Stenographisches Protokoll

70. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

 

XXI. Gesetzgebungsperiode

 

Freitag, 11. Mai 2001

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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70. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

XXI. Gesetzgebungsperiode Freitag, 11. Mai 2001

Dauer der Sitzung

Freitag, 11. Mai 2001: 9.01 – 19.06 Uhr

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Tagesordnung

1. Punkt: Erste Lesung der Regierungsvorlage: Bundesverfassungsgesetz über den Abschluss des Vertrages von Nizza

2. Punkt: Bundesgesetz über die Entsendung von Soldaten zur Hilfeleistung in das Ausland (Auslandseinsatzgesetz 2001 – AuslEG 2001)

3. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Wehrgesetz 1990, das Heeresgebührengesetz 2001, das Heeresdisziplinargesetz 1994, das Munitionslagergesetz, das Sperrgebietsgesetz 1995 und das Militär-Auszeichnungsgesetz geändert werden (Auslandseinsatzanpassungsgesetz – AuslEAG)

4. Punkt: Ersuchen des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien (15 U 114/01s) um Zustimmung zur behördlichen Verfolgung des Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Peter Pilz

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Inhalt

Personalien

Verhinderungen 8

Geschäftsbehandlung

Verlangen auf Durchführung einer kurzen Debatte über die Anfragebeantwortung 2041/AB gemäß § 92 Abs. 1 der Geschäftsordnung 24

Durchführung einer kurzen Debatte gemäß § 57a Abs. 1 der Geschäftsordnung 134

Redner:

Mag. Ulrike Lunacek 134

Bundesminister Dr. Martin Bartenstein 136

Mag. Walter Posch 137

Matthias Ellmauer 138

Dr. Harald Ofner 139

Mag. Terezija Stoisits 141


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70. Sitzung / Seite 2

Absehen von der 24-stündigen Frist für das Aufliegen des schriftlichen Ausschussberichtes 597 d. B. gemäß § 44 (2) der Geschäftsordnung 24

Antrag des Abgeordneten Dr. Alexander Van der Bellen auf Neureihung der Tagesordnung – Ablehnung 25, 25

Antrag des Abgeordneten Dr. Alexander Van der Bellen im Sinne des § 18 Abs. 3 der Geschäftsordnung auf Anwesenheit des Bundeskanzlers – Ablehnung 25, 26

Redezeitbeschränkung nach Beratung in der Präsidialkonferenz gemäß § 57 Abs. 3 Z. 2 der Geschäftsordnung 28

Wortmeldung des Abgeordneten Dr. Andreas Khol im Zusammenhang mit der von Präsidenten Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn beabsichtigten Unterbrechung der Verhandlungen über die Tagesordnungspunkte 2 und 3 zur Durchführung der Debatte über den Dringlichen Antrag 96

Fragestunde (11.)

Soziale Sicherheit und Generationen 8

Heidrun Silhavy (89/M); Mag. Rüdiger Schender, Karl Donabauer, Theresia Haidlmayr

Ridi Steibl (84/M); MMag. Dr. Madeleine Petrovic, Theresia Zierler, Dr. Ilse Mertel

Karl Öllinger (87/M); Dr. Helene Partik-Pablé, Mag. Dr. Josef Trinkl

Mag. Rüdiger Schender (91/M); Edeltraud Gatterer, Karl Öllinger, Helmut Dietachmayr

Mag. Barbara Prammer (90/M); Mag. Beate Hartinger, Rosemarie Bauer, MMag. Dr. Madeleine Petrovic

Franz Kampichler (85/M); Karl Öllinger, Sigisbert Dolinschek, Sophie Bauer

Bundesregierung

Vertretungsschreiben 8

Ausschüsse

Zuweisungen 26, 87

Dringlicher Antrag

der Abgeordneten Dr. Josef Cap und Genossen betreffend Grundsätze einer Reformpolitik für die österreichischen Universitäten (439/A) (E) 97

Begründung: Dr. Josef Cap 101

Bundesministerin Elisabeth Gehrer 104

Debatte:

DDr. Erwin Niederwieser 107

Dr. Gertrude Brinek 110

Dr. Martin Graf 112

Dr. Kurt Grünewald 115

Mag. Andrea Kuntzl 117


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70. Sitzung / Seite 3

Werner Amon, MBA 119

DDr. Erwin Niederwieser (tatsächliche Berichtigung) 121

Mag. Rüdiger Schender 121

Dieter Brosz 122

Mag. Brunhilde Plank 125

Dr. Reinhold Mitterlehner 126

Dr. Sylvia Papházy, MBA 127

Mag. Dr. Udo Grollitsch 129

MMag. Dr. Madeleine Petrovic 130

Mag. Johann Maier 131

Dr. Caspar Einem 132

Dr. Gerhart Bruckmann 132

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Johann Maier und Genossen betreffend Sicherung der finanziellen Mittel für den Standort der Universität Salzburg ("Unipark Nonntal") – Ablehnung 131, 13


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70. Sitzung / Seite 4

3

Ablehnung des Selbständigen Entschließungsantrages 439/A (E) 133

Verhandlungen

1. Punkt: Erste Lesung der Regierungsvorlage: Bundesverfassungsgesetz über den Abschluss des Vertrages von Nizza (565 d. B.) 28

Redner:

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel 28, 55

Dr. Alfred Gusenbauer 34

Dr. Michael Spindelegger 37

Mag. Karl Schweitzer 40

Dr. Caspar Einem (tatsächliche Berichtigung) 44

Mag. Ulrike Lunacek 44

Bundesminister Herbert Scheibner 48

Dr. Caspar Einem 51

Helmut Haigermoser (tatsächliche Berichtigung) 55

Dkfm. Dr. Günter Stummvoll 56

Wolfgang Jung 60

Dr. Evelin Lichtenberger 62

Peter Schieder 64

Georg Schwarzenberger 66

Dr. Gerhard Kurzmann 68

Mag. Terezija Stoisits 70

Friedrich Verzetnitsch 73

Edeltraud Gatterer 75

Ilse Burket 78

Mag. Walter Posch 80

Mag. Karin Hakl 81

Marianne Hagenhofer 83

Karl Donabauer (tatsächliche Berichtigung) 85

Jakob Auer 85

Zuweisung der Regierungsvorlage 565 d. B. an den Verfassungsausschuss 87

Gemeinsame Beratung über

2. Punkt: Bericht des Landesverteidigungsausschusses über die Regierungsvorlage (535 d. B.): Bundesgesetz über die Entsendung von Soldaten zur Hilfeleistung in das Ausland (Auslandseinsatzgesetz 2001 – AuslEG 2001) (560 d. B.) 87

3. Punkt: Bericht des Landesverteidigungsausschusses über die Regierungsvorlage (536 d. B.): Bundesgesetz, mit dem das Wehrgesetz 1990, das Heeresgebührengesetz 2001, das Heeresdisziplinargesetz 1994, das Munitionslagergesetz, das Sperrgebietsgesetz 1995 und das Militär-Auszeichnungsgesetz geändert werden (Auslandseinsatzanpassungsgesetz – AuslEAG) (561 d. B.) 87

Redner:

Anton Gaál 87

Walter Murauer 88

Wolfgang Jung 89

Dipl.-Ing. Werner Kummerer 91

Bundesminister Herbert Scheibner 92

Werner Amon, MBA 93

Hermann Reindl 94

Marianne Hagenhofer 94

Karl Freund 95

Roland Zellot 95

Arnold Grabner 96

Annahme der beiden Gesetzentwürfe in 560 und 561 d. B. 96

4. Punkt: Bericht des Immunitätsausschusses über das Ersuchen des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien (15 U 114/01s) um Zustimmung zur behördlichen Verfolgung des Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Peter Pilz (597 d. B.) 142

Redner:

Heinz Gradwohl 142

Jakob Auer 144

MMag. Dr. Madeleine Petrovic 145

Dr. Martin Graf 146

Dr. Michael Krüger 148

Dr. Peter Pilz 150

Mag. Helmut Kukacka 154

Dr. Harald Ofner 155

Dr. Alexander Van der Bellen 156

Annahme des Ausschussantrages 157

Eingebracht wurden

Bericht 27

Zu III-73: Nachtrag zum Tätigkeitsbericht über das Verwaltungsjahr 1999; Rechnungshof

Anträge der Abgeordneten

Dr. Josef Cap und Genossen betreffend Grundsätze einer Reformpolitik für die österreichischen Universitäten (439/A) (E)

Dr. Gabriela Moser und Genossen betreffend verpflichtende KundInneninformation bei gebührenpflichtigen telefonischen Auskünften (440/A) (E)


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70. Sitzung / Seite 5

Manfred Lackner und Genossen betreffend Entschädigungen für die Hepatitis-C-Opfer der Plasmapheresefirmen (441/A) (E)

Manfred Lackner und Genossen betreffend die Schaffung eines bundeseinheitlichen Berufsbildes AltenfachbetreuerIn und einer zeitgemäßen, in Modulen aufgebauten, umfassenden Ausbildung zur AltenfachbetreuerIn (442/A) (E)

Manfred Lackner und Genossen betreffend gesetzliche Regelungen für eine verstärkte Qualitätssicherung bei der Verwendung von Blut und Blutprodukten (443/A) (E)

Mag. Walter Posch und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Hochschul-Taxengesetz 1972 geändert wird (444/A)

Kurt Eder und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Führerschein (Führerscheingesetz 1997) sowie das Bundesgesetz über das Kraftfahrwesen (Kraftfahrgesetz 1967) geändert werden (445/A)

Anfragen der Abgeordneten

Karl Dobnigg und Genossen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Finanzamt Leoben (2445/J)

Dr. Gabriela Moser und Genossen an den Bundesminister für Finanzen betreffend soziale Auswirkungen durch die Umstrukturierung der Telekom Austria (2446/J)

Dieter Brosz und Genossen an den Bundesminister für Inneres betreffend Volkszählung (2447/J)

Dieter Brosz und Genossen an die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur betreffend Volkszählung (2448/J)

MMag. Dr. Madeleine Petrovic und Genossen an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend neue Werbelinie der ÖBB (2449/J)

Ridi Steibl und Genossen an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend B 73 Umfahrung Hausmannstätten (2450/J)

Mag. Dr. Josef Trinkl und Genossen an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend B 64 (Rechbergbundesstraße) (2451/J)

Anton Gaál und Genossen an den Bundesminister für Landesverteidigung betreffend Grenzeinsatz (2452/J)

Franz Riepl und Genossen an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit betreffend neue Maßnahmen der Regierung gegen die Schwarzarbeit (2453/J)

Dr. Elisabeth Hlavac und Genossen an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend das geplante Brückenprojekt Korneuburg–Klosterneuburg (2454/J)


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70. Sitzung / Seite 6

Dr. Robert Rada und Genossen an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend Bau eines sicheren Grenzübergangs in Hohenau an der March (2455/J)

Dr. Robert Rada und Genossen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Bau eines sicheren Grenzübergangs in Hohenau an der March (2456/J)

Dr. Robert Rada und Genossen an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit betreffend EU-Osterweiterung und in diesem Kontext die wirtschaftliche Entwicklung in der niederösterreichischen Ostregion, verknüpft mit den sich daraus ergebenden Verkehrsflüssen und der Diskussion über die Deklarierung eines riesigen Flächenanteiles als Weltnaturerbe (2457/J)

Dr. Robert Rada und Genossen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft betreffend Weltnaturerbe und EU-Osterweiterung (2458/J)

Dr. Robert Rada und Genossen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Zollübergänge an der niederösterreichischen Ostgrenze (2459/J)

Dr. Peter Wittmann und Genossen an die Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport betreffend die Vorgaben zur Personaleinsparung in den Bundesministerien bis zum 31.12.2000 (2460/J)

Dr. Peter Wittmann und Genossen an die Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport betreffend die Vorgaben zur Personaleinsparung in den Bundesministerien für das erste Quartal 2001 (2461/J)

Dr. Kurt Heindl und Genossen an den Bundesminister für Inneres betreffend Entschließungsantrag der Abgeordneten Kiss, Mag. Schweitzer und Genossen betreffend umgehende Aufklärung aller Hintergründe des Bank-Burgenland-Skandals (2462/J)

Dr. Kurt Heindl und Genossen an den Bundesminister für Justiz betreffend Entschließungsantrag der Abgeordneten Kiss, Mag. Schweitzer und Genossen betreffend umgehende Aufklärung aller Hintergründe des Bank-Burgenland-Skandals (2463/J)

Dr. Kurt Heindl und Genossen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Entschließungsantrag der Abgeordneten Kiss, Mag. Schweitzer und Genossen betreffend umgehende Aufklärung aller Hintergründe des Bank-Burgenland-Skandals (2464/J)

Mag. Gisela Wurm und Genossen an die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur betreffend "Leitungsbestellung am Bundesgymnasium für Berufstätige Innsbruck" (2465/J)


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70. Sitzung / Seite 7

Mag. Johann Maier und Genossen an den Bundeskanzler betreffend Unternehmensberatungsfirmen: Eine Gefahr für die Verwaltungsreform? (2466/J)

Mag. Johann Maier und Genossen an die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten betreffend Unternehmensberatungsfirmen: Eine Gefahr für die Verwaltungsreform? (2467/J)

Mag. Johann Maier und Genossen an die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur betreffend Unternehmensberatungsfirmen: Eine Gefahr für die Verwaltungsreform? (2468/J)

Mag. Johann Maier und Genossen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Unternehmensberatungsfirmen: Eine Gefahr für die Verwaltungsreform? (2469/J)

Mag. Johann Maier und Genossen an den Bundesminister für Inneres betreffend Unternehmensberatungsfirmen: Eine Gefahr für die Verwaltungsreform? (2470/J)

Mag. Johann Maier und Genossen an den Bundesminister für Justiz betreffend Unternehmensberatungsfirmen: Eine Gefahr für die Verwaltungsreform? (2471/J)

Mag. Johann Maier und Genossen an den Bundesminister für Landesverteidigung betreffend Unternehmensberatungsfirmen: Eine Gefahr für die Verwaltungsreform? (2472/J)

Mag. Johann Maier und Genossen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft betreffend Unternehmensberatungsfirmen: Eine Gefahr für die Verwaltungsreform? (2473/J)

Mag. Johann Maier und Genossen an die Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport betreffend Unternehmensberatungsfirmen: Eine Gefahr für die Verwaltungsreform? (2474/J)

Mag. Johann Maier und Genossen an den Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen betreffend Unternehmensberatungsfirmen: Eine Gefahr für die Verwaltungsreform? (2475/J)

Mag. Johann Maier und Genossen an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend Unternehmensberatungsfirmen: Eine Gefahr für die Verwaltungsreform? (2476/J)

Mag. Johann Maier und Genossen an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit betreffend Unternehmensberatungsfirmen: Eine Gefahr für die Verwaltungsreform? (2477/J)

Mag. Brunhilde Plank und Genossen an die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur betreffend Studiengebühren für behinderte Studierende (2478/J)

Anfragebeantwortungen

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Abgeordneten Theresia Haidlmayr und Genossen (2087/AB zu 2097/J)

des Bundesministers für Finanzen auf die Anfrage der Abgeordneten Karl Öllinger und Genossen (2088/AB zu 2102/J)

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der Obfrau des Untersuchungsausschusses auf die Anfrage der Abgeordneten Karl Öllinger und Genossen (15/ABPR zu 15/JPR)

 

 


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70. Sitzung / Seite 8

Beginn der Sitzung: 9.01 Uhr

Vorsitzende: Präsident Dr. Heinz Fischer , Zweiter Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn , Dritter Präsident Dr. Werner Fasslabend.

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Präsident Dr. Heinz Fischer: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf Sie herzlich begrüßen und bitten, die Plätze einzunehmen. Gleichzeitig eröffne ich die 70. Sitzung des Nationalrates, die für heute, 9 Uhr einberufen wurde.

Es liegen mir Meldungen über Verhinderungen folgender Abgeordneter vor: Mag. Sima, Dr. Bösch, Mag. Frieser, Mag. Pecher und Dipl.-Ing. Pirklhuber.

Vertretung von Mitgliedern der Bundesregierung

Präsident Dr. Heinz Fischer: Das Bundeskanzleramt hat für diese Sitzung Mitteilung betreffend die Vertretung von Mitgliedern der Bundesregierung wie folgt gemacht:

Frau Vizekanzlerin Dr. Susanne Riess-Passer wird als Bundesministerin von Herrn Minister Dr. Böhmdorfer vertreten, Frau Außenministerin Dr. Benita Ferrero-Waldner durch Herrn Bundesminister Dr. Bartenstein und der Herr Bundesminister für Finanzen ebenfalls durch Bundesminister Dr. Böhmdorfer.

Fragestunde

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir gelangen zur Fragestunde. Ich beginne jetzt – um 9.02 Uhr – mit dem Aufruf der Anfragen.

Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen

Präsident Dr. Heinz Fischer: Die erste Frage wurde von Frau Abgeordneter Silhavy eingereicht und hat folgenden Wortlaut – bitte, Frau Abgeordnete –:

Abgeordnete Heidrun Silhavy (SPÖ): Guten Morgen! Herr Bundesminister, meine Frage lautet:

89/M

Vizekanzlerin Dr. Susanne Riess-Passer (FPÖ) nannte die Reparatur der Rentenbesteuerung ein "Gebot der sozialen Ausgewogenheit, der Gerechtigkeit, der Vernunft und selbstverständlich auch des Herzens", besteht daher nun ein Rechtsanspruch auf die Zuwendungen zur Unterstützung für Bezieher von Renten aus der Unfallversicherung oder nicht?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte um Beantwortung, Herr Minister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Hoher Nationalrat! Frau Kollegin Silhavy, Sie haben die Frau Vizekanzlerin richtig zitiert, es ist im Zusammenhang mit der Einführung der Besteuerung der Unfallrenten, die ich aus Sicht der Gleichbehandlung und des Steuerrechtes als durchaus vertretenswert erachte, zu Härtefällen gekommen, die der Gesetzgeber in der Form nicht berücksichtigt hat.

Es ist mir gelungen, am Verhandlungstisch 600 Millionen Schilling zur Reparatur dieser Härtefälle zu erreichen. Dieser Vorschlag wird nunmehr nach einem Begutachtungsverfahren dem österreichischen Nationalrat übermittelt werden, und ich gehe davon aus, dass es bis Juli dieses


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70. Sitzung / Seite 9

Jahres zu einer Beschlussfassung kommen wird, sodass wir in der zweiten Hälfte des Jahres 2001, also beginnend mit dem dritten Quartal dieses Jahres, auf Antragstellung mit einer Rückzahlung in Härtefällen und schlussendlich dann im letzten Quartal dieses Jahres mit der gänzlichen Neuregelung beziehungsweise Rückzahlung zumindest für Härtefälle bis 20 000 S Bruttoeinkommen und darüber hinaus auch für Härtefälle bis etwa 23 000 S Bruttoeinkommen rechnen können.

Frau Abgeordnete! Mit Ihrer Frage haben Sie insofern Recht, als es keinen direkten Rechtsanspruch gibt. Bezüglich der Behebung der Härtefälle und der Auszahlungen wird jedoch derzeit in meinem Ministerium ein Verfahren eingeleitet, das auch vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes überprüft wird, um auch die von Ihrer Fraktion aufgeworfenen Verfassungsbedenken so abzuklären, dass wir sicher sein können, dass die Restituierung in jenen Fällen, die wir wünschen und die die Bundesregierung und die Frau Vizekanzlerin versprochen haben, auch tatsächlich verfassungskonform erfolgt. – Das ist ein wichtiger Beitrag.

Frau Kollegin Silhavy! Ich glaube daher – es ist mir wichtig, das festzustellen –, dass über den Fonds, über den das abwickelt wird, auch andere Fälle abgewickelt werden können. Dies entspricht durchaus der Tradition der vorangegangenen Regierungen, als Ihre Fraktion den Vorsitz in der Bundesregierung gehabt hat, denn da wurden ebenfalls Fälle ohne Rechtsanspruch, aber mit einer entsprechenden Bindung der Beamten, mittels Verordnung im Verordnungsweg abgewickelt.

Mit dieser Vorgangsweise betreffend die Abwicklung der Restitution der Härtefälle befinde ich mich also durchaus in der Tradition des Sozialministeriums der vorangegangenen Regierungen, weil auch dort die Abwicklung mittels Bindung und Verordnung und nicht mittels Rechtsbindung erfolgt ist. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Bitte.

Abgeordnete Heidrun Silhavy (SPÖ): Herr Bundesminister! Wenn ich jetzt Ihren Ausführungen richtig gefolgt bin, so bedeutet das einen ungeheuer großen bürokratischen Aufwand.

Wie viel von diesen 600 Millionen Schilling wird den Menschen tatsächlich zugute kommen, wenn Sie bereits im Vorhinein solch einen bürokratischen Aufwand dafür betreiben müssen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Minister, bitte.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrte Frau Kollegin Silhavy! Ich darf Ihnen und auch der Öffentlichkeit folgende Kennzahlen bekannt geben: Insgesamt beziehen 108 000 Menschen eine solche Unfallrente. Davon werden auf Grund der Ausgleichszahlungen etwa 60 000 – davon wiederum etwa zwei Drittel Pensionisten – positiv betroffen sein und einen entsprechenden Ausgleich bekommen.

Insgesamt sollen in der Anfangsphase maximal 40 Beamte für ganz Österreich zur Abwicklung herangezogen werden. Diese 40 Beamten sind derzeit im Stand meines Hauses, in den Bundessozialämtern, und wickeln gleichzeitig auch entsprechende Zahlungen für das Arbeitsmarktservice Österreich ab, sodass es zu keiner Aufblähung des Beamtenapparates kommen wird, sondern Beamte, die im Stand meines Hauses sind, eine zusätzliche Aufgabe zu erledigen haben werden. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Ich gehe davon aus, dass wir, wenn die Vernetzung zwischen dem Finanzministerium und den Versicherungsanstalten ordnungsgemäß funktioniert, eine unbürokratische, schnelle Abwicklung dieser Zahlungen erreichen werden. (Neuerlicher Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Dr. Khol  – in Richtung SPÖ –: Eingefahren! – Abg. Ing. Westenthaler: Lässt keine Fragen mehr offen!)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Mag. Schender, bitte.


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Abgeordneter Mag. Rüdiger Schender
(Freiheitliche): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Mit den Einnahmen aus der Besteuerung der Unfallrenten soll auch die Behindertenmilliarde finanziert werden. Können Sie uns berichten, welche Maßnahmen Sie zu tätigen beabsichtigen beziehungsweise haben Sie schon erste Erfahrungen mit diesen Maßnahmen gemacht?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Minister, bitte.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Mit der Behinderten-Milliarde haben wir bisher sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Bundessozialämter in ganz Österreich haben mehr als 250 Anträge bekommen. Derzeit ist bereits etwa ein Drittel der vorgesehenen Summe, der Behinderten-Milliarde, für Projekte vergeben. Etwa das gleiche Volumen, also noch einmal 340 Millionen Schilling, ist derzeit im Vergabestadium, und das restliche Drittel sollte am Ende dieses Jahres eigentlich auch ausgeschüttet sein, sodass wir davon ausgehen können, dass – das hat auch der Herr Bundeskanzler der Öffentlichkeit schon immer mitgeteilt – die Behindertenmilliarde voll für die Behinderten in Österreich zur Anwendung kommt.

Wir sind darüber hinaus auch bestrebt, mit der Behindertenmilliarde den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt zu eröffnen. – Herr Abgeordneter Schender! Ich darf Sie auch darauf hinweisen, dass die Arbeitsmarktzahlen der ersten drei Monate dieses Jahres, die gerade für behinderte Arbeitnehmer einen erfreulichen, überproportionalen Zugang zum Arbeitsmarkt aufzeigen, einen ersten Erfolg der Behinderten-Milliarde bedeuten.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Donabauer, bitte.

Abgeordneter Karl Donabauer (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Die Besteuerung der Unfallrenten, die im Jahr 1988 bereits erstmals versucht wurde, ist nunmehr deshalb eingeführt worden, um alle Einkommen steuerlich gleich zu behandeln. Das ist eine ganz wichtige Maßnahme.

Wir haben in der Zwischenzeit auch sehr deutlich erkennen können, dass es die soziale Gestion dieser Regierung war, allen Rentnern mit einer Erwerbsminderung über 70 Prozent eine zusätzliche Zusatzrente in der Höhe von 30 Prozent zu geben.

Herr Minister! Meine Frage lautet: Wird diese Zusatzrente in der Höhe von 30 Prozent ab 70 Prozent M.d.E. im Härteausgleich berücksichtigt werden: ja oder nein? Und wenn ja, wie?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Minister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Herr Abgeordneter! Ich bin Ihnen für diese Frage dankbar, weil es damit möglich ist, darzustellen, wie die Versteuerung tatsächlich erfolgt ist.

Ich darf Ihnen mitteilen, dass im Jahre 1989 die Versteuerung rückwirkend – rückwirkend! – ab 1988 eingeführt worden ist. Diese Versteuerung hat für den Zeitraum 1989/90 bestanden. Sie ist dann vom Verfassungsgerichtshof nicht wegen Verfassungsbedenken gegen die Besteuerung, sondern wegen Verfassungsbedenken bezüglich der Gestaltung der Besteuerung aufgehoben worden.

Ich halte es für wichtig, sehr geehrter Herr Abgeordneter, dass gerade für die am meisten Betroffenen, also für jene, die eine über 70-prozentige Behinderung haben, eine deutliche Verbesserung auf Grund der Erhöhung von 20 auf 50 Prozent erfolgt ist. Ich darf weiters darauf hinweisen, dass ich auch deswegen Wert darauf gelegt habe, dass keine reine Zweckbindung erfolgt, weil es gerade innerhalb des ungerechten Systems, das wir übernommen haben, zu deutlichen Härtefällen für Behinderte, die schon jahre- oder jahrzehntelang diese Behinderung haben, gekommen ist.


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Ich darf Ihnen hier einiges mit auf den Weg geben, das in der Öffentlichkeit größtenteils nicht so evident ist. Im Jahre 1960 betrug die Höchstbemessungsgrundlage 1 400 S, 80 Prozent davon haben damals eine Rente in der Höhe von 1 120 S ergeben. Im Jahre 1980 war die Höchstbemessungsgrundlage 14 359 S, die höchstmögliche Invaliditätsrente hat damals 11 487 S betragen. Wenn man im Gegensatz dazu betrachtet, dass in den letzten fünf Jahren die Höchstsätze bei 26 000 S beziehungsweise jetzt 35 000 S liegen, dann sieht man, dass bei den Schwerbehinderten auf Grund der Valorisierung in den letzten Jahren und Jahrzehnten – wenn sie mehr als zwei Jahrzehnte diese Behinderung haben – deutliche Härten auftreten. Ich möchte für diese Gruppe die Härten mindern. Dort, wo keine Härten aufgetreten sind, wird selbstverständlich nichts berücksichtigt. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Frau Abgeordnete Haidlmayr, bitte.

Abgeordnete Theresia Haidlmayr (Grüne): Herr Minister! Die Unfallrentenbesteuerung, die seit 1. Jänner in Kraft ist, wird nicht nur von der Opposition, sondern auch von namhaften Experten als verfassungswidrig dargestellt. Jetzt haben Sie eine Änderung gemacht, und diese Änderung, diese verfassungswidrige Unfallrentenbesteuerung, ist noch verfassungswidriger als jene, die wir bereits haben. (Rufe bei den Freiheitlichen: Frage!)

Meine Frage: Wie können Sie es rechtfertigen, dass jemand, der am 30. Juni einen Arbeitsunfall erleidet, unter Umständen auf Grund dieses angeblichen Härteausgleiches von der Steuer befreit ist, hingegen jemand, der einen Arbeitsunfall am 1. Juli 2001 hat, dann voll steuerpflichtig ist, ohne die Möglichkeit zu haben, von dem Härteausgleichfonds irgendwelche Leistungen retourniert zu bekommen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte um Beantwortung, Herr Minister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrte Frau Abgeordnete Haidlmayr! Ich fasse Ihre Frage eigentlich als drei Fragen auf und bin durchaus bereit – obwohl auf Grund der Geschäftsordnung nur eine Frage zulässig ist –, alle drei Fragen, die Sie gestellt haben, zu beantworten.

Erstens zur Frage der Verfassungskonformität, die Sie haben anklingen lassen: Für mich ist das Argument der Verfassungskonformität sehr wichtig, weil ich als Verwaltungsorgan dieses Staates auch daran interessiert bin, dass die Gesetze und Verordnungen meines Hauses selbstverständlich verfassungskonform sind.

Ich darf Sie darauf hinweisen, dass ich bei der Beantwortung der Anfrage von Frau Kollegin Silhavy schon darauf hingewiesen habe, dass ich das vorliegende Gesetz, den entsprechenden Einspruch vor dem Verfassungsgerichtshof durch die sozialdemokratische Fraktion sowie die neuerliche Beschlussfassung und meinen Verordnungsentwurf einer verfassungsmäßigen Prüfung durch den Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes unterziehe, um sicher zu sein, dass das, wovon die Bundesregierung ausgeht, nämlich dass das gesamte Vorhaben verfassungskonform ist, dann auch tatsächlich in der Verordnung umgesetzt wird.

Zum Zweiten, Frau Kollegin Haidlmayr, darf ich Sie darauf hinweisen, dass die Härtefälle deswegen aufgetreten sind, weil behinderte Menschen durch die Gesetzwerdung des Vorhabens vom Oktober des vorigen Jahres ab 1. Jänner dieses Jahres durch steuerliche Maßnahmen Einkommenseinbußen gehabt haben, mit denen sie nicht rechnen konnten und die sie daher in ihrer Lebensplanung in der Form nicht voll kompensieren konnten, und zwar insbesondere Angehörige der untersten Einkommensgruppen. Ich glaube daher, wenn jemand pro futuro einen Unfall erleiden wird und dann in die Unfallsregelung fällt, dass von Anfang an klar ist, dass die Leistung zu versteuern ist und daher im Vorhinein auch die entsprechenden Vorkehrungsmaßnahmen im Bereich des Finanzrahmens, der ihm zur Verfügung steht, getroffen werden können.

Unbeschadet davon darf ich aber auf meine Antwort, die ich Frau Kollegin Silhavy gegeben habe, nochmals zurückkommen. Meine Amtsvorgängerin, Frau Dr. Sickl, hat bereits – meiner Ansicht nach zu Recht – gesagt, dass das gesamte Invaliditätsrecht in Österreich ungerecht gestaltet ist. Sie selbst, Frau Kollegin Haidlmayr, wissen, dass es nach unserem Recht davon


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abhängig ist, wie viel man zum Zeitpunkt des Unfalls und der Behinderung verdient und es daher durchaus passieren kann, dass man für den gleichen Schaden, den man auf Grund eines Arbeitsunfalles erleidet, bei geringem Einkommen eine geringe Zahlung lebenslang bekommt und bei hohem Einkommen eine hohe Zahlung lebenslang bekommt.

Ich glaube, dass das gesamte Invaliditätsrecht in Österreich umgestaltet werden sollte und dabei die Entschädigungsleistungen und die Schmerzensleistungen, die lebenslang gezahlt werden, nach dem Grad der Versehrtheit ausgerichtet und nicht vom Einkommen abhängig sein sollten. Ich habe daher einen Arbeitskreis eingesetzt, der diese Maßnahmen nunmehr beraten soll. Die Behindertenorganisationen Österreichs sind eingeladen, in diesem Arbeitskreis mitzuarbeiten, um das gesamte Invaliditätsrecht in Österreich besser, menschlicher und auch gerechter zu gestalten.

Eines kann ich jenen Menschen, die nach dem 1. Juli 2001 einen Unfall oder einen Arbeitsunfall erleiden, für die Zukunft mit auf den Weg geben: eine Besserstellung des gesamten Invaliditätsrechts in Österreich. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir kommen zur zweiten Anfrage, deren Wortlaut Frau Kollegin Steibl vortragen wird. – Bitte.

Abgeordnete Ridi Steibl (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Das kommende Kinderbetreuungsgeld ist ein Meilenstein in der Familienpolitik.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte um Verlesung der Anfrage, so wie in allen Fällen.

Abgeordnete Ridi Steibl (fortsetzend): Herr Bundesminister, meine Frage lautet:

84/M

Welche Verbesserungen sieht das geplante Kinderbetreuungsgeld gegenüber der bisherigen Karenzgeldregelung vor?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Frau Abgeordnete! Das Kinderbetreuungsgeld, das ab 1. Jänner 2002 umgesetzt wird, sieht für jene, die derzeit Karenzgeldbezieherinnen sind, eine Erhöhung um etwa 400 S monatlich vor, es sieht eine Ausdehnung des Bezugszeitraumes auf 30 Monate vor, und es sieht vor, dass neben den Bezugsgruppen, die schon bisher Karenzgeld bekommen haben, auch jene Gruppen, die derzeit kein Karenzgeld bekommen, miteinbezogen werden. Dabei geht es vor allem um die Studentinnen, aber auch um andere Gruppen, die derzeit weder Betriebshilfe noch Karenzgeld bekommen. Auch die werden ab 1. Jänner 2002 miteinbezogen sein. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Bitte, Frau Abgeordnete.

Abgeordnete Ridi Steibl (ÖVP): Zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Inwiefern sind mit dieser neuen Regelung des Kinderbetreuungsgeldes die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aber auch die Wahlfreiheit in Bezug auf das eine oder das andere gegeben?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Minister, bitte.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Die Bundesregierung und auch ich gehen davon aus, dass beides wichtig ist. Wir wissen aus sehr vielen Studien über das Erwerbsleben der Frauen, dass gerade die Kinderpause für sehr viele Frauen eine erhebliche Einkommenseinbuße im weiteren Erwerbsleben mit sich bringt. Ich und auch sehr viele Experten sind davon ausgegangen, dass die derzeitige Regelung des Karenzgeldes, nämlich dass man während der Karenzzeit keine Fort- und Weiterbildung machen kann, dass man während der Karenzzeit auf Grund der aktuellen Zuverdienstgrenze in Höhe von 4 060 S


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auch im Einkommen beschränkt ist, nicht nur Armut, sondern auch lebenslang erhebliche Einkommensverluste für die Frauen bewirkt.

Wir glauben daher, dass das Kinderbetreuungsgeld mit seinen weiteren Maßnahmen, nämlich Zuverdienst, Fort- und Weiterbildung, das heißt, sowohl über den Betrieb, in den man das Rückkehrrecht hat, als auch über das Arbeitsmarktservice berufsspezifische Fort- und Weiterbildungsmodelle zu nützen, eine Verbesserung für die Situation der Frauen darstellen wird. Wir glauben, dass die bessere finanzielle Situation den Frauen mehr Wahlfreiheit geben wird. Es wird den Frauen möglich sein, sich dem Kind zu widmen und – wenn sie das wollen – neben der Kinderbetreuung eine Teilzeitbeschäftigung, eine Urlaubsvertretung oder eine andere Beschäftigung anzunehmen, um das Familieneinkommen zu stabilisieren.

Ich darf darauf hinweisen, dass die derzeitige Zuverdienstgrenze von 4 060 S im Monat auf 200 000 S im Jahr erhöht werden wird, das ist etwa eine Vervierfachung der heutigen Möglichkeiten.

Wir gehen auch davon aus, dass der derzeit bescheidene Anteil, den die Männer an der Kinderbetreuung haben – im Dezember 2000 waren es etwa 2 Prozent –, deutlich erhöht werden kann. Damit kann vielleicht auch die Hoffnung erfüllt werden, dass die Kinderbetreuung auch durch Männer erfolgt, wie dies in den nordischen Staaten der Fall ist, etwa in Norwegen, wo ja ein Kinderbetreuungsmodell ähnlicher Form umgesetzt ist.

Ich bin überzeugt davon, dass die Wahlfreiheit durch das neue Kinderbetreuungsmodell besser gewährleistet ist.

Man sollte aber auch nicht vergessen, dass bei der Kinderbetreuung gerade das Wohl des Kindes im Mittelpunkt steht. (Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.) Im Zusammenhang mit dem Kindeswohl und der Entwicklung des Kindes muss man sagen, dass es besonders wichtig ist, dass nach eineinhalb beziehungsweise zwei Jahren – darüber gibt es eine Reihe von psychologischen und erziehungspolitischen Gutachten – die Betreuung des Kindes auch durch den Mann verstärkt wird, weil auch die Rolle des zweiten Geschlechtes bei der Kindererziehung für die Weiterentwicklung des Kindes sehr bedeutend ist. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Herr Präsident, ich werde mich bemühen, etwas kürzer zu antworten.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Frau Abgeordnete Dr. Petrovic, bitte.

Abgeordnete MMag. Dr. Madeleine Petrovic (Grüne): Ich schließe an Ihre Ausführungen an, Herr Bundesminister. Ich denke, Kinder haben tatsächlich einen Bedarf an Bezugspersonen, an anderen Kindern, an ihren Eltern, an Vater und Mutter.

Im Koalitionsübereinkommen war explizit die Versicherung enthalten, dass 36 Monate Karenz gewährt werden sollen; präzisiert: 24 Monate für den einen Elternteil, 12 Monate für den anderen. (Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen. – Rufe bei den Freiheitlichen: Frage!)

Wieso ist jetzt von dieser, sage ich einmal, für die Männer günstigeren Regel abgewichen worden?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Minister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Frau Kollegin Petrovic! Ich darf darauf hinweisen, dass ich schon ausgeführt habe, dass es auch für die Bundesregierung besonders wichtig ist, dass die Männer einen stärkeren Anteil an der Kinderbetreuung haben, und daher sind für die Betreuung durch den männlichen Partner in der Partnerschaft oder Ehe sechs Monate des Kinderbetreuungsgeldes reserviert. (Abg. Dr. Petrovic: Aber es waren zwölf!) Ich halte diese Maßnahme für gut.


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Sie und Ihre Fraktion haben ja auch immer richtig ausgeführt, dass der Anteil der Männer an der Kinderbetreuung und damit auch an der unbezahlten Arbeit in diesem Staat zu gering ist. Wir erhoffen uns diesbezüglich durch die neue Regelung eine Verbesserung, dass also mehr Männer in Österreich in Zukunft mit den neuen Rahmenbedingungen zurechtkommen und ihrem Wunsch, sich auch der Kindererziehung zu widmen, nachkommen können.

Ich darf auch darauf hinweisen, dass die Einkommensgrenze individuell ist und wir davon ausgehen können, dass durch die individuelle Einkommensgrenze von 200 000 S laut Statistik etwa 30 bis 40 Prozent der Männer in derzeit bestehenden Partnerschaften in der Lage sein werden, diese sechs Monate ohne Einkommensverluste in Anspruch zu nehmen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Frau Abgeordnete Zierler, bitte.

Abgeordnete Theresia Zierler (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Die österreichische Familienpolitik ist vorbildhaft in ganz Europa, und mit dem Kinderbetreuungsgeld gilt es ja verschiedene Maßnahmen zu setzen (Abg. Mag. Prammer: Frage!), erstens: Familienarmut zu bekämpfen, und zweitens: Frauen sozial abzusichern.

Welche Erfahrungswerte gibt es? Wir sprechen hier immer sehr theoretisch, haben aber auch praktische Erfahrungen mit einem Modellprojekt, das in der Steiermark noch läuft. (Abg. Öllinger: Frage!) Es gibt jedoch auch zwei abgeschlossene Modellprojekte aus Kärnten. Welche Erfahrungen haben Sie ganz konkret mit den Pilotprojekten in Kärnten gemacht? Was hat da die Auswertung ergeben?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Ich habe vor drei Tagen in Kärnten an einer Pressekonferenz und Informationsveranstaltung über das Kinderbetreuungsgeld des Bundeslandes Kärnten teilgenommen. Herr Professor Schattovits hat die beiden Kärntner und die eine steirische Projektgemeinde bearbeitet und die ersten Auswertungen vorgelegt.

Man kann grosso modo sagen – ich beziehe mich auf die dort anwesenden Frauen, die im Amt der Kärntner Landesregierung ihre Erfahrungen mit dem Kinderbetreuungsgeld mitgeteilt haben –, dass es für die Familien zwei positive Effekte gibt. Erstens: Die Frauen müssen sich tatsächlich nicht mehr der Qual stellen, das Familieneinkommen so zu stabilisieren wie in der Vergangenheit, sondern haben tatsächlich Wahlfreiheit. Zweitens: Die Kinder sind die Nutznießer dieser Wahlfreiheit, und die Betreuung der Kinder kann verstärkt in der Familie durch die eigenen Eltern durchgeführt werden.

Es haben nur etwa 10 Prozent aller Anspruchsberechtigten von sich aus auf eine Einreichung betreffend Erhalt des Kinderbetreuungsgeldes verzichtet.

Man sollte auch nicht vergessen, dass mit dem Kinderbetreuungsgeld auch ein wichtiger ökonomischer Effekt verbunden ist. Auf Grund der Erfahrungen in diesen drei Gemeinden und im Land Kärnten, die bis dato nachweisbar sind, wird das Geld, das nun die Familie zusätzlich zur Verfügung hat, vor Ort ausgegeben, sodass auch die Nahversorger einen deutlichen Umsatzzuwachs auf Grund des Kinderbetreuungsgeldes haben.

Ich glaube, dass alle drei Effekte durchaus positiv beurteilt werden können. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Frau Abgeordnete Dr. Mertel, bitte.

Abgeordnete Dr. Ilse Mertel (SPÖ): Herr Minister! Sie haben in Beantwortung der Anfrage der Frau Abgeordneten Steibl gemeint, dass die Familien monatlich mehr bekommen werden als vorher, nämlich um 400 S pro Monat mehr. Wie lassen sich aber diese Ankündigung, mehr zu bekommen, sowie Ihre Ankündigung und jene der Regierung, Familienarmut zu bekämpfen, mit


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der Tatsache vereinbaren, dass die Familienzuschläge gekürzt und gestrichen werden und mehr als die Hälfte der Anspruchsberechtigten in Zukunft mit dem Kinderbetreuungsgeld weniger bekommen werden, als sie heute bekommen, nämlich an Karenzgeld mit Familienzuschlägen?

Bei Mehrkinderfamilien mit drei Kindern sind das bereits monatlich 443 S weniger, und bei Mehrkinderfamilien, die einkommensschwach sind und in denen ein Partner nur geringfügig verdient (Rufe bei den Freiheitlichen: Frage!) oder überhaupt kein Einkommen bekommt, bereits 843 S. Und noch ...

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Minister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrte Frau Kollegin Dr. Mertel! Bei den von Ihnen genannten Zahlen vergessen Sie wie immer zu berücksichtigen, dass nunmehr ein deutlich längerer Bezugszeitraum vorgesehen ist. Es ist daher Ihre Rechnung unter Berücksichtigung des gesamten Bezugszeitraumes schlicht und einfach falsch. Die Transferzahlungen an die Familien sind – das ist deutlich nachweisbar – höher.

Ich darf weiters darauf hinweisen, dass im Zuge des Kinderbetreuungsgeldes ab 2003 für Kinder im höheren Alter auch eine Valorisierung um 100 S pro Monat festgehalten wurde.

Weiters darf ich darauf hinweisen, dass auf Grund des von Ihnen aufgezeigten Problems im Zusammenhang mit Mehrkinderfamilien ab dem dritten Kind eine deutliche Erhöhung des Kinderbetreuungsgeldes vorgesehen ist.

Frau Dr. Mertel, wenn Sie sich die Mühe machen, die Berechnung für den gesamten Zeitraum durchzuführen, dann werden Sie draufkommen, dass die Aussagen der Bundesregierung richtig und Ihre Zahlen zu sektoral gesehen sind. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir kommen zum dritten Thema.

Herrn Abgeordneten Öllingers Frage lautet wie folgt:


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Abgeordneter Karl Öllinger
(Grüne): Herr Bundesminister, meine Frage lautet:

87/M

Im Zusammenhang mit welchen, von dieser Regierung in Angriff genommenen Gesetzentwürfen im Bereich der Sozialgesetzgebung wurden bereits im Begutachtungsverfahren, insbesondere seitens des BKA-Verfassungsdienstes, verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte um Beantwortung, Herr Minister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrter Herr Kollege Öllinger! Ich darf Ihnen auf Ihre Frage mitteilen, dass im Begutachtungsverfahren zum Sozialrechts-Änderungsgesetz vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes einige Anmerkungen gemacht wurden. Die Bundesregierung hat diese Anmerkungen, die einzelne Mitarbeiter des Verfassungsdienstes verfasst haben, so ernst genommen, dass sie vom anerkannten Sozialrechtsexperten und Ordinarius des Sozialrechtes der Universität Wien, Universitätsprofessor Dr. Tomandl ein umfassendes Gutachten erstellen ließ. Das umfassende Gutachten von Universitätsprofessor Tomandl konnte sämtliche Anmerkungen des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes deutlich relativieren und hat die Verfassungsmäßigkeit der Vorhaben bis dato bestätigt.

Ich denke, dass die Bundesregierung daher aus gutem Grund davon ausgehen kann, dass die im Parlament mit Mehrheit herbeigeführten Beschlüsse verfassungskonform sind. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Öllinger, bitte.

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Herr Bundesminister! Hat es im Bereich der Unfallrenten bei der Neuregelung auch schon eine Kontaktnahme mit dem Verfassungsdienst beziehungsweise verfassungsrechtliche Bedenken gegeben?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte um Beantwortung, Herr Minister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrter Herr Kollege Öllinger! Mir sind für diesen Bereich bis jetzt keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken zugekommen.

Ich habe eingangs in Beantwortung der ersten Anfrage, jener der Kollegin Silhavy, deutlich und klar gesagt, dass mir dieses Thema so wichtig ist, dass ich den Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes noch einmal mit einer verfassungsmäßigen Überprüfung aller Vorhaben im Bereich der Unfallrenten einschließlich der Zugrundelegung der Sachverhaltsdarstellung vor dem Verfassungsgerichtshof durch die große Oppositionspartei beauftragt habe, weil ich großen Wert darauf lege, dass diese Rechtsmaterie verfassungskonform verabschiedet worden ist und auch die künftigen Verordnungen meines Hauses verfassungskonform sind.

Ich möchte haben, dass das Geld, das ich am Verhandlungstisch von dieser Bundesregierung bekommen habe, nämlich 600 Millionen Schilling, absolut verfassungskonform zur Verbesserung der Situation der behinderten Menschen in diesem Lande ausbezahlt wird. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Frau Abgeordnete Dr. Partik-Pablé, bitte.

Abgeordnete Dr. Helene Partik-Pablé (Freiheitliche): Herr Minister! Können Sie in wenigen Worten sagen, welche Materien die Passagen in dem erwähnten Gutachten von Tomandl betreffen, um welche verfassungsrechtlichen Probleme es da geht?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Minister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Ich werde mich bemühen, Frau Abgeordnete, das ist wenigen Worten zu sagen.

Es waren die unterschiedlichen Altersgrenzen, der Vertrauensschutz und die Eigentumsgarantie. – Ich hoffe, es war kurz genug. (Heiterkeit und Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Das war sehr kurz. – Nächste Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Trinkl, bitte.

Abgeordneter Mag. Dr. Josef Trinkl (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Ich nehme an, dass die Frage des Kollegen Öllinger auch auf die Aufhebung von Teilen des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2000, Stichwort: Ambulanzgebühren, beziehungsweise des Pensionsreformgesetzes 2000 abzielt. Da das Erkenntnis in der Zwischenzeit ergangen ist, darf ich Sie fragen: Aus welchen Gründen erfolgte diese Aufhebung? Waren inhaltliche oder formale Gründe entscheidend, die letztendlich zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof geführt haben?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Herr Abgeordneter! Für jeden Wohlmeinenden, der die Rechtssituation kennt, ist klar, dass in beiden Fällen die Gründe ausschließlich im Procedere gelegen sind, bei dem einen im Abstimmungsprocedere des Hohen Hauses hier, das andere Mal in der Übermittlung der Beschlüsse und der Abänderungsanträge sowie der Publikation.

Ich möchte diese Gelegenheit auch dazu nützen, mich bei den Beamten des Sozialministeriums, die mit der Ausarbeitung befasst waren, herzlichst zu bedanken. Der Fehler ist nicht bei den


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Beamten meines Hauses gelegen, allerdings wurde in manchen Zeitungskommentaren versucht, die Schuld mir und meinen Beamten in die Schuhe zu schieben.

Es ist so, dass der Verfassungsgerichtshof bis dato in der Sache selbst, nämlich im gesetzlichen Substrat beider Materien, nicht entschieden hat und in beiden Fällen rein formale Gründe der Anlass für die Aufhebung waren. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir kommen zum vierten Thema.

Herr Abgeordneter Schender, ich bitte um die Formulierung Ihrer Frage.

Abgeordneter Mag. Rüdiger Schender (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Bundesminister, meine Frage lautet:

91/M

Welche konkreten Maßnahmen haben Sie gesetzt, um die von der Armut betroffenen Menschen (Bericht zum "Nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung sozialer Ausgrenzung und Armut") zu unterstützen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrter Herr Kollege Schender! Das von mir geschilderte Modell des Kinderbetreuungsgeldes zur Verbesserung der Situation der Familien einschließlich der erhöhten Grenzen des Zuverdienstes zur Stabilisierung des Familieneinkommens ist ein wichtiger Beitrag. Sie wissen, dass laut Armutsbericht in Österreich etwa 400 000 Menschen, und da insbesondere wieder die Familien beziehungsweise die AlleinerzieherInnen, die Hauptbetroffenen sind.

Wir haben aber auch mit den 600 Millionen Schilling, die wir behinderten Menschen in Härtefällen in diesem Land zurückgeben wollen, wodurch diese Härtefälle ausgeglichen werden sollen, eine wichtige Maßnahme gesetzt. Wir haben für behinderte Menschen, die einen Behinderungsgrad von über 80 Prozent haben, durch die Erhöhung der Zuschläge von 20 Prozent auf 50 Prozent, wie Kollege Donabauer in seinen Ausführungen gesagt hat, entsprechende Vorkehrungen getroffen.

Weiters darf ich darauf hinweisen, Herr Kollege Schender, dass vor allem die österreichische Wirtschaft, aber auch die Rahmenbedingungen dieser Bundesregierung dafür gesorgt haben, dass wir derzeit den seit zehn Jahren geringsten Arbeitslosenstand haben und damit das Wichtigste erreicht haben, nämlich den Menschen Beschäftigung zu geben. Durch die Beschäftigung können sie ihre Zukunftsansprüche in der Pensionsversicherung verbessern und ihr Leben mit einem höheren Einkommen als aus der Arbeitslosenversicherung für sich selbst besser gestalten und planen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Frau Abgeordnete Gatterer, bitte.

Abgeordnete Edeltraud Gatterer (ÖVP): Herr Bundesminister! Armutsbekämpfung ist eine Querschnittsmaterie, und man muss in vielen Bereichen ansetzen: im Wohnbau, im Bildungsbereich, im Steuerbereich, natürlich auch im Sozialbereich und vor allem im Arbeitsbereich und im Familienbereich.

Ich denke, die jetzige Bundesregierung hat sehr gute Akzente im Arbeitsbereich und im Familienbereich durch das Kinderbetreuungsgeld gesetzt. Welche Akzente werden Sie als Minister zusätzlich setzen, um armutsgefährdete Menschen nicht nur zu unterstützen, sondern ihnen zu helfen, aus der Armutsfalle wieder herauszukommen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrte Frau Kollegin Gatterer! Sie wissen, dass sich gerade Frauen, die durch lange Familientätigkeit


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eine über mehrere Jahrzehnte dauernde Arbeitsunterbrechung hatten, im Falle der Scheidung in der zweiten und dritten Lebensphase meistens am Existenzminimum oder deutlich darunter bewegen. Ich habe daher eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die unter dem Motto "halbe/halbe" zu arbeiten begonnen hat, um das Problem der Altersversorgung der Frauen in Österreich einer Regelung zuzuführen.

Ich hoffe, dass wir in dieser Gesetzgebungsperiode so weit kommen, dass die entsprechenden Gesetzentwürfe vorliegen, um dieses gerade für die Frauen wichtige Problem einer positiven Erledigung zuzuführen.

Das Modell des Pensionssplittings, das wir in der bäuerlichen Pensionsversicherung haben, war in der letzten Gesetzgebungsperiode ein erster Schritt in diese Richtung. Wir haben aus diesem Schritt auch die Erkenntnis gezogen, dass das Splitten der Pension allein für die Frauen zu wenig ist.

Es kommen hier teilweise Zahlungen, Beträge zustande, die – im Volksmund ausgedrückt – fürs Sterben zu viel und fürs Leben zu wenig sind. Ich glaube daher, dass es notwendig sein wird, auch Zahlungen der Länder mit einzubeziehen, um eine auch für die Frauen in dieser schwierigen Lebenssituation befriedigende Gestaltung ihres dritten Lebensabschnittes auf Versicherungsbasis zu erreichen, sodass ein menschenwürdiges Dasein auf einer gesicherten Existenzbasis in Zukunft gegeben ist. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)


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Präsident Dr. Heinz Fischer:
Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Öllinger, bitte.

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Herr Bundesminister! Eines der wichtigsten Instrumente im Bereich der Armutspolitik wäre eigentlich die Sozialhilfe, aber diese ist bundesländerweise völlig unterschiedlich geregelt, es gibt unterschiedliche Voraussetzungen, unterschiedliche Richtsätze. Sie wissen um diese Problematik.

Planen Sie im Bereich der Armutspolitik eine bundeseinheitliche Rahmengesetzgebung, beziehungsweise haben Sie auch Vorstellungen in Richtung einer Grundsicherung zur Armutsvermeidung?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrter Herr Kollege Öllinger! Sie haben es ja in Ihrer Präambel zur Frage deutlich beschrieben: Die Sozialhilfe ist in Österreich Landessache und daher auf föderalistischer Basis in der derzeitigen Situation nicht zu lösen.

Vor einer Woche gab es ein Treffen mit den Sozialreferenten der Bundesländer in Schladming. Es ist auch dort – ich würde fast sagen, so wie in den letzten 15 Jahren – dieses Thema angesprochen worden, aber es ist diesbezüglich mit den Bundesländern leider kein Konsens zu erzielen, sodass wir gezwungen sein werden, mit den Ländern gemeinsam Verbesserungsvorschläge auf der Basis von Artikel-15a-Verträgen zu machen.

Ein ähnliches Problem haben wir ja auch mit der Ausbildung von Betroffenen, etwa von Altenbetreuern und Behindertenbetreuern, wo eine ähnliche föderalistische Situation in der Verfassung herrscht. Auch dort werde ich über Artikel-15a-Verträge versuchen, ein "Kernösterreich" zu schaffen, in dem diese Berufsgruppen endlich ihre Berufsanerkennung erfahren werden, was als eine Art Grundsicherung eine Voraussetzung für ihre weitere Lebensplanung darstellt.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Dietachmayr, bitte.

Abgeordneter Helmut Dietachmayr (SPÖ): Herr Bundesminister! Sie haben gerade heute und auch in der Vergangenheit eine Reihe von Maßnahmen angekündigt. Ich frage Sie jetzt konkret: Wann sind Sie bereit, über diese konkreten Maßnahmen auch mit den hier im Parlament vertretenen Parteien zu diskutieren? Beziehungsweise: Wann werden diesen Ankündigungen konkrete Umsetzungsschritte folgen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Minister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Herr Kollege Dietachmayr! Ich habe für die Vorhaben immer Zeithorizonte genannt und bin jederzeit bereit, mit Ihnen als Obmann des Sozialausschusses, aber auch mit anderen Vertreterinnen und Vertretern der Oppositionsparteien und der Regierungsparteien dann, wenn es gewünscht ist, in meinem Ministerium Gespräche über die Vorhaben zu führen, um Sie dort, wo Sie mitarbeiten wollen, auch in die Vorbereitungsarbeiten und die Gesetzwerdung mit einzubinden.

In allen von mir genannten Arbeitskreisen sind selbstverständlich auch die jeweils Interessierten und die Sozialpartner mit eingebunden, weil ich davon ausgehe, dass in Österreich eine Neuordnung des Sozialwesens nur dann Sinn macht, wenn sie auf breiter Basis erfolgt, weil der soziale Frieden in diesem Land nur auf breiter Basis gesichert werden kann. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir kommen zum fünften Thema der heutigen Fragestunde. Frau Abgeordnete Prammer formuliert ihre Frage. – Bitte.

Abgeordnete Mag. Barbara Prammer (SPÖ): Herr Minister! Meine Frage lautet:

90/M

Wann ist mit einer gesetzeskonformen Ausschreibung hinsichtlich der Besetzung der Leitung der so genannten Männerabteilung zu rechnen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrte Frau Kollegin Prammer! Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass in meinem Ministerium derzeit eine Geschäftsordnungsänderung im Werden ist. Das Bundeskanzleramt hat ein maßgebliches Mitspracherecht auch bei der Bewertung der einzelnen Positionen. Es wird davon abhängen, welche Bewertung der von Ihnen apostrophierte Posten bekommen wird. Ab A1/5 sind Ausschreibungen zwingend im Gesetz vorgesehen. Derzeit ist das Verfahren noch nicht so weit gediehen, um endgültig sagen zu können, ob der Posten mit A1/4 oder A1/5 bewertet wird. Sobald die Bewertung feststeht, wird selbstverständlich innerhalb eines Monats – so wie es das Gesetz vorsieht – eine Ausschreibung erfolgen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Bitte, Frau Abgeordnete.

Abgeordnete Mag. Barbara Prammer (SPÖ): Herr Minister! Noch eine Frage zur Männerabteilung: Welche konkreten Förderungsabsichten haben Sie mit dieser Männerabteilung? Das heißt ganz konkret, welche Förderungen sind von Ihnen schon ins Auge gefasst worden beziehungsweise schon gegeben worden? Und: Wer sind die Förderungsnehmer? (Abg. Kiss: Eine Frage!)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Minister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrte Frau Kollegin Prammer! Derzeit sind 2 Millionen Schilling – die Finanzierung erfolgt in Form von Umschichtungen – für das laufende Jahr im Bereich der Männerabteilung vorgesehen. Die Männerabteilung hat bereits wichtige Kontakte mit sehr vielen Institutionen, die sich in diesem Bereich in der Vergangenheit bereits Verdienste erworben haben, aufgenommen. Es gibt derzeit noch keine konkrete Ausschreibung eines Forschungsprojektes, sondern die Forschungsprojekte für Männer-Programme sind derzeit im Planungsstadium, sodass es nach meiner Kenntnis der Dinge bis zum heutigen Tag noch keine konkrete Zusage an ein Planungsinstitut gibt.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Frau Abgeordnete Mag. Hartinger, bitte.


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Abgeordnete Mag. Beate Hartinger
(Freiheitliche): Herr Bundesminister! Im Zuge der neuen Geschäftseinteilung Ihres Bundesministeriums haben Sie neben diesem Referat für Männer auch eine Abteilung, ein Referat für Frauen und Gesundheit eingerichtet.

Meine Frage geht dahin: Welche Schwerpunktaktivitäten sind seitens dieses Referates geplant?


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Präsident Dr. Heinz Fischer:
Herr Minister, bitte.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Frau Kollegin Hartinger! Ich darf es Ihnen in aller Kürze sagen: Die wichtigsten Arbeiten sind: Zusammenarbeit mit den Frauen-Gesundheitszentren, Gesundheitsvorsorge, Gesundheitsförderung, Mitarbeit an der Entwicklung der Gesetzwerdung für die "Babyklappe" und Zusammenarbeit mit den First-Love-Ambulanzen. Regionale Angebote im Frauengesundheitsbereich und auch die internationale Zusammenarbeit sollen da koordiniert werden. Es ist ein Arbeitskreis für genetische Beratung im Entstehen, der mit der Sektion IX meines Ministeriums zusammenarbeitet.

Es gibt erste Kontaktaufnahmen und einen Informationsaufbau zu Frauengesundheitsbereichen, etwa zum Fonds Gesundes Österreich, zum Bundesinstitut für Gesundheitswesen, zur Ludwig Boltzmann-Institut, zu den Frauenbeauftragten in Wien und in jenen Bundesländern, in denen es welche gibt, zu wichtigen Vertretungen der Mediziner und der Kammern aus dem Bereiche der Gynäkologie und Frauenheilkunde sowie Mitarbeit bei psychosozialen Beratungen und Diagnosen mit der Sektion V Abteilung 7 und Mitwirkung in der Frage der Gentechnik. Außerdem gibt es nunmehr Ausarbeitungen von frauenspezifischen Fragestellungen im Bereiche der Psychiatrie und der geistigen Gesundheit. Weiters gibt es eine Ausarbeitung für ein Konzept zur Beratung und zur Begleitung von Frauen bei frauenspezifischen Problemen nach Fehlgeburten und weiters noch Zusammenarbeitsprojekte und Forschungsprojekte zum Thema seelische Gesundheitsförderung bei Frauen und Zusammenarbeit mit dem Justizbereich in diesen Angelegenheiten. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Frau Abgeordnete Rosemarie Bauer, bitte.

Abgeordnete Rosemarie Bauer (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Aus den bis jetzt gestellten Zusatzfragen ist zum Vorschein gekommen, dass die Anfragestellerin mit dieser Abteilung in Ihrem Ressort eher die Idee verbindet, dass dort Geld und Positionen verteilt werden. Ich sehe das ein bisschen anders und hätte Sie gerne gefragt: Welche Absichten und Ziele verfolgen Sie mit der Schaffung eines eigenen Referates für Männer in Ihrem Ressort?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte um Beantwortung, Herr Minister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Frau Abgeordnete Bauer! Meine Absicht bei der Schaffung dieser Männerabteilung in meinem Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen war, neue Bemühungen zu tätigen – mein Ministerium ist auch für "Gender Mainstreaming" zuständig –, um endlich auch in Österreich aus dem klassischen Kampf der Geschlechter zu einem Miteinander der beiden Geschlechter zu kommen. Daher habe ich die frauenpolitische und männerpolitische Abteilung so zusammengeführt, dass dort in Zukunft auch die begleitenden Studien für "Gender Mainstreaming" gemacht werden können, um die Partizipation beider zu fördern und jene Männer zu unterstützen, die im Sinne von "Gender Mainstreaming" an einer gemeinsamen Gestaltung der Zukunft Österreichs interessiert sind.

Es ist aber darüber hinaus auch so, dass sehr viele Männer in Österreich erhebliche Probleme bei Scheidungen, bei der Kindererziehung, aber auch bei der Bewältigung von Armutsproblemen haben. Wenn man sich die Selbstmordrate in Österreich ansieht, dann sieht man, dass die Männer die hauptbetroffene Gruppe sind, sodass auch die Zusammenarbeit dieser Männerabteilung mit Abteilungen für psychische und psychosoziale Gesundheit für Männer ein wichtiger Beitrag dieser Männerabteilung sein wird. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Frau Abgeordnete Dr. Petrovic, bitte.

Abgeordnete MMag. Dr. Madeleine Petrovic (Grüne): Herr Bundesminister! Sie haben eben gesagt, dass die neue Männerabteilung zunächst über 2 Millionen Schilling Budget verfügen soll, und zwar über den Weg von Umschichtungen.

Meine Frage lautet daher: Von welchem Budgetansatz werden diese 2 Millionen abgezogen? Und von welchen Abteilungen wird Personal in die Männerabteilung umdirigiert?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Minister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Frau Kollegin Petrovic! Um Ihnen hier keine falschen Zahlen aus dem Budget zu sagen, werde ich mir erlauben, Ihnen Unterlagen betreffend die genauen Umschichtungen mit den Summen nachzureichen, denn Sie haben das verfassungsmäßige Recht, diese Frage ordnungsgemäß beantwortet zu bekommen. Es ist für mich kein Problem, Ihnen und den anderen Fraktionen das schriftlich nachzureichen.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Abteilung kommen größtenteils aus meinem Hause, in einem Fall gibt es eine Übertragung aus dem Bundesministerium für Landesverteidigung.

Präsident Dr. Heinz Fischer: So, damit haben wir das fünfte Thema erledigt.

Jetzt rufe ich Herrn Abgeordneten Kampichler zum Mikrophon für die Frage Nummer 88/M. – Bitte.

Abgeordneter Franz Kampichler (ÖVP): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Derzeit ist es so, dass Mütter, die Kinder erziehen, durch den Generationenvertrag zwar die ...

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte um Verlesung der Anfrage!

Abgeordneter Franz Kampichler (fortsetzend): ... selber meist keinen Pensionsanspruch haben. Deshalb meine Frage, Herr Bundesminister:

85/M

Welche bedeutenden Änderungen ergeben sich im Rahmen des Kinderbetreuungsgeldes für die Pensionsvorsorge für Mütter/Väter?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Das Kinderbetreuungsgeld wird für die ersten 18 Monate auch das, was man landläufig als pensionsbegründende Zeiten bezeichnet, mit beinhalten. Das bedeutet, dass jemand, der Kinderbetreuung übernommen hat, nicht 15 Jahre, sondern 18 Monate weniger als 15 Jahre braucht, um eine Mindestpension zu erhalten.

Die Kinderbetreuungszeiten werden im Übrigen wie auch die Karenzzeiten für jene, die Pensionsansprüche haben, pensionserhöhende Zeiten sein. Wir werden daher aus dem Familienlastenausgleichsfonds während der Zeit des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld auch entsprechende Beträge an die Pensionsversicherung zahlen, und zwar so rechtzeitig, dass sich dann, wenn diese Leistungen schlagend werden, also frühestens in 15 bis 20 Jahren, die Frauen beziehungsweise Männer darauf verlassen können, dass das, was im Gesetz steht, auch geldmäßig so bewertet ist, sodass sie ihre Pension bekommen werden. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Meine Damen und Herren! Es ist keine Schikane, wenn ich immer darum bitte, den Wortlaut der Frage vorzutragen, aber in der Geschäftsordnung steht:


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Die Frage ist schriftlich einzureichen und "Beim Aufruf ist die Frage vom Anfragesteller mündlich zu wiederholen." – Das ist die Bestimmung, und wir müssen bemüht sein, sie einzuhalten.

Jetzt hat Herr Abgeordneter Kampichler eine Zusatzfrage. – Bitte.

Abgeordneter Franz Kampichler (ÖVP): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Was wird neben dem Kinderbetreuungsgeld getan, um vor allem kinderreichen Familien, bei denen die Gefahr, in die Armut abzugleiten, ganz besonders groß ist, eine zusätzliche finanzielle Hilfestellung zu geben?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Minister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Da wir ja im Juli dieses Jahres das Kinderbetreuungsgeld verabschieden wollen, gehen wir erstens davon aus, dass nunmehr die Länder – Gespräche mit den Sozialreferenten haben bereits begonnen – ihre derzeitigen Förderungen für die ersten drei Lebensjahre so umgestalten, dass für kinderreiche Familien auch aus den Ländertöpfen mehr übrig bleibt. Zum Zweiten ist vereinbart, dass innerhalb des Kinderbetreuungsgeldes ab 2003 für die Kinder, die älter sind, die Zahlungen aus dem Familienlastenausgleichsfonds valorisiert werden. Zum Dritten haben wir vorgesehen, dass beim Kinderbetreuungsgeld für Mehrkinderfamilien ab dem dritten Kind die Zuschläge deutlich erhöht werden.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Öllinger, bitte.

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Herr Bundesminister! Aus einer Anfragebeantwortung über die Kosten für die Ersatzzeiten – diese habe ich vor einem halben Jahr erhalten – geht klar hervor, dass für die Ersatzzeiten auch aus dem Bereich des Karenzgeldes beziehungsweise des Wochengeldes erhebliche Leistungen von der Pensionsversicherung zu zahlen sind. Haben Sie deshalb die Beiträge an die Pensionsversicherung beziehungsweise an die Krankenversicherung so niedrig gestaltet, damit das Kinderbetreuungsgeld überhaupt ausbezahlt werden kann?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Minister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrter Herr Kollege Öllinger! Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass das, was von der Opposition immer als Ausplünderung des Familienlastenausgleichsfonds bezeichnet worden ist, nämlich jene 6 und 4 Milliarden Schilling, die wir der Pensionsversicherung in den ersten beiden Jahren dieser Regierung zugewiesen haben, die notwendige Zuführung von Pensionszahlungen aus der Vergangenheit ist, und zwar auf Grund von Versprechungen, die von früheren Regierungen gemacht wurden und in den nächsten Jahren und Jahrzehnten schlagend werden.

Wir haben auch im Modell des Kinderbetreuungsgeldes vorgesehen, in den ersten beiden Jahren den Geldwert des Kinderbetreuungsgeldes, jene 6 000 S monatlich, auf Heller und Pfennig genau der Krankenversicherung und der Pensionsversicherung zuzuweisen, und dann ab dem zweiten Jahr in der Pensionsversicherung den höheren Wert der jeweils valorisierten Ausgleichszulage zugrunde zu legen, um die Pensionszahlungen zu tätigen.

Wir gehen davon aus, dass mit diesen Zahlungen für die Pensionsversicherung auch ein langjähriger Valorisierungseffekt zu erzielen sein wird. Es sind dies mindestens zehn bis 15 Jahre, wenn man davon ausgeht, dass sich heute die Situation auch bei den Frauen geändert hat und nunmehr unter den 29- bis 31-Jährigen sehr viele Erstgebärende zu finden sind, die im Regelfalle ab 56,5 Jahren Pensionsansprüche geltend machen werden. Es werden die entsprechenden Zahlungen in jener Höhe geleistet werden, dass sich diese Frauen darauf verlassen können, dass die ersten 18 Monate, die pensionsbegründend sind, ordentlich bedeckt sind, und die restlichen 12 Monate für Zuwächse ihrer durch Arbeit oder sonstige Leistungen erworbenen Pensionsansprüche herangezogen werden können.

Ich glaube, wir haben im Gegensatz zu sehr vielen vorangegangenen Regierungen eine faire Regelung sowohl mit der Stabilisierung in der Krankenversicherung auf 4 Milliarden Schilling für


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die nächsten drei Jahre trotz besserer Arbeitsmarktsituation als auch mit den Zahlungen für die Pensionsversicherung geschaffen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Dolinschek, bitte.

Abgeordneter Sigisbert Dolinschek (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Wie aus dem letzten Familienbericht hervorgeht, ist Familienarbeit großteils weiblich. Frauen erreichen dadurch schwerer die notwendigen Pensionsversicherungszeiten. Wie bewerten Sie auf lange Sicht jene Maßnahmen, wonach Zeiten der Familienarbeit im Pensionsrecht stärker berücksichtigt werden sollen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Minister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrter Kollege Dolinschek! Ich gebe Ihnen Recht, dass unbezahlte Arbeit in dieser Republik leider noch immer weiblich ist. Es ist nicht nur die Familienarbeit, die unbezahlt größtenteils durch Frauen verrichtet wird, sondern es ist auch die Pflegeleistung, die durch Frauen verrichtet wird und die im Regelfall auch an den Schultern der Frauen hängen bleibt. In Fällen, in denen es sich um jahrelange, ja jahrzehntelange Pflege von behinderten Kindern handelt, wird diese fast ausschließlich von den Frauen, und zwar meistens alleine, geleistet. Aus der Scheidungsstatistik geht hervor, dass sehr viele Partnerschaften auf Grund dieser erheblichen Belastungen der Frauen und auch der Fixierung der Frauen auf die von ihnen geleistete Tätigkeit in die Brüche gehen.

Wir sind daher in dieser Bundesregierung gut beraten gewesen, etwa für Frauen im Pflegebereich ab der Pflegestufe 4 auch die Möglichkeit einer eigenen Pensionsvorsorge für diese wichtige Tätigkeit zu schaffen. Wir sind zum Zweiten, glaube ich, auch gut beraten gewesen, im Familienmodell des Kinderbetreuungsgeldes mit der Anhebung der Zuverdienstgrenze einerseits, aber auch mit der Möglichkeit einer berufsspezifischen Nachqualifizierung über das Arbeitsmarktservice andererseits für die Frauen eine bessere Einkommenssituation zu gestalten. Ich betrachte es auch als positiv, dass dann, wenn Frauen nach den drei Jahren, die sie bei ihrem Kind bleiben, über das Arbeitsmarktservice keine Arbeit finden, für diese Frauen der entsprechende Anspruch auf Arbeitslosengeld, wie er vor Beginn der Kinderbetreuungsphase bestanden hat, voll schlagend wird, sodass auch in diesem Fall die Absicherung der Frauen besser ist als in der heutigen Situation, wo es häufig so ist, dass Frauen nach der Behaltefrist auf Grund mangelnder Berufserfahrung ohne Beschäftigung minderqualifiziert auf der Straße stehen und ihr weiteres Dasein meistens mit geringem Einkommen aus ungelernter Tätigkeit fristen müssen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Frau Abgeordnete Sophie Bauer, bitte.

Abgeordnete Sophie Bauer (SPÖ): Herr Bundesminister! Können Sie mir konkret sagen, wie groß die Finanzlücke in der Pensionsversicherung ist, die durch die nicht voll abgedeckten Aufwendungen für die Ersatzzeiten in der Kindererziehung entstehen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Minister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrte Frau Kollegin! Ich bin derzeit leider nicht in der Lage, Ihnen einen ganz genauen Betrag zu nennen. Ich darf Ihnen aber das gleiche Angebot machen, das ich Frau Kollegin Petrovic gemacht habe. Ich werde diese Zahlen erheben lassen und Ihnen nachreichen, damit ich Ihnen hier keine falschen Zahlen angesichts der Medienpräsenz gebe.

Ich darf aber schon darauf hinweisen, dass die 6 und 4 Milliarden Schilling, die diese Bundesregierung in den ersten beiden Jahren aus dem Familienlastenausgleichsfonds gezahlt hat, auch nach Ansicht der Versicherungsexperten zumindest jene Leistungen abdecken, die aus den zwei vorangegangenen Legislaturperioden für die dort gemachten gesetzlichen Zusagen an Frauen resultieren, und zwar aus der Tätigkeit der Kinderbetreuung, aus der Erhöhung der Pensionen beziehungsweise aus den vier Jahren pensionserhöhenden Zeiten für Kinderbe


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treuung. Es ist auch das abgegolten, was 1996 den Frauen versprochen worden ist, nämlich dass in jenen Fällen, in denen innerhalb von 25 Jahren die Kinderbetreuungszeiten so ausreichend waren, dass sie die gesamte Frist abdecken, diese auch pensionsbegründend sind. Man muss zum letzten Fall sagen, dass es insgesamt nur 324 Frauen waren, die in den Genuss dieser Bestimmung gekommen sind. Aber all diese Leistungen betrachten wir mit den 6 und 4 Milliarden Schilling derzeit einmal als abgegolten.

Die genauen Berechnungen zu dem, was Sie gefragt haben, werde ich Ihnen gerne nachreichen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich erkläre die Fragestunde für beendet und danke dem Herrn Bundesminister. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

 

Ankündigung eines Dringlichen Antrages

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich gebe bekannt, dass die Abgeordneten Dr. Cap und Genossen vor Eingang in die Tagesordnung der heutigen Sitzung das Verlangen gestellt haben, den zum gleichen Zeitpunkt eingebrachten Selbständigen Antrag 439/A (E) der Abgeordneten Dr. Cap und Genossen betreffend Grundsätze einer Reformpolitik für die österreichischen Universitäten dringlich zu behandeln.

Ich werde diesen Dringlichen Antrag um 15 Uhr aufrufen.

Verlangen auf Durchführung einer kurzen Debatte über die Anfragebeantwortung 2041/AB

Präsident Dr. Heinz Fischer: Weiters teile ich mit, dass gemäß § 92 der Geschäftsordnung das Verlangen vorliegt, eine Kurzdebatte über die Beantwortung 2041/AB zur Anfrage 2046/J der Frau Abgeordneten Mag. Stoisits betreffend die Menschenrechtssituation in der Türkei und den fehlenden Druck Österreichs beziehungsweise der Europäischen Union durch die Frau Außenministerin abzuhalten.

Da für die heutige Sitzung soeben die Behandlung eines Dringlichen Antrages bekannt gegeben wurde, wird vorgesehen, dass diese Kurzdebatte im Anschluss an die Verhandlung des Dringlichen Antrages stattfindet.

Der Kollege Van der Bellen hat sich zur Geschäftsbehandlung zu Wort gemeldet. Wollen Sie gleich das Wort, oder sollen wir noch die Ergänzung der Tagesordnung um einen Immunitätsfall vornehmen? – (Abg. Dr. Van der Bellen: Bitte!)

Absehen von der 24-stündigen Aufliegefrist

Präsident Dr. Heinz Fischer: Um den Punkt 4 der Tagesordnung der heutigen Sitzung in Verhandlung nehmen zu können, ist es nach der Geschäftsordnung notwendig, von der 24-stündigen Aufliegefrist durch Beschluss abzusehen, weil dieser Ausschussbericht noch nicht 24 Stunden aufgelegen ist. Es handelt sich um den Bericht des Immunitätsausschusses betreffend Ersuchen des Bezirksgerichtes Innere Stadt um Zustimmung zur behördlichen Verfolgung des Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Pilz.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem Absehen von der 24-stündigen Aufliegefrist für diesen Ausschussbericht ihre Zustimmung geben, um ein entsprechendes Zeichen. – Dies ist mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit, vermutlich sogar einstimmig angenommen.

Zur Geschäftsbehandlung hat sich Herr Abgeordneter Professor Van der Bellen zu Wort gemeldet. – Bitte.


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10.02

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne) (zur Geschäftsbehandlung): Danke, Herr Präsident. – Zunächst begrüße ich den Herrn Bundeskanzler herzlich in unserer Mitte. (Lebhafter Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen sowie Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Das hat mit der Geschäftsordnung nicht direkt zu tun. (Heiterkeit.)

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (fortsetzend): Herr Präsident! Nach einer kurzen Begründung möchte ich zwei Anträge zur Geschäftsordnung stellen.

Nach dieser freundlichen Begrüßung, Herr Bundeskanzler, komme ich nicht umhin zu sagen: Wir haben Sie gestern peinlich vermisst. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Ing. Westenthaler: Was soll das jetzt?) Gestern haben Sie es ohne Begründung vermieden, an einer Diskussion über die Einschränkung der Pressefreiheit in diesem Land und über die Möglichkeiten (Abg. Ing. Westenthaler: Peinlich! – Abg. Haigermoser: Sie sind bei den Demonstrationen während der Parlamentsverhandlungen! – weitere Zwischenrufe bei den Freiheitlichen – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen) der Einschränkung der Meinungsfreiheit in diesem Land teilzunehmen. Heute sind Sie anwesend, und heute haben Sie Gelegenheit ... (Anhaltende Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Kollege Van der Bellen, ich muss Sie wirklich bitten! Erstens einmal kann man die Dinge nicht durch Schreien klären. Das steht fest. Zweitens: Gestern hat sich die Geschäftsordnungsmeldung von Ihnen auf die Präsenz des Bundeskanzlers am gestrigen Tag bezogen. Das haben wir aber abgehandelt. Jetzt stellen Sie bitte die Anträge, die Sie heute stellen wollen.

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (fortsetzend): Bitte schön, Herr Präsident.

Auf Grund dieser neuen Gegebenheiten stelle ich erstens den Antrag, den von Ihnen gerade verlesenen neuen Tagesordnungspunkt 4, wenn ich nicht irre, vorzureihen, damit wir Gelegenheit haben, den Herrn Bundeskanzler in dieser Causa wenigstens heute anzuhören. – Das ist der erste Antrag.

Zweitens stelle ich vorsorglich den Antrag, dass der Herr Bundeskanzler bei dieser Debatte anwesend sein möge. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ. – Abg. Ing. Westenthaler: Eine peinliche Wortmeldung war das! – Abg. Haigermoser: Sie sind während der Parlamentsverhandlungen bei Demonstrationen! – Abg. Dr. Partik-Pablé: Ein Ewiggestriger ist das!)

10.04

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Professor! Wollen Sie den Punkt 4 als Punkt 2 nach dieser ersten Lesung oder als Punkt 1 und dann erst die erste Lesung? – (Abg. Dr. Van der Bellen: Eins!)  – Gut. Ich kenne mich aus.

Herr Abgeordneter Van der Bellen hat den Antrag, der geschäftsordnungsmäßig zulässig ist, gestellt, die Tagesordnung umzureihen, und zwar den als Punkt 4 vorgesehenen Bericht des Immunitätsausschusses betreffend die behördliche Verfolgung des Abgeordneten Dr. Peter Pilz als ersten Punkt der Tagesordnung zu verhandeln, was zur Folge hat, dass die Punkte 1 bis 3 zu den Punkten 2 bis 4 werden.

Ich bitte jene Damen und Herren, die diesem Abänderungsantrag zur Tagesordnung der heutigen Sitzung ihre Zustimmung erteilen, um ein diesbezügliches Zeichen. (Die Abgeordneten der Grünen und der SPÖ erheben sich von ihren Plätzen. – Heiterkeit und Zwischenrufe bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Ing. Westenthaler  – in Richtung SPÖ –: Euch ist nichts zu tief!)  – Dies ist nicht die erforderliche Mehrheit. Der Antrag ist daher abgelehnt. (Anhaltende Zwischenrufe. – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.)


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Kollege Van der Bellen! Bleibt Ihr Antrag auf Anwesenheit des Herrn Bundeskanzlers bei dem nunmehr nach wie vor als Punkt 4 zu verhandelnden Antrag aufrecht? (Abg. Dr. Van der Bellen: Ja!)

Dann lasse ich über den Antrag des Herrn Klubobmannes Professor Van der Bellen abstimmen, der Nationalrat möge nach der entsprechenden Bestimmung der Geschäftsordnung die Anwesenheit des Herrn Bundeskanzlers bei der Verhandlung des Tagesordnungspunktes 4 beschließen. (Abg. Ing. Westenthaler: Eine Lachnummer! Eine einzige Lachnummer!)

Ich bitte jene Damen und Herren, die diesem Antrag zustimmen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Das ist nicht die erforderliche Mehrheit. Der Antrag ist daher abgelehnt.

Einlauf und Zuweisungen

Präsident Dr. Heinz Fischer: Meine Damen und Herren! Ich gebe Ihnen den wichtigen Sachverhalt bekannt, dass hinsichtlich der eingelangten Verhandlungsgegenstände nach § 23 Abs. 4 der Geschäftsordnung auf eine schriftlich verteilte Mitteilung verwiesen wird.

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:

A) Eingelangte Verhandlungsgegenstände:

Anfragebeantwortungen: 2087/AB und 2088/AB.

Anfragebeantwortung durch die Obfrau des Untersuchungsausschusses: 15/ABPR.

B) Zuweisungen in dieser Sitzung:

zur Vorberatung:

Ausschuss für Arbeit und Soziales:

Bundesgesetz, mit dem das Bundesbehindertengesetz, das Behinderteneinstellungsgesetz und das Bundesfinanzgesetz 2001 geändert werden (573 der Beilagen),

Bundesgesetz, mit dem das Bundespflegegeldgesetz geändert wird (574 der Beilagen),

Versorgungsrechts-Änderungsgesetz 2002 – VRÄG 2002 (575 der Beilagen),

Sozialversicherungs-Währungsumstellungs-Begleitgesetz – SV-WUBG (593 der Beilagen),

Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 und das Bundesgesetz über die Förderung von Anliegen der älteren Generation 1998 (Bundes-Seniorengesetz 1998) geändert werden (594 der Beilagen),

Antrag 431/A der Abgeordneten Heidrun Silhavy und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz, BGBl. Nr. 414/1972, geändert wird;

Außenpolitischer Ausschuss:

Antrag 437/A (E) der Abgeordneten Mag. Karin Hakl, Ing. Gerhard Fallent und Genossen betreffend die Situation blinder Menschen in den Ländern der Dritten Welt;

Finanzausschuss:

Bundesgesetz über die Hemmung des Fristenablaufes durch den 31. Dezember 2001 (562 der Beilagen),

4. Zollrechts-Durchführungsgesetz-Novelle – 4. ZollR-DG-Novelle (567 der Beilagen),


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Bundesgesetz, mit dem das Tiermehl-Gesetz geändert wird (584 der Beilagen),

Bundesgesetz, mit dem die Vollzugsanweisung betreffend die Verwertung von Gegenständen animalischer Herkunft in Tierkörperverwertungsanstalten (Tierkörperverwertung) geändert wird (585 der Beilagen),

Bundesgesetz, mit dem das Fleischuntersuchungsgesetz geändert wird (586 der Beilagen),

Bundesgesetz, mit dem das Katastrophenfondsgesetz 1996 und das Bundesfinanzgesetz 2001 geändert werden (587 der Beilagen),

Produktpirateriegesetz – PPG (589 der Beilagen),

Euro-Steuerumstellungsgesetz – EuroStUG 2001 (590 der Beilagen),

Bundesgesetz über die Leistung eines Beitrages zum Asiatischen Entwicklungsfonds (ADF VIII) der Asiatischen Entwicklungsbank (591 der Beilagen),

Antrag 434/A (E) der Abgeordneten Mag. Ulrike Lunacek und Genossen betreffend Schuldenerlass für die ärmsten Entwicklungsländer;

Gesundheitsausschuss:

Antrag 436/A (E) der Abgeordneten MMag. Dr. Madeleine Petrovic und Genossen betreffend Mindestanforderungen für den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Schlachtung und Tötung;

Justizausschuss:

Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung und das Strafvollzugsgesetz geändert werden (487 der Beilagen);

Ausschuss für Land- und Forstwirtschaft:

Euro-Umstellungsgesetz Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft – EUG-LFUW (592 der Beilagen);

Ausschuss für Menschenrechte:

Antrag 432/A (E) der Abgeordneten Mag. Walter Posch und Genossen betreffend Wahrung der Pressefreiheit;

Rechnungshofausschuss:

Nachtrag zum Tätigkeitsbericht des Rechnungshofes über das Verwaltungsjahr 1999 (Zu III-73 der Beilagen);

Umweltausschuss:

Bundesgesetz, mit dem das Immissionsschutzgesetz-Luft geändert und das Smogalarmgesetz aufgehoben wird (553 der Beilagen),

Antrag 435/A der Abgeordneten Karlheinz Kopf, Ing. Gerhard Fallent und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Altlastensanierungsgesetz geändert wird;

Unterrichtsausschuss:

Euro-Umstellungsgesetz-Schulrecht (578 der Beilagen),

Bundesgesetz, mit dem das Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten geändert wird (579 der Beilagen),


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Bundesgesetz, mit dem das Schulorganisationsgesetz und die 12. Schulorganisationsgesetz-Novelle geändert werden (580 der Beilagen),

Bundesgesetz, mit dem das Schulpflichtgesetz 1985 geändert wird (581 der Beilagen),

Bundesgesetz, mit dem das Schulunterrichtsgesetz geändert wird (582 der Beilagen),

Bundesgesetz, mit dem das Land- und forstwirtschaftliche Bundesschulgesetz geändert wird (583 der Beilagen);

Verfassungsausschuss:

Antrag 438/A der Abgeordneten Ing. Peter Westenthaler, Dr. Andreas Khol und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, das Gehaltsgesetz 1956, das Pensionsgesetz 1965, das Nebengebührenzulagengesetz, das Richterdienstgesetz, das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1984, das Land- und forstwirtschaftliche Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1985, das Bundestheaterpensionsgesetz, das Teilpensionsgesetz, das Verfassungsgerichtshofgesetz, das Poststrukturgesetz und das Bundesbahngesetz 1992 geändert werden sowie das Bundesbahn-Pensionsgesetz geschaffen wird (Pensionsreformgesetz 2001);

Verkehrsausschuss:

Antrag 433/A (E) der Abgeordneten Dr. Evelin Lichtenberger und Genossen betreffend Effizienzsicherung von Geschwindigkeitskontrollen im Straßenverkehr im Sinne der Verkehrssicherheit.

*****

Behandlung der Tagesordnung

Präsident Dr. Heinz Fischer: Es liegt mir der Vorschlag vor, die Debatte über die Punkte 2 und 3 der heutigen Tagesordnung zusammenzufassen. Gibt es dagegen eine Einwendung? – Das ist nicht der Fall. Damit haben wir beschlossen, die Punkte 2 und 3 zusammenzufassen.

Redezeitbeschränkung

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir gehen nunmehr in die Tagesordnung ein.

In der Präsidialkonferenz wurde Konsens über die Dauer der Debatten wie folgt erzielt: Es ist eine Gesamtredezeit von 7 "Wiener Stunden" vereinbart, aus der sich folgende Redezeiten ergeben: SPÖ 137 Minuten, Freiheitliche und ÖVP je 102 Minuten, Grüne 81 Minuten.

Darüber hat das Hohe Haus zu befinden. Gibt es dagegen Einwendungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das einstimmig so beschlossen.

1. Punkt

Erste Lesung der Regierungsvorlage: Bundesverfassungsgesetz über den Abschluss des Vertrages von Nizza (565 der Beilagen)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir gelangen zum 1. Punkt der Tagesordnung.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Als Erster zu Wort gemeldet hat sich der Herr Bundeskanzler. Ich erteile ihm dieses.

10.08

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Präsident! Hohes Haus! Darf ich mit Ihrer Erlaubnis vielleicht einen Satz zum Abgeordneten Professor Van der Bellen, zu seinen Anträgen von vorhin sagen.


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Zum Ersten lege ich großen Wert darauf, dass rechtlich völlig klar ist, dass der Staatssekretär im Bundeskanzleramt im gesamten Vertretungsbereich des Bundeskanzleramtes absolut vertretungsberechtigt ist. Hinzu kommt, dass Franz Morak zusätzlich noch ausdrücklich von mir befugt und ermächtigt ist, Angelegenheiten des Medienrechts und der Kunst und Kultur vollinhaltlich und eigenverantwortlich wahrzunehmen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.) Ich glaube, das ist völlig korrekt und soll so sein.

Zweitens: Inhaltlich teile ich auch jedes Wort, das mein Staatssekretär gestern hier gesagt hat. Es gibt überhaupt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die gesamte Bundesregierung und ich an ihrer Spitze alles tun werden, um Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und die Individualrechte von Bürgern in diesem Land zu schützen. Daran gibt es keinen Zweifel, Herr Professor! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen. – Abg. Dr. Pilz: Und warum werden dann Journalisten angeklagt?)

Dritter Punkt – und erlauben Sie mir eine kleine ironische Nachfrage –: Wenn ich es richtig gesehen habe, dann war doch der Antrag, den Sie gestellt haben, den Punkt 4 in meiner Anwesenheit zu diskutieren, einen Antrag, der auf die Auslieferung eines Abgeordneten Ihrer Fraktion hinausläuft. Ich bin langjähriger Parlamentarier, Herr Abgeordneter, und ich bin viel früher als Sie in dieses Haus gewählt worden. (Abg. Mag. Schweitzer: Der kennt sich ja gar nicht aus! Das ist sein Problem! – Abg. Mag. Kogler: Strafandrohung für Journalisten!) Das ist ein Urrecht des Parlaments, das hat überhaupt nichts mit einem Regierungsmitglied zu tun, und ich finde, das sollte auch so bleiben. Bleiben wir bei dieser guten Praxis! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Sonst wäre es ja geradezu ein Widerspruch in sich, dass man hier die Regierung mit einer Sache, die ausschließliche Kompetenz des Nationalrats ist und meiner Meinung nach auch sein und bleiben soll, befasst. (Abg. Ing. Westenthaler: Ein Selbstfaller wieder!)

Ich darf nun zum Thema der ersten Lesung des Vertrags von Nizza kommen. Wir wissen, dass im Dezember der Vertrag von Nizza politisch geregelt wurde. Wir hatten bereits am Anfang dieses Jahres eine substanzielle erste Aussprache. Alle Parlamentarier, alle Fraktionen waren gut eingebunden in die Bestimmungen, in die Diskussionsverläufe dieses Prozesses. Sie haben auch die Texte bekommen. Wir werden wahrscheinlich eines der ersten Länder der Europäischen Union sein, das diesen Vertrag von Nizza dem Nationalrat zur Ratifizierung vorlegen wird (Abg. Dr. Lichtenberger: Wir haben keine Stellungnahme der Regierung bekommen!), und ich finde das auch gut so, denn dieser Vertrag von Nizza ist ein absoluter Fortschritt. Wir haben in Österreich einige Punkte, die für uns sehr wichtig sind, durchgesetzt, und wir haben manches erreicht.

Das Wichtigste aus unserer Sicht: Mit diesen Beschlüssen von Nizza wird die Erweiterung der Europäischen Union, ein Projekt, das für uns von historischer Bedeutung ist, institutionell möglich.

Zweitens – und das ist für uns auch sehr, sehr wichtig –: Wir haben in Nizza, und das läuft ja bereits sehr gut, Themen im Erweiterungszusammenhang angesprochen, die wir jetzt bereits erfolgreich umzusetzen beginnen. Das ist etwa die Frage von Übergangsfristen in der Freizügigkeit der Arbeitskräfte. Wir sind mitten drinnen in der Diskussion über Schutzklauseln und Absicherungen im Bereich der Dienstleistungsfreiheit. Ich glaube daher, dass diese Erweiterungsposition und die Strategie, die wir eingegangen sind, hier absolut sinnvoll sind. (Unruhe im Saal. – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.)

Wir haben bewiesen, dass man europäisch denken und zugleich nationale Interessen vertreten kann und keineswegs gering achten soll. Wir haben in diesem Vertrag von Nizza wichtige Anliegen, was die Umweltpolitik betrifft, Einstimmigkeit, Verkehrsfragen, wir haben das durchgehende Prinzip für Umweltfragen im Vertrag verankern können. Unsere Wasserrechte sind gesichert geblieben. Im Asyl- und Fremdenrecht haben wir entscheidende Fortschritte erzielt. Insgesamt ist das aus österreichischer Sicht eine sehr vernünftige Lösung.


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Wir haben in den institutionellen Fragen, die natürlich die kritischsten gewesen sind, einen sehr guten Kompromiss sicherstellen können.

Erster Punkt: Wir haben erreicht, dass jeder Beschluss der Union in Hinkunft sowohl von der Mehrheit der Staaten (Abg. Dr. Pilz verteilt im Saal Unterlagen und legt eine solche auch auf den Platz des Bundeskanzlers)  – wenn Sie die Güte haben, das woanders hinzulegen, ich habe meine Unterlagen da – als auch von der Mehrheit der Bürger getragen werden soll. Das ist für mich jedenfalls ein Urprinzip der Demokratie, und das soll auch in der Europäischen Union gelebt werden. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Sie kennen die ersten Vorschläge der französischen Präsidentschaft: acht Stimmen für Österreich und ein Direktorium quasi in der Kommission. (Abg. Mag. Schweitzer  – auf den noch immer Unterlagen verteilenden Abg. Dr. Pilz weisend –: Den Pilz könnte man als Saaldiener einstellen!) Wir haben dann neun und am Ende sogar zehn Stimmen erreicht und haben damit bei einem Bevölkerungsanteil von 1,5 Prozent und einem Budgetanteil von 2,6 Prozent ein Stimmgewicht von über 4 Prozent bei den heutigen Fünfzehn. Ich glaube, mit diesem Ergebnis können wir ganz gut leben. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wir haben das Prinzip: Jedes Land muss in den Institutionen vertreten sein!, so gut es irgendwie ging, tatsächlich gesichert, und das wird eine sehr lange Zeit auch im Bereich der Kommission so sein. Erst ab dem Beitritt des 27. Mitgliedslandes ist ein neuer, aber auch dann einstimmiger Beschluss erforderlich. Wir haben uns also gewehrt gegen das Direktorium der Großen, genauso wie es etwa der luxemburgische Premierminister Juncker jetzt in diesen Tagen vor dem Parlament oder der belgische Premierminister Verhofstadt öffentlich vor wenigen Wochen gesagt hat. Ich stehe dazu, denn Europa muss auf der Balance Groß und Klein, südliche, zentraleuropäische und nördliche Staaten, West und Ost gebaut sein, und dies muss auf der Ebene der Gleichberechtigung und der Balance geschehen! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Natürlich ist in Nizza aber noch etwas hochinteressant, denn wir haben zum ersten Mal jetzt ein rechtliches Verfahren bei den Fragen, die uns voriges Jahr massiv betroffen gemacht haben, nämlich die Sanktionen gegen Österreich, und wie wichtig das ist, sieht man ja jetzt gerade bei der italienischen Diskussion. Kein Mensch kommt heute mehr auf die Idee, willkürlich Sanktionen gegen ein wichtiges Mitgliedsland zu verhängen. (Abg. Dr. Lichtenberger: Für Bossi kommt das zu spät!) Alle berufen sich jetzt – zu Recht, sage ich – auf jenes Verfahren, das wir gemeinsam mit den Belgiern interessanterweise – oder überraschenderweise – vorgeschlagen haben und das dann rechtlich einwandfrei mit Kontrollen bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof, mit Befassung der Parlamente, der Nationalparlamente und des Europäischen Parlaments, abgewickelt wird. Ich finde das gut, und es ist sehr, sehr wichtig, damit es nie wieder so etwas geben kann, was im Fall Österreich geschehen ist. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Weiters wurde in Nizza der Startschuss für eine Diskussion gegeben: die Zukunft Europas. Zunächst einmal die Vorgangsweise – und ich sage das hier auch sehr offen; es ist zum ersten Mal, dass ich das formell als Regierungschef sage –: Ich glaube, dass wir ein offenes System wählen sollen. In der ersten Phase, nachdem das Mandat definiert ist – das wird in Laaken unter belgischer Präsidentschaft der Fall sein –, sollte ein offenes Konvent-Modell gemacht werden, wo möglichst viele, seien es Vertreter der Regierungen, der nationalen Parlamente, des Europäischen Parlaments, aber auch Wissenschafter, Juristen, Völkerrechtler, mit eingebunden werden sollen.

Ein solches Konvent-Modell hat den riesigen Vorteil, dass es tatsächlich zu einer breiten Befassung der Öffentlichkeit kommen kann. Ich möchte nicht haben, dass die Diskussion, die wichtige Diskussion um die Zukunft Europas hinter verschlossenen Türen stattfindet. Hier braucht es eine breite demokratische Beteiligung. Das wird die österreichische Position sein, meine Damen und Herren. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Zugleich muss aber dieser Konvent anders arbeiten als in der Grundrechtscharta, denn eines wird nicht gehen: dass man quasi ein "Take it or leave it" macht: Ein Text wird vorbereitet und


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kann und darf nicht mehr verändert werden. Das war auch meiner Meinung nach der Schönheitsfehler beim Konvent, bei der Charta. Wir Österreicher hätten ja auch viele Wünsche gehabt, etwa im Minderheitenrecht, im Sprachen-Regime. So kann es nicht sein, dass uns die Vertreter etwas auf den Tisch legen, was unter keinen Umständen mehr verändert werden kann.

Daher wird dann – und ich hoffe, das wird nicht erst 2004, sondern hoffentlich auch schon im Laufe des Jahres 2003 sein – eine offizielle Regierungskonferenz, die selbstverständlich auch mit den nationalen Parlamenten rückgekoppelt werden muss, jene Beschlüsse und Ergänzungen fassen, die für diese Debatte absolut notwendig sind.

So viel zur Prozedur. Ich hoffe, dass Sie mir bei diesem Weg gemeinsam folgen können. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Zur Frage der Kompetenzen – zweites wichtiges Thema. – Wir haben in Nizza vereinbart, dass jetzt ein Kompetenzkatalog entwickelt werden soll: Was soll Europa machen, was sollen die Nationalstaaten tun, und was soll auf der subsidiären Ebene – bei uns sind das die Länder oder Gemeinden – geschehen? Diese Diskussion ist meiner Meinung nach ganz, ganz wichtig. Vergessen Sie nicht, dass einer wie Wolfgang Schäuble, der wirklich unverdächtig ist, klar gesagt hat: Ohne eine Klärung der Kompetenzfrage kann das Subsidiaritätsprinzip nicht verwirklicht werden, und dies muss in der europäischen Verfassung drinnen stehen. – Diese Frage, wie wir die Neuordnung der Kompetenzen regeln, wird entscheidend sein, und das muss verbindlich geklärt sein! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Es darf nicht so sein, dass jede Diskussion sofort mit dem Etikett "europafeindlich" versehen wird. Das wäre ein fataler Fehler, und ich zitiere einen ganz anderen, auch unverdächtigen, mindestens ebenso unverdächtigen Zeugen, den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement, der in einem sehr interessanten Artikel und Vortrag im Februar dieses Jahres genau auf diese Kompetenzfrage hingewiesen hat und de facto drei Kompetenzmuster, Cluster, vorgeschlagen hat: eine exklusive europäische Kompetenz, die nur der EU zusteht, vor allem Außen-, Außenwirtschafts-, Währungspolitik, auch Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, und andere Bereiche, die eine Grundsatz gesetzgebung mit sehr viel Spielraum für die Nationalstaaten beinhalten, und andere Bereiche, die nur eine Ergänzungs kompetenz festhalten, wo primär die Nationalstaaten – oder die Länder und Gemeinden bei uns – gefordert sind.

Ich finde, dass eine solche Diskussion, eine Klärung, was Subsidiarität, was Aufgabenkorrektur bedeutet, absolut wichtig sein wird. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang aber auch, dass ich ein wenig auf Vorschläge, die gerade in jüngster Zeit gemacht worden sind, eingehe. Es hat etwa die deutsche SPD Vorschläge gemacht in einem Leitantrag: Verantwortung für Europa, die natürlich jetzt in ganz Europa diskutiert werden.

Ich finde einen solchen Vorschlag absolut sinnvoll. Auch andere Parteien – etwa wir in Österreich – haben ähnliche Vorschläge oder anders lautende Vorschläge gemacht.

Zwei Punkte sind dabei von großem Interesse, und auf diese möchte ich das Augenmerk lenken, denn sie werden in Zukunft sehr wichtig sein.

Der erste Punkt betrifft den Vorschlag, was klarerweise in jedem Fall europäisch sein wird, nämlich die Frage der gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Es steht klar in diesem Dokument, dass in diesem Bereich – wörtlich – "mittelfristig eine Vergemeinschaftung dieses Politikbereiches", nämlich der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, "angestrebt" wird. – Das ist eine interessante Frage: eine mögliche Vergemeinschaftung der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik! (Abg. Kiss: ... Kostelka ...! Nur der will es nicht wahrhaben! Und der Schieder auch nicht!)

Darin steht in Bezug auf diesen Bereich auch: "Die transatlantische Partnerschaft bleibt die Grundlage unserer Sicherheit in Europa. Die NATO bleibt die entscheidende politische und


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institutionelle Klammer für die euro-atlantische Gemeinschaft demokratischer Staaten." Und weiter: Das "gesamte Spektrum" müsse durchdekliniert werden können, im militärischen Bereich, im politischen Bereich und, und, und! (Abg. Kiss: SPD! – Abg. Ing. Westenthaler:  Schröder unterstützt die SPÖ! Voll und ganz!)

Es wäre sehr interessant zu hören, ob diese Position der SPD auch von den österreichischen Sozialdemokraten geteilt wird, denn mehr Europa wird richtigerweise eine Vergemeinschaftung des Politikansatzes auch im Bereich Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik bedeuten. Ich bin dafür! Aber es wäre klug, wenn wir darüber vielleicht auch einen österreichischen Konsens herbeiführen würden, und es wäre gut, wenn so etwas möglich wäre, meine Damen und Herren. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Der zweite Punkt, der vorgeschlagen wurde und der natürlich interessant und kontroversiell ist, betrifft die Frage der Renationalisierung mancher Politikbereiche. In diesem SPD-Dokument heißt es, dass manche Bereiche – wörtlich – "auf die nationale Ebene zurückverlagert werden" müssen: "Dies gilt besonders für die Kompetenzen der EU in den Bereichen Agrar- und Strukturpolitik, ..." – Zitatende.

Diese Frage sollte man meiner Meinung nach sine ira et studio, also sehr vernünftig, diskutieren. Man muss aber zugleich den Finger auf den Punkt legen: Was bedeutet dies? Was heißt es, wenn man 80 Prozent, vier Fünftel des heutigen Budgets der Europäischen Union für 80 Prozent des Aufgabenbereiches der Europäischen Union in die nationale Kompetenz rückverlagert?

Meine Damen und Herren! Das heißt schlicht und einfach nicht "mehr Europa", sondern das heißt 80 Prozent "weniger Europa" – um das ganz klar auszusprechen. (Abg. Mag. Schweitzer: Diese Rechnung stimmt nicht! So nicht!)

Es heißt zweitens, dass dies natürlich auch manches in den politischen Inhalten verändert, und bedeutet in manchen Bereichen das Ende des gemeinsamen Marktes. Dazusagen muss ich schon: Wenn ich eine Marktordnung habe und dafür Prämien zahle, dann gibt es in diesem Bereich eben keine Wettbewerbsverzerrungen. Renationalisierung heißt aber, dass es wiederum zu nationalen Wettbewerbsmöglichkeiten kommen wird. Die Folge wird genau jener Wettbewerbskrieg, jener Förderungskrieg sein, den es vor Schaffung des Binnenmarktes in diesen Bereichen schon gegeben hat. Doch das hilft den Großen und schadet den Kleinen. Das muss man offen aussprechen!

Meine Damen und Herren! Es schwächt außerdem den Außenauftritt der Europäischen Union. Bei der Welthandelsorganisation kann die EU natürlich glaubwürdiger auftreten, wenn sie Umweltstandards und andere Fragen in der Agrarpolitik gemeinsam, gemeinschaftlich ohne Verzerrungen und Differenzierungen wirklich durchbringt.

Zudem ist es geradezu lächerlich, fast absurd, wenn man die Beitrittskandidaten jetzt zwingt, zum Teil große Opfer zu bringen und Strukturreformen zu machen – etwa die polnische Landwirtschaft –, gleichzeitig aber bereits über eine Renationalisierung der Agrar- und Förderpolitik nachdenkt. (Abg. Dr. Lichtenberger: Diese Debatte gibt es seit fünf Jahren!)

Dass das natürlich auch eine Entsolidarisierung bedeutet – gerade für einen großen Nettozahler; Namen brauchen wir hier nicht zu nennen –, ist klar, ist aber ein Effekt, den man aber auch aussprechen soll.

Meine Damen und Herren! Was aber sinnvoll wäre – und diese Diskussion möchte ich gerne einmal in Österreich führen –, ist die Frage, ob man nicht umschichten soll, auch stärker umschichten in der Agrarpolitik, und zwar von der ersten in die so genannte zweite Säule, also von der Marktordnung in den ländlichen Raum, hin zur Umweltpolitik, für die ja unsere Bauern – und dafür sei ihnen wirklich einmal herzlich gedankt – mehr tun, als jedes andere europäische Land bisher zustande gebracht hat! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Wenn wir in der zweiten Säule – die ja übrigens kofinanziert ist: in den südlichen Ländern etwas weniger, bei uns aber bis zu 50 Prozent! – umschichten würden, dann würde sich selbstver


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ständlich eine stärkere Beteiligung der Nationen, der Mitgliedstaaten ergeben, und man hätte überdies damit einen beachtlichen umweltpolitischen Lenkungseffekt erreicht.

Meine Damen und Herren! Das wäre interessant! Würde man diesen Anteil von heute 10 Prozent vielleicht auf 20, 30 Prozent – das entspräche so manchen Ideen in der Kommission, die mir gut gefallen – erhöhen, würde das zwar nicht alle im Süden Europas freuen, wäre aber ein interessanter Lösungsansatz, der durchaus auch im Interesse der Nettozahler und im Interesse der bäuerlichen Familienbetriebe und der Umwelt gelegen wäre. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Bei einer derartigen Reform der gemeinsamen Agrarpolitik kann man dann auch unser Thema – nämlich die von uns immer wieder verlangte Obergrenze bei den Förderungen, degressiv, damit eben die Kleinen stärker als die Großen gefördert werden – wieder einbringen. Man kann sogar überlegen, ob irgendwann einmal auch im Marktbereich eine verpflichtende Kofinanzierung sichergestellt werden soll – aber bitte ohne Wettbewerbsverzerrung und auf klarer europäischer Grundlage!

Das sind Diskussionen und das wären Themen, die meiner Überzeugung nach durchaus Sinn machen würden.

Meine Damen und Herren! Dritter und letzter Punkt: Ich meine, dass wir Europa nicht so sehr von den Institutionen und von den Macht- und Ränkespielen her verstehen dürfen, wichtig wäre mir vielmehr, dass wir den Bürgern verstärkt erklären, warum eigentlich manche Dinge, die wir derzeit im Rahmen der europäischen Agenda diskutieren, so wichtig sind.

Die Erweiterung zum Beispiel wird, wenn wir unsere Umweltstandards auch in den Beitrittskandidatenländern durchbringen, die Ozonbelastung in Österreich um 40 Prozent verringern. Es wird ein Minus von 60 Prozent bei den Schwefeldioxid-Emissionen geben, sobald – und wenn – die Beitrittskandidaten die Standards, die bei uns selbstverständlich sind, mit übernehmen.

Die Erweiterung und damit die Ausdehnung des Schengen-Raums, eine gemeinsame europäische Grenzschutzpolizei zum Beispiel, die gemeinsam und wirksam die Außengrenzen der Union schützt, wird die Last und auch das Bedrohungspotential von Schleppern, von Schmuggel, von Drogenhändlern und allem anderen in diesem Bereich mindern. Das ist im österreichischen Interesse, denn wir hatten im Jahre 1998 beispielsweise 20 000 Aufgriffe von Illegalen, im letzten Jahr bereits 46 000.

Das sind die Themen, die die Bürger interessieren: Umwelt, Sicherheit, Lebensstandard, gemeinsamer Friedens- und Stabilitätsgewinn! Diese Themen sollten in den Vordergrund rücken, und nicht so sehr die Frage: Wer gewinnt, wer verliert institutionell irgendetwas?

Ich sage auch offen: Viele europäische Staatsmänner (Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen) haben sich dazu bereits geäußert. Ich zitiere zwei von ihnen.

Giuliano Amato hat gesagt: More Europe means sometimes less Europe! – Das war ganz gezielt gemünzt auf die Kompetenz- und Subsidiaritätsdiskussion.

Tony Blair hat gemeint: We have to develop Europe into a superpower, not into a superstate! (Abg. Dr. Pilz: Der kann aber besser Englisch!)

10.29

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundeskanzler! (Bundeskanzler Dr. Schüssel: Und das wird die österreichische Position sein! – Anhaltender Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen für den wieder auf der Regierungsbank Platz nehmenden Bundeskanzler Dr. Schüssel.)

Nächster Redner in dieser Debatte ist Herr Abgeordneter Dr. Gusenbauer. Ich erteile ihm das Wort. Die Redezeit ist freiwillig mit 15 Minuten vorgeschlagen. – Bitte, Herr Abgeordneter. (Abg. Mag. Schweitzer: Schröder oder nicht Schröder – das ist die Frage! – Abg. Dr. Khol: In Berlin ist er dafür, hier ist er dagegen! – Abg. Ing. Westenthaler  – in Richtung des den Vorsitz führen


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den Präsidenten Dr. Fischer –: Er war im Schlusssatz! ... in den letzten Satz hineingesprochen haben bei jedem anderen Redner! Bei jedem anderen Redner beim letzten Satz konsequent ... beim Bundeskanzler ...!)

Herr Kollege Westenthaler! Der Herr Bundeskanzler hat nicht eine Erklärung abgegeben, er hat sich im Zuge einer Debatte zu Wort gemeldet, daher wollte ich, da die Redezeit um eine halbe Minute überzogen war, höflich darauf aufmerksam machen. Dass der Herr Bundeskanzler gleich danach Schluss gemacht hat, das war nicht meine Absicht. Ich bitte, nicht immer böse Absichten zu unterstellen! (Abg. Ing. Westenthaler: Er war beim Schlusssatz! – Abg. Haller: Man soll mit gleichem Maß messen!)

Am Wort ist jetzt Herr Abgeordneter Dr. Gusenbauer. – Bitte.

10.30

Abgeordneter Dr. Alfred Gusenbauer (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Wir diskutieren heute die Bewertung des Vertrages von Nizza. Der Herr Bundeskanzler hat auf einige Punkte hingewiesen.

Meinem Verständnis nach liegt der große Vorteil des Vertrages darin, dass damit zumindest formal die Voraussetzungen für die Erweiterung der Europäischen Union geschaffen wurden – und das ist letztendlich der wichtigste Schritt, der in Nizza gesetzt wurde und den ich auch vollinhaltlich unterstützen möchte. (Beifall bei der SPÖ.)

Gleichzeitig sind aber alle Hoffnungen in den Vertrag von Nizza, nämlich darauf, dass die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Europäischen Union gestärkt werden könnte und dass das demokratische Prinzip verstärkt werden sollte, bitter enttäuscht worden. Sie wissen selbst, Herr Bundeskanzler, dass die vielen Versuche, die es gegeben hat, letztendlich zu keinem Ergebnis geführt haben, mit einer Ausnahme, nämlich der Zusage, nach diesem Vertrag von Nizza eine breite Debatte über die Zukunft Europas durchzuführen.

Das heißt, die Frage der Demokratisierung Europas ist in Nizza nicht gelöst worden, aber es ist das Tor zu einer Debatte aufgemacht worden.

Daher glaube ich, dass im Zentrum unserer heutigen Diskussion im Hohen Haus zwei Fragen zu stehen haben, nämlich erstens: Wie bewältigen wir die Herausforderungen durch die Erweiterung?, und zweitens: Wie stellen wir uns den Prozess für die Zukunft Europas in formaler Hinsicht vor, und was sind die Inhalte, die Österreich dabei einzubringen gedenkt?

Zum ersten Punkt, der Frage der Erweiterung der Europäischen Union (Abg. Mag. Schweitzer: Da kann er ja mitarbeiten, wenn er will!)  – wenn Herr Schweitzer zuhört, wird er merken, dass zur Mitarbeit jede Bereitschaft besteht (Abg. Mag. Schweitzer: Du bist auch eingeladen!)  –, zur Erweiterung der Europäischen Union ist Folgendes festzustellen:

Es wird nicht möglich sein, ohne konkrete und korrekte Vorbereitung die Erweiterung zum Vorteil aller Menschen in der derzeitigen Europäischen Union und in den Beitrittsländern zu gestalten. Das heißt, wenn wir uns dazu bekennen, dass Europa erweitert und der Raum von Frieden und Stabilität ausgedehnt werden soll – und das tun wir –, dann müssen wir ab jetzt die konkrete Vorbereitung dieser Erweiterung angehen. Nur so kann sie zu einem Erfolg werden! (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn wir über die Vorbereitung der Erweiterung reden, dann müssen wir über unterschiedliche Ebenen reden. Das eine ist die politische Vorbereitung der Erweiterung, die darin besteht, dass Österreich ein eminentes Interesse daran haben muss, zu den neuen Beitrittsstaaten ein gutes Verhältnis aufzubauen, und das nicht nur deswegen, weil es traditionell gute Beziehungen gegeben hat, nicht nur deswegen, weil Österreich einer der Hauptinvestoren in diesen Staaten ist, sondern auch deshalb, weil der Sicherheitsgewinn für Österreich durch die Erweiterung der Europäischen Union ein enormer sein wird. Daher lege ich größten Wert darauf, darauf hinzuweisen, dass alle Provokationsstrategien gegenüber den neuen Mitgliedsländern abzulehnen sind. Wir wollen die Zusammenarbeit! (Beifall bei der SPÖ.)


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Es gibt auch Angebote, die Sie in diesem Zusammenhang unterbreitet haben und die für gewisse Irritationen sorgen – das ist also keine Provokation, sondern das sorgt für Irritationen. Sie haben von der Frage der "strategischen Partnerschaft" zwischen Österreich und den EU-Kandidaten gesprochen. Aber bis zum heutigen Tag weiß niemand in den Kandidatenstaaten, was denn diese "strategische Partnerschaft" überhaupt bedeuten soll – ganz im Gegenteil: Da und dort wurden Befürchtungen geäußert, dass das ein Konzept aus der Vergangenheit sein soll.

Selbst Ihr Parteifreund, der tschechische Parlamentspräsident Václav Klaus, hat heute in einem "Presse"-Interview zu diesem Thema gesagt – ich zitiere –:

"Das geht leider nicht. Wenn mitteleuropäische Politiker wirklich seriös nach der Bedeutung des Wortes Mitteleuropa suchen wollen, bin ich als ein Professor bereit, an dieser Debatte teilzunehmen, aber als ein politisches Konzept verstehe ich das überhaupt nicht. Ich weiß, was ich sage: Das hat keine Zukunft und keine Bedeutung." – Zitatende.

Herr Bundeskanzler! Wenn nicht einmal ein Nachbar, ein Parteifreund von Ihnen weiß, was die "strategische Partnerschaft" positiv für Europa bedeuten soll (Ruf bei der ÖVP: Da geht es um Temelin!), dann haben Sie mit diesem Vorschlag offensichtlich keinen Beitrag zur Lösung von Problemen geleistet, sondern – ganz im Gegenteil! – zur Verwirrung unserer Partner. Das ist kein guter Beitrag! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Schwarzenberger: Václav Klaus ist ein Temelin-Befürworter!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist aber die Erweiterung nicht nur mit unseren Partnerstaaten, sondern auch in Österreich vorzubereiten. Wenn man möchte, dass die Erweiterung zum wirtschaftlichen und sozialen Vorteil für Österreich wird, dann müssen in Österreich Vorkehrungen getroffen werden. Eine der wichtigsten Vorkehrungen muss darin bestehen, dass die Infrastruktur in Bezug auf unsere neuen Mitgliedstaaten ausgebaut wird, dass vor allem der Nordosten, der Osten und der Südosten Österreichs mit der geeigneten Straßen- und Schieneninfrastruktur versorgt wird, damit die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Raum grenzübergreifend stattfinden kann. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Mag. Schweitzer: Was haben denn Ihre Verkehrsminister bis jetzt getan?)

Herr Schweitzer, Sie brauchen nicht zu brüllen, ich bin gerne bereit, Ihnen zuzugestehen, dass die infrastrukturellen Versäumnisse im Nordosten, im Osten und im Südosten Österreichs (Abg. Mag. Schweitzer: Wer verantwortet das?) keine alleinige Verantwortung der derzeitigen Bundesregierung sind. (Ironische Heiterkeit bei den Freiheitlichen. – Abg. Ing. Westenthaler: Schwere Kritik an Einem! – Ruf bei der SPÖ: Zuhören!) Ich bin auch bereit, zuzugestehen, dass es in Österreich über Jahrzehnte eine strategische Entscheidung war, in diesem Raum weniger zu machen (Abg. Ing. Westenthaler: Jetzt weiß ich, warum der Einem nicht Klubobmann geworden ist!), denn es haben sich, solange es den Eisernen Vorhang gegeben hat, schlicht und einfach die Notwendigkeiten nicht gestellt. (Abg. Mag. Schweitzer: Mehr als zehn Jahre!) Aber jetzt, wenn wir die Erweiterung anstreben, wenn wir wollen, dass die Erweiterung funktioniert, muss der Infrastrukturausbau angegangen werden. Davor können Sie sich nicht drücken! (Beifall bei der SPÖ.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Ich habe positiv zur Kenntnis genommen, dass es eine gute Diskussion über die Entwicklung von Übergangsfristen betreffend die Personenfreizügigkeit und die Dienstleistungsfreiheit gibt, aber, Herr Bundeskanzler, es ist zu wenig, Übergangsfristen zu vereinbaren. Es geht darum, was in dieser Zeit gemacht wird! Meinem Verständnis nach besteht die Hauptauseinandersetzung, der Hauptwettbewerb nicht zwischen inländischen und ausländischen Arbeitskräften, sondern zwischen legaler und illegaler Beschäftigung. Daher ist es eine Hauptherausforderung, dass wir bereits vor der Erweiterung Ordnung auf den österreichischen Arbeitsmärkten schaffen (Abg. Edler: So schaut es aus!) und die illegale Beschäftigung bekämpfen. Das ist die bestehende Notwendigkeit! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Ing. Westenthaler: Aber nicht mit mehr Zuwanderung!)


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Im Übrigen haben wir Sozialdemokraten ein umfassendes Paket mit dem Titel "Pakt für Arbeit und Europa" ausgearbeitet und der Öffentlichkeit vorgestellt, und ich habe Ihnen, Herr Bundeskanzler, den Vorschlag unterbreitet, in Hinsicht auf die Bedeutung der Erweiterung der Europäischen Union für Österreich diese Frage nicht als ein parteipolitisches Anliegen, sondern als eine gesamtnationale Anstrengung zu betrachten, sodass Sie als Bundeskanzler die Möglichkeit haben, die Regierung, die Opposition, die betroffenen Bundesländer und die Sozialpartner an einen Tisch zu holen, um eine gemeinsame österreichische Vorbereitungs- und Durchführungsstrategie für die Erweiterung zu machen. Wir sind dazu bereit, weil wir glauben, das dies eine der größten Zukunftsaufgaben für unser Land ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die zweite wesentliche Frage, die sich in Bezug auf den Vertrag von Nizza stellt, betrifft die Zukunft der Europäischen Union, welche Entwicklung wir diesbezüglich gehen wollen. Ich halte Ihre Aussage für völlig richtig, dass dieser Prozess in einer offenen Form, in Form eines Konvents organisiert werden soll, weil es in unserem Interesse liegt, dass die Zukunft Europas nicht nur eine Angelegenheit der Regierungen, sondern auch der Parlamente, der Zivilgesellschaften, der Bevölkerung insgesamt ist. Daher legen wir größten Wert darauf, dass Österreich mit diesem Vorschlag in der Europäischen Union auftritt, und Sie können sich der Unterstützung des österreichischen Parlamentes sicher sein (Abg. Kiss: Der SPÖ im Parlament!), wenn Sie diese Unterstützung zur Durchsetzung dieses Vorschlages in der Europäischen Union brauchen. Ich halte diesen Weg für absolut richtig! (Beifall bei der SPÖ.)

Im Zusammenhang mit der Frage: Wie sollen wir das neue Europa gestalten, und welche Herausforderungen stehen vor uns?, sind Ihre Aussagen in den letzten Tagen ein bisschen widersprüchlich gewesen, wenn ich das so bezeichnen darf. Sie haben heute versucht, die Vorschläge des deutschen Bundeskanzlers Schröder darzustellen als ein "Weniger von Europa". Offensichtlich haben Sie bei Ihrer ersten Stellungnahme zu diesem Thema den gesamten Text nicht gelesen gehabt, denn Sie haben in einem Interview mit dem "Kurier" am 1. Mai gemeint, "man dürfe künftig nicht alle Kompetenzen an Brüssel abgeben und ,nicht alles europäisieren‘". Sie warnten vor einem "Superstaat Europa".

Heute sagen Sie, Schröder wolle weniger Europa, am 1. Mai sagten Sie, Schröder wolle den "Superstaat Europa". Herr Bundeskanzler! Bilden Sie sich eine letztendliche Meinung, was Sie von den Vorschlägen Ihres deutschen Amtskollegen halten! Das würde für die Klarheit der österreichischen Position außerordentlich wesentlich sein. (Beifall bei der SPÖ.)

In der Tat geht es bei diesen Debatten um die Zukunft Europas im Wesentlichen um drei Ebenen:

Die erste Ebene ist: Wie kann man Europa demokratischer gestalten, als es heute ist? Zur Demokratie gehört dazu, dass Gesetzgebung öffentlich stattfindet, zur Demokratie gehört dazu, dass es eine klare Kompetenzabgrenzung gibt, wer wofür zuständig ist, wofür Europa und wofür die nationale Ebene, und weiters gehört zur Demokratie dazu, dass die Bürgerinnen und Bürger auch den Eindruck haben – berechtigt! –, dass sie mit ihren demokratischen Wahlentscheidungen beeinflussen können, was in Europa geschieht.

Der Vorschlag, den der deutsche Bundeskanzler Schröder gemacht hat, und der Vorschlag, den unser Bundespräsident Dr. Thomas Klestil eingebracht hat, sind Vorschläge für die Organisierung eines europäischen Institutionensystems, die in Summe zu mehr Transparenz, zu mehr Parlamentarisierung und damit zu mehr Demokratie führen. Daher möchten wir Sozialdemokraten diese Vorschläge explizit und ausdrücklich unterstützen, meine sehr verehrten Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Die zweite Ebene ist: Was soll Europa gemeinsam erledigen? Es ist in der Tat so, dass man darüber reden muss, was bei der Kompetenzverteilung herauskommt. Eine Renationalisierung der Strukturpolitik erachte ich als eine große Gefahr, denn das würde letztendlich die Solidarität, die die Grundlage des europäischen Einigungsprozesses ist, untergraben. Gerade vor dem Hintergrund der Erweiterung, die auch darauf aufgebaut ist, dass die bisherigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union solidarisch sind mit den neuen Mitgliedstaaten, bin ich der Meinung,


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dass eine Renationalisierung der Strukturpolitik ein Vorschlag ist, der in die falsche Richtung geht. Wenn Sie in der Europäischen Union diese Meinung, die wir hier vertreten, unterstützen – und ich habe während Ihrer Ausführungen den Eindruck gehabt, das würden Sie tun –, dann bin ich der Meinung, dass wir hier eine gesamtösterreichische Position beziehen können, denn wir sind an der Solidarität in Europa interessiert und nicht an der Renationalisierung dieser wesentlichen Bereiche. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Dr. Van der Bellen. )

Was die Frage der Agrarpolitik betrifft, so müssen wir alle gemeinsam zur Kenntnis nehmen, dass die Agrarpolitik der Europäischen Union in den letzten Jahren eine enorme Fehlentwicklung genommen hat. Die zahlreichen Tierskandale, die es gegeben hat, von BSE angefangen, sind letztendlich Ausdruck eines verfehlten Agrarförderungssystems. Die Frage, die sich heute stellt, ist: Wie kommt die europäische Landwirtschaft aus dieser Malaise heraus?

Ich bin der Meinung, dass es für das internationale Auftreten selbstverständlich eine gemeinsame europäische Vorgangsweise geben muss. Aber aus den Vorschlägen, die Kommissar Fischler gemacht hat, dass man eine Korrektur des europäischen Agrarsystems damit herbeiführen kann, dass es stärkere Kofinanzierungsmodelle gibt, womit gerade solche Modelle gestärkt werden können, die wir in Ansätzen in Österreich in der Vergangenheit gehabt haben, ergibt sich die Möglichkeit, dass die Zielsetzung, nämlich Veränderung der europäischen Landwirtschaftspolitik in Richtung stärkere Ökologisierung und stärkere soziale Nachhaltigkeit, erfüllt wird und gleichzeitig ein gemeinsames Auftreten im internationalen Maßstab stattfinden kann. Ich bin aber felsenfest davon überzeugt, dass ein Weiterwursteln in der Agrarpolitik wie bisher nicht imstande sein wird, das Vertrauen der Konsumenten in Europa wieder herzustellen. Wir brauchen einen Neuanfang in der Agrarpolitik Europas, und dazu soll Österreich auch seinen Beitrag leisten. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine dritte Ebene darf nicht unerwähnt bleiben: Europa ist im Zuge einer globalisierten Wirtschaft gefordert, seine politische Handlungsfähigkeit herzustellen. Wenn wir wollen, dass die grundsätzlichen Interessen und Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Europas erfüllt werden, nämlich eine Leistungsgesellschaft zu haben, die mit einem sozialen Gewissen und einer sozialen Solidarität ausgestattet ist, dann kann die Integration der Europäischen Union nicht beim bisher erreichten Punkt stehen bleiben. Das, was im Wirtschaftsbereich, ansatzweise im politischen Bereich stattgefunden hat, muss auf der sozialen und ökologischen Ebene weitergeführt werden. Daher wird ein Europa, das seinen Menschen dient, nur ein Europa sein können, das auch ein sozial und ökologisch integriertes Europa ist, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ.)

Vor diesem Hintergrund bin ich der Meinung, dass wir, über enge institutionelle Fragen hinausgehend, einen Zielkatalog für die europäische Integration zu entwickeln haben – einen Zielkatalog, der festschreibt, welche Prioritäten in den nächsten Jahren auf der Tagesordnung stehen. Sie wissen ganz genau, dass es in Vorbereitung des Europäischen Rates am Ende dieses Jahres in Belgien außerordentlich sinnvoll wäre, wenn Österreich eine gemeinsame Position hätte, was die Zukunft der Europäischen Union betrifft. Ich bin der Meinung, wir sollten eine solche Position auf breiter Grundlage hier im Hohen Haus erarbeiten, damit wir auch die Chance haben, die zentralen, wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Interessen in den Vordergrund zu stellen. Wir sind zu dieser Zusammenarbeit im Interesse unseres Landes bereit. (Lang anhaltender Beifall bei der SPÖ. – Abg. Dr. Khol: Kein Wort zur Sicherheit! – Abg. Mag. Schweitzer: Kein Wort zum Vertrag!)

10.48

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Spindelegger. Die Uhr ist auf eine freiwillige Redezeitbeschränkung von12 Minuten gestellt. – Bitte.

10.48

Abgeordneter Dr. Michael Spindelegger (ÖVP): Herr Präsident! Sehr geschätzter Herr Bundeskanzler! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst einmal für meine Fraktion festhalten: Wir reden lieber über Nizza als über Pilz! – Das ist eine bemerkenswerte


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Unterscheidung gegenüber den Grünen, aber ich glaube, das ist eine richtige Unterscheidung. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich möchte zum Zweiten festhalten, dass es eine schon merkwürdige Prioritätensetzung der SPÖ ist, wenn sie auch lieber über Pilz reden würde als über die Zukunft Europas. Dass Sie solche Prioritäten setzen, meine Damen und Herren, erstaunt mich im wahrsten Sinne des Wortes! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Die Rede des Abgeordneten Gusenbauer hat auch viele bemerkenswerte Teile beinhaltet, allerdings Antworten auf das, was eigentlich momentan in der Diskussion so sehr in den Vordergrund gerückt ist, nämlich etwa der Vorschlag des Bundeskanzlers Schröder, über ein neues Europa und eine neue Sicherheitspolitik zu reden, ist er schuldig geblieben.

Der Vorstoß des deutschen sozialdemokratischen Bundeskanzlers, die Nato für das Europa der zukünftigen Art und Weise zu stärken, das natürlich besonders die Linien der SPÖ auch mit beinhalten soll, wurde mit keinem einzigen Wort kommentiert. (Abg. Dr. Stummvoll: Schweigen ist Zustimmung!) Sie haben offenbar in der Frage der Sicherheitspolitik und zu diesem Vorschlag, die Nato zu stärken, nichts zu sagen. Das verwundert mich nicht angesichts dessen, was Sie bisher in Österreich vertreten haben, meine Damen und Herren, aber dass Sie die Möglichkeit nicht nutzen, hier Klarheit zu schaffen, spricht auch für sich Bände. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich möchte einmal aus unserer Sicht festhalten, weshalb Europa diesen Vertrag von Nizza braucht. Die Antwort darauf ist knapp: Wir wollen, dass die Europäische Union erweiterungsfähig ist. Es war ein zähes Ringen, die institutionellen Regelungen in die Balance zu bringen. Das ist mit dem Vertrag von Nizza gelungen. Wenngleich vieles, was wir uns auch erwartet haben, nicht in diesen Vertrag eingeflossen ist, ist das Zentrale enthalten. Die Europäische Union ist damit erweiterungsfähig. Das ist für uns Österreicher, die zu einer Erweiterung – zumindest wir von den Regierungsfraktionen – stehen, ein sehr wichtiger Schritt, den ich ausdrücklich begrüße. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Erst jetzt können wir mit Fug und Recht als Europäische Union sagen: Der Ball liegt bei den Beitrittskandidaten, sie müssen jetzt erweiterungsfähig werden! Wir haben daher eine sehr wichtige Hausaufgabe mit dem Vertrag von Nizza erfüllt.

Zum Zweiten möchte ich festhalten, weshalb es für Österreich wichtig ist, dass dieser Vertrag von Nizza eben so gestaltet wurde und nicht anders.

Meine Damen und Herren! Ich darf kurz zurückblenden und mich daran erinnern, was uns am Ende des letzten Jahres, im Vorfeld dieser Verhandlungen unter französischer Präsidentschaft, insbesondere auch die Kollegen von der SPÖ zugerufen haben. Da gab es zum Beispiel den Kollegen Gusenbauer – der schon wieder mit anderen Dingen beschäftigt ist (Abg. Dietachmayr: Er ist eh da! Dort steht er!)  –, der uns noch am 7. Dezember nach einer Sitzung der Sozialistischen Internationale aus dem Ausland erklärt hat, die Hardliner-Position der österreichischen Bundesregierung, einen Kommissar zu verlangen, werde scheitern! (Abg. Dr. Khol: Jetzt geht er!)

Ich erinnere daran, meine Damen und Herren, dass Herr Kollege Einem als SPÖ-Europasprecher uns am 5. Dezember zugerufen hat, es sei völlig unverständlich, dass sich die österreichische Bundesregierung auf den Kommissar versteife, man solle dem Rotationsprinzip zustimmen.

Das Ergebnis war, dass Österreich wie auch alle anderen Mitgliedsländer einen Kommissar behalten werden, meine Damen und Herren! Ich denke, das ist für Österreich, aber auch für die vielen kleineren und mittleren Staaten der Union jetzt und später eine unabdingbare Voraussetzung der Mitgestaltung in Europa. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)


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In der Frage der Stimmgewichtung wurde nach einem zähen Ringen der Grundsatz nicht angetastet, dass kleinere und mittlere Staaten ein relativ stärkeres Gewicht haben als die großen. Auch das war lange Zeit umstritten – es ist durchgesetzt worden!

Im Rahmen der Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen anstelle des Einstimmigkeitsprinzips ist es aber in den für Österreich so entscheidenden Fragen bei Einstimmigkeit geblieben: Die Frage der Wasserressourcen, der Bodennutzung, der Raumordnung im Zusammenhang mit Umweltschutz – all das bleibt einstimmig! Das durchzusetzen war, glaube ich, das Meisterstück der österreichischen Bundesregierung und ihrer Vertreter in Nizza. Eine weitreichende Entscheidung für uns, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich möchte auch noch einmal auf die Arbeit dieses Hauses im Zusammenhang mit Nizza verweisen. Die Mitglieder des Hauptausschusses haben ein so genanntes Feuerwehrkomitee gebildet, das diesen schwierigen Verhandlungsprozess ständig begleitet hat, wie etwa durch regelmäßige Telefonkontakte nach Nizza. Aber (Abg. Mag. Schweitzer: Einem fehlte!), meine Damen und Herren, ich darf daran erinnern: Einer hat gefehlt: Einem hat gefehlt, die SPÖ hat gefehlt in diesem Prozess! Möglicherweise ist das auch der Grund dafür, dass sie sich mit den europapolitischen Fragen eigentlich nicht in dem gewünschten Ausmaß auseinander setzt. Schade! Sie hätten mitwirken können, an diesem Erfolg teilhaben können, so aber ist der Erfolg unser Erfolg geblieben. Wir freuen uns trotzdem darüber! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Das Ergebnis der Verhandlungen von Nizza ist ein für Österreich und für die österreichische Bundesregierung sehr positives gewesen. Unsere Interessen sind zum Durchbruch gekommen, und ich möchte an dieser Stelle durchaus stolz darauf verweisen, dass das auch ein wesentlicher Erfolg des Bundeskanzlers, seiner Verhandlungstaktik und seines Durchsetzungsvermögens gewesen ist, und ich bedanke mich ausdrücklich namens meiner Fraktion bei Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Geschätzte Damen und Herren! Umso erstaunter ist man, wenn man die Rolle der Sozialdemokraten in diesem Prozess der letzten Tage Revue passieren lässt. Während am 11. Dezember noch ein sehr prominenter Sozialdemokrat ein bemerkenswertes Zitat als Reaktion auf die Erfolge des Nizza-Prozesses von sich gegeben hat – er hat gesagt, es sei in der langen Nacht beim Gipfel offenbar gelungen, die Position der "Kleinen" in Rat und Parlament zu stärken; derjenige, der das gesagt hat, heißt Caspar Einem und ist heute auch Redner in dieser Debatte –, ist derselbe Caspar Einem fünf Monate später, am 3. Mai dieses Jahres, zu dem Ergebnis gekommen, dass er große Bedenken gegen die Ratifikation des Vertrages von Nizza hat. Er und sein Parteivorsitzender knüpfen nunmehr Bedingungen an die Ratifikation des Vertrages von Nizza.

Es ist erstaunlich, würde ich meinen, aber nicht nur erstaunlich, meine Damen und Herren, sondern auch verwunderlich, dass die SPÖ, die in europapolitischen Fragen bisher immer Linie gezeigt hat, Bedingungen an eine Ratifikation knüpfen will. Es gehört wohl zum juristischen Einmaleins, zu wissen, dass bei einer Ratifikation nur ja oder nein gesagt werden kann. Bedingungen zu stellen ist in einem Ratifikationsprozess nicht möglich. Daher meine ich schon, dass Kollege Gusenbauer dazu heute ein Wort hätte sagen können, zumal er das am 3. Mai in einer Pressekonferenz gemeinsam mit Kollegem Einem so ausgesprochen hat: Ratifikation nur unter Bedingungen! – Verwunderlich, dass offenbar auch das juristische Einmaleins dieser Partei verloren gegangen ist.

Es ist aber auch erschreckend, wenn man eins und eins zusammenzählt und sich überlegt: Was verbirgt sich denn hinter dieser Rolle der SPÖ neu, geschätzte Damen und Herren? Erinnern wir uns nur an die internen Kämpfe in dieser Partei! Da gibt es einen Arbeiterkammer-Präsidenten Tumpel, der der Erweiterung generell sehr reserviert gegenübersteht. Da gibt es einen ÖGB-Präsidenten Verzetnitsch, dem die jetzt durchaus angemessen erscheinenden Übergangsfristen bei der Freizügigkeit der Arbeitnehmer von sieben Jahren zu wenig sind. – Ist das bereits der Vorgriff darauf, meine Damen und Herren, dass die SPÖ einen Salto rückwärts in jene Zeit versucht, als sie noch gegen Europa war?


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Meine Damen und Herren! Ich sehe das als ein erschreckendes Zeichen, ein sehr erschreckendes Zeichen ... (Abg. Dr. Gusenbauer: Man kann es auch übertreiben! So gefährden Sie die Ratifikation! So gefährden Sie die Ratifikation!) Herr Kollege Gusenbauer! Wenn Sie sagen, wir gefährden die Ratifikation, dann verweise ich auf Ihre Presseaussendung, Ihre Pressekonferenz. Sie sagen, Sie wollen Bedingungen anknüpfen, wo es keine Bedingungen gibt! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich erkenne es als ein erschreckendes Signal der SPÖ, mit einem Salto rückwärts in Wirklichkeit zu einem Salto mortale zu kommen. Bekennen Sie sich zu einer Linie für Europa, bekennen Sie sich dazu, dass Sie die Erweiterung der Europäischen Union wollen, und lassen Sie Ihre Grabenkämpfe innerhalb der SPÖ aus diesem Prozess heraus, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wir nehmen Ihr Angebot, dass Sie mitarbeiten wollen, sehr ernst. Wir wollen im Post-Nizza-Prozess eine breite Meinungsbildung: in Österreich, innerhalb der Parlamentsparteien, innerhalb der Sozialpartner, damit der nächste Wurf in Europa auch gelingt, der in die Richtung gehen soll, dass wir über einen Verfassungsvertrag diskutieren, dass wir auch über eine Aufgabenaufteilung, die nachvollziehbar und einklagbar ist, diskutieren und dass wir zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen in der Absicht, diese Wirtschaftsunion in eine große Friedensunion umzuwandeln. Wir stehen dazu, wir laden Sie zur Mitarbeit ein, und wir als ÖVP bleiben unserer Linie treu.

Meine Damen und Herren! Wir wollen, dass diese Europäische Union eine große Friedensunion wird, aber wir wollen auch, dass die Bürger dieses Europas diesen Weg bestimmen. Nicht ferne Institutionen, sondern unsere und ebenso alle anderen Bürger sollen mitbestimmen, wohin die Reise geht. Die ÖVP steht dafür zur Verfügung! (Anhaltender Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

10.59

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Schweitzer. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 15 Minuten. – Bitte.

11.00

Abgeordneter Mag. Karl Schweitzer (Freiheitliche): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler! Herr Verteidigungsminister! Es wundert mich nicht, dass sich die Führungsspitze des sozialdemokratischen Klubs der Diskussion über den Vertrag von Nizza nicht stellt. Sie wollten die Diskussion über Peter Pilz führen, die erscheint Ihnen wesentlich wichtiger als die Diskussion über einen Vertrag, der die Weichen in der Europäischen Union, der die Weichen in Europa stellt! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Deshalb ist es auch gut, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass sich diese SPÖ mit diesen Grünen in der Opposition befindet, weil beide einfach nicht mehr wissen, was wichtig und was unwichtig ist. Also wenn es etwas Wichtiges gibt, dann ist es der Vertrag von Nizza, und wenn etwas wirklich unwichtig ist, dann ist es dieser Peter Pilz. (Heiterkeit und Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Herr Kollege Kostelka! Wenn führende Sozialisten wie Cox oder Hänsch oder auch Vertreter der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament diesen Vertrag kritisieren, so ist das meiner Ansicht nach ein deutlicher Nachweis dafür, dass dieser Vertrag durchaus gelungen ist. Dieser Vertrag ist deshalb gelungen, weil er – wie kein anderer Vertrag bis jetzt – die Handschrift der österreichischen Bundesregierung trägt. Zum ersten Mal ist es gelungen, dass sich die österreichische Bundesregierung wirklich nachdrücklich in ein europäisches Vertragswerk eingebracht hat, weil man sich rechtzeitig innerstaatlich darauf geeinigt hat, die Interessen der österreichischen Bürger in den Vordergrund zu stellen, obwohl sich Frau Kollegin Lichtenberger redlich bemüht hat, immer die Interessen der Europäischen Union in den Vordergrund zu stellen. Sie war bereit, der Mehrstimmigkeit das Wort zu reden und die Einstimmigkeit in wesentlichen Bereichen, wie zum Beispiel in der Wasserfrage, aufzugeben. (Abg. Dr. Lichtenberger: Die Wiederholung von Unwahrheiten macht sie nicht wahrer, Herr Kollege! Es wird nicht wahrer, wenn Sie es noch einmal wiederholen!) Gut, sie hat wenigstens mitgeredet, während es Kollege


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Einem vorgezogen hat, der inhaltlichen Beratung innerstaatlich überhaupt fernzubleiben. Somit schneiden Sie in dieser Frage trotz des Versuches des Verrates österreichischer Interessen besser ab als Kollege Einem, der es vorgezogen hat, überhaupt fernzubleiben. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Dr. Lichtenberger: Diese Unterstellung verbiete ich mir!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will das Sündenregister, das da angefallen ist, nicht weiter strapazieren. Es ist schlimm genug, dass Sie in dieser wesentlichen Frage die österreichischen Interessen verraten wollten, Frau Kollegin Lichtenberger! Das Ergebnis ist trotz Ihrer Bemühungen durchaus zufriedenstellend. (Abg. Dr. Lichtenberger: Nehmen Sie das zurück, Herr Kollege! Das ist nicht die Wahrheit!)

Die Ausdehnung der Mehrheitsentscheidungen dort, wo sie sinnvoll sind, haben wir gemeinsam beschlossen – wer schreit, hat Unrecht, Frau Kollegin Lichtenberger, das wissen Sie (Beifall bei den Freiheitlichen – Abg. Dr. Lichtenberger: Sie haben das Mikrophon!)  –, allerdings haben wir es verhindert, dass die Ausdehnung der Mehrheitsentscheidungen zur Regel wird.

Bei der Einstimmigkeit, Frau Kollegin Lichtenberger, konnten wir uns in den wesentlichen Bereichen durchsetzen – es ist wichtig, dass wir diese wiederholen –: bei der Raumordnung, bei der Bewirtschaftung der Wasserressourcen und beim Asyl- und Fremdenrecht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wird in diesen wesentlichen Fragen keine Entscheidung über die Köpfe der Österreicher hinweg geben, weil wir uns hier durchgesetzt haben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Die Stimmengewichtung hat Österreich durchaus Vorteile gebracht. Wir haben weiterhin einen Kommissar, wie bereits mehrfach erwähnt wurde, und ganz wesentlich, meine sehr geehrten Damen und Herren, war die Mitwirkung Österreichs an der Neugestaltung des Artikels 7. Es kann kein zweites Sanktionen-Theater innerhalb der Europäischen Union geben, weil Österreich etwas ganz Wesentliches zustande gebracht hat, nämlich dass es in Hinkunft ein rechtsstaatliches Verfahren geben muss und es keine derart ungerechte Behandlung mehr geben kann, wie sie Österreich zuteil wurde. So etwas ist ein für alle Mal ausgeschlossen! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Dr. Lichtenberger: Auch bei einer Allianz mit den Nationalen?)

Allein schon aus diesen Gründen ist Nizza durchaus als positiv zu bewerten. – Sie, Herr Kollege Schieder, oder Sie, Herr Kollege Einem, werden ja dann herauskommen und begründen, warum Sie der Ratifizierung dieses Vertrages skeptisch gegenüberstehen und warum Sie bereits im Vorfeld gesagt haben, Sie wollen diesen Vertrag in dieser Form nicht ratifizieren. Ich verstehe das gar nicht, Herr Kollege Schieder – ich weiß, dass Sie in Europafragen oft eine andere Meinung vertreten, als dies zum Beispiel Kollege Einem tut, und ich bedaure es auch, dass er Europasprecher ist und nicht Sie, Kollege Schieder –, denn Sie wissen wie ich: Wer den Vertrag von Nizza ablehnt, lehnt gleichzeitig auch die damit eingeleitete Vereinfachung der Verträge ab. Er lehnt die Klärung der Rolle der nationalen Parlamente sowie die Klärung des Status der Charta der Grundrechte ab, und er lehnt auch eine klare Kompetenzabgrenzung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten ab, obwohl es doch besonders wichtig ist, dass es in Hinkunft zu dieser klaren Kompetenzabgrenzung kommt.

Herr Bundeskanzler! Da möchte ich gleich anfügen, dass ich in dieser Frage Ihre Meinung nicht ganz teilen kann, etwa wenn es um die Diskussion der zukünftigen Rolle der Agrarpolitik in der Europäischen Union geht. Es muss auch die Überlegung einer Renationalisierung in dieser Diskussion ihren Platz haben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

80 Prozent des Gesamtbudgets in eine – für alle klar ersichtlich – gescheiterte Gemeinsame Agrarpolitik hineinzustecken, das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein, Herr Bundeskanzler! Hier müssen neue Überlegungen angestellt werden. Ich gebe schon zu, die erste Phase der Überlegung muss sein: Wie kann die Gemeinsame Agrarpolitik in Hinkunft so gestaltet werden, dass sie effizienter ist, dass es kein BSE mehr geben kann, dass es keine MKS mehr geben kann, dass man damit aufhört, mittels Bodenbelastung durch massiven Chemieeinsatz,


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mittels Bodenbelastung durch riesengroßen maschinellen Einsatz ein Billigstprodukt zu erzeugen, das noch dazu keine Qualität hat? Das kann doch nicht der Sinn der Agrarpolitik sein!

Wenn wir es schaffen, innerhalb Europas die Agrarpolitik zu ökologisieren, dann mit den Freiheitlichen (Beifall bei den Freiheitlichen), wenn aber, Herr Bundeskanzler, die Vorschläge, es auf gemeinschaftlicher Ebene zu machen, nicht ausreichen, dann muss auch die Diskussion über eine Renationalisierung ihren Platz haben. Und das fordern wir Freiheitliche hier noch einmal ganz massiv ein! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Nun zu den SPÖ-Bedingungen für die Nizza-Ratifizierung. Es tut mir Leid, dass Kollege Gusenbauer wie immer seine Wortspende deponiert und dann fluchtartig den Saal verlassen hat. Er tut es aus seiner Sicht zu Recht, denn er hat am 3. Mai gemeinsam mit dem Kollegen Einem die Bundesregierung aufgefordert, konkrete, substantielle Schritte zur Vorbereitung der Erweiterung zu setzen. – Ja, Herr Kollege Einem, haben Sie in den letzten Monaten geschlafen? (Ruf bei den Freiheitlichen: Ja!)

Ihre Fraktion mit Kollegen Tumpel und Kollegen Verzetnitsch war von Haus aus in die Vorbereitung dieser Österreich-Plattform eingebunden. Diese Österreich-Plattform ist bereits existent und arbeitet an der Vorbereitung des Erweiterungsprozesses, an der umfassenden Information der österreichischen Bevölkerung über die Vorteile und die Probleme, die sich für die österreichische Bevölkerung im Zuge der Erweiterung ergeben werden. Was mir fehlt, ist Ihr Beitrag zu dieser Vorbereitungsarbeit, Ihr Beitrag zur Österreich-Plattform. Tumpel und Verzetnitsch sind da, Einem, Gusenbauer & Co fehlen bis jetzt und kritisieren das. Kommen Sie und bringen Sie sich ein! Sie sind eingeladen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Damit komme ich zum zweiten Kritikpunkt. Die Bundesregierung müsse sich dafür einsetzen, dass das Post-Nizza-Verfahren im Rahmen eines Konvents und nicht mehr ausschließlich von einer Regierungskonferenz erarbeitet werde – so haben Sie kritisiert. Gestern sind wir zusammengesessen, Herr Kollege Einem, und haben gemeinsam eine Enquete vorbereitet; durchaus mit unterschiedlichen Standpunkten: Wir sind für die Enquete, Sie sind für eine Enquete-Kommission. Wir haben das für die Zukunft auch offen gelassen.

Genau das, von dem Sie sagen, dass es nicht passiert, Kollege Einem, haben wir – Kollege Spindelegger, Sie, Kollegin Lichtenberger und ich gemeinsam mit Kollegen Fasslabend – gestern in die Wege geleitet. Der Konvent, den Sie auch fordern, steht am Abschluss dieses Prozesses als österreichische Forderung. Also genau das, was Ihrer Meinung nach nicht passiert, geschieht sehr wohl! Sie sind hintennach, Herr Kollege Einem. (Abg. Achatz: Wie immer!) Und deshalb finde ich es auch gut, dass Sie in der Opposition und wir in der Regierung sind. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenruf der Abg. Dr. Lichtenberger. )

Es wird – und Sie können sich beteiligen – eine objektive und umfassende Informationsoffensive geben. Es werden aber auch – und das wird in dieser Informationsoffensive etwas mehr Raum einnehmen – kritische Punkte des Erweiterungsprozesses angesprochen werden. Es ist unsere Verpflichtung, dass wir vom Plus-Plus bis zum Minus-Minus alles diskutieren und der österreichischen Bevölkerung sagen.

Herr Bundeskanzler! Wir haben aber noch eine wesentliche Frage zu klären – und mir scheint, dass diese Klärung bisher etwas zu kurz gekommen ist –: die tatsächlichen Kosten der Erweiterung.

Mir geht es nicht mehr so sehr darum, ob wir uns jetzt über die Zahl der Auswanderer oder der Tagespendler unterhalten – das werden wir mit den Übergangsbestimmungen und den entsprechenden Indikatoren und dem Übergangszeitrahmen, so hoffe ich, in den Griff bekommen –, mir geht es um die Kosten. Und in dieser Hinsicht liegen keine Zahlen auf dem Tisch. Eines weiß ich mit Sicherheit – und das haben auch Politiker der ÖVP, ebenso auch der SPÖ bereits eingestanden –: Mit dem, was in der Agenda enthalten ist, kommen wir nicht aus.

Vor allem wurde unvorhergesehen viel Geld für die Bekämpfung von BSE und MKS verbraucht, und noch dazu wurden meines Erachtens die Kosten insgesamt viel zu niedrig angesetzt. Und


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wir haben heute schon das Problem, dass der Staatshaushalt, vor allem mit dem angepeilten Nulldefizit, nur sehr schwierig und unter Erbringung von Opfern in Ordnung zu halten ist.

Deshalb ist es notwendig, Herr Bundeskanzler, auf europäischer Ebene darauf zu dringen, endlich einmal die Frage der Kosten zu klären und auf den Tisch zu legen, was jeder einzelne Mitgliedstaat dazu beitragen muss, damit diese Erweiterung entsprechend über die Bühne geht (Beifall bei den Freiheitlichen) und es nicht zu einer zusätzlichen Belastung der Bevölkerung in den Ländern der Europäischen Union kommt. Wir können unserer Bevölkerung nicht erklären, dass sie für die Erweiterung zusätzlich belastet werden muss, zusätzlich zahlen muss. Das ist nicht mehr drinnen, und das müssen wir auch in Brüssel klar und deutlich deponieren. Eine weitere Belastung der österreichischen Bevölkerung kommt für uns Freiheitliche nicht mehr in Frage! Das muss klar und deutlich gesagt werden. (Neuerlicher Beifall bei den Freiheitlichen.)

Wenn die Erweiterung dann nicht so rasch geschehen kann, weil wir uns die Erweiterung nicht leisten können, dann müssen wir das den Beitrittskandidaten auch rechtzeitig erklären und sagen: Freunde, die Erweiterung der Europäischen Union ist, weil sich zum Beispiel Spanien dagegen wehrt, vom Nettoempfänger zum Nettozahler zu werden, nicht so rasch möglich, ist nicht finanzierbar.

Ich sage es noch einmal, weil es mir so wichtig ist, Herr Bundeskanzler: Vor dem ersten Beitritt muss für jeden Österreicher, für jede Österreicherin klar sein, was es pro Kopf kostet, wenn die Erweiterung in dieser Form durchgeführt werden soll! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Bundeskanzler! Wir haben uns bereits gemeinsam Gedanken über den Post-Nizza-Prozess gemacht. Während die SPÖ noch internen Klärungsbedarf hat, haben wir uns darauf geeinigt, dass wir wesentliche Fragen im Vorfeld klären wollen. Die Frage des Arbeitsmarktes in der erweiterten Europäischen Union etwa ist für uns ein wesentliches Thema. Wir werden uns über die Transitproblematik unterhalten müssen. Im Jahre 2003 läuft der Transitvertrag aus. Es muss hier eine entsprechende Konstruktion geschaffen werden, damit die österreichischen Interessen nicht im wahrsten Sinne des Wortes überrollt werden. Auch in der Frage der Atomsicherheit sind wir noch nicht wirklich am Ende einer zufriedenstellenden Lösung angelangt.

Von ganz besonderer Bedeutung wird aber auch die Position Österreichs für den Post-Nizza-Prozess sein, Herr Bundeskanzler. Die Agrarpolitik habe ich schon angesprochen. Insbesondere geht es um die Frage, wie die Subsidiarität in Hinkunft ausschaut. Ich glaube, in einer erweiterten Union muss sich die Europäische Union auf die Aufgaben beschränken, die nur gemeinschaftlich bewältigt werden können.

Darüber hat unsere Parteivorsitzende schon vor fünf Jahren nachgedacht. Sie hat damals gesagt, gemeinschaftliche Aufgaben sind in Hinkunft das Auftreten in Fragen der globalen Wirtschaft, das Auftreten in Fragen, die im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt stehen, die Stabilität des Euro, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die Verteidigungspolitik und die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität. Bei allem anderen muss darüber diskutiert werden, wo es besser gelöst werden kann, und da kann es durchaus sein, dass das eine oder andere auch wieder renationalisiert wird. Wir müssen diesen Fragen offen gegenübertreten und dann in einem ordentlichen Diskussionsprozess feststellen, wo die beste Lösung erzielt werden kann. Vieles ist nach wie vor auf nationaler Ebene besser zu erledigen als auf europäischer Ebene – davon bin ich überzeugt, Herr Bundeskanzler! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Noch ein letztes Wort, weil es die SPÖ geflissentlich vermieden hat, sich mit der Sicherheitspolitik auseinander zu setzen. Für die Freiheitlichen ist es unumstritten, dass für Österreich eine stärkere Einbindung in eine internationale Verteidigungsgemeinschaft notwendig ist, weil dies auch eine Versicherung für Österreich bedeutet. International geht die Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Richtung gemeinsame Strukturen. Das haben wir zur Kenntnis zu nehmen! Österreich hat hier als EU-Mitglied, wie ich meine, eine große Chance, dass sich innerhalb der Europäischen Union eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu entwickeln beginnt.


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Jeder verantwortungsvolle Politiker in Österreich muss also – und das richte ich besonders an die SPÖ – größtes Interesse daran haben, dass Österreich in Zukunft Vollmitglied eines EU-Systems ist, das auch eine gemeinsame Beistandsgarantie vorsieht. Ich hoffe, dass die folgenden Redner der SPÖ einen Teil ihrer Rede auch dem Kapitel Sicherheit widmen. Ich wäre sehr daran interessiert, zu erfahren, wie sie zu diesem Thema stehen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

11.16

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Abgeordneter Dr. Einem zu Wort gemeldet. – Bitte den zu berichtigenden Sachverhalt und dann den tatsächlichen Sachverhalt aneinander zu reihen.

11.16

Abgeordneter Dr. Caspar Einem (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Herr Abgeordneter Schweitzer hat, ebenso wie vorher schon Abgeordneter Spindelegger, behauptet, ich und die SPÖ hätten uns ausgeklinkt aus der politischen Begleitung des Gipfeltreffens von Nizza. – Diese Behauptung ist falsch! Sie ist billige Polemik – und sonst nichts! (Abg. Böhacker: Das ist eine Wertungsfrage und keine tatsächliche Berichtigung! Das ist unglaublich!)

Tatsache ist, dass ich während des ganzen Wochenendes, als es um die Frage der Regierungskonferenz gegangen ist, mit Herrn Präsident Fasslabend, der die Koordination des Feuerwehrkomitees innehatte, in ständigem Telefonkontakt gewesen bin – das ist eine Tatsache (Abg. Ing. Westenthaler: Das ist unglaublich! Einen Telefonkontakt kann man auch von Florida aus haben!)  – und dass ich lediglich zu dem Termin am Sonntagabend, als alle Fragen bereits entschieden waren, nicht gekommen bin, aber vertreten war. – Das ist Tatsache! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Dr. Khol: Das war eine tatsächliche Bestätigung , Kollege Einem! – Abg. Schwarzenberger: Eine Bestätigung, dass er nicht im Parlament anwesend war! – Abg. Haigermoser: Schicken Sie uns die Telefonrechnung auch noch?)

11.17

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Mag. Lunacek. Redezeitvorschlag: 15 Minuten. – Bitte.

11.18

Abgeordnete Mag. Ulrike Lunacek (Grüne): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Verteidigungsminister! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zuerst nur eine kurze Anmerkung zu Herrn Kollegen Spindelegger machen, der meinte, die Grünen würden lieber über Herrn Kollegen Pilz als über Nizza reden.

Kollege Spindelegger, hier liegen Sie falsch! Wir brauchen nicht das Plenum, um über oder mit dem Kollegen Pilz zu reden – das wissen Sie ganz genau –, worüber wir reden wollten und wollen, das ist das Schweigen des Herrn Bundeskanzlers (Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Mag. Wurm  – Abg. Schwarzenberger: Er hätte ja noch länger geredet, aber der Herr Präsident hat ihn nicht lassen! Er hätte noch länger als 20 Minuten geredet!), eines Bundeskanzlers, der es gestern vorgezogen hat, nicht im Haus zu sein, diesem Haus die kalte Schulter zu zeigen, und das bei einem Thema, bei dem es auch um etwas ging, das in Europa wichtig ist: Grundrechte, Freiheitsrechte! (Zwischenbemerkung von Bundesminister Scheibner. )  – Der Herr Bundeskanzler saß vor kurzem noch da. Ich kann leider nicht alles verfolgen, was hinter meinem Rücken passiert. Das ist leider so in diesem Haus.

Aber jedenfalls scheint es mir so zu sein, dass der Unterschied zwischen gestern und heute darin liegt, dass der Herr Bundeskanzler gestern mit einer sehr unangenehmen Debatte konfrontiert worden wäre. Er hätte sich nämlich dazu äußern müssen, was er zu der geplanten Einschränkung der Meinungsfreiheit meint. Gestern war er nicht da (Abg. Ing. Westenthaler: Sie reden nur von gestern! Sprechen Sie einmal von morgen!), heute ist er da, weil er meint, heute gibt es für die Regierung etwas zu gewinnen.


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Das scheint mir eine Strategie zu sein, die ich bei dieser Regierung und gerade beim Herrn Bundeskanzler schon des Öfteren gemerkt habe: Es geht um Marketing! Dort, wo man etwas gewinnen kann, kommt er und vertritt das. Heute ist also wieder Marketingtag, denn heute geht es nicht um so "belanglose Dinge" wie die Meinungsfreiheit, heute geht es um Nizza, was zweifellos ein wichtiges Thema ist. Heute ist der Bundeskanzler da, worüber ich mich sehr freue, denn es gibt auch heute Dinge, die wir am Herrn Bundeskanzler zu kritisieren haben. Und dazu komme ich jetzt.

Was ist denn überhaupt in Nizza geschehen? Beziehungsweise: Was war denn das große Ziel, das damals vor Augen stand, ein Ziel, das gerade auch für uns Grüne sehr wichtig war? – Das waren drei Punkte.

Erstens galt es, die Fähigkeit zu stärken, dass diese EU demokratisch legitimiert wird im Sinne einer stärkeren Einhaltung von Grundrechten, Demokratisierung der europäischen Institutionen, und es ging darum, ein Kräftegleichgewicht und die Entscheidungsfähigkeit herzustellen. (Abg. Dr. Spindelegger: Das war in Amsterdam! Sie verwechseln Nizza und Amsterdam!)  – Das war nicht nur Amsterdam, das war auch in Nizza auf der Tagesordnung.

Zweitens ging es darum, die Fähigkeit für ein friedliches, soziales, nachhaltiges, ökologisches Europa zu fördern.

Das Dritte – die Reihenfolge ist nicht eine, die eine Gewichtung meinerseits bedeutet –, worum es ging, war die Fähigkeit, diese Europäische Union auf die Osterweiterung vorzubereiten. (Abg. Dr. Spindelegger: Nummer drei ist richtig, eins und zwei ist falsch!)

Was ist wirklich passiert? – In Nizza haben die Regierungen versucht, Verfassungsgeber zu sein. Wir wissen, dass das gescheitert ist. Der Rat wollte Verfassungsgeber sein, und das ist kläglich gescheitert, meine Damen und Herren!

Das Ergebnis, das wir jetzt haben, ist ein Vertrag, der aber noch nicht einmal vorliegt. Heute sprechen wir ja nur über das Rahmengesetz – damit wir später dann dieses Gesetz auch in Österreich einführen können. In Nizza hätte man sich vielmehr über die Verfassung der Europäischen Union unterhalten sollen. Es bestand der Anspruch, dass die Regierungen Verfassungsgeber sind. Dieser Anspruch ist, wie schon gesagt, gescheitert. Die Regierungen sind keine Verfassungsgeber, meine Damen und Herren! Das Versprechen in Nizza war: Bis 2004 gehen wir es an, bringen wir so etwas in Gang.

Ich bin sehr froh, dass der Herr Bundeskanzler – der immer noch mit Kollegen Verzetnitsch spricht und mir nicht zuhört – heute zumindest einmal öffentlich einen Schritt gesetzt und nicht nur, wie es in der Vergangenheit der Fall war, reagiert und keine eigenen Vorstellungen gehabt hat. Er hat heute gesagt: In der ersten Phase können wir uns schon einen Konvent vorstellen – aber nur in der ersten Phase.

Herr Bundeskanzler, ich frage Sie ganz konkret: Ist es für Sie zum Beispiel auch vorstellbar, dass dieser Konvent, wie er sich rund um die Grundrechtsdebatte sehr wohl bewährt hat, nicht nur für eine erste Phase gilt, sondern auch für weitere?

Und wie halten Sie es mit der Aufforderung des Europaparlaments, das in seinem Verfassungskomitee gesagt hat, dass dieser Verfassungsprozess jetzt wirklich angegangen werden muss und dass dieser Konvent stattfinden muss? – Sie haben von einer ersten Phase gesprochen, Sie haben aber nicht genau gesagt, wie lange diese dauern soll oder wer da noch dabei sein soll.

Die Frage ist auch – ein Punkt der für uns ganz wichtig ist –: Was halten Sie davon, Nichtregierungsorganisationen und die Zivilgesellschaft hier mit einzubeziehen? Ist das für Sie auch ein wichtiges Anliegen? Für uns wäre das eines. (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Schieder. )


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Und ein Drittes: Sie haben zwar gesagt, wie wichtig die Erweiterung auch für Sie ist – das höre ich ja immer wieder, ich glaube es nur nicht wirklich, aber zu diesem Punkt komme ich später –, aber in Ihrem Vorschlag jetzt war kein Wort davon zu hören, dass Sie in diesen Konvent auch Vertreter und Vertreterinnen der Beitrittsländer einbeziehen wollen. (Beifall bei den Grünen.) Und das wäre doch die Aufgabe, wenn es darum geht, dass dieses Europa zusammenwachsen soll. Davon ist von Ihnen nichts zu hören gewesen.

Sie, Herr Bundeskanzler, haben heute zu Beginn Ihres Debattenbeitrages auch gesagt, wie stolz Sie darauf sind, dass auch das Parlament in diesen Prozess so gut eingebunden ist. – Herr Bundeskanzler, wir Grünen bringen heute eine Anfrage ein, in der wir ein skandalöses Versäumnis aufzeigen, ein Versäumnis, das beweist, dass Ihre Aussage, wie toll das Parlament eingebunden sei, eben nicht stimmt.

Ganz konkret: Im Jänner dieses Jahres kam der Bericht des französischen Vorsitzes über die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik heraus. Nach Artikel 23e des Bundes-Verfassungsgesetzes hat "das zuständige Mitglied der Bundesregierung ... den Nationalrat ... unverzüglich über alle Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union zu unterrichten und ... Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben". – Dieser Bericht des französischen Vorsitzes über die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik – das ist gemäß Vertrag von Nizza auch ein Teil des Vertrages – ist dem Parlament bis heute nicht zugegangen!

Herr Bundeskanzler! Ist das Ihre Vorstellung der Einbindung des Parlaments? (Beifall bei den Grünen.) Das ist von unserer Seite her aufzuzeigen. Wir sagen: So stellen wir uns die Einbindung dieses Hohen Hauses nicht vor. Hier fehlt es an Einbindung.

Herr Bundeskanzler! Wie sieht es mit der Erweiterung aus? Ich stimme zu – das ist der Punkt, der auch von unserer Seite betont wird –, dass dieser Nizza-Vertrag die Grundlage für die Erweiterung bildet, dass es jetzt wirklich kein Zurück mehr gibt. Der "point of no return" ist erreicht, aber es fehlt doch noch einiges.

Sie haben auch in Ihrem Redebeitrag der Erweiterung nur einen minimalen Teil gewidmet. Sie haben gesagt, wie wichtig es war, die Übergangsfristen durchzusetzen, die jetzt eben sieben Jahre sein sollen. Andere meinen, sie sollten fünf Jahre betragen, aber Österreich und Deutschland bestehen auf sieben Jahren. Sie waren auch stolz darauf, dass sogar das schon Ausverhandelte bezüglich der Dienstleistungsvereinbarungen jetzt wieder aufgemacht wird, also das, was die Frau Außenministerin am vergangenen Wochenende in Nyköping eingefordert hat.

Damit, Herr Bundeskanzler, setzen Sie doch genau die gegenteiligen Zeichen von dem, was Sie und auch Ihre Außenministerin immer betonen, nämlich dass die ÖVP, dass diese Regierung so für die Erweiterung eintritt. Hier machen Sie genau das Gegenteil!

Wir können heute in den Zeitungen lesen, was gestern Herr Václav Klaus aus der Tschechischen Republik gesagt hat. Lassen Sie mich aber auch ein sehr gutes, in Sprache gegossenes Beispiel, ein Wort der ungarische Botschafterin im Zusammenhang mit dem Vorschlag der Außenministerin in Nyköping, dass es ein Veto geben soll – so stand es im "Kurier" vom letzten Montag –, wenn die Übergangsfrist zu kurz ist, bringen. Ein Veto der österreichischen Bundesregierung – Herr Bundeskanzler, ist es das, was Sie sich unter einer positiven Erweiterungspolitik vorstellen? (Beifall bei den Grünen.)

Was es sein sollte, ist nicht – um zur ungarischen Botschafterin zurückzukehren, wie sie in einem Interview zitiert wurde – eine Politik des "Stop and go", nämlich zuerst sieben Jahre Stopp, und dann fangen wir schön langsam an, sondern richtig wäre genau das Umgekehrte, nämlich zu sagen: Go! – und Stopp nur, wenn es notwendig ist; eine Politik, die den Beitrittsländern und den Menschen in den Beitrittsländern kundtut: Ja, ihr sollt Mitglied in dieser Europäischen Union werden, und zwar nicht nur der Staat, nicht nur die Firmen, die das können, sondern auch die einzelnen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Auch für sie sollen die europäischen Grundrechte gelten.


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Herr Bundeskanzler! Eine solche Politik verfolgen Sie nicht. Was Sie hier tun, ist genau das Gegenteil, Sie geben nämlich wieder einmal – und das ist leider nicht das erste Mal in Ihrer Regierungszeit – dem nach, was Ihnen die Freiheitlichen vorgeben. Da stehen ganz klar (Zwischenbemerkung von Bundeskanzler Dr. Schüssel )  – haben Sie Herrn Kollegen Schweitzer zugehört? – die nationalen Interessen Österreichs im Vordergrund. Das haben Sie ja auch gesagt. Es steht nicht die europäische Idee im Vordergrund, es steht nicht im Vordergrund, wie das Zusammenwachsen mit den Nachbarstaaten aussehen soll. Nein! Sieben Jahre starre Übergangsfristen und kein Tag früher! (Abg. Dr. Spindelegger: Nein, das stimmt ja nicht! Sie wissen, dass das nicht stimmt!)

Herr Dr. Spindelegger! Sie sind der Frau Außenministerin, die das so vehement vertritt, näher als ich. Sie vertritt das, obwohl sie weiß – und das besagen alle wirtschaftlichen Studien –, dass diese Übergangsfristen nicht notwendig sein werden. Und das sagen auch die Menschen in den Beitrittsländern. Reden Sie mit den Botschaftern und den Botschafterinnen! Die wissen ganz genau, dass es diesen Ansturm der Personen nicht geben wird und dass noch dazu Österreich weitere Arbeitskräfte braucht. Gerade Ihnen, Herr Dr. Spindelegger, muss das doch bekannt sein. (Beifall bei den Grünen.)

Da hätte ich mir schon gewünscht, dass es vom Herrn Bundeskanzler Reden gegeben hätte, die dem Image der ÖVP als früherer – und ich sage jetzt bewusst: als früherer! – Europapartei gerecht worden wären!

Warum, Herr Bundeskanzler, haben Sie denn nicht gesagt – aber vielleicht sagen Sie es heute noch –, dass diese EU-Charta, die Sie ja so sehr befürworten, bestimmt, dass jeder EU-Bürger das Recht hat, in jedem EU-Mitgliedstaat zu arbeiten, und dass Sie dieses Recht bei einer Erweiterung der Europäischen Union auch den Menschen der Beitrittsländer zusichern wollen, und dass Sie bereit sind, mit den EU-Beitrittskandidaten über flexible Regelungen, bei welchen auch Interessen der Beitrittsländer berücksichtigt werden und nicht nur das nationale Interesse Österreichs in den Vordergrund gestellt wird, zu verhandeln?

Das ist natürlich auch wichtig, hier in Österreich muss diesbezüglich natürlich auch etwas geschehen, aber gerade von der ÖVP und von Ihnen, Herr Bundeskanzler, und auch von der Außenministerin habe ich mir dazu eine viel klarere pro-europäische Haltung erwartet!

Herr Bundeskanzler! Warum sagen Sie nicht in Anbetracht dieses Grundrechts in der Europäischen Union beziehungsweise auf Grund dieser Überlegungen, dass wir jetzt schon neue Kräfte auf dem Arbeitsmarkt brauchen, dass auch die in Österreich lebenden Migrantinnen und Migranten das Recht haben müssen, endlich auch legal unterzukommen, dass aber auch die Grenzen zu den Nachbarn offener sein müssen?

Warum sagen Sie nicht, dass wir den europäischen Partnern vorschlagen, bereits ab 2001 mit einer großzügigen Arbeitsmarktöffnung zu beginnen, und zwar dort, wo es notwendig ist, dort, wo es von beiden Seiten gewünscht ist? Das wäre ein Signal, mit dem Sie wirklich eine europäische Partei darstellen würden und nicht nur eine auf das Nationale reduzierte ÖVP, die der FPÖ hinterherläuft! (Beifall bei den Grünen.)

Warum fordern Sie nicht eine allmähliche Liberalisierung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, sondern beharren auf den starren Quoten? Das ist keine europäische Haltung, Herr Bundeskanzler, sondern das ist das Gegenteil davon!

Auf einen Punkt möchte ich noch eingehen, und diesen hat Herr Kollege Schweitzer besonders betont. Er hat gesagt, wie stolz – und das haben auch Sie, Herr Bundeskanzler, gesagt – er darauf sei, dass es jetzt besagten Artikel 7 gibt. (Abg. Mag. Schweitzer: Zu Recht!)

Sie vergessen, dass auch wir sehr dafür waren. Das hat auch Herr Dr. Van der Bellen im letzten Jahr vorgeschlagen, nämlich dass wir genau so etwas innerhalb der EU verwirklichen. (Abg. Ing. Westenthaler: Van der Bellen interessiert Europa gar nicht!) Es ist gut, dass es das jetzt gibt. Ich weiß natürlich, dass er derzeit noch nicht in Kraft ist, aber dann wundert es mich schon, dass Ihre Generalsekretärin, Herr Bundeskanzler, Frau Rauch-Kallat, so ohne weiteres


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dem "Corriere della Sera" gegenüber sagt: Wir hoffen sogar, dass Berlusconi die Wahlen gewinnt! (Abg. Ing. Westenthaler: Er wird sicher auch gewinnen!)  – Das wissen wir noch nicht, wer wirklich gewinnen wird.

Aber wenn Herr Berlusconi die Wahlen gewinnt, dann wird neuer Premierminister Italiens ein Mann sein, der Verfahren anhängig hat, der die größte Medienkonzentration in seinem Land hat, dem Beziehungen zur Mafia nachgesagt werden. Da frage ich Sie: Das alles ist für Sie kein Problem? Ist für Sie auch kein Problem, dass er eine Regierung mit zwei Parteien eingehen wird, die zumindest mit den Freiheitlichen vergleichbar sind, was fremdenfeindliche Äußerungen betrifft (Abg. Ing. Westenthaler: Das Wahlergebnis interessiert Sie gar nicht?), die es gerade von diesen beiden Parteien immer wieder gegeben hat (Abg. Mag. Schweitzer: Lassen wir die Italiener doch wählen!) und in Anbetracht derer es auch im Interesse Österreichs wäre, im Rahmen der Europäischen Union zu sagen (Abg. Mag. Schweitzer: Lassen wir die Italiener so wählen, wie sie wollen!): Jetzt soll die Europäische Union sich gemäß Artikel 7 ansehen, was da passiert!

Warum vertreten Sie das nicht? Das würde auch das Bild, dass die EU nur gegen das kleine Österreich etwas getan hat, aber gegen Italien nicht antritt, verändern. (Abg. Ing. Westenthaler: Wollen Sie das Wahlrecht in Italien abschaffen? Wollen Sie die Wahl in Italien verbieten?)

Warum begrüßen Sie mit solcher Vehemenz, dass dieser Artikel 7 jetzt vorhanden ist – über den auch wir froh sind, um das ganz klar zu sagen –, sagen aber nicht gleichzeitig dazu, dass es wohl Sinn machte, etwas Ähnliches, was im Artikel 7 vorgeschlagen wird, durchaus auch gegenüber Italien zumindest in den Raum zu stellen beziehungsweise zu beobachten, was in Italien passieren wird, wenn es wirklich zur Wahl von Berlusconi kommt? (Abg. Dr. Partik-Pablé: Dürfen die Leute in Italien nicht wählen, was sie wollen?)

Es geht nicht um das Wählen, Frau Kollegin, sondern es geht darum, was im Sinne der europäischen Werte, die auch von Ihnen immer eingefordert werden, möglich ist, und darum, zu beobachten, welche Politik dann gemacht wird. (Abg. Mag. Schweitzer: Es geht in erster Linie um das Wählen! – Abg. Dr. Partik-Pablé: ..., nur weil es Ihnen nicht passt! – Abg. Ing. Westenthaler: Lassen wir sie doch wählen! Oder dürfen die Wähler nicht wählen, was sie wollen? Das wird ein entsetzlicher Montag für die Grünen werden!)

Herr Bundeskanzler! Zum Schluss kommend, möchte ich Ihnen sagen: Was ich an Ihrer Politik konstatiere, ist ein Nachgeben gegenüber den Freiheitlichen, und zwar gerade in Bezug auf die EU-Erweiterung, also in Bezug auf "ein wichtiges Friedensprojekt für Europa" – wie das, so glaube ich, von Herrn Kollegen Spindelegger genannt wurde. Dieses Friedensprojekt Europa braucht aber auch so etwas wie eine politische Union, und dafür braucht es einen Konvent, dafür braucht es einen Verfassungsprozess. Darüber ist eine Diskussion in Österreich und auch in der Europäischen Union notwendig.

Herr Bundeskanzler! Ich hoffe, dass Sie das, was Sie heute begonnen haben, nämlich zu bejahen, dass es so einen Konvent geben muss, sehr wohl auch innerhalb der EU vertreten werden – aber mit zusätzlichen Forderungen wie zum Beispiel Einbeziehung der Zivilgesellschaft, Einbeziehung der Nichtregierungsorganisationen.

Das wäre ein erster Schritt und ein richtiger Schritt! (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Schieder. )

11.36

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Bundesminister Scheibner. – Bitte.

11.36

Bundesminister für Landesverteidigung Herbert Scheibner: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Lunacek, am Beginn meiner Ausführungen nur eine kurze Bemerkung zu Ihren Aussagen in Bezug auf die Wahlen in Italien: Zu dem Mechanismus, den die Europäische Union jetzt auf Grund der schlechten Erfahrungen, die sie selbst mit der unseligen Sanktionen-Geschichte gemacht hat, schafft, sollten wir schon, und zwar gerade hier im öster


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reichischen Parlament, festhalten, dass die Zusammensetzung einer Regierung in einem demokratischen Staat einzig und allein die Angelegenheit dieses Staates ist und einzig und allein dadurch bestimmt wird, wie die Bevölkerung in diesem demokratischen Land abstimmt. Das sollten wir alle hier außer Streit stellen! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Der Gipfel von Nizza war von seinem Zustandekommen und seinem Verlauf her nicht einfach, nicht friktionsfrei, aber letztlich doch erfolgreich – erfolgreich für die Europäische Union, erfolgreich für Europa, aber auch erfolgreich für Österreich.

Es wurde von einigen Seiten hier schon angesprochen, dass man bei diesem Gipfel das erste Mal seit vielen Jahren, seit Österreich Mitglied der Europäischen Union ist, wirklich versucht hat, einen breiten Konsens in Österreich hinsichtlich der Maßnahmen, die Österreich in Nizza forderte, hinsichtlich der Politik, die das offizielle Österreich in Nizza vertrat, zu erreichen und durch permanente Abstimmung mit der Opposition zu erwirken, dass sowohl die Ratifizierung in großer Übereinstimmung erfolgen kann als auch die weiteren Schritte von Seiten Österreichs in der Art gestaltet werden können.

Ich sage Ihnen persönlich: Ich hätte mir gewünscht, dass auch der Prozess vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union in einem derartigen, breiten Konsens und mit einer derartigen, intensiven Information und auch Einbindung der Opposition – wobei da durchaus kritische Stimmen gehört worden wären – stattfinden hätte können. Wir hätten durch eine solch breite Diskussion schon vor dem Beitritt zur Europäischen Union vielleicht so manches, was wir an Problemen in den letzten Jahren zu diskutieren hatten, verhindern können. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Institutionell ist, glaube ich, für uns besonders wichtig, dass es gelungen ist, dass eine gleichberechtigte Vertretung aller EU-Mitgliedsländer in den Institutionen der Europäischen Union durchgesetzt wurde. Wichtig ist für uns auch, dass bei der Stimmengewichtung verhindert werden konnte, dass es zu einem massiven Übergewicht von großen EU-Mitgliedsländern – was ja von einigen Ländern durchaus beabsichtigt gewesen ist – kommen kann, und dass am Einstimmigkeitsprinzip – und das ist, so glaube ich, für ein kleines Land wie Österreich besonders wichtig – festgehalten wurde. Es konnte durchgesetzt werden, dass bei wichtigen Fragen, die uns betreffen, das Einstimmigkeitsprinzip auch weiterhin zur Anwendung kommt. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Es gibt sehr viele dieser wichtigen Fragen. So darf zum Beispiel auch in Zukunft nicht über die Köpfe der Österreicher hinweg über unsere Wasserressourcen entschieden werden. Gleiches gilt auch für die Frage der Bodenbewirtschaftung und für die Frage der Einwanderungs- und Asylbestimmungen. Das ist also ein ganz wichtiges Ergebnis, das Österreich da erzielen konnte!

In Bezug auf die EU-Erweiterung ist für uns positiv zu werten, dass im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitskräfte die Übergangsfristen von bis zu sieben Jahren festgelegt werden konnten.

Ich weiß nicht, warum das für Sie solch ein Problem ist, Frau Kollegin Lunacek. Es heißt doch, dass es Übergangsfristen von bis zu sieben Jahren sind. Ich glaube, dass das durchaus im Interesse nicht nur der Mitgliedsländer der Europäischen Union, sondern auch der Beitrittskandidaten ist. Es kann doch nicht in unserem Interesse sein, auf der einen Seite billige Arbeitskräfte in die EU hereinzubringen, aber auf der anderen Seite aus diesen Ländern auch hoch qualifizierte Arbeitskräfte, die gerade die Beitrittskandidaten zum Aufbau ihrer Strukturen, zur Verbesserung ihrer Wirtschaftsstrukturen brauchen, abzuziehen.

Ich glaube daher, dass das eine vernünftige Maßnahme für beide Seiten ist, sowohl für die Beitrittskandidaten als auch für die Mitgliedsländer der Europäischen Union, und da gerade für Österreich.

Wichtig ist, dass wir signalisieren, dass die Erweiterung der Europäischen Union ein wichtiges Projekt ist, ein wichtiges Ziel für Europa, aber auch für Österreich, dass wir signalisieren, dass Europa mehr ist als die Europäische Union. Aber dieses Projekt eines gemeinsamen, eines


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geeinten Europa darf nicht auf dem Rücken der Bevölkerung stattfinden. Es muss eine Chance sein und darf keine Gefahr darstellen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Deshalb ist es wichtig, dass diese Kriterien aufgestellt, aber auch erreicht werden, und zwar nicht nur die Kriterien für den Bereich der Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch die Kriterien bei den Umweltstandards – Stichwort: Temelin – und die Kriterien bei den Verfassungsstandards – Stichwort: Beneš-Dekrete und AVNOJ-Bestimmungen. All das sind wichtige Bereiche, mit denen wir signalisieren sollten: Europa ist mehr als ein Verbund von Volkswirtschaften und Betriebswirtschaften, sondern Europa wird zu einer Wertegemeinschaft. Diese Werte müssen selbstverständlich auch bei den Beitrittskandidaten, aber natürlich auch bei den Mitgliedsländern der Europäischen Union abgebildet werden.

Das ist ein klares Ziel, und jeder, der diese Kriterien erreicht, ist in diesem Verbund der demokratischen Staaten herzlich willkommen. Das sollten wir, glaube ich, im Inland, aber auch auf der internationalen Ebene klar und konsequent vertreten.

Weil Sie die Behauptung in den Raum gestellt haben, wir würden nur österreichische Interessen vertreten: Ich glaube, es sollte selbstverständlich sein, dass wir auf der einen Seite das Ziel eines geeinten Europa in einem wichtigen Prozess unterstützen, dass wir aber auf der anderen Seite selbstverständlich den Österreichern verpflichtet sind. Wir haben das Mandat der österreichischen Bevölkerung und damit natürlich die Verantwortung, die Interessen Österreichs und der Österreicher gegenüber den EU-Institutionen und gegenüber den internationalen Organisationen gewichtig und wirksam zu vertreten. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Ein dritter Bereich, der in der bisherigen Debatte ein bisschen unterbewertet wurde, ist die Frage eines geeinten Europa auch im Wege einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Ich glaube, dass diese Frage zu Unrecht hinter Fragen der Wirtschaftskooperation, der Arbeitskräfte-Frage und Fragen der Umweltangelegenheiten rangiert, also in den Hintergrund gestellt wird.

Es wird auf Dauer keine gemeinsame Wirtschafts-, es wird keine gemeinsame Umweltpolitik, es wird keine gemeinsame Sozialpolitik geben, wenn es nicht gelingt, auf dem Kontinent Europa eine gemeinsame Friedens- und Sicherheitsordnung aufzubauen. Es darf ganz einfach – vor allem dann, wenn wir uns auch als Wertegemeinschaft sehen – in Zukunft nicht mehr zulässig sein und nicht mehr unbeeinflusst beobachtet werden, dass auf unserem Kontinent Kriege geführt werden, dass auf unserem Kontinent gemordet wird, vertrieben wird, vergewaltigt wird, ohne dass die demokratische Staatengemeinschaft ein klares Signal zur Beendigung dieser Krisen und dieser Menschenrechtsverletzungen gibt.

Wir haben in dieser Hinsicht in den letzten zehn Jahren einen sehr schmerzhaften Lernprozess durchmachen müssen, und wir haben lange genug gebraucht, um die Lehren aus der Krise auf dem Balkan zu ziehen. Gott sei Dank – und ich sage das hier mit großem Optimismus – ist auch die Europäische Union jetzt auf dem Weg, gemeinsame Sicherheitsstrukturen – nicht gegen jemanden, sondern für Werte, für Sicherheit, für Freiheit, für Menschenrechte in Europa – zu entwickeln. Das sollte doch von uns allen positiv bewertet und mit ganzer Kraft unterstützt werden! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Das ist ein Projekt, an dem nicht nur die 15 EU-Mitgliedsländer beteiligt sein sollen, sondern es sind alle Beitrittskandidaten, aber darüber hinaus auch alle anderen europäischen Staaten eingeladen – viele haben auch konkrete Beiträge für das europäische Krisenmanagement eingebracht –, sich an diesem so wichtigen Sicherheitsprojekt zu beteiligen.

Wir werden diesbezüglich in absehbarer Zeit glaubwürdig auftreten müssen, wir werden auch in entsprechenden Beiträgen darstellen müssen, dass es in Zukunft einen einheitlichen politischen Willen Europas in dieser Frage gibt, ja geben muss.

Ich glaube, dass gerade die Frage der gemeinsamen Sicherheitspolitik und im Rahmen dieser auch die Frage einer gemeinsamen Verteidigung zu einer wesentlich stärkeren Integration Europas und auch einer stärkeren Ausbildung eines Europa-Bewusstseins führen kann. Auch


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das sollte uns als den verantwortlichen Politikern wichtig sein, nämlich dass Europa in Zukunft nicht allein in den Köpfen der Politiker und der Wirtschaftsfachleute gebildet werden darf, sondern in den Herzen der Menschen auf diesem Kontinent getragen werden muss.

Dafür ist es notwendig, zu signalisieren, dass wir gemeinsame Werte vertreten. Dafür ist es notwendig, auch eine umfassende Information der Bevölkerung über die Vor- und die Nachteile der europäischen Integration zu ermöglichen. Aber dafür ist es auch notwendig, dass wir, die handelnden Politiker, die Sorgen und die Ängste der Bevölkerung ernst nehmen, sich ihrer annehmen und alles unternehmen, um diese Sorgen zu zerstreuen. Durch konkrete Maßnahmen wird es möglich sein, das Projekt eines gemeinsamen Europa zu einer Zukunftschance für künftige Generationen werden zu lassen.

Ich kann nur hoffen, dass es diesen nationalen Konsens, der jetzt in vielen Debattenbeiträgen erwähnt worden ist, in allen Bereichen der europäischen Integrationspolitik geben wird – immer vor dem Hintergrund, dass wir auch einen Auftrag der Österreicher haben, die Interessen dieses Landes zu vertreten. Wichtig ist, dass wir in der Sozialpolitik, in der Arbeitsmarktpolitik, in der Wirtschaftspolitik, aber auch in der Sicherheitspolitik eine einheitliche Linie vertreten, damit auf unserem Kontinent für künftige Generationen eine Ordnung in Hinsicht auf eine gemeinsame Wirtschaft, gemeinsame Umweltstandards, aber auch eine Ordnung in Hinsicht auf die gemeinsame Sicherheit und Friedensdurchsetzungsmöglichkeiten geschaffen werden kann.

Wir sind heute, glaube ich, an einem wichtigen Punkt europäischer und damit auch österreichischer Geschichte angelangt. Es liegt in unseren Händen, ob wir dieses Projekt eines geeinten, vom Willen der Bevölkerung getragenen Europa für künftige Generationen schaffen können.

Die Mitarbeit aller ist dazu auch in den künftigen Prozessen, wie etwa im so genannten Post-Nizza-Prozess, gefordert. Die Frage der Demokratisierung der Europäischen Union wird wichtig sein. Auch die Frage der Informationsprozesse wird wichtig sein. Nicht zuletzt wird auch die Frauge einer konkreten Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips wichtig sein. Es kann kein Tabu bei Regelungsmechanismen, mit denen verschiedene Materien geregelt werden, geben, sondern das sollte einzig und allein nach Kriterien der Vernunft und der Zweckmäßigkeit erfolgen und darf nicht auf institutionelle und bürokratische Bedürfnisse ausgerichtet sein.

Ich glaube, dass wir hier auf einem guten Weg sind, dass wir die Bevölkerung entsprechend zu vertreten haben, dass wir aber über all dem nicht die Vision dieses wichtigen Projektes eines geeinten, vor allem aber eines friedlichen Europa aus den Augen verlieren dürfen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

11.47

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Einem. Freiwilliger Redezeitvorschlag: 10 Minuten. – Bitte. (Abg. Dr. Einem  – auf dem Weg zum Rednerpult –: Bitte 15 Minuten!)

Ich korrigiere und stelle die Uhr auf 15 Minuten. – Bitte, Herr Abgeordneter.

11.47

Abgeordneter Dr. Caspar Einem (SPÖ): Verehrter Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst Bezug nehmend auf das, was heute von den Herren Abgeordneten Schweitzer und Spindelegger gesagt worden ist, den Eindruck, der bei uns dadurch entstanden ist, wiedergeben.

Wir haben nach den Ausführungen dieser beiden Sprecher ihrer jeweiligen Fraktionen in Fragen der Außen- und der Europapolitik den Eindruck gehabt, dass die Regierungsparteien gar nicht daran interessiert sind, das Angebot, das unser Parteivorsitzender und Klubobmann Gusenbauer heute gemacht hat, anzunehmen. (Abg. Achatz: Wo ist er denn?) Die Debatte, die heute hier von Seiten der beiden Regierungsfraktionen geführt worden ist, enthielt reine Polemik, die offenbar das Signal senden sollte, dass es ihnen lieber wäre, wenn wir der Ratifikation


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nicht zustimmten. (Abg. Haigermoser: Herr Einem! Sie waren einmal Minister, das wird Ihnen niemand glauben!)

Hohes Haus! Wir werden dieser Ratifikation zustimmen, und wir haben immer erklärt, dass wir ganz eindeutig und klar für die Erweiterung der Europäischen Union eintreten und daher auch die Ratifizierung mittragen werden. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ein bisschen erstaunlich, wenn sich Herr Abgeordneter Spindelegger heute nicht mehr daran erinnern kann, dass es Ratifikationen mit Bedingungen gibt. Er selbst war es, der im Hauptausschuss vorgetragen hat, dass er der Ratifikation des Amtssitzabkommens mit der Europäischen Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit so lange nicht zustimmen wird, bis deren Leiterin sich hier im Parlament entsprechend verantwortet hat.

Herr Abgeordneter Spindelegger! Können Sie sich noch erinnern, oder müssen Sie derzeit etwas Wichtiges mit Herrn Abgeordneten Stummvoll besprechen?

Natürlich gibt es dabei Bedingungen. Die einzige Bedingung, Herr Abgeordneter, die wir stellen, ist, dass unsere Vorschläge gehört werden. Das hätten wir ganz gerne. Wir wären als größte Oppositionspartei bereit, an der Seite beziehungsweise mit der Regierung gemeinsam dieses wichtige nationale Projekt der europäischen Erweiterung zu tragen, wenn wir auch eine Antwort auf unsere Angebote bekämen. Aber wir haben auf unsere Angebote vom Februar bis heute keine Antwort bekommen. Das ist etwas, was uns verwundert, vor allem, wenn wir schon anbieten, an der Seite der Regierung die Entscheidung in einer schwierigen Frage mittragen zu wollen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben gestern auch gesagt, dass wir bereit sind, den Prozess der weiteren Entwicklung Europas, den so genannten Post-Nizza-Prozess, gemeinsam mit Ihnen zu tragen, dabei aber vorgeschlagen, dass es eine ausführliche parlamentarische Vorbereitung jener Entscheidungen geben soll, die von der österreichischen Bundesregierung zu treffen und unter belgischer Präsidentschaft im Dezember in Laeken für Österreich zu vertreten sein werden.

Wir möchten diese Dinge ausführlich behandeln und haben deshalb eine Enquete-Kommission vorgeschlagen, weil es dabei mehr als ein Thema gibt, das einer ausführlichen parlamentarischen Vorberatung bedarf. Aber die Regierungsfraktionen haben uns wissen lassen, dass sie an einer parlamentarischen Enquete-Kommission nicht interessiert sind. – Ja, das ist das Mindeste, was wir wenigstens gestern erreichen konnten: Wir werden uns dennoch bemühen, gemeinsam mit den Regierungsfraktionen zu einer entsprechenden Beratung zu kommen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von den Regierungsfraktionen! Sehr viel scheinen Sie jedenfalls von Angeboten der Opposition nicht zu halten, denn sonst würden Sie sich dazu anders verhalten! (Beifall bei der SPÖ.)

Es ist von den Rednern der Regierungsfraktionen mehrfach eingemahnt worden, dass wir endlich auch etwas zur Sicherheitspolitik sagen sollen. – Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist kein Problem. Auch wir Sozialdemokraten sind ganz klar und nicht erst seit gestern der Überzeugung, dass wir im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union weiter integrieren müssen und dass es eine Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union aus einem Guss geben soll.

Aber wir sollten uns auch keine Illusionen machen! Die Idee, dass die Nationalstaaten, die heute Mitglieder der Europäischen Union sind, oder dass diejenigen, die ab morgen Mitglieder der Europäischen Union sein werden, bereit sein könnten, diese zentralen Verantwortungsbereiche, nämlich die eigene Verteidigung und die Außenpolitik, an die Union abzutreten, und die Idee, dass dies sehr rasch geschehen würde, ist eine Illusion.


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Denkbar jedoch ist – und meiner Ansicht nach sollte darüber sehr ernsthaft gesprochen werden – ein Konzept geteilter Souveränität zwischen der Ebene der Nationalstaaten und der Ebene der Europäischen Union. Ja, auch wir sind der Meinung, dass es Eigenzuständigkeiten der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außenpolitik braucht, weil der Abstimmungsprozess viel zu lange dauert, um in kritischen Situationen effizient agieren zu können.

Warum sind im Bereich der Friedensbemühungen und der dauerhaften Herstellung zivilgesellschaftlicher Verhältnisse auf dem Balkan immer die USA die Ersten mit Vorschlägen? – Weil sie in dieser Hinsicht eine geschlossenere, bündigere Form der Vorbereitung und nur eine Stimme haben. Es ist jedoch die Europäische Union, die bereit ist, die meisten Lasten dieser Friedensbemühungen zu tragen. Was die Europäische Union auf dem Balkan leistet, ist etwas, worauf die Bürger in Europa stolz sein könnten. Aber sie erfahren es nicht, weil die Europäische Union in der Regel drei, vier, fünf Monate später als die ersten Vorschläge dran ist. Sie trägt dann zwar die Lasten, aber die Vorschläge kommen nicht aus einem Mund – und bis alle 15 auf einen Mund vereint sind, vergeht zu viel Zeit.

Daher sagen wir: Ja, auch wir Sozialdemokraten sind für eine stärkere Integration im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Für uns ist damit nicht ausgemacht, dass das unter dem Szepter der NATO stattfindet. Es ist damit aber schon ausgemacht, dass es notwendig ist, in diesem Bereich wesentlich verstärkte Anstrengungen zu unternehmen und der Europäischen Union Eigenzuständigkeiten zu schaffen. Da können Sie mit unserer Kooperation rechnen. (Beifall bei der SPÖ.)

Hohes Haus! Herr Bundeskanzler! Herr Bundesminister! Lassen Sie mich nun einige Worte zum Thema der Erweiterung der Europäischen Union sagen. Eines der wichtigsten Ergebnisse des Gipfels von Nizza – dies ist heute schon erwähnt worden – besteht darin, dass dieses Gipfeltreffen die formellen – wenn Sie so wollen: die institutionellen – Voraussetzungen für die Erweiterung geschaffen hat. Das ist gut so. Es ist zwar ein bescheidenes Ergebnis, aber es ist doch ein Ergebnis, und es war notwendig.

Herr Bundeskanzler! Sie haben heute davon gesprochen, dass Österreich unter Umständen eines der Länder sein könnte, in denen der Vertrag von Nizza am frühesten ratifiziert wird.

Herr Bundeskanzler, unsere Auffassung dazu ist, dass es für diese Ratifikation keine besondere Dringlichkeit gibt. Ich denke, es ist notwendig und wünschenswert, dass wir uns über die Dinge, die jetzt zu behandeln sind, ausführlich unterhalten können. Es geht für den Erweiterungsprozess überhaupt keine Zeit verloren, wenn wir nicht schon vor dem Sommer, sondern erst nach dem Sommer ratifizieren. Wir verlieren nichts dabei, weil der Verhandlungsprozess mit den Erweiterungskandidaten ohnehin bis Ende 2002 dauern wird, und bis dahin werden wir allemal ratifiziert haben. Wir verlieren nichts und verstehen, ehrlich gesagt, die Eile nicht, die die Bundesregierung und die Mehrheitsfraktionen in dieser Frage haben.

Wir verstehen aber auch nicht, warum in der anderen Frage, die mit der Erweiterung zusammenhängt, so gar keine Eile zu beobachten ist.

Herr Bundeskanzler! Hohes Haus! Wir haben im Februar vorgeschlagen, dass es konkrete Maßnahmen geben sollte, um die Erweiterung zu einem Erfolg – zu einem Erfolg bei den Bürgerinnen und Bürgern in Österreich, aber auch zu einem wirtschaftlichen Erfolg und zu einem politischen Erfolg – zu machen. Wir haben vorgeschlagen, dass wir die Sorgen, die die Menschen zum Teil haben und die zum Teil auch von Gewerkschaft und AK zum Ausdruck gebracht werden, ernst nehmen und dass es daher Maßnahmen geben soll, die dazu angetan sind, diese Sorgen zu zerstreuen. (Beifall bei der SPÖ.)

Was wir derzeit beobachten, ist, dass zwar eine heftige, hin und her brandende Diskussion über die Frage von Fristen stattfindet – ob es sieben Jahre oder weniger sein sollen, wobei die eine Seite der Regierung sagt: es soll kürzer sein, damit früher billige Arbeitskräfte hereinkommen, und die andere Seite sagt: die sieben Jahre sind unbedingt notwendig. Aber die Frist allein, meine sehr geehrten Damen und Herren, hilft gar nichts. Was wir tatsächlich brauchen, sind Maßnahmen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Silhavy: Genau!)


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Die Frage ist: Wer kontrolliert während dieser Frist, was da geschieht? Wo sind die Behörden, wo sind die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Behörden, die eine konkrete Kontrolle während dieser Frist ausüben, ob es zu Missbräuchen, zu Beschäftigung von nicht legal beschäftigbaren Menschen hier im Land kommt? Wer sind diejenigen, die das kontrollieren und die sicherstellen sollen, dass es auf dem Arbeitsmarkt nicht zum Dumping bei den Löhnen und bei den sozialen Rahmenbedingungen kommt? Wer soll das machen? Wann werden Sie die konkreten Vorschläge auf den Tisch legen? Und: Wie wollen Sie – weil das ja auch etwas kostet – das bezahlen?

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist einfach nicht wahr, dass Übergangsfristen etwas bringen. Sie bringen dann etwas, wenn die Bedingungen, die während der Frist gelten, kontrolliert werden, und zwar so, dass es auch eine abschreckende Wirkung hat.

Wenn Sie das nicht wollen, dann gibt es nur eine andere Alternative. Die andere Alternative ist, dass Sie denjenigen, die als Arbeitspendler oder als Arbeitsmigranten – wir rechnen eher mit Pendlern als mit Migranten – kommen, von Haus aus volle Rechte geben. Das ist aber das Gegenteil von Übergangsfristen. Volle Rechte haben auch einen Vorteil, nämlich den, dass sich die Betroffenen wenigstens selbst wehren können, wenn sie das Gefühl haben, unter Kollektivvertrag bezahlt zu werden oder sonst wie schlechter als andere Arbeitnehmer im Lande behandelt zu werden.

Aber offenbar wollen Sie beides nicht! Wenn Sie jedoch beides nicht machen, Herr Bundeskanzler, dann lautet die Frage, was Sie wirklich wollen. Dann habe ich den Eindruck, dass die Linie der Bundesregierung in jene Richtung geht, in die sie auch bei den Saisonniers schon gegangen ist, nämlich in die Richtung billiger Arbeitskräfte, die sich auf dem österreichischen Arbeitsmarkt alles gefallen lassen müssen. – Das ist jedenfalls nicht die Linie, bei der wir bereit sind, zu kooperieren! (Beifall bei der SPÖ.)

Hohes Haus! Herr Bundeskanzler! Es gib natürlich auch andere Felder, in denen wir den Eindruck haben, dass jetzt dringend – und das ist zeitsensibel! – konkrete Maßnahmen ergriffen werden müssen. Wir wissen aus den entsprechenden österreichischen und auch europäischen Studien, dass beispielsweise eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen durch die Erweiterung in besonderer Weise unter Druck kommt. Wir wissen, dass das vor allem ein Qualifikationsproblem sein wird. Wenn das so ist, dann ist jetzt noch Zeit, Maßnahmen der Fortbildung und der Qualifizierung in diesen Bereichen anlaufen zu lassen. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, das zu tun.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn das aber erst dann geschieht, wenn die Erweiterung bereits stattgefunden hat, ist es zu spät. Diejenigen, die durch den geöffneten Arbeitsmarkt bedroht sind, werden mit Recht nicht verstehen, dass Sie keine Maßnahmen ergriffen haben, solange noch Zeit gewesen ist. Wir verlangen und schlagen Ihnen vor, jetzt konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Das drängt wirklich – nicht die Ratifikation des Nizza-Vertrages!

Lassen Sie mich noch ein Drittes ansprechen. Ich bin vorhin schon mit der üblichen Polemik von Klubobmann Westenthaler – der jetzt natürlich wieder nicht da ist – angesprochen worden. (Abg. Jung: Wo ist denn der Ihrige? – Abg. Schwarzenberger: Wo ist Gusenbauer?)  – Herr Kollege! Ich bin selbst stellvertretender Klubobmann, das muss Ihnen reichen. (Beifall bei der SPÖ. – Ironische Heiterkeit bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Khol: Sie haben drei Klubobleute! Von den drei Klubobleuten ist keiner da! Es sind Gusenbauer, Cap und Kostelka nicht da! – Abg. Dr. Mertel: Schieder ist da! – Abg. Dr. Khol: Auch Stellvertreter!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da vorhin die Verkehrspolitik in polemischer Weise angesprochen worden ist, möchte ich feststellen: Worum es geht, ist, dass jeglicher Plan dieser Bundesregierung für die Verbindung zwischen Österreich und seinen Nachbarländern auf der Straße oder auf der Schiene fehlt. Sie sind jeden Vorschlag schuldig geblieben. Sie sagen, es ist in der Vergangenheit nicht genug geschehen – das ist wahr, es ist nicht genug geschehen. Aber es gibt für die Schienen – um dieses Feld auszuräumen – für alle notwendigen Verbindungen


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die Planungsaufträge und dazu auch die Finanzierung. (Präsident Dipl.-Ing. Prinzhorn übernimmt den Vorsitz.)

Doch wo sind die Pläne für die Straßen? Wo sind die Pläne für die konkreten Straßenübergänge zu unseren Nachbarländern, den Kandidatenländern? Wer war dafür verantwortlich, dass das nicht geschehen ist? (Abg. Schwarzenberger: Der Verkehrsminister der Vergangenheit!)  – Das war der Wirtschaftsminister, und das ist jetzt der Infrastrukturminister respektive die Infrastrukturministerin.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Straßenverbindungen, die diese Regierung beispielsweise mit den Nachbarländern haben will, sollten Sie uns einmal vorschlagen. Sie sollten die Pläne dafür einmal auf den Tisch des Hauses legen, um die infrastrukturellen Voraussetzungen für den Erfolg des Erweiterungsprozesses zu schaffen.

Hohes Haus! Meine Zeit ist um. (Abg. Haigermoser: Hoffentlich nur die Redezeit!) Ich möchte Ihnen, Herr Bundeskanzler, nur noch einmal Folgendes ans Herz legen: Wir nehmen sowohl in der Frage der Erweiterung als auch in der Frage des Post-Nizza-Prozesses eine durchaus konstruktive Haltung ein. Wir haben Ihnen Vorschläge gemacht, Sie wissen es. Wir würden uns erwarten, dass Sie, wenn Sie darauf Wert legen, dass wir Dinge gemeinsam tragen, dann wenigstens auch von sich aus das Gespräch mit der Opposition suchen. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

12.02

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Abgeordneter Haigermoser zu Wort gemeldet. Herr Abgeordneter, Sie kennen den § 58 Abs. 2 GOG. – Bitte.

12.02

Abgeordneter Helmut Haigermoser (Freiheitliche): Hohes Haus! Kollege Einem hat behauptet, die Regierungsparteien hätten mit der Ratifizierung des Amtssitzabkommens für die Stelle gegen Rassismus gewartet, bis sich deren Leiterin verantwortet hat. – Dies ist unrichtig, Herr Kollege Einem! (Abg. Dr. Mertel: Gar nicht!)

Richtig ist vielmehr, dass Frau Winkler die Aussprache mit dem Außenpolitischen Ausschuss selbst begrüßt hat und eine Verschiebung des ursprünglichen Gesprächstermins wegen Terminschwierigkeiten von Frau Winkler erfolgen musste. (Abg. Dr. Heindl: Also das ist wirklich nicht wahr!) Alle Fraktionen, auch die Ihre, haben ausdrücklich festgehalten (Abg. Dr. Heindl: Das ist ja nicht wahr!), dass es kein Junktim zwischen der stattgefundenen Aussprache und der Ratifizierung gab. (Abg. Dr. Einem: Das ist ein Missbrauch! – Abg. Schieder: Das ist nicht wahr!)

Daher ist Ihre Behauptung, Herr Kollege Einem, unrichtig, unwahr und polemisch gewesen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Schieder: Nein! Das war nicht die Wahrheit!)

12.03

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Von der Regierungsbank zu Wort gemeldet hat sich nunmehr Herr Bundeskanzler Dr. Schüssel. – Bitte.

12.03

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Hohes Haus! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil jetzt zum zweiten Mal der Eindruck entstanden ist, die Regierung oder die Regierungsparteien würden ein Gesprächsangebot nicht aufgreifen. – Im Gegenteil, ich habe es sehr begrüßt, dass heute der Oppositionsführer Dr. Gusenbauer angeboten hat – und Sie haben es wiederholt, Herr Kollege Einem –, dass die Ratifikation des Vertrags von Nizza außer Streit steht. Das begrüße ich ausdrücklich, und ich halte das auch für sehr wichtig. Das ist ja der Sinn der Einbindung aller Fraktionen in diese tagelangen und nächtelangen Sitzungen, dass wir uns, wenn wir draußen die Verhandlungen führen – die ja sehr schwierig sind –, darauf verlassen können, dass dies auch hält.


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Es ist nicht richtig, dass es keine Kontakte gibt, nur hänge ich nicht alle Kontakte an die große Glocke. Selbstverständlich gibt es Aussprachen zwischen mir und den Oppositionsführern. Es ist auch klug, dass man in diesen wichtigen Fragen miteinander im Gespräch bleibt. Daher begrüße ich ausdrücklich die Bereitschaft, die heute hier zum Ausdruck gebracht worden ist, und möchte hier keinen anderen Eindruck entstehen lassen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Zweitens zu der Idee eines Konvent-Modells, einer Art Konvent in der ersten Phase: Dessen Besetzung muss nicht identisch mit jener des Konvents für die Charta sein. Man könnte hier offener sein, auch gegenüber Bereichen der Wissenschaft oder der NGOs, nur muss ein Ergebnis im Konsens gefunden werden. Diese Idee habe ich bereits sehr früh in die Diskussion eingebracht, daher ist das keine Bedingung, die jetzt notwendig wäre. Darauf lege wiederum ich großen Wert, dass nicht der Eindruck entsteht, wir würden zu etwas gezwungen werden, was eigentlich – Gott sei Dank, möchte ich sagen – in allen Fraktionen außer Streit steht.

Es ist auch selbstverständlich, dass ein solches Konvent-Modell nicht den Vertrag ändern kann. Frau Abgeordnete Lunacek, Vertragsänderungen sind nach den Texten der europäischen Verträge ausschließlich durch Regierungskonferenzen möglich. Ehrlich gesagt habe ich auch überhaupt keinen Ehrgeiz, das zu ändern. Die Verträge sind auf Buchstaben genau und ganz dem Sinn gemäß einzuhalten. Aber eine Vorbereitung mit der Ausarbeitung von Optionen, von Alternativen, von zusätzlichen Ideen und Anregungen sowie auch Textvorschlägen ist etwas, was absolut sinnvoll ist. Dies könnte durchaus die demokratische Qualität eines solchen Prozesses erhöhen.

Ebenso ist es nicht notwendig, hier zu fordern – oder einzumahnen, muss man wohl sagen –, dass die Erweiterungskandidaten eingebunden werden. Das steht, bitte, völlig außer Streit, dass sowohl in der Vorbereitungsphase als auch im Prozess der Regierungskonferenz die Erweiterungskandidaten genauso wie auch das Europäische Parlament voll einzubinden sind.

Wichtig sind mir dabei auch die nationalen Parlamente. Es wird ja auch in der Frage der zweiten Kammer ein spannendes Thema sein, dass dabei die nationalen Parlamente nicht übergangen werden, sondern dass in dem Kräfteparallelogramm von Rat, Kommission, Europäischem Parlament und überdies Europäischem Gerichtshof sowie Ausschuss der Regionen auch – in welcher Form immer, das sollten wir noch diskutieren – die nationalen Parlamente eingebunden werden, sodass sie nicht bloß am Ende ja oder nein zu einer Vertragsänderung sagen müssen. Es ist mir wichtig, dass wir auch darüber einen österreichischen Konsens erzielen können. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Eine letzte Bemerkung in der Frage der Erweiterung: Ich möchte auch großen Wert darauf legen, dass das Angebot der Außenministerin, Österreich-Plattformen unter Einbindung der Fraktionen und der Sozialpartner zu bilden, nicht erst jetzt erfolgt und dass es nicht schweigend übergangen wird. Dieses Angebot ist ernst gemeint. Es ist ja bereits aufgegriffen worden und wird selbstverständlich auch gelebt.

Wir werden von der Bundesregierung her, was die Europa-Diskussion in Zukunft betrifft, schon am 30. Mai eine Enquete machen, zu der wir das Parlamentspräsidium von National- und Bundesrat, alle Fraktionsführer sowie auch die Fraktionsführer im Europaparlament einladen.

Daher bitte ich, hier nicht den Eindruck entstehen zu lassen oder zu pflegen, es würden Gesprächsangebote der Opposition – die ich sehr schätze! – von der Regierung zurückgewiesen oder nicht beantwortet werden. Im Gegenteil, ich freue mich, dass wir hier auf einem guten Weg sind. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

12.07

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Stummvoll. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 12 Minuten. – Bitte.

12.08

Abgeordneter Dkfm. Dr. Günter Stummvoll (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst sagen: Ich


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bin wirklich sehr froh und glücklich darüber, dass der Herr Bundeskanzler jetzt so klare Worte gesprochen hat. Er hat neuerlich gegenüber der Opposition die Hand ausgestreckt. Er hat zu Gesprächen eingeladen und damit gezeigt, dass ihm dieses nationale Anliegen, gemeinsam die Strategie für die Weiterentwicklung Europas festzulegen, ein echtes Anliegen ist. Ich glaube, das sollten wir hier als sehr positiv festhalten.

Meine Damen und Herren! Herr Kollege Einem! Ich möchte auch sagen, es freut mich, dass offensichtlich zwischen der Rede Ihres Parteiobmanns vor zwei Stunden und Ihrer Rede ein gewisser Bewusstwerdungsprozess eingetreten ist. Gusenbauer hat noch davon gesprochen, dass es Bedingungen für die Ratifizierung gibt. Es gibt auch eine Aussendung der Sozialistischen Korrespondenz vom 3. Mai dieses Jahres, worin eine Reihe von SPÖ-Bedingungen zur Ratifizierung genannt werden. – Ich danke Ihnen dafür, dass Sie hier deutlich gesagt haben: Sie stehen zur Ratifikation. Ich glaube, das waren offene Worte, und dafür danke ich Ihnen, Herr Kollege Einem. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Ich möchte aber etwas anderes genauso offen sagen, Herr Kollege Einem. Manche Teile Ihrer Rede haben mir weniger gefallen und mich ein bisschen an den Titel Ihres Buches erinnert. Lassen Sie mich Folgendes sehr deutlich sagen: Wir von den beiden Regierungsfraktionen sind nicht für ein anderes Österreich, sondern wir bekennen uns zu diesem Österreich, meine Damen und Herren! Wir lieben dieses Österreich, wir bekennen uns dazu. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Wir wollen kein anderes Österreich, Herr Kollege Einem! Darin unterscheiden wir uns!

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich, nachdem die Vorredner primär zu außenpolitischen und sicherheitspolitischen Aspekten des Vertrages von Nizza gesprochen haben, auch ein paar Worte zu den wirtschaftlichen Perspektiven dieses Integrationsprozesses sagen.

Der Vertrag von Nizza hat sehr wichtige Weichen dafür gestellt, dass die Europäische Union in der Lage ist, sich weiterzuentwickeln und sich weiter zu öffnen. Wenn wir uns die bisherige Entwicklung aus wirtschaftlicher Sicht ansehen, so müssen wir sagen, dass uns die bisherige Mitgliedschaft Österreichs bei der Europäischen Union wirtschaftlich dorthin gerückt hat, wo wir historisch und geographisch eigentlich immer hingehört haben, nämlich ins Herz Europas.

Das ist auch für den Wirtschaftsstandort Österreich extrem wichtig. Österreich ist damit einerseits Mitglied der Europäischen Union, andererseits aber durch traditionelles Osthandels-Know-how, durch traditionelle Osthandelskontakte für viele internationale Unternehmen ein sehr geeigneter Standort. Wir sind somit in der Lage, eine Brückenfunktion nach Osteuropa zu erfüllen, hin zu jenen Ländern, die vor der Tür der Europäischen Union stehen.

Wir haben durch die Mitgliedschaft in der Europäischen Union auch wirtschaftlich unglaublich profitiert. Die Dynamik des Binnenmarktes hat nicht zuletzt dazu geführt, dass in den sechs Jahren unserer Mitgliedschaft die Exporte in die Europäische Union von 380 Milliarden auf 580 Milliarden Schilling gestiegen sind – das ist ein Plus von 200 Milliarden Schilling! Auf Arbeitsplätze umgerechnet bedeutet das, es wurden 150 000 bis 200 000 Arbeitsplätze gesichert durch die Mitgliedschaft und durch die Dynamik des Binnenmarktes in Europa. Das heißt auch: Vollbeschäftigungspolitik durch die Kombination eigenstaatlicher Maßnahmen und die Dynamik im Binnenmarkt. (Beifall bei der ÖVP.)

Diese Mitgliedschaft hat wirtschaftlich aber auch bewirkt, dass weite Bereiche unseres Wirtschaftsrechts gleichsam durchlüftet wurden und dass frischer Wind hineingekommen ist. Die gesamte Liberalisierung im Telekombereich und im Energiebereich war ein frischer Wind, der letztlich von Europa ausgegangen ist. Wir sind sehr froh darüber, weil auch das den Wirtschaftsstandort Österreich verbessert hat. Jahrelang haben viele internationale Unternehmen gemeint: Euer Wirtschaftsstandort hat zwei große Nachteile: Ihr seid viel zu teuer im Bereich Energie, und ihr seid viel zu teuer im Bereich Telekommunikation. – Die Liberalisierung, die diese Bundesregierung vorgenommen hat, hat diese beiden Nachteile zum Verschwinden gebracht. Wir sind auch in diesen Bereichen, hinsichtlich der Energie- und Telekomkosten, in Europa wieder


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wettbewerbsfähig, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP sowie des Abg. Böhacker. )

Seit Einführung des Euro – ab kommendem Jänner werden das auch die Bürger sehr deutlich erleben – haben wir den nächsten großen Vorteil, nämlich dass die Währungsschwankungen innerhalb des Bereichs der Mitglieder des Euro-Raumes weggefallen sind. Auch das ist ein unglaublicher Standortvorteil für unsere Wirtschaft.

Letztlich muss man meiner Ansicht nach sagen: Wirtschaftsstandort bedeutet letztlich Vollbeschäftigung für Österreich und Einkommenschancen für die Erwerbstätigen. Das ist letztlich auch die Basis der sozialen Sicherheit, die wir in Österreich haben, meine sehr geehrten Damen und Herren! Dies ist auch ein Erfolg der EU-Mitgliedschaft und der Politik dieser Bundesregierung. (Beifall bei der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Wenn wir jetzt das Ganze im Lichte der bevorstehenden Erweiterung der Europäischen Union sehen, dann lassen Sie mich eines auch sehr deutlich sagen. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass Österreich, allein aus der Ostöffnung heraus, wirtschaftlich gesehen eigentlich der große Gewinner war. Ich habe unlängst eine Studie der Raumordnungskonferenz gelesen, die etwa besagt, dass in dem Zeitraum von 1989 bis 1999, in diesen zehn Jahren, von den 25 politischen Bezirken Österreichs, die an der EU-Außengrenze – also der Grenze zu den Beitrittskandidatenländern – gelegen sind, 21 Bezirke innerhalb dieses Zeitraums ein höheres Wirtschaftswachstum und ein höheres Beschäftigungswachstum hatten, als es im gesamtösterreichischen Durchschnitt zu verzeichnen war. Das zeigt auch die Chancen der Regionen, was die Ostöffnung betrifft, meine Damen und Herren!

Lassen Sie mich noch einmal die Exportwirtschaft ansprechen. Während sich unsere Exporte in den letzten zehn Jahren weltweit verdoppelt haben, haben sie sich in den Bereich Osteuropa vervierfacht. Wir haben heute einen Zustand erreicht, dass etwa der Exportmarkt Ungarn mit 48 Milliarden Schilling genauso wichtig ist wie der gesamte Exportmarkt USA, der ebenfalls bei 48 Milliarden Schilling liegt. Wir haben erlebt, dass das kleine Slowenien als Exportmarkt heute, mengen- und wertmäßig gesehen, um 40 Prozent wichtiger als Japan ist.

Es zeigt sich also eine unglaubliche Dynamik auch dieser Länder, die jetzt vor der Tür der Europäischen Union stehen. Wir haben da wirklich einmalige Chancen, wenn wir das wirtschaftlich sehen, wenn wir es im Hinblick auf Wachstumschancen, Einkommenschancen und Arbeitsplätze sehen, meine Damen und Herren!

Selbstverständlich haben wir auch eine weitere große Chance – das sage ich vor allem als einer, der aus der Wirtschaft kommt. Zu Beginn haben sich sehr viele unserer Betriebe insbesondere im Grenzraum – und ich bin Mandatar einer Grenzregion – darüber beklagt, dass dort eine unfaire Konkurrenz stattfindet, dass dort Produkte aus Billiglohn-Ländern und Ländern, die kaum Umweltkosten haben, gleichsam nach Österreich hereinkommen und dass die Chancengleichheit im Wettbewerb nicht besteht.

Was bedeutet es aber, wenn jetzt diese Länder Mitglieder der Europäischen Union werden? – Es bedeutet, dass wieder Chancengleichheit bestehen wird, weil diese Beitrittskandidaten ihr Niveau etwa im Bereich Arbeitsrecht, Sozialrecht oder Umweltrecht auf unser Niveau anheben müssen. Daher ist die Chancengleichheit ein wesentliches Element dafür, dass unsere Betriebe auch in den Grenzräumen wieder mehr Wettbewerbschancen haben, im Vergleich zu dem, was sich heute abspielt. Ich denke, es wird vielfach übersehen, dass wir dann, wenn diese Länder im Hinblick auf Umweltbestimmungen und arbeitsrechtliche Bestimmungen auf europäisches Niveau gehoben werden, wieder diese Chancengleichheit haben werden.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich aber auch Folgendes sagen: Wir haben noch eine Reihe von Problemen zu lösen und eine Reihe von notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Eine Reihe von Vorrednern haben zu Recht die Problematik in Bezug auf Arbeitsmarkt und Übergangsfristen angesprochen.


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Herr Präsident Verzetnitsch! Ich verstehe die Sorgen der Arbeitnehmervertreter – gar keine Frage –, nur glaube ich, dass wir das offensiv sehen müssen. Die Haltung, die ich aus ÖGB und Arbeiterkammer kenne – ich weiß nicht, ob das der aktuelle Stand ist; von der Arbeiterkammer glaube ich, dass er es ist –, lautet: Erst wenn dort 80 Prozent unseres Lohnniveaus erreicht sein werden, dürfen sie beitreten.

Ich glaube, das ist eine falsche Haltung, Herr Präsident Verzetnitsch. Meiner Ansicht nach würde das bedeuten, dass wir die Erweiterung Europas auf viele Jahre hinaus blockieren. Wir haben auch heute in der Europäischen Union größere Lohnunterschiede als nur solche im Ausmaß von 20 Prozent. Man muss so ehrlich sein, dies anzuerkennen. Machen wir keine Blockadepolitik, sondern entwickeln wir Europa weiter, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich plädiere hier für flexible Übergangsfristen. Wir sehen heute in weiten Bereichen unserer Wirtschaft – ich könnte Ihnen Briefe zeigen, in denen mir täglich darüber geschrieben wird –, dass Betriebe keine geeigneten Arbeitskräfte bekommen. Das sind nicht unbedingt IT-Fachkräfte, sondern das zieht sich durch alle Branchen. Das reicht von der Fachkraft fast bis hinunter zum Hilfsarbeiter. Ich denke, wenn wir Chancen haben, notwendige Arbeitskräfte zu bekommen, dann sollten wir diese Chancen nützen.

Kollege Einem – er hat uns schon verlassen – hat von den Saisonniers als billigen Arbeitskräften gesprochen. Meine Damen und Herren, das ist eine verzerrte Darstellung. Für die Saisonniers gelten – Herr Präsident Verzetnitsch, Sie wissen das – genauso wie für jeden Österreicher unsere arbeitsrechtlichen, kollektivvertraglichen Regelungen. Das sind keine billigen Arbeitskräfte, sondern sie sind genauso teuer, und sie sind für unseren Tourismus notwendig, meine Damen und Herren! Der Tourismus braucht diese Arbeitskräfte, wenn er sich entsprechend weiterentwickeln soll. Lassen Sie das Argument mit den Billigarbeitskräften bei den Saisonniers fallen, das ist keine ehrliche Diskussion. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Auf einen zweiten großen Komplex möchte ich wieder als Mandatar einer Grenzregion aufmerksam machen. Wenn sich Europa erweitert und wenn wir dort Regionen haben, die jahrzehntelang mit dem Rücken zum Eisernen Vorhang standen, heißt das selbstverständlich, dass gewisse infrastrukturelle Einrichtungen – etwa im Bereich der Verkehrsinfrastruktur – jetzt völlig neu ausgelegt werden müssen. Es macht einen Unterschied, ob ich über Jahrzehnte an einer toten Grenze gelebt habe oder ob ich jetzt im Herzen Europas bin. (Abg. Dr. Hannes Bauer: Sie werden aber nicht ausgelegt!) Das bedeutet Infrastrukturinvestitionen, Herr Kollege Bauer, als Abgeordneter des Weinviertels wissen Sie das. Wir werden uns hier mit Ihnen zusammensetzen, wir brauchen einen Konsens. Ich bin gerne bereit, auch auf Mandatarsebene – genauso wie der Bundeskanzler zum Oppositionsführer – das Gespräch zu suchen. (Abg. Dr. Hannes Bauer: Aber es wird nicht darauf reagiert!) Meine Damen und Herren, wir brauchen hier den Konsens, und wir wollen ihn auch. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Hannes Bauer: 2 500 ...!)

Ich meine, Herr Kollege, wir beide als Abgeordnete aus Grenzregionen sollten hier nicht in Zwischenrufen miteinander verkehren. Wir sollten uns zusammensetzen und gemeinsam Strategien und Konzepte ausarbeiten. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dr. Khol: So ist es!)

Ein letzter Punkt, meine Damen und Herren: Ich bin sehr froh, Herr Bundeskanzler, dass es gelungen ist, entsprechende Grenzland-Förderungskonzepte der Europäischen Union zu erstellen. Ich denke, wir müssen davon auch Gebrauch machen. Wir haben hier in der Tat eine Situation, dass viele Betriebe und viele Arbeitnehmer in den Grenzregionen auch die Sorge haben: Wie wird es sein, wenn diese neuen Kandidaten Mitglieder sein werden? – Wir müssen in den nächsten Jahren versuchen, auf Basis dieser Grenzland-Förderungsprogramme jene Projekte zu fördern, die diesen Grenzregionen eine ehrliche Chance geben, in Zukunft im Wettbewerb mit den neuen Kandidaten zu bestehen. (Abg. Dr. Wittmann: Sagen Sie das der Minister Forstinger!)


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Meine Damen und Herren! Bei all den wirtschaftlichen Aspekten, die ich hier als Vertreter der Wirtschaft vorgebracht habe, vergesse ich jedoch nie, dass die Grundidee der Europäischen Union eine Friedensidee ist. Ich glaube, zu dem friedenspolitischen Konzept müssen wir auch unter diesem Aspekt ja sagen, wenn sich Europa in Richtung Osten erweitert. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

12.19

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Jung. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 10 Minuten. – Bitte.

12.20

Abgeordneter Wolfgang Jung (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Nur ein Wort zu meinem Vorredner, ohne daraus einen Gegensatz größerer Art konstruieren zu wollen – hier werden wir ja darüber reden können –: Ich kann die Argumente des ÖGB und der Arbeiterkammer nicht so leicht wie Sie mit einem Satz wegwischen. Es stehen tatsächlich Besorgnisse dahinter.

Hiezu gibt es Studien – ich erinnere an jene der Dresdner Bank als jüngste Studie –, die nicht einfach vom Tisch gewischt werden dürfen. Der ÖGB vertritt hier so wie die Arbeiterkammer seine Mitglieder, so wie auch wir die Interessen der Österreicher vertreten wollen. Das kann man nicht vom Tisch wischen, aber ich glaube, man wird mit dem ÖGB und der Arbeiterkammer reden können. Diese 80 Prozent des österreichischen Durchschnitts sind eine sehr, sehr hohe Annahme, aber Sie alle wissen, dass man mit höheren Annahmen in Verhandlungen geht und nicht gleich von vornherein mit den niedrigeren.

Einfach beiseite schieben kann man diese Argumente nicht, schon gar nicht dann, wenn man immer wieder diese Sprünge in der Argumentation sieht: Einerseits wird gesagt, wir brauchen dringend Arbeitskräfte, andererseits wird wieder der Abschwung der Wirtschaft an die Wand gemalt. Und was machen Sie dann mit diesen Arbeitskräften, wenn der Abschwung in der Wirtschaft da ist? – Wir können diese dann auch nicht einfach wegschicken. Auch das wäre nicht gerade der menschliche Weg.

Nun aber zurück zum Hauptthema im gesamten Nizza-Prozess. Was jetzt? – Das ist eine Frage, auf die es viele Antworten gibt, die jeweils vom Standpunkt und von den Erwartungen abhängen, die man sich gesetzt hat. Gleich vorweg: Unsere Erwartungen – wir haben sie bewusst nicht zu hoch geschraubt – wurden in diesem Prozess erfüllt. Wir haben, wie ich glaube, einen sehr guten Modus mit der ÖVP gefunden, wie wir uns hier gegenseitig in der entscheidenden letzten Phase abstimmen können. Auch die SPÖ war eingeladen, daran teilzunehmen, hat das zum Teil wahrgenommen, aber in der entscheidenden Phase, so haben wir gehört, war Kollege Einem nicht erreichbar.

Wie hat es ausgeschaut? – Da gab es zunächst die Euro-Utopisten, die sich Lösungen in utopischer Weise für alle Fragen erwartet haben, die sich seit Amsterdam, Köln, Helsinki und so weiter aufgestaut haben, nämlich bezüglich aller Hindernisse für eine rasche Erweiterung und besonders bezüglich der ganzen Lösung der institutionellen Fragen. Diese wurden ebenso enttäuscht wie die Euro-Puristen, die geglaubt haben, dass hier eine enorme Steigerung der Rechte des Europäischen Parlaments und vor allem der Kommission herauskommen würde und die Veto-Möglichkeiten massiv beschnitten würden. Das ist – Gott sei Dank, muss ich sagen – nicht eingetreten. Letztlich gab es noch jene, die sich zu schnell das Durchdrücken einer Europäischen Charta erwartet haben; auch sie waren enttäuscht.

Dann gab es die Großen in der Union. Der deutsche Kanzler hat damals schon vollmundig seine weitgesteckten Ziele verkündet, wie weniger Beitragsleistung und eine massive Stärkung des deutschen Stimmgewichtes. Das ist beides nicht eingetreten. Seine französischen Freunde haben ihm da einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Für diese Kreise wurde der Gipfel ein Misserfolg. Man wollte zu viel zu schnell erreichen und die zunehmend skeptischer werdenden Bürger einfach überfahren. Bezüglich Euro war man damit in einem gewissen Ausmaß erfolgreich, und man versteht heute nicht, warum die Bürger dem


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Ende der nationalen Währungen – das können wir in diesen Tagen sehr genau beobachten – mit Resignation, aber auch immer größerer Skepsis entgegensehen.

Wenn man den Bürgern Europa näher bringen will, dann muss das Zusammenwachsen dieser Staaten organisch erfolgen. Sonst fühlen sie sich einfach – und das mit Recht! – überfahren, meine Damen und Herren!

Was sowohl vom französischen Präsidenten als auch von seinem Regierungschef damals als grandioser Start für den Präsidentschaftswahlkampf gedacht war, ist für beide eigentlich kein Erfolg geworden. De facto wurde Straßburg als europäische Stadt in einem gewissen Ausmaß geopfert und auch das Misstrauen der Kleinen in vielen Bereichen geweckt. Auch für die ganz Großen war Nizza also nicht der Erfolg.

Dann gab es natürlich noch Staaten wie Großbritannien bezüglich der Grundrechtscharta oder Belgien in der Konferenzortfrage und Spanien hinsichtlich der Verteilung der Mittel, die alle ihre Eigeninteressen einfach brutal durchgesetzt haben. Sie haben zufrieden den Verhandlungstisch verlassen, was etwas nachdenklich stimmt, weil man lernt: Egoismus macht sich – wie fast immer in der Gemeinschaft – bezahlt.

Nun einige Worte zum Abgeordneten Gusenbauer, zum Klubobmann der SPÖ. Apropos Klubobmann: Kollege Einem hat vorher die Abwesenheit unseres Klubobmanns kritisiert. Auch sein offizieller Klubobmann, sein abgesägter Klubobmann und sein in Ausbildung begriffener Klubobmann sind nicht hier. Vielleicht machen sie ein gemeinsames Seminar. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Ironische Heiterkeit des Abg. Auer. ) Wie überhaupt auch der Außenpolitische Ausschuss der SPÖ mittlerweile verschollen ist oder die gesamte SPÖ beim Mittagstisch sitzt.

Gusenbauer hat uns vorgeworfen, dass hier Provokationsstrategien gegenüber den neuen Mitgliedern – ich nehme an, er meint die Beitrittskandidatenländer – gefahren würden. Ich glaube nicht – Kollege Bösch ist da, er ist für diesen Bereich der geeignete Mann, um es Gusenbauer mitzuteilen –, dass es eine Provokation ist, wenn man die Einhaltung der Menschenrechte verlangt und wenn man geschehene Verbrechen als Verbrechen bezeichnet und fordert, dass diese nicht Anerkennung für die Zukunft finden, sprich AVNOJ-Bestimmungen und Beneš-Dekrete.

Den Konvent halten wir für eine gute Sache, denn es ist viel zu viel viel zu schnell geschehen. Es darf nicht mehr so sein, dass in ein oder zwei Nächten für Europa entscheidende Fragen durchgepeitscht werden. Aber ich glaube, das ist ein Bereich, über den wir uns hier im Wesentlichen alle einig geworden sind.

Wir haben uns, wie Kollege Schweitzer schon vorher gesagt hat, in unserem Bereich und in unseren Vorstellungen im Wesentlichen durchgesetzt. Das war die Frage. Wir wollten kein Direktorium der Großen, wir wollten die vitalen Rechte nicht an Brüssel abtreten, wir wollten keinen Eingriff in die österreichische Verfügungsgewalt beim Wasser, keine substantiellen Einschränkungen des Vetorechts – damit eng verbunden das Fremden-, Asyl- und Flüchtlingsrecht – und letztlich – und vor allem! – keinen Missbrauch des Artikels 7.

Die Grünen haben das heute bereits zur Sprache gebracht und sich über die Entwicklung in Italien mokiert. Man kann zufrieden oder nicht zufrieden sein mit dem, was geschieht, meine Damen und Herren, aber wir sind, wenn man von einem demokratischen Europa reden will, wirklich dazu verpflichtet, die Entscheidung der Bürger in diesem Land zu akzeptieren. Wenn die Wahlen demokratisch stattfinden, ist es Sache – in diesem Fall – der Italiener, zu entscheiden, wen sie als Regierung wollen. Es ist nicht Sache der Österreicher und schon gar nicht Sache der EU oder jener gekränkten sozialdemokratischen Mehrheit, die sich davor fürchtet, dass die Linke in Europa künftig etwas schwächer sein wird! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Einige wichtige Punkte aus der vorhergegangenen Debatte noch zum Abschluss: Die Agrarfrage und der Protektionismus wurden vom Kollegen Schweitzer bereits angesprochen. Ich bin davon überzeugt, wir werden mit der ÖVP gemeinsam einen gangbaren Weg in diese Richtung finden,


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denn mehr Renationalisierung heißt doch nicht von vornherein, dem Protektionismus Tür und Tor zu öffnen. Es gibt auch andere Bereiche und andere Möglichkeiten, um die Subventionierung in den Griff zu bekommen. Wir werden darüber noch sehr ernsthaft reden müssen.

Zum Kollegen Einem, der gesagt hat, die SPÖ werde ihre Zustimmung geben, sei angemerkt: Das ist sehr erfreulich für uns, allerdings: Ganz so, wie er es dargestellt hat, ist es nicht, denn noch am 3. Mai hat Kollege Gusenbauer festgestellt, dass die SPÖ mindestens zwei konkrete Bedingungen setzen wird, nämlich substantielle und konkrete Schritte zu unternehmen und nicht der Erweiterung entgegenzudämmern. – Das ist allerdings eine No-na-Frage.

Letztlich die Frage des Konvents, bezüglich derer wir uns alle einig sind. Die SPÖ hat sich selbst klugerweise die Latte dafür nicht zu hoch gesetzt. (Abg. Schieder: Meinen Sie, dass wir das nur abzuliefern haben?)  – Nein, das meine ich ganz sicher nicht, Herr Kollege. Ich habe gerade gesagt, ich verstehe durchaus auch das politisch notwendige Geplänkel, das zum Parlamentarismus dazugehört. Ich habe gesagt, die SPÖ hat sich klugerweise die Latte dafür in nicht allzu großer Höhe gesetzt, um hier einen Weg zu finden. Ich hoffe, das wird auch in anderen Bereichen möglich sein.

Abschließend noch eine Bemerkung zu den jüngsten Visionen des deutschen Kanzlers, der einem europäischen Zentralstaat das Wort geredet hat. Dieser Zentralstaat ist nicht unser Europa der Konföderation. Das ist auch nicht das Europa, das in den letzten 2 000 Jahren geschichtlich gewachsen ist, das Europa der Vaterländer, sondern nur ein vorwiegend den Interessen der Bürokratie und auch der Großkonzerne dienendes künstliches Gebilde. Und es wäre keine Heimat für seine Bürger. Gott sei Dank – kann ich abschließend sagen – gibt es da noch das Vetorecht. (Beifall bei den Freiheitlichen sowie des Abg. Dr. Khol. )

12.28

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Dr. Lichtenberger. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 10 Minuten. – Bitte.

12.29

Abgeordnete Dr. Evelin Lichtenberger (Grüne): Sehr geehrte Damen und Herren! Wir befinden uns heute in der Debatte um Nizza, so hoffe ich, an einem viel versprechenden Anfang und nicht bei der Fortsetzung eines Rituals, wie es bis jetzt in dieser Frage betrieben worden ist.

Dieser Anfang ist für mich deswegen notwendig geworden, weil sich meine Vorredner von Seiten der Freiheitlichen in erster Linie darauf beschränkt haben, wieder einmal zu schildern, welche nationalen Interessen Österreich bezüglich Nizza durchsetzen konnte. Wir könnten jetzt auch zum 17. Mal die Debatte darüber führen, ob diese Fragen überhaupt zur Debatte standen beziehungsweise welche Leistungen oder Nichtleistungen wirklich erbracht wurden. Aber ich spare mir das, denn ich möchte ganz gerne ein wenig über die Zukunft in dieser europäischen Debatte reden.

In dieser Zukunftsdiskussion, so glaube ich, muss uns von vornherein Folgendes klar sein: Bei der Umsetzung dessen, was in Nizza beschlossen worden ist, und vor allem bei der Umsetzung dessen, was man global unter dem Post-Nizza-Prozess versteht, stehen die europäischen Länder – und da meine ich nicht nur die derzeitigen Mitglieder der Europäischen Union – vor der anspruchsvollsten Aufgabe, die es seit der Bewältigung der Schäden des Zweiten Weltkrieges gegeben hat.

Diese Aufgabe gering zu schätzen, indem man sie zu einem Spiel nationaler Erfolgserlebnisse auf Miniaturebene macht, halte ich für fahrlässig, wenn ich mir anschaue, was dieses Europa werden kann und was es werden wird, wenn diese Tradition der rein nationalistisch orientierten Auseinandersetzung weitergeht, so wie sie jetzt zu beginnen droht durch einige der Redebeiträge, die ich heute schon gehört habe. (Beifall bei den Grünen.)

Wir haben in der Frage der Reform der Institutionen und der Beitritte der derzeitigen Bewerber gigantische praktische Fragen zu beantworten, auf die ich noch eingehen werde, und gigantische praktische Probleme zu bewältigen.


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Wir haben aber vor allem ein Kernproblem zu diskutieren; das halte ich für mehr als zentral. Ich habe vor kurzem eine Umfrage gelesen, in der gefragt wurde, womit sich die Menschen in Europa identifizieren, womit ihre Identifikation am stärksten ist. Ist es die Stadt, ist es das Land, ist es Österreich, ist es Europa? – Es war sehr aufschlussreich, dass die Identifikation mit Europa bis jetzt äußerst schwach ausgeprägt ist. Und bevor dieses Problem der Identifikation nicht bewältigt ist, wird alles, was wir über Institutionenreform und die Probleme der Beitrittswerber diskutieren, letzen Endes an den Herzen und Hirnen der Menschen vorbeigehen. Deswegen müssen wir in dieser ganzen Debatte – da sind vor allem die Freiheitlichen, aber insbesondere auch die ehemalige Europapartei ÖVP mehr als gefordert – endlich einmal in diesen Bereichen deutlich werden. (Beifall bei den Grünen.)

Wann und unter welchen Bedingungen werden sich die Menschen mit der europäischen Ebene identifizieren können? – Dann, wenn sie sich repräsentiert fühlen! Und damit meine ich die Legitimation der europäischen Ebene und die unterbelichtete Rolle des Europäischen Parlaments im derzeitigen Institutionengefüge, aber ich meine vor allem auch die Menschenrechte und die BürgerInnenrechte, die wir EuropäerInnen alle auf der europäischen Ebene gewährleistet sehen müssen, um uns mit dieser Ebene überhaupt identifizieren zu können und zu wollen. Das halte ich für zentral! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Diese Identifikation mit der europäischen Ebene ist mir ein großes Anliegen, und deswegen ist mir die Umsetzung dieser Charta ein besonderes Anliegen. Hier haben wir die Debatte darüber zu führen, wie wir direkt demokratische Instrumente zum Beispiel auf europäischer Ebene einführen können und wie wir vor allem für den einzelnen Bürger/die einzelne Bürgerin den direkten Zugang zum europäischen Recht verbessern können, sodass man sich nicht einem bürokratischen Konglomerat ausgeliefert fühlt, sondern die europäische Ebene auch als Garantie für seine und ihre Rechte begreifen kann – und zwar legitim begreifen kann. Diese direkten Zugänge müssen geschaffen werden.

In diesen Bürgerinnen- und Bürgerrechten ist eines der ältesten Rechte verankert: Das sind die Grund- und Freiheitsrechte, Meinungsfreiheitsrechte. Ich meine, diese muss man im Lichte der europäischen Entwicklungen heute verstärkt diskutieren.

Wir haben gestern einen ersten Ansatz dieser Debatte anlässlich des § 301 über die drohende Einschränkung – oder schon erfolgende Einschränkung – der Freiheit der Meinungsäußerung geführt, was den journalistischen Bereich betrifft. Ich halte das für eine der dramatischsten Entwicklungen, die hier in Österreich, aber auch in Europa stattfinden. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Wenn Sie sich an die große Auseinandersetzung vor gar nicht allzu langer Zeit in Prag in Bezug auf die Freiheit der Meinung im Fernsehen erinnern, wenn Sie sich daran erinnern, dass ein Streik durch alle europäischen Medien gehen musste, bevor die Meinungsfreiheit und die Freiheit dieses Mediums zumindest in Ansätzen wieder garantiert werden konnten, wenn Sie die Konzentrationsprozesse der europäischen Medienwelt beobachten und die Einschränkung der Meinungsfreiheit, die damit einhergehen kann, zur Kenntnis nehmen, dann müssen Sie alle bemüht sein – mit uns Grünen bemüht sein –, diese Freiheiten zu sichern, denn sie sind unverzichtbar für eine entwickelte europäische und österreichische Demokratie. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Wenn wir in unseren Nachbarstaat Italien schauen und die Medienkonzentration in den Händen eines Herrn Berlusconi erleben, wenn wir uns die Medienkonzerne eines Herrn Murdoch anschauen, muss uns bewusst sein, dass sowohl auf die Garantie der Freiheit der Journalisten auf rechtlicher Ebene als auch auf effiziente Mechanismen gegen diese Konzentrationsprozesse in Zukunft enormer Wert zu legen sein wird.

Zwei Themen, die im Bereich der Osterweiterung beziehungsweise im Bereich der Institutionenreform eine große Rolle spielen werden, möchte ich noch kurz anschneiden. Eines dieser Themen hat Herr Kollege Einem schon angesprochen. Die Verkehrsinfrastruktur und ihre Planung


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für die Verbindungen zu den Beitrittsstaaten wird eine der größten Aufgaben und Herausforderungen sein. Derzeit findet diesbezüglich eine Koordination statt, die gegen null geht.

Wenn man zum Beispiel erfährt, dass mit EU-Förderungen und auf EU-Planungsbasis Schieneninfrastrukturen in Richtung Österreich entwickelt und geplant werden und Österreich auf der gleichen Linie Straßen plant, dann kommt mir das kalte Grausen in Bezug auf die Verkehrszukunft in dieser Region. Das sollten sich die regionalen Abgeordneten in diesem Bereich endlich einmal genau anschauen, und sie sollten entsprechend zukunftsorientiert in die Planungsprozesse einsteigen.

Es wird auch darum gehen, Regelungen betreffend Transitsteigerungsraten zu finden, die die Bevölkerung so nicht hinnehmen kann. Es muss eine viel bessere Nachfolgeregelung für den Transitvertrag geben. Dieser selbst war unzulänglich; das sehen wir leider Jahr für Jahr in der Praxis, wo in Salamitaktik ein Recht nach dem anderen für die Bevölkerung abgeschnitten wird.

Noch ein Wort zur Frage der Sicherheitspolitik. Herr Kollege Spindelegger hat davon gesprochen, wie interessant und notwendig die Debatte darüber sein wird. Ich weise noch einmal darauf hin – meine Kollegin Lunacek hat das schon gemacht –: Die entsprechenden Dokumente, die wir brauchen, um diese Debatte auch führen zu können, werden nicht zugeleitet.

Damit komme ich zum Schluss meiner Ausführungen. Wir hatten gestern ein Gespräch darüber, wie die Debatte über den Nizza-Prozess bis hin zu Laeken geführt werden soll. Dazu wurden einige Vereinbarungen getroffen.

Wenn ich mir anschaue, wie bisher mit den Informationspflichten, die die Regierung gegenüber dem österreichischen Parlament hat, umgegangen wurde, hoffe ich – das muss ich hoffen –, dass sich diese Tradition umgehend ändert. Sonst wird das, was hier immer wieder als "ausgestreckte Hand" bezeichnet wird, nicht effizient sein können, sonst wird das ganz einfach eine "Hand" sein, die bedeutet: Ich gebe dir das, friss oder stirb, sag ja oder nein! Aber so etwas wie eine echte Mitwirkung auf der Basis von Informationen wird unter diesen Bedingungen nicht möglich sein.

Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, einen österreichischen Konsens im Bereich der Weiterentwicklung der Europäischen Union wollen, brauchen wir ein Procedere, das die Opposition einbindet, das das Parlament mit Informationsrechten einbindet, die ausreichend sind, und nicht eine Reduktion auf ein oder zwei Enqueten, die mehr oder minder in erster Linie der Selbstdarstellung der Regierung dienen und in denen für die Stellungnahmen von Vertretern der anderen Parteien, für die Expertenstatements ein Randbereich von zehn Minuten vorgesehen ist. So, Herr Bundeskanzler, wird es nicht gehen! Wir sind bereit zur Mitwirkung auf der Basis von Informationen und eines fairen Umganges miteinander. Wir wollen uns einbringen, aber die Bedingungen, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, müssen stimmen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

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Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Schieder. Ihre Redezeit ist wunschgemäß auf 10 Minuten eingestellt. – Bitte.

12.42

Abgeordneter Peter Schieder (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Verteidigungsminister! Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Gleich zu der Frage, die meine Vorrednerin angeschnitten hat. Ich glaube auch, Herr Bundeskanzler, man sollte sich das anschauen. Es fehlen uns in letzter Zeit manche Berichte. Ich glaube nicht, dass eine Absicht dahintersteckt, ich glaube aber, dass im Übermittlungssystem irgendwo Lücken sind, weil wir bei Kollegen aus anderen Parlamenten sehen, dass sie Berichte haben, die wir nicht haben. Da bei uns alles zu übermitteln ist, ist der Verdacht vorhanden, dass bei uns manches durchgefallen ist und wir manches nicht bekommen haben. Ich bitte Sie, das zu überprüfen.

Wir sind – und ich möchte das noch einmal sagen – sehr zufrieden, dass Sie, Herr Bundeskanzler, und auch der Herr Minister bei dem Punkt über die Weiterführung der Diskussion über


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die Ziele bereit waren, auf das einzugehen, was unser Parteivorsitzender und Klubobmann Dr. Gusenbauer und auch Kollege Einem hier gesagt haben, nämlich dass die Bereitschaft unsererseits besteht, hier eine tief greifende Debatte über die Zielvorstellungen zu führen und den Diskussionsprozess über die Weiterentwicklung weiter voranzutreiben. Die Bereitschaft, in Ihrer Erklärung hier darauf einzugehen, wird von uns positiv aufgenommen.

Nicht so zufrieden sind wir mit manchen Zwischentönen oder Andeutungen, die in dieser Debatte gekommen sind. Wir haben das Gefühl, dass zwar die Bereitschaft zu dieser Debatte vorhanden ist, dass aber hinsichtlich der inhaltlichen Weiterentwicklung der Union eine gewisse Halbherzigkeit und ein gewisses Zögern Platz greifen. Wenn zum Beispiel der erste Sprecher der Freiheitlichen Partei die Aufgaben der EU auf jene Punkte reduziert, die die Frau Vizekanzlerin vor fünf Jahren dargestellt hat, dann scheint mir das zu eingeschränkt zu sein. Und wenn Kollege Spindelegger Schröder plötzlich so interpretiert, dass er sagt, es hätte nur zwei bedeutende Punkte gegeben, nämlich die Sicherheitspolitik und die Renationalisierung, dann befindet er sich im Gegensatz zu allen Kommentatoren und Berichten und dann scheint mir das auch eine bewusste Einschränkung zu sein.

Bezüglich der Sicherheitspolitik bestehen selbstverständlich Wunsch und Bereitschaft, darüber zu sprechen – das hat Kollege Einem schon gesagt, ich wiederhole es noch einmal. Uns scheint es am sinnvollsten zu sein, diese Aspekte gleich im Zusammenhang mit der Debatte über die Verteidigungsdoktrin zu behandeln. Das würde zusammenpassen, denn da geht es auch um die österreichische Haltung, und die Debatte könnte hier gleich unter einem abgeführt werden. Die Bereitschaft hiezu besteht.

Was die Renationalisierung betrifft, so habe ich das Gefühl, dass uns hier Einschränkungen in der bisherigen österreichischen Haltung bevorstehen. Ich glaube, dass auch hier Schröder in ein falsches Licht gebracht wird; seine Kernpunkte waren andere. Auch die Kernpunkte sind im Übrigen von einem Redner kritisiert worden. Ich glaube, man tut Schröder auch hier Unrecht, denn seine wesentlichsten Punkte, nämlich dass es zu einer Stärkung der europäischen Institutionen kommen muss und dass es eine konsequente Verfolgung der Ziele der Integration geben muss, was ja dann in seinem Ausspruch vom "Europa der Menschen" gipfelte, sind Punkte, die auch unsere Ziele sein sollten, auch die Ziele jener sein sollten, die vielleicht seine anderen Ausführungen über die zweite oder dritte Kammer und über die Rolle von gewissen Teilen der Institution kritisieren. Selbst wenn es bei diesen Punkten Kritik gibt, sollte man sich zu diesen generellen Zielen bekennen, und es ist falsch, zu glauben, dass das allein eine deutsche oder eine Schröder-Haltung ist.

Selbst wenn Chirac seit seiner Berliner Rede quasi nichts mehr dazu gesagt hat und selbst wenn sich Jospin sehr kritisch zu den Vorschlägen Schröders geäußert hat, muss man sehen, dass in Frankreich auch eine breite Debatte über diese Fragen begonnen hat, dass die Berater der Minister Bücher dazu veröffentlicht haben, dass hier sehr weitgehende Vorschläge gemacht worden sind, eine Entwicklung gesehen wird, die von einem dieser Berater als die "postnationale Rolle der EU" bezeichnet wird, und dass, ausgehend von den Ideen und Vorschlägen "Kerneuropa" und "Gravitationszentrum", wie es Außenminister Fischer genannt hat, auch der Pioniergruppe Chiracs, den weiteren Überlegungen Delors und auch jener Denker in Frankreich, eine durchaus lebendige Debatte über eine größere Europäisierung der EU stattgefunden hat.

Ich glaube, Österreich sollte hier nicht bloß darüber nachdenken, wie man manches renationalisieren kann, sondern es sollte auch unser Ziel sein, sich Gedanken darüber zu machen, wie die EU mit neuem Leben, mit weiterem Leben, mit mehr Demokratie und mit mehr Nähe zu den Bürgern erfüllt werden könnte.

Zum zweiten Punkt, zur Erweiterungsdebatte, die hier stattgefunden hat. Herr Bundeskanzler! Hier sollten wir ein bisschen darauf achten, was sich beim EU-Außenministerrat in Nyköping abgespielt hat. Wir haben gehört, dass es zu weitgehenden Spannungen zwischen Deutschland und Spanien gekommen ist, dass sich in der Frage Übergangsfristen und Abgeltung durch Milliardenzahlungen aus den Fonds zwei Gruppen gebildet haben, die das Projekt der Übergangsfristen und damit eine Haltung, die auch Österreich eingenommen hat, ziemlich ge


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fährden, dass es dem Sprecher der Interessen, die auch von Österreich vertreten werden, den Deutschen, gelungen ist, Großbritannien, Finnland und Dänemark auf diese Linie zu bekommen, dass sich aber andererseits mit Spanien, Frankreich, Portugal, Griechenland eine starke Gruppe für die Abgeltungen gefunden hat und dass beispielsweise bei Frankreich in der Frage, ob diese Probleme getrennt behandelt werden sollen oder in einem Paket, eine sehr starke Wendung feststellbar gewesen ist.

Ich glaube, es sollte das Parlament auch darüber informiert werden, wie sich das Ganze entwickelt, denn hier sehe ich gewisse Probleme, sehe ich auch, dass vielleicht unsere Taktik oder unsere Kontakte nicht sehr erfolgreich gewesen sind.

Ich teile auch die Sorgen, dass unser Partnerschaftsangebot an die mitteleuropäischen Länder, die eine geschichtliche Wurzel in der Habsburger Monarchie haben, von ihnen eher als eine Ausrede verstanden wird, die kaschieren soll, dass wir in anderen Bereichen sehr hart mit ihnen umgehen. Ich glaube, auch hier sollten wir überlegen, ob wir nicht deutlichere Schritte setzen sollten.

Wie gesagt: Wir bekennen uns zu Nizza, wir sehen manche positive Punkte, wir sehen kritische Punkte. Wenn es so ist, dass dieser ganze Vertrag, wie es ein Redner gesagt hat, die Handschrift dieser Regierung oder dieser Koalition – ich weiß nicht mehr, wie er es gesagt hat – trägt, wenn es also sogar so ist, dass Nizza die Handschrift dieser Koalition oder Regierung trägt, dann würde ich, um in seiner Façon de parler zu bleiben, noch die Bitte an Sie äußern: Wenn das Ihre Handschrift ist, dann schreiben Sie bitte in Zukunft etwas leserlicher, beachten Sie die Orthographie, und schauen Sie, dass sich in jedem Satz auch eine Satzaussage befindet. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

12.51

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner ist Herr Abgeordneter Schwarzenberger zu Wort gemeldet. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 12 Minuten. – Bitte.

12.51

Abgeordneter Georg Schwarzenberger (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Bundesminister! Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Es wurde heute schon öfter wiederholt, dass die Institutionenreform eigentlich die Voraussetzung dafür ist, dass überhaupt eine EU-Erweiterung in Europa durchgeführt werden kann.

Die in der Grundsatzposition der Bundesregierung wie auch in der Stellungnahme des Hauptausschusses vom 6. Dezember 2000 zum Europäischen Rat von Nizza festgelegten Ziele konnten weitgehend durchgesetzt werden. Ich erinnere daran, wir hatten im Hauptausschuss die Diskussion, ob es nach der Erweiterung zu einer Rotation der Kommissare kommen wird, ob Österreich dann noch einen Kommissar wird stellen können. In Nizza ist entschieden worden, dass bis zu einer Größe von 27 Mitgliedern der Europäischen Union jedes Land einen Kommissar wird stellen können. Wenn es dann weitere Mitglieder über diese 27 hinaus geben sollte, wird es wieder eine eigene Entscheidung dazu geben müssen. Die größeren Länder allerdings, die jetzt zwei Kommissare stellen, werden ab dem Jahre 2005 nur mehr einen Kommissar stellen können.

Zur Stimmengewichtung im Rat. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, als im Hauptausschuss die Frage gestellt wurde, ob wir bei einer Reduzierung von vier auf drei oder auf zwei noch die Zustimmung geben würden. Die Stimmengewichtung im Rat mit zehn Stimmen ist im Verhältnis annähernd gleich geblieben, wie es bisher war, denn Deutschland als größtes Land, das zehnmal so viele Einwohner wie Österreich hat, hat 29 Stimmen im Rat.

Ein wichtiger Punkt für uns war auch die Einstimmigkeit, was die Fragen der Raumordnung, was die Fragen der Wasserressourcen, aber auch was die Fragen der Bodennutzung sowie der Energiequellen und was die freie Entscheidung für die Energieversorgung betrifft.


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Auch im Wirtschafts- und Sozialausschuss kann Österreich zwölf Mitglieder stellen. Die größten Länder in der Europäischen Union werden in Zukunft 24 Mitglieder stellen können. Hier sind unsere Länder entsprechend mit vertreten.

Etwas reduziert wurde die Zahl der österreichischen Mandatare im Europäischen Parlament. In Zukunft können von Österreich nur mehr 17 Mandatare gewählt werden, aber immerhin ist für ein österreichisches Mandat im Europäischen Parlament nur rund die Hälfte der Stimmen notwendig, die für ein deutsches Mandat im Europäischen Parlament erforderlich sind.

Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Dieser Tage ist mir eine Broschüre mit dem Titel "Ökosoziale Marktwirtschaft" von Theres Friewald-Hofbauer und Ernst Scheiber in die Hände gekommen. Im Vorwort, unter "Verantwortung für kommende Generationen", ist auf den EU-Gipfel in Nizza Bezug genommen worden. Es heißt hier – ich zitiere wörtlich –:

"Vom EU-Gipfel in Nizza berichteten die Medien im Dezember 2000: ,BSE-Schock rüttelt EU auf: Österreichs Agrarpolitik siegt.‘ Dazu wird die österreichische Delegation zitiert: ,Die Landwirtschaftspolitik als Ganzes steht jetzt zur Diskussion. Weg von Tierfabriken. Zurück zu naturnahen Produktionsweisen. Wir sehen jetzt ein breites Verständnis für die Ökosoziale Landwirtschaft. Das ist genau die Position, die Österreich schon ziemlich früh eingenommen hatte.‘"

Als wir 1987 in die große Koalition eingetreten sind, war das das agrarpolitische Konzept des damaligen Landwirtschaftsministers und späteren Vizekanzlers Joschi Riegler.

Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Ich hoffe aber, dass auch die sozialdemokratischen Regierungen in Europa zu einem Umdenken bereit sind. Es haben ja die realen Sozialisten bereits in den fünfziger Jahren die bäuerliche Landwirtschaft in den osteuropäischen Staaten abgeschafft, und es ist dort bereits die industrielle Landwirtschaft oder die Kolchosenwirtschaft entstanden. Aber auch in der EU ist unter dem Agrarkommissar Sicco Mansholt, einem holländischen Sozialisten, die Einleitung der industriellen Landwirtschaft in Europa versucht worden, mit der Begründung, die Lebensmittel müssten auch in Europa für die Konsumenten billiger werden.

Wenn wir vor etwa 20 Jahren noch 30 Prozent unserer Einkommen für Lebensmittel aufwenden mussten und es jetzt nur mehr 15 Prozent sind, dann ist, so glaube ich, ein Stand erreicht, wo die Lebensmittel wirklich nicht mehr billiger werden können. Man sollte deshalb die industrielle Landwirtschaft nicht noch weiter vorantreiben. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen sowie der Abg. Dr. Moser. )

Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Die österreichische Delegation hat bei der Behandlung der Agenda 2000 nachhaltig die Degression der Marktordnungsprämien verlangt. Wir haben aber leider keine Mehrheit gefunden. Damals hat der deutsche Bundeskanzler Schröder noch gesagt, die Schrebergartenlandwirtschaft in der Alpenrepublik werde keine Zukunft haben, denn auch die Landwirtschaft werde sich industrialisieren müssen. Wir haben aber gehofft, dass mit der Übernahme des Konsumentenschutz- und Agrarreferates durch die grüne Ministerin Künast in Deutschland diesbezüglich eine Änderung eintreten könnte.

Bisher, sage ich ganz offen, wurden wir enttäuscht. Es gab bereits die Diskussion, die Rinderproduktion in Europa einzudämmen, weil vermutet wird, dass der Rindfleischkonsum nachhaltig geringer werden wird – Kommissar Fischler hat als Obergrenze 90 Tierprämien pro Betrieb vorgeschlagen. Interessanterweise war es die deutsche grüne Ministerin Künast, die diese Einschränkung ganz massiv kritisierte und zu verhindern versuchte. Am 24. April, vor zwei Wochen, ist im Europäischen Parlament, im Landwirtschaftsausschuss, über dieses Thema abgestimmt worden, und leider hat sich eine große Mehrheit, alle deutschen Abgeordneten, auch die Grünen und die Sozialdemokraten, gegen die Einführung einer Obergrenze bei den Tierprämien ausgesprochen. (Abg. Prinz: Schau, schau!) Hier wäre den österreichischen Sozialdemokraten zu empfehlen, in Deutschland etwas an "Entwicklungshilfe" zu leisten.


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Wir haben die zweite Säule der Agrarpolitik, die ländliche Entwicklung, genützt, um mit der Einführung eines Sockelbetrages für die kleinstrukturierten Bergbauernbetriebe in Österreich die kleineren Betriebe und damit teureren Produktionsweisen etwas zu unterstützen. Aber interessanterweise hat kein anderes Land der 15 EU-Mitgliedsländer diese Chance wahrgenommen, obwohl die Hälfte dieser Kosten von der EU im Rahmen der ländlichen Entwicklung ersetzt wird. Daran sieht man schon, dass es noch gravierende Unterschiede in diesem Bereich gibt.

Aber es gibt natürlich auch gravierende Unterschiede zwischen der österreichischen und der deutschen Sozialdemokratie. Und nichts könnte diese Unterschiedlichkeit besser widerspiegeln als die folgenden Zitate von Aussagen zweier Parteichefs, die zu gleicher Zeit, nämlich Anfang April, gemacht wurden.

Am 4. April 2001 erklärte der SPÖ-Vorsitzende Alfred Gusenbauer: "Die SPÖ schlägt eine Grundsicherung ohne Arbeit in der Höhe von 8 437 S mit Rechtsanspruch vor."

Fast zur gleichen Zeit, nämlich zwei Tage später, am 6. April, kam aus Deutschland folgende Aussage: "Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft. Wer arbeiten kann, aber nicht will, der kann nicht mit Solidarität rechnen."

Wer, glaubt ihr, hat diesen Ausspruch getan? – Es war der deutsche Bundeskanzler Schröder! (Abg. Auer: Wer? Schröder? Das glaub’ ich nicht!) Hier sind also grundsätzliche Unterschiede vorhanden. (Abg. Dipl.-Ing. Kummerer: Heißt das, jeder Sozialhilfeempfänger ist faul?) Ich habe nur Aussagen, die in den Medien nachzulesen sind, aus der APA zitiert.

Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Zur EU-Erweiterung: Die EU hat zum Kapitel Landwirtschaft im Hinblick auf die Erweiterung noch keine endgültige Position bezogen, sowohl was die Direktzahlungen und die Mengenbeschränkungen, aber auch was die Darstellbarkeit der Daten, die in Zukunft für die Quoten herangezogen werden, betrifft.

Wenn wir Binnenmarktregelungen haben wollen, dann müssen gleiche Voraussetzungen vorhanden sein. Die Konsumenten erwarten immer strengere Produktionsvorschriften, zum Beispiel bei den Umwelt-, Veterinär-, Hygiene-, Phytosanitär- und Tierschutzstandards. Die Teilnahme am Binnenmarkt setzt aber voraus, dass für alle Produzenten die gleichen Regelungen gelten, da es ansonsten im Wettbewerb zu wesentlichen Verzerrungen kommt.

Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Wer die Geschichte Europas betrachtet, wer sich die vielen Kriege der letzten Jahrhunderte in Erinnerung ruft, der weiß, wie notwendig der Bau eines gemeinsamen Hauses Europa ist, innerhalb dessen es zwar unterschiedliche Räume, aber keine versperrten Türen mehr gibt. Wie heißt es doch in der zweiten Strophe unserer Bundeshymne: "Heiß umfehdet, wild umstritten, liegst dem Erdteil du inmitten, einem starken Herzen gleich."

Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Wir Österreicher haben hier noch eine große Aufgabe vor uns! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

13.02

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Kurzmann. – Bitte.

13.02

Abgeordneter Dr. Gerhard Kurzmann (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Der Vertrag von Nizza ist aus österreichischer Sicht zweifellos als Erfolg zu bewerten, weil die Bundesregierung dort unsere Interessen sehr nachdrücklich und erfolgreich vertreten hat. Hätte Abgeordneter Gusenbauer am Treffen der Staats- und Regierungschefs in Südfrankreich teilgenommen, dann wäre wohl zu befürchten gewesen, dass er mit den Befürwortern der Sanktionen wieder champagnisiert und auf die Wahrnehmung der österreichischen Interessen vergessen hätte. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)


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Vielleicht wäre seine Vision die Übernahme eines europäischen Zentral- und Superstaates gewesen, die wir aber nachdrücklich ablehnen.

Meine Damen und Herren! Wir brauchen für die Zukunft Europas weder die unausgegorenen verbalen Schnellschüsse eines Joschka Fischer, noch die flotten Sprüche eines Gerhard Schröder, der sich – und das wird sicher auch Herr Abgeordneter Schieder nicht bestreiten – in Nizza gegen die Franzosen wieder nicht durchsetzen konnte.

Unser Bild eines geeinten Europas ist das der Gründungsväter der Europäischen Union – eines Konrad Adenauer, eines Robert Schuman oder auch eines Charles de Gaulle –, ein Europa der Vaterländer und keine gleichgeschaltete Union der europäischen Staaten, womöglich in der Form eines zentralistischen Bundesstaates. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Aus österreichischer Sicht kann man mit dem Ergebnis von Nizza durchaus zufrieden sein, denn die Bundesregierung hat die österreichischen Interessen, insbesondere die für Österreich sensiblen Bereiche wirkungsvoll verteidigt und auch das Verhandlungsmandat des Parlamentes durchgesetzt.

Die Ausdehnung der Mehrheitsentscheidungen ist in jenen Bereichen erfolgt, wo das sinnvoll war; Mehrheitsentscheidungen wurden allerdings nicht zur Regel. In den sensiblen Bereichen der Einwanderungspolitik, der Asyl- und der Flüchtlingspolitik, aber auch der Wasserbewirtschaftung, der Raumordnung und der Bodennutzung ebenso wie in wesentlichen Verkehrsfragen blieb die Einstimmigkeit als Prinzip erhalten.

Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass die Sozialdemokratie und auch die Grünen für die Aufgabe des Einstimmigkeitsprinzips in der Asylpolitik und die Grünen auch bei der Wasserbewirtschaftung waren.

Das Prinzip der Einstimmigkeit wird weiterhin aufrechterhalten bei Rechtsakten mit konstitutioneller Natur, aber auch bei Rechtsakten, die der nationalen Ratifizierung bedürfen. Die Wasserwirtschaft habe ich schon erwähnt: Österreich kann damit in diesem Bereich nicht mehr überstimmt werden; das ist jetzt klarer geregelt als im alten Vertrag von Amsterdam. Auch in den Bereichen der Bodennutzung, der Raumordnung, der Wahl der Energieträger, aber auch was die Grundsätze der Verkehrsordnung, also grundlegende Entscheidungen der Verkehrspolitik betrifft, gilt das Prinzip der Einstimmigkeit. Und, was für uns im grenznahen Bereich besonders wichtig ist, auch die Grundsätze der Asyl-, Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik unterliegen weiterhin der Einstimmigkeit.

Das heißt, die Bundesregierung hat in allen heiklen Fragen sicherstellen können, dass nicht über die Köpfe der Österreicherinnen und Österreicher hinweg entschieden werden kann. Die Abschaffung des Vetorechtes, die ja von manchen vertreten wurde, ist in Nizza nicht erfolgt.

Was die Stimmgewichtung betrifft, so ist festzuhalten, dass es lediglich eine maßvolle Aufwertung der großen Mitgliedstaaten als Ausgleich für den Verzicht auf einen zweiten Kommissar gegeben hat. Die Beschlüsse kommen mit einer Mindestzahl von 258 der insgesamt 345 Stimmen zustande. Was die Frage der Sperrminorität betrifft, so gibt es – und das ist auch sehr erfreulich – keine Sperrminderheit für drei große Mitgliedstaaten. Wenn alle Kandidaten beigetreten sein werden, dann steigt die Sperrminorität von 88 auf 91 Stimmen.

Darüber hinaus wurde sichergestellt, dass eine qualifizierte Mehrheit immer die Mehrheit der Mitgliedstaaten umfasst. Weiters kann ein Mitglied des Rates bei der Beschlussfassung beantragen, dass festgestellt wird, ob diese qualifizierte Mehrheit mindestens 62 Prozent der Gesamtbevölkerung der Union umfasst. Falls dies nicht erfüllt ist, dann kommt der betreffende Beschluss nicht zustande.

Von ganz grundlegender Bedeutung war für uns Österreicher aber auch die Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit bei dem berühmten Artikel-7-Verfahren. Diesbezüglich sind die österreichischen Vorstellungen zur Gänze verwirklicht worden. Es kann, wie das einige Vorredner schon


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angemerkt haben, keine willkürlichen Sanktionen, wie wir sie in der Vergangenheit erlebt haben, gegen unser Land mehr geben. Es kann auch keine Kurzschlusshandlungen in diesem Ausmaß, wie wir sie zur Kenntnis nehmen mussten, mehr geben, denn das Europäische Parlament muss zustimmen.

Es ist weiters das rechtliche Gehör des Betroffenen in allen Verfahrensstufen gesichert, und es ist die Begründungspflicht bei einem solchen Schritt vorgesehen. Darüber hinaus ist festgelegt, dass die Entscheidungen künftig auch angemessen sein müssen.

Eine nachprüfende Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof auf Antrag des betroffenen Mitgliedstaates betreffend die Einhaltung der Verfahrensregeln wurde ebenfalls festgelegt.

Für uns Österreicher – ich habe das schon angemerkt – haben natürlich die Grenzregionen eine ganz besondere Bedeutung, vor allem im Falle der Erweiterung der Europäischen Union. Die Chancen, aber auch die Risken sind natürlich für die Grenzgebiete besonders groß. Daher ist es uns ein besonderes Anliegen, die Grenzregionen bei der Abwendung der Risikofaktoren optimal zu unterstützen. Beim Europäischen Rat in Berlin wurden 5 Milliarden Schilling – natürlich mit der Kofinanzierung – für die Grenzregionen ausverhandelt. Auf österreichischen Vorschlag hin wurde beim Europäischen Rat in Nizza die Europäische Kommission beauftragt, ein Programm zur Festigung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit der Grenzregionen vorzuschlagen, und es wird sehr wichtig sein, dass wir uns bei der Erarbeitung dieser Vorschläge sehr intensiv einbringen.

Ich komme zum Schluss. Der Hauptredner der Sozialdemokratie, Herr Abgeordneter Gusenbauer, hat von einer Provokations- und Irritationsstrategie der österreichischen Bundesregierung gesprochen. Ich habe versucht, herauszuhören, was er damit überhaupt meint; das ist aber gar nicht so leicht. Angeblich sorgt das Konzept der strategischen Partnerschaft bei ihm und – seinen Aussagen zufolge – bei den Nachbarstaaten für Verwirrung. Es ist natürlich das gute Recht von Herrn Abgeordnetem Gusenbauer als Oppositionsführer, abweichende Auffassungen in der Außenpolitik gegenüber der Regierung zu vertreten, aber von einer Provokations- und Irritationsstrategie Österreichs zu sprechen, ist schlichtweg falsch, maßlos übertrieben und letztlich auch irreführend. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Worin soll denn diese Provokation und diese Irritation bestehen? Was meint Gusenbauer – der auch jetzt nicht im Saal ist – eigentlich? Soll Österreich auf die Wahrnehmung seiner berechtigten Interessen verzichten und sich ausschließlich an den Wünschen der Kandidatenländer orientieren? – Ich meine, das kann es nicht sein.

Wir, die Regierungsparteien, meine Damen und Herren, verstehen uns in erster Linie als Anwälte Österreichs und nicht als Fürsprecher ausländischer Interessen! – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

13.11

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Mag. Stoisits. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 8 Minuten. – Bitte.

13.11

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erste Lesungen sind in diesem Haus oft eher verschlafene Diskussionen. (Abg. Auer: Wieso? Haben Sie geschlafen bis jetzt?) Das Interesse der Abgeordneten ist auch nicht gerade ein überwältigendes, wie ich feststelle. (Abg. Dr. Krüger: Es sind eh zwei Grüne da!) Diese Feststellung bezieht sich auf alle Fraktionen. Ich nehme die grüne Fraktion nicht aus, aber die grüne Fraktion ist mit fünf Abgeordneten zu einem extrem hohen Prozentsatz vertreten. (Abg. Dr. Krüger: Seit 30 Sekunden!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mir, gerade weil es eine erste Lesung ist, die berechtigte Frage von Frau Kollegin Lunacek – auch von Frau Dr. Lichtenberger, glaube ich, wurde sie schon angesprochen – noch einmal vor Augen geführt, bei der es darum geht, ob das


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Parlament eigentlich alle entsprechenden Unterlagen zur Verfügung hat, um nach einer ersten Lesung auch quasi in diesen Meinungsbildungsprozess eintreten zu können.

Nun habe ich diese Angelegenheit im ersten Augenblick von der Dimension her noch gar nicht als so gewaltig eingeschätzt, denn es kann schon einmal vorkommen, dass nicht alles vorliegt. Und es ist auch tatsächlich schon vorgekommen, dass sich der Nationalrat eine Meinung bilden sollte und nicht alle entscheidenden Grundlagen dafür hatte.

Aber, Herr Bundeskanzler – wir von der grünen Fraktion haben das ja schon mit Ihnen diskutiert –, was mir im Zusammenhang mit dieser Frage betreffend den in diesem Klammerausdruck auf Seite 51 der Regierungsvorlage angeführten "Bericht des Vorsitzes mit Anlagen", der dem Nationalrat, zumindest der grünen Fraktion, nicht vorliegt, sehr – erlauben Sie mir, dieses Urteil so zu formulieren – seltsam vorkommt, ist der Umstand, dass sich das gerade auf ein Kapitel bezieht, bei dem es um die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik geht, ein Thema, das vielleicht in einem Land wie Deutschland oder Frankreich nicht jene Dimension hat – auch nicht auf parlamentarischer Ebene – wie in Österreich, weil es dabei nämlich um die essentiellen Fragen der österreichischen Neutralitätspolitik geht.

Gerade zu dieser Frage, bei der es um die Beurteilung geht, wie sich das auch alles entwickelt, gibt es einen "Bericht des Vorsitzes mit Anlagen", der auch eine Entscheidungsgrundlage darstellt, im Parlament nicht. Er wurde auch nicht gemäß Artikel 23e B-VG dem Parlament zugeleitet.

Dafür gibt es für mich als Abgeordnete eigentlich nur zwei mögliche Erklärungen: Entweder die Regierung, die Regierungsvertreter oder die mit der Vorbereitung dieses Aktes Befassten machen das bewusst, wissentlich, willentlich und halten Unterlagen, die zur Verfügung stehen und die es gibt, zurück und verweigern damit sozusagen dem Parlament – in diesem Fall kann ich mich nur auf die Opposition beziehen, denn die Regierungsparteien haben ja auch andere Informationsmöglichkeiten – Einsichtnahme und Kenntnis. – Das ist die eine Interpretation, die nicht ganz unplausibel ist, wenn wir wissen, wie heikel die Fragen in der Neutralitätsdiskussion sind.

Die andere Möglichkeit ist, dass die Mitglieder der österreichischen Bundesregierung bei ihren diversen Teilnahmen an europäischen Veranstaltungen, wie etwa Ministerräten, die Unterlagen jeweils gar nicht so genau vorliegen haben oder sie gar nicht so genau studiert haben oder dass sie, wie der Herr Verteidigungsminister, der hinter mir sitzt, der seit Nizza ... (Abg. Schwarzenberger: Nein, der Bundeskanzler sitzt hinter Ihnen!)  – Ach, jetzt ist er gerade weg, aber eben vorher ist er noch da gesessen. Herr Bundeskanzler, Ihre Anwesenheit hier ist mir aber noch viel wesentlicher (Abg. Auer: Das ist schön, dass Sie das zu schätzen wissen!), denn der Herr Verteidigungsminister untersteht ja in gewisser Hinsicht auch Ihnen. Sie müssen alles wissen, denn Sie sind im Wesentlichen derjenige, der im Ministerrat vertreten ist.

Es könnte also auch so sein, dass er das selbst gar nicht kennt, was dieser "Bericht des Vorsitzes mit Anlagen" darstellt. Dann frage ich mich aber: Was tut er dort bei den Ministerräten und auch in Nizza, wo Österreich ja, wie wir heute schon "blumenreich" gehört haben, alles bestimmt hat und alle Interessen durchgesetzt hat und wo doch in diesem Vertrag quasi die österreichische Handschrift erkennbar ist?

Irgendwie passt das alles nicht zusammen, Herr Bundeskanzler, denn es gibt nur diese zwei Möglichkeiten: Entweder Sie sind nicht informiert – jetzt meine ich nicht Sie persönlich, sondern Sie als Regierung –, dann kann auch das Parlament nicht informiert sein; oder Sie sind informiert und halten diese Informationen mit Absicht und wissentlich zurück. – Nur diese zwei Erklärungen kann es geben. (Zwischenruf des Abg. Böhacker. )

Das sei nur kurz angemerkt, damit man ein bisschen ein Bild davon bekommt, wie Meinungsbildung und Diskussionsprozesse auf parlamentarischer Ebene organisiert sind und auch davon, wie in diesem Prozess der Meinungsbildung die Möglichkeiten der Opposition aussehen – die nicht in Ministerräten vertreten ist, die nicht den Zugang zu all diesen Unterlagen hat, den die


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Regierungsparteien haben, und die auch nicht die Ressourcen hat, die notwendig wären, um sich diese selbst zu organisieren.

Mir ist – und das ist eigentlich der wirkliche Grund meiner Wortmeldung – die Frage der Erweiterung der Union – und die hat mit Nizza wahrlich viel zu tun – ein wesentliches Anliegen, vor allem auch als Burgenländerin. Wenn es nun aber um die Frage geht, was – unabhängig von Nizza und vom Ratifikationsprozess – von österreichischer Seite getan wird, um uns selbst, sprich unsere Bevölkerung, aber auch unsere Nachbarbevölkerung auf jenen Zeitpunkt vorzubereiten, zu dem dieser Prozess zu einem Abschluss kommt – ich hoffe, dass dies sehr bald der Fall sein wird –, so orte ich da gröbste Mängel. Ich orte nicht nur gröbste Mängel, sondern ich orte sogar gröbsten Boykott und gröbstes Dagegenarbeiten, wenn es um Versuche geht, vor allem diese Vorstellungen und Ängste, die es in erster Linie noch im Kopf gibt, abzubauen.

Im Burgenland sind wir ja in der makabren Situation, dass jene Partei, die die Handschrift des Vertrages von Nizza für sich beansprucht, weil sie Teil der Regierung ist, nämlich die FPÖ, via Volksbegehren gegen die EU-Erweiterung vorgeht! Ich meine, das kriegt sowieso niemand in einem Kopf zusammen, denn das ist ja so schizophren! Aber das ist etwas, wenn man so will, Burgenländisches, etwas "Burgenländische FPÖ-Mäßiges". (Abg. Ing. Westenthaler: Das ist Rassismus! Lassen Sie die Burgenländer in Ruhe! – Abg. Schwarzenberger: Was haben Sie gegen die Burgenländer?)

Der Herr Bundeskanzler hat sich ja noch nie sehr dezidiert und sehr erklärt damit auseinander gesetzt. Ich gehe davon aus, dass das wieder einmal auch damit zu tun hat, dass er zu vielen Dingen schweigt. So wie er zur Frage der freien Meinungsäußerung schweigt, schweigt er auch zum anti-europäischen, anti-demokratischen, anti-österreichischen Vorgehen der Freiheitlichen im Burgenland. Aber bitte, er ist trotzdem, meine Damen und Herren, mein Bundeskanzler, denn ich habe nur diesen einen, auch wenn ich Burgenländerin bin. (Heiterkeit und Beifall bei den Grünen. – Abg. Schwarzenberger: Er ist der beste, den wir haben können!)

Deshalb bitte ich Sie inständig, Herr Bundeskanzler: Tun Sie alles, um sicherzustellen, dass die Chancen für die Burgenländerinnen und Burgenländer, für unsere Freunde und Nachbarn – noch jenseits der EU-Grenze, bald nur mehr jenseits der nationalen Grenze –, dass die Perspektiven und die Chancen für unser Land – um auf diesen österreichischen, patriotischen Reflex der Freiheitlichen anzuspielen – gewahrt werden!

Ich sage Ihnen nämlich ehrlich, meine sehr geehrten Damen und Herren: Ich vertraue auf uns alleine nicht, und ich habe die große Befürchtung, Herr Bundeskanzler, dass genau diese Chancen weitgehend ungenutzt bleiben könnten, wenn das Burgenland, das seit 80 Jahren das schwere Schicksal hat, ein Land an der Grenze zu sein – auch heute noch: heute bildet es die Schengen-Grenze –, was in diesen 80 Jahren Trennung, Isolierung, Abschottung und Aufbau von sprachlichen Barrieren bedeutet hat, nicht intensiv und mit der Unterstützung von Ihnen, von der Bundesregierung und mit der Rückendeckung aus ganz Österreich beginnt, diese positiven Aspekte der Erweiterung der Union und dieses Zusammenwachsens zu erkennen.

Dabei geht es um die Köpfe der Einzelnen, dabei geht es aber auch um ganz konkrete Dinge wie um die Vorbereitung des Arbeitsmarktes, darum, dass die Klein- und Mittelunternehmen diese Chancen, die es da gibt, erkennen können und sich auch entsprechend vorbereiten, weil dieser Prozess natürlich auch Risken in sich birgt. Doch wie lautet ein schönes chinesisches Sprichwort: Wenn der Wind des Wandels weht, dann ist es möglich, Mauern zu errichten oder Windmühlen.

Als Grüne kann ich nur sagen, Herr Bundeskanzler: Ich bin immer nur für Windmühlen und nicht für Mauern! – Danke. (Beifall bei den Grünen.)


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70. Sitzung / Seite 73

13.20

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Verzetnitsch. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 8 Minuten. – Bitte.

13.20

Abgeordneter Friedrich Verzetnitsch (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Hohes Haus! Wenn man den Vertrag von Nizza betrachtet, merkt man, dass eines mehr denn je sichtbar wird: Die Gestaltung Europas lässt sich in der bisherigen Form sicherlich nicht fortführen!

Wie das Europäische Parlament in einem Bericht feststellte: Zehn Monate lang, hinter verschlossenen Türen verrammelt, über einen Vertrag zu diskutieren, ohne die Öffentlichkeit einzubinden, ist für Europa nicht zukunftsträchtig.

Daher bin ich der Überzeugung, dass sich auch diese Debatte nicht nur auf institutionelle Fragen beschränken darf, sondern Fragen der Sicherheit, Fragen vor allem – aus meiner Sicht – der Beschäftigung absolut miteinschließen muss und diese in diesem Prozess auch ihren Niederschlag finden müssen.

Es ist bedauerlich, dass es nicht gelungen ist, die Grundrechts-Charta, die auch in unserem Lande diskutiert wurde, in diesen Vertrag mit aufzunehmen. Dieser Hinweis, dass man das de facto sowieso anerkenne, bringt dem einzelnen Bürger in der Rechtsdurchsetzung überhaupt nichts, auch wenn das oberste EU-Gericht sagt, sie werden das de facto anerkennen. Es ist ja nicht einmal gelungen, in den europäischen Vertrag einen Verweis darauf aufzunehmen, dass man sich an der revidierten Sozialcharta des Europarates orientieren kann. – Nicht einmal das war möglich!

Ich meine, dass das schon ein deutliches Zeichen dafür ist, dass es mehr denn je notwendig ist, die Themenstellung Europas auf eine andere Ebene zu bringen.

Es ist heute schon darüber gesprochen worden, dass man im so genannten Post-Nizza-Prozess, Vorbereitung für 2004, eine stärkere Einbindung der Öffentlichkeit plant. – Ich bin der Ansicht, dass es notwendiger denn je ist, auch da deutlichere Signale in der Öffentlichkeit zu setzen, wie man das denn tatsächlich angehen möchte.

Ich glaube, dass wir uns durchaus ein Beispiel daran nehmen könnten, was ab dem Jahre 1993 bis zum Jahre 1995 in Österreich sehr intensiv geführt wurde, nämlich eine umfassende Debatte vor unserem EU-Beitritt, und zwar unter Einbindung aller möglichen Gruppen – egal, ob diese diesem Prozess kritisch oder positiv gegenüberstanden. Die bisherigen institutionalen Diskussionen dazu sind nicht ausreichend, und ich meine, dass auch die Bemühungen um eine öffentliche Debatte über die Grundrechts-Charta in Österreich im vergangenen Jahr gezeigt haben, dass all das nicht ausreicht, dass wir da also eine wesentlich breitere Basis erreichen müssen, wenn es hiefür wirklich Zustimmung geben soll. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Natürlich – ich habe das schon erwähnt – geht es mir vor allem auch um die Frage der Beschäftigung. Wie stellt sich Europa im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, die Arbeit suchen beziehungsweise Arbeit haben, dar? Da wird zum Beispiel für die bestimmende Politik in Europa nach wie vor das Geldmarkt-Kriterium angewandt, nämlich: Preisstabilität, Budgetdefizit, Staatsverschuldung, Zinsen und Wechselkurse. Seltsamerweise gelingt es nicht – trotz intensivster Debatten und trotz vorhandener Probleme! –, das Thema "Beschäftigung" auf die gleiche Ebene zu stellen, wie das zum Beispiel bei der Geldmarktstabilität in ganz Europa immer wieder der Fall ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Warum gelingt es nicht, Beschäftigung als Kriterium genauso aufzunehmen wie zum Beispiel die Zinsenpolitik? Können wir uns damit zufrieden geben, dass in den letzten Jahren in der Europäischen Union 7,2 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen wurden? Diese Tatsache ist, rein statistisch gesehen, ein schöner Erfolg, dennoch muss man sich auch die Frage stellen: Welche 7,2 Millionen Arbeitsplätze wurden denn da geschaffen? Wir können das ja hier bei uns in Österreich auch feststellen: Zunahme an geringfügiger Beschäftigung, Zunahme an Teilzeitbeschäftigung und im Großen und Ganzen nicht gerade eine hohe Qualifikation. – Ich meine daher, dass die Frage der Beschäftigung nicht ausschließlich von den Beschäftigtenzahlen her gesehen werden darf.


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Wir sollten uns aber auch damit nicht zufrieden geben, zu sagen: 7,2 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze! Vergessen Sie nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren: Würden wir alle Arbeitslosen – jetzt allein auf den EU-Raum beschränkt –, rein theoretisch natürlich, in einem Land zusammenführen, so würde das die achtgrößte "Nation" der Europäischen Union darstellen: alle jedoch ohne Arbeit, ohne Beschäftigung!

Welche wirtschaftspolitischen Initiativen wären normalerweise notwendig, hätte man einen Markt von rund 12 Millionen Menschen vor sich, den man penetrieren, auf dem man Produkte verkaufen möchte? – Da wären meiner Meinung nach die gleichen Anstrengungen notwendig, anstatt dauernd nur über Preisstabilität, Budgetdefizit, Struktur, Staatsverschuldung, Zinsen und Wechselkurse zu reden. Das Thema "Beschäftigung" ist doch bitte keines, das man unter den Tisch kehren darf!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieses wichtige Thema ist besonders interessant, und zwar auch im Zusammenhang mit einer EU-Erweiterung, haben es doch diese beitrittswilligen Staaten sozusagen mit doppelter Betroffenheit zu tun, denn: Auf der einen Seite verlangt man von ihnen, ihre gesamte Budgetpolitik auf die Wirtschaftsstruktur der EU auszurichten, also wieder: Budgetrestriktion, Preisstabilität, Staatsverschuldung, Zinsen und Wechselkurse – auf der anderen Seite aber fehlen gerade diesen Staaten jene Geldmittel, die für den Aufbau einer notwendigen Infrastruktur und für eine Weiterentwicklung der Wirtschaft notwendig wären.

Ich meine, wir sollten uns weder mit den bisherigen Kriterien noch mit den bisherigen Subventionsvorgaben zufrieden geben. Diese Länder merken doch auch sehr deutlich – das vergangene Wochenende hat das wieder gezeigt –, dass sie in Wirklichkeit doch immer wieder geradezu zu einem Spielball gemacht werden! – Spanien beispielsweise benutzt jede europäische Debatte dazu, zu sagen: Wir brauchen mehr Geld, wir brauchen mehr Geld!

Durchaus überlegenswert wäre doch der Gedanke, ob wir nicht sozusagen ein "Modell neu" in die europäische Diskussion einbringen sollten, einen "neuen Marshall-Plan", eben auf Europa aufbauend, einen Marshall-Plan, von dem die österreichische Wirtschaft und österreichische Arbeitnehmer sogar heute noch profitieren. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute wurde auch von der rechten Seite dieses Hauses gesagt: Vielleicht wird einmal der ÖGB seine beziehungsweise die Arbeiterkammer ihre Politik ändern. – Herr Kollege Spindelegger, vielleicht könnten Sie sich einmal daran orientieren, was heute bei der Arbeiterkammer-Vollversammlung Ihr Parteikollege und Wiener ÖAAB-Obmann gesagt hat, nämlich: Es sei für ihn völlig unverständlich, dass der Kurs der Arbeiterkammer und des Herrn Tumpel kritisiert wird, denn das sei der richtige Kurs.

Darüber hinaus hat Ihr Wiener ÖAAB-Obmann Gajdosik auch noch gesagt, dass es für ihn völlig unverständlich ist, dass die ÖVP/FPÖ-Regierung bei den Unfallrenten diesen Weg eingeschlagen hat. – Ihr Parteikollege, Ihr ÖAAB-Funktionär in Wien, Gajdosik, hat das heute ganz konkret bei der Arbeiterkammer-Vollversammlung gesagt! – Offensichtlich gibt es innerhalb des ÖAAB im Zusammenhang mit dieser Politik doch auch andere Meinungen als die Ihre, Herr Kollege Spindelegger!

Wenn von den Gewerkschaften, wenn von der Arbeiterkammer aufzeigt wird, wo und wie es um die verschiedensten Betroffenheiten geht, dann sollte doch bitte nicht so leichtgläubig gesagt werden: An das Thema EU-Erweiterung kann man doch lockerer herangehen! (Zwischenruf des Abg. Ing. Westenthaler. )

Halten wir doch fest, dass zum Beispiel im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung auch die Frage bezüglich Tages- und Wochenpendlern eine ganz entscheidende, und zwar für alle Wirtschaftsräume, darstellen wird. In Österreich bilden sich manche ein, na ja, sie werden schon Arbeitskräfte aus dem Ausland bekommen.

Gestern Abend sagte im Wiener "RadioKulturhaus" der Professor für Bevölkerungswissenschaft, Dr. Rainer Münz: Ganz Europa hat das gleiche Problem!


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Meine ungarischen Kollegen haben mir vor zwei Wochen gesagt: In Ungarn brauchen wir 50 000 zusätzliche IT-Kräfte! – Ich stelle daher die Frage: Wie sollen wir denn da beispielsweise ungarische Fachkräfte nach Österreich holen, wenn Ungarn selbst 50 000 zusätzlich braucht, diese aber zurzeit nicht bekommt?!

Errichten Sie da also bitte keine potemkinschen Dörfer – und sagen Sie auch nicht, dass Probleme auf dem Arbeitsmarkt sowieso leicht gelöst werden könnten!

Da Herr Abgeordneter Stummvoll gemeint hat, mit diesem Problem sollten wir doch etwas "lockerer" umgehen: Die Wirtschaftskammer selbst hat eine Studie über den Arbeitskräftebedarf in den nächsten Jahren gemacht. Ergebnis: Der Bedarf an ausländischen Kräften ist niedriger als jener, der via Kontingentverfahren jährlich zuerkannt wird. Das zeigt eine Statistik der Wirtschaftskammer auf! – Stellen Sie daher nichts Unrichtiges in der Öffentlichkeit dar!

Interessant ist – und ich bin eigentlich sehr froh darüber –, dass jetzt erkannt wird, dass auch Dienstleistungsfreiheit Betroffenheit erzeugen kann. Dazu eine Studie der Wirtschaftskammer Oberösterreich – am Beginn war das nicht so klar, da wurde gesagt: Grenzen auf, überhaupt kein Problem! –:

Es ist notwendiger denn je, in der Bauwirtschaft, im Tourismus, im Fremdenverkehr, aber auch bei den Kfz-Reparaturen die Dienstleistungsfreiheit genau zu beachten, weil es durch eine überzogene und rasche Öffnung zu Wettbewerbsverzerrungen kommen kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, daher unsere Kritik: Übergangsfristen von sieben Jahren bei einer EU-Osterweiterung sind zu wenig. Wir brauchen klare Kriterien, wir brauchen einen Screening-Prozess – und wir brauchen vor allem konkrete, grenzüberschreitende Maßnahmen, um diesbezüglich zu einer Lösung zu kommen, sonst können wir da in Wirklichkeit nie weiterkommen! (Abg. Ing. Westenthaler: Sehr interessant ...! – Weiterer Zwischenruf bei den Freiheitlichen.)  – Das ist nichts Neues!

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der ÖVP, weil Sie hier diese 80 Prozent angesprochen haben. – Nennen Sie mir doch ein anderes Mittel, wenn die EU selbst in all ihren Studien feststellt: Einkommensunterschiede führen zu Wanderungsbewegungen! Nennen Sie mir doch ein anderes Mittel! – Ich sage Ihnen, dass das ganz einfach ist: Sorgen wir doch dafür, dass auch in EU-beitrittswilligen Staaten der Wohlstand steigt! Sorgen wir dafür, dass auch dort die wirtschaftliche Entwicklung steigt  – und nicht ein Weg eingeschlagen wird, der in Wirklichkeit in eine ganz andere Richtung führt!

Letzte Bemerkung, da hier die Handelspolitik angesprochen wurde, auch zum Vertrag von Nizza gehörend: Es ist uns dort leider nicht gelungen, eine Entwicklung hintanzuhalten, eine Entwicklung, mit der wir uns hier in diesem Hause wahrscheinlich sehr rasch wieder beschäftigen werden müssen. Für den heurigen Sommer gibt es Ansätze zu einer neuen WTO-Verhandlung. Ich bin schon gespannt darauf, welche Haltung die österreichische Bundesregierung dazu einnehmen wird; Einstimmigkeit wird es da nicht mehr geben. Und: Wie wird es zum Beispiel bei den multilateralen Investitionsschutzabkommen sein, wovon sowohl Wirtschaft als auch Arbeitsplätze betroffen sein werden?

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist notwendiger denn je, dass die EU-Erweiterung nicht zu einem Spielfeld für politische Hasardeure wird, sondern Betroffenheit aufgezeigt und an Lösungen gearbeitet wird. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

13.31

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Gatterer. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 10 Minuten. – Bitte.

13.31

Abgeordnete Edeltraud Gatterer (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Minister! Ich habe dieser Debatte hier wirklich aufmerksam zugehört, und wenn ich die Reden der SPÖ-


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Abgeordneten so ein bisschen Revue passieren lasse, fällt mir der Text eines Liedes ein, das ich in der Volksschule gelernt habe:

"Ja – nein, ja – nein, des is’ a’ Wankelmuat, der is’ für gar nix guat!" (Heiterkeit bei der ÖVP.)  – Ich weiß nicht, aber ich glaube, das ist oberösterreichisch. (Widerspruch bei der SPÖ.)

Jedenfalls ist das genauso bei Ihren Debattenbeiträgen hier: Einer von der SPÖ kommt und sagt: Ja, wir sind für die Ratifizierung. – Der Nächste wieder sagt: nein! – Sie, Herr Abgeordneter Verzetnitsch, haben eher Vorbehalte gehabt. (Abg. Verzetnitsch: Ich zeige Lösungen auf! Das ist der Unterschied!)

Weiters meinten Sie: Das und das müssen wir noch eingehend diskutieren! (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Verzetnitsch. ) Aber man hat ja hier gesehen, dass seitens Ihrer Fraktion ziemlich wenig Bereitschaft da ist, Probleme tatsächlich zu diskutieren, waren doch von Ihrer Fraktion lediglich eine Hand voll Abgeordneter hier im Sitzungssaal anwesend. (Widerspruch bei der SPÖ.)

Wir von der ÖVP haben immer gesagt: Wir stehen zum Vertrag von Nizza; dieser Vertrag hat aber Vor- und Nachteile. Und in diesem Zusammenhang möchte ich etwas in Erinnerung rufen, was uns allen wichtig sein sollte: Für Österreich sind die Verhandlungen von Nizza unter einem ganz besonderen Stern gestanden, denn nach sehr schwierigen Monaten, in denen Österreich – völlig zu Unrecht! – unter Sanktionen gestellt wurde, konnte Österreich, und zwar ist das ein Verdienst dieser Bundesregierung, ein Verdienst von Bundeskanzler Dr. Schüssel, von Außenministerin Dr. Ferrero-Waldner, ja aller Minister, konnte unser Land letztendlich wieder als vollwertiges Mitglied an den Verhandlungstisch zurückkehren! – Das, so meine ich, sollte hier auch in Erinnerung gerufen werden. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Seitens der Vertreter Österreichs wurde in Nizza sehr gut verhandelt; das wurde ja heute hier bereits von Bundeskanzler Dr. Schüssel aufgezeigt. – Unter dem Aspekt dieser Sanktionen gegen Österreich ist es mir besonders wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass diese Initiative ganz wichtig war, dass diese von Österreich ausging und eben von Belgien unterstützt wurde, sodass andere Länder diese bittere Erfahrung im Zusammenhang mit diesen völlig ungerechtfertigten Sanktionen nicht zu machen brauchen. In Hinkunft muss nachgefragt werden – und es wird dann nicht mehr so einfach sein, gegen den wichtigsten Gedanken Europas, nämlich gegen die Gemeinsamkeit zu verstoßen und gegen ein anderes EU-Land willkürlich Sanktionen zu verhängen, ohne dass dieses Land überhaupt die Möglichkeit erhält, dazu Stellung zu nehmen.

Es stellt daher wirklich eine Genugtuung dar – das möchte ich hier betonen –, dass die Änderung des Artikels 7 des EU-Vertrages eine solche Vorgangsweise in der EU in Hinkunft, und zwar ein für alle Mal, unmöglich machen wird! Dieser Vertrag beinhaltet unter anderem, dass sich die EU-Länder auch diesbezüglich an den Grundregeln der Rechtsstaatlichkeit zu orientieren haben. Und nun ist es im Vertrag so, dass es da eben ein so genanntes Frühwarnsystem geben soll, dass die Grundregeln von Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit genauestens eingehalten werden müssen, sodass es in Zukunft nicht mehr möglich sein wird, ein EU-Land ganz einfach – wie das bei Österreich der Fall war – ins Eck zu stellen, um nicht zu sagen: ins rechte Eck zu stellen.

Artikel 7 des EU-Vertrages sieht Sanktionen gegen Mitgliedsländer vor, denen eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung von Grundsätzen zum Beispiel gegen Freiheit oder Demokratie vorgeworfen wird. – Wir wissen, dass das in Österreich nie der Fall war! Daher waren die Sanktionen gegen unser Land keinesfalls gerechtfertigt!

Auf Grund eines Vorschlages Österreichs wurde nun Artikel 7 EU-Vertrag mit einer Verfügungsformel ergänzt, die eben darauf abzielt, dass Verstößen seitens der EU vorgebeugt wird und dass bei irgendwelchen Vorwürfen das jeweilige Mitgliedsland dazu Stellung nehmen können und dazu gehört werden muss. Ich meine, das ist etwas ganz Wichtiges in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit, dass es beispielsweise auch die Möglichkeit von "Weisen"-Berichten und


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eine verfahrensmäßige Kontrolle bis hin zum Europäischen Gerichtshof geben muss. – Auch da wird man sich also in Zukunft am europäischen Grundgedanken orientieren müssen!

Hohes Haus! Zudem konnte Österreich erreichen – das möchte ich unterstreichen –, dass in den für die Bevölkerung wirklich sensibelsten Fragen in Zukunft das Einstimmigkeitsprinzip gilt, so zum Beispiel in Bezug auf die Wasserwirtschaft oder den Verkehr. Somit besteht weiterhin die Garantie, dass wir nicht überstimmt werden können!

Dazu sagen muss man auch, dass in Österreich selbst – gerade vor dem Hintergrund der EU-Verhandlungen in Amsterdam von vor drei Jahren, die ja noch unter einem anderen Bundeskanzler stattgefunden haben – eigentlich nicht damit gerechnet wurde, dass solche Verhandlungserfolge in Nizza möglich werden. Es ist wirklich auf die Verhandlungskunst der Mitglieder dieser Bundesregierung zurückzuführen, dass dies alles erreicht werden konnte.

Dass der Vertrag von Nizza auch seine Schwachpunkte hat und es Kritik dazu gibt, wissen wir. Ich meine jedoch: Insgesamt betrachtet ist der große Gedanke eines vereinten Europa in den Vordergrund zu stellen – mit dem in Nizza ausverhandelten Ziel einer EU-Erweiterung, um so eine Basis für neue Mitgliedsländer zu schaffen. Insgesamt betrachtet: Ich meine, dass es all das wert ist – und dass man daher auch durchaus über einige kleine Schwachpunkte hinwegsehen kann. Das historische Ziel, dass dieses Europa größer wird, ist doch etwas, zu dem wir uns alle bekennen sollten. Daher ist dieser Vertrag von Nizza eben positiv zu beurteilen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Zwölf Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer fallen mit diesem Vertrag von Nizza auch Mauern in Europa; Mauern werden so niedergerissen, Barrieren abgebaut, um eben auch diese Länder in die EU zu holen. Dieser Entwicklungsprozess ist in eine, wie ich meine, qualitativ vollkommen neue Phase getreten.

Es stimmt natürlich auch, dass wir die Ängste unserer Bevölkerung ernst nehmen müssen. Ängste sind da – und Ängste müssen abgebaut werden. Gerade seitens dieser Bundesregierung wird dazu sehr viel unternommen. In diesem Zusammenhang verweise ich etwa auf die vielen Informationsveranstaltungen, auf das Modell der strategischen Partnerschaft – und auch darauf, dass die Grenzregionen besser auf eine EU-Erweiterung vorbereitet werden. Und selbstverständlich sollten auch wir Parlamentarier verstärkt in diesen Prozess und in diese Aufgaben eingebunden werden.

Last but not least verweise ich auch auf die Übergangsbestimmungen, die ganz wesentlich sind.

Als Kärntnerin möchte ich mich bei Frau Außenministerin Dr. Ferrero-Waldner recht herzlich bedanken, denn ganz wesentlich ist es eben, zu einer besseren Partnerschaft mit den neuen Beitrittsländern zu kommen. Daher: Die Unterzeichnung des Kulturabkommens mit Slowenien stellt etwas ganz Wesentliches dar, etwas, das dazu beiträgt, die Kärntner Bevölkerung dazu zu bewegen, vermehrt mit Slowenien zusammenzuarbeiten. Die Unterzeichnung dieses Kulturabkommens mit Slowenien stellt einen wichtigen Fortschritt in den österreichisch-slowenischen Beziehungen dar. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Mit dem In-Kraft-Treten dieses Vertrages ist es so, dass Österreich mit der Mehrzahl seiner Nachbarstaaten solche Abkommen unterzeichnet hat. Kulturabkommen hat Österreich weiters abgeschlossen mit Ungarn, mit der Slowakei – und eben nunmehr mit Slowenien.

Mit diesem Kulturabkommen mit Slowenien ist es auch so, dass in Slowenien lebende Nachkommen der Bewohner früherer deutschsprachiger Gebiete und Gemeinden mit weiterhin deutschsprachiger Muttersprache erstmals erfasst werden. – Alle, die schon länger diesem Hause angehören, wissen, dass es dabei um sehr sensible Punkte ging, um Dinge, die seitens der ÖVP, aber auch der FPÖ jahrelang gefordert und die nun mit diesem Kulturabkommen positiv erledigt wurden. Und ich meine, dass das wirklich unterstrichen gehört.

Hohes Haus! Die Herausforderungen sind groß, Herausforderungen aber, die uns alle angehen. Die Zukunft Europas ist sicherlich nicht ohne Diskussionsprozess zu bewältigen.


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Noch kurz zu einem wesentlichen Punkt, was die Grundrechts-Charta anlangt. Die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen haben die Grundrechts-Charta vor allem für den Bereich Presse- und Meinungsfreiheit angesprochen, die SPÖ für den Bereich Arbeitnehmer. – Ich bedauere jedenfalls, dass die Grundrechts-Charta im Vergleich zur Menschenrechtskonvention des Europarates meiner Meinung nach viele Schwachpunkte hat. Ein wichtiger Bereich, nämlich der Schutz des Lebens, wurde in dieser Charta überhaupt nicht richtig angesprochen. Es wird darin – da möchte ich schon wissen, was etwa Kollegin Haidlmayr dazu sagt – nicht mehr von "Menschen", sondern nur noch – nach Singer – von "Personen" gesprochen.

Ich meine, wir sollten uns auch da an Bewährtes halten, eben zum Beispiel an die Europäische Menschenrechtskonvention. Wir sollten diese noch ausbauen und danach trachten, dass, eben gemeinsam mit der Grundrechts-Charta, die wesentlichsten Werte in Europa nicht in Frage gestellt werden, wie das etwa kürzlich in Holland passiert ist. Über diese Werte in Europa müssen wir sprechen – nicht nur über Wirtschaft und andere Belange, denn im Bereich Ethik werden uns für die Zukunft ganz wesentliche Fragen gestellt werden, so beispielsweise: Wie schaut es aus mit Gentechnik? Wie schaut es aus mit Euthanasie? Wie schaut es aus mit dem Klonen? Das werden ethische Fragen sein, die auf ganz Europa zukommen werden. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Zum Schluss möchte ich aber doch in Erinnerung rufen, dass wir heute den Europatag feiern. Heute ist der 11. Mai, es ist Europatag. Es ist deswegen sehr gut, dass wir heute den Vertrag von Nizza diskutieren. Man merkt, dass es eine Zeit des Aufbruchs ist. Der Euro, die gemeinsame Währung, wird nicht nur ein gemeinsamer Wirtschaftsfaktor sein und die Wirtschaft beleben, sondern auch zur Integration beitragen.

Von der EU wurde heuer auch das "Jahr der Sprachen" ausgerufen. Ziel muss es sein, dass die gemeinsame europäische Sprache die Sprache der Demokratie, der Mitbestimmung und der Bürger ist, aber auch dass jeder Einzelne in Europa nicht nur seine jeweilige Sprache spricht, sondern vor allem die Sprache der gemeinsamen europäischen Werte, des Fortschritts, der Sicherheit, des Wirtschaftswachstums, vor allem aber die wichtigste Sprache, die Sprache des Friedens. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

13.41

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Burket. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 8 Minuten. – Bitte.

13.41

Abgeordnete Ilse Burket (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Der Vertrag von Nizza stellt für uns Österreicher eine große Herausforderung dar. Gerade Österreich ist nämlich von der Osterweiterung wie kein anderes Land betroffen. Es hilft hier weder Schönreden noch kategorische Ablehnung. Bevor ich näher auf die Osterweiterung eingehe, möchte ich aber doch feststellen, dass wir Freiheitlichen an dem Ergebnis für Österreich einen erheblichen Anteil haben, dass es unsere klaren Forderungen waren, die dem österreichischen Verhandlungsteam den Rahmen mit vorgegeben haben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ein vereintes Europa, wobei mir persönlich ein geeintes lieber wäre, unter strikter Beachtung des Föderalismus und der nationalen Souveränität der einzelnen Mitgliedstaaten: Das ist es, worauf bei allen Verhandlungen zu achten war und mit Sicherheit in Zukunft zu achten sein wird, besonders wenn man sich die jüngsten Äußerungen des Herrn Schröder vor Augen führt.

Staaten, die mit guten Wirtschaftsdaten und mit hohen Standards in Bezug auf Sicherheit, Umwelt und Lebenshaltung aufwarten können, sehen ihren Beitritt naturgemäß anders als ein Staat, der in seiner Entwicklung noch ziemlich viel Aufholbedarf hat. Für den stellt der Beitritt ja vielmehr die Hilfe dar, die er braucht, um die nationale Entwicklung sicherzustellen. Bezüglich Finanzierung hat unser Kollege Schweitzer heute schon hinreichend referiert.

In diesem Punkt liegt ja auch das Konfliktpotential, und hier beginnen auch die berechtigten Sorgen speziell der von der Erweiterung besonders betroffenen Grenzregionen, wiewohl die


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Auswirkungen selbstverständlich das ganze Land betreffen – nur eben in unterschiedlichen Bereichen und Stärken. Man kann über vieles diskutieren und wird dies auch tun müssen, generell wird das aber nichts daran ändern, dass die Weiterentwicklung dieses Europas eigendynamisch fortschreitet, ob manche das wollen oder nicht.

Die Lenkung dieser Weiterentwicklung wird die große Frage sein. In der Größe mit all der Unterschiedlichkeit in Kultur, Religion und Mentalität liegt natürlich auch ein ungeheures Konfliktpotential. Dazu gehört auch, was mir persönlich die größte Sorge bereitet: die nicht enden wollenden kriegerischen Auseinandersetzungen, die klar und deutlich zeigen, dass eine große Zahl von Bürgern dieses Europas weit davon entfernt ist, eigene nationale, meist eher regionale Interessen einem großen Ganzen, nämlich Europa unterzuordnen.

Die berechtigten Ängste und Sorgen der von der Erweiterung mehr betroffenen Arbeitnehmer, Wirtschaftstreibenden, der Bevölkerung einfach diesem Bereich zuzuordnen, wäre aber im höchsten Maße unfair. Und damit, meine Damen und Herren, kehre ich wieder zur Osterweiterung zurück.

Es ist sehr einfach, die Sorgen der betroffenen Menschen zu verstehen. Man muss nur mit ihnen reden. Da sind Visionen von einem großen, weiten, grenzenlosen Europa nicht angebracht, nicht wenn der Betroffene um seinen Arbeitsplatz fürchtet – das hat Frau Lichtenberger heute ein "Spiel" genannt –, nicht wenn er weiß, dass sein Chef mit seinem Betrieb jetzt bereits gegen übermächtige Konkurrenz kämpft, und er nur billige Arbeitskräfte kommen sieht, die seinem Chef mehr Chancen bieten würden. Dem kann man erzählen, was man will, er wird begreiflicherweise das Problem aus seiner höchstpersönlichen Sicht betrachten. Und so, meine Damen und Herren, geht es den meisten betroffenen Menschen. Ein großes, vereintes Europa mit allen Vor- und Nachteilen zu sehen und sich auch wirklich dazu zu bekennen, das ist ein Entwicklungsprozess in den Menschen, der einfach seine Zeit braucht. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Ich halte es daher auch für höchst unangebracht, die Probleme und Sorgen zu negieren und nur von den großen Chancen und der Bereicherung zu reden. Das ist meines Erachtens sogar kontraproduktiv. Es ist das Gebot der Stunde, schon jetzt Hilfestellung zu leisten in Form von Aufklärung, in Form von Beratung und durch das Bekanntmachen der Menschen mit dem, was auf sie zukommt, mit der Sprache, der Kultur und der Mentalität der neuen Mitgliedstaaten, Aufklärung darüber, was sie zu erwarten haben, mit allen Vor- und Nachteilen. Die Zuckergussversion eines Beitritts haben wir ja selbst erlebt. So soll es diesmal nicht ablaufen!

Beratung benötigen besonders die Betriebe. Sie soll ihnen helfen, sich auf die neue Situation einzustellen. Manche schaffen das ohnehin alleine, vor allem die Jüngeren, aber ältere Gewerbetreibende werden unter Umständen Hilfe brauchen, um vielleicht neue Wege zu gehen.

Dieselbe Situation sehe ich auch auf der anderen Seite der Noch-Grenzen. Ich bin sehr oft im Osten unterwegs. Da ich diesen Menschen sehr offen gegenüberstehe, erlaube ich mir auch klar zu sagen, dass auf Grund der langen Zeit des Kommunismus in vielen Bereichen noch lange nicht von westlichem Standard gesprochen werden kann. Das fängt bei der Einstellung zur Arbeit an und spannt einen weiten Bogen bis zum Umweltbewusstsein. Wie gesagt, ich verbringe viel Zeit dort und kann mir daher ein Urteil erlauben, wie sich auch viele andere hier im Saal ein Bild machen können.

Meine Damen und Herren! Diese Erweiterung bringt tatsächlich neue Chancen, neue Herausforderungen und neue Möglichkeiten. Aber sie bringt auch Sorgen, Ängste und Befürchtungen, und das durchaus zu Recht! Es wird an uns liegen, hüben wie drüben zu informieren, zu helfen, zu beraten, um den Menschen das Miteinander im gemeinsamen Haus Europa zu ermöglichen.

Die jüngsten Aussagen des Herrn Schröder im Hinblick auf die EU zeigen, wie notwendig es ist, darauf zu achten, dass der Föderalismus erhalten bleibt und jeglichem Zentralismus von vornherein Einhalt geboten wird, dass es für uns nur einen Staatenbund geben kann, aber niemals einen Bundesstaat. Bei und über allem Bemühen um dieses Europa muss die Achtung und der


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Respekt vor Kultur, Religion und Mentalität der einzelnen Völker allen Entscheidungen vorangestellt werden.

Die ständig schwelenden Konflikte, die derzeit im Kosovo, in Serbien und in Mazedonien wieder hochexplosiv sind, zeigen ganz deutlich, dass man die Bevölkerung Europas nicht in das Bett des Prokrustes legen kann, um sie alle gleich zu machen. Sie sind nicht alle gleich, und das ist zu respektieren! Dies sollte auch Herr Verheugen zur Kenntnis nehmen. Seine Aussagen vorigen Freitag im "Haus der Industrie" – Österreich würde am meisten von der Erweiterung profitieren, weil es die längsten Außengrenzen hat; und dies vor allem auf dem Gebiet der Sicherheit – möchte ich jetzt vorsichtig mit den folgenden Worten umschreiben: Herr Verheugen sieht die Osterweiterung anscheinend sehr einseitig aus der Sicht des größeren Marktes und der damit verbundenen finanziellen Ressourcen.

Wie bereits ausgeführt: Es geht hier nicht um Absatzmärkte, sondern um Menschen! Wir Freiheitlichen tragen unseren Teil gerne bei, aber wir werden immer der Hüter der Interessen der österreichischen Bevölkerung sein. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

13.49

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Mag. Posch. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 8 Minuten. – Bitte.

13.49

Abgeordneter Mag. Walter Posch (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Minister! Hohes Haus! Der vorliegende Vertrag von Nizza hinterlässt sicherlich einen ambivalenten Eindruck, und nichts könnte dies deutlicher machen, als dass wesentliche Fragen über die Zukunft der Europäischen Union an den so genannten Post-Nizza-Prozess delegiert wurden. Zwar wurden einige Voraussetzungen für die formal-institutionelle Weiterentwicklung der EU geschaffen, etwa in der Frage der Stimmgewichtung. Vieles, was zu einer Vertiefung des Integrationsprozesses führen könnte, bleibt jedoch nach wie vor offen. So wurden entscheidende Schritte zur Stärkung des demokratischen Prinzips in der EU nicht gesetzt. Im Wesentlichen hat sich in Nizza der Rat innerhalb der EU-Institutionen verstärkt durchgesetzt, abgesehen von kleineren Kompetenzverschiebungen zugunsten des Kommissionspräsidenten.

Es hat sich gezeigt, dass insbesondere in den substantiellen Fragen nationale Interessen nach wie vor den Vorrang vor gemeinsamen europäischen Entscheidungen haben, etwa in Fragen der Steuerpolitik oder der Sozialpolitik. Im Wesentlichen haben sich durch die Neugewichtung der Stimmen im Rat, durch die Bindung an den Bevölkerungsschlüssel auch die großen Nationen gegenüber den kleineren durchgesetzt. So wird Österreich künftig 10 Stimmen im Rat haben gegenüber 29 für Frankreich statt wie bisher 4 zu 10. Auch das Hauptziel der österreichischen Bundesregierung, einen österreichischen Kommissar auf Dauer zu halten, konnte nicht erreicht werden. (Abg. Dr. Spindelegger: So ein Blödsinn!)

Viele Fragen der Vertiefung der politischen Integration bleiben dem Post-Nizza-Prozess vorbehalten, zum Beispiel die Frage eines transparenten Reformprozesses im Zuge eines Verfassungskonvents, die Frage der Stärkung des Europäischen Parlaments, etwa durch die Übertragung der Budgethoheit, die zukünftige Position der Kommission als europäische Regierung, die Direktwahl des Kommissionspräsidenten und vieles andere mehr.

Viele Akzeptanzprobleme der Europäischen Union in der Bevölkerung werden sich zukünftig jedoch erst abhängig davon lösen lassen können, inwieweit es der EU in diesem Post-Nizza-Prozess gelingt, die Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen stärker zu berücksichtigen, ebenso wie jene der Konsumenten und Konsumentinnen, wie sich das zum Beispiel im BSE-Skandal gezeigt hat, inwieweit Interessenvertretungen, Parteien, Gewerkschaften, NGOs auf europäischer Ebene Gehör finden werden. Für die zukünftige Entwicklung Europas wird von entscheidender Bedeutung sein, inwieweit die BürgerInnen Europas diese Union als Ort der politischen Teilhabe begreifen, an dem nicht nur die wirtschaftlichen Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein gegeben sind, sondern auch ihre sozialen, politischen, kulturellen sowie grundrechtlichen Bedürfnisse erfüllt sind. (Beifall bei der SPÖ.)


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In diesem Kontext könnte das Verfahren und die Debatte im Zusammenhang mit der EU-Grundrechts-Charta einen Weg weisen. Jene Beauftragten der Staats- und Regierungschefs, Europaabgeordneten, nationalen Parlamentarier und Kommissionsvertreter, die im Vorjahr eine Charta der Grundrechte formuliert haben, standen vor der sicherlich schwierigen Aufgabe, eine Balance zu finden zwischen der stärkeren Verankerung sozialer Grundrechte einerseits und deren Rechtsverbindlichkeit andererseits, und damit auch deren demokratischer Legitimität.

Man hat sich nicht nur mit den traditionellen Freiheits- und Partizipationsrechten begnügt, sondern auch Bestimmungen zum Schutz des Einzelnen vor wirtschaftlicher und sozialer Ausbeutung formuliert. Die Charta wird künftig ein Instrument sein, mit dem sich die Menschen wehren können, wenn ihre Rechte der Arbeit, der Gesundheit, der sozialen Sicherheit und der Bildung beschnitten oder gefährdet werden. Daher ist die Proklamation der Charta in Nizza ein erster Schritt. Die Umsetzung in die Verträge, und damit die Erlangung von Rechtsverbindlichkeit, muss freilich erst folgen, bevor in einem weiteren Schritt so etwas wie eine europäische Verfassung formuliert werden kann.

Sicherlich leidet die Charta auch unter vielen Widersprüchlichkeiten, die sich aus dem unterschiedlichen Charakter der Integration in den einzelnen Mitgliedstaaten ergeben. Vieles bleibt offen beziehungsweise ist unbefriedigend gelöst, etwa die Umformulierung des Rechtes auf Arbeit in ein Recht zu arbeiten. Ein weiterer Punkt ist das Fehlen des Rechts auf ein Mindesteinkommen und damit auf eine menschenwürdige Existenz – das ist nicht dasselbe wie das Recht auf eine soziale Unterstützung, wie es im Artikel 34 der Charta formuliert ist. Jeder Mensch, ohne Ansehen des Geschlechts oder des Alters, hat das Recht auf ein garantiertes individuelles Einkommen, das Recht auf ein Mindesteinkommen, das Recht auf eine Mindestrente und einen Mindestlohn. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Öllinger. )

Die Europäische Union braucht daher vor allem eine soziale Agenda, die diesen Namen verdient, im Besonderen im Hinblick auf die Osterweiterung der Union, wenn man will, dass dort nicht nur die Interessen der Investoren, Kaufleute und Händler bedient werden, sondern die Interessen der arbeitenden Menschen und deren Lebensbedingungen Berücksichtigung finden. Daher muss es noch eine breite Diskussion über die Weiterentwicklung der Europäischen Union geben, um die Akzeptanz bei der Bevölkerung zu erhöhen und die österreichische Position, die derzeit bei bestem Willen nicht zu erkennen ist – und zu deren Erarbeitung ich die Regierung gerne auffordern will –, festzulegen.

Dazu braucht es vor allem Zeit. Es macht keinen Sinn, die Erweiterung der Union hypertroph zu beschleunigen und dabei zynisch die soziale Sicherheit der Menschen zu gefährden. Daher hat auch die Ratifikation des Vertrags von Nizza Zeit, zumindest bis zur Positionierung des einzigen demokratischen Souveräns der EU, der in Nizza nicht eingebunden war, nämlich des Europäischen Parlaments in der zweiten Jahreshälfte 2001.

"Speed kills" – vor allem Menschen. Das sollten Sie von den Regierungsfraktionen aus eigener Anschauung inzwischen wissen, und daher sind Sie aufgefordert, besonders behutsam in den Prozess der Ratifikation einzusteigen. (Beifall bei der SPÖ.)

13.55

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Mag. Hakl. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 10 Minuten. – Bitte.

13.55

Abgeordnete Mag. Karin Hakl (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Minister! Geschätzte Damen und Herren! Wir reden über den Vertrag von Nizza, und wir sollten uns noch einmal in Erinnerung rufen, was das war. Es war eine Weichenstellung für Europa, eine Weichenstellung für die Erweiterung, eine Voraussetzung für die Erweiterung um 15 ost- und mitteleuropäische Staaten! Wenn er auch kein großer Wurf war, er hat den Zweck erfüllt. Die Voraussetzungen für die Erweiterung wurden mit diesem Vertrag geschaffen. Dieser Vertrag ist die Grundlage, auf der man auf- und weiterbauen kann. Damit bin ich sehr zufrieden.


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Mit dieser Erweiterung werden doch wieder große Visionen großer Europäer wach, die Visionen, ein Europa des Friedens, ein stabiles Europa, ein Europa des Wohlstandes für alle Europäer zu schaffen. Wir müssen uns schon der epochalen Entwicklung bewusst sein, vor der wir stehen und von der wir reden. Wir schaffen den größten politischen Integrationsraum der gesamten Welt mit 500 Millionen Menschen, die darin leben, im Rahmen eines wohl einzigartigen Friedens- und Stabilitätsprojekts. Es gibt zwar viele, viele kleine Kritikpunkte, aber ich meine, das große Ganze muss und soll hier alles überstrahlen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Wir wollen ein Europa, das vielleicht auch beispielgebend für andere Kontinente aus souveränen Staaten besteht, die gemeinsam, friedlich zusammenleben und zusammenarbeiten. Da kann es ab und zu verschiedene Meinungen geben, aber ich denke, das Ziel rechtfertigt auch gewisse Differenzen.

Wenn der Gipfel von Nizza nicht alle in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen konnte – auch unser Europa ist ein Ergebnis unser aller Geschichte; der Herr Bundeskanzler hat einmal in einem Interview gesagt, die Schatten der Vergangenheit seien zu groß gewesen –, so ist er doch eine solide Grundlage für die Erweiterung. Und diese Erweiterung ist gerade für Österreich von vitalem Interesse. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Dem österreichischen Verhandlungsteam mit Bundeskanzler Dr. Schüssel und unserer Außenministerin Dr. Ferrero-Waldner ist es jedenfalls gelungen, in allen wesentlichen Punkten die österreichischen Positionen durchzubringen. Es ist weiterhin sichergestellt, dass es einen österreichischen EU-Kommissar gibt. Das ist deswegen so wichtig, damit jeder sagen kann, mein Kommissar. Das bringt Nähe zur Bevölkerung, das ist wesentlich.

Österreich wird auch in Zukunft souveränen Zugriff auf die Wasserressourcen haben. Dem wiederholten Versuch auf EU-Ebene, die österreichische Verfügungsgewalt über die immer wichtiger werdenden Wasserreserven einzuschränken, wurde energisch und mit Erfolg entgegengetreten. Die Wahl der Energieträger – auch das war eine österreichische Forderung – bleibt weiter den Mitgliedstaaten überlassen. Das bedeutet: Es wird auf österreichischem Boden keine Atomkraftwerke geben. (Beifall des Abg. Hornek. ) Und es gibt eine Stimmengewichtung im Rat, die kleinere Mitgliedstaaten besser stellt und dadurch ihren Status als souveräne, als gleichberechtigte Partner sichert.

Jetzt, auf der Grundlage dieses Vertrages, ist es auch wichtig, dass die Erweiterung so schnell wie möglich vonstatten geht. Die künftigen EU-Mitglieder müssen meiner Ansicht nach bereits im Frühstadium des Willensbildungsprozesses über weitere und tiefer gehende Reformen von uns allen eingebunden werden. Bei der Diskussion um die Zukunft der Europäischen Union geht es also zunächst um jene Bereiche, die bereits in Nizza als Themen für weitere Reformen festgelegt wurden, den so genannten Post-Nizza-Prozess.

Dabei geht es erstens um eine effiziente Kompetenzverteilung. Was heißt das? – Es ist unser aller Verantwortung, den Menschen Kompetenz, Subsidiarität und all diese Begriffe zu erklären. Die Aufgaben zwischen der EU, den Mitgliedstaaten und den Regionen müssen flexibel und umfassend formuliert werden, ein Kompetenzkatalog muss festgelegt werden. So können zum Beispiel die Themen Bodennutzung und die Raumordnung wieder in die Nationalstaatlichkeit zurückkehren, dort sind sie besser aufgehoben. Vielleicht gibt es andere Bereiche, bei denen eine Europäisierung umso wichtiger wäre.

Zweitens geht es um die künftige Rolle der nationalen Parlamente, die auf Grund ihrer unmittelbaren Verpflichtung gegenüber der Bevölkerung stärkeres Gewicht im Post-Nizza-Prozess erhalten müssen. Wir alle müssen also stärker eingebunden werden. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Drittens geht es um die Übernahme der bisher nur politisch verbindlichen Grundrechts-Charta der EU. Ein Verfassungsvertrag, den wir uns wünschen, kann auf dieser ersten Grundlage langsam wachsen und reifen.


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Viertens muss das Primärrecht der EU vereinfacht und gestrafft werden, die vielen einzelnen Verträge können nur noch von Spezialisten angewandt werden. Ich selbst bin EU-Rechtlerin und weiß aus leidvoller Erfahrung, wovon ich spreche.

Die Veränderungen in der Welt haben aber eine viel weiter reichende Debatte der EU über ihre Reformen notwendig gemacht, und wir sind auch schon mittendrin. Wir brauchen die Reformen, sie müssen aber von einer breiten Basis in der Bevölkerung getragen werden. Deswegen halte ich viel von einer Stärkung des Ausschusses der Regionen; da funktioniert die Zusammenarbeit am Puls der Bevölkerung.

Wir brauchen eine stärkere demokratische Legitimierung der Kommission. Der Vorschlag, den Kommissionspräsidenten künftig vom EU-Parlament wählen zu lassen, scheint mir sinnvoll zu sein, denn das würde auch die Kommission als solche stärken.

Die Unklarheiten in der Abgrenzung zwischen den drei Säulen der EU müssen reduziert werden, damit das Auftreten der EU viel einheitlicher wird. Das EU-Parlament muss deutlich mehr Kompetenzen erhalten. Ich freue mich auch, dass Bundeskanzler Schröder den österreichischen Vorschlag nach einer zweiten Kammer des Parlaments aufgegriffen hat. Der Diskussionsprozess läuft in ganz Europa.

Es muss eine Einigung über mehr Mehrheitsentscheidungen erzielt werden, aber nationale Interessen müssen berücksichtigt bleiben. So muss beispielsweise Österreich darauf dringen, dass auch in der Verkehrspolitik die Umweltanliegen verstärkt berücksichtigt werden.

Egal, wie tief gehend die Reformen sein mögen, unsere besondere europäische Vielfalt, die uns auszeichnet, muss erhalten bleiben und wo notwendig sogar gefördert werden. Die Union darf den Zentralismus nicht überbetonen und muss flexibel bleiben. Der Interessenausgleich zwischen kleinen und großen Mitgliedsländern muss auf faire Weise gewahrt sein, dann wird die Bevölkerung der gesamten Union und der Beitrittsländer dieses Projekt des Friedens, des Wohlstandes und der Solidarität begeistert mittragen.

Wir werden das im Rahmen einer EU-Enquete in diesem Parlament diskutieren, und Österreich wird sich beim Bau unseres Hauses Europa einbringen. Möge das Werk gelingen! – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

14.04

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Hagenhofer. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 8 Minuten. – Bitte.

14.04

Abgeordnete Marianne Hagenhofer (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Minister! Der Entwurf, die Architektur, der Bau und die Erweiterung des Hauses Europa sind die eine Seite, das Wohnen, das Leben, das Arbeiten, das Annehmen des Hauses Europa und der Erweiterung sind die andere Seite. Die Zukunft Europas und des erweiterten Europa wird es ohne Zustimmung der Bevölkerung nicht geben, beziehungsweise sie wird nicht funktionieren.

Warum sage ich das? – Die beträchtliche und zum Teil steigende Abwehrhaltung der Bevölkerung sowohl in den EU-Mitgliedstaaten als auch in den Beitrittsländern zur Europäischen Union reflektiert nicht nur deren Sorgen, sondern auch den Sachverhalt, dass der Einigungsprozess nach wie vor für bestimmte Personengruppen negative Folgen hat.

Zu dem Thema Europa der Regionen und das tatsächliche Erleben in diesem Europa der Regionen, Herr Bundeskanzler, möchte ich Ihnen einige Beispiel bringen, warum die Menschen vielleicht ihre Abwehrhaltung aufbauen.

Zur freien Arztwahl: Freie Arztwahl ist so lange gegeben, solange sich die Pendler – ich spreche jetzt von den Pendlern, die von Österreich nach Bayern pendeln – im aktiven Dienststand befinden, das heißt, ein aktives Dienstverhältnis haben. Ab dem Tag, ab dem sie in Pension gehen, ist die freie Arztwahl nicht mehr möglich. In einem gemeinsamen Haus Europa, so sagen


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diese Menschen, muss das auch weiterhin möglich sein, weil jahrelange Beziehungen und Vertrauensverhältnisse zu Ärzten aufgebaut wurden und es daher nicht verständlich ist, dass ab dem Tag der Pensionierung der Arzt jenseits des Inn nicht mehr konsultiert werden kann.

Zum freien Europa gehören auch gleiche Berufschancen. Gleiche Berufschancen sind auch im Europa der Regionen nach wie vor nicht gegeben. Es gibt noch immer verschiedene Berufsausbildungen, wie beispielsweise im Bereich der Masseure, bei denen es in Bayern beziehungsweise in Deutschland andere Voraussetzungen gibt als in Österreich. Daher müssen entsprechende Regelungen geschaffen werden, damit Europa von den Menschen angenommen wird.

Ein weiterer Punkt, der erst kürzlich hier im Hohen Haus von den Regierungsparteien beschlossen worden ist, betrifft das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz, welches den Menschen wieder erschwert, ein gemeinsames Haus Europa nachzuvollziehen. Ein konkretes Beispiel dazu: Ein Österreicher, der zeit seines Lebens in Österreich gearbeitet hat und nach der Pensionierung zur Tochter nach Bayern gezogen ist, hat nun von den Bundesbahnen, bei denen er zeit seines Lebens gearbeitet hat, die Mitteilung bekommen, dass er zwar alle Voraussetzungen für das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz mitbringt, aber weil er keinen Wohnsitz in Österreich hat, kann er diese Entschädigung nicht bekommen. Auch das ist eine Aufgabe, die von der Bundesregierung, wenn ein gemeinsames Europa von den Menschen anerkannt werden soll, angegangen werden muss. Es geht nicht an, dass man, so wie dies jetzt beschlossen wurde, das Recht auf Entschädigung vom Wohnort abhängig macht.

Ein weiterer Bereich, der noch Themen aufwirft, die besonders sorgfältig behandelt werden müssen, betrifft die Arbeitsplätze und die Wettbewerbsfähigkeit in den Grenzregionen. Die Sorgen um die Arbeitsplätze und die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Betriebe in den Grenzregionen sind zu berücksichtigen, und die Dienstleistungsfreiheit darf nicht so weit einseitig ausgelegt werden, dass – so ist es derzeit im österreichischen Kraftfahrrecht – ein deutscher Staatsbürger ohneweiters in Österreich eine Fahrschule eröffnen kann, dies einem Österreicher aber nicht möglich ist, wenn er nicht HTL-Maschinenbau, HTL-Elektrotechnik absolviert oder ein ähnliches Universitätsstudium abgeschlossen hat. Auch diesbezüglich ist die Regierung gefordert, für ein Europa der Regionen und für die Dienstleistungsfreiheit zu sorgen, sodass Inländer nicht diskriminiert werden.

Entscheidend ist – insbesondere da ist die Regierung gefordert –, dass auch gezielte arbeitsmarkt-, wirtschafts- und regionalpolitische Maßnahmen getroffen und sowohl ArbeitnehmerInnen als auch Betriebe dabei unterstützt werden, Veränderungen im Gefolge der Öffnung der Märkte als Chancen zu nützen, das heißt also, dass diese Personen und Betriebe die Chancen auch nützen können sollen. Dies kann Österreich durch eine aktive, offensive und grenzüberschreitende Kooperation beeinflussen. Gleichzeitig können grenzübergreifende Kooperationen einen wesentlichen Input zur Belebung der österreichischen Grenzregionen leisten.

Was meine ich damit? – Ich meine damit die Informationstechnologie. Für eine grenzüberschreitende Informationstechnologie ist es wesentlich und wichtig, dass die Infrastruktur vorhanden ist; das heißt, dass mittels Breitbanddatenleitungen in die Regionen und von den Regionen und dann grenzüberschreitend gemeinsam mit europäischen Ländern oder auch Beitrittsländern kooperiert werden kann. (Beifall bei der SPÖ.)

Es bedarf seitens der Bundesregierung folgender Maßnahmen, die besondere Bedeutung erlangen: eine bessere Ausbildung, eine ständig verbesserte Ausbildung für neue Beschäftigte, bessere Maßnahmen zur Weiterbildung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, vor allem das Recht auf Weiterbildung, und das Verständnis der Wirtschaft für ältere Arbeitskräfte; wenn ich sage "ältere Arbeitskräfte", dann meine ich Arbeitskräfte ab fünfzig Jahren. Das ist nicht unbedingt vorhanden und muss daher forciert werden. Außerdem ist eine Intensivierung der Kontrolle der Einhaltung – das ist heute schon gesagt worden – der kollektivvertraglichen und arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen betreffend die Arbeitsverhältnisse zu gewährleisten, wobei auch die Betriebe in den Grenzräumen nicht behindert werden dürfen, wie es derzeit der Fall ist, insofern als in Bayern strengste Kontrollen im Bereich der Bauarbeiterent


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sendung vorgenommen werden, wogegen es in Österreich gar keine gibt. Dieser Wettbewerbsnachteil sollte und muss auch von der Regierung aufgegriffen werden.

In all diesen Bereichen ist die Regierung gefordert, Akzente in die richtige Richtung zu setzen.

Noch einmal: Ein Europa ohne Zustimmung der Bevölkerung wird es nicht geben, und es ist daher ein Gebot der Stunde, die derzeit existierende EU ebenso wie den EU-Erweiterungsprozess sozial verträglich zu gestalten. Die EU-Erweiterung ist vor allem ein großer gesellschaftlicher und nicht bloß ein verwaltungstechnischer Prozess.

Es besteht großer Handlungsbedarf hinsichtlich der verstärkten Berücksichtigung der sozialen Dimensionen, der Schaffung funktionsfähiger Sozialpartnerstrukturen, der Stärkung des sozialen Dialoges und eines forcierten Dialoges mit den Bürgern, denn die EU darf nicht nur eine Wirtschafts- und Währungsunion sein, sondern muss zu einer Sozialunion erweitert werden. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

14.13

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Abgeordneter Donabauer zu Wort gemeldet. – Herr Abgeordneter, bitte beginnen Sie mit der Wiedergabe der zu berichtigenden Behauptung, und stellen Sie dieser Behauptung den berichtigten Sachverhalt gegenüber.

14.13

Abgeordneter Karl Donabauer (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Bei aller Notwendigkeit der Angleichung innerhalb des Europas der Fünfzehn muss ich Folgendes ausführen: Frau Kollegin Hagenhofer hat gemeint, dass die Regierung beim Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz aufgefordert ist, eine Angleichung im Leistungsrecht zu machen, so wie das bei anderen Sozialrechten der Fall ist.

Ich stelle richtig, dass wir auch beim Pflegegeldgesetz den nationalen Aufenthalt als Bedingung haben (Abg. Schieder: Das ist eine Richtigstellung!) und das daher nur in Analogie zum Pflegegeldgesetz zu sehen ist. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Schieder: Das ist eine Argumentation! Das ist eine Wortmeldung!)

14.14

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner ist Herr Abgeordneter Auer zu Wort gemeldet. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 10 Minuten. – Bitte.

14.14

Abgeordneter Jakob Auer (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Bundesminister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer immer heute den Beiträgen, die hier gebracht worden sind, zugehört hat, der wird Folgendes festgestellt haben: Selbst die Ausführungen der Redner von der sozialdemokratischen Fraktion waren großteils, so glaube ich, verantwortungsvoll und durchaus moderat. Meine Damen und Herren! Sie hatten auch allen Grund dazu, denn Nizza ist tatsächlich auch ein wesentliches Verdienst unseres Bundeskanzlers und unserer Außenministerin. (Beifall bei der ÖVP.)

Es ist nun einmal positiv, dass selbst Realisten in ihren Erwartungen vom Ergebnis überrascht wurden, und zwar positiv überrascht wurden! Es freut mich, dass gerade die Pessimisten eines Besseren belehrt worden sind.

Meine Damen und Herren! Aus österreichischer Sicht wurde viel dargelegt, was wichtig war und was wichtig ist. Wichtig ist das Europa der Balance. Wichtig ist Gleichberechtigung, ist ein Europa der Regionen und der Vielfalt.

Meine Damen und Herren! Es freut mich ganz besonders, dass unser Bundeskanzler – dazu möchte ich ihm auch herzlich gratulieren – von den Sudetendeutschen für den Karlspreis vorgeschlagen worden ist (Beifall bei der ÖVP) und damit sein Eintreten für Minderheiten in der Europäischen Union besonders hervorgehoben wird. Meine Damen und Herren! Er ist der dritte


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Österreicher, der für diesen wichtigen Preis vorgeschlagen ist. Wie gesagt: Herzlichen Glückwunsch, Herr Bundeskanzler! (Beifall bei der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Es wurde ausgeführt, die EU müsse demokratischer werden, sie müsse zu einer EU der Mitbestimmung werden. Dazu gibt es ein eindeutiges Bekenntnis! Aber eines sollte nicht sein: Dass wir von der Europäischen Union mehr Mitbestimmung und mehr Demokratie einfordern und dass dann bei Anliegen, die uns die EU vorgibt, nämlich bei der Umsetzung zum Beispiel von "Natura 2000"-Gebieten in Österreich, die Diktatur von Seiten der Naturschutzreferenten der Bundesländer in der Realität umgesetzt wird. (Beifall bei der ÖVP.)

Nizza ist der Startschuss für die Zukunft, für eine offene, demokratische Willensbildung. Es gibt ein klares Ja dazu. Einbinden statt aussperren, so wurde das Motto einmal formuliert.

Es ist auch darüber diskutiert worden, dass man über mögliche Renationalisierungen zum Beispiel der Agrarpolitik reden wird müssen. Meine Damen und Herren! Derartigen Vorschlägen bringe ich als Bauer eine gewisse Skepsis entgegen, denn der Gemeinsame Markt ist etwas Wichtiges, und wir haben es gerade bei der BSE-Frage erlebt, was das bedeutet.

Meine Damen und Herren! Die EU-Agrarpolitik ist nicht verantwortlich dafür, dass in der Schweiz zum Beispiel 375 BSE-Fälle aufgetreten sind – die Schweiz ist nicht in der Europäischen Union und hat keine Großbetriebe. Wir haben keinen BSE-Fall in Österreich, aber für unsere Rinderbauern sind die Preisauswirkungen katastrophal. Ich glaube daher, es ist vernünftiger, im Gemeinsamen Markt einheitliche, auf hohem Standard befindliche Vorschriften zu haben, denn gerade auch wir brauchen die Absatzchancen in diesem Bereich, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Vielleicht sollte man in der Europäischen Union doch auch nachdenken: Österreich gibt 60 Prozent für die ländliche Entwicklung und nur 40 Prozent für Marktordnungsmaßnahmen aus. In der Europäischen Union ist das gerade umgekehrt: 90 Prozent werden für Marktordnung und nur 10 Prozent für die ländliche Entwicklung ausgegeben. Vielleicht ist das das Geheimnis der positiven, nachvollziehbaren, qualitätsbewussten österreichischen Agrarpolitik?! Damit das in Europa umgesetzt werden kann, muss man, so glaube ich, gerade auch in diesen Fragen mitreden, dabei sein und entscheiden können. (Beifall bei der ÖVP.)

Eines würde ich mir auch wünschen: Es gibt viele Fragen, bei denen man in der Europäischen Union Mitsprachemöglichkeit hat. Es gibt aber auch Fragen, bei denen man offensichtlich wenig bis keine hat. Mich interessiert nicht die Norm der Gurkenkrümmung, mich interessiert auch überhaupt nicht, wie der Traktorsitz eines Steyr-Traktors oder eines Ferguson-Traktors auszusehen hat, aber die gleichen Sicherheitsstandards bei den Atomkraftwerken würden mich schon interessieren, meine Damen und Herren! Das wäre für mich auch eine wichtige Frage! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute auch einige Gusenbauer’sche Fehleinschätzungen gehört. Offensichtlich hat man sich mit der Frage der Erweiterung nicht sehr intensiv beschäftigt.

Es war für mich nicht nur verwunderlich, sondern mehr als Besorgnis erregend, dass man zuerst so quasi meinte, man müsste die Frage des Dr. Pilz diskutieren, statt über Nizza zu sprechen. Die Prioritätenreihung ist schon bemerkenswert!

Von den Grünen hätte ich es ja noch verstanden, aber wenn wir bereits so weit sind, dass die größere Oppositionspartei, die SPÖ, hier bedingungslos mit der kleineren Oppositionsfraktion, den Grünen, mitgeht in der Prioritätensetzung, dann, meine Damen und Herren, ist auch in diesem Haus einiges zu hinterfragen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Die Erweiterung wird sicherlich positive Aspekte bringen, uns sollte aber auch bewusst sein, dass es Ängste gibt, und die sind zu beseitigen, denn Angst ist ein schlechter Ratgeber. Ängste gibt es aber nicht nur in den Kernländern, bei jenen, die heute die EU darstellen, sondern Ängste gibt es auch in den Erweiterungsländern. Und in beiden Fällen


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haben die Verantwortlichen dafür zu sorgen, dass diese Ängste genommen und die Chancen aufgezeigt werden.

In diesem Sinne stehen wir der kommenden Erweiterung sehr positiv gegenüber. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

14.21

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Gemäß § 69 Abs. 6 der Geschäftsordnung weise ich die Regierungsvorlage 565 der Beilagen dem Verfassungsausschuss zu.

2. Punkt

Bericht des Landesverteidigungsausschusses über die Regierungsvorlage (535 der Beilagen): Bundesgesetz über die Entsendung von Soldaten zur Hilfeleistung in das Ausland (Auslandseinsatzgesetz 2001 – AuslEG 2001) (560 der Beilagen)

3. Punkt

Bericht des Landesverteidigungsausschusses über die Regierungsvorlage (536 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Wehrgesetz 1990, das Heeresgebührengesetz 2001, das Heeresdisziplinargesetz 1994, das Munitionslagergesetz, das Sperrgebietsgesetz 1995 und das Militär-Auszeichnungsgesetz geändert werden (Auslandseinsatzanpassungsgesetz – AuslEAG) (561 der Beilagen)

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Wir gelangen zu den Punkten 2 und 3 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem durchgeführt wird.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Abgeordneter Gaál. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 7 Minuten. – Bitte.

14.22

Abgeordneter Anton Gaál (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei den zur Beschlussfassung vorliegenden Gesetzesvorlagen geht es ja vor allem um Adaptierungen, um Rechtsbereinigungen und um die Modifizierung diverser wehrrechtlicher Bestimmungen. Viele unserer Vorschläge fanden in den parlamentarischen Verhandlungen Berücksichtigung. Es gibt daher einen gemeinsamen Abänderungsantrag, der die Zustimmung aller Fraktionen gefunden hat.

Herr Bundesminister! So wie bereits im Ausschuss möchte ich auch heute insbesondere auf den sehr sensiblen Bereich des Datenschutzes hinweisen. Gerade im Zusammenhang mit Änderungen im Disziplinargesetz, im Munitionsgesetz, im Sperrgebietsgesetz und auch im Militär-Auszeichnungsgesetz muss sichergestellt sein, dass nur Daten verarbeitet werden dürfen, die mit der Aufgabenerfüllung zu tun haben. Das ist uns gelungen. Es geht uns hier vor allem um einen klaren Anwendungsbereich. Das heißt, dass es keine pauschalen Ermächtigungen zum Datensammeln gibt und die verwendeten Daten auch nicht weitergegeben werden dürfen.

Es gibt mit dieser Gesetzesänderung daher keine uneingeschränkten Ermächtigungen zu Datenermittlungen. Im Gegenteil: Es gibt eine Differenzierung der einzelnen Befugnisse nach dem jeweiligen Aufgabenbereich, und das ist gut und richtig.

Insgesamt wird mit der Neuerlassung des Auslandseinsatzgesetzes durch sinnvolle Ergänzungen und Modifizierungen insbesondere den praktischen Anforderungen und Gegebenheiten des Auslandseinsatzes Rechnung getragen. Dazu erteilen wir unsere Zustimmung.


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Herr Bundesminister! Eine ähnlich konstruktive Vorgangsweise würde ich mir auch wünschen, um die Einsatzbereitschaft der österreichischen Kräfte im Rahmen eines europäischen Krisenkorps sicherzustellen. Ich darf daran erinnern: Österreich hat sich ja verpflichtet, bis Ende 2003 3 500 Soldaten für das neue europäische Krisenmanagement bereitzuhalten, von denen ja rund 2 000 Personen gleichzeitig außerhalb Österreichs zum Einsatz kommen können. Und da fehlen, Herr Bundesminister, noch fast alle Maßnahmen, was den Bereich Ausrüstung, Organisation und Personalrekrutierung betrifft. Hier muss internationaler Standard erreicht werden, hier müssen durch eine moderne und zweckmäßige Ausrüstung Schutz und Sicherheit für jene Einsatzkräfte gewährleistet sein, die sich freiwillig für diese Aufgaben zur Verfügung stellen. Ohne entsprechende Prioritätensetzung wird dies jedoch nicht möglich sein.

Herr Bundesminister! Sie kennen unsere Vorstellungen, und wir erwarten Ihre Vorschläge. (Beifall bei der SPÖ.)

14.25

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Murauer. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 5 Minuten. – Bitte.

14.25

Abgeordneter Walter Murauer (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Ich bemühe mich, in aller Kürze die Gesetzesvorlagen zu interpretieren.

Es geht uns nicht so wie gestern, als wir das Kriegsmaterialgesetz diskutiert haben. Wir brauchen uns nicht über Doppelstrategien auseinander zu setzen, damit, dass sozialdemokratische Spitzenabgeordnete in Amsterdam A und in Wien B sagen und dann nichts mehr davon wissen. Wir brauchen uns auch nicht damit auseinander zu setzen, dass der Konsulent für Finanzfragen, Herr Edlinger, die Möglichkeit einer Budgetkürzung beim Bundesheer in der Höhe von 6 Milliarden Schilling sieht und diese auch fordert, sondern es geht darum, dass Gesetzesvorlagen – ich erspare es Ihnen, sie namentlich zu nennen, weil sie einfach zu lange Formulierungen haben – beschlossen werden, mit denen im Rahmen der Landesverteidigung weitere Deregulierungsschritte gesetzt werden, dass die Gesetzesflut bekämpft und Doppelgleisigkeit vermieden wird. Unterm Strich: Es wird eine moderne Administration angestrebt und umgesetzt.

Es geht im Wesentlichen um das Auslandseinsatzgesetz, das heißt um Auslandspräsenzdienst – was natürlich nichts mit dem Grundwehrdienst zu tun hat –, um die Entsendung österreichischer Soldaten ins Ausland.

1997 wurde das Bundesverfassungsgesetz von 1965 geändert – zur besseren Kooperation und für mehr Solidarität bei unseren Auslandseinsätzen. Jetzt dürfen auch Einzelpersonen ins Ausland entsandt werden – das ist ein Punkt dieser Änderungen – und nicht nur ganze Einheiten. Früher mussten immer ganze Einheiten entsandt werden; für Einzelpersonen war dies nicht möglich.

Bisher war es auch notwendig, ein formelles Ersuchen um Hilfeleistung an Österreich zu stellen. Dies fällt nun ebenfalls weg.

Sie sehen, meine Damen und Herren, dass es hier wirklich um Vereinfachung geht. Für dringende Notsituationen im Ausland gibt es auch eine entsprechend einfachere Entscheidungsmodalität.

Ein wichtiger Teil dieser Gesetze ist es, dass wir den Auslandsdienst für Frauen öffnen, dass Frauen Zugang zum Auslandsdienst haben, dass sie gleichberechtigt mit den männlichen Kollegen im Ausland Hilfeleistung durchführen können, und zwar auch über die Milizlaufbahn.

Eine Wehrpflicht – und das möchte ich unterstreichen – wird es auch in Zukunft für Frauen nicht geben, für einen Auslandseinsatz soll jedoch die militärische Fähigkeit sichergestellt sein. Und auch dafür sorgt das Gesetz.


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Ein wichtiger Aspekt ist natürlich auch die Erfüllung der UN-Konvention – auf diese wird Kollege Amon noch näher eingehen –, dass wir auf keinen Fall Unter-18-Jährige ins Ausland entsenden, weshalb diese auch nicht ansuchen dürfen und sich nicht für den Auslandsdienst melden dürfen.

Ein weiterer Punkt: Es ist möglich, eine freiwillige Meldung ohne Angabe von Gründen schriftlich zurückzuziehen.

Für unsere Soldaten ist es wichtig, dass sie Rechtssicherheit haben, dass sie sprachlich-legistische Verbesserungen erhalten, dass sie im Disziplinarrecht eine Sonderregelung haben, dass die Bemessungsgrundlage entsprechend gesenkt wurde, wie in vorhergegangenen Entwürfen, und dass es eine gute Zusammenarbeit mit den Vertretern der Gewerkschaft der Soldaten gegeben hat. Und ich darf hier auch dem Herrn Minister für sein Entgegenkommen danken.

Die Dienstgrade, meine Damen und Herren, werden nicht mehr im Wehrgesetz, sondern im Verordnungsweg geregelt.

Weiters wird es eine Treueprämie für jene Zeitsoldaten geben, die den Wehrdienst durch den Auslandspräsenzdienst unterbrechen; früher hat es eine Überbrückungsbeihilfe gegeben.

Abschließend: Es scheint mir besonders hervorhebenswert zu sein, dass mit diesen Gesetzesvorlagen auch eine Änderung des Militär-Auszeichnungsgesetzes beschlossen und eine Einsatzmedaille eingeführt wird.

Meine Damen und Herren! Unsere Soldaten leisten Besonderes, wo immer sie eingesetzt werden, ob national oder international, und erfahren auch immer wieder entsprechende Anerkennung, wenn sie im Katastrophendienst, im Dienst der Humanität unterwegs sind. Sie beweisen Flexibilität, können sich anpassen und zeigen entsprechende Motivation. In Zukunft soll es dafür eine Einsatzmedaille geben.

Meine Damen und Herren! Die Gesetzesvorlagen dienen der Entbürokratisierung und auch der Motivation. (Beifall bei der ÖVP.)

14.32

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Jung. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 5 Minuten. – Bitte.

14.32

Abgeordneter Wolfgang Jung (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Zunächst bringe ich folgenden Antrag ein:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Jung, Murauer, Gaál und Kollegen zur Regierungsvorlage betreffend den Entwurf eines Auslandseinsatzanpassungsgesetzes (536 d. B.)

Der Nationalrat wolle beschließen:

Der im Titel genannte Gesetzentwurf in der Fassung des Berichtes des Landesverteidigungsausschusses (561 d. B.) wird wie folgt geändert:

1. Im Art. 2 wird nach der Z 1 folgende Z 1a eingefügt:

"1a. Im Paragrafen mit der Überschrift ,Entschädigungsbemessung für nicht selbständig Erwerbstätige‘ wird die Paragrafenbezeichnung ,38‘ durch die Paragrafenbezeichnung ,37‘ ersetzt."

2. Im Art. 3 Z 25 wird im § 89 Abs. 4c die Datumsangabe "30. Juli 2001" durch die Datumsangabe "30. Juni 2001" ersetzt.


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3. Im Art. 6 Z 10 wird im § 17 Abs. 3a die Datumsangabe "30. Juli 2001" durch die Datumsangabe "30. Juni 2001" ersetzt.

*****

Die Begründung: Es handelt sich um formalrechtliche Korrekturen.

Ich möchte kurz auch auf das Gesetz betreffend Hilfeleistung im Ausland eingehen. Der Herr Verteidigungsminister hat immer wieder gesagt, dass sich das Bundesheer von einem Ausbildungsheer hin zu einem Einsatzheer verändert hat, und das ist ja auch mehr als deutlich im Betrieb des Bundesheeres festzustellen.

Wir haben rund 2 000 Mann im Assistenzeinsatz an der Grenze, und zwar ständig, 24 Stunden 365 Tage im Jahr. Wir haben 1 200 Mann im Ausland an, ich glaube, 14 unterschiedlichen Einsatzorten, darunter drei im Bataillonsverband. Das, was früher die Ausnahme war, ist heute der Normalfall.

In rechtlicher Hinsicht hinken wir den Erfordernissen noch nach, und der Herr Bundesminister versucht nun, die rechtlichen Lücken zu schließen. Die gegenwärtigen Vorlagen sind ein Teil dieser Arbeit.

Die wesentlichen Regelungen wurden bereits von den Kollegen Murauer und Gaál angesprochen, ich brauche daher nicht zu sehr auf sie einzugehen. Ein wichtiger Punkt, den ich erwähnen möchte, ist die Vereinheitlichung des Disziplinarrechts, die in dieser Form für die Auslandseinsätze notwendig geworden ist, weil es in der Vergangenheit häufig sehr schwierige rechtliche Situationen gegeben hat, die man dann mit einer Pseudolösung der Repatriierung, das heißt mit dem Heimschicken des Betroffenen gelöst hat, was auf Dauer nicht befriedigend ist.

Lassen Sie mich abschließend noch eine Lanze für Auslandseinsätze und zugunsten dieser Soldaten grundsätzlich brechen. Ich habe vorhin bereits gesagt, dass der Auslandseinsatz immer mehr zum Normalfall für unser Bundesheer wird. Er ist in unser aller Interesse. Es ist in unserem Interesse, im Vorfeld Frieden zu erhalten oder wiederherzustellen, um die Auswirkungen auf Österreich zumindest einzudämmen. Diese Einsätze finden im Prinzip die Zustimmung aller Parteien, sogar jene der Grünen – wenn ich mich richtig erinnere, waren sie ja das letzte Mal auch gegen die Zurücknahme des Zypern-Einsatzes.

Das hört sich schön an, die Politiker aller Regierungen loben diese Einsätze immer wieder und lassen sich gerne an den Einsatzorten mit den Soldaten filmen. Anständigerweise sollten wir aber auch die Konsequenzen aus diesen Einsätzen ziehen. Wenn ständig etwa brigadestarke Kräfte im Ausland sind, und zwar in anspruchsvollen und immer anspruchsvoller und gefährlicher werdenden Einsätzen, dann kostet das auch etwas. Ein LKW, der zum Beispiel im Grenzeinsatz benützt wird oder vielleicht sogar auf schlechten Straßen in Bosnien, wie es der Fall war, pausenlos Transporte durchführt, Hunderte, wenn nicht Tausende Fahrten mit Material zum Wiederaufbau von Häusern, Schulen und so weiter durchführt, ist eben viel früher schrottreif als ein LKW, der in Österreich für die Ausbildung im Bundesheer benützt wird. Und wenn man vom Bundesheer zum Beispiel verlangt, dass es den Aufbau in Bosnien unterstützt, dann sollte man ihm anständigerweise auch die notwendigen Mittel dafür geben, meine Damen und Herren! – Das ist etwas, was wir wirklich berücksichtigen sollten.

Frühere Regierungen haben dem Bundesheer zusätzliche Aufträge erteilt, finanzielle Mittel dafür aber vorenthalten – das war nicht seriös. Minister Scheibner wird kritisiert, wenn er die Konsequenzen zieht und Schwergewichtsbildungen – das ist das einzige Mittel, das ihm derzeit ohne mehr Geld bleibt – vornimmt und zum Beispiel den nicht so wichtigen Zypern-Einsatz reduziert. Es ist unfair gegenüber dem Bundesheer, so zu argumentieren.

Zum Schluss: Unsere Soldaten, insbesondere jene im Ausland, die eine anspruchsvolle und oft gefährliche Aufgabe erfüllen und unserem Land dienen, haben ein Recht – ein Recht! – auf


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bestmögliche Ausrüstung und bestmöglichen Schutz. Es ist verdammt unfair, solche Ausgaben dann mit teuren Autobahnpickerln oder Ambulanzgebühren gegenzurechnen, wie dies jüngst Frau Kollegin Lichtenberger im Fernsehen in der "ZiB 3" gemacht hat. Wer so argumentiert, meine Damen und Herren von den Grünen, hat jeden Anspruch auf Seriosität verloren! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

14.37

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Ich gebe bekannt, dass der Abänderungsantrag der Abgeordneten Jung, Murauer und Gaál ausreichend unterstützt ist und daher mit in Verhandlung steht.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dipl.-Ing. Kummerer. – Bitte.

14.37

Abgeordneter Dipl.-Ing. Werner Kummerer (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich gehofft, meine Ausführungen wie meine Vorredner besonders kurz halten zu können, aber Kollege Jung hat es mir nicht so einfach gemacht.

Herr Kollege Jung! Dass die Auslandseinsätze in Ordnung sind, ist, glaube ich, unbestritten. Ich möchte mich bei jedem einzelnen Soldaten, der dazu seinen Beitrag geleistet hat, herzlich bedanken! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Freiheitlichen und der ÖVP.)

Herr Abgeordneter Jung! Da Sie gesagt haben, dass die früheren Regierungen da etwas versäumt haben, erinnere ich Sie daran, dass das Bundesheer nie so viel Geld zur Verfügung hatte wie unter Edlinger. (Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.) – Bereinigt um die zusätzlichen Soldaten stimmt das.

Ich frage Sie, Herr Kollege Jung: Wer hält Sie davon ab, dem Bundesheer mehr Geld zu geben? (Rufe bei den Freiheitlichen: Eure Schulden!) Sie haben eine gesicherte Mehrheit und einfachgesetzliche Möglichkeiten.

Ich sage Ihnen, Herr Kollege Jung, wer Sie aufhält: Ihr Finanzminister hält Sie auf, der njet sagt, und Ihr Staatssekretär hält Sie auf, der njet sagt, wenn es darum geht, dass das Bundesheer zu Geld kommt. Schielen Sie nicht nach links. In Ihren eigenen Reihen liegt die Verantwortung, für die Finanzierung zu sorgen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich hatte gehofft, meine Damen und Herren, dass mit diesem Abänderungsantrag auf eine Anregung, die ich im Ausschuss vorgebracht habe, eingegangen wird. Das Gesetz ist in Ordnung, die Klarstellungen sind notwendig – kein Gesetz ist perfekt, meiner Ansicht nach auch dieses nicht, da es über die pensionsrechtlichen Konsequenzen für die Präsenzdiener, für die Soldaten keine Regelung enthält.

Ich weiß, dass die Soldaten, die ins Ausland entsandt werden, darauf aufmerksam gemacht und nachdrücklich ersucht werden, sich selbst in ihrer Pflichtversicherung weiterzuversichern. Ein 19-jähriger, 20-jähriger junger Mann beziehungsweise eine junge Frau denkt halt noch sehr wenig an die Pensionsversicherungszeiten. Es gibt keine Kontrolle, und es gibt keinen Zwang, es zu machen. Meiner Ansicht nach ist hier eine Verpflichtungspflicht vorzusehen, der nachzukommen ist, was auch zu kontrollieren ist, bevor wir unsere jungen Leute ins Ausland entsenden.

Meine Damen und Herren! Ich bin sehr erfreut darüber, dass es zu einer Modifizierung des Heeresgebührengesetzes kommt, durch die notwendige Klarstellungen und Vereinfachungen geschaffen werden.

Zum Abschluss, Herr Bundesminister: Ich wünsche Ihnen, dass Sie die Gesetze auch brauchen können. Wir haben gestern wieder von neuen internen Berichten gelesen und gehört, wonach Ihnen 150 Milliarden Schilling fehlen. Ich muss sagen, mich persönlich würde dieser interne Bericht brennend interessieren. Mich würde interessieren, was in den letzten zehn Jahren unter


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der Verantwortung Ihres Vorgängers, Minister Fasslabend, hier geschehen ist, ob die Investitionen richtig getätigt wurden – die oft verlangten Pläne wurden ja nie vorgelegt – und ob es tatsächlich die Möglichkeit gibt, die internationalen Verpflichtungen, die Sie eingegangen sind und hier mit diesem Gesetz untermauern, auch tatsächlich einzuhalten. (Beifall bei der SPÖ.)

14.41

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Von der Regierungsbank zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister Scheibner. – Bitte.

14.41

Bundesminister für Landesverteidigung Herbert Scheibner: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorerst möchte ich mich bei allen Abgeordneten, die im Verteidigungsausschuss an diesem Gesetz mitgearbeitet haben, ganz aufrichtig bedanken. Ich glaube, es ist ein gutes Beispiel dafür, wie man Gesetze, auch wenn sie vielleicht nicht weltbewegende Materien umfassen, doch mit großer Übereinstimmung und unter Einbindung aller Fraktionen gestalten und dann auch einstimmig hier im Nationalrat beschließen kann.

Ich glaube, es ist seit langem das erste Mal, dass eine Heeresgesetzmaterie einstimmig dieses Haus passieren wird, zumindest wenn das Abstimmungsverhalten dem entspricht, was wir im Ausschuss gesehen haben.

Es sind einige interessante Maßnahmen davon umfasst, etwa die Möglichkeit für Frauen, auf freiwilliger Basis jetzt auch Auslandsdienste im Rahmen des Bundesheeres zu machen. Es sind eine ganze Reihe von Verwaltungsvereinfachungen mit einbezogen. Bei den disziplinarrechtlichen Bestimmungen gibt es klarere Formulierungen. Weiters enthalten sind das Verbot des Einsatzes von Jugendlichen unter 18 Jahren im Ausland und die Einführung einer Einsatzmedaille als sichtbare Auszeichnung der Republik Österreich und des österreichischen Bundesheeres für jene Soldaten, die sich in Einsätzen bewähren und unter Inkaufnahme durchaus auch eigener Gefährdung für die Sicherheit der Österreicher geradestehen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Noch einige kurze Bemerkungen zu den in der Debatte gestellten Fragen. Herr Abgeordneter Gaál hat den Beitrag unserer Eingreiftruppe im Rahmen der Europäischen Union angesprochen. Ich glaube – und das sollte auch hier einhellige Vorgangsweise und Meinung sein –, dass für Österreich und für das österreichische Bundesheer der Einsatz bei friedenserhaltenden, aber auch friedensdurchsetzenden Maßnahmen im Ausland eine immer größere Bedeutung haben wird. Jede Krise, die es in Europa oder rund um Europa gibt, hat auch eine Auswirkung auf die Sicherheitsinteressen Österreichs. Und deshalb ist es auch im Interesse Österreichs, dass wir an der Krisenbewältigung im internationalen Verbund teilnehmen.

Herr Abgeordneter Gaál, Sie wissen, dass wir einen Beitrag eingemeldet haben. Die Einzelbeiträge der 15 EU-Mitgliedsländer werden jetzt gerade in Brüssel evaluiert. Wir erwarten Anfang bis Mitte Juni einen ersten Bericht über diese Beiträge. Dann werden wir wissen, ob dieser von uns eingemeldete Beitrag den internationalen Notwendigkeiten entspricht. Und wenn wir das nachvollziehbar wissen, dann können wir auch die entsprechenden Planungen für die Notwendigkeiten bei Personal und Infrastruktur festhalten.

Wenn ich Ihre Ausführungen richtig verstanden habe, dann sind Sie mit mir einer Meinung, dass für diese Einsätze das bestmögliche Gerät und die Infrastruktur auch zum Schutz unserer Soldaten notwendig sind und dass wir diesen Beitrag auch entsprechend budgetieren müssen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Herr Abgeordneter Kummerer hat die pensionsrechtlichen Konsequenzen eingemahnt und Maßnahmen verlangt, damit wir für unsere Auslandssoldaten eine pensionsrechtliche Absicherung gestalten. Wir sind auf dem Weg, das vorzubereiten. Sie wissen aber auch, dass das eine Konsequenz von sozialrechtlichen Änderungen Mitte der neunziger Jahre gewesen ist, denn bis dorthin sind alle Soldaten, die in den Auslandseinsatz gegangen sind, davon ausgegangen, dass diese Zeiten auch pensionsrechtlich anerkannt werden.


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Ganz zum Schluss die Frage der Budgets und der Einsatzbereitschaft. Darüber gab es eine Diskussion in den vergangenen Tagen. Es hat mich etwas überrascht, denn hinsichtlich der Fragen der Budgetdefizite im Bereich der Sicherheit aus den vergangenen Jahrzehnten gibt es überhaupt keinen Zweifel; auch das wurde immer wieder hier angebracht und diskutiert.

Mich hat nur etwas verwundert, dass man zuerst die Verteidigungsbudgets von mancher Seite als zu gering ablehnt, wie wir es im Budgetausschuss gesehen haben, aber dann auch eine Aufstockung dieses Budgets in der Öffentlichkeit ablehnt.

Also ich hoffe, wir finden alle wieder dazu, auch jene, die sich in allen Fraktionen mit Sicherheitspolitik beschäftigen, dass wir die sicherheitspolitischen Notwendigkeiten definieren. Dazu sollte auch im Wege einer Aufgabendiskussion die neue Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin dienen. Dann sollten wir alle gemeinsam den notwendigen Bedarf, die notwendige Infrastruktur für unsere Soldaten sicherstellen, denn es sollte unser Ziel sein, dass das österreichische Bundesheer der österreichischen Bevölkerung den Schutz bieten kann, den sie von uns erwartet, nämlich Schutz und Hilfe überall dort zu geben, wo es andere nicht mehr können. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

14.46

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Amon. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 2 Minuten. – Bitte.

14.46

Abgeordneter Werner Amon, MBA (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Mit dem Auslandseinsatzgesetz, das wir adaptieren und anpassen, signalisieren wir in Wirklichkeit eines, was in der österreichischen Sicherheitspolitik zunehmend wichtiger wird, etwas, wozu ich die SPÖ einlade, dann auch im Rahmen der Debatte um die Sicherheitsdoktrin noch einmal ihre altmodische Position zu überdenken, es signalisiert nämlich europäische Solidarität, Solidarität mit unseren europäischen Partnern im Rahmen der Europäischen Union. Es wäre schön, wenn sich auch die SPÖ langsam wegbewegen könnte von einer neutralen Position, die auf Grund der historischen Veränderungen, die wir in den letzten 10, 15 Jahren erlebt haben, einfach nicht mehr zeitgemäß ist, hin zu einer Solidaritätshaltung gemeinsam mit den Partnern in der Europäischen Union. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Ich habe noch ein zweites Anliegen an die SPÖ, weil sich die Bundesregierung zu dem Ziel bekannt hat, pro futuro ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Landesverteidigung zur Verfügung zu stellen – ein Ziel, das im Übrigen auch der Wehrsprecher der SPÖ, Kollege Gaál, immer wieder eingefordert hat. Herr Kollege Gaál! Ich wünsche mir wirklich, dass Sie sich damit auch in den eigenen Reihen durchsetzen können und dass die SPÖ endlich damit aufhört, dieses Doppelspiel zu betreiben. Wenn auf der einen Seite die Diskussion darüber läuft, dass wir für notwendige humanitäre Einsätze Hubschrauber anschaffen wollen, dann sind Sie die Ersten, die das einfordern. Wenn es dann an die konkrete Umsetzung geht, wenn es ums Geld geht, wehren Sie sich und sind mitunter sogar dagegen. Dasselbe gilt für die Luftraumüberwachung und natürlich auch für die Ausrüstung beim Bundesheer. Ich bitte Sie wirklich, Herr Kollege Gaál, setzen Sie sich durch in der eigenen Fraktion, schauen wir gemeinsam, dass wir dieses eine Prozent des BIP für das österreichische Bundesheer zustande bringen! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen; mein Kollege Murauer hat bereits darauf verwiesen. Wenn sich junge Soldaten freiwillig melden, etwa für die Ausbildung für Auslandseinsätze, dann können sie jetzt mit dem neuen Gesetz eine solche Ausbildung schon vor ihrem 18. Lebensjahr beginnen. Ich sage hier aber ausdrücklich, es geht hier um die Ausbildung, die sie im Inland absolvieren. Wir haben auch hier im Hohen Haus bereits in der letzten Legislaturperiode gemeinsam eine Entschließung verabschiedet, in der wir uns gegen Kindersoldaten ausgesprochen haben, ganz im Einklang mit einschlägigen UNO-Resolutionen, die es gibt. Also es bleibt dabei, dass der Auslandseinsatz natürlich erst ab dem 18. Geburtstag möglich ist. Ich denke, dass es aber sinnvoll ist, jungen Soldaten die Möglichkeit zu geben, sozusagen schon im


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Vorhinein eine solche Ausbildung zu absolvieren. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

14.49

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Reindl. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 5 Minuten. – Bitte.

14.49

Abgeordneter Hermann Reindl (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Österreich hat sich schon immer durch die Entsendung von Soldaten zur Hilfeleistung ins Ausland große Verdienste und internationale Anerkennung erworben. Es ist ein Zeichen von Humanität, wenn man hilft, Leid zu lindern. Es ist ein Zeichen von Humanität, wenn man in Krisensituationen Beistand leistet. Dass Auslandseinsätze unseres Bundesheeres auch für Frauen geöffnet worden sind, ist ein Zeichen der Zeit, es ist zu begrüßen und zu befürworten.

Meine Damen und Herren! Ebenso zu begrüßen und zu befürworten ist die Tatsache, dass nach dieser Gesetzesänderung nicht nur militärische Einheiten, sondern auch Einzelpersonen entsendet werden können.

Hohes Haus! Wer schnell hilft, hilft doppelt. Auch dieser alten Weisheit wurde in den vorliegenden Gesetzentwürfen Rechnung getragen. So werden vereinfachte Entscheidungsmodalitäten in besonders dringlichen Notsituationen sowie zur Verlängerung bestehender Hilfeleistungen im Ausland eingeführt.

Der Abbau von unzweckmäßigen Verwaltungsvorgängen und Doppelzuständigkeiten entspricht dem Ziel der neuen Bundesregierung. Das ist Reformpolitik, das ist "Regieren neu".

Meine Damen und Herren! Erfreulich ist, dass die vorliegenden Gesetzesmaterien im Landesverteidigungsausschuss einstimmig verabschiedet wurden. Ich glaube, es wird auch heute im Plenum einen einstimmigen Beschluss geben, obwohl Kollege Kummerer von der SPÖ gemeint hat: Kein Gesetz ist perfekt. Dabei hat er die Pensionsregelung für Auslandseinsätze angesprochen, aber ich bin mir sicher, dass Herr Bundesminister für Landesverteidigung Scheibner auch in diesem Fall eine Lösung finden wird.

Ich möchte in diesem Zusammenhang nur daran erinnern, dass das Bundesheer zehn Jahre Assistenzdienstleistungen bei der Grenzsicherung durchgeführt hat, was immerhin eine Milliarde Schilling pro Jahr gekostet hat. Dazu kommen noch die Einsätze in Bosnien, im Kosovo und so weiter.

Meine Damen und Herren! Das ist ein Investitionsrückstau, der aber nicht das Verschulden dieser Bundesregierung, sondern der Regierung unter SPÖ-Verantwortung ist.

Meine Damen und Herren! Hohes Haus! Durch die vorliegenden Gesetzentwürfe wird ein neuerlicher Anreiz geschaffen, dass Österreich seiner Bereitschaft zur Hilfeleistung im Ausland auch in Zukunft nachkommen kann. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

14.52

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Hagenhofer. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 6 Minuten. – Bitte.

14.53

Abgeordnete Marianne Hagenhofer (SPÖ): Herr Präsident! Herr Minister! Das vorliegende Auslandseinsatzgesetz ermöglicht es Frauen, auf freiwilliger Basis im Ausland im Rahmen des Bundesheeres ihren Dienst zu versehen.

Herr Bundesminister! Es ist mir eines dabei wichtig, nämlich dass Sie dafür Sorge tragen, dass es für alle Personen, aber natürlich im Besonderen auch für die Frauen entsprechende Vorbereitung, entsprechende Einschulung für diese Einsätze im Ausland gibt, dass die Betreuung vor Ort im Ausland entsprechend gegeben ist und dass Hilfe zur Selbsthilfe auch im Ausland


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grundsätzlich, natürlich auch speziell für die Frauen gegeben ist, weil eben schlimme Ereignisse eintreten können und es unverantwortlich wäre, wenn Personen, die für Österreich in den Auslandseinsatz gehen, traumatisiert nach Österreich zurückkommen. Bitte tragen Sie dafür Sorge, dass diese Personen Schutz und Hilfe erhalten. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

14.54

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Freund. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 5 Minuten. – Bitte.

14.54

Abgeordneter Karl Freund (ÖVP): Geschätzter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Wir befinden uns in einer Zeit neuer Herausforderungen und internationaler Solidarität. Die territorialen Aufgaben des Heeres haben sich in den letzten Jahren nicht geändert, wohl aber die internationalen Anforderungen. Inlandsaufgaben sind nach wie vor der Schutz der Grenzen Österreichs und die Hilfe bei Katastrophen. Diese Aufgabe ist sehr personalintensiv, und man braucht nach wie vor Wehrpflichtige, weil schon allein von der Mannschaftszahl her eine Berufsarmee nur sehr schwer zu finanzieren wäre.

Aufgaben wie die Aufrechterhaltung stabiler Verhältnisse und die Gewährleistung der Sicherheit Österreichs wird uns auch in Zukunft niemand abnehmen können. Immer wieder wird Österreich in Krisenfällen in Europa gebeten, Truppen zur Verfügung zu stellen, um Frieden zu schaffen und der Not leidenden Bevölkerung beizustehen. Unsere Soldaten leisten auf diesem Sektor gute Arbeit. Das wird ihnen auch immer wieder von internationalen und nationalen Gremien bescheinigt.

Herr Bundesminister! Mich freut es ganz besonders, dass es jetzt neu eine Einsatzmedaille gibt, die ein äußeres Zeichen des Dankes sein soll. Diese wird es für Inlands- und Auslandseinsätze in Bronze, Silber und Gold geben. (Beifall bei der ÖVP.)

Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Mit dem Auslandseinsatzgesetz 2001 werden nun weitreichende legistische und sprachliche Verbesserungen im Bereich der Auslandseinsätze erreicht. Auch sichert der vorliegende Entwurf dem Bund Einsparungen – kein großer Betrag, aber immerhin ein positives Signal. Die Anpassung der Disziplinarbestimmungen an die praktischen Erfordernisse, wie von Experten gefordert, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ebenso ist die Beseitigung verschiedener Formalvorschriften wichtig, um bei der Vollziehung einen größeren Gestaltungsspielraum einräumen zu können. Für mich ist das ein Paradebeispiel gelungener Deregulierung, die sich unsere Bundesregierung ebenso wie Vollbeschäftigung und Privatisierung auf ihre Fahnen geschrieben hat.

Ein mir besonders positiv erscheinender Aspekt ist der von uns möglich gemachte Auslandseinsatzpräsenzdienst für Frauen. Dieser Schritt soll demonstrativ zeigen, dass in unserem Heer Gleichberechtigung gelebt wird und nicht nur leere Floskeln gedroschen werden. Daher kann man diesem Gesetz, glaube ich, gerne die Zustimmung geben. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

14.57

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Zellot. Ich werde allerdings in 4 Minuten die Sitzung zum Aufruf eines Dringlichen Antrages unterbrechen. – Bitte.

14.57

Abgeordneter Roland Zellot (Freiheitliche): Meine geschätzten Damen und Herren! Es freut mich ganz besonders, dass vor allem das Wehrgesetz, das Heeresgebührengesetz, das Heeresdisziplinargesetz, das Munitionslagergesetz, das Sperrgebietsgesetz und das Militär-Auszeichnungsgesetz wieder zeitgemäßen Bedingungen angepasst werden. Dies zeigt auch, dass das Bundesministerium für Landesverteidigung das Signal für Einfachheit und Schnelligkeit bei der Durchsetzung von Gesetzen gibt.


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Es erfüllt mich natürlich mit besonderer Freude, dass hier Einstimmigkeit herrscht, und zwar hinsichtlich der Tatsache, dass in Reden bei militärischen Veranstaltungen verdienten Soldaten nicht immer nur Dank ausgesprochen wird, sondern diese für ihren Einsatz auch ausgezeichnet werden. Es freut mich, dass hier alle mitgestimmt haben. Ich bedanke mich beim Minister für diese Auszeichnungen! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

14.58

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Grabner. Freiwillige Redezeitbeschränkung. (Abg. Grabner  – auf dem Weg zum Rednerpult –: Aus muss es dann sein!)

14.58

Abgeordneter Arnold Grabner (SPÖ): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selbstverständlich hätte ich länger gesprochen, aber ich verzichte angesichts der Tatsache, dass es Freitag ist und wir den Herrn Minister nicht länger aufhalten wollen, sonst müsste er ja während der ganzen Dringlichen dableiben, darauf.

Auf politische und gesellschaftliche Veränderung muss der Gesetzgeber reagieren. Seit einiger Zeit steht nun auch Frauen die berufliche Laufbahn im Bundesheer offen. Daher ist es sinnvoll, Frauen, die den Ausbildungsdienst absolviert haben, den Zugang zum Auslandsdienst zu ermöglichen.

Meine Damen und Herren! Wir werden diesem Gesetz zustimmen. Wir haben schon die positiven Inhalte dieses Gesetzes gehört. Ich sage danke schön und hoffe, dass wir auch bei anderen Gesetzen so miteinander arbeiten können wie bei diesem. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten der ÖVP und der Freiheitlichen.)

14.58

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Ich unterbreche nunmehr die Verhandlung über die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung, damit die verlangte Behandlung eines Dringlichen Antrages gemäß der Geschäftsordnung um 15 Uhr stattfinden kann. (Abg. Dr. Khol: Zur Geschäftsbehandlung!)

Zur Geschäftsbehandlung: Herr Abgeordneter Khol. – Bitte.

14.58

Abgeordneter Dr. Andreas Khol (ÖVP) (zur Geschäftsbehandlung): Herr Präsident! Es ist zwei Minuten vor 15 Uhr. In dieser Zeit könnte die demokratische Willensbildung über das zur Debatte stehende Gesetz stattfinden.

14.59

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Herr Abgeordneter! Ich habe noch eine Wortmeldung des Abgeordneten Jung, und daher ... (Abg. Jung: Zurückgezogen!)

Bitte, wenn er die Wortmeldung zurückgezogen hat, dann stelle ich fest, dass das entsprechende Quorum anwesend ist. Daher nehme ich die Abstimmung vor.

Wir gelangen nun zur Abstimmung, die über jeden Ausschussantrag getrennt vorgenommen wird.

Zuerst stimmen wir ab über den Entwurf betreffend Auslandseinsatzgesetz 2001 samt Titel und Eingang in 535 der Beilagen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Gesetzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist einstimmig angenommen.

Wir kommen sogleich zur dritten Lesung.


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Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Gesetzentwurf auch in dritter Lesung ihre Zustimmung erteilen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Das ist ebenfalls einstimmig angenommen. Der Gesetzentwurf ist somit auch in dritter Lesung einstimmig angenommen.

Nunmehr kommen wir zur Abstimmung über den Entwurf betreffend Auslandseinsatzanpassungsgesetz in 561 der Beilagen.

Hiezu haben die Abgeordneten Jung, Murauer, Gaál und Genossen einen Abänderungsantrag eingebracht. Da nur dieser eine Antrag vorliegt, lasse ich sogleich über den Gesetzentwurf in der Fassung des Ausschussberichtes unter Berücksichtigung des oben genannten Abänderungsantrages abstimmen.

Wer hiefür ist, den ersuche ich um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist einstimmig angenommen.

Wir kommen sogleich zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die auch in dritter Lesung für den vorliegenden Gesetzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist ebenfalls einstimmig.

Der Gesetzentwurf ist somit auch in dritter Lesung einstimmig angenommen.

Dringlicher Antrag

der Abgeordneten Dr. Josef Cap und Genossen betreffend Grundsätze einer Reformpolitik für die österreichischen Universitäten (439/A) (E)

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Nunmehr gelangen wir zur dringlichen Behandlung des Selbständigen Antrages 439/A (E). Da dieser inzwischen allen Abgeordneten zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch den Schriftführer.

Der Antrag hat folgenden Wortlaut:

Die SPÖ hat die Diskussion um die Weiterführung der Universitätsreform von Beginn an aktiv geführt, weil sich gerade die Universitäten den Erfordernissen der Wissensgesellschaft stellen müssen. Die SPÖ steht für Veränderungen, die die Qualität des Studiums in Österreich steigern und die Rahmenbedingungen für Wissenschaft und Forschung verbessern.

Eine Universitätsreform kann und darf nicht um ihrer selbst willen erfolgen, sondern dient der Verwirklichung von konkreten Zielen. Solche Ziele sind insbesondere positive Auswirkungen auf die Qualität des Studienangebots, die Verbesserung der Studienorganisation im Sinne der Studierbarkeit in der Mindeststudienzeit, die Internationalisierung der Studien und der Forschungkooperation, die Erhöhung der Frauenquoten insbesondere in wissenschaftlichen und organisatorischen Führungspositionen sowie die Erhaltung des offenen Hochschulzuganges unabhängig von der sozialen Herkunft und den finanziellen Möglichkeiten der Studierenden. Die großen Reformen der Neunziger Jahre befinden sich zur Zeit in ihrer Umsetzungsphase und erzeugen an den Universitäten einen positiven Innovationsschub.

Dagegen bedroht die chaotische und restriktive Bildungspolitik der gegenwärtigen Bundesregierung die Chancen der Studierenden, die Weiterentwicklung von Wissenschaft und Forschung in Österreich und damit auch die Innovationskraft unseres Landes.

So stellt etwa die überfallsartige Einführung der Studiengebühren offensichtlich den ersten Schritt zur Einschränkung bzw. Abschaffung des offenen Universitätszugangs in Österreich dar. Weitere Hürden sind im Zuge der von der Bundesregierung geplanten "Vollrechtsfähigkeit" der Universitäten zu erwarten. Dazu kommt die große Verunsicherung der UniversitätslehrerInnen durch die unausgegorenen Vorschläge für ein neues Dienstrecht. Darüber hinaus bedeuten die bisher bekanntgewordenen fragmentarischen Vorstellungen des Bildungsressorts betreffend die


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Organisationsreform der Universitäten das Ende der demokratischen Mitbestimmung aller Universitätsangehöriger.

Seit der am 15.12.2000 im Bildungsministerium erfolgten Präsentation der sogenannten "Eckpunkte zur Weiterentwicklung des Universitätsbereichs" verstärkt sich die Kritik an der chaotischen Wissenschaftspolitik dieser Bundesregierung durch die Universitätslehrer und die Studierenden in Österreich. Große Teile des Mittelbaus werden durch die in Begutachtung stehenden Dienstrechtsänderungen in ihrer beruflichen Existenz bedroht. Auch die Ausgliederung der Universitäten und der damit verbundene Rückzug des Staates aus der Hochschulpolitik soll nach jüngsten Aussagen von BK Dr. Schüssel ohne breite Diskussion mit den davon betroffenen Gruppen durchgepeitscht werden. Noch dazu soll diese Reform ohne Evaluierung des UOG 1993 erfolgen.

Es ist unbestreitbar, dass Probleme im universitären Bereich existieren, die weiterer Reformschritte bedürfen. Dazu zählen unter anderem die überdurchschnittlich langen Studienzeiten in Österreich, das Fehlen von ausreichenden Studienangeboten für Berufstätige, die fehlende Abstimmung des Lehrangebots, der oft fehlende Arbeitsmarktbezug bei den Studienplänen, Evaluierungsverfahren ohne Konsequenzen, unzureichende Investitionsmittel, unzureichende Mittel für den Ausbau der Fachhochschulen usw. Außerdem fehlen moderne Instrumente der Personalentwicklung. Über weitere Schritte der Universitätsreform kann aber nur dann sinnvoll diskutiert werden, wenn ein konkreter Bezug zwischen den vorgeschlagenen Reformen und den dadurch zu lösenden Problemen hergestellt wird. Dies ist bei den bisher bekanntgewordenen Vorstellungen der Bildungsministerin nirgends der Fall. Welche Probleme durch welche Reformschritte gelöst werden sollen, bleibt im Schlagwortkatalog des Bildungsministeriums völlig im Dunkeln.

Dazu kommt die Tendenz, Fragen der Universitätsreform ausschließlich aus einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise zu sehen. Offensichtlich soll ein möglichst hoher "Output" an akademisch gebildeten Arbeitskräften für die Wirtschaft in möglichst kurzer Zeit und zu möglichst geringen Kosten produziert werden. Dieser Ansatz ist völlig unzureichend und geht an der gesellschaftlichen Bedeutung von Bildung vorbei. Universitäten haben in Lehre und Forschung eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung und können daher nicht wie gewinnorientierte Unternehmen organisiert und geführt werden.

Studierende dürfen nicht auf "menschlichen Output" oder auf eine Rolle als Kunden der Universität reduziert werden. Die angehenden AkademikerInnen sind Teil der intellektuellen Kraft einer Gesellschaft, sie lernen und forschen nicht nur für ihre berufliche Bildung, sondern sie bereichern die gesamte Gesellschaft durch ihr Wissen. Studierende sind keine Kunden, da sie nicht nur Bildung konsumieren, sondern aktiv an der Weiterentwicklung der Universitäten mitwirken.

Aus Anlass der bevorstehenden ÖH-Wahlen muss festgehalten werden, dass eine starke und unabhängige Vertretung für alle Studierenden von größter Bedeutung ist. Die Unabhängigkeit der Österreichischen HochschülerInnenschaft muss weiterhin gewährleistet werden. Für die ÖH als Interessenvertretung ist es unverzichtbar, in sämtliche genannten Entscheidungsprozesse mit Sitz und Stimme eingebunden zu sein. Nur so kann eine echte Interessenvertretung der Studierenden garantiert werden.

Die organisationsrechtlichen Vorstellungen der Bildungsministerin einschließlich der Einführung von "Globalbudgets" lassen das definitive Ende des freien Hochschulzuganges in Österreich befürchten. Denn die Universitäten werden "Globalbudgets" nur dann akzeptieren, wenn die damit zu finanzierenden Studienplätze – wie bereits im Fachhochschulsektor – streng kontingentiert werden. Das würde das Ende der seit den siebziger Jahren in Österreich erfolgten Bildungsexpansion bedeuten. Die Bundesregierung strebt offensichtlich den Umbau des freien und demokratischen Universitätssystems Österreichs in Bildungseinrichtungen für gesellschaftliche Eliten an, die durch Studiengebühren und Aufnahmeprüfungen dafür sorgen werden, dass der Anteil von Kindern aus Klein- und Mittelverdienerfamilien begrenzt bleibt.


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Darüber hinaus gibt es aber offensichtlich unterschiedliche Vorstellungen zwischen dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur und dem Bundesministerium für Finanzen darüber, was eine "vollrechtsfähige Universität" sein soll und vor allem "kosten darf": Während das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur noch davon spricht, dass die "Vollrechtsfähigkeit" nicht zu Einsparungen des Universitätsbudgets führen kann und soll und sogar von einzelnen Spitzenbeamten und akademischen Funktionären darauf hingewiesen wird, dass die "Vollrechtsfähigkeit" zwangsläufig infolge der Systemumstellung auf viele Jahre hinaus zusätzliche Mittel erfordert, ehe der Staat eine Kostenreduktion durch Abschaffung des Beamtenstatus von Universitätsangehörigen lukrieren könnte, geht das Bundesministerium für Finanzen eindeutig von einer "Deckelung" oder gar Kürzung des Universitätsbudgets aus. Mit solchermaßen mit den "vollrechtsfähigen Universitäten" auszuhandelnden gedeckelten oder reduzierten "Globalbudgets" könnte daher keinesfalls auch nur annähernd die gegenwärtige Leistungserfüllung der Universitäten ermöglicht werden. Dies würde zwingend zu Einschränkungen des Universitätsbetriebes sowohl in Forschung wie Lehre führen. Überdies gibt es für fast alle Universitäten sowohl vom Stand der wissenschaftlichen Entwicklung als auch eines immer noch bestehenden Ausbaubedarfes ein viele Milliarden erforderliches Bau- und Investitionsprogramm. Ohne eine dezidierte und durch bindende Verträge zuzusichernde Investitionsvorsorge des Staates würden die Universitäten – da sie derartige Investitionen aus ihren Budgets nicht finanzieren könnten – zusätzlichen Einschränkungen unterliegen und könnten im internationalen Wettbewerb nicht erfolgreich bestehen.

Verschärft werden die Probleme im Universitätsbereich durch die außerordentlich restriktive Budgetpolitik, die sämtliche gesellschafts- und bildungspolitische Ziele dem "Mythos Null-Defizit" opfert. Laut Übersicht 20/2 der Beilagen zur Budgetrede 2002 des Finanzministers werden die Ausgaben für Forschung und Entwicklung von 2.937 Millionen Euro (2001) auf 2.451 Millionen Euro (2002) sinken. Die mehrfach angekündigten zusätzlichen 7 Milliarden ATS für Forschung und Entwicklung sind immer noch nicht in konkreten Einzelprojekten realisiert. Entgegen der Ankündigung der Bildungsministerin in den Verhandlungen über den Bundesvoranschlag 2000 wurden auch die damals um zwei Drittel gekürzten Investitionsmittel für die Universitäten bis heute nicht kompensiert.

Das "Volksbegehren gegen Studiengebühren und für eine Bildungsoffensive" der überparteilichen Bildungsplattform "Recht auf Bildung", das in seinem ersten Punkt "gegen Kürzungen im gesamten Bildungsbereich und für ausreichende staatliche Finanzierung von öffentlichen Bildungseinrichtungen, die ein vielfältiges Bildungsangebot gewährleistet" eintritt, wird von der SPÖ ausdrücklich begrüßt.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Dringlichen Antrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

Entschließung

Der Nationalrat hat beschlossen:

"Die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur wird aufgefordert, sich in der Bundesregierung für eine Weiterentwicklung des universitären Bereichs in Österreich nach folgenden Grundsätzen einzusetzen:

Der freie und offene Hochschulzugang ist auch weiterhin zu gewährleisten. Die Studiengebühren sind abzuschaffen, die Ansätze zu einer Studienplatzkontingentierung sind zurückzunehmen.

Organisatorische Reformen der Universitäten dürfen zu keiner Einschränkung der Qualität der demokratischen Mitbestimmung aller Universitätsangehöriger führen.


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70. Sitzung / Seite 100

Die Reformen müssen positive Auswirkungen auf die Qualität des Studienangebots (erhöhte Lehrkapazitäten für die Betreuung der Studierenden, Studierbarkeit in der gesetzlichen Studiendauer, verbesserte Vereinbarkeit von Studium und Beruf) haben.

Das Betreuungsverhältnis an den österreichischen Universitäten muss dringend verbessert werden. Erhöhte Lehrkapazitäten sind ausreichend zu finanzieren.

Die Österreichische HochschülerInnenschaft muss als gesetzliche Interessenvertretung der Studierenden anerkannt bleiben. Die Mitgliedschaft ist auf Studierende an Fachhochschulen und Sozialakademien auszuweiten. Eine Universitätsreform darf zu keiner Beschneidung der Rechte der HochschülerInnenschaft führen.

Die finanzielle Unabhängigkeit der Österreichischen HochschülerInnenschaft muss auch in Zukunft sichergestellt sein.

Eine Ausweitung des BezieherInnenkreises von Stipendien und eine gerechte Verteilung unter den Einkommensgruppen ist anzustreben.

Für ausländische Studierende soll das Arbeitsverbot zumindest in den Ferien und nach dem Studienabschluss aufgehoben werden. Auf den ATS 70.000,-- Nachweis bei der Verlängerung des Aufenthalts ist zu verzichten. Das passive Wahlrecht für alle ausländischen Studierenden bei den ÖH-Wahlen ist umzusetzen.

In allen wissenschaftlichen und organisatorischen Führungsbereichen der Universitäten muss es zu einer Erhöhung der Frauenquoten kommen.

Aufgrund der gesamtstaatlichen Verantwortung und der überwiegenden Steuer-finanzierung der österreichischen Universitäten müssen sowohl auf parlamentarischer Ebene wie auf Regierungsebene entscheidende Steuerungsmöglichkeiten auch weiterhin gegeben sein.

Reformen im Bereich des Dienstrechts dürfen nicht zu einer Verunsicherung der Universitätsangehörigen und zu einer Vergeudung des Humankapitals der österreichischen Universitäten führen.

Ein reformiertes Dienstrecht soll zu einem international konkurrenzfähigen Laufbahnmodell für Neuaufnahmen führen (zB vermehrter Einsatz von Doktorats-Stipendien und befristeten wissenschaftlichen MitarbeiterInnenstellen bis zum Erwerb des Doktorats; ab dem Doktorat ein Modell kontinuierlicher Qualifikation und Evaluation).

Umwandlung der prekären Dienstverhältnisse im Bereich der Universitäten unter Berücksichtigung der ExistenzlektorInnen.

Evaluierung des UOG 1993 als Grundlage der Reformdebatte.

Einbindung aller Betroffenen im Rahmen einer breiten Diskussion statt Durchpeitschen von gravierenden Dienstrechts- und Organisationsänderungen.

Kein Einfrieren des Personalaufwands und dadurch bedingte Stellenkürzungen an den Universitäten.

Langfristige Sicherung der Finanzierung für bereits seit langem feststehende und im Laufe etwa eines Jahrzehnts umzusetzende Bau- und Investitionsmaßnahmen für Universitäten.

Erarbeitung eines Hochschulrahmenkonzeptes für den gesamten postsekundären Sektor im Hinblick auf Standorte, Finanzierung, Organisation und Studienangebote.

Rasche Festlegung und Absicherung der Forschungsmittel für die nächsten fünf Jahre, um eine längerfristige Projektplanung zu ermöglichen.


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70. Sitzung / Seite 101

Sonderdotierung für Fachhochschul-Studiengänge im Sozial-, Gesundheits- und IKT-Bereich, damit die seit Jahren vorliegenden Anträge genehmigt und die Projekte umgehend gestartet werden können.

Anerkennung des Fachhochschulabschlusses als Abschluss auf Hochschulniveau im öffentlichen Dienst.

Zusätzliche Investitionsmittel für die Universitäten in der Höhe von 600 Millionen ATS als Kompensation der im Budget 2000 gestrichenen Investitionsmittel.

Umsetzung des e-Europe-Programmes in Schulen, Universitäten und im Bereich der Erwachsenenbildung.

Bereitstellung ausreichender budgetärer Mittel, um die Forschungsquote am BIP auf 2,5 % zu erhöhen.

Sicherung einer lobbyungebundenen Grundlagenforschung"

In formeller Hinsicht wird verlangt, diesen Antrag im Sinne des § 74a Abs. 1 iVm § 93 Abs. 1 GOG-NR dringlich zu behandeln.

*****

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Ich erteile daher Herrn Abgeordnetem Dr. Cap als Antragsteller zur Begründung des Dringlichen Antrages das Wort. Gemäß § 74a Abs. 5 der Geschäftsordnung darf die Redezeit 20 Minuten nicht überschreiten. – Bitte. (Präsident Dr. Fasslabend übernimmt den Vorsitz.)

15.02

Abgeordneter Dr. Josef Cap (SPÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Wir wissen, dass eines der wichtigen Zukunftsthemen natürlich die Bildungspolitik ist, und daher haben wir uns auch vorgenommen, heute im Rahmen dieses Dringlichen Antrages eine Initiative zu starten, damit es darüber auch wirklich einmal eine intensive Diskussion gibt, und zwar vor allem auch deshalb, weil an den österreichischen Universitäten wachsende Unruhe und wachsende Kritik zu verzeichnen sind, weil sie sich im Würgegriff der blau-schwarzen Koalition befinden. (Beifall bei der SPÖ.)

Im Herbst werden die Studentinnen und Studenten das erste Mal mit der Einführung der Studiengebühren konfrontiert sein. Wir haben ja schon harte Auseinandersetzungen darüber geführt, und ich möchte auch hier noch einmal betonen, dass das eine im höchsten Maße unsoziale Maßnahme ist, die in Wirklichkeit ein Systembruch ist, die ein Tabu überschreiten soll und der Beginn dessen ist, dass in Österreich für Bildung wieder so viel gezahlt werden soll, dass sie wieder zu einer sozialen Barriere wird. Das können wir nur ablehnen, und zwar mit aller Vehemenz! (Beifall bei der SPÖ.)

Schon am 31. August 1995 hat Schüssel in einer Presseaussendung bei der APA gemeint (Ruf bei der SPÖ: Wer?)  – der heutige Bundeskanzler, damals Minister –: Die Pflichtschule müsse auch weiterhin kostenfrei sein. – Der Inhalt der Aussage war, dass eigentlich außer in der Pflichtschule sukzessive überall zu bezahlen ist.

Es war immer eine unserer Hauptbestrebungen, dass der Zugang zur Bildung, der Zugang zur Hochschulbildung frei sein muss, damit es Chancengleichheit geben kann und auf diese Art und Weise die Begabungen, die es überall in der Bevölkerung gibt, durch eine gründliche Ausbildung, für die nicht soziale Barrieren in Form von Kosten errichtet werden, genutzt werden können.

Schon damals also wurde das angekündigt und angedeutet, und heute ist es Wirklichkeit geworden. Ein deutliches Zeichen dafür ist, dass sich diese restriktive Budgetpolitik überall niederschlägt. Nicht umsonst gibt es diese Protestbewegung bei den Hochschullehrern, und


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nicht umsonst – weil Sie wissen, dass es diesen berechtigten Widerstand gibt – beziehen Sie auch die Betroffenen nicht mit ein, wenn es um das neue Dienstrecht geht. Wir fordern aber, dass sie einbezogen werden sollen (Beifall bei der SPÖ), denn wir glauben, dass sie ganz wesentlich zum Erfolg der Ausbildung beizutragen haben.

Wie Sie wissen, wurden jetzt 25 000 Unterschriften für ein Volksbegehren gesammelt. Das wird dann, nehme ich an, im Herbst stattfinden. Ich sehe es als ein besonderes Warnsignal für Sie und Ihre Politik, dass in so kurzer Zeit so viele Unterschriften zustande gekommen sind. Ich kann nur hoffen, dass dieses Volksbegehren erfolgreich sein wird, denn es ist jetzt eine prinzipielle Frage, ob man das einfach zur Kenntnis nimmt, was Sie hier vorhaben, oder ob es dagegen Widerstand gibt. Und ich hoffe, dass auch bei den Hochschülerschaftswahlen, die von 15. bis 17. Mai stattfinden werden, eine entsprechende Antwort gegeben wird, denn die Position der Arbeitsgemeinschaft der Aktionsgemeinschaft der ÖVP-nahen Studenten war keine klare; es war nicht klar ersichtlich, wo sie wirklich stehen.

Ich denke, dass die Studentinnen und Studenten aufgefordert sind, hier klar Position zu beziehen, nämlich auch was die Vertretung der Studentinnen und Studenten betrifft.

Frau Minister! Ich war jahrelang Mandatar in der Hochschülerschaft (Abg. Amon: Oje! – Heiterkeit bei der ÖVP), und ich kenne die Auseinandersetzungen. – Das ist mir recht, wenn Sie so einen Zwischenruf machen. Das sagt für mich nämlich viel darüber aus, was Sie von der Hochschülerschaft halten (Beifall bei der SPÖ), und zeigt, dass Sie von den demokratischen Vertretungsorganen nichts halten.

Es sagt gleichzeitig aber auch genug darüber aus, was Sie von der ÖVP-nahen Studenten-Aktionsgemeinschaft halten, denn die hat nämlich dort die Mehrheit. (Beifall bei der SPÖ.) Das "Oje" ist also gleich ein doppeltes.

Aber es geht in diesem Zusammenhang auch um die Existenz dieser Hochschülerschaft, darum, dass die Studenten weiterhin eine Vertretungsmöglichkeit haben, dass die Pflichtmitgliedschaft, die Sie permanent abschaffen wollen, nicht abgeschafft wird und die Studenten damit die Möglichkeit haben, ihre Interessen auch weiterhin zu vertreten – das ist ganz entscheidend! –, dass sie auch als Partner akzeptiert werden, wenn es darum geht, dass die Hochschulen auch in Zukunft eine wichtige Einrichtung sind und damit auch Absolventen die Hochschulen verlassen, die auch wirklich konkurrenzfähig sind.

Und da rütteln Sie an einem weiteren ganz wichtigen Grundwert: dem Grundwert der Mitbestimmung an den Hochschulen. Ich habe den Eindruck, Sie wollen wieder den Weg in Richtung einer Ordinarien-Universität gehen – wie Sie das übrigens unter einen Hut bringen wollen: auf der einen Seite so eine Art Konzernmodell zu entwickeln, mit Vollrechtsfähigkeit, und auf der anderen Seite noch immer "unter den Talaren der Muff von 1 000 Jahren", wie es seinerzeit so schön geheißen hat, wie Sie eine Entwicklung in dieser Zielrichtung verwirklichen wollen, ist mir von ihrer Widersprüchlichkeit her schleierhaft –, aber ich halte es für wichtig, dass an den Hochschulen ein Mitbestimmungsmodell existiert, wo Assistenten, Professoren und Studenten gemeinsam wirklich mitentscheiden können.

Damit kommen wir zur Fragestellung: Welche Absolventen der Hochschulen wollen wir eigentlich in Österreich? Sollen das emanzipierte, sollen das gebildete, sollen das auch wirklich kritische Menschen sein, die sich in den demokratischen Entscheidungsprozessen dann als qualifizierte Absolventen der Hochschule einfügen können, die aber auch eigenständig denken können – das ist das Menschenbild, das wir haben –, oder sollen die Absolventen der Hochschule Absolventen sein, die wie Rädchen in einem Werk – Sie werden das besonders gut kennen –, einem Gesamtkunstwerk, aktiv sein sollen und sich nicht wirklich emanzipiert in den gesellschaftlichen Entwicklungsprozess einbringen sollen?

Anders formuliert: Natürlich – und das ist auch meine Kritik an der heutigen Wirklichkeit der Hochschule – müssen konkurrenzfähige Absolventen die Hochschule verlassen. Natürlich müssen sie, gerade in der heutigen Zeit, am nationalen und am internationalen Arbeitsmarkt be


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stehen können. Das ist ja unbestritten. Aber es ist trotzdem die Frage zu stellen, was diese Ausbildung insgesamt auch wirklich soll.

Ihre Unterstellung ist ja – und deswegen kommt ja das alles, und deswegen ist ja auch schon seit Jahren dieser Verschulungsprozess eingetreten, und deswegen kommen ja auch die Studiengebühren und das alles, was Sie hier an selektiven Maßnahmen vorhaben –, dass die Studentinnen und Studenten eigentlich primär faule Typen sind, die herumlehnen und in Wirklichkeit nichts leisten wollen. Das ist es nämlich, was Sie ihnen unterstellen! Das sollen übrigens alle auch von 15. bis 17. Mai bei der Hochschulwahl bedenken, dass das Ihr Bild der Studentinnen und Studenten ist, dass Sie dieses Entmündigungskonzept hier eingebracht haben, weil Sie in Wirklichkeit von diesem Urteil der Studenten ausgehen.

Sie wollen aber natürlich auch diese sozialen Barrieren haben, weil Sie möchten, dass eine bestimmte Oberschicht – Oberschicht vom Einkommen her – sich immer wieder aus sich selbst heraus erneuern kann, und nicht möchten, dass auch Menschen aus den Mittelschichten und den unteren Schichten den Zugang zu den Hochschulen finden können. (Abg. Kiss: Jessas na! So ein Unsinn! Redet sich da in einen Wirbel hinein!)  – Das ist Ihr Konzept, geben Sie es doch endlich einmal zu! Sie müssen daher akzeptieren, dass wir hier diese Kritik anbringen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir fordern auch, dass Sie bei den Mitteln nicht nur für Lehre, nicht nur für Personalaufwand, sondern auch für Investitionsvorhaben an den Gebäuden selbst nicht in der Weise vorgehen, wie Sie dies derzeit tun. Leisten Sie sich doch den Luxus und gehen Sie einmal in die Hochschulen hinein! Schauen Sie sich an, unter welchen Bedingungen dort gearbeitet werden muss, wie lange es dauert, bis man zu einer Prüfung drankommt, schauen Sie sich die Ausstattung der Säle, der Labors an! (Abg. Dolinschek: Sie haben ja die Möglichkeit gehabt, das zu ändern!) Viele der Verzögerungen hängen ja auch damit zusammen.

Warum wird dann gekürzt? Diese Frage muss an die Regierungsbank und am besten ans Finanzministerium gestellt werden. Was soll diese restriktive Budgetpolitik im Hochschulbereich, wenn die geschilderten Zustände dort herrschen, wenn der Alltag der Studenten so ist, dass viele der Verzögerungen der Studien daher rühren, dass sie zwar studieren wollen, aber nicht können, weil Sie die Gelder nicht zur Verfügung stellen. Das ist doch das Problem, das an den Hochschulen existiert! (Beifall bei der SPÖ.)

Und jetzt schieben Sie den "schwarzen Peter" den Hochschullehrern, den Studenten zu. Natürlich, ich weiß schon: 30 Jahre Sozialdemokratie! Am liebsten gingen Sie bis zum Westfälischen Frieden zurück. (Beifall bei Abgeordneten der Freiheitlichen.) Ich weiß das alles. Und die Zerstörung Karthagos war eine Unrechtstat. Ich kenne diese G’schichterln, in denen man immer nur die Vergangenheit herbeizieht. Erzählen Sie uns endlich einmal, was Sie für die Zukunft vorhaben! (Abg. Neudeck: Das geschieht ja!) Eben nicht! Es gibt nur Kürzungen!

Es wird zum Beispiel auch nicht diskutiert über das Bild der Ausbildung: Welche Qualifikationen sollen die, die die Hochschule einmal verlassen werden, dort bekommen? – Das höre ich nicht. Ich höre nur: Nulldefizit, Budget, Zukunft ohne Schulden – ein Wert an sich –; Bildung: Ja, mein Gott, ist nicht vorrangig. Zwar gibt es Lippenbekenntnisse, wenn gerade eine Sonntagsrede zu halten ist, aber ich sehe nicht, wie Sie mit Konzepten und dem nötigen Mitteleinsatz dafür sorgen wollen, dass die Absolventen österreichischer Hochschulen auch am nationalen und internationalen Arbeitsmarkt bestehen können und sich zugleich auch in den demokratischen, gesellschaftlichen Entscheidungsprozess als emanzipierte Menschen einbringen können. Das ist nicht Ihr Konzept, und das werfe ich Ihnen auch vor! (Beifall bei der SPÖ.)

Daher schlagen wir vor, Sie sollten sich den Dringlichen Antrag genau durchlesen; er liegt Ihnen ja vor. Das wäre durchaus ein Bildungsschub auch für Sie, wenn Sie das machen würden. Da sind ja viele interessante Punkte drinnen, und vor allem die letzten Punkte haben es in sich, nämlich die Konsequenzen aus dem Ganzen: Sie sollten von den Studiengebühren abgehen. Das wäre ein ganz wichtiger und notwendiger Beschluss, durch den Sie auch den freien Hochschulzugang sichern sollten.


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Sie sollten auch daran denken, den Bezieherkreis für die Stipendien auszuweiten – auch das wäre sehr, sehr wichtig –, und Sie sollten vor allem bei der Dienstrechtsreform endlich die Betroffenen mit einbeziehen. Wir fordern außerdem zusätzliche Mittel von 600 Millionen Schilling sofort und die Erhöhung der Forschungsquote auf 2,5 Prozent des BIP.

Das sind ganz wesentliche Forderungen, und ich habe das deswegen jetzt so schön langsam zum Mitschreiben für Sie gebracht, weil Sie uns dann ja immer vorwurfsvoll die Frage entgegenhalten: Und was sind Ihre Forderungen? Was stellen Sie sich vor? – Ich habe das jetzt taxativ für Sie aufgezählt, und Sie können sich jetzt wirklich überlegen, ob Sie darauf eingehen wollen oder nicht.

Abschließend möchte ich jetzt noch zur Methode, wie Sie vorgehen, etwas sagen. Bevor man sich hinstellt und sagt, man will etwas reformieren, evaluiert man: Was ist vorher passiert? Also zum Beispiel UOG 1993: Was war gut? Was war schlecht? Wo gibt es Verbesserungen? Bevor man Reformen ansetzt, wäre es gescheit gewesen, sich mit den Professoren, mit den Assistenten, mit den Hochschullehrern zusammenzusetzen und einmal über ihre Vorschläge zu diskutieren. Bevor man Reformen ansetzt, hätte man sich mit den Studenten zusammensetzen können und sie einmal befragen können: Wo liegen ihre Kritikpunkte? Wie schaut der studentische Alltag aus? Bevor man Reformen ansetzt, hätte man sich zusammensetzen können mit den Pädagogen, mit denen, die für die Schulpolitik verantwortlich sind, und man hätte sich auch zusammensetzen müssen mit der Wirtschaft.

Sie aber setzen sich mit niemandem zusammen! Sie setzen sich höchstens untereinander zusammen – ja nicht einmal das übrigens, denn wenn ich an die vielen Streitereien in der Regierung denke, habe ich den Eindruck, es gibt bei Ihnen Regierungssitzungen, bei denen Sie gar nicht dabeisitzen. Es ist ein permanentes Durcheinander, Gegeneinander, ein Streit, eine Konfliktkultur sondergleichen, und man fragt sich: Wo ist der gemeinsame Strang, an dem Sie manchmal ziehen? – Aber das ist ja Ihr Problem. (Abg. Dr. Pumberger: Sie reden wie der Blinde von der Farbe!)

Das alles hätte man eigentlich tun müssen. Aber das tun Sie nicht, sondern da ist aus dem Finanzministerium und wahrscheinlich aus dem Bundeskanzleramt eine Vorgabe gekommen, die hat gelautet: minus x, minus y, und danach haben Sie zu streichen begonnen. Was in der Folge dann aus den Hochschulen wird, das war Ihnen gleichgültig. Die menschlichen Schicksale, die Uni-Karrieren, die studentische Ausbildung – das alles war Ihnen gleichgültig. Sie machen es in diesem Bereich genauso wie in den anderen Bereichen, in denen Sie Gesetzesvorlagen machen. (Ruf bei den Freiheitlichen: Beispiele!) Na, da können wir gleich aufzählen: im Gesundheitsbereich, im Sozialbereich, überall dort, wo es um Menschenschicksale geht. Diejenigen, die betroffen sind, interessieren Sie nicht. Sie machen nichts anderes als eine kalte, technokratische, unmenschliche Politik! (Beifall bei der SPÖ.)

Und ich gebe ganz ehrlich zu, ich könnte es nicht so auf den Punkt bringen wie einer von Ihnen. Er hat es ja wirklich auf den Punkt gebracht: Es ist eine herzlose Politik, die Sie machen, und da haben Sie auch die Studentinnen und Studenten und die Hochschullehrer nicht ausgelassen. Ihnen ist das Schicksal dieses Bereiches gleichgültig, und auch dafür werden Sie, so hoffe ich, die Quittung bekommen. (Anhaltender Beifall bei der SPÖ.)

15.17

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Es erfolgt jetzt die Stellungnahme durch Frau Bundesministerin Gehrer. Diese Stellungnahme soll die Dauer von 20 Minuten nicht überschreiten. – Bitte, Frau Bundesministerin. (Abg. Dr. Khol: "Soll!")

15.17

Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Dieser Antrag gibt Gelegenheit, hier im Hohen Haus einiges ins rechte Lot zu rücken, klarzustellen, dass diese Unterstellungen Unterstellungen sind, die nicht den Tatsachen entsprechen.


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Sie sprechen immer von einer Universitätsreform, die angeblich um ihrer selbst willen erfolgt. Ich sage Ihnen, was wir machen: vernünftige Weiterentwicklungen von Vorhaben, die schon längst begonnen wurden, die zwischen den Wissenschaftssprechern der vorhergehenden Regierung und zwischen den Wissenschaftssprechern der jetzigen Regierung ausdiskutiert wurden, für die der Grundstein bereits im UOG 1993 gelegt wurde. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich möchte zu Ihren letzten Behauptungen, es handle sich um Sparmaßnahmen, feststellen: Es handelt sich nicht um Sparmaßnahmen. Es handelt sich um Weiterentwicklungen, die die österreichischen Universitäten weiterbringen, die uns in die Weltklasse hineinheben, die uns in Europa konkurrenzfähiger machen. Diese Feststellung hat bereits der Herr Finanzminister getroffen, und Sie können das in der APA vom 4. April nachlesen, wenn Sie das wollen.

In unseren Budgets, die von Ihnen so angegriffen wurden, zeigt sich klar, dass Bildung eine Kernaufgabe dieser Regierung, eine Kernaufgabe des Staates ist. Wir haben 8 Milliarden ECU im Bildungsbudget. Wir liegen damit in Europa an vierter Stelle, und zwar vor Deutschland, Frankreich, Italien und anderen Ländern. Das heißt, Bildung ist uns ein wichtiges und großes Anliegen, und die Universitäten sind uns ein wichtiges und großes Anliegen.

Ich möchte nun zu einigen wesentlichen Punkten Ihres Antrages Stellung nehmen.

Sie sagen, es fehlen die politischen Ziele für die Vorhaben. Die Ziele sind sehr konkret in der Regierungserklärung festgehalten, aber ich nütze gerne die Gelegenheit, um sie noch einmal zu nennen.

Für die Universitäten ist die Weiterentwicklung zu mehr Konkurrenzfähigkeit – mehr Konkurrenzfähigkeit von Forschung und Lehre, international und gegenüber den Fachhochschulen – ein Gebot der Stunde. Die Universitätsangehörigen, besonders die jungen, die jetzt noch gar keine Stellung nehmen können, sollen die Chance erhalten, auch in eine wissenschaftliche Laufbahn zu kommen. Die Studenten und Studentinnen sollen neue Bedingungen fürs Studieren vorfinden. Die Wirtschaft soll mehr Grund haben, in die Forschung zu investieren. Das sind unsere Ziele, das sind unsere Vorhaben, die wir mit den Reformen verwirklichen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Zu Ihrer Behauptung, der Gesamtzusammenhang der Vorhaben sei unklar: Der ist vollkommen klar! Wir haben immer betont: Das Dienstrecht ist notwendig, um grundlegende Veränderungen zu ermöglichen. Die Profilentwicklung ist ein Anliegen, das seit vielen Jahren von den Wissenschaftsministern verfolgt wurde. Ich erinnere an Herrn Kollegen Einem, der schon einmal eine Studie über die Schwerpunktsetzungen im Universitätsbereich erstellen ließ, die dann aber leider in der Schublade verschwunden ist.

Universitäten mit eigener Rechtspersönlichkeit – das sollte ein Ziel sein, das über Parteiinteressen steht. Dies stand auch schon in einem Begutachtungsentwurf meines Vorgängers, ausgesandt vom jetzigen Rektor Bast.

Sie behaupten, die Ausgliederung der Universitäten sei ein Rückzug des Staates. – Der Staat wird sich nicht zurückziehen! Politik hat Verantwortung für die Wissenschaft und für die Universitäten. Wir werden diese Verantwortung auch in Zukunft tragen.

Nicht nur ich als Ministerin habe diese Verantwortung, auch Sie als Parlamentarier. Und ich möchte Sie gerne in diese Verantwortung einbeziehen. Sie behaupten am Rednerpult lang und ausführlich, es sei eine Reform ohne breite Diskussion mit den betroffenen Gruppen. Wir sind in Diskussion mit diesen! Sie haben es wohl nicht bemerkt oder können vielleicht nicht im Internet nachschauen.

Ich lade alle zu Diskussionen ein: die Studierenden, die Professoren, die Parlamentarier, die Bevölkerung insgesamt! In einem breiten Planungsprozess mit offener Planung sind alle, die wollen und die guten Willens sind, in die Gestaltung der Zukunft der Universitäten mit eingebunden. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)


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Sie behaupten, dass die Regierung die Universitätsreform ausschließlich aus wirtschaftlicher Sichtweise betrachten würde. – Ich weiß nicht, welche innere Sperre die Sozialdemokratische Partei gegen eine wirtschaftliche Betrachtungsweise hat. Ökonomie kommt nämlich von dem Wort "oikos", das heißt auf Griechisch "Haus". Ökonomische Sichtweise heißt, mit den Mitteln des Steuerzahlers hauszuhalten, mit den Mitteln des Steuerzahlers und mit der Lebenszeit der Studierenden sparsam umzugehen. Das werden wir an den Universitäten umsetzen! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Sie sehen es interessanterweise als negativ an, dass es eines der Ziele ist, einen hohen Output an akademisch gebildeten Arbeitskräften für die Wirtschaft in einer möglichst vernünftigen Zeit zu erreichen. Ich frage mich: Warum hat denn die vorherige Regierung das Bakkalaureat eingeführt? – Doch damit man in einer möglichst kurzen Zeit akademisch möglichst gut ausgebildete Arbeitskräfte hat! Haben Sie das vergessen? Ich meine, Studierende haben ein Recht darauf, dass man mit ihrer Lebenszeit sorgsam umgeht, dass wir Anerkennungsmöglichkeiten schaffen, dass wir Studienzeiten so gestalten, dass sie die beste Ausbildung in der kürzesten Zeit erhalten. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Nun zum Budget: Das Budget für die Fachhochschulen verläuft gemäß dem Entwicklungsplan, der von meinem Vorgänger im Ministerrat vorgelegt und im März 1999 beschlossen wurde, vollkommen nach Plan. Für das Jahr 2002 sind 1,1 Milliarden Schilling vorgesehen, es werden jährlich 600 neue Fachhochschulstudienplätze geschaffen.

Sie propagieren beziehungsweise schüren Ängste, dass der freie Hochschulzugang nicht mehr möglich sei. Das ist eine Horrormeldung, die durch nichts zu belegen ist! Jeder, der fähig ist, jeder, der will, wird studieren können – wir werden das unterstützen! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Nun auch noch eine Bemerkung zu den Studienbeiträgen. Wir haben am 26. März im Museum für angewandte Kunst den Vortrag eines hohen Beamten aus Niedersachsen, einem Land, in dem die SPD die Verantwortung für Wissenschaft und Bildung hat, gehört. Ministerialdirigent Dr. Palandt hat uns von den Reformen in diesem Bundesland berichtet, und er hat uns öffentlich – vor der Presse! – zur Einführung der Studienbeiträge gratuliert. Das muss man sich bitte einmal vorstellen! (Ruf: Super!) Er, ein anerkannter Experte der SPD, hat den Mut dieser Regierung bewundert und wünscht sich, dass seine Regierung auch den Mut hätte, einen kleinen Beitrag von den Studierenden einzuheben. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Und nun zu dem von Ihnen vorgetragenen Anliegen, wonach es zu keiner Einschränkung der Qualität demokratischer Mitbestimmung aller Universitätsangehörigen kommen dürfe. – Ich sage Ihnen ganz klar: Es wird zu keiner Einschränkung der Qualität der Mitbestimmung kommen. (Abg. Dr. Pumberger: Verbesserung!) Die Qualität der Mitbestimmung der Studierenden wird auch an den vollrechtsfähigen Universitäten nicht in Frage gestellt. Es geht aber um eine zeitgemäße Konzentration der Mitbestimmung, um eine zeitgemäße Konzentration aller Gremien, die derzeit an den Universitäten in viel zu langen Sitzungen über viel zu kleine Details beraten.

Die Österreichische Hochschülerschaft, an deren Spitze der Vorsitzende Martin Faißt, hat das erkannt! Die haben das klar erkannt! (Abg. Dr. Khol: Richtig!) Die sind nämlich bei diesen langen Sitzungen, wo viel zu kleine Dinge stundenlang zerredet werden, anwesend! Die haben das erkannt! Und so heißt es in einer Aussendung vom 17. April 2001:

"Bei der studentischen Mitbestimmung gehe es nicht darum, ,in jedem Gremium drin zu sein, sondern dort, wo es wichtig ist‘, ..." – Und das werden wir verwirklichen! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Die Österreichische Hochschülerschaft ist auch weiterhin die wichtige gesetzliche Interessenvertretung der Studierenden. Und deshalb ist es auch unerlässlich, dass alle Studentinnen und Studenten bei den kommenden Wahlen in der nächsten Woche, vom 15. bis 17. Mai, ihr demo


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kratisches Recht ausüben. Ich rufe alle jungen Menschen auf, dieses demokratische Recht auch wirklich einzusetzen! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Zu Ihren Bemerkungen über das Budget: Sie haben es anscheinend nicht richtig gelesen oder glauben anscheinend dem Vorsitzenden des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, Herrn Universitätsprofessor Dr. Arnold Schmidt, nicht, der nämlich klar festgestellt hat, dass er nun über ein Rekordbudget verfügt. Erstmals stehen für Grundlagenforschung mehr als 1,1 Milliarden Schilling zur Verfügung! Vom Rat für Forschung und Technologieentwicklung sind für die Forschung an den Universitäten 790 Millionen Schilling mehr zur Verfügung gestellt worden. Das Investitionsbudget der Universitäten ist bereits wieder auf 1,3 Milliarden Schilling und wird 2002 die Rekordhöhe von 1,8 Milliarden Schilling erreichen. Das ist unsere Budgetpolitik: die notwendigen Mittel zu geben! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Als Bundesministerin, als Bildungsministerin distanziere ich mich nachdrücklich von vielen Angriffen auf die Universitäten, die in diesem Dringlichen Antrag enthalten sind. Ich weise auch die Unterstellung zurück, dass irgendjemand meinen könnte, die Studenten seien – ich zitiere – "faule Typen, die herumlehnen" und "nichts leisten". – Die Studentinnen und Studenten in Österreich sind junge, engagierte Menschen, die an unseren Universitäten die beste wissenschaftliche Ausbildung erhalten, und das soll auch in Zukunft so bleiben! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich weise auch Ihren Vorwurf bezüglich überaus schlechte bauliche Zustände an den Universitäten zurück. Ich muss fast meinen Vorgänger vor Ihnen schützen, denn in den letzten zehn Jahren sind 20 Milliarden Schilling in Universitätsbauten investiert worden, und das ist sehr viel! (Abg. Mag. Maier: Salzburg!)

Meine Damen und Herren! Vieles von dem, was im vorliegenden Antrag behauptet wird, ist geeignet, den Ruf unserer Hohen Schulen zu schädigen. Ich darf Sie daher ausdrücklich bitten, darauf zu achten, dass durch unsere Debatte, die wir hier führen, ihr Ansehen – auch im Ausland – nicht in Frage gestellt wird! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Wir sind auf einem guten Weg! Es hat sich in der Enquete am 26. März gezeigt, dass wir auch international auf dem richtigen Weg sind. Wir liegen mit unseren Vorhaben für die Universitäten richtig. Wir können, wenn sich alle dazu bekennen, etwas zustande bringen, was sich vorzeigen lässt, was unsere Universitäten, unsere Hohen Schulen in die Weltklasse befördert, was uns in der internationalen Wissenschaft konkurrenzfähiger macht!

Dafür bitte ich Sie alle um Ihre Unterstützung. (Anhaltender Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

15.29

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet hat sich Herr Abgeordneter Dr. Niederwieser. Ich erteile es ihm. (Abg. Böhacker: Jetzt wird er es schwer haben, der Niederwieser! – Abg. Dr. Khol: Nein, der Niederwieser ist recht ...! Normalerweise!)

15.30

Abgeordneter DDr. Erwin Niederwieser (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Dass der Ruf der Universitäten im Ausland geschädigt wird, ist eine berechtigte Sorge, Frau Bundesministerin, aber nicht deshalb, weil wir hier einen Dringlichen Antrag gestellt haben, sondern Sie sollten sich deshalb Sorgen um den Ruf der österreichischen Universitäten im Ausland machen, weil Sie eine Koalitionsregierung mit einem Partner gebildet haben, der für seine Ausländerfeindlichkeit bekannt ist und unseren Ruf im Ausland im höchsten Maße schädigt. Das ist das Hauptproblem! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Sie kennen die Briefe und die Sorgen unserer Forscherinnen und Forscher bezüglich der Kooperationen mit anderen Wissenschaftern in anderen Ländern, die auf ebendiesen Koalitions


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partner zurückzuführen sind. Und in unserem Antrag, Frau Bundesminister, ist kein einziger Satz enthalten, der Anlass dazu geben würde, sich um den Ruf der Universitäten Sorge zu machen. Wirklich drinnen aber ist die Sorge, dass Sie diese Universitäten nachhaltig schädigen können! (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Dr. Grünewald. )

Anfang Oktober 2000 haben Sie eine Pressekonferenz unter dem Titel "Modern Studieren und Forschen" veranstaltet. Dabei ist vom neuem Dienstrecht die Rede gewesen, von den Studiengebühren unter der "schönen" Überschrift "Studentische Finanzierung neu", von Standortschließungen unter der Überschrift "Strukturen neu", und von den neuen Organisationsformen. Sie haben schon Recht damit, dass manches von diesen Themen auch von den Wissenschaftssprechern der Parteien der früheren, der großen Koalition besprochen worden ist. Selbstverständlich hat man sich über Standorte Gedanken gemacht, aber in einer anderen Form und Qualität, als das jetzt passiert! Und vieles von dem, was Sie jetzt vorhaben und was Sie schon gemacht haben, war niemals Gesprächsstoff zwischen den Wissenschaftssprechern der SPÖ und der ÖVP – das müsste ich nämlich wissen!

Frau Bundesministerin! Sie haben mit diesen Projekten – und dazu passt Ihre Bemerkung vom "Haus" ja wirklich sehr gut – eine Großbaustelle eröffnet. Sie haben wirklich eine Großbaustelle eröffnet, und es ist nun an der Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen, wie es denn auf dieser Großbaustelle aussieht:

Zunächst einmal sind Barrieren aufgestellt worden, nämlich durch die Einführung der Studiengebühren. Sie sind unbestreitbare Barrieren für die Studierenden. (Ruf bei den Freiheitlichen: Geh, geh, geh!)

Auf der Baustelle selbst wird auf das Heftigste gestritten. Die Studenten wissen gar nicht, ob sie dort im Herbst noch willkommen sein werden. (Abg. Achatz: Blödsinn! – Abg. Dr. Pumberger: Das glaubst du ja selber nicht!) Die Bediensteten drohen mit Streik. Oder haben Sie die Aussendungen der letzten Tage nicht gelesen (Abg. Dr. Mitterlehner: Du bist auf der falschen Baustelle!), in denen diese Dienstrechtsreform sehr deutlich kritisiert wird? 10. Mai des heurigen Jahres: "Hochschullehrer-Gewerkschaft beschließt eintägigen Warnstreik". (Abg. Achatz: Sie wissen, dass das nicht stimmt!) Die Bediensteten drohen mit Streik!

Die Architekten dieses Großbauwerkes haben verschiedene Pläne in den Händen. Es gibt nicht einen Plan, sondern es gibt mehrere Pläne: Da gibt es den Plan von Kollegen Graf, den von Kollegin Brinek, den des Ministeriums (Abg. Böhacker: 50er Pläne, 100er Pläne, ... Detailpläne!) und den der Rektoren! (Abg. Amon: Das ist Pluralismus, Herr Kollege Niederwieser!) Ich könnte diese Pläne alle aufzählen. Das ist die Situation auf dieser Baustelle – und das verspricht nichts Gutes!

Und es schaut schon derzeit danach aus, dass das, was Sie hier vorhaben, kein toller Umbau und schon gar kein Neubau wird, sondern ein Bau, der sukzessive verfällt. Und wir haben zu befürchten, dass wir am Ende vor Ruinen anstelle der wirklich ausgezeichneten und stolzen Universitäten, die wir derzeit haben, stehen werden. (Beifall bei der SPÖ.)

Am Beginn dieses Großprojektes standen ein Wortbruch und ein Rechtsbruch. Der Rechtsbruch ist evident. Ich darf noch einmal daran erinnern, dass das Hochschülerschaftsgesetz – und die KollegInnen, die da oben zuhören (der Redner blickt in Richtung Galerie), wissen das ganz genau – ausdrücklich vorschreibt, dass ein Gesetzentwurf, der die Studenten betrifft, einer gesetzlichen Begutachtung zu unterziehen ist, bevor die Regierung ihn im Parlament einbringt. Das ist geltendes Recht! Und dieses geltende Recht haben Sie einfach gebrochen. Das hat es vor Ihnen, vor dieser Regierungskoalition seit 1945 in diesem Haus noch nie gegeben. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Abg. Wochesländer. )

Und das zeigt ja auch, wie Sie sich über diese gesetzliche Interessenvertretung hinwegsetzen. (Abg. Wochesländer: Wann waren Sie denn das letzte Mal auf einer Uni?) Ich bin sicher, es werden dann Rednerinnen und Redner der kleinen Koalition an dieses Rednerpult treten und sagen, wie großartig doch die Hochschülerschaft sei und wie sehr sie sie achten. – Die Fakten zählen, nichts als die Fakten! (Abg. Dr. Khol: Die Akten! – Zwischenruf der Abg. Achatz. ) Und


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die Fakten sind, dass Sie diese Hochschülerschaft auf das Sträflichste missachtet und sich über das Begutachtungsrecht hinweggesetzt haben. (Abg. Wochesländer: Wann waren Sie denn das letzte Mal an einer Uni?)  – Gestern, liebe Frau Kollegin! (Abg. Silhavy  – in Richtung der Abg. Wochesländer –: ... lehren ...! Daran merkt man, wie wenig Sie sich bei diesem Thema auskennen!) Aber ich gebe zu: Ich habe schon vor längerer Zeit aufgehört zu studieren. Das allerdings ist wahr! (Beifall bei der SPÖ.)

Und betreffend Wortbruch möchte ich gar nicht die ganze Latte dessen aufzählen, was alles im Zusammenhang mit den Studiengebühren gesagt worden ist, von der Volkspartei, von Schüssel – von Ihnen selbst, Frau Ministerin, nämlich dass es keine Studiengebühren geben werde. Ich möchte nur an jene Versprechen erinnern, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen (der Redner blickt in Richtung ÖVP), abgegeben, aber bis jetzt nicht eingelöst haben.

Kollegin Brinek! Da war doch die Rede davon, dass man für die berufstätigen Teilzeitstudierenden dringend etwas tun müsse. Wir haben jetzt Mai! Wann wollen Sie denn etwas tun, wenn das für die Teilzeitstudierenden und berufstätigen Studenten dringend ist? Es wurde gesagt, dass es ein Darlehensmodell geben werde. Ich habe da eine Aussage des ÖVP-Klubs vom 23. Oktober vorigen Jahres: "Darlehensmodell steht".

Ich habe immer wieder nachgefragt und auch eine parlamentarische Anfrage eingebracht, auf welche die Antwort vom 26. März lautete:

"Die Verhandlungen mit den Banken sind in der Abschlussphase, weshalb konkrete Zahlen über die Stützung ... noch nicht genannt werden können."

Kollegin Brinek und ich hatten vorgestern eine Diskussion, in der sie dann gesagt hat: Das Ganze ist unterwegs.

Innerhalb von drei Wochen haben Sie es geschafft, Studiengebühren einzuführen, aber für die Maßnahmen zum Schutz der Studierenden und gegen soziale Ausgrenzung brauchen Sie Monate – wenn Sie überhaupt jemals ans Ziel kommen! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Kollege Khol, der du da gerade so zufrieden sitzt, auch von dir kenne ich eine solche Aussage: "Khol: Studenten können künftig Recht auf Ablegung einer Prüfung einklagen", sie können, folgt man diesem Text, auch einklagen, dass Lehrveranstaltungen stattfinden und Praxisplätze zur Verfügung stehen. – Wo, Kollege Khol, ist dieses einklagbare Recht geblieben? (Abg. Dr. Khol: In der Reform!) Es liegt jetzt eine Novelle zum Universitäts-Studiengesetz im Haus, aber ich sehe darin nichts von einem einklagbaren Recht. (Abg. Dr. Khol: Das kommt in der Verwaltungsreform!) Ich sehe absolut nichts von einem einklagbaren Recht! (Abg. Dr. Khol: Das kommt noch!) Im Gegenteil: Ist dir bekannt, dass es Universitäten gibt, beispielsweise die Wiener WU, wo nach wie vor Termine für Diplomprüfungen verlost werden, weil sich mehr Studenten anmelden, als tatsächlich Prüfungen abgehalten werden können? Ist das das einklagbare Recht, das versprochen wurde?

Wir warten (Abg. Dr. Khol: Ein bisschen müsst ihr noch warten!) ebenso auf die Verordnung betreffend Studierende aus Entwicklungsländern, die von der Studiengebühr befreit werden sollen. Es gibt, so hört man, ein heftiges Gezerre zwischen ÖVP und FPÖ, weil die FPÖ natürlich nicht möchte, dass man den Ausländern gegenüber allzu großzügig ist. Aber Tatsache ist, dass jene Studierenden aus diesen Ländern, die ab Herbst bei uns studieren wollen, im Mai immer noch nicht wissen, wie sie diesbezüglich dran sein werden. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Dr. Van der Bellen. )

Wir haben klare Positionen! Natürlich sind auch wir für eine erweiterte Autonomie, das möchte ich hier unmissverständlich feststellen. Wir sind für den Ausbau der Autonomie. Wir sind auch für mehrjährige Budgets. Wir sind dafür, dass die Universitäten über ihre Budgets wesentlich selbständiger als bisher entscheiden können. Und wir sind auch für Organisationsformen, die die Zusammenarbeit fördern und die leistungs- und innovationsfördernd und nicht -hemmend sind.


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Wir sagen aber nein zu einem drastischen Abbau der Mitbestimmung! "Zeitgemäße Konzentration" haben Sie gesagt, Frau Ministerin. "Zeitgemäße Konzentration" heißt, dass die Mitbestimmung an den Universitäten künftig wie in einem Großkonzern ausschaut: Dort gibt es einen Aufsichtsrat, in dem zwei, drei Betriebsräte, sprich ÖH-Vertreter, sitzen können – und das war dann die Mitbestimmung für die ganze Universität.

Wenn Sie die Mitbestimmung auf diese "zeitgemäße Form" reduzieren wollen, werden Sie bei uns ganz bestimmt auf Granit stoßen! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Lassen Sie mich zusammenfassen.

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Die Redezeit ist zu Ende, Herr Abgeordneter!

Abgeordneter DDr. Erwin Niederwieser (fortsetzend): Noch ein Schlusssatz: Wir stehen vor einem Trümmerhaufen, und das Schlimmste an dieser Baustelle ist, dass Sie diesen Trümmerhaufen nicht einmal sehen. Das ist das Bedauerliche. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

15.41

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Brinek. – Bitte.

15.41

Abgeordnete Dr. Gertrude Brinek (ÖVP): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Abgeordneter Cap hat uns hier eine Universitätsdiskussion, aufschlussreich eingeleitet von der Frau Bundesministerin, beschert. Dafür möchte ich ihm danken. Er hat das am Geburtstag der Frau Ministerin getan, zu dem wir ihr ganz herzlich gratulieren! (Allgemeiner Beifall. – Die Rednerin überreicht der auf der Regierungsbank sitzenden Bundesministerin Gehrer einen Blumenstrauß.)

Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Ich habe nach den Vorrednern Cap und Niederwieser das Gefühl, Kollege Niederwieser spricht von einer falschen Baustelle. (Beifall bei der ÖVP.)  – Das ist nicht die Universität, auch die nicht, wie er sie in den letzten Jahren mit den jeweiligen Ministern, gemeinsam mit uns, der ÖVP, gestaltet hat.

Ich glaube auch, dass Herr Kollege Cap total falsch liegt. Wenn ich mich zurückerinnere, muss ich sagen, sein Erfolg, sein politischer Werdegang gründen sich auf drei wichtigen Fragen, mit denen er in die Geschichte eingegangen ist. – Heute ist von qualitätsvollen Fragen nicht mehr die Rede gewesen, auch Spuren von Antworten ließen sich nicht erkennen.

Ich frage Sie daher, Kollege Cap: An wie vielen Gesprächen, an wie vielen Diskussionen, Konferenzen, Symposien zur Universitätsreform haben Sie denn teilgenommen? Offenbar an keiner! Kollege Cap hat sich nicht einmal erkundigt, welche Ergebnisse diese gebracht haben, sonst würde er sie nicht so vermissen.

Er hat auch nicht registriert, dass es mehr als zehn offizielle Verhandlungen zwischen Hochschullehrer-Gewerkschaft, angeführt vom sozialdemokratischen Kollegen Zelewitz, und dem Ministerium gegeben hat und dass die Vorschläge, die im Wesentlichen die Dienstrechtsreform begründen, von Kollegen Zelewitz stammen. Herr Kollege Cap, bleiben wir bei der Wahrheit! Es ist gesprochen worden – mehr als je zuvor und offener als je zuvor! (Beifall bei der ÖVP.)

Herr Kollege Cap, eine weitere Frage: Wer will die ÖH demolieren, wer will die Pflichtmitgliedschaft abschaffen? Antworten Sie darauf! Sie haben die Diskussion darüber eröffnet. Möglicherweise kennen Sie Personen, die das wollen.

Ich frage Sie auch, Herr Kollege Cap: Welche Absolventen wollen Sie, wenn Sie einerseits im Antrag vor einer Ökonomisierung warnen und gleichzeitig im Zusammenhang mit Assistenten von vergeudeten Humanressourcen sprechen? Haben Sie Ihr Sprachgefühl verloren? In dieser Diktion hat die ÖVP, haben die ÖVP-Abgeordneten noch nie über Dienstrecht und Dienstrechtsbetroffene gesprochen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Für uns sind das keine vergeudeten Humanressourcen.


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Herr Kollege Cap! Wer hat außer Ihnen von "faulen Typen" an den Universitäten gesprochen? – Niemand, ich kenne hier niemanden! Sie waren der Erste und Einzige heute. Herr Kollege Cap! Stoppen Sie die allgemeine Miesmacherei, stoppen Sie die Verunglimpfung aller an der Universität Lehrenden und Studierenden! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Ruf bei den Freiheitlichen: Sehr richtig!)

Sie haben auch noch gefragt: Was haben Sie vor? (Abg. Dr. Khol: Gertrude, frag ihn einmal, wie lange er studiert hat!)  – Das frage ich ihn dann in einem Privatissimum.

Was haben Sie vor?, haben Sie gefragt. Ich frage zurück: Was hat die SPÖ vor? All den Wortmeldungen, Aussagen und auch Debattenbeiträgen etwa im Rahmen der Universitätsenquete ist nicht zu entnehmen, was Sie vorhaben. Ich habe auch nicht gehört, was die andere Oppositionspartei vorhat. Ich kenne von Kollegen Grünewald nur eine inhaltliche Aussage, die da lautet: Ich bin für die große Reform! Dafür sind wir auch, und wir wollen diesbezüglich kooperieren.

Es gibt also viele unbeantwortete Fragen, Herr Kollege Cap! Ich bin gespannt, ob wir noch Antworten von Ihnen hören werden.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich doch sagen, worauf es der ÖVP ankommt, im Gegensatz zu Ihnen, die Sie gerade mit dem, was Sie indirekt und direkt gesagt haben, wieder einen Salto rückwärts in die Vergangenheit machen! Unsere Vorstellung ist, dass eine moderne europäische und damit auch österreichische Universitätspolitik im Wesentlichen festzumachen sein muss an einem selbständigen Umgang mit dem Budget, an effizienten Entscheidungs- und Führungsstrukturen für die Universitätsgremien und an einem neuen Verhältnis zwischen Universität und Staat. Ich erinnere daran, dass die Weiterentwicklung der Universitäten schon mit Beginn des UOG 1993 bedeutet hat, dass das ein erster Schritt ist und Weiterentwicklung auch tatsächlich Weiterentwicklung meint.

Mit dem Universitäts-Studiengesetz 1997 haben wir den ersten Schritt in Richtung Weiterentwicklung gesetzt. Und dass wir mit diesem Programm, mit dieser Regierung, mit dieser Ministerin auf dem richtigen Weg sind, bestätigt ein unverdächtiger Zeuge, nämlich Jürgen Mittelstraß, ein exzellenter Wissenschaftspolitiker, Wissenschafts- und Universitätstheoretiker, der die drei Versäumnisse der Universität und ihre Korrekturen und Reparaturen für das 21. Jahrhundert nennt:

Erstens: Wir brauchen eine moderne autonome Einrichtung mit einer autonomen Führung, die das Ziel Forschung, forschungsgeleitete Lehre und professionellen Wissenschaftsnachwuchs managt – auf einem hohen Niveau in einem professionellen Hochschul-Management. – Der Philosoph scheut sich nicht, ein Vokabel wie "Management" zu verwenden.

Weiters brauchen wir den Zusammenhang von Autonomie und Verantwortung. Autonomie muss an einer persönlichen Verantwortung festmachbar sein und nicht ein Verstecken-Können hinter einer innergremialen Entscheidung ermöglichen.

Drittens: Das Ideal der Universität war bisher eine gewisse Vollständigkeit. Von diesem Ideal müssen wir uns verabschieden und trotzdem ein gutes Konzert der Disziplinen organisieren. – Daher ist auch hier Nachdenken notwendig, und ich bin sehr froh, dass es gegenwärtig einen sehr konstruktiven Prozess zwischen Ministerium und Universitäten beziehungsweise Öffentlichkeit gibt, der offenbar besser gelingt – und das zeigt sich jetzt schon – als der Schwerpunktsetzungsprozess unter Minister Einem, der, wie gesagt, in der Schublade vergessen wurde.

In diesem Kommunikationsprozess zwischen Ministerium, Dekanen und Universitäten wird eine Profilbildung erarbeitet, werden gemeinsam in einem Dialog die Schwerpunkte festgelegt und damit gewissermaßen eine Wissenschafts-Landkarte für Österreich entwickelt.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich im Zusammenhang mit der ÖH-Wahl doch noch eine kritische Bemerkung machen zu dem, was gerade in Wien passiert. Bürgermeister Häupl


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geht auf Köpfefang. Bürgermeister Häupl ködert Studierende: Wenn sie sich als Wiener deklarieren, noch vor der Volkszählung als Hauptwohnsitz-Wiener melden, erhalten sie als Belohnung ein "Öffis"-Gratis-Ticket für ein Semester. Sind sie einmal gemeldet, sind sie Wiener und damit der Chancen entledigt, Wohnbauförderung etwa in Niederösterreich oder sonst wo zu bekommen, dann ist nach einem Semester auch die Belohnung wieder weg, und die Studierenden benötigen wieder ein Halbpreis-Ticket. (Abg. Mag. Wurm: Fragen Sie, was in Innsbruck passiert!) In anderen Städten gibt es dieses Halbpreis-Ticket schon längst. Also Wien ist ein Nachzügler, Wien geht auf Köpfefang, Wien macht hier Angebote, die schnell zu entblößen und zu entlarven sind. Von einer solch vordergründigen Politik möchte ich mich absolut distanzieren, Volkszählung muss mit anderen Mitteln arbeiten! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Was haben Sie vor?, war die Frage. Von der Ministerin ist niedergelegt worden, was schon seit 15. Dezember 2000 in einem Planungsprozess offen gelegt und skizziert wurde. Wir werden nach einem Plan das Dienstrecht finalisieren. Es gibt einen kleinen offenen Punkt, aber in der parlamentarischen Behandlung und Schlussverhandlung mit der neuen Gewerkschaftsführung wird auch dieser Punkt noch saniert und zu einem guten Ende gebracht werden können. Die Autonomie wird im Herbst in ihrer Gestalt, in ihrer weiteren Strukturierung sichtbar werden und im gemeinsamen Dialog zu einer Endform kommen. Die Oppositionsparteien, die SPÖ, die Grünen, können sich daran beteiligen, sie sind herzlich eingeladen, aber dann dürfen sie nicht nur Fragen stellen, sondern müssen auch Antworten geben.

Heute hat die SPÖ mit ihrem parlamentarischen Antrag wieder einmal offen gelegt, dass sie sich von einem gültigen, richtigen Prinzip, nämlich von der Autonomie, verabschiedet und lieber in der zentralistisch organisierten Vergangenheitspflege verharrt. Stichwort: Salto rückwärts! Spätestens seit gestern wissen wir es ganz genau. Damit nähmen die Universität und alle Studierenden Schaden. Das wollen wir nicht, die ÖVP arbeitet konstruktiv an der Zukunft! – Danke. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

15.50

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Martin Graf. – Bitte.

15.50

Abgeordneter Dr. Martin Graf (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Hohes Haus! Auch ich möchte diese Gelegenheit nicht versäumen, der Frau Bundesminister zu Ihrem heutigen Geburtstag zu gratulieren. Wie es der Zufall will, haben wir heute, so wie jedes Jahr, beide Geburtstag (Heiterkeit und Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP)  – und es ist schon ein Synonym, sage ich einmal, dass die sozialdemokratische Fraktion uns an unserem Jubeltag die Freude macht, wieder einmal die Gelegenheit zu haben, in diesem Hohen Haus eine der größten Reformen dieser Regierung, die wir uns für diese Legislaturperiode vorgenommen haben, zu besprechen.

Ich glaube, Kollege Cap hat ausführlich dargelegt, dass es wahrscheinlich doch an ihm selbst gelegen hat, dass er viele Semester studiert und sein Studium erst mit 36 Jahren beendet hat. Er hat wieder einmal ein Zeugnis seiner Glaubwürdigkeit abgegeben. Er hat heute in Wirklichkeit eines klar bewiesen: dass er die Diskussion der letzten zehn Jahre im Universitätsbereich verschlafen hat. Herr Kollege Cap! Ich behaupte hier an dieser Stelle, Sie haben weder das Weißbuch zur Hochschulbildung 1998 noch das Grünbuch zur österreichischen Forschungspolitik 1999 gelesen, noch sich je den Gesetzentwurf Minister Einems zur Ausgliederung der Universitäten näher angesehen, wenn überhaupt angesehen, noch sich das so genannte Schwarzbuch – das tatsächlich orange ausgefallen ist – der Rektorenkonferenz und der Senatsvorsitzenden je zu Gemüte geführt!

Sie haben inhaltlich überhaupt keinen Beitrag zur laufenden Diskussion geleistet. Sie haben sich populistisch im Hinblick auf eine bevorstehende Wahl hier zu Wort gemeldet, haben ein Zeugnis abgelegt, das ärmlich ist, was die Wissenschaftspolitik und den Diskussionsprozess auch in


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diesem Hohen Hause tatsächlich widerspiegelt. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.) Sie haben damit ein Zeugnis dafür abgelegt, dass Sie als zukünftiger Klubobmann der SPÖ nicht wirklich ein Sprecher beziehungsweise ein Befürworter für die Wissenschaft, für die Hochschulen und für die Forschung sind, denn das, was Sie von sich gegeben haben, strotzte zum Teil von Unrichtigkeiten. (Neuerlicher Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Ich nenne nur zwei, drei Dinge: Sie verlangen in Ihrem Antrag 600 Millionen mehr für Infrastrukturausgaben. Herr Kollege Cap! Budget 2001, Budget 2002 – auch dieses wurde in diesem Hohen Hause schon beschlossen; Sie sind nicht oft anwesend, das gebe ich zu, aber vielleicht ist es Ihnen schon aufgefallen –: Im Jahr 2001 sind 500 Millionen Schilling mehr, im Jahr 2002 1 Milliarde Schilling mehr für Universitätsinfrastrukturmaßnahmen vorgesehen. Wir geben 1,5 Milliarden, Sie wollen nur 600 Millionen! Erklären Sie mir das! Wie wollen Sie das denn wirklich ernsthaft vertreten? (Abg. Haidlmayr: Auf drei Jahre aufgeteilt!)  – Sie können das im Budget nachlesen.

Sie sind wirklich nicht auf dem richtigen Dampfer. Wenn ich diesen Dringlichen Antrag sehe, dann habe ich überhaupt den Eindruck, dass es hier zwei Ghostwriters gegeben haben dürfte: Einer hat die Begründung geschrieben – das dürfte meiner Einschätzung nach nicht Kollege Niederwieser gewesen sein, denn dazu kenne ich ihn mittlerweile zu gut. Es ist dies nämlich eine sehr untergriffige, nicht besonders gut ausgefallene Begründung – heute an unserem Jubeltag bin ich moderat und sehe eher das Positive an allem. Auf jeden Fall entspricht diese Begründung nicht dem Geist und dem Charakter von Kollegen Niederwieser. Die Antragstexte hingegen dürften eher aus seiner Feder stammen, denn das sind tatsächlich moderate Vorschläge.

Kollege Niederwieser wird sich ja noch daran erinnern, dass wir in unseren sehr zahlreichen Gesprächen im Zusammenhang mit Universitätsreform, Dienstrecht und so weiter vereinbart hatten, dass er uns den Forderungskatalog der Sozialistischen Partei zukommen lassen wird, der für eine allfällige Zustimmung zur Universitätsreform unter anderem maßgeblich sein wird. Das ist bis heute nicht geschehen, Sie werden uns noch informieren, aber ich nehme einmal an, Ihre Forderungen werden sich mit jenen in diesem Antrag ungefähr decken. Und darüber können wir schon reden. Reden wir darüber, über jeden einzelnen Punkt! Ich glaube, die Ziele sind unbestritten – der Weg dorthin ist vielleicht noch in der einen oder anderen Form zu diskutieren.

Ich frage mich schon: Wer schürt denn die Angst? Herr Kollege Niederwieser! Wir stimmen – um bei dem Beispiel zu bleiben – hundertprozentig zu, wenn Sie fordern: "Organisatorische Reformen der Universitäten dürfen zu keiner Einschränkung der Qualität der demokratischen Mitbestimmung aller Universitätsangehöriger führen." Das ist kein fundamentalistisch gestellter Antrag, das gestehe ich gerne ein, denn sonst hätten Sie ja gesagt, es müsse so bleiben, wie es ist. Das haben Sie nicht gemacht.

Reden wir über die Qualität der Mitbestimmung! Da finden wir uns, das ist das Ziel. Wo können wir die Qualität verbessern? Wer sich heute hier herstellt und behauptet, dass die Mitbestimmung, wie es sie in der derzeitigen Form gibt, das Beste, das Allerbeste für die Studierenden, für die Universitäten und für die Steuerzahler ist, der soll das sagen, aber dann ist er fundamentalistisch unterwegs und weiß ganz genau, dass er der Universität in Wirklichkeit keinen guten Dienst erweist.

Wir wollen die Qualität der Mitbestimmung verbessern. Tun Sie doch nicht immer so, wenn auch unternehmerische Elemente miteinfließen, als ob die auf Grund des Arbeitsverfassungsgesetzes, des Betriebsrätegesetzes beziehungsweise in Betriebsratsorganisationen existierende Vertretungsbefugnis schlechter wäre als die durch das Personalvertretungsgesetz im öffentlichen Bereich bestehende! Sie wissen am besten – es sei denn, Sie haben es auch schon aufgegeben, eine Arbeiterpartei zu sein, das könnte ja sein –, dass darin ausreichend Kontrollen, Mitbestimmung, Mitwirkungspflichten geregelt sind und dass man vieles davon auch als Verbesserung für die Mitbestimmung an der Universität sehen kann. Reden wir darüber – das ist unser Angebot!


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Es geschieht nichts überstürzt, wie Sie das hier darstellen. Allein die Studien, die schon erfolgten Evaluierungen des UOG 1993 – über sieben Jahre her! Es ist viel geschehen! Unter der Regentschaft Einem, Scholten, Busek ist auch in weiterer Folge sehr viel passiert – das sei überhaupt nicht in Zweifel gezogen –: Studien, Bücher, Veröffentlichungen, Diskussionen hat es zur Weiterentwicklung der Universitäten gegeben. Es war immer ein Ziel, dass das UOG 1993 mit der Teilrechtsfähigkeit nur ein erster Schritt ist und dass am Ende die Vollrechtsfähigkeit stehen muss! Das zieht sich wie ein roter Faden durch.

Es ist viel passiert! Es gibt auch schon Studien und Ähnliches. Nehmen wir diese zur Kenntnis und reden wir darüber! Reden wir über alles, was Sie hier fordern! Es ist tatsächlich so: Wenn Sie die "Sicherung einer lobbyungebundenen Grundlagenforschung" fordern, dann kann ich Ihnen dazu sagen: Sehen Sie doch, was diese Regierung betreibt! – Genau das, was Sie wollen! Der FWF ist der Garant für die lobbyungebundene Forschungsförderung, und das nicht nur im wissenschaftlichen Bereich, das wissen Sie. Wir haben es geschafft, für bestmögliche budgetäre Bedeckung zu sorgen – das, was Regierungen vor uns über Jahre und Jahrzehnte hinweg nicht geschafft haben!

Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, in denen die Forschungsfonds tatsächlich mit null budgetiert wurden. Ausgeräumt wurden sie zum Teil für andere Budgetmaßnahmen. Aber das haben Sie alles vergessen. Reden wir darüber, was man besser machen könnte! An Qualitätsverbesserung sind wir alle interessiert, das ist unser Ziel.

Wir wollen aber auch sicherstellen – das muss Ihnen doch auch einiges wert sein –, dass die Universitäten tatsächlich Vollrechtsfähigkeit erhalten und nicht zu einer Baustelle werden. Wenn ich dieses Synonym "Baustelle" höre, dann erinnere ich mich noch ganz genau daran, dass es nicht unter dieser Regierung auf Grund von Baumängeln an der Universität Tote gegeben hat. Sind wir uns darin einig? (Beifall bei den Freiheitlichen.) Dafür war nicht diese Regierung verantwortlich – das ist inzwischen behoben worden und wird verbessert –, das war eine andere Regierung. Damals – wir erinnern uns ja noch alle an das Unirampen-Unglück – hat man an der Universität wirklich eine Baustelle vorgefunden!

Bitte schüren Sie nicht immer Angst, sondern gehen Sie in den Dialog ein! Wir haben eine andere Qualität der Diskussion, eine offene Diskussion. Früher wurde sie geheim geführt, heute wird sie öffentlich geführt. Heute kritisieren Sie das, aber in Wirklichkeit kritisieren Sie das ja nur als Fundamental-Opposition. Wir führen eine offene Diskussion! Früher wurde ohne Opposition diskutiert – heute wird die Opposition eingeladen, zu diskutieren. Das können Sie nicht wegdiskutieren, das ist der wirklich gravierende Unterschied. Nehmen Sie das einmal so hin! Treten Sie in den Dialog ein, dann werden Sie auch etwas verwirklichen!

Wenn ein Reformprozess nahezu zehn Jahre lang dauert und von heute an gerechnet noch über ein Jahr Zeit zur Verfügung steht, die Universitäten zu reformieren, dann ist das keine Überrumpelungsaktion, dann ist das in Wirklichkeit eine maßvolle Zeitspanne, innerhalb derer wir die Vorhaben in diesem Bereich angehen. Nur diejenigen, die schon das UOG 1993, das Sie beschlossen haben, abgelehnt haben, lehnen auch heute weitere Reformschritte ab; das aber aus einem fundamentalen Gesichtspunkt heraus, weil sie sich überhaupt nicht bewegen wollen. Und damit die Universität künftighin gut leben kann, muss auch die Universität damit beginnen, sich zu bewegen, denn was sich nicht mehr bewegt, ist tot. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

16.00

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Grünewald. – Bitte. (Abg. Achatz  – in Richtung SPÖ –: Die SPÖ ist sehr "interessiert" an ihrem Dringlichen Antrag! – Abg. Silhavy  – in Richtung der Abg. Achatz –: Bei dieser "Qualität" der Debattenbeiträge ...! – Abg. Dr. Pumberger: Ein riesiges "Interesse" bei der SPÖ an ihrem Dringlichen Antrag! – Rufe bei den Freiheitlichen – in Richtung SPÖ –: Wo ist Ihr Klubobmann? – Weitere Rufe und Gegenrufe zwischen Abgeordneten von SPÖ und Freiheitlichen. – Präsident Dr. Fasslabend gibt das Glockenzeichen.)


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Am Wort ist jetzt Herr Abgeordneter Dr. Grünewald! (Abg. Achatz: Ein Zauberlehrling ist das!)

16.01

Abgeordneter Dr. Kurt Grünewald (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Minister und weitere Geburtstagskinder, sofern anwesend! Kollegin Brinek ist leider nicht da. (Abg. Dr. Khol: Die Brinek ist da!) Okay! – Da ich sicher eine halbe Stunde zu dem vorhin Gesagten Stellung nehmen könnte und möchte, möchte ich mit der Darstellung anfangen, wie ich mir Universitäten vorstelle.

Universitäten sollten das ausdrücken, was Team-Orientierung heute heißt. (Unruhe im Saal. – Präsident Dr. Fasslabend gibt das Glockenzeichen.) Das ist etwas, was in der Wirtschaft momentan nicht nur modern, sondern auch zielführend ist. Wir sehen die Universität als eine Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden und nicht als eine Ansammlung sich differenzierender, teilweise betriebsrätlich orientierter Kurien. (Beifall bei den Grünen.)

Wir sind auch dafür, ein Globalbudget zu beantragen, und befürworten die Mehrjährigkeit des Globalbudgets, und wir nehmen dafür gerne in Kauf, auch Leistungsverträge mit dem Ministerium zu unterschreiben, wenn sie vernünftig und intelligent sind und anders ausschauen als all das, was uns bisher vorgelegt worden ist.

Wir setzen uns auch für flachere Hierarchien ein, weil sie motivationsfördernd und kreativitätssteigernd sind. Wir sind für den Erhalt der Mitbestimmung und auch für den offenen und freien Zugang und sehen in den Studiengebühren keinen produktiven Zugang zu einer Bildungspolitik. Wir setzen uns ein für stärkere mobilitätsfördernde Maßnahmen beziehungsweise wünschen uns diese. Flexibilisierungen im Dienstrecht stehen wir aufgeschlossen gegenüber, wenn nicht wieder alte Zeiten heraufbeschworen werden, in welchen die Ausbeutung an den Universitäten und die Abhängigkeit das war, was man in einer barocken, sadomasochistischen Phantasie von Leistungsförderung als positiv und antreibend und zielführend angesehen hat.

Wir sind auch für den Rückbau von Einmann-Instituten – es sind meistens Männer, die Professoren sind – zu größeren Einheiten. Wir sind auch für Profilbildungen, wenn es besser gemacht wird, als dies bei der ADL-Studie der Fall war. Diese hat nicht ein Minister allein zu verantworten. Viele haben geklagt, dass diese Studie intrinsisch schon schwach angelegt war und völlig falsch gemacht wurde. Wenn Sie es besser machen, soll es uns willkommen sein. Anzeichen dafür sehe ich bislang aber noch keine. (Beifall bei den Grünen.)

Wir sind auch dafür, dass die Universitäten wirtschafts- und berufsnah ausbilden. Aber bitte nicht nur! Die Balance darf nicht verloren gehen. Es sollten zwischen Universitäten und der Wirtschaft auch Drehscheiben geschaffen werden, wie es die Fraunhofer-Institute in Deutschland zum Beispiel darstellen. Aber nicht so, wie Sie sich das vorstellen.

Jetzt komme ich doch zu einigen Repliken.

Kollege Graf hat gemeint, es solle einer wagen, hier herauszukommen und zu sagen, an den Universitäten seien alle Kommissionen, alle Meinungsbildungen und Entscheidungsfindungen so herrlich, dass man daran nichts ändern möchte.


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Ich war in solchen! Ich habe, Frau Kollegin Brinek, im Innsbrucker Senat und an der Medizinischen Fakultät intensiv an der Umsetzung des UOG 1993 mitgearbeitet. Aber wenn Sie sagen: Ein Ort, wo nicht alles hervorragend und super ist, gehöre reformiert oder abgeschafft, dann muss ich sagen: Als Sie die frühere Regierung oder das frühere Parlament und seine Zusammensetzung kritisiert haben, hätte Ihr erster Antrag sein müssen, auch das Parlament abzuschaffen. Da kann ich nur sagen: Ich hoffe nicht, dass Sie das vorhaben!

Kollege Cap wurde vorgeworfen, da werde mit Herz argumentiert, und dann werden alle möglichen Dinge unterstellt. – Natürlich, ein Herz kann man vielen unterstellen, aber ich habe das Gefühl, Frau Minister, diese Regierung und auch einige hier im Raum tragen das Herz auf der Zunge und nicht am richtigen – am anatomischen richtigen – Fleck, denn Sie predigen das Herz!

Ich versuche es einmal mit Vernunft, und da gibt es einiges zu kritisieren. Gerade bei einer Universitätsreformdiskussion sollte ja Vernunft nicht verboten sein – vielleicht brauchen wir das Herz dann auch gar nicht lange zu strapazieren.

Die Ziele liegen ja alle offen auf dem Tisch. Die Ziele sind: Die Wirtschaft soll – das war ein Satz von Ihnen – mehr Grund haben, zu investieren. Da frage ich mich aber: Warum reformieren Sie dann nicht die Wirtschaft? Warum reformieren Sie die Universitäten? Wenn die Wirtschaft mehr Grund haben soll, in die Forschung zu investieren, dann reden Sie doch einmal mit denen und machen Sie ihnen klar, wie wichtig die Forschung für sie sein könnte! (Beifall bei den Grünen.)

Im Regierungsprogramm steht der wirklich sehr erleuchtende Satz, die Universitäten sollten konkurrenzfähiger sein und Weltspitze werden. Das hat auch Riess-Passer anlässlich der Ski-WM in St. Anton gesagt. Sie verwechselt wahrscheinlich die Universitäten mit einem Riesenslalom oder so etwas Ähnlichem. Ich würde nur gerne wissen, wie wir konkurrenzfähiger werden sollen und ob Ihre Programme dazu dienen, Weltspitze zu werden. (Abg. Dr. Martin Graf  – den Dringlichen Antrag in die Höhe haltend –: Mit diesem Antrag sicher nicht!)

Weiters heißt es: Der Staat zieht sich nicht aus der Verantwortung zurück. – Dazu muss ich nur hören, was unter Konzentration der Mitbestimmung verstanden wird. Ich möchte auch nicht ausführlicher zitieren, was der Rat für Forschung und Technologieentwicklung, der zu Ihrer Beratung und zur Beratung der Regierung installiert wurde, so alles von sich gibt. Es heißt da zum Beispiel, es dürften nur mehr 20 Prozent der Arbeitszeiten für eigene Forschung verwendet werden, außer man gehört dem Olymp der Ordinarien an. Alles andere erfolgt auf Weisung oder ist sozusagen auf Institutsprofilbildung zu reduzieren.

An dieser Stelle möchte ich jetzt die deutsche Wissenschaftsministerin Bulmahn zitieren, die Folgendes sagt: Wir müssen schauen, dass Leute ab 30 frei und kreativ und unabhängig forschen können! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.) Sie will sogar die Habilitation abschaffen, ein altgermanisches Weiheritual, dem Sie immer noch anhängen. – Man hört jetzt nicht zu! Gut!

Dann heißt es von Ihrer Seite, die Diskussion werde gefördert. – Es stimmt, ich habe es Ihnen auch abgenommen und will es Ihnen auch weiterhin – das sage ich jetzt einmal vorläufig – gerne glauben. Trotzdem: Die Veranstaltungen an den Universitäten haben nichts anderes als Charakteristikum als die Abhaltung einer Belehrung. Man bekommt dort keine Antwort, es heißt immer nur: Wir dürfen jetzt nichts sagen!

Herr Höllinger ist mein Zeuge! So war es Innsbruck: Man darf jetzt nichts sagen, man hört uns nur zu, wird das fest aufschreiben und dann weitergeben. Nur: Von Weitergabe merke ich nichts. Eine Reform zwischen Gleichgestellten, eine Reform an Universitäten, wo Intelligenz gefragt ist, sollte andere nicht nur hören, sondern auch deren Meinung, wenn sie vernünftig ist, einfließen lassen. Davon merke ich relativ wenig.

Dann heißt es, wirtschaftliche Betrachtungsweise würde von uns, von der Opposition, den Roten und den Grünen, und von allen Kritikern einfach diffamiert. – Ich spreche mich nicht gegen wirtschaftliche Betrachtungsweisen und gegen ein gutes Wirtschaften an der Universität aus, aber ich spreche mich dagegen aus, dass Universitäten nur mehr zu Ausbildungsstätten von Industriekonzernen werden. Aber in Ihren alten Leistungsverträgen steht so etwas drinnen: Diejenigen werden besser bepunktet, diejenigen bekommen mehr Geld, die möglichst viele in kurzer Zeit durchschleusen. Von Qualität ist keine Rede! Von den ehemaligen 12 Punkten in den Leistungsverträgen haben ganze drei etwas mit der Wissenschaft zu tun gehabt.

Außerdem muss ich schon sagen: Ich möchte, dass die Universität auch ein Ort der Auseinandersetzung ist. Da soll kritisiert werden können, da sollen Sträuße ausgefochten werden können, aber es muss selbstverständlich fair zugehen. (Beifall bei den Grünen.)

Wenn ich schaue, wen Sie als Kronzeugen und Kronzeuginnen für Ihre Reform hernehmen, dann wird mir – angst und bange nicht, so schreckhaft bin ich nicht – mulmig zumute und stößt es mir auf.


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70. Sitzung / Seite 117

Wenn hier ungestraft ein Spitzenmann von Siemens sagen kann: Was habt ihr denn alle so viel Angst, fürchtet euch nicht – schon fast im Schüssel’schen Stil –, ihr Armseligen und Mühsamen (Abg. Dr. Khol: Ihr Mühseligen und Beladenen! Das ist das Zitat!), wenn es mit dem Dienstrecht schärfer hergeht, denn es wird euch die Industrie, weil wir jetzt gefordert werden, 18 000 Arbeitsplätze zur Verfügung stellen!, dann frage ich Sie: Ja welche denn? An der Werkbank? In der Automobilindustrie? In der Informationstechnologie? 18 000?! Was ist mit den HistorikerInnen, mit den SoziologInnen, mit den kritischen PsychoanalytikerInnen, mit GesellschaftswissenschaftlerInnen, mit vielen anderen StudienabsolventInnen? Also bei Siemens habe ich weder einen Archäologen noch einen kritischen Analytiker gefunden, vielleicht ist nicht einmal ein Wirtschaftstheoretiker dort – zumindest nicht in einer Anzahl von über fünf, würde ich sagen, um jetzt nicht in ein Fettnäpfchen zu treten.

Wenn dann – und Sie haben Frau Hassauer dazu predigen gehört – beinahe mit Hass über Mitbestimmung und demokratische Instrumente an den Universitäten gesprochen wird, wenn nicht registriert wird, dass seit dem UOG 1975, in welches die Mitbestimmung und demokratische Elemente stärker hineingekommen sind, die Universitäten auch laut Felderer und Campbell eine Vorwärtsentwicklung durchgemacht haben, im wissenschaftlichen Output auf der Aufholspur – die "Presse" hat sogar "Überholspur" geschrieben – sind, dann frage ich mich: Warum wollen Sie das alles abschaffen?

Nun noch zu einer anderen ...

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Abgeordneter. Bitte, um den Schlusssatz!

Abgeordneter Dr. Kurt Grünewald (fortsetzend): Ich komme zum Schlusssatz: Schade, dass ich es nicht beweisen kann: Viele Daten und Fakten, mit denen Sie operieren, unter anderem auch budgetäre Zahlen, sind eben Vergleiche, die teilweise unzulässig sind, denn wenn ich Budgets mit der Situation im Dreißigjährigen Krieg vergleiche, dann habe ich immer eine Steigerungsrate. Sie haben, wie Sie selbst zugegeben haben, mit den schlechten Jahren 1993 und 1994 verglichen, und das ist nicht ganz lupenrein!

16.11

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ für den das Rednerpult verlassenden Abg. Dr. Grünewald. )

Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Mag. Kuntzl. – Bitte.

16.11

Abgeordnete Mag. Andrea Kuntzl (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man sich die Politik der derzeitigen Bundesregierung ansieht, so könnte man denken, es ist zu Ihrer Leitlinie geworden, den Leuten in unserem Lande das Leben schwer zu machen. Sie nehmen sich eine Bevölkerungsgruppe nach der anderen heraus und denken sich in kreativster Art und Weise herzlose Maßnahmen aus, die Sie dann auch blitzartig umsetzen – so geschehen mit der Einführung der Studiengebühren. Heute reden wir über all das, was Sie sich haben einfallen lassen, um den Universitätsangehörigen und den Studierenden das Leben schwer zu machen. (Beifall bei der SPÖ.)

Frau Bundesministerin! Ich kann Ihnen diese Kritik nicht ersparen: Es handelt sich bei der Frage der Studiengebühren auch um einen persönlichen Sündenfall Ihrer Person. Noch im August des letzten Jahres haben Sie gesagt, der freie Zugang zu den Universitäten müsse erhalten bleiben und es gebe auch keine Diskussion über allgemeine Studiengebühren. Einen Monat später, im September des letzten Jahres, war dann klar: diese Regierung will Studiengebühren einführen!, und Sie, Frau Bundesministerin, sind zu einer Verteidigerin – zugegebenermaßen zu einer etwas lustlosen Verteidigerin – dieser Maßnahme, die den Studenten und Studentinnen das Leben erschwert, geworden.


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Interessant ist, wie Experten zu dieser Ihrer Maßnahme stehen. Vor allem ist interessant, wie Ihre eigenen Experten die Einführung der Studiengebühren, diese von Ihnen beschlossene Maßnahme, bewerten.

Sie haben letztes Jahr die so genannte Mazal-Kommission eingesetzt, um Maßnahmen zur sozialen Treffsicherheit zu durchleuchten, und diese Ihre eigene Kommission ist wörtlich zu dem Schluss gekommen, dass Studiengebühren abzulehnen sind, und zwar deshalb, weil eine finanzielle Schlechterstellung von Studierenden dazu führen könnte, dass die Notwendigkeit zunimmt, neben dem Studium Geld zu verdienen, was sich auf Studiendauer und Ausfallsrate negativ auswirken könnte. Das ist eine klare Empfehlung Ihres eigenen Experten gegen diese Ihre Maßnahme. Sie haben diesen Bericht auf den Tisch bekommen, und am Tag darauf haben Sie anders gehandelt. Wenn Sie nicht einmal mehr Ihre eigenen Experten ernst nehmen, auf welche sinnvollen Ratschläge hören Sie dann überhaupt noch? (Beifall bei der SPÖ.)

Ein zweites Expertenteam ist von Ihrer Parteikollegin, Frau Landeshauptfrau Klasnic, eingesetzt worden, die in ihrem Wahlkampf auch durch ein Auftreten gegen die Politik, die Sie auf Bundesebene betreiben, Wahlen gewinnen wollte. Also ist sie gegen die Einführung von Studiengebühren aufgetreten, hat Experten eingesetzt, und diese sind zu den folgenden Schlüssen gekommen: "Das Expertenteam hält deshalb die Vorgangsweise der Bundesregierung und den Inhalt der geplanten Maßnahmen" – gemeint sind die Studiengebühren – "für verfehlt und ist davon überzeugt, dass dem österreichischen Bildungssystem dadurch nachhaltiger Schaden zugefügt wird."

Frau Bundesministerin! Ihre eigenen Experten sagen, durch die Maßnahmen, die Sie setzen, wird dem Bildungssystem nachhaltiger Schaden zugefügt. Nehmen Sie doch die Gelegenheit wahr, hören Sie auf Ihre Experten und machen Sie diese Maßnahme rückgängig! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Dr. Petrovic. )

Weiters sagen Ihre Experten, dass es durch diese Maßnahmen weder zu einer Verbesserung der Situation an den Hochschulen käme noch ein Beitrag zur Budgetkonsolidierung damit geleistet werde, und sie kommen letztlich zu dem Schluss, dass durch die von der Bundesregierung beabsichtigten Maßnahmen die selbst gesetzten Ziele nicht erreicht würden.

Meine Damen und Herren von der Koalition! Sie setzen Maßnahmen, von welchen Ihre eigenen Experten sagen, dass sie Ihren eigenen Zielen entgegenstehen. – Ich frage Sie: Was soll man von derartigen Maßnahmen halten, wenn selbst die eigenen Experten das in einer derartigen Weise zerfetzen?

Welche Lenkungseffekte erreichen Sie jetzt durch diese Maßnahmen? Was sagen dazu wiederum die Experten? – Es werden zwei Lenkungseffekte erreicht werden. – Und übrigens, Frau Bundesministerin, von wegen Eignung dieser Maßnahmen, uns dahin zu bringen, Weltklasse im Bildungssystem, im Universitätsbereich zu sein: Genau das Gegenteil wird der Fall sein!

Der erste Lenkungseffekt, den Sie damit erreichen, ist in Wirklichkeit Folgender: Wir werden eine sinkende Akademikerquote erreichen – das, wo wir jetzt schon im europäischen Durchschnitt eine sehr "erbärmliche" Akademikerquote haben! Vielmehr sollten wir im ureigensten Interesse Maßnahmen setzen, um diese Quote anzuheben. Derzeit liegt der OECD-Durchschnitt dieser Quote bei 14 Prozent, und wir liegen mit unserer Quote bei 7 Prozent. Wir hätten da also einen Aufholbedarf. (Abg. Haigermoser: Warum ist denn das so?)

Der zweite tatsächliche Lenkungseffekt ist, dass wir zu längeren Studienzeiten kommen werden, weil die Studenten, die jetzt schon zu über 60 Prozent berufstätig sind, in einem noch höheren Ausmaß Geld dazuverdienen werden müssen, um die Studiengebühren finanzieren zu können, und daher die Studienzeiten noch weiter verlängert werden.

Nun noch kurz zur "Märchenstunde", die Herr Abgeordneter Graf hier gehalten hat, was die Steigerungen bei den Investitionsmitteln für die Universitäten betrifft. – Wahr ist, dass im Budget 2000 die Investitionsmittel für die Universitäten drastisch gesenkt wurden, und zwar um 600 Millionen Schilling, und wahr ist, dass die Erhöhung im Jahr 2001 diese Absenkung nur aus


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geglichen hat und dass damit die Investitionsmittel wieder auf das vorherige Niveau zurückgebracht wurden. Die geringfügige Erhöhung, die dann im Budget 2002 tatsächlich beschlossen wurde, wurde von den Studiengebühren finanziert. Das heißt, dass sich die Studenten die Investitionen selbst bezahlen müssen.

Frau Bundesministerin! Ich gebe Ihnen allerdings Recht, wenn Sie sagen, dass es sich bei den Studiengebühren nicht um Sparmaßnahmen für das Budget handelt. Wahr ist: Für das Budget bleibt von den Studiengebühren gar nichts mehr oder so gut wie nichts mehr übrig. Es handelt sich dabei um keine Maßnahme, von der das Budget profitiert, sondern ausschließlich um eine Maßnahme, durch welche die Studenten mit der Gebührenpeitsche bedroht werden, damit sie schneller studieren sollen. Die Rahmenbedingungen dafür stellen Sie allerdings nicht zur Verfügung. Vor allem handelt es sich dabei um eine Hürde, die Sie im Bildungssystem aufstellen, und wir müssen befürchten, dass das nur der erste Schritt ist. (Beifall bei der SPÖ.)

16.18

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Amon. Da ich üblicherweise zumindest einen akademischen Grad hinzufüge, füge ich hinzu: MBA. – Bitte.

16.18

Abgeordneter Werner Amon, MBA (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich mich, Frau Bundesministerin, der Gratulation unserer Fraktionsführerin im Wissenschaftsausschuss anschließen und Ihnen auch sehr, sehr herzlich zum Geburtstag gratulieren, und selbstverständlich auch Herrn Kollegen Graf!

Die Debatte über den Dringlichen Antrag der SPÖ ist ganz interessant und ganz lustig, denn die SPÖ agiert heute nach dem Grundsatz: Lasst uns unsere Vorurteile und verwirrt uns nicht mit Tatsachen! – Das ist der Zugang, den die SPÖ bei dieser Debatte hat! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Kollege Niederwieser, den ich an sich als Wissenschaftssprecher der SPÖ sehr schätze, regt sich sogar auf und sagt: Um Gottes willen, die Frau Bundesministerin hat einen Plan zur Uni-Reform, der Wissenschaftssprecher der FPÖ hat einen Plan zur Uni-Reform, und auch die Kollegin Brinek hat einen Plan zur Uni-Reform! – Da kann ich nur sagen: Anscheinend hat die SPÖ keinen Plan zur Uni-Reform!

Das ist das Einzige, was mir dazu einfällt, denn es entspricht dem Pluralismus und ist doch selbstverständlich, dass verschiedene Parteien auch unterschiedliche Zugänge und unterschiedliche Reformvorschläge haben. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sind herzlich eingeladen, an dieser Baustelle mitzubauen. Schauen wir, dass daraus ein "gescheites" Monument wird, und bringen Sie, bitte, Ihren Plan mit! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Weil Sie davon sprechen (Zwischenruf des Abg. Dr. Cap ) – ich weiß nicht, was Sie wollen, Herr Dr. Cap (neuerlicher Zwischenruf des Abg. Dr. Cap ) – , dass die Studiengebühren so überraschend eingeführt worden sind: Wahr ist, dass wir seit vielen Jahren eine Debatte über die Frage der Einführung von Studiengebühren führen.

Wahr ist auch, dass es Überlegungen betreffend Seniorenstudenten gegeben hat, also jenen, die in Pension sind und gewissermaßen als Freizeitbeschäftigung an die Universität gehen. Herr Dr. Cap, ich weiß zwar nicht wirklich, was Sie wollen (Abg. Dr. Brinek: Das ist eine unoriginelle Ablenkung!), aber was mir neu an der SPÖ erscheint, ist nur ein einziger Punkt, nämlich dass der Klubobmann der SPÖ nicht in der ersten Reihe, sondern in der dritten Reihe sitzt. Das ist auffallend. Alles andere ist nicht neu an der SPÖ. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dr. Khol: Zwei Generalsekretärinnen!)

Es gab also eine Diskussion über die Frage der Einführung von Gebühren für Senioren- und für Langzeitstudenten. Ein großes Problem stellt sich natürlich heute an den Universitäten schon dar, nämlich dass wir in Österreich die längsten Studienzeiten in Europa haben, aber die geringsten Studienabschlüsse. Das schreit nach einer Reform, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)


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Wir geben im Übrigen auch sehr viel für Bildung aus: Im heurigen Budget ist das höchste Bildungsbudget seit 1945 vorgesehen. Reden Sie also nicht immer davon, dass wir die Bildung "kaputtsparen"! (Beifall bei der ÖVP.)

Aber es scheint augenblicklich – das reicht von der Universität bis zu den Schulen – die Politik der SPÖ zu sein, sich grundsätzlich gegen jede Reform zu stellen. Es gibt ständig die Wünsche, man möge doch das wieder in Kraft setzen, was es in der Vergangenheit gegeben hat. Sie leben in der Vergangenheit, meine Damen und Herren von der SPÖ, Sie wollen keine Reformen, Sie lehnen jede Reform ab, Sie machen einen Salto rückwärts direkt zurück ins Biedermeier! Das ist Ihr Problem. Ich glaube tatsächlich, dass es höchst an der Zeit ist, dass die SPÖ beginnt, sich inhaltlich damit auseinander zu setzen.

Herr Kollege Cap, gerade Ihnen täte das gut, weil Sie sich so für den VSStÖ, für den Sie ja seinerzeit Hochschulvertreter waren, ins Zeug gelegt haben. Im Jahre 1997 bei der Uni-StG-Reform – ich erinnere mich sehr gut – haben wir unter anderem die drei Prüfungstermine pro Semester verhandelt. Als sich die damalige ÖH-Vorsitzende Berlakovich in der Cafeteria befunden hat, habe ich mit Kollegen Niederwieser und Kollegen Lukesch die drei Prüfungstermine pro Semester ausgehandelt. Ich kann daher den Hochschülern nicht empfehlen, dass sie den VSStÖ wählen – das kann ich beileibe nicht! –, wenn dessen Vertretung dermaßen ausschaut. (Beifall bei der ÖVP.)

Da der VSStÖ jetzt gemeinsam mit Bürgermeister Häupl in so "großartiger" Weise die Studentenfreifahrt verkündet, muss ich sagen: Da sind Sie ein wenig spät dran. Die Aktionsgemeinschaft ist im vergangenen Sommer zwei Wochen lang auf dem Wiener Rathausplatz gesessen und hat den Herrn Bürgermeister um einen Termin ersucht. Nicht einmal einen Termin haben die Hochschulvertreter beim Bürgermeister bekommen! So schaut es aus! Sie machen hier reinen Wahlkampf, und das lehnen wir zutiefst ab! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Wir haben gesagt, es muss einen sorgsamen Umgang mit der Zeit, mit der Lebenszeit junger Menschen geben; so steht es auch im Regierungsübereinkommen. Deshalb muss es auch eine Universitätsreform geben, die als Ergebnis hat, dass es kürzere Studienzeiten gibt und dass es auch eine höhere Abschlussrate gibt. Schauen Sie sich die erst kürzlich im Auftrag des "Kurier" durchgeführte Studie an, dann werden Sie feststellen, dass sich allein durch das Faktum, dass es zur Einführung von Studienbeiträgen kommt, die Zahl der erfolgreichen Beteiligungen an Prüfungen an der Universität massiv erhöht hat. Das heißt, das ist durchaus eine Wirkung, die damit erzielt wird, eine Wirkung, die wir uns aber durchaus auch gemeinsam wünschen müssen.

Wir haben sichergestellt, dass mit der Einführung der Studienbeiträge auch die entsprechende soziale Abfederung sichergestellt wird. Darum haben wir ein sehr umfassendes Beihilfen- und Stipendiensystem eingeführt und das bestehende reformiert.

Alle, die bisher eine Studienbeihilfe in voller Höhe erhalten haben, werden die volle Studiengebühr ersetzt bekommen. Weil Kollege Cap hier gesagt hat, er wisse nicht, wie der Stand bezüglich der begünstigten Darlehen sei, darf ich zu seiner Information sagen: Natürlich ist es sinnvoll, dass man hier nicht eine Lösung betreibt, die überhastet getroffen wird, sondern dass man eine Lösung betreibt, die möglichst alle Geldinstitute einbezieht. Es gibt bereits Vereinbarungen für solche begünstigte Darlehen mit der Bank Austria, mit der Creditanstalt, mit der Erste Bank samt den Sparkassen, mit der BAWAG, mit der PSK, mit den Volksbanken und mit den Raiffeisenbanken.

Ich würde Herrn Kollegen Cap als Antragsteller empfehlen, dass er sich wirklich kundig macht, dass er sich die Dinge genau anschaut und dass die SPÖ endlich damit beginnt, sich inhaltlich mit den Reformen auseinander zu setzen und nicht in der Vergangenheit verharrt und dort stehen bleibt, wo sie im Jahr 1999 offenbar stehen geblieben ist. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

16.25


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Präsident Dr. Werner Fasslabend:
Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Abgeordneter Dr. Niederwieser zu Wort gemeldet. – Bitte.

16.26

Abgeordneter DDr. Erwin Niederwieser (SPÖ): Herr Präsident! Frau Ministerin! Hohes Haus! Kollege Amon hat soeben in seiner Rede darauf hingewiesen, dass es die Aktionsgemeinschaft gewesen sei, die für die Hochschülerschaft in der Pause der Beratungen den dritten Prüfungstermin durchgesetzt hat, und dass der VSStÖ nicht dabei gewesen sei. (Abg. Amon: Habe ich nicht gesagt!)

Tatsache ist, dass der VSStÖ schon viel früher dafür gesorgt hat, dass die sozialdemokratische Fraktion diese Position eingenommen hat, und dass es nur mehr die Aufgabe der AG gewesen ist, noch die ÖVP davon zu überzeugen ...

16.26

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Herr Abgeordneter! Das ist keine Widerlegung und keine Berichtigung des Inhalts der Ausführungen von Herrn Abgeordnetem Amon. (Abg. Dr. Khol: Ich bin für einen Ordnungsruf! – Abg. Dr. Niederwieser  – das Rednerpult verlassend –: Er hat das behauptet, und das stimmt nicht! – Abg. Haigermoser: Niedersetzen! Nicht genügend!)

Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Schender. – Bitte.

16.27

Abgeordneter Mag. Rüdiger Schender (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Kollege Cap, ich muss sagen, ich war heute wirklich sehr enttäuscht von Ihren Ausführungen. (Zwischenruf der Abg. Mag. Prammer. ) Man hat einige Aussagen von Ihnen in den Zeitungen, in den Magazinen gelesen. Es stand zu lesen: Der einstige Rebell wird jetzt Klubobmann, ein Visionär sei er gewesen. – Herr Kollege Cap, von diesen Vorschusslorbeeren ist nicht mehr viel übrig geblieben! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Herr Kollege Cap, ich muss wirklich feststellen: Sie sind ein ganz schlimmer Reaktionär! Alles muss so bleiben, wie es ist, nichts darf verändert werden. Wir dürfen einfach keine Reformen machen. – Das ist Ihre Position, und diese ist einfach falsch, Herr Kollege Cap, denn Sie selbst haben in Ihrem Antrag mehrmals zugegeben, dass ein unglaublicher Reformbedarf besteht, dass wir die längsten Studiendauern in Europa haben und dass wir eine ausgesprochen hohe Drop-out-Rate in Österreich haben. Daher ist es einfach notwendig – und das sollten Sie eigentlich wissen –, dass wir diesen Handlungsbedarf auch umsetzen. (Abg. Dr. Cap: Der Papi war zufrieden!)

Herr Kollege Cap, ich habe nicht gewusst, dass Sie so ein Fan meines Vaters sind. Sie wissen, er geht im Juli in Pension. Vielleicht können Sie ihn als Ghostwriter für sich gewinnen, dann verzapfen Sie hier nicht mehr solchen Unsinn! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Herr Abgeordneter Schender! Ich habe viel Verständnis dafür, dass jüngere Abgeordnete in ihrer Ausdrucksweise vielleicht nicht jedes Wort auf die Waagschale legen, aber das geht zu weit, und das war nicht der erste Ausdruck dieser Art. Ich bitte Sie wirklich darum, bei den weiteren Ausführungen einen Ton an den Tag zu legen, der der Würde dieses Hauses angemessen ist! (Abg. Haigermoser: Sag statt "Unsinn" "Topfen"! Das darfst du sagen!)

Abgeordneter Mag. Rüdiger Schender (fortsetzend): Danke, Herr Präsident! Ich nehme das zur Kenntnis.

Aber es ist, wie gesagt, auch interessant, wer hier von Seiten der SPÖ spricht. Wir haben von Kollegen Graf gehört, dass Herr Kollege Cap mit 36 Jahren mit dem Studium fertig geworden ist. (Abg. Dr. Cap: Gut Ding braucht Weile!) Ich habe das nicht kontrolliert oder nachgeprüft, aber es wird stimmen, ich vertraue meinem Kollegen. Wenn ich jetzt ein Jahr Präsenzdienst abziehe


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und wenn ich Ihnen zugestehe, dass Sie möglicherweise ein Jahr in kommunistischen Kaderschulungslagern in Kuba oder in Moskau gewesen sind (Heiterkeit bei den Freiheitlichen), dann entspricht das einer Studiendauer von rund 16 Jahren. 32 Semester, Herr Kollege Cap, das ist gar nicht schlecht! Aber auch Frau Kollegin Kuntzl braucht sich nicht zu verstecken, sie hat immerhin 34 Semester lang studiert.

Aber, meine Kollegen von der SPÖ, lange zu studieren hat Sie offenbar nicht fit dafür gemacht, hier über die Studienpolitik zu diskutieren. Das muss ich Ihnen wirklich sagen! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Silhavy: Ich würde aufpassen ... die Frau Fabel ...! Das war sehr peinlich! – Zwischenruf der Abg. Achatz. ) Sie hätten vielleicht diese Studienreform früher gebraucht, Herr Kollege Cap, Frau Kollegin Kuntzl, dann hätten Sie vielleicht schneller studiert; manche wären vielleicht sogar mit dem Studium fertig geworden.

Aber wie dem auch sei: Es ist ja ganz klar, worum es sich handelt. Es ist dies hier eine inszenierte Aufregung ein paar Tage vor der ÖH-Wahl. Das ist vielleicht auch gar nicht schlecht, wenn man sich anschaut, welche Wahlbeteiligung prognostiziert wird: 25 Prozent. Das ist letztendlich ein Ausdruck dessen, was diese Österreichische Hochschülerschaft darstellt. Diese prognostizierte niedrige Wahlbeteiligung spiegelt die Unzufriedenheit der Studenten mit der ÖH wider, weil sie eine starre Institution mit einer Zwangsmitgliedschaft ist. Es wäre eigentlich ihre Aufgabe, die Interessen der Studierenden zu vertreten – was sie aber nicht tut, sondern die ÖH mit ihren Funktionären hat sich schon seit Jahrzehnten eigentlich nur noch der Machtsicherung von Positionen von Funktionären verschrieben.

Das ist einfach, wie bei allen Kammern, ein unerträglicher Zustand! Und das frustriert die Studenten; deshalb, glaube ich, ist auch die Wahlbeteiligung so niedrig, was sehr, sehr schade ist – auch das möchte ich hier ausdrücklich betonen –, denn ich meine, dass es im Sinne einer demokratischen Mitbestimmung notwendig wäre, dass es gerade im Bereich der Studenten zu einer höheren Beteiligung kommt.

Abschließend – meine Redezeit ist leider schon zu Ende – darf ich daher nochmals sagen, dass es meiner Ansicht nach ganz einfach eine Verpflichtung des Gesetzgebers ist, unsere Unis wettbewerbsfähig zu halten. Ich meine, dass es eine Verpflichtung des Gesetzgebers ist, die Ausbildung unserer Jugend auf höchstem Niveau zu halten. Wir haben jetzt noch die Möglichkeit, einzulenken und notwendige Reformen durchzuführen. Daher gilt es, mit einem umfassenden Reformkonzept eine Dienstrechtsreform zu gestalten, die motivierte, gute Professoren hervorbringt, die auch Chancen für Junge bringt, akademische Karrieren zu starten. Dazu gehört auch die Vollrechtsfähigkeit, die ja auch schon von Ihnen angedacht und diskutiert worden ist.

Sehr geehrte Frau Ministerin! Ich wünsche Ihnen viel Glück bei dieser Reform – unsere künftigen Studenten werden es Ihnen danken! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Dr. Wittmann: Sie sollten Ihren Vater als Ghostwriter bemühen! – Abg. Dr. Martin Graf: Beim Kollegen Cap hat man gesehen, dass da nicht einmal der Ghostwriter etwas nützt!)

16.32

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Brosz. – Bitte.

16.32

Abgeordneter Dieter Brosz (Grüne): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Lassen Sie mich zunächst zur Enquete "Die Universitätsreform" zurückkommen, die vor gut zwei Wochen hier in diesem Haus stattgefunden hat. Ich habe mir einen Teil dieser Enquete angehört und habe mich eigentlich auf einer relativ merkwürdigen Veranstaltung wieder gefunden.

Zunächst einmal kann man sagen: Der Ablauf wurde noch gemeinschaftlich vereinbart, aber 17 Referate an den Beginn zu stellen – und das, bei einer Dauer von je 15 Minuten, über Stunden hinweg –, ist nicht wirklich eine diskussionsfördernde Angelegenheit. Wenn man sich noch angeschaut hat, wie die Auswahl dieser Referenten erfolgte – die natürlich auch ihren Niederschlag in den Medien gefunden hat –, dann war es schon verblüffend, dass all jene, die Kritik an der Reform geäußert haben, irgendwo am Schluss untergebracht worden sind, nachdem die an


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deren ihre Unterstützungen vorher sozusagen "geparkt" haben. Inwiefern das ein offener Dialog war, darüber könnte man sehr ernsthaft streiten.

Dann gab es den Punkt, bei dem ich mir gedacht habe: Das ist ja wirklich merkwürdigst. Sie sagten bei dieser Enquete, der Entwurf gehe gleich morgen – also am Tag nach der Enquete – in Begutachtung. – Jetzt frage ich mich schon: Welchen Charakter hatte diese Enquete eigentlich für Sie? – Der Entwurf war fertig, alles war erledigt! Jetzt kann man noch sagen: Es gab den Entwurf und eine Diskussion. Aber eigentlich könnte man den ganzen Gesetzwerdungsprozess wohl so ansetzen, dass man die Enquete abhält und deren Ergebnisse irgendwie in die Begutachtung mit hineinnimmt; aber daran war offenbar gar nicht gedacht: Es ging einzig und allein darum, hier scheinbare Erfolge zu präsentieren und schon ein fertiges Konzept auf den Tisch zu legen. Wieso Sie dann Referenten aus ganz Österreich und aus anderen europäischen Staaten eingeladen haben – außer zur Inszenierung –, das sollten Sie vielleicht noch erklären! (Beifall bei den Grünen.)

Aber nicht nur das: Sie kennen wahrscheinlich auch den Protest der Rektorenkonferenz gegen den Zeitraum der Begutachtung, der mit drei Wochen angesetzt wurde. Zwei Monate seien das Minimum, um eine sinnvolle Diskussion zu führen, wurde gesagt. – Offenbar sind Sie nicht einmal jetzt willens, die Ergebnisse wirklich aufzunehmen, hier in einen Dialog zu treten und überhaupt die Chance zu eröffnen, über das, was Sie vorgelegt haben, zu diskutieren.

Ich finde das wirklich eigenartig. Kollege Amon hat hier am Rednerpult auch wieder von Dialog geredet, ebenso Frau Kollegin Brinek. Wenn man das jedoch mit Ihren Vorgangsweisen vergleicht, dann kann hier von Dialog wohl überhaupt keine Rede sein. Sie haben absolut kein Interesse daran, sich mit irgendjemandem über die Inhalte auseinander zu setzen.

Kollege Amon! Da es in der "ZiB 3" auch so gelaufen ist, dass Sie bezüglich der Erziehungsvereinbarungen von Dialog gesprochen haben – auf den Inhalt möchte ich hier gar nicht eingehen –, frage ich Sie: Wo finden denn jetzt die Gespräche statt, die Sie angekündigt haben? – Sie haben bei dieser informellen Enquete – wie immer man das bezeichnen will – gesagt: Wir werden weiter darüber diskutieren. Bekommen haben wir die Unterlagen über den Ministerrat, da sind sie vorgelegt worden. Offenbar besteht der Wunsch, hier überhaupt zu Lösungen zu kommen oder auch nur die Argumente zu hören, auch in diesem Bereich nicht.

Hören Sie daher bitte damit auf, so zu tun, als wären Sie dialogfördernd oder -suchend. Ihnen geht es darum, Ihre Ergebnisse so zu präsentieren, wie Sie es wollen. Das steht Ihnen auch zu, ist okay – Sie haben die Mehrheit –, aber dann sagen Sie das bitte auch hier! (Abg. Amon: Sie können es nicht ablehnen und dann ...!)

Frau Ministerin Gehrer! Sie haben bei dieser Enquete mehrmals von "Weltklasse" gesprochen. Dieser Weltklasse-Begriff ist überhaupt ein etwas hinterfragenswürdiger, aber lassen wir das einmal so stehen. Ich habe hier eine Statistik aus der "Süddeutschen Zeitung" über die High-Tech-Macher – also Beschäftigte mit Hochschulabschluss, die einen wissenschaftlich-technischen Beruf ausüben – in der Europäischen Union. Die Statistik zeigt Folgendes (der Redner hält die genannte Statistik in die Höhe): In Schweden gibt es fast 21 Prozent. Sie können das jetzt nicht sehen, aber wenn man ganz unten hinschaut, steht als letztes Land Österreich. Es wird wahrscheinlich zu wenig sein, dass Sie die Statistik umdrehen, quasi auf den Kopf stellen und Österreich dann an erster Stelle ist. Es wird mehr dazu gehören als dieser Trick. Da müssen Sie wirklich Konzepte auf den Tisch legen, die zeigen, wie das möglich sein soll. (Beifall bei den Grünen.)

Ich hatte vor sehr kurzer Zeit – in dieser Woche – eine Podiumsdiskussion mit dem niederösterreichischen Landesrat Sobotka von Ihrer Fraktion und auch mit dem ehemaligen Präsidenten des Nationalrates Brauneder zum Thema Wissensgesellschaft, Weiterbildung. Angesichts dessen, was diese Herren dort gesagt haben, habe ich mir gedacht: Die hätten ein ziemliches Problem, wenn sie noch hier im Parlament säßen. Kollege Brauneder hat von der öffentlichen Bildung gesprochen, die notwendig ist, vom Schutz der wissenschaftlichen Ausbildung und Bildung


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gegenüber den wirtschaftlichen Interessen. – All das hört man von Ihnen hier überhaupt nicht mehr.

Kollege Sobotka hat so nebenbei gemeint, geringere Klassenschülerzahlen müsse man schon anpeilen. Als ich ihm dann mitgeteilt habe, wie die Position im Parlament dazu ist, war er schon etwas verblüfft darüber, dass man mittlerweile sogar inhaltlich meint, dass das gar nicht notwendig sei. Zumindest auf anderer Ebene sieht man, dass es nicht nur diese positive Darstellung hier im Parlament gibt, sondern dass es Leute gibt, die auch anders denken und grundsätzlich dazu bereit sind, mit uns zu diskutieren. Das würde ich mir hier auch wünschen, auch aus Ihren Fraktionen.

Aber zum Schluss auf eines zurückkommend – das hat mich mehrmals von Seiten der ÖVP, sagen wir einmal so, wirklich verwundert –: Sie haben gesagt, die Studiengebühren kosten nicht mehr – und ich habe mir das sehr genau gemerkt – als ein Seidel Bier am Tag. Frau Rauch-Kallat hat ebenfalls in einer jüngsten Diskussion gemeint: Studiengebühren kosten nicht mehr als ein Handy. Wenn man sich anhört, wie das Kollege Schender dargebracht hat und sich über Personen lustig macht – ich möchte jetzt nicht über Politiker reden, aber grundsätzlich –, die eben länger für das Studium brauchen, dann sollte man sich auch einmal anschauen, welche Hintergründe das hat.

Glauben Sie wirklich, dass jemand, der – wie 70 bis 80 Prozent der Studierenden in Österreich, laut Bericht zur sozialen Lage – nebenbei arbeitet, oder jene 40 Prozent, die regelmäßig arbeiten, die gleichen Chancen hat, das Studium in einer kurzen Zeitdauer zu absolvieren, wie Personen, die eben aus einem sehr begüterten Elternhaus kommen? Glauben Sie das? (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Schwemlein. ) Kollege Schender! Das wird schon seine Gründe haben – auch andere, nicht nur finanzielle.

Zweiter Punkt: Ist dieses Bild – hinein in die Uni, vier Jahre durchstudieren, fertig und wieder hinaus – das einzige Bild, das Ihren Vorstellungen von der Universität entspricht? – Ich kann es nur aus meiner Erfahrung sagen: Ich habe Politikwissenschaft studiert; wie man an meinem nicht vorhandenen Titel sieht: nicht fertig studiert. Ich kann Ihnen auch sagen, was herausgekommen ist. Ich war ziemlich weit in diesem Studium; andere, die mit mir gemeinsam in einer Gruppe studiert haben, haben es abgeschlossen. Ich war allerdings einer der wenigen aus dieser Gruppe, die während des Studiums schon begonnen haben, auch in die Bereiche hineinzuschauen, die mich beruflich interessiert haben – wie auch ein paar andere. Und genau diejenigen, die das gemacht haben, die nicht nur geschaut haben, möglichst schnell und "straight" durchzukommen, waren interessanterweise diejenigen, die sich auch relativ bald – egal, ob sie jetzt fertig waren oder nicht – beruflich orientieren konnten. Seltsamerweise hat die Gruppe, die nichts anderes getan hat, als schnell zu studieren – jetzt gebe ich schon zu: Politikwissenschaft als Studium ist irgendwie schwierig von den Aussichten her –, dann, als sie fertig war, einmal gefragt: Was mache ich jetzt? – Sie sind draufgekommen: So einfach funktioniert das nicht. Ein akademischer Titel allein ist noch nicht ausreichend, um einen Job zu finden. – Das ist die eine Perspektive.

Es kann beruflich sinnvoll sein, sich Zeit zu lassen, es kann auch beruflich sinnvoll sein, nach einem Jahr zu sagen: Das war es doch nicht, das ist nicht das Studium, das mich interessiert.

Und warum soll man diesen Menschen jetzt nicht die Möglichkeit geben zu sagen, ich probiere noch einmal etwas anderes? – Man kann das also auch aus einer anderen Perspektive betrachten.

Aber das, was Sie hier immer als einziges Bild propagieren, das kann es aus unserer Sicht nicht sein, und vor allem auch nicht aus der Perspektive, dass es – wann sonst, wenn nicht während des Studiums? – auch die Möglichkeit gibt, sich auch noch einem anderen Leben an der Universität zu widmen, einem kulturellen Leben, einem studentischen Leben – was ja kein besonderes Feindbild sein müsste.

Das würden wir von Ihnen erwarten, dass Sie diese Möglichkeit auch in der Diskussion berücksichtigen, dass Sie hier nicht nur schwarz-weiß malen und nur von der kurzen Studiendauer, von


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den braven und straighten Studenten reden, sondern auch das in Ihre Überlegungen mit einbeziehen, was Universität außer reiner Wissensvermittlung und -erlernung noch ist. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

16.41

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Mag. Plank. – Bitte.

16.41

Abgeordnete Mag. Brunhilde Plank (SPÖ): Herr Präsident! Frau Ministerin! Hohes Haus! Herr Kollege Schender, der Sie offensichtlich gerade den Saal verlassen, persönliche Diffamierungen sind Ihre große Stärke. Ich frage mich, ob Sie zum Thema weniger zu sagen hatten. Bevor Sie nachschauen: Ich habe 14 Semester studiert, bin während des Studiums einem Beruf nachgegangen und habe zwei Kinder geboren. – Das dazu. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Universitätsbaustelle im schlechtesten Sinn, würde ich sagen, Frau Ministerin: Gebaut wird an allen Ecken und Enden. Und wer viele Baustellen gleichzeitig beginnt, läuft Gefahr, unkoordiniert vorzugehen, und räumt sich selbst Schutt in den Weg, weil er bestehende Häuser zwar einreißt, aber das ohne klare Pläne für das Neue, und baut Hürden auf für die, die in den neuen Gebäuden, wie Sie es nennen, "modern studieren und forschen" sollen. – So steht es in Ihrem Positionspapier, in dem großteils Schlagworte Reformvorschläge ersetzen, die dem Begriff "zukunftsweisende Reform" gerecht werden könnten.

Das deutlichste Signal, Frau Ministerin, haben Sie mit der überfallsartigen Einführung der Studiengebühren gesetzt. Zuerst auf Studierende mit dem Finger zeigen, sie zu Drückebergern stempeln, als Faulenzer und Faulenzerinnen an den Pranger stellen und dann diese StudentInnen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion damit bestrafen! (Abg. Dr. Brinek: Wer hat das getan? Es ist ungeheuerlich, ständig solche Unterstellungen zu machen!)

Der freie Hochschulzugang, Frau Ministerin – das wissen Sie –, ist damit wirklich nur mehr eine Worthülse, weil Sie eine Gruppe von Studierenden damit ausschließen. Das Zitat von Bundeskanzler Schüssel aus dem Jahre 1995 ist da durchaus auch als eine Drohung zu verstehen. Er sagte damals, die Pflichtschule müsse weiterhin kostenfrei sein; ansonsten könne man sich auch im Bereich Schule überlegen, ob alle Leistungen, die angeboten werden, umsonst sein müssen. – Dazu fallen mir auch Sätze von Ihnen ein wie: Was nichts kostet, ist nichts wert.

Noch mehr Gedanken macht mir aber die Vorstellung – wenn ich jetzt schon an die mögliche weitere Entwicklung denke –, dass in Zukunft die Unis die Höhe der Studiengebühren selbst festlegen können. Ich meine, was hier nach Freiheit klingt, gefährdet in Wirklichkeit die solidarische Gesellschaft und birgt genug Sprengstoff, weil eines klar ist: Hier gibt es Leute, die von den Massen-Unis wegwollen und die noch stolz sind auf diese Forderung. Gebühren sind Regulierungsinstrumente und Lenkungsinstrumente – das ist auch klar.

Keine Rede ist in diesem Zusammenhang von Studierenden als Potential, als wertvolles, kritisches und zukunftsorientiertes Potential einer zukünftigen österreichischen Gesellschaft. Keine Rede kann dann mehr sein von freier Wahl des Studiums und des Studienortes, denn jede Uni kann auf diese Art und Weise dann sozial Schwächere ausgrenzen, von sich fern halten, kann zur Elite-Uni mutieren – aber nicht unter dem Gesichtspunkt der Qualität, sondern unter jenem der ökonomischen Potenz der Studierenden oder ihrer Eltern. Wer all dies anders interpretiert, argumentiert blauäugig.

Ich denke: Wenn sich der Staat so demonstrativ aus den Unis zurückzieht, ist klar, dass er sich aus der Verantwortung für Bildung und Forschung zurückzieht. Wo Bildung und Wissenschaft nicht mehr Kernaufgabe des Staates sind, werden sich andere Kriterien durchsetzen, und zwar rein wirtschaftliche, Frau Ministerin. Schulen und Universitäten nur betriebswirtschaftlichen Faktoren unterzuordnen, macht die Forderung nach Freiheit der Forschung und der Lehre, wie es in Ihrem Papier steht, ebenfalls zum bloßen Lippenbekenntnis.


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In Ihrem Papier heißt das ganz einfach: Das Verhältnis zwischen Staat und Universität wird neu geregelt. Punkt. – Das ist es. Und ich glaube, das ist zu fürchten.

Unter dem Wort "ergebnisorientiert", das ich in diesem Eckpunkte-Papier finde, wird zu verstehen sein: akademisch gebildete Arbeitskräfte für die Wirtschaft zu möglichst geringen Kosten. Nicht Bildung ist der Wert an sich, sondern reine Ausbildung.

Eine Gruppe von Studierenden könnte unter diesen Bedingungen besonders auf der Strecke bleiben, und zwar sind das behinderte Studierende. Frau Ministerin! Ich bitte Sie: Nehmen Sie sich dieser Gruppe, dieser erschwerten Bedingungen, unter denen diese Menschen studieren, an, und werden Sie dem Anspruch gerecht, soziale Politik zu machen! Integrieren Sie diese Menschen, und geben Sie ihnen Chancengerechtigkeit. Das sollte ein Gebot für Sie sein: freier und chancengleicher Zugang für alle in Österreich Studierenden. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

16.45

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Mitterlehner. – Bitte.

16.46

Abgeordneter Dr. Reinhold Mitterlehner (ÖVP): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der universitäre und Hochschulbereich hat sicherlich bestimmte Probleme und auch Herausforderungen zu bewältigen. Allein die Tatsache, dass wir dafür Mittel aus dem öffentlichen Bereich aufwenden, deren Höhe über dem OECD-Schnitt liegt, ist doch ein Hinweis dafür, wenn man sich die Probleme vor Augen hält, die etwa darin bestehen, dass wir doch eine sehr lange Studiendauer und hohe Kosten pro Absolvent haben, oder auch die Tatsache, dass die Forschungskooperation mit der Wirtschaft noch verbessert werden kann.

Wir sehen auch ein bestimmtes Missverhältnis in der Relation zwischen Fachhochschulstudenten und Universitätsstudenten, und wir sehen auch – weil wir die Studie über den Arbeitskräftebedarf mehrmals angesprochen haben – große Herausforderungen, was die Weiterqualifizierung der Arbeitskräfte auch durch die Universität anlangt.

Meine Damen und Herren! Die Frage ist aber jetzt: Wer hat die richtigen Konzepte, um die Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen zu garantieren?

Im Antrag der Sozialdemokratischen Partei kam der Vorwurf, der hier schon ein paar Mal angesprochen wurde, dass viele Fragen der Universität ausschließlich aus wirtschaftlicher Perspektive gesehen werden. Ich verstehe das ja auch, denn es gibt irgendwo so etwas wie eine sozialistische Urangst vor wirtschaftlichen Betrachtungsweisen. Da ich jetzt die Studiendauer von Herrn Cap gehört habe, muss ich sagen, das dürfte auch subjektive Hintergründe haben. Für ihn wäre das Studium natürlich teuer gewesen: Das wären 180 000 S für 36 Semester – also mehr als ein Seidel Bier.

Um nun aber wieder zum Ernst der Sache zurückzukommen, meine Damen und Herren: Ich glaube, dass man die Universität und universitäre Vorbildung nicht nur aus dem Blickwinkel der Wirtschaft sehen darf, aber eine Balance in Richtung Wirtschaft wäre doch nichts Schlechtes. Sehen Sie doch nur die Tatsache, dass vor rund vier Jahren noch 70 Prozent der Universitätsabsolventen in den öffentlichen Dienst gegangen sind.

In diesem Zusammenhang ein Beispiel: Wenn die Wirtschaft 3 Numismatiker und 1 000 IT-Spezialisten braucht, aber 1 000 Numismatiker und 3 EDV- oder IT-Spezialisten ausgebildet werden, dann dürfte in diesem Fall der volkswirtschaftliche Ressourceneinsatz nicht stimmen.

Meine Damen und Herren! Auch eine reiche Volkswirtschaft kann es sich auf Dauer nicht leisten, dass man beim Humankapital keinen "Return on Investment" anstrebt, denn eine Volkswirtschaft wie unsere steht selbstverständlich im internationalen Wettbewerb.


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Ich möchte das jetzt aber auch aus einer anderen Perspektive betrachten: Jeder Universitätsabsolvent wird irgendwann einmal mit seinem Studium fertig – oder auch nicht –, und dann soll er doch einen Beruf anstreben! Er kann doch nicht von der Uni direkt in Pension gehen! Daher ist auch unter diesem Gesichtspunkt eine bestimmte Ressourcensteuerung eine unbedingte Notwendigkeit. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Eine Maßnahme, meine Damen und Herren, auf diesem Weg zu einer besseren Ressourcensteuerung sind aus unserer Sicht Studienbeiträge; wir von der Wirtschaft haben die Einführung von Studienbeiträgen immer unterstützt. Ich darf Ihnen ein Argument dafür anführen: Warum soll derjenige, der Meisterprüfungen ablegt oder Wifi-Kurse absolviert, dafür zahlen müssen, aber ein Universitätsstudent nichts für seine Ausbildung leisten müssen?

Die ganze Diskussion um die Studienbeiträge hat zu einem geführt, meine Damen und Herren: Sie hat nicht dazu geführt, dass wir jetzt den freien Zugang zu den Unis nicht mehr gewährleistet haben, sondern dazu, dass weitere Angebote aus dem Bereich der Wirtschaft kommen, neue Stipendien von der Wirtschaft "aufgestellt" werden. Allein wir zahlen im Bereich verschiedener Fachgruppen 20 Millionen Schilling. Wir werden daher mehr Zugang – zu den richtigen Studien – ermöglichen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Was mir in diesem Zusammenhang auch als ausgesprochen befremdlich aufgefallen ist, ist das, was Dr. Cap in Bezug auf die Globalbudgets gesagt hat. Er hat hier gemeint – und das steht auch im Antrag drinnen –, mit den Globalbudgets werde das Ende des freien Zugangs zu den Universitäten kommen.

Ich muss Ihnen sagen, ich finde das merkwürdig, denn das entspricht gar nicht der Doktrin der Sozialisten, nämlich Flexibilisierungsmöglichkeiten durch Globalbudgets zu schaffen, wie das Edlinger durchaus schon im Haushaltsgesetz vorgesehen gehabt hat. In der Praxis hat man dann verschiedene Änderungen erfahren, aber im Endeffekt garantieren Globalbudgets einen verbesserten Zugang, verbesserte Möglichkeiten. Sie bringen mehr Eigenverantwortung, mehr Beweglichkeit, mehr Effizienz – und nicht das Dienstrecht, die Kameralistik, diese Verwaltungsaußenstellen-Problematik, wie wir sie jetzt haben.

Schließen möchte ich mit einem letzten, aber – das fällt mir besonders auf – eigenartigen Vergleich, der in dem Antrag steht. Zum Dienstrecht schreiben Sie in diesem Antrag: Die berufliche Existenz darf durch das neue Dienstrecht nicht gefährdet werden, und Humankapital soll nicht vergeudet werden.

Meine Damen und Herren! Wenn wir in der Wirtschaft jedes Jahr 900 000 Leute haben, die ihren Arbeitsplatz wechseln – von rund 2,8 Millionen Menschen; das ist also fast ein Drittel! –, dann kann es wohl auch den Mitarbeitern im Bereich der Universitäten zugemutet werden, flexibel, mobil zu sein und auch Chancen für andere zu eröffnen. Das ist eigentlich das Humankapital beziehungsweise die Nutzung von Humankapital, wie wir sie uns wünschen. Das muss nicht unbedingt gleich Vertragsfreiheit und Privatvertragsrecht sein, sondern hat sensible Größen zu berücksichtigen, aber in diese Richtung muss es gehen.

Meine Damen und Herren! Daher zum Schluss: Dieser Antrag der Sozialisten ist nicht nur nicht unterstützungswürdig, sondern dramatisch danebengegangen. Unsere Regierungsfraktion erreicht mit ihrer Weichenstellung bessere Ressourcensicherung, mehr Effizienz, mehr Zukunftsorientierung, und diesen Weg gilt es zu unterstützen und keinen anderen! – Ich danke Ihnen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

16.52

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Papházy. – Bitte.

16.52

Abgeordnete Dr. Sylvia Papházy, MBA (Freiheitliche): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Über die notwendigen Reformen im Universitätsbereich wird


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ja schon ein gutes Jahrzehnt diskutiert, und ich finde den Vergleich mit der Baustelle, Herr Dr. Niederwieser, unter diesem Aspekt besonders eigenwillig.

Der Dringliche Antrag bestätigt mir, dass auch die sozialdemokratische Parlamentsfraktion erkennt: Es gibt einen Handlungsbedarf, es sind Reformen notwendig, die betrieben und auch abgeschlossen gehören.

Dieser Dringliche Antrag der Sozialdemokratie zeigt mir auch, dass Sie die Ziele und die Lösungsstrategien der Regierungskoalition in weiten Bereichen mittragen wollen, denn wesentliche Elemente dieses Antrages sind ja gar nicht kontroversiell zur Regierungspolitik.

Mit der Universitätsreform will man an österreichischen Unis europäische, internationale Standards einführen. Wir haben ja heuer schon zwei sehr interessante Enqueten zu diesem Thema erlebt, eine im MAK und eine hier in diesem Raum, bei denen internationale Experten darüber gesprochen haben, wie wichtig Eigenverantwortung, Marktorientierung, Kundennähe und Wettbewerb gerade im universitären Bereich sind. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Die Studienbeiträge kommen den Universitäten direkt zugute und erhöhen damit den Gestaltungsspielraum der Universitäten. Und dass die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Universitäten auch in Zukunft auf Grund staatlicher Verpflichtungen gesichert ist, das wissen alle, die sich damit befassen, so gut wie ich.

Das viel diskutierte Dienstrecht ist auch notwendig auf dem Weg zur Autonomie, und der in Aussicht gestellte Warnstreik der etablierten, der unkündbaren Lehrenden gegen den wissen-schaftlichen Nachwuchs ist in meinen Augen höchst fragwürdig. Erst das neue Dienstrecht ermöglicht die Karriere des hervorragenden wissenschaftlichen Nachwuchses von morgen, denn ohne neues Dienstrecht ist "zupragmatisiert", und eine Generation von Wissenschaftern kommt nicht zum Zug. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Die Autonomie der Universitäten bringt positiven Wettbewerb zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Universitäten auf der einen Seite und Fachhochschulen auf der anderen Seite, und die Koalitionsregierung ist auf dem richtigen Weg mit ihrem Vorhaben, bis 2005 ein Drittel der Studienanfänger an Fachhochschulen zu haben.

Für die Universitäten wird die Autonomie bedeuten, Schwerpunkte zu setzen und sich selbst Profil zu geben. Auch werden durch die Autonomie Doppelgleisigkeiten, Mehrfachgleisigkeiten wegfallen. Die Autonomie bringt den Universitäten Wettbewerb und den Bedarf, sich am Kunden, am Studierenden zu orientieren, und ich finde es richtig, den Studenten als Kunden zu sehen. Auch Dr. Cap hat von konkurrenzfähigen Absolventen gesprochen, die am Arbeitsmarkt bestehen können. Das trifft auch das, was ich immer sage: Der Stellenwert der Uni wird sich nämlich am Stellenwert der Absolventen orientieren, nämlich daran, welche Karriere der Absolvent in der Wirtschaft und auch in der Wissenschaft machen kann.

Für die Zukunft der Privat-Unis wünsche ich mir tatsächlich ein gleichberechtigtes Nebeneinander zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Unis, auch für die Akkreditierung neuer Unis, für die Einführung neuer Lehr- und Studiengänge und für steuerrechtliche Fragen.

Um noch einmal auf die Enquete vom 26. April zurückzukommen: Mir hat ganz besonders der positive Erfahrungsbericht des Schweizer Universitätsprofessors Dr. Ulrich Gäbler gefallen, der über die Autonomie an Schweizer Universitäten berichtet hat. Die politische Kultur in der Schweiz, so wenig wie möglich einzugreifen, hat sich gerade im universitären Bereich besonders bewährt.

Sehr geehrte Damen und Herren, insbesondere der Sozialdemokratie! Wie unser Wissenschaftssprecher Dr. Martin Graf bin auch ich auf Grund des Dringlichen Antrages überzeugt, dass Ihre Vorstellungen und unsere Vorstellungen über die notwendigen und sinnvollen Reformen im Universitätsbereich gar nicht so weit auseinander liegen. Wir sollten deshalb – um hier nochmals auf das von Herrn Dr. Niederwieser gebrauchte Bild von der Baustelle zurückzu


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kommen –, das "Gebäude" Universitätsreform gemeinsam aufbauen, zum Nutzen der Unis und zum Nutzen der Studierenden. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

16.57

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Grollitsch. – Bitte.

16.57

Abgeordneter Mag. Dr. Udo Grollitsch (Freiheitliche): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Noch einmal ein Danke an die Antragsteller für die Gelegenheit, hier und heute über Bildungspolitik zu sprechen.

Herr Kollege Niederwieser! Sie – der offensichtliche Autor dieses Antrages – haben beklagt, dass hier viele Architekten an einer Ruine werken. Ich kann diese Ihre Klage nicht teilen. Es war ein "Architekturbüro", beginnend mit Bundesminister Busek, der bereits 1993 mit seiner Teilautonomie die Grundlage für das geschaffen hat, was heute in Diskussion – zum Glück in heftiger Diskussion – ist.

Bundesminister Scholten hat mit dem Studiengesetz fortgesetzt, Autonomiebereiche wurden erweitert. Und einer der Architekten ist mit Sicherheit der neben Ihnen sitzende Bundesminister Einem, der bemerkenswerterweise heute nicht auf der Rednerliste aufgetaucht ist. Er hat mit seinen farbigen Büchern, dem Grünbuch, dem Weißbuch und schließlich dem Schwarzbuch, all jene Vorgaben gefordert und gewünscht, die heute Zentrum dieser Universitätsreform sind.

Ich verhehle aber auch nicht, dass dieses "Architekturbüro" jeweils ein Gutachten verwendet hat, das aus freiheitlicher Feder stammt, das das Fundament dieses Bauwerkes bildet, und das lautet: Los von staatlichem Einfluss, los von der Bevormundung, hin zur Autonomie! – Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, steht vor der Umsetzung.

Dass Herr Dr. Cap hier als Antragsteller auftritt, hat lediglich mit der ÖH-Wahl zu tun. Ich begrüße Sie, Herr Dr. Cap, im Kreise der Wissenschaftspolitik, nur: Lassen Sie künftig, wenn Sie diesem länger und in konstruktiver Eigenschaft angehören wollen, Begriffe wie "Würgegriff" und Ähnliches weg! Ihr offenkundiges Lechzen nach Streik, nach Demonstration war unübersehbar. Bitte verschonen Sie die Universitäten künftig mit Polarisierung! Ordnen Sie sich in die Reihe Ihrer Vorgänger in der Wissenschaftspolitik ein – ich habe die Namen genannt –, dann werden wir gemeinsam zum Wohle unserer Studierenden und Universitäten ein Konzept zustande bringen, das sich diese verdient haben! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Herr Dr. Cap! Hätten Sie sich wenigstens mit dem erwähnten Weißbuch Ihres Bundesministers Einem befasst! Ich darf daraus kurz Folgendes zitieren:

"Mit dem UOG 1993 wurden zwar die internen Organisationsstrukturen der Universitäten modernisiert und wesentliche Dezentralisierungsschritte gesetzt, doch sind die Universitäten Einrichtungen des Bundes geblieben und in den Kernbereichen ... weiterhin an das Bundeshaushaltsgesetz und das für alle Bundesbediensteten geltende Hochschullehrer-Dienstrecht gebunden."

Dies aufzubrechen, die Universitäten daraus zu befreien, hoch autonomen Wissenschaftsbereichen neue Bedingungen zu geben, das ist auch das Ziel von Herrn Bundesminister Einem gewesen, nur haben der Mut und die Entschlusskraft gefehlt, das auch umzusetzen. Genau das wollen wir nun tun!

Am Ende der Debatte zu diesem Dringlichen Antrag fällt mir der Vergleich von Herrn Dr. Khol mit dem berühmten "Salto rückwärts" ein. Herr Dr. Khol! Als Leibeserzieher darf ich Ihnen dazu aber auch sagen, dass ein gut ausgeführter Salto rückwärts in der Regel etwa dort endet, wo er begonnen wurde (Ruf: Richtig!): leicht rückwärts.

Wenn man aber beim Salto rückwärts überzieht, wenn man überdreht, wie dies etwa heute passiert ist, dann kommt es dabei zu einer Landung auf dem Rücken, mit strampelnden Beinen


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nach oben, das heißt, zu einem so genannten Rückenfleck. An einen solchen hat mich der heutige Dringliche Antrag erinnert, für den ich aber schlussendlich nochmals danke, weil er uns die Gelegenheit gegeben hat, hier über Wissenschaftspolitik zu reden.

Zum Abschluss noch ein Zitat, das an das Geburtstagskind gerichtet ist: Frau Bundesminister! Der durchaus kritische Journalist Gerfried Sperl schreibt im "Standard":

Es wird noch "ein weiter Weg zu international vergleichbaren Verhältnissen. Aber die Richtung stimmt. ... die Abschaffung pragmatisierter Professoren ist ebenso richtig wie die Verknüpfung von Assistenten-Karrieren mit klar definierten Leistungsausweisen. Dass Gehrer hier nicht locker lässt, rundet sie politisch in die Glaubwürdigkeit zurück." – Soweit Herr Sperl. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

17.03

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Petrovic. – Bitte.

17.03

Abgeordnete MMag. Dr. Madeleine Petrovic (Grüne): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Zunächst alles Gute zu Ihrem Geburtstag – dies aber auch in Verbindung mit dem Wunsch, vielleicht doch ein wenig aus der heutigen Debatte auch aus dem Mund von Oppositionsabgeordneten mitzunehmen. Von mir dazu auch noch ein paar Wünsche und Anmerkungen.

Abgeordneter Mitterlehner hat die aus seiner Sicht bestehende Notwendigkeit einer stärkeren Wirtschaftsorientierung der Universitäten angesprochen, und er hat vom "Return on Investment" im Hinblick auf das Humankapital gesprochen.

Ich lasse jetzt einmal die Frage außer Acht, ob man/frau sich nicht prinzipiell an dieser Diktion stößt (Abg. Dr. Brinek: Der Herr Cap hat sich auch nicht daran gestoßen! Lesen Sie den Antrag!)  – ja, ich lasse das außer Acht! –, und gebe eines zu bedenken: Wenn Sie die Geschichte der Wissenschaften und der großen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Fortschritte der Menschheit Revue passieren lassen, dann werden Sie feststellen, dass diese Fortschritte sehr oft von Menschen, von Pionierinnen und Pionieren kamen, die in dem Bereich, in dem sie einen Meilenstein bewirkt haben, nicht explizit ausgewiesen waren, die aber eine sehr große, eine sehr breite Ausbildung in genereller Hinsicht hatten und die ein enormes kritisches Potential und vielleicht auch einen gewissen Widerstandsgeist in ihrer Auseinandersetzung mit herrschenden Strömungen aufwiesen. Das wäre, glaube ich, eine wesentliche Aufgabe, und auch das kann man/frau lernen, beziehungsweise es kann gefördert werden. (Beifall bei den Grünen.)

Ein zweiter Punkt: Auch wenn es um die Frage der Effizienz geht, bitte ich Sie einfach, sich Entwicklungen, von denen wir wissen, die wir kennen, zu vergegenwärtigen. Der Staat ist nicht die Summe der Einzelwirtschaften, der Staat hat volkswirtschaftliche Zielsetzungen. Gerade in letzter Zeit aber stelle ich mir manchmal die Frage, ob wir diese volkswirtschaftlichen Aufgaben nicht auch in der Forschung und in der Wissenschaft vergessen haben, weil der Staat sich hier nicht artikuliert hat. Wie viele Schäden, mitgetragen durch Erkenntnisse einer allzu wirtschaftsorientierten Wissenschaft, sind bereits verursacht worden? Denken Sie an die Atomenergie! Denken Sie an die bereits eingetretenen Megaflops der Gentechnik, die nicht so messbar sind wie die Folgen von Tschernobyl, die aber da sind! Denken Sie nicht zuletzt an die Irrtümer im Bereich der Landwirtschaftswissenschaft! Denken Sie an BSE und all die Krisen, vor denen wir jetzt fassungslos stehen und die öffentliche Mittel in einem absurden Ausmaß verschlingen!

All das, all diese Erkenntnisse waren getragen von einer Wissenschaft, waren versehen mit dem Segen einer Wissenschaft, die schon allzu sehr im Windschatten der Wirtschaft, bestimmter Wirtschaftslobbys gesegelt ist. Hätte es vom Staat einen deutlicheren, einen klaren volkswirtschaftlichen Auftrag in Richtung einer Gegenforschung gegeben, dann hätten wir uns vielleicht manche dieser bösen Überraschungen und großen Schäden ersparen können. Gegenforschung, das heißt, auch das als Forschung anzuregen, zu stimulieren, was sich nicht rechnet, was vielleicht nicht im Interesse einer großen Lobby ist oder dieser sogar lästig ist. Aber da hat der Staat ausgelassen, und das haben wir immer kritisiert. (Beifall bei den Grünen.)


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Noch ein Hinweis zu den Ausführungen von Abgeordneter Papházy: Sie hat die Gleichstellung der Privatuniversitäten verlangt. Ich würde sagen, man kann über dieses Prinzip diskutieren, wenn sie die gleichen Spielregeln einhalten und wenn sie das auch nachweisen können, und zwar in einem fairen, offenen und transparenten Verfahren, wenn sie sich auch zu allen Werten der zivilisierten Welt bekennen, insbesondere zu den Menschenrechten, und zu einem Verzicht auf all das, was wir nicht haben wollen, nämlich Verletzungen dieser Werte.

Da stelle ich Ihnen schon die Frage, Frau Bundesministerin: Was haben Sie getan, um die Vorfälle aufzuklären, die in den Medien dargestellt worden sind, wonach von einem führenden Manager der IMADEC-Universität eindeutige rassistische SMS-Nachrichten über sein Handy, das dort angemeldet war, versandt worden sind?

Meine Frage: Ist das aufgeklärt worden? Was hat das Ressort in dieser Richtung getan? Können Sie sicherstellen, dass diese Werte lückenlos und ohne jede Einschränkung von allen an dieser Universität Tätigen gewahrt und geachtet werden?

Ein Allerletztes – das betrifft den Dringlichen Antrag –: Ich finde es bemerkenswert, dass kein explizites Bekenntnis zu einem Punkt kam, der mir wichtig erscheint, nämlich zur Erhöhung der Frauenquote in allen wissenschaftlichen und organisatorischen Führungsbereichen der Universitäten. Ich halte das auch aus wissenschaftlichen Gründen für unerlässlich.

Frau Bundesministerin! Wenn das Motto dieser Regierung lautet: "Tausche Kinderbetreuungsgeld gegen wissenschaftliche Karriere", dann glaube ich, dass man den österreichischen Frauen und den Universitäten einen schlechten Dienst erweist. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

17.10

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Maier. Herr Abgeordneter, ich mache Sie darauf aufmerksam, dass die Gesamtredezeit, die Ihrer Fraktion noch zur Verfügung steht, nur mehr 4 Minuten beträgt. – Bitte.

17.10

Abgeordneter Mag. Johann Maier (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Bundesministerin! Es war mir nicht erklärbar, von welchen Universitäten Sie heute gesprochen haben. Ich bringe daher folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Maier, Schwemlein, Prähauser und GenossInnen betreffend Sicherung der finanziellen Mittel für den Standort der Universität Salzburg ("Unipark Nonntal")

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur wird aufgefordert:

1. Den Universitätsstandort Salzburg sicherzustellen, um eine Abwanderung von Instituten und somit von Lehrenden und Studierenden zu verhindern,

2. den Wettbewerb Unipark Nonntal finanziell entsprechend zu unterstützen,

3. gemeinsam mit Stadt Salzburg, Land Salzburg und der Universität ein detailliertes Raum- und Funktionsprogramm zu erstellen,

4. die notwendigen finanziellen Mittel für die Realisierung des Uniparks Nonntal bereitzustellen,

5. den Ausbau der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg inklusive des Forschungskonzeptes für Itzling sicherzustellen und


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6. ehebaldigst eine Entscheidung über den zukünftigen Standort der Kunstuniversität ,Mozarteum‘ zu treffen."

*****

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für uns wird es interessant sein, zu sehen, wie die Salzburger Abgeordneten von ÖVP und FPÖ stimmen werden, denn eines kennen wir ja bereits: im Land etwas zu verlangen und in Wien dagegen zu stimmen. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

17.11

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Der soeben vorgetragene Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt, steht in einem ausreichenden inhaltlichen Zusammenhang mit dem Gegenstand der Tagesordnung und steht daher mit zur Verhandlung beziehungsweise zur Abstimmung.

Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Einem. (Abg. Schwarzenberger: Mit einer tatsächlichen Berichtigung zur Universität: Auch die Wiener Universität soll erhalten bleiben!) Restredezeit: knapp 3 Minuten. – Bitte. (Abg. Dr. Martin Graf: Ist das eine "Tatsächliche" diesmal?)

17.12

Abgeordneter Dr. Caspar Einem (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Lassen Sie mich zum Schluss der Debatte noch eine Anmerkung machen:

Frau Bundesministerin! Wir anerkennen durchaus, dass in manchen von den Projekten, die Sie verfolgen, Vorarbeiten drinstecken, die schon in meiner Zeit begonnen worden sind, und das ist auch erkennbar, es gibt aber Gründe, warum wir skeptisch sind. Der eine Grund ist die Art und Weise, in der Sie die Studiengebühren eingeführt haben, und die Begründung, die Sie dafür genannt haben. Wenn die Begründung für die Einführung der Studiengebühren zu lange Studienzeiten sind sowie die Behauptung, dass 43 Prozent der Studierenden im letzten Jahr keine Prüfungen gemacht haben, dann läuft es darauf hinaus, den Studenten sozusagen die Peitsche zu zeigen.

Das ist nicht die Methode, die wir wählen wollen! Uns kommt es darauf an, Bedingungen zu schaffen, unter denen die Studierenden ordentlich studieren können. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Der zweite Punkt ist die Frage des Dienstrechtes. Ich bekenne mich dazu, dass es eines neuen Dienstrechts bedarf, und Sie wissen, dass im Grünbuch für Forschung ein neues Dienstrechtsmodell schon zu meiner Zeit auch ausgeführt wurde, aber wer die Reform des Dienstrechtes so beginnt, dass 2 000 Universitätsangehörige des Mittelbaus fürchten müssen, am nächsten Tag arbeitslos zu werden, der versucht nicht, ein konzeptives, konstruktives Modell zu entwickeln, sondern der versucht, denen Angst zu machen, die sonst zu aufbegehrend sind.

Genau das stimmt uns misstrauisch, Frau Bundesministerin! Das ist das Problem, das wir damit haben! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

17.13

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Bruckmann. Restredezeit: 3 Minuten. – Bitte.

17.13

Abgeordneter Dr. Gerhart Bruckmann (ÖVP): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Hohes Haus! Als vorletzter Redner einen Entschließungsantrag einzubringen, mag zwar formal unserer Geschäftsordnung entsprechen, ich halte es aber dennoch für einen Missbrauch der demokratischen Regeln dieses Hauses, weil man auf diese Weise keinem der anwesenden Abgeordneten


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die Möglichkeit einräumt, sich auch nur irgendwie damit auseinander zu setzen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Ich wollte aber eigentlich etwas ganz anderes sagen, und zwar Folgendes: Die heutige Debatte war wieder einmal gekennzeichnet von einem grundsätzlichen Unterschied im Problemzugang, einem Pochen auf Rechte auf der einen Seite, einem Bewusstsein von Pflichten auf der anderen Seite, einem Anspruchsdenken im Gegensatz zu einem Verantwortungsdenken. Es hat mich erinnert an die Frage, ob eine Institution eigentlich nur für ihre eigenen Beschäftigten da ist oder aber doch für den Zweck, für den sie geschaffen wurde.

Dieser Unterschied in der Denkweise hat den "Konsum" in den Konkurs geführt, er hat dazu geführt, dass die Österreichischen Bundesbahnen zu einer Gewerkschaft mit angeschlossenem Wagenpark degeneriert sind, und er hat in den Universitäten mich in einen ständigen Gegensatz zu meinen Kollegen gebracht, von denen viele – und damit meine ich jetzt nicht nur die "bösen" Ordinarien, sondern Kollegen in allen sozialen Gruppen an der Universität – der Auffassung waren, die Universität sei ihre eigene Spielwiese und die Studenten seien nur ein Störfaktor. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Diese Denkweise wurde durch die Usance einer allzu frühen Pragmatisierung noch wesentlich unterstützt und gestärkt. Sie hat dazu geführt – und das hat Kollegin Papházy schon ausgeführt –, dass in vielen Instituten an verschiedenen Universitäten junge, hervorragende Nachwuchskräfte der nächsten Jahre keinerlei Chance haben, hineinzukommen, weil der Mittelbau von ebenjenen Pragmatisierten besetzt ist, die vielleicht nicht die gleich hohe Qualifikation haben.

Hohes Haus! Was hat den großen Unterschied zwischen der Leistungsfähigkeit der amerikanischen Universitäten und jener unserer Universitäten ausgemacht? – In den USA ist der Wissenschaftler seine gesamte Karriere hindurch einem Leistungswettbewerb ausgesetzt. Auf Grund dieses Ausleseprinzips kommt es erst ganz zuletzt zur "tenured position", zu jener Position, in der man dann tatsächlich unkündbar gestellt ist.

Das ist es, meine Damen und Herren, und nicht das Geld, was den Unterschied im Erfolg ausmacht! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Ich freue mich außerordentlich, dass nunmehr durch die Vorhaben von Frau Bundesminister Gehrer, der auch ich noch zum Geburtstag gratulieren möchte, die Weichen in die richtige Richtung gestellt sind, in eine Richtung, die die Voraussetzung dafür bieten wird, dass unsere Universitäten wieder jene Weltgeltung bekommen werden, die sie verdienen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

17.16

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Selbständigen Antrag 439/A (E) der Abgeordneten Dr. Cap und Genossen betreffend Grundsätze einer Reformpolitik für die österreichischen Universitäten.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Antrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Ich stelle fest: Das ist die Minderheit und damit abgelehnt.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Maier und Genossen betreffend Sicherung der finanziellen Mittel für den Standort der Universität Salzburg, "Unipark Nonntal".

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist ebenfalls die Minderheit und damit abgelehnt.


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Kurze Debatte über die Anfragebeantwortung 2041/AB

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Wir gelangen nunmehr zur Durchführung einer kurzen Debatte. Diese betrifft die Anfragebeantwortung der Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten mit der Ordnungszahl 2041/AB.

Die erwähnte Anfragebeantwortung ist bereits verteilt worden, sodass sich eine Verlesung durch den Schriftführer erübrigt.

Wir gehen in die Debatte ein, und ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit für den Erstredner zur Begründung 10 Minuten, für alle weiteren Redner jeweils 5 Minuten beträgt. Stellungnahmen der Regierungsmitglieder sollen 10 Minuten nicht überschreiten.

Ich ersuche Frau Abgeordnete Mag. Lunacek, die Debatte zu eröffnen. – Bitte.

17.18

Abgeordnete Mag. Ulrike Lunacek (Grüne): Herr Präsident! Frau Ministerin! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Zu Beginn meiner Rede möchte ich feststellen, dass ich es sehr schade finde, dass die Außenministerin heute nicht da sein kann, ich hoffe jedoch, dass Herr Minister Bartenstein sich zu diesem Thema, nämlich der Situation der Häftlinge in der Türkei und der Art und Weise der Anfragebeantwortung der Frau Ministerin kundig gemacht hat und dazu auch Stellung nehmen kann.

Meine Damen und Herren! Es geht um eine Anfrage, die meine Kollegin Terezija Stoisits im Februar an die Außenministerin gerichtet hat, zu einem Zeitpunkt, als sie einen Staatsbesuch in der Türkei durchgeführt hatte – trotz großer Bedenken, die es von Seiten internationaler und türkischer Menschenrechtsorganisationen gegeben hatte, die nämlich der Ansicht waren, dass die Türkei trotz ihres Kandidatenstatus für die EU, den sie seit Dezember 1999 hat, zu wenige beziehungsweise keine Schritte zu einer Verbesserung der Situation, gerade auch in den Gefangenenhäusern und was die politischen Häftlinge betrifft, gesetzt hat. Es gab Bedenken dagegen, dass die Ministerin diese Reise antritt. Sie hat diese Reise jedoch gemacht. Die Frage war dann, was sie dort mit dem türkischen Außenminister und mit den türkischen Regierungsvertretern, die sie trifft, besprechen wird.

In den Medien wurden Aussagen von ihr wiedergegeben, und es wurde darüber berichtet, wie sie sich in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte in der Türkei geäußert hat. Es wurde in diesen Pressemeldungen mitgeteilt, dass die Ministerin Verständnis für die Schwierigkeiten der Türkei bei der Einhaltung der Menschenrechte geäußert und gemeint habe, dass diese Fragen in der türkischen Öffentlichkeit und Politik erst sehr langsam diskutiert werden sollten, dass auch die EU und Österreich dafür Verständnis haben sollten, dass man vor allem einmal darauf warten müsse, wie denn die Türkei das nationale Programm, das sie mit der EU zur Umsetzung und zur Heranführung an die Kopenhagener Kriterien der Europäischen Union vereinbart hat, umsetzen wird. Die Ministerin hat laut diesen Pressemeldungen auch noch gesagt, man müsse dem Land eine Chance geben, innere Prozesse zu fördern.

Wir haben damals in unserer Anfrage an die Ministerin die Frage gestellt, ob sie es nicht für sinnvoller erachten würde, statt dieser Haltung, die eine – ich würde einmal sagen – sehr vorsichtige Form des Drucks auf die Türkei zum Ausdruck gebracht hat, etwas mehr auch an öffentlichem Druck gegenüber der Türkei auszuüben, denn in der Türkei – ich denke, den meisten von Ihnen ist die Situation bekannt – gibt es an die 10 000 politische Häftlinge. Seit Wochen und Monaten befinden sich 1 500 davon im Hungerstreik als eine Art Protest gegen eine sehr umstrittene Gefängnisreform. Täglich sterben in den Gefängnissen der Türkei Häftlinge an diesem Hungerstreik, und die Außenministerin sagt nur, man müsse der Türkei Zeit lassen, da etwas zu verändern.

Unserer Meinung nach ist diese Haltung der Ministerin zu lasch, denn gerade die Europäische Union hat, als sie der Türkei im Dezember 1999 den Beitrittsstatus gewährt hat, drei Dinge genannt, für die die Türkei einen Plan vorlegen müsse, wie sie vorhat, sich in Zukunft den Kriterien, den Werten der EU anzunähern. Da ging es zum einen um die Zypern-Frage, da ging es


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sehr wohl auch – zwar leider nicht detailliert ausgesprochen – um die Frage der Kurden in der Türkei, und dann ging es noch um die Menschenrechtssituation insgesamt.

Die Außenministerin hat in der Anfragebeantwortung ähnlich geantwortet, wie sie es laut den Pressemeldungen schon getan hatte. Sie hat gesagt, solche tief greifenden Veränderungen können nicht unter Zeitdruck vonstatten gehen, wenn sie dauerhaft sein sollen. Sie hat erwähnt, dass sie mit Außenminister Cem die Situation angesprochen hat und dass dieser auch seine Erwartung zum Ausdruck gebracht hat, dass es eine schrittweise Verbesserung geben wird. Sie hat ebenfalls gesagt, dass sie es wichtig findet, dass jetzt in der Türkei eine öffentliche Diskussion in Gang gekommen ist, dass aber die Form, wie das gehen soll, noch nicht genau bekannt ist und dass es eben Zeit braucht. Die Ministerin hat aber auch geschrieben: "Bei der Achtung der Menschenrechte gibt es keine Kompromisse."

Meine Damen und Herren! Das ist ein ziemlicher Widerspruch, denn wenn es keine Kompromisse gibt, dann kann man nicht sagen, man hofft, dass die Türkei jetzt etwas vorlegt, man bespricht das in eigenen Treffen hinter verschlossenen Türen, man darf die Türkei ja nicht unter Druck setzen, denn sonst geht vielleicht überhaupt nichts weiter.

Das ist eine Haltung, die wir in Bezug auf die Türkei von der Außenministerin leider auch im Menschenrechtsausschuss dieses Hauses schon wahrnehmen mussten, und zwar als es um die Frage ging, ob der Genozid an den Armeniern vor mittlerweile mehr als 80 Jahren, also noch lange, bevor es die Türkei in der jetzigen Form gab, als solcher anerkannt wird. Sie wissen, die Behandlung dieses Antrages wurde vertagt. Er liegt in den Schubladen, aber wir hoffen, dass er doch in nächster Zukunft wieder auf die Tagesordnung des Menschenrechtsausschusses gesetzt wird, natürlich vorausgesetzt, dass die Regierungsfraktionen das befürworten, doch einstweilen haben wir dafür noch kein Signal. Auch damals hat die Außenministerin gesagt, man müsse mit der Türkei hinter verschlossenen Türen verhandeln, in diplomatischen Gesprächen, man dürfe aber keinen öffentlichen Druck ausüben.

Ich frage Sie, Herr Bundesminister, da Sie anstelle der Frau Außenministerin hier sind, ob Sie denn wirklich meinen, dass das die richtige Art und Weise ist, ein Land, das Beitrittsland der EU werden will, unter Druck zu setzen?

Ich betone hier ganz klar, dass auch wir Grüne dafür waren, dass der Türkei dieser Beitrittsstatus in Aussicht gestellt wird, da es Gespräche, Verhandlungen und den Kontakt braucht, um Veränderungen zu bewirken, also das ist auch von unserer Seite ganz klar, aber wir fragen uns, ob diese Haltung, das nur im Hintergrund zu machen und damit dem Druck nachzugeben, den diese Regierung auf die Bevölkerung im Land ausübt, nämlich auf jene, die sie pauschal immer noch als Terroristen bezeichnet, vor allem auf Menschen kurdischer Abstammung, von denen sehr viele in den Gefängnissen sitzen und sich gegen die Haftbedingungen wehren, die richtige ist. Wir fragen uns, ob es die richtige Haltung ist, öffentlich ja nicht etwas dazu zu sagen, Zeit zu lassen, zu hoffen, zu warten, bis sich vielleicht einmal in den nächsten Monaten und Jahren etwas ändert. Für uns ist sie das nicht! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Es sind nämlich nicht nur Häftlinge, die auf einen öffentlichen Druck, und zwar auch von Seiten der EU, große Hoffnung setzen, sondern es sind dies auch die Menschenrechtsorganisationen in der Türkei, auch diese erwarten sich, dass die EU da aktiv wird und die Regierung unter Druck setzt. Dazu kommt noch Folgendes: Die Häftlinge haben Angehörige, und zwar auch in Österreich, aber obwohl es monatelang Versuche von den Angehörigen-Gruppen, die in Österreich leben, gab, mit der Außenministerin in direkten Kontakt zu treten, hat sie dieses Ansuchen negiert, sie war nicht bereit, mit diesen Gruppen zu sprechen.

Ich denke, die Außenministerin Österreichs – eines Landes, das letzte Woche in die Menschenrechtskommission der UNO gewählt wurde und wozu die österreichischen Außenpolitiker gemeint haben, es sei eine große Chance für Österreich, in diesem hochrangigen Gremium der UNO zu arbeiten und seine Menschenrechtsposition klarzumachen –, also diese Außenministerin hat meiner Ansicht nach die Aufgabe, nicht nur für die Regierung der Türkei Stellung zu beziehen und mit der Regierung zu verhandeln, sondern sehr wohl auch für die Anliegen und für


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die Interessen jener, die von dieser Regierung unter Druck gesetzt werden, jener, die von dieser Regierung unter menschenunwürdigen Umständen in Gefängnissen gehalten werden, öffentlich aktiv zu sein und sich zu ihrer Situation zu äußern. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Das ist der Grund dafür, dass wir dieses Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt haben, denn dieser fehlende Druck Österreichs und der Europäischen Union – auch von dort erfolgt er leider nicht – ist in unseren Augen eine falsche Vorgangsweise.

Nicht, dass wir gegen Gespräche auf diplomatischer Ebene sind – die sind notwendig, die sind sehr notwendig –, aber zu sagen, öffentlicher Druck schade dem Anliegen, wie das implizit aus den Aussagen der Außenministerin herauskommt, das ist der falsche Weg. Es braucht da klare Stellungnahmen, und die Türkei, die türkische Regierung und die Menschen in der Türkei müssen wissen, dass es der EU ein Anliegen ist, dass die Menschenrechtssituation verbessert wird, und dass sie verlangt, dass das relativ rasch geschieht. Da darf man nicht warten, zuwarten, hoffen, sondern dazu muss man sich deutlich äußern. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

17.28

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Als Nächster spricht Herr Bundesminister Dr. Bartenstein. – Bitte.

17.28

Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Dr. Martin Bartenstein: Herr Präsident! Meine Damen und Herren des Hohen Hauses! Ich vertrete die Frau Außenministerin, die auf Besuch in Jordanien weilt, und bitte Sie, das zu akzeptieren.

Sehr geehrte Frau Abgeordnete Lunacek! Ich habe die schriftliche Anfragebeantwortung der Frau Außenministerin vor mir liegen. Sie haben richtig zitiert, im Schlusssatz sagt die Frau Außenministerin: "Bei der Achtung der Menschenrechte gibt es keine Kompromisse." – Sie haben zwar richtig, aber nur selektiv zitiert, dass die Frau Außenministerin formuliert hätte, solche tief greifenden Veränderungen könnten nicht unter Zeitdruck vonstatten gehen, wenn sie dauerhaft sein sollen, denn sehr wesentlich ist der vorhergehende Satz, und darin spricht die Frau Außenministerin davon, dass es in der Türkei um tief greifende Reformen im legistischen Bereich, im Bereich der Modernisierung der Türkei, der Stärkung der Demokratie und der Zivilgesellschaft geht, also fürwahr um Dinge, die nicht von heute auf morgen vonstatten gehen können.

Im Übrigen verweise ich auf die Stellungnahme der Frau Außenministerin, die ich nun zur Verlesung bringen darf. Die Frau Außenministerin führt darin sinngemäß Folgendes aus:

Das Eintreten für die Einhaltung der Menschenrechte in der Türkei ist ein ständiges Anliegen der österreichischen Außenpolitik. Die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten hat daher in umfassender Weise bei ihrem letzten Gespräch mit Außenminister Cem während des Besuches in der Türkei die Situation der Menschenrechte besprochen, sehr geehrte Frau Abgeordnete. Außenminister Cems ausführliche Stellungnahme geht aus der schriftlichen Beantwortung Ihrer Anfrage hervor.

Ich bin sicher, dass Bundeskanzler Schüssel bei seiner bevorstehenden Türkeireise im Juni diese Problematik erneut zur Sprache bringen wird.

Zur Menschenrechtslage in der Türkei lassen Sie mich generell Folgendes sagen:

Als Mitglied der Europäischen Union vertritt Österreich in der Frage der Menschenrechte in der Türkei grundsätzlich dieselbe Haltung wie die übrigen Mitglieder der Europäischen Union. Seit dem Rat von Helsinki 1999 ist die Türkei EU-Beitrittskandidat auf Grundlage derselben Kriterien, die auch für die übrigen Kandidatenländer gelten. Die Europäische Union unterstützt die notwendigen Reformen mit einer so genannten Heranführungsstrategie, die unter anderem in einer Beitrittspartnerschaft konkretisiert wurde. Die Beitrittspartnerschaft legt sowohl die politischen


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als auch die wirtschaftlichen Kriterien für den Beitritt der Kandidaten fest. Im Rahmen der Beitrittspartnerschaft wird mit der Türkei ein ständiger politischer Dialog geführt. Wesentlicher Bestandteil der Beitrittspartnerschaft und des politischen Dialogs sind die Kopenhagener Kriterien. Deren Erfüllung ist bekanntlich die Voraussetzung, dass überhaupt erst Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufgenommen werden.

Bei den Kopenhagener Kriterien stehen die Menschenrechte, wie Sie, Frau Abgeordnete, wissen, im Zentrum.

Die Türkei ist sich weiters auch der Notwendigkeit und der Bedeutung von Reformen im Hinblick auf ihren Beitrittswunsch bewusst. Das kommt im Nationalen Programm der Türkei zur Übernahme des Acquis zum Ausdruck, das am 19. März dieses Jahres vorgestellt wurde; es ist die Antwort auf die Beitrittspartnerschaft und stellt einen konkreten Fahrplan zur Durchführung der Reformen dar.

Dieses Programm, soweit sein Text bereits in Übersetzung vorliegt, wird derzeit von der EU-Kommission geprüft.

Zur Menschenrechtslage im Konkreten ist festzuhalten, dass seit Zuerkennung des Kandidatenstatus einerseits eine starke Sensibilisierung der türkischen Regierung in der Menschenrechtsfrage festzustellen ist, andererseits aber auch keine wesentlichen Fortschritte zu erkennen sind.

Eine in der Tat alarmierende Entwicklung hat sich in den Gefängnissen in Bezug auf die hungerstreikenden Häftlinge ergeben. Die aktuelle Situation ergibt sich aus einer Schilderung des türkischen Justizministers vom 8. Mai gegenüber den EU-Botschaftern in Ankara, und ich gebe Ihnen beispielsweise folgende Angaben weiter: Derzeit nehmen 571 Häftlinge an den Hungerstreiks teil. 168 von ihnen sind so genannte Todesfaster in insgesamt 20 Gefängnissen. Die Streikenden gehören dabei verschiedenen, in der Türkei verbotenen, illegalen Organisationen an. Die Hungerstreiks hatten nach der Gefängnisstürmung am 19. Dezember des Vorjahres begonnen.

Versuche des türkischen Justizministeriums mittels Interventionen über bekannte türkische Schriftsteller sowie die Istanbuler Anwaltskammer gegenüber den streikenden Häftlingen konnten diese nicht zu einem Aufgeben bewegen. Bisher sind 22 Todesopfer unter Häftlingen und Angehörigen zu beklagen. 167 Häftlinge befinden sich derzeit in Spitälern, von denen 86 eine Therapie akzeptieren.

Man muss anerkennen, dass die Türkei immer wieder internationalen Beobachtern die Möglichkeit gibt, sich vor Ort ein Bild über die Lage zu machen und Gespräche mit türkischen Parlamentariern, Regierungsvertretern sowie von im Menschenrechtsbereich aktiven Personen zu führen. Das Antifolterkomitee des Europarates, kurz CPT, hat sich seit Dezember 2000 wiederholt in der Türkei aufgehalten, zuletzt im April dieses Jahres. Der Bericht des CPT zu seiner letzten Reise nimmt Bezug auf die Änderung von Artikel 16 Antiterrorgesetz. Der Text des alten Artikels sei inakzeptabel gewesen. Die nun geschaffene Möglichkeit zu sozialen Kontakten wird vom CPT begrüßt.

Ich kann Ihnen jedenfalls, sehr geehrte Frau Abgeordnete, versichern, dass Österreich in seinen Anstrengungen, zu einer Sicherung der Menschenrechte in der Türkei beizutragen, nicht nachlassen wird.

Herzlichen Dank. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

17.34

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Posch. – Bitte.

17.34

Abgeordneter Mag. Walter Posch (SPÖ): Herr Präsident! Herr Minister! Hohes Haus! Herr Minister, Ihre Botschaft höre ich wohl, aber ich muss der Frau Abgeordneten Lunacek beipflichten,


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wenn sie sagt, dass es ein bisschen wenig ist, dass sich die türkische Regierung der internationalen Kritik an der Vorgangsweise der türkischen Ordnungskräfte gegen die Gefängnisrevolte bewusst ist. Das ist zu wenig, glaube ich.

Daran ändert auch der stete Hinweis auf das Problem des Terrorismus im Südosten des Landes, sprich die ungelöste Kurdenfrage, die sicher für die türkische Republik ein Problem ist, nichts, denn immerhin hat das dazu geführt, dass es ungefähr 10 000 politische Gefangene gibt. Das ist schon eine außergewöhnliche Situation, die es in keinem anderen europäischen Land gibt. Daher kann man auch nicht zur Tagesordnung übergehen, wenn die Frau Minister antwortet, dass solche tief greifenden Veränderungen nicht unter Zeitdruck vonstatten gehen können, wenn sie dauerhaft sein sollen. Natürlich braucht es Zeit, legistische Reformen in Gang zu setzen, das hilft aber den momentan am Hungerstreik und am Todesfasten Sterbenden nichts, da sie inzwischen gestorben sein werden.

Wir haben bereits im Vorjahr in einer Entschließung und auch in einer Anfrage auf diese Situation hingewiesen. Es hat bereits im Jahre 1999 im Zentralgefängnis von Ankara ein Massaker gegeben. Es kommt immer wieder zu Vermutungen hinsichtlich extralegaler Exekutionen. Die Türkei sagt, sie sei darangegangen, ihre Gefängnisse auf den europäischen Standard zu bringen, hingegen weisen zahlreiche Menschenrechtsorganisationen darauf hin, dass bei mehreren Gefängnissen in Wahrheit Zellen für Isolationshaft gebaut werden und dass auch die Menschenrechtserziehung der türkischen Polizei absolut mangelhaft und Folter sehr weit verbreitet ist, ganz zu schweigen von katastrophalen hygienischen Bedingungen. – Diese Situation ist nicht zu beschönigen!

Es war Dr. Swoboda als Berichterstatter des Europäischen Parlaments mit einer Delegation in der Türkei und hat dort diese Situation mit dem türkischen Justizminister besprochen. Auch wenn man den türkischen Behörden zugestehen muss, dass sie willens sind, diese Situation in den Griff zu bekommen und an dieser Situation zu arbeiten, kann man über die Tatsache, dass es nach wie vor Todesfasten gibt, dass es inzwischen über 30 Todesopfer und etliche Selbstverbrennungen gibt, einfach nicht hinwegsehen.

Das heißt, auch wenn man die grundsätzlichen Bemühungen der Türkei um ein moderneres und demokratischeres Strafrecht anerkennt, so ist das Vorgehen in der Praxis dennoch inakzeptabel. Es ist auch bedauerlich, dass die diesbezügliche Intervention von Nationalratspräsidenten Fischer, eine österreichische Delegation in die Türkei zu schicken, um sich vor Ort über diese Situation zu informieren, leider bei den entsprechenden türkischen Stellen auf keine positive Resonanz gestoßen ist. Das ist bedauerlich und zeigt, dass sehr vieles in der Türkei nicht zum Besten steht.

Sie sind, da die Situation auch im Menschenrechtsausschuss so ist, dass zahlreiche Anträge zur türkischen Frage und zu anderen Nahostfragen unerledigt sind, schon aufgefordert, denke ich, sich dieses Themas anzunehmen und einmal das zu betreiben, was man wirklich als Nahostpolitik bezeichnen könnte. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

17.38

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Ellmauer. – Bitte.

17.39

Abgeordneter Matthias Ellmauer (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Zur Anfragebeantwortung 2041/AB: Die Frau Bundesministerin Ferrero-Waldner hat die Anfrage in den wesentlichen Punkten ausreichend beantwortet. Generell zeigt das Außenministerium im Menschenrechtsbereich ein starkes Engagement. Es hat sich natürlich auch mit der Problematik der Gefangenen in den türkischen Gefängnissen befasst. Bereits vor Weihnachten des vorigen Jahres, also lange vor Ihrer Anfrage, ist Österreich an die Präsidentschaft der Europäischen Union herangetreten und hat auf die schwierige Situation der Menschenrechte in der Türkei hingewiesen und im Speziellen die große Sorge um die Insassen der türkischen Gefängnisse zum Ausdruck gebracht.


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Österreich verlangte eine Demarche seitens der Präsidentschaft oder der Troika. Dies bewirkte letzten Endes auch eine Demarche der Präsidentschaft auf informellem Wege. Darüber hinaus wurde um einen Besuch der Europäischen Folterverhütungskommission des Europarates gebeten, der in der Zeit vom 18. bis 21. April 2001 auch erfolgte.

Die Möglichkeit der Einflussnahme, um eine Verbesserung der Menschenrechtssituation in der Türkei wirkungsvoller als in der Vergangenheit zu erreichen, sehe ich durch den EU-Beitrittskandidatenstatus gegeben. Man kann jetzt auch feststellen, dass sich die Bereitschaft der türkischen Regierung zur Diskussion über Menschenrechtsfragen deutlich verbessert hat und dass sich die Situation sensibilisiert. Erstmals ist auch eine Diskussion in der türkischen Öffentlichkeit möglich. Wir müssen aber aus der Praxis sehen, dass sich kaum etwas verbessert hat und dass sich die Menschenrechtssituation im Faktischen bis jetzt kaum verändert hat.

Wie auch in der Anfragebeantwortung mitgeteilt wurde, thematisiert die Frau Außenministerin regelmäßig die Menschenrechtssituation bei Gesprächen mit türkischen Kollegen. In den Gesprächen mit Außenminister Cem hat sie auf die unmögliche Situation bezüglich der Menschenrechtsverletzungen hingewiesen. Sie betonte auch, mit welch großem Interesse die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei von Seiten Österreichs verfolgt werden. Sie machte deutlich, dass die Vorgangsweise der türkischen Ordnungskräfte bei der Gefängnisrevolte ein wichtiges Thema in den Medien ist. (Beifall bei der ÖVP sowie des Abg. Dr. Ofner. )

Die Frau Bundesministerin hat gegenüber ihrem türkischen Amtskollegen auch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Bedingungen für den Beitritt der Türkei zur EU gleich sind wie für alle anderen Beitrittswerber, nämlich dass es bei den Menschenrechten keine wie immer gearteten Kompromisse gebe.

All diese Aussagen wurden in der Anfragebeantwortung vom 30. April an die Anfragensteller deutlich zum Ausdruck gebracht.

Auch mich haben türkische Österreicher, deren Angehörige sich in türkischen Gefängnissen befinden, auf massive Menschenrechtsverletzungen aufmerksam gemacht. Ich habe der Frau Bundesministerin darüber bereits im Jänner schriftlich Bericht erstattet. Sie hat mir in ihrem Antwortschreiben vom 22. Februar versichert, dass sie und ihr Ressort die Menschenrechtssituation in der Türkei auch weiterhin mit großer Aufmerksamkeit verfolgen werden.

Die Frau Bundesminister schreibt weiter – ich zitiere wörtlich –: Ich persönlich werde anlässlich meiner bevorstehenden Reise in die Türkei natürlich ebenfalls Menschenrechtsanliegen vorbringen und gedenke, dabei besonders auf die problematischen Aspekte der türkischen Gefängnisreform und auf die unhaltbaren Folterungen einzugehen. – Genau dies hat die Frau Bundesministerin auch getan.

So komme ich zu dem Schluss, dass Ihr Verlangen, eine Kurzdebatte zur Anfragebeantwortung 2041/AB zu einem Zeitpunkt zu stellen, zu dem, wie uns allen bewusst und bekannt ist, die Frau Bundesministerin im Ausland, im Nahen Osten weilt und daher persönlich nicht Stellung nehmen kann, nicht mit Ihnen diskutieren kann, einmal mehr beweist, dass es Ihnen von den Grünen nicht um die Sache, nicht um massive Menschenrechtsverletzungen in der Türkei und nicht um das unsagbare Leid von vielen hundert Häftlingen in türkischen Gefängnissen, von denen viele Verletzungen oder den Tod erleiden, geht, sondern wieder einmal lediglich um das Schlagen von politischem Kleingeld. (Ruf bei der ÖVP: Wie wahr!) Diese Debatte hätte sich eigentlich erübrigen können. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

17.43

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Ofner. – Bitte.

17.43

Abgeordneter Dr. Harald Ofner (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Man muss ein bisschen weiter in der Geschichte zurückgreifen, wenn man die Menschenrechtssituation in der Türkei zutreffend beurteilen möchte.


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Kern des Problems ist wohl das Kurdenproblem. Die Kurden sind keine kleine Volksgruppe und keine Minderheit, die zahlenmäßig nicht ins Gewicht fiele. Ich weiß nicht, wie viele Millionen es sind, aber es dürften 15 oder 18 oder mehr Millionen insgesamt sein, und nach dem Ende des Ersten Weltkrieges hätten die Siegermächte – die Türkei hat damals bekanntlich zu den Verlierern gezählt – die Chance gehabt, auch den Kurden wie anderen einen Staat aus dem Bereich der ehemaligen Türkei zukommen zu lassen.

Man hat aber nach guter alter britischer Tradition genau das nicht gemacht. Die Engländer und die Franzosen haben sich die Teile als Kolonien genommen, die sie gerne haben wollten: die Franzosen Syrien und den Irak, sofern ich es richtig weiß – wir werden Historiker da haben –, die Engländer Transjordanien, wie das damals geheißen hat, und Palästina, und den einzigen Tiefseehafen haben sich die Engländer auch noch genommen, und zwar hat er Kuwait geheißen. Man hat darauf geachtet, dass man die militanten Kurden, ein Bergvolk, das sich zu wehren gewusst hat, auf möglichst viele Staaten verteilt, in der sicheren Annahme – und die Rechnung ist bis heute aufgegangen –, dass es da nie Ruhe, immer Schwierigkeiten und immer einen Wirbel geben wird. Daher gibt es heute Kurden in Syrien und im Irak, in der Türkei und im Iran und in anderen Ländern auch noch. – So viel zur Geschichte.

Darüber hinaus ist die Doppelzüngigkeit, die in diesem Zusammenhang auch heute noch an den Tag gelegt wird, bemerkenswert. Ein Teil der Kurden lebt im Irak. Nach dem Sieg der Amerikaner und ihrer Verbündeten im Kuwait-Krieg ist eine Grenze innerhalb des Irak gezogen worden. Man hat gesagt, nördlich sind die Kurden, und zum Schutze der Kurden darf kein irakisches Flugzeug diese Linie überfliegen. Gleichzeitig sind dieselben Kurden von den Türken mit massiver Unterstützung der Amerikaner vom Norden her niedergebombt worden, bis zum Allerletzten.

Also diese Dinge muss man sich vor Augen halten: Das sind nicht die Türken allein – ich will das nicht beschönigen –, es ist vor allem die Unterstützung durch eine Reihe von Mächten, in erster Linie durch die US-Amerikaner, die in diesem Zusammenhang sehr auffällig ist.

Auch bei mir ist die Delegation gewesen, die sich über die Zustände vor allem in den Gefängnissen beschwert hat. Ich schicke voraus, ich möchte nirgends auf der Welt in einem Gefängnis sein, sicherlich auch – wenn Sie verstehen, wie ich das meine – nicht in der Türkei, aber diejenigen Punkte, die diese bemühten Damen und Herren an uns herangetragen haben, haben jemanden, der mit dem österreichischen Gefängniswesen lange auch beruflich zu tun gehabt hat und noch immer zu tun hat, in gewissem Sinne nur wundern können.

In Österreich ist man bemüht, kleine Zellen, die sauber sind, die ausgeleuchtet sind, zu schaffen. Wir haben uns gefreut, als es vor einem Jahrzehnt oder vor längerer Zeit gelungen ist, die letzte Großzelle in Österreich – 50 Personen in einer Zelle – im landesgerichtlichen Gefangenenhaus in Klagenfurt zu eliminieren und durch kleine Zellenräume zu ersetzen. Ein moderner Strafvollzug und eine moderne Anhaltung sind gekennzeichnet durch kleine Räume, in denen die Leute auch allein sein können, in denen ein, zwei, drei, vielleicht vier Leute sind.

Ich weiß schon, dass in der Türkei die Uhren anders gehen, dass die Türkei nicht die Schweiz ist und auch nicht Österreich, aber wenn geklagt wird, dass die Häftlinge jetzt nicht mehr in der 100-Mann-Zelle sind, dass sie jetzt alle in Zellen zu ein, zwei, drei Personen sind, so ist das an und für sich noch nichts, was einem als negativ auffallen könnte. Das gilt auch, wenn einem gesagt wird, dass alle Zellen weiß ausgemalt sind – ich weiß nicht, wie die anderen waren – und dass das belastend und blendend ist und dass die Verhandlung rasch kommt, wenn man sich in Haft befindet. Ich habe dazu geschwiegen. Ich würde es mir in Österreich manchmal wünschen, dass es so geschähe.

Zum Fasten dort sei gesagt: Viele hundert Menschen fasten, und einige befinden sich auf dem Weg des Todesfastens. Es ist so, dass das eine Form des Selbstmordes ist und man wahrscheinlich jedem Menschen das Recht zubilligen muss, sich selber, auf welche Weise immer, umzubringen. Aber einer meiner Gesprächspartner hat damals erklärt: Sorgen Sie doch mit dafür, dass der Sohn dieser Frau, der todesfastet, nicht sterben muss! Da habe ich gesagt: In


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Ordnung! Das Beste ist, Sie schreiben ihm einen Brief und sagen, er soll aufhören. Wenn man die Waffe des Todesfastens verwendet, dann bedeutet das – davon gehe ich aus –, dass man vorhat, etwas durchzusetzen oder zu sterben. Aber an einen Parlamentarier in Mitteleuropa den Appell zu richten, dafür zu sorgen, dass der zwar todesfastet, aber trotzdem nicht sterben muss, das ist viel verlangt.

Wenn man heute von einer österreichischen Außenministerin erwartet, dass sie in dieser Konstellation Druck auf die Türkei ausübt, eine Superpower ...

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Herr Abgeordneter! Ihre Redezeit ist zu Ende. Ich bitte um den Schlusssatz.

Abgeordneter Dr. Harald Ofner (fortsetzend): Ich bin beim Schlusssatz, Herr Präsident: Die Türkei, eine Superpower regionalen Zuschnitts, Verbündeter Israels und der USA, und zwar ganz massiv Israels und ganz massiv der USA, die mit imperialem Bewusstsein überall auftritt, auch in Österreich, wo sie Gelegenheit dazu hat – in Anbetracht dessen zu verlangen, dass auf diesen Staat, von dem man nicht weiß, ob er nur 65 Millionen Einwohner hat oder schon gegen 80 Millionen, die Frau Ferraro-Waldner Druck ausübt, das ist, glaube ich etwas, wo man die Dimensionen ein bisschen falsch eingeschätzt hat. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

17.49

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Mag. Stoisits. – Bitte.

17.49

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (Grüne): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Jetzt bin ich ernsthaft verwirrt. (Ironische Heiterkeit bei der ÖVP.) Jetzt bin ich wirklich ernsthaft verwirrt, weil heute Vormittag die Regierungs-Debattenredner in mir manchmal, weil ich kein grundsätzlich skeptischer Mensch bin, den Eindruck erweckt haben, als würde Österreich in der EU das absolute Sagen haben, da es hieß: Der Vertrag von Nizza trägt die Handschrift Österreichs, wir sind so wahnsinnig wichtig, dass wir alles durchgesetzt haben.

Aber vorhin hörte ich vom Kollegen Ofner (Abg. Dr. Ofner: Habe ich das behauptet? Terezija Stoisits, ich habe das behauptet?), dass er nicht einmal ganz exakt weiß, wie unsere Außenministerin heißt – sie heißt nämlich Ferrero-Waldner  –, und dass er daran zweifelt, dass Stellungnahmen der Außenministerin eines EU-Landes von irgendeiner Bedeutung wären. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist wahrlich Zeit, dass es Wochenende wird, weil die Verwirrung hier immer größer wird. – Jetzt aber zurück zur Ernsthaftigkeit.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Anfragebeantwortung der Frau Außenministerin auf meine Anfrage hin ist heute nicht deshalb Gegenstand der Besprechung, weil sie uns etwas inhaltlich Falsches angegeben hätte. Herr Kollege Ellmauer, wir danken der Frau Außenministerin für die Beantwortung. Wir danken ihr auch für die Offenheit, die sie in der Beantwortung gezeigt hat, weil sie damit relativ offen die Hilflosigkeit der Situation darlegt, in der vielleicht auch sie persönlich, vor allem aber diese Bundesregierung steckt, wenn es darum geht, dass ein EU-Mitgliedstaat gegenüber einem NATO-Land wie der Türkei etwas ausrichten könnte. Diese Hilflosigkeit hat auch der Herr Bundesminister richtig referiert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben diese Debatte heute deshalb gewünscht, weil wir uns in tiefer Solidarität mit denjenigen befinden, die sich Sorgen um ihre Kinder und Angehörigen in türkischen Gefängnissen machen. Dort geht es nicht nur um diejenigen, die sich im Hungerstreik oder im Todesfasten befinden, sondern es geht grundsätzlich um jeden Österreicher und jede Österreicherin, die einen Angehörigen in einem türkischen Gefängnis haben. Nicht die Tatsache der so genannten F-Gefängnisse allein ist es, die den Kummer der Menschen bewirkt, sondern es ist auch die Frage, wie die Türkei mit Oppositionellen und politischen Kritikern, mit Menschen, die gegen die eigene Regierung auftreten und an ihr Kritik üben, insgesamt umgeht.


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Für mich stellt sich das Problem so dar, dass Todesfasten und Hungerstreik ein Kulminationspunkt dessen sind, wie – zum Teil hilflos – versucht wird, auf die Menschenrechtssituation in diesem Land hinzuweisen. Kollege Ofner, das sind nicht ausschließlich kurdische Aktivistinnen und Aktivisten. (Abg. Dr. Ofner: Habe ich nicht gesagt! Trifft nicht zu!) Aber es sind – und das ist nicht zufällig so – Oppositionelle. Das sind Oppositionelle in dem Sinn, dass die meisten von ihnen wegen politischer Delikte – was politisch ist und was dort angeklagt wird, das bestimmt das Regime, und dieses Regime möchte ich jetzt nicht noch einmal im Detail ausführen – Klage führen.

Wir kommen jetzt in eine absurde Situation. Wenn die Aktivitäten des Europarates und vor allem die Aktivitäten des CPT, das die Bedingungen in türkischen Gefängnissen – etwa die Massenzellen mit Hunderten von Leuten – angeprangert hat, Veränderungen mit sich bringen, und wenn man jetzt versucht, dies auf einen europäischen Standard zu bringen, dann ist das im ersten Augenblick – da gebe ich dir Recht – begrüßenswert (Abg. Dr. Ofner: Auch im zweiten!), aber die Art und Weise, wie das Regime in der Türkei die Einmahnungen des Europarates umsetzt, wie das wiederum politisch instrumentalisiert wird und wie das gegen Menschen – und in diesem Fall auch gegen Menschenleben – gerichtet wird, bereitet mir tiefe Sorge. Darum wollten wir heute die Gelegenheit zu diesem Appell nutzen.

Herr Kollege Ellmauer, wir danken auch für Ihre Unterstützung, die Sie den Angehörigen entgegenbringen, und die Sympathie, die Sie zum Ausdruck gebracht haben. Ich bin jedoch davon ausgegangen, dass es an einem Tag, an dem der Vertrag von Nizza im österreichischen Nationalrat diskutiert wird, vollkommen logisch ist, dass die Außenministerin, die dieses Land in den wichtigsten EU-Gremien vertritt, hier anwesend ist. Deshalb haben wir ...

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Frau Abgeordnete, die Redezeit ist erschöpft. Ich bitte um den Schlusssatz.

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (fortsetzend): Herr Präsident! Deshalb haben wir den heutigen Tag gewählt, und deshalb bitte ich den Herrn "Außenminister" Bartenstein inständig, ihr diese Besorgnis und unsere Unterstützung für alles, was sie tut, um die Menschenrechtslage in der Türkei zu verbessern, mitzuteilen. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

17.55

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Die Rednerliste ist erschöpft. Die Debatte ist geschlossen.

4. Punkt

Bericht des Immunitätsausschusses über das Ersuchen des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien (15 U 114/01s) um Zustimmung zur behördlichen Verfolgung des Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Peter Pilz (597 der Beilagen)

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Wir gelangen zum letzten Punkt der Tagesordnung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Gradwohl. – Bitte.

17.56

Abgeordneter Heinz Gradwohl (SPÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Wir haben in der Debatte am gestrigen Nachmittag den Wunsch des Kollegen Dr. Pilz vernommen, dass er ausgeliefert werden möchte. Herr Kollege Pilz, da es sich beim Immunitätsrecht – wie Sie ja wissen – um ein Kollegialrecht des Hauses handelt, verstehen wir, die sozialdemokratische Fraktion, zwar Ihren Wunsch und verstehen auch die Beweggründe dieses Wunsches, aber wir können Ihrem Wunsch auf Grund der Situation als Kollegialrecht des Hauses nicht gerecht werden. Wir werden daher dem Auslieferungsbegehren nicht zustimmen.

Wir haben jedoch in der gestrigen Ausschusssitzung, in der dieses Auslieferungsbegehren behandelt wurde, vereinbart, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die sich damit beschäftigen wird, den


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Begriff oder die Definition des Immunitätsrechts und -anspruchs neu zu überdenken und neu zu hinterfragen, und zwar im Hinblick auf zivilrechtliche Belange. Einige der Vorfälle in den letzten Monaten machen diese Diskussion durchaus notwendig, auch im Hinblick auf eine Streitwertbegrenzung, denn Abgeordnete sind im Regelfall wirtschaftlich nicht in der Lage, einer finanziell potenten Gruppe gegenüber kritisch aufzutreten, wenn diese es nicht will. Daher finde ich es für notwendig und gut, dass wir uns damit beschäftigen, aber auch mit der Definition des politischen Zusammenhangs unser aller Tätigkeit, denn auch darüber hat es in den letzten Monaten Diskussionen gegeben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir können dabei auch auf die exzellenten Ergebnisse einer Veranstaltung, die der damalige Zweite Präsident des Nationalrates, Dr. Heinrich Neisser, hier im Hohen Haus durchgeführt hat, zurückgreifen. Ich bin überzeugt davon, dass einige dieser Ergebnisse durchaus in die zukünftigen Überlegungen Eingang finden und eingearbeitet werden.

Neben den bereits angesprochenen Dingen darf ich noch auf zwei oder drei weitere Punkte hinweisen.

In diesem Verfahren zum vorliegenden Auslieferungsbegehren des Kollegen Pilz, aber auch in einigen anderen Fällen ist es in den letzten Monaten dazu gekommen, dass Gerichte mit Verfahren bereits begonnen hatten, ohne abzuwarten, wie der Nationalrat das jeweilige Auslieferungsbegehren behandelt, ja dass sie noch nicht einmal Begehren abgegeben hatten und die Verfahren trotzdem bereits eingeleitet wurden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke, dort fehlt ein wenig die Sensibilität im Umgang mit derartigen Verfahren. Auch das wird ein Punkt sein, den wir zu behandeln haben werden. (Demonstrativer Beifall des Abg. Dr. Khol.  – Abg. Dr. Mertel  – in Richtung des Redners –: Lass dich nicht beeinflussen! Rede, so lange ...!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt auch noch einen anderen Fall aus den letzten Monaten, der in dieser Neudimensionierung oder Neudefinition des Begriffes "Immunität" und in der Handhabung im Immunitätsausschuss zu bedenken sein wird. Dies ist beispielsweise der Fall des Kollegen Keppelmüller, der in einer Pressekonferenz Auszüge aus dem Stenographischen Protokoll – nämlich seine Rede – zur Verteilung gebracht hatte, woraufhin der Oberste Gerichtshof plötzlich feststellte: Es handelt sich hiebei um keine Berichterstattung, denn zur eigenen Person kann man eigentlich nicht berichten.

Als ich das zum ersten Mal gehört habe, habe ich mir gedacht: Das gibt es eigentlich nicht! Jetzt, nach längerem Nachdenken und nach der Feststellung, dass es das tatsächlich gibt, fällt mir eigentlich nur ein Wort ein, das die Italiener in einem solchen Fall verwenden. Sie würden dazu "stupido" sagen. – Ich glaube, im österreichischen Parlament darf ich dieses Wort durchaus verwenden. (Präsident Dr. Fischer übernimmt wieder den Vorsitz.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir uns mit Immunitätsfällen beschäftigen, so ist eben gewisse Sensibilität erforderlich, habe ich vorhin gemeint. Diese Sensibilität ist aber meiner Ansicht nach nicht nur für die Abgeordneten dieses Hauses notwendig und zu berücksichtigen, sondern sie geht weit darüber hinaus. Diese Sensibilität geht mir – auch angesichts der Debatte am gestrigen Nachmittag – durchaus auch von dieser Regierung für solche Themen ab.

Gerade vor diesem Hintergrund und gerade in Zeiten wie diesen ist es, glaube ich, notwendig, Schutzmechanismen und Schutzfaktoren nicht nur für Abgeordnete und nicht nur für Journalisten zur Verfügung zu haben, sondern auch Schutzfaktoren und -mechanismen insgesamt für die Demokratie in Österreich.

Daher darf ich auch im Zusammenhang mit der heutigen Debatte das Ersuchen, nein, die Aufforderung an den Herrn Justizminister richten, diese Sensibilität auch bei der Novellierung der strafrechtlichen Vorverfahren an den Tag zu legen. Diese Sensibilität ist nicht nur für dieses Kollegialorgan notwendig, sondern auch für alle Berufsgruppen, die in solche Situationen kommen können. Es soll ja in dieser Republik in Zukunft nicht so sein, dass Abgeordnete dieses Hauses – nach dem Wunsch des Kärntner Landeshauptmannes, mit vorerst geäußerter Zustim


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mung des Justizministers, und nach den jetzt vorliegenden Novellen – mit Journalisten zukünftig einige Wochen lang im Gefängnis gemeinsam die Möglichkeit haben, Erfahrungen auszutauschen. (Rufe bei den Freiheitlichen: Ablenkung!)

Daher richte ich die Aufforderung an den Herrn Justizminister, auch im Zusammenhang mit dem strafrechtlichen Vorverfahren Sensibilität an den Tag zu legen, damit die Demokratie und die Pressefreiheit in diesem Hause, aber auch die Freiheit der Ausübung des Mandats erhalten bleibt. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

18.02

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Auer. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 5 Minuten. – Bitte.

18.02

Abgeordneter Jakob Auer (ÖVP): Herr Präsident! Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Gerade als Ausschussvorsitzender habe ich Interesse an klaren Bestimmungen, was die Auslieferungspraxis und deren Handhabung betrifft. Die Entscheidungspraxis dieses Ausschusses darf sich jedoch nicht an Einzelfällen orientieren. Ich bitte daher, Herr Kollege Pilz, auch zu respektieren, dass dies nicht vom Wunsch des Einzelnen abhängig, sondern ausschließlich die Entscheidung dieses Kollegialorgans ist.

Meine Damen und Herren! Hinsichtlich der Arbeitsgruppe, die angesprochen wurde, sind die Einladungen bereits unterwegs. Wir haben sehr sorgsam und umfassend damit umzugehen, und wir haben uns zu bemühen, eine grundsätzliche Überarbeitung der Immunität vorzunehmen.

Was soll die Immunität sein, wenn man sich diese Fragen stellt: Ist sie noch zeitgemäß? Ist sie ein Privileg? Was soll sie in Zukunft sein? – Nur einen Satz hiezu: Es sollte das gewährleistet sein, was der Politiker zur optimalen Erfüllung seiner parlamentarischen Arbeit und Tätigkeit braucht.

Meine Damen und Herren! Wenn man sich mit der Immunität grundsätzlich auseinander setzt, dann stellen die einen die Frage: Ist sie in der heutigen Zeit noch gerechtfertigt? – Zu berücksichtigen ist in diesem Punkt, dass eine Änderung der Immunität in Richtung Aufhebung möglich ist, dass aber im Problemfall eine Rückgängigmachung dieser Entscheidung wohl kaum noch zu erreichen wäre.

Zur Unterscheidung zwischen beruflicher und außerberuflicher Immunität: Gibt es da Änderungsbedarf? Immunisierung strafbaren Verhaltens im Nationalrat? – Zum Unterschied zwischen sachlicher und beruflicher Immunität: Es wurde von meinem Vorredner bereits der "Fall Keppelmüller" samt der OGH-Entscheidung angesprochen.

Das Problem der sachlichen Immunität bei immunisierter Begehung einer strafbaren Handlung; Schutz des Abgeordneten vor strafrechtlicher Verfolgung: Was war denn der Grund zur Änderung der Auslieferungspraxis des Immunitätsausschusses?

Es ist auch die Frage zu stellen: Hat sich diese Praxis bewährt? – Wenn nein: Wo sind denn die Schwachstellen?

Sollen auch weiterhin Privatanklagedelikte und Offizialdelikte unterschiedlich behandelt werden? Ist es nicht widersprüchlich, dass bei leichteren Privatanklagedelikten ausgeliefert wird, nicht aber bei schwereren Offizialdelikten? Ist die Hemmung der Verjährung sinnvoll? Keine Straflosigkeit von Abgeordneten, selbst bei Nichtauslieferung – aber ist eine Verfolgung nach vielen Jahren, wenn der Betreffende nicht mehr Parlamentarier ist, noch möglich und noch sinnvoll? – Das Erinnerungsvermögen von Zeugen sei hier nur als Stichwort angeführt, meine Damen und Herren.

Der Schutz des Abgeordneten vor der zivilrechtlichen Verfolgung: Ist die Anwendbarkeit des § 1330 ABGB nur auf Fälle der außerberuflichen Immunität richtig? Hat sich die Änderung des Rechtsanwaltstarifgesetzes betreffend Streitwertbegrenzung bei Klagen nach diesem genannten


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Paragraphen bewährt? Wo gibt es noch Lücken, die eine existentielle Betroffenheit oder Bedrohung für einen Mandatar bedeuten könnten?

Meine Damen und Herren! Es gibt in diesem Zusammenhang eine Reihe von Fragen. Unbestritten mag sein, dass vielleicht eine Änderung in dem einen oder anderen Punkt, manche Ergänzung und Verbesserung notwendig sind; eines darf es aber auch in Zukunft nicht geben: den Versuch, mit zweierlei Maß zu messen. Es muss nach objektiven Kriterien vorgegangen werden, und es sind gleiche Bedingungen für jeden Mandatar zu ermöglichen.

Herr Präsident! Zum Abschluss habe ich an Sie ein dringendes Ersuchen, eine Bitte: Die Verfolgungshandlungen dürfen erst nach Beschluss des Parlaments erfolgen. Wir stellen immer wieder fest, dass von den Verfolgungsbehörden Verfolgungshandlungen gesetzt werden, ohne dass das mit dem Parlament abgesprochen wurde. Das darf nicht sein, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP, den Freiheitlichen und den Grünen.)

Herr Präsident! Ich bitte Sie daher, uns hier zu helfen, uns zu unterstützen und klarzustellen, dass dies eine Praxis ist, die von uns nicht geduldet werden kann. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

18.07

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Abgeordneter Auer, weil Sie sich direkt an mich gewandt haben, möchte ich feststellen: Ich habe ja nicht einmal Kenntnis von solchen Schritten der Justiz. (Abg. Dr. Martin Graf: Jetzt schon!) Aber ich werde mich gerne mit dem Herrn Minister in Verbindung setzen. (Abg. Dr. Khol: Das war so gemeint!)

Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Petrovic. Sie hat das Wort.

18.07

Abgeordnete MMag. Dr. Madeleine Petrovic (Grüne): Herr Präsident! Hohes Haus! Ich gehe zunächst auf die allgemeine Frage der allfälligen Änderung des Immunitätsrechtes beziehungsweise der Immunitätspraxis dieses Hauses ein. Wir haben schon des Öfteren im Ausschuss und natürlich immer wieder anhand von konkreten Fällen gesagt: Ja, wir müssen darüber reden, ob diese Praxis und das Gesetz zeitgemäß sind oder ob es einen Verbesserungsbedarf gibt. Ich bin froh darüber, dass zumindest dieser Anlassfall jetzt dazu führt, dass diese allgemeine Debatte und möglicherweise auch Änderungen stattfinden werden.

Ich füge den von meinen Vorrednern erwähnten Notwendigkeiten des Überdenkens eines Schutzes im Zusammenhang mit Einschüchterungsversuchen zivilrechtlicher Natur noch einen weiteren Punkt hinzu. Ich glaube, dass es für einen potentiell Geschädigten oder eine Geschädigte – das heißt eine Privatperson, die durch Behauptungen einer öffentlich hervorgehobenen Persönlichkeit in ihrem Ansehen, in ihrem beruflichen Fortkommen oder in ihrer Kreditwürdigkeit beeinträchtigt ist – zu spät kommt, wenn sie nach etlichen Jahren vielleicht ein Gerichtsurteil erwirkt, das ihr Recht gibt. Das heißt, meiner Ansicht nach bedarf es auch eines besseren Schutzmechanismus für Menschen, die durch öffentliche Behauptungen von Prominenten in ihrem Fortkommen beeinträchtigt werden.

Jetzt aber zum konkreten Fall: Auch da habe ich mich im Ausschuss – und ich werde das jetzt hier im Plenum ebenfalls tun –, wie immer, gegen eine Auslieferung ausgesprochen, weil ich glaube, dass wir hier generell und losgelöst vom Einzelfall eine Praxis und eine entsprechende Rechtssituation zu etablieren haben, und weil ich auch glaube, dass die Immunität – gerade als Schutz vor wirtschaftlich potenten Lobbies – durchaus Bedeutung hat und haben wird. Wir sollen in diese Richtung agieren, und ich bin eigentlich nicht bereit, die heute bestehende, vielleicht da und dort unzulängliche Immunität preiszugeben, bevor wir zumindest die Konturen eine Neuregelung haben.

Zum konkreten Fall möchte ich noch Folgendes feststellen. Es geht hier um den § 301 Strafgesetzbuch, und es geht um die wirklich unerträgliche Situation, dass – wie wir im Ausschuss befunden haben – aus politischen Gründen ein Abgeordneter dieses Hauses darauf aufmerksam macht, dass nicht eine Privatperson, sondern ein politischer Mandatar – ein hochrangiger


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politischer Mandatar, ein freiheitlicher Abgeordneter zum Niederösterreichischen Landtag – bestimmte Handlungen gesetzt hat, die in der Öffentlichkeit bestritten worden sind. Das heißt, es geht um die Auseinandersetzung zwischen Politiker und Politiker sowie darüber, ob ein Verhalten rechtens war oder nicht.

Hier wird eine wahrheitsgemäße Behauptung in die Öffentlichkeit gebracht, und Journalistinnen und Journalisten berichten darüber auch wahrheitsgemäß. Doch dann tritt der merkwürdige Fall auf, dass dieses Haus zwar daran nicht zweifelt: Ja, der Abgeordnete, der diesen Umstand an die Öffentlichkeit gebracht hat, hat aus politischen Gründen gehandelt. – Möglicherweise werden aber die anderen belangt, die über diesen Vorfall berichtet haben, nämlich dass der Abgeordnete Pilz im Oktober vergangenen Jahres ein Disziplinarerkenntnis betreffend einen niederösterreichischen Landtagsabgeordneten in dessen Funktion als Exekutivbeamter zitiert hat.

Dieses Erkenntnis wird für die Journalistinnen und Journalisten, die darüber berichten, auf einmal zur strafrechtlichen Falle, wobei nichts Genaues über die Verfolgungshandlungen bekannt ist, die bereits gesetzt wurden, und zwar gegen Journalistinnen und Journalisten, die wahrheitsgemäß über einen Vorfall berichtet haben, von dem dieses Haus durch den zuständigen Ausschuss einstimmig festgestellt hat, dass das in einem politischen Zusammenhang steht. (Abg. Auer: Disziplinarerkenntnisse ...!)

Diese Journalistinnen und Journalisten werden jetzt – man weiß es nicht so genau: als ZeugInnen, als Beschuldigte? – in ein Verfahren hineingezogen, obwohl sie, wie gesagt, über eine politische Causa wahrheitsgemäß berichtet haben. Da stelle ich Ihnen ... (Abg. Auer: Ein Disziplinarerkenntnis!)  – Ja, ein Disziplinarerkenntnis, das den Tatsachen entspricht und das eine Person betrifft, die politischer Mandatar, und zwar hochrangiger politischer Mandatar, ist!

Es geht um Vorfälle, über die wir in diesem Haus schon oft diskutiert haben, nämlich widerrechtliche EKIS-Abfragen. (Ruf bei der ÖVP: Das ist eine Boulevard-Geschichte!) Das ist keine "Boulevard-Geschichte", sondern das ist eine Frage, die den Datenschutz, die Rechte der Bürgerinnen und Bürger, die Freiheit der Medien und die Grundrechte betrifft. Das ist kein "Boulevard", meine Damen und Herren! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Es stellt sich wirklich die Frage – und ich denke in der Tat, dass das eine Frage ist, die die Präsidiale in ihrer Gesamtheit und das Haus in seiner Gesamtheit betrifft –, ob es angeht, dass dann, wenn hier eine sehr heftige politische Debatte über Grundrechte, Grundfreiheiten und Medienfreiheiten stattfindet, sich einige Personen, die nichts anderes getan haben, als ihren Beruf auszuüben – und dieser beinhaltet das Grundrecht der Berichterstattung, der Medienfreiheit –, dafür auf einmal vor einem Gericht finden, und zwar in einer nicht geklärten Funktion. Es sind bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden.

Meine Damen und Herren! Diese ganze Ungeheuerlichkeit macht es für mich persönlich in höchstem Maße nachvollziehbar, dass Abgeordneter Pilz sagt: Für mich ist es persönlich nahezu unerträglich, dass sich jene Leute, die über meine Pressekonferenz berichtet haben, jetzt mit Verfolgungshandlungen konfrontiert sehen, während dieses Haus feststellt, dass ich, also Pilz, im politischen Zusammenhang gehandelt habe und daher nicht auszuliefern bin.

Das ist ein Widerspruch, der nicht auflösbar ist – außer dadurch, dass wir schleunigst den § 301 Strafgesetzbuch in dem Sinne korrigieren, wie wir das gestern mit unserem Dringlichen Antrag angeregt haben, und indem wir allgemein – nicht bezogen auf den Einzelfall, sondern generell – über ein modernes Immunitätsrecht beraten und zu einer entsprechenden Beschlussfassung kommen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

18.15

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Graf. Er hat das Wort.

18.15

Abgeordneter Dr. Martin Graf (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Vieles von dem, was meine Vorredner gesagt haben, kann ich durchaus unterstreichen. Nur eines unterstelle ich nicht, Frau Kollegin Petrovic: dass das für Herrn Kollegen Pilz "nahezu un


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erträglich" ist. Das nehme ich Ihnen nicht ab. – Er hat diebische Freude daran, dass es so passiert, wie es jetzt passiert. (Beifall bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Genau das ist das Problem, vor dem wir heute stehen. Dieses Problem gehört einer Lösung zugeführt – nicht dieses Einzelproblem, sondern das ist in Wirklichkeit immer eine Frage, die auch vor dem Hintergrund zu sehen ist, dass vor dem Gesetz alle Bürger gleich sind.

Sie zitieren, dass es eine politische Auseinandersetzung ist. Die Frage ist folgende: Es gibt andere gesetzliche Bestimmungen, die besagen, dass Disziplinarakten verschwiegen sind. Ich möchte das jetzt nicht werten. Irgendjemand muss es ja weitergegeben haben, irgendwo muss es hergekommen sein, das darf man nicht unter den Tisch fallen lassen. Wenn wir wollen, dass Disziplinarverfahren künftighin öffentlich ausgetragen werden, dann sagen Sie das – ich habe kein Problem damit, diskutieren wir darüber! –, aber ich glaube, es ist nicht im Sinne dessen.

Sie wissen ganz genau, dass im Zusammenhang mit den Schriftstücken, die da weitergegeben wurden, nicht nur ein freiheitlicher Mandatar namentlich erwähnt ist, sondern auch noch ein anderer Mandatar. Es gibt ja auch den Persönlichkeitsschutz – man nimmt eben "im Beiwagerl" gleich einen Zweiten mit, und der ist einem dann schon Wurscht. Aber damit habe ich ein Problem, weil mir das eben nicht ganz so egal ist. Es geht dabei schon auch ein bisschen um den Persönlichkeitsschutz und um die Schutzbedürfnisse der "sonstigen" Bevölkerung, die nicht Politiker sind – um das einmal auch von dieser Stelle aus zu sagen.

Aber es ist dies in Wirklichkeit immer ein Spannungsfeld, und vieles von dem, was Sie und was andere Vorredner gesagt haben, ist auch klar. Machen wir uns nichts vor: Die Zeiten haben sich geändert, man muss auch einmal Adaptierungen vornehmen. Es ist jetzt nicht mehr die strenge Bedrohung, wenn es tatsächlich zu einer Verurteilung wegen übler Nachrede kommt, im Verhältnis zu einer Verurteilung zivilrechtlicher Natur, aus der man Millionenschäden zu gewärtigen hat, die einen finanziell ruinieren können.

Ich möchte jetzt nicht, dass das so interpretiert wird, dass man strafgerichtliche Verurteilungen nicht ernst nehmen soll – aber man muss die Abwägungen auch in dieser Hinsicht treffen. Da muss es zu einer Modifizierung kommen. Dabei finden Sie uns als Partner, auch als denjenigen, der gerne bereit ist, vorzupreschen.

Aber es ist ja die Praxis, die in der Vergangenheit geübt wurde und die in der vergangenen Legislaturperiode aufgetaucht ist, symptomatisch. Es geht auch um das Spannungsfeld dessen, was man landläufig als das Recht des einzelnen Abgeordneten bezeichnet: sei es im Unvereinbarkeitsgesetz – das ich auch für überarbeitungsbedürftig halte –, sei es im Immunitätsgesetz – das ich ebenfalls für überarbeitungsbedürftig halte –, bis hin zur Geschäftsordnung, die geändert wurde, wodurch die Rechte des einzelnen Mandatars massiv beschnitten wurden. Das tut an sich weh!

Man fragt sich ja, solange alles gut geht, in der Auseinandersetzung immer wieder, warum man manche Instrumente der Vergangenheit noch immer hochhält. Folgende Bestimmung war da zum Beispiel für mich immer signifikant: Wozu brauchen wir als Parlamentarier den "ungehinderten Zugang" zum Parlament? – Ich habe bis vor zwei, drei Jahren nicht verstanden, dass es einer derartigen Bestimmung überhaupt noch bedarf.

Aber es war gut, dass wir diese Bestimmung nicht abgeschafft haben! Hätten wir sie abgeschafft, dann wäre es mir persönlich zu einem gewissen Zeitpunkt im Zuge der Demonstrationen gegen die Regierungsbildung nicht mehr möglich gewesen, zu einer Sondersitzung ins Parlament zu kommen. Das geschah anlässlich einer Demonstration, da hätte ein Kordon von Demonstranten dies fast verhindert. Nur durch den hervorragenden Einsatz der Exekutive, die ich gebeten hatte, mir den Zugang zu verschaffen, und die dies dann mit einem Polizeikordon bewerkstelligte, konnte ich mit meinem Fahrzeug durchkommen und letztlich unversehrt hier eintreffen. Nur so ist es geglückt, dass ich an dieser Sitzung, zu der ich wie viele andere Kollegen kommen wollte, letztendlich teilnehmen konnte.


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Damals habe ich mir gedacht: Das, was die Altvorderen so erdacht haben, hat oftmals doch einen Sinn – und man sollte das eben doch immer auch unter dem Aspekt sehen, dass es vielleicht auch einmal andere, gewaltbereitere Zeiten geben kann, in denen es einem Mandatar vielleicht nicht mehr so leicht möglich sein wird, das Parlament zu erreichen. Ich habe das am eigenen Leib erlebt, und daher schätze ich jetzt diese Bestimmung, und ich habe eben für mich auch erneut und wieder einmal den Grundsatz bekräftigt, dass der Martin Graf – ich, als Abgeordneter, subjektiv gesehen – keiner einzigen Schlechterstellung eines Abgeordneten in seinen Rechten mehr zustimmen wird – egal, aus welcher Richtung und von welcher Seite dies auch kommen mag.

Das betrifft auch die Immunität. In diesem Punkt habe ich eine sehr restriktive Haltung, und da ist mir jetzt das, was Kollege Pilz hier immer wieder showmäßig abzuziehen versucht, völlig Wurscht. Mir ist das Recht des Abgeordneten, sich frei äußern zu können, ohne dass er mit einer Sanktion rechnen muss, wichtiger, und daher werde ich persönlich immer dafür eintreten, dass man dieses Recht auch in zivilrechtlicher Hinsicht vervollkommnet.

Wir werden diese Debatte in dieser Legislaturperiode schnellstmöglich zu führen haben und hier Änderungen herbeiführen müssen – egal, ob es jetzt einen "Fall Pilz" gibt oder nicht. Auch in diesem Fall stimme ich also aus grundsätzlichen Erwägungen nicht für eine Auslieferung. Jeder hat eine andere Meinung.

Herr Kollege Pilz! Ich werde Sie, soweit es von mir abhängt, nicht ausliefern lassen, ich werde mit vielen meiner Fraktionskollegen eine Auslieferung nicht mittragen. Das hat aber nichts damit zu tun, dass ich Sie schützen beziehungsweise Ihnen Vorschub leisten möchte, damit Sie weiter so agieren wie bisher, sondern es geht um eine grundsätzliche Einstellung hinsichtlich der Rechte des einzelnen Abgeordneten und auch des Schutzes des Abgeordneten und um die damit zusammenhängenden Bevölkerungsrechte.

In diesem Sinn ist mir dieses Gut höherwertig als eine Auslieferung, und ich werde diesem Ansinnen, das Sie selbst auch immer wieder stellen, nämlich Sie auszuliefern, nicht zustimmen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

18.22

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Krüger. Er hat das Wort.

18.23

Abgeordneter Dr. Michael Krüger (Freiheitliche): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe einen etwas anderen Zugang zu diesen Immunitätsbestimmungen und zur Praxis, wie man mit dieser Immunität im Zusammenhang mit angeblichen strafbaren Handlungen von Politikern umgeht.

Ich darf zunächst einmal darauf verweisen, dass ich für die uneingeschränkte Immunität für all das, was der Politiker hier in diesem Hause tut oder sagt, bin. Es ist überhaupt keine Frage, dass das Interesse an der Aufklärung von Skandalen – auch wenn der eine oder andere Vorwurf nicht stimmt – höherwertig sein muss als andere Rechtsgüter in diesem Zusammenhang.

Im gegenständlichen Fall geht es aber um eine ganz andere Frage, nämlich darum, ob Äußerungen von Abgeordneten, die außerhalb des Parlaments gefallen sind, beispielsweise in Pressekonferenzen, einer anderen Würdigung zu unterziehen sind als Äußerungen von sozusagen normalen Politikern: von Politikern ohne Immunität, etwa auf Gemeindeebene. Ich sehe da keinerlei Veranlassung zu einer unterschiedlichen Handhabung.

Ich darf das auch begründen: Wenn heute in einer Pressekonferenz außerhalb des Hauses ein Politiker schwerwiegende Anschuldigungen erhebt, so kann er, nach der ständigen Spruchpraxis der österreichischen Gerichte, nach § 1330 ABGB, also wegen Kreditschädigung in Anspruch genommen werden, er kann auch auf Schadenersatz in Anspruch genommen werden.


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Alle Bemühungen, die anwaltlichen Tarifsätze und die Gebührentarifsätze der Gerichte zu reduzieren, ändern nichts am Risiko des einzelnen Politikers, der außerhalb dieses Hauses bestimmte kreditschädigende Äußerungen macht, eben auch einer gerichtlichen Verfolgung unterzogen werden zu können. Eine derartige Verfolgung kann ohneweiters auch darin bestehen, dass er wegen Schadenersatz, auch in Millionenhöhe, in Anspruch genommen wird. – Das ist ständige Praxis, und das ist geltendes Recht.

Meiner Ansicht nach ist es daher völlig inhomogen, wenn man eine derartige Praxis zulässt, dass Politiker zivilrechtlich in Anspruch genommen werden – und ich meine auch: zu Recht, wenn sie jemanden seines Kredits berauben, jemandem massiven vermögensrechtlichen Nachteil zufügen –, während man sich als Mandatar, wenn man eine solche Äußerung außerhalb des Parlaments macht, unter dem Schutzmantel der Immunität befindet und strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Worin besteht denn hier bitte der Unterschied, der das rechtfertigen würde?

Für uns alle, die wir in derselben Situation sind – auch wenn wir nicht alle zwei Tage im "Landtmann" den Skandal des Jahrzehntes verkünden wie Kollege Pilz –, müsste es wesentlich unangenehmer sein, zivilrechtlich in Anspruch genommen zu werden, unter Umständen auch mit Klagen in Millionenhöhe, als wegen eines möglichen Vergehens nach § 301 StGB. Da liegt eine Inhomogenität vor, und daher bin ich dafür, dass wir in diesem Fall der Auslieferung des Abgeordneten Pilz zustimmen – dies aber auch noch aus einem anderen Grund.

Herr Kollege Pilz hat gestern in seinem Debattenbeitrag geradezu inständig darum gebeten, ausgeliefert zu werden. Er hat sich zwar in seiner eigenen Partei nicht durchgesetzt, hat aber inständig darum geworben: Gebt mir die Möglichkeit, vor Gericht meine Schuldlosigkeit unter Beweis zu stellen!

Ich persönlich werde dieser Bitte nachkommen, denn es gibt zwei Möglichkeiten und Erklärungen: Zum einen die, dass Herr Kollege Pilz das gar nicht ernst gemeint hat, dass er sozusagen eine Mentalreservation begangen hat, also heuchlerisch gewesen sein könnte und gebeten hat, "Liefert mich aus!" – im Bewusstsein oder in der Gewissheit, dass er ohnehin nicht ausgeliefert wird. Dann hat er aber eine Auslieferung verdient. Oder aber im anderen Fall, wenn es ihm tatsächlich ernst war – und dafür spricht auch einiges –, dann soll es nicht so sein, dass Herr Kollege Pilz hier eine Fehlbitte leistet. Zumindest ich werde dieser Bitte nachkommen und einer Auslieferung zustimmen. (Beifall bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Ich darf auch noch einen anderen Gesichtspunkt einbringen, weil immer wieder davon die Rede ist, welcher Bedrohung sich Kollege Pilz aussetzt. Zunächst möchte ich einmal festhalten, dass ich die Diskussion um eine allfällige strafrechtliche Verantwortung von Journalisten und der des Kollegen Pilz überhaupt nicht vermengen würde; das ist für mich vollkommen klar. Wir wissen, es gilt die Unschuldsvermutung. Meiner Überzeugung nach gilt die Unschuldsvermutung selbstverständlich für die Journalisten, denn wenn ein Journalist heute zu einer Pressekonferenz eingeladen wird, auf der irgendetwas geoffenbart wird, und er dann darüber schreibt, dann ist es doch überhaupt keine Frage, dass es sich dabei niemals um ein Vorsatzdelikt eines Journalisten handeln kann.

Also bitte: Der Versuch des Kollegen Pilz, sich hier in ein Boot mit den Journalisten zu setzen, um sozusagen auch die Journalisten "einzuladen", zu seiner Entlastung zu schreiben, weil sie auch strafrechtlich bedroht seien, entbehrt jeder Grundlage. Der Journalist, der wahrheitsgetreu über den Inhalt dieser Pressekonferenz geschrieben hat, hat selbstverständlich bona fide gehandelt, und es steht für mich außer Zweifel, dass, sofern ein derartiges Verfahren überhaupt eingeleitet wird, dieses mit einer sofortigen Einstellung zu enden hat.

Ob das auch für Kollegen Pilz gilt, wage ich allerdings zu bezweifeln, denn beim Kollegen Pilz kann man ja voraussetzen, dass er die einschlägigen Bestimmungen des Strafgesetzbuches, insbesondere wenn es um die Offenbarung von Geheimnissen geht, kennt. (Abg. Dr. Kräuter: Wie ist das mit Haider?)


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Kollege Graf hat bereits vollkommen zu Recht darauf hingewiesen, dass es nicht nur, wie Kollegin Petrovic hier zu suggerieren versucht, um eine Auseinandersetzung auf gleicher Ebene – Politiker gegen Politiker – geht. In diesem Fall würde ich ihrem Standpunkt tatsächlich einiges abgewinnen können, aber es wurde eben auch ein Disziplinarerkenntnis geoffenbart, das einen Nicht-Politiker betrifft. (Abg. Dr. Kostelka: Redezeit!)

Diesbezüglich teile ich auch nicht die Auffassung des Verfassungsrechtlers Mayer, der meint, dass man in diesem Fall zwischen dem Geheimnisschutz auf der einen Seite und dem Recht auf freie Meinungsäußerung auf der anderen Seite abzuwägen hat und dass diese Abwägung zugunsten des Rechts auf freie Meinungsäußerung ausgeht, denn es ist eben eine alte Tradition – und das ist nicht nur im Beamten-Dienstrecht so festgehalten –, dass disziplinarrechtliche Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgehandelt werden. Es ist etwas anderes, ob jemand ein Disziplinarverfahren auf sich gezogen hat oder ob er strafrechtlich verfolgt wird, was dann in einer öffentlichen Hauptverhandlung abgehandelt wird.

Das ist beispielsweise auch bei den Apothekern so: Wenn ein Apotheker in ein Disziplinarverfahren verwickelt wird, läuft das unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab; das ist auch bei den Anwälten so. Da gibt es das Bedürfnis des Einzelnen, des Betroffenen, nicht in der Öffentlichkeit durch den Kakao gezogen zu werden.

Das bedeutet: Es gibt sehr wohl eine rechtlich begründbare Unterscheidung zwischen einer Berichterstattung über ein strafrechtlich-öffentliches Verfahren und über ein Verfahren, in dem es um Disziplinardelikte geht, die doch in einem viel milderen Licht erscheinen, als wenn es um strafbare Handlungen geht, die von Amts wegen zu verfolgen sind.

Auch wenn man dieses Disziplinarerkenntnis, das die grüne Fraktion verteilt hat, durchliest, sieht man, dass immer wieder völlig unbeteiligte Personen mit einbezogen werden, dass beispielsweise irgendjemand wegen der Freundin, oder was weiß ich sonst noch, abgehört worden ist. Es ist sicher auch nicht angenehm für die Betroffenen, wenn sie sich dann in den Zeitungen wiederfinden. – Ich bin also der Auffassung, dass es sehr wohl gute Gründe dafür gibt, wieso man den Inhalt von internen Disziplinarverfahren nicht der Öffentlichkeit preisgibt.

Diese Bestimmungen sollte eigentlich ein Mandatar wie Herr Kollege Pilz kennen, und wenn er sie kennt, dann hat er sich eben auch der Verantwortung zu stellen. Ich möchte auch noch hinzufügen: Dieser § 301 StGB ist kein Paragraph, der am 4. Feber 2001 plötzlich in Kraft gesetzt wurde, um missliebige Oppositionspolitiker zu verfolgen, sondern das ist eine Bestimmung, die der damalige Justizminister Broda durch eine Regierungsvorlage im Jahre 1975 eingebracht hat und die vom Tatbild her ganz klar ist.

Ob Herr Kollege Pilz in den Genuss von Schuldausschlussgründen kommen wird, das würde man sehen, wenn er ausgeliefert wird.

Herr Kollege Pilz! Als Exit-Strategy würde ich Ihnen Folgendes vorschlagen, da es sich abzeichnet, dass Sie nicht ausgeliefert werden: Ist es Ihnen wirklich so ernst mit Ihrer Rehabilitierung vor Gericht? – Im Namen der Republik will er freigesprochen werden. – Sie sind so selten hier im Hohen Haus, Sie waren gestern gerade zur Dringlichen da, Sie haben sich jetzt "gütigerweise" eingefunden, weil es um Ihre Auslieferung geht. Sonst sieht man Sie nie hier! Sie sind wesentlich öfter im "Landtmann" bei Pressekonferenzen als hier im Hohen Haus. Ich meine daher, es wäre Ihnen ohne weiteres zumutbar, dass Sie von sich aus zwei oder drei Monate außerhalb des Hauses als Nicht-Abgeordneter verbringen und sich der Rehabilitierung Ihrer Person vor dem Strafgericht widmen. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

18.33

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Pilz. Er hat das Wort. (Abg. Mag. Schweitzer: Legt er jetzt sein Mandat zurück? – Ruf bei den Freiheitlichen: Diese Größe hat er nicht!)

18.34

Abgeordneter Dr. Peter Pilz (Grüne): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selten werden so offen Motive auf den Tisch gelegt wie in dieser Debatte. Naja, ich kann mir schon vorstellen,


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dass ein Herr Westenthaler, ein Herr Böhmdorfer und so weiter etliche grüne Abgeordnete – nicht nur mich! – in diesem Hause nicht mehr begrüßen wollen. Das ist Ihr Problem, und ich garantiere Ihnen: Dieses Problem werden Sie noch länger haben! Sie werden sich nicht aussuchen können – sei es über den Strafrichter, den Staatsanwalt oder Ihre Debattenbeiträge –, wer von den Grünen Sie kontrolliert, wer von den Grünen die strafrechtlich relevanten Handlungen von Haider, Westenthaler, Stadler, Böhmdorfer und so weiter öffentlich diskutiert, dokumentiert und beschreibt. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Ing. Westenthaler: Wann wird der Pilz endlich einmal ein ordentliches Hemd anhaben?)

Ich wiederhole mein Ersuchen an Sie, und dieses Ersuchen lautet: Der Nationalrat möge meine Immunität aufheben und mich ausliefern – und ich tue das, Herr Kollege Krüger, nicht zum ersten Mal. Es ist bereits mehr als zehn Jahre her, da habe ich in einem anderen Verfahren – es ging damals um eine Verleumdungsanklage in einer Auseinandersetzung mit einem Exekutivbeamten – monatelang um meine Auslieferung gekämpft, und der Nationalrat hat dann – trotz vieler anderslautender Äußerungen – meine Auslieferung beschlossen, und ich bin ausgeliefert worden. Damals hat es ein Abgehen von der Immunitätspraxis gegeben.

Ich erzähle Ihnen gerne das Ende dieser Geschichte: In dem Moment, als klar war, dass ich mich dem Verfahren stelle, ist dieses ohne eine Zeugeneinvernahme wenige Wochen später sang- und klanglos eingestellt worden, weil das Ziel der Justiz möglicherweise auch damals ein ganz anderes war, als ein faires Verfahren zu führen. (Abg. Haigermoser  – in Richtung des Redners –: Peter, setz dich nieder!)

Meine Damen und Herren! Ich richte dieses Ersuchen an Sie aus konkreten, aber auch aus grundsätzlichen Motiven. Meine konkreten Motive lauten: Es geht hier nicht nur um die Meinungsfreiheit, sondern auch um die Freiheit von Abgeordneten und Journalistinnen und Journalisten, ihre Arbeit zu tun. Ich lese Ihnen etwas vor:

Major B. gab als Zeuge an, der Beschuldigte sei ein guter Beamter gewesen, auf Grund seiner politischen Tätigkeit teilweise dienstfrei gestellt als Abgeordneter zum Niederösterreichischen Landtag, mit Dienstverpflichtung 25 Prozent sei dieser jedoch nur mehr sporadisch dienstlich tätig. Er habe durch Vergleich der EKIS-Anfragen mit den Eintragungen im Tagesbericht festgestellt ... und, und, und. – Zitatende.

Ein sporadisch im Dienst anwesender Landtagsabgeordneter der Freiheitlichen Partei, der ab und zu ins Amt kommt, aber dort jede Menge Zeit hat, illegale EKIS-Abfragen durchzuführen, soll, wenn es nach einigen Abgeordneten dieses Hauses geht, unter dem Schutz des Strafgesetzbuches stehen. (Abg. Dr. Ofner: Der steht unter dem Schutz!) Und niemand von Ihnen und von uns darf darüber reden, was eigentlich in der Exekutive und im Niederösterreichischen Landtag passiert.

Wir haben, wenn es nach Ihnen geht, den Mund zu halten und unser Wissen für uns zu behalten, und über diesen Abgeordneten, der österreichische Gesetze gebrochen und Daten über österreichische Bürgerinnen und Bürger missbräuchlich verwendet hat, darf niemand reden, niemand schreiben und niemand öffentlich seine berufliche und politische Verantwortung diskutieren. (Abg. Dr. Khol: Es gilt die Unschuldsvermutung!) So stellen Sie sich den § 301 Strafgesetzbuch, so stellen Sie sich den österreichischen Rechtsstaat vor? (Abg. Dr. Ofner: Da müssen Sie Broda fragen!)

Wer ist denn dann zu bestrafen? – Die Journalisten, die ordnungsgemäß berichten, und der Abgeordnete, der, nachdem der Abgeordnete Westenthaler kurz zuvor erklärt hat, kein einziger freiheitlicher Mandatar ist bis jetzt im Zusammenhang mit illegalen EKIS-Abfragen verurteilt worden, dem widerspricht. Dem darf öffentlich, trotz Beweisen, nicht widersprochen werden? Westenthaler bekommt dann öffentlich Recht, obwohl er Unrecht hat? Und diejenigen, die es wissen, dürfen es nicht sagen? – Das ist kein Rechtsstaat! Das sind keine demokratischen Verhältnisse! (Abg. Ing. Westenthaler: Zur Sache!) Das ist weder Offenheit noch Transparenz, sondern das ist der Staat und die Pressefreiheit, die Sie meinen, Herr Abgeordneter Westen


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thaler! Das hat jedoch mit Demokratie und Rechtsstaat nichts zu tun! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Und jetzt gibt es einen Staatsanwalt, dem ich zubillige, dass er am Anfang versuchte, in der Aufklärung der Spitzelaffäre etwas weiterzubringen. Er und viele andere Justizorgane sind täglich unter Druck gesetzt, beschimpft und verleumdet worden, auch von der Regierungsbank, auch vom Sitz des Klubobmanns her; wieder, wieder, immer wieder. Der Staatsanwalt hat nachgegeben, hat dem Druck nachgegeben, hat Verfahren eingestellt, ohne Zeugen zu hören, hat den Auftrag gegeben, den Wirtschaftspolizeibericht zu säubern, den Justizminister vollkommen aus der Schusslinie zu bringen, für Haider, für Stadler im Bericht alles in Ordnung zu bringen. (Abg. Dr. Khol: Das stimmt ja nicht!)

Dieser Staatsanwalt hat etwas getan, was diskussionswürdig ist. (Abg. Ing. Westenthaler: Dürfen wir wissen, was das mit der Auslieferung des Abgeordneten Pilz zu tun hat?) Er hat so genanntes totes Recht wieder zum Leben erweckt. § 301 StGB ist nach Auskunft des Justizministeriums jahrzehntelang totes Recht gewesen – aber nicht deshalb, weil er irgendwo gestorben ist, weil er altersschwach war, sondern weil Staatsanwälte immer wieder in ähnlichen Fällen – zu Recht! – überlegt haben, ob dieser Paragraph überhaupt in Übereinstimmung mit der Menschenrechtskonvention zu bringen ist, und bei der Abwägung gesagt haben: Nein, das geht nicht! – Plötzlich aber steht ein Staatsanwalt, dessen oberster Weisungsgeber Minister Böhmdorfer ist, in einer völlig geänderten justizpolitischen Situation auf und sagt: Menschenrechtskonvention interessiert mich nicht, Verfassung interessiert mich nicht, § 301 gilt, so wie er hier steht, und zwar ohne Rücksicht auf alles andere, und jetzt wird ausjudiziert und verfolgt!

Natürlich war das ein politischer Revancheakt: nicht nur gegen mich, sondern gerade auch gegen die Journalistinnen und Journalisten. Und jetzt ist die Frage: Wie soll der Nationalrat, wie soll die österreichische Öffentlichkeit, wie soll die Politik mit staatsanwaltschaftlicher Revanche unter Deckung des Justizministers umgehen? Das ist keine moralische Frage, sondern das ist eine ganz einfache politische Frage: Soll es möglich sein, durch den Einsatz der Immunität – und ich verstehe viele der Argumente der Kolleginnen und Kollegen, die sich für die Beibehaltung der Immunität, der beruflichen und außerberuflichen aussprechen – die angegriffenen Politiker von den Journalisten zu trennen und damit klar zu machen: Zuerst werden die Journalisten und Medien verfolgt, und wenn wir mit ihnen fertig sind, dann können wir immer noch dort ansetzen, wo Böhmdorfer seinerzeit bei seiner Pressekonferenz mit Jörg Haider vorläufig geendet hat, nämlich bei der direkten Bedrohung der politischen Opposition selbst. Und da erhebt sich die Frage, ob wir uns nicht rechtzeitig diesen Verfahren stellen sollen.

Ich habe eine Zusatzinformation, denn es geht ja noch weiter: Sonntagabend wird in der Sendung "Betrifft" im ORF über eben diese Meinungsfreiheit diskutiert. (Abg. Dr. Fekter: Da wollte er sich selber einladen!) Ich war einer derer, die eingeladen werden sollten. Heute gibt es eine Einladungsliste, und ich frage im ORF nach: Warum sitzt dort der Justizminister und kein einziger seiner politischen Kritiker, kein einziger Vertreter der politischen Opposition? – Die Antwort des ORF lautet: Weil Minister Böhmdorfer das zur Bedingung für seine Teilnahme gemacht hat. (Abg. Dr. Kostelka: Das darf ja nicht wahr sein! Skandal! – Abg. Ing. Westenthaler: Herr Präsident! All das gehört nicht zur Sache! – Weitere Rufe und Gegenrufe zwischen Abgeordneten aller Fraktionen.)

Über Medienfreiheit und Pressefreiheit darf im ORF nur noch diskutiert werden, wenn derjenige, der die Medienfreiheit mit Gesetzen einschränken will, gleichzeitig auch darüber bestimmen kann, wer an Diskussionen über die Medienfreiheit in den Medien teilnimmt. (Abg. Ing. Westenthaler: Können wir jetzt endlich einmal zur Sache kommen?) Meine Damen und Herren! Das geht zu weit, nicht nur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Folgendes muss ich auch an einzelne Journalistinnen und Journalisten gerade im ORF richten: Die Einschränkung der Meinungsfreiheit bedarf zweierlei: jener, die die Meinungsfreiheit einschränken wollen  – und jener, die die Meinungsfreiheit einschränken lassen. (Abg. Ing. Westenthaler: Es kann auch sein, dass der Pilz zu unwichtig ist!) Und nur wenn sich jene, die dort sitzen, wo die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden soll, auch zur Wehr setzen, dann werden


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es jene, die die Meinungsfreiheit einschränken wollen, etwas schwerer haben. Das als kleine Anmerkung nicht in Richtung der Journalistinnen oder Journalisten des ORF, sondern der dünnen Führungselite des ORF, die sich heute Einladungslisten kommen lässt, um diese politisch zu genehmigen oder abzulehnen. (Abg. Ing. Westenthaler: Der ORF muss eben auch auf die Quote schauen!)

Meine Damen und Herren! Ich komme zum Grundsätzlichen. Es gibt viele gute Argumente für die klassische berufliche und außerberufliche Immunität als Kollegialrecht. Ich habe hier eigentlich keinen Grund, dem Ausschussvorsitzenden auch nur unlogische Argumentation zu unterstellen. Das ist eine mögliche und für die Vergangenheit zum Teil auch sinnvolle Argumentation.

Ich meine allerdings – und deswegen nehme ich das Angebot einer neuen Generaldebatte über die Immunität auch gerne an –: Es hat sich Grundsätzliches geändert! Der österreichische Rechtsstaat ist meiner Meinung nach trotz der autoritären Wendeversuche, trotz Minister Böhmdorfer und trotz der zum Teil erfolgreichen Einflussnahmen in der Staatsanwaltschaft Wien letzten Endes – und davon bin ich überzeugt – stark genug, um allen freiheitlichen Missbrauchsversuchen zu widerstehen. (Abg. Ing. Westenthaler: Amen!) Das hat auch mit Österreichs Beitritt und Österreichs Integration in die Rechtskultur der Europäischen Union zu tun.

Mein zweites Argument lautet – und da stimme ich dem Kollegen Krüger durchaus zu –: Wenn es eine Immunität gibt, die kein politisches Privileg ist, dann ist es die unbeschränkte Rede- und Meinungsfreiheit hier in diesem Haus und nicht nur an diesem Pult. Das ist eine Analogie zum absoluten verfassungsrechtlichen Schutz der Privatsphäre und der Privatwohnung. Dem entspricht im Politischen der absolute Schutz der Debatten- und Meinungsfreiheit in diesem Hause.

Niemand aber kann mir mehr erklären, warum heute Abgeordnete außerhalb dieses Hauses besondere Rechte genießen müssen. Ich sehe keinen Grund! Ich denke, dass wir als Abgeordnete in der Lage sind, uns Angriffen auf unsere politische Tätigkeit außerhalb dieses Hauses mit rechtsstaatlichen Mitteln entgegenzusetzen und uns zur Wehr zu setzen. Und dort, wo es wirkliche Probleme, wirkliche Benachteiligungen und die Möglichkeit unfairer Verfahren gibt, gilt das für alle Menschen dieser Republik, für alle Bürgerinnen und Bürger. Wenn es im zivilrechtlichen Verfahren Riesenlöcher gibt wie etwa bei der Feststellungsklage zum § 1330 ABGB oder in einigen anderen Bereichen, dann reparieren wir das bitte gemeinsam für alle Bürgerinnen und Bürger dieser Republik.

Ich habe manchmal den Eindruck, dass das Interesse am Schutz für alle Menschen in Österreich in diesem Hause stärker und ausgeprägter wäre, wenn wir nicht einen besonderen Schutz außerhalb dieses Hauses genössen. Wären wir wirklich gleichgestellt, gäbe es wirklich außerhalb dieses Hauses vollkommene Chancengleichheit für alle im Rahmen des Rechtsstaates, dann wären wahrscheinlich einige wichtige Reformen zum Schutz des Einzelnen vor politischer und Justizwillkür längst schon, und zwar mit großer Mehrheit, in diesem Hause geschehen.

Genau das ist der Punkt, warum ich behaupte: Einzelfälle, die wir ab und zu diskutieren, sind eigentlich keine Einzelfälle, sondern Hinweise darauf, dass in einem modernen europäischen Rechtsstaat und auch in Österreich die Frage der Immunität auf andere Art und Weise und näher an den Rechten der Bürgerinnen und Bürger geklärt werden muss. Das ist meine Meinung, und darüber hat auch eine Diskussion im grünen Klub begonnen.

Es ist für mich und für alle anderen nicht das geringste Problem, einfach zu sagen: Ja, da gibt es unterschiedliche Meinungen, weil viele der Gründe, die für die außerberufliche Immunität sprechen, zumindest von anständigen Motiven und von einer gewissen Berechtigung aus der Vergangenheit getragen werden.

Meine Damen und Herren! Wenn ich am Ende meinen Appell erneuere, dann hat das auch mit dieser Situation im österreichischen Nationalrat zu tun, in der es, auch wenn noch nicht alles ausdiskutiert ist, offensichtlich zwei Optionen im Rahmen der Immunität gibt und es in diesem Haus über die grüne Fraktion hinaus zwei unterschiedliche Vorstellungen gibt.


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Deswegen appelliere ich an Sie, in diesem Fall meinem persönlichen Ersuchen nachzukommen und mir die Chance zu geben, wie jede Bürgerin, wie jeder Bürger, wie jede Journalistin und jeder Journalist, meine Interessen mit rechtsstaatlichen Mitteln zu verteidigen. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

18.49

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Kukacka. Er hat das Wort. (Abg. Ing. Westenthaler: So, jetzt könnte man über den Sport reden oder auch über die Jagd! Der Präsident lässt ja über alles reden!)

18.50

Abgeordneter Mag. Helmut Kukacka (ÖVP): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Herr Kollege Pilz, jammern Sie nicht über Ihre gescheiterte Selbsteinladung beim ORF! (Heiterkeit und Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Nehmen Sie zur Kenntnis: Noch immer bestimmen unabhängige Journalisten in Österreich und auch beim ORF, wo, wann und zu welchen Anlass ein Politiker eingeladen wird! (Abg. Ing. Westenthaler: Sie brauchen ja Quote beim ORF!)

Sie von den Grünen bejammern immer, Sie wären benachteiligt, aber Sie selbst intervenieren offensichtlich, wenn Sie glauben, dass es in Ihrem politischen Interesse ist. Sie sind unglaubwürdig in diesen Fragen! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Sie, Herr Kollege Pilz, haben auch gesagt, Sie wären schon einmal ausgeliefert worden, und schon damals, haben Sie gesagt, sei es vermutlich Ziel der Justiz gewesen, Ihnen kein faires Verfahren zu geben. – Herr Kollege Pilz! Diese unverschämte Aussage weisen wir zurück! Sie versuchen, unseren Rechtsstaat in Misskredit zu bringen – aber wir werden das nicht zulassen! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ausdrücklich möchte ich feststellen: Die Unterstellung, wonach von Seiten der Regierung eine Rechtspolitik zur Einschüchterung der freien Meinungsäußerung und zur Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit betrieben wird, weisen wir ganz entschieden zurück, meine Damen und Herren!

Bei dieser Novellierung, die hier zur Diskussion steht – das wissen Sie so gut wie wir –, handelt es sich ausdrücklich um Bestimmungen zum Schutz von Interessen Dritter in einem anhängigen gerichtlichen Verfahren. Und dieser Schutz der Privatsphäre des Einzelnen darf nicht zu Lasten einer auch nur ansatzweisen Einschränkung der Pressefreiheit gehen! Dafür werden wir sorgen, meine Damen und Herren! (Neuerlicher Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wir lehnen es ab, dass dieses Thema von Ihnen ständig skandalisiert wird, um damit öffentlich zu verunsichern. Nehmen Sie doch zur Kenntnis, was etwa Professor Mayer gesagt hat, der Verfassungsexperte, der dem Justizminister politisch sicherlich nicht besonders nahe steht – ich zitiere –:

Mein Mitgefühl mit einem Journalisten, der sich hier bedroht sieht, hat Grenzen, denn es gibt ja schließlich auch einen Dritten, der ebenfalls ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf eine Privatsphäre hat. – Zitatende.

Entdramatisierung ist also angesagt, und § 301 StGB verbietet also nichts, sondern bedroht lediglich die Verletzung bestimmter gesetzlicher Verschwiegenheitspflichten mit gerichtlicher Strafe.

Fazit: Die Aufregung um den geplanten § 56 StPO – betrachtet man die Dinge nüchtern – ist reichlich überzogen, meine Damen und Herren!

Nehmen Sie auch zur Kenntnis, was die Wiener Rechtsanwaltskammer dazu gesagt hat – ich zitiere –:


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Die beabsichtigte strenge Bestrafung von Indiskretionen zu Lasten schutzwürdiger Interessen von Bürgern ist eine längst fällige Verschärfung von Verfahrensschutzbestimmungen. – Zitatende.

Die Aufgeregtheit über diese Novelle wertet die Kammer als Ausdruck eines "verwilderten Rechtsverständnisses". – Herr Kollege Pilz: "Verwildertes Rechtsverständnis", das ist es, was auf Ihre Position passt! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Herr Kollege Pilz, Sie führen ständig das Wort "Datenschutz" im Mund, selbst aber halten Sie sich nicht daran, was ja nicht nur diese eine, sondern unzählige Pressekonferenzen in den letzten Jahren bewiesen haben. Sich einerseits als Datenschützer aufzuspielen und die illegale Abfrage von EKIS-Daten als "Skandal" zu bezeichnen, andererseits aber ständig selbst Datenmissbrauch zu begehen, aus vertraulichen Akten zu zitieren und sie zu veröffentlichen, das ist doch ein leicht durchschaubares Spiel, das rechtsstaatlich unvertretbar ist, Herr Kollege! Das ist es doch, worum es hier geht! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ganz klar und eindeutig sage ich Ihnen, Herr Kollege Pilz: Sie eignen sich nicht als der politische Anwalt des Rechtsstaates in Österreich, denn Sie haben in der Vergangenheit oft genug bewiesen, dass Sie ein ungeordnetes Verhältnis zu Recht und Ordnung in unserem Lande haben! (Neuerlicher Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Sie, Herr Kollege Pilz, können deshalb heute nicht als politischer Moralist in diesen Fragen auftreten. Sie waren es, dem es vorbehalten war, zum ersten Mal in der Geschichte seit 1945 als aktiver Abgeordneter zum Rechtsbruch aufzufordern, als Sie nämlich zur Befehlsverweigerung aufgerufen haben, Herr Kollege Pilz! Und Sie waren es, der sich anlässlich der Opernball-Demonstrationen nicht von den Rechtsverletzungen und gewalttätigen Ausschreitungen distanziert, sondern diese sogar gerechtfertigt hat, der von einer bewussten Polizeiprovokation sprach. Also: Nicht die Gewalttäter, sondern die Schützer des Gesetzes waren Ihrer Ansicht nach schuld an den Ausschreitungen.

Das, Herr Kollege Pilz, war und ist Ihre Position! Wer so denkt und so handelt, der eignet sich nicht zur Verteidigung des Rechtsstaates, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wir werden aber Sie, Herr Dr. Pilz, trotzdem nicht ausliefern, weil es hiebei um eine ganz wesentliche, um eine grundsätzliche Frage geht: Es geht um den Schutz der Immunität, es geht um den Schutz der Abgeordneten bei ihrer Tätigkeit. Und dieses Rechtsgut bewerten wir höher als die Person des Kollegen Pilz. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

18.56

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Ofner. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 5 Minuten. – Bitte.

18.57

Abgeordneter Dr. Harald Ofner (Freiheitliche): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn Sie mich fragen: Wenn es nach Recht und Gerechtigkeit geht, gehört Abgeordneter Pilz natürlich ausgeliefert, das ist ganz klar. Aber weil wir alle wissen, oder weil viele von uns erkennen und durchschauen, dass er sich eine Auslieferung sehnlich wünscht, weil er seine erkaltende politische Suppe an diesem Feuerchen wärmen möchte, werde zumindest ich persönlich ihm diesen Gefallen nicht tun, meine Damen und Herren! (Heiterkeit und Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Da kann er noch so betteln darum! Da kann er noch so sehr unterstellen, um alle zu ärgern! Da kann er noch so provozieren, um die Abgeordneten gegen sich aufzubringen: Ich zumindest werde es nicht tun, ich falle ihm darauf nicht herein! Wenn er nur ein bisschen nachdenkt, oder andere denken vielleicht nach, die werden auf die Idee kommen, dass er nicht der Peter Pilz in allen ORF-Sendungen sein kann, nicht weil andere das verhindern wollen, sondern weil es dem ORF vielleicht um die Einschaltziffern geht, denn so ein Aufputz ist er ja längst nicht mehr. (Heiterkeit und Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)


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Jemand, der mit "Ede-Look" provoziert und der sich als der "Ede" von der Karikatur gebärdet, ist für den Österreichischen Rundfunk auf die Dauer keine Attraktivität! Und das sind wahrscheinlich die Hintergründe. (Neuerliche Heiterkeit bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Herr Abgeordneter Pilz ist jedenfalls um einige Schuhnummern zu klein für die Fußbekleidung eines Märtyrers, und wir werden ihm in diese Schuhe nicht hineinhelfen! (Heiterkeit und Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Bravo-Rufe bei den Freiheitlichen.)

18.58

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Klubobmann Professor Van der Bellen. Er hat das Wort. (Abg. Ing. Westenthaler: Der Pilz gehört in den "Kutscherhof"! Ab in den "Kutscherhof"! Und der Van der Bellen auch! – Abg. Mag. Schweitzer: Werden Sie ihn ausliefern? – Weitere Zwischenrufe bei den Freiheitlichen. – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.)

18.59

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! (Zwischenrufe.) Würden Sie freundlicherweise gestatten, dass ich meine kurze Rede halte? (Abg. Ing. Westenthaler: Der "Didi" wählt Sie als Ersten raus!) Würden Sie es gestatten? (Abg. Haigermoser: Fangen Sie an! – Anhaltende Zwischenrufe bei den Freiheitlichen. – Präsident Dr. Fischer gibt neuerlich das Glockenzeichen.)

Auf die Ausführungen von Herrn Ofner werde ich nicht eingehen. (Ironische Heiterkeit und weitere Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.) Welche Gründe ein ehemaliger Justizminister dafür findet, sein Abstimmungsverhalten hier im Saal zu motivieren, Herr Ofner, das fällt wirklich auf Sie zurück. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ. – Abg. Haigermoser: Jetzt sind Sie aber ein bisserl präpotent, Herr Meister! Herr Meister!)

Aber zu Herrn Kukacka: Ich weiß nicht, Herr Kukacka, ob Sie eine blasse Vorstellung davon haben, worüber dann die Abstimmung stattfinden wird, weswegen Kollege Pilz nämlich ausgeliefert werden soll – oder eben nicht. (Abg. Haigermoser: Alle haben keine Ahnung! Nur Sie!)

Sie, Herr Kollege Kukacka, gehen hier zum Rednerpult und zitieren aus einem Artikel von Heinz Mayer, einem Verfassungsrechtler, den ich ungemein schätze. (Abg. Haigermoser: Das ist Ihr Problem!) Sie zitieren auf eine Weise, dass jeder unbeteiligte Zuhörer den Eindruck haben muss, die Äußerungen Heinz Mayers – das, was Sie zitiert haben – stünden in irgendeinem Zusammenhang mit dem, was wir hier und jetzt diskutieren. – Das Gegenteil ist der Fall! Das, was Sie zitiert haben, Herr Kukacka, bezieht sich alles auf § 56 StPO. (Abg. Dr. Fekter: Das hat er auch gesagt! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Darf ich Ihnen vorlesen, was Heinz Mayer zu dem sagt, was hier zur Debatte steht? Kollege Pilz wird wegen § 301 StGB beschuldigt – und nicht wegen § 56. (Zwischenrufe bei der ÖVP. – Abg. Öllinger: Nachlesen Kukacka, letzter Absatz!)

Heinz Mayer schreibt zum § 301, nachdem er den § 56 ziemlich spöttisch kommentiert hat – ich zitiere –:

Diese Regelung ist verfassungsrechtlich außerordentlich fragwürdig und steht mit der Menschenrechtskonvention mehrfach in Konflikt. Ganz abgesehen von der absoluten Einschränkung der Meinungsfreiheit, die für sich allein schon mit Artikel 10 Menschenrechtskonvention nicht vereinbar ist, kollidiert die Regelung auch mit dem Öffentlichkeitsgebot des Artikels 6 Menschenrechtskonvention. Danach müssen Entscheidungen, die schwere Disziplinarstrafen beinhalten, jedenfalls öffentlich verkündet werden. – Zitatende.

Um den § 301 StGB geht es, Herr Kollege Kukacka! Vielleicht finden Sie ausnahmsweise einmal die Zeit, auch solche Artikel zu Ende zu lesen. Darum geht es in diesem Fall! Darum geht es!

Persönlich muss ich eines sagen: Nach diesem Verhalten von dieser Seite heute ... (Abg. Ing. Westenthaler: Ja, ja! – Abg. Haigermoser: Sie können Ihre Leichenbittermiene wieder absetzen! – Weitere Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)


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Es ist vielleicht ganz gut, wenn eine Menge dieser Zwischenrufe ins Protokoll kommen. Ich persönlich werde auf dem rechten Ohr langsam taub, aber wenn ich es dann im Protokoll lese, dann weiß ich, mit wem ich es zu tun habe. – Danke vielmals. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ. – Neuerliche Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Das Auslieferungsbegehren – wenn es negativ beschieden wird – hat ein Problem, und da hat mich Kollege Pilz überzeugt: Pilz wird vielleicht nicht ausgeliefert, aber die Journalisten, die über einen wahrheitsgemäßen Bericht wahrheitsgemäß berichtet haben, werden mit dem § 301 StGB mit Haftstrafen und Geldstrafen bedroht. (Anhaltende Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Das ist eine unmögliche Situation, Herr Kollege Khol! Das ist eine unmögliche Situation, und deswegen würde ich persönlich – ich möchte meinem Klub in keiner Weise vorgreifen – es gerne sehen, dass Pilz auf einer Anklagebank das wiederholen kann, was er heute hier gesagt hat. Und dann möchte ich sehen, was schwerer wiegt: § 301 StGB in der Interpretation der FPÖ – oder die Menschenrechtskonvention.

Ich werde dem Begehren von Pilz nachkommen. (Beifall bei den Grünen.)

19.03

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Damit schließe ich diese Debatte.

Seitens des Berichterstatters liegt kein Wunsch auf ein Schlusswort vor.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Antrag, den der Immunitätsausschuss einstimmig gefasst hat.

Der Nationalrat möge Folgendes beschließen:

1. In Behandlung des Ersuchens des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 27. März 2001 um Zustimmung zur behördlichen Verfolgung des Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Peter Pilz wird im Sinne des Artikels 57 Abs. 3 der Bundesverfassung festgestellt, dass ein Zusammenhang zwischen der in diesem Verfahren inkriminierten strafbaren Handlung und der politischen Tätigkeit des Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Peter Pilz besteht.

2. Einer behördlichen Verfolgung des Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Peter Pilz wird nicht zugestimmt.

*****

Es war bisher unsere Praxis, dass wir über einen solchen Antrag des Immunitätsausschusses unter einem abgestimmt haben. Es liegt mir aber das geschäftsordnungsmäßige Verlangen vor, über diese beiden Teile des Beschlusses getrennt abzustimmen, und daher werde ich so vorgehen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem Punkt 1 des Antrags des Immunitätsausschusses, nämlich der Feststellung eines Zusammenhangs mit der politischen Tätigkeit zustimmen, um ein Zeichen. – Dies ist einstimmig so beschlossen. Der erste Punkt ist einstimmig beschlossen.

Weiters stimmen wir ab über den zweiten Teil des Antrags des Immunitätsausschusses: Einer behördlichen Verfolgung des Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Peter Pilz wird nicht zugestimmt.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen zweiten Teil des Antrags des Immunitätsausschusses stimmen, um ein Zeichen. – Ich stelle fest, der Nationalrat hat diesem zweiten Teil mit Mehrheit zugestimmt und das daher angenommen.

Die Tagesordnung ist erschöpft.


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Einlauf

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich gebe noch bekannt, dass in der heutigen Sitzung die Selbständigen Anträge 439/A bis 445/A eingebracht wurden.

Ferner sind die Anfragen 2445/J bis 2478/J eingelangt.

*****

Die nächste Sitzung des Nationalrates ist für Mittwoch, den 6. Juni 2001, um 9 Uhr in Aussicht genommen. Die Einberufung dieser Sitzung wird auf schriftlichem Wege erfolgen.

Die heutige Sitzung ist geschlossen.

Schluss der Sitzung: 19.06 Uhr