung so konsequent an den Chancen der Digita­lisierung arbeitet – mit einem klaren Plan, mit einem entsprechenden Budget und vor allem auch mit dem Ziel, dass wir dabei alle mitnehmen.

Mein Dank gilt allen, die in den vergangenen Monaten so intensiv an ihren ganz persön­lichen digitalen Fähigkeiten gearbeitet haben, die sich Herausforderungen gestellt ha­ben – vom Distancelearning bis zum Homeschooling –, die in ganz unterschiedlicher Funktion an ihren digitalen Kompetenzen gearbeitet haben. Mein Dank gilt auch ganz besonders allen Unternehmen, die mit so viel Herzblut und Innovationskraft daran arbei­ten, Abläufe zu digitalisieren und sich fit für die Zukunft zu machen.

In meinem Heimatbundesland Niederösterreich werden Unternehmen nicht nur durch die Investitionsprämie unterstützt, alle Digitalisierungsvorhaben werden dort auch durch die Initiative Digi4Wirtschaft unterstützt: vom Friseurbetrieb, der sein Buchungssystem auf online umstellt, über die Zimmerei, die Drohnen einsetzt, um sich den Dachstuhl anzusehen, bis zu Industriebetrieben, die ihre Produktion auf Robotik umstellen. Wie groß der Zuspruch der Wirtschaft und die Bereitschaft, gerade jetzt zu investieren, sind, sehen wir anhand der Zahlen: In den ersten vier Monaten sind 555 Anträge eingegan­gen, und das sind Unternehmen, von denen jedes einzelne bereit ist, gerade jetzt zu investieren. Damit wurden Zuschüsse in Höhe von 3,7 Millionen Euro ausbezahlt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf der gesundheitlichen Seite dieser Pande­mie warten wir alle auf einen Impfstoff. Meine Freundin, die selbst sehr erfolgreich in der Coronaantikörperforschung tätig ist, sagt mir immer, dass das noch ein bisschen dauern wird. Was wir bis dahin tun können und gerade jetzt angesichts der Dramatik dieser Zahlen tun müssen, ist klar: Hygieneregeln einhalten, Abstand halten, auch sozialen Ab­stand.


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Frau Bundesrätin, kommen Sie bitte zum Schlusssatz!


Bundesrätin Mag. Marlene Zeidler-Beck, MBA (fortsetzend): Ich komme zum Schluss: Auch in der Wirtschaft wird es noch dauern, bis die Digitalisierung als Impfstoff ihre volle Wirksamkeit entfalten kann, aber auch dabei gibt es etwas, das jeder Einzelne von uns gerade jetzt tun kann, nämlich auf Regionalität zu setzen, die österreichische Wirtschaft zu unterstützen und vielleicht beim regionalen Onlinehändler zu bestellen. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

15.14


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Horst Schachner. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.


15.14.17

Bundesrat Horst Schachner (SPÖ, Steiermark): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Werte Zuschauer zu


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Hause! Auch wenn heute Digitalisierung das Thema unserer Aktuellen Stunde ist, muss ich doch sagen, dass Wirtschaft vor Digitalisierung kommen muss. Daher wäre es bes­ser, wenn die Reihenfolge in der Bezeichnung des Ministeriums umgekehrt wäre, denn die Sorge um den Wirtschaftsstandort Österreich ist jetzt mit diesem zweiten Lockdown viel, viel größer als alles, was Digitalisierung vielleicht retten kann. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Oberstes Ziel, sehr geehrte Damen und Herren, muss es sein, Arbeitsplätze zu erhalten, neue Arbeitsplätze zu schaffen und das Überleben der Unternehmer zu sichern. Digitali­sierung soll dazu beitragen, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu helfen, und sie soll dazu beitragen, den Unternehmerinnen und Unternehmern zu helfen. In diesem Rahmen haben Digitalisierungsschritte und auch neue Programme zur Digitalisierung unsere vollste Unterstützung. Wir müssen den Wirtschaftsstandort Österreich und die Kaufkraft der Österreicherinnen und Österreicher stärken.

Wie stärkt man die Kaufkraft und den Wirtschaftsstandort? – Indem man nicht nur Unter­nehmen, sondern auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hilft (Beifall bei der SPÖ), damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Geld haben, das sie auch ausgeben kön­nen, damit sie Geld haben, um ins Gasthaus gehen zu können, damit sie Geld dafür haben, dass sie sich vielleicht einmal Skifahren leisten können, damit sie Geld haben, dass sie etwas bestellen können, dass sie ins Gasthaus essen gehen können oder viel­leicht einmal drei Tage in ein Hotel gehen und irgendetwas unternehmen können. Das wäre ganz wichtig.

Wie erreichen wir das? – Wir würden es schon schaffen, wenn man vielleicht andere Wege denkt. Es ist ja schon ein paarmal über einen Gutschein von 1 000 Euro geredet worden, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bekommen sollen. Den könnten Sie dann in ihren Regionen ausgeben,damit würden wir die Wirtschaft und den Wirtschafts­standort stärken. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ.)

Digitalisierung ist ein großes Thema, und sie hat durch die Krise auch einen zusätzlichen Schub bekommen, aber nicht nur das: Vier große Konzerne haben in und mit der Krise auch unheimlich große Gewinne in der Höhe von 38 Milliarden Dollar gemacht, und das im letzten Quartal, also in nur drei Monaten. Wie unsere Fraktionsvorsitzende Korinna Schumann schon angesprochen hat, sind das im letzten Quartal 11,2 Milliarden Dollar bei Google gewesen, 12,7 Milliarden Dollar bei Apple, 7,8 Milliarden Dollar bei Facebook und 6,3 Milliarden Dollar Gewinn bei Amazon. Diese Gewinne wurden zu einem ent­sprechenden Anteil auch in Österreich gemacht, während die Steuerleistung der vier Konzerne Google, Apple, Facebook und Amazon äußerst bescheiden ausfällt. Wir er­warten uns von Ihnen, Frau Ministerin, dass Sie sich dafür einsetzen, dass diese Krisen­gewinner endlich auch angemessene Steuern in Österreich leisten. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ.)

Wir werden diese Steuereinnahmen dringend brauchen, und es ist überhaupt nicht ein­zusehen, dass es der ganzen Wirtschaft schlecht geht, während ein paar Großkonzerne auf riesigen Gewinnen sitzen und durch windige Konstruktionen keine Steuern zahlen müssen, sehr geehrte Damen und Herren.

Wenn wir von Digitalisierung sprechen, sprechen wir immer vom Arbeitsmarkt und von der Wirtschaft. In diesem Zusammenhang wurden am Montag die Arbeitslosenzahlen bekannt: Noch bevor Lockdown und Winter wirksam werden, gibt es 423 750 Arbeitslose in Österreich. Unser größter Arbeitsauftrag ist es, diese Zahl deutlich zu verringern. Das muss für das Parlament und für alle Ministerinnen und Minister das oberste Ziel sein. Deshalb bleiben wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten auch bei der Forde­rung, dass die Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld von 55 Prozent auf 70 Prozent er­höht werden muss. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ.)


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Wer in diesen schweren Zeiten darauf setzt, Menschen nach 45 Jahren harter Arbeit noch länger in Arbeit zu halten, das Ausscheiden vor Vollendung des 65. Lebensjahrs mit bis zu 12,6 Prozent Abschlag zu bestrafen und jüngeren Arbeitsuchenden keine Chance zu geben, hat die derzeitigen Probleme überhaupt nicht verstanden, sehr geehr­te Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ.)

Die Abschaffung der Hacklerregelung kann – und hier bin ich abschließend nochmals bei der Digitalisierung – dazu führen, dass junge Menschen trotz guter Ausbildung in der Informationstechnologie keinen Arbeitsplatz finden. Durch die Abschaffung der Hackler­regelung müssen jene bis zum Regelpensionsalter arbeiten, die eigentlich nicht mehr können und schon längst ihren Teil für unsere Gesellschaft und für unsere Wirtschaft geleistet haben.


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Bitte kommen Sie zum Schlusssatz, Herr Kollege! (Bundesrat Preineder: Und zur Sache!)


Bundesrat Horst Schachner (fortsetzend): In diesem Sinne dürfen wir es nicht zulas­sen, dass die Hacklerregelung abgeschafft wird, sondern müssen dafür sorgen, dass sie ausgeweitet wird und die Digitalisierung ihren Teil leisten kann, um Arbeitsplätze zu schaffen und den Wirtschaftsstandort Österreich zu schützen. – Danke. Glück auf! (Bei­fall bei der SPÖ.)

15.20


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster ist Herr Bundesrat Mag. Rein­hard Pisec zu Wort gemeldet. – Bitte schön, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.


15.20.22

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA MA (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuseher vor den Fernsehschirmen! Zweifelsohne hat die Digitalisierung – besser vielleicht unter dem Begriff Digitalität, Zeitalter der Digitalität, Epoche der Digitalität gefasst – zu einem Paradigmenwechsel im unternehmerischen, im ökonomischen Denken in Österreich, aber vor allem weltweit geführt. Ich denke an die Take-off-Phasen, mit denen wir in den vergangenen 20 Jahren bereits konfrontiert waren und die wir teilweise auch überneh­men mussten und wollten. Die große Take-off-Phase war das Millennium, als die Digi­talität und das Kommunikationsmedium E‑Mail in das tägliche Geschäftsleben Eingang gefunden haben.

Die zweite Take-off-Phase war für mich ganz eindeutig Steve Jobs, der geniale Erfinder, der geniale Innovator, der Apple-Gründer, der das I-Phone erfunden hat. Das ist für mich der Olymp des unternehmerischen Denkens und des praktizierten Unternehmens: Er hat das Produkt erfunden, hat die Innovation eingeführt und diese auch weltweit als Ge­schäftsmodell durchgesetzt. Alle anderen waren immer nur von ihm abgekupfert, sind Kopien davon. Ihm gebührt vor allem Dank, dass wir es in der Digitalität, die uns auch nützen wird, bereits so weit geschafft haben.

Die dritte Take-off-Phase ist ein zufälliger Umstand: Das ist die Covid-Krise, die klarer­weise die digitale Welt und die digitale Transformation befeuert hat. Wenn man zum Beispiel die amerikanische Nasdaq-Börse hernimmt, die 100 weltweit führenden Tech­nologieunternehmen – es gibt natürlich auch Asien als zweite Volkswirtschaft –: Mit wel­chen Sektoren haben wir es dabei zu tun? – Es geht nicht immer nur um die Digitalisie­rung – deswegen würde ich das besser unter dem Begriff der Digitalität zusammenfas­sen –, sondern auch um den Computerisierungsgrad. Es sind Halbleitersektoren, es sind Onlineportale, es sind Software und Hardware, es sind Zahlungsdienstleistungen, es sind Speichertechnologien. Die Nasdaq hat allein von März 2020 bis jetzt – Novem­ber 2020 – um 100 Prozent zugelegt. Daran sieht man, was für ein dynamischer Faktor dieser unglückliche, sehr zufällige Umstand der Covid-Pandemie ist und wie er diese Produktion, diese Produkte der Digitalisierung zufällig – es ist zufällig – befeuert hat.


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Es ist aber kein Impfstoff, denn Impfstoff heißt immer 100 Prozent Immunisierung. Es ist natürlich keine Immunisierung. Das digitale Toilettenpapier wird es nie geben. Analoge Geschäftsmodelle werden immer die Basis sein. All die Sektoren, die ich genannt habe, haben das Produkt als ihr Geschäftsmodell; das digitale Produkt ist das Geschäftsmo­dell. Gerade in Österreich leben wir ja vom Nutzen dieser digitalen Geschäftsmodelle, und beim Nutzen sieht es natürlich anders aus.

Der E‑Commerce kann den Ausfall, der jetzt zwangsläufig durch die Lockdowns hervor­gerufen wird, zum Teil kompensieren. Dabei muss man sich aber schon fragen, warum dem stationären Handel – er war ja schon vorher in der Krise, nicht erst jetzt – so wenig Unterstützung gegeben wird. Er muss jetzt um 19 Uhr sperren. Die Sperrstunde wurde um 1 Stunde vorverlegt, aber er kann nicht um 1 Stunde früher aufsperren. Das heißt, ihm wurde praktisch eine Tagesstunde genommen. Ob die Sozialpartner der Wirtschaft dabei wirklich so viel Hilfestellung leisten, wage ich, infrage zu stellen. Für mich ist das Sozialpartnerschaftsmodell, wie es heute praktiziert wird – ganz das Gegenteil von Digi­talität –, eigentlich eher ein Auslaufmodell. Das zeigt sich an dieser frühen Sperrstunde eindeutig. (Beifall des Bundesrates Leinfellner.)

Ein weiteres Produkt ist das papierlose Büro. Man muss schon aufpassen: Es ist na­türlich ein interessantes Thema, aber aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass es immer ein technisches Hilfswerkzeug braucht, um das auch lesbar zu machen – es kann kaputtgehen, man sucht es, und auch die Auffindung ist nicht so schnell möglich. Das Papier ist als Speichermedium nach wie vor an erster Stelle und wird es auch in Zukunft bleiben.

Digitalität ist ein technisches Hilfsmittel, sie ist eine Dienstleistung, sie leistet Dienste – das darf man nicht vergessen. Sie darf aber kein Selbstzweck sein, wie es vielleicht die Nasdaq mit ihren sagenhaften Gewinnen ist. Sie muss einen Nutzen haben, gerade für österreichische KMU – zweifelsohne. Daher würde ich es relativieren: Sie kann sich na­türlich zu einem Impfstoff entwickeln. Die Entwicklung ist ja im Gange, die Transforma­tion ist ja ein permanenter Prozess, aber zum heutigen Zeitpunkt ist es nicht der Fall. Daher müssten wir den Unternehmen, damit sie vom Nutzen profitieren können, vor allem in der Kostenstruktur helfen, damit sie diese im eigenen Unternehmen implemen­tieren können.

Was die 14‑prozentige Investitionsprämie betrifft: Da haben Sie schon recht, aber Ihre 63 Prozent betreffen die Anzahl der Betriebe. Interessanter ist jedoch die absolute Sum­me. Dabei glaube ich aus eigener Einschätzung schon, dass circa 60 bis 70 Prozent Mitnahmeeffekte sind. Die Investitionen hätte es in jedem Fall gegeben. Das ist natürlich nicht schlecht, aber man muss die Kirche im Dorf lassen. Die großen Brocken schneiden sich andere Firmen ab, und ob sie wirklich bei den KMU ankommen, weiß ich nicht. Dabei bedarf es sicher Nachbesserungen, damit die Digitalität auch für die KMU leistbar wird. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

15.25


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Andreas Lackner. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.


15.26.12

Bundesrat Andreas Lackner (Grüne, Steiermark): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Zuseherinnen und Zuse­her! In den letzten Monaten ist wohl jedem klar geworden, wie wichtig es ist, digital gut aufgestellt zu sein. Homeoffice und Homeschooling haben ja bewirkt, dass bis in den letzten Winkel klar wurde, dass Investitionen im Bereich der Digitalisierung gut ange­legtes Zukunftskapital sind.


BundesratStenographisches Protokoll914. Sitzung, 914. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2020 / Seite 25

Besonders freut mich die Digitalisierungsoffensive des Bundes im Bereich der Schule. Wir nehmen 235 Millionen Euro an zusätzlichen Mitteln für die digitale Ausstattung von Schülerinnen und Schülern in die Hand und legen im nächsten Jahr – 2021 – einen längst überfälligen Schwerpunkt auf die digitale Transformation unserer Schulen. Beglei­tet wird die Laptopverteilung an die Schülerinnen und Schüler von weiteren Maßnahmen wie der Vereinheitlichung der Lernplattformen, der digitalen Fortbildung der Lehrkräfte und dem Ausbau der IT‑Infrastruktur.

Der Ausbau der digitalen Infrastruktur ist generell ein Bereich, den wir weiter forcieren müssen. Österreich liegt im Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft in der EU an 13. Stelle, also im Mittelfeld. Dieser Index umfasst fünf Hauptindikatoren. Während wir betreffend Humankapital sowie bei der Integration der Digitaltechnik und bei den digita­len öffentlichen Diensten über dem EU‑Schnitt liegen, sind wir beim Indikator Konnek­tivität nur auf Platz 22 von 28 – also im letzten Viertel.

Die Breitbandversorgung ist regional sehr unterschiedlich. Das liegt natürlich an der Topografie und der regional unterschiedlichen Bevölkerungsdichte unseres Landes. Es gibt vor allem in den ländlichen Regionen nach wie vor eine Unterversorgung mit schnel­lem Internet. Zwar gab es bei der Versteigerung der 5G-Lizenzen Auflagen, eine bes­sere, flächendeckende Versorgung sicherzustellen, jedoch funktioniert das in der Praxis mehr schlecht als recht.

Die Basis für die Förderkarte bezüglich Breitbandausbau ist der Breitbandatlas, der von der RTR zur Verfügung gestellt wird. Die Daten für den Atlas kommen jedoch von den Mobilfunkbetreibern. Dabei stellt sich oft heraus, dass die im Atlas angegebene Versor­gungsqualität mit der Realität vor Ort nicht übereinstimmt. Mobilfunkbetreiber haben ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen und nicht unbedingt eine flächendeckende Versor­gung in ihrem Fokus. Daher ist es notwendig, die derzeitige Ausgestaltung des Breit­bandatlasses zu hinterfragen. Es ist an der Zeit, eine stärkere Orientierung der Projekt­träger an regionalen Breitbandstrategien und Masterplänen zu erreichen.

Bei geplanten Ausbauprojekten sollte es für Projektträger das Erfordernis geben, die Bauvorhaben im Vorhinein mit den Ländern und/oder Landesgesellschaften abzustim­men beziehungsweise bestehende Masterpläne und regionale Breitbandstrategien zu berücksichtigen, da auf regionaler Ebene sehr viel mehr Detailwissen über bestehende Netze oder Betreiber vorhanden ist. Wichtig ist weiters, dass bei der nächsten Breit­bandmilliarde die Hürde betreffend Versorgungsqualität von 30 Mbit auf 100 Mbit erhöht wird, damit wir nur mehr zukunftsfitte Lösungen fördern. (Vizepräsidentin Grossmann übernimmt den Vorsitz.)

Flächendeckender Breitbandausbau kostet sehr viel Geld. Für die Steiermark allein lie­gen die Schätzungen bei 2 Milliarden Euro. Wenn man sich diese Dimension vor Augen führt, wird klar, dass dieser Ausbau nicht überall in den nächsten zwei bis drei Jahren stattfinden wird. Eine Lösung könnte sein, dass in bestimmten Gebieten der Mobilfunk als Ergänzung gefördert wird. Derzeit ist es ja so, dass Gebiete mit einer Breitbandun­terversorgung oft auch Gebiete mit einer schlechten Versorgung von mobilem Internet sind. Mobilfunkbetreiber bauen ihre Masten eben dort, wo es wirtschaftlich interessant ist. Der Ansatz wäre, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch Mobilfunkmasten gefördert werden – eine günstige Variante, um den benachteiligten Gebieten eine rasche Verbesserung ihrer Anbindung an die digitale Welt zu ermöglichen. – Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

15.30


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Es liegt mir dazu nun keine Wortmeldung mehr vor, auch nicht seitens der Frau Ministerin, wie mir mitgeteilt wurde.

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.


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15.31.13Einlauf und Zuweisungen


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Hinsichtlich der eingelangten, vervielfäl­tigten und verteilten Anfragebeantwortungen,

der Unterrichtung des Bundeskanzlers gemäß Art. 23c Abs. 5 Bundes-Verfassungsge­setz,

eines Schreibens des Generalsekretärs des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten gemäß Art. 50 Abs. 5 Bundes-Verfassungsgesetz

verweise ich auf die im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen gemäß § 41 Abs. 1 der Ge­schäftsordnung des Bundesrates, die dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Ebenso verweise ich hinsichtlich der eingelangten Verhandlungsgegenstände und deren Zuweisungen im Sinne des § 19 Abs. 1 der Geschäftsordnung auf die gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäftsordnung im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen, die dem Stenogra­phischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:

A. Eingelangt sind:

1. Anfragebeantwortungen

(Anlage 1) (siehe auch S. 27)

2. Schreiben des Landtages

Schreiben des Tiroler Landtages betreffend Mandatsverzicht bzw. Wahl von Ersatzmit­gliedern (Anlage 2 und Anlage 3)

3. Unterrichtung des Bundeskanzlers gemäß Art. 23c Abs. 5 B-VG

Nominierung von Herrn Landesrat Mag. Heinrich Dorner zum Mitglied im Ausschuss der Regionen (Anlage 4)

4. Unterrichtung gemäß Art. 50 Abs. 5 B-VG

Schreiben des Generalsekretärs betreffend die Vollmacht zur Aufnahme von Verhand­lungen über ein Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Republik Serbien über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen (Anlage 5)

B. Zuweisungen

1. Gesetzesbeschlüsse (Beschlüsse) des Nationalrates

(siehe Tagesordnung)

2. Vorlagen der Bundesregierung oder ihrer Mitglieder

(siehe Tagesordnung) sowie

Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes für das Jahr 2019, vorgelegt von der Bundesministerin für EU und Verfassung (III-728-BR/2020)

zugewiesen dem Ausschuss für Verfassung und Föderalismus

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Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Eingelangt sind und den zuständigen Ausschüssen zugewiesen wurden jene Beschlüsse des Nationalrates beziehungsweise jene Berichte, die Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind.

Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen abgeschlossen und schriftliche Ausschuss­berichte erstattet.

Ich habe die zuvor genannten Verhandlungsgegenstände auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Wir gehen in die Tagesordnung ein.

15.32.521. Punkt

Bericht der Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort betref­fend EU Vorhaben 2020 (III-706-BR/2020 d.B. sowie 10436/BR d.B.)


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Wir gelangen nun zum 1. Punkt der Ta­gesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Ing.in Isabella Kaltenegger. – Frau Kollegin, ich bitte um den Bericht.


15.33.13

Berichterstatterin Ing. Isabella Kaltenegger: Hohes Präsidium! Geschätzte Kollegin­nen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Ich darf Ihnen den Bericht des Wirtschaftsausschusses über den Bericht der Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort betreffend EU-Vorhaben 2020 zur Kenntnis bringen.

Der Bericht liegt Ihnen allen in schriftlicher Form vor, ich komme daher zur Antrag­stellung.

Der Wirtschaftsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 3. November 2020 den Antrag, den Bericht der Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort betreffend EU-Vorhaben 2020 zur Kenntnis zu nehmen.


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist ebenso Frau Ing.in Isabella Kaltenegger. – Bitte sehr.


15.34.10

Bundesrätin Ing. Isabella Kaltenegger (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrte Frau Vize­präsidentin! Geschätzte Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher zu Hause! Bei diesem Tagesordnungspunkt handelt es sich um die EU-Jahresvorschau im Bereich Wirtschaft und Digitalisierung. Die Stär­kung des Wirtschaftsstandortes, die Klimaneutralität und die Digitalisierung stellen die Schwerpunkte dieses Berichtes dar. Der Bericht wurde noch vor der Coronakrise erstellt und natürlich haben sich die Schwerpunkte auf EU-Ebene etwas verlagert, gerade des­halb aber ist es umso wichtiger, dass Europa im Hinblick auf Nachhaltigkeit, Digitalisie­rung und Arbeitsplätze zusammenarbeitet.

Ich möchte nun auf ein paar Punkte des Berichtes eingehen. Bei der europäischen In­dustriestrategie unterstützt Österreich insbesondere die Stärkung industrieller Wert­schöpfungsketten und die Förderung wichtiger gemeinsamer europäischer Vorhaben. Dazu zählen neben den strategisch bedeutsamen Bereichen auch die Mikroelektronik, Hochleistungscomputer, intelligente Gesundheit, Wasserstofftechnologie, Cybersicher­heit und die kohlenstoffarme Industrie. Das Investitionsklima in der EU soll nachhaltig


BundesratStenographisches Protokoll914. Sitzung, 914. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2020 / Seite 41

unternehmerfreundlicher gestaltet werden. Aktuell laufen schon einige Vorbereitungen für die Teilnahme Österreichs an verschiedenen Projekten.

Punkt zwei ist der Green Deal. Der Bericht weist auf den Zusammenhang von Industrie und Klima hin. Europa soll bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent werden, und da­durch soll die Lebensqualität der europäische Bevölkerung erhöht und ihre Gesundheit verbessert werden. Der Investitionsplan sieht vor, dass mindestens 25 Prozent des lang­fristigen Budgets klimarelevanten Aktionen zweckgewidmet werden. Für Österreich ist dabei vor allem die Weiterentwicklung der Produktion von grünem Wasserstoff prioritär.

Ein weiterer Punkt ist die KMU-Strategie: Sie ist für Österreich von größtem Interesse, vor allem wenn es um bürokratische Erleichterungen und die Verbesserung des Zugangs der Unternehmen zu Finanzmitteln, insbesondere Risikokapital, geht. Kleine und mittlere Unternehmen waren in der Wirtschaftskrise 2008 der stabilisierende Faktor. Die neue Europäische Kommission erkennt den wichtigen Beitrag der KMUs zur europäischen Wirtschaft an und hat in sehr vielen Bereichen einen Schwerpunkt auf deren Stärkung gelegt. Von der Leyen hat dafür 24 Millionen Euro angekündigt. Für Österreich sind da­bei besonders die Förderung der Innovationskraft, der Zugang zu neuen Märkten inner­halb und außerhalb des Binnenmarktes, die Unterstützung bei der Entwicklung eigener Ideen und der Umgang mit digitalen Technologien sowie die Suche nach qualifizierten Fachkräften wichtig.

Das Programm Digitales Europa stellt einen weiteren wichtigen Punkt des Berichtes dar. Für dieses Programm sind von der Europäischen Union Fördermittel in der Höhe von 9,2 Milliarden Euro vorgesehen. Ziel ist der Kapazitätenausbau in Schlüsselbereichen wie bei Hochleistungsrechnern, Cybersicherheit und künstlicher Intelligenz sowie die breite Nutzung von fortgeschrittenen digitalen Kompetenzen in der gesamten Wirtschaft.

Der letzte Punkt, auf den ich eingehen möchte, ist der gemeinsame europäische Daten­raum. Die europäische Datenstrategie ist begrüßenswert. Wesentlich ist dabei die Fo­kussierung auf die Notwendigkeiten der KMUs, damit die Vorteile eines gemeinsamen europäischen Datenraumes nicht nur von den globalen Internetgiganten genutzt werden können. Die Wettbewerbsfähigkeit muss dabei an erster Stelle stehen.

Sehr geehrte Damen und Herren, vieles – wenn nicht alles – ist von der aktuellen Covid-Krise überschattet. Dieser Bericht zeigt uns aber sehr eindringlich, dass wir an den zen­tralen und für die Zukunft entscheidenden Themen mit voller Kraft und vollem Engage­ment arbeiten müssen, denn es gibt eine Zeit nach der Krise, und auf diese müssen wir vorbereitet sein. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

15.39


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Stefan Schennach. – Bitte, Herr Kollege.


15.39.21

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bun­desministerin! Die Vorschau der Kommission müssen wir natürlich unter dem Eindruck der schrecklichen, weltweiten Pandemie sehen, wobei gerade Europa besonders betrof­fen ist. Die Vorschau sagt aber natürlich auch, dass wir in drei Bereichen eine große Transformation schaffen müssen.

Meine Vorrednerin hat die Digitalisierung angesprochen. Wir brauchen erstens diese Di­gitalisierungstransformation unserer Gesellschaft, die aber ganz viele Risken birgt. Zum Zweiten brauchen wir auch die klimaneutrale Transformation. Wir müssen dazu die Kli­maziele, die wir uns im Rahmen der Europäischen Union vorgenommen haben, auch erreichen, denn eine Wirtschaft, die nicht klimaneutral ist, verspielt den Sitz, auf dem sie sitzt. Drittens brauchen wir eine Wirtschaft, die auch nachhaltig ist, was Arbeitsplätze betrifft, sodass sie Arbeitsplätze garantiert.


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Damit wir nicht nur im Triangelspiel glauben, wir brauchen das: Wir brauchen in allen Bereichen die sofortigen Fortschritte und vergessen gesetzliche Grundlagen. Was spielt da zusammen? – Auf der einen Seite die Digitalisierung, auf der anderen Seite die Robo­tertechnik und auf der dritten Seite die künstliche Intelligenz. Ich habe vor wenigen Ta­gen auf europäischer Ebene einen Bericht abgeliefert, der sich mit folgender Frage be­schäftigt: Künstliche Intelligenz, Freund oder Feind des Arbeitsmarktes? – Da ist beides drinnen. Auf der einen Seite kann sie ein großer Feind sein, auf der anderen Seite kann sie aber auch sehr hilfreich sein. Bei der Digitalisierung sehen wir, dass wir heute in weiten Bereichen der Wirtschaft Digitalisierung eigentlich zur Verminderung der Lohn­kosten einsetzen und nicht zur Erleichterung des Wirtschaftens. Wenn man sagt, man setzt Digitalisierung nur ein, weil man sich dadurch Lohnkosten erspart, dann ist es eine schändliche Version. (Beifall bei der SPÖ.)

Nehmen wir einmal die Landwirtschaft her: Wenn jede Kuh einen Chip bekommt und der Bauer oder die Bäuerin in der Früh im Computer nachschaut: Wie geht’s Sophie, wie geht’s Magdalena, wie geht’s Rosi?, dann ist das eine Arbeitserleichterung und hilft so einem Unternehmen. Es ist auch eine Forschungsleistung, die es da gibt.

Folgende Frage ist deshalb immer wichtig: Als was sehen wir was? – Wenn man sagt, durch die Digitalisierung braucht man überhaupt niemanden mehr an den Kassen der Supermärkte, Frau Ministerin, dann brauchen wir Gesetze, denn: Ab welcher Größe ei­nes Supermarktes müssen wie viele menschliche Arbeitskräfte als Minimum beschäftigt sein?

Bei manchen Supermärkten sieht man es ja schon; ich bin übrigens noch von keinem Supermarkt zur Weihnachtsfeier eingeladen worden, aber ich soll anfangen, all die Dinge selber zu tun, die Preise einzulesen und so weiter. Das heißt, wir werden unwillkürlich Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von großen Unternehmen.

Kollege Schachner hat es auch angesprochen: Wenn wir das Thema auf europäischer Ebene sehen, dann gibt es etwas in Österreich, das auch für Europa enorm wichtig ist, nämlich die Klein- und Mittelbetriebe, und die gilt es österreichweit und in Europa ent­sprechend zu fördern. (Beifall bei der SPÖ.)

Es sind nämlich vor allem die KMUs, die für die regionale Nachfrage stehen, die mehr Arbeitsplätze schaffen als so mancher Großbetrieb. Vor allem aber – im Unterschied zu den internationalen Großunternehmen – zahlen sie Steuern, während die anderen nichts tun, keine Steuern zahlen und sich außerhalb einer Wirtschaft befinden, in der man so­lidarisch sagt: Wenn man etwas erwirtschaftet, dann werden Steuern bezahlt, da wird auch Beschäftigung geboten. – Andernfalls funktioniert unser Zusammenleben so nicht.

Frau Ministerin, was an diesem Programm sehr gut ist, ist, dass die Europäische Union mehr denn je einen Fokus auf die Schaffung und vor allem Stärkung der Wertschöp­fungsketten legt, dass es zu einer Definition kommt, welche Industrie wir in Europa wollen. Wollen wir nur Innovation und Landwirtschaft oder wollen wir auch und nach wie vor ein Industriestandort Europa sein und nicht nur auslagern, nicht nur Industriepro­dukte importieren?

Schlüsseltechnologien sind deshalb zu definieren. Das hat die EU auch vor, und wie­derum gilt: Wir brauchen nachhaltige Industrie und auch Industrie, die Arbeitsplätze schafft, eine Industrie, die dem neuen European Green Deal folgt.

Was wir brauchen, ist Forschung und Innovation. Der FTI-Bereich in Europa ist wichtig, aber sagen wir es offen und ehrlich – wir sollen ja nicht nur beweihräuchern, das will ja niemand, die Frau Ministerin auch nicht –: Da droht eine Kürzung der EU-Mittel. Warum droht eine Kürzung der EU-Mittel? – Weil es ein paar Mitgliedstaaten gibt, die glauben, man solle jenen Teil des EU-Budgets, der durch den bedauerlichen Austritt Großbritan­niens ausfällt, nicht ausgleichen. Diesbezüglich zu geizen bringt nichts. Wenn man da geizt, schadet man allen.


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Wichtig ist – und da erkennt man auch ein bisschen eine andere Sozialisierung –: Von der Leyen hat gleich gesagt, dass sie eine spezielle Stärkung der KMUs durchführen will. Es gibt 24 Millionen KMUs in Europa. Jetzt geht es darum, was wir für diese kleinen KMUs tun. Europa krankt daran noch immer, und schon der Vorgänger von der Leyens hat es angesprochen: Es geht um klare, einfache Rechtsvorschriften, um ihnen auch bei der internationalen Ausweitung des Geschäfts, bei Synergien und so weiter, bei Start-up-Programmen und vor allem auch beim Zugang zu Finanzierungen und hinsichtlich unternehmerischer Initiative zu helfen.

Dazu gibt es zwei Instrumente der EU, Innovfin und Efsi. Das eine ist ein EU-Fonds für strategische Investitionen, das andere ist für Innovationen.

So (auf die rote Lampe am Rednerpult weisend), jetzt blinkt es bei mir, ich sage deshalb ganz kurz: Sehr wichtig ist – Frau Kollegin Zwazl und ich ziehen da immer an einem Strang, und das schon über viele, viele Jahre, über fast ein Jahrzehnt –, Erasmus plus weiter auszubauen, die Verdoppelung von Erasmus plus auf 30 Milliarden Euro und kei­ne Kürzung zu erreichen. Wichtig ist, dass Berufsausbildungsprogramme jetzt mit 5,3 Mil­liarden Euro dotiert sind. Das ist alles sehr, sehr wichtig.

Wir müssen den enormen Druck von den KMUs nehmen. Die Digitalisierung gemeinsam mit der Globalisierung schafft eine Atmosphäre in Europa, in der viele KMUs zu ver­schwinden drohen; nicht zuletzt droht dies natürlich auch im Bereich der Digitalisierung.

Zur Digitalisierung noch ein Wort: Es kommt eine Fördersumme von 9,2 Milliarden Euro. Da geht es um Hochleistungsrechner, Cybersicherheit, digitale Kompetenzen, breite Nutzung. Was wir aber vor allem brauchen  und das sehen wir jetzt zum Beispiel beim Homeoffice –, sind Regulationen. Wir brauchen arbeitsrechtliche Regulationen: Was darf sein, was darf nicht sein? Wie schützen wir diese Menschen, die im Homeoffice sind? (Beifall bei der SPÖ.) Vor allem entsteht durch Homeoffice ein Konfrontationskurs: Jeder und jede, der/die beschäftigt ist, hat einen Rechtsanspruch, und dieser Rechtsan­spruch besteht auch auf reale Kommunikation. Wir wollen keine Vereinsamung, wir wol­len keine Doppelüberforderungen im Homeoffice, insbesondere nicht für Frauen. Darin liegt die große Gefahr.

Wir nehmen den Bericht zur Kenntnis. (Beifall bei der SPÖ.)

15.50


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Nächster Redner ist Herr Michael Ber­nard. – Bitte, Herr Kollege.


15.50.19

Bundesrat Michael Bernard (FPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Bildschirmen! Meine heutige Rede zum Bericht der Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort betreffend EU Vorha­ben 2020 bezieht sich auf einen Bericht, zu dem die damalige, nicht gewählte Bun­deskanzlerin Brigitte Bierlein im Dezember 2019 an den Nationalratspräsidenten schrieb, dass die zeitgerechte Vorlage nicht möglich sei, da die EU-Kommission den Bericht für 2020 erst für den 29.1.2020 angekündigt hat. Weiters beinhaltet das Schrei­ben, dass die Ressortberichte von der Bundesministerin sechs Wochen nach Erhalt weitergegeben werden. Da wir heute, falls ich nicht falsch informiert bin, laut Kalender den 5.11.2020 haben, frage ich mich, ob die Zeitspanne von sechs Wochen nach dem 29.1. von der türkis-grünen Coronaregierung auf mehr als sechs Monate geändert wurde.

Für mich wesentlicher ist heute und morgen: Wie geht es für die vielen Unternehmer und Arbeitnehmer, die durch die Chaosregierung in den Ruin gebracht werden, weiter? Wie fühlt sich die Frau Wirtschaftsminister beim zweiten Lockdown, wenn die Bevölkerung


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noch nicht einmal den ersten verdaut hat? Der Bundeskanzler und der Gesundheitsmi­nister zum Beispiel konnten die Gastrocluster der letzten Wochen nicht bekannt geben, können Sie als Wirtschaftsministerin sie mir nennen? – Sie werden sie auch nicht nen­nen können, auch wenn Sie sich bemühen sollten, da es sie nicht gibt.

Das Einzige, was diese türkis-grüne Angstmachregierung kann, ist, Pressekonferenzen zu geben und die Gastronomie und ihre Gäste seit Monaten mit neuen Auflagen und Regeln zu schikanieren und zu quälen. (Beifall bei der FPÖ.)

Alle haben sich brav daran gehalten, und was ist der Dank? – Die De-facto-Schließung der kompletten Gastronomie. Schwarz-Grün zerstört fernab jeder Logik und absolut mut­willig unser Land. Auch in anderen Bereichen ist alles völlig unverständlich, denn: Wo bleibt der Nachweis, dass diese katastrophale nächtliche Ausgangssperre irgendeinen Nutzen mit sich bringt? Alle diese Nachweise fehlen. Es wird ganz zum Schaden unserer Heimat Österreich rein willkürlich gehandelt.

Die Betriebe warten auf Entschädigung. Forderungen von durchschnittlich rund 220 000 Eu­ro nach sechs Monaten sind noch immer offen: „,Schön langsam brennt der Hut’, kom­mentiert ÖHV-Präsidentin Michaela Reitterer die Lage vieler Betriebe im Westen Ös­terreichs vor einer ungewissen Wintersaison mit steigenden Infektionszahlen und Reise­warnungen. Abhilfe brächte die Überweisung von Entschädigungszahlungen, die Tau­senden Betrieben nach den Schließungen laut Epidemiegesetz im März zustehen. Eine ÖHV-Umfrage in den betroffenen Bundesländern liefert ein ernüchterndes Bild: Kein einziges teilnehmendes Hotel hat eine Zahlung erhalten. [...] Durchschnittlich sind For­derungen von 220.000 Euro pro Betrieb offen. Geld, das dringend benötigt wird, wie Reitterer erklärt: ,Die doppelten Gehälter stehen vor der Tür. Jede weitere Verzögerung kann Arbeitsplätze kosten.‘ Sollten den Bezirkshauptmannschaften Ressourcen für die Abwicklung fehlen, solle ihnen die nötige Manpower zur Verfügung gestellt werden. ,70 % haben noch nicht einmal eine Antwort auf den Antrag bekommen. Da ist offen­sichtlich Not am Mann‘, fordert die Branchensprecherin den vollen Fokus auf die rasche Abwicklung.“

Wie Unternehmer von der türkis-grünen Regierung inklusive Wirtschaftskammer behan­delt werden, möchte ich an einem Beispiel zeigen:

Die Monate August und September 2020 wurden von einem Jungunternehmer genutzt, um einen Imbissstand zu renovieren und umzubauen, um ihn am 3.10.2020 als Schnit­zelstüberl eröffnen zu können. Der Eröffnungsmonat lief natürlich sehr gut, bis zum Zeitpunkt, als die türkis-grüne Regierung am Samstag, dem 31.10.2020, das Verhängen des zweiten Lockdowns veröffentlichte. Der Jungunternehmer rief daraufhin am Montag, dem 2.11.2020, in der Wirtschaftskammer in Mistelbach an. Der Leiter der Wirtschafts­kammer Mistelbach Klaus Kaweczka teilte dem Jungunternehmer auf die Frage, welche Unterstützung er aufgrund des verordneten Lockdowns jetzt erhalten könne, Folgendes mit: Selber schuld, wie kann man nur so blöd sein und sich am 3.10.2020 in Zeiten von Corona selbstständig machen?! (Rufe bei der FPÖ: Unglaublich!)

An diesem Beispiel sieht man die Scheinheiligkeit der türkis-grünen Angstmachercoro­naregierung (Beifall bei der FPÖ): leere Worthülsen auf den vielen Pressekonferenzen und null Unterstützung für Klein- und Kleinstunternehmer durch die Wirtschaftskammer. (Beifall bei der FPÖ.)

Nun noch ein paar Worte zum Inhalt des Berichtes, der insgesamt 62 Seiten lang ist; wesentlicher Inhalt des Berichtes: „Green Deal als Strategie für nachhaltiges Wachs­tum“. „Der Bericht weist auf den Zusammenhang von Industrie und Klima hin und sieht den Europäischen Green Deal als Wachstumsstrategie mit dem Ziel, durch Innovation, Digitalisierung und neue Geschäftsmodelle nachhaltiges Wachstum zu forcieren und eine weitgehende Kreislaufwirtschaft zu schaffen. Dabei geht es der Union auch darum,


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die für das Jahr 2050 anvisierte Klimaneutralität Europas durch eine Entkoppelung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauch zu erreichen. Der entsprechende In­vestitionsplan des Green Deals sieht nun vor, dass mindestens 25% des langfristigen EU-Budgets für klimarelevante Aktionen zweckgewidmet werden muss. Geplant ist au­ßerdem, die Europäische Investitionsbank in die European Climate Bank umzuwandeln. In Summe sollen 1 Billion Euro für die Transformation mobilisiert werden, wobei davon 8,5 Mrd. € im Mehrjährigen Finanzrahmen an ,frischem Geld‘ vorgesehen sind. Für Ös­terreich sind vorerst 53 Mio. € reserviert. Aus österreichischer Sicht sollte ein besonde­res Augenmerk auf die Bedürfnisse der energieintensiven Industrie gelegt werden, dabei sei vor allem die Forschung und Weiterentwicklung von grünem Wasserstoff prioritär, heißt es im Bericht. Zudem sei global auf die Vermeidung ungleicher Wettbewerbsbe­dingungen als Resultat der höheren EU-Umweltstandards zu achten.“

Ein weiterer Punkt: „Europäische Industriestrategie soll industrielle Wertschöpfungsket­ten stärken“. „Ausdrücklich unterstützt Österreich die Europäische Industriestrategie, insbesondere die Stärkung industrieller Wertschöpfungsketten und die Förderung von wichtigen Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse. Dazu zählen neben den strategisch bedeutsamen Bereichen Batterien, Mikroelektronik und Hochleistungs­computer nunmehr auch vernetzte, saubere und autonome Fahrzeuge, Wasserstofftech­nologien, intelligente Gesundheit, Internet der Dinge, kohlenstoffarme Industrie und Cy­bersicherheit. Aktuell laufen auf EU-Ebene bereits Vorbereitungen für die Teilnahme Ös­terreichs an mehreren Projekten.“

Bezüglich KMU-Strategie: „Österreich pocht auf bürokratische Erleichterungen und bes­seren Zugang zu Risikokapital“. „Von besonderem Interesse für Österreich ist überdies die von Kommissionspräsidentin von der Leyen angekündigte KMU-Strategie der Union. Der Bericht steckt in diesem Zusammenhang die österreichischen Prioritäten ab und unterstreicht vor allem die Notwendigkeit der Schaffung von einfachen, klaren [...] und verhältnismäßigen Rechtsvorschriften sowie bürokratischen Erleichterungen. Auch soll­ten die KMU bei der Entwicklung eigener Ideen, dem Umgang mit digitalen Technologien sowie der Suche nach qualifizierten Fachkräften unterstützt werden. Wichtig sind aus österreichischer Sicht darüber hinaus die Förderung der Innovationskraft und Wettbe­werbsfähigkeit der KMU sowie die Verbesserung des Zugangs der Unternehmen zu Fi­nanzmitteln, insbesondere zu Risikokapital.“

Ein weiterer Punkt: „Programm ,Digitales Europa‘ fördert Kapazitätsaufbau in Schlüssel­bereichen der Digitalisierung“. „Zentralen Stellenwert unter den Vorhaben der Europäi­schen Union nimmt auch das Programm ,Digitales Europa‘ ein, für das im Vorschlag der Kommission eine Fördersumme von 9,2 Mrd. € vorgesehen ist. Ziel ist dabei der Kapa­zitätsaufbau in Schlüsselbereichen der Digitalisierung. Die Schwerpunkte liegen auf den Bereichen Hochleistungsrechnen, Künstliche Intelligenz, Cybersicherheit, fortgeschritte­ne digitale Kompetenzen und Interoperabilität sowie deren breite Nutzung in der ge­samten Wirtschaft und Gesellschaft. Zur Verbreitung soll ein Netzwerk an Digitalen Inno­vation Hubs entstehen. Dass EU-weit dringender Investitionsbedarf bei den Schlüssel­technologien besteht, bestätigt auch der Bericht des Wirtschaftsministeriums. Österreich unterstützt in diesem Sinn das Förderprogramm und erwartet sich davon vor allem schnellere Markteinführung und Verbreitung neuer Technologien sowie neue Arbeits­plätze in den geförderten Branchen.“

Wir Freiheitliche werden den Bericht zur Kenntnis nehmen, obwohl dieser – wie am An­fang meiner Rede erwähnt – unter völlig anderen Voraussetzungen und Prämissen er­stellt wurde. (Beifall bei der FPÖ.)

15.59


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Vorerst letzter Redner zu diesem Ta­gesordnungspunkt ist Herr Fraktionsobmann Marco Schreuder. – Bitte.



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15.59.51

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nur ein kurzes Wort zum Vorredner sagen. Ich finde Kritik ja in Ordnung, man darf die Maßnahmen kritisieren, man darf andere vorschlagen. Die Demokratie soll ja ein Wettbewerb der Ideen sein, das ist alles gut. Aber zu suggerieren, wir würden uns freuen, dass es eine Pandemie gibt, um Angst und Schrecken zu verbreiten und Unternehmen zu quälen, das finde ich unverschämt und das weise ich vehement zurück. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Es geht um einen Bericht, der natürlich aus einer Zeit kommt, in der wir alle gehofft haben, dass wir so weiterarbeiten könnten – wir würden ja auch viel lieber an anderem arbeiten, als die Coronakrise zu bewältigen –, und der trotzdem so aktuell ist, da ja viele Dinge drinnen stehen, die gerade in Krisenzeiten so wichtig sind. Wir haben es ja in der Aktuellen Stunde schon besprochen: Die Digitalisierung der Wirtschaft und vor allem auch die Digitalisierung der Industrie sind natürlich auf europäischer Ebene ein ganz wesentlicher Teil des Green New Deals. Überhaupt eine gesamteuropäische Strategie im Bereich der Digitalisierung zu haben ist ja nicht nur gut für Österreich, sondern auch wirklich gut für Europa. Das haben auch die Vorredner schon betont.

Ich möchte drei Aspekte herausgreifen, die aus unserer Sicht gut und es wert sind, ein­mal genauer beleuchtet zu werden. Das ist zum Beispiel der Green Deal, den wir in Europa brauchen und den wir gerade jetzt brauchen, wenn wir uns aus dieser Krise hinausinvestieren wollen.

Industrie und Klima wurden früher gerne als etwas Gegensätzliches gesehen, als etwas, das sich quasi ausschließt, oder als zwei Feinde, die sich gegenüberstehen. Das ist bis zu einem gewissen Grad immer noch so, aber da ändert sich auch etwas. Sowohl die Industrie als auch die Umweltorganisationen  auch die Umweltparteien, zu denen ich mich mit meiner natürlich zähle , verstehen, dass wir aufeinander zugehen und gemein­sam Lösungen schaffen müssen. Wenn ich bedenke, dass 25 Prozent des EU-Budgets für zukünftige Investitionen, für klimarelevante Aktionen vorgesehen sind, dann ist das in diesem Bereich schon ein großer Schritt vorwärts.

Wir hier in Österreich haben das zum Beispiel in der Bewältigung der Coronakrise mit der Investitionsprämie geschafft. Wir haben ganz bewusst gesagt, wenn es eine Inves­tition in nachhaltigen Klimaschutz ist, dann erhöhen wir diese Investitionsprämie von 7 auf 14 Prozent, wir verdoppeln das. Das ist der richtige Weg, den wir da gehen.

Eine Wachstumsstrategie, die ja in unserer modernen Zeit nach wie vor notwendig ist – auch wenn man darüber diskutieren kann und darf und soll –, muss natürlich vom Res­sourcenverbrauch entkoppelt werden. Aus dieser European Climate Bank, die jetzt entsteht, werden für Österreich dann einmal 53 Millionen Euro zur Verfügung stehen, was ja ein guter Beginn ist – sagen wir es einmal so.

Ein zweiter Aspekt, den ich auch betonen möchte, ist das Programm Digitales Europa, das immerhin mit 9,2 Milliarden Euro bestückt ist. Da werden vor allem die Schlüsselbe­reiche der Digitalisierung anvisiert, da geht es um Hochleistungsrechner, um künstliche Intelligenz, um Sicherheit im digitalen Raum, Cybersecurity, wie man gerne sagt. Das sind ganz besonders wichtige Prozesse für die Zukunft.

Einen dritten Aspekt möchte ich auch noch hervorheben, und das ist der gemeinsame europäische Datenraum, der ja auch in diesen Bericht Eingang gefunden hat. Ein freier und sektorenübergreifender Datenfluss innerhalb der Europäischen Union ist nicht nur für die Wirtschaft von großem Nutzen, sondern ist auch von sehr großem Nutzen für die Forschung und die öffentliche Verwaltung, denn wenn man Daten, die wichtig sind, in Europa sehr schnell austauschen kann, kann man auch sehr rasch reagieren. Deshalb – viele von Ihnen wissen, dass das so ein bisschen ein Leibthema von mir ist – appelliere


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ich auch immer gerne auf allen Ebenen – im Bundesrat gibt es ja viele Bürgermeis­terinnen und Bürgermeister, die in den Ländern sehr aktiv sind –: Eine Open-Data-Stra­tegie auf kleiner bis hin zu großer Ebene hilft enorm, diese Daten zur Verfügung zu stel­len, sie fördert die Wirtschaft, fördert die Forschung und fördert die öffentliche Verwal­tung, weil man schnell auf Daten zurückgreifen kann.

Stärken wir die Digitalisierung in Europa! – Das bedeutet auch – ich habe es schon in der Aktuellen Stunde gesagt –, durchaus zu hinterfragen, wo eigentlich die Stärken Eu­ropas im internationalen Vergleich liegen, denn wir stehen ja natürlich in einem interna­tionalen Wettbewerb. Wenn wir uns das stets wachsende Misstrauen gegenüber den großen amerikanischen Konzernen anschauen, dann werden Datensicherheit und Da­tenschutz – also für die Userinnen und User da zu sein – ein ganz wichtiges Merkmal von europäischen Innovationen sein, und die müssen wir fördern. Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

16.06


16.06.03

Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist damit geschlos­sen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Ich stelle die einstimmige Annahme fest. Der Antrag ist somit angenommen.

16.06.332. Punkt

Bericht über die Situation und Entwicklung kleiner und mittlerer Unternehmen der österreichischen Wirtschaft („KMU im Fokus 2019“), vorgelegt von der Bundesmi­nisterin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (III-703-BR/2020 d.B. sowie 10437/BR d.B.)


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Wir gelangen zum 2. Punkt der Tages­ordnung.

Berichterstatterin ist wiederum Frau Bundesrätin Ing.in Isabella Kaltenegger. – Ich bitte um den Bericht.


16.07.02

Berichterstatterin Ing. Isabella Kaltenegger: Hohes Präsidium! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich darf Ihnen den Bericht des Wirtschaftsausschusses über den Bericht über die Situation und Entwicklung kleiner und mittlerer Unternehmen der österreichischen Wirtschaft („KMU im Fokus 2019“), vor­gelegt von der Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (III-703-BR/2020 d.B.), zur Kenntnis bringen.

Der Bericht liegt Ihnen allen in schriftlicher Form vor, ich komme daher zur Antrag­stellung.

Der Wirtschaftsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 3. November 2020 den Antrag, den Bericht über die Situation und Entwicklung kleiner und mittlerer Unterneh­men der österreichischen Wirtschaft („KMU im Fokus 2019“), vorgelegt von der Bundes­ministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (III-703-BR/2020 d.B.), zur Kennt­nis zu nehmen. – Danke.


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erste zu Wort gemeldet ist Frau Ing.in Judith Ringer. – Bitte.



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16.07.59

Bundesrätin Ing. Judith Ringer (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zu­schauerinnen und Zuschauer! Die Ministerin hat den Bericht über die Situation und Ent­wicklung kleiner und mittlerer Unternehmen der österreichischen Wirtschaft vorgelegt. – Ein toller Bericht, der der österreichischen Wirtschaft ein sehr gutes Zeugnis ausstellt.

2017 beschäftigten 337 800 KMUs knapp zwei Millionen Menschen und bildeten 52 900 Lehrlinge aus. Der Vergleich zu 2016/17 belegt eine positive Entwicklung. Das sind beeindruckende Zahlen, aber leider wurde diese positive Entwicklung durch die Co­vid-19-Krise unterbrochen.

Die Studie zeigt, dass 99,6 Prozent aller Betriebe und 60 Prozent der Bruttowertschöp­fung das Rückgrat unserer Wirtschaft sind und der Großteil von ihnen familiengeführt ist. Das ist ein großer Vorteil, denn familiengeführte Unternehmen denken und agieren ganz anders als große Konzerne, die nur gewinnorientiert sind. Ihnen liegen die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeiter am Herzen, sie bekennen sich zu ihrem Standort in Österreich, und die Schließung eines Standortes oder gar ihres Unternehmens ist das Allerletzte, was ihnen in den Sinn kommt. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Unternehmerinnen und Unternehmer versuchen immer, das Beste aus jeder Situation zu machen, und das zeigt sich auch in dieser herausfordernden Zeit. Krisen sind Ent­wicklungsbeschleuniger und -verstärker. Dinge, die sich – wie zum Beispiel in der Auto­mobilindustrie – schon vorher abgezeichnet haben, verstärken sich, aber auch neue Trends kommen früher, wie wir am Beispiel der Digitalisierung sehen können. Diese Branche hat einen enormen Schub erfahren – ein Trend, der sich bei den schnell wach­senden Unternehmen schon 2017 abzeichnete, da dort der Anteil von Betrieben im Be­reich Information und Kommunikation besonders hoch war. Dieser Entwicklung wird auch mit dem Investitionsförderungspaket Rechnung getragen, indem Investitionen in diesem Bereich doppelt so hoch gefördert werden.

Erfreulich ist auch die Entwicklung, dass sich der Frauenanteil bei den Start-up-Grün­dungen allein von 2018 auf 2019 von 12 auf 18 Prozent erhöht hat.

Ein Großteil der Unternehmen ist als EPU tätig. Dass diese Menschen in einer Krisensi­tuation, wie wir sie heute haben, besonders gefordert sind, ist keine Überraschung. Wir in Oberösterreich haben deshalb entsprechende Coaching- und Kooperationsförderpro­gramme erstellt. Allein das Förderprogramm von rund 1 Million Euro jährlich war inner­halb einer Woche ausgebucht. Es zeigt, wie wichtig es ist, neue Wege aufzuzeigen und nicht den alten Dingen nachzujammern. Es gilt, eine neue, eine bessere Zukunft aufzu­bauen. Ganz viele Menschen haben den Lockdown in diesem Sinne genutzt.

Schon Winston Churchill sagte: Never let a good crisis go to waste. – Also nutzen wir diese Krise! (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.) Die ganze Situation hat uns viele Erkenntnisse gebracht und viele Dinge wieder ins Bewusstsein geholt: dass Regionalität ein wichtiger Faktor ist, dass Onlineshops und Liefermöglichkeiten zusätzlich wichtig sind. Wirtschaft ist immer zu einem großen Teil Psychologie, deshalb: Hören wir auf, immer alles schlechtzureden! Ja, es ist nicht immer alles perfekt, aber wir reden da von einer komplexen, vernetzten Materie, und in der Eile werden manchmal Fehler gemacht. Nutzen wir das Ganze als lernendes System und verbessern wir die Dinge, die nicht passen!

Ich denke, unsere Regierung hat einen ganz guten Job gemacht. Herzlichen Dank dafür! (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Ich glaube, niemand von uns ist Hellseher und niemand kann die Zukunft exakt voraus­sagen, eines aber können wir mit Sicherheit sagen: Mit negativen und pessimistischen


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Aussagen werden wir unsere Wirtschaft nicht fördern. Es geht nicht darum, etwas schön­zureden, sondern darum, unseren Blick auf die Chancen, die sich vielleicht auftun, zu richten. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Deshalb: Arbeiten wir zusammen und bringen wir unsere kleinen und mittleren Unterneh­men bestmöglich durch die Krise und in eine erfolgreiche Zukunft! – Danke. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

16.13


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Ich darf nun Frau Bundesrätin Andrea Kahofer ans RednerInnenpult bitten. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)


16.14.10

Bundesrätin Andrea Kahofer (SPÖ, Niederösterreich): Werte Frau Präsidentin! Werte Frau Minister! Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseher und Zuhörer, Zuseherinnen und Zuhörerinnen zu Hause! Der Bericht über die Situation der Klein- und Mittelbetriebe bil­det eine Zeit ab, die momentan irgendwie fast schon nostalgisch macht: einen Zeitraum, in dem vieles ganz anders war, als wir es heute erleben, unter den aktuellen Umständen in diesem Jahr 2020, das wohl der eine oder andere von uns ganz gerne ausgelassen hätte.

Auch wenn sich der Bericht in seinen Vergleichswerten und in seinen Zahlen auf einen Zeitraum bezieht, der sich jetzt durch Covid, durch die Gesundheitskrise ganz anders darstellt, liefert er doch viele wertvolle und wichtige Basiszahlen, aus denen wir sehr viel ableiten können.

Was sich mir nicht ganz erschließt, ist das, was Kollegin Ringer mit der „good crisis“ gemeint hat. Ich kann dieser Krise weder gesundheitlich noch wirtschaftlich irgendetwas abgewinnen, das ich auch nur annähernd in Verbindung mit dem Wort good bringen könnte. (Beifall bei der SPÖ.)

Es wurden sehr viele Zahlen genannt, Zahlen, die wirklich beachtlich sind: 337 800 KMUs – eine Zahl, die sich um 2,7 Prozent erhöht hat. Diese Unternehmen stellen 99,6 Prozent der heimischen marktorientierten Wirtschaft dar –

diese KMUs, die oft viel weniger im Fokus sind als die vielen großen Unternehmen, die KMUs, die auch medial weniger im Fokus sind, die KMUs, die die Säule unserer Wirt­schaft sind. Das kann man bei einem Anteil von 99,6 Prozent wirklich mit Fug und Recht sagen.

Die Anzahl der Beschäftigten in diesem Bereich ist ebenfalls wieder gestiegen. Es sind knapp 2 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das sind zwei Drittel der Er­werbstätigen in diesem Land, die von Kleinst-, Klein- und Mittelunternehmen beschäftigt werden. Die 52 900 Lehrlinge sind eine beachtliche Zahl: Was unsere KMUs in der Aus­bildung leisten, ist wahrlich beachtlich. (Beifall bei der SPÖ.) Die Unternehmen stehen auch wirtschaftlich solide da. Eine wichtige Kennzahl dazu sind sicherlich die 33 Prozent der Eigenkapitaldeckung. Das ist ein sehr, sehr guter Wert.

Drei Viertel der KMUs bewegen sich darüber hinaus in der Gewinnzone; auch etwas sehr Gutes, etwas sehr Positives in diesem Bericht. Covid hat aber einfach vieles verän­dert, die KMUs sind natürlich in Mitleidenschaft gezogen worden. Wie wir vorhin gehört haben – Kollege Bernard hat hier einige Zahlen genannt –, sind auch die Unterstüt­zungsleistungen infolge des ersten Lockdowns noch gar nicht vollständig angekommen.

Wir sind jetzt im zweiten Lockdown, im Lockdown light. Nehmen wir jetzt die sehr posi­tiven Zahlen aus dem Bericht her, nehmen wir sie als Grundlage und als Basis, denn gerade auch anhand dieser positiven Zahlen können wir die Problemfelder erkennen, vor denen wir jetzt stehen! Jede Zahl in diesem Bericht ist nicht nur eine Zahl – hinter


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jeder Zahl stehen Familien, Menschen, Unternehmer, Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh­mer, Familien und Existenzen.

Der Bericht weist auch aus, dass im Betrachtungszeitraum die Anzahl der EPUs sehr stark gestiegen ist und 42 Prozent der EPUs von Frauen geführt werden. Der Anteil der EPUs ist insgesamt von 18 auf 37 Prozent gestiegen, 42 Prozent sind Frauen und die meisten sind zwischen 45 und 54 Jahre alt. Wir wissen alle: Man begibt sich nicht immer aus einem Unternehmergeist heraus in diese Selbstständigkeit. (Bundesrat Schennach: Nicht ... freiwillig!) Sehr, sehr viele gründen ein Einpersonenunternehmen, weil sie am freien Arbeitsmarkt nichts finden. Das sind ganz, ganz viele Frauen, die gerade in diesem Alter keinen Job finden. Diese Zahl zeigt uns daher, dass wir auch jetzt in dieser Krise wieder ganz besonders auf die Frauen und auf die Chancen der Frauen am Arbeitsmarkt achten müssen! (Beifall bei der SPÖ.)

Es ist auch die Gruppe der EPUs, die die schlechteste soziale Absicherung hat. Das sind die, für die der Sozialdemokratische Wirtschaftsverband schon lange Krankengeld ab dem ersten Tag fordert. Schon ein Tag Ausfall ist da oft ganz, ganz verheerend.

Ein weiteres Kapitel ist den Familienunternehmen gewidmet. Eine Vorrednerin – ich glaube, es war ebenfalls Kollegin Ringer –, hat davon gesprochen, wie wertvoll Familien­unternehmen sind. Das stimmt auch, momentan und in der Krise ist es für Familienunter­nehmen aber auch so, dass wir nicht außer Acht lassen dürfen, dass die Familienmitglie­der, die alle von einem Unternehmen leben, derzeit auch alle einen Einnahmenentfall haben, dass sie alle um ihr Auskommen zittern. (Bundesrat Schennach: Nein!) In dem Fall ist da nicht einer, der mit seinem Gehalt die anderen absichern kann – sie leben alle von diesem Familienunternehmen. Auch auf diese Menschen müssen wir besonders Rücksicht nehmen, wir müssen ganz besonders darauf achten, dass Familienunterneh­men gestärkt werden.

Zudem sind 10 Prozent gerade in der Übergangsphase: Da kommt eine neue Genera­tion, die in einer wirtschaftlich äußerst schwierigen Zeit Familienunternehmen über­nimmt, da stehen junge Menschen am Anfang und haben bereits ein gewaltiges Binkerl zu tragen und mit auf den Weg zu nehmen. Familienunternehmen sind auch deshalb besonders wichtig, weil sie eine starke regionale Bedeutung haben, weil sie Ausbildner vor Ort sind, weil sie Fachleute ausbilden, weil sie die Wirtschaftskraft in der Region stärken, weil sie ja mit dem, was sie brauchen und kaufen, auch alle anderen Betriebe im Umfeld wirtschaftlich unterstützen – das ist nicht außer Acht zu lassen.

Achten wir ganz besonders auf die, die in diesem Bericht so positiv abschneiden, denn hinter positiven Zahlen kann jetzt auch die Gefahr ganz besonders starker Auswirkungen der Krise schlummern. (Beifall bei der SPÖ.)

Aus diesem Bericht ist auch herauszulesen, dass Beherbergung und Gastronomie in Österreich mit 15 Prozent des Marktanteils der KMUs natürlich eine enorme wirtschaftli­che Bedeutung haben – EU-weit sind das im Schnitt nur 8 Prozent. Sie sind natürlich auch in einer äußerst schweren und prekären Lage. Gott sei Dank wurde die Forderung, dass ihre Umsatzeinbußen abgefedert werden, durch die Regierung umgesetzt – das ist sehr wichtig und freut uns auch ganz besonders.

Es gäbe noch ganz viele Zahlen, aus denen wir Folgendes ableiten können: Es bleibt zu befürchten, dass sich viele negative Entwicklungen verstärken werden und positive un­terbrochen werden. In einem aber bin ich mir sicher: Die ganz positive Eigenschaft un­serer KMUs in Österreich wird nicht unterbrochen werden – nicht der Innovationsgeist, nicht der Erfindergeist, nicht das Durchhaltevermögen, nicht die Flexibilität. Was aus diesem Bericht ganz deutlich hervorgeht, ist die enorme Leistungskraft, die in unseren KMUs steckt, und dafür gebührt ihnen Dank. Dafür gebührt ihnen vor allem aber auch eine ganz besondere Unterstützung!


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Es ist in diesem Bericht auch von Maßnahmen die Rede, und es gibt sehr viele Maßnah­men, die gut sind, die jetzige Zeit aber erfordert besondere Maßnahmen. Unterstützun­gen sind auf den Weg gebracht worden, ich bin jedoch überzeugt davon, dass eine ganz wichtige Maßnahme diejenige ist, dass die Gemeindefinanzen gestärkt werden, dass die Gemeinden unterstützt werden. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Leinfell­ner.) Die Gemeinden sind Auftraggeber, die Gemeinden sind es, die in ihrer Region ge­rade die Klein- und Mittelunternehmen stärken, die von ihnen beziehen. Auch der Bau macht einen großen Anteil der KMUs aus und da kann die Gemeinde der große Konjunk­turtreiber sein, dafür aber müssen die Gemeinden mehr Geld bekommen als 1 Milliarde Euro.

Der Bericht zeigt sehr viel Positives und macht uns in diesem Moment – gerade, weil er so viel Positives zeigt – ganz deutlich, wie viel wir zu verlieren haben. Deshalb lautet mein Appell: Bitte nehmen Sie die Zahlen aus diesem Bericht zum Anlass, achten Sie auf die Frauen, achten Sie auf die Familienunternehmen, achten Sie auf alle KMUs! Vergessen Sie nicht, dass Lehrlinge ihre Ausbildung größtenteils in ihnen bekommen, dass in ihnen Facharbeiter ausgebildet werden! Vergessen Sie dabei nicht, dass die Gemeinden eine wichtige Rolle spielen und dass diese Geld brauchen! – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

16.25


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Mag. Reinhard Pisec. – Bitte, Herr Kollege.


16.25.40

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA MA (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! 2020 wäre natür­lich interessant, aber ich habe gehört, dass der Bericht gerade in Ausarbeitung ist, weil die Daten klarerweise derzeit erst hereinfließen.

Der Bericht von 2019 ähnelt dem von 2018, ist aber – das muss man ehrlich sagen, es soll aber nicht despektierlich wirken – aussagelos. Der erste Lockdown vom April hat unsere Wirtschaft nachhaltig verändert, und das ist ja die Pointe. Das heißt, interessant wäre, wie ein Bericht von 2020 ausschaut. Der Bericht von 2019 ist eine Geschichtsvor­lesung, die man nun nicht unbedingt halten muss, weil sie nicht relevant ist.

Ich möchte aber den Bericht, wie bereits gesagt, schon schätzen, weil auch ein Metho­denteil angefügt wurde. Das ist sicherlich ein Novum, weil früher die Methodik nicht ex­plizit erklärt wurde – dies ist schon ein Vorteil gegenüber vergangenen Berichten. Diese Krise zeigt aber, was der Gesellschaft in Österreich passiert, wenn es der Wirtschaft wirklich schlecht geht. Ich möchte die Zahlen nicht nochmals erwähnen, wenn man aber die Kurzarbeit und die Arbeitslosigkeit zusammennimmt, hat das 1,5 Millionen Personen betroffen, sprich jeden vierten Arbeitsplatz. Das spricht Bände darüber, was sich im April in Österreich aufgrund eines völlig unverhältnismäßigen und viel zu massiven Lock­downs abgespielt hat.

Ich habe mir die Start-ups angesehen, und diesbezüglich zeigt sich doch, dass die Er­folgsquote äußerst gering ist. Warum? – Das ist ja klar: Unternehmertum heißt Risiko, heißt Leistung, heißt Arbeitswille, Arbeitsfleiß und endet bei Gott nicht bei 40 Wochen­stunden. Steuern sollten viel stärker als Lenkungsinstrument eingesetzt werden – so, dass man diesen tüchtigen und wirklich willigen Unternehmern und Unternehmerinnen auch hilft.

Es gibt zum Beispiel in der kalkulatorischen Kostenrechnung, mit der man berechnet, was die Einstandskosten eines Produkts sind und welchen Preis man erzielen muss, dass man mit einer eigenen Firma reüssieren kann, den Unternehmerlohn, die Zinsen und die Wagnisse – das sind drei wichtige Komponenten in der Kostenrechnung. In der


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Steuerrechnung gibt es das nicht. Warum nicht? – Es ist nicht notwendig, weil man diese Kosten in der Bilanz nicht anführen kann.

Das heißt, es wäre doch wichtig, diese persönliche Leistungsbereitschaft eines Unter­nehmers zu honorieren, Anreize zu schaffen, dass der Unternehmer sich auch selbst einen Lohn auszahlen kann! Na, no na, er arbeitet ja nicht nur für die Charity, was viel­leicht für den österreichischen Staat interessant wäre, sicher aber nicht für einen Unter­nehmer.

Daher ist es auch nicht verwunderlich – und das muss man auch einmal sagen –, dass Österreichs Unternehmerbereitschaft im gesamteuropäischen Vergleich im untersten Fünftel liegt. Es ist ja nicht so, dass wir ein Unternehmerland sind – das sind wir bei Gott nicht. Wichtig wäre: Die Leistung und die Risikobereitschaft müssten honoriert werden. Steuern heißt nicht immer nur Abcashen, sondern Steuern müsste heißen: Lenken, die Menschen in eine gewisse Richtung leiten, und die Leistung honorieren. Das ist wichtig.

Zum zweiten Lockdown möchte ich der Regierung gar keinen Vorwurf machen, da hat sie mit diesem Lockdown light schon vieles richtig gemacht, hoffentlich funktioniert er auch so. Der Vorwurf betrifft den ersten Lockdown, der viel zu scharf war. Das wird in diesem Bericht natürlich nicht reflektiert, es fehlt aber. Man hat auch gelernt, über das Finanzministerium zu arbeiten – es hat ja alle Daten und das ganze Budget – und alle Hilfsgelder, Fördergelder und Zuschüsse über Finanzonline und nicht über eine völlig überforderte Wirtschaftskammer auszahlen zu lassen. (Bundesrätin Zwazl: Äh, äh!) Da wurde sicherlich nachjustiert und verbessert – in der Hoffnung, dass es auch so ausge­zahlt wird.

Ich möchte Herrn Finanzminister Blümel schon auch meine Wertschätzung ausdrü­cken – dafür, dass er in seiner Budgetrede sagte – ich zitiere –: aber „langfristig hat na­türlich Hayek recht.“ – Was für ein wunderschöner Satz! Auch in der „Frankfurter Allge­meine Zeitung“ – das ist eigentlich meine Basiszeitung, in der ich mich informiere, nicht die österreichische Journaille – wurde das positiv reflektiert. In einer Leitkolumne findet sich der Spruch, den er hier im österreichischen Parlament über Hayek gesagt hat: Lang­fristig hat Hayek immer recht.

Wer war Hayek? Er war nicht nur Wirtschaftsnobelpreisträger, wie wir alle wissen, er war vor allem der führende Kopf der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, und – darauf lege ich besonderen Wert – aufgrund meiner eigenen Initiative wird an der Uni­versität Wien diese Schule ab nächstem Sommersemester wieder unterrichtet. Man kann sich also anhören, man kann gelehrt bekommen, was Hayek wirklich gemeint hat.

Hayek sagt ganz klar: Wo der Staat eingreift, wird der Bevölkerung Geld weggenommen. Je höher der Staatsanteil, desto schlechter für die Bevölkerung. – Das ist die Wiener Schule der Nationalökonomie. Man darf nicht vergessen, Hayek war ja auch der Begrün­der des Wirtschaftsforschungsinstitutes, Morgenstern der Begründer des IHS, deswegen heißt der Platz, an dem die Universität für Mathematik und Wirtschaftswissenschaften sich derzeit befindet, Oskar-Morgenstern-Platz. Beide haben ja in der damals noch gu­ten – das muss ich auch sagen, Frau Kollegin Zwazl – Handels- und Gewerbekammer – so hat die heutige Wirtschaftskammer damals geheißen – ihr Forschungscluster gehabt. (Heiterkeit der Bundesrätin Zwazl.) Es ist mir gelungen, dort, am Eingang des ehema­ligen Plenarsaals, eine würdige Tafel mit meiner eigenen Textierung in Erinnerung an Hayek anzubringen.

Reden wir von der Sparquote – einem anderen Thema. Seit Beginn der Krise – das ist „a good crisis“, wenn man es doch einmal so versteht, wie es die ÖVP-Rednerin gesagt hat, obwohl ich natürlich in Bezug auf den Terminus „good crisis“ mit meiner Vorrednerin konform gehe, dass eine Krise niemals gut sein kann – hat sich die Sparquote verdop­pelt. Das heißt, von 7 Prozent ist sie inzwischen bei 14 Prozent gelandet.


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Die Österreicher sparen – aus welchem Grund, wissen wir alle: weil sie Angst haben, nicht? Die Angstzustände sind durch Covid bedingt. Was heißt das allerdings? – Wir wissen alle, dass man mit einem Sparbuch nicht mehr zu Geld kommt, dass aber die Inflationsrate sehr wohl bei 2 Prozent herumgrundelt. Das heißt: Jeder einzelne Sparer erzielt jährlich 1,6 Prozent bis 2 Prozent Kaufkraftverlust. In Summe sind das immerhin 5 Milliarden Euro pro Jahr, die den Sparern verloren gehen.

Das ist natürlich der Europäischen Zentralbank geschuldet, von ihr kommt ja das Ge­schäftsmodell, da kann die Bundesregierung nichts dafür. Man kann aber dem Sparer Angebote machen, dieses investive Kapital – das sind über 300 Milliarden Euro –, mit dem er selbst Verluste erleidet, als Wagniskapital in die Wirtschaft zu bringen. In Öster­reich fehlt es hinten und vorne an Wagniskapital, sogenanntem Private Equity und Venturecapital, das heißt Beteiligungskapital, zum Beispiel für Start-ups, damit diese sehr wohl die Kurve kratzen können, sehr wohl in die Gänge kommen und ihre Ge­schäftsmodelle reüssieren, denn ohne Geld, ohne Kapital gibt es kein Unternehmertum. Deswegen heißt ja diese Gesellschaft – oder diese Epoche – eindeutig Kapitalismus: weil es ums Geld geht.

Ich möchte noch auf den Kapitalmarkt zurückkommen, den Sie auch anführen, aber re­lativ kurz: zur Finanzierung eines Unternehmens. Da ist es mir auch gelungen, damals in Zusammenarbeit mit dem sehr kooperativen Finanzministerium und dem Justizminis­terium, einen Markt für Klein- und Mittelbetriebe an der Wiener Börse einzurichten. Das heißt, seit 2019 können Unternehmen  KMUs – Kapital aufnehmen und dieses verwen­den. Das hat es bis dahin noch nicht gegeben. 30 Unternehmen sind heute dort gelistet, es ist wirklich ein Erfolgsmodell für junge Unternehmen, Kapital auch als Eigenkapital an der Börse aufzunehmen.

Ich möchte noch meine Mitautorenschaft am freiheitlichen Wirtschaftsprogramm der FPÖ erwähnen: Einige Inputs eines freien Marktwirtschaftlers für die formelle, für die familiäre, industrielle Unternehmerschaft in Österreich und den Kapitalmarkt darf ich mir an den Hut heften. Das wurde als Beispiel des Dritten Marktes auch tatsächlich von der Regierung umgesetzt.

Ich komme zum Ende, auch hier im Bundesrat. Ich habe gelernt, was ich lernen wollte, kundgetan, was ich kundtun wollte, für mich ist der Kreis geschlossen. Ich habe mit niemandem eine Rechnung offen, ich hoffe, dass auch mit mir niemand eine Rechnung offen hat (Heiterkeit der Bundesräte Schreuder und Schwindsackl) und möchte mich hiermit verabschieden. Meine Firma wartet, die Wissenschaft wartet. – Ich bedanke mich. (Allgemeiner Beifall.)

16.35


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Danke, Herr Kollege, für Ihr Wirken hier im Hohen Haus – auch Ihnen persönlich und beruflich alles Gute für die Zukunft!

Der nächste Redner ist Herr Fraktionsobmann Marco Schreuder. – Bitte.


16.35.27

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Pisec, ich wünsche Ihnen wirklich alles, alles Gute für Ihre Zeit nach dem Bundesrat! Ich möchte Sie einladen – wir haben ja eines gemeinsam, nämlich das Interesse am historischen Wien –: Wir machen dank der Präsidentin demnächst eine Führung durch den jüdischen Friedhof in Währing, und ich würde mich sehr freuen, wenn ich Sie dort sehe.

Zum Bericht: Ich möchte es ganz kurz machen, weil eigentlich schon alle Zahlen genannt worden sind, und ich nehme an, es kommen auch noch ein paar. 37 Prozent der KMUs in Österreich sind EPUs – das ist mir wichtig zu sagen, weil ich selbst dazu zähle, ich werde aber noch einmal darauf zurückkommen –, das ist eine tolle Zahl.


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Grundsätzlich zum KMU-Bericht: Er hieß ja früher Mittelstandsbericht – aber was soll das sein? Ich bin eigentlich ganz froh, dass es da eine neue Begrifflichkeit gibt. Dieser Bericht beschreibt und analysiert den heimischen KMU-Sektor natürlich in einer Zeit vor der schweren Coronakrise – das ist schon gesagt worden –, genau deswegen aber ist er ja so wichtig, weil wir danach – und ich hoffe, dass es bald ein Danach geben wird – absolut gute Vergleichswerte heranziehen können.

99,6 Prozent aller Unternehmen in Österreich sind KMUs – ich finde, das ist eine un­fassbar hohe Zahl –, und diese 99,6 Prozent der Unternehmen in Österreich beschäf­tigten 2017 2 Millionen Menschen. Das sind die Zahlen, die wir nun aus diesem Bericht haben. Sie bildeten – das ist auch wichtig – 52 900 Lehrlinge aus. Sie erzielten 60 Pro­zent der Bruttowertschöpfung in Österreich, und ich habe schon gesagt, 37 Prozent sind EPUs. Da gibt es das stärkste Wachstum. Das habe ich zum Beispiel auch damals als Obmann in der Fachgruppe gesehen. Das Wachstum der EPUs ist eines der stärksten im ganzen Wirtschaftsbereich. Dies ist auch ein sehr wichtiges frauenpolitisches Thema, weil der Frauenanteil unter den Unternehmerinnen und Unternehmern nirgends sonst so hoch ist wie unter den EPUs. Bei den EPUs sind es 42 Prozent.

Die Vorzüge davon, dass die Mehrheit der Unternehmen in Familienhand ist, streiche ich jetzt aus der Rede, Sie haben das wunderbar zusammengefasst. – Vielen Dank.

Ich möchte nur einen Punkt erwähnen, da es nicht nur erfreuliche Sachen zu berichten gibt: Es gibt auch in dem Bericht kritische Punkte, und ich finde, man sollte sie auch nicht verschweigen. Als wir unter den Mitgliedern der Fachgruppe in der Wirtschaftskammer Umfragen gemacht haben, war gerade unter den kleinen Unternehmern und Unterneh­merinnen und den EPUs tatsächlich ein sehr oft genanntes Ärgernis der Zugang zu öf­fentlichen Aufträgen, beispielsweise von Gemeinden, von Ländern, von Bezirken, vom Bund, von Ministerien. Wir haben durch den Small Business Act der Europäischen Uni­on, der ja dankenswerterweise auch in diesen Bericht geflossen ist, eine Vergleichbar­keit. Das ist auch gut so. Es ist tatsächlich oft so, dass Ausschreibungen so gestaltet sind, dass nur sehr große Unternehmungen sich beteiligen können. Es wäre sicher sehr spannend, dass wir gemeinsam daran arbeiten, dass sie so gestaltet werden, dass auch wirklich kleine Unternehmungen – ja, auch EPUs – an öffentliche Aufträge herankom­men.

Nehmen wir das als Arbeitsauftrag! Gerne nehmen wir diesen Bericht zur Kenntnis. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

16.39


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Als vorerst letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist Frau Bundesrätin Sonja Zwazl zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Kollegin.


16.39.44

Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP, Niederösterreich): Frau Präsident! Frau Bundesminis­terin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zu dem für uns erfreulichen Be­richt komme – erfreuliche Daten sind einfach immer ganz wichtig, damit man schwierige Situationen mit Kraft und Zuversicht bewältigen kann –: Herr Kollege Bernard, du stellst dich hierher und sagst Sachen, die nicht stimmen! Herr Mag. Kaweczka ist einer, der wirklich für die Unternehmerinnen und Unternehmer rennt. Sag bitte, wie die Situation ist! Der Unternehmer, den du angesprochen hast, hat sich bei uns in der Kammer nicht beschwert. Wenn mir so etwas passieren würde, kannst du sicher sein, dass ich mich beschweren würde.

Jetzt zur Sache: Der ist Untermieter bei dir. Du weißt ganz genau, dass er sich erst am 3.10. selbstständig gemacht hat, dass er in die Wirtschaftskammer, in die Bezirksstelle Mistelbach, gekommen ist, dort eine Unterstützung aus dem Härtefallfonds haben wollte.


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Da hat es geheißen, die gibt es für ihn nicht, weil er erst am 3.10. angefangen hat, und man hat ihm gesagt, dass er eine Investitionsprämie haben kann. Der von dir gesagte Ausspruch ist aber nicht getätigt worden, und es wird auch eine Konfrontation mit dem Unternehmer geben.

Eines sage ich dir: Unsere Mitarbeiter sind großartig, und gerade in Situationen, so wie es sie jetzt gibt, sind sie ständig für uns Unternehmerinnen und Unternehmer da. Ich verbitte mir das, und ich finde es nicht in Ordnung, jemanden, sogar wenn er es gesagt hätte, hier, wo er nicht antworten kann, coram publico so zu diffamieren. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Ich sage noch einmal ein herzliches Dankeschön. Ich denke, dass wir uns heute alle die Bedeutung der KMUs für unsere Wirtschaft entsprechend in Erinnerung gerufen haben. Das ist für mich als Unternehmerin ganz einfach wichtig. Es ist eine schwierige Situation, und die gilt es zu bewältigen. Da ist es schon wichtig, dass man weiß: Welche Kraft steckt denn in uns drinnen?

Wir haben schwierige Situationen immer bewältigt. Wenn ich an die Finanzkrise denke: Da war gerade wichtig, wie wir aufgestellt sind, es war der Mix, den es in unserer Wirt­schaft gibt: die Kleinst- und Kleinbetriebe, die Mittelbetriebe und natürlich auch die Leit­betriebe – auch die brauchen wir. Wir in der Wirtschaft sind verbundene Gefäße. Das macht es aus, das macht unsere Stärke aus, dass wir sehr flexibel und rasch auf verän­derte Situationen reagieren können.

Natürlich braucht es in solchen Situationen, wie es sie jetzt gibt, Unterstützung. Da kann man sich ganz einfach nicht aufgrund seiner unternehmerischen Fähigkeiten alleine herausziehen. Ich sage ein herzliches Dankeschön für die Initiativen, die gesetzt werden.

Ich muss sagen, weil heute auch die Familienbetriebe angesprochen wurden: Ja, das stimmt; in einem Familienbetrieb gibt es aber nicht nur einen, der die ganze Familie rundherum ernährt, sondern die Kinder haben meistens auch andere Berufe. Es ist aber ganz einfach so, dass in den Familienbetrieben anders gedacht wird. Da wird eben auf Nachhaltigkeit geschaut. Da gibt es eine flachere Hierarchie. Ich freue mich, dass die Hälfte schon in der zweiten Generation geführt wird. Wenn wir uns anschauen – weil du auch die Situation der Frauen angesprochen hast –, wie es mit den Übernahmen aus­schaut: Die Hälfte der Übernahmen wird durch Frauen durchgeführt.

Die Familienbetriebe zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie eine ungeheure Wert­schätzung und eine tolle Kultur haben. Das heißt, der gute Kontakt mit den Mitarbeiterin­nen und Mitarbeitern ist ganz selbstverständlich, und es zeigt sich auch, dass man sich in schwierigen Situationen natürlich nicht sofort von einem Mitarbeiter oder von einer Mitarbeiterin trennt, sondern dass man schaut, dass man das gemeinsam übersteht. Da geht es vor allem wirklich um Nachhaltigkeit und nicht um schnelle Gewinnmaximierung.

Ich habe mir auch angeschaut: Gerade in Familienbetrieben sind Frauen häufiger in der Geschäftsleitung vertreten. 18 Prozent unserer Familienbetriebe werden von Frauen ge­führt, und in 14 Prozent der Betriebe sind Männer und Frauen gleich, also 50 : 50, in der Geschäftsleitung beschäftigt.

In den Familienbetrieben sind ein ungeheurer Teamgeist und eine höhere Mitwirkung und Loyalität der Mitarbeiter da.

Heute haben wir schon sehr viel von den EPUs gesprochen. Ja, da gibt es einen Frauen­anteil von 42 Prozent. Du hast im Wirtschaftsausschuss angesprochen, dass die Frauen häufiger nach drei, vier, fünf Jahren ihre Betriebe schließen. – Ja, das stimmt, aber sie schlittern nicht in den Konkurs, sondern die Frauen sind ganz einfach kaufmännisch vorsichtiger. Wenn sie das Gefühl haben, ihr Konzept funktioniert noch nicht so ganz, dann schließen sie ihre Betriebe, was sehr gescheit ist, und überlegen sich, wie sie sich


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besser aufstellen können, beziehungsweise sind viele hybride Unternehmerinnen. Auf der anderen Seite ist es auch so, dass es aufgrund der familiären Situation für Frauen oft mehr oder minder nicht möglich ist, die Unternehmen zu führen.

Wichtig ist mir aber auch, zu sagen, dass es vonseiten der Wirtschaft gerade für Frauen sehr viele Unterstützungen gibt. Meine Bitte ist auch, dass ihr die Leute darauf aufmerk­sam macht. Es gibt die Betriebshilfe: Wenn eine Unternehmerin ein Baby bekommt, dann kriegt sie eine Betriebshilfe kostenlos zur Verfügung gestellt, oder wenn ein Unternehmer aus einem Kleinstunternehmen ausfällt, hat er die Möglichkeit, für 72 Tage im Jahr eine Betriebshilfe zu bekommen.

Weil die EPUs immer so hingestellt werden: Ich habe große Hochachtung vor Einperso­nenunternehmen. Das sind für mich Solisten. Die müssen gut sein, sie müssen kaufmän­nisch gut sein, sie müssen fachlich hervorragend sein. Wenn man sich das anschaut, sieht man: Bei den EPUs gibt es die höchste abgeschlossene Ausbildung. 35 Prozent haben einen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss, und drei von zehn haben eine Lehre absolviert. Ich sage immer wieder: Auch Coca-Cola ist als Einmannbetrieb ge­gründet worden. Ein EPU beginnt einmal, manche wollen von vornherein alleine bleiben, das ist ihr Konzept, und andere entwickeln sich. Die EPUs sind ein wesentlicher und wichtiger Faktor in unserer Wirtschaft. (Beifall bei der ÖVP und bei BundesrätInnen der Grünen.)

Ein wichtiger Punkt ist die Ausbildung und die Weiterbildung unserer Jugend. Da sage ich dir ein herzliches Dankeschön, Frau Minister, weil ich weiß – und ich weiß das von vielen Veranstaltungen –, dass du da sehr dahinter bist. Ich danke auch für die Aner­kennung der jungen Leute, die eine duale Ausbildung machen, die eine Lehre machen.

Es ist auch so, dass die Sozialpartner immer schauen, dass unsere Jugend wirklich eine gute Ausbildung bekommt. Weil sich die Wirtschaft ändert, müssen auch die Berufsbilder angepasst werden. Es gibt jetzt – in dem Zeitraum 2018, 2019 – 35 neue Berufsbilder. Natürlich ist es auch so, dass geschaut wird, dass aufgrund der Digitalisierung, die einen ungeheuren Anteil an unserem Wirtschaftsleben hat, die digitale Kompetenz auch in die Berufsbilder eingearbeitet wird.

Herr Kollege (in Richtung Bundesrat Pisec), wir zwei reden noch einmal über die Wirt­schaftskammer. Wenn du in Klosterneuburg bist, kannst du mich besuchen, weil wir zwei diese Rechnung noch offen haben.

Du hast angesprochen, dass Österreich nicht gerade ein Land ist, in dem die jungen Leute zum Unternehmertum drängen. Dazu muss ich ganz einfach sagen: Ja, das stimmt, aber auch da macht die Wirtschaftskammer sehr viel. In den Ferien machen wir drei Wochen etwas für die Jugend, für die Kinder. Wir haben Businessweeks, 14 Tage, in denen Unternehmerinnen und Unternehmer sich, ihren Beruf, ihren Betrieb vorstellen und mit den Kindern arbeiten, und wir haben eine Kids Academy, bei der in unserer NDU die Kinder – sie sind zehn bis 14 Jahre alt – sozusagen einen Minimeisterbrief bekom­men und man ihnen in den Werkstätten die Möglichkeit gibt, selbst zu arbeiten.

Ich denke, das sind wirklich sehr gute Beispiele, weil es nur über Ausbildung und Wei­terbildung geht. Die wird bei uns im Land großgeschrieben, da gibt es großartige Unter­stützungen.

Ich bedanke mich bei dir, Frau Minister, recht herzlich für den ungeheuren Einsatz für unsere Wirtschaft. Das ist ganz wichtig. Ich weiß, dass wir mit der Unterstützung auch diese schwierige Zeit, die wir jetzt erleben – und wir müssen ganz einfach alle durch –, meistern werden. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei BundesrätInnen der Grü­nen.)

16.49



BundesratStenographisches Protokoll914. Sitzung, 914. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2020 / Seite 57

Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Inzwischen ist Frau Bundesministerin Elisabeth Köstinger eingetroffen. Seien Sie herzlich begrüßt und willkommen geheißen! (Allgemeiner Beifall.)

Zu einer weiteren Stellungnahme hat sich Herr Bundesrat Bernard gemeldet. – Bitte sehr, Herr Kollege.


16.49.32

Bundesrat Michael Bernard (FPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Bundesministerinnen! Ich möchte das nicht so im Raum stehen lassen, Frau Zwazl. Sie waren bei diesem Gespräch nicht dabei. (Bundesrätin Zwazl: Du auch nicht!)

Mir wurde sehr wohl berichtet, wie das Ganze abgelaufen ist. Ich lasse mich von Ihnen hier nicht als Lügner hinstellen, wenn Herr Klaus Kaweczka, den ich persönlich kenne, der aus meiner Heimatgemeinde Poysdorf stammt, am Montag, dem 2.11.2020, dem Jungunternehmer genau das wortwörtlich am Telefon mitgeteilt hat. Er hat mir das eins zu eins mitgeteilt. Das ist so, das ist die Wahrheit und das bleibt so. Herr Klaus Kaweczka hat das so gesagt.

Das nur zur Richtigstellung zu diesem Thema. Ich lasse mich von Ihnen hier nicht als Lügner hinstellen. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

16.50


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Es gibt noch eine Wortmeldung. – Bitte, Frau Kollegin Zwazl.


16.50.37

Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP, Niederösterreich): Herr Kollege! „Lügner“ habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt: Du warst auch nicht dabei. Ich habe nachgefragt – wenn du das sagst, ist es ja selbstverständlich, dass ich sofort gehe und anrufe und frage – und da hat man mir das gesagt.

Das ist ein Thema, das gehört, bitte schön, in Mistelbach angesprochen. Es gehört aber nicht hierher. Du hast jetzt auch erklärt, dass du das nur vom Hörensagen weißt, aber ich lasse keinen Mitarbeiter unserer Organisation hier diffamieren. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Bernard: Das ist kein Mitarbeiter, das ist ...!)

16.51


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: So.

Jetzt gibt es doch noch eine Wortmeldung.


16.51.17

Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP, Niederösterreich): Weil der Herr Kollege gesagt hat, es ist nicht meine Organisation: Das ist ein Fehler. Jeder Unternehmer, jede Unterneh­merin ist Miteigentümerin der Wirtschaftskammerorganisation. (Bundesrat Pisec: Lei­der! Leider!) Wir sind nicht nur Pflichtmitglieder. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Das macht ihr zwei (in Richtung FPÖ) euch jetzt aus! (Beifall bei der ÖVP.)

16.51


16.51.39

Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Ich bitte, die Geschäftsordnung zu be­achten. Das war eine tatsächliche Berichtigung.

Nun liegen dazu aber keine Wortmeldungen mehr vor, soweit ich das sehe.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das traue ich mich jetzt gar nicht mehr zu fragen, aber es ist ohnehin nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.


BundesratStenographisches Protokoll914. Sitzung, 914. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2020 / Seite 58

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Da sind wir uns einig, das ist die Stimmeneinhelligkeit, der Antrag ist somit angenommen.

16.52.243. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 14. Oktober 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über besondere Förderungen von kleinen und mittle­ren Unternehmen (KMU-Förderungsgesetz) geändert wird (900/A und 402 d.B. so­wie 10430/BR d.B.)


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Wir gelangen zum 3. Punkt der Tages­ordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Elisabeth Mattersberger. – Ich bitte um den Be­richt, Frau Kollegin.


16.52.47

Berichterstatterin Elisabeth Mattersberger: Hohes Präsidium! Frau Bundesministerin! Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Tourismus, Kunst und Kultur über den Beschluss des Nationalrates vom 14. Oktober 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über besondere Förderungen von kleinen und mittleren Unternehmen geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher gleich zur Antragstel­lung.

Der Ausschuss für Tourismus, Kunst und Kultur stellt nach Beratung der Vorlage am 3. November 2020 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein, und Sie bleiben gleich am RednerInnenpult, Frau Kollegin. Sie sind als Erste zu Wort gemeldet. – Bitte sehr.


16.54.01

Bundesrätin Elisabeth Mattersberger (ÖVP, Tirol): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseherinnen und Zuseher zu Hause vor den Bildschirmen! Der Tourismus ist aufgrund der Coronapan­demie im Jahr 2020 nicht nur in Österreich, sondern weltweit ins Wanken geraten und in eine tiefe Krise gestürzt. In der Sommersaison 2020 konnte dann aber wider Erwarten speziell im ländlichen Raum in den Ferienregionen touristisch ein einigermaßen gutes Ergebnis erzielt werden, was sicherlich mit der Schönheit der Regionen, dem Angebot an hoher Qualität und der Vermittlung von Sicherheit vor dem Virus für den Gast zu tun hat.

Mein Heimatbezirk Osttirol konnte zum Beispiel die Sommersaison als nächtigungs­stärkste Sommerdestination Tirols abschließen. Durch den Lockdown im Frühsommer, den damit verpatzten Saisonstart und das danach folgende wider Erwarten überaus er­freuliche Ergebnis der Sommersaison konnte Osttirol mit einem Minus von 12,1 Prozent bilanzieren und ist somit mit einem blauen Auge davongekommen.

Ganz anders sieht es leider im Städtetourismus aus. Die internationalen Gäste, welche aufgrund des hervorragenden Angebotes an Kunst und Kultur in unsere wunderschönen Städte kommen, sind ausgeblieben. Ausgeblieben sind aber auch jene Gäste, die auf­grund von Veranstaltungen und Kongressen zu uns kommen, da die Veranstaltungs- und Kongresswirtschaft von der Covid-19-Krise massiv betroffen und zeitweise zum Er­liegen gekommen ist.


BundesratStenographisches Protokoll914. Sitzung, 914. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2020 / Seite 59

Planungen zur Durchführung von Veranstaltungen und Kongressen für 2021 sind zurzeit fast nicht gegeben. Es ist für die Unternehmen nicht möglich, vorauszusehen, wie sich die Pandemie entwickeln wird und ob Veranstaltungen und Kongresse zum geplanten Zeitpunkt auch wirklich stattfinden können. Die Planung von Veranstaltungen ist daher zurzeit mit einem erheblichen finanziellen Risiko verbunden. Da die Planungssicherheit für die Unternehmen nicht gegeben ist und verhindert werden soll, dass 2021 dann gar keine Veranstaltungen oder nur sehr wenige Veranstaltungen stattfinden, soll die heute zu beschließende Gesetzesänderung helfend eingreifen.

Bei der Gesetzesänderung handelt es sich um eine Haftungsübernahme durch den Staat. Es soll sichergestellt werden, dass die Branche für die Zukunft planen kann, Ver­träge abschließen kann und vor allem Zuversicht schöpft. Wenn Kongresse, Veranstal­tungen oder Messen aufgrund von Covid-19 storniert werden müssen oder nicht wie geplant durchgeführt werden können, soll für die bis dahin aufgelaufenen Planungs­kosten vom Staat eine Haftung übernommen werden, damit die Unternehmen nicht auf ihren Kosten sitzen bleiben.

Dieser Schutzschirm ist ein sehr wichtiger, da dadurch sichergestellt wird, dass Messen, Kongresse, Seminare und sonstige Veranstaltungen jetzt geplant werden und dann hof­fentlich 2021 auch stattfinden können. Neben der Kurzarbeit, dem Härtefallfonds, dem Fixkostenzuschuss, der Haftungsübernahme, dem Wirtepaket, der Investitionsprämie und der Mehrwertsteuersenkung auf 5 Prozent ist dies somit eine weitere äußerst hilf­reiche Maßnahme, um das Überleben der Veranstaltungsbranche, aber auch des Tou­rismus zu sichern.

Für den Tourismus, besonders für den Städtetourismus, und für Kunst und Kultur ist eine funktionierende Veranstaltungsbranche überlebensnotwendig. Deshalb, Frau Minister, vielen Dank für Ihren großen Einsatz und vielen Dank an die Kolleginnen und Kollegen, die dieser Gesetzesänderung heute zustimmen werden.

Wenn der Tourismus floriert, dann funktioniert auch die ganze vor- und nachgelagerte Wertschöpfungskette. Vieles, was wir zum Beispiel auch in Tirol so schätzen, wie Bälle, Kultur- und Traditionsveranstaltungen, konnte heuer den Sommer über schon nicht statt­finden.

Jetzt musste leider aufgrund der immer weiter steigenden Infektionszahlen ein zweites Herunterfahren verordnet werden. Dieses Herunterfahren betrifft wirtschaftlich gesehen in erster Linie wieder die Gastronomie und Hotellerie, die Veranstaltungs- und Kultur­branche sowie deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Um zu verhindern, dass das Ge­sundheitssystem an seine Grenzen stößt, musste die Notbremse gezogen werden. Die Virusverbreitung kann aber durch Verordnungen alleine nicht eingedämmt werden. Des­halb sind wir alle gemeinsam gefordert, aufeinander zu schauen und zusammenzuhal­ten. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP.)

16.59


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Ich darf nun Frau Bundesrätin Bettina Anna Lancaster ans RednerInnenpult bitten. – Bitte.


16.59.56

Bundesrätin Mag. Bettina Lancaster (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Prä­sidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Sehr geehrte Zuseher und Zuseherinnen vor den Bildschirmen! Wir benötigen Kongres­se, Seminare, Messen, Kultur- und Sportveranstaltungen für die Tourismus- und Freizeit­wirtschaft, insbesondere für den Städtetourismus. Es ist unbestritten, dass die Veranstal­tungs- und Kongresswirtschaft Planungssicherheit in diesen herausfordernden Zeiten braucht. Hier waren wir vor der Gesundheitskrise gut aufgestellt und es wurde für Öster­reich viel erwirtschaftet. Die Beschäftigten in dieser Branche mit ihren Vertragspartnern


BundesratStenographisches Protokoll914. Sitzung, 914. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2020 / Seite 60

sind hoch spezialisiert und gut qualifiziert. Diese Arbeitsplätze dürfen uns nicht verloren­gehen! (Beifall bei der SPÖ.)

Das finanzielle Risiko für Veranstalter wird im Jahr 2021 sehr hoch sein. Kurzfristige Änderungen aufgrund des Coronageschehens können massive, existenzbedrohende Schäden bei den Unternehmen bewirken und Arbeitsplätze vernichten. Die finanzielle Absicherung ist ein wesentlicher Schritt, um zumindest die Sicherheit zu geben, dass Veranstaltungen für das nächste Jahr geplant werden können. Die Ausfallshaftung ist ein adäquates Mittel dazu. (Vizepräsident Buchmann übernimmt den Vorsitz.)

Mit diesem Beschluss geben wir Ihnen, Frau Ministerin, eine Ermächtigung, und wir tun dies, ohne einen Einblick in die hinterlegten Richtlinien zu haben. Oder anders gesagt: Der Informationsgrad über mögliche Detailausführungen wurde enorm niedrig gehalten, denn der Formalismus fordert diesen Einblick eben nicht.

Krisenbewältigung kann aber auch anders ausschauen. Das Bild, dass man an einem Strang ziehen will, wird zwar von den Regierungsparteien medial verkauft, in Wirklichkeit fehlt es den Regierungsparteien aber am tatsächlichen Willen, einen Schulterschluss mit den Oppositionsparteien zu ermöglichen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Dim.) So nebenbei: Vielleicht sind die Regierungsparteien auch schon damit ausgelas­tet, den Einklang in der eigenen Koalition zu erhalten. So kann Miteinander nicht gelingen!

Sie, Frau Ministerin, wollen von uns, dass wir uns auf diese Blackbox in gutem Vertrauen einlassen. Sie fordern von uns konstruktive Zusammenarbeit in diesen schwierigen Zei­ten. Sie wollen und Sie fordern. Wir Sozialdemokraten sind uns der Verantwortung be­wusst, die es in der gegenwärtigen Gesundheitskrise mit all ihren Folgen zu schultern gilt. Die Regierungsparteien sind sich anscheinend ihrer Verantwortung nicht ganz so bewusst. Krisenzeiten erfordern besondere Schritte, und mit dem Einbinden der Opposi­tion ist es bei den vorherrschenden Machtansprüchen der Türkisen nicht weit her. Der Form halber werden Abstimmungsgespräche inszeniert, zumeist ist aber die Entschei­dung bereits vorab im innersten Zirkel getroffen worden. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Dim.)

Diese Machtversessenheit hat zu einem Wirrwarr an Regelungen, Förderungen, Ampel­schaltungen und dann wieder zu Aufhebungen geführt. Ein soziales Sicherheitsgefühl wurde nicht erzielt. In sich nicht konsistente Verordnungen führen zu Verunsicherung und lassen bei den Menschen in Österreich bereits Zweifel an der Sinnhaftigkeit so mancher Vorschrift auftauchen. Das ist eine sehr gefährliche Situation, eine gefährliche Entwicklung. Da muss entgegengewirkt werden, nämlich mit einem besseren Qualitäts­management.

Wir Oppositionspolitikerinnen und -politiker sind der Kern des Qualitätsmanagements in Krisenzeiten. Nehmen Sie konstruktive Kritik an und verbessern Sie dadurch die Ver­fassungskonformität, die Wirkung und die Treffsicherheit der Maßnahmen für uns alle bei der Bewältigung der Krise in Österreich! Das ist ein konstruktives Angebot, das Sie nicht ausschlagen sollten.

Zurück zur Ausfallshaftung: Hier gibt es viele offene Fragen, die entscheidend für die Qualität dieser Ausfallshaftung sein werden. Zum Beispiel: Wer wird überhaupt Anspruch auf die Ausfallshaftung haben? Unternehmen alleine, Tourismusverbände und so wei­ter? Brauchen wir für die Kulturveranstaltungen von gemeinnützigen Vereinen einen eigenen Schutzschirm, der im Kulturministerium angesiedelt ist? Oder: Was wird grund­sätzlich von der Ausfallshaftung umfasst werden? Wie schaut es mit den Auftragneh­mern der Veranstalter aus, zum Beispiel mit jenen, die die Bühne für den Eröffnungs­event beim Skizirkus in XY aufstellen? Wie schaut es mit Künstlerinnen- und Künstler­gagen aus? – Die Liste dieser so wichtigen Fragen ließe sich noch weiter ausführen, weil eben, wie gesagt, der Informationsgrad niedrig gehalten wurde.


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Zudem fordern wir Sozialdemokraten klare, unbürokratische und verfassungskonforme Regelungen, die eine Weiterführung des Tourismus und der Gastronomie absichern, und das nicht nur während des zweiten Lockdowns, sondern längerfristig. Sehr wichtig ist uns auch die finanzielle Förderung der Lehrlingsausbildung in der Freizeit- und Tou­rismusbranche.

Wir werden dem vorliegenden Gesetzentwurf, wie bereits gesagt, zustimmen. Es ist aber keinesfalls ein Freipass für eine intransparente Steuermittelverteilung im Umfang von 300 Millionen Euro. Wir werden genau hinschauen, wer wie viel bekommt und wer ste­hen gelassen wird und ohne Hilfe zurechtkommen muss. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

17.06


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Als Nächster ist Herr Bundesrat Thomas Dim zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Kollege.


17.06.59

Bundesrat Thomas Dim (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin Köstinger! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit der vor­liegenden Änderung des Bundesgesetzes über besondere Förderungen von kleinen und mittleren Unternehmen wird einer Branche besonders geholfen, die schwer von den Auswirkungen der Pandemie und den dadurch verhängten Maßnahmen getroffen wurde. Die angesprochene Veranstaltungsbranche hat aber auch große Folgewirkung auf eine Vielzahl anderer Branchen wie Gastronomie und Hotellerie, vor allem im Städtetou­rismus.

Von der Veranstaltungstechnik bis hin zu Cateringfirmen hängen viele Unternehmen, und das schon seit Beginn der Pandemie, quasi in der Luft. Da die genauen Förderrichtli­nien aber erst ausgearbeitet werden müssen, steht auch noch nicht genau fest, wer den sogenannten Schutzschirm in Anspruch nehmen kann. Ich gehe aber fest davon aus, und das ist mir ganz besonders wichtig, dass auch die Messebetriebe selbst in den Ge­nuss der Förderung kommen.

Unsere Messe in Ried beispielsweise hat im heurigen Jahr bis auf die Automesse im Jänner keine einzige Veranstaltung oder Messe durchführen können. Vorbereitungs­maßnahmen wie Ausstellerakquise, Hygienekonzepte, Bewerbung mussten aber schon weit vor der möglichen Veranstaltung getroffen beziehungsweise durchgeführt werden. Letztendlich musste aber jede Veranstaltung dann wieder mit dem Hinweis auf die mo­mentane Infektionszahl im Bezirk durch die Bezirksbehörde untersagt werden.

Ich weiß, dass alle Messebetriebe in ganz Österreich wirtschaftlich gesehen in den Sei­len hängen und ein Fortbestand der Messestandorte von der dringend benötigten Un­terstützung abhängig ist. Da es aber auch bei den Städten und Gemeinden finanziell momentan nicht sehr rosig aussieht, wäre es für mich völlig egal, ob sich der Messe­betrieb im Eigentum der öffentlichen Hand oder in privater Hand befindet, unterstützt müssen alle werden.

Ein weiterer Aspekt, der in dieser Gesetzesvorlage zwar nicht enthalten ist, aber bereits in Diskussion steht, ist die Verlängerung des temporär gesenkten 5-prozentigen Mehr­wertsteuersatzes. Das ist nicht nur für die Gastronomie unglaublich wichtig. Offenbar plant die Bundesregierung, im Rahmen des Budgetbegleitgesetzes bei der Verlängerung des temporären 5-prozentigen Mehrwertsteuersatzes Bücher und artverwandte Produk­te ausdrücklich nicht mehr zu inkludieren, sondern ab 1.1.2021 wieder mit 10 Prozent zu besteuern. (Bundesministerin Köstinger: Nein, stimmt nicht!) – Vielleicht können Sie mir dann eine Antwort darauf geben. (Bundesministerin Köstinger: Ja, gerne!)

Eine Schwächung der Buchbranche – und hier weise ich besonders auch auf deren kul­turpolitischen Auftrag hin – stellt viele Marktteilnehmer vor existentielle Probleme. Die


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Rahmenbedingungen sind ja seit dem Frühsommer nicht besser geworden, im Gegen­teil. Selbst in normalen Zeiten erwirtschaftet die Buchbranche beziehungsweise erwirt­schaften die Buchhandlungen erst mit einem guten Weihnachtsgeschäft überhaupt posi­tive Betriebsergebnisse. Einige Buchhandlungen haben vielleicht die Chance, einen Teil des Umsatzes durch deren Onlineshop zu retten. Dies ist allerdings nur mit einem deut­lich niedrigeren Deckungsbeitrag, verursacht durch die vom Markt vorgegebenen porto­freien Lieferungen, möglich. Auch die Anbindung an Suchprogramme und Warenwirt­schaftssysteme der Barsortimenter verursacht für kleinere Buchhandlungen unverhält­nismäßig hohe Kosten.

Eine Verlängerung der 5-Prozent-Regelung wäre aber auch aus einem anderen Aspekt zumindest bis Ende Juni 2021 wichtig: Mit 1. Juli 2020 trat diese Regelung in Kraft. Somit wären bei einer Dauer von einem ganzen Jahr die Lagerbestände annähernd gleich und es ergäbe sich daraus kein vorsteuerbedingter Nachteil aufgrund höherer Lagerstände zum Ende des Jahres. Diese sind mit Ende des Jahres deswegen um einiges höher als im Sommer, weil viele Kunden zu Weihnachten Buchgutscheine verschenken. Da die Beschenkten die Gutscheine dann erst nach Weihnachten und somit erst im Jänner einlösen, würde sich ein vorsteuerbedingter Nachteil ergeben.

Auf den schon seit Wochen schleichenden Lockdown ist seit Dienstag nun der verord­nete erfolgt. Schleichend deshalb, weil mit den Quarantäneverordnungen und dem über­bordenden Contacttracing, das im Übrigen auch die Bezirkshauptmannschaften an den Rand der Verzweiflung und Machbarkeit gebracht hat, viele sogenannte K1-Kontaktper­sonen völlig gesund und symptomfrei zu Hause bleiben müssen. Damit sind sie aber nicht nur vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, sondern fehlen uns auch als Konsumenten.

Eine genaue arbeitsrechtliche Handhabe für diese oft völlig gesunden Personen fehlt aber leider. Beispielsweise stellt sich die Frage: Wird die Quarantänezeit auf den Kran­kenstand und somit auf eine Entgeltfortzahlungsentschädigung durch die AUVA ange­rechnet? Leider konnten mir weder die Wirtschaftskammer noch die Arbeiterkammer Auskunft darüber geben. Von dieser Situation sind aber alle Wirtschaftstreibenden be­troffen, Produktion genauso wie Handel, Dienstleistung, Gastronomie und Hotellerie.

Wir werden letztendlich nach dieser Pandemie nicht nur die Gastro- und Hotellerieszene nicht mehr wiedererkennen, sondern auch die Handelsstruktur. Wie heute schon des Öfteren angesprochen wurde, haben mit der Digitalisierung und dem ultraschnellen In­ternet Handelsriesen wie Amazon in den letzten Jahren schon einen großen Anteil der bestandenen Strukturen zerstört. Viele Arbeitsplätze im Handel wurden vernichtet; in Ortschaften, in denen es früher noch Geschäfte gegeben hat, wurden Leerstände verur­sacht. Mit der Pandemie und den damit verbundenen Verordnungen durch die Regierung wird dieser Prozess nachhaltig und exponentiell beschleunigt, Amazon und Co reiben sich schon seit dem Frühjahr die Hände.

Zwar muss man der Regierung zugestehen, dass sie zumindest bei der Administrierbar­keit der Verordnungen und der Fördergelder dazugelernt hat, aber – Frau Kollegin Lan­caster hat das gerade angesprochen – die Transparenz darüber, wie und vor allem wa­rum manche nicht nachvollziehbare Entscheidungen gefallen sind, fehlt wieder einmal.

Der Versuch, die Opposition, aber auch die Länder mit ins Boot zu holen, ist kläglich gescheitert. Es wurde wieder einmal gehandelt nach dem Motto: Das haben wir so ent­schieden. Was sagt ihr dazu? Klammer auf: Aber eigentlich ist es uns sowieso egal. – Mit dieser Art wird es nie ein Miteinander geben, aber das ist vielleicht auch gar nicht gewünscht, Hauptsache, die PR passt.

Zum Schluss noch eine andere Anmerkung zur PR der Grünen: Die Grüne Jugend hat sich ja wieder einmal hervorragend ausgezeichnet. Mit ihrem Facebook-Posting zum Nationalfeiertag wurde die Grenze der Geschmacklosigkeit wieder einmal ganz beson­ders überschritten – großartig für eine Regierungspartei. Dazu gibt es auch von unserem


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Bundespräsidenten keine Wortmeldung, offenbar verschlägt es ihm die Worte. (Bundes­rat Rösch: Das kennen wir schon!)

Man kann in einer Demokratie, in der Meinungsfreiheit ein Grundrecht ist, verschiedener Ansichten und Weltanschauungen sein, aber dass wir uns als FPÖ von den Grünen per­manent als rechtsextrem bezeichnen lassen müssen, ist schlicht und einfach nicht hin­zunehmen. Ja, wir sind eine rechte Partei. Extremismus hat aber immer etwas mit Ge­waltbereitschaft zu tun. Leider mussten wir diese Woche in Wien diese Erfahrung ma­chen. Für mich und meine Partei aber, meine sehr geehrten Damen und Herren von den Grünen, weise ich Gewaltbereitschaft entschieden zurück! (Beifall bei der FPÖ.)

Extremismus, egal ob von rechts, links oder religiös gesteuert, ist auf das Schärfste ab­zulehnen! Politische Mitbewerber und explizit uns als FPÖ damit in Verbindung zu brin­gen, ist der typische Stil der Grünen, nämlich in der Hoffnung, dass es irgendwann in den Köpfen hängen bleibt. Dagegen verwahren wir uns mit aller Entschiedenheit! Wer den Extremismus jedoch verharmlost und diesen Begriff bewusst missbräuchlich ver­wendet, und das tun die Grünen in ihrem Posting, der hat das Wesen der Demokratie meines Erachtens nicht verstanden. (Beifall bei der FPÖ.)

17.16


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Marco Schreuder. Ich erteile es ihm. – Bitte.


17.16.18

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Herr Präsident! Frau Ministerin! Ich habe mir vorgenommen, in Tagen der Staatstrauer bei parteipolitischem Hickhack – ob ober oder unter der Gürtellinie, darüber könnte man diskutieren – nicht mitzumachen. Deswe­gen möchte ich Sie unterstützen, Herr Kollege. Auch ich bin der Meinung, dass wir alle in kleinen Buchläden kaufen sollen und unterstütze Sie da sehr gerne. – So viel dazu. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie des Bundesrates Novak.)

Die Infektionszahlen, die wir heute gesehen haben, haben uns wahrscheinlich alle sehr erschreckt. Es geht uns wahrscheinlich allen so: Man schaut in der Früh zuerst - - Gut, momentan schaut man zuerst einmal, das gebe ich zu, wie es um die US-Präsidentschaft steht, die letzten Tage zumindest, aber normalerweise schaut man immer zuerst, wie die aktuellen Zahlen sind, und man hofft, wir alle hoffen, dass sie zurückgehen. Wir wussten, dass es eine Verzögerung geben wird, aber im Moment sind wir in einer dramatischen Situation. Niemand will das und niemand möchte sich damit auseinandersetzen, aber man muss.

Ich will nicht allzu viel wiederholen von dem, was da gesagt worden ist, deswegen halte ich mich kurz: Wir beschließen jetzt 300 Millionen Euro für die Event- und die Kultur­branche, also für Veranstalter und Veranstalterinnen, für die, die das organisieren. Das halte ich für wichtig. Da geht es um Leute, die Kongresse, Kulturveranstaltungen, Kul­turfestivals oder eben auch Sportveranstaltungen organisieren. Diese für uns so wich­tigen Leute bekommen jetzt von uns eine Hilfe. Das ist notwendig und wir machen das.

Ich möchte, nur um die Bedeutung von Tagungen und Kongressen in Österreich zu un­terstreichen, eine Zahl nennen, nur für Wien: Nach Wien kommen jedes Jahr 6 Millionen Menschen, um an Tagungen und Kongressen teilzunehmen. Die fehlen uns jetzt aber, weil es eine Pandemie gibt. Wir helfen diesen Leuten, den Organisatorinnen und Organi­satoren dieser vielen Veranstaltungen, und das ist richtig so. Deswegen bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der ÖVP.)


BundesratStenographisches Protokoll914. Sitzung, 914. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2020 / Seite 64

17.19


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dipl.-Ing.in Andrea Holzner. – Bitte, Frau Kollegin.


17.19.13

Bundesrätin Dipl.-Ing. Andrea Holzner (ÖVP, Oberösterreich): Hohes Präsidium! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseherin­nen und Zuseher! Anlässlich des entsetzlichen Terroranschlages beginne ich mit einem Zitat von Albert Camus: Wenn die Wahrheit bei irgendjemandem auf Erden zu finden ist, dann ganz bestimmt nicht bei den Leuten, die behaupten, sie zu besitzen. – Zitatende.

Jede Ideologie, jeder Fundamentalismus sät Zwietracht und Zweifel. Spalten ist die Me­thode, um unsere Gesellschaft zu schwächen. Unsere Demokratie aber lebt vom Mitein­ander, vom Ringen um einen gemeinsamen Weg, von einem gewissen Grundvertrauen in die Institutionen und zueinander. Wir lassen uns dieses Miteinander nicht nehmen, weder von einem verblendeten Attentäter noch von diesem Virus, das ziellos sein gene­tisches Programm abspult und unser Zusammenleben mitten ins Herz trifft. Wir halten dagegen. Wir versuchen Regeln zu finden und entwickeln Konzepte, um ein Mindestmaß an Begegnung am Arbeitsplatz und in der Freizeit aufrechterhalten zu können.

Gerade die Branchen, die vom Miteinander, von Begegnung leben, sei es in der Gastro­nomie, in der Kultur oder im Veranstaltungsbereich, sind in ihrem Kern getroffen. Ich bewundere die Menschen, die trotz aller Unsicherheit einen Festablauf planen, für ein Theaterstück oder ein Konzert proben oder eine Messe organisieren. Die Energie, die Kreativität, das Herzblut, das hineingesteckt wird, können wir auch mit einer Haftung nicht ersetzen, aber ein finanzielles Desaster können wir mit dem KMU-Förderungsge­setz verhindern. Mit einem Ausfallhaftungsrahmen von 300 Millionen Euro bietet es ei­nen Schutzschirm.

Zum Beispiel Messe: Sollte eine Messe wie in der jetzigen Situation kurzfristig abgesagt werden, sind bei den Messeveranstaltern und bei den Ausstellern bereits hohe Kosten aufgelaufen: Standbaukosten, Werbeausgaben, Personaleinsatz und vieles mehr. Diese sollen mit dem Gesetz gedeckt werden.

Bei uns im Innviertel ist die Rieder Messe ein Publikumsmagnet. Heuer mussten wir bereits die Messe Sport & Fun, das Messetrio 50 Plus, Guten Appetit und Familienglück, die Music Austria, die Modellbaumesse sowie letzte Woche die Messe Haus & Bau absagen. Für die Music Austria haben wir einen Ersatztermin für Mai 2021. Die Messe Sport & Fun wackelt aufgrund der intensiven Körperkontakte, berichtete mir der Messe­präsident, Landtagsabgeordneter Alfred Frauscher. Als Messe Ried denken wir trotzdem sehr positiv und werden alles versuchen, Messen zu veranstalten, da wir die Erlöse für unser Betriebsergebnis brauchen, die Aussteller die Aufträge dringend benötigen und die Besucher gerne kommen und die regionalen Klein- und Mittelbetriebe stärken.

Es ist dieses In- und Miteinander, dieses Verzahnte, das uns als Gesellschaft nicht ein­fach auseinanderdriften lässt, aber ob diese Konzepte wirklich aufgehen, ob die Hilfen, die der Staat in die Bewältigung der Krise pumpt, wirken, das hängt davon ab, dass die Coronazahlen zurückgehen und wir Abstand halten.

Zusammenhalten heißt jetzt: Abstand halten! Das muss in unsere Köpfe hinein. Unser Herz will den Zusammenhalt durch Nähe spüren. Wir werden das gemeinsam schaffen, und ich freue mich auf die Zeit, in der wir uns wieder unbeschwert und frei nahe sein können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

17.23


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Frau Bundesministerin Elisabeth Köstinger hat sich zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Bundesministerin.


17.23.42

Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus Elisabeth Köstinger: Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren Bundesräte! Vielen Dank,


BundesratStenographisches Protokoll914. Sitzung, 914. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2020 / Seite 65

dass es heute möglich ist, auch zu diesem Tagesordnungspunkt zu sprechen, wenn­gleich – und ich glaube, das ist heute auch in diesem Rahmen schon mehrmals zum Ausdruck gekommen – wir natürlich nach wie vor sehr schwer schockiert sind über den Terroranschlag vom Montag.

Wir haben am Samstag den ganzen Tag intensiv damit verbracht, alle Branchen auf den zweiten Lockdown vorzubereiten, alles in die Wege zu leiten, und haben am Samstag manchmal das Gefühl gehabt, es kann nicht mehr schlimmer kommen – und wenige Stunden später wurde es schlimmer. Dieser Terroranschlag hat uns wirklich in den Grundfesten erschüttert, und unsere Gedanken und unsere Anteilnahme gelten den Op­fern und vor allem ihren Familien und Angehörigen.

Nichtsdestotrotz – und deswegen noch einmal ein herzliches Dankeschön – stecken wir nach wie vor mittendrin in einer noch nie da gewesenen Pandemie. Für unsere Genera­tion ist es eine extrem große Herausforderung, in wirtschaftlich sehr guten Zeiten – und in denen waren der Tourismus, die Gastronomie, die Veranstaltungsbranche in ganz Österreich in den letzten Jahren und Jahrzehnten – diese Vollbremsung zu erleben. Wir haben vor allem über den Sommer versucht, mit Hochdruck daran zu arbeiten, für die Veranstaltungsbranche Lösungen und Perspektiven zu bieten. Natürlich haben auch wir schon gesehen, dass die Infektionszahlen wieder steigen werden, so wie in allen ande­ren Ländern auch, die vor allem Schulen wieder geöffnet haben, als dann die Tempera­turen wieder kühler geworden sind, die Menschen sich wieder stärker in den Innenräu­men aufgehalten haben. Und wir alle können nicht zu 100 Prozent sagen, wann sich die Situation wieder verbessern wird, wann wir wieder zu einer Normalität kommen. Wir hof­fen sehr, dass es vor allem mit erstem Quartal 2021 im Bereich der medikamentösen Behandlungen von Corona und vor allem auch im Hinblick auf einen Impfstoff massive Erleichterungen geben wird, aber ob und wann es wirklich so weit sein kann, ist de facto zurzeit noch ein Glaskugellesen.

Speziell in Österreich – und ich glaube, darauf können wir schon sehr stolz sein, und ich glaube, jeder von uns genießt das auch in der einen oder anderen Form – prägt das gesellschaftliche Zusammenleben die starke Veranstaltungs-, Messe- und Kongress­branche sehr stark. Egal ob das das Nova Rock Festival ist, ob das die Sommernachts­gala in Grafenegg ist, ein Radiologenkongress, der international Beachtung findet, bis hin zu einer Energiesparmesse: All diese Events, all diese Veranstaltungen, Messen, Kongresse sind wesentlich für das gesellschaftliche, das kulturelle, aber vor allem auch für das wirtschaftliche Leben in Österreich. Sie gehören – neben der Städtehotellerie, der Reiseveranstaltungsbranche, den Reisebüros, dem gesamten Tourismus – zu den Branchen, die seit Beginn der Krise besonders hart getroffen sind und denen die Ge­schäftsgrundlage teilweise mit über einem dreiviertel Jahr ohne Einkünfte vollkommen fehlt. Das waren nämlich jene, die als Erste zusperren mussten und über den gesamten Sommer hin massive Einschränkungen zu verzeichnen hatten.

Das bedroht sehr, sehr viele Existenzen, das bedroht aber vor allem auch enorm viele Arbeitsplätze der vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denn die Veranstaltungsbran­che lebt ja nicht von dem einen Veranstalter, sondern es steht eine ganz große Wert­schöpfungskette vor und hinter diesen Veranstaltungen. Sie generieren Nächtigungen und sorgen somit natürlich auch für Arbeitsplätze.

Die österreichische Veranstaltungswirtschaft besteht aus einer Vielzahl unterschiedli­cher Unternehmen in den Bereichen, und auch die indirekt damit verbundenen Unter­nehmen und Selbstständigen trifft dies unmittelbar und vor allem mit voller Wucht. Es betrifft Veranstaltungstechnik, Locations, die Caterings, den Messebau, die Securities, Kongress-, Messe-, Kultur- und Sportveranstalter, aber auch beispielsweise Druckerei­unternehmen, Personalbereitsteller bis hin zur Hotellerie, Eventagenturen, Künstlerin­nen und Künstler und auch Moderatoren. Der Wirtschaftszweig Event erwirtschaftet rund


BundesratStenographisches Protokoll914. Sitzung, 914. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2020 / Seite 66

9 Milliarden Euro Wertschöpfung und trägt somit mit fast 3 Prozent zur österreichischen Wirtschaftsleistung bei, und ich glaube, das ist schon eine sehr eindrucksvolle Zahl.

Speziell die Herbstmonate, in denen wir uns jetzt gerade befinden, sind eine der Hoch­saisonen bei Veranstaltungen. Zwei Drittel aller gemeldeten Veranstaltungen fallen auf die Bundesländer und mehr als ein Drittel auf die Bundeshauptstadt Wien. Grund für die hohe Absagequote waren natürlich auch die Reisewarnungen und die Einschränkungen vor dem zweiten Lockdown, und wegen der Ungewissheit im Hinblick auf das künftige Infektionsgeschehen und die damit verbundenen Einschränkungen ist die Planung von Veranstaltungen derzeit mit einem erheblichen Risiko verbunden.

Die im weiteren Verlauf zurückhaltende Konzeption von Veranstaltungen führt natürlich zu einer Stagnation in den vor- und nachgelagerten Bereichen der Wertschöpfungskette. Deshalb soll dieser Schutzschirm auch für Veranstalter zur Verfügung gestellt werden. Unser Ziel ist eine Ermöglichung der Planung und Durchführung von Veranstaltungen in Österreich trotz der Coronakrise. Umfasst sein sollen Business-to-Business- und Busi­ness-to-Consumer-Veranstaltungen, Kongresse, Messen, Gelegenheitsmärkte wie auch kulturelle Veranstaltungen und Sportveranstaltungen.

Wir wollen damit Veranstalter, die das wirtschaftliche Risiko der Veranstaltung tragen, unterstützen, unabhängig von der jeweiligen Rechtsform, der Unternehmensgröße und dem Unternehmenssitz, und wir wollen einen Ausgleich des finanziellen Nachteils aus einer Corona-bedingten Absage oder Corona-bedingten wesentlichen Einschränkungen der Veranstaltungen übernehmen. Alle Aufwendungen für Leistungen Dritter in der Wert­schöpfungskette, das sind eben Lieferanten, Techniker, Caterer, Künstler bis hin zu Flo­risten und alle, die ihren Anteil zum Gelingen von Veranstaltungen, Messen und Kon­gressen beitragen und in die Planung und Durchführung der förderungsgegenständli­chen Veranstaltung miteingebunden sind, sollen damit auch unterstützt werden.

Die Abwicklung soll über die Österreichische Hotel- und Tourismusbank erfolgen. Die ÖHT ist für uns im Tourismus, in der Gastronomie wirklich zu einem unverzichtbaren und wichtigen Instrument geworden. Auch an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir sind bereits dabei, auch da personell aufzustocken, damit die Abwicklung wirklich schnell und umfassend erfolgen kann.

Geschätzte Damen und Herren, es braucht Monate, um große Veranstaltungen, Kon­gresse, Messen zu planen, sie vorzubereiten. Mit diesem Veranstalterschutzschirm ge­ben wir eine gewisse Art von Planungssicherheit, auch wenn wir nicht hundertprozentig sagen können, wann die Coronapandemie endgültig besiegt ist, wann es wieder vollstän­dige Reisefreiheit gibt, wann wir wieder von Kapazitätsbeschränkungen und Auflagen Abstand nehmen können. Genau diese Veranstalterbranche ist uns aber sehr wichtig, liegt uns sehr am Herzen, und wir werden sie maximal unterstützen. Deshalb darf ich heute auch um Ihre Zustimmung bitten. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

17.31


17.31.22

Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Danke, Frau Bundesministerin.

Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Debatte ge­schlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.


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17.31.514. Punkt

Bericht der Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus betref­fend Tourismus in Österreich 2019 (III-717-BR/2020 d.B. sowie 10431/BR d.B.)


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Wir gelangen nun zum 4. Punkt der Tages­ordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Elisabeth Mattersberger. – Ich ersuche um den Bericht.


17.32.21

Berichterstatterin Elisabeth Mattersberger: Hohes Präsidium! Frau Bundesministerin! Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Tourismus, Kunst und Kultur über den Bericht der Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tou­rismus betreffend Tourismus in Österreich 2019.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, ich komme daher gleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Tourismus, Kunst und Kultur stellt nach Beratung der Vorlage am 3. November 2020 den Antrag, den Bericht der Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus betreffend Tourismus in Österreich 2019 zur Kenntnis zu nehmen.


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Danke vielmals für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster hat sich Bundesrat Otto Auer zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Kollege.


17.33.23

Bundesrat Otto Auer (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Ge­schätzte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste hier und zu Hau­se! Österreich ohne Tourismus ist nicht Österreich; unsere Gemütlichkeit, unsere Gesel­ligkeit, das ist das, was die Menschen zu uns bringt, und das, was ihnen bei uns den Aufenthalt so schön gestaltet.

Der Tourismusbericht 2019 weist sehr imposante Zahlen auf. Zum einen trägt der Touris­mus einen Anteil von 7,3 Prozent zum BIP bei, was eine Gesamtsumme von mehr als 38 Milliarden Euro ausmacht. 220 000 Menschen sind in dieser Branche beschäftigt und machen es mit ihrer Leistung, mit ihrer Arbeit und mit ihrem Verhalten den Gästen bei uns schön, damit sie sich wohlfühlen.

Dann kam der März und Covid hat all das unterbrochen. Die Firmen, die Betriebe hatten große finanzielle Einbußen, aber dank der Hilfe der Regierung und durch dich, Frau Mi­nister, konnte hier allzu Schlimmes abgewendet werden oder es ist noch in der Abarbei­tung. Genauso trifft es die Landwirtschaft als Zulieferer – da gab es viele fruchtbringende Gemeinschaften: Landwirtschaft und Tourismusbetriebe, die gemeinsam für genug Ein­kommen und für Arbeitsplätze sorgten. Die Landwirtschaft pflegt auch die Regionen, pflegt die Almen, pflegt die Wiesen und stellt diese gepflegte Landschaft dem Tourismus gratis zur Verfügung.

Gastronomie und Landwirtschaft sitzen in dieser Branche, in diesem System im selben Boot. Ein Maßnahmenpaket für alle ist daher dringend notwendig gewesen und wurde auch seitens der Bundesregierung umgesetzt. Ob Fixkostenzuschuss, Kurzarbeit, Kre­dite und Stundungen oder die Investitionsprämie, all das ist Hilfe für unsere Betriebe, die langfristig gesehen Arbeitsplätze erhalten und auch wieder einen schnellen Start ge­währleisten. Es gilt, wieder 153 Millionen Nächtigungen zu erreichen. Die Konkurrenz ist groß, auch andere Länder machen ihre Hausaufgaben, aber durch die Hilfen wird es möglich sein, dass die Strukturen erhalten bleiben und ein schneller Start möglich ist. Daher müssen alle Hilfen und Unterstützungen für den Erhalt der Betriebe und der Ar­beitsplätze verwendet werden.


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Danke der Regierung, dass diese zielorientierten Maßnahmen durchgeführt werden und den Betrieben wirklich geholfen wird. Ziel muss es sein, die 15 Prozent, die der Touris­mus – zusammen mit der Freizeitwirtschaft – zur Wirtschaftsleistung beigetragen hat, wieder zu erreichen – und das, wenn möglich, schnell, denn nur durch große Einnahmen und durch Wertschöpfung kann man Arbeitsplätze und Wohlstand weiter absichern.

Die Begleitmaßnahme, die wir dazu aus Sicht der Landwirtschaft und auch des Touris­mus, der Tourismusbetriebe benötigen, ist die Herkunftskennzeichnung, die uns Regio­nalität garantiert. Die Chance, uns in einem Zeitraum wie jetzt zu positionieren, ist sehr, sehr groß, und ich appelliere an alle hier, über die Herkunftskennzeichnung auch die Regionalität zu stärken. Da kann eine fruchtbringende Symbiose aus Tourismus und Landwirtschaft entstehen, die Genuss und Erholung für unsere Gäste bringen kann. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

17.36


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Danke vielmals, Herr Bundesrat.

Als Nächster gelangt Kollege Günther Novak zu Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.


17.36.47

Bundesrat Günther Novak (SPÖ, Kärnten): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bun­desministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseher zu Hause vor den Bild­schirmen! Wir haben ja den Bericht von Herrn Kollegen Auer gehört – das zu wiederho­len, glaube ich, wäre wahrscheinlich auch für die Zuseher langweilig.

Trotzdem muss man sagen, dass das Jahr 2019 wie die Jahre davor natürlich ein erfolg­reiches Jahr für den Tourismus in Österreich war. Es hat wieder 153 Millionen Nächti­gungen bei 46 Millionen Gästeankünften gegeben. Bei den Herkunftsländern ist vor al­lem Deutschland – mit 50,3 Prozent an erster Stelle – zu nennen. Und wenn man sieht, wie weit dann das nächste Herkunftsland zurückfällt – wie das die Niederlande mit 9,2 Prozent tun –, dann zeigt sich, wie wichtig eigentlich dieser Markt für uns ist.

In Kärnten haben wir innerhalb von drei Jahren wieder 13 Millionen Nächtigungen er­reicht. Das ist wirklich ein sehr guter Wert; in diesem Jahr ein Plus von 0,1 Prozent und 1,8 Prozent bei den Ankünften. Was aber für unser Land als Tourismusland sehr wichtig ist, ist die Wertschöpfung mit 15 Prozent. Dort werden rund 2,4 Milliarden Euro umge­setzt, und in weiterer Folge – und das gilt nicht nur im Bereich der Seen, sondern bis in die Täler und in die Nationalparks hinein – sind es 50 000 Jobs, die direkt oder indirekt vom Tourismus abhängen.

Es wurde auch schon über das TSA, also das Tourismus-Satellitenkonto, gesprochen. Hier bedarf es jetzt noch einmal einen Wert zu wiederholen: Im Jahr 2019 ist dieser aus der Tourismuswirtschaft generierte Gesamteffekt um 2,9 Prozent auf 29,2 Milliarden Euro gestiegen und trug erneut mit 7,3 Prozent zum gesamtwirtschaftlichen Ergebnis bei. Daraus ist der hohe Stellenwert des Tourismus in der österreichischen Wirtschaft zu ersehen.

Zukünftig wird der Erfolg des heimischen Tourismus noch mehr durch die vielfältigen, zukunftsorientierten und -gerichteten Indikationssysteme beurteilt werden – sehr interes­sant –, und das bleibt ja nicht nur beim Jahr 2019, sondern ist in die Zukunft gerichtet, das ist der Masterplan innerhalb des Tourismus.

Ich glaube, dass, wenn man sich den Tourismus anschaut, nicht immer – und das haben wir schon Jahre davor so festgestellt – die quantitative Größe wichtig ist, wie die Nächti­gungen und die Ankünfte sich entwickeln, sondern es gibt sehr viele andere Dinge, die sehr wesentlich und wichtig sind. Die Nachhaltigkeit wurde von den Wirtschaftstreiben­den unter Federführung der Österreich Werbung zukunftsbezogen in drei Dimensionen beleuchtet: Ökonomie, Ökologie und soziokulturelle Ebene. Ziel ist es, all diese Aspekte


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und die Entwicklung des österreichischen Tourismus zu beleuchten und abzubilden. Da geht es wirklich nicht nur allein um die Nächtigungen und Ankünfte, sondern es geht eigentlich um viel mehr. Ein Punkt ist die wirtschaftliche Lage der Betriebe, da ist etwa die fiktive Entschuldungsdauer ganz wichtig. Es geht darum, dass der Gesamtenergie­verbrauch betrachtet und die Energieträger erfasst werden, die ökologische Komponen­te wird auch in diesem Fall berücksichtigt.

Die Zufriedenheit der Gäste ist ein Teilbereich, den wir ja schon lange betrachten – aber ich glaube, es ist wichtig, auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter zu betrachten. Darüber haben wir in den letzten Jahren diskutiert, als es uns allen so gut gegangen ist, dass eigentlich viele Mitarbeiter nicht mehr im Tourismus arbeiten wollten. Das ist ein Thema, dessen sich die Topbetriebe natürlich schon früher angenommen haben und das in Zu­kunft auch sehr, sehr wichtig sein wird, um Mitarbeiter zu bekommen.

Die Digitalisierung und die Förderung für familiengeführte Betriebe sind wesentliche The­men, die ÖHT nimmt sich dieser Familien an, damit sie investieren können.

Die Landwirtschaft wurde angesprochen: Bei uns in Kärnten ist es die Initiative Slow Food Kärnten, die in diesem Bereich neue Maßstäbe setzt. In der Krise haben wir ge­sehen, wie wichtig die Landwirtschaft ist, wenn es darum geht, die Menschen vor Ort zu versorgen.

Von Energiesparmaßnahmen im Hotel bis hin zu Initiativen zur Plastikvermeidung rei­chen die Möglichkeiten, auch sollen Tourismusdestinationen verstärkt zu Klima- und Energiemodellregionen entwickelt werden. Wir haben bei uns im Nationalpark Hohe Tauern, also wo ich zu Hause bin, einen Cluster mit dem Namen Ekuz gegründet. Das ist das erste Europäische Klima- und Umweltbildungszentrum, das sich im Mölltal be­findet. Wir sind jetzt dabei, in diese Richtung etwas aufzubauen, was genau in diesen Bereich hineinpasst, wo Nachhaltigkeit, wo Forschung, wo vor allem Weiterbildung in Zukunft wichtige Rollen spielen werden.

Die Freude über die Erfolge im Jahr 2019 ist groß, das ist richtig und wichtig – aber wir wissen alle, dass der Winter kommt und wir mit einem schleichenden Lockdown kämp­fen. Im Tourismus steigt die Zahl der Arbeitslosen, obwohl die Inlandsurlauber im Som­mer einiges abfedern konnten, wie wir schon von der Kollegin aus Osttirol gehört haben, keine Frage. Wenn ich mir die Zahlen für Mai bis September anschaue: Tirol hat insge­samt trotzdem ein Minus von 26 Prozent – also ist Osttirol ganz sicher in diesem Bereich ein Ausreißer –, wir in Kärnten waren bei 11 Prozent, das Burgenland bei etwa 13 Pro­zent, die Steiermark bei 14 Prozent und Niederösterreich bei 36 Prozent. Das ist also sicher darauf zurückzuführen, dass vor allem die Inländer sehr gern auf Urlaub ins Ge­birge oder in die Seengebiete fahren.

Jetzt befinden wir uns im zweiten Lockdown, und viele Betriebe hatten oder haben gera­de ihre Lager voll, also ich glaube, dass die Vorlaufzeit zu kurz war.

Wie auch immer, wir haben gerade vorhin Änderungen im KMU-Förderungsgesetz be­schlossen – keine Frage, es gibt viele Förderungen, die dafür aufgebracht werden. Wenn ich mir jetzt aber speziell das Thema Tourismus noch einmal herausnehme und diesen Ersatz von 80 Prozent des entgangenen Umsatzes betrachte: Im Grunde genommen kann mir zum heutigen Zeitpunkt keiner sagen, wie dieses Geld ausgezahlt werden soll. Ist da beim November das Weihnachtsgeld enthalten? Sind die Mitarbeiter, die arbeiten, mit dabei?

Ich habe im Ausschuss versucht, einen Mitarbeiter des Ministeriums zu befragen, und die Antwort war: Es gibt keine fertigen Richtlinien. Das betrifft jetzt nicht Sie, Frau Bun­desministerin, sondern es betrifft den Finanzminister mit dem Umsatzsteuergesetz. Tat­sache ist, keiner kann zum jetzigen Zeitpunkt sagen, wie das Ganze finanziert wird. Die­ses Gesetz ist einfach noch nicht da, und jetzt muss ich wirklich sagen, ich bedauere die Betriebe in dieser Hinsicht sehr. (Beifall bei der SPÖ.)


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Auch das Epidemiegesetz ist heute bereits angesprochen worden, das gegolten hat, als am 13. März der erste Lockdown verordnet wurde, bevor wir das erste Covid-19 Gesetz beschlossen haben. Da haben Betriebe der Länder auf Entschädigungen geklagt, da haben Skiliftbetreiber aus Salzburg, Kärnten und Tirol geklagt – auch das ist noch nicht erledigt. Die Tourismusbetriebe haben sicher das große Problem, dass sie im Grunde genommen bei dieser Förderung nicht genau wissen, wie sie dran sind.

Zum Schluss vielleicht noch ein Punkt, der die derzeitige Situation gut widerspiegelt, denn so, wie das abgelaufen ist, meine Damen und Herren, darf es nicht sein: Unsere sozialdemokratischen Landeshauptleute wurden zu diesem Thema nicht eingebunden. Die türkisen Landeshauptleute haben die Informationen schon am Wochenende bekom­men, und es hat eine Runde ausgesuchter Journalisten gegeben, die all diese Informa­tionen bekommen haben – unsere Landeshauptleute haben die Informationen um 1 Uhr nachts bekommen. Es ist ihnen versprochen worden, dass alles mit ihnen abgesprochen werden würde – ja, am Samstagvormittag ist das dann passiert. Wie Landeshauptmann Doskozil gesagt hat: Das ist gelinde gesagt eine Frechheit, die Konferenz am Samstag sei absolut wertlos gewesen und habe nur dazu gedient, dass der Kanzler danach sagen konnte, er hätte ohnehin mit den Ländern gesprochen. So kann es bitte schön nicht ge­hen! (Beifall bei der SPÖ.)

Abschließend muss man noch ein Danke an die Sozialpartner aussprechen, die wirklich tolle Verhandlungen geführt haben, sie haben für die Mitarbeiter einmalig 100 Euro he­rausgeholt. Es ist auch darum gegangen, wann dieses Gesetz, das halt noch nicht fertig ist – oder vielleicht werde ich von Ihnen hören, wann wir wirklich wissen, wie es dann in weiterer Folge ausschaut –, stehen wird. Man sollte sich vielleicht ein bisschen mehr an die Deutschen halten, was man erkennt, wenn man sich das anschaut, und an Frau Merkel, denn die steht sicher nicht auf, bevor sie mit den Betrieben und den Wirtschafts­treibenden gesprochen hat, um etwas zu verkünden. Sie verkündet erst dann etwas, wenn das Ergebnis sicher ist (Bundesministerin Köstinger: Mhm, sicher!) – nicht dass dann Verordnungen beschlossen werden müssen, von denen keiner weiß und die dann schlussendlich vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben werden.

Wir werden diesem Bericht natürlich zustimmen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

17.47


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bun­desrätin Marlies Steiner-Wieser. – Bitte, Frau Bundesrätin.


17.47.45

Bundesrätin Marlies Steiner-Wieser (FPÖ, Salzburg): Herr Vorsitzender! Werte Kolle­ginnen und Kollegen! Geschätzte Frau Minister! Hohes Haus! Der vorliegende Bericht „Tourismus in Österreich 2019“ zeigt uns ganz eindrucksvoll, wie wichtig der Tourismus in diesem Land ist. Er schafft Arbeitsplätze und Wertschöpfung, und er bringt oft Wohl­stand in entlegene, kleinere Gebiete. 2019, wir haben es schon gehört, haben wir 153 000 Übernachtungen gehabt (Bundesrat Schreuder: Millionen!) – 153 Millionen Übernachtungen bei 46 Millionen Ankünften. Besonders stolz macht es mich als Salz­burgerin klarerweise, dass ein großer Teil dieser Nächtigungen auf mein Heimatbundes­land entfällt.

Das alles ist aber leider Vergangenheit: Unser Tourismus liegt am Boden, mit einem Handstreich hat die schwarz-grüne Regierung den Tourismus und die Freizeitwirtschaft nachhaltig schwerstens geschädigt. (Zwischenbemerkung von Bundesministerin Köstinger.)

Im Bericht lese ich: Durch die Coronakrise hat die „gesamte Branche eine Vollbremsung hingelegt“. Ich sehe das anders und möchte korrigieren: Nicht Corona hat die Krise ver­ursacht, sondern es waren sehr wohl die Maßnahmen dieser schwarz-grünen Regie­rung, und es war keine Vollbremsung, die da hingelegt wurde, sondern es war ein Horror­crash mit Totalschaden! (Beifall bei der FPÖ.)


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Seit Monaten wird mit Angst- und Panikpolitik gearbeitet und bewusst Unsicherheit ge­schürt. Kaum war der erste Lockdown überstanden, hat man schon fast täglich gehört, wie vor einem zweiten Lockdown gewarnt wurde – ihr habt ja den zweiten Lockdown regelrecht herbeigebettelt! (Zwischenruf bei der ÖVP.) Ihr habt es ja tatsächlich ge­schafft, dass sich bei dem ganzen Verordnungswirrwarr keiner mehr ausgekannt hat!

Jawohl, es gibt dieses Virus. Jawohl, wir sollten auf Hygienemaßnahmen achten, wir sollten aufpassen – aber auch zum Beispiel der Chef der Ages sagt ja, dass das Virus Gott sei Dank nicht so schlimm ist, wie wir alle im Frühling noch befürchtet haben. Damals haben wir ja erwartet, dass es eine Sterblichkeitsrate von 30 Prozent gibt – Gott sei Dank liegt sie nur bei 0,23 Prozent.

Ich muss sagen, wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben und uns nicht zu Tode zu fürchten, denn zu Tode gefürchtet ist auch gestorben. Vor diesem Hintergrund betrach­tet, setzt die schwarz-grüne Regierung Maßnahmen, welche völlig überzogen sind.

Alleine, wenn ich mir die wirklich unsinnigen Sperrstundenregelungen anschaue, welche in Vorarlberg, Tirol und Salzburg durchgezogen wurden: ohne Notwendigkeit! Ohne Not­wendigkeit mussten die Lokale um 22 Uhr schließen, das hat einen wirklich massiven Schaden für die Gastronomie, den Tourismus und die Freizeitwirtschaft hinterlassen. Wir Freiheitliche haben eindringlich gewarnt, dass man die Sperrstunde nicht vorverlegen sollte, weil sich dann eben alles in den privaten Bereich verlagert – und genau das war dann das Argument, das zu weiteren schwarz-grünen Maßnahmen geführt hat.

Ein ähnliches Thema ist die Totalsperre eines ganzen Orts im Fall von Kuchl in Salzburg: Gar nichts hat es gebracht! Die 14 Tage Quarantäne sind vorbei – jetzt befinden wir uns im Lockdown, und Kuchl wird doppelt bestraft. Die einzige Folge war, dass die Wirtschaft geschädigt und Arbeitsplätze gefährdet wurden. So zieht es sich durch all diese Be­schränkungen: Verbote und Gebote haben ausschließlich einen bitteren Nachge­schmack für die Wirtschaft und den Tourismus, aber sie werden sicherlich nicht zur Be­kämpfung des Virus und der Pandemie beitragen können.

Ihr fahrt über die Menschen drüber, dass es mir nicht mehr wurscht ist, es ist einfach nicht mehr lustig! Ihr greift in Lebensbereiche ein, in denen der Staat nichts verloren hat. Die Feste und Traditionen, welche uns Österreichern lieb und wichtig sind, werden ein­fach kaputt gemacht: Ostern, vor Kurzem Allerheiligen und jetzt das Martinsfest (Ruf bei der FPÖ: Nikolaus!), und wie es aussieht, wird es keine Christkindlmärkte geben, und Weihnachten wird vielleicht auch noch ausfallen.

Mit dem zweiten Lockdown, den die schwarz-grüne Regierung jetzt ausgerufen hat, wur­den Gastronomie und Hotellerie zur Gänze geschlossen, das ist ein nicht wiedergutzu­machender Anschlag auf den Tourismus und auf die heimische Wirtschaft. Es wird Ar­beitslose geben Ende nie, es gibt jetzt schon einen massiven Anstieg der Arbeitslosig­keit. Den Unternehmen wird Geld versprochen – aber dann liest man, dass der Präsident der Wirtschaftskammer Salzburg in den Medien beklagt, dass noch immer Zahlungen vom ersten Lockdown ausständig seien. Wie wollt ihr das denn bewerkstelligen, wenn noch nicht einmal Vergaberichtlinien für die Gelder, die den Unternehmen versprochen wurden, da sind?

Es kommt aber noch besser: die Ausgangssperre, wir werden weggesperrt! Von 20 Uhr am Abend bis 6 Uhr in der Früh werden wir weggesperrt – das, meine Damen und Herren, ist ein massiver Eingriff in unsere Grund- und Freiheitsrechte! (Beifall bei der FPÖ.)

Es ist für mich unfassbar. Ich möchte mir nicht vorstellen, was geschehen wäre, wenn die Freiheitlichen die Menschen eingesperrt hätten, damals, als wir in der Regierung gesessen sind. Da hätten wir nicht nur die Donnerstagsdemonstrationen gehabt, son­dern ich glaube, da wäre von Montag bis Sonntag demonstriert worden, hätten wir Frei­heitliche uns erlaubt, Menschen von 20 Uhr am Abend bis 6 Uhr in der Früh einzusperren!


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Jetzt aber ist alles in Ordnung, man sperrt die Menschen einfach weg. Was kommt dann als Nächstes? Müssen wir am Abend, wenn es dunkel wird, vielleicht das Licht abdrehen und zu Hause verdunkeln, weil uns das Virus angreifen könnte? Mir schaudert es wirklich bei diesen ganzen Wahnsinnigkeiten.

Ihr habt die Österreicher mit Szenarien und Schauermärchen in Angst und Schrecken versetzt, und es ist egal, wenn dabei mit Halb- und Unwahrheiten gearbeitet wird. Ich schaue wieder nach Salzburg: Der ÖVP-Landeshauptmann hat vor ein paar Wochen mit ganz betretener Miene erklärt, die Patientenzahlen hätten sich „bei den Intensivbetten verfünffacht“ – was er nicht dazugesagt hat, ist, dass es zuerst einen Intensivpatienten und dann fünf Intensivpatienten gab. Ich meine, fünf sind auch schlimm, nur man braucht nicht zu übertreiben und mit Halbwahrheiten zu arbeiten. Wenn man nämlich weiß, dass die Zahl von einem auf fünf Patienten gestiegen ist, klingt das anders, als wenn man sagt, um Gottes Willen, die Zahl der Intensivpatienten hat sich verfünffacht. Es wird be­wusst mit Angst und Unsicherheit gearbeitet. (Beifall bei der FPÖ.)

Noch einmal Salzburg: Während des ersten Lockdowns gab es in Salzburg ein eigenes Covid-Haus. Weil man dachte, dass die Situation ganz dramatisch wird, wurden im Ausstellungszentrum sofort extra 700 Betten für ein Covid-Zusatzspital errichtet. Im Juni wurden die Grenzen geöffnet, und dann ist wieder alles heruntergefahren worden. Das Covid-Haus ist aufgelöst, die 700 Betten im Ausstellungszentrum gibt es nicht mehr. Jetzt muss ich aber schon fragen: Wie gibt es denn das? Ist die Situation aktuell nicht mehr so schlimm, dass man das nicht mehr braucht, oder werden wir alle zusammen mit dieser Panikmache nur gepflanzt? Ich verstehe es nicht!

Wenn man dann kritisch ist, heißt es sofort: Ihr seid Coronaleugner (Bundesrat Schreu­der: Ja, seid ihr ...!), ihr seid Gefährder, ihr seid Aluhutträger. Es ist unglaublich: Wenn man den Mund aufmacht, wenn man sich hinter das österreichische Volk stellt und nicht der Regierung nach dem Mund redet, dann wird man dann sofort diffamiert und in eine Ecke gestellt. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)

Ihr wart diejenigen, die wochenlang und monatelang mit dem Finger auf die Österreicher gezeigt haben! Ihr wart es, die gesagt haben: Ihr seid schuld! Mit erhobenem Finger habt ihr gesagt: Wenn ihr nicht brav folgt, wird es zu Reisewarnungen kommen, wenn ihr nicht brav folgt, wird es zu einem zweiten Lockdown kommen – unglaublich, was sich da abge­spielt hat!

Die momentane Situation haben sicherlich die ÖVP und die Grünen zu verantworten. Alleine, wenn man an die Ampelregelung denkt – so gut diese Ampelregelung gemeint gewesen sein mag –: Jeden Tag hat man gehört, dass es rote Gebiete gebe, und, ach, wie gefährlich es sei, in Österreich herumzufahren. – Na was erwartet ihr euch denn bitte schön, liebe Bundesregierung, na klar ist es dann zu Reisewarnungen gekommen! Glaubt ihr wirklich, dass ich einen Österreicher irgendwo hinschicken würde, wo es ge­fährlich ist? So ist es uns gegangen, aber das ist ein hausgemachtes Problem.

Das Einzige, wo wir hinsteuern, ist eine psychische Pandemie. Die Menschen leiden unter finanziellen Problemen, sie leiden unter den Kontaktbeschränkungen, unter sozia­ler Isolation, unter Überforderung durch das Homeschooling und, und, und.

Um dieser psychischen Pandemie entgegenzusteuern und um den Menschen auch hel­fen zu können und nicht zu wenig Ressourcen zu haben, bringen wir folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Marlies Steiner-Wieser, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Aus­bau der psychosozialen Angebote in den Bundesländern im Zusammenhang mit der Covid-19-Tourismuskrise“


BundesratStenographisches Protokoll914. Sitzung, 914. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2020 / Seite 73

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pfle­ge und Konsumentenschutz wird ersucht,

1) eine grundlegende Reform der psychischen Versorgung in Österreich rasch einzu­leiten sowie

2) im Zuge dieser Reform eine Gleichbehandlung der Berufsgruppen Klinische Psycho­logen, Psychiater und Psychotherapeuten anzustreben und gesetzlich zu verankern.“

*****

Ich bin neugierig, ob Ihr diesem Antrag zustimmen werdet. In Salzburg haben wir einen ähnlichen Antrag eingebracht, zumindest ist der Antragstext derselbe, da haben die Grünen und die Schwarzen zugestimmt. Die Roten sowieso, die haben da ein wenig mehr Verständnis, sagen wir einmal, was das Soziale und die Psyche der Menschen angeht. (Heiterkeit bei der SPÖ.)

In diesem Sinne möchte ich nur noch eines sagen: Liebe ÖVP und liebe Grüne, die ihr in der Bundesregierung seid, wenn es eine Zeugnisverteilung gäbe, bekämt ihr von mir ein glattes Nicht genügend! All die Dinge, die jetzt auf uns zukommen, habt ihr zu ver­antworten. – Ich hoffe, dass die Menschen bei der nächsten Wahl daran denken. –Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

17.59


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Der von den Bundesräten Marlies Steiner-Wieser, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Aus­bau der psychosozialen Angebote in den Bundesländern im Zusammenhang mit der Co­vid-19-Tourismuskrise“ ist genügend unterstützt und steht mit in Verhandlung.

Als Nächster zu Wort gemeldet, wie wir sehen, ist Herr Marco Schreuder. – Bitte, Herr Kollege.


17.59.33

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Herr Präsident! Frau Ministerin! Sehr ge­ehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe im Bundesrat schon sehr viel erlebt, aber diese Rede war schon sehr perfide, wenn ich dieses Wort benutzen darf. Das war die perfi­deste Rede, die ich hier in meinem Leben je gehört habe. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Zwischenruf bei der SPÖ.) – Perfid, ja. (Ruf bei der SPÖ: ... übersetzen! – Heiterkeit der Bundesministerin Köstinger.– Schauen Sie auf Google nach, ich helfe gern bei der Bildung, Herr Kollege! Sie können natürlich auch eine andere Suchmaschine verwen­den. (Bundesrat Schennach: Ich habe es nur akustisch nicht verstanden, deshalb habe ich nachgefragt!)

Ich frage mich nur: Ist jetzt Schwarz-Grün schuld daran, dass die Copacabana leer ist? (Zwischenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser.) Sind wir verantwortlich dafür, dass nach Machu Picchu keine TouristInnen mehr kommen können? Sind wir verantwortlich, dass im Moment global derzeit nicht - - (Zwischenruf bei der SPÖ.) – Ja, der eine Japaner, der hat Glück gehabt, ja, der hat Glück gehabt. Ich habe ihn ein bisschen beneidet, muss ich ganz ehrlich sagen. (Bundesrat Schennach: Das war sensationell, dass der dort hingekommen ist!) – Ja.

Aber es ist tatsächlich so, dass ja nicht nur Österreich kämpft. Wir ringen um Lösungen, wir wissen um das Problem. Wenn ich mir den Tourismusbericht 2019 anschaue – und ich will die Zahlen, ich habe sie auch alle vorbereitet, jetzt gar nicht wiederholen, wozu auch? –, dann werde ich auch nostalgisch, und ich würde mir wünschen, wir könnten über diese Zahlen sprechen und wir könnten diese Zahlen 2020 fortsetzen.


BundesratStenographisches Protokoll914. Sitzung, 914. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2020 / Seite 74

Kein Mensch will diese Einschränkungen! Aber wenn Sie sich hier herstellen und so tun, als sei das ein Plan, ein Masterplan (Bundesrätin Steiner-Wieser: Na was denn sonst?!) oder was immer, dann muss ich sagen: Ja, dann haben Sie einen Aluhut auf! (Neuerli­cher Zwischenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser.) Ja, dann sind Sie eine Verschwö­rungserzählerin! Und das weise ich hier vehementest zurück! Ich finde es wirklich nicht statthaft, so etwas hier zu behaupten. (Beifall bei Grünen und ÖVP.) – Da werde ich zornig, tut mir leid. (Zwischenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser.)

Ich selbst hatte das Glück – es ist mir fast peinlich zu sagen – bei einem Gewinnspiel eine Reise zu gewinnen. (He-Rufe bei der SPÖ.) Ich wollte das spenden, ich wollte das tatsächlich spenden (Bundesrat Schennach: Aber?!), aber das durfte ich nicht. (Bun­desrat Schennach: Aber?!) Ich war dort: Urlaub am Bauernhof, eine Woche in Neukir­chen am Großvenediger, wunderschön. (Zwischenruf des Bundesrates Novak. – Bun­desrat Schennach: Sehr schön dort, ja! – Bundesrätin Mühlwerth: Coronagebiet!) Es ist wunderschön. Das war genau in der Zeit Ende Oktober, als die ersten Reisewarnun­gen kamen, und in dem Ort, in unserem Bauernhof, waren auch deutsche Gäste, und die mussten abreisen, nicht weil Schwarz-Grün oder Türkis-Grün so böse ist, sondern weil Deutschland eine Reisewarnung ausgesprochen und gesagt hat: Wenn ihr zurück­wollt, müsst ihr in Quarantäne! – Na no na net sind die abgereist!

Wir alle leiden darunter – es ist doch nicht lustig, ich finde das schrecklich! –, aber wir müssen damit leben, und wir müssen damit agieren und wir müssen irgendwie eine Lösung finden. Und wenn wir den Unternehmern und Unternehmerinnen, die im Gastro­nomiebereich tätig sind, jetzt in diesem Lockdown 80 Prozent geben, dann ist das eine Hilfe und wirklich kein Grund, finde ich, hier herumzulamentieren. Da wird etwas getan. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Meine Grundsatzrede, die ich zum Tourismus halten wollte, lasse ich jetzt bleiben. Ich bin wirklich empört, aber auch froh, bei der Gruppe zu sein, die hilft, statt zu jammern. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

18.03


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Nächster Redner ist Bundesrat Ing. Eduard Köck. – Bitte, Herr Bundesrat.


18.03.33

Bundesrat Ing. Eduard Köck (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Minister! Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseher! Ich bin auch noch ein bisschen schockiert von dem, was da abgegangen ist. Da weiß man gar nicht so schnell, was man darauf antworten soll. Mir ist nur so in den Kopf gekommen: Trump ist auch weiblich, Fakenews, alternative Fakten und vieles mehr. Ich kann nun einen kleinen Exkurs zur Wahrheit machen. (Bundesrat Steiner: Über­treib es nicht! – Bundesrätin Mühlwerth: Du bist heute wieder einmal super!)

Mein Sohn ist gestern mit einem Knochenödem ins Krankenhaus gefahren, wollte sich behandeln lassen. Er ist nach Hause geschickt worden, weil sie ihm gesagt haben, sie haben keine Kapazitäten mehr. Am Abend hat mich der Bezirkshauptmann angerufen, weil wir wieder einmal neue Fälle in unserem Gemeindegebiet haben, und auch er hat mir bestätigt: Die Intensivstation in unserem Krankenhaus ist voll. Das ist die Wahrheit, Frau Kollegin Steiner-Wieser, und jedem, der so redet wie Sie, sage ich jetzt: Unter­schreib eine Patientenverfügung, dass du kein Intensivbett willst, wenn du Corona hast! Denn nur wenn Sie das machen, meinen Sie auch ernst, was Sie gesagt haben! (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Denn eines möchte ich nicht: dass ein Coronaverleugner ein Intensivbett bekommt, und jemand, der sich an die Maßnahmen gehalten und mitgearbeitet hat (Oh-Rufe bei FPÖ und SPÖ), dass diese Krise so klein bleibt, wie sie ist, keines mehr bekommt! Das will


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ich nicht! (Zwischenrufe der BundesrätInnen Rösch und Schumann.) Wenn Sie das ernst meinen, unterschreiben Sie eine Patientenverfügung! Denn die Coronaleugner haben diese Krise dahin gebracht, wo sie ist. (Bundesrätin Mühlwerth: Ist dir eigentlich klar, was du da gerade gesagt hast?! Ist dir das bewusst, was du da gerade gesagt hast?) – Natürlich weiß ich das, natürlich weiß ich das. Ich sage zu jedem: Mach es freiwillig! Wenn du Corona leugnest, mach das freiwillig! Dann meint man es ernst. (Zwi­schenruf des Bundesrates Rösch. – Bundesrat Steiner: Man kann es auch übertreiben!)

Zu dem Thema, wie man mit einer Krise umgeht oder nicht: Da wird es immer so sein, dass ihr beziehungsweise Kickl sagt, das war zu spät oder zu früh, dass es zu wenig oder zu viel war oder zu schnell oder zu langsam, das ist nun einmal so. In einer Demo­kratie sagt die Opposition immer, das passt nicht. Wir von der Regierung, gestützt auf Experten, sagen natürlich: Wir machen es so gut wie möglich! (Neuerliche Zwischenrufe der BundesrätInnen Steiner und Mühlwerth.)

Man muss sich aber auch einmal ansehen, wie das von außen betrachtet wird. Da gibt es die Economist Intelligence Unit, ein Institut von britischen Forschern, die alle OECD‑Län­der dahin gehend beleuchtet haben, wie sie die Coronakrise gemanagt haben. In diesem Vergleich schneidet Österreich mit dem zweiten Platz hinter Neuseeland ab. Dann gibt es die Londoner Deep Knowledge Group, eine Firma, die die Wirtschaftsstandorte be­leuchtet und ein Ranking gemacht hat, wie und wo die Wirtschaftshilfen der Staaten, um die Coronakrise zu bewältigen, am besten gewirkt haben. Und auch da ist Österreich auf dem zweiten Platz. (Bundesrat Pisec: Da gibt es einen Artikel von der FAZ: Es ist genau umgekehrt!) Das sind unabhängige Bewertungen vom Ausland und nicht vom Inland, und die zeigen, wie da gearbeitet worden ist und gearbeitet wird. Und das stellt uns ein sehr gutes Zeugnis aus. (Bundesrat Pisec: Na, stimmt net!)  Doch, das ist so! (Bundes­rat Schennach: Aber nicht für den Inhalt ...!) – Doch, doch!

Zurück zum Bericht: Der Tourismusbericht 2019 ist für ein so kleines Land wie Österreich fulminant. Man sieht, wie viel die Menschen in Österreich geleistet haben, aber natürlich gehört auch die Regierung dazu, und man sieht da auch, wie gut die Regierung ge­arbeitet hat. Dafür ein herzliches Dankeschön! (Bundesrat Schennach: Jetzt wird es aber ein bisschen peinlich!) Man sieht in diesem Bericht auch, wie wichtig der Tourismus für Österreich ist und wie viele davon profitieren, leben und daran verdienen. (Zwischen­ruf der Bundesrätin Schumann. – Ruf bei der SPÖ: Sprecher der Seilbahnen?)

In Regionen mit sehr viel Tourismus sollten auch alle Beteiligten profitieren, sonst gibt es Probleme, auch das mussten wir 2019 sehen, und zwar aufgrund des Urteils bezüg­lich der Almen. Wenn alle gut daran verdienen, so ist es nicht gut, dass dann einer allein dasteht, wenn etwas passiert. Letzten Endes brauchen wir die Grundbesitzer und Land­wirte für unsere touristischen Aktivitäten, und es ist klar, dass dort eben vieles passiert: beim Skifahren, beim Wandern und beim Radfahren. Es wurde gut darauf geantwortet: Es gibt ein neues Gesetz. Das ist auch wichtig. Ich kann ja nicht meine Wälder für Rad­fahrer öffnen, und wenn dann ein Ast herunterfällt, bin vielleicht ich der, der die Verant­wortung dafür trägt. Dann werde ich meine Wälder natürlich zusperren. (Bundesrat Schennach: Das geht nicht! Wälder kann man nicht zusperren!)

Wir brauchen da gute Regelungen, aber ich denke, dass wir auch noch Anpassungen brauchen, das habe ich bei meinem Sommerurlaub gesehen. Ich war an einem Tag auf einer Alm, dort waren sicher 20 000 Menschen. (Bundesrat Schennach: Du solltest wissen, dass man Wälder nicht zusperren kann!) Von allen diesen Menschen sind genau zwei nicht auf den Wanderwegen gegangen, und genau diese zwei hatten Hunde, einer war nicht an der Leine. Die fordern natürlich derartige Zwischenfälle heraus, und da, denke ich, brauchen wir noch sehr viel Bewusstseinsbildung, und vielleicht müssen wir da und dort auch noch nachschärfen, damit in Zukunft eine gewisse Sicherheit gegeben ist.


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Es ist schon angesprochen worden: Es gibt einen Masterplan für Tourismus, der in die Zukunft sieht, und ich denke, es ist sehr, sehr gut, Frau Minister, dass Sie das in die Hand genommen haben mit den richtigen, guten Schwerpunkten wie Nachhaltigkeit, Ökoenergie, Werbung und Finanzierung – die sind natürlich ganz, ganz wichtig. Ich möchte außerdem die Kulinarik ansprechen, die in Österreich ja ganz toll ist. (Ruf bei der SPÖ: Städtetourismus haben wir vergessen!) – Natürlich ist der Städtetourismus auch wichtig, keine Frage. Auch der schwingt bei der Kulinarik mit. Da können wir sicher noch einiges ausbauen.

Ich weiß nicht, wer von Ihnen schon beim internationalen Salon de l’Agriculture in Paris war. Dort zeigt Frankreich, das ja auf der ganzen Welt für die hohe Qualität seiner Nah­rungsmittel bekannt ist, was es hat, und die ganze Welt fährt dorthin. Die Franzosen haben tolle Marken, die auf der ganzen Welt bekannt sind, und sie vermarkten sie auch gut, aber wir in Österreich machen das um einiges besser, und unsere Produkte sind mindestens genauso gut. Ich denke, was das betrifft, haben wir noch sehr großes Poten­zial mit unseren Heurigen, mit unseren Kellergassen, mit unseren Buschenschanken und Berghütten, die auf der ganzen Welt einzigartig sind und die sich sicher noch sehr viel besser vermarkten lassen.

Die regionale Küche ist sehr wichtig, und, es ist schon angesprochen worden, dazu gehört auch die Regionalität der Grundstoffe, und hierzu ist es wichtig, dass wir auch eine Sicherheit haben, dass die Produkte wirklich aus der Region kommen, und deshalb braucht es dazu auch einen Rahmen, der das garantiert, ein Gütesiegel, mit dem der Tourist sieht, dass er nicht hinters Licht geführt wird.

Ein weiterer Schwerpunkt ist der Radtourismus, und ich denke, das ist ein ganz, ganz wichtiger und guter Schwerpunkt. Ich kann das nur von unserer Region sagen. Ich bin der Obmann einer Kleinregion von 15 Gemeinden, aller Gemeinden unseres Bezirkes, und wir übernehmen auch die Tourismusagenden dieser Gemeinden. Wir haben einen Radweg, der sich auf zwei ehemaligen Bahntrassen befindet, den wir mit Zusatzange­boten ausstatten und auch sehr gut bewerben. Wir waren heuer im August der einzige Bezirk von ganz Niederösterreich, der ein Tourismusplus hatte: Wir hatten plus 40 Pro­zent an Nächtigungen, natürlich von einer niedrigen Zahl ausgehend, die nicht so hoch ist wie im Westen Österreichs, aber trotzdem ist das eben ein Plus. Man sieht: Radtou­rismus ist die Zukunft. Er wird in Österreich immer besser angenommen. Wir können damit vor allem auch die tschechischen Touristen ansprechen. Radfahren hat in Tsche­chien den Stellenwert wie bei uns das Skifahren. Das sehen wir, weil wir unmittelbar an ihre Tourismusregion anstoßen und sehr, sehr viele Gäste zu uns holen können.

Der Bericht 2019 ist sehr, sehr gut, der Masterplan eröffnet viele gute Aussichten in die Zukunft. Aufgrund der Coronakrise muss er vielleicht da und dort angeglichen werden, aber die internationalen Bewerter stellen unserer Regierung ein sehr, sehr gutes Zeugnis aus. (Zwischenrufe der BundesrätInnen Schennach und Grimling.) Ich danke für das gute Krisenmanagement und dafür, dass wir gut durch diese Krise kommen werden. – Danke. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

18.13


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Eva Prischl. – Bitte.


18.13.15

Bundesrätin Eva Prischl (SPÖ, Niederösterreich): Ich habe meine Rede mittlerweile gekürzt, weil ich die letzte Rednerin zu diesem Punkt bin. Es ist schon sehr viel gesagt worden, aber trotzdem ist das ein Thema, das weiterhin polarisiert.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseher und Zuseherinnen! 2019 war


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wirklich ein tolles Jahr für den Tourismus, das haben alle schon gesagt, und das ist richtig. Ich möchte hier eine Lanze für die Städte brechen – die sind mir heute zu wenig angesprochen worden –, denn Tourismus ist nicht nur Wintertourismus, nicht nur Skifah­ren, nicht nur Seen und Natur. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Schreuder.)

Gerade die Städte hat diese Krise sehr stark getroffen, ich habe Zahlen dazu vorbereitet: Die Bundeshauptstadt Wien und die Landeshauptstädte haben im Jahr 2019 12,6 Millio­nen Ankünfte und 26 Millionen Nächtigungen verzeichnet. Das ist nicht zu vernachläs­sigen, das ist ein großer Part, den sie zum Tourismus in Österreich beitragen, das muss schon gesagt werden. Sie haben Rekordwerte verzeichnet. Die Zuwächse bei den Näch­tigungen waren mit 6,6 Prozent wesentlich höher als in Gesamtösterreich mit 1,9 Pro­zent. Das sind Spitzenwerte.

Bei den Nächtigungen führt logischerweise die Bundeshauptstadt Wien mit 17,6 Millio­nen Nächtigungen, das war ein Plus von 6,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – toll, gratuliere den Kolleginnen und Kollegen –, gefolgt von den Landeshauptstädten Salz­burg, Innsbruck, Graz und Linz. Toll, gratuliere noch einmal!

Die Gesamtentwicklung wurde zum überwiegenden Teil von den internationalen Gästen bestimmt. 69 Prozent der Ankünfte und fast 74 Prozent der Übernachtungen wurden von ihnen gestellt.

Diese historischen Höchstwerte 2019 stehen nun in krassem Gegensatz zu 2020. Vor allem die Städte sind die großen Verlierer dieser Gesundheitskrise. Die österreichische Tourismuswirtschaft leidet immens unter diesen massiven Einschränkungen – auf der Angebotsseite durch Schließungen, Betretungsverbote, Veranstaltungsverbote, Reise­warnungen und so weiter. Das Ausmaß dieser Verluste ist nicht absehbar, und es wird lange, sehr lange dauern, bis sich die für Österreich so wichtige Tourismusbranche er­holt. Die Tourismusbranche trägt immerhin 7,3 Prozent zum BIP bei.

Am Beispiel der Wiener Tourismusbetriebe lässt sich dieses Drama statistisch nachwei­sen. So verzeichneten die Wiener Tourismusbetriebe im September des heurigen Jahres um drei Viertel weniger Nächtigungen als im September des Vorjahres. Die Hotelbetten­auslastung betrug damals fast 64 Prozent, jetzt sind es 18 Prozent. 18 Prozent, das ist unbeschreiblich! Der Städtetourismus lebt hauptsächlich vom Kunst- und Kulturangebot sowie vom Kongresstourismus. Gerade bei Kunst- und Kulturangeboten hätte die Re­gierung umsichtiger entscheiden und vorausschauend planen müssen. Durch diesen neuerlichen Lockdown fallen wesentliche und vor allem zahlungskräftige Gruppen weg und damit das Geld, das ansonsten in den Städten geblieben wäre.

Ich habe mit dem Direktor von Wien Tourismus, Norbert Kettner, gesprochen. Er warnt angesichts des nunmehrigen Lockdowns vor einer neuerlichen Verschärfung dieser Si­tuation. Für die Beherbergungsbetriebe, die wieder geschlossen haben, sind die Auswir­kungen immens. Auch wenn der Städtetourismus in den vergangenen Jahren sehr stark zugenommen hat und man 2019 die Umsatzmilliarde geknackt hat, sind die Reserven nun wirklich endgültig aufgebraucht. Seiner Meinung nach braucht es eine Liquiditäts- und Eigenkapitalstärkung. Die Tourismusbetriebe benötigen unbedingt Hilfe zum Über­wintern (Beifall bei der SPÖ), sonst werden einige von ihnen 2021 nicht mehr da sein, wenn der Städtetourismus wieder mit einem Anziehen der Nachfrage rechnet.

Auch die Kunst- und Kulturbetriebe sowie die Kongress- und Eventveranstalter dürfen als systemrelevante Bereiche nicht vergessen werden. Es geht um Ganzjahresarbeits­plätze und um systemkritische Infrastruktur, von der später die Erholung der gesamten Branche abhängen wird. Insofern kann man zu allen Unterstützungsmaßnahmen, die hier angeboten werden, nur Ja sagen. Sie sind auch notwendig.

Wir haben schon gehört: Im Jahr 2019 waren 220 000 unselbstständig Beschäftigte in diesem Bereich – Beherbergung und Gastronomie – tätig. Die Beschäftigungsstruktur sticht vor allem aufgrund des hohen Frauenanteils im Ausmaß von 56 Prozent hervor.


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Die sozialdemokratische Fraktion nimmt den vorliegenden Bericht zur Kenntnis, aller­dings fordern wir weiterhin für die im Tourismus beschäftigten Personen Arbeitszeiten, die eine Teilhabe am sozialen Leben ermöglichen, den Ausbau der Familienverträglich­keit und eine Entlohnung, die den Leistungsanforderungen entspricht. Ein besonderes Anliegen sind uns die Städte und vor allem der Städtetourismus, der wesentlich mehr Aufmerksamkeit und entsprechende Überlebensstrategien verdient. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

18.19


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Zu uns gekommen ist Herr Bundesminister für Inneres Karl Nehammer. Ich begrüße ihn herzlich. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesministerin Elisabeth Köstinger. – Bitte.


18.19.24

Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus Elisabeth Köstinger: Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren Bundesräte! Heute steht der Tourismus­bericht 2019 auf der Tagesordnung, und ich würde gerne auf ein paar der Zahlen aus diesem Tourismusbericht eingehen, weil er meiner Meinung nach schon sehr eindrucks­voll skizziert, wie wichtig der Tourismus, die gesamte Tourismusbranche für den öster­reichischen Wirtschaftssektor, für die Wirtschaftsleistung und damit eben auch für die Sicherung der Arbeitsplätze von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unserem Land ist.

Das Jahr 2019 war ein Jahr der Rekorde. Die Ankünfte haben sich auf 46,2 Millionen belaufen, das war ein Plus von 3 Prozent. Die Nächtigungen in Österreich haben einen Rekordwert von 152 Millionen erreicht. In allen Bereichen haben wir einen Zuwachs er­lebt. Wir haben im Jahr 2019 erstmals auch die Messung des Erfolgs im Tourismus von den reinen Nächtigungszahlen hin auf ein Satellitenkonto umgestellt, das eine viel ge­nauere Betrachtungsweise des Tourismus beinhaltet, das vor allem auch Faktoren wie Eigenkapitalausstattung, Saisonauslastungen und vor allem auch die Wertschöpfung in der gesamten Region und dergleichen miteinbezieht.

Eine sehr eindrucksvolle Zahl aus dem Jahr 2019: Fast 80 Millionen der Nächtigungen wurden allein in Tirol und Salzburg gezählt. Ich glaube, das alleine zeigt auch schon die Bedeutung und Wichtigkeit der Rolle des Tourismus für den gesamten ländlichen Raum.

Im Jahresdurchschnitt 2019 waren allein in der Beherbergung und Gastronomie 222 000 Menschen beschäftigt, das waren wiederum 5 000 Menschen mehr als im Jahr davor.

Wir müssen uns Österreichs Position vor Augen halten, weil wir sie in Zukunft auch wie­der erreichen wollen: Österreich lag 2019 im weltweiten Ranking der Tourismusdestina­tionen an zwölfter Stelle. Wenn man sich anschaut, wo überall auf der Welt Tourismus stattfindet, ist das durchaus etwas, worauf wir sehr stolz sein können und wo wir einfach auch mit aller Kraft wieder hin müssen. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Der Tourismus ist seit Jahrzehnten eine tragende Säule der österreichischen Wirtschaft, und das ist vor allem auf die unfassbar leidenschaftlichen und kreativen Unternehmerin­nen und Unternehmer zurückzuführen. Egal ob in der Gastronomie, in der Beherber­gung, in der Hotellerie – von den Privatzimmervermietern bis hin zu den Fünfsterneho­tels –, es findet sich einfach wirklich unfassbar viel an Kreativität und Leidenschaft, vor allem auch von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Tourismus. Genau dieser Ein­satz und dieser Kampfgeist sind jetzt in dieser Krise deutlich zu erkennen.

An dieser Stelle wirklich ein ganz großes Dankeschön an alle, die sich für den Tourismus einsetzen, die jetzt auch mit uns diesen Weg gemeinsam gehen, die mit uns gemeinsam diesen Bereich auch für die Zukunft wieder fit machen werden und in den nächsten Jah­ren hart daran arbeiten werden, damit wir wieder an die Weltspitze zurückkommen! (Bei­fall bei ÖVP und Grünen. – Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)


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Meine sehr geehrten Damen und Herren, der zweite Lockdown – wir haben es auch schon beim vorhergehenden Tagesordnungspunkt besprochen – betrifft vor allem die Gastronomie, die Veranstaltungsbranche, die Hotels und die Beherbergungsbetriebe massiv. Es gibt vor allem im Städtetourismus eine katastrophale Situation. Während wir heuer, im Jahr 2020, in den Ferienregionen durchaus ganz gute Buchungslagen zu ver­zeichnen hatten, war die Stadthotellerie gänzlich eingebrochen. Das ist vor allem auch darauf zurückzuführen, dass Sportveranstaltungen, Museen, Konzerte gänzlich fehl­ten. Speziell die Stadthotellerie war also ganz besonders betroffen. Wir haben dazu auch eine Umsatzrückerstattung von 80 Prozent für die Betriebe in Ausarbeitung, die vom zweiten Lockdown besonders betroffen sind, weil sie gänzlich geschlossen werden mussten.

Lassen Sie mich bitte aber auch in aller Deutlichkeit dazusagen: Gastronomie, Hotellerie und die Veranstalter haben in den letzten Monaten alles dafür getan, damit die Gäste gesund bleiben, sich wohlfühlen und eben auch die Kulinarik und die Getränke genießen können. (Zwischenruf der Bundesrätin Hahn.) Trotzdem ist eines passiert, was die Clusteranalysen des Gesundheitsministeriums ganz gut gezeigt haben: Die Menschen, die vor Ort dafür Sorge tragen, dass alles passt, haben das getan; die Hauptanste­ckungsquellen waren dann im persönlichen Umfeld, im familiären Umfeld, wo man sich gut kennt, wo man sich mag, wo man halt dann manchmal auch auf den Abstand ver­gisst. Das alles hat dazu geführt, dass wir die Maßnahmen auch massiv auf das persön­liche Umfeld ausweiten mussten.

Wir haben das nicht so gemacht, weil es uns – wie es vorhin schon angesprochen wor­den ist – so gut gefällt und taugt, sondern im Gegenteil: Wir alle würden uns eine gänzlich andere Situation in diesem Land wünschen. Wir würden uns dieselben harten Auseinan­dersetzungen mit Ihnen wünschen, aber unter anderen Vorzeichen. Wir mussten diesen Schritt jetzt wählen und diesen Schritt jetzt gehen, damit wir vor allem die Leistungs­fähigkeit des Gesundheitssystems weiterhin erhalten können. Das ist unser wichtigstes Ziel. Wir haben uns dazu entschlossen, die Gastronomiebetriebe, die Veranstaltungen und vor allem auch die Hotellerie zu schließen, um mit den Infektionszahlen schnellst­möglich wieder nach unten zu kommen, um auch wieder eine Perspektive geben zu können, damit alle wieder aufsperren können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich nur noch einen Satz zum Re­debeitrag der Frau Bundesrätin Steiner-Wieser sagen: Ich glaube, die Rede brauchen wir jetzt inhaltlich nicht weiter zu beurteilen, sie richtet sich von vorne bis hinten von selbst. – Frau Bundesrätin, dass Sie aber das, was Sie gesagt haben, sagen können, zeigt, in welchem großartigen, starken, freien und offenen Land wir hier in Österreich leben. (Beifall bei ÖVP und Grünen.) Sie haben das alles hier von einem Rednerpult im Hohen Haus aus gesagt. Ich glaube, das allein muss uns schon zeigen: Das halten wir aus! (Bundesrat Steiner: Das ist ja wohl das Mindeste!)

Wir werden gemeinsam durch diese Krise gehen. Wir werden die Betriebe bestmöglich unterstützen. Wir werden die Meinungsfreiheit hochhalten, aber wir werden vor allem auch eines tun - - (Zwischenrufe bei SPÖ und FPÖ. – Beifall bei der SPÖ.)

Sehr geehrte Damen und Herren, vor allem der FPÖ – und der SPÖ; wir haben das bei Ihren Reden schon gesehen, ich glaube, da finden sich durchaus ein paar Überschnei­dungen und Parallelen (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann–, Sie wirken sehr meinungsstabil, deswegen sage ich das jetzt noch einmal – ich werde jetzt nicht weiter auf die Inhalte eingehen –, die Coronapandemie hat uns eines gezeigt: Sie trifft vor allem Ältere, die einen wirklich schweren Verlauf haben. Die Intensivbettenkapazität ist heute schon angesprochen worden. Es betrifft auch Jüngere, das habe ich in meinem persön­lichen Umfeld gesehen. Ich glaube, so wie Sie uns das allen nicht wünschen, wünschen wir es auch niemandem. Wir haben aber eine verdammte Pflicht in diesem Land, nämlich


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für jene zu sorgen und jene zu schützen, denen wir in diesem Land alles zu verdanken haben, und das ist die ältere Generation (Zwischenruf des Bundesrates Rösch), das sind unsere Eltern, das sind unsere Großeltern. Sie haben dieses Land aufgebaut, ihnen verdanken wir alles.

Es gibt kein Gesundheit-gegen-Wirtschaft oder Wirtschaft-gegen-Gesundheit. All das macht Österreich aus, und wir als Bundesregierung – gemeinsam mit Ihnen hier – wer­den alles dafür tun, um aus dieser Krise, aus dieser Pandemie zu kommen, und dafür, dass, so gut es geht, wenige Menschen geschädigt werden, dass sie vor allem gesund bleiben. Das ist das Einzige, was wir auch von Ihnen verlangen. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

18.27


18.27.39

Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Debatte ge­schlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Marlies Steiner-Wieser, Kolleginnen und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend „Ausbau der psychosozialen Angebote in den Bundesländern im Zusammenhang mit der Covid-19-Tourismuskrise“ vor. Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen. (328/E-BR/2020)

18.28.375. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 14. Oktober 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Kennzeichnung von Schusswaffen und we­sentlichen Bestandteilen von Schusswaffen (Schusswaffenkennzeichnungsge­setz – SchKG) erlassen und das EU-Polizeikooperationsgesetz geändert wird (360 d.B. und 383 d.B. sowie 10432/BR d.B.)


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Wir gelangen nun zum 5. Punkt der Ta­gesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Dr. Karlheinz Kornhäusl. – Ich bitte um den Bericht.


18.29.01

Berichterstatter Dr. Karlheinz Kornhäusl: Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundes­ministerin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, die über das Fernsehen zugeschaltet sind! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten über den Beschluss des National­rates vom 14. Oktober 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Kennzeichnung von Schusswaffen und wesentlichen Bestandteilen von Schuss­waffen, Schusswaffenkennzeichnungsgesetz, erlassen und das EU-Polizeikooperations­gesetz geändert wird.

Worum geht es? – Es geht im Wesentlichen um eine bessere Rückverfolgbarkeit von Schusswaffen und wesentlichen Bestandteilen von Schusswaffen zur Vorbeugung und zur Verhinderung von missbräuchlicher Verwendung. (Präsidentin Eder-Gitschthaler übernimmt den Vorsitz.)


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Der Ausschuss für innere Angelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 3. No­vember 2020 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben. – Herzlichen Dank.


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Vielen Dank für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Markus Leinfellner. – Bitte, Herr Bun­desrat, ich erteile es Ihnen.


18.30.30

Bundesrat Markus Leinfellner (FPÖ, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Innenminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Österreicherinnen und Ös­terreicher! Dieses Bundesgesetz über die Kennzeichnung von Schusswaffen und we­sentlichen Bestandteilen von Schusswaffen hat das definierte Ziel einer besseren Rück­verfolgbarkeit von Schusswaffen und wesentlichen Bestandteilen von Schusswaffen und dient der Vorbeugung und Verhinderung der missbräuchlichen Verwendung. Das Ganze ist auf die EU-Feuerwaffenrichtlinie zurückzuführen, auf die ich in weiterer Folge noch genauer eingehen möchte.

Ja, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich kann nur sagen, dieses Bundesgesetz ist ein weiterer Schritt, um unsere legalen Waffenbesitzer, die immerhin unzählige Aufla­gen erfüllen müssen, um ihre Schusswaffen legal besitzen zu dürfen, weiter zu krimina­lisieren. Von den legalen Waffenbesitzern geht in der Regel keine Gefahr aus. Die le­galen Waffenbesitzer sind es nämlich, die psychologische Gutachten einbringen müs­sen, die einen Waffenführerschein machen müssen, die permanent in regelmäßigen Ab­ständen, zumindest alle fünf Jahre, von der Polizei kontrolliert werden, ob sie noch ver­lässlich sind, ob sie die Waffen ordnungsgemäß verwahrt und versperrt haben. Das sind genau jene Personen, die im Umgang mit den Schusswaffen geübt sind, die permanent auf Schießständen üben, die wirklich verantwortungsvolle Bürger sind und einen verant­wortungsvollen Umgang mit Schusswaffen haben. Das sind die Legalwaffenbesitzer, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Wenn ich ein wenig auf die EU-Feuerwaffenrichtlinie eingehe, so muss man ja sagen, dass diese ursprünglich geschaffen wurde, um den Terrorismus zu bekämpfen. Genau dafür hat man diese Richtlinie geschaffen, und ich glaube, wir wissen inzwischen im Hohen Haus schon: Diese Intention ist weit an ihrem Ziel vorbeigegangen, denn es sind nicht die Legalwaffenbesitzer, die eine Gefährdung für unser Österreich oder für unsere Menschen in Österreich darstellen, es sind nicht die Legalwaffenbesitzer, die irgend­welche terroristischen Anschläge, wie wir sie unlängst am Montag – wir brauchen nicht weit weg zu schauen und nicht weit zurückzuschauen – erlebt haben, verüben, sondern es sind jene Islamisten und jene Besitzer nicht legaler Waffen, die diese terroristischen Anschläge in unserem Land verüben.

Und was macht diese Bundesregierung? – Diese Bundesregierung stellt sich mit diesem Gesetz wieder hierher, um genau unsere Legalwaffenbesitzer – auf gut Steirisch – zu pflanzen und zu drangsalieren, obwohl das nicht die sind, die wirklich terroristische An­schläge in diesem Land verüben. Jene Islamisten, die sich ehemalige Balkanwaffen auf illegalem Weg besorgt haben – in Wahrheit zum Kilopreis –, sind nicht jene, die Sie mit diesem Gesetz erreichen können. Das sind aber jene Leute, von denen die größte Ge­fahr für unsere Österreicherinnen und Österreicher ausgeht.

Genau das haben wir und auch alle Zuwanderungs- und Migrationsromantiker am Mon­tag schmerzlich erfahren müssen, als der Terror in unserem Land Einzug gehalten hat. Hereingelassen hat man ihn nämlich schon viel früher, nämlich genau zu jenen Zeiten, als auch diese ÖVP den Innenminister und den Integrationsminister gestellt hat oder für


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die Integration verantwortlich gewesen ist. Genau jene ÖVP, die sich heute als große Sicherheitspartei aufspielt, meinte zu dieser Zeit noch, dass der durchschnittliche Zu­wanderer intelligenter als der durchschnittliche Österreicher ist. Dazu sage ich Ihnen schon klar und deutlich: Diese Maschinengewehrspezialisten brauchen wir in Österreich aber wirklich nicht!

Nein, meine sehr geehrten Damen und Herren, der Islam ist kein Teil Österreichs und wird es auch nie werden, wie sich das der Bundeskanzler oder vielleicht viele Realitäts­verweigerer in diesem Haus vorstellen. (Beifall bei der FPÖ.) Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist nämlich das wahre Gesicht des Islam, und das hat in unserem Land nichts verloren. Mit diesen Personen ist so rasch als möglich abzufahren, denn die sind hier in unserem Land wirklich fehl am Platz. Ich sage Ihnen: Wer mit seinen eigenen Augen nicht sehen will, der wird seine eigenen Augen zum Weinen brauchen. – Ich glau­be, wir haben am Montag alle gesehen, was da herauskommen kann.

Ein österreichischer Waffenbesitzer, ein österreichischer Legalwaffenbesitzer, ist sich seiner Verantwortung bewusst, und der ist es nicht, der irgendwelche Terroranschläge, vielleicht sogar mit historischen Waffen, die in diesem Gesetz auch angeführt sind, ver­übt. Diese Waffen haben falsche Kaliber, kleine Magazine, vielleicht gar keine Magazine. Das sind Sammler, Sportschützen oder was auch immer, man hört aber von keinem, dass irgendwelche Anschläge verübt werden.

Nach diesem Bundesgesetz sind Schusswaffen nur dann von wesentlicher historischer Bedeutung, wenn ihnen auch im Hinblick auf ein geschichtlich relevantes Ereignis oder relevante Persönlichkeiten eine Bedeutung zukommt. Na, meine sehr geehrten Damen und Herren, merken Sie überhaupt, wie weit dieses Gesetz am ursprünglichen Ziel der Terrorismusbekämpfung vorbeigeht?

Meine sehr geehrte Damen und Herren, bekämpfen Sie den illegalen Waffenhandel, be­kämpfen Sie den Terrorismus in diesem Land, aber lassen Sie die Legalwaffenbesitzer, unsere ordentlichen Österreicherinnen und Österreicher in Ruhe! Bei der Bekämpfung des Terrorismus haben Sie unsere vollste Unterstützung, bei dieser Drangsalierung der Österreicher mit Sicherheit nicht. (Beifall bei der FPÖ.)

18.37


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag.Christine Schwarz-Fuchs. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.


18.37.28

Bundesrätin Mag. Christine Schwarz-Fuchs (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werter Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zu­schauerinnen und Zuschauer vor den Bildschirmen! Vor gerade einmal drei Tagen kam es im Herzen Wiens zu einem abscheulichen und abstoßenden Terroranschlag, als ein Schwerbewaffneter willkürlich Feuer auf Passanten eröffnete. Was darauf folgte, waren viele nervenaufreibende Stunden mit riesigem Polizeiaufgebot. Leider sind mehrere To­desopfer und teils schwer Verletzte die traurige Bilanz dieses Montagabends. Ich möchte den Hinterbliebenen der Getöteten auch noch mein Beileid ausdrücken und den Ver­letzten eine schnelle und umfassende Genesung wünschen. Ein großer Dank gilt allen Einsatzkräften, die Übermenschliches geleistet und noch Schlimmeres verhindert ha­ben. (Beifall bei der ÖVP.)

Das Ziel dieses Anschlags war Terror – Terror, der verunsichern soll, Terror, der Angst machen soll, Terror, der unsere Gesellschaft spalten soll. Dieser Anschlag steht gegen alles, wofür wir stehen – für die Freiheit, für ein Leben in Frieden und Sicherheit, für eine Gesellschaft, die zusammenhält. Es muss unser aller Ziel sein, zu verhindern, dass sich solche Szenen wiederholen.


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Nun gilt es, die Hintergründe dieser Tat zu beleuchten. Dabei müssen wir uns unter an­derem die Frage stellen, wie der Täter und seine etwaigen Komplizen an die Schuss­waffen kamen, mit denen so viel Leid und Zerstörung angerichtet werden konnte. Die Europäische Union hat diese Problematik schon vor einiger Zeit zu Recht erkannt und setzt nun mit der EU-Waffenrichtlinie eine wichtige Maßnahme zur Eindämmung solcher möglichen terroristischen Akte. Diese Richtlinie setzen wir in Österreich nun in Form des Schusswaffenkennzeichnungsgesetzes um. Wären die Waffen sowie die Munition bei diesem Attentat am Montagabend gekennzeichnet gewesen, wie es dieses Gesetz vor­sieht, hätten die Ermittler einen entscheidenden Vorteil. Die Herkunft der Waffen und der Munition wäre einfacher zu identifizieren, und die Verantwortlichen beziehungsweise et­waige Unterstützer des Attentäters könnten schneller ausgeforscht und an die Justiz überführt werden.

An diesem Punkt, Herr Kollege Leinfellner von der FPÖ, muss ich Ihnen widersprechen. Es geht nicht nur um legalen Waffenbesitz oder nicht legalen Waffenbesitz: Auch wenn man eine Waffe nicht legal besitzt, muss man an Munition kommen. (Zwischenruf des Bundesrates Leinfellner.) Daher ist es wichtig, dass auch die Munition gekennzeichnet ist.

Das Schusswaffenkennzeichnungsgesetz geht, wie bereits erwähnt, auf die entspre­chenden Vorgaben der EU-Waffenrichtlinie sowie der Durchführungsrichtlinie zur Festle­gung technischer Spezifikationen für die Kennzeichnung von Feuerwaffen und deren wesentlichen Bestandteilen zurück und dient somit der Umsetzung von europäischem Recht. Im Wesentlichen soll mit der Vorlage eine Kennzeichnungspflicht eingeführt wer­den, wenn Schusswaffen oder wesentliche Bestandteile von Schusswaffen wie zum Bei­spiel der Lauf, die Trommel oder der Verschluss einer Schusswaffe in Österreich in Ver­kehr gebracht werden.

Schusswaffen, deren Bestandteile sowie die Munition sollen künftig eindeutig und um­fassend gekennzeichnet werden. Dadurch soll die Rückverfolgbarkeit von Schusswaffen erleichtert und die missbräuchliche Verwendung zu kriminellen Zwecken bekämpft wer­den. Die Vorlage dient der Verbrechensbekämpfung und somit der Gewährleistung un­serer Sicherheit, sie erleichtert und beschleunigt das Ausfindigmachen von Waffenbe­sitzern. Bei der Vorlage handelt es sich um ein wichtiges Instrument zur Eindämmung von Terrorismus und Kriminalität, weshalb sie zu begrüßen ist.

Positiv hervorheben möchte ich, dass die Gesetzesbestimmungen so ausgestaltet sind, dass die Eingriffe in das Privateigentum möglichst gering gehalten werden – durch die vorgesehene Übergangsregelung, nach der Schusswaffen, die bereits vor dem 14. Sep­tember 2018 im Besitz von Endverbrauchern standen, von der Kennzeichnungspflicht ausgenommen sind. Zudem sind auch Ausnahmen für bereits im EWR oder in der Schweiz gekennzeichnete Schusswaffen, für historische Feuerwaffen sowie Druckluft- und CO2-Waffen vorgesehen. Weiters gibt es auch eine Ausnahme von der Kennzeich­nungspflicht beim Erwerb von Schusswaffen durch die Streitkräfte, die Polizei und die Behörden.

Wie bereits einleitend erwähnt handelt es sich bei diesem Gesetz um die Umsetzung einer unionsrechtlichen Vorgabe. Die Vorlage wurde praxisnah ausgestaltet, insbeson­dere mit den enthaltenen Übergangsregelungen, sodass der Verwaltungsaufwand mög­lichst gering gehalten werden soll. Das Vorhaben geht nicht über die verpflichtende Um­setzung des Unionsrechts hinaus; Gold Plating wurde vermieden. Dieses neue Gesetz soll mit 1. Jänner 2021 in Kraft treten.

Abschließend kann ich zu dieser Vorlage sagen: Wenn nur ein zukünftiges Gewalt­verbrechen verhindert wird, wenn nur ein Leben gerettet wird, hat sich dieses Gesetz bereits bezahlt gemacht. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Zwischenruf des Bundesra­tes Spanring.)


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Die zweite Gesetzesvorlage, die wir unter diesem Tagesordnungspunkt behandeln, ist eine Abänderung des EU-Polizeikooperationsgesetzes. Das EU-Polizeikooperationsge­setz durchläuft aufgrund der Frontex-Verordnung eine Novellierung. Frontex, die Euro­päische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, ist das EU-Expertisezentrum für das integrierte Grenzmanagement und koordiniert und unterstützt als solches die EU-Mit­gliedstaaten bei ihren operativen Aktivitäten an den Land-, See- und Flughafenaußen­grenzen des Schengenraums. Die integrierte europäische Grenzverwaltung umfasst Maßnahmen in Drittstaaten wie die gemeinsame Visumspolitik, Maßnahmen in Zusam­menarbeit mit Nachbarländern, Kontrollmaßnahmen an Außengrenzen, Risikoanalyse sowie Maßnahmen im Schengenraum und im Bereich der Rückkehr.

Die personelle Ausstattung von Frontex bedingt nun Adaptierungen. Es soll ermöglicht werden, dass sogenanntes Statutspersonal von Frontex – das heißt direkt bei Frontex angestelltes Personal – künftig mit der Wahrnehmung der entsprechenden Aufgaben im österreichischen Bundesgebiet betraut werden kann. Dies gilt auch für die anderen EU-Länder. Das heißt, die Frontex-Bediensteten können auch in jedem anderen EU-Land eingesetzt werden.

Diese beiden Gesetzesvorlagen haben das Ziel, unsere Polizei zu unterstützen und unser aller Sicherheit zu stärken, denn wenn die vergangenen Tage eines gezeigt ha­ben, dann ist das, dass die Sicherheit ein wertvolles Gut ist und ihre Erhaltung für uns oberste Priorität haben muss. Aus all diesen Gründen unterstütze ich die beiden gegen­ständlichen Gesetzesvorlagen, und ich möchte meine Kolleginnen und Kollegen dazu einladen, diesen beiden Anträgen ebenfalls zuzustimmen. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

18.45


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dominik Reisinger. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.


18.45.58

Bundesrat Dominik Reisinger (SPÖ, Oberösterreich): Verehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Vor allem auch liebe Zuhörerin­nen und Zuhörer! Wenn wir drei Tage nach dem verheerenden und schrecklichen An­schlag in Wien über die Kennzeichnungspflicht von Schusswaffen diskutieren, macht das betroffen und nachdenklich, aber genau deshalb ist es richtig und vor allem wichtig, für mehr Transparenz und Sicherheit bei diesem Themenbereich zu sorgen. Deshalb darf ich vorwegschicken, dass wir als SPÖ-Fraktion hier im Bundesrat diesem Bundes­gesetzesbeschluss und auch der Änderung des EU-Polizeikooperationsgesetzes zu­stimmen werden. Auf den ersten Blick mag es vielleicht sonderbar wirken, wenn zwei völlig unterschiedliche Gesetzesmaterien in einem Bundesgesetz abgehandelt werden. Ob das legistisch so sein muss oder soll, sei dahingestellt – inhaltlich können und wer­den wir auf jeden Fall mitgehen.

Wir haben es gehört: Mit dem Schusswaffenkennzeichnungsgesetz wird eine EU-Waf­fenrichtlinie umgesetzt. Ich möchte nicht alles wiederholen, was meine Vorrednerin aus­geführt hat, aber jedenfalls die Sinnhaftigkeit der Kennzeichnungspflicht für Schusswaf­fen, ihrer wesentlichen Bestandteile wie Lauf, Trommel, Verschluss, Gehäuse und Rah­men sowie für Munition unterstreichen. Damit werden Waffen nämlich bis hin zu den Herstellern und Importeuren nachverfolgbar. Herr Kollege Leinfellner, dieses Gesetz ist keine Schikane für die Waffenbesitzer, sondern es ist Richtung Herstellung und Import ausgerichtet. (Beifall bei der SPÖ.)

Im Wesentlichen – das haben wir auch gehört – soll damit die missbräuchliche Verwen­dung von Schusswaffen für kriminelle Zwecke bekämpft werden. Zum einen könnte es natürlich abschreckend wirken, zum anderen auch zur schnelleren Klärung einer Straftat


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beitragen. Es gibt, wie wir gehört haben, sinnvolle Ausnahmen; ich erwähne nur eine: die historischen Feuerwaffen.

Was mich ein wenig irritiert, ist die Übergangsregelung, die in § 6 beschrieben wird. Wa­rum dort genau der 14. September 2018 genannt wird oder warum die EU diesen Termin vorgibt, lässt sich für mich nicht ganz schlüssig nachvollziehen. Dafür konnten mir auch die Experten im Ausschuss keine plausible Erklärung liefern. Herr Minister, vielleicht schaffen Sie das dann noch in Ihrer Wortmeldung!

Noch ganz kurz zum EU-Polizeikooperationsgesetz: Bis jetzt war es ja so, dass Perso­nal – also Grenzschutzbeamte oder andere Fachkräfte – der teilnehmenden Mitglied­staaten der Europäischen Agentur für Grenz- und Küstenwache – kurz Frontex, wir ken­nen sie – zugeteilt wurde. Das waren Organe von Sicherheitsbehörden der Mitgliedstaa­ten, denen entsprechende Exekutivbefugnisse zuerkannt wurden. Mit der vorliegenden Frontex-Verordnung kann Frontex nun eigenes Personal aufnehmen. Das Personal, das dort beschäftigt wird, ist dann das sogenannte Statutspersonal. Dieses Personal kann dann in jedem Mitgliedstaat eingesetzt werden – natürlich auch in Österreich. Damit das möglich wird, bedarf es dieser Gesetzesänderung.

Das alles macht in einem vereinten Europa natürlich Sinn. Das alles ist eine wichtige Voraussetzung für einen gemeinsamen EU-Grenzschutz und wird deshalb auch von der SPÖ mitgetragen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

18.50


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.


18.50.58

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Frau Präsidentin! Hohes Haus! Sehr verehrter Herr Minister! Schusswaffen sind ja schon vom Prinzip her extrem gefähr­liche Werkzeuge, weil sie von der Idee her darauf ausgelegt sind, töten zu können. Allei­ne deshalb ist bei der Veräußerung und beim Besitz von Schusswaffen maximale Vor­sicht geboten. Als Argumentation für den Schusswaffenbesitz – wenn ich einmal den Sport ausnehme – dient immer wieder, dass sie zur Selbstverteidigung gedacht sind. Sie un­terscheiden sich aber letztlich nicht von den Waffen, die für Aggressionen dienen. (Bun­desrat Spanring: Das steht im Gesetzesbuch so drinnen!)

Ein weiterer wichtiger Aspekt im Umgang mit Waffen ist, dass es zum Kernverständnis von Rechtsstaaten gehört, dass das Gewaltmonopol beim Staat beziehungsweise sei­nen Organen liegt – vor allem bei der Polizei. Daher muss es im Interesse des Staates sein, hinsichtlich Schusswaffen im privaten Bereich sehr zurückhaltend umzugehen.

Ich bin ohnehin vorsichtig geblieben; das alles könnte man wesentlich pointierter formu­lieren, denn immerhin beschließen wir heute eine Verbesserung, die auf einer europäi­schen Richtlinie betreffend die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen be­ruht. Als Ziel – ich wiederhole das noch einmal – ist dort zu Recht genannt, die miss­bräuchliche Verwendung von Feuerwaffen für kriminelle Zwecke zu bekämpfen, vor allem im Hinblick auf Terrorismus, was ja leider eine sehr traurige Aktualität hat. Ein Mittel dazu ist – das wiederhole ich jetzt nicht – die umfassende Kennzeichnungspflicht für Waffen und Waffenteile. Damit ist zweifelsfrei ein wichtiger Schritt getan, um den illegalen Handel mit oder zum Beispiel auch die anonyme Weitergabe von Waffen zumin­dest zu erschweren. Man wird den illegalen Waffenhandel, glaube ich, nicht vollständig ausschalten können, aber es wird jedenfalls viel, viel schwieriger.

Aus unserer Sicht ist es deswegen eine sehr begrüßenswerte Sache, auch wenn da­mit leider aus unserer Sicht vielleicht allzu großzügige Übergangsbestimmungen ein­hergehen. So müssen Schusswaffen, die vor dem 14. September 2018 im Besitz von


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Endverbrauchern standen, nicht registriert werden – mit einer Ausnahme. Es ist insofern nämlich das Argument von Herrn Leinfellner sachlich falsch: Erstens – das ist gesagt worden – trifft es gar nicht die Endkunden, sondern die Händler und Hersteller, und zwei­tens ist de facto, wenn man zwei Jahre zurückgeht, der gesamte Bestand, der damals schon war, ohnehin ausgenommen. Also stimmt das, was Sie sagen, nicht.

Von Kriminalisieren kann sowieso nicht die Rede sein. Ich bin fest davon überzeugt, dass alle, die mit ihren Schusswaffen ordentlich umgehen – das sind die meisten –, überhaupt kein Problem damit haben, wenn die Waffen registriert werden. Trotzdem ist es wie gesagt ein erfreulicher Schritt zu mehr Sicherheit ohne eine beklagenswerte Ein­schränkung von Freiheitsrechten.

Jetzt muss ich aber schon noch etwas zu Herrn Leinfellner sagen, weil ich finde, dass man das in einem Parlament nicht so stehen lassen darf, schon gar nicht zwei Tage nach einem Terroranschlag. Was Sie machen – nämlich wiederholt –, ist, sehr bewusst einen direkten Zusammenhang von Zuwanderung, einer Religion – dem Islam – mit Ge­walt herzustellen. (Bundesrat Spanring: Ja, natürlich! Das ist ja ...!) Das ist so etwas von unverantwortlich, das ist einfach unfassbar! (Bundesrat Steiner: War’s ein buddhis­tischer Anschlag?) Genau mit diesem ständigen Herstellen von Zusammenhängen, die völlig absurd sind (Bundesrat Spanring: Absurd?), schüren Sie Vorbehalte gegen ganze Gruppen. (Bundesrat Spanring: Sie sind einer dieser Träumer ...!) Sie machen damit nichts anderes als das, was die Terroristen wollen: nämlich die Gesellschaft zu spalten und Vorbehalte zu schüren. – Schämen Sie sich! (Ruf bei der FPÖ: Alice im Wunder­land! – Bundesrat Rösch: Ihr wollt die Polizei ...! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

18.55


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Silvester Gfrerer. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen. (Ruf bei der FPÖ: Das nächste Mal wird die Polizei mit Steinschleudern ...!)


18.55.52

Bundesrat Silvester Gfrerer (ÖVP, Salzburg): Liebe Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Damen und Herren zu Hause vor den Bildschirmen! Die Grundlage dieses Gesetzesbeschlusses ist ja eine EU-Verordnung, und ich denke, in Zeiten wie diesen sollte man wirklich jeden Strohhalm und jede Möglichkeit nützen, um die Sicherheit in Österreich zu verbessern. Mit dem heutigen Beschluss soll das Schusswaffenkennzeichnungsgesetz neu geschaffen wer­den, um die missbräuchliche Verwendung von Waffen für kriminelle Zwecke zu be­kämpfen.

Damit die geplante Erlassung der Schusswaffenkennzeichnung mit Jahresbeginn 2021 in Kraft treten kann, kommen die Bundesregierung und wir im Parlament der Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie und somit der Pflicht nach, Feuerwaffen, aber auch wesentliche Bestandteile davon künftig zur besseren Nachverfolgung eindeutig und umfassend zu kennzeichnen.

Der Inhalt des Gesetzes ist der folgende: eine Kennzeichnungspflicht, wenn Schusswaf­fen oder wesentliche Bestandteile von Waffen in Österreich in Verkehr gebracht werden. Das betrifft in erster Linie die Gewerbetreibenden, aber auch einzelne Privatpersonen. Die Inhalte der Kennzeichnung betreffen insbesondere Angaben zu Hersteller oder Mar­ke, Herstellungsort, Nummer und Jahr.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist natürlich auch ein klares Bekenntnis zu und eine große Herausforderung für noch mehr Sicherheit für uns. Wichtig scheint mir nicht nur die Kennzeichnung der Waffen und Waffenbestandteile, sondern im Besonderen auch die Kennzeichnung der Munition. Diese Maßnahmen sollen Behörden helfen, den Besit­zer der Waffe noch schneller ausfindig zu machen. Die Kennzeichnung soll im Auftrag


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des jeweiligen Besitzers von den Gewerbetreibenden vorgenommen und per Verord­nung festgelegt werden.

Ausnahmen für die Kennzeichnung gibt es bei jenen Schusswaffen, die vor dem 14. Sep­tember 2018 im Besitz von Endverbrauchern standen; diese sollen keiner Kennzeich­nungspflicht unterliegen. Die gleiche Ausnahme gilt auch für historische Feuerwaffen sowie für Druckluft- und CO2-Waffen mit Kalibern von bis zu 6 Millimeter. Natürlich gibt es auch eine Ausnahme von der Schusswaffenkennzeichnungspflicht beim Erwerb durch Polizei, Behörden oder Streitkräfte.

Dieses Bundesgesetz setzt zwingendes Unionsrecht in Bezug auf die Kennzeichnung von Schusswaffen um. Die Kennzeichnungsvorgaben sind mithilfe der umfassenden Über­gangsregelung praxisnah ausgestaltet, sodass der Verwaltungsaufwand gering gehalten werden kann.

Im EU-Polizeikooperationsgesetz, das auch unter diesem Tagesordnungspunkt behan­delt wird, braucht es Adaptierungen hinsichtlich der personellen Ausstattung der Euro­päischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache. Die gesetzliche Ergänzung soll er­möglichen, das sogenannte Statutspersonal von Frontex künftig mit der Wahrnehmung der entsprechenden Aufgaben im österreichischem Bundesgebiet zu betrauen.

Ich denke daher, dass einer Zustimmung zum Schusswaffenkennzeichnungsgesetz und zum EU-Polizeikooperationsgesetz nichts entgegensteht.

Ich vernehme, dass bei der Freiheitlichen Partei bei diesem Gesetz, dem Schusswaffen­kennzeichnungsgesetz, wirklich darüber nachgedacht wurde, wie da irgendwo eine Aus­rede gefunden werden kann, um nicht zustimmen zu müssen. Was der Herr Kollege bezüglich der Ausnahmen oder der legalen Waffenbesitzer gesagt hat: Die sind nur in einem geringem Ausmaß betroffen.

Ich glaube auch, dass alle Fraktionen die Sicherheit in Österreich verbessern sollten, und deshalb bitte ich um die Zustimmung. – Danke. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

19.00


19.00.45

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit, der Antrag ist somit angenommen.

19.01.196. Punkt

Bericht des Bundesministers für Inneres betreffend Legislativ- und Arbeitspro­gramm der Europäischen Kommission für 2020 sowie dem Achtzehnmonats-Pro­gramm des rumänischen, finnischen und kroatischen Vorsitzes des Rates der Europäischen Union (III-709-BR/2020 d.B. sowie 10433/BR d.B.)


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Wir gelangen nun zum 6. Punkt der Ta­gesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Silvester Gfrerer. – Bitte, Herr Bundesrat, ich bitte um den Bericht.


19.01.46

Berichterstatter Silvester Gfrerer: Ich bringe den Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten über den Bericht des Bundesministers für Inneres betreffend Legislativ- und Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für 2020 sowie dem Achtzehnmonats-


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Programm des rumänischen, finnischen und kroatischen Vorsitzes des Rates der Euro­päischen Union.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für innere Angelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage den Antrag, den Bericht des Bundesministers für Inneres zur Kenntnis zu nehmen. – Danke.


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Vielen Dank für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Elisabeth Mattersberger. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.


19.02.48

Bundesrätin Elisabeth Mattersberger (ÖVP, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuse­herinnen und Zuseher! Am 27. April 2020 wurde der Bericht des Bundesministers für Inneres über das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission dem Innenausschuss im Nationalrat vorgestellt. Heute liegt dieser gerade für den Bereich Inneres sehr am­bitionierte Bericht bei uns im Bundesrat zur Beschlussfassung, zur Kenntnisnahme vor.

Der Bericht beinhaltet die wichtigsten Initiativen für das Jahr 2020. Wesentliche Initia­tiven in diesem Bericht, auf die ich hier eingehen möchte, sind ein neuer Migrations- und Asylpakt, die Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, eine Stärkung des Mandats für Europol und eine EU-Strategie für eine wirksame Bekämpfung des sexuel­len Missbrauchs von Kindern.

Zu Punkt eins: Das Ziel eines neuen Migrations- und Asylpakts soll ein Gesamtkonzept sein, welches der Tatsache Rechnung trägt, dass interne und externe Aspekte der Mi­gration untrennbar verbunden sind. Das Konzept soll ganz zentral eine gemeinsame eu­ropäische Asylpolitik beinhalten. Die Europäische Kommission will sieben Reformvor­schläge zur Neugestaltung des gemeinsamen europäischen Asylsystems vorrangig be­handeln, wobei aufgrund der unterschiedlichen Positionen der Mitgliedstaaten kein wirk­licher Fortschritt zu verzeichnen ist.

Das neue Migrations- und Asylpaket wurde nun am 23. Oktober durch die Europäische Kommission vorgelegt. Mit diesem Paket soll eine gemeinsame europäische Lösung für die anstehenden und schon bestehenden Herausforderungen erzielt werden. Es geht um die Stärkung des Vertrauens durch bessere und wirksamere Verfahren, gerecht ver­teilte Verantwortung und Solidarität, Zusammenarbeit mit Drittstaaten, eine gemeinsame Migrationssteuerung und verbessertes Außengrenzenmanagement. Dabei verfolgt die österreichische Position den Aufbau eines wirksamen Außengrenzschutzes sowie die Verhinderung des unkontrollierten Zuzugs von Migrantinnen und Migranten. Dazu sollte in erster Linie eine rasche Stärkung der europäischen Grenz- und Küstenwache erfol­gen. Zudem soll der Fokus auf die Bekämpfung von Fluchtursachen und die Schaffung von Perspektiven vor Ort gelegt werden.

Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die schnellere Rückführung illegal aufhältiger Dritt­staatsangehöriger. Die Verfahren zur Rückführung sollen beschleunigt und die Rückfüh­rungszahlen erhöht werden. Von Österreich wird die Neuvorlage der Rückführungsricht­linie begrüßt, und es wird vor allem auf eine Rückführung in jeden sicheren Drittstaat gesetzt. Eine schnellere und effektive Rückführung ist, so die österreichische Position (BundesrätInnen der SPÖ sprechen laut miteinander) – kann ich weiterreden oder über­nehmen Sie das jetzt? –, entscheidend für eine ganzheitliche Politik der Migrations­steuerung.


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Beim dritten Punkt geht es um die überaus wichtige „Stärkung des Mandats für Europol“. Es gibt großes Bemühen um eine bessere operative polizeiliche Zusammenarbeit. Zur­zeit ist zum Beispiel kein direkter Austausch von personenbezogenen Daten zwischen privaten Parteien und Europol erlaubt. Eine bessere polizeiliche Zusammenarbeit wäre ganz besonders in den Bereichen Cyberkriminalität, Terrorismus und Terrorismusfinan­zierung wichtig. Österreich begrüßt und unterstützt alle Bestrebungen, welche zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger unternommen werden.

Ein weiterer wesentlicher Punkt im Bericht ist die „EU-Strategie für eine wirksamere Be­kämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern“. Ein Leben in Sicherheit und Frieden ist für Europa ein zentrales Anliegen. Dazu fand im Dezember 2019 in Äthiopien ein Gipfel zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch statt. Im Vorfeld des Gipfels wurden dazu Schlussfolgerungen erarbeitet, welche vom Rat der Justiz- und Innenminister im Okto­ber 2019 angenommen wurden. Die Mitgliedstaaten wurden in den Schlussfolgerungen aufgefordert, den Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern unermüdlich fortzu­setzen, was von Österreich natürlich begrüßt und unterstützt wird.

Asyl und Migration, Sicherheit, der Schutz kritischer Infrastruktur, Katastrophenschutz, Cyberkriminalität und jetzt das Coronavirus zählen zum Bereich Inneres, welcher uns täglich vor neue Herausforderungen stellt. Viele dieser Herausforderungen sind nur ge­meinsam auf europäischer Ebene zu bewältigen.

Wir müssen auch aufgrund des schrecklichen Attentats am Montag hier in der Wiener Innenstadt europaweit zusammenrücken und gemeinsam vorgehen, um unsere Demo­kratien und Grund- und Freiheitsrechte zu schützen. Österreich und unser Bundesmi­nister für Inneres, Karl Nehammer, sind dazu bereit. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP.)

19.09


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Stefan Schennach. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.


19.09.31

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bun­desminister! Bevor ich zur EU-Vorschau und zum EU-Vorhabensbericht komme, hätte ich doch gerne noch ein, zwei Sätze zur vorangegangenen Debatte gesagt, die ein biss­chen seltsam verlaufen ist. Da ging es um Kennzeichnung, also Kennzeichnung be­stimmter Teile von Importwaffen. Wir reden ja über Sicherheit, und ganz prinzipiell kann man natürlich sagen: Je mehr Waffen unterwegs sind, umso höher ist auch die Anzahl der Suizide und Tötungen vor allem im familiären Bereich.

Nicht zuletzt (Zwischenruf des Bundesrates Steiner) – ich höre da schon wieder eine Stimme – sollten wir uns an das Blutbad von Kitzbühel erinnern. (Bundesrätin Mühl­werth: Das ist aber bedenklich, wenn Sie schon Stimmen hören! – Heiterkeit bei der FPÖ.) – Ich höre eine Stimme mit einem gewissen Akzent, deshalb verweise ich zum Beispiel auf das schreckliche Blutbad, das ein frustrierter Mann in Kitzbühel angerichtet hat, das mit fünf Toten geendet hat.

Was sehen wir eigentlich in der Statistik, Herr Bundesminister? – Seit 1997, seit der letzten Modernisierung des Schusswaffengesetzes, ging die Zahl der Tötungen und Sui­zide zurück. Seit 2016 ist sie wieder auf 17,7 Prozent angestiegen. Das ist schon sehr hoch. Diese Tötungen werden in erster Linie von Männern ausgeübt, das sollte man auch sagen, vor allem wenn es im häuslichen Bereich geschieht.

Kommen wir zurück zum EU-Vorhabensbericht: Wir haben eine riesige Baustelle im Be­reich des Inneren und der Sicherheit der Europäischen Union. Betreffend die Reform der gemeinsamen Asylpolitik, die ja – aufpassen jetzt, das wird auch der Herr Minister be­stätigen – nach den Prinzipien der Humanität und der Wirksamkeit erfolgen soll, ist es


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einfach schwierig, eine Einigung der Staaten zu bekommen. Wer dann sagt, wir bekämp­fen Schlepperei und Menschenhandel – völlig ďaccord, die gehören bekämpft ‑, der muss aber auch sichere Routen anbieten, denn aufgrund einer Flucht Asyl zu suchen ist ein Menschenrecht und Grundrecht. Wenn ich das bekämpfen will, dann muss ich, das ist ein Gebot der Stunde, auch sichere Routen anbieten. In diesem Bereich gibt es na­türlich auch Abkommen mit Drittstaaten.

Die EU hat ja viele Gesichter: Sie ist eine Bildungsunion, sie ist eine Bankenunion und sie will auch eine Sicherheitsunion sein, was ja wichtig ist. Es ist aber auch wesentlich, in wichtigen und auch modernen Bereichen der Sicherheit unionsmäßig zusammenzuar­beiten – natürlich auch zur Bekämpfung des Terrorismus, wie das heute schon so oft angesprochen wurde. Nicht weniger widerwärtig oder nicht unproblematischer ist die or­ganisierte Kriminalität mit all ihren Gesichtern – ob das der illegale Frauenhandel, der Menschenhandel, der Waffenhandel, der Drogenhandel, die Geldwäsche und so weiter ist.

Es gibt aber auch neue, hybride Bedrohungen. Für die gilt es, erstens, einmal eine Ver­hütung zusammenzubringen und, zweitens, sie aufzudecken. Ganz neu, und da brau­chen wir auch ganz neue Ausbildungsgänge im Sicherheitsbereich, ist die Cybersicher­heit.

Ganz wichtig ist – das hat die Frau Kollegin vor mir schon erwähnt – die Sicherheit der strategisch notwendigen und grundlegenden Infrastruktur. In diesem Bereich hat die EU erstens einmal das Grundsatzprogramm 2006 angenommen. 2008 hat sie gesagt: Wir identifizieren in unseren Mitgliedstaaten die kritische und die gefährdete Infrastruktur. Dieser Bericht wurde 2019 veröffentlicht, ist also einsehbar. Jetzt ist die Diskussion – und wir werden die sicher auch bald im EU-Ausschuss haben –, welche gesetzlichen und weiterführenden Regelungen da notwendig sind. Ich weiß, Österreich sagt dazu Nein. Die Frage ist aber, ob es bei diesem Nein bleiben muss.

Zur Intensivierung der Zusammenarbeit mit Europol: Die Kompetenzen von Europol sol­len erweitert und die operative Zusammenarbeit gestärkt werden. Gleichzeitig muss man aber bei Europol auch den Missbrauch durch Autokraten und Diktatoren beobachten. Wenn sich etwa irgendwo ein türkischer Staatsbürger oder eine Staatsbürgerin zum Bei­spiel in einem Blog oder in den Social Media kritisch zu Herrn Erdoğan äußert, dann wird sofort ein Auslieferungsantrag gestellt.

Es gibt gerade in Wien so einen Fall, dass sich eine russische Staatsbürgerin sehr kri­tisch zum Regime beziehungsweise der Regierung Putin geäußert hat und jetzt hier in Wien – Stichwort Auslieferung – per Interpol gesucht wird. Es gibt diesbezüglich eine Darstellung für die Untersuchungsrichterin, die darauf reagieren muss. Die ist ein Fake, muss ich sagen, das kann niemals stimmen. Die Summe, die diese Dame angeblich gestohlen haben soll, wurde im Wochentakt immer wieder erhöht. Interpol Moskau hat Interpol Wien gebeten, diese Frau auszuliefern, was Österreich Gott sei Dank während eines ordentlichen Verfahrens derzeit nicht macht.

Die Bedrohung gibt es aber. Ich kann mich erinnern, dass ich ein betagtes Ehepaar in Aserbaidschan aus dem Gefängnis geholt habe. Die haben in den Niederlanden Asyl bekommen und – flusch – schon war das Auslieferungsbegehren wegen irgendeinem angeblichen Delikt da, um dieses Ehepaar zurück ins Gefängnis zu bekommen. Ich habe sie damals beruhigt, sie sind hochbetagt, habe gesagt: Ihr lebt jetzt in einem Rechtsstaat, den Niederlanden, und das wird so nicht erfolgen.

Über dieses Damoklesschwert, dass man Interpol missbrauchen kann, um Menschen in eine extreme Notlage zu bringen – Edi Köck weiß das –, haben wir auch im Europarat ausführlich diskutiert, denn das hält für manche extreme Beklemmungen oder auch ex­treme Gefahren bereit. Wir erinnern uns ja, dass ein Auslieferungsbegehren von Erdo­ğan für einen deutsch-türkischen Staatsbürger nach Spanien kam. Das war Spitz auf


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Knopf, dass er nicht ausgeliefert worden ist. Herr Bundesminister, da brauchen wir Re­formen bei Europol.

Ich bin mit allem ďaccord, was meine Kollegin vorhin über sexuellen Missbrauch von Kindern und so weiter gesagt hat.

Beim Kapitel Katastrophenschutz als EU-Kompetenz war der Bundesrat anderer Mei­nung, denn da geht es ja um die Finanzierung.

Last, not least: Dublin III ist tot. Wer sich noch immer an Dublin und die Rückführung hält, ist am falschen Dampfer. Dublin IV zeichnet sich nicht ab. Österreich will zum Bei­spiel, dass jenes Land, in dem der Erstantrag gestellt wird, dann acht Jahre lang dafür zuständig ist. So kann das nicht funktionieren!

Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist aber, Herr Bundesminister – das sehen wir wahrscheinlich diametral entgegengesetzt –, der größte oder einer der wichtigsten Schätze der Europäischen Union, nämlich die Mobilitätsfreiheit, also Schengen. Es ist sehr bedauerlich, dass Österreich da auf diese Art und Weise agiert, mit einer Verlän­gerung der Binnengrenzkontrollen und so weiter. Das ist antieuropäisch, das ist gegen Schengen gerichtet.

Eines der größten identitätsstiftenden Elemente für unsere Jugend, was Europa betrifft, ist nicht nur Erasmus, sondern die Mobilität an sich und ein Europa in Frieden und in Sicherheit, das sich auch mit offenen Grenzen und ungehinderter Mobilität präsentiert. Da muss ich sagen, die Haltung Österreichs, das Binnengrenzregime und die entspre­chenden Kontrollen zeitlich ganz lang auszudehnen, ist antieuropäisch.

Den Bericht nehmen wir aber an. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

19.19


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Monika Mühlwerth. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.


19.19.51

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrter Herr Minister! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Damen und Herren, die Sie zu Hause via Livestream um 20 Minuten nach 7 Uhr noch zuschauen! Der Bericht ist ungefähr so wie das, was Herr Kollege Schennach jetzt gemacht hat: von Absichtserklärungen durch­drungen, sehr schmeichelweich, sehr auf Humanität ausgelegt. Es ist aber eine Huma­nität, die meiner Meinung nach in eine falsche Richtung geht. Ja, wir alle sind für Huma­nität, und der Montag hat uns vor Augen geführt, wie wichtig sie eigentlich ist, dennoch findet sie nicht statt.

Was heißt denn humanitäres Asylsystem – unter anderem ein Aspekt in diesem Vorha­bensbericht –? Wenn es nur um Asylrecht ginge, dann wäre das ja in Ordnung. Das finden wir auch richtig. Wir haben immer gesagt: Jeder, der Asyl braucht und verdient, soll es auch möglichst rasch und unbürokratisch bekommen. Leider hat uns die Vergan­genheit gelehrt, dass sich auch viele Menschen das Asylrecht unter Angabe von falschen Tatsachen, mit Hilfe von Anwälten, die ihnen dabei geholfen haben, ihre Identitäten zu wechseln, die Herkunftsländer zu wechseln und so weiter, erschlichen haben. Das ver­stehe ich nicht unter einem humanitären Asylsystem, weil sich dabei schon zeigt, dass Asylwesen und Migration aus anderen Gründen, ob es jetzt Arbeitsgründe oder persön­liche Gründe sind, immer wunderbar miteinander vermengt werden. Man tut so, als sei das alles Asyl – das ist es aber nicht.

Denken wir an vergangenen Montag, als ein furchtbarer Terroranschlag Wien getroffen hat – mitten im Herzen von Wien! – Dem sind aber schon viele andere vorangegangen: Wir haben in den letzten zehn Jahren unzählige Anschläge erlebt. – Ich finde es schön,


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dass der Herr Minister (in Richtung des den Saal verlassenden Bundesministers) ausge­rechnet jetzt auf die Toilette oder zum Händewaschen oder Desinfizieren gehen muss. Es scheint ihn nicht besonders zu interessieren, aber gut, wir nehmen das zur Kenntnis. (Zwischenruf des Bundesrates Bader.) – Wir nehmen das zur Kenntnis; na ja, ist so.

Zahlreiche Anschläge der letzten zehn, 15 Jahre, die fast kein Land in Europa verschont haben, hatten fast ausnahmslos einen islamistischen Hintergrund. Das kann niemand leugnen. Das heißt nicht, dass man alle Muslime in einen Topf wirft und jeden, der mus­limischen Glaubens ist, gleich a priori zum Terroristen erklärt. Es ist dennoch eine Tat­sache – das haben ja auch Medien, die nicht FPÖ-nahe sind, schon festgestellt –, dass immer der islamistische Hintergrund der bestimmende war.

Viele der Täter galten als integriert, was uns ja auch Sorge bereiten muss. Bei uns heißt es auch immer: Nein, die sind eh so gut integriert. – Das wissen wir nicht! Wir haben in den letzten Jahrzehnten immer öfter feststellen müssen, dass das oft nur eine Schein­realität und keine tatsächliche ist. Auch der Mörder vom Montag: Er ist hier geboren, und die Nachbarn haben gesagt: Der war eh so ein lieber Bub und so fußballbegeistert. – Er war in einem Entradikalisierungsprogramm und er stand unter Beobachtung, und den­noch konnte er seine Blutspur ziehen. – Da sage ich: Nein, mit diesem humanitären Asylsystem muss Schluss sein! Was bitte muss denn noch passieren? (Beifall bei der FPÖ.)

Stattdessen finden wir immer wieder den Hinweis, wie wichtig es ist, dass wir ausländi­sche Arbeitskräfte zu uns holen. Da wird die Blaue Karte bemüht, da wird die Rot-Weiß-Rot-Karte bemüht; wir bräuchten diese Zuwanderung, weil wir sonst zu wenig Arbeits­kräfte hätten. (Die BundesrätInnen Grimling und Schennach: Der ist in Österreich ge­boren!) – In Österreich, ja, ja, in Österreich! Ja, teilweise gehen andere Länder anders damit um. (Bundesrat Schennach: ... nicht aus Pakistan, nicht aus Syrien, nicht aus Indien! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Wir haben Lockdown, wir haben Kurzar­beit, wir haben Arbeitslosigkeit. Wir haben eine Arbeitslosenzahl, die in Richtung einer Million marschiert. Wäre es da nicht an der Zeit, vielleicht einmal ans eigene Land, an die eigene Bevölkerung, an die eigenen Arbeitssuchenden zu denken und darauf zu schauen, dass diese Arbeit haben, bevor wir uns Gedanken darüber machen, welche Karten wir noch vergeben können? (Beifall bei der FPÖ.)

Wir haben auch schon vor Corona sehr viel Arbeitslosigkeit gehabt. Jede Statistik hat gesagt, dass der Ausländeranteil, also der Anteil der Zugezogenen, überproportional hoch ist, was auch damit zu tun hat, dass diese Jugendlichen, vor allem die Jugendli­chen, keine entsprechende Bildung und Ausbildung haben. Ich sage es noch einmal, heute zum zweiten Mal an dieser Stelle: Das liegt auch daran, dass diese Jugendlichen überhaupt keine Notwendigkeit sehen, sich bilden und ausbilden zu lassen. (Beifall bei der FPÖ.)

Es ist nicht so, wie es in den Anfängen der Sozialdemokratie war, als es eine notleidende Arbeiterschaft gab. Darum ist ja die sozialdemokratische Partei, die sich damals noch sozialistische Partei genannt hat, gegründet worden. Die Erkenntnis war aber völlig richtig: Den Aufstieg schaffe ich nur über die Bildung. – Das wird auch in Zukunft so sein. Wir haben uns heute über Technologien, über Digitalisierung et cetera unterhalten. Dies­bezüglich müssen wir schauen, dass die Schüler und die Jugendlichen entsprechend gebildet und ausgebildet sind, damit sie in Zukunft bestehen können, und dass sie nicht so ohne Weiteres einer Radikalisierung zum Opfer fallen, weil sie verführbar sind, eben weil sie nichts wissen, keine Ahnung haben und alles glauben, was man ihnen einredet. Dazu gehört auch, dass man die Moscheen beobachtet und nötigenfalls schließt. Die Moschee in Favoriten ist ja bekannt dafür, dass sie radikalisiert. (Beifall bei der FPÖ.)

Es ist ja nicht nur in Österreich so, darunter leiden auch andere Länder. Kollege Schen­nach sagt: Schengen ist so europäisch, und wir können von einem Land ins andere ohne


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Grenzen und ohne Hindernisse reisen. – Ja, da werden Ihnen wahrscheinlich die meis­ten Menschen auch recht geben. Jeder von uns denkt sich: Ja, das ist eh super, wenn man von Österreich nach Italien oder nach Frankreich fahren kann und sich nicht bei der Passkontrolle anstellen muss. Das ist sehr komfortabel. Man muss sich dann aber schon auch anschauen, was dieser Komfort, den wir so schätzen, auf der anderen Seite bringt! – Die Einbrecher, Diebe und Verbrecher finden dieses Schengen nämlich min­destens genauso gut wie Sie, die können nämlich auch ungehindert ein- und ausreisen. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Wir haben es ja schon gesehen, was da der Polizei alles ins Netz gegangen ist, als wir partiell die Grenzen wieder kontrolliert haben: Menschen, nach denen jahrelang gefahndet wurde. Also so ganz von der Hand zu weisen ist es nicht, dass man sagt, man braucht wenigstens von Zeit zu Zeit einmal Kontrollen. (Beifall bei der FPÖ.)

Es ist schön, wenn im Vorhabensbericht – in allen anderen übrigens auch, nicht nur jetzt in dem speziellen – darüber gesprochen wird, dass es wichtig ist, die Menschen in ihren Herkunftsländern zu halten und dort die Bedingungen zu verbessern. – Ja, das würde ich befürworten, nur funktioniert das halt meistens leider nicht. Zum einen, weil die Um­stände nicht entsprechend sind, also dass die Menschen Vertrauen in den Staat haben. Das kann man übrigens sehr gut in einer Schrift eines Botschafters aus Deutschland über Afrika nachlesen, der sehr gut beschreibt, wie sehr die Menschen dort ihren Clans verpflichtet sind, weil sie – und wenn man sich viele Staaten in Afrika anschaut, muss man ja sagen: zu Recht – kein Vertrauen in den Staat haben. Wenn ein Staat – und das hat übrigens auch eine Journalistin einmal geschrieben – nicht mehr imstande ist, für Sicherheit, Bildung und Gesundheit zu sorgen, dann ist er kein Staat.

Diese Probleme haben wir dort. Und auch wenn ich weiß, dass es Ausnahmen auf dem afrikanischen Kontinent gibt, die auf einem guten Weg unterwegs sind, dann ist es halt immer noch eine Minderheit. Es ist also ein guter Ansatz, aber noch ein langer Weg bis dorthin, bis das greift, und bis dorthin – das muss man schon sagen – müssen wir einmal im eigenen Land für Ordnung sorgen.

Wenn eine Demonstration stattfindet, bei der österreichische Staatsbürger ins Mikrofon sagen: Ich bin Türke und für Erdoğan!, dann muss ich Ihnen sagen, Herr Minister, dass in diesem Lande etwas nicht stimmt. Dann hat die Integration genau nicht funktioniert. (Beifall bei der FPÖ.)

Ich muss daher sagen: Da müssen wir anfangen, auch – wie ich es heute Vormittag schon gesagt habe – mit entsprechenden Gesetzen. Man kann das nicht einfach laufen lassen, zur Kenntnis nehmen und sagen: Ja, das ist halt so. – Nein, das ist nicht so! Es muss einmal Ordnung im eigenen Land gemacht werden, dann können wir über alles andere reden. Wir sagen daher – meiner Meinung nach zu Recht –: keine weitere Immi­gration aus Drittstaaten, die ein völlig anderes Wertesystem haben, bevor die Integration nicht endlich einmal hier angekommen ist! (Beifall bei der FPÖ.) Damit muss dringendst begonnen werden, besser gestern als heute!

Wir werden diesen Bericht dennoch zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der FPÖ.)

19.30


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.


19.31.10

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werter Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Heute nehmen wir hier im Bundesrat Stellung zu dem im Frühjahr vorgelegten Bericht des BMI betreffend das Legislativ- und Arbeitspro­gramm der Europäischen Kommission. Nachdem dieser Bericht im Ausschuss des


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Nationalrates enderledigt worden ist, besteht nur heute hier im Bundesratsplenum die Möglichkeit, diesen noch einmal genauer vorzustellen. Im Kontext der europäischen Zu­sammenarbeit halte ich diesen Bericht und das Arbeitsprogramm für eine sehr wichtige Angelegenheit für Österreich. Kollegin Mattersberger und Kollege Schennach sind ja schon auf wesentliche inhaltliche Punkte zu sprechen gekommen und nicht wie meine Vorrednerin abgewichen.

Das Programm beinhaltet die wichtigsten Initiativen für 2020 und informiert darüber, wie die politischen Prioritäten realisiert werden sollen. Zudem trägt das Arbeitsprogramm aber auch den Hauptprioritäten des Europäischen Parlamentes Rechnung. Ebenso sind die Kernziele der strategischen Agenda des Europäischen Rates für den Zeitraum von 2019 bis 2024 enthalten, nämlich – um das noch einmal zu wiederholen – ein „europäi­scher Green Deal“, ein „Europa für das digitale Zeitalter“, eine „Wirtschaft im Dienste des Menschen“, ein „stärkeres Europa in der Welt“, die „Förderung unserer europäischen Lebensweise“ und „neuer Schwung für die Demokratie in Europa“.

Die prioritären Bereiche des Achtzehnmonatsprogramms sind die folgenden – ich zähle sie jetzt alle auf, weil nur Teilbereiche erwähnt worden sind –: die „verstärkte Kontrolle der EU-Außengrenze“, die „Einführung des Einreise- und Ausreisesystems [...] und des Europäischen Reiseinformations- und –genehmigungssystems“, eine „Strategie für ein integriertes europäisches Grenzmanagement“, die „Verbesserung der Rückführungen“, ein „Rahmen für sichere und legale Zugangswege“ – da möchte ich das Stichwort Re­settlement nennen –, die „Beobachtung der zentralen, der westlichen und der östlichen Mittelmeerroute“, die „Zusammenarbeit mit Partnern in Afrika, der Region des Westbal­kans und der Türkei“, die Bekämpfung des organisierten Verbrechens und des Drogen- und Menschenhandels, die „Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ in­klusive der Dublin-Verordnung – zu der ich später noch einmal genauer komme –, die Bekämpfung des Terrorismus, der Radikalisierung und des Extremismus, die „Inter­operabilität von Informationssystemen“, die „Stärkung des Schengenraums“ und ge­meinsame Katastrophenschutzmaßnahmen.

Für die folgenden Initiativen ist das BMI zuständig:

„Eine neue Strategie für die Sicherheitsunion“ mit dem Ziel, den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu stärken: Die neue Sicherheitsstrategie der EU wurde in diesem Jahr veröffentlicht. Diese Strategie ist begrüßenswert, und eine regelmäßige Be­richterstattung wird als sinnvoll erachtet.

Die „Stärkung des Mandats von Europol“ mit dem Ziel, die operative und politische Zu­sammenarbeit zu verstärken: Die diesbezügliche Überarbeitung der Europolverordnung zur Stärkung des Mandats von Europol wird von Österreich unterstützt. Und ja, ich kann Kollegen Schennach durchaus beipflichten, dass es natürlich auch immer wieder zu Schwierigkeiten in dem System kommt, wie berichtet – ich hatte auch schon solche Fälle –, aber die österreichische Justiz ist sehr wohl und sehr gut in der Lage, auch Aus­lieferungsansuchen sehr gut zu überprüfen; da kann ich nur zustimmen. (Bundesrat Schennach: Es kostet viel Nerven und Energie!) – Das stimmt auch, das kostet viel Nerven, da gebe ich Ihnen auch recht.

Der „Vorschlag für zusätzliche Maßnahmen zum Schutz kritischer Infrastrukturen“ wird von Österreich begrüßt und unterstützt, und das ist jetzt nicht so ganz am Thema, aber wir haben gerade jetzt in Zeiten der Pandemie gesehen, dass es ganz wichtig ist, kriti­sche Infrastrukturen aufrechterhalten zu können.

Die „EU-Strategie für eine wirksamere Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kin­dern“ ist maximal unterstützenswert.

Das „Katastrophenschutzverfahren der Union“ mit dem Ziel, die Finanzausstattung des Katastrophenschutzverfahrens zu ändern, damit kontinuierliche Finanzierung gewährleistet


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werden kann, wird von Österreich begrüßt. Auch das hat Kollege Schennach schon ge­sagt.

„Ein neuer Migrations- und Asylpakt sowie begleitende Legislativvorschläge“ haben das Ziel eines Gesamtkonzeptes, das der Tatsache Rechnung trägt, „dass interne und exter­ne Aspekte der Migration untrennbar verbunden sind“. Dieser Migrations- und Asylpakt wurde Ende September, am 23. September, seitens der EU vorgestellt, und nun gilt es, die österreichische Position festzuhalten, auszuarbeiten. Dabei ist es Österreich ein zen­trales Anliegen, dass die Asylfrage tatsächlich auf europäischer Ebene bearbeitet und gelöst wird, denn nur als ein gemeinschaftlich handelndes und solidarisches Europa werden wir in Zukunft in der Lage sein, in diesem Bereich Fortschritte zu machen und vor allen Dingen auch endlich Verbesserungen zu erzielen. Es soll ein Ziel sein, eine den Erfordernissen entsprechende Migrationspolitik zu gestalten und eine auch den Menschenrechtsnormen und der derzeitigen EU-Richtlinie folgende Asylpolitik zu be­treiben.

Dabei gilt es in den Vordergrund zu stellen, dass Systeme wie Dublin III schon längst beziehungsweise meiner Meinung nach von Beginn an zum Scheitern verurteilt waren. Da brauchen wir etwas anderes. Eine Strategie, die in erster Linie Länder an den EU-Außengrenzen belastet und an ihre Kapazitätsgrenzen bringt, kann nicht das Ziel eines menschenwürdigen Handelns sein. Es gibt durchaus Zugänge und Lösungen, die Ent­schärfungen von Hotspots wie Moria bringen und gleichzeitig im Sinne aller beteiligten Länder sind – ich bin davon überzeugt, dass es solche Lösungen gibt – und nicht bedeu­ten, dass wir die Asylgewährung nach Afrika verlagern, denn das kann es auch nicht sein.

Wir dürfen eines nicht vergessen: Natürlich geht es darum, den Schutzsuchenden Hilfe zu gewähren, aber wie sich in der Vergangenheit gezeigt hat, profitieren auch die Auf­nahmeländer von den Menschen, die hier ein neues Zuhause finden.

Ich bin nicht so blauäugig zu glauben, dass es nicht auch Hürden gibt. Natürlich müssen wir Missbrauchsversuchen etwas entgegenhalten und Wege und Möglichkeiten schaf­fen, um Schlepperei und vor allen Dingen Menschenhandel konsequent zu bekämpfen. Alles in allem wird es sehr wichtig sein, gerade in diesem Bereich in Europa gut zusam­menzuarbeiten, und Österreich sollte dabei einen konstruktiven Beitrag leisten. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der ÖVP.)

19.39


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Johanna Miesenberger. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.


19.39.25

Bundesrätin Johanna Miesenberger (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Prä­sidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen hier im Hohen Haus! Der Bericht für das Jahr 2020, den der Herr Bundesminister für Inneres dem nationalen Parlament vorgelegt hat, gliedert sich in zwei Teile und ist im Gesamten sehr umfassend. Im ersten Teil werden das Arbeitsprogramm der Europäischen Kom­mission und die Maßnahmen und Initiativen, die in den Zuständigkeitsbereich des Minis­teriums fallen, beschrieben.

Ich möchte auf den Inhalt des zweiten Teils, der die Arbeitsziele des Rates für das Jahr 2020 darstellt, näher eingehen. Wie im Bericht erwähnt hat die Triopräsidentschaft Rumänien, Finnland und Kroatien ebenso für den Zeitraum Jänner 2019 bis Juni 2020 ein gemeinsames Arbeitsprogramm vorgelegt. Die Maßnahmen und die Initiativen aus dem Programm laufen unter dem Titel: „Eine Union der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“. Sie sind gerade heuer für das Ministerium sehr ambitioniert und, wie ich finde, gerade seit Montag sehr treffend. Gerade in dieser Zeit sind Themen wie Asyl, Migration,


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Schutz der Außengrenzen, Sicherheit und Katastrophenschutz für die gesamte Union von enormer Wichtigkeit und erfordern von uns Geschlossenheit, damit es zu einer ra­schen und effizienten Umsetzung der Maßnahmen kommen kann.

Auf einige Punkte aus dem Bericht möchte ich kurz eingehen, um die gemeinsamen Ziele und Maßnahmen und vor allem die Position Österreichs zu erläutern. Ein wichtiger Punkt ist die Sicherung der EU-Außengrenzen. Die Kontrolle der EU-Außengrenze soll durch die Stärkung der europäischen Grenz- und Küstenwache verbessert werden. Wichtig dabei ist die Stärkung des Mandats und die Aufstockung der operativen Kapa­zitäten. Österreich sieht das als vorrangige Aufgabe, die so schnell wie möglich umge­setzt werden soll. Damit dieses Ziel aber erreicht werden kann, muss auf eine ausrei­chende Finanzierung der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache beson­ders geachtet werden. Derzeit wird bereits an der operativen Umsetzung der Verordnung gearbeitet.

Ein weiterer Punkt ist ein integriertes europäisches Grenzmanagement zur Bekämpfung der illegalen Migration. Mit der Einführung eines Einreise- und Ausreisesystems sollen Drittstaatsangehörige bei der Ein- und Ausreise in den Schengenraum automatisch re­gistriert werden. Weiters soll es ein zweites System geben, es soll ein sogenanntes euro­päisches Reiseinformations- und genehmigungssystem geben, das Informationen von nicht visumpflichtigen Drittstaatsangehörigen erfassen soll. Durch die Etablierung beider Systeme sollen Risikopersonen vorab identifiziert und wenn möglich von der Einreise abgehalten werden können. Beide Systeme sollen bis 2023 vollständig betriebsbereit sein. Österreich begrüßt natürlich die beiden Verordnungen als wichtige Maßnahmen zum europaweiten Grenzmanagement.

Ein wichtiger Bereich ist auch die Beobachtung der Migrationsströme. Die Maßnahmen und die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der irregulären Migration über die Mittel­meerrouten sollen – das ist ganz wichtig und wesentlich – gebündelt werden. Österreich unterstützt auch diese Anstrengungen zur verstärkten Zusammenarbeit. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen in Südosteuropa fordert Österreich konkrete Maßnahmen zur Unterstützung der Länder in dieser Region, die entlang der östlichen Mittelmeerroute und der Westbalkanroute liegen.

Ein Schwerpunkt ist auch die Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Schleppereibe­kämpfung. Die wirksame Bekämpfung der organisierten Kriminalität sowie des Drogen- und des Menschenhandels fordert eine gemeinsame und konsequente Vorgehensweise. Österreich begrüßt die weitere Verbesserung der polizeilichen und der justiziellen Zu­sammenarbeit in der EU, um die organisierte Kriminalität auch bekämpfen zu können.

Kollege Schennach hat den Schengenraum angesprochen, daher möchte ich auch da das wesentliche Ziel aus dem Bericht hervorstreichen, nämlich die Stärkung des Schen­genraums. Ich bin der Meinung, das ist eine große, wenn nicht die größte Errungenschaft der EU, und diese muss sichergestellt werden. Österreich will keine Verschlechterung des Handlungsspielraums für die Mitgliedstaaten, aber wenn besondere Bedrohungen bestehen, muss gehandelt werden können. Es ist daher, und da schließt sich der Kreis vom Grenzmanagement, wichtig, dass effiziente Außengrenzkontrollen und ein krisen­festes Asylsystem bestehen, das sind nämlich wichtige Voraussetzungen für Freiheit, Sicherheit und Recht in einem Raum ohne Binnengrenzen.

Wir sehen, der Bereich Inneres ist ein sehr dynamischer, die Arbeit stellt das Ministerium und die Republik täglich vor neue Herausforderungen. Ich denke, wir müssen die He­rausforderungen gemeinsam auf EU-Ebene bewältigen und dürfen sie nicht auf einige wenige betroffene Staaten abwälzen.

Am 19. Oktober dieses Jahres hat die Europäische Kommission ihr Arbeitsprogramm für 2021 unter dem Titel „Eine vitale Union in einer fragilen Welt“ vorgelegt. Bis Montag


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dieser Woche, vor diesem furchtbaren Ereignis in Wien, hat sicher niemand von uns geglaubt, wie fragil die Welt vor unserer eigenen Haustür und das Leben in unserem Land sein können. Wir müssen gemeinsam alles unternehmen, dass alle Mitgliedstaaten in der Union, dass wir gemeinsam ein Leben in Freiheit, in Sicherheit und ein Leben mit den Grundrechten sicherstellen können. Österreich ist gemeinsam mit dem Innenminis­terium, unserem Innenminister Karl Nehammer, bereit, daran aktiv mitzuarbeiten und Maßnahmen in diese Richtung umzusetzen. Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

19.46


19.46.36

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

19.47.107. Punkt

Bericht der Bundesregierung über die innere Sicherheit in Österreich (Sicherheits­bericht 2018) (III-699-BR/2019 d.B. sowie 10434/BR d.B.)


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Wir gelangen nun zum 7. Punkt der Tages­ordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Silvester Gfrerer. – Bitte, Herr Bundesrat, ich ersuche um den Bericht.


19.47.23

Berichterstatter Silvester Gfrerer: Ich bringe den Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten über den Sicherheitsbericht 2018 (III-699-BR/2019).

Der vorliegende Bericht beinhaltet einen Beitrag des Bundesministeriums für Inneres sowie einen Beitrag des Bundesministeriums für Justiz.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für innere Angelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 3. No­vember 2020 den Antrag, den Sicherheitsbericht 2018 (III-699-BR/2019) zur Kenntnis zu nehmen. – Danke.


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Vielen Dank für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ernest Schwindsackl. – Bitte, Herr Bun­desrat, ich erteile es Ihnen.


19.48.32

Bundesrat Ernest Schwindsackl (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren! Die brutale Terror­attacke, die am Montag stattgefunden hat, hat mich zutiefst betroffen und dazu bewogen, die Begriffsdefinition Sicherheit genauer zu fokussieren, bevor ich auf den Inhalt des Sicherheitsberichtes 2018 eingehe.

Der Begriff Sicherheit umfasst innere wie äußere Sicherheit von Gemeinschaften und schließt die politische, ökonomische, soziale, rechtliche, ökologische, kulturelle, techni­sche und militärische in sich ein. Sicherheit ist stets relativ, absolute Sicherheit gibt es


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ebenso wenig wie absolute Freiheit oder absolute Unabhängigkeit. Unsicherheit hinge­gen kann sich viel stärker der Absolutheit nähern als Sicherheit.

Ein Zitat von Konfuzius, 479 vor Christus, hat auch heute und vor allem auch jetzt ab­solute Aktualität. Ich zitiere:

„Gefahr entsteht, wenn der Mensch sich in seiner Position sicher fühlt. Verderben be­droht dem, der versucht, einen Zustand zu erhalten. Durcheinander entsteht, wenn wir alles ordnen. Daher vergißt der überlegene Mensch nicht die Gefahr, wenn er in Sicher­heit ist. Der Weise vergißt nicht das Gespenst des Verderbens, wenn er sich in vollstän­digem Wohlstand befindet. Der Intelligente vergißt nicht das Durcheinander, wenn“ auch alles „geordnet“ erscheint.  2 479 Jahre alt – aktuell.

Im Vorwort des Sicherheitsberichtes 2018 schreibt der bei der Herausgabe des Berich­tes zuständige Bundesminister für Inneres Dr. Wolfgang Peschorn:

„Der soziale Friede führt zum Zusammenhalt der Gesellschaft, Sicherheit und Freiheit sind zentrale Bedürfnisse der Menschen in Österreich und die Grundlage für eine hohe Lebensqualität. Zusammen mit einem funktionierenden Rechtsstaat sind dies die Vo­raussetzungen für einen erfolgreichen Wirtschaftsstandort.“

Durch den Sicherheitsbericht 2018, der Ihnen ja vorliegt, werden die tägliche Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bundesministerium für Inneres sowie die Entwick­lung der sicherheitsrelevanten Bereiche genau dokumentiert.

Die neuen Kriminalphänomene sind wohl insbesondere das Ergebnis gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen. Um diese Herausforderungen effektiver und effi­zienter bewältigen zu können, investiert die Polizei in die Ausbildung sowie in die Aus­rüstung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Entwicklung der Kriminalität mahnt jedoch auch zur Vorsorge im rechtlichen Bereich, zumal der Kampf gegen das Verbre­chen auch adäquater Rechtsgrundlage bedarf.

Immigration und Asylbereich, die Herausforderung aus der Migrationskrise 2015, konn­ten im Wirkungsbereich des Bundesministeriums für Inneres weitgehend abgearbeitet werden. Der rückläufige Trend bei den Asylanträgen darf allerdings nicht darüber hin­wegtäuschen, dass der Migrationsdruck über die Mittelmeerroute weiter hoch ist. Öster­reich und Europa werden in den nächsten Jahrzehnten mit starken Migrationsbewe­gungen konfrontiert sein. Diesen wird nur mit neuen Regeln – mit Zustimmung aller be­troffenen Staaten – für ein gemeinsames europäisches Asyl- und Migrationswesen er­folgreich begegnet werden können. Unsere Bundesregierung hat dies auch in ihr Ar­beitsübereinkommen aufgenommen, wird dem nachkommen und wird sich auch daran halten.

Extremismus und Terrorismus müssen, wie wir leider jetzt erfahren mussten, möglichst frühzeitig professionell und umfassend bekämpft werden, gleich von welchen Gruppie­rungen unsere Gesellschaft durch radikale Ideologien angegriffen wird. Auch die Ent­wicklungen in unseren europäischen Nachbarregionen können natürlich auf die Sicher­heit in Österreich Einfluss nehmen, deshalb wird die internationale Zusammenarbeit in­nerhalb der Europäischen Union aber auch mit Drittstaaten  immer wichtiger und stellt einen bedeutsamen Bestandteil für die Gestaltung der Sicherheit in Österreich dar.

Im Bericht 2018 wurde bei der Anzahl der inhaftierten Personen ein Höchststand ver­zeichnet. Im Berichtsjahr 2018 gab es mit 9 093 inhaftierten Personen einen neuerlichen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr 2017. Mehr Anzeigen gab es im Berichtsjahr auch im Bereich der Internetkriminalität. 2018 waren es 19 627, immerhin eine Steigerung um 16,8 Prozent.

Zusammenfassend kann man von einem durchwachsenen Bericht sprechen, auch durch die weitblickende und zukunftsorientierte Arbeit der in den Jahren vor 2017 und 2018


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agierenden Innenminister. Die personelle Aufstockung der Sicherheitskräfte gehört zum positiven Teil des Berichtes, die Ideenverfolgung, Pferde für den Polizeieinsatz einzuset­zen, zum absoluten Flop des Jahres 2018. Immerhin kostete das die Steuerzahler 2,4 Mil­lionen Euro. (Bundesrat Rösch: Warum habts ihr sie dann nicht behalten?!) Auch die wirkliche Demolierung des BVT 2018 gehört in die Amtszeit eines sicherlich fehlbesetz­ten damaligen Innenministers.

Sehen wir trotzdem positiv einer besseren, vor allem durch die neuen Maßnahmen si­chereren Zukunft entgegen. (Zwischenruf des Bundesrates Rösch.) Ein herzliches Dan­keschön an den Herrn Bundesminister für Inneres Karl Nehammer und allen im Dienst der Sicherheit tätigen (neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Rösch) – ich bin beim Dank, Herr Kollege!  Männern und Frauen, die unsere Bevölkerung tagtäglich durch den Einsatz ihres eigenen Lebens schützen. Ein steirisches Glückauf! (Beifall bei der ÖVP. Zwischenruf des Bundesrates Rösch.)

19.55


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Vi­zepräsidentin Bundesrätin Mag.a Elisabeth Grossmann. – Bitte schön, Frau Bundesrätin.


19.56.05

Bundesrätin Mag. Elisabeth Grossmann (SPÖ, Steiermark): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! An einem Tag wie heute, an dem wir alle in Gedanken noch bei diesem entsetzlichen Terroranschlag vom Montag sind, ist es fast ein bisschen eigenartig bis ironisch, den Sicherheitsbericht von 2018 zu diskutieren, aber so ist eben unsere Tagesordnung.

Der Bericht gibt uns Gelegenheit, einen analytischen Blick auf unser Sicherheitswesen zu werfen, aber natürlich auch Schlussfolgerungen für die Gegenwart und die Zukunft zu ziehen. Der Bericht zeichnet, ja, ein durchwachsenes Bild; es gibt auch durchaus positive Aspekte, aber es lohnt sich schon, genauer hinzusehen. Ja, die Anzeigen und Verurteilungen sind zurückgegangen, vor allem die Einbruchsdiebstähle, Kfz-Diebstähle, Ladendiebstähle sind rückläufig. Großteils ist das aber auch den besseren Sicherungs­systemen geschuldet, natürlich auch der Vorsicht, vielleicht der gestiegenen Vorsicht der Bevölkerung. Da dürften auch Präventionsprogramme gegriffen haben. Es sind auch Verkehrsunfälle mit schweren Verletzungen erfreulicherweise etwas zurückgegangen.

Stark gestiegen aber ist die Internetkriminalität. Überhaupt ist sichtbar, dass sich die Kriminalität zunehmend ins Netz verlagert. Da sieht man schon, dass die rechtliche Entwicklung der technologischen oft hinterherhinkt und nicht Schritt hält. Die Verfolgung von Hass im Netz, ja auch von Verhetzung – das ist ja oft der Nährboden für Radikalisie­rung und eben für unerwünschte Tendenzen in der Gesellschaft – muss intensiver durch­geführt werden. Da ändert sich zwar langsam der Rechtsrahmen, aber es braucht natür­lich auch ausreichend qualifiziertes Personal, um den Anzeigen tatsächlich nachzuge­hen und um die Daten auch effektiv zu verfolgen.

Im Berichtszeitraum wurden 21 300 Gewaltstraftaten angezeigt, und da ist schon bemer­kenswert, dass beim Großteil der Taten ein Naheverhältnis zwischen Opfer und Täter bestand, oft sogar eine Haushaltsgemeinschaft. Negativer Höhepunkt sind 41 Morde an Frauen und 32 an Männern, das muss uns natürlich aufrütteln. Es gab auch 14,6 Prozent mehr Anzeigen wegen Vergewaltigungen. Das alles zeigt uns, dass der gefährlichste Ort vor allem für Frauen immer noch das eigene persönliche Umfeld ist. Der gefährlichste Ort, und das ist besonders dramatisch für Frauen, ist die eigene Familie. Das wird immer noch stark unterschätzt. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich habe schon sehr oft viele Frauenorganisationen darauf hingewiesen, dass auch eine Haft ausgesprochen werden muss, wenn ein Haftgrund – sprich eine Tatbegehungsge­fahr, Wiederholungsgefahr – gegeben ist.


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Da ist eine Wegweisung zu wenig – und wenn eine Wegweisung ausgesprochen wird, dann muss der Täter auch entsprechend beobachtet und natürlich auch betreut werden, und das Opfer muss beschützt werden. Opferschutz und Schutz der Gesellschaft müs­sen immer Vorrang haben. Dieser Grundsatz muss immer vorangestellt werden. Und ja, die Qualität der Gefährlichkeitsprognosen ist auch etwas, das man sich näher anschau­en muss.

Was man sich aber ganz intensiv anschauen muss, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist die Situation in den Haftanstalten – das ist auch ein wesentlicher Sicherheits­aspekt. Die Gefängnisse sind randvoll, das geht auch aus diesem Bericht von 2018 her­vor. Eine Resozialisierung ist bei dem Personalstand so gut wie unmöglich, und das kommt auch in der Biographie des Attentäters vom Montag dramatisch ans Licht der Öf­fentlichkeit.

Wir haben nun schmerzvoll zur Kenntnis nehmen müssen, was wir immer wieder erfah­ren müssen: Haftanstalten sind keine Besserungsanstalten mehr, sondern sie sind sehr oft Brutstätten für Radikalisierung und Gewalt. Das wurde in zahlreichen Interviews mit Expertinnen und Experten deutlich. Auch das ist aber nichts Neues. Das wissen wir schon lange, und darauf weist die Personalvertretung der Justizwachebeamtinnen und -be­amten immer wieder hin, schon seit Jahren, wird aber systematisch ignoriert, das möchte ich hier auch erwähnen. (Beifall bei der SPÖ.) Es fehlen viele Planstellen, und das Dra­matische ist: Selbst von den genehmigten Planstellen sind 200 unbesetzt. Da kann ge­rade einmal – wenn überhaupt – eine bloße Überwachung aufrechterhalten werden, aber sicher keine Resozialisierung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich weiß, Sie werden keine Haftanstalt von innen kennen. Ich kenne sie aus meiner beruflichen Vergangenheit im Zuge meiner Aus­bildung. Auch an den Haftanstalten des Straflandesgerichts Graz sieht man: Sie sind räumlich gut ausgestattet, sie haben Werkstätten, es gibt Ausbildungsstätten. Da soll den Häftlingen die Möglichkeit geboten werden, eine Berufsausbildung nachzuholen, eine Tischlerausbildung oder was auch immer, aber diese Ausbildungsstätten sind groß­teils leer, weil einfach kein Personal da ist, um sie zu betreuen.

Justizwachebeamtinnen und -beamte kommen ja aus handwerklichen Berufen. Sie haben ganz andere berufliche Hintergründe – eben auch mit dem Ziel, den Häftlingen etwas weiterzugeben und vielleicht auch handwerkliche Fähigkeiten zu vermitteln. Das können sie aber überhaupt nicht umsetzen, weil sie bereits mit der reinen Überwa­chungstätigkeit überlastet sind. Selbst das ist wirklich nur durch Einsatz bis zum Rande der Erschöpfung möglich und kann nicht in erforderlicher Qualität gewährleistet werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte jetzt, weil ich da im mittleren Sektor ein Nicken wahrnehme (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth), nicht unerwähnt las­sen, dass das schon auch eine Nachwirkung von Schwarz-Blau ist, denn da hat sich beim Personalschlüssel und bei der personellen Ausstattung gerade für den Justiz­bereich einiges zum Nachteil geändert. (Zwischenruf der Bundesrätin Schartel.) Zuvor hat es immer eine Art Aufteilungsschlüssel gegeben, nach dem 10 Prozent der Planstel­len bei der Polizei sozusagen den Planstellen bei der Justiz entsprochen haben. Das heißt, da hat es immer ein Verhältnis gegeben: Ist man bei den Polizeibeamten personell nach oben gegangen, hat man diesem Verhältnisschlüssel entsprechend auch bei den Justizwachebeamtinnen und -beamten nachjustiert. Das ist aber seit Langem nicht mehr passiert.

Etwas muss man auch betonen: Hätten wir noch den Jugendgerichtshof, wäre der Attentäter wahrscheinlich dort gesessen, und dort hätte man in der damals gewohnten Qualität entsprechende Resozialisierungsmaßnahmen setzen können. Den Jugendge­richtshof gibt es seit Langem nicht mehr. Ihn zu zerschlagen war ein großer politischer


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Fehler. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Wenn man über Reformen nachdenkt, sollte man auch darüber nachdenken, diese bewährte Insti­tution wieder einzuführen, meine sehr geehrten Damen und Herren, denn da zu sparen können wir uns nicht leisten. Der Preis, den die Gesellschaft jetzt dafür zahlen muss, ist viel zu hoch, meine sehr geehrten Damen und Herren. – Ich danke für Ihre Aufmerksam­keit. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrätin Mühlwerth: Na, das ist aber jetzt wirklich ein Blödsinn, was Sie ...! – Weiterer Zwischenruf bei der FPÖ.)

20.05


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Markus Leinfellner. – Bitte Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.


20.05.45

Bundesrat Markus Leinfellner (FPÖ, Steiermark): Frau Präsidentin! Herr Innenminis­ter! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Österreicherinnen und Österreicher! Der Sicherheitsbericht 2018 zeigt in vielen Bereichen eine wirklich positive Entwicklung. Die Kriminalität ist im Jahr 2018 unter einem freiheitlichen Minister – und ich glaube, gerade angesichts der letzten Tage kann man sagen: unter dem besten Innenminister aller Zeiten – wesentlich zurückgegangen. (Beifall bei der FPÖ. – Heiterkeit bei der SPÖ.) Ich glaube, auch die Zahlen (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann) in diesem Bericht sprechen diesbezüglich eine klare Sprache. (Zwischenruf der Bundesrätin Gru­ber-Pruner.) Im Jahr 2018 sind 472 981 Anzeigen erstattet worden, das sind 7,4 Pro­zent weniger im Vergleich zum Jahr 2017. Das ist der niedrigste Wert, seitdem es bei den Anzeigen eine elektronische Erfassung gibt.

Im Vergleich dazu ist aber auch die Aufklärungsrate auf 52,5 Prozent gestiegen, und auch das ist der beste Wert der letzten zehn Jahre, meine sehr geehrten Damen und Herren. Ich glaube, das ist auch der Erhöhung des Personalstands um 656 Bedienstete bei der Exekutive unter einem freiheitlichen Innenminister geschuldet – und ich hätte mir gewünscht, oder ich wünsche mir, dass diese positive Personalentwicklung bei der Poli­zei auch in Zukunft fortgesetzt wird.

Wie wir gesehen haben, ist Österreich nicht sicherer geworden. Das sehen wir schon allein an den Ereignissen des letzten Montags, meine sehr geehrten Damen und Herren. Ganz im Gegenteil! Als viele, viele Zuwanderungsromantiker – und ich bin im Jahr 2015 selbst an der Grenze gestanden – Kuscheltiere übergeben haben oder sich der steiri­sche Landeshauptmann mit der Landesregierung in Graz eingehängt hat und Lichter­ketten für die Menschlichkeit gebildet hat, war das der Zeitpunkt, zu dem das trojanische Pferd wirklich in unser Land Einzug gehalten hat. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrätin Schumann: Was?) Ich sage Ihnen, die Auswirkungen des Jahres 2015, dieser verfehl­ten Integrations- und Migrationspolitik, werden in diesem Land noch aufgehen wie der sprichwörtliche Germteig.

Positiv zu diesem Sicherheitsbericht aus dem Jahr 2018 ist zu bemerken, dass die Asyl­anträge um mehr als 41 Prozent zurückgegangen sind. Ebenso positiv ist zu bemerken – wir haben es heute von Kollegen Schwindsackl schon gehört –, dass bis zum Jahr 2018 95 Prozent der Asylanträge, die seit 2015 gestellt wurden, abgehandelt wurden. (Vize­präsidentin Grossmann übernimmt den Vorsitz.)

Ich sage, was wir brauchen, sind schnelle Asylverfahren. Was wir aber auch brauchen, sind schnelle Abschiebungen von Wirtschaftsflüchtlingen. Was wir in diesem Land schon gar nicht brauchen, sind IS-Rückkehrer. Das sind Menschen, die in diesem Land nichts verloren haben. (Beifall bei der FPÖ.)

Da komme ich auch schon zu einem weniger erfreulichen Teil des Sicherheitsberichts, nämlich dem Anteil der verurteilten Nichtösterreicher. Dieser Anteil lag im Jahr 2018 bei


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mehr als 43 Prozent und hat somit einen neuen Höchststand in diesem Land erreicht. Kollege Schwindsackl hat es ebenfalls vorhin erwähnt: Die Zahl der Inhaftierten war auf einem Höchststand von 9 093 Personen. Was ich vielleicht überhört habe, ist die Anzahl der Personen, die keine österreichischen Staatsbürger sind. Das waren nämlich 4 982. Das sind mehr als 50 Prozent, meine sehr geehrten Damen und Herren – und da muss sich im Bereich der Zuwanderung in unserem Land ganz sicher etwas ändern. (Beifall bei der FPÖ.)

Ich darf festhalten, dass der Sicherheitsbericht 2018 in seiner Gesamtheit eine positive Entwicklung unter einem freiheitlichen Innenminister zeigt, Straftaten zurückgegangen sind und die Aufklärungsrate auf einem Höchststand ist. Das ist Sicherheitspolitik im Interesse der Österreicher. Das ist Sicherheitspolitik, so wie ich sie mir vorstelle, und ich hätte mir gewünscht, Herr Bundesminister, dass dieser Erfolgsweg für Österreich weiter­gegangen worden wäre.

In dem Zusammenhang darf ich auch ein paar Worte an Sie richten: Ich kann leider in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen nur sehr wenig Positives über die aktuelle Si­cherheitslage in diesem Land berichten, und mir fällt dazu nur ein: Auf den – ich habe es schon erwähnt – besten Innenminister aller Zeiten folgt anscheinend der wohl schlechteste Innenminister aller Zeiten. (Bundesrat Buchmann: Hallo! – Bundesrat Ba­der: Na geh!) Ein alter Spruch hat ja schon immer gesagt: Etwas Besseres kommt nicht nach. (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Buchmann.) Ich glaube, da haben wir nun den lebenden Beweis dafür; auch wenn da drüben bei den Damen und Herren Un­ruhe herrscht, sehen wir das. (Beifall bei der FPÖ.)

Die Erfolge des Innenministers kann man an den Entwicklungen der letzten Tage mes­sen, und ich glaube, Herr Bundesminister, damit haben Sie sich wohl keine Lorbeeren in diesem Land verdient. Das Versagen in der Terrorismusbekämpfung sind die Auswir­kungen des Agierens eines ÖVP-Innenministers, das darf ich Ihnen an dieser Stelle auch ins Stammbuch schreiben. Das war keine Terrorismusbekämpfung, das war im wahrsten Sinne des Wortes ein „Pleiten-, Pech- und Pannendienst“, wie es unser Generalsekretär so treffend formuliert hat. Das ist aber auch die Sicherheitspolitik, die die Sicherheits­politik der ÖVP widerspiegelt. Ich kann Ihnen nur sagen: Hören Sie auf, Verantwortung abzuschieben! Hören Sie auf, Unwahrheiten zu verbreiten! Hören Sie auf, mit dem Fin­ger auf andere zu zeigen! Ziehen Sie die Konsequenz aus Ihrem Versagen – und die einzige Konsequenz ist der Rücktritt.

In diesem Zusammenhang darf ich auch noch folgenden Entschließungsantrag der un­terfertigten Bundesräte einbringen:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Entlassung des Bun­desministers für Inneres Karl Nehammer“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Der Bundeskanzler wird aufgefordert, im Interesse der Sicherheit Österreichs, dem Bun­despräsidenten vorzuschlagen, den Bundesminister für Inneres, Karl Nehammer, zu ent­lassen und durch eine geeignete Persönlichkeit zu ersetzen.“

*****

(Beifall bei der FPÖ.)

Ich glaube, das wäre etwas, was die Sicherheit in diesem Land wirklich erhöhen würde. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

20.13



BundesratStenographisches Protokoll914. Sitzung, 914. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2020 / Seite 103

Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Der von den Bundesräten Markus Lein­fellner, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Entlas­sung des Bundesministers für Inneres Karl Nehammer“ ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist nun Frau Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger. – Bitte, Frau Kollegin.


20.13.30

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Leider erst eineinhalb Jahre nach dem Erscheinen des Si­cherheitsberichtes diskutieren wir diesen heute im Bundesrat. Es wurde von meinen Vor­rednerInnen schon gesagt: Dieser Bericht liefert uns einen detaillierten Überblick über das kriminelle Geschehen in Österreich, indem er zur Anzeige gebrachte strafbare De­likte ausweist. Erfreulich ist tatsächlich, dass die Gesamtkriminalität und die Eigentums­delikte rückläufig sind und die Aufklärungsquote weiter erhöht werden konnte. Über die Zahlen wurde schon gesprochen. Fakt ist, die Polizei klärte jedes zweite angezeigte Delikt auf.

Interessant ist allerdings – das wurde auch schon angesprochen, und gerade heute ha­ben wir sehr viel über Digitalisierung und ihren Nutzen gesprochen –, dass auch die Kri­minalität sich bei einer verstärkten Digitalisierung in den Onlinebereich verlegt. Die Internetkriminalität ist tatsächlich angestiegen, und die Aufklärungsquote ist bei Weitem noch nicht dort, wo die Aufklärungsquote bei den analogen Verbrechen ist, wenn man das so sagen kann. Der Cyber- und Internetkriminalität wird daher in Zukunft noch we­sentlich mehr Aufmerksamkeit zu widmen sein. Es wird auch von Bedeutung sein, dass das Polizeipersonal in dem Bereich geschult wird und auch die Personalressourcen ent­sprechend aufgestockt werden.

Ein weiteres Kapitel im Bericht ist dem Thema Extremismus und Terrorismus gewidmet, und gerade angesichts der Ereignisse des Montagabends in der Wiener Innenstadt er­hält dieses Kapitel eine besondere Brisanz. Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, es gibt sehr viele offene Fragen in dem Bereich, angefangen vom Umgang mit radikalisierten Menschen oder Gruppen über Fragen von Haft und Haftentlassung bis zu begleitenden Maßnahmen und Möglichkeiten der Deradikalisierung. Viele Expertinnen- und Experten­meinungen waren in den unterschiedlichen Medien zu hören. Was mir heute aber als sehr wichtig erscheint ist, dass wir jetzt besonnen reagieren und die Tat und die Begleit­umstände umfassend untersuchen. Es wurde heute am Vormittag im Nationalrat schon beschlossen, dass dies geschehen wird.

Unsere Exekutive und auch die Justiz und die betrauten Stellen haben die Möglichkeiten und Mechanismen, um aufzuklären, um zu bestrafen und zu verhindern. Dementspre­chend sollte das Ganze auch gut funktional abgewickelt werden – auch das mit dem entsprechenden Fachwissen und Personal, sowohl aufseiten der Polizei als auch bei den unterstützenden Präventionsmaßnahmen. Es sei aber noch einmal gesagt: Dieses brandaktuelle und uns alle beschäftigende Thema hat sehr viele Facetten. Die Abwick­lung soll meiner Meinung nach nicht heute hier im Plenum geschehen; wir haben weder die notwendige Zeit noch die Analysemöglichkeit. Dies ist eine Anregung von meiner Seite: Wünschenswert und zielführend, denke ich, wäre eine gemeinsame parlamentari­sche Enquete von Bundesrat und Nationalrat, um diesen großen Themenkomplex aus­giebig zu erörtern. – Danke schön. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)


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20.17


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Zu Wort gemeldet ist nun Herr Bundesrat Stefan Schennach. – Bitte.


20.17.48

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrter Herr Bundesminister! Im Zuge der Debatte über den Sicherheitsbericht wurde ein Entschließungsantrag eingebracht. Ich melde mich jetzt zu diesem Entschließungsan­trag, der ja im Rahmen der Debatte zum Sicherheitsbericht eingebracht wurde, und ich möchte die Position meiner Fraktion zu diesem Entschließungsantrag kurz erläutern.

In diesem Entschließungsantrag, Herr Bundesminister, wird nicht die Arbeit der Polizei am Montagabend kritisiert – die war hervorragend, engagiert und mutig (Beifall bei SPÖ und FPÖ), genauso wie die wirklich beeindruckende Arbeit der Rettungsdienste und auch der Feuerwehr. Das, muss man sagen, hat beispielhaft und sehr schnell funktioniert und hat über die Nacht auch ein Gefühl der Sicherheit in die Stadt gebracht, die einen Terroranschlag erleben musste, bei dem Menschen ihr Leben verloren haben und ein Polizist und auch unschuldige Passanten schwer verletzt wurden.

Dieser Entschließungsantrag richtet sich aber gegen die Spitze der Polizei – und das, Herr Bundesminister, sind Sie. Es gibt einige Fragen zu klären. Meiner Vorrednerin möchte ich sagen: Frau Kollegin, das sind Fragen, die man trotzdem aufwerfen muss, weil in den letzten 24 Stunden doch einige Informationen erschütternden Inhalts bekannt geworden sind.

Wie kann das sein: Der Geheimdienst, der Nachrichtendienst eines befreundeten Staa­tes, der Slowakei, informiert Österreich: Da ist ein seltsamer Mann, und der wollte für ein Sturmgewehr Munition kaufen. – Was ist jetzt mit dieser Information passiert? War das die Information eines Salzamtes (Heiterkeit bei BundesrätInnen der FPÖ), bei der man einfach gesagt hat, ein paar Verrückte aus Bratislava haben da etwas geschrieben, oder so?

Ich wundere mich, dass das meine Vorgängerin am Rednerpult hier nicht gesagt hat: Eines geht schon gar nicht, Herr Bundesminister – und ich finde das irgendwie schäbig ‑: statt Verantwortung zu übernehmen, zu sagen, man soll auf niemanden mit dem Finger zeigen, und trotzdem auf die Justizministerin zu zeigen! – Das geht so nicht. Das ist Ihre Verantwortung, das BVT steht unter Ihrer Verantwortung.

Ich will jetzt nicht darüber spekulieren, wer es „zerstört“ hat, aber da war die Verant­wortung mit auch bei der ÖVP in einer Regierungskoalition. Also eines geht gar nicht: Weder Sie noch der Herr Bundeskanzler können da die Schuld abwälzen.

Tatsache ist: Die Sicherheitsdienste sind rechtzeitig über einen gefährlichen irren Mann informiert worden, darüber, dass er Munition für ein Sturmgewehr kaufen wollte. Jetzt frage ich Sie: Wo kann so ein Bub, ein Bursche in Österreich ein solches Sturmgewehr erwerben? (Zwischenruf des Bundesrates Saurer.) – Natürlich, ja, das kommt schon. Bitte, der Schwarzmarkt, wo man Waffen dieser Kategorie kaufen kann – da ist ja nicht eine Flinte oder irgendetwas gekauft worden, da ist ein Sturmgewehr gekauft worden; das ist schon eine ganz andere Sache –, da muss es doch auch eine Observierung die­ser Szene seitens des BVT, seitens der Polizei geben.

Die nächste Frage, die wir uns zu stellen haben: Wie kam es zu der Radikalisierung eines aus dem jugendlichen Alter Herausgewachsenen, der bei uns auch sozialisiert wurde, der bei uns auch bestraft wurde? Es steht nicht der Strafvollzug zur Debatte, sondern es steht zur Debatte: Was ist danach, wo war die Observation?

Und was ist nun mit dieser angeblichen Razzia, die hätte stattfinden sollen und aufge­flogen ist? Da muss es ja undichte Kanäle im Bundesministerium für Inneres geben, wenn eine geplante Razzia auffliegt, denn was wir bisher erfahren haben, ist, dass offen­sichtlich der Zeitpunkt irgendetwas mit dem Auffliegen der Razzia zu tun hat. Das wissen wir nicht, das wird untersucht. Es ist gut, dass eine Kommission eingerichtet wird.


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Die Schlüsselfrage ist: Warum wurde die Information aus der Slowakei nicht an die Justiz weitergegeben? Die Justiz hätte sofort handeln können, hätte die Bewährung widerrufen können, hätte den jungen Mann in Haft nehmen können. Dann wäre es nicht zu einem solchen Attentat mit tödlichen Folgen gekommen.

Das sind alles Fragen, und die richten sich an die Spitze des Ministeriums. In diesem Sinne, Herr Bundesminister, so leid es mir tut: Die Fragen sind so gravierend und die Folgen aus dem Nichthandeln und Nichtverwerten einer so wichtigen Information sind so gewichtig, dass wir diesem Entschließungsantrag heute unsere Zustimmung geben. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

20.24


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Ru­dolf Kaske. – Bitte sehr.


20.24.40

Bundesrat Rudolf Kaske (SPÖ, Wien): Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Sehr ge­schätzter Herr Bundesminister! Geschätzte Mitglieder des Bundesrates! Ich sage heute auch: geschätzte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses! Zum Ersten möchte ich sagen: Ich unterstütze zu 100 Prozent die Ausführungen von Stefan Schennach.

Einen Sicherheitsbericht 2018 im Jahr 2020 zu diskutieren, ist wohl mehr als müßig. Viel wichtiger ist aus meiner Sicht – und das haben ja jetzt auch die letzten Minuten gezeigt ‑, eine aktuelle Debatte rund um den Terroranschlag zu führen.

Meine Damen und Herren! Ich sage: Handeln ist gefragt, schonungslose Aufklärung ist im Interesse der österreichischen Bevölkerung gewünscht.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte die heutige Sitzung des Bundesrates auch dazu nützen, mich von Ihnen zu verabschieden. Ich gehöre zwar erst seit Feb­ruar 2019 dieser zweiten Kammer des Parlaments an, aber aus meiner Sicht war es eine spannende, eine intensive und eine interessante Aufgabe und auch eine sehr spannen­de und interessante Zeit. Ich durfte viele interessante Persönlichkeiten aus allen Frak­tionen kennenlernen, beziehungsweise manche kannte ich ja schon etwas länger, und da gab es auch Gelegenheit, die Kontakte zu intensivieren. Danke für den Meinungsaus­tausch und Danke für die Zusammenarbeit.

Als Mitglied dieses Hauses – wenn auch nur kurz – lernte ich natürlich auch die Höhen und Tiefen des Parlamentarismus kennen. Die hat vielleicht dann und wann auch heute die Debatte zu den einzelnen Tagesordnungspunkten gezeigt. Ich habe viele Kollegin­nen und Kollegen kennengelernt, die Respekt, hohe Wertschätzung und auch persönli­che Zuneigung verdienen.

Auch wenn natürlich die Interessen der eigenen Fraktion im Vordergrund stehen, sollten wir, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, immer wieder innehalten, denn in erster Linie geht es um die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in unserem jeweiligen Bundes­land, die wir vertreten, und darüber hinaus um die Interessen der österreichischen Be­völkerung.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Es steht mir nicht zu, Ihnen einen Ratschlag zu geben, aber ich denke, es ist gut, wenn Sie weiterhin Ihr Bestes geben, weil es um die Akzeptanz der Politik im Generellen, aber auch um die Akzeptanz von Politikerinnen und Politikern im Speziellen geht.

Für alle, die es interessiert, darf ich auch anmerken, weil ich heute schon gefragt worden bin: Es ist wie im wirklichen Leben: Eine Tür geht zu, eine andere Tür geht auf. Es warten andere und neue Aufgaben auf mich. Ich sehe das mit einem lachenden Auge auf der einen Seite, aber natürlich auch mit einem weinenden. Auch wenn Sie es vielleicht dann


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und wann nicht glauben: Sie werden mir abgehen. Das möchte ich Ihnen bei dieser Ge­legenheit schon sagen. (Heiterkeit bei BundesrätInnen von ÖVP und FPÖ.)

Zum Schluss möchte ich Ihnen auch noch mitgeben, geschätzte Kolleginnen und Kol­legen – ich bin lange in der Politik tätig und ich denke, es steht jedem von uns mehr als gut an –: Demut ist in der Politik generell angesagt, denn so wichtig unsere politische Arbeit für jeden Einzelnen von uns ist, sind wir alle miteinander nur ein Sandkorn der Geschichte. Trotzdem, glaube ich, leisten wir auf der anderen Seite einen wichtigen Bei­trag zum Wohle unseres Landes und zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger.

In diesem Sinne möchte ich Ihnen für Ihre Arbeit weiterhin natürlich alles Gute wünschen und darf sagen: Es lebe die Demokratie! Es lebe die Republik Österreich! – Vielen herz­lichen Dank. (Allgemeiner Beifall.)

20.29


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Lieber Kollege Rudolf Kaske, auch von dieser Stelle aus vielen Dank für dein Wirken hier im Hohen Haus, und für deine Zukunft alles Gute, vor allem Gesundheit!

Zu Wort gemeldet ist Herr Fraktionsvorsitzender Bader. – Bitte, Herr Kollege.


20.30.29

Bundesrat Karl Bader (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ge­schätzter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Her­ren vor den Bildschirmen! Zum Entschließungsantrag, der heute eingebracht wurde, möchte ich einige Anmerkungen machen; zunächst einmal jene, dass sich Kollege Lein­fellner die Ausführungen, die persönliche Anschüttungen des Herrn Bundesministers be­inhaltet haben, durchaus hätte ersparen können. In der Presseaussendung, die um halb sieben Uhr online gegangen ist, haben wir das alles schon nachlesen können.

Dass Medien über das eine oder andere spekulieren, sind wir ja gewohnt. Dass es aber auch ehemalige Innenminister gibt, die FPÖ insgesamt, die Namen von Polizeiaktionen nennen oder darüber in der Öffentlichkeit spekulieren, das halte ich schon für politisch sehr bedenklich. Vor allem denke ich, dass das, was da im Umfeld, seitens der Opposi­tionspartei FPÖ im Speziellen, passiert ist, etwas ist, das durchaus auch Ermittlungsar­beiten der Behörden genauso wie auch die Beamten gefährden kann. (Zwischenruf bei der FPÖ.)

Gestern, zwei Tage nach dem schrecklichen Attentat in Wien, hat der Nationale Sicher­heitsrat zu diesem Thema getagt.

Es ist auch schon richtigerweise festgestellt worden – das erkenne ich natürlich an –, dass die Arbeit der vor Ort tätigen Exekutivbeamten insgesamt eine ausgezeichnete war, sodass dieser Täter auch innerhalb von 9 Minuten ausgeschaltet werden konnte. Es ist aber auch klar, dass die Ereignisse in der Zeit vor diesem Angriff genau zu hinterfragen und zu untersuchen sind. Es war der Herr Innenminister, der gleich gesagt hat, dass da in der Information „etwas schiefgegangen“ sein muss und dass er gemeinsam mit der Justizministerin dafür ist, eine unabhängige Untersuchungskommission einzusetzen.

Gerade die FPÖ beklagt das Versagen des BVT und beschwert sich, dass es vielleicht nicht so funktioniert, wie es hätte funktionieren können oder wie es funktionieren sollte. Wir müssen uns aber schon daran erinnern: War es nicht Herbert Kickl, der bei einer Razzia mit den Beamten ins BVT eingedrungen ist? Bis heute wissen wir nicht, was bei dieser Razzia gesucht wurde. (Bundesrat Rösch: ... Beamte! Der war gar nicht dort! – Bundesrätin Mühlwerth: ... Minister!) – Das habe ich ja gesagt: von den Beamten. (Zwi­schenruf bei der FPÖ.) – Ja, ja. Dass diese Razzia auf sein Betreiben hin durchgeführt wurde, ist einmal klar.


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Wir wissen bis heute nicht, was dort gesucht wurde, aber wir wissen, was erreicht wurde: eine rechtswidrige Suspendierung des BVT-Leiters, die zurückgenommen werden muss­te, eine Hausdurchsuchung, die sich nachträglich ebenfalls als rechtswidrig erwiesen hat. (Zwischenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser. – Bundesrätin Schartel: Na, na, na!) Das macht schon etwas mit einer Einrichtung und das macht auch etwas mit den Mit­arbeiterinnen und Mitarbeitern. (Bundesrat Rösch: Das ist doch Pinocchio...!) Durch die Tätigkeit des damaligen Ministers wurde das gesamte BVT infrage gestellt und auch das Ansehen national und international beschädigt.

Heute bringen Sie einen Entschließungsantrag ein und erheben Schuldzuweisungen an den Innenminister, die es gerade jetzt mit Sicherheit nicht braucht. Es ist auch eine Vor­verurteilung, die Sie hier vornehmen. Dieser Antrag ist zwar legitim – keine Frage –, aber Sie unterstellen dem Minister persönliche Verantwortung, der sich in dieser Krise mit seinem Team im Ministerium sogar sehr bewährt hat. Das möchte ich hier festhalten. (Beifall bei der ÖVP und bei BundesrätInnen der Grünen.)

Ich kann mich daher, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, nicht ganz des Eindrucks erwehren, dass die Opposition hier diesen schrecklichen Terroranschlag dazu nützen möchte, politisches Kleingeld zu wechseln. (Rufe bei der SPÖ: Nein!) Das ist schon ein sehr durchsichtiges Manöver. (Zwischenrufe bei der SPÖ)

Es geht um Verantwortung. Es geht um Verantwortung, meine sehr geehrten Damen und Herren, und diese Verantwortung wird von der Regierung, wird vom Herrn Innenmi­nister, wird von der Justizministerin wahrgenommen. Es geht um einen kompromisslo­sen Kampf gegen den politischen Islam. Dafür steht Innenminister Karl Nehammer. Das ist auch Verantwortung Marke Innenminister. (Beifall bei der ÖVP.)

Es geht um eine lückenlose Aufklärung, und das ist auch das, was gesagt wurde. Da wird nichts zugedeckt, da wird nichts beschönigt. Da soll mit allem, was erforderlich ist, aufgeklärt werden. – Das ist Verantwortung Marke Innenminister Karl Nehammer, und daher unterstützen wir den Herrn Bundesminister bei diesen Aufgaben, die er zu erfüllen hat und die er auch erfüllen wird, und werden diesen Entschließungsantrag entspre­chend ablehnen.

Ich möchte zum Schluss aber auch noch eines anmerken: Aufgrund der Wahlen im Bun­desland Wien wird es hier personelle Veränderungen geben. Herr Kollege Kaske hat sich gerade eben verabschiedet, es wird auch andere Veränderungen geben. Ich möchte daher zum Schluss auch anmerken, dass ich mich bei allen, die dem Hohen Haus, dem Bundesrat, ab Dezember nicht mehr angehören werden, von dieser Stelle aus persönlich im Namen der ÖVP-Fraktion bedanken möchte, dass sie bereit waren, politische Ver­antwortung für die Menschen in unserem Land zu übernehmen, dass sie bereit waren, hier im Hohen Haus mitzuarbeiten, mitzudiskutieren, auch politische Gefechte auszutra­gen. Die Meinungsverschiedenheit ist das, was uns hier auch weiterbringt. Sie soll auch entsprechend hochgehalten werden. Ich wünsche all jenen, die im Dezember bei den Sitzungen hier nicht mehr dabei sein werden, alles Gute für ihre politische Zukunft, für ihre berufliche Zukunft, aber vor allem für ihre persönliche Zukunft. – Vielen Dank. (Bei­fall bei der ÖVP und bei BundesrätInnen der Grünen.)

20.37


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Es liegt eine weitere Wortmeldung vor. – Bitte, Frau Fraktionsvorsitzende Mühlwerth.


20.37.21

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Bader, wenn wir schon vom Gedächtnis sprechen, dann möchte ich doch dem Ihren ein wenig auf die Sprünge helfen, weil das sehr lückenhaft war.


BundesratStenographisches Protokoll914. Sitzung, 914. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2020 / Seite 108

2016 hat es im BVT schon eine Razzia gegeben. Wer stellte da den Innenminister? Die FPÖ? – Nein, es war die ÖVP, wie in den Jahren davor auch schon. Das Innenminis­terium ist ja schon seit ewigen Zeiten in ÖVP-Hand. Man ist ja schon versucht, von einer Haus- und Hofkanzlei der ÖVP zu sprechen. (Beifall bei der FPÖ.)

Um dem Gedächtnis von Herrn Bader auf die Sprünge zu helfen – und vielleicht tratscht er erst in 5 Minuten mit Kollegen Buchmann –: 2017 gab es die nächste Razzia – unter einem ÖVP-Innenminister und nicht FPÖ-Innenminister.

Wenn von einem Ministerium ausgehend eine Razzia gemacht wird, das von einem ÖVP-Minister geführt wird, und die Justiz auch ein ÖVP-Minister führt, wird ja wohl ir­gendetwas dran gewesen sein. Das kommt ja nicht aus heiterem Himmel, und es war nichts, sondern da wird es ja einen Grund gegeben haben.

Und wenn wir hören, dass es einen regen SMS-Verkehr – das ist in den Medien ge­standen –, einen regen SMS-Verkehr zwischen Werner Amon und dem BVT gegeben hat, dann fragt man sich schon: Was ist denn da los? Welche Interna werden denn da zum ÖVP-Abgeordneten und zurück geschickt? Das ist demokratisch, transparent? Das nennt sich dann Verfassungsschutz, Schutz der Verfassung und vor Terrorismus? Das verstehen Sie unter einem ordentlich geführten Ministerium? – Ich sage Ihnen: Ich ver­stehe unter einem ordentlich geführten Ministerium das, was Herbert Kickl begonnen hat, nämlich einmal dort aufzuräumen. (Beifall bei der FPÖ.)

Genau das hat ja letzten Endes dazu geführt, dass Herbert Kickl weg musste aus diesem Ministerium. Er hätte auch Platz gemacht, dann haben Sie aber gesagt: Kein Freiheitli­cher darf dieses Ministerium führen! Der Grund dafür ist nach meinem Dafürhalten und jenem meiner Fraktion der, dass da offensichtlich so vieles im Argen liegt, dass Sie ge­sagt haben: Das können wir nicht brauchen, dass da die Freiheitlichen aufräumen und Dinge ans Licht kommen, die wir am besten für alle Ewigkeiten unter der Decke halten! (Beifall bei der FPÖ.)

Als 2018 die Razzia war, von der Sie jetzt behaupten, sie wäre rechtswidrig gewesen, hat der damalige Generalsekretär Nehammer Kickl noch den Rücken gestärkt, hat ihn verteidigt, ist freiwillig ans Rednerpult gegangen und hat gesagt: Alles nicht wahr! Heute hat er aber zu unserem großen Erstaunen, obwohl er jetzt schon 2,5 Stunden hier sitzt und wir schon einige Tagesordnungspunkte abgehandelt haben, nicht einmal das Wort ergriffen. Dabei schätze ich den Herrn Innenminister durchaus als jemanden ein, der Manns genug ist, für sich selber einzustehen, der also niemanden braucht, der jetzt für ihn ausreitet und ihn rettet. Nun frage ich mich und ich frage auch Sie: Warum hat er das nicht getan? Vielleicht ist doch das Schuldbewusstsein zu groß, sodass er sich dem jetzt nicht stellen will? (Anhaltender Beifall bei der FPÖ.)

20.41


20.41.20

Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Debatte ge­schlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Ich stelle die Stimmeneinhelligkeit fest. Der Antrag ist somit angenommen.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Markus Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend „Entlassung des Bundesministers für Inneres Karl Nehammer“ vor. Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.


BundesratStenographisches Protokoll914. Sitzung, 914. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2020 / Seite 109

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Ich stelle die Stimmenmehrheit fest. Der Antrag auf Fassung der ge­genständlichen Entschließung ist daher angenommen. (329/E-BR/2020)

20.42.508. Punkt

Entschließungsantrag der Bundesräte Günther Novak, Kolleginnen und Kollegen betreffend keine Abwälzung der EU-Plastikabgabe auf SteuerzahlerInnen statt Plastikhersteller (280/A(E)-BR/2020 sowie 10435/BR d.B.)


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Wir gelangen zum 8. Punkt der Tages­ordnung. (Beifall bei BundesrätInnen der ÖVP für den den Sitzungssaal verlassenden Bundesminister Nehammer.)

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Stefan Schennach. – Ich bitte um den Bericht.


20.43.15

Berichterstatter Stefan Schennach: Auf dem Weg zum Rednerpult wurde gefragt, ob das vorhin ein Abschiedsapplaus war – aber das müssen die Betreffenden selber wis­sen.

Ich bringe den Bericht des Umweltausschuss über den Entschließungsantrag, den der Vorsitzende selbst eingebracht hat, betreffend „keine Abwälzung der EU-Plastikabgabe auf SteuerzahlerInnen statt Plastikhersteller“.

Der Antrag wurde ausführlich im Ausschuss diskutiert. Ich teile mit, dass dieser Ent­schließungsantrag mit Stimmenmehrheit angenommen wurde. Ich nehme auch an, dass der Antrag vorliegt.

Als Ergebnis seiner Beratung stellt der Umweltausschuss somit den Antrag, der Bun­desrat wolle die angeschlossene Entschließung annehmen.


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Peter Raggl. – Bitte, Herr Kollege.


20.44.20

Bundesrat Dr. Peter Raggl (ÖVP, Tirol): Geschätztes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende der Tagesordnung dürfen wir noch ein neues, nicht minder wichtiges Thema anreißen. Es geht um die Umwelt, und ich darf zum vorliegenden Entschlie­ßungsantrag Stellung nehmen.

Eines vorweg: Natürlich ist die Reduktion von Plastik- und Kunststoffabfällen, vor allem von jenen Abfällen, die nicht der ordentlichen Entsorgung zugeführt werden, und jenen, die nicht im Kreislauf gehalten werden können, unser aller gemeinsames Ziel.

Ich möchte in Zeiten wie diesen durchaus auch eine Lanze für das Plastik brechen. Plastik ist nicht nur schlecht. Es gibt gerade heute einen Bericht der Europäischen Um­weltagentur, wonach der Plastikverbrauch in Zeiten wie diesen, in Coronazeiten, massiv gestiegen ist, weil Plastik ein hygienisches, leicht zu desinfizierendes Material ist, das gerade jetzt dort, wo es Hygiene bedarf, massiv gebraucht wird.

Es geht eben, wie schon gesagt, vor allem um das Problem der Plastikabfälle, die eben nicht ordentlich entsorgt werden. Es geht da um das Problem des achtlosen Wegwerfens von Kunststoff, des sogenannten Litterings.

Wir alle haben die Bilder der Plastikinseln in den Ozeanen im Kopf. Das sind natürlich schockierende Bilder, aber wenn wir im österreichischen Parlament darüber diskutieren, muss ich auch feststellen, dass laut Studien lediglich 2 Prozent des Mülls dieser Plas­tikinseln aus Europa und den USA stammen. Der Großteil dieser Entsorgungen in die


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Ozeane kommt leider aus asiatischen und afrikanischen Ländern, wo es in den Fragen der ordentlichen Entsorgung noch einen Riesenaufholbedarf gibt.

Wir haben in Österreich schon sehr gute Ansätze, um Plastikmüll zu vermeiden. Unsere damalige Umweltministerin hat 2018 ein Plastiksackerlverbot angekündigt, das als euro­paweiter Vorreiter gesehen worden ist. Dieses Plastiksackerlverbot wurde vorbildlich umgesetzt – und es funktioniert. Das hat man sich eigentlich gar nicht vorstellen können, wenn man weiß, wie viele solcher Plastiksackerln verwendet wurden. Es funktioniert, wird akzeptiert und ist ein starkes Signal gegen die sogenannte Wegwerfgesellschaft.

Jetzt komme ich zum Inhalt des Entschließungsantrages der SPÖ, der für mich durchaus diskussionswürdig ist, aber aus meiner Sicht in der derzeitigen Phase der Diskussion nur einen sehr kleinen Teilaspekt eines notwendigen Maßnahmenbündels darstellt. Dem Antrag fehlt das Fundament, nämlich die Gesamtstrategie zu geeigneten Maßnahmen zur Reduktion von Plastikabfällen. Es braucht vor der Einführung von neuen Abgaben, vor der Einführung von neuer Bürokratie, vor der Begründung neuer Kosten für die Kon­sumenten, neuer Kosten für den Handel, eine grundlegende Diskussion darüber, wie es möglich ist, Plastikabfall zu vermeiden.

Es gilt auch, die Tatsache miteinzubeziehen, dass in Österreich bereits 70 Prozent aller in Verkehr gesetzten Einweggetränkeflaschen getrennt erfasst werden. Einige Bundes­länder – dazu zählen Tirol, Vorarlberg und das Burgenland – erreichen bereits jetzt das von der EU für 2030 vorgegebene Ziel einer Recyclingquote von 90 Prozent, aber einige Bundesländer, insbesondere Wien, wobei ich jetzt kein Wienbashing betreiben möchte, haben da noch einen großen Aufholbedarf.

Wenn ich sehe, wie in Wien der Müll gesammelt wird, dann muss ich sagen, dass es für einen, ich sage jetzt einmal, Provinzler aus Tirol eigentlich unvorstellbar ist, wie man das macht. Bei uns sammelt jeder, vom Kleinkind bis zum Greis, sämtliche Abfallsorten ge­trennt. Wir sammeln natürlich Buntglas, Weißglas, Karton, Papier, Tetrapakmaterialien, Holz, Metall, Alu, Sperrmüll und Problemstoffe seit mindestens 20 Jahren getrennt. Das ist absolute Normalität.

Da gibt es, wie gesagt, noch sehr viel Aufholbedarf auch innerhalb Österreichs. Es braucht also große Anstrengungen. (Bundesrat Schennach: ... wider besseres Wis­sen!) – Bitte? (Bundesrat Schennach: Der Vertreter des Ministeriums hat im Ausschuss gesagt, dass das nicht wahr ist! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) – Ja, wie sammelt denn dann Wien? Habt ihr nicht nur einen Müllkübel, in den auch Dosen, Glas und Plastik hineingeworfen werden? (Bundesrätin Grimling: Das stimmt doch nicht! – Weite­re Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Es braucht große Anstrengungen, um die Sammel-, Sortier- und Recyclingkapazitäten generell zu erhöhen. Bundesministerin Gewessler hat dazu einen Dreipunkteplan vorge­legt, der unter anderem vorsieht, die Mindestquote für Mehrwegflaschen schrittweise zu erhöhen. Da redet man davon, dass man 25 Prozent im Jahr 2023, 40 Prozent im Jahr 2025 und 50 Prozent im Jahr 2030 erreichen möchte.

Ein weiterer Punkt aus dem Plan ist die Einführung eines Pfandes auf Einwegflaschen. Dies verursacht aus meiner Sicht zusätzliche Bürokratie und vor allem auch zusätzliche Kosten, und zwar nicht nur für den Konsumenten, sondern auch für die Infrastruktur – Kosten, die gerade die Konzerne mit Sicherheit irgendwo unterbringen, aber den kleinen Nahversorger vor große Herausforderungen stellen, die er nicht leicht bewältigen kann.

Zum Gewessler-Plan gehört auch eine Abgabe, die von Importeuren und Produzenten von Plastikverpackungen zu zahlen wäre, nämlich 80 Cent pro Kilogramm Plastikver­packung.


BundesratStenographisches Protokoll914. Sitzung, 914. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2020 / Seite 111

Dieser Gewessler-Plan liegt seit wenigen Wochen vor und es stehen noch intensive Besprechungen und Verhandlungen an. Der Entschließungsantrag der SPÖ-Fraktion kann da, wie bereits gesagt, nur einen kleinen Teilaspekt dieses noch nicht verhandelten Gesamtpakets darstellen. Aus unserer Sicht gehört diese Detailfrage im Prozess disku­tiert, es müssen noch viele Vorfragen geklärt werden. Daher wird dieser Entschließungs­antrag von der ÖVP-Fraktion nicht unterstützt. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

20.51


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Günther Novak. – Bitte, Herr Kollege.


20.51.24

Bundesrat Günther Novak (SPÖ, Kärnten): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kolle­gen! Wir haben diese Diskussion nicht initiiert. (Unruhe im Saal. – Bundesrat Schen­nach – in Richtung FPÖ deutend –: Hier wird zu viel gemurmelt! – Bundesrat Steiner: Ich!) – Lauter, noch lauter! Diese Diskussion wurde nicht von uns, sondern von euch initiiert.

Dr. Raggl hat im Grunde genommen wenn auch nicht in allem, so doch in vielem recht. Wenn ich mir die Zeitungsberichte anschaue, muss ich feststellen, dass ein Streit um dieses Plastikpfand tobt. Karlheinz Kopf von der WKO sagt: „Haben bessere Argumente gegen Plan von Ministerin Gewessler.“

Schauen Sie, was wir haben wollten – und das haben Frau Kollegin Herr im Nationalrat und auch ich im Bundesrat schon als Entschließungsanträge eingebracht –, ist, dass das nicht aus dem Budget finanziert wird. Es war unser ureigenstes Interesse, denn 80 Pro­zent der Steuern, das wissen Sie selbst, werden von Arbeitern, Angestellten, Pen­sionisten, also von den Konsumenten bezahlt. Wir sind der Meinung, dass es eine an­dere Möglichkeit der Umlage geben müsste, und wir reden da von immerhin 142 Mil­lionen Euro.

Kollege Ragger (Zwischenruf bei der ÖVP)  Entschuldigung, Raggl; Ragger ist FPÖ-Nationalrat und war bei uns in Kärnten Landesrat –, also Kollege Raggl hat ja selbst gesagt, dass man versucht, da gemeinsam eine Regelung zu finden. Nur wird es diese gemeinsame Regelung dann wahrscheinlich schlussendlich nicht geben, denn 2021 ist die erste Tranche zu bezahlen, und da geht es um diese 142 Millionen Euro. Deswegen sind wir so dagegen, dass das aus dem Budget finanziert wird.

Wir finden, dass es einen Lenkungseffekt geben muss, dass es wie am Land auch eine gelbe Tonne geben muss, wie du gesagt hast, Kollege Raggl. Es gibt ja auch diese gel­ben Säcke. Keine Frage, man versucht es, aber leider Gottes ist es so, dass wir in der Europäischen Union Nachzügler sind. Die Recyclingquote von Plastikverpackungen liegt bei uns bei knapp 33,6 Prozent. In Tirol wird sie wohl höher sein, da wirst du wohl recht haben. In Litauen liegt sie übrigens bei 74 Prozent – sonst würde man diese 142 Millio­nen Euro nicht bezahlen.

Unsere Kollegin im Nationalrat hat ein paar Fragen an den Finanzminister gestellt. Ei­gentlich hätten wir die Fragen ja an Frau Gewessler richten sollen. Heute ist keiner da, aber für mich und für uns stellt sich immer noch die Frage: Wie schaut es mit den an­deren Mitgliedstaaten aus? Gab es wirklich schon Besprechungen mit den Plastikher­stellern darüber, dass sie sich daran beteiligen? Und wie hat man in den Ministerien verhandelt? Es scheint da eine rege Diskussion zu geben, da wird man hoffentlich noch auf einen grünen Zweig kommen. Im ersten Jahr aber wird es nicht mehr passieren, davon bin ich fast überzeugt.

Ich habe noch eine Presseaussendung von der WKO. Natürlich versucht die Wirtschafts­kammer, das von sich wegzudrängen, ganz im Interesse der Betriebe, denn dieses Ein­wegpfand ist eine Belastung für die Betriebe. Ich verstehe alles. Jeder versucht, es ir­gendwo anders hinzubringen, aber schlussendlich muss es einer bezahlen.


BundesratStenographisches Protokoll914. Sitzung, 914. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2020 / Seite 112

Zum Abschluss möchte ich da noch etwas vorlesen, wenn ich das zusammenbekomme. (Der Redner blickt auf sein Tablet.) Geht nicht. (Allgemeine Heiterkeit. – Ruf: Der Kollege Novak ...!) – Aber jetzt habe ich es. Weißt eh, die Menschen aus den Bergen, gell? (Ruf: Hut ab, Hut ab!) Die Wahrheit ist, dass ich das auf diesem Gerät größer machen kann. Vom Zettel kann ich das schlecht lesen, weil die Schrift so klein ist. (Allgemeine Heiter­keit.)

Tatsache ist – ich lese das vor –: „In Deutschland spricht sich der Bund Getränkeverpa­ckungen der Zukunft (Getränkeherstellern, Handel und der Verpackungsindustrie) für die Beibehaltung der Pfandpflicht aus: ‚Das Pfandsystem hat sich bewährt. Der Verbraucher hat sich daran gewöhnt, Hersteller und Handel haben sich darauf eingerichtet. Das Pfandsystem hat zu einer deutlich höheren Wiederverwertungsrate von PET und Metall geführt.“ – Und weiter so in dieser Art und Weise.

Man hat sich vonseiten der kleinen Läden engagiert, man hat sich darauf festgelegt, dass es ein zentral gesteuertes Pfandsystem gibt. Mit ein bisschen gutem Willen würde das also gehen.

Schlussendlich und abschließend möchte ich aber noch einmal feststellen: Wir werden mit allen Mitteln versuchen, durchzusetzen, dass das schlussendlich nicht aus dem Bud­get erfolgt, sondern auch andere – Industrie, wer auch immer – miteingebunden werden, damit das so abgeführt wird, wie wir uns das vorstellen. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ.)

20.56


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Zu Wort gelangt nun Herr Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross. – Bitte, Herr Kollege.


20.56.53

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Frau Präsidentin! Hohes Haus! Werte Zuhörerinnen und Zuhörer! Plastikabfälle sind längst zu einem globalen Problem geworden. Es ist schon so weit, dass Mikroplastik Bestandteil der Nahrungskette ist, es ist überall drinnen – und leider werden auch bei uns riesige Mengen an Verpackungen einfach weggeworfen.

Es ist aus meiner Sicht offensichtlich, dass der weitere Kampf gegen den Plastikmüll eine der drängenden Umweltfragen ist. So ist es auch richtig, dass die Europäische Union von ihren Mitgliedstaaten ab nächstem Jahr eine Plastikabgabe für nicht recycelte Kunststoffverpackungen verlangt.

Wir haben es gehört, es geht um beträchtliche Summen. Für Österreich reden wir da über eine Dimension von zumindest 150 Millionen Euro. Ziel der Abgabe ist es, Anreize dafür zu schaffen, Kunststoffverpackungen zu reduzieren und die Recyclingquote zu er­höhen. Die EU-Kunststoffstrategie definiert ganz konkrete Ziele wie jenes, dass 2030 mindestens 55 Prozent aller Kunststoffverpackungen recycelt sein müssen.

Ein bisschen noch zu den Zahlen: In Österreich fallen jährlich 900 000 Tonnen Plastik­abfall an. Laut Schätzung des Umweltbundesamtes wird diese Menge nächstes Jahr bereits die 1-Millionen-Tonnen-Größe erreichen. Plastikverpackungen machen davon rund ein Drittel aus, also 300 000 Tonnen pro Jahr. Das kann man sich alles nicht vor­stellen. Wenn man das auf einen Tag umrechnet, sind das täglich über 800 Tonnen Plastikmüll, der da anfällt.

45 000 Tonnen Einwegplastikflaschen werden jährlich verkauft. Auch darunter kann man sich nichts vorstellen. Wenn man das umrechnet, ergibt das eine stolze Menge von 1,6 Milliarden Einwegplastikflaschen pro Jahr. Davon werden – ich würde jetzt nicht schon sagen, sondern eher lediglich – 70 Prozent gesammelt. Umgekehrt heißt es: 500 Millionen Flaschen landen jährlich irgendwo, meist in der Landschaft. Da ist noch etwas zu tun.


BundesratStenographisches Protokoll914. Sitzung, 914. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2020 / Seite 113

Dementsprechend setzen sich auch die Litteringabfälle entlang von Straßen größtenteils aus Verpackungen zusammen. PET-Flaschen machen da, auf das Gewicht bezogen, mit 23 Prozent den höchsten Anteil aus. Die Gemeinden klagen darüber, es kostet ein Vermögen. Es sind viele Millionen Euro, die jährlich von Kommunen aufgewendet wer­den müssen, um diesen ganzen Müll wieder zusammenzuklauben.

Was Getränke betrifft, werden nur etwa 19 Prozent aller Getränke in Pfandflaschen ab­gefüllt – 1995 waren es übrigens noch 80 Prozent. Auch die Recyclingquote ist in Öster­reich nicht rekordverdächtig, nur 25 Prozent des Kunststoffabfalls werden recycelt, das ist nebenbei auch eine immense Vergeudung von Ressourcen.

In einem Punkt muss ich schon ein bisschen widersprechen, das ist nämlich tatsächlich eine nationale Frage und keine Frage eines Bundeslandes. Auf jeden Fall ist es Zeit, zu handeln, und die Klimaschutzministerin hat dazu wie bereits erwähnt ein Gesamtkon­zept, einen Dreipunkteplan vorgelegt. Kollege Novak – oder war es Herr Raggl? – nennt ihn Gewessler-Plan, das lassen wir gelten.

Ich glaube, es ist wichtig, noch einmal ganz kurz zu streifen, was die wesentlichen Ele­mente sind. Erster Punkt ist eine Mehrwegquote, die für 2030 mit 55 Prozent verbindlich festgelegt wird, so ist der Plan. Die Idee dabei ist – das ist im Grunde ja simpel –: Wenn es mehr Mehrweggebinde wie Glasflaschen oder auch PET-Mehrwegflaschen gibt, wird der Plastikmüll automatisch weniger, no na. Mehrwegflaschen können übrigens 50-mal wieder befüllt werden, und das spart auch eine Menge Energie und Ressourcen.

Das zeigt übrigens auch, dass die Plastikstrategie eine wichtige Klimaschutzmaßnahme ist. So verbraucht eine PET-Mehrwegflasche im Vergleich zu einer PET-Einwegflasche 40 Prozent weniger Ressourcen und Rohstoffe und emittiert um 50 Prozent weniger klimaschädliche Treibhausgase, das zeigt eine Bilanz des Umweltbundesamtes. (Ruf bei der SPÖ: Also stimmt alles, was im Antrag steht! Der Antrag ist inhaltlich korrekt!)

Besonders gut schneiden übrigens Glasflaschen ab, wenn es um Ressourcenverbrauch geht, und Glasflaschen erzeugen auch kein Mikroplastik, wenn man sie wegwirft.

Der zweite Punkt ist schon etwas umstrittener, das ist das Einwegpfand, bei dem es darum geht, künftig auch für Einwegverpackungen ein Pfand einzuheben. Das betrifft übrigens auch Getränkedosen, und Sie alle kennen das Bild: Es gibt einen Marktführer aus Österreich, und Sie alle begegnen bei Ihren Spaziergängen diesen Dosen, die ir­gendwo weggeworfen wurden.

Wenn Plastikflaschen und Dosen zurück ins Geschäft gebracht werden, können sie einfach recycelt werden und – das ist ein ganz wichtiger Punkt – sie können sortenrein sortiert werden. Die Recyclingquote steigt dadurch und die Abgabenlast durch die EU-Plastiksteuer sinkt damit natürlich. Es ist eigentlich völlig unumstritten, das zeigen alle Studien und Erfahrungen, dass ein Pfand auf Einwegverpackungen und Einwegflaschen zur Zurückgabe dieser Flaschen motiviert.

Viele Länder haben das längst eingeführt; Deutschland zum Beispiel hat durch dieses Pfand eine Rückgabequote von 98,5 Prozent erreicht, das ist beachtlich. Wir haben es wieder gehört: Oft werden als Gegenargument die Kosten für die Einführung eines sol­chen Sammelsystems für Einwegverpackungen angeführt. Das kostet etwas, ja, das stimmt natürlich, keine Frage – aber man kann auch etwas damit verdienen. Gerade der größere Handel kann mit dem gut sortierten Einwegpfandsystem erhebliche Materialein­löse lukrieren, weil es ein wertvoller Rohstoff ist. Studien zeigen, dass damit die Kosten mittelfristig wieder hereinkommen.

Ich verstehe darum auch nicht, dass ausgerechnet große Ketten wie Rewe, Spar, Hofer und Lidl dermaßen massiv gegen die Einführung des Pfandsystems arbeiten, gerade die nämlich, die es sich eigentlich leisten könnten – und bezeichnenderweise kommt umge­kehrt von den Kleinen, vor allem von den unabhängigen regionalen Geschäften, kein


BundesratStenographisches Protokoll914. Sitzung, 914. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2020 / Seite 114

Widerstand gegen das Pfandsystem. Die haben das nämlich verstanden, dass eine Pfandeinführung nicht den kleinen Handel bedroht. Das Gegenteil ist der Fall, weil Pfandsysteme natürlich auch für höhere Kundenfrequenz sorgen. Ich weiß das zum Bei­spiel von einem kleinen Laden in meiner Nähe, in dem auch meine Frau arbeitet, der Getränke überhaupt nur mehr in Mehrweggebinden verkauft. Genau das tritt ein: Die Leute bringen die Flaschen zurück und kaufen wieder etwas.

Der dritte Punkt, da geht es auch direkter um den Antrag, ist die Herstellerabgabe für Plastikverpackungen. Es ist klar, es geht dabei um das Verursacherprinzip, die Kosten sollen dorthin verlagert werden, wo auch tatsächlich etwas dagegen getan werden kann, wo auch die Profite gemacht werden. Diese Herstellerabgabe soll zudem ökologisch ge­staffelt werden: Wenn Verpackungen für das Recycling geeignet sind, wenn sie recycel­tes Material enthalten, dann sinkt die Abgabe selbstverständlich, und es sinkt insgesamt die EU-Plastikabgabe.

Da muss ich jetzt schon Kritik am Modell der Budgetfinanzierung – da gibt es noch keine Einigung in der Koalition – anbringen, weil es da so ist, dass es eben keinen Lenkungs­effekt gibt. Wenn die SteuerzahlerInnen dafür aufkommen müssen, dann hat ein Unter­nehmer, ein Hersteller überhaupt keinen Anreiz, irgendetwas zu tun und seine Verpa­ckung umzustellen. Umgekehrt verspüren auch die Konsumentinnen und Konsumenten keinen Anreiz, irgendetwas anders zu machen. Leider sind die Widerstände auch da sehr groß, aber auf jeden Fall muss es aus unserer Sicht eine Lösung geben, bei der die Plastikabgabe an die Profiteure weitergegeben wird und auch die entsprechende Len­kungswirkung erzielt werden kann.

Für einen effektiven Kampf gegen den Plastikmüll braucht es ein Gesamtpaket, da nützt es jetzt nichts, einen einzelnen Aspekt herauszuziehen. Es geht um ein Gesamtpaket, und die Herstellerabgabe allein ist zwar ein essenzieller Punkt, wir stimmen da inhaltlich auch zu, aber sie ist ein Teil eines gesamten Verhandlungspakets, über das jetzt, das haben wir schon gehört, sehr intensiv Gespräche geführt werden. Ich hoffe sehr, dass diverse Verbände – und ich appelliere an sie – ihren Widerstand doch bitte aufgeben und einem wirklich durchdachten Dreipunkteplan zur Plastikvermeidung zustimmen. – Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Ruf bei der SPÖ: Am besten durch Zustimmung zu diesem Antrag!)

21.07


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Vorläufig letzter Redner ist Herr Bundes­rat Michael Bernard. – Bitte.


21.07.16

Bundesrat Michael Bernard (FPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen im Bundesrat! Sehr geehrte Damen und Herren via Livestream! Zum vorliegenden Entschließungsantrag des Kollegen Günther Novak betreffend „keine Abwälzung der EU-Plastikabgabe auf SteuerzahlerInnen statt Plastik­hersteller“ gab es bereits in der Ausschusssitzung eine rege Diskussion.

Worum geht es? – Mit 1. Jänner 2021 soll eine neue EU-Plastikabgabe auf nicht wieder­verwertbaren Plastikmüll eingehoben werden, diese soll 80 Cent pro Kilo betragen. Auf Österreich umgerechnet wären dies laut Berechnungen des Finanzministeriums jährlich rund 142 Millionen Euro bei einer Quote von 42 Kilo pro Kopf. Die EU-Plastikabgabe muss Österreich an die EU überweisen, sie fließt in den EU-Haushalt ein.

Wir Freiheitliche sind für diesen Entschließungsantrag und fordern die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie sowie den Bun­desminister für Finanzen auf, die Umsetzung der EU-Plastiksteuer so auszugestalten, dass tatsächlich ein finanzieller Anreiz für Produzenten und Importeure von Plastikverpa­ckungen entsteht, nicht recycelbare Kunststoffverpackungen zu reduzieren. Somit sollen


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die Recyclingquoten erhöht werden und es soll zu keiner einseitigen Belastung der Steu­erzahlerInnen kommen.

Interessant in diesem Zusammenhang ist die Uneinigkeit der türkis-grünen Regierung und auch das Verhalten der Bundesratsfraktionen von Türkis und Grün. Finanzminister Blümel plant, die EU-Plastikabgabe, die eigentlich einen Anreiz zur Verringerung der Plastikabfälle leisten soll, zur Gänze aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren und nicht von den Herstellern einzuheben. Die zuständige Ministerin hat einen sogenannten Drei­punkteplan, in dem nachzulesen steht, dass eine Herstellerabgabe für Kunststoffverpa­ckungen geschaffen wird – dies hat ja soeben auch Bundesratskollege Adolf Gross mit­geteilt –:

„Mit einer ökomodellierten Abgabe sollen zusätzliche Anreize zum recyclingfähigen Pro­duktdesign und zum Einsatz von Sekundärrohstoffen geschaffen werden. Die Ausge­staltung einer möglichen Ökomodellierung unter Berücksichtigung der Recyclingfähig­keit, Recyclingquote und des Carbon Footprints ist nicht trivial und wird gerade erar­beitet.“

Und weiter: „Durch die vorgesehene Mehrwegquote sinkt der Anteil an Kunststoffgeträn­keflaschen und damit der Plastikabfall und mit dem geplanten Einwegpfand erhöht sich die Recyclingquote. Beides würde in Zukunft dazu beitragen, die Höhe der Plastik-Eigen­mittel Österreichs zu senken.“

In Österreich wurden im Jahr 2018 insgesamt 906 124 Tonnen Kunststoffabfälle behan­delt. Davon wurden 26 Prozent stofflich verwertet, die restlichen 74 Prozent wurden ei­ner sonstigen Behandlung, also einer thermischen beziehungsweise energetischen Ver­wertung, zugeführt. Im Zuge einer Studie des Umweltbundesamtes wird aufgrund der vorliegenden Parameter – insbesondere des Wirtschaftswachstums, der Bevölkerungs­entwicklung, der Abfalldaten aus dem elektronischen Datenmanagement des Bundes und abfallwirtschaftlicher Maßnahmen – für das Jahr 2021 ein Kunststoffabfallaufkom­men von 1 019 369 Tonnen prognostiziert. Die berechnete Steigerung gegenüber dem Referenzjahr 2015 beträgt 11 Prozent.

Die Intention der EU-Plastikabgabe ist unter anderem die Verringerung der Abfallströme, sie sollte laut Einschätzung Lenkungseffekte mit sich bringen.

„Mit einer vor Begutachtung stehenden Novelle des Abfallwirtschaftsgesetzes zur Um­setzung des EU-Kreislaufwirtschaftspaktes sowie der EU-Einwegkunststoffrichtlinie sind zahlreiche Maßnahmen zur Vermeidung und weitergehenden Verwertung von Kunst­stoffabfällen geplant.“

Auch bei diesem Thema sollte man mit dem nötigen Hausverstand an die Sache heran­gehen und nicht etwa Aussagen treffen wie jene, dass wir Österreicher schuld wären, dass in den Ozeanen das Plastik schwimmt, wie es immer wieder von gewissen Frak­tionen – meistens von Grün oder Rot – vorgebracht wird. Als Person, die in der Abfall­branche ihre Wurzeln hat, möchte ich darauf hinweisen, dass wir in Österreich den an­fallenden Plastikmüll sehr wohl ordnungsgemäß entsorgen, dies hat auch der zuständige Bedienstete des Ministeriums in der Ausschusssitzung bestätigt. (Beifall bei der FPÖ.)

21.12


21.12.21

Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Dies ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem gegenständlichen Entschlie­ßungsantrag der Bundesräte Günther Novak, Kolleginnen und Kollegen betreffend „kei­ne Abwälzung der EU-Plastikabgabe auf SteuerzahlerInnen statt Plastikhersteller“ ihre


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Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen. (330/E-BR/2020)

Die Tagesordnung ist erschöpft.

21.12.52

Einlauf


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Ich gebe noch bekannt, dass seit der letzten beziehungsweise in der heutigen Sitzung die Anfragen 3805/J-BR/2020 bis 3811/J-BR/2020 eingebracht wurden.

*****

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Wege erfolgen. Als Sitzungstermin wird Donnerstag, der 3. Dezember 2020, 9 Uhr, in Aussicht genommen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen insbesondere jene Beschlüsse in Be­tracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit diese dem Ein­spruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Ausschussvorberatungen sind für Dienstag, den 1. Dezember 2020, 14 Uhr, vorge­sehen.

Ich wünsche Ihnen eine gute Heimreise!

Die Sitzung ist geschlossen.

21.13.56Schluss der Sitzung: 21.13 Uhr

Impressum:

Parlamentsdirektion

1017 Wien