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35. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

 

XX. Gesetzgebungsperiode

 

Mittwoch, 10., und Donnerstag 11. Juli 1996

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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35. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

XX. Gesetzgebungsperiode

Mittwoch, 10., und Donnerstag, 11. Juli 1996

Dauer der Sitzung

Mittwoch, 10. Juli 1996: 9.00 – 24.00 Uhr

Donnerstag, 11. Juli 1996:0.00 – 3.41 Uhr

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Tagesordnung

1. Punkt: Sozialrechts-Änderungsgesetz 1996 – SRÄG 1996

2. Punkt: 21. Novelle zum Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz

3. Punkt: 20. Novelle zum Bauern-Sozialversicherungsgesetz und 9. Novelle zum Betriebshilfegesetz

4. Punkt: 24. Novelle zum Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz

5. Punkt: 9. Novelle zum Freiberuflichen Sozialversicherungsgesetz – FSVG

6. Punkt: 8. Novelle zum Notarversicherungsgesetz

7. Punkt: Bericht über den Antrag 246/A (E) der Abgeordneten Dr. Brigitte Povysil und Genossen betreffend Gesamtverträge für Heilbehelfe

8. Punkt: Bericht über den Antrag 247/A (E) der Abgeordneten Dr. Alois Pumberger und Genossen betreffend Rücknahme des Belastungspakets im Bereich der Krankenversicherung – Einsparungen vor neuen Belastungen

9. Punkt: Bericht über den Antrag 131/A (E) der Abgeordneten Ute Apfelbeck und Genossen betreffend Einbeziehung aller Tätigkeiten freiwilliger Hilfsorganisationen in den Unfallversicherungsschutz

10. Punkt: Bericht über den Antrag 164/A der Abgeordneten Mag. Thomas Barmüller und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das ASVG geändert wird

11. Punkt: Bericht über den Antrag 226/A der Abgeordneten Edith Haller und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wird


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35. Sitzung / Seite 2

12. Punkt: Bericht über den Antrag 53/A (E) der Abgeordneten Mares Rossmann und Genossen betreffend Förderungsmaßnahmen für Saisonbetriebe zur Entlastung der Arbeitslosenversicherung durch eine Verlängerung der Saison

13. Punkt: Bericht über den Antrag 66/A der Abgeordneten Mag. Helmut Peter und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitszeitgesetz geändert wird

14. Punkt: Bundesgesetz über die Regelung der Arbeit in Backwaren-Erzeugungsbetrieben (Bäckereiarbeiter/innengesetz 1996 – BäckAG 1996) und über Änderungen des Bundesgesetzes über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen 1987 und des Arbeitsruhegesetzes

15. Punkt: Bericht über den Antrag 242/A der Abgeordneten Friedrich Verzetnitsch, Dr. Gottfried Feurstein und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz, das Arbeitsverfassungsgesetz, das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz und das Einkommensteuergesetz 1988 geändert werden

16. Punkt: Bericht über den Antrag 224/A der Abgeordneten Robert Elmecker, Paul Kiss und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Fremdengesetz geändert wird (FrG-Novelle 1996) und

über den Antrag 222/A der Abgeordneten Dr. Volker Kier und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Fremden (Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992), in der geltenden Fassung, geändert wird

17. Punkt: Grenzkontrollgesetz – GrekoG

18. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 geändert wird, und

Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 geändert wird, sowie

Bericht über den Antrag 220/A der Abgeordneten Dr. Ilse Mertel und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376, zuletzt geändert durch das Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 201/1996, geändert wird

19. Punkt: Bericht über den Antrag 24/A (E) der Abgeordneten Edith Haller und Genossen betreffend Änderung des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967

20. Punkt: Bericht über den Antrag 150/A der Abgeordneten Peter Rosenstingl und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 geändert wird

21. Punkt: Bericht über den Antrag 176/A (E) der Abgeordneten Mag. Dr. Udo Grollitsch und Genossen betreffend Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der vom Strukturanpassungsgesetz zum Familienlastenausgleichsgesetz massiv betroffenen Studenten

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35. Sitzung / Seite 3

Inhalt

Personalien

Ordnungsruf 71

Geschäftsbehandlung

Forderung der Abgeordneten Dr. Helene Partik-Pablé , die Art und Weise der Reaktion des Abgeordneten Andreas Wabl auf Ausführungen des Abgeordneten Dr. Jörg Haider entsprechend zu sanktionieren 13

Feststellungen des Präsidenten Dr. Heinz Fischer zur Forderung der Abgeordneten Dr. Helene Partik-Pablé 13, 31

Redezeitbeschränkung nach Beratung in der Präsidialkonferenz gemäß § 57 Abs. 3 Z. 2 der Geschäftsordnung 31

Unterbrechungen der Sitzung 113, 233

Verlangen auf Durchführung einer namentlichen Abstimmung 232

Einwendungen des Abgeordneten Dr. Peter Kostelka gegen die Tagesordnung der 36. Sitzung des Nationalrates gemäß § 50 Abs. 1 der Geschäftsordnung 275

Wortmeldung des Abgeordneten Mag. Johann Ewald Stadler zu den Einwendungen des Abgeordneten Dr. Peter Kostelka 275

Durchführung einer Debatte gemäß § 50 Abs. 1 der Geschäftsordnung 275

Redner:

Mag. Johann Ewald Stadler 276

Dr. Andreas Khol 276

Dr. Michael Krüger 277

Dr. Harald Ofner 277

Einwendungen finden die Mehrheit 278

Fragestunde (3.)

Arbeit und Soziales 13

Mag. Herbert Haupt (17/M); Mag. Dr. Josef Trinkl, Winfried Seidinger, Dr. Volker Kier

Dr. Gottfried Feurstein (19/M); Helmut Dietachmayr, Josef Meisinger, Karl Öllinger

Dr. Volker Kier (23/M); Maria Rauch-Kallat, Heidrun Silhavy, Edith Haller

Mag. Walter Guggenberger (21/M); Dr. Helene Partik-Pablé, Mag. Dr. Alfred Brader, Theresia Haidlmayr

Karl Öllinger (24/M); Dkfm. Dr. Günter Puttinger, Dr. Elisabeth Pittermann, Dr. Alois Pumberger

Mag. Herbert Haupt (18/M); Wolfgang Großruck, Sophie Bauer, Dr. Volker Kier


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35. Sitzung / Seite 4

Dkfm. Dr. Günter Stummvoll (20/M); Eleonora Hostasch, Sigisbert Dolinschek, Karl Öllinger

Annemarie Reitsamer (22/M); Johannes Zweytick, Elfriede Madl, Dr. Volker Kier

Ausschüsse

Zuweisungen 31

Dringliche Anfrage

der Abgeordneten Mag. Doris Kammerlander und Genossen an den Bundeskanzler betreffend "Immerwährende Neutralität" Österreichs (989/J) 113

Begründung: Mag. Doris Kammerlander 115

Bundeskanzler Dkfm. Dr. Franz Vranitzky 122

Debatte:

MMag. Dr. Madeleine Petrovic 126

Peter Schieder 130

Dr. Alois Mock 132

Herbert Scheibner 136

Dr. Friedhelm Frischenschlager 140

Karl Öllinger 143

Anton Gaál 147

Hans Helmut Moser 149

Rudolf Anschober 152

Dr. Alfred Gusenbauer 156

Dr. Alexander Van der Bellen 158

Dr. Volker Kier 159

Mag. Doris Kammerlander 160

Andreas Wabl 163

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Doris Kammerlander und Genossen betreffend Abhaltung einer Volksabstimmung über die immerwährende Neutralität Österreichs bei einem WEU- oder NATO-Beitritt – Ablehnung 129, 166

Dringliche Anfrage

der Abgeordneten Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn und Genossen an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten betreffend Semperit – Ende eines traditionsreichen österreichischen Unternehmens (990/J) 166

Begründung: Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn 170

Bundesminister Dr. Johann Farnleitner 175

Debatte:

Dr. Jörg Haider 179

Franz Kampichler 183

Friedrich Verzetnitsch 185

Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn (tatsächliche Berichtigung) 188

Dr. Hans Peter Haselsteiner 188

Dr. Alexander Van der Bellen 191

Peter Rosenstingl 194

Dr. Willi Fuhrmann 197

Dr. Jörg Haider (tatsächliche Berichtigungen) 201, 223


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35. Sitzung / Seite 5

Mag. Reinhard Firlinger 201

Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn 204

Mag. Herbert Kaufmann 206

Hans Helmut Moser 209

Bundesminister Dr. Johann Farnleitner 213

Hermann Mentil 213

Peter Marizzi 217

Josef Trenk 219

Georg Wurmitzer 221

Dipl.-Ing. Maximilian Hofmann 223

Mag. Gilbert Trattner 226

Dr. Volker Kier 22


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35. Sitzung / Seite 6

8

Helmut Haigermoser 229

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn und Genossen betreffend Maßnahmen zur Rettung der Semperit Reifen AG und der übrigen österreichischen Kfz-Zulieferindustrie – Ablehnung 197, 231

Verhandlungen

Gemeinsame Beratung über

1. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (214 d. B.): Sozialrechts-Änderungsgesetz 1996 – SRÄG 1996 (286 d. B.)

2. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (215 d. B.): Bundesgesetz, mit dem das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz geändert wird (21. Novelle zum GSVG) (287 d. B.)

3. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (216 d. B.): Bundesgesetz, mit dem das Bauern-Sozialversicherungsgesetz (20. Novelle zum BSVG) und das Betriebshilfegesetz (9. Novelle zum BHG) geändert werden (288 d. B.)

Berichterstatterin: Dr. Elisabeth Pittermann 34

4. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (217 d. B.): Bundesgesetz, mit dem das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz geändert wird (24. Novelle zum B-KUVG) (289 d. B.)

5. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (218 d. B.): Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Sozialversicherung freiberuflich selbständig Erwerbstätiger geändert wird (9. Novelle zum Freiberuflichen Sozialversicherungsgesetz – FSVG) (290 d. B.)

6. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (219 d. B.): Bundesgesetz, mit dem das Notarversicherungsgesetz 1972 geändert wird (8. Novelle zum NVG) (291 d. B.)

Berichterstatterin: Edeltraud Gatterer 35

7. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 246/A (E) der Abgeordneten Dr. Brigitte Povysil und Genossen betreffend Gesamtverträge für Heilbehelfe (292 d. B.)

8. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 247/A (E) der Abgeordneten Dr. Alois Pumberger und Genossen betreffend Rücknahme des Belastungspakets im Bereich der Krankenversicherung – Einsparungen vor neuen Belastungen (293 d. B.)

9. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 131/A (E) der Abgeordneten Ute Apfelbeck und Genossen betreffend Einbeziehung aller Tätigkeiten freiwilliger Hilfsorganisationen in den Unfallversicherungsschutz (294 d. B.)

10. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 164/A der Abgeordneten Mag. Thomas Barmüller und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das ASVG geändert wird (295 d. B.)

11. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 226/A der Abgeordneten Edith Haller und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wird (296 d. B.)

Berichterstatterin: Dr. Elisabeth Pittermann 34

12. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 53/A (E) der Abgeordneten Mares Rossmann und Genossen betreffend Förderungsmaßnahmen für Saisonbetriebe zur Entlastung der Arbeitslosenversicherung durch eine Verlängerung der Saison (297 d. B.)

Berichterstatterin: Edeltraud Gatterer 35

13. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 66/A der Abgeordneten Mag. Helmut Peter und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitszeitgesetz geändert wird (299 d. B.)

Berichterstatterin: Annemarie Reitsamer 35

14. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (177 d. B.): Bundesgesetz über die Regelung der Arbeit in Backwaren-Erzeugungsbetrieben (Bäckereiarbeiter/innengesetz 1996 – BäckAG 1996) und über Änderungen des Bundesgesetzes über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen 1987 und des Arbeitsruhegesetzes (300 d. B.)

Berichterstatter: Mag. Dr. Josef Trinkl 36

15. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 242/A der Abgeordneten Friedrich Verzetnitsch, Dr. Gottfried Feurstein und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz, das Arbeitsverfassungsgesetz, das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz und das Einkommensteuergesetz 1988 geändert werden (301 d. B.)

Berichterstatterin: Annemarie Reitsamer 36

Redner:

Mag. Herbert Haupt 36

Annemarie Reitsamer 43

Dr. Volker Kier 46

Dr. Gottfried Feurstein 51

Dr. Volker Kier (tatsächliche Berichtigung) 53


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35. Sitzung / Seite 7

Karl Öllinger 53

Bundesminister Franz Hums 62, 71, 88

Eleonora Hostasch 66

Dr. Alois Pumberger 68

Karl Donabauer 72

Dr. Alois Pumberger (tatsächliche Berichtigung) 74

Mag. Helmut Peter 74

Marianne Hagenhofer 77

Theresia Haidlmayr 78

Dkfm. Dr. Günter Stummvoll 8


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35. Sitzung / Seite 8

1

Elfriede Madl 82

Sophie Bauer 84

Klara Motter 85

Ridi Steibl 87

Ing. Mathias Reichhold 90

Heidrun Silhavy 92

Mag. Thomas Barmüller 93

Mag. Dr. Josef Trinkl 94

Sigisbert Dolinschek 95

Winfried Seidinger 99

Edith Haller 101

Edeltraud Gatterer 103

Dr. Brigitte Povysil 104

Wolfgang Großruck 106

Josef Meisinger 109

Mares Rossmann 110

Anna Elisabeth Aumayr 110

Robert Wenitsch 111

Hermann Böhacker 111

Annahme der Gesetzentwürfe in 286 (namentliche Abstimmung), 287, 288, 289, 290, 291, 300 und 301 d. B. 231, 238

Kenntnisnahme der Ausschußberichte 292, 293, 294, 295, 296, 297 und 299 d. B. 237

Entschließungsantrag der Abgeordneten Karl Öllinger und Genossen betreffend Werkvertragsregelungen – Ablehnung 80, 235

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Volker Kier und Genossen betreffend das Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (53. Novelle zum ASVG) geändert wird – Ablehnung 87, 235

Entschließungsantrag der Abgeordneten Anna Elisabeth Aumayr und Genossen betreffend Leistungen nach dem AIVG für Nebenerwerbsbauern – Ablehnung 91, 236

Gemeinsame Beratung über

16. Punkt: Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten über den Antrag 224/A der Abgeordneten Robert Elmecker, Paul Kiss und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Fremdengesetz geändert wird (FrG-Novelle 1996) und

über den Antrag 222/A der Abgeordneten Dr. Volker Kier und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Fremden (Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992), in der geltenden Fassung, geändert wird (204 d. B.)

Berichterstatter: Emmerich Schwemlein 239

17. Punkt: Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten über die Regierungsvorlage (114 d. B.): Grenzkontrollgesetz – GrekoG (205 d. B.)

Berichterstatterin: Ludmilla Parfuss 239

Redner:

Dr. Helene Partik-Pablé 239

Mag. Terezija Stoisits (tatsächliche Berichtigung) 242

Robert Elmecker 242

Dr. Volker Kier 244

Günther Platter 245

Mag. Terezija Stoisits 246

Anton Leikam 248

Herbert Scheibner 248

Wolfgang Großruck 250

Maria Schaffenrath 251

Franz Lafer 252

Annahme der Gesetzentwürfe in 204 und 205 d. B. 253

Gemeinsame Beratung über

18. Punkt: Bericht des Familienausschusses über die Regierungsvorlage (188 d. B.): Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 geändert wird, und

über die Regierungsvorlage (220 d. B.): Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 geändert wird, sowie

über den Antrag 220/A der Abgeordneten Dr. Ilse Mertel und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376, zuletzt geändert durch das Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 201/1996, geändert wird (232 d. B.)

19. Punkt: Bericht des Familienausschusses über den Antrag 24/A (E) der Abgeordneten Edith Haller und Genossen betreffend Änderung des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (234 d. B.)

Berichterstatter: Matthias Ellmauer 256

20. Punkt: Bericht des Familienausschusses über den Antrag 150/A der Abgeordneten Peter Rosenstingl und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 geändert wird (235 d. B.)

Berichterstatterin: Hannelore Buder 260

21. Punkt: Bericht des Familienausschusses über den Antrag 176/A (E) der Abgeordneten Dr. Udo Grollitsch und Genossen betreffend Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der vom Strukturanpassungsgesetz zum Familienlastenausgleichsgesetz massiv betroffenen Studenten (236 d. B.)

Berichterstatter: Matthias Ellmauer 257

Redner:

Edith Haller 258, 273

Dr. Sonja Moser 260

Klara Motter 261

Dr. Ilse Mertel 262

Karl Öllinger 264


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35. Sitzung / Seite 9

Bundesminister Dr. Martin Bartenstein 265

Rosemarie Bauer 267

Mag. Dr. Udo Grollitsch 268

Gabriele Binder 270

Franz Koller 271

Elfriede Madl 271

Annahme des Gesetzentwurfes in 232 d. B. 274

Kenntnisnahme der Ausschußberichte 234, 235 und 236 d. B. 274

Eingebracht wurden

Anträge der Abgeordneten

Mag. Herbert Haupt und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz zur Gleichstellung nichtöffentlicher und öffentlicher Krankenanstalten geändert wird (264/A)

Edith Haller und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz zugunsten der Tagesmütter (Tagesväter) geändert wird (265/A)

Mag. Dr. Josef Höchtl und Genossen betreffend Maßnahmen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung im Bereich des festsitzenden Zahnersatzes (266/A) (E)

Edith Haller und Genossen betreffend Kinderbetreuungsscheck (267/A) (E)

Dr. Friedhelm Frischenschlager und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Presseförderungsgesetz und das Bundesgesetz über die Förderung politischer Bildungsarbeit und Publizistik geändert werden (268/A)

Edith Haller und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, das Gehaltsgesetz 1956, das Pensionsgesetz 1965 und das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1984 und das Land- und forstwirtschaftliche Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1985 geändert werden (269/A)

Karlheinz Kopf, Otmar Brix und Genossen betreffend Nationalpark Donau-Auen (270/A) (E)

Anfragen der Abgeordneten

Mag. Doris Kammerlander und Genossen an den Bundeskanzler betreffend "Immerwährende Neutralität" Österreichs (989/J)

Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn und Genossen an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten betreffend Semperit – Ende eines traditionsreichen österreichischen Unternehmens (990/J)

Karl Gerfried Müller und Genossen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft betreffend Aufteilung der Katastrophenfondsmittel innerhalb des Landwirtschaftsbudgets für 1996 (991/J)

Fritz Neugebauer und Genossen an den Bundesminister für Wissenschaft, Verkehr und Kunst betreffend die Fahrplangestaltung der ÖBB (992/J)


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35. Sitzung / Seite 10

Dkfm. Holger Bauer und Genossen an den Bundesminister für Arbeit und Soziales betreffend Zustimmung zur Kündigung von Dkfm. Dr. Dieter Wintersberger (993/J)

Dkfm. Holger Bauer und Genossen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Vorfälle im Zusammenhang mit der Kündigung von Dkfm. Dr. Dieter Wintersberger (994/J)

DDr. Erwin Niederwieser und Genossen an die Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten betreffend Vorbereitung der Lehrerinnen und Lehrer auf integrationspädagogische Aufgaben (995/J)

Franz Riepl und Genossen an den Bundesminister für Inneres betreffend benachteiligende Gesetzeslage für ehrliche Finder von nicht gewahrsamsfrei aufgefundenen Sachen (996/J)

Franz Riepl und Genossen an den Bundesminister für Justiz betreffend benachteiligende Gesetzeslage für ehrliche Finder von nicht gewahrsamsfrei aufgefundenen Sachen (997/J)

Mag. Dr. Udo Grollitsch und Genossen an den Bundeskanzler betreffend die Verteilung der Sportförderungsmittel besonderer Art (998/J)

Mag. Dr. Udo Grollitsch und Genossen an den Bundeskanzler betreffend Voraussetzungen zur Gewährung von Sportstättenförderungen (999/J)

Mag. Dr. Udo Grollitsch und Genossen an den Bundeskanzler betreffend Allgemeine Sportförderung (1000/J)

Mag. Dr. Udo Grollitsch und Genossen an den Bundesminister für Wissenschaft, Verkehr und Kunst betreffend Zweifel an der Effizienz des im UOG 1993 vorgesehenen Universitätenkuratoriums (1001/J)

Dipl.-Ing. Leopold Schöggl und Genossen an den Bundesminister für Landesverteidigung betreffend Bundesgebäudeverwaltung im Bundesheerbereich (1002/J)

Dipl.-Ing. Leopold Schöggl und Genossen an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten betreffend European Loan Insurance Scheme for Employment (ELISE) (1003/J)

Helmut Haigermoser und Genossen an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten betreffend das Vertriebsverbot des Getränkes Red Bull in Italien (1004/J)

Helmut Haigermoser und Genossen an den Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten betreffend die Begnadigung ehemaliger österreichischer Südtirol-Aktivisten (1005/J)

Helmut Haigermoser und Genossen an den Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten betreffend die Ortsnamensgebung in Südtirol (1006/J)

Helmut Haigermoser und Genossen an den Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten betreffend die sogenannte 137er Kommission (1007/J)

Helmut Haigermoser und Genossen an den Bundesminister für Wissenschaft, Verkehr und Kunst betreffend die Anerkennung akademischer Grade zwischen Österreich und Italien (1008/J)

Helmut Haigermoser und Genossen an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten betreffend die Gebrauchsabgabe für Stromleitungen in der Stadt Salzburg (1009/J)


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35. Sitzung / Seite 11

Dr. Jörg Haider und Genossen an den Bundeskanzler betreffend Kärntner EU-Forderungsprogramm (1010/J)

Dr. Helene Partik-Pablé und Genossen an den Bundesminister für Inneres betreffend die Förderung des Flüchtlingsprojektes "Dobro Došli" (1011/J)

Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn und Genossen an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten betreffend Ausbau der Drautal Bundesstraße (B100) (1012/J)

Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn und Genossen an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten betreffend Errichtung des Autobahnteilstückes Wels – Sattledt (1013/J)

Hermann Mentil und Genossen an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten betreffend Böhler Ybbstalwerke/Gemeinde Sonntagberg (1014/J)

Mag. Gilbert Trattner und Genossen an die Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend Neubau des Bezirkskrankenhauses Kufstein (1015/J)

Peter Rosenstingl und Genossen an den Bundesminister für Wissenschaft, Verkehr und Kunst betreffend ein Fahrverbot für Lastkraftwagen auf der Bundesstraße B 19 zwischen Tulln und Sankt Christophen (1016/J)

Dr. Helene Partik-Pablé und Genossen an den Bundesminister für Inneres betreffend Planeinsparungen im Bereich der Gendarmerieposten des Burgenlandes (1017/J)

Edith Haller und Genossen an den Bundesminister für Arbeit und Soziales betreffend die Sondernotstandshilfe (1018/J)

Dipl.-Ing. Leopold Schöggl und Genossen an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten betreffend Bundesgebäudeverwaltung im Bundesheerbereich (1019/J)

Peter Rosenstingl und Genossen an den Bundesminister für Wissenschaft, Verkehr und Kunst betreffend Interpretation des Vollzugsbereichs durch den Verkehrsminister (1020/J)

Peter Rosenstingl und Genossen an den Bundesminister für Wissenschaft, Verkehr und Kunst betreffend Unfallserie bei den ÖBB (1021/J)

Mag. Herbert Haupt und Genossen an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten betreffend Beschäftigung von Schwarzarbeitern bei öffentlichen Bauvorhaben (1022/J)

Dr. Helene Partik-Pablé und Genossen an den Bundesminister für Inneres betreffend Kindesmißhandlung in Salzburg (1023/J)

Robert Sigl und Genossen an den Bundesminister für Wissenschaft, Verkehr und Kunst betreffend Überholverbot für Lastkraftwägen auf Autobahnen (1024/J)

Anfragebeantwortungen

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Abgeordneten Dr. Martin Graf und Genossen (595/AB zu 652/J)

des Bundesministers für Arbeit und Soziales auf die Anfrage der Abgeordneten Ing. Monika Langthaler und Genossen (596/AB zu 678/J)


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35. Sitzung / Seite 12

des Bundesministers für Arbeit und Soziales auf die Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Großruck und Genossen (597/AB zu 692/J)

des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten auf die Anfrage der Abgeordneten Mag. Johann Maier und Genossen (598/AB zu 562/J)

des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten auf die Anfrage der Abgeordneten Peter Marizzi und Genossen (599/AB zu 644/J)


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Beginn der Sitzung: 9 Uhr

Vorsitzende: Präsident Dr. Heinz Fischer , Zweiter Präsident Dr. Heinrich Neisser , Dritter Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder .

*****

Präsident Dr. Heinz Fischer: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf Sie herzlich begrüßen. Ich eröffne die 35. Sitzung des Nationalrates. (Abg. Dr. Helene Partik-Pablé: Zur Geschäftsordnung!)

Bitte, zur Geschäftsordnung.

Abgeordnete Dr. Helene Partik-Pablé (Freiheitliche) (zur Geschäftsbehandlung) : Herr Präsident! Aus den Medien geht hervor, wie Herr Wabl gestern auf die Rede des Abgeordneten Haider reagiert hat, nämlich in einer sehr obszönen Art und Weise. Ich würde Sie bitten, daß Sie entsprechende Sanktionen gegen Wabl unternehmen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich habe dieses Problem gestern schon mit Herrn Klubobmann Stadler erörtert.

Fragestunde

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir gelangen zur Fragestunde.

Ich beginne jetzt – um 9.01 Uhr – mit dem Aufruf der Anfragen.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir kommen zur 1. Anfrage, 17/M: Abgeordneter Mag. Haupt (Freiheitliche) an den Bundesminister für Arbeit und Soziales.

Ich darf Herrn Abgeordneten Haupt bitten, diese seine Frage zu formulieren.

Abgeordneter Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

17/M

Welche konkreten Maßnahmen haben Sie gesetzt, um den Mißbrauch im Bereich der Krankenversicherung einzudämmen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Im Bereich der Krankenversicherung gibt es institutionell eine sicher ausreichende Summe von Maßnahmen und organisatorischen Vorkehrungen gegen Mißbrauch. Ich möchte nur einige davon hier erwähnen:

Im Bereich der Kontrolle, ob die Leistungen richtig erbracht werden, wird zunächst einmal innerhalb der Versicherungen, der Versicherungsträger natürlich die Anspruchsvoraussetzung geprüft, beispielsweise, ob die Angehörigeneigenschaft gegeben ist oder ob die Versicherung überhaupt gegeben ist. Es wird auch bei der Leistungserbringung kontrolliert. Es gibt beispielsweise im Bereich der Erbringung der Leistung des Krankengeldes Kontrollen. Es gibt für bestimmte Leistungen auch chefärztliche Kontrollen.

Darüber hinaus gibt es die Kontrolle im Bereich der Beziehungen zu den Vertragspartnern, wo die Abrechnungsunterlagen geprüft werden. Es gibt stichprobenweise Prüfungen, ob die ver


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rechneten Leistungen auch tatsächlich erbracht werden. Gleichzeitig wird nach statistischen Auswertungen auch die Glaubwürdigkeit von Leistungshäufigkeiten überprüft, und es werden dann ebenfalls durch Stichproben entsprechende weitere Prüfungsmaßnahmen gesetzt.

Auch im Bereich aller übrigen Leistungen kommt es zu solchen Prüfungen.

Entscheidend ist auch, daß im Bereich der Beitragsleistungen der Dienstgeber von eigenen Organisationseinheiten geprüft wird, ob die Meldepflicht erfüllt wird, ob die Beitragszahlungen geleistet werden.

Innerhalb der Versicherungsträger gibt es ebenfalls – und das ist ganz besonders wichtig – einen sehr guten Mechanismus der Kontrolle: von der inneren Revision bis zur Kontrolle der gesamten Gebarung durch die Kontrollversammlung, durch die Einschau der Organe des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und letztendlich durch die Gebarungsprüfung durch den Rechnungshof.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich nehme an, es wird eine Zusatzfrage gewünscht. – Bitte sehr.

Abgeordneter Mag. Herbert Haupt: Herr Bundesminister! Sie haben auch Kontrollmaßnahmen für den Bereich des Krankenstandes erwähnt. Am 8. März. 1996 hat Ihnen ein Wiener Unternehmer einen ausführlichen Schriftverkehr im Zusammenhang mit Mißbräuchen im Bereiche der Krankenstände der Wiener Gebietskrankenkasse – hochgerechnet auf zwei Jahre etwa 19 Milliarden Schilling für alle Versicherten bei der Wiener Gebietskrankenkasse – übermittelt. Bis heute hat es darauf keine Reaktion von seiten Ihres Ministeriums gegeben. Was haben Sie in dieser Angelegenheit konkret unternommen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Alle diese konkreten Angelegenheiten gehen von meinem Ministerium an den dafür zuständigen Hauptverband und an die Sozialversicherungsträger, die die Ermittlungen durchführen und nach Abschluß der Ermittlungen dann berichten. Auch dieser Fall wird weiter geprüft, soweit das nicht bereits im Rahmen der zuständigen Versicherung geschehen ist. Von dieser Versicherung werden dann sicher auch die entsprechenden Maßnahmen getroffen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke.

Zusatzfrage: Kollege Dr. Trinkl.

Abgeordneter Mag. Dr. Josef Trinkl (ÖVP): Herr Minister Hums! Da Krankschreibungen gewaltige kostenmäßige Konsequenzen haben – ich denke da an die Arztkosten, an das Krankengeld, an die Entgeltfortzahlung und dergleichen mehr –, darf ich Sie fragen: Gibt es in diesem Zusammenhang auch Überprüfungen in anderen Bundesländern, und gibt es zwischen den Überprüfungsergebnissen der Bundesländer signifikante Unterschiede?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Mir sind signifikante Unterschiede zwischen den Überprüfungsergebnissen der Bundesländer nicht bekannt. Selbstverständlich gibt es diese Überprüfungen in allen Bereichen. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß im Bereich der einzelnen Krankenversicherungsträger dafür eigene Außendienstmitarbeiter und auch der kontrollärztliche Dienst tätig sind. Im übrigen geschehen diese Kontrollen im Rahmen der Selbstverwaltung der einzelnen Krankenversicherungsträger.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Herr Kollege.

Abgeordneter Winfried Seidinger (SPÖ): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Wir wissen, daß im Jahre 1993 die Krankenanstalten noch ausgeglichen bilanziert haben, daß aber die Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen von 1994 an weiter aufgegangen ist. Meine konkrete Frage


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daher: Welche Maßnahmen haben Sie gesetzt, um diese Ausgabensteigerungen einzudämmen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Bei den Ausgabensteigerungen ist zunächst einmal auf die Ursache einzugehen. Es gibt zwei grundsätzliche Probleme: Zum ersten gibt es Kostensteigerungen, deren Ursachen positiver Natur sind: Die Menschen leben erfreulicherweise länger, die Medizin macht Fortschritte, es gibt laufend neue Methoden der Diagnose und der Therapie. Die damit verbundenen Kostensteigerungen gehen also auf eine positive Ursache zurück. Diese wollen wir auch in Zukunft weiter abdecken.

Daneben gibt es Kostensteigerungen, die vermeidbar sind, Kostensteigerungen, die durch bessere Organisation, durch konsequente Verhandlungen mit den Vertragspartnern eingedämmt werden können. Bezüglich dieses Bereiches hat es in den letzten Monaten eine Reihe von Verhandlungen meinerseits mit dem Hauptverband und dann von seiten des Hauptverbandes mit der Pharmaindustrie, mit der Apothekerkammer, mit den Ärzten und mit den Herstellern von Heilbehelfen und Hilfsmitteln gegeben. Diese haben ergeben, daß wir in diesen Bereichen in den nächsten Jahren Kosteneinsparungen und Kostendämpfungen erzielen werden. Diese werden im Bereich der Gebietskrankenkassen für das nächste Jahr ungefähr 4 Milliarden Schilling ausmachen.

Die Kostenschere ist übrigens auch dadurch weiter aufgegangen, weil aufgrund der schwächeren Wirtschaftsentwicklung die Einnahmensteigerungen geringer als in den Vorjahren sind. Aber, wie gesagt, zwei Drittel von den Kostenentwicklungen, die zu einem Defizit geführt haben, werden durch kostensenkende Maßnahmen hereingebracht.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Zusatzfrage: Dr. Kier.

Abgeordneter Dr. Volker Kier (Liberales Forum): Herr Bundesminister! Durch die heute aller Voraussicht nach zu beschließenden neuen Regelungen über die Sozialversicherungspflicht bei dienstnehmerähnlichen Werkverträgen wird ein neues Mißbrauchsfeld entstehen, und zwar insoferne, als die davon betroffenen Personen mehrfach versichert sind, wenn sie daneben ein Dienstverhältnis haben. Werden Sie durch organisatorische Maßnahmen vorsorgen können, daß nicht das passiert, was schon gelegentlich in den Raum gestellt wurde, nämlich daß man dann zweimal die Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen kann?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Das wird sicher durch organisatorische Maßnahmen geschehen. Es wird aber viele Fälle geben, wo eine zweifache Inanspruchnahme von vornherein ausgeschlossen ist: beispielsweise im Bereich der Unfallversicherung, beispielsweise im Bereich der Krankenversicherung, wo für einen Krankheitsfall natürlich nur eine Leistung in Anspruch genommen werden kann.

Also derartige mißbräuchliche Inanspruchnahmen werden auch in Zukunft verstärkt verfolgt werden, wobei ich zu dieser Maßnahme der Einbeziehung der dienstnehmerähnlichen Werkverträge auch noch sagen möchte, daß wir gerade da eine Umgehung der Sozialversicherung für die Zukunft ausschließen wollen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke.

Der erste Fragenkomplex ist abgehandelt.

Die 2. Anfrage formuliert Kollege Feurstein (ÖVP) . – Bitte, Herr Abgeordneter.

Abgeordneter Dr. Gottfried Feurstein: Herr Bundesminister! Ich möchte Sie fragen:


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19/M

Was ist aus Ihrer Ankündigung geworden, Langzeitarbeitslosen Beschäftigung anzubieten?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Wir haben uns zum Ziel gesetzt, daß wir mit Maßnahmen des Arbeitsmarktservices ganz besonders auf die Probleme Langzeitarbeitsloser eingehen, denn das sind Menschen, denen man besonders helfen muß, besonders in Zeiten, in denen es immer schwieriger wird, auf dem Arbeitsmarkt diese Menschen wieder unterzubringen. Es ist daher vom Arbeitsmarktservice vorgesehen – das wird auch bereits durchgeführt –, daß verstärkte Schulungsmaßnahmen erfolgen und verstärkte Vermittlungsbemühungen unternommen werden. Gleichzeitig bemühen wir uns – das ist unser primäres Ziel –, diese Menschen wieder in den regulären Arbeitsmarkt in der Wirtschaft zurückzuführen.

Es gibt dazu eine Reihe von Aktionen. Unter anderem wird noch heuer – befristet bis 31. August, wobei man über diese Befristung dann sicher auch noch verhandeln können wird – die Maßnahme gesetzt, daß Arbeitgeber, die Langzeitarbeitslose, nämlich Menschen, die bereits länger als ein Jahr arbeitslos sind, einstellen, die Dienstgeberbeiträge zur Sozialversicherung erstattet bekommen. Das ist ein Kostenvorteil von rund 20 Prozent, und das für ein Jahr lang. Das soll eine Starthilfe sein.

Daneben beabsichtigen wir – und führen das auch bereits durch –, eine Reihe von Maßnahmen zu setzen, durch welche Langzeitarbeitslose, die nicht sofort direkt in die normale Arbeitswelt zurückgeführt werden können, im gemeinnützigen Bereich untergebracht werden können, und zwar ebenfalls mit dem Ziel, daß sie von dort wieder in den regulären Arbeitsmarkt zurückkehren.

Gleichzeitig läuft jetzt ein Programm, in dessen Rahmen wir alle Langzeitarbeitslosen besonders betreuen und sie zu den Arbeitsmarktservicestellen einladen, wo mit jedem einzelnen von ihnen persönlich ihre Probleme, ihre Möglichkeiten durchgegangen werden, um sie allenfalls durch besondere Qualifizierungsmaßnahmen wieder in den Arbeitsprozeß zurückzuführen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke. – Zusatzfrage.

Abgeordneter Dr. Gottfried Feurstein: Herr Minister! Ein besonderes Problem besteht in diesem Zusammenhang sicherlich für jene Menschen, die jetzt in das Berufsleben eintreten. Wir müssen alles tun, damit Jugendliche nicht Langzeitarbeitslose werden.

Können Sie sich vorstellen, daß Sie diese Maßnahme, die Sie soeben generell erläutert haben, insbesondere dafür einsetzen werden, und zwar noch heuer im Sommer, damit junge Menschen, die jetzt ihre Schulbildung beendet haben, so rasch wie möglich einen Arbeitsplatz finden? Ich meine, daß das ein ganz wichtiges Anliegen ist, dem wir da gegenüberstehen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Herr Abgeordneter! Sie haben zu Recht gesagt, daß dieses Problem der Jugend ein ernstes ist. Junge Menschen müssen wir vorrangig in die Arbeitswelt eingliedern, und zwar nicht nur aus menschlichen Gründen – es ist sicher für jeden jungen Menschen katastrophal, wenn er nicht in absehbarer Zeit Arbeit findet –, sondern auch aus gesellschaftlichen Gründen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

In vielen Staaten Europas ist die Jugendarbeitslosigkeit ein großes Problem und hat verheerende Auswirkungen. Österreich hat derzeit die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit. Aber wir müssen dennoch ganz besonders unsere Bemühungen darauf konzentrieren, den jungen Menschen, die heuer aus der Schule austreten, Beschäftigung zu geben. In diesem Zusammenhang gibt es seitens des Arbeitsmarktservices, abgestimmt mit dem Wirtschaftsministerium, neue Maßnahmen, um jungen Menschen auch die Lehre leichter zu ermöglichen. Diese Förderungsmaßnahmen werden vom Arbeitsmarktservice so gesetzt, daß nicht nur eine Lehrstelle geschaf


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fen wird, sondern daß es junge Menschen danach in ihrem gesamten Leben leichter haben, Beschäftigung zu finden. Ich möchte die Grundsätze dieser Förderungsmaßnahmen, die durch das Arbeitsmarktservice für Lehrlinge gesetzt werden, kurz erläutern.

Zunächst gibt es den Grundsatz, daß jener Lehrherr gefördert wird, der Lehrlinge in der Richtung einsetzt, daß diese dann aufgrund ihrer besonderen Qualifikation die Möglichkeit haben, im Arbeitsleben eben aufgrund ihrer breiten Ausbildung leichter unterzukommen, sich weiterzubilden und flexibler zu sein.

Ein Beispiel: Es werden Arbeitnehmer, die Mädchen in atypischen Frauenberufen – und das sind fast alle – in die Lehre einstellen, besonders gefördert. Es wird für jedes Mädchen, das in einem Männerberuf, wenn ich das so sagen darf, die Lehre beginnt und dadurch künftig bessere Chancen im Leben hat, Förderungen geben, und zwar wird jeder Lehrherr 4 000 S für den Lehrplatz eines Mädchens bekommen.

Ein weiteres Beispiel: Es wird für jene Lehrherren, die Lehrlinge so ausbilden, daß sie nach Abschluß der Lehre mehrere Berufe erlernt haben – ausgenommen sind dabei die heute klassischen Doppellehren –, besondere Förderungen geben, und zwar wird für diese Mehrfachausbildung dem Lehrherrn ein Zuschuß von 4 000 S pro Monat gewährt. Das hat den Vorteil, daß nach einer Mehrfachausbildung nicht nur mehrere Berufe erlernt wurden, sondern daß in der Lehre bereits gelernt wurde, flexibel zu sein, und das bildet eine breite Grundlage für spätere Weiterqualifizierungsmaßnahmen.

In diesem Bereich der Jugend werden insgesamt zirka 600 Millionen Schilling und im Bereich der Lehrlinge zirka 300 Millionen Schilling heuer vom Arbeitsmarktservice ausgegeben.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke.

Zusatzfrage: Kollege Dietachmayr. – Bitte.

Abgeordneter Helmut Dietachmayr (SPÖ): Herr Bundesminister! Statistisch gesehen sind rund ein Fünftel aller Arbeitnehmer einmal pro Jahr arbeitslos. Aber das halte ich nicht für das Hauptproblem, sondern ich meine, das Hauptproblem sind die schon angesprochenen Langzeitarbeitslosen. Wie beurteilen Sie die Arbeitsmarkt- beziehungsweise Beschäftigungseffekte der Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Dieses Problem ist gerade in der jetzigen Zeit schwieriger als früher, weil die Arbeitsmarktlage auch in Österreich immer angespannter wird. Trotzdem sind alle Anstrengungen zu unternehmen, um diese schwierige Situation in den Griff zu bekommen. Ich beurteile die Maßnahmen, die vom Arbeitsmarktservice gesetzt werden, als sehr positiv, zumal wir zusätzlich zu den Maßnahmen für den allgemeinen wirtschaftlichen Arbeitsprozeß auch noch im gemeinnützigen Bereich Beschäftigung anbieten. Diese Maßnahmen dürfen natürlich die Wirtschaft nicht stören, das muß vom regionalen Arbeitsmarktservice sehr genau abgestimmt werden, auch mit der regionalen Wirtschaft. Es sollen keine Konkurrenzverhältnisse entstehen, sondern es sollen Arbeiten geleistet werden, die sinnvoll sind, die aber ohne diesen Zuschuß nicht erfüllt würden. Es sollen beispielsweise aus dem Bereich der Gemeinde, der Länder oder anderer gemeinnütziger Organisationen Zuschüsse geleistet werden, die gleichzeitig dann mit dem Geld, das wir sonst für die Notstandshilfe ausgegeben hätten, eine korrekte Entlohnung ermöglichen. Dadurch sollen zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke.

Kollege Meisinger, bitte.

Abgeordneter Josef Meisinger (Freiheitliche): Herr Bundesminister! Die Anzahl der Langzeitarbeitslosen steigt immer mehr. Es handelt sich dabei insbesondere um ältere Arbeitnehmer. Die Statistik der Notstandshilfebezieher besagt, daß im vergangenen Jahr etwa 4 Prozent Män


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ner, aber beinahe 12 Prozent Frauen davon betroffen waren. Nun hat die Bundesregierung, haben die Koalitionspartner im Zuge des Strukturanpassungsgesetzes die Malus-Regelung beschlossen, wodurch speziell Frauen wieder besonders benachteiligt werden. Wie werden Sie darauf reagieren beziehungsweise wann werden Sie endlich der Benachteiligung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt Einhalt gebieten?


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Präsident Dr. Heinz Fischer:
Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Der derzeitigen Statistik ist zu entnehmen, daß insgesamt weniger Frauen als Männer arbeitslos sind. Das kann uns aber nicht beruhigen. Wir haben im Arbeitsmarktservice gerade für Frauen eine ganze Reihe von spezifischen Maßnahmen vorgesehen, die zusätzlich zu den anderen Maßnahmen, zu Maßnahmen, die sowohl für Männer als auch für Frauen gelten, gesetzt werden. Das reicht von Kinderbetreuungsmaßnahmen bis hin zu besonderen Weiterbildungsmaßnahmen.

Sie haben weiters die Neuregelung für ältere Arbeitnehmer angesprochen. Darin sehe ich keinesfalls eine Benachteiligung von Frauen. Es ist nur so, daß sich die Malus-Zahlung bei Männern und bei Frauen anders auswirkt, weil jeweils bis zum Pensionsantrittsalter gerechnet wird, und das gesetzliche Pensionsantrittsalter liegt bei Frauen um fünf Jahre niedriger als bei Männern. Daraus ergeben sich natürlich automatisch, wenn man von 50. Lebensjahr an bis zum Pensionsantrittsalter rechnet – und das ist die Rechenmethode –, fünf Jahre Differenz. Dies ist sicher kein Nachteil für Frauen, hat aber natürlich in der Berechnung seine Auswirkungen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Kollege Öllinger, bitte.

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Herr Minister! In den letzten Monaten sind Langzeitarbeitslose teilweise zum Hundstrümmerlräumen eingesetzt worden, und zwar zu Löhnen, die ein Taschengeld ausmachen, und zu sozialrechtlich nicht abgesicherten Bedingungen. Werden Sie, Herr Minister, in Zukunft dafür eintreten, daß die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen zu existenzsichernden Löhnen, freiwillig und vor allem mit einer längerfristigen Integration stattfinden kann, so wie das bisher die Linie des Ministeriums und des Arbeitsmarktservices war?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Herr Abgeordneter! Die von Ihnen hier zitierte Beschäftigung ist keinesfalls von meinem Ressort ausgegangen, das hat mit meinem Ressort nichts zu tun. Ich möchte Sie nochmals ersuchen: Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, daß ich mit diesen Maßnahmen Langzeitarbeitslosen, die es sicher viel schwerer haben als andere, besonders helfen möchte. Es sind dies Maßnahmen, die ich vorher erläutert habe, es sind dies besondere Qualifikationsmaßnahmen. Wir führen mit jedem Langzeitarbeitslosen Gespräche, um Möglichkeiten zu finden. Und es ist natürlich auch im gemeinnützigen Bereich vorgesehen, daß es Beschäftigungen zu normalen Kollektivvertragslöhnen gibt, das ist keine Frage.

Es sind dies Maßnahmen zugunsten der Langzeitarbeitslosen und nicht irgendwelche Maßnahmen, die nicht zu verstehen sind. Wir bieten Langzeitarbeitslosen Hilfe an, indem wir für sie Beschäftigungsverhältnisse finden, die auch entsprechend entlohnt werden. Ich habe es bereits vorher erklärt, unter Kollektivvertragsentlohnung verstehe ich, daß für vernünftige und sinnvolle Arbeiten, die in der Wirtschaft nicht erbracht werden würden, ein Teil von gemeinnützigen Organisationen gezahlt wird, und ein Teil aus dem Bereich der Notstandshilfe beziehungsweise der aktiven Arbeitsmarktpolitik kommt.

Das ist ein Problem, das sicher schwer zu lösen ist, aber wir dürfen diesem Problem nicht aus dem Weg gehen, wir dürfen nicht wegschauen und sagen: Wir haben den Langzeitarbeitslosen die Notstandshilfe gegeben, und damit hat die Gesellschaft ihre Verpflichtung erfüllt. Das kann es nicht sein. Wir müssen dafür sorgen, daß jeder Mensch, der arbeiten will, auch Arbeit finden kann. Das ist das Ziel dieser Maßnahmen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke.

Wir kommen zum dritten Fragenkomplex. Ich bitte Kollegen Dr. Kier (Liberales Forum), seine Anfrage zu formulieren.

Abgeordneter Dr. Volker Kier: Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

23/M

Wenn organisatorische Notwendigkeiten eine Verschiebung der Einführung einer Krankenscheingebühr auf den 1. Jänner 1997 rechtfertigen, warum ist dann nicht auch eine Verschiebung der fixierten "Werksvertragsbestimmungen" auf ebenfalls zumindest 1. Jänner 1997 möglich, sodaß auch hier die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden können und dem Prinzip der Rechtssicherheit entsprochen wird?

Ohne jeden Zweifel sind auch in diesem Zusammenhang für die Betroffenen massive Umstellungs- und organisatorische Erfordernisse vorhanden, und ich sehe hier eine Ungleichbehandlung im Zugang zum Problem.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Der Zugang zum Problem mag unterschiedlich sein, ist aber begründet. Wir haben mit der Einführung dieser Krankenscheingebühr – Sie wissen, diese Lösung war keine Priorität meinerseits – auch organisatorische Voraussetzungen treffen müssen.

Ich war ursprünglich optimistischer. Die Einführung dieser Maßnahme ist jeweils nur mit Beginn eines Quartals möglich, weil der Krankenschein für ein ganzes Quartal gilt. Es war daher nur die Möglichkeit, entweder, wie vorgesehen, mit 1. Oktober oder zum nächsten Quartalbeginn, das ist der 1. Jänner 1997, damit zu beginnen.

Da es doch im Bereich der Unternehmungen größere Schwierigkeiten gibt, das organisatorisch umzusetzen, sei es mit den EDV-Programmen, sei es für die Lohnverrechnung und so weiter, und weil jetzt gerade die Sommermonate sind und mir von mehreren Unternehmungen erklärt wurde, daß sie die dafür notwendigen Mitarbeiter in ihrem Unternehmen nicht zur Verfügung haben, und da außerdem dieses Maßnahmen auch mit dem Hauptverband und mit den Krankenversicherungsträgern abzustimmen sind, mußte diese Verschiebung erfolgen, die im Ausschuß bereits behandelt wurde.

Es tritt kein Nachteil für die Versicherten ein. Es wäre nicht zu verantworten gewesen, wenn diese Maßnahme am 1. Oktober eingetreten wäre. Die Begeisterung für das Einheben dieser Gebühr hält sich bei den Unternehmungen selbstverständlich in Grenzen. Es hätte auch andere Maßnahmen gegeben, aber es wäre nicht zu verantworten gewesen, wenn Arbeitnehmer ab 1. Oktober keinen Krankenschein bekommen hätten, daher ist diese Maßnahme erforderlich gewesen.

Anders ist der Bereich der Neuregelung für die unechten Werkverträge zu sehen. Wir wissen, daß die Sozialversicherungspflicht zum Nachteil für viele Arbeitnehmer umgangen wurde. Diese Regelung, die mit 1. Juli in Kraft getreten ist, wurde bereits im April in diesem Haus beschlossen. Die Regelungen wurden inzwischen auch in vielen Kursen von Unternehmungen und so weiter dargelegt. Es stimmt überhaupt nicht, daß es diesbezüglich keinerlei Information gibt, das stimmt nicht. Gleichzeitig wurden in der Zeit von April bis jetzt, also ab dem Zeitpunkt der Beschlußfassung bis jetzt, mit der Wirtschaft, mit Wirtschaftstreuhändern und so weiter Maßnahmen gefunden, die das ganze einfacher gestalten, und diese sollen heute hier im Haus beschlossen werden.

Eine Verschiebung dieses Termins wäre daher nicht möglich, denn erstens einmal hat das Hohe Haus bereits im April beschlossen, daß dies mit 1. Juli in Kraft tritt und zum zweiten hätte es im Gegensatz zu der Krankenscheingebühr auch entsprechende Verschlechterungen für viele


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Arbeitnehmer geben können. Denn wir haben vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit dieser Neuregelung ab 1. Juli erstmalig sozialen Schutz gegeben. Wenn wir diesen sozialen Schutz, Unfallversicherung, Krankenversicherung, Pensionsversicherung, jetzt verschoben hätten, dann hätten wir viele Arbeitnehmer, die bisher durch die Umgehung geschädigt wurden, weiterhin benachteiligt.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke.

Eine Zusatzfrage? – Bitte.

Abgeordneter Dr. Volker Kier: Meine Zusatzfrage bezieht sich auf die Krankenscheingebühr. Sie haben das plausibel erklärt. Meiner Meinung nach entsteht aber dadurch das Problem, daß wir jetzt eine absolute Ungleichbehandlung der Pensionisten haben im Verhältnis zu den durch die Krankenscheingebühr Betroffenen. Man braucht sich das nur durchzurechnen: Ein Pensionist, der vierzehnmal 5 300 S Pension oder mehr bezieht, zahlt durch die Beitragserhöhung bereits mehr, als er für den Krankenschein gezahlt hätte. Außerdem zahlen die Pensionisten noch früher, denn bei den Pensionisten ist das Inkrafttreten nicht verschoben worden.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.


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Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums:
Herr Abgeordneter! In vielen Diskussionen wurde angesprochen, daß Pensionisten einen höheren Steigerungsbetrag akzeptieren hätten sollen. Das wurde von mir abgelehnt. Außerdem war auch in vielen Fällen vorgesehen, daß sie gleichzeitig auch die Kassenscheckgebühr zahlen hätten sollen. Auch das tritt nicht ein. Und für diese Anhebung um 0,25 Prozent finde ich, glaube ich, in jeder Versammlung der Pensionisten Verständnis, vor allem wenn ich ihnen Erklärungen gebe, die der Wahrheit entsprechen, und zwar daß wir erfreulicherweise länger leben, daß wir mehr Möglichkeiten in der Medizin, in der Diagnose und in der Therapie haben und daß diese Möglichkeiten natürlich ungeschmälert auch älteren Menschen zur Verfügung stehen sollen. Daher glaube ich, überall Verständnis dafür zu finden, daß dafür auch ein kleiner zusätzlicher Beitrag zu leisten ist.

Diese 0,25 Prozent ergeben eine Anhebung von 3,5 auf 3,75 Prozent. Arbeiter zahlen heute 3,95 Prozent, solange sie aktiv sind, oder 4,5 Prozent, wenn sie keine Entgeltfortzahlung haben. Pensionisten im Bereich des Bundes zahlen 3,95 Prozent, Pensionisten im Bereich der Eisenbahner 4,6 Prozent. Es gibt sehr unterschiedliche Regelungen, wobei manche gleichzeitig noch einen echten Selbstbehalt beinhalten.

Ich glaube daher, bei richtiger Information – die wurde leider in der letzten Zeit ja nicht in dem Maß gegeben – werden es die Pensionisten durchaus so verstehen, daß sie für die bessere Qualität der Gesundheitsvorsorge auch diese 0,25 Prozent Beitragserhöhung akzeptieren können. Natürlich werden sie keine Freude damit haben, mit Freude habe ich es auch nicht festgesetzt, aber es ist eben notwendig.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke.

Frau Abgeordnete Rauch-Kallat, bitte.

Abgeordnete Maria Rauch-Kallat (ÖVP): Herr Bundesminister! Bei den Regierungsverhandlungen zwischen den Koalitionspartnern hat es bei den Werkverträgen bereits eine Einigung gegeben auf eine Erhöhung der Geringfügigkeitsgrenze auf 4 400 S anstelle der nunmehr 3 600 S.

Wieso ist es Ihnen nicht gelungen, Herr Bundesminister, dieses Ihr Verhandlungsergebnis bei Ihrer eigenen Gewerkschaft durchzusetzen? Wen vertritt die Gewerkschaft eigentlich, wenn sie weiß, daß sie damit auch gegen die Interessen vieler ihrer eigenen Mitglieder, für die das eine wesentliche Erleichterung gewesen wäre, handelt?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Sehr geehrte Frau Abgeordnete! Ob es wirklich eine Erleichterung ist, wenn man nicht sozialversichert ist, das möchte ich dahingestellt sein lassen. Fragen Sie Frauen, die mit dieser Maßnahme erstmals eine Versicherung erhalten, was sie davon halten. (Beifall bei der SPÖ.)

Die 3 600 S sind derzeit im Bereich der Sozialversicherung eine Grenze, eine Geringfügigkeitsgrenze und analog dazu die Versicherungsgrenze. Es hat in den Verhandlungen auch mehrere Abweichungen gegeben.

Es ist dies ein Problem, die Lösung war wirklich nicht leicht. Es hat mehrere Diskussionen gegeben. Letztendlich haben sich aber die Sozialpartner und alle darauf geeinigt, daß man eine einheitliche Grenze haben soll – und das sind die 3 600 S. (Abg. Dr. Khol: Aber Sie haben diesen 4 400 S schon zugestimmt!)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Fragestunde – Zwischenruf. – Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Fragestunde – Zwischenruf: Es hat im Laufe der Verhandlungen verschiedenste Grenzen gegeben. Die Grenze von 3 600 S hat sich als am zweckmäßigsten erwiesen und wurde von den Sozialpartnern so akzeptiert und auch so festgesetzt. Damit ist es auch einfacher, denn künftig ist es weniger schwierig zu unterscheiden und für die Unternehmungen auch weniger problematisch, wenn diese Grenze einheitlich bei 3 600 S bleibt. Gleichzeitig ist damit der Versicherungsschutz für alle ab 3 600 S gegeben.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Frau Abgeordnete Silhavy.

Abgeordnete Heidrun Silhavy (SPÖ): Herr Minister! Entspricht die Schätzung der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft BDO Auxilia Treuhand GmbH, daß für rund 300 000 Personen die Neuregelung für freie Dienstverträge und dienstnehmerähnliche Werkverträge zum Tragen kommt, den Motiven für die Einbeziehung dieser dienstnehmerähnlichen Werkverträge beziehungsweise freien Dienstverträge in die Sozialversicherung?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Es gibt derzeit keine exakten Schätzungen, weil dieser Bereich bisher nicht geregelt war. Wir gehen hier in einen neuen Bereich hinein, der zu regeln ist. Wir werden erst jetzt sehen, wie viele davon betroffen sind. Außerdem ist auch diese Versicherungsgrenze gegeben, und viele werden darunter fallen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Frau Abgeordnete Haller, bitte.

Abgeordnete Edith Haller (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Bisher wurde bei Gebietskrankenkassenprüfungen, wenn es um die Definition ging, was ist Werkvertrag, was nicht, diese Frage hauptsächlich als Ermessensfrage betrachtet.

Gerade jetzt finden im Zusammenhang mit den Neuregelungen bei den Werkverträgen verstärkt Gebietskrankenkassenprüfungen bei gemeinnützigen Vereinen statt, die letztlich zu Nachzahlungen in beträchtlicher Höhe, gerade im Bereich der bisherigen Werkvertragsregelungen, führen. Diese zusätzlichen und nachträglichen Belastungen zusätzlich zu den neuen bedeuten teilweise eine Existenzfrage für diese gemeinnützigen Vereine. Was wollen Sie hier unternehmen, Herr Bundesminister?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Sehr geehrte Frau Abgeordnete! Sie sagen, diese Prüfungen beziehen sich auf den Zeitraum vor dem 1. Juli, das heißt, von den Krankenversicherungen, von den Gebietskrankenkassen wird geprüft, ob Dienstverträge vorliegen oder nicht. Das hat mit der Neuregelung nichts zu tun. Das ist lediglich ein Vollzug der bereits bestehenden Gesetze, und hier ist es mir nicht möglich, irgendeine Maßnahme zu treffen, um Gebietskrankenkassen vom korrekten Vollzug von Gesetzen abzuhalten.


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Eines möchte ich auch noch feststellen: Es ist nicht sozial, zu sagen, wir verzichten auf bestimmte Sozialversicherungsbeiträge. Warum? – Weil wir damit – wie bereits mehrfach erklärt – auch gleichzeitig auf den sozialen Schutz verzichten müßten. Und die davon Betroffenen – ob sie jetzt in der Wirtschaft oder in gemeinnützigen Bereichen arbeiten – streben immer wieder nach sozialer Sicherheit. Es ist mir daher nicht möglich, gegen das Gesetz Weisungen zu erteilen oder Maßnahmen zu treffen. Das bezieht sich auf Bestimmungen, die bereits bisher in Kraft waren und deren Vollzug jetzt – wie auch früher – von den Gebietskrankenkassen durchzuführen ist.


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Präsident Dr. Heinz Fischer:
Danke.

Die 4. Anfrage formuliert Herr Abgeordneter Guggenberger (SPÖ). – Bitte.

Abgeordneter Mag. Walter Guggenberger: Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

21/M

Welche Maßnahmen wurden für die Verbesserung der Situation in Ihrem Ressort getroffen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Es gibt für die behinderten Menschen eine Vielzahl von Maßnahmen, die im Bereich meines Ressorts getroffen werden, Maßnahmen, die ins private Leben hineinreichen, aber besonders auch Maßnahmen, die diesen Menschen den Zugang oder den erneuten Zugang zum Arbeitsleben ermöglichen. Es gibt eine ganze Palette von Maßnahmen, wie besondere Schulungsmaßnahmen, besondere Hilfsmaßnahmen, die Zurverfügungstellung von Hilfsmitteln für diesen Bereich. Das sind eine Reihe von Maßnahmen, die getroffen werden. Gleichzeitig wird auch immer wieder nach besseren Vermittlungsmöglichkeiten gesucht, um diesen Menschen die Rückkehr zum Arbeitsplatz zu erleichtern, außerdem soll das Adaptieren der Arbeitsplätze speziell auf die Person abgestimmt werden. Diesbezüglich wurden Maßnahmen gesetzt und sie werden auch weiterhin gesetzt.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Bitte.

Abgeordneter Mag. Walter Guggenberger: Behinderte Menschen haben es noch schwerer, eine Arbeit zu finden als ihre nicht behinderten Kollegen. Welche besonderen Initiativen setzen Sie, um die Eingliederung behinderter Menschen in den Arbeitsmarkt zu erleichtern, Herr Bundesminister?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Um dieses Wiedereingliedern zu ermöglichen, werden Umschulungsmaßnahmen, besondere Schulungsmaßnahmen getroffen, besondere Hilfsmittel zur Verfügung gestellt, Förderungen für Arbeitgeber, die das ermöglichen, gewährt. Es werden auch erhebliche Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds zusätzlich zu den bisherigen Maßnahmen zur Verfügung gestellt.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke.

Zusatzfrage: Frau Dr. Partik-Pablé.

Abgeordnete Dr. Helene Partik-Pablé (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Minister! Da nicht zu übersehen war, daß Ihnen Herr Abgeordneter Guggenberger Fragen gestellt hat, damit Sie sich positiv darstellen können, möchte ich darauf hinweisen ... (Abg. Dietachmayr: Das ist das Letzte! – Abg. Seidinger: Beschämend! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ. – Abg. Ing. Meischberger: Genauso ist es! Das ist typisch!)

Es war ja fast peinlich. Es war eigentlich peinlich. (Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Am Wort ist die Frau Abgeordnete. – Bitte, wenn Sie die Frage formulieren.

Abgeordnete Dr. Helene Partik-Pablé (fortsetzend): Herr Minister! Ich könnte eine ganze Reihe von unangenehmeren Fragen an Sie richten. Ich habe mich aber jetzt schnell mit mir selbst geeinigt. Ich frage Sie: Was tun Sie, um zu vermeiden, daß die Behinderten weiterhin diskriminiert werden? Wie steht es mit einem Entwurf zu einem Antidiskriminierungsgesetz, auf das die Behinderten schon sehr lange warten?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Die österreichische Bundesregierung hat bereits im Jahr 1992 das Behindertenkonzept beschlossen, und dieses wird sukzessive umgesetzt. Es gibt Sonderprogramme für Rehabilitation, Sonderprogramme für die Arbeitsplatzsicherung und Sonderprogramme für Maßnahmen im Berufsleben. (Abg. Dr. Partik-Pablé: Das habe ich nicht gemeint!) Ich werde mich aber auch – wie Sie hier festgestellt haben – im Rahmen meiner Möglichkeiten dafür einsetzen, daß es immer weitergehende Maßnahmen gegen die Diskriminierung von Behinderten gibt. – Das war ja Ihre Frage. (Abg. Dr. Partik-Pablé: Das war nicht meine Frage! Wir wollen ein Antidiskriminierungsgesetz und keine Maßnahmen!)

Frau Abgeordnete! Ich habe Ihnen erklärt: Es gibt ein umfassendes – ich könnte darauf sehr lange antworten – Behindertenkonzept der Bundesregierung aus dem Jahr 1992, das sowohl das Privatleben als auch das Berufsleben umfaßt. Und dieses Konzept wird schrittweise im Zusammenwirken mit den Behindertenverbänden umgesetzt. Es gibt meinerseits ständig Kontakte zu den Behindertenverbänden – auch in dieser Woche wieder. Wir setzen dieses Konzept schrittweise um, geben erhebliche Mittel aus, um den Menschen zu helfen, die es besonders brauchen. Ich habe Ihnen gleichzeitig erklärt, daß ich mich in meinem Bereich immer wieder dafür einsetzen werde, Diskriminierungen, die sich in der Praxis durch viele Maßnahmen im täglichen Leben ergeben können, zu vermeiden und zu verhindern. Das sind die Maßnahmen, die wir gegen die faktische Schlechterstellung im gesamten Leben setzen, angefangen beim öffentlichen Verkehr bis zu all den Einrichtungen, die es Behinderten künftig ermöglichen sollen, ihr Leben zu erleichtern und ihre Schwierigkeiten etwas zu mindern. Das sind die Maßnahmen.

Ich bin aber der Überzeugung, daß die konkreten Maßnahmen, die diese Diskriminierung beseitigen, wesentlich mehr wirken, als wenn wir hier ein Gesetz beschließen würden, ohne diese Maßnahmen zu setzen. Wir gehen den konkreten Weg, und wir haben im Vorjahr und heuer rund 3 Milliarden Schilling zusätzlich für den Bereich der Behinderten ausgegeben. Und wenn Sie sich eine Reihe von Bereichen anschauen – von den Werkstätten für Behinderte bis zu den Maßnahmen mit den Unternehmungen –, dann werden Sie feststellen, daß hier sehr viel geschieht.

Sehr geehrte Frau Abgeordnete! Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch folgendes sagen: Ich habe auch von Ihnen immer wieder den Vorwurf des Taschengeldes gehört. – Ich möchte hier noch einmal feststellen: Es wird hier permanent Falsches behauptet. Im Bereich des Bundespflegegeldes sollen jedem, der in einem Heim ist, weiterhin 20 Prozent seiner Pension und die gesamte Sonderzahlung der Pension als Taschengeld zur Verfügung stehen. Wir haben mit der Pflegegeldregelung (Abg. Dr. Partik-Pablé: Er hat keine Pension!) – übrigens auch eine Regelung im Interesse der Behinderten – eine Regelung getroffen, die es in ganz Europa in dieser Qualität nicht gibt, die es in der ganzen Welt in dieser Qualität nicht gibt. Diese Regelung im Bereich des Pflegegeldes ist aber nicht als Einkommen, sondern als Maßnahme zu sehen, um den Behinderten für die Pflegeaufwendung zusätzlich Geld zur Verfügung zu stellen. Das ist die Maßnahme.

Daher bitte ich Sie, Frau Abgeordnete: Wenn Sie künftig in der Öffentlichkeit über das Taschengeld reden, dann erklären Sie auch, daß ein Teil aus dem Pflegegeld natürlich nur für Pflegemaßnahmen zur Verfügung steht. Jener Teil, der den in den Heimen Befindlichen als Einkommen zur Verfügung steht, sind 20 Prozent der Pension und natürlich die gesamte Sonder


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zahlung als Taschengeld. Das gilt für jene, die in einem Heim untergebracht sind. (Beifall bei der SPÖ.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke. – Zusatzfrage: Kollege Brader, bitte.

Abgeordneter Mag. Dr. Alfred Brader (ÖVP): Herr Bundesminister! Die gehörlosen Menschen – das sind ungefähr 6 800 in Österreich – haben keinen Anspruch auf Pflegegeld. Meine Frage: Ist daran gedacht, daß man für die gehörlosen Menschen auch die Möglichkeit einräumt, Pflegegeld zu beziehen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Diese Regelung konnte seinerzeit bei Einführung des Pflegegeldes nicht getroffen werden, weil es eben bei dieser Personengruppe nicht dieses Maß an erforderlichen Maßnahmen gibt, wofür Geldaufwendungen benötigt würden.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Frau Abgeordnete Haidlmayr, bitte.

Abgeordnete Theresia Haidlmayr (Grüne): Herr Sozialminister! Aus dem EU-Fonds wurden 50 Millionen Schilling für die Eingliederung von behinderten Menschen ins Leben zur Verfügung gestellt. Sind Sie sich dessen bewußt, daß diese EU-Fördermittel, die für die Integration zweckgebunden gedacht waren, zweckentfremdet verwendet wurden, indem mit diesen Mitteln geschützte Werkstätten, indem Aussonderungsmaßnahmen finanziert worden sind, während gleichzeitig die Arbeitslosigkeit von behinderten Menschen bereits auf über 40 Prozent gestiegen ist?

Herr Minister! Meine Frage: Was werden Sie konkret tun, um die Zweckentfremdung der Mittel aus dem EU-Sozialfonds zu unterbinden, beziehungsweise was werden Sie konkret tun, um die Behindertenarbeitslosigkeit, die bereits über 40 Prozent beträgt, wieder zu senken?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Sehr geehrte Frau Abgeordnete! Ich habe vorher bereits mehrere Maßnahmen aufgezählt, die wir natürlich konsequent fortsetzen werden, um behinderte Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen, Arbeitsplatzgestaltung, Schulung und so weiter; das habe ich bereits erklärt. ESF-Mittel werden keinesfalls zweckentfremdet verwendet, es gibt auch eine bestimmte Kontrolle, und zwar eine sehr exakte Kontrolle durch die Europäische Union.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke. – Die 5. Anfrage formuliert Kollege Öllinger (Grüne) , bitte.

Abgeordneter Karl Öllinger: Herr Minister! Meine Frage lautet:

24/M

Welche konkreten Schritte planen Sie, damit das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz 1994 (zum Beispiel in den Bereichen öffentlicher Dienst, arbeitsmedizinische Betreuung für Kleinbetriebe) endlich wirksam werden kann?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Dieses Gesetz, das wirklich wichtig war, wird erfüllt, soweit es bisher zur Erfüllung vorgesehen ist. Ich denke nur daran, daß die Mitbestimmung der Arbeitnehmer und damit die Bewußtseinsbildung wesentlich verstärkt wurde. Für Arbeitsstätten mit mehr als 250 Beschäftigten gilt bereits ab 1. Juli 1995 die Verpflichtung zur Ermittlung und Beurteilung von Gefahren. Es gibt seit 1995 auch zusätzliche Fachausbildungen für Sicherheitsfachkräfte und eine ganze Reihe von zusätzlichen Maßnahmen.


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Ich werde dieses Gesetz im Rahmen meiner Möglichkeiten auch in Zukunft umsetzen und dazu beitragen, daß ganz besonders auch die Bewußtseinsbildung, auch durch die Arbeitsinspektoren, durch zusätzliche Beratungen, so erfolgt, daß wir in der Qualität des Arbeitnehmerschutzes immer mehr Fortschritte machen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke. – Zusatzfrage? – Bitte.

Abgeordneter Karl Öllinger: Herr Minister! Die Verordnung über die Risikobewertung, das Kernstück des neuen ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, mußte auf Druck der Arbeitgeber zurückgezogen werden. Die arbeitsmedizinische Betreuung für die Kleinbetriebe ist finanziell nicht gesichert, weil der Unfallversicherungsanstalt derzeit offensichtlich die Mittel dafür fehlen.

Welche konkreten Schritte planen Sie, Herr Minister, damit in den nächsten Jahren – das ist notwendig, um das Gesetz zu erfüllen – die Risikobewertung als das Kernstück des Gesetzes ab 1. 1. 97 für alle Betriebe stattfinden kann, beziehungsweise die arbeitsmedizinische Betreuung und die Präventivdienste insgesamt ausgebaut werden können?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Zunächst einmal: Die Risikobewertung halte ich nicht wirklich für das alleinige Kernstück, da gibt es sehr viele andere Bestimmungen, die sehr wichtig sind, sonst wäre dieses Gesetz bei weitem nicht von der Qualität, wie ich es einschätze. Wir werden alle diese Maßnahmen fortsetzen. Im Bereich der Unfallversicherung gibt es sicher keine finanziellen Probleme, um die Maßnahmen konsequent fortsetzen zu können.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke schön. – Kollege Puttinger, bitte.

Abgeordneter Dkfm. Dr. Günter Puttinger (ÖVP): Herr Bundesminister! In einer wirtschaftlich sensiblen Zeit wie jetzt sind wir alle aufgerufen, zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen, aber auch zur Sicherung der Arbeitsplätze alles zu unterlassen, was den Unternehmen zusätzliche Kosten aufbürdet.

Herr Bundesminister! Sind Sie wie ich oder wir der Auffassung, daß Österreich beim ArbeitnehmerInnenschutzgesetz wieder einmal eine gewisse Vorreiterrolle einnimmt, also weit über die EU-Anforderungen hinausgeht, womit den privaten Unternehmen Kosten aufgehalst werden, die derzeit weder im öffentlichen Bereich noch auch bei anderen europäischen Mitbewerbern anfallen, sodaß sich daher dieses Gesetz letzten Endes auch als EU-widrig herausstellen wird?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Es kann nie EU-widrig sein, wenn wir mehr tun als andere, um Arbeitnehmerschutz in der Qualität anzuheben, und das geschieht. Das kann nicht EU-widrig sein.

Ich möchte nochmals betonen: Arbeitnehmerschutz ist nicht nur aus humanitären Gründen absolut wichtig. Wenn Sie es von der wirtschaftlichen Seite her betrachten, dann stellen Sie fest, es ist auch wirtschaftlich notwendig, daß wir Arbeitsunfälle, Krankheiten und Todesfälle vermeiden, und das wird auch geschehen.

Ich habe der Wirtschaft eines zugesagt, und dazu stehe ich auch: Die Qualität des Arbeitnehmerschutzes muß weiter verbessert werden; wo wir bürokratische Hürden abbauen können, dort bin ich immer dafür, aber nicht zu Lasten der Qualität des Arbeitnehmerschutzes.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke. – Frau Dr. Pittermann, bitte.

Abgeordnete Dr. Elisabeth Pittermann (SPÖ): Herr Bundesminister! Derzeit gilt das Arbeitszeitgesetz im Bereich der Privatspitäler, nicht jedoch im Bereich der Spitäler des Bundes und der Gebietskörperschaften. Wann werden Sie ein EU-konformes Arbeitszeitgesetz für Spitäler vorlegen? Wieweit sind kleine Privatspitäler aufgrund ihrer personellen Ausstattung in der Lage, das Arbeitszeitgesetz, das Ärztegesetz und das Krankenanstaltengesetz einzuhalten, und


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beabsichtigen Sie, die Einhaltung überprüfen zu lassen? (Abg. Dr. Khol: Das sind drei Fragen, Herr Präsident! Lernen Sie die Geschäftsordnung!)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Die Geschäftsordnung läßt nur eine konkrete Zusatzfrage zu. – Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Herr Präsident! Ich werde eine Antwort darauf geben, das gleicht das wieder aus.

Sehr geehrte Frau Abgeordnete! Auch heute gibt es bereits Gesetze, die für den Privatbereich der Spitäler gelten. Ich gehe davon aus, daß sie auch eingehalten werden. Das neue Ärztearbeitszeitgesetz soll insbesondere den Bereich des öffentlichen Dienstes mitumfassen. Dieses Gesetz wird in den nächsten 14 Tagen als zweiter Entwurf von meinem Haus zur Begutachtung ausgeschickt werden.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke. – Herr Dr. Pumberger, bitte.

Abgeordneter Dr. Alois Pumberger (Freiheitliche): Herr Bundesminister! Die Deadline für die Umsetzung der EU-Richtlinie für ein Spitalarbeitszeitgesetz ist der 23. November 1996. Welche konkreten Schritte haben Sie bisher unternommen, daß diese EU-Richtlinie rechtzeitig umgesetzt werden kann, und wie haben Sie mit den Ländern bereits verhandelt, daß die Mehrkosten, die die Länder großteils zu tragen haben, tatsächlich bewältigt werden können?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Was die Zahl der Zusatzfragen betrifft, gilt das soeben Gesagte. – Bitte, Herr Minister.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Herr Abgeordneter! Ich habe bereits vorher erklärt, daß der Entwurf für das neue Gesetz von meinem Haus in den nächsten 14 Tagen zur Begutachtung ausgeschickt wird. Dann kann das Gesetz im Herbst im Parlament zeitgerecht beschlossen werden.

Die Frage, in welcher Form die Mehrkosten, die es für die Länder gibt, aufzubringen sind, wird im Bereich der Länder zu lösen sein, denn Arbeitnehmerschutzfragen können wir nicht so lösen, indem wir sagen, es dürfen damit absolut keine Kosten verbunden sein. Die Kosten werden aber wesentlich niedriger liegen, als nach dem ersten Entwurf von den Ländern befürchtet wurde.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Den 6. Fragenkomplex formuliert Kollege Haupt (Freiheitliche). – Bitte sehr.

Abgeordneter Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

18/M

Wie werden Sie verhindern, daß bei privaten Anbietern von Gesundheitsleistungen, deren Finanzierung durch das neue Modell der Krankenanstalten-Finanzierung gefährdet ist, Arbeitsplätze verlorengehen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Minister.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Die Verträge mit den Privatkrankenanstalten fallen in die Kompetenz der einzelnen Sozialversicherungsträger. Ich habe mit diesen Sozialversicherungsträgern aber trotzdem Gespräche aufgenommen, daß es auch in Zukunft im erforderlichen Ausmaß – ich betone: im erforderlichen Ausmaß – diese Verträge geben soll.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Eine Zusatzfrage? – Bitte.

Abgeordneter Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr viele dieser Zusatzverträge hängen nunmehr vom Goodwill sowohl der Länder als auch der Sozialversicherungsträger ab. Könnten Sie sich vorstellen, daß die §§ 149, 150 und 349 des ASVG dahin


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gehend geändert werden, daß auch in diesem Bereich der Gesunden-Grundversorgung eine adäquate Pflichtbeitragsversicherung aus den Krankenversicherungen gesichert wird?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Ich kann nur von der bestehenden Regelung ausgehen, und das ist die heutige Vertragssituation. Aber ich gehe davon aus, daß auch für die kommende Zeit eine für alle Beteiligten, vor allem für die Patienten befriedigende Lösung gefunden wird.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Zusatzfrage: Abgeordneter Großruck.

Abgeordneter Wolfgang Großruck (ÖVP): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Nicht nur die privaten Anbieter von Gesundheitsleistungen, sondern auch die privaten Krankenversicherer leisten eine ideale Ergänzung zu unserem zweifellos hervorragenden staatlichen Sozialversicherungssystem. Außerdem tragen auch die Privatversicherten dazu bei, die Kosten des gesamten Gesundheitssystems mitzutragen. Sind Sie auch dieser Meinung, Herr Bundesminister, und wenn ja, was werden Sie tun, um auch in Zukunft die Attraktivität von privaten Zusatzversicherungen zu fördern?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Ich gehe davon aus, daß wir im Bereich der sozialen Krankenversicherung jedem die entsprechenden Leistungen sichern. Ob er darüber hinaus persönlich eine private Versicherung abschließen will oder nicht, liegt, wie das Wort bereits ausdrückt, in seiner eigenen Kompetenz, und in diese möchte ich nicht eingreifen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke. – Zusatzfrage: Frau Abgeordnete Bauer, bitte.

Abgeordnete Sophie Bauer (SPÖ): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Wie wird sich die Neuregelung der Krankenanstaltenfinanzierung auf die Gebarung der Krankenversicherungsträger auswirken?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Sie wird sich so auswirken, daß die Krankenversicherungen künftig in den nächsten vier Jahren exakt planen können, weil die Ausgaben für die ehemaligen sogenannten KRAZAF-Spitäler nur in dem Maße steigen werden, in dem die Einnahmen steigen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke. – Abgeordneter Dr. Kier, bitte.

Abgeordneter Dr. Volker Kier (Liberales Forum): Herr Bundesminister! Ist es betreffend die Kündigung der Verträge mit den privaten Krankenanstalten nicht systemimmanent und zu befürchten – vor allem, wenn man bedenkt, daß bei der Verrechnung von Wahlarzthonoraren von 100 auf 80 Prozent zurückgegangen wurde –, daß ein ähnlicher Schritt in Vorbereitung ist? Sehen Sie das auch so, und werden Sie diesbezüglich Ihr Aufsichtsrecht geltend machen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Ich habe bereits erklärt, daß die Kompetenz für die Vertragsabschlüsse mit den Privatspitälern im Bereich der einzelnen Krankenversicherungen liegt, daß ich aber diese Krankenversicherungen aufgefordert habe, ein System zu finden, das allen Beteiligten, natürlich auch den Krankenversicherungen, in der Kostenentwicklung entspricht.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke. Damit ist der 6. Fragenkomplex erledigt.

Abgeordneter Dr. Stummvoll (ÖVP) formuliert die nächste Anfrage.


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Abgeordneter Dkfm. Dr. Günter Stummvoll:
Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

20/M

Wie werden Sie das Ausländerbeschäftigungsgesetz mit dem neuen Fremdenrecht koordinieren?


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35. Sitzung / Seite 29

Präsident Dr. Heinz Fischer:
Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Das neue Fremdenrecht ist erst in Ausarbeitung, und wir werden sicher koordinierende Maßnahmen setzen. Insgesamt liegt es im Interesse aller, daß wir längerfristig zu der Situation kommen, daß alle, die sich legal in Österreich aufhalten, und zwar mit dem Ziel, hier zu leben, auch Beschäftigungsmöglichkeit haben – längerfristig, möchte ich dabei betonen.

Das setzt aber voraus, daß die Arbeitsmarktsituation dementsprechend ist, und das setzt voraus, daß es eine äußerst restriktive Zuzugspolitik gibt, denn heute ist sicher nicht vertretbar, daß wir aufgrund der Arbeitsmarktsituation, die es derzeit gibt, die Bestimmungen im Ausländerbeschäftigungsgesetz derart ausweiten, daß es neue Probleme mit der Beschäftigung geben könnte. Zusätzliche Probleme können wir nicht akzeptieren.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Bitte.

Abgeordneter Dkfm. Dr. Günter Stummvoll:: Habe ich Sie richtig verstanden, daß das bedeutet, daß wir Ausländer nur in jenem Ausmaß in unser Land lassen, in dem wir auch Arbeitsplätze anbieten können?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: So sehe ich es.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Frau Abgeordnete Hostasch, bitte.

Abgeordnete Eleonora Hostasch (SPÖ): Herr Bundesminister! Die ausländischen Kolleginnen und Kollegen tragen sehr viel dazu bei, daß wir ein großes volkswirtschaftliches Produkt in Österreich herstellen können. Wie beurteilen Sie die Lage der ausländischen Kolleginnen und Kollegen auf dem Arbeitsmarkt und in bezug auf die Arbeitsbedingungen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Wir haben in Österreich die Regelung, daß ausländische Arbeitskräfte zu denselben Bedingungen zu beschäftigen sind wie Inländer, und dazu stehe ich. Es war in vielen Bereichen sicher auch notwendig, daß wir diese ausländischen Arbeitskräfte ins Land geholt haben, um unseren wirtschaftlichen Aufstieg zu sichern. Das ist die Situation, die es heute auch gibt. Wir haben übrigens im Bereich der Ausländerarbeitslosigkeit eine wesentlich günstigere Situation als alle anderen Staaten.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke. – Kollege Dolinschek.

Abgeordneter Sigisbert Dolinschek (Freiheitliche): Herr Bundesminister! Die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte ist in den vergangenen Jahren zwar ziemlich konstant geblieben, aber die ausländische Wohnbevölkerung in Österreich hat enorm zugenommen. Wir haben noch 1973 226 000 ausländische Arbeitskräfte und 300 000 Ausländer in der Wohnbevölkerung gehabt. Heute haben wir praktisch 275 000 ausländische Arbeitnehmer in Österreich, aber zirka 700 000 Ausländer in der Wohnbevölkerung. Wenn der Innenminister jetzt ein neues Fremdengesetz plant, mit dem die Erhöhung der Zuwanderungsquote von 16 000 auf 18 000 pro Jahr ansteigt, wobei Pensionisten, Lehrlinge und Studenten nicht eingerechnet werden, so müssen wir damit rechnen, daß ein Zuzug von zirka 24 000 im Jahr erfolgt. Das bedeutet ...

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich bitte um die Frage, Herr Kollege!

Abgeordneter Sigisbert Dolinschek (fortsetzend): Herr Präsident! Ich komme sofort zu meiner Frage. Das bedeutet eine Zuwanderung von zirka 100 000 in den nächsten vier Jahren.

In Anbetracht der angespannten Situation des Sozialsystems in Österreich frage ich Sie: Wie werden Sie dagegenwirken, und wie soll dieses soziale System bei einer solchen Zuwanderung aufrechterhalten werden?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Ich kenne kein Konzept des Innenministers, das eine derart hohe Zuwanderung ermöglichen würde. Das ist nicht bekannt, und das gibt es auch nicht.

Zum Zweiten: Ich habe bereits vorher erklärt, daß wir bei all diesen Maßnahmen natürlich die Arbeitsmarktsituation berücksichtigen müssen und daß es nur eine sehr restriktive Zuwanderungspolitik geben kann.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke. – Kollege Öllinger.

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Herr Minister! Das bestehende Aufenthaltsrecht führt dazu, daß ausländisch Beschäftigte teilweise Arbeit um jeden Preis, sprich Lohn, annehmen müssen, damit sie nicht den Aufenthalt in Österreich verlieren. Welche Maßnahmen werden Sie setzen, damit es endlich zu einem einheitlichen Ausländerbeschäftigungs- und Aufenthaltsrecht für alle hier lebenden Ausländer kommt?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Es ist natürlich in Zeiten schlechterer Beschäftigungsmöglichkeiten im Lohnbereich nicht so leicht. Allerdings haben wir die Sachlage, daß auch Ausländer in Österreich mindestens zum Kollektivvertragstarif entlohnt werden müssen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke. – Ich rufe noch die letzte Anfrage auf und bitte um kurze Antworten. – Frau Abgeordnete Reitsamer (SPÖ), bitte.

Abgeordnete Annemarie Reitsamer: Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

22/M

Welche Strategien verfolgen Sie beim Einsatz der Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik in Ihrem Ressort?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Beim Einsatz der Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik gehen wir davon aus, daß wir durch Schulungsmaßnahmen, durch zusätzliche Beschäftigungsfindung wirklich alles dazu tun wollen, um Beschäftigung in Österreich zu sichern. Darüber hinaus ist es natürlich notwendig, das Programm der Regierung für neue Beschäftigungsplätze auch voll wirksam werden zu lassen, und in diese Richtung gibt es Maßnahmen mit den Sozialpartnern.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Eine Zusatzfrage wird nicht gewünscht. – Kollege Zweytick, bitte.

Abgeordneter Johannes Zweytick (ÖVP): Sehr geehrter Herr Bundesminister! In der Steiermark wurde ein Landesverband für Kinderbetreuungseinrichtungen gegründet, der zum Ziel hat, die langzeitarbeitslosen Lehrer und Kindergärtner einzustellen. Dem Verband wurde die För


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derung für die Projekterstellung nicht gewährt – mit der Begründung, daß mit dem bereits bestehenden Verein Falb nicht kooperiert wird. Meine Frage: Sind Sie mit dieser Vorgangsweise einverstanden? Wenn ja, warum?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Ich kenne den konkreten Fall nicht, da die Förderungen in der Abwicklung im Bereich des Arbeitsmarktservices liegen, das ausgegliedert wurde. Ich kann Ihnen nur zusagen, daß ich diesen Fall, soweit das möglich ist, anschauen werde.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke. – Frau Kollegin Madl, bitte.

Abgeordnete Elfriede Madl (Freiheitliche): Herr Bundesminister! Wie Sie wissen, ist es für viele Frauen noch immer ein Problem, Familienarbeit und Erwerbsarbeit unter einen Hut zu bekommen. Welche Maßnahmen werden Sie nun setzen, um den Wiedereinstieg für Frauen nach einer längeren Phase der ausschließlichen Familienarbeit zu ermöglichen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Es obliegt mir, dem Arbeitsmarktservice Ziele vorzugeben. Eines der wesentlichen arbeitsmarktpolitischen Ziele ist es, Frauen den Wiedereinstieg in das Berufsleben zu erleichtern, durch Schulungsmaßnahmen und ähnliche Aktionen und natürlich auch dadurch, daß, soweit das in die Kompetenz des Arbeitsmarktservices fällt, Hilfe geleistet wird für Schulungen und auch im Bereich der Kinderbetreuung.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke, Herr Bundesminister. – Kollege Dr. Kier.

Abgeordneter Dr. Volker Kier (Liberales Forum): Herr Bundesminister! Wie verträgt es sich mit Ihrer Philosophie der aktiven Arbeitsmarktpolitik, daß das AMS jährlich 4,8 Milliarden Schilling an die Pensionskassen beziehungsweise an den Ausgleichsfonds zahlen muß? Wenngleich ich nicht verkenne, daß Frühpensionen auch den Arbeitsmarkt entlasten, so kann man das doch nicht mit dem Begriff "aktive Arbeitsmarktpolitik" überschreiben. – Oder sind Sie anderer Meinung?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Das steht richtigerweise keinesfalls im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Für die aktive Arbeitsmarktpolitik wurden im Vorjahr rund 5 Milliarden, heuer rund 6,5 Milliarden Schilling ausgegeben. Daß Mittel aus einem anderen Titel in die Pensionsversicherung zu entrichten sind, ist völlig gerecht, denn wir haben auch Frühpensionierungen wegen langer Arbeitslosigkeit. Normalerweise müßten, wenn es diese Pensionierungsmöglichkeit nicht gäbe, diese Gelder, die jetzt richtigerweise in die Pensionsversicherung überwiesen werden, vom Arbeitsmarktbereich oder von der Arbeitslosenversicherung gezahlt werden.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich danke dem Herrn Bundesminister.

Damit sind alle Fragen beantwortet. Die Fragestunde ist beendet.

Einlauf und Zuweisungen

Präsident Dr. Heinz Fischer: Meine Damen und Herren! Hinsichtlich der eingelangten Verhandlungsgegenstände und deren Zuweisungen verweise ich gemäß § 23 Abs. 4 der Geschäftsordnung auf die im Sitzungssaal verteilte schriftliche Mitteilung.

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:

A) Eingelangte Verhandlungsgegenstände :

Anfragebeantwortungen: 595/AB bis 599/AB.


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B) Zuweisungen in dieser Sitzung:

Finanzausschuß:

Antrag 262/A (E) der Abgeordneten Mag. Doris Kammerlander und Genossen betreffend steuerliche Absetzmöglichkeiten von Spenden an gemeinnützige, humanitäre Organisationen;

Kulturausschuß:

Antrag 263/A (E) der Abgeordneten MMag. Dr. Madeleine Petrovic und Genossen betreffend Ungleichbehandlung von Preisen, Förderungen und Stipendien nach dem Filmförderungsgesetz beziehungsweise dem Kunstförderungsgesetz.

*****

Präsident Dr. Heinz Fischer: Es ist an mich das Verlangen herangetragen worden, auf ein Foto zu reagieren, das in verschiedenen heutigen Tageszeitungen erschienen ist und als eine obszöne Geste des Abgeordneten Wabl verstanden werden kann, vielleicht auch verstanden werden muß. Ich werde diesen Sachverhalt in der Präsidialsitzung noch in dieser Woche zur Sprache bringen. Ich möchte aber schon heute keinen Zweifel daran lassen, daß ich obszöne Gesten selbstverständlich genauso scharf verurteile wie obszöne Worte. Wir werden diesen Sachverhalt klären.

Ankündigung von dringlichen Anfragen

Präsident Dr. Heinz Fischer: Die Abgeordneten Mag. Kammerlander und Genossen haben das Verlangen gestellt, die vor Eingang in die Tagesordnung eingebrachte schriftliche Anfrage 989/J der Abgeordneten Mag. Kammerlander und Genossen an den Bundeskanzler betreffend "Immerwährende Neutralität" Österreichs dringlich zu behandeln.

Weiters haben die Abgeordneten Dipl.-Ing. Prinzhorn und Genossen das Verlangen gestellt, die gleichfalls vor Eingang in die Tagesordnung eingebrachte schriftliche Anfrage 990/J der Abgeordneten Prinzhorn und Genossen an den Herrn Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten betreffend Semperit – Ende eines traditionsreichen österreichischen Unternehmens, gleichfalls dringlich zu behandeln.

Beide Verlangen sind darauf gerichtet, die dringliche Behandlung zum frühestmöglichen Zeitpunkt anzusetzen. Ich werde daher im Sinne des § 93 Abs. 4 der Geschäftsordnung um 16 Uhr mit der Behandlung der dringlichen Anfrage, und zwar in der Reihenfolge, wie ich sie jetzt bekanntgegeben habe, beginnen.

Behandlung der Tagesordnung

Präsident Dr. Heinz Fischer: Es ist vorgeschlagen, die Debatte über die Punkte 1 bis 15, 16 und 17 sowie 18 bis 21 der heutigen Tagesordnung zusammenzufassen.

Gibt es dagegen Einwendungen? – Das ist nicht der Fall. Dann werden wir so vorgehen.

Redezeitbeschränkungen

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir gehen nunmehr in die Tagesordnung ein.

In der Präsidialkonferenz wurde Konsens über Gestaltung und Dauer der Debatten zur gesamten Tagesordnung wie folgt erzielt: Demgemäß wurde für alle Tagesordnungspunkte eine Blockredezeit von insgesamt 16 "Wiener Stunden" vereinbart. Daraus ergeben sich folgende Redezeiten: SPÖ 240 Minuten, ÖVP 224 Minuten, Freiheitliche 208 Minuten, Liberales Forum und Grüne je 144 Minuten.


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Über diesen Vorschlag ist Konsens erzielt worden. Gibt es dagegen Einwendungen? – Das ist nicht der Fall. Das ist damit einhellig beschlossen.

1. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (214 der Beilagen): Sozialrechts-Änderungsgesetz 1995 – SRÄG (286 der Beilagen)

2. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (215 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz geändert wird (21. Novelle zum GSVG) (287 der Beilagen)

3. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (216 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Bauern-Sozialversicherungsgesetz (20. Novelle zum BSVG) und das Betriebshilfegesetz (9. Novelle zum BHG) geändert werden (288 der Beilagen)

4. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (217 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz geändert wird (24. Novelle zum B-KUVG) (289 der Beilagen)

5. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (218 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Sozialversicherung freiberuflich selbständig Erwerbstätiger geändert wird (9. Novelle zum Freiberuflichen Sozialversicherungsgesetz – FSVG) (290 der Beilagen)

6. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (219 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Notarversicherungsgesetz 1972 geändert wird (8. Novelle zum NVG) (291 der Beilagen)

7. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 246/A (E) der Abgeordneten Dr. Brigitte Povysil und Genossen betreffend Gesamtverträge für Heilbehelfe (292 der Beilagen)

8. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 247/A (E) der Abgeordneten Dr. Alois Pumberger und Genossen betreffend Rücknahme des Belastungspakets im Bereich der Krankenversicherung – Einsparungen vor neuen Belastungen (293 der Beilagen)


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9. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 131/A (E) der Abgeordneten Ute Apfelbeck und Genossen betreffend Einbeziehung aller Tätigkeiten freiwilliger Hilfsorganisationen in den Unfallversicherungsschutz (294 der Beilagen)

10. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 164/A der Abgeordneten Mag. Thomas Barmüller und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das ASVG geändert wird (295 der Beilagen)

11. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 226/A der Abgeordneten Edith Haller und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wird (296 der Beilagen)

12. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 53/A (E) der Abgeordneten Mares Rossmann und Genossen betreffend Förderungsmaßnahmen für Saisonbetriebe zur Entlastung der Arbeitslosenversicherung durch eine Verlängerung der Saison (297 der Beilagen)

13. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 66/A der Abgeordneten Mag. Helmut Peter und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitszeitgesetz geändert wird (299 der Beilagen)

14. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (177 der Beilagen): Bundesgesetz über die Regelung der Arbeit in Backwaren-Erzeugungsbetrieben (Bäckereiarbeiter/innengesetz 1996 – BäckAG 1996) und über Änderungen des Bundesgesetzes über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen 1987 und des Arbeitsruhegesetzes (300 der Beilagen)

15. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 242/A der Abgeordneten Friedrich Verzetnitsch, Dr. Gottfried Feurstein und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz, das Arbeitsverfassungsgesetz, das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz und das Einkommensteuergesetz 1988 geändert werden (301 der Beilagen)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir gelangen nun zu den Punkten 1 bis 15 der Tagesordnung. Es wird die Debatte darüber unter einem durchgeführt.

Es sind dies die Berichte des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlagen

214 der Beilagen: Sozialrechts-Änderungsgesetz,

215 der Beilagen: GSVG-Novelle,


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216 der Beilagen: Bauern-Sozialversicherungsgesetz und Betriebshilfegesetznovelle,

217 der Beilagen: Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz,

218 der Beilagen: Bundesgesetz über die Sozialversicherung freiberuflich selbständig Erwerbstätiger,

219 der Beilagen: Notarversicherungsgesetz

sowie die Initiativanträge 

246/A (E) der Abgeordneten Dr. Povysil,

247/A (E) des Abgeordneten Dr. Pumberger,

131/A (E) der Abgeordneten Apfelbeck,

164/A des Abgeordneten Mag. Barmüller,

226/A der Abgeordneten Haller,

53/A (E) der Abgeordneten Rossmann und

66/A des Abgeordneten Mag. Peter

sowie über die Regierungsvorlage 177 der Beilagen: Bundesgesetz über die Regelung der Arbeit in Backwaren-Erzeugungsbetrieben und andere Materien

sowie den Antrag 242/A der Abgeordneten Verzetnitsch, Dr. Feurstein und Genossen.

Berichterstatterin zu den Punkten 1 bis 3 sowie 7 bis 11 ist Frau Abgeordnete Dr. Pittermann.

Ich darf sie um ihren Bericht bitten. Im Anschluß daran wird Frau Abgeordnete Gatterer berichten. – Bitte, Frau Kollegin Dr. Pittermann.

Berichterstatterin Dr. Elisabeth Pittermann : Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Ich erstatte den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage 214 der Beilagen: Sozialrechts-Änderungsgesetz 1996, weiters den Bericht über die Regierungsvorlage 215 der Beilagen: Bundesgesetz, mit dem das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz geändert wird (21. Novelle zum GSVG), den Bericht über die Regierungsvorlage 216 der Beilagen: Bundesgesetz, mit dem das Bauern- Sozialversicherungsgesetz (20. Novelle zum BSVG) und das Betriebshilfegesetz (9. Novelle zum BHG) geändert werden.

Die gegenständlichen Regierungsvorlagen enthalten zahlreiche Änderungen, Rechtsbereinigungen, eine Verbesserung der Praxis sowie eine Anpassung an die Rechtsentwicklungen außerhalb des Sozialversicherungsrechtes. Außerdem sollen die vorgeschlagenen Änderungen Kosteneinsparungen bringen, um die hohen Qualitätsstandards der Krankenversicherung unter besonderer Berücksichtigung des medizinischen Fortschrittes und der Gesundheitsvorsorge zu ermöglichen.

Die gegenständlichen Regierungsvorlagen wurden im Ausschuß für Arbeit und Soziales am 4. Juli eingehend debattiert.

Als Ergebnis seiner Beratung stellt der Ausschuß für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle den den schriftlichen Ausschußberichten angeschlossenen Gesetzentwürfen die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Ich bringe weiters die Berichte über die Tagesordnungspunkte 7, 8, 9, 10 und 11, und zwar den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Brigitte Povysil und Genossen betreffend Gesamtverträge für Heilbehelfe, 246/A (E), den Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Alois Pumberger und Genossen betreffend Rücknahme des Belastungspakets im Bereich der Krankenversicherung – Einsparungen vor neuen Belastungen, 247/A (E), den Entschließungsantrag der Abgeordneten Ute Apfelbeck und


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Genossen betreffend Einbeziehung aller Tätigkeiten freiwilliger Hilfsorganisationen in den Unfallversicherungsschutz, 131/A (E), den Antrag der Abgeordneten Mag. Thomas Barmüller und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das ASVG geändert wird, 164/A, den Antrag der Abgeordneten Edith Haller und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz zugunsten der Tagesmütter und Tagesväter geändert wird, 226/A.

Im Ausschuß wurden die eben genannten Anträge eingehend debattiert.

Bei der Abstimmung fanden die gegenständlichen Anträge keine Mehrheit.


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Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuß für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle die betreffenden schriftlichen Berichte zur Kenntnis nehmen.

Herr Präsident! Da Wortmeldungen vorliegen, ersuche ich, nach der weiteren Berichterstattung die Debatte fortzusetzen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich danke für die Berichterstattung zu den Punkten 1 bis 3 und 7 bis 11 und bitte jetzt Frau Kollegin Gatterer, zu 4 bis 6 und 12 zu berichten.

Berichterstatterin Edeltraud Gatterer: Herr Präsident! Ich erstatte den Bericht des Sozialausschusses über die Regierungsvorlage 217 der Beilagen: Bundesgesetz, mit dem das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz geändert wird, den Bericht zu 218 der Beilagen: Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Sozialversicherung freiberuflich selbständig Erwerbstätiger geändert wird, und über die Regierungsvorlage 219 der Beilagen: Bundesgesetz, mit dem das Notarversicherungsgesetz 1972 geändert wird.

Alle Regierungsvorlagen wurden am 4. Juli in der Sozialausschußsitzung behandelt.

Bei der Abstimmung wurden die Regierungsvorlagen mit Stimmenmehrheit angenommen.

Als Ergebnis seiner Beratung stellt der Ausschuß zu allen drei Berichten den Antrag, der Nationalrat wolle den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwürfen die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Ich erstatte ferner den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Mares Rossmann und Genossen betreffend Förderungsmaßnahmen für Saisonbetriebe zur Entlastung der Arbeitslosenversicherung durch eine Verlängerung der Saison.

Der Ausschuß für Arbeit und Soziales hat den gegenständlichen Antrag in der Sitzung am 4. Juli 1996 in Verhandlung genommen.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag jedoch keine Mehrheit.

Als Ergebnis seiner Beratung stellt der Ausschuß für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle den schriftlichen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke, Frau Kollegin.

Jetzt darf ich noch Frau Abgeordnete Hagenhofer um die Berichterstattung zu den Punkten 13 und 15 bitten. – Wenn das kurzfristig nicht möglich sein sollte, bitte ich die Vorsitzende des Sozialausschusses zu berichten.

Berichterstatterin Annemarie Reitsamer: Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Ich erstatte den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 66/A der Abgeordneten Mag. Helmut Peter und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitszeitgesetz geändert wird.

Dieser Antrag wurde in der Sitzung des Sozialausschusses am 4. Juli 1996 behandelt und fand in der Abstimmung keine Mehrheit.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuß für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle den schriftlichen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Weiters erstatte ich den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 242/A der Abgeordneten Fritz Verzetnitsch, Dr. Gottfried Feurstein und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz, das Arbeitsverfassungsgesetz, das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz und das Einkommensteuergesetz 1988 geändert werden.

Auch dieser Antrag wurde in der Sitzung des Sozialausschusses am 4. Juli 1996 diskutiert und fand eine entsprechende Mehrheit.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuß für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem dem schriftlichen Ausschußbericht angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke, Frau Abgeordnete.

Den Bericht zu Punkt 14 erbitte ich von Kollegen Dr. Trinkl.

Berichterstatter Mag. Dr. Josef Trinkl: Herr Präsident! Herr Bundesminister! Ich erstatte Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage in 177 der Beilagen: Bundesgesetz über die Regelung der Arbeit in Backwaren-Erzeugungsbetrieben (Bäckereiarbeiter/innengesetz 1996) und über Änderungen des Bundesgesetzes über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen und des Arbeitsruhegesetzes.

Der Ausschuß für Arbeit und Soziales hat die gegenständlichen Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 4. Juli 1996 in Verhandlung genommen und mit Stimmenmehrheit angenommen.

Als Ergebnis seiner Beratung stellt der Ausschuß für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem von der Regierung vorgelegten Gesetzentwurf (177 der Beilagen) die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Herr Präsident! Da Wortmeldungen vorliegen, bitte ich, die Debatte fortzusetzen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke. Damit haben wir alle Berichterstatter gehört.

Wir treten in die Diskussion ein.

Die Redezeiten sind bekannt.

Der erste Kontraredner ist Herr Abgeordneter Mag. Haupt. Er hat das Wort. Redezeit: 40 Minuten.

10.14

Abgeordneter Mag. Herbert Haupt (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute haben wir unter den 15 zur Abhandlung gelangenden Sozialgesetzen beziehungsweise Änderungsanträgen der Oppositionsparteien zu den Sozialgesetzen dieser Republik auch das sogenannte Belastungspaket im Bereich der Gesundheitspolitik in Verhandlung.

Wir Freiheitlichen lehnen dieses Sozialrechts-Änderungsgesetz 1996 in der vorliegenden Form in nahezu allen Punkten ab, weil darin eine Reihe von unnotwendigen Belastungen im Bereich der Krankenversicherungen und im Sozialversicherungsbereich enthalten sind, wie etwa die Einführung der Krankenscheingebühr von 50 S, die Reduktion des Wahlarztkostenersatzes auf 80 Prozent, die Umwandlung der Reise- und Transportkosten in eine freiwillige Leistung, die Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge für Pensionisten auf 3,75 Prozent und all die anderen Dinge, die in den letzten Tagen und Wochen ohnehin die österreichischen Medien über Gebühr beschäftigt haben.


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Es soll nicht verschwiegen werden, daß im Rahmen dieses Sozialrechts-Änderungsgesetzes zwei Anliegen der Opposition mit verhandelt worden sind und die positiv erledigt wurden. Das ist zum einen die Absicherung im Bereiche der freiwilligen Hilfsorganisationen, wie etwa der österreichischen Feuerwehr, sodaß diese Feuerwehrleute dort, wo sie freiwillig tätig werden und im Einsatz stehen – im Interesse der Öffentlichkeit und auch kostensparend für die öffentliche Hand – endlich entsprechenden Unfallversicherungsschutz genießen.

Es soll aber auch nicht verschwiegen werden, daß im Zusammenhang mit diesen Regelungen noch nicht alle Wünsche, die die Oppositionsparteien auf den Tisch gelegt haben, restlos erfüllt sind. (Zwischenruf des Abg. Leikam. )

Herr Kollege Leikam, Sie meinen, es geht nicht alles auf einmal, und Sie meinen auch, daß es vorher noch schlechter war – da gebe ich Ihnen schon recht –, aber ... (Abg. Leikam: Feuerwehr, Rettung! Der Brief vom Kollegen Haupt an die Feuerwehr ist erfüllt!)

Aber, Herr Kollege Leikam, Sie sollten zur Kenntnis nehmen, daß auch jene Bereiche, die derzeit noch nicht geregelt sind, aus meiner Sicht dringend einer Regelung bedürfen. Ich denke da etwa an die feuerpolizeilichen Tätigkeiten, die Freiwillige der Feuerwehr im Rahmen der Bauordnungsverhandlungen wahrnehmen, aber auch dort, wo in den Gemeinden die Freiwilligen Feuerwehren oftmals dazu herangezogen werden, im Frühjahr oder Herbst gärtnerische Maßnahmen durchzuführen, mit dem Einsatz der Magirus-Leitern zum Beispiel, um etwa Parkbäume, Alleebäume und ähnliche Dinge zu pflegen. Da ist eine Reihe von Unfällen in den letzten Jahren nachweislich passiert. Das war zwar sicherlich, Kollege Feurstein, der Sie mit dem Kopf schütteln, keine nervenzerfetzende Anzahl, aber es gab doch immerhin pro Jahr zwei bis drei Unfälle aus diesem Titel. Daher glaube ich, daß, wenn man die gesamten Einsparungseffekte österreichweit betrachtet, hier durchaus eine Unfallsregelung auch für diesen Bereich – und nicht nur für den Einsatz im behördlichen Auftrag – sinnvoll und notwendig gewesen wäre.

Es wird daher unsere Fraktion bei den Abstimmungen sowohl den Antrag des Kollegen Barmüller als auch den Antrag der Kollegin Apfelbeck mit unterstützen, und wir werden zu diesem Bereich auch zum Strukturänderungsgesetz einen entsprechenden Abänderungsantrag, der diesen Bereich noch mitregelt, einbringen.

Ich darf Sie daher ersuchen, sich die Argumente, die in den beiden Anträgen der Oppositionsparteien zu diesem Bereich angeführt sind, genauer anzusehen.

Ich glaube auch, daß zu den Belastungen im Krankenversicherungswesen doch einige grundlegende Dinge angemerkt werden müssen. Wenn man etwa bedenkt, daß nunmehr auf der einen Seite Krankenscheingebühren mit den bekannten Ausnahmeregelungen für Kinder und Pensionisten, für sozial Schwache und chronisch Kranke eingeführt worden sind und auf der anderen Seite für Pensionisten nunmehr der Krankenversicherungsbeitrag auf 3,75 Prozent erhöht worden ist, dann sind meiner Ansicht nach und aus freiheitlicher Sicht hier zwei Dinge zu monieren. Schließlich hat sich auch dadurch, daß die Reise- und Transportkosten dort, wo es sich nicht um akute Fälle, sondern um sonstige Transportkosten handelt, auf freiwillige Leistungen beschränkt werden, doch einiges für die Patienten, für die kranken Menschen in unserem Lande entscheidend verschlechtert.

Ich halte die Argumentation der Sozialdemokraten, daß es sich hierbei nicht um Selbstbehalte handelt, schlichtweg für falsch, denn die Krankenscheingebühren, die erhöhten Rezeptgebühren und auch die Reise- und Transportkosten im Zusammenhang mit Erkrankungen, die chronischer Natur sind, sind keine Luxusangelegenheiten beziehungsweise keine Maßnahmen, die dann lukriert werden, wenn es einem aus Jux und Tollerei einfällt, sondern die ausschließlich von kranken Menschen in Anspruch genommen werden beziehungsweise von kranken Menschen zu zahlen sein werden.

Ich glaube daher, daß man gerechterweise zugeben hätte müssen, daß man hier Selbstbehalte eingeführt hat, und zwar Selbstbehalte, die nicht dazu dienen werden, das Loch, das Manko im


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Bereich der Sozialversicherung in entsprechender Form auch langfristig ausreichend abzudecken.

Sie, Herr Bundesminister, haben ins Treffen geführt, daß es Ihnen gelungen ist, mit den Ärzten, aber auch mit der Pharmaindustrie entsprechende Einsparungen zu vereinbaren. – Das ist gut so. Ich hoffe, daß Ihnen das auch in Zukunft gelingen wird. Ich glaube aber, daß im Bereich der Heilbehelfe und der Heilmittel in Österreich noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Die dringlichen Anfragen der Freiheitlichen und die Sondersitzung zu diesem Thema haben ja sehr viele Ungereimtheiten in diesem Bereich zu Tage gefördert. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Wenn Sie, sehr geehrter Herr Bundesminister, meinen, daß die Belastungserhöhung bei den Pensionisten auf nunmehr 3,75 Prozent eine gerechtfertigte Angelegenheit wäre, weil die Menschen durch die Erfolge der Medizin älter werden und daher mehr Kosten im Alter anfallen, halte ich Ihnen heute gleich wie im Ausschuß entgegen, daß bitte jeder Gesundheitspolitiker gewußt hat, daß sich die Medizin weiterentwickelt, daß wir wissen, daß jeweils alle vier bis fünf Jahre epochale Neuerungen kommen.

Im Zusammenhang etwa mit der neuen Krankenanstaltenfinanzierung hat es heftige Kritik am 1989 eingeführten und 1992 auf den letzten Stand gebrachten LCD-9-Schlüssel gegeben, denn Sie wissen alle, daß etwa die Abteilungsgrößen in den Krankenanstalten aus heutiger Sicht nicht mehr so gestaltet werden müssen, wie sie in den veralteten Schlüsseln aus 1989 und 1992 festgeschrieben sind. So wichtige Neuerungen wie etwa die moderne Operationstechnik im Bereiche der Kniegelenke, im Bereiche des Abdomens durch Arthroskopie und ähnliches mehr waren 1989 noch nicht verbreitet, sondern erst im Einführungsstadium begriffen und haben hier zu massiven Einsparungen im Bereiche der chirurgischen Abteilungen, aber auch der gynäkologischen Abteilungen geführt. Sie haben zu einer massiven Verlagerungsmöglichkeit in den tagesmedizinischen Bereich geführt. Alles das ist im leistungsorientierten Krankenanstaltensystem bei den heutigen Abrechnungen nicht ausreichend berücksichtigt. Die Größen der Abteilungen und die Anzahl der Betten sind noch immer auf einer Höhe vorhanden, die nach dem heutigen medizinischen Standard nicht gerechtfertigt ist. Diese Einsparungspotentiale sind nicht lukriert. Der ÖKAP ist in diesem Bereich weder zeitgemäß noch in entsprechender Form auf dem letzten Stand.

Es kommt mir so vor, als wenn man heute die Geburtsabteilungen und die gynäkologischen Abteilungen mit den Geburtenraten des Jahres 1950 oder 1960 aufrechterhalten wollte und nicht berücksichtigen würde, daß die demoskopische Entwicklung in Österreich in den letzten 30 Jahren einen deutlich anderen Weg genommen hat.

Ich glaube daher, Herr Bundesminister, daß in diesem Bereich noch sehr viel Einfallsreichtum durchaus auf der Basis der heutigen Realität gefragt wäre und daher diese 50 S Belastung aus der Krankenscheingebühr für den Kranken im Anlaßfall – ein Potential von etwa 400 Millionen bis 600 Millionen Schilling aus diesem Titel, das lukriert wird – nicht notwendig wäre, wenn man das, was andererseits jeder in Österreich, der sich mit diesen gesundheitspolitischen Maßnahmen beschäftigt, ohnehin weiß, in den entsprechenden Verhandlungen ausreichend berücksichtigt hätte. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich glaube auch, sehr geehrter Herr Bundesminister, daß im Bereich der Reise- und Transportkosten ein unbefriedigender Zustand ist, für manche Gruppen von chronisch Kranken nahezu ein Zustand der Verunsicherung. Ich hoffe, sehr geehrter Herr Bundesminister, daß Sie im Rahmen Ihrer Aufsichtspflicht für die Sozialversicherungen und die Krankenversicherungen in entsprechender Form tätig werden, gemeinsam mit Frau Minister Krammer, daß Sie hier schauen, daß im Rahmen der Satzungen nunmehr die freiwilligen Leistungen bei den Reise- und Transportkosten dort, wo es sich nicht um Akutfälle handelt, möglichst schnell publiziert werden, daß sie für jene Menschen, die etwa Dialysepatienten sind oder die im Alter zu immer wiederkehrenden Behandlungen in entlegene Krankenanstalten im ländlichen Bereich transportiert werden müssen, geregelt werden, damit diese Menschen, die oftmals schon durch ihre Erkrankung erhöhte Lebenshaltungskosten haben und denen Sie gemeinsam mit der Bundesregierung im Belastungspaket erhebliche Möglichkeiten der Abschreibung von bis zu 16 000 S


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gestrichen haben, nicht auch noch hier zur Kasse gebeten werden, in einem Bereich, in dem es, glaube ich, nicht gerechtfertigt ist.

Ich hoffe, daß hier Ihr soziales Herz durchschlägt und Sie möglichst schnell und möglichst rasch im Bereiche der Satzungen der Sozialversicherungen dafür sorgen, daß diese Menschen nicht verunsichert werden, sondern daß sie wissen, daß ihre Leistungen dort, wo sie es sich sonst nicht leisten können, weiterhin getragen werden.

Es ist das für mich ein wichtiges, zu regelndes Problem, was aber nur mehr über die Satzungen möglich ist und nicht mehr über das Gesetz.

Ich möchte hier auch anmerken, daß die Kürzung auf 80 Prozent des Wahlarztkostenersatzes für mich schlichtweg eine Katastrophe darstellt. Die Wahlärzte sind eine Gruppe von Medizinern, die einerseits frisch von den Universitäten kommen, sich nunmehr auf Wartelisten für die Verleihung von Planstellen der Krankenversicherungen, der Gebietskrankenkassen, aber auch der kleineren Krankenversicherungen befinden und sich daher als Wahlärzte niedergelassen haben. Oder es sind andererseits Ärzte, die aus dem normalen Sozialversicherungssystem ausgestiegen sind, um sich durch komplementärmedizinische Maßnahmen aus dem üblichen System des Krankenscheinsammelns zu absentieren und ihren Patienten mehr Zuwendung geben zu können.

Es gibt Erfahrungen aus dem Land Steiermark, wo die Steiermärkische Gebietskrankenkasse ja schon dazu übergegangen ist, ohne gesetzliche Grundlage der Wahlarztkostenersätze individuell nach einzelnen Gesichtspunkten zu kürzen, zwar nicht auf 80 Prozent generell, sondern teilweise etwas weniger, was eine bis zu 40 Prozent geringere Inanspruchnahme dieser Wahlärzte im Bereich der Steiermark in den letzten Monaten bewirkt hat.

Ich sehe bei diesem Problem zwei Dinge: Erstens, die Wahlärzte, die in der Regel mehr Zeit für ihre Patienten aufwenden und die zum großen Teil auch im komplementärmedizinischen Bereich tätig sind, werden nunmehr verstärkt nur für die finanziell besser ausgestatteten Familien in Österreich zugänglich sein, weil es sich jene Familien, die am Existenzminimum oder an der Armutsgrenze leben, nicht mehr leisten können, nur 80 Prozent und nicht die vollen Kosten, die ihnen dort verrechnet werden, in entsprechender Form rückerstattet zu bekommen.

Zum zweiten: Jene, die – was in diesem Bereich durchaus auch möglich war – als Wahlärzte sozial eingestellt waren und ihren Patienten Preisnachlässe gegeben haben, bestrafen wir doppelt. Denn wenn der Wahlarzt in entsprechender Form von seinen ihm tatsächlich erwachsenden Kosten aufgrund seiner Praxiskalkulationen dem Patienten, weil er ihm sozial bedürftig erscheint, etwas nachläßt, wird er dann noch ein zweitesmal benachteiligt, nämlich im Zusammenhang mit den Tarifen der anders Kalkulierenden, besser Abgesicherten und auch durch das System des Patientenzuzugs gerade im ländlichen Raum, also dem Zuzug von Patienten zum einzigen Arzt im Ort, der etwa Gebietskrankenkassenscheine voll einlöst.

Ich glaube auch, daß man nicht übersehen sollte, daß die privaten Krankenanstalten nunmehr auf den Goodwill der Länder angewiesen sind, denn die Finanzierung der privaten Krankenanstalten für ihre Leistungen im Rahmen der gesundheitlichen Grundversorgung dieser Republik, immerhin zwischen 12 und 15 Prozent je Bundesland, wird nunmehr vom Goodwill der Landesfinanzreferenten und der Landesgesundheitsreferenten abhängig sein, die in der Regel diese Ländertöpfe in den Bundesländer verwalten werden.

Was wird das bedeuten? – Jene, die eine auf vier Jahre gedeckelte Summe aus der Sozialversicherung haben, müssen sich nun überlegen, ob sie den eher ungeliebten Bereich der privaten Krankenanstalten mit ihrem Versorgungsbereich von 12 bis 15 Prozent in der medizinischen Grundversorgung gebührend ausstatten oder ob sie die gesamten Gelder für den Bereich, wo sie auch als Dienstgeber tätig sind, nämlich für die Landeskrankenanstalten und die Krankenanstalten der Gemeinden, verwenden werden.

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, sehr geehrter Herr Bundesminister, daß hier versucht wird, über das Motto der Einsparung einen ungeliebten Mitkonkurrenten vom Markt zu ver


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drängen, der heute in weiten Teilen Österreichs gleiche Leistungen mit billigeren Mitteln anbietet.

Die Kostenrelation zwischen den privaten Krankenanstalten und jenen Mitteln, die sie aus der Sozialversicherung refundiert bekommen, und die Kostenschere in den öffentlich-rechtlichen Krankenanstalten, besonders in jenen des KRAZAF-Bereiches, sind eklatant.

Ich mache mir Sorgen um diesen Bereich, und die Freiheitlichen werden daher in der heutigen Sitzung Anträge zu den §§ 149, 150 und 349 ASVG einbringen, die dann im Herbst im Sozialausschuß zu diskutieren sein werden, weil wir glauben, daß es nicht sein kann, daß dieser für die österreichische Grundversorgung auch wichtige Bereich der privaten Krankenanstalten hier einfach negiert wird und auf die Goodwill-Wartebank des jeweiligen Landesfinanzreferenten und Landesgesundheitsreferenten abgeschoben wird (Beifall bei den Freiheitlichen) und die dortigen Mitarbeiter, immerhin 15 Prozent der Beschäftigten der österreichischen Gesundheitsberufe in diesem Bereich und noch einmal 17 Prozent der Beschäftigten im Bereiche der niedergelassenen Ärzte, um ihre Arbeitsplätze zittern müssen. Es kann nicht so sein, daß auf der einen Seite in den Krankenanstalten der Länder teilweise Überhonorare bezahlt und lukriert werden und auf der anderen Seite die Arbeitnehmer im nichtgeschützten Bereich, um das so auszudrücken, um ihre Arbeitsplätze zittern müssen oder diese sogar verlieren.

Bei den Wahlärzten wird es noch eklatanter werden. Jene, die heute die Universitäten verlassen – und Sie wissen alle, wir haben eher ein Überangebot an praktischen Ärzten und ein Unterangebot an Fachärzten –, werden durch die Einsparungs- und Zusammenlegungsmodelle in den Krankenanstalten keine verstärkten Möglichkeiten bekommen, ein angestrebtes Facharztstudium zu betreiben, und sie werden nunmehr – auch dann, wenn sie arbeiten wollen –, in der Praxis weniger Patienten bekommen, weil es die Refundierung auf 80 Prozent gerade im ländlichen Bereich oder in wirtschaftlich schwachen Regionen sehr vielen gar nicht mehr ermöglicht, den Wahlarzt in Anspruch zu nehmen, sondern nur mehr den Vertragsarzt.

Ich glaube daher, daß sich diese Maßnahme, sosehr sie als Einsparung gedacht ist, einfach gegen die Gesundheitsversorgung in weiten Teilen Österreichs richtet, gegen die Absicherung von Arbeitsplätzen im Bereich außerhalb der KRAZAF-Krankenanstalten richten wird, und ich glaube daher, daß diese Maßnahme auch überdenkenswert ist im Zusammenhang mit den Einsparungsmaßnahmen. Sehr häufig sind heute die Kostenersätze generell in diesem Bereich geringer als die Kostenersätze im KRAZAF-Bereich. Man braucht sich ja nur die Tagesgebühren- und die Kostenersätze in den einzelnen Bundesländern vergleichsweise anzuschauen. Die Kostenersätze im Bereich der privaten Krankenanstalten sind stets die geringsten und sind maximal auf dem Niveau der Bezirks- und Regionalkrankenhäuser, während die anderen Krankenanstalten, abgestuft bis hin zum Wiener AKH, die oft vier- und fünffachen Tagesgebührenersätze haben, für durchaus gleiche Leistungen der medizinischen Grundversorgung.

Ich glaube auch, daß in diesem Zusammenhang hinsichtlich Pensionisten erwähnt werden muß, sehr geehrter Herr Bundesminister – etwas, was Sie sehr gerne vergessen –, daß die Pensionisten ja ein Leben lang – manche 35 Jahre, manche 40 Jahre lang – mit ihren vollen Beiträgen als Arbeitnehmer oder als Arbeitgeber die Krankenversicherung und die Sozialversicherung in Österreich aufgebaut haben. Jeder hat gewußt, daß irgendwann einmal die Folgen der Arbeitswelt – sei es durch Haltungsschäden, durch Berufskrankheiten, sei es einfach durch Abnützungserscheinungen, die das Alter mit sich bringt – auf dieses Gesundheitssystem zukommen.

Ich halte es daher schlichtweg auch heute noch für unsozial, daß genau dann, wenn diese Gruppe in Pension ist, wenn sie nicht mehr die entsprechende Lobby hier im Haus hat – Kollege Seidinger und Kollege Ofner haben ja anläßlich der Dringlichen der Freiheitlichen zu diesem Thema ohnehin auch in diesem Sinne ihre Bedenken geäußert –, daß also dann die Pensionisten zur finanziellen Verantwortung gezogen werden, obwohl sie während ihrer ganzen Arbeitszeit ihre Vorleistung schon geleistet haben.

Ich glaube daher, daß das nicht gerechtfertigt ist, und ich möchte Sie bitten, sehr geehrter Herr Bundesminister, im Bereich der Pensionisten dafür zu sorgen, daß eine Reihe von Ent


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lastungsmaßnahmen in nächster Zeit – dann, wenn es sich der Staat wieder leisten kann –dieser Gruppe wieder zukommt. Ich betrachte die heute auf dem Tisch liegenden Maßnahmen im Bereiche der Pensionisten schlicht und einfach als eine Bestrafung der Aufbaugeneration dieser Zweiten Republik. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Es mag schon wahr sein, Herr Bundesminister, wenn Sie mitteilen, daß die Menschen Verständnis haben. Das ist auch darauf zurückzuführen, daß sie ihre Jugend in einer Zeit verbracht haben, in der die Ressourcen des Wirtschaftswachstums nicht so einfach zu lukrieren waren, daß sie eine Zeit erlebt haben, in der es nicht alltäglich war, jeden Tag sich selbst und seinen Kindern das Essen auf den Tisch stellen zu können. Sie sind, um das einfach auszudrücken, bescheidener aufgewachsen und können vielleicht heute auch wieder bescheidener leben.

Aber ich glaube nicht, daß es sozial gerecht ist, daß man jenen Menschen, die bescheiden angefangen haben und durch ihre Arbeitsleistung uns, der Nachkriegsgeneration, Wohlstand und sozialen Frieden gebracht haben, heute in der Pension wieder zusätzliche Belastungen hinaufdividiert, obwohl sie dieses Sozialsystem 40 Jahre hindurch aufrechterhalten haben (Beifall bei den Freiheitlichen), und ausschließlich die Politik, die hier in diesem Hohen Hause gemacht worden ist, dafür verantwortlich ist, daß die Töpfe heute leer sind – nicht jene, die 40 Jahre hindurch die Beitragszahler waren und die heute zur Verantwortung gezogen werden.

Ich glaube daher, Herr Bundesminister, daß sehr viele dieser Maßnahmen durchaus nicht sozial sind und daß sehr viele dieser Maßnahmen unterbleiben hätten können, wenn man das von den Freiheitlichen auf den Tisch gelegte Sparpaket – einschließlich der Synergieeffekte in der Sozialversicherung – berücksichtigt hätte.

Ich möchte nicht heute wieder die dem Rechnungshofbericht zur Einkommenssituation Österreichs zu entnehmenden Einkommen im Bereiche der Sozialversicherungen hier monieren, aber ich möchte schon sagen, daß ich auch glaube, daß bei den Spitzengehältern, namentlich dort, wo es sich um freiwillige Leistungen von ehrenamtlichen Funktionären handelt, der Sparstift drastischer anzusetzen wäre, als es bis heute erfolgt ist. Einige Änderungen hat es ja in zwei Sozialversicherungsanstalten durchaus zum Guten gegeben, aber ich glaube, daß der Sparstift hier drastischer und flächendeckender anzuwenden wäre.

Noch etwas zu der Frage, die ich Ihnen gegenüber in der Fragestunde angeschnitten habe, Herr Bundesminister: Wenn Sie ein Controlling von seiten des Hauptverbandes einführen, so ist das durchaus gutzuheißen. Es sollte aber dieses Controlling nicht dazu ausgenützt werden, was die Gebietskrankenkasse von Vorarlberg sagt, daß sie nämlich dann dort ans Gängelband genommen wird, wo sie kostengünstig arbeitet und die anderen nicht kostengünstig arbeiten. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Feurstein: Keine Sorge!)

Sie, Kollege Feurstein, winken ab. Sie haben sicherlich auch die Begutachtung Ihrer eigenen Landsleute gelesen. Ich glaube durchaus, daß einige der Argumente, die die Vorarlberger hier auf den Tisch gelegt haben, nicht so einfach von der Hand zu weisen sind. Wir wollen nicht einen Moloch Hauptverband haben, der dann dort, wo wirklich kosten- und patientengünstig gearbeitet wird, die Lage verschlechtert und auf der anderen Seite dort, wo Mißbrauch betrieben wird, nicht eingreift! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Bundesminister! Ich darf Sie schon darauf hinweisen, daß es im Bereich der Krankenstände doch zu Ungleichbehandlungen kommt. In jenem Bereich, wo ausschließlich der Arbeitgeber zahlungsverpflichtet ist, werden sehr wenige oder überhaupt keine Kontrollen durchgeführt, und erst dann, wenn die Gebietskrankenkasse oder die anderen Kassen ein Krankenentgelt zu leisten haben, werden die Kontrollen eingesetzt. Ich würde mir wünschen, daß die Kontrollen schon einsetzen, wenn die Meldungen kommen, sprich vom ersten Tag des Krankseins an, denn ich glaube, daß hier doch noch einiges zu lukrieren wäre. Ich glaube auch, daß der Brief des Wiener Unternehmers, den ich Ihnen zitiert habe, und die Auflistung aus seinem eigenen Bereich – hochgerechnet auf zwei Jahre 19 Milliarden Schilling – durchaus ein Potential zeigen, das in Österreich auch einmal angegangen werden sollte. (Beifall bei den Freiheitlichen.)


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Ich möchte nicht übersehen, daß mit der Änderung hinsichtlich der Mitversicherung von Pflegekindern, die von entfernten Verwandten aufgezogen werden, eine Änderung enthalten ist, die von uns Freiheitlichen durchaus positiv gesehen wird, um mir nicht den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, daß bei diesen Anträgen alles nur negativ gesehen wurde und die Freiheitlichen wieder alles abgelehnt haben.

Aber ich möchte auch etwas sagen: Der Antrag des Kollegen Öllinger – so wenig Freude ich oft mit seinen Äußerungen sonst habe – im Zusammenhang mit der Erweiterung der Berufskrankheitenliste ist ein überdenkenswerter Antrag.

Sonst: Dort, wo es den Arbeitnehmern auf den Kopf fällt, ist man sehr schnell in Österreich, die EU-Richtlinien umzusetzen und in entsprechender Form die EU-Richtlinien in den Vordergrund zu stellen, nämlich als Grund dafür, daß man Handlungsbedarf hat. Dort, wo es um die gesundheitlichen Interessen der Arbeitnehmer geht, ist die Umsetzung der EU-Richtlinien eher zögerlich, um nicht zu sagen: restriktiv. Herr Kollege Verzetnitsch hat seine Enttäuschung nach dem Gipfel von Florenz ja ausgedrückt.

Ich möchte es nicht so drastisch sagen, aber daß die sozialen Angelegenheiten, die Arbeitsplatzsicherung und alles, was damit zusammenhängt, nicht ureigenstes Primärrecht der EU ist, sondern in der dritten Säule angesiedelt ist im überwiegenden Anteil und daher von den Ländern selbst zu gestalten ist, gibt uns in Österreich durchaus die Möglichkeit, dort freundlicher zu sein, wo die Gesundheit der Arbeitnehmer durch ihre Arbeit eindeutig medizinisch belegt und klar beeinträchtigt wird. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich glaube, daß die zögerliche Haltung in dieser Hinsicht falsch ist, und ich glaube auch, daß sie das konterkariert, was in Zukunft im arbeitsmedizinischen Bereich von Arbeitgeber- und von Arbeitnehmerseite in Österreich eigentlich für die Sicherheit der Arbeitnehmer erwartet wird.

Herr Bundesminister! Ich glaube, Sie haben in diesem Bereich Handlungsbedarf. Heute ist es leider noch nicht soweit, daß die Regierungsmehrheit diese Anträge annimmt, aber ich hoffe doch sehr, daß es in Zukunft dazu kommen wird.

Nun nochmals zurück zum Problem der Pensionisten.

Herr Bundesminister! In den letzten Tagen und Wochen ist mir im Zusammenhang mit der Diskussion um Heilbehelfe eine Reihe von Zuschriften von Pensionisten aus allen Teilen Österreichs zugegangen – mit einem gehäuften Kumulationspunkt aus dem Burgenland, um das auch noch zu sagen; vielleicht im Zusammenhang mit den Wahlen im Burgenland, ich weiß es nicht, aber es war so –, daß älteren Menschen, sprich Pensionisten, gegenüber verschiedentlich, etwa bei Hörbehelfen, eine sehr restriktive Haltung von seiten mancher Kassen angewendet wird. Kosten für Hörbehelfe werden im Alter generell oder meistens nur mehr für ein Ohr voll gezahlt und übernommen, für das zweite Ohr werden sie häufig ohne Angabe von Gründen einfach abgelehnt. Damit wird kein Bescheid ausgestellt, der dem Pensionisten das Recht gäbe, bei Ihnen, Herr Minister, in entsprechender Form zu intervenieren und Sie auf den Plan zu rufen, um hier Gerechtigkeit herbeizuführen.

Ich bitte Sie, sehr geehrter Herr Bundesminister, dafür zu sorgen, daß angesichts der Tatsache, daß die Pensionisten nun um 0,25 Prozent mehr für die Krankenversicherung zu zahlen haben, ihnen auch im Alter, wenn sie es aufgrund ihres mangelnden Gesundheitszustandes brauchen, die notwendigen Behelfe genau gleich wie den jungen Menschen in dieser Republik zur Verfügung gestellt werden – und nicht anders! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Sehr geehrter Herr Bundesminister! Jede andere Haltung wäre unverständlich. Mehr Beiträge zahlen zu dürfen und dann, wenn man im Alter Heilbehelfe braucht, diese nur in minderer Qualität oder – im Gegensatz zu den jungen Menschen – nur in halber Anzahl zur Verfügung gestellt zu bekommen oder mit zögerlichen Verfahrenswegen – so unter dem Motto, vielleicht wird der Patient es nicht mehr erleben, daß wir ihm noch einen Hörbehelf überantworten müssen –, das kann nicht die Haltung eines Sozialstaates sein.


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Ich bitte Sie, Herr Bundesminister, machen Sie einmal eine Revision in diesem Bereich! Schauen Sie nach, warum alten Menschen so gehäuft Hörbehelfe nur für eine Seite gewährt werden. Die Anpassung von Hörbehelfen, die teilweise zuerst nur für ein Ohr und dann vielleicht nach Jahren für das zweite Ohr gewährt werden, ist problematisch. Gerade für alte Menschen macht die Anpassung, zuerst nur auf einem Ohr mit höherer Frequenz zu hören, dann wieder umdenken zu müssen und endlich wieder auf beiden Ohren hören zu können, Schwierigkeiten, und zwar noch mehr Schwierigkeiten als für jüngere Menschen. Ich halte diese Vorgangsweise der Sozialversicherungsanstalten in diesem Bereich schlicht und einfach für inhuman, durch nichts zu rechtfertigen und im Hinblick auf die Beitragserhöhung, die man heute für die Pensionisten hier mitbeschließen wird, für noch weniger vertretbar als in der Vergangenheit, wo das ohnehin schon nicht vertretbar war.

Daß es durch den vorliegenden Entwurf im Bereich der bäuerlichen Sozialversicherungsanstalt nunmehr auch für einige Frauen zu Schwierigkeiten kommen wird, die ehemals beraten wurden, doch die Möglichkeit der Selbstversicherung in Anspruch zu nehmen, sei nur am Rande erwähnt. Meine Kollegin Aumayr wird zu diesem Problem einen Abänderungsantrag einbringen, denn ich glaube nicht, daß das, was heute hier im Bereich der bäuerlichen Sozialversicherung auf dem Tisch liegt, der Weisheit letzter Schluß ist. Wir Freiheitlichen würden uns wünschen, daß für jene Menschen, bei denen sich herausstellt, daß sie falsch beraten wurden, auch entsprechende humane Übergangsfristen eingeführt werden. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Sehr geehrter Herr Bundesminister! Das vorliegende Sozialrechts-Änderungsgesetz, die ehemals ausgeschickte 53. ASVG-Novelle, ist auch in rechtlicher Hinsicht problematisch, aber das ist ein Thema, das ohnehin bei jeder ASVG-Novelle von uns Freiheitlichen hier in den Raum gestellt wird. Ich hoffe, daß Sie endlich mit Ihrer Arbeitsgruppe im Ministerium fertig werden, um eine Neukodifizierung des Arbeitsrechtes vorzunehmen und damit wieder eine Lesbarkeit des Arbeits- und Pensionsrechtes in Österreich für alle Österreicher und nicht nur für einige wenige Sozialexperten zu gewährleisten. – Ich danke, Herr Bundesminister. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

10.45

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Reitsamer. Ich stelle die Uhr auf 20 Minuten.

10.45

Abgeordnete Annemarie Reitsamer (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich nur mit zwei Punkten in der ASVG-Novelle auseinandersetzen: mit den Reformmaßnahmen in der sozialen Krankenversicherung und mit der Sozialversicherungspflicht für dienstnehmerähnliche Werkverträge und freie Dienstverträge.

Zum ersten Punkt, zu den Reformmaßnahmen in der Krankenversicherung: 99 Prozent der österreichischen Wohnbevölkerung unterliegen der gesetzlichen Krankenversicherung. Wir haben einen hohen Standard in der Gesundheitsversorgung, und steigende Ausgaben sind vor allem dadurch bedingt, daß der medizinische Fortschritt nicht haltgemacht hat und daß dadurch auch die Lebenserwartung der Menschen erfreulicherweise höher geworden ist. Außerdem haben wir geringere Einnahmen durch schlechtere Wirtschaftsentwicklung und höhere Arbeitslosigkeit. Das erkennt man, wenn man nur die Zahlen 1994 und 1995 gegenüberstellt. Die Einnahmen sind um 5 Prozent gestiegen, die Ausgaben aber um 5,6 Prozent. Das heißt, daß sich das auseinanderentwickelt.

Immer, wenn die Situation der Krankenversicherung diskutiert wird, hört man: Versicherungspflicht statt Pflichtversicherung. Die Konsequenzen eines solchen Begehrens in Richtung Zweiklassenmedizin habe ich anläßlich der dringlichen Anfragen bereits ausführlich diskutiert. Der Hinweis auf Deutschland, wo sich die Kassen nun dem Wettbewerb unterziehen, hat auch schon hier Platz gegriffen. Es ist ein Buhlen um junge, gesunde Arbeitskräfte, alte, kranke, arbeitslose Menschen und Sozialhilfeempfänger hingegen bleiben auf der Strecke.


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Die Zielsetzung, mit den Reformen eine Kostendämpfung ohne Qualitätsverlust und den Zugang zu den Segnungen der modernen Medizin für alle zu gewährleisten, das ist unser Anliegen. (Beifall bei der SPÖ.)

Einsparungen im Medikamentenbereich wurden durch entsprechende Verhandlungen bereits getätigt. Mehr Kostenbewußtsein und vernünftiger Umgang mit Medikamenten kann auch durch die derzeitige Diskussion vermehrt erreicht werden. Auch die Neuregelung der Krankenanstaltenfinanzierung war bereits ein Schritt in diese Richtung. Es wird jedoch einige Zeit dauern, bis hier die Wirkung einsetzt. Zwei Drittel des Sanierungsbedarfes soll durch Kostensenkung über Ausgabendämpfung erreicht werden, ein Drittel muß über zusätzliche Einnahmen lukriert werden.

Meine Damen und Herren! Ich leugne nicht, daß mir eine maßvolle Beitragserhöhung als beste Lösung erschienen wäre, zumal es dadurch Harmonisierungsschritte zwischen Arbeitern und Angestellten gegeben hätte, was ich hier schon mehrmals gefordert habe und was mir ein großes Anliegen ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Verhindert wurde die Kostenbeteiligung der Versicherten an den medizinischen Leistungen. Herr Kollege Haupt hat hier gesagt, daß es zu Selbstbehalten gekommen sei, was nicht stimmt. Wir haben die zweitbeste Lösung gewählt: einen Kompromiß, nämlich eine Krankenscheingebühr von 50 S, die jedoch nicht für Überweisungen gilt; ausgenommen davon sind Pensionisten, Kinder und Rezeptgebührenbefreite. Wenn man das rechnet, so kann dies nicht als Selbstbehalt bezeichnet werden. Das sind zusätzliche Kosten von 16,70 S pro Monat. Die Einführung ist ab 1. Jänner 1997 geplant, damit auch die Arbeitgeber die Umstellung leichter bewältigen können. (Abg. Böhacker: Warum die Arbeitgeber?)

Bei den Pensionisten kommt es zu einer Beitragserhöhung um 0,25 Prozent auf 3,75 Prozent. Man darf aber auch nicht vergessen, daß die Bruttopension erst reduziert um die Krankenversicherung in die Steuerbemessung geht, sodaß dies auch wieder eine kleine Milderung bringt.

Die Erhöhung der Rezeptgebühr wurde hier schon angesprochen, sie beträgt 7 S.

Zu einer geänderten Regelung kommt es beim Wochengeld. Zuerst hatten wir die Regelung 50 :  50, das heißt 50 Prozent aus dem FLAF und 50 Prozent aus dem Sozialtopf, jetzt soll es zu einer Regelung von 70 : 30 zu Lasten des FLAF kommen.

Hier ist auch immer wieder vom 80prozentigen Kostenersatz für Wahlärzte die Rede. Bei Diskussionen in der letzten Zeit bin ich aber draufgekommen, daß das sehr oft mißinterpretiert wird. Oft glauben die Leute, wenn sie von ihrem Arzt, der sie irgendwohin überweist, gefragt werden, ob sie zu dem oder dem Facharzt gehen wollen, daß das ein Wahlarzt sei. Es geht hier um Nicht-Vertragsärzte und um nichts anderes. Da sehe ich diese Regelung eigentlich für sehr vernünftig an.

Was aber für die österreichische Bevölkerung und vor allem für chronisch Kranke und für ältere Menschen, die noch im Beruf stehen, viel wichtiger ist, ist die gesetzliche Verankerung des Krankengeldbezuges auf 52 Wochen. Die satzungsmäßige Kürzung auf 26 Wochen, wie sie von der Wiener Gebietskrankenkasse bereits in Angriff genommen wurde, konnte damit unterbunden werden. Satzungsmäßig können auch nach wie vor mehr als 52 Wochen gegeben werden, aber es ist einfach wichtig, daß diese 52 Wochen gesetzlich verankert sind, daß es darauf einen Rechtsanspruch gibt.

Dagegen konnten wir den Wegfall der ersten drei Tage des Krankengeldbezuges verhindern, denn das ist bei den Verhandlungen auch besprochen worden.

Meine Damen und Herren! Es ist schon klar: Wenn es Einsparungsmaßnahmen geben muß, so ist das für alle irgendwie leidvoll, aber es gibt keine Alternativen. Es wäre uns auch lieber, wenn diese Maßnahmen nicht erforderlich wären, aber es geht um die Erhaltung unseres weltweit anerkannten guten Sozialversicherungssystems.


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Ich habe letzthin mit Schweizern diskutiert. Die beneiden uns; sie neiden uns unser System auch nach diesen Reformmaßnahmen, weil sie sehr viel schwerere Bedingungen zu tragen haben – und das schon von Haus aus. Auch hier wird es eher noch zu Veränderungen im negativen Sinn kommen. (Zwischenruf des Abg. Meisinger. ) Ich weiß nicht, warum Sie sich künstlich aufregen, Herr Meisinger. Sie kommen auch noch dran, aber einstweilen gibt es nichts zum Aufregen. (Weitere Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Zum zweiten Punkt – Sozialversicherungspflicht für dienstnehmerähnliche Werkverträge und freie Dienstverträge: Uns ging es um die Unterbindung der Flucht aus dem Arbeitsrecht. Vertragsnehmer waren bisher häufig ohne Versicherung. Es muß jedoch im Interesse der Betroffenen sein – und das ist es auch, davon bin ich überzeugt –, Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung zu haben.

Es geht auch um den Schutz der Solidargemeinschaft. Details wurden bereits im Strukturanpassungsgesetz – seit 1. Juni 1996 in Kraft – diskutiert: Die einheitliche Versicherungsgrenze beträgt 3 600 S.

Zu den Einwendungen seitens der Versicherungswirtschaft: Bedenken bezüglich der Administrierbarkeit, unterschiedliche Auslegungsvarianten. – Es ist so, daß die Meldung an die Kassen, wenn man über 3 600 S monatlich bekommt, unbedingt und sofort erfolgen soll, die Beitragszahlung aber erst am 15. des Folgemonats, in dem die Bezahlung erfolgt, also Geld fließt. Am Jahresende findet dann die Aufrollung statt.

Eine Ausschußfeststellung, wie sie diesmal im Sozialausschuß beschlossen wurde, ist ein Novum, denn es ist eine Art Betriebsanleitung zur Auslegung des Gesetzes. (Abg. Böhacker: So "klar" ist das Gesetz!) Der Gesetzgeber ist eigentlich dafür nicht zuständig, aber wegen der massiven Verunsicherung haben wir letztendlich unsere Zustimmung gegeben.

Meine Damen und Herren! Ich glaube, es hat vor allem deshalb um diese Regelungen so viel Aufregung gegeben, weil man hier in eine Wunde gestoßen hat. Es ist hier sehr viel Mißbrauch begangen worden, Mißbrauch auf dem Rücken jener, die diese Arbeiten erbracht haben, die diese Werkverträge eingegangen sind. Jetzt haben wir sie in der Sozialversicherung, und das ist sehr wichtig, denn es stellt sich immer erst im Alter heraus, wenn es keine Pensionsansprüche gibt, wenn man keine Zeiten für die Pension hat, wenn man keinen entsprechenden Krankenversicherungsschutz hat, was das bedeutet. Aber dann darüber nachzudenken, ist zu spät. Da muß man schon früher korrigierend eingreifen. (Beifall bei der SPÖ.) Ein lückenloser Versicherungsverlauf ist, glaube ich, für jeden vernünftig und verantwortungsbewußt denkenden Österreicher das Allerwichtigste.

Für Kunstschaffende haben wir eine Befristung bis 1. Jänner 1997, gewünscht gewesen wäre 1. Jänner 1999. Diese Gruppe hat das damit begründet, daß sie ihre Subventionsansuchen bereits abgegeben hat und nicht weiß, woher sie das Geld nehmen soll. Jetzt haben diese Menschen wenigstens eine Verschnaufpause von einem halben Jahr. Länger wäre mir lieber gewesen, aber leider konnte das nicht erreicht werden. Aber ich muß eines dazusagen: daß ich für jede Ausnahme, die es in diesem Gesetz gibt, gerne generell eine Befristung gehabt hätte.

Jetzt möchte ich mich noch mit einem Abänderungsantrag der Freiheitlichen als besonderes Gustostückerl auseinandersetzen. Er betrifft die Ausgleichszulage. Nicht nur Wohnsitzbindung, sondern auch österreichische Staatsbürgerschaft und 180 Versicherungsmonate, davon mindestens die Hälfte österreichische Beitragsmonate, werden in diesem Antrag verlangt.

Meine Damen und Herren! Das ist ein Widerspruch zum Völkerrecht. Es steht im Widerspruch zu den Grundrechten, und es steht im Widerspruch zu zwischenstaatlichen Abkommen! Vergessen wird der innerstaatliche Rechtsanspruch gegenüber der Sozialversicherung, und es ist schlichtweg ein Anschlag gegen die ältere Generation, die das betrifft, und hier wieder vorwiegend gegen Frauen. Das sei gesagt, weil man sich gerade für diese Gruppen stark gemacht hat. Und dann stellt man einen derartigen Antrag!


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Begründet wird das mit der mißbräuchlichen Inanspruchnahme der Ausgleichszulage durch Pensionisten, die nicht in Österreich leben. Es hat sich offensichtlich noch nicht herumgesprochen, daß ins Ausland keine Ausgleichszulagen bezahlt werden. – Das, meine Damen und Herren, ist Menschlichkeit der ganz besonderen Art!

Ein Antrag der Frau Abgeordneten Haller betrifft die Tageseltern. Auf den ersten Blick fordert er das, was wir uns alle wünschen, denn wir wollen Tageseltern in arbeits- und sozialversicherungsrechtlich abgesicherten Dienstverhältnissen über Trägervereine. Wir wollen keine Pseudoselbständigen, die Dienstgeber- und Dienstnehmerbeiträge zu bezahlen haben. Das war der Grund für unsere Ablehnung – und nichts anderes, meine Damen und Herren.

Positiv erwähnen möchte ich noch, daß jene Zivildienstpflichtigen, die freiwillig sogenannte Sühnedienste im Ausland verrichten, mittels Abänderungsantrag wieder in den Sozialversicherungsschutz hineinreklamiert werden konnten und damit den österreichischen Zivildienern gleichgestellt sind.

Was ich mir noch sehr gewünscht hätte, was bis jetzt aber leider nicht zu schaffen war – vielleicht gelingt es uns noch, einen Abänderungsantrag während der laufenden Sozialdebatte durchzubringen –, ist die rückwirkende Zuerkennung von Hinterbliebenenleistungen bei verspäteter Antragstellung. Im Entwurf war das ursprünglich enthalten. Meine Damen und Herren! Hier geht es um ganz besondere Härtefälle. Und damit Sie auch die Größenordnung kennen: In 20 Jahren gab es insgesamt zwei solcher Fälle, und ich denke, daß wir diese Korrektur hier verantworten könnten. – Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

10.57

Präsident Dr. Heinz Fischer: Der nächste Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Kier. Er hat das Wort. Gleichfalls 20 Minuten. (Abg. Dr. Kier: Freiwillig!) Freiwillig 20 Minuten, alles darüber ist unfreiwillig.

10.57

Abgeordneter Dr. Volker Kier (Liberales Forum): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Die heutige Sozialdebatte hat grundsätzliche Dimensionen, und deswegen finde ich es bedauerlich, daß wir offenbar bei einer großen Zahl der Kolleginnen und Kollegen in diesem Hohen Haus nur ein beschränktes Interesse vorfinden. Ich hoffe, das ist kein Hinweis darauf, daß wir dieses Hohe Haus so beurteilen müssen, daß es sich zunehmend nicht mehr für soziale Fragen interessiert. Das wäre mehr als schade, das wäre bedauerlich.

Bevor ich mich den grundsätzlicheren Fragen zuwende, vielleicht einige Gesichtspunkte zur Vorgehensweise. Wir haben heute die 53. ASVG-Novelle auf der Tagesordnung. Das ist beeindruckend genug, wenn man berücksichtigt, daß das Gesetz 50 Jahre alt ist. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Frequenz der Novellen steigend ist, dann ist es beunruhigender, und wenn man sich bewußt macht, daß gar nicht alle Novellen zum ASVG gezählt werden, sondern daß nur größere Novellen in die Zählung aufgenommen werden, dann wird es noch beunruhigender, denn tatsächlich haben wir zum Beispiel heute unter Tagesordnungspunkt 15 auch eine Novellierung des ASVG, die nicht in der 53. Novelle enthalten ist, und tatsächlich war zum Beispiel das Strukturanpassungsgesetz, das wir heute im übrigen reparieren müssen, auch eine Novelle zum ASVG, die nicht gezählt wurde.

Das heißt, wir haben daher de facto viel, viel mehr Novellen zu diesem ASVG, das 50 Jahre alt ist, und man gewinnt zunehmend den Eindruck, daß die Halbwertszeit dieses Gesetzes stark sinkend ist. Also die Abstände von Novelle zu Novelle werden von Mal zu Mal immer kürzer, was aber gleichzeitig bedeutet, daß die Rechtssicherheit sehr stark sinkt, denn kaum habe ich mich mit einer neuen Vorschrift irgendwie angefreundet und sie verstanden – das ist schwierig genug in dieser Rechtsmaterie –, schon kommt die nächste Änderung.

Mir kommt es manchmal vor, als sei das der Versuch, bestimmte beratende Berufe, aber auch bestimmte Beratungsleistungen im Bereich der Kammern und der Gewerkschaften sozusagen notwendiger zu machen, als sie ohnehin sind, eine Art Arbeitsplatzbeschaffung für Sozialberater.


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Das ist kein guter Zugang zu einer Gesetzgebung, die sehr viele Menschen betrifft, bei denen ich nicht ohne weiteres voraussetzen kann, daß sie ein abgeschlossenes Studium der Rechtswissenschaften und jahrelange Praxis in der Anwendung von sozialen Systemen haben. Die Betroffenen sind dann gelegentlich wirklich hilflos und können das, was wir für sie beschlossen haben, nicht einmal für sich zur Anwendung bringen. Gleichzeitig – und das ist sicher nicht zu verschweigen – stellt solch ein Dschungel aber auch die Einladung zum Mißbrauch dar, denn je unübersichtlicher, desto größer sind die Windschatteneffekte. Und genau dadurch haben wir ein zweifaches Problem: Die wirklich Betroffenen gehen vielfach – nicht gerade leer – fast leer aus, und andere, für die es gar nicht gedacht war, können sich an drei, vier oder fünf verschiedenen Stellen bedienen. Das ist unangenehm, denn erstens kostet es Geld, zweitens diskreditiert es das System, und drittens verfehlt das System sein Ziel. (Beifall beim Liberalen Forum. – Präsident Dr. Brauneder übernimmt den Vorsitz.)

Überdeutlich wird das Ganze im Bereich der Novellen zum Strukturanpassungsgesetz, nämlich betreffend die Vorschriften rund um die dienstnehmerähnlichen Beschäftigungsverhältnisse, die freien Dienstverträge und so weiter. Das Gesetz ist am 1. Juli in Kraft getreten, und heute werden wir Beschlüsse fassen – ich gehe davon aus, daß die Mehrheit der Regierungsparteien das beschließen wird, was sie sich ausgemacht hat, daher ist die Prognose, daß der Beschluß herauskommen wird, nicht kühn –, wodurch heute, am 10., novelliert wird. Es muß zwar noch durch den Bundesrat und noch veröffentlicht werden, aber 14 Tage nach Inkrafttreten des Gesetzes wird eine neue Fassung in Kraft treten. – Das sagt eigentlich alles darüber aus, wie diese Gesetze zustande gekommen sind.

Ich erinnere noch einmal an unsere seinerzeitige wirklich massive Kritik hinsichtlich der Vorgangsweise rund um das sogenannte Strukturanpassungsgesetz, das wir Liberale übrigens zu allen Zeiten nur als "Notprogramm" bezeichnet haben. Aber auch Notprogramme können sorgfältig gemacht werden und müssen nicht so mißlingen, daß man sie 14 Tage nach Inkrafttreten wieder novellieren muß.

Dahinter steckt aber ein grundsätzlicheres Problem – wir haben darüber auch im Ausschuß schon debattiert, und es ist das wirklich zunehmend beunruhigend –: Durch die Vorgangsweise bei diesen Gesetzen leisten wir gefährliche Beiträge dafür, daß sich die Rechtsbereiche Arbeitsrecht, Sozialrecht und Zivilrecht immer weiter voneinander entfernen, ja teilweise geradezu in Widerspruch zueinander geraten. Durch die Konstruktion der Sozialversicherungspflicht bei den dienstnehmerähnlichen Werkverträgen, bei den freien Dienstverträgen werden Elemente des Zivilrechtes als Arbeitsrecht behandelt und umgekehrt wird Sozialrecht an zivilrechtliche Tatbestände, die per se nicht sozialrechtstauglich sind, weil sie in einem anderen Rechtsfeld angesiedelt sind, gekoppelt.

Wir schaffen eine Fülle von Definitionsproblemen. Wir schaffen Rechtsunsicherheit über Rechtsunsicherheit. Gelegentlich bin nicht einmal ich in der Lage, festzustellen, ob ein bestimmtes Vertragsverhältnis ein Werkvertrag im eigentlichen Sinn ist, ein Werkvertrag dienstnehmerähnlich, aber nicht sozialversicherungspflichtig, ein Werkvertrag dienstnehmerähnlich, aber sozialversicherungspflichtig. Leichter ist vielleicht noch die Abgrenzung zum freien Dienstvertrag; aber auch da ist es nicht immer so eindeutig.

Was ist die Folge? – Es wird zu mechanischen Lösungen gegriffen, zu Lösungen, die bedeuten: nicht mehr als 3 600 S – eine Rechtsfigur der geringfügigen Beschäftigung bei den echten Dienstverhältnissen wird damit auf Werkverträge umgeklappt, indem man so tut, als würde es sich beim Werkvertrag tatsächlich um ein periodisiertes unselbständiges Arbeiten handeln, was vielfach aber nicht der Fall ist. Daher werden all die Probleme, die beim Kumulieren mehrerer Werkverträge in einer Zeitperiode entstehen, über Höchstbemessungsgrundlagen gelöst – eine Rechtsfigur, die dem Werkvertrag völlig fremd ist. Im übrigen ist das auch eine herzliche Einladung zur Gestaltungsfreiheit, die Werkverträge über andere Zeiträume zu verteilen; also eigentlich eine Einladung für den Betroffenen, das Recht zu beugen, und das ist sehr schlecht.

Wenn diese Rechtsgebiete weiter so auseinanderlaufen, wird es kaum noch möglich sein, für wirkliche Rechtssicherheit im Verhältnis der verschiedenen Vertragsnehmer zueinander zu


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sorgen. Diese ist aber eines der wesentlichen Elemente, die ich benötige, um bei Vertragsverhältnissen, bei denen ein sehr starker Vertragspartner einem möglicherweise wirtschaftlich schwächeren Vertragspartner gegenübersteht, für Sicherheit und Gerechtigkeit zu sorgen.

Die erste Voraussetzung ist Transparenz des Rechtes, und diese wird hier zerstört. Daher meine ich, daß man diese meine Befürchtungen, die ich hier mit Ernst vortrage, mehr beachten sollte als bisher und sich von dieser Anlaßgesetzgebung lösen sollte. (Beifall beim Liberalen Forum.)

Man kann anhand von zwei Argumenten deutlich machen, daß es sich um Anlaßgesetzgebung handelt. Ich meine: Der Anlaß, der im Vordergrund gestanden ist, ist unübersehbar – er wird nur nicht zugegeben –: Geldbeschaffung. Der Anlaß für diese Gesetze ist Geldbeschaffung. Nach vorne gestellt werden: mehr soziale Gerechtigkeit, Abbau von Mißbrauch, sozialer Schutz; das ist die vordere Fassade. Einige Elemente davon sind nicht ganz falsch. Es ist nicht so, daß ich betreiten will, daß diese Anliegen auch vorhanden sind, nur: So wie es gemacht wurde, werden ihnen in keiner Weise entsprechend Rechnung getragen. Ich werde das argumentieren. (Zwischenruf des Abg. Dr. Feurstein .) Kollege Feurstein ist vielleicht der Meinung, das sei oppositionelle Polemik. Das ist nicht oppositionelle Polemik! (Abg. Dr. Feurstein: Nein, habe ich nicht gesagt! Das Gegenteil habe ich gesagt!) Ich wollte es Ihnen nicht unterstellen. Aber ich meine, der tatsächliche Anlaß ist Geldbeschaffung, und das läßt sich lückenlos nachweisen, wenn man das Gesetz analysiert. ( Abg. Mag. Barmüller: Panikartige Geldbeschaffung!)

Darüber hinaus ist der strukturelle Fehler, der darin verborgen ist, der, daß man versucht, Vertragsverhältnisse, die sich eben in der freien Gestaltung entwickelt haben und ihre Probleme mit sich tragen – das gebe ich offen zu –, zwangsweise an die Rechtsfigur des Vollarbeitsverhältnisses zu koppeln, also die Koppelung von sozialer Sicherheit und Erwerbsarbeit unter allen Umständen und um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Es ist das genau das Gegenteil dessen, was man aufgrund der Analyse der Probleme machen müßte. Statt soziale Sicherheit und Erwerbsarbeit zu entkoppeln, wird eine zusätzliche Zwangskoppelung vorgenommen und so getan, als wären diese Vertragsverhältnisse, die jetzt sozialversicherungspflichtig gemacht werden, in ihrer großen Zahl sozusagen Vollerwerbsverhältnisse, was sie nicht sind.

Ich meine daher, daß sich da ein bestehendes System, eine bestehende Struktur um jeden Preis reproduziert, statt sich zur Diskussion zu stellen. (Beifall beim Liberalen Forum.) Statt sich darum zu bemühen, die eigentlichen Anliegen, die man damit erreichen will, klar herauszustellen und dann völlig leidenschaftslos darüber zu diskutieren, welche Werkzeuge die geeignetsten sind, um diese Anliegen zu verwirklichen, werden die Werkzeuge diskutiert und wird so getan, als würde man sich um die Anliegen kümmern. Und das ist von Grund auf falsch! (Beifall beim Liberalen Forum.)

Warum habe ich gesagt, daß das Anliegen von mehr sozialer Sicherheit, mehr sozialem Schutz – Frau Kollegin Reitsamer hat das erwähnt – und der Kampf gegen den Mißbrauch im Bereich von Beschäftigungsverhältnissen nur zum Teil glaubwürdig sind, wenn überhaupt? – Hätten Sie tatsächlich die Absicht gehabt, die Mißbrauchsproblematik in den Griff zu bekommen, die es selbstverständlich gibt – selbstverständlich gibt es auch die mißbräuchliche Gestaltung von Rechtsverhältnissen; das ist gelebter Alltag –, dann hätten Sie sich darauf konzentriert, im Wege der Gebietskrankenkassenprüfungen echte Dienstverhältnisse, die eben als Werkverträge getarnt waren, aufzuspüren und sozialversicherungspflichtig zu machen. Das ist Punkt 1.

Punkt 2: Wenn Ihnen das ein Anliegen gewesen wäre, hätten Sie die Ausnahmebestimmungen für die Wirtschaftsförderungsinstitute, die BFIs und die Volkshochschulen nicht im Gesetz bestehen lassen. Diese Ausnahmen, die älter sind als das Strukturanpassungsgesetz – das ist sozusagen ein nachlaufendes Altprivileg –, hätten mit einem Federstrich entfernt werden können, indem man die entsprechende Ziffer im § 5 des ASVG gestrichen hätte. Aber da wurde auf einmal das Argument gebracht: Dadurch wird doch die Erwachsenenbildung vielleicht finanziell unter Druck kommen. Das ist wohl wahr, aber bei allen anderen Bereichen, die mindestens ebenso unter Druck kommen – sei es die freie Kulturszene, seien es die privaten Bildungseinrichtungen, seien es andere vergleichbare Felder –, war Ihnen das völlig gleichgültig. Ich meine,


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man hat gehofft, daß die in diesem Bereich bestehende Ausnahme vielleicht unentdeckt bleiben wird.

Beschämend daran ist: Jene Experten, die an diesen Gesetzen mitgewirkt haben, in den Stäben der großen Kammern, in den Stäben der freien Berufsvereinigungen, im ÖGB zum Beispiel, sind die Vortragenden an diesen Einrichtungen, die sich somit selbst diese Ausnahme erhalten haben. Wenn so etwas vorliegt, ist das nicht nur absolut gleichheitswidrig im Verhältnis zu konkurrierenden privatorganisierten Bildungseinrichtungen, wie zum Beispiel privaten Sprachschulen, sondern außerdem ein Beweis dafür, daß es um dieses Anliegen gar nicht gegangen ist, denn sonst hätte man solche Ausnahmen nicht aufrecht erhalten! (Beifall beim Liberalen Forum sowie des Abg. Böhacker .)

Weiterer Aspekt im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit hinsichtlich des Anspruches auf sozialen Schutz: Wäre es vorstellbar, daß man die Kolporteure im Zeitungsbereich, die eindeutig unselbständige und noch dazu an der Ausbeutungsgrenze bezahlte Menschen sind, unter diesem Gesichtspunkt weiterhin durch eine ausdrückliche Ausnahme außerhalb des Sozialversicherungsschutzes läßt, vielleicht mit dem Argument, daß sie ohnedies so wenig verdienen, daß es sich nicht auszahlt. Aber das war ja nicht das Argument, sondern das Argument war, daß die Pressefreiheit gefährdet sei, weil die Mediaprint für die Kolportage möglicherweise ein paar Millionen mehr an Aufwand gehabt hätte. Nur diesem Argument zuliebe und für einen Konzern, der durchaus lukrativ und ertragreich ist – ich neide es ihm nicht, aber er hätte es sich leisten können – wird eine Ausnahme gemacht; und das unter dem Anspruch: sozialer Schutz für die Schwachen.

All das ist so widersprüchlich, daß ich meine, daß die Anlaßhaftigkeit, für mehr Menschen sozialen Schutz einzuräumen, einfach zu durchsichtig und transparent ist, und daß es in aller erster Linie tatsächlich um Geldbeschaffung geht.

Das wird an einem Teilgesichtspunkt ganz besonders deutlich: Wenn jemand ein geringfügig bezahltes – ich sage es jetzt bewußt so – Beschäftigungsverhältnis – welcher Art auch immer – hat, so ist es bis 3 600 S pro Monat eigentlich sozialversicherungsfrei, wenn man von der Unfallversicherung absieht. Mit 3 601 S wird die Grenze überschritten, und dann sind Sozialversicherungsbeiträge zu bezahlen. Dies hat man jetzt auf die Werkverträge umgelegt und hat gesagt: Bei den Werkverträgen machen wir es genauso: Sie sind auch bis 3 600 S frei und ab 3 601 S pflichtig. Nur: Bei den Werkverträgen hat man sich zusätzlich eine Quellensteuer in Höhe von 20 Prozent einfallen lassen. Ein Werkvertragsnehmer, der über diese Grenze gerät, zahlt seine Sozialversicherungsbeiträge, und es werden 20 Prozent Quellensteuer zur Verrechnung auf spätere Einkommensteuern einbehalten. Man könnte sagen: Das ist fair, das ist eine Art Steuervorauszahlung!, das soll schon sein, nur: Jemand, der auf den Monat bezogen 3 600 S verdient – und das ist ja Ihr System –, zahlt überhaupt keine Einkommensteuer, da er weit unter jeder steuerpflichtigen Einkommensgrenze liegt! Das heißt, Sie holen sich bei diesen Menschen ein zinsenloses Darlehen, um zur besseren Pseudoerreichung der Maastricht-Ziele weitere Groschen zu sammeln. Und das entspricht nicht dem, was wir Liberale unter Gerechtigkeit und sozialer Ausgewogenheit verstehen! (Beifall beim Liberalen Forum und bei den Grünen.)

Ein weiterer Gesichtspunkt: Man hat, da offenbar gewisse zivil- und handelsrechtliche Kenntnisse vorhanden waren, bemerkt, daß bei Werkverträgen aus bestimmten unvermeidlichen zivilrechtlichen Gründen das Entgelt nicht immer von vornherein feststeht, weil es zum Beispiel auch davon abhängt, ob das Werk tatsächlich geleistet wird. Kein Auftraggeber in einem Werkvertragsverhältnis zahlt pro Monat 3 500 S oder 7 000 S – gleichgültig, ob das Werk kommt oder nicht.

Man hat daher eine andere Lösung gefunden und gesagt: Wir vergleichmäßigen das einfach, wir schätzten das ein, und jemand, der noch nicht genau weiß, was er am Schluß wirklich bekommen wird, obwohl es im Rahmenvertrag festgelegt ist, aber eben konditioniert auf den Erfolg, kann mit 3 601 S eingestuft werden und laufend Sozialversicherungsbeiträge zahlen, damit er geschützt ist. Wenn sich am Jahresende herausstellt, daß sein Gesamtverdienst die Summe,


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die durch 12 dividiert 3 601 S ergibt, unterschreitet, bekommt er die Sozialversicherungsbeiträge zurück. – Das glaubt man. Er bekommt sie erstens nicht wirklich und zweitens nur unter Umständen zurück. "Unter Umständen" bedeutet, wenn er im betreffenden Zeitraum krank war und einen Krankenschein in Anspruch genommen hat, bekommt er nichts. Gut, das ist noch irgendwie logisch, wenn auch nicht ganz. Aber die Pensionsbeiträge bekommt er überhaupt nicht zurück! Das heißt, Sie unterschreiten damit ganz bewußt und sehenden Auges die Geringfügigkeitsgrenze bei den Pensionsversicherungsbeiträgen, und das ist nicht nur gleichheitswidrig, sondern eine simple Geldbeschaffungsaktion! (Beifall beim Liberalen Forum und bei den Grünen.)

Ich fasse mich jetzt kürzer und kündige an, daß ich die selbst gewählte Redezeit geringfügig überschreiten werde, Herr Präsident, es ist nicht unabsichtlich, sondern absichtlich.

Die finanziellen Auswirkungen wurden nicht bedacht. Es wurde nicht bedacht, daß spätestens im Jahr 2005 durch die neuen Regelungen im Pensionsversicherungsbereich zusätzliche Probleme auftreten werden. Es wurde nicht daran gedacht, daß es die neue Konstruktion ermöglicht, Versicherungszeiten wesentlich billiger zu erwerben als durch Nachkauf, indem man gerade über der Grenze liegende Werkverträge abschließt. Es wurde nicht bedacht, daß man im Bereich der Krankenversicherungen Mehrkosten haben wird, wenn man tatsächlich mehr Leute schützt, Kosten, die vielleicht unproportional sein werden im Verhältnis zu dem, was man einnimmt.

Das heißt, es gibt überhaupt keine Kosten-Nutzen-Rechnung für diese Maßnahmen, sondern nur dilatorische Zahlen in der Regierungsvorlage, die wirklich unseriös sind. (Zwischenruf des Abg. Böhacker. ) Es gibt die Aussage eines nicht unwesentlichen Menschen aus dem Bereich der Sozialversicherung, die lautet: Natürlich werden die Leute jetzt doppelt versichert sein, und sie werden auch die Leistungen zweimal in Anspruch nehmen können; vielleicht nicht jede Leistung, aber zwei Krankenscheine werden möglich sein.

Wer bei den Werkvertragsnehmern die Krankenscheingebühr einheben wird, ist bis heute ungeklärt. Wir sind nicht für diese Gebühr, aber wenn Sie sie schon einführen, dann müssen Sie sie auch einhebbar machen.

Es sind die Belastungen unverhältnismäßig hoch. Das ganze System begünstigt die Schattenwirtschaft und verhindert den Weg in die Selbständigkeit. Es ist das ein Dolchstoß für flexible Arbeitszeitformen und fördert die Arbeitslosigkeit – das verspreche ich Ihnen!

Zum Schluß noch ganz kurz ein anderes Thema: Wir werden heute hier die 24. Novelle zum Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz beschließen, und in dieser Novelle befindet sich etwas, was zur gestrigen Bezügereform gehört. Ich muß Ihnen, weil es so beeindruckend ist, vorlesen, was hier steht: In § 22 des Gesetzes wird Abs. 4 geändert mit folgender Wirkung: "Bei Kürzung oder teilweisem oder gänzlichem Entfall der Bezüge hat der Dienstgeber den Beitrag, der auf den Unterschiedsbetrag zwischen dem Bezug – mit Ausnahme einer Verminderung der Bezüge auf Grund einer Herabsetzung der Dienstzeit (Teilbeschäftigung) – des Versicherten und der letzten unmittelbar vor der Herabsetzung der Bezüge bestandenen Beitragsgrundlage (§ 19 Abs. 5) entfällt, zur Gänze allein zu tragen. Dies gilt auch bei teilweisem oder gänzlichem Verzicht auf die Bezüge."

Mit anderen Worten: Sie schreiben in dieses Gesetz eine Bestimmung hinein, die bei Wirksamwerden dessen, was Sie gestern als Bezügereform beschlossen haben, folgendes bedeutet: Den Beamten, die eben nur 25 Prozent arbeiten und auch nur 25 Prozent bekommen – aufgrund dieses Bezügegesetzes, nicht aufgrund einer echten Teilzeitbeschäftigung – oder die zur Gänze auf ihre Bezüge verzichten, werden diese Versicherungsbeiträge vom Bund gezahlt. Sie schaffen also schon wieder überflüssigerweise ein neues Privileg – noch dazu nicht gestern, sondern heute, damit es nicht so auffällt. Und das ist beschämend! (Beifall beim Liberalen Forum und bei den Grünen sowie des Abg. Meisinger .)

11.19


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35. Sitzung / Seite 51

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder:
Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Feurstein. – Bitte.

11.19

Abgeordneter Dr. Gottfried Feurstein (ÖVP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß einleitend zugeben, daß die Stellungnahmen von den Oppositionsparteien, sowohl von den Freiheitlichen als auch vom Liberalen Forum, heute im wesentlichen sehr konstruktiv waren (Zwischenruf bei den Freiheitlichen) , ausgenommen die letzten Aussagen von Dr. Kier, die einfach falsch sind.

Herr Dr. Kier! Sie müssen ganz genau wissen, daß im Bezügegesetz, das wir gestern beschlossen haben, eindeutig festgestellt ist, daß der Beamte, der öffentlich Bedienstete nur dann einen Pensionsanspruch erwirbt, wenn er aus Eigenem die Pensionsbeiträge weiterbezahlt. Das ist eindeutig und unmißverständlich festgestellt – und Sie sollten hier keine Unwahrheiten und Unrichtigkeiten verbreiten! (Beifall bei der ÖVP.)

Herr Dr. Kier! Lesen Sie bitte nach (Abg. Dr. Kier: Ich habe es extra vorgelesen!) , was wir gestern für den Bereich der Mandatare beschlossen haben! (Abg. Mag. Barmüller: Kier hat recht, sie haben unrecht!) Diese Bestimmung ist eine Bestimmung für die Frauen, weil wir den Frauen den Pensionsanspruch sichern wollen. Ich nehme an, daß Frau Abgeordnete Motter und auch andere hier im Haus diese Bestimmung, mit der wir für die Frauen Klarheit bei einer Reduzierung der Arbeitszeit geschaffen haben, mitunterstützen. (Abg. Schwarzenberger – zur Abg. Motter –: Wir werden sehen, ob Sie zustimmen!)

Es geht also um die Frauen, die wir schützen wollen und dazu stehe ich, meine Damen und Herren. Aber ich lehne es ab, daß Sie das mit den Politikern vermischen, wo doch gestern extra eine Lex specialis festgelegt wurde, in der eindeutig festgehalten ist – ich sage das noch einmal –: Für einen Politiker ist eindeutig festgestellt: Wenn es zu einer Reduzierung der Bezüge kommt, wenn es zu einer Reduzierung der Arbeitsleistung kommt, hat er die Pensionsbeiträge aus Eigenem zu bezahlen, meine Damen und Herren! Das ist unmißverständlich festgelegt! Da gibt es nichts zu rütteln, meine Damen und Herren!

Ich gebe zu, die grundsätzliche Dimension dieser Novelle, wie dies Abgeordneter Kier festgestellt hat, ist richtig. Es geht um die Finanzierung, um die Sicherung der Finanzierung unserer Gesundheit, unserer medizinischen Versorgung und der Finanzierung der Krankenanstalten.

Es geht um ein Finanzierungsvolumen von über 7 Milliarden Schilling, in den nächsten Jahren werden es etwas mehr sein. Dieses Finanzierungsvolumen von rund 7 Milliarden Schilling wird im wesentlichen durch echte Einsparungen, durch Strukturmaßnahmen aufgebracht, durch Strukturmaßnahmen, die durch intensive Verhandlungen erreicht wurden, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, insbesondere Minister Hums, mit dem Hauptverband, mit der Ärztekammer, mit der Pharmaindustrie, eigentlich mit allen Bereichen geführt hat, die hier maßgeblich beteiligt sind.

Meine Damen und Herren! Es ist durch Einsparungen ein Finanzierungsvolumen zustande gebracht worden, das zwei Drittel dieser 6,9 Milliarden Schilling für das Jahr 1997 abdeckt. Wer das nicht zur Kenntnis nehmen will, möge bitte die Erläuterungen zu dieser Regierungsvorlage und die Erläuterungen zum Ministeralentwurf lesen, denn dort steht eindeutig, daß es um Strukturmaßnahmen geht. (Abg. Dr. Pumberger: Ihr habt es ja selbst geschrieben!) Wir haben das nicht selbst geschrieben!

Wir gehen nicht den Weg, meine Damen und Herren von den Freiheitlichen, daß wir einfach Zahlen hineinschreiben – ich gebe dem Kollegen Haupt schon recht, man könnte die eine oder andere Zahl erhöhen und einen Ausgleich herstellen, aber das wäre nicht koordiniert, das wäre nicht abgestimmt, meine Damen und Herren. Damit wäre die Finanzierung nicht gesichert. Wir wollen von einem gesicherten Finanzierungsvolumen ausgehen, das durch konkrete Einsparungen zustande gebracht wird. (Abg. Dr. Pumberger: Belastungen!)


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35. Sitzung / Seite 52

Meine Damen und Herren! Ich schätze es vom Herrn Abgeordneten Haupt, daß er hier gesagt hat, das Controlling, das wir nun gleichzeitig einführen, sei notwendig. Ich schätze diese Aussage, und auch ich sage Ihnen: Dieses Controlling ist notwendig, wenn wir das Finanzierungsvolumen in diesem Ausmaß erreichen wollen. Ich habe mit den Betroffenen stundenlange Gespräche geführt und habe ihnen erklärt, aus welchen Gründen wir ein Controlling brauchen. Es kann nicht mehr sein, meine Damen und Herren, daß in einem Jahr die Gebietskrankenkassen sagen, sie hätten das Finanzierungsvolumen nicht erreicht. So etwas darf es nicht mehr geben! Eine nachträgliche Kontrolle sichert uns diese Möglichkeit einfach nicht, da Einfluß zu nehmen – das sichert nur das Controlling.

Meine Damen und Herren! Wir haben noch etwas getan, was allgemein vergessen beziehungsweise nicht beachtet wird: Wir haben die Haftungsbestimmungen des Hauptverbandes konkretisiert und wesentlich ausgeweitet. Die Damen und Herren des Hauptverbandes sind durch die neuen Haftungsbestimmungen dafür verantwortlich, daß dieses Finanzierungsvolumen auch eingehalten und erbracht wird. Und dazu brauchen wir diese neue Bestimmung bezüglich des Controlling. (Abg. Dr. Pumberger: Mißstände vertuschen!) Ich stehe voll dazu, meine Damen und Herren! Daran lasse ich nicht rütteln! (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dr. Graf: Wie schaut die Verantwortung aus?)

Nächster Punkt: Es geht um die privaten Krankenanstalten, die für uns ein ganz ernstes Anliegen sind, meine Damen und Herren. Sie sind beim KRAZAF leider nicht einbezogen worden, das möchte ich auch feststellen. Wir dürfen die privaten Krankenanstalten nicht hin- und herschieben, sondern wir müssen für die privaten Krankenanstalten klare, eindeutige und gesicherte Finanzierungsgrundlagen schaffen, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dr. Khol: Richtig!) Ich sage das auch von diesem Rednerpult aus: Für uns haben die privaten Krankenanstalten den gleichen Stellenwert wie die Krankenanstalten von Gebietskörperschaften. (Beifall bei der ÖVP.)

Es geht um rund 100 kleinere und größere Krankenanstalten, deren Finanzierung momentan ungesichert ist, weil man ihnen keine klare Antwort gegeben hat. Diesbezüglich, so meine ich, wären die Gebietskrankenkassen, aber vor allem auch die Länder, da wir ja die Ländertöpfe dafür geschaffen haben aufgefordert, diese Dinge zu klären und zu regeln. Wir von der ÖVP treten auf jeden Fall dafür ein und werden dafür sorgen, daß dieses Problem gelöst wird, meine Damen und Herren.

Verbesserungen im Leistungsrecht wird es auch geben. Ich möchte nicht wiederholen, was von den Oppositionsredner festgehalten wurde, aber: Eine Bestimmung, die von uns als Sozialpolitiker von größter Bedeutung ist, ist bisher nicht erwähnt worden: Es wird ab 1. August 1996 so sein, daß auch Waisen und Witwen, wenn der Vater oder der Ehegatte eine niedrige Pension besaß, die volle Ausgleichszulage bekommen. Die Ausgleichszulage wird also nicht mehr in die mögliche Pension desjenigen, der verstorben ist, eingerechnet. Die Pension wird in voller Höhe der Ausgleichszulage gewährt. Meine Damen und Herren! Damit haben wir für die Ärmsten eine wichtige Lücke in unserem System geschlossen. Das sollte man feststellen und auch anerkennen. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abg. Hostasch .)

Wir haben auf der anderen Seite bei den Ausgleichszulagenempfängern, die nicht ständig in Österreich wohnen, klargestellt, daß der ständige Aufenthalt in Österreich wesentlich für den Bezug der Ausgleichszulage ist. Ich lehne natürlich die Forderung der Freiheitlichen mit ihrer unmöglichen diskriminierenden Vorgangsweise strikte ab, meine Damen und Herren. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abg. Hostasch .)

Zu den Werkverträgen ist schon sehr viel gesagt worden. Uns geht es heute darum, die bürokratischen Hemmnisse und Unklarheiten zu bereinigen. Und das wird hier gemacht, es gibt keine neuen Bestimmungen, die einschränkend wirken, sondern Bestimmungen die eine Verbesserung in diesem Bereich bewirken.

Ich komme zum Schluß: Jene Maßnahmen, die wir hier treffen, werden von manchen Personen nicht mit Freude aufgenommen. Wenn wir neue Finanzierungsquellen erschließen müssen, ha


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35. Sitzung / Seite 53

ben nicht alle eine Freude daran. Aber noch einmal: Diese Maßnahmen sind ausgewogen und sie sind sozial gut überlegt. Wir haben uns genau überlegt, welche Maßnahmen wir treffen können, welche Maßnahmen unmöglich sind und daher nicht getroffen werden können.

Wenn Kinder, Pensionisten und sozial Schwache von der Krankenscheingebühr ausgenommen werden, dann ist das eine solche soziale Rücksichtnahme, die ganz wichtig ist, meine Damen und Herren! (Abg. Dr. Pumberger: Das ist eine Steuer!) Schlußfolgernd kann man sagen, daß es für die Qualität der medizinischen Versorgung keine Einschränkungen gibt: weder im Krankenhausbereich noch im Bereich der medizinischen Versorgung durch die Ärzte. Keine Einschränkungen! Es ist ... (Abg. Dr. Pumberger: Was ist mit den Ökonomierichtlinien? Chefarztpflicht. Was ist damit?) Was die Chefarztpflicht betrifft, so gibt es keine Änderungen, ausgenommen jene Änderungen, die notwendig sind, um eine Kostenexplosion zu verhindern, aber ansonsten gibt es keine Einschränkungen der medizinischen Versorgung, Herr Abgeordneter, von den Freiheitlichen! (Beifall bei der ÖVP.)

Die Qualität der medizinischen Versorgung ist uns ganz wichtig. Sie ist zu erhalten, sie wird durch diese finanziellen Maßnahmen, die wir gesetzt haben, gesichert. Und das ist Grund genug, zu diesem Paket voll und ganz zu stehen. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abg. Hostasch .)

11.30

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Abgeordneter Dr. Kier gemeldet. – Bitte, Herr Abgeordneter.

11.30

Abgeordneter Dr. Volker Kier (Liberales Forum): Hohes Haus! Kollege Feurstein hat ausgeführt, ich hätte gemeint, daß im Bereich der Pensionsversicherung der Beamten Mißstände vorherrschen. Ich möchte das insofern tatsächlich berichtigen, als ich mich ausdrücklich auf das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz bezogen habe. Sollte ich mich mißverständlich ausgedrückt haben, stelle ich das hiemit klar. Es war also nicht von der Pensionsseite die Rede, sondern von der Krankenversicherung, und dabei bleibe ich. Ich habe daher bewußt den Wortlaut des Paragraphen wiedergegeben, aus dem sich ergibt, daß Beamte, auch wenn sie zur Gänze auf ihre Bezüge verzichten, die Krankenversicherungsbeiträge von ihrem Dienstgeber in voller Höhe bezahlt bekommen, was insbesondere bei Beamten, die aus Gründen eines Mandats verzichtet haben, der Fall sein wird. Und das wollte ich aufzeigen. – Danke schön. (Beifall beim Liberalen Forum.)

11.31

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Öllinger. – Bitte, Herr Abgeordneter.

11.31

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister! Die Geschichte wiederholt sich: Das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Das hat ein berühmter deutscher Philosoph gesagt. Die Arbeiterkammer Oberösterreich faßt sich etwas kürzer und nicht so schön wie der Philosoph und sagt dazu: Das, was wir heute im Zusammenhang mit der Krankenscheingebühr beschließen, das ist ein "historischer Witz"! – Ein historischer Witz! – Die Arbeiterkammer Oberösterreich hat recht: Es ist ein historischer Witz, daß wir hier und heute eine Krankenscheingebühr beschließen, die im Jahr 1960 mit Ihrer Unterstützung, meine Damen und Herren von der ÖVP, abgeschafft wurde. Sie waren es damals, im Jahr 1960, die die Krankenscheingebühr in Österreich aus guten Gründen abgeschafft haben.

Bei der sechsten Novellierung des ASVG im Jahr 1960 waren es die Vertreter der Regierungskoalition ÖVP – damals die stärkste Partei in Österreich – und SPÖ, die die Krankenscheingebühr – aus guten Gründen, weil sie unsozial und ineffektiv ist – abgeschafft haben. Das wäre nachzulesen gewesen, meine Damen und Herren, vor allem von der ÖVP! Sie könnten sich ein wenig historisch kundig machen und in Ihrer eigenen Geschichte wühlen, auch in der Geschichte des österreichischen Parlaments, und nachlesen, was Ihre Vertreter damals im Jahr 1960 dazu gesagt haben, warum eine Krankenscheingebühr nicht notwendig ist.


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35. Sitzung / Seite 54

Es ist ziemlich spannend. Wenn man die Zeit hätte, könnte man einiges aus den damaligen Debattenbeiträgen zitieren. Es ist deshalb spannend, weil sich alles – nicht nur in Bezug auf die Krankenscheingebühr –, was 1960 damals im Parlament diskutiert wurde, heute in der Debatte wiederholt.

Herr Minister Hums! Ich kann Sie beruhigen, auch 1960 – damals allerdings noch einstimmig – hat der Sozialausschuß die Meinung vertreten, daß neben der Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge, die damals als Alternative zur Abschaffung beschlossen wurde, eigentlich gleichzeitig die Tabaksteuer zur Finanzierung der Krankenversicherung herangezogen werden sollte. Damals waren alle drei Parteien im Sozialausschuß – damals hat es nur drei Parteien gegeben – einer Meinung. Diese Einigkeit, meine Damen und Herren, vermisse ich in der Frage beziehungsweise in der Angelegenheit um die Reform des Krankenversicherungswesens.

Damals waren sich die Redner der unterschiedlichen Parteien durchaus darüber einig, daß eine Reform der Krankenkassen kein Projekt ist, das man mit einem Schritt umsetzen kann, sondern daß immer wieder Adaptierungen notwendig sein würden.

Einen "historischen Witz" nannte die Arbeiterkammer Oberösterreich diese Wiedereinführung der Krankenscheingebühr; ich meine, sie hat aus mehren Gründen recht.

Es ist eigentlich auch ein aktueller Witz, daß wir heute eine Krankenscheingebühr mit den Stimmen der Regierungsparteien beschließen werden, eine Krankenscheingebühr, die aus mehrerer Hinsicht – nicht nur, weil sie in der Geschichte schon einmal da war – überflüssig ist, sondern weil sie in der Form, wie sie beschlossen wird, auch keinen Sinn macht, eine Krankenscheingebühr mit Ausnahmen für anzeigepflichtige Krankheiten, die man in dieser Form gar nicht vollziehen kann, sondern nur hinten herum, indem man diese Ausnahme der Anzeigepflicht sozusagen bei der Krankenversicherung geltend macht, denn jeder Kranke, der seinem Arbeitgeber sagen würde, daß er eine anzeigepflichtige Geschlechtskrankheit oder AIDS hat, muß natürlich damit rechnen, daß er unmittelbar danach seine Kündigung in der Hand hat.

Das heißt, diese Ausnahme von der Krankenscheingebühr für alle, die anzeigepflichtige Krankheiten haben, die Sie hier so großzügig beschließen, ist kein großes Entgegenkommen von Ihrer Seite.

Es ist einfach dumm und borniert, es in dieser Form hineinzuschreiben, denn jeder, der diese Ausnahme beanspruchen würde – offen beanspruchen würde –, wozu er ein Recht hat; dieses Recht verbürgen Sie ihm ja –, muß mit seiner Kündigung rechnen. Was bleibt ihm also als Alternative? – Er kann zum Arbeitgeber gehen und so tun, als ob er den Krankenschein so wie jeder andere beansprucht, und nachher – so wird es vermutlich in einer Durchführungsverordnung geregelt werden – kann er sich diese Krankenscheingebühr von 50 S bei der Krankenkasse holen.

Meine Damen und Herren! Seien Sie mir nicht böse: Das ist wirklich lächerlich! Seien Sie mir nicht böse, aber es wird niemand wegen 50 S Krankenscheingebühr zu seiner Krankenkasse gehen, wo er doch weiß, daß ihm der Arbeitsausfall für den Gang zur Krankenkasse in der Regel mehr Kosten verursacht, wenn er sich dafür frei nehmen muß. Das ist also eine Regelung, die so wenig Sinn macht und so wenig Perspektiven bietet, daß man sie wirklich aus gutem Grunde nicht hineinnehmen hätte sollen.

Die Befreiung der Krankenscheingebühr für die Rentner hat es damals, vor 1960, auch schon gegeben. Und es hat auch damals schon die Regelung gegeben, daß man durch das Picken dieser 50 S-Marken den Krankenschein sozusagen erst bewertet, daß man ihn dadurch erst gültig macht.

Nur: Wir diskutieren hier und heute genau dasselbe wieder. Wir haben keine probate Regelung, die uns tatsächlich helfen würde, diese Krankenscheingebühr, die Sie einführen, zu administrieren. Darum wird sie ausgesetzt. Sie wird auch wegen der anstehenden Wiener Wahlen im Herbst ausgesetzt, würde ich einmal meinen, die natürlich diese Sache nicht so einfach machen.


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35. Sitzung / Seite 55

Ich denke, es ist nicht möglich, diese Krankenscheingebühr aus guten Gründen zu rechtfertigen. Sie, Herr Minister, wissen das. Sie haben ja lange Zeit gegen diese Krankenscheingebühr auch Stellung genommen und für die Erhöhung der Beiträge gekämpft.

Ich möchte noch einen Punkt nennen: Was ich wirklich für eine Chuzpe halte an dieser Regelung zur Krankenscheingebühr ist die Tatsache, daß man, wenn man einen Wahlarzt beansprucht, und bei einem Wahlarzt ohnehin nur mehr 80 Prozent des Kassentarifs erhält und zusätzlich aufzahlen muß, weil ein Wahlarzt in der Regel wesentlich mehr kostet als ein Kassentarif, wenn man also bereit ist, eigentlich einen ordentlichen Selbstbehalt dafür zu leisten, daß man einen Arzt seiner freien Wahl beansprucht, und so die Krankenkasse irgendwo entlastet, muß man trotzdem eine Krankenscheingebühr zahlen: eine Krankenscheingebühr von 50 S.

Herr Minister! Darin kann ich keinen Sinn nicht mehr erkennen. Das ist Wurzerei, schlicht und einfach nur mehr Wurzerei zu nennen. Ich sehe keinen Sinn darin, daß ich für einen Gang zu einem Arzt, für den ich keinen Krankenschein brauche, weil ich ihm den Krankenschein ja nicht zur Verrechnung vorlegen kann, wo ich dann ohnehin 20 Prozent Selbstbehalt für Administration zahlen muß – das ist ja die Begründung, warum von 100 Prozent auf 80 Prozent gekürzt wurde –, warum ich für den Gang zu diesem Wahlarzt eine Krankenscheingebühr bezahlen muß. Das ist schlicht und einfach nur als Wurzerei zu bezeichnen!

Beitragserhöhung oder Krankenscheingebühr? – Das war die Debatte, die 1960 im Parlament geführt wurde, und das ist die Debatte, die eigentlich heute zu führen notwendig wäre. Beitragserhöhung oder Krankenscheingebühr?

Im Jahre 1960 hat sich das Parlament in diesem Fall – aus guten Gründen – für eine Beitragserhöhung ausgesprochen. – Selbstbehalte sind unsozial, meine Damen und Herren von der ÖVP, Sie wissen das. Im Jahr 1960 waren sich die Regierungsparteien und sogar die Freiheitliche Partei, deren Hauptredner damals Kandutsch hieß, einig darüber, daß die Selbstbehalte in dieser Form, wie wir sie in Österreich kennen keineswegs einen lenkenden Effekt im Gesundheitswesen haben und schon aus diesem Grund nicht das, was man sich von Ihnen verspricht, einlösen können. Deshalb sind im Jahr 1960 die Selbstbehalte bei der Krankenscheingebühr abgeschafft worden. (Abg. Ing. Reichhold: Wir Bauern müssen zum Beispiel damit leben! Wir haben 20 Prozent Selbstbehalt!)

Das ist ein ganz guter Einwand, nur, lieber Kollege Reichhold – ich habe es jetzt leider nicht mit –, schau dir doch die entsprechenden Regelungen an. Es ist dokumentierbar mit den Unterlagen der Sozialversicherung, daß die Selbstbehaltsregelungen, die es bei den Beamten und bei den Bauern gibt, dennoch einen wesentlich höheren Aufwand, bezogen auf den einzelnen Kranken, verursachen als dies im Bereich der Gebietskrankenkasse der Fall ist. Es ist schön dokumentierbar anhand den Tabellen, was im Bereich der Eisenbahnerkrankenkasse – das weiß auch sicher der Herr Minister –, was im Bereich der bäuerlichen Krankenkassen und was im Bereich der Beamtenkrankenkassen an Aufwand betrieben wird, mitsamt dem Selbstbehalt. Der Selbstbehalt hat keineswegs die Wirkung, die ihr euch davon versprecht, nämlich eine regulierende, daß man vorsichtiger umgeht mit der Leistung, daß man weniger die Leistung beansprucht. Ganz im Gegenteil: Offensichtlich ist der Aufwand, der pro einzelnem Kranken im Bereich der Eisenbahnerkrankenkassen, im Bereich der Beamtenkrankenkassen und im Bereich der bäuerlichen Krankenkassen betrieben wird, höher als bei den Gebietskrankenkassen, wo es keine Selbstbehaltsregelung in diesem Sinn, wie es angesprochen wurde, gibt.

Darüber muß man wirklich sehr ernsthaft diskutieren, und diese Diskussion vermisse ich. Es wird ja nicht diskutiert über Selbstbehalte. Es wird nicht diskutiert, worin der Sinn einer Selbstbehaltsregelung liegt, bei der man nicht einmal weiß, wieviel Administrationsaufwand damit verbunden ist. Wir wissen ja nicht einmal – auch der Hauptverband weiß es nicht –, was insgesamt an Kosten für die Administration von Selbstbehalten verursacht wird. – Keine Auskunft!

Sie wissen, Herr Minister, ich habe eine entsprechende Anfrage an Sie gestellt. Sie haben die Anfrage an den Hauptverband weitergegeben. – Es gibt keine Kostenerhebung, welchen


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35. Sitzung / Seite 56

Administrationsaufwand die diversen zahlreichen Selbstbehalte im österreichischen Gesundheitswesen tatsächlich verursachen.

Herr Minister! Da bin ich bei einem anderen Punkt, den ich auch noch besprechen will: Sie wollen jetzt dem Hauptverband die Controlling-Funktion zuteilen. Herr Minister! Den Hauptverband, der sich bisher dadurch "ausgezeichnet" hat, daß er eigentlich nur als Bürokratie funktioniert hat, der in keiner Weise dazu geeignet war, sich die entsprechenden statistischen Grundlagen zu erarbeiten, wozu er durchaus in der Lage gewesen wäre – beispielsweise hätte gerade im Bereich der Selbstbehalte eine effektive Kostenanalyse erstellt werden müssen –, diesem Hauptverband das Controlling zuzueignen, finde ich etwas verwegen, und zwar aus mehrerlei Hinsicht. Ich komme wieder auf diese Debatte im Jahr 1960 zurück. Im Jahr 1960 hat sich der Nationalrat gegen die Einhebung von Krankenscheingebühren und für die Erhöhung der Versicherungsbeiträge entschieden. Aber damals hat der Nationalrat zu dieser Erhöhung der Versicherungsbeiträge einen wesentlichen Vorbehalt abgegeben. Und das ist ein Punkt, über den wir im Zusammenhang mit dem Controlling durchaus auch reden sollten. Er hat damals im Jahr 1960 gesagt: Wir beschließen diese Erhöhung der Versicherungsbeiträge einmalig hier im Parlament, weil die Erhöhung von Versicherungsbeiträgen beziehungsweise die Finanzierungsangelegenheiten der Sozialversicherung Aufgabe der Selbstverwaltung ist. Damals war die Finanzierung der Krankenversicherungen Aufgabe der Selbstverwaltung, und das Parlament hat gesagt: Einmal machen wir eine Ausnahme, aber das soll nie wieder vorkommen.

Wir wissen, wo wir heute stehen: Die Selbstverwaltung hat nicht mehr die Finanzierungshoheit, das wird hier und heute im Parlament beschlossen – oder auch nicht beschlossen im Bereich der Versicherungsbeiträge. Das ist ein Problem. Wir sind einen Schritt weggegangen von der Selbstverwaltung, und wir gehen einen gewaltigen Schritt weiter weg von der Selbstverwaltung, wenn wir diese Controlling-Funktion dem Hauptverband zuteilen.

Es mag irgendwie ganz unbedeutend erscheinen, daß der Hauptverband der Sozialversicherungsträger als die Superbürokratie auf einmal auch dieses Controlling erhält. Da halte ich es mit der Arbeiterkammer Oberösterreich und auch mit den Vorarlbergern, die sagen: Statt eine zentrale Bürokratie aufzublähen, sollte man überlegen, ob man den Hauptverband überhaupt braucht. Das ist eine wichtige Frage.

Die Frage im Hintergrund ist: Wollen wir den Weg der weiteren Aushöhlung der Selbstverwaltung weitergehen, so lange, bis wir tatsächlich nur mehr eine Sozialversicherungsinstitution für ganz Österreich haben, nämlich den Hauptverband, der die Selbstverwaltung überflüssig macht, weil es dann wirklich nichts mehr zu regeln gibt für die Selbstverwaltung? Oder wollen wir den durchaus vernünftigen Weg einer regionalen und fachlichen Gliederung der Sozialversicherungsinstitutionen überlegen, möglicherweise neue Gliederungselemente diskutieren, etwa im Bereich der Unfallversicherung, wo es Sinn machen würde, einen einheitlichen Unfallversicherungsträger zu haben, und damit einen erfolgreichen Weg für Österreich fortsetzen?

Herr Minister! Ich bin nicht davon überzeugt, daß es Sinn macht, eine zentrale Bürokratie aufzublähen, eine zentrale Bürokratie mit Controlling-Aufgaben zu stärken zu Lasten der Autonomie der Selbstverwaltung von gut funktionierenden Krankenversicherungen. Es haben sich vor allem zwei Krankenversicherungen gegen diese Controlling-Funktion jetzt gewendet, die beide zu den bestfunktionierenden Krankenversicherungen gehören. Das ist die Vorarlberger Gebietskrankenkasse, die schwarze Zahlen schreibt, und das ist die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, die zwar keine schwarzen Zahlen schreibt, aber auf dem Weg dorthin ist, und zwar, wie ich meine, mit einem durchaus vernünftigen Konzept.

Ich weiß nicht, warum sich sieben andere Gebietskrankenkassen bis jetzt noch nicht gemeldet haben, warum sie es sich gefallen lassen, daß diese Controlling-Funktion vom Hauptverband wahrgenommen wird, aber eines weiß ich ganz sicher: Wenn diese Controlling-Funktion tatsächlich der Hauptverband erhalten soll, dann bedeutet das eine Zunahme an zentraler Bürokratie und eine weitere Schwächung der Selbstverwaltung.


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35. Sitzung / Seite 57

Herr Minister! Zum letzten Mal zum Thema Beitragserhöhung: ja oder nein. Es muß in diesem Zusammenhang gesagt werden – es ist schon öfter gesagt worden –: Die Beitragserhöhung, die die Regierungsparteien heute für die Pensionisten beschließen wollen, ist ein klarer Bruch eines Wahlversprechens, das Ihre Regierung, das der Herr Bundeskanzler vor den Wahlen gegeben hat. Diese Beitragserhöhung für Pensionisten schmerzt nicht so sehr wegen ihrer Höhe, obwohl das für die einzelnen Pensionisten, vor allem für die mit geringen Pensionen, durchaus ein Problem ist, sondern schmerzt deswegen, weil klar ist, daß Sie nicht bereit waren, einer ganz wichtigen Gruppe in Österreich, die vor allem Ihnen, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, das Vertrauen gegeben hat, das Vertrauen wieder zurückzugeben. Sie haben das Vertrauen, das in Sie gesetzt wurde, gebrochen. Das ist der klare Bruch eines Wahlversprechens. Es ist eine unsoziale Regelung, die Sie auf der anderen Seite dieser Gruppe von Pensionisten anbieten, nämlich die Befreiung von den Krankenscheingebühren. Ich habe das schon öfter gesagt, es gibt unter den Pensionisten – Herr Kollege Nürnberger, du weißt das – nicht nur die kleinen Pensionisten, sondern es gibt auch die Pensionisten mit Mehrfach-Pensionen, die auf 70 000, 80 000 S Pension kommen. Und ich sehe nicht ein, warum ein Pensionist mit 70 000, 80 000 S Pension im gleichen Ausmaß, wenn es schon eine Krankenscheingebühr gibt, wenn es schon dieses unsoziale Instrument gibt, von der Krankenscheingebühr befreit ist. (Zwischenruf der Abg. Silhavy .)

Frau Kollegin Silhavy, ich weiß nicht, was Sie da so witzig daran finden, daß es tatsächlich diese Krankenscheingebühr gibt. (Abg. Silhavy: Des ASVG-Pensionisten mit 70 000, 80 000 S, den zeigen Sie mir einmal!) Mit Zusatzpensionen ist das selbstverständlich möglich, auch im ASVG-Bereich. – Ich weiß schon, daß ein ASVG-Pensionist von sich aus nicht 70 000, 80 000 S erhalten kann. Aber soll ich Ihnen die Fälle aus Ihrem Bereich nennen, Frau Kollegin Silhavy, die tatsächlich 70 000, 80 000 S an Pension bekommen? Ich könnte sie Ihnen nennen, verzichte aber darauf.

Ich meine: Wenn man einigermaßen ehrlich über die Frage von Pensionen, von Krankenscheingebühren hier in diesem Haus diskutieren würde, dann müßte man auch darüber diskutieren, daß diese Gebühr eine unsoziale Maßnahme für die Pensionisten darstellt. Es macht keinen Sinn, es ist unsozial, es ist ineffektiv. – Punkt. Ich schließe dieses wirklich unerfreuliche Kapitel.

Herr Minister! Ich gestehe Ihnen zu, daß Sie im Bereich der Sanierung der Krankenkassen einige Schritte, was die Kostendämpfung betrifft, gesetzt haben, die mir durchaus sinnvoll erscheinen, die ich auch befürworte und immer befürwortet habe, etwa im Bereich der Medikamente, etwa im Bereich der Hausärzte beziehungsweise der ärztlichen Kosten insgesamt. Aber ich hätte mir gewünscht, Herr Minister, daß Sie den Mut gehabt hätten, das auch im Zusammenhang mit einem grundsätzlichen strukturellen Schritt zu sehen, mit grundsätzlichen strukturellen Maßnahmen, die die Stellung des Hausarztes zum Beispiel aufwerten, die dem Hausarzt im Bereich der Beratung und Betreuung grundsätzlich neue Funktionen zuweisen. (Das rote Licht beim Rednerpult beginnt zu blinken.) Ich weiß jetzt nicht, was das Blinklicht bedeutet.

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Daß die freiwillige Redezeit aus ist. – Sie können aber ruhig weitersprechen.

Abgeordneter Karl Öllinger (fortsetzend): Danke, Herr Präsident.

Ich möchte vom Krankenwesen und der Situation der Krankenkassen übergehen zu einem Bereich, der heute in der Debatte schon angesprochen wurde, nämlich die Werkvertragsregelung.

Meine Damen und Herren! Mit der grundsätzlichen Intention, die am Beginn der Werkvertragsregelung gestanden hat, nämlich die Flucht aus dem Arbeits- und Sozialrecht zu verhindern beziehungsweise jenen, die unter prekären Verhältnissen beschäftigt sind, auch eine arbeits- und sozialrechtliche Absicherung, einen Schutz zu bieten, mit dieser grundsätzlichen Intention stimme ich überein. Aber das, was Sie aus diesem grundsätzlichen Anliegen gemacht haben, trägt dem meiner Ansicht nach fast in keiner Weise und in keinem Punkt mehr Rechnung.

Ich brauche jetzt nicht noch einmal zu diskutieren, was in den vergangenen Monaten schon oft genug gesagt wurde: Sie haben zahlreiche Ausnahmen geschaffen, die durch nichts zu recht


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35. Sitzung / Seite 58

fertigen sind! Wenn wir an eine Gruppe von Werkvertragnehmern in Österreich denken, die im Mittelpunkt einer solchen Regelung hätte stehen müssen, dann waren es immer die Kolporteure. Wenn man von Werkvertragnehmern in Österreich gesprochen hat, von arbeitnehmerähnlichen Verhältnissen, dann waren es immer die Kolporteure, über die geredet wurde. – Genau diese Gruppe aber haben Sie ausgenommen.

Es macht keinen Sinn und eröffnet keine Perspektive – außer der, daß man sich Kosten ersparen will –, daß man die im Bereich BFI und WIFI Beschäftigten davon ausnimmt, weil es sich hier – was durchaus begründbar und logisch ist – um Personen handelt, die hauptsächlich von staatlichen Subventionen leben und das eigentlich nur ein Herumtäuscheln von einer Tasche in die andere wäre, wenn die 30 Prozent Mehrkosten dann der Sozialminister tragen müßte, obwohl er natürlich auch das Geld dafür nicht hat.

Ich meine, mit diesen zahlreichen Ausnahmen in diesem Bereich, die schon in der ersten Regelung, im Strukturanpassungsgesetz, festgeschrieben wurden, ist der erste große Sündenfall passiert.

Der zweite große Sündenfall ist meiner Ansicht nach ein struktureller. Er liegt im Denken begründet, daß es möglich sein müßte, ein Sozialversicherungsrecht, das eigentlich nur für Vollzeitarbeitsverhältnisse funktioniert und schon schlecht funktioniert für Arbeitsverhältnisse, die nicht vollzeitlich sind – Teilzeitarbeitsverhältnisse, beispielsweise bei der Pension, aber auch bei Arbeitslosigkeit –, über eine Werkvertragssituation zu stülpen, die sich eigentlich jeder klaren Definition und jeder klaren Regelung, zumindest wenn wir das bestehende Arbeitsrecht hernehmen, entzieht. – Das war der erste große Irrtum, Herr Minister, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Wir hätten hier die Chance gehabt und sie auch nützen können und müssen, hier prinzipiell einen Neuentwurf des österreichischen Sozialversicherungswesens zu diskutieren, anzudiskutieren, wie wir die Sozialversicherung im Jahr 2000, im Jahr 2100 gestalten wollen.

Klar ist: Die Beschäftigungsverhältnisse von Österreicherinnen und Österreichern werden sich genauso wie die von allen anderen Europäern und Leuten in hochentwickelten Industrieländern in den nächsten 50 Jahren grundsätzlich verändern. Es wird nicht mehr die Möglichkeit für alle geben, vollzeitbeschäftigt und 35 oder 40 Jahre in einem Beschäftigungsverhältnis tätig zu sein. Auch wenn wir uns das wünschten: Das wird es nicht mehr geben. Es wird sehr prekäre Verhältnisse geben – auch wenn wir uns das nicht wünschen. Es wird Verhältnisse geben, wo man von einem Job zum anderen wandert, aber es wird nicht mehr diese durchgängigen Beschäftigungsverhältnisse geben.

Was wir dringend notwendig hätten, wäre eine Diskussion darüber, hier an dieser Stelle: Was tun wir, um den Österreicherinnen und Österreichern – und die Zahl derer, die in solchen Verhältnissen arbeiten müssen, ist zunehmend – einen Schutz zu geben, ihnen die Angst zu nehmen, daß sie ein Leben ohne Pensionsaussicht führen müssen, daß sie, wenn sie aus diesem prekären Beschäftigungsverhältnis herauskommen, nicht völlig im Nichts landen? Was tun wir? Diese Fragen hätten wir uns stellen müssen.

Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien! Die Regelung, die Sie im Zusammenhang mit den Werkverträgen beschließen, versucht zwar, dem für eine bestimmte Gruppe Rechnung zu tragen, allerdings mit vielen Ausnahmen, mit vielen Lücken und mit teilweise verheerenden Ergebnissen. Verheerend insofern, als die Regelung, die Sie heute beschließen wollen, dazu führen wird, daß sich nur eine Gruppe über gesicherte Beschäftigungsverhältnisse freuen kann, nämlich die Gruppe der Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Unternehmensberater. Diese Gruppe hat jetzt für Jahre wirklich gesicherte Beschäftigungsverhältnisse, weil sie immer wieder gefordert werden wird von den Werkvertragsnehmern hinsichtlich der Beratung und der Möglichkeiten der Umgehung dieser Regelung.

Diese Regelung, die Sie heute beschließen, wird die Möglichkeiten der Umgehung von sozialrechtlichen Absicherungen für prekäre Beschäftigungsverhältnisse erweitern. Sie wird dazu führen, daß man sich sehr genau anschauen wird, was man tun kann, um diese Regelungen zu


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umgehen, um die Geringfügigkeitsgrenze in der Höhe von 3 600 S zu unterschreiten, um aus einem versicherungspflichtigen Werkvertragsverhältnis ein nicht versicherungspflichtiges zu machen – und so weiter.

Es wird viele Möglichkeiten geben. Es wird vor allem diejenigen treffen und belasten, die im Bereich der niedrigbezahlten Werkverträge tätig sind, während die Gruppe, die sich den Steuerberater, den Unternehmensberater leisten kann und Werkverträge abschließt, die über die 100 000 S-Grenze hinausgehen, vermutlich auch mit dieser Regelung keine Probleme haben wird.

Es gibt auch die Möglichkeit – ich habe Ihnen das schon im Ausschuß gesagt, Herr Minister –, diese Werkvertragsregelung positiv zu benützen, um das Sozialversicherungsrecht für sich zu instrumentalisieren. Man braucht nicht mehr seine Studienzeiten um teures Geld nachzukaufen, was Sie anbieten, sondern man kann sich relativ billig in Werkverträge einkaufen und damit Versicherungsjahre nachkaufen. Das ist auch eine Möglichkeit, die es durch diese Regelung gibt. (Abg. Dr. Feurstein: Nachkaufen kann man sie nicht!)

Herr Minister! Das führt dazu, daß dann ein Steuerberater, also eigentlich einer, der von dieser Regelung profitiert, nämlich Herr Thomanetz in der Zeitung "WirtschaftsBlatt" erklären kann: Die Werkvertragsregelung wird ein Fiasko für den Staat. – Ich glaube das auch. Sie wird ein Fiasko für den Staat, weil sie kurzfristig zwar "Kohle" bringt über die Quellensteuer, kurzfristig das Budget sanieren helfen kann, auch wenn es dabei nur um Beträge in der Höhe von einigen Milliarden geht, weil kurzfristig zwar etwas mehr Geld herein kommt, aber langfristig die Rechtsunsicherheit steigt, und wir langfristig nichts in arbeitsrechtlicher Hinsicht gewinnen, Frau Kollegin Hostasch. Das ist für mich der entscheidende Punkt: Wir haben durch diese Regelung überhaupt nichts in arbeitsrechtlicher Hinsicht gewonnen, und langfristig entstehen uns dadurch mehr Kosten.

Das ist das Problem dabei: daß Sie versucht haben, eine Regelung zu finden, die einem ursprünglich guten Anliegen Rechnung tragen sollte, Sie aber etwas Furchtbares dabei zustande gebracht haben, etwas, was wirklich nicht weiterhilft, um jenen, die in Werkverträgen arbeiten müssen, tatsächlich zu helfen. Es führt beispielsweise dazu, daß man, wenn man mehrere Werkverträge gleichzeitig hat, auch mehrere Male zur Sozialversicherungspflicht herangezogen werden kann und natürlich die Gesamtsumme weit über der Höchstbemessungsgrundlage liegen und man die Beträge nicht rückfordern kann.

Das führt dazu, daß sozusagen eine Ungleichbehandlung gegenüber dem "Normalarbeitnehmer" erfolgen kann. Es führt dazu, was ich auch für nicht ohne Belang halte, daß man einen Versicherungsschutz gerade dann, wenn man ihn braucht, wieder verliert. Und das ist die Regelung, die vor allem jene Werkverträge betrifft, die wegen Krankheit unterbrochen werden. (Zwischenruf des Abg. Dr. Cap. )

Herr Kollege Cap! Das dauert ein bißchen, aber das muß ich noch erklären; das ist ein ganz wichtiger Punkt. Sie machen diese Regelung – du, Kollege Cap, beschließt diese Regelung mit –, um einer Gruppe von Werkvertragsnehmern, das ist die eigentliche Intention, zu helfen, um ihnen sozialrechtlichen Schutz zu bieten. Nur: Das Problem ist, daß der arbeitsrechtliche Schutz für diese Gruppe nicht bedacht wurde, dieser fehlt völlig!

Das heißt also: Wenn ein Werkvertragsnehmer während der Geltung seines Werksvertrags krank wird, kann der Werkvertragsgeber den Werkvertrag sozialrechtlich stornieren; er zahlt keine Beiträge mehr. Aus! Ende! Er braucht ja nicht zu kündigen, wie wir das arbeitsrechtlich kennen. Das heißt weiters, der Betroffene ist zwar, wenn er krank geworden ist, wegen dieser Krankheit noch versichert, seine Angehörigen aber nicht. Egal, welche Krankheiten in der Familie auftreten: Sie haben keinen Versicherungsschutz!

Es gibt auch für den Betroffenen nach den Buchstaben des Gesetzes eigentlich keinen Versicherungsschutz, wenn er in der Zeit seiner Krankheit – wo er schon abgemeldet ist – eine andere Krankheit zusätzlich bekommt. Das heißt, in dem Moment, in dem ein maximales Risiko


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ihn betrifft, fehlt dieser eigentlich intendierte sozialrechtliche Schutz völlig. Und das ist das Problem!

Dafür soll aber diese Regelung gemacht werden, daß sie den Leuten im Risikofall hilft – aber nicht, daß es möglich wird, ihnen diese Hilfe im Risikofall wieder zu entziehen! Das ist jetzt kein Vorwurf an den Minister. Er entzieht diese Hilfe nicht, aber der Werkvertraggeber entzieht ihm den Schutz, wozu er allerdings berechtigt ist; er hat die Möglichkeit dazu.

Meine Damen und Herren! Wir sollten es uns nicht so einfach machen und über diese schwerwiegenden Bedenken einfach hinweggehen. Herr Minister! Diese Regelung ist eine schlechte. Sie haben ursprünglich etwas Gutes intendiert – ich gebe es zu, wir wollten das auch –, aber das, was herausgekommen ist, ist keine Hilfe. Wir werden deshalb auch im Laufe der heutigen Debatte noch einen Entschließungsantrag einbringen, in dem wir die Rücknahme dieser Regelung fordern, und zwar deswegen, damit wir die Zeit und die Chance erhalten, uns als Opposition – aber nicht nur als Opposition, sondern gemeinsam in diesem Hohen Haus – bessere Regelungen in bezug auf die Werkverträge einfallen zu lassen.

Es kann doch nicht angehen, daß man eine Werkvertragsregelung hier im Parlament mit Wirkung vom 1. Juli sozusagen beschließen läßt und mit Wirkung vom 10. oder 12. Juli macht man dann schon wieder eine Änderung, wobei man gleichzeitig auch noch immer weiß, daß diese Regelung bei weitem nicht das ist, was man eigentlich will. Aber man sagt, es ist halt einmal irgendwie auf den Weg gebracht, wir können nicht mehr zurück.

Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien! Haben Sie den Mut, und versuchen Sie darüber nachzudenken. Aber versuchen Sie so darüber nachzudenken, daß wir etwas Besseres auf den Weg bringen. Zeigen Sie Ihre Konturen, Ihre Vorschläge – tun Sie jedoch nicht so, als ob immer jeweils die andere Regierungspartei schuld daran wäre, daß es schlechter geworden ist! Das ist doch die derzeitige Situation – egal, ob bei den Krankenscheingebühren oder hier bei den Werkverträgen! Die SPÖ zeigt auf die ÖVP, die ÖVP zeigt auf die SPÖ, und beide sagen, der jeweils andere ist schuld daran, warum es so schlecht geworden ist.

Ich möchte Ihnen zum Abschluß – Kollege Cap ist schon ungeduldig – noch zwei Abänderungsanträge zur Kenntnis und zur Verlesung bringen, die wir heute in dieser Debatte einbringen.

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Karl Öllinger, Freundinnen und Freunde, zur Änderung des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1966 in der Fassung des Ausschußberichtes (286 der Beilagen)


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Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Regierungsvorlage (214 der Beilagen) in der Fassung des Ausschußberichtes (286 der Beilagen) wird geändert wie folgt:

Artikel I

Ziffer 41 (Anfügen eines Halbsatzes in § 31 Abs. 3 Z 2) entfällt zur Gänze.

*****

Dieser Änderungsantrag betrifft das Controlling, das wir in dieser Form nicht beschlossen haben wollen.

Der zweite Antrag:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Karl Öllinger, Freundinnen und Freunde zum Sozialrechts-Änderungsgesetz 1966 in der Fassung des Ausschußberichtes (286 der Beilagen)

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Regierungsvorlage (214 der Beilagen) in der Fassung des Ausschußberichtes (286 der Beilagen) wird geändert wie folgt:

Artikel I

1. § 31 Abs. 5 Z 16 wird geändert wie folgt:

Der Ausdruck "sowie für die Befreiung von der Krankenscheingebühr" entfällt.

2. § 135 Abs. 3 wird geändert und lautet wie folgt:

"(3) Bei der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe durch einen Vertragsarzt oder in eigenen Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) des Versicherungsträgers hat der Erkrankte einen Krankenschein vorzulegen. Der Hauptverband hat hiefür einen einheitlichen, für alle Versicherungsträger gültigen Vordruck aufzulegen."

3. § 153 Abs. 4 wird geändert und lautet wie folgt:

"(4) Bei der Inanspruchnahme der chirurgischen oder konservierenden Zahnbehandlung durch einen Vertragsarzt oder Vertragsdentisten oder in einer eigenen Einrichtung (Vertragseinrichtung) des Versicherungsträgers ist ein Zahnbehandlungsschein vorzulegen. Der Hauptverband hat hiefür einen einheitlichen, für alle Versicherungsträger gültigen Vordruck aufzulegen."

4. § 73 Abs. 1 wird geändert wie folgt:

Im ersten Satz wird der Ausdruck "3,75 vH" durch den Ausdruck "3,5 vH" ersetzt.

5. § 73 Abs. 2 wird geändert wie folgt:

Der Ausdruck "203 vH" wird durch den Ausdruck "210 vH", der Ausdruck "485 vH" durch den Ausdruck "510 vH" und der Ausdruck "375 vH" durch den Ausdruck "390 vH" ersetzt.

6. § 73 Abs. 4 wird geändert wie folgt:

Der Ausdruck "203 vH" wird durch den Ausdruck "210 vH" ersetzt.

7. § 51 Abs. 1 wird geändert wie folgt:

In Ziffer 1 lit. a) wird der Ausdruck "6,3 vH" durch "6,5 vH" ersetzt,

in Ziffer 1 lit. b) wird der Ausdruck "7,4 vH" durch "7,6 vH" ersetzt,

in Ziffer 1 lit. c) wird der Ausdruck "7,4 vH" durch "7,6 vH" ersetzt und

in Ziffer 1 lit. d) wird der Ausdruck "8,6 vH" durch "8,8 vH" ersetzt.

*****

Meine Damen und Herren! Dieser Antrag betrifft die Ersetzung der Krankenscheingebühr und des Pensionistenbeitrages für die Krankenversicherung durch eine einheitliche Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrages um 0,1 Prozent für alle Versicherungsnehmer beziehungsweise um 0,1 Prozent für die Arbeitgeber. Er entspricht damit der Intention, die schon 1960 in diesem Parlament diskutiert wurde, er entspricht aber auch dem, was Sie, meine Damen und Herren, vor allem Sie von der Sozialdemokratischen Partei, in der Debatte um die Änderung der Krankenscheingebühr immer wieder argumentiert haben. Er entspricht dem, was meiner Ansicht nach nur logisch ist, wenn man die Konsequenz aus der Diskussion um die Selbstbehalte zieht. Er entspricht dem, was sozial am meisten gerechtfertigt ist.


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Meine Damen und Herren! Ich nehme ja nicht an, daß Sie – vor allem Sie von der Sozialdemokratischen Fraktion – den Mut haben werden, tatsächlich zu dem zu stehen, was Sie in der Debatte immer wieder eingefordert haben. Ich nehme nicht an, meine Damen und Herren von der Österreichischen Volkspartei, daß Sie sich noch an das erinnern wollen, was Sie 1960 in der Argumentation um die Krankenscheingebühr gesagt haben.

Ich bitte Sie jedoch: Wenn Sie das nächste Mal über das Gesundheitswesen und über das Krankenversicherungswesen in Österreich diskutieren, so gehen Sie doch ein bißchen in die Geschichte! Schauen Sie sich an, was Sie selbst schon hier in diesem Parlament beschlossen und was Sie als "unsinnig" verurteilt haben. Dann wird es Ihnen vielleicht leichter fallen, den Anträgen der Opposition – in diesem Fall der Grünen – zuzustimmen! (Beifall bei den Grünen.)

12.09

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Die beiden eben verlesenen Abänderunsanträge sind ordnungsgemäß eingebracht, entsprechend unterstützt und stehen mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist nun Herr Bundesminister Hums. – Bitte, Herr Bundesminister. (Abg. Dr. Ofner: Eine so lange und interessante Rede werden Sie, Kollege Öllinger, nach der GO-Reform nicht mehr halten können!)

12.09

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein wesentlicher Bereich dieser Novelle, die heute hier zur Diskussion steht, ist die Sicherung der Finanzierung der hohen Qualität unseres Gesundheitswesens. Im Gegensatz zu immer wieder zitierten Meldungen, "Sicherung der Finanzierung der Krankenkassen", geht es nicht um die Krankenkassen, sondern um die Sicherung der Qualität der Gesundheitsvorsorge.

Wir haben – erfreulicherweise – in Österreich ein gutes System, müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, daß – erfreulicherweise – die durchschnittliche Lebenserwartung ständig steigt, daß gleichzeitig auch die Möglichkeiten der Medizin in der Diagnose, in der Therapie, immer größer und natürlich auch aufwendiger werden. Es ist daher notwendig, daß wir diese Tatsachen, die an sich positiv sind – die längere Lebenserwartung, die besseren Möglichkeiten der Medizin –, anerkennen und daß wir den medizinischen Fortschritt auch in Zukunft allen, und zwar ohne Rücksicht auf ihr Einkommen, zugänglich machen – das ist entscheidend – und daß wir auch die Finanzierbarkeit sichern.

Die Finanzierbarkeit müssen wir vor allem dadurch sichern, daß wir Kosten dort senken, wo das ohne Qualitätsverlust für die Versicherten möglich ist. Wir haben in den letzten Monaten und Wochen – lange bevor die Freiheitlichen hier in diesem Haus mit Maßnahmen zur Kostensenkung gekommen sind – bereits mit Maßnahmen im Bereich der medizinischen Kosten – ohne Qualitätsverluste für die Versicherten –, im Bereich der Kosten der Medikamente, Heilbehelfe, Hilfsmittel, entscheidend kostendämpfend gewirkt.

Auch bei den diesbezüglichen Verhandlungen der letzten Wochen und Monate, die wir mit dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger und auch mit der Pharmaindustrie, mit der Ärztekammer, mit den Ländern über die Spitalsfinanzierung geführt haben, haben wir Möglichkeiten gefunden, daß ohne Qualitätsverlust für die Versicherten zwei Drittel der Finanzierungsnotwendigkeit im Bereich der Gesundheitsvorsorge durch Kostendämpfungen hereingebracht werden können. Zwei Drittel der Kostensteigerungen können dadurch hereingebracht werden, daß wir im Bereich der Verwaltung maßgebliche Kosteneinsparungen treffen, daß wir im Bereich der Spitalsfinanzierung für die nächsten Jahre mit den Ländern gesichert haben, daß es nicht mehr zu den sprunghaften Kostensteigerungen kommen wird, sondern daß sich die Kosten im Bereich der sogenannten KRAZAF-Spitäler in den nächsten Jahren überschaubar entwickeln, und zwar so, daß sie nur in dem Maße steigen, wie die Einnahmen aus den Versicherungsbeiträgen steigen werden.

Gleichzeitig wurde mit der Pharmaindustrie, mit den Apothekerkammern, mit den Ärzten auch für diese Bereiche vereinbart, daß es hier ebenfalls entscheidende kostendämpfende Maß


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nahmen geben wird. Das sind die Maßnahmen auf der Kostensenkungsseite. Zwei Drittel kommen durch Kostensenkungen herein. Allerdings bleibt auch noch übrig, daß wir zur Sicherung der Gesundheitsvorsorge, zur Sicherung der Krankenbehandlung in ständig zunehmender Qualität auch auf der Einnahmenseite – in vertretbarem Maße natürlich – Beiträge hereinbringen müssen. Ich werde dann hier noch einmal erläutern, warum das vertretbar ist.

Wir haben im Zusammenhang mit diesen Maßnahmen ein entscheidendes Problem gelöst: Die Krankenversicherungen waren aufgrund der finanziellen Situation in den letzten Monaten auch dazu gehalten, die Dauer des Krankengeldbezuges mehr und mehr im Auge zu haben. Im Bereich der Wiener Gebietskrankenkasse mußten aus diesen Gründen die satzungsmäßigen Möglichkeiten des Krankengeldbezuges von 52 auf 26 Wochen reduziert werden. Dieser Beschluß der Wiener Gebietskrankenkasse liegt nach wie vor im Sozialministerium. Hätten wir mit dieser Novelle nicht die Finanzierung neu geregelt, hätten wir mit dieser Novelle nicht neu diese Möglichkeiten, auch im Gesetz Maßnahmen zu setzen, wären für den Bereich vieler Kassen diese Reduzierungen des Krankengeldbezuges erforderlich geworden.

Es ist daher entscheidend, daß wir im Sinne der Qualitätssicherung mit dieser Novelle den gesetzlichen Anspruch auf Krankengeldbezug von 26 auf 52 Wochen anheben, wobei es den Kassen nach wie vor, so wie heute, möglich sein wird, daß in jenen Fällen, in denen das sozialmedizinisch notwendig ist, über diese 52 Wochen hinaus das gegeben wird, nämlich bis 78 Wochen. Das heißt, das Entscheidende dieser heutigen Novellierung ist, daß wir die finanzielle Sicherung dafür treffen, daß unser gutes Gesundheitssystem auch in Zukunft – mit allen Fortschritten der Medizin, mit allen Notwendigkeiten, die mit dem Steigen unseres Lebensalters erfreulicherweise verbunden sind –, weiter so finanzierbar bleibt, daß jeder – unabhängig vom Einkommen –, auch der sozial Schwächste, am medizinischen Fortschritt in Zukunft genauso beteiligt sein wird wie heute, (Beifall bei der SPÖ) und daß im Bereich des Krankengeldes auch in Zukunft per Gesetz nicht mehr wie bis jetzt 26, sondern 52 Wochen Krankengeld gesetzlich abgesichert sein werden. Ich glaube, das ist ein wesentlicher sozialpolitischer Schritt für die Zukunft. (Beifall bei der SPÖ.)

Nach den Kosteneinsparungen von, wie gesagt, zwei Drittel des Finanzierungsbedarfes war es notwendig, daß wir in der Koalition und mit den Sozialpartnern darüber diskutiert haben, wie die Differenz, die noch übrigbleibt, hereinzubringen ist. Sie kennen ja meine persönliche Haltung aus vielen Diskussionen. Ich war ursprünglich der Meinung, daß wir mit einer moderaten Beitragsanhebung für alle eine vernünftige Lösung treffen könnten. Es gibt natürlich auch Diskussionen über Lohnnebenkosten und und und. Ich verhehle nicht, daß es diese Notwendigkeit der Diskussion gibt. Das Ergebnis war ein Kompromiß, ein Kompromiß, der aus meiner Sicht durchaus annehmbar ist.

Dieser Kompromiß besteht darin, daß es auf der einen Seite für die aktiven Dienstnehmer zu keiner Beitragserhöhung kommen wird, daß es für sie aber auch zu keiner Beteiligung an den Kosten der medizinischen Versorgung kommt, der zu unzumutbaren Härten hätte führen können. Der Kompromiß gilt für den Bereich der aktiven Dienstnehmer in jenen Bereichen nicht, in denen es heute schon Selbstbehalte gibt, so beispielsweise bei den Beamten oder bei den Eisenbahnern.

Für den Bereich der Gebietskrankenkasse wird es in Zukunft diesen Kompromiß geben, der mit der Einhebung einer Krankenscheingebühr in Höhe von 50 S in dieser Novelle vorgesehen ist – allerdings mit erheblichen Ausnahmen: Diese Krankenscheingebühr wird nicht für Kinder eingehoben. Sie wird nicht bei Überweisungen zum Facharzt eingehoben, denn da hätte es zu unkalkulierbaren Belastungen kommen können. Die Krankenscheingebühr wird auch nicht bei sozial Schwächeren oder chronisch Kranken, die auch von der Rezeptgebühr befreit sind, eingehoben. Sie wird auch nicht bei Pensionisten eingehoben. Für Pensionisten im Bereich des ASVG wird es aber zu einer, wie ich hoffe, verständlichen Anhebung der Beitragssätze um 0,25 Prozent kommen. Das sind bei einer Pension von 10 000 S 25 S.

Wo immer ich mit den Menschen rede, habe ich Verständnis dafür gefunden, daß wir – da der medizinische Fortschritt wirklich allen zu gute kommt, da wir mehr an medizinischen Leistungen


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brauchen, weil eben die Lebenserwartung gestiegen ist – nach all den Kosteneinsparungen aber auch ein bißchen mehr aufbringen müssen. Dieses Verständnis habe ich in vielen Versammlungen bestätigt bekommen.

Nochmals: Gerne belaste ich niemanden. Aber das ist keine Pensionskürzung, wie manche behaupten, sondern das ist ein Beitrag zu einer guten Gesundheitsvorsorge und Krankenbehandlung. (Beifall bei der SPÖ.)

Diese Krankenscheingebühr von 50 S pro Quartal, die bei Aktiven eingehoben wird, wird eben bei Pensionisten nicht eingehoben, weil sie in Zukunft eine etwas höhere Beitragssatzgebühr zu entrichten haben. Die Anhebung um 0,25 Prozent bewirkt, daß Pensionisten im ASVG-Bereich künftig statt bisher 3,5 Prozent einen Beitragssatz von 3,75 Prozent haben. Das liegt nach wie vor unter dem der aktiven Arbeiter von 3,95 Prozent und liegt beispielsweise unter dem der Beamten von 3,95 Prozent, auch in der Pension, oder von Eisenbahnerpensionisten, die derzeit einen Pensionsbeitragssatz von 4,6 Prozent haben. Es war unvermeidbar, daß auch im Bereich der Pensionisten etwas mehr zur Gesundheitsvorsorge beigetragen wird.

Darüber hinaus wird mit dieser Neuregelung der Krankenversicherung Geld aus dem Bereich des Familienlastenausgleichsfonds in gerechter Weise zugeführt. Die Krankenversicherung trägt derzeit im Ausmaß von 50 : 50 die Belastung durch das Wochengeld – eine Maßnahme, die auch familienpolitisch wichtig ist. Künftig wird hier – wie beim Karenzgeld – eine Teilung von 70: 30 erfolgen. Damit werden der Krankenversicherung im Bereich der Gebietskrankenkasse jährlich zirka 800 bis 850 Millionen Schilling zugeführt, die nicht durch Beitragsanhebungen hereinzubringen sind. Die Mittel für den Familienlastenausgleichsfonds werden aus Mitteln der Arbeitgeber aufgebracht, das ergibt auch einen Ausgleich.

Zur Einhebung der Krankenscheingebühr wird im Gesetz festgelegt, daß diese Gebühr von den Dienstgebern eingehoben wird – das wurde auch in der Diskussion von den Dienstgebern vertreten. Wir werden gemeinsam mit dem Hauptverband und den Dienstgebern in nächster Zeit eine Regelung finden, die so unbürokratisch wie möglich ist.

Nochmals: Unbürokratischer wäre es gewesen, die Beitragssätze in moderatem Maße anzuheben. Da hat es aber verschiedene Widerstände gegeben. Ich halte diese Maßnahme für die betroffenen Arbeitnehmer für verträglich, weil sie unabhängig davon ist, wie oft man innerhalb eines Quartals zum Arzt geht, und unabhängig davon, welche Kosten beim Arzt tatsächlich anfallen. Daher ist das auch keinesfalls ein Selbstbehalt, denn 50 S pro Quartal heißt 50 S für drei Monate – unabhängig davon, wie oft man in diesen drei Monaten zum praktischen Arzt geht, unabhängig davon, welche Überweisungen vom praktischen Arzt vorgenommen werden und unabhängig davon, welche Kosten wirklich beim praktischen Arzt anfallen.

Eines wollten wir sicher nicht: daß damit irgendein Steuerungseffekt verbunden ist. Abgeordneter Öllinger hat das hier ja ausdrücklich betont. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß jemand einen Arztbesuch nur deshalb nicht macht, weil diese Gebühr von 16,60 S – auf den Monat umgerechnet – eingehoben wird.

Die größeren Bedenken gegen diese Gebühr habe ich im Hinblick auf die Bürokratie, die zu mildern ist. – Ich meine, daß es notwendig war, Finanzierungsmöglichkeiten in diesem Kompromißweg zu finden, um künftig die Qualität der Gesundheitsvorsorge zu sichern, um zu sichern, daß jeder auch am Fortschritt der Medizin teilhaben kann, und ganz besonders deshalb, weil wir nicht wollen, daß der Krankengeldbezug für jene, die am sozial schwächsten sind, auf 26 Wochen reduziert wird. 26 Wochen steht derzeit im Gesetz; nach Ihrem Beschluß wird im Gesetz der Anspruch auf mindestens 52 Wochen verankert sein, und das ist sozialpolitisch wichtig und wertvoll. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich habe gesagt, daß wir im Bereich der Verwaltung Einsparungsmaßnahmen gesetzt haben. Es wird einen Aufnahmestopp geben, es wird ähnliche Maßnahmen wie im öffentlichen Dienst geben. Diese Maßnahmen werden konsequent weitergeführt werden. Es hat zum Bereich der Sozialversicherung 1992 die Studie eines externen Rationalisierungs- und Beratungsunternehmens gegeben, der Firma Häusermann. In dieser Studie ist vorgesehen, daß eine Reihe von


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Maßnahmen, die bereits getroffen wurden – ich muß sie hier nicht nochmals aufzählen –, heuer und im nächsten Jahr auf ihre Wirksamkeit hin überprüft und dann weitere Schritte gesetzt werden.

Wir werden daher im Einvernehmen mit dem Hauptverband und mit den einzelnen Sozialversicherungen nach dieser Häusermann-Studie, deren Maßnahmen jetzt auf ihre Effizienz hin zu überprüfen sind, neuerlich ein externes Beratungsinstitut heranziehen, damit exakt festgestellt wird: Wie können wir im Bereich der Verwaltung ohne Qualitätsverlust für die Versicherten weiterhin Maßnahmen setzen, die kostendämpfend wirken?

Dazu möchte ich aber folgendes sagen: Von den zirka 115 bis 118 Milliarden Schilling, die im Bereich der Krankenversicherungen für die Versicherten ausgegeben werden, entfallen nur 4 Milliarden Schilling für den Bereich der Verwaltung. Verwaltung heißt Sachausgaben und Personalausgaben, also einschließlich Porto und und und. Wer immer daher glaubt, man könne nur mit Maßnahmen im Bereich der Verwaltung erreichen, daß die Finanzierung der Gesundheitsleistungen in Zukunft sichergestellt wird, ohne sonstige Maßnahmen, der soll bitte diese Relation betrachten.

Trotzdem: Auch im Bereich der Verwaltung werden konsequent Maßnahmen gesetzt. Dazu möchte ich Herrn Abgeordneten Öllinger sagen: Ich bedauere, daß offensichtlich nicht richtig gelesen wurde, was diese Controllingstelle im Hauptverband bewirken soll. Es geht dabei keinesfalls darum, daß der Hauptverband zu Lasten der einzelnen Krankenversicherungsträger neue Kompetenzen bekommen soll. Allerdings, Herr Abgeordneter Öllinger: Es besteht kein Gegensatz zwischen dem Hauptverband auf der einen Seite und der Selbstverwaltung auf der anderen Seite. Der Hauptverband ist genauso wie die einzelnen Versicherungsträger ein Instrument der Selbstverwaltung, ja der Hauptverband ist nicht nur ein Instrument der Selbstverwaltung: Die zuständigen und verantwortlichen Entscheidungsträger im Hauptverband sind gleichzeitig die Obmänner und Funktionäre im Bereich der einzelnen Versicherungsträger. Sie sind im Hauptverband aufgrund der notwendigen Synergieeffekte gemeinsam vertreten, sie treffen dort die Entscheidungen, und es ist richtig und gut, daß sich die Sozialversicherungsträger zusammenschließen.

Ein solcher Zusammenschluß im Hauptverband ist geschehen. Es wird in Zukunft umso notwendiger sein, daß diese Synergieeffekte genützt werden, weil in all den Verhandlungen mit den Vertragspartnern und der Ärztekammer – bis zum Bereich der Spitalsreform, bis zum Bereich der Medikamente – verstärkt danach getrachtet werden muß, einnahmenorientierte Versicherungspolitik zu betreiben, und zwar ohne Qualitätsverlust für die Versicherten. Daher wird die Nutzung dieses Synergieeffektes umso notwendiger sein.

Dieses Zusammenwirken wird jetzt operativ verstärkt. Der Hauptverband bekommt keine neuen Kompetenzen dazu – er hat sehr viele Kompetenzen –, aber der Hauptverband und die einzelnen Sozialversicherungsträger werden sich verstärkt der Mittel und Methoden bedienen, die heute in der Wirtschaft gang und gäbe und vernünftig sind.

Daher ersuche ich Sie von den Grünen, was diesen Ihren Antrag betrifft, noch einmal zu lesen, was in dieser Novelle steht: eine Ergänzung des § 31, und im § 31 ist ein Teil der Kompetenzen des Hauptverbandes verankert.

Der Hauptverband hat unter anderem die Kompetenz, die Gesamtverträge abzuschließen. Jede Krankenversicherung, die mit ihren Landesärztekammern Verträge aushandelt, geht mit diesen Verträgen zum jeweiligen Funktionär im Hauptverband, der dort für Gesamtösterreich abstimmt, ob dieser Vertrag in Ordnung ist. Es wird immer notwendiger werden, diese Gesamtverantwortung mehr und mehr zum Tragen zu bringen.

Im § 31 steht unter anderem, daß der Hauptverband die ständige Beobachtung der Entwicklung der Sozialversicherung in ihren Beziehungen zur Volkswirtschaft und die Ausarbeitung konkreter Vorschläge beziehungsweise die Durchführung von Maßnahmen zur Erhaltung der dauernden Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung ohne Überlastung der Volkswirtschaft als Aufgabe hat.


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Noch einmal: Der Hauptverband hat die Durchführung von Maßnahmen zur Erhaltung der dauernden Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung ohne Überlastung der Volkswirtschaft zur Aufgabe. Und jetzt schreiben wir dazu – nicht als neue Kompetenz –: Hiezu hat der Hauptverband ein versicherungsträgerübergreifendes Controlling unter vorausschauender und laufender Berücksichtigung der Einnahmen- und Ausgabenentwicklung einzurichten.

Wer das wirklich gelesen hat und gegen diese Maßnahmen ist, den kann ich nicht verstehen. (Abg. Dr. Pumberger: Ich hoffe, Sie haben ihn selber gelesen!) Und ich bin daher der Überzeugung, wenn ich mit den einzelnen Krankenversicherungsträgern die entsprechenden zusätzlichen Gespräche geführt habe, werden sie mit dieser Maßnahme sehr einverstanden sein, denn diese sichert in Zukunft eine einnahmenorientierte Vertragspolitik, mit den Mitteln und Methoden einer modernen Managementtechnik. Das ist der Sinn. Und ein Ziel wird ja auch Qualitätssicherung für die Versicherten ohne Überlastung der Volkswirtschaft sein, ohne Berücksichtigung der Einnahmenssituation.

Ich erwarte daher, Herr Abgeordneter Öllinger – ich bin gerne bereit, Ihnen das noch näher zu erläutern –, daß Sie Ihren Zusatzantrag in diese Richtung zurückziehen werden. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

12.30

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Abgeordnete Hostasch. – Bitte, Frau Abgeordnete. Die freiwillige Redezeitbeschränkung von 10 Minuten wird angezeigt.

12.30

Abgeordnete Eleonora Hostasch (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Die 53. ASVG-Novelle ist eine wichtige Weiterentwicklung unseres Sozialversicherungsrechtes, eine wichtige Grundlage zur Sicherung der Finanzierung im Gesundheitswesen, sie ist aber – und das soll nicht beschönigt werden – ein Kompromiß sehr unterschiedlicher Interessen, ein Kompromiß von sehr vielen Beteiligten, die mit unterschiedlichen Überlegungen in die Verhandlungen gegangen sind, um die finanzielle Sicherung der Gesundheitspolitik zu bewältigen. (Abg. Dr. Haselsteiner: Mittelmaß!)

Kompromisse sind immer dahin gehend zu interpretieren, daß jede Seite Abstriche von den ursprünglichen Vorstellungen machen muß, daß aber jenes Ziel erreicht wird, das mit Beginn der Verhandlungen angestrebt wurde. Und daher glaube ich, daß es wichtig war, diesen Kompromiß bezüglich der 53. ASVG-Novelle zu erreichen.

Sehr geschätzter Kollege Öllinger! Ich denke, wenn wir uns die Diskussionen der letzten Parlamentssitzungen in Erinnerung rufen, in denen sich die unterschiedlichen politischen Positionen der hier im Parlament vertretenen Parteien genau nachvollziehen ließen, dann zeigt sich, daß deine und auch meine Überlegung, durch eine moderate Beitragserhöhung auf der Einnahmenseite ergänzende Mittel flüssig zu machen, von den anderen hier im Haus vertretenen Fraktionen, Parteien nicht unterstützt wurde. Wir mußten daher versuchen, zu einer Einigung zu kommen – und diese liegt heute zur Beschlußfassung vor.

Unverzichtbar für mich war – es wurde schon gesagt –, daß für Langzeitkranke, für besonders Bedürftige aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes durch das ASVG sichergestellt ist, daß der Krankengeldbezug 52 Wochen lang erfolgt und nicht jene Maßnahme realisiert werden muß, zu der zum Beispiel die Wiener Gebietskrankenkasse rechtlich verpflichtet war: nämlich den Bezug des Krankengeldes auf 26 Wochen zurückzunehmen. – Ich glaube, das ist ein unverzichtbarer sozialpolitischer Fortschritt, den wir im ASVG nun durchgesetzt haben. (Abg. Dr. Pumberger: 4 000 Leute, die mehr als ein Jahr im Krankenstand sind!)

Haben Sie den Mut, Herr Doktor, Langzeitkranken die Existenzsicherung zu entziehen? Haben Sie wirklich das Herz, darauf zu verzichten, daß gesetzliche Maßnahmen gesetzt werden, um denjenigen, die am schwächsten sind, die sich selbst nicht mehr helfen können, mehr Krankengeld zu zahlen? – Ich habe diesen Mut nicht, daher habe ich mich dafür eingesetzt, daß das so realisiert wird. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Donabauer. – Abg. Dr. Pumberger: Ein Streichen um ein halbes Jahr ist für Sie ein "sozialpolitischer Erfolg"! Unglaublich!)


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Sehr geschätzte Damen und Herren! Ich möchte auch mit aller Deutlichkeit sagen, daß die Finanzierungsprobleme im Bereich der Krankenversicherung nicht auf ein Versagen der Träger der einzelnen Sozialversicherungsbereiche zurückzuführen sind, sie wurden auch nicht durch zu hohe Verwaltungskosten verursacht – auch wenn ich das unterstreiche, was Herr Minister Hums gesagt hat, nämlich daß wir jede Möglichkeit ausschöpfen müssen, um im Bereich Verwaltungskostenaufwand Reduzierungen vorzunehmen.

Die Ursachen für die Finanzierungsprobleme sind vielfältige: der soziale Fortschritt insgesamt, die demographische Entwicklung, der medizinische Fortschritt, aber auch die Versichertenstruktur, die sich in den einzelnen Gebietskrankenkassen ergibt. Es wäre unverantwortlich, die Kassen gegeneinander auszuspielen, weil es nicht im eigenen Ermessen der einzelnen Gebietskrankenkassen liegt, Einfluß auf die Versichertenstruktur zu nehmen. Diese wird bedingt durch die Arbeitsplatzverhältnisse, durch die demographische Situation in einem Bundesland. Daraus ergibt sich, wie die Versichertenstruktur ist, wie viele aktive Versicherte es gibt, wie viele beitragsfreie Mitversicherte es gibt, wie viele Pensionisten es gibt und auch andere Versicherte. Und daraus, geschätzte Damen und Herren, resultiert in einem sehr hohen Maße auch die Einnahmen- und Ausgabensituation der einzelnen Kassen.

Eines, sehr geschätzte Damen und Herren, halte ich für unverzichtbar: Das System der sozialen Sicherheit ist aufgebaut auf dem Grundgedanken der Solidarität, und dieser Grundgedanke hat im System des Gesundheitswesens, hat bei der sozialen Krankenversicherung auch in Zukunft die Priorität Nummer 1 zu haben.

Ich werde aber trotzdem auf die Kostensteigerungen insofern Bezug nehmen, als ich herausarbeiten möchte, daß der Hauptanteil in der Kostensteigerung der letzten Jahre durch Kosten für die Anstaltspflege entstanden ist. Ich nenne hier nur zwei Zahlen: 1990 wurden für Anstaltspflege 21,8 Milliarden Schilling von den Kassen aufgewendet, 1995 waren es über 35 Milliarden. Es war daher unverzichtbar für die Kassen, daß es zu einer Einigung über die zukünftige Struktur der Finanzierung der Spitäler kommt, und ich halte es für sehr wichtig, daß wir zu einer Regelung kommen, wie auch die privaten Krankenanstalten in die neue Regelung eingebunden werden.

Ich möchte aber auch betonen, daß ich es sehr positiv gefunden habe, daß vor wenigen Tagen eine Einigung zwischen dem Hauptverband, der österreichischen Pharmaindustrie und der Wirtschaftskammer zustande gekommen ist. Ein Projekt mit dem Titel "Arznei und Vernunft" hat das Ziel, für bestimmte Krankenverläufe eine sparsame, kostengünstigere Medikation zu entwickeln und dafür Sorge zu tragen – und es gibt dieses Modell jetzt für sechs Präparategruppen –, daß mit dem gleichen Heilungserfolg, mit der Qualitätssicherung, die wir verlangen, doch deutliche Einsparungspotentiale freigemacht werden.

Als letztes zum Bereich der Krankenversicherung: Geschätzte Damen und Herren! 7,9 Millionen Menschen sind im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung erfaßt und geschützt, das sind fast 100 Prozent der Bevölkerung. Und wenn man sich die Beitragsstruktur anschaut, sieht man, daß es 62,4 Prozent beitragsleistende Versicherte und 34,1 Prozent beitragsfrei Mitversicherte gibt, und das, sehr geschätzte Damen und Herren, ist eine der ganz großen sozialpolitischen und auch familienpolitischen Leistungen einer gesetzlichen Krankenversicherung, eine Leistung, die eine private Krankenversicherung nicht annähernd erbringen könnte. Daher ein klares Bekenntnis zur Versicherungspflicht und ein Ja zur sozialen Krankenversicherung. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Ich möchte aber der Vollständigkeit halber schon erwähnen, daß wir im Bereich der 53. ASVG-Novelle für zwar kleine, aber wichtige Gruppen in unserer Gesellschaft Verbesserungen durchsetzen konnten: Die geistlichen Amtsträger der evangelischen Kirche werden nun in die Vollversicherungspflicht einbezogen, sogenannte Militärpersonen auf Zeit sind nun voll nach dem ASVG versichert, die fachkundigen Laienrichter, Geschworene und Schöffen sind in der Unfallversicherung nun teilweise mitversichert, und – es wurde schon erwähnt – für die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr und auch andere wird der Unfallversicherungsschutz ausgeweitet. Es sind dies zugegebenermaßen kleine Gruppen, aber


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daran zeigt sich, wie verantwortungsbewußt wir versuchen, auch für diese kleinen Gruppen zusätzlichen Schutz im Rahmen des gesetzlichen Systems der sozialen Sicherheit zu schaffen.

Den geschätzten Kollegen Kier – er ist im Moment, glaube ich, nicht im Saal – werde ich persönlich bitten, sich jene Kritik, die er im Zusammenhang mit den Beamten und der Krankenversicherung eingebracht hat, anhand der konkreten Rechtslage noch einmal genau anzuschauen, weil ich glaube, er geht von falschen Voraussetzungen aus. Jene betroffenen Beamten, die hier angesprochen wurden, erbringen durch das Bezügegesetz in der Krankenversicherung ihre Beitragsleistungen, es ist also keine Beitragsfreiheit gegeben und es werden keine Leistungen bezogen, ohne Beiträge zu bezahlen. Ich würde bitten, sich das noch einmal im Detail anzuschauen.

Lassen Sie mich auch noch ein paar Worte zu den Werkverträgen sagen, sehr geschätzte Damen und Herren. Ich bin überzeugt davon, daß wir uns in diesem Hohen Haus noch mehrmals mit der Entwicklung der Werkverträge und mit dem Einbinden der atypischen, prekären Arbeitsverhältnisse in unser Sozialversicherungs- und Arbeitsrecht zu befassen haben werden. Ich betrachte diese Maßnahmen, die wir heute setzen, daher als einen ganz wichtigen ersten Schritt. Und ich möchte sagen, daß die Reaktionen, die wir erlebt haben, ein Beweis dafür sind, wie weit fortgeschritten die Flucht aus dem Arbeitsrecht, die Flucht aus der Sozialversicherung schon ist, und daß es hoch an der Zeit war, diese ersten Schritte nun zu setzen.

Abschließend, sehr geschätzte Damen und Herren: Ich bin froh, daß wir im Rahmen dieser Sozialgesetze auch im Arbeitszeitgesetz eine Änderung insofern vorzunehmen haben, als es bei den Bauarbeitern zu einer Einigung mit der Arbeitgeberseite über ein Jahresarbeitszeitmodell gekommen ist und damit bewiesen wurde, daß die Sozialpartner große Handlungs- und Lösungskompetenz haben. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

12.41

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zum Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Pumberger. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 15 Minuten.

12.41

Abgeordneter Dr. Alois Pumberger (Freiheitliche) (ein Plakat mit der Aufschrift "Politiker gefährden Gesundheit" am Rednerpult befestigend): Da habe ich ein schönes Plakat für Sie.

Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat uns schon mitgeteilt, daß dieses Belastungspaket sozial ausgewogen sei. Bestätigt wird uns dies vom Herrn Bundesminister für Arbeit und Soziales. Bestätigt wird uns das von den Rednern der ÖVP und der SPÖ. Weniger bestätigt wird uns das von den Familienverbänden, von Pensionistenverbänden, von den Behindertenverbänden, von der Arbeiterkammer, vom sozialistischen Landeshauptmann Häupl – der überhaupt sagt: Das, was hier ausgehandelt wurde, ist ein Unsinn –, von der Ärztekammer, und am wenigsten bestätigt wird uns das von den Patienten. Das einzige, was Sie bei diesem Paket können, Herr Bundesminister, die einzige Therapie, die Sie hier haben, ist der Aderlaß und die Schröpftherapie, anstatt den Sozialversicherungen eine ordentliche Abmagerungskur zu verordnen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frau Arbeiterkammerpräsidentin Hostasch lobt diesen Sozialabbau, und sie wird nicht einmal noch röter dabei, wenn das Krankengeld von 78 auf 52 Wochen reduziert wird. Ein halbes Jahr weniger Krankengeld also! Und die Betroffenen sind Schwerstkranke, Leute, die Arbeitsunfälle erlitten haben, die unverschuldet in eine Notlage kommen. Das sind 4 000 Personen in Österreich, sozial Schwächste, und die sind nunmehr nach einem Jahr auf die Sozialhilfe angewiesen.

Jetzt kommen Sie mit Unterstützung des Sozialministers und sagen: Jetzt zahlen wir nicht 26 Wochen – was bisher ohnehin nie geschehen ist, sondern es waren immer 78 Wochen –, jetzt zahlen wir 52 Wochen. Das ist um 50 Prozent mehr als bisher, aber es ist um ein halbes Jahr weniger, als es bisher gepflogen wurde. – Das verkaufen Sie als einen sozialen Erfolg, Herr Sozialminister! Wo kommen wir da hin, wenn Sie die Streichung des Krankengeldes um ein halbes Jahr als soziale Errungenschaft – wie Sie jetzt mehrmals, sowohl im Sozialausschuß als


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auch hier und auch in mehreren Pressemeldungen, schon kundgetan haben – verkaufen? Herr Sozialminister! Da verstehe ich Sie wirklich nicht mehr. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich weiß ja, Herr Sozialminister: Der Hauptverband hat das Sagen. Das haben wir schon gesehen bei unserer dringlichen Anfrage zu den Heilbehelfen. Da sind sie da oben gesessen, der Generaldirektor und dessen Stellvertreter. Der Leutner und der Probst saßen oben und gaben Ihnen Zettel, die Sie dann von der Regierungsbank aus verlesen mußten. – Noch dazu stand die Unwahrheit drauf, weil die ARGE Orthopädie da angeschnitten war, wo sich der Hauptverband distanziert hat.

Bei den Verhandlungen vor dem Sozialausschuß war wieder der Generaldirektor-Stellvertreter des Hauptverbandes da. – Das sind Ihre Fädenzieher! Sie ziehen für Sie die Fäden. Herr Minister, Sie sind eine vom Hauptverband ferngesteuerte Marionette! So ist das, Herr Bundesminister! Sonst könnten Sie nicht so handeln.

Umgekehrt müßte es sein, Herr Bundesminister, umgekehrt müßte es sein! Sie sind die oberste Aufsichtsbehörde für den Hauptverband, und Sie müßten einmal darauf achten, daß dort ordentlich gewirtschaftet wird, Herr Bundesminister. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesminister Hums will sich zu Wort melden.)

Eine Redeunterbrechung zur Sache und zur Geschäftsordnung ist erst dann möglich, wenn ich mit meiner Rede fertig bin, Herr Bundesminister.

Wie wichtig der Hauptverband ist, das geht aus einem Schreiben der Arbeiterkammer Oberösterreich hervor. – Frau Kollegin Hostasch, das ist Ihnen ja bekannt. Die Arbeiterkammer Oberösterreich schreibt folgendes zum Hauptverband – Sie sehen: Arbeiterkammer Oberösterreich; hier ist der Kopf drauf (der Redner weist einen Brief vor) ; sind Sie interessiert, was die schreibt? – Sie schreibt folgendes: In der Regierungsvorlage für die 53. ASVG-Novelle ist eine Bestimmung enthalten, die dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger die Controllingkompetenz über alle Krankenkassen überträgt. Und jetzt kommt΄s – das sagt die Arbeiterkammer Oberösterreich, Frau Kollegin Hostasch –: Das ist ein weiteres Beispiel dafür, daß der Hauptverband eine Legitimation sucht. Allerdings – schreibt die Arbeiterkammer weiter, Frau Kollegin Hostasch –: Statt eine zentrale Bürokratie aufzublähen, soll man überlegen, ob man den Hauptverband überhaupt braucht.

Das sagt die Arbeiterkammer Oberösterreich. Fragen Sie, ob man zu dieser Behauptung auch weiterhin steht. Fragen Sie, ob die österreichische Arbeiterkammer auch dahintersteht. Ich glaube: ja, denn ein zentrales Controlling durch den Hauptverband für alle Sozialversicherungen bläht diesen Apparat auf und führt dazu, daß die einzelnen Sozialversicherungen keinen Spielraum mehr haben. Es steht auch heute im "Kurier", wenn ich das noch kurz vorlesen darf: Vorarlbergs Krankenkassenobmann Reiner – die einzige Gebietskrankenkasse, die noch schwarze Zahlen schreibt – sagt folgendes:

"Der Begriff Controlling geht über eine Kontrolle hinaus, er umfaßt auch Einfluß auf die Geschäftsführung. Damit kann von dieser Controlling-Instanz jede Krankenkasse gesteuert werden."

Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder man sagt ja zum Controlling – jede Krankenkasse wird gesteuert –, oder bundeseinheitliche Tarife – die wir ja immer schon fordern; denn jede Gebietskrankenkasse in Österreich hat eigene Tarife. Die Tarifgestaltung ist Aufgabe des Hauptverbandes, hat uns gerade vor 10 Minuten der Herr Bundesminister gesagt.

Wenn der Hauptverband seine Aufgabe einer bundeseinheitlichen Tarifgestaltung nicht wahrnimmt und der Herr Bundesminister das nicht kontrolliert, obwohl er die oberste Aufsichtsbehörde ist, dann frage ich mich: Wozu ist der Hauptverband dann überhaupt noch da? – Genauso wie die Arbeiterkammer von Oberösterreich, die sich dieselbe Frage stellt, Herr Bundesminister.

Da haben Sie eine ganze Menge von Belastungen; ich habe das ja vor mir liegen. Anhebung von Krankenversicherungsbeiträgen für Pensionisten. – Ich glaube, es sind auch auf der


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Besuchergalerie wieder einige Pensionisten da. (Abg. Parnigoni: Um das geht’s Ihnen: Die Pensionisten verunsichern!)

Vor der Wahl hat es vom Bundeskanzler geheißen – viele Wahlplakate haben uns das jeden Tag, an jeder Straßenkreuzung vermittelt –: Wenn die Sozialisten nicht mehr am Ruder sind, dann werden die Pensionen gekürzt, werden soziale Abstriche gemacht. – Und was war nach der Wahl? – Jetzt werden die Pensionisten, die sozial Schwächsten, die, die unseren Sozialstaat aufgebaut haben, die dafür gesorgt haben, daß wir heute in sozialer Sicherheit leben, geschröpft, denen werden höhere Beiträge zugemutet, anstatt einmal wirklich bei den Kassen zu sparen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Da verursachen die Kassenambulatorien 6,9 Milliarden Schilling Defizit. Die Kasse ist eine Sozialversicherung, hat sich auf das Versicherungswesen zu beschränken, und soll nicht auch eigene Institute betreiben, die zusätzlich mit Steuergeldern finanziert werden müssen. 6,9 Milliarden Defizit!

Ich kenne keine Feuerversicherung, die eine eigene Feuerwehr betreibt. Aber die Krankenversicherung betreibt eigene Ambulatorien und eigene Institute. Das gehört abgeschafft, das sollen die öffentlichen übernehmen, und nehmen wir diese minus 9,6 Milliarden einmal weg, dann wären die Kassen schon allein aus diesem Posten heraus saniert und aus der Pleite herausgeführt.

Da gibt es ja noch mehrere Kuriositäten, ich nehme jetzt nur einmal eine heraus. Da habe ich ein Schreiben: "Kassenbosse mit Supergagen". – Leitende Funktionäre erhalten österreichweit durchschnittlich 1,452 Millionen Schilling Jahresgage. 1,452 Millionen erhalten in Österreich durchschnittlich die leitenden Angestellten bei den Kassen!

Wenn jetzt der Hauptverband – aufgrund der heutigen Beschlüsse, die Sie, glaube ich, mehrheitlich fassen werden – die Aufgaben übernimmt, können wir uns ja bei den einzelnen Landeskassen die Obmänner, die Obmannstellvertreter, die Direktoren, die Stellvertreter, die alle proporzmäßig besetzt sind, sparen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Da können wir schon wieder Hunderte Millionen Schilling einsparen. Dann hat der Hauptverband einen Sinn, aber so hat er überhaupt keinen Sinn, weil überhaupt keine Einsparungsmaßnahmen durch dieses sogenannte Controlling erzielt werden.

Oder: Die zusätzlichen, freiwilligen Pensionsleistungen. Diesbezüglich habe ich ja auch eine Unterlage mit. – Ich habe ja so viele Unterlagen mit, die alle eine Belastung und eine Verschwendung durch die Sozial- und Krankenversicherungen belegen.

Eine davon besagt – und ich sage es Ihnen, Herr Sozialminister, weil Sie es offensichtlich nicht wissen –, daß zusätzliche, freiwillige Pensionsleistungen vom Rechnungshof kritisiert wurden. Die Sozialversicherungsträger zahlten für diese zusätzlichen, freiwilligen Sozialleistungen in diesem geschützten Bereich allein im Jahr 1994 2,221 Milliarden Schilling. Wenn man das abschaffen würde, hätten Sie schon beinahe die Einsparungen herinnen, die Sie jetzt mit dem gesamten Belastungspaket erreichen, nämlich die 2,808 Milliarden Schilling. Es würden Ihnen nur mehr 600 Millionen Schilling fehlen. – 600 Millionen Schilling würden Ihnen nur mehr fehlen, wenn Sie die freiwilligen, zusätzlichen Pensionsleistungen streichen würden!

Oder: Da haben die neun Gebietskrankenkassen in ihrem Statut drinnen, daß man 2,5 Prozent der Lohnsumme der Bediensteten, der Arbeitnehmer in den Krankenkassen, für Sport, Spaß und Freizeit verwenden kann. Ich sage Ihnen: Den Spaß sollen sich die Angestellten der Gebietskrankenkasse selbst finanzieren, wie jeder andere Arbeitnehmer im ungeschützten Bereich auch. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Und dann gibt es bei der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse – und das ist auch vom Rechnungshof kritisiert und alles vom Rechnungshof belegt – auch noch eine andere Kuriosität; das gibt es sonst überhaupt nirgends: 8 Prozent der Bediensteten sind miteinander verwandt oder verschwägert. Das ist ein Beweis dafür, daß man dort ja nur einen Job kriegt, wenn man schon einen Onkel, eine Tante, einen Vater oder eine Großmutter dort hat. Dann kommt man


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hinein. Und das rote Parteibüchel muß man auch noch haben. Dann geht es. Das ist eine Postenwirtschaft, ein Postenschacher, eine Überbelegschaft sondergleichen. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Es wurde vom Rechnungshof kritisiert, daß die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse beispielsweise gleich nach Wien die meisten Bediensteten von ganz Österreich hat. Das ist vom Rechnungshof kritisiert worden, das kommt nicht von mir. (Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Ich zitiere nur den Rechnungshof. Lesen Sie es einmal durch! Lesen Sie einmal den Kontrollbericht des Rechnungshofes! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Oder: Da wird vom Rechnungshof weiters kritisiert – ich habe einen Ausschnitt da aus dem Rechnungshofbericht –: Von 42 Mandataren im Dienste der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse, vorwiegend Gemeinde- und Bezirksvertreter, wurde nur zwei Bediensteten der Bezug gekürzt. – Das kritisiert der Rechnungshof.

Landtagsabgeordneter Otto Weinberger, der auch Bürgermeister ist, der in der Kasse überhaupt nicht mehr gesehen wird, bezieht volles Gehalt; es wird nicht gekürzt. Gestern haben wir ja schon solche Privilegien kritisiert. Das läuft bei den Sozial- und Krankenversicherungen genauso wie bei der politischen Pfründewirtschaft, wie wir sie bezüglich Höchtl und so weiter gestern schon ausführlich diskutiert haben.

Die Begründung der Gebietskrankenkasse – das müssen Sie sich auf der Zunge zergehen lassen –: Eine Kürzung beabsichtige sie nicht, weil die Mandatare Partei- und Klubbeiträge sowie andere Werbungskosten zu tragen hätten. – Also die Partei- und Klubabgaben werden von der Krankenkasse praktisch direkt finanziert!

Wenn Sie all diese Mißstände beseitigen, Herr Bundesminister, dann ersparen Sie sich eine Erhöhung der Rezeptgebühr um 20 Prozent, dann ersparen Sie sich die Einführung der Krankenscheinsteuer, dann ersparen Sie sich die Beitragserhöhung bei den Pensionisten, dann ersparen Sie sich jede andere Maßnahme, auch die 20prozentige Kosteneinsparung bei den Wahlärzten und vieles mehr, denn dann könnten wir wirklich einmal die Kassen sanieren. Ohne die geringste Belastung der Bürger könnten Sie dann die Krankenkassen, für die Sie die Hauptverantwortung tragen, sanieren.

Herr Bundesminister! Ich fordere Sie auf, hier einmal den Hebel anzusetzen, anstatt weiterhin die Bürger zur Ader zu lassen und in einer unverschämten Art und Weise zu schröpfen.

Wir Freiheitlichen werden daher diesem Belastungpaket keine Zustimmung erteilen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

12.56

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Gemäß § 102 Abs. 1 der Geschäftsordnung, Herr Abgeordneter Pumberger, erteile ich Ihnen für die Wortfolge "vom Hauptverband ferngesteuerte Marionette" einen Ordnungsruf . Auch die letzten Ausführungen finde ich eigentlich nicht in einer exakten Wortfolge vorgebracht.

Zu Wort gemeldet ist der Herr Bundesminister. – Bitte.

12.56

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Herr Abgeordneter Dr. Pumberger! Ich würde Sie ersuchen, vor einer Stellungnahme hier wirklich Gesetz und Novelle durchzulesen, denn dann könnte ich es mir ersparen, hier nochmals darauf einzugehen, was in der Novelle steht. (Abg. Dr. Pumberger: Ich trau’ mich ja gar nicht alles sagen, sonst würde auch mir der Vertrag gekündigt, wie schon bei einem anderen Arzt!)

Ich möchte konkret ... (Abg. Dr. Pumberger: Sonst würde auch mir der Vertrag gekündigt! – Weitere Zwischenrufe.)

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Herr Bundesminister, Sie sind am Wort! – Bitte.


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Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums
(fortsetzend) : Ich glaube nicht, daß Sie einen Vertrag mit dem Hauptverband haben.

Daher noch einmal: Ich würde Sie bitten, damit Sie die Aufgaben des Hauptverbandes kennenlernen, dies auch zu lesen. Die stehen im dritten Abschnitt in § 31 ff; da stehen die Aufgaben des Hauptverbandes. Der Hauptverband hat nicht die Aufgabe, bundeseinheitlich Verträge zu schließen, aber er hat die Aufgabe, Gesamtverträge zu schließen.

Zum Krankengeld möchte ich nochmals hier klarstellen: Die heutige Regelung im ASVG besteht darin, daß für 26 Wochen gesetzmäßig Krankengeld zusteht. Laut Satzungen kann, je nach Wirtschaftssituation, diese 26 Wochen-Frist auf 78 Wochen angehoben werden. Die Wiener Gebietskrankenkasse mußte aufgrund der wirtschaftlichen Situation eine Regelung treffen. Ich habe es vorhin erklärt: Die Ausgaben steigen, auch aufgrund dessen, daß wir erfreulicherweise länger leben, daß die Medizin Fortschritte macht, und hier haben wir etliches getan durch Kostensenkungen, aber nicht in diesem Bereich, wo es positive Ursachen hat, daß sie steigen, sondern dort, wo man durch Spitalsfinanzierungsänderungen und so weiter Kosten senken kann.

Das ist ein Element, warum die Wiener Gebietskrankenkasse auch künftig dem Gesetzesbeschluß wird folgen können, denn im Gesetz ist jetzt vorgesehen – nach der Novellierung; und ich hoffe, Sie stimmen dem zu heute –, daß ein Anspruch auf 52 Wochen besteht. Unabhängig davon bleibt natürlich die Bestimmung aufrecht, daß die einzelnen Versicherungsträger – wie bisher – bis 78 Wochen gehen können, und das soll sicher dann der Fall sein, wenn das aus besonderen Gründen notwendig ist, so wie es auch heute bereits geregelt ist.

Daher nochmals: Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, in der Novellierung ist vorgesehen, daß die heutige gesetzliche Anspruchsituation von 26 Wochen auf 52 Wochen angehoben wird, und daß gleichzeitig die einzelnen Kassen weiterhin die Möglichkeit haben, das auf 78 Wochen auszudehnen. Ohne diese Novellierung heute würde beispielsweise aufgrund des nach der heutigen Gesetzeslage erforderlichen Beschlusses im Wiener Bereich der Beschluß Wirklichkeit werden, daß nur mehr Krankengeld für 26 Wochen gegeben werden kann. Daher ist es notwendig, daß wir diese Änderung durchführen.

Ich möchte nochmals erklären: Primär haben wir Einsparungsmaßnahmen gesetzt, und viele der Einsparungsvorschläge, die von Ihnen in letzter Zeit gekommen sind, sind im Hauptverband und mit den Krankenversicherungsträgern längst vorbereitet. Sie haben teilweise nichts anderes getan, als die Erläuterungen zum Gesetzentwurf abgeschrieben, und dann haben Sie sie hier thematisiert. Wir stehen auch ohne Ihre Vorschläge immer wieder für Kosteneinsparungen – aber dort, wo sie möglich und richtig sind, ohne die Qualität für die Versicherten zu verschlechtern. Das ist unsere Zielrichtung, und die wird auch in Zukunft bestehen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

12.59

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zum Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Donabauer. – Bitte, Herr Abgeordneter. (Abg. Apfelbeck: Was sagen Sie zu den arbeitslosen Einkommen der Politiker?)

13.00

Abgeordneter Karl Donabauer (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Hohes Haus! Es wäre schlecht, wenn nach einem haßerfüllten Systemkritiker nun einer kommen würde, der alles guthieße. Ich bin einer aus der Sozialversicherung. Ich stehe dazu und meine, daß diese Sozialversicherung und daß unsere Sozialpolitik nicht so gut ist, wie manche glauben, aber bei Gott nicht so schlecht ist, wie Sie immer tun. (Beifall bei der ÖVP.)

Wir haben mit unserer Sozialversicherung eine ausgezeichnete Einrichtung. Zeigen Sie mir eine bessere irgendwo anders in der Welt. Nur eines: Wir müssen dieses System den Realitäten, den Bedürfnissen und Veränderungen der Zeit anpassen. Und mit der 53. ASVG-Novelle und


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mit all den Begleitgesetzen werden wir das auch tun. (Präsident Dr. Neisser übernimmt den Vorsitz.)

Sie, Herr Dr. Pumberger, konnten heute mit "Freude" und mit "Genugtuung" feststellen, daß sie von ihrem eigenen Präsidenten zur Ordnung gerufen wurden. Ich glaube, Sie müssen verstehen, daß er Ihnen sagen mußte: Herr Dr. Pumberger, Thema verfehlt! (Beifall bei der ÖVP.) Ihre Rede hat nur Beschimpfungen enthalten.

Noch etwas: Dr. Pumberger hat sich hier hergestellt und hat vermeldet: Politiker gefährden die Volksgesundheit! Er ist einer jener, der die Volksgesundheit gefährdet, wenn er so weitertut. Herr Dr. Pumberger, erkennen Sie endlich Ihre Aufgaben! (Neuerlicher Beifall bei der ÖVP. – Abg. Ing. Reichhold: Sagst du auch etwas zur Bäuerinnenpension?) Jawohl, Herr Abgeordneter Reichhold! Erstens: Es liegt ein Entschließungsantrag vor, in welchem steht, daß die Anpassungsbestimmungen für die Bäuerinnenpension noch weiter geändert werden sollen.

Lieber Herr Kollege! Wir waren es, die unter Anwendung eines ungemeinen Verhandlungseifers die notwendigen Korrekturen vorgenommen haben. Wir wissen, wo wir stehen. Wir sind auf eine Richtung aus gewesen: nämlich das System finanzierbar zu halten. Und dazu stehen wir! Jedwede Polemik interessiert uns nicht! (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Ing. Reichhold: Das hätten Sie schon früher tun müssen!)

Lieber Herr Abgeordneter! Dieser Abänderungsantrag – du kannst auch das hören! – strotzt nur so von Unsachlichkeit, und zwar vom ersten bis zum letzten Satz. (Abg. Ing. Reichhold: Wo zum Beispiel?) Lies ihn dir einmal durch!

Zweite Sache: Weiterer Entschließungsantrag, ebenfalls betreffend Bauern. Die diesbezüglichen Verhandlungen werden schon lange geführt. (Abg. Aumayr: Mit welchem Ergebnis?) Nur: Du interessierst dich nicht dafür. Dabei geht es nicht nur um den Einheitswert, sondern es geht auch um die Frage Besitz und Bewirtschaftung. Es geht um viel mehr, als in diesem Antrag dargestellt wird. Wir wissen, was wir tun, nur ihr wißt manchmal nicht, was ihr sagt. Das ist der Unterschied! (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Ing. Reichhold: Ja, ja, schon 20 Jahre wißt ihr, was ihr tut!)

In gebotener Kürze: Herr Bundesminister hat heute schon darauf Bezug genommen, warum wir Handlungsbedarf haben. Wir haben positive und negative Entwicklungen zu verzeichnen. Zu den positiven Entwicklungen zählt die Anhebung des medizinischen Standards, eine höhere Lebenserwartung, wo weiter ausgebaut werden soll und muß; dazu stehen wir alle. Weniger erfreulich ist die Tatsache, daß wir eine Menge Doppelleistungen im medizinischen Bereich haben, daß wir Probleme in der Beschäftigungspolitik haben, daß sehr viele Menschen zu früh in die Pension eintreten und somit keine Beiträge als Aktivversicherte mehr leisten, aber sehr wohl aus dem System Leistungen brauchen. Doch das ist legitim, das müssen wir erkennen, aber darauf brauchen wir eine Antwort.

Noch keine Antwort wissen wir auf die Frage, Herr Dr. Pumberger, wie wir die enorm gestiegenen Ärztehonorare eingrenzen sollen. Es gibt nicht nur Sozialversicherungsfunktionäre, die um Geld arbeiten, es gibt auch Ärzte, die sich sehr aktiv einbringen. Sie dürften auch einer davon sein. (Beifall bei der ÖVP.)

Was ich noch sagen möchte, ist, daß die Krankenscheingebühr (Zwischenrufe bei der ÖVP und bei den Freiheitlichen) natürlich ein großes Thema ist. Das haben wir aber von der ersten Stunde an gewußt. Ich halte die Krankenscheingebühr, meine Damen und Herren, bei Gott nicht für die Lösung aller anstehenden Fragen. Ich habe aber auch keine Berührungsängste damit. Ich betrachte die Krankenscheingebühr nicht als Finanzierungsinstrument, sondern als notwendige Steuerungsmaßnahme. So ist sie gut, und so vertreten wir sie, und auf dieser Linie gehen wir weiter. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Wenn Sie uns sagen, wir bestrafen die Bürger mit einer erhöhten Rezeptgebühr, dann frage ich Sie, welche Antworten Sie uns geben, wenn wir heute wissen, daß etwa 40 Prozent der Medikamente, die abgegeben werden, gar nicht verbraucht werden. Wir brauchen mehr Eigenverant


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wortung! Wir brauchen mehr Bewußtsein! Und das wollen wir mit dieser Maßnahme stärken! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Wenn Sie glauben, daß die Anhebung der Beiträge für die Pensionisten so unsozial ist, dann sage ich Ihnen, daß der monatliche Beitrag bei einer Durchschnittspension von 12 000 S von 420 S um lediglich 0,25 Prozent auf 450 S angehoben wurde. Ich meine, das ist doch wohl vertretbar.

Zum Schluß kommend möchte ich noch auf drei Themen Bezug nehmen. Erstens: Die Feuerwehren haben durch diese Novelle einen umfassenden Unfallversicherungsschutz; das ist etwas ganz, ganz Positives. Zweitens: Controlling in den Sozialversicherungen halten wir für richtig und notwendig, wir stehen dazu. Drittens – eine wichtige Sache, die wir eingebracht haben –: Es gibt keine Ausgleichszulagenkürzung bei Hinterbliebenen, Witwen und Waisen; das ist eine sozialpolitisch notwendige Maßnahme. Darüber sollten Sie reden, denn das ist, glaube ich, wichtig!

Wir haben den Mut zur Veränderung. Wir wollen niemanden reizen, sondern wir wollen das System weiterentwickeln, und auf dem Weg dahin sind wir.

Wir haben einen guten Vorschlag gemacht, und wir werden dieser Regierungsvorlage unsere Zustimmung geben. (Beifall bei der ÖVP.)

13.06

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Herr Abgeordneter Dr. Pumberger hat sich zu einer tatsächlichen Berichtigung zu Wort gemeldet. – Herr Abgeordneter! Unter Hinweis auf die Geschäftsordnung bitte ich um Ihre Ausführungen.

13.06

Abgeordneter Dr. Alois Pumberger (Freiheitliche): Herr Bundesminister! Herr Abgeordneter Donabauer hat in seiner Rede behauptet, daß Präsident Brauneder mir einen Ordnungsruf erteilt hätte für meine Äußerungen, die inhaltlich so viel bedeutet haben, als hätte ich in meiner Rede das Thema verfehlt.

Ich stelle tatsächlich richtig, daß ich einen Ordnungsruf deshalb bekommen habe, weil ich den Herrn Sozialminister als eine "vom Hauptverband ferngesteuerte Marionette" bezeichnet habe. –Ich kann mich nicht daran erinnern, diese Behauptung zurückgenommen zu haben. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Schwarzenberger: Diese Aussage ist noch unanständiger! – Abg. Ing. Tychtl: Ein Wiederholungstäter!)

13.07

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Mag. Peter. – Bitte, Herr Abgeordneter.

13.07

Abgeordneter Mag. Helmut Peter (Liberales Forum): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Wir haben gestern eine Geschäftsordnungsreform beschlossen, von der wir uns alle erhoffen, daß sie einen sinnvolleren zeitlichen Rahmen für den Ablauf der Plenarsitzungen geben wird. Eine Unkultur ist aber offensichtlich noch geblieben: 15 Sozialthemen, völlig unterschiedlichen Inhalts, in eine einzige Debatte einzupacken; das ist so etwas wie ein gemischtes Kompott; jeder redet von einem anderen Thema. Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Vor dem Sommer, in der ersten Juliwoche werden in den Ausschüssen alle unangenehmen Anträge der Opposition hineingepackt und dann mit 15 Tagesordnungspunkten hier im Parlament gemeinsam verbraten. Ich weiß nicht, ob das das parlamentarische Verständnis der Klubobleute der Mehrheitsfraktionen ist. Dies ist vielleicht eine taktische Vorgangsweise, mit Parlamentarismus hat sie jedoch wenig zu tun.

Wir diskutieren also heute querbeet über Regierungsvorlagen und über Anträge: vom Notarversicherungsgesetz über das Betriebshilfegesetz bis zum Bäckereiarbeiter/innengesetz. Wie sinnvoll das ist, sei dahingestellt. Die Präsidiale hat das leider in dieser Form beschlossen. Ich halte das für bedauerlich.


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Herr Bundesminister! Sie haben uns am 10. Juli über den "Standard" wissen lassen, daß Sie ein neues Arbeitszeitgesetz im August zur Begutachtung ausschicken werden. Ich bin schon sehr gespannt darauf. Sie haben darüber hinaus noch zu Protokoll gegeben: "Hums will in Zukunft verstärkt Jahresarbeitszeitmodelle ermöglichen. Dafür soll das Arbeitszeitgesetz den einzelnen Branchen Freiräume geben, die im Rahmen von Kollektivvertragsverhandlungen genutzt werden sollten." – Ein kluger Satz, Herr Bundesminister. So weit, so gut.

Nur eine Frage: Warum tun Sie das nicht, was Sie sagen? Sie legen hier ein Bäckereiarbeiter/innengesetz vor, das genau das Gegenteil ist von der Aussage, die Sie machen. Sie legen hier einen Gesetzentwurf vor, der nicht einen Rahmen für die Arbeit schafft, der dann durch Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarungen ausgefüllt werden kann. Nein: Sie reglementieren in alter sozialpartnerschaftlicher Manier von oben herab, mit der großen Weisheit derer, die wissen, wie es überall in der Wirtschaft zugeht, bis in die kleinsten Bereiche.

Lieber Herr Bundesminister! Das ist die falsche Politik! Woher nehmen Sie denn – fast möchte ich sagen die Anmaßung – zu meinen, daß Sie wissen, wie Bäckereibetriebe von Wien bis Vorarlberg funktionieren, deren Arbeit Sie in diesem Bäckereiarbeiter/innengesetz auf Punkt, Beistrich und Komma normieren. Das beginnt schon bei der Einleitung in diesem Gesetz, in der Sie versuchen, krampfhaft festzuhalten, wann denn einer – Gott behüte! – Backwaren erzeugen darf und wann nicht. Wenn einer zum Beispiel neben seiner Bäckerei auch noch ein Gastgewerbe hat, dann gilt für ihn das Gesetz nicht. Also müssen alle Bäcker, die am Sonntag frische Semmel erzeugen wollen, noch geschwind ein Gastgewerbe anmelden.

Merken Sie nicht, Herr Bundesminister, in welchem Filz von Verordnungen, in welchem Filz von Umgehungshandlungen Sie sich mit Ihren gesetzlichen Maßnahmen letztlich verheddern.

Sie normieren dann in diesem Gesetz – wenn man es liest, glaubt man es gar nicht – noch die Ausnahmen von der Wochenend- und Feiertagsruhe. Sie haben noch wahrlich die Stirn, in Ihre Regierungsvorlage, in ein Bundesgesetz dieser Republik, Herr Bundesminister, hineinzuschreiben, welche Arbeiten am Wochenende und Feiertagen ein Mitarbeiter verrichten darf. Die Wirtschaftskammer wird diesem Gesetz – Gott sei es geklagt! – in trauter sozialpartnerschaftlicher Gemeinsamkeit zustimmen.

Das heißt also, es geht Ihnen nicht darum, ob ein Mitarbeiter am Wochenende oder am Feiertag arbeiten muß, nein, Ihr kollektives Glück geht ja noch viel weiter. Sie schreiben ihm noch vor, was er tun darf, wenn er schon am Wochenende arbeitet, und was er nicht tun darf, wenn er am Wochenende arbeitet. Wissen Sie: Dieses Gesetz wird in der Europäischen Union, wann immer es dort gelesen wird, in 14 anderen Staaten homerisches Gelächter erzeugen; homerisches Gelächter über eine Bundesregierung, über eine Sozialpartnerschaft, die wirklich glaubt, in Bundesgesetzen bis hinein in die kleinsten Bereiche die Betätigung der Betriebe regeln zu können.

Wissen Sie, Herr Bundesminister, was Sie damit erreichen werden? – Sie werden damit einen großen Beitrag zum Bäckersterben leisten, aber auch die Wirtschaftskammer mit, die das mitbeschließt. Denn der kleine Bäcker, Herr Stummvoll, lebt davon, daß er flexibel sein kann, daß er auf Marktbedürfnisse reagiert, und Sie treiben uns Nachfrager von Bäckereiprodukten in die Bäckereiindustrie. Wir bekommen die Öfen von Resch & Frisch, wir kaufen uns die Backwaren nicht mehr beim örtlichen Bäcker. Wir kaufen sie uns bei Resch & Frisch, wo wir sie dann, wenn unsere Gäste frische Backwaren haben wollen, nicht dann, wenn Ihr Gesetz es erlaubt, selbst zubereiten. Da können Sie uns Gott sei Dank nicht hineinreglementieren. Leid tut es mir nur, Herr Stummvoll, um die Kultur des österreichischen Bäckergewerbes. (Abg. Dr. Stummvoll: Was ist Ihr konkreter Vorschlag?)

Der konkrete Vorschlag ist, daß Sie den Mut haben, Herr Stummvoll, ein Arbeitszeitgesetz in Österreich zu machen, das für alle Branchen gilt, und daß Sie dann auf kollektivvertraglicher Ebene und auf der Ebene der Betriebsvereinbarungen definieren, wie der Branchenrahmen ausschaut, und daß die Gewerkschaften endlich einmal lernen, daß ihre neue Aufgabe der Zukunft die Beratung der Betriebsräte ist. Das Traurige daran ist, daß Sie Ihren eigenen Betriebsräten


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nicht vertrauen. Schulen Sie Ihre Betriebsräte! Dort ist die zukünftige Entscheidung für betriebliche Arbeit.

Aber das, was Sie hier in diesem Bäckereiarbeiter/innengesetz vorlegen, ist – das sage ich Ihnen – sozialpartnerschaftlicher Pfusch. Das ist eine Reglementierungsordnung, die in das 19. Jahrhundert gehört, genauso wie die Gewerbeordnung. (Beifall beim Liberalen Forum.)

Aber die Bäcker werden weiter zusperren. Es werden weniger Bäcker Betriebe haben, und es wird mehr arbeitslose Bäckereiarbeiter geben. Sie müssen doch endlich einmal folgendes verstehen, meine Damen und Herren des Hohen Hauses: Je mehr Sie ein Gewerbe und je mehr Sie Arbeitnehmer schützen, desto weniger wettbewerbsfähig sind Sie auf dem Markt. Das ist der Punkt!

Arbeitnehmerschutz ist unverzichtbar. (Abg. Fuchs: Die Arbeitnehmer sollen ohne Schutz auskommen!) Aber das stimmt doch nicht, gnädige Frau! Liebe Kollegin, das stimmt nicht! Ich habe gesagt – schon mehrmals von diesem Platz aus –: Der Mitarbeiterschutz ist unverzichtbar. Die Frage ist aber, ob man das kollektive Glück, die kollektive Glückseligkeit über dieses Land ausbreitet oder endlich einmal versteht, daß erstens die individuelle Arbeitszeitanforderung des einzelnen Mitarbeiters unterschiedlich ist und daß wir zweitens in der Wirtschaft dazu da sind, Kundenbedürfnisse zu befriedigen und nicht pausenlos von uns zu reden. Diejenigen Unternehmungen, die keine Kundenbedürfnisse befriedigen, werden halt keinen Kunden mehr haben und werden leider ihre Mitarbeiter arbeitslos machen müssen. Das müssen Sie endlich einmal verstehen und nicht solche Gesetze in diesem Haus vorlegen. (Beifall beim Liberalen Forum. – Zwischenruf des Abg. Parnigoni. )

Lieber Rudi Parnigoni! Es lohnt sich, sich dafür aufzuregen, weil dieses Hohe Haus immer nur von der einen Seite der Arbeit, aber nie von den Kunden redet. Ich fordere alle Damen und Herren, die hier in der Legislative arbeiten, auf: Reden wir einmal von unseren Kunden, von deren Wünschen und Bedürfnissen und darüber, was wir tun müssen, um mehr Beschäftigung zu schaffen. Das gelingt nicht durch Arbeitsverweigerung, sondern das gelingt nur dadurch, daß man Kundenwünsche dann befriedigt, wenn sie entstehen. Sonst gibt es in einem großen europäischen Binnenmarkt ... (Abg. Fuchs: Auch Wünsche des Arbeitnehmers!) Natürlich auch des Arbeitnehmers! Ohne Arbeitnehmer kann kein Unternehmer erfolgreich sein. (Abg. Fuchs: Um jeden Preis arbeiten, nur damit die Wirtschaft lebt!)

Auch das ist ein Irrtum! Wirtschaft ist kein Selbstzweck. Sie dient dazu, daß wir uns kulturell verwirklichen, und sie dient dazu, daß wir Beschäftigung schaffen, und sie dient auch dazu, daß wir die soziale Sicherheit finanzieren. Nur: Wenn Sie sich der Wertschöpfungschance – sprich dem Umsatz, der Befriedigung von Kundenwünschen – verweigern, dann haben Sie keine Umsätze und damit keine Wertschöpfung und auch keine Beschäftigung. Frau Kollegin, nehmen Sie das zur Kenntnis! Das muß doch einmal in die sozialpartnerschaftlichen Schädel hinein. Das sind Marktgesetze!

Meine Damen und Herren! Noch einige Worte zu zwei weiteren Gesetzentwürfen. Zunächst komme ich zum Antrag von Frau Rossmann von der freiheitlichen Fraktion, die das "Zürcher Modell" in der Tourismuswirtschaft umsetzen will, indem sie meint, es wäre klug, wenn wir an Saisonrandzeiten zusätzliche Beschäftigungszeiten durch Teilzeitarbeitsmodelle und teilweises Zuschießen von Arbeitslosengeldern ermöglichen würden.

Das ist kein ausgegorenes Modell, sondern ein Entschließungsantrag, den wir Liberalen als Entschließung – ich betone das – unterstützen, weil wir meinen, es lohnt sich, darüber zu reden. Ich bitte auch den Herrn Sozialminister, mit dem Arbeitsmarktservice, mit Dr. Buchinger, diese Fragen zu diskutieren.

Ein paar Worte auch zum eigenen Antrag betreffend die Flexibilisierung des Arbeitsrechtes. Auch da geht es nicht darum, Mitarbeiter zu einem beliebigen Gut des Unternehmers zu machen, sondern da geht es darum, dann zu arbeiten, wenn der Kunde oder der Markt es verlangt.


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Wir stehen in der österreichischen Tourismuswirtschaft vor der größten Herausforderung seit 50 Jahren. Wir müssen uns an die Nachfrage, an unsere Kunden und Gäste anpassen. Kürzere Hochsaisonzeiten, kürzere Vorbuchungszeiten geben uns auch kürzere Planungszeiten. Wir haben arbeitsmäßige Schwerpunkte, die mit dem derzeit geltenden Arbeitsrecht nicht abdeckbar sind. Sie können doch nichts davon haben, wenn Sie immer wieder triumphierend eine Branche kriminalisieren, die in weitem Maße – auch da gibt es Mißbräuche, die ich nicht verkleinern möchte – dann arbeitet, wenn sie Gäste hat, die dann da sein muß, wenn Spitzenzeiten – zu Weihnachten, zu Neujahr, im Februar immer kurze Wochen – sind, wobei sie mit dem geltenden Arbeitsrecht nicht auskommt.

Sie werden leider diesen Antrag von uns Liberalen ablehnen. Ich bedauere das. Nur: Verstehen Sie eines: Je mehr Sie sich der Realität verweigern, je mehr Sie Ihre Augen verschließen und beweisen, daß Sie es in Wirklichkeit in einer sozialpartnerschaftlichen Weise besser wissen, desto weniger gut wird es der österreichischen Wirtschaft gehen und desto weniger Menschen wird sie leider beschäftigen können! (Beifall beim Liberalen Forum.)

13.17

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Hagenhofer. – Bitte, Frau Abgeordnete.

13.17

Abgeordnete Marianne Hagenhofer (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, daß ich eingangs ein persönliches Anliegen anbringe, und zwar folgendes: Ich möchte mich bei meiner Kollegin Annemarie Reitsamer dafür bedanken, daß sie für mich heute meine Funktion als Berichterstatterin zu zwei Tagesordnungspunkten übernommen hat, und ich stehe nicht an, mich dafür zu entschuldigen, daß ich nicht zeitgerecht – aus welchen Gründen auch immer – hier im Plenum anwesend war. Das möchte ich anbringen und nicht unkommentiert im Raum stehen lassen.

Was ich ebenfalls nicht ohne Bemerkung im Raum stehen lassen will und was mir persönlich für dieses Haus sehr weh tut, war die Äußerung des Kollegen Dr. Pumberger, mit welcher er Sozialminister Hums als "ferngesteuerte Marionette des Hauptverbandes" bezeichnet hat. – Herr Dr. Pumberger ist leider nicht mehr da. – Wenn man in dieser Sichtweise einige Vorgänge in Ihrer Fraktion, Herr Dr. Pumberger, beleuchten würde, dann könnte man derartige Dinge auch von Ihnen sagen. (Ruf bei den Freiheitlichen: Cap ...!)

Nur: In diesem Haus wird niemand mit derartiger Wortwahl gegen Ihre Fraktion vorgehen. Doch ich bin dem Präsidenten Brauneder dankbar dafür, daß er diese Wortwahl mit einem Ordnungsruf sanktioniert hat (Beifall bei SPÖ und ÖVP), denn diese ist schädlich für den Parlamentarismus, und das darf in diesem Haus nicht weiter einreißen.

Herr Mag. Peter! Auch auf Ihre Ausführungen möchte ich in zwei Punkten eingehen. Sie haben gemeint, das Arbeitszeitgesetz sei hemmend. Frische Backwaren sollten dann zur Verfügung stehen, wenn die Gäste dies wollen, und das sei natürlich zu ganz verschiedenen Zeiten der Fall. Ich glaube, so einfach kann man das nicht sagen.

Sie wissen doch selbst, daß es in der Tourismuswirtschaft bereits technische Voraussetzungen gibt, die es ermöglichen, daß frische Backwaren jederzeit angeboten werden. Sie meinten, daß es notwendig ist, individuelle Arbeitszeiten in das Bäckereiarbeiter/innengesetz aufzunehmen. Das gilt vielleicht für verschiedene anderen Branchen auch, Herr Mag. Peter. Davor verschließen wir auch nicht die Augen.

Worauf wir Sozialdemokraten Wert legen, ist, daß diese Arbeitszeiten sowohl dem Arbeitgeber und damit der Wirtschaft, als auch dem Arbeitnehmer entsprechen. Darauf werden wir pochen, und davon werden wir nicht abweichen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Schwemlein: Lieber die Mikrowelle 24 Stunden als der Arbeitnehmer!) Genau das habe ich mit technischen Mitteln gemeint, denn Resch & Frisch ist nichts anderes.


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Zum Tourismusproblem: Herr Mag. Peter! Sie meinten, Minister Hums solle mit Dr. Buchinger dieses Problem beheben. Ich glaube nicht, daß Sie der Meinung sind, daß das Grundproblem der Tourismusbranche mit Mitteln des AMS behebbar ist. Ich meine – ich glaube, es gibt in dieser Richtung schon Gespräche –, man müßte das Problem Tourismus mit allem, was drinnen verpackt ist, analog der Bauwirtschaft angehen, und zwar müßte man auch für diese Branche eine entsprechende Jahresarbeitszeit erreichen. Warum geht es in der Bauwirtschaft? Man muß sich auch im Tourismus, aber auch im Sinne der Arbeitnehmer auf diese Position einigen können, und dann wird es dem Tourismus nicht mehr so schlechtgehen.

Ich möchte noch beim Tagesordnungspunkt Sozialrechts-Änderungsgesetz auf die Einführung des Controllings und der Controllingstelle beim Hauptverband für alle Sozialversicherungsträger eingehen. Mag. Haupt hat gemeint, die Vorarlberger Gebietskrankenkasse und noch einige andere sehen sich am Gängelband des Hauptverbandes.

Herr Mag. Haupt! Ich sehe das nicht so, denn eine moderne Wirtschaft kommt ohne Controlling-System überhaupt nicht mehr aus. (Zwischenruf der Abg. Motter. ) Und wenn wir die Körperschaften öffentlichen Rechts auch in diese Richtung entwickeln wollen, dann ist es aber auch notwendig, daß diese Körperschaften im eigenen Haus ein Controlling einführen. (Abg. Öllinger: Im eigenen Haus!) Lassen Sie mich bitte ausreden. Wir machen doch beim Arbeitsmarktservice genau dasselbe und sind deshalb nicht am Gängelband des Sozialministeriums.

Das Controlling gibt Aufschluß darüber, was Kostenwahrheit und Kostenanalyse bedeuten, und es gibt Aufschluß über Beobachtung der laufenden Kostenentwicklung, und zwar sowohl nach oben als auch nach unten. Daß Controlling nach bestimmten Rahmenbedingungen und Zielvorgaben durchgeführt werden muß, ist für die vorausschauende Budgetierung, für das laufende Budget und für die entsprechende Schwerpunktsetzung ganz wichtig. Es wird uns Auskunft geben über Daten, die wir bis dato von den Sozialversicherungsträgern nicht im Detail nachvollziehen konnten. Zum Beispiel ist mir unerklärlich – dazu stehe ich, weil das auch an mich herangetragen wurde –, warum ein Kostenunterschied bei einzelnen Operationen zwischen Österreich und Deutschland oft bis zu 50 Prozent ausmacht. Dieses Controlling wird uns das zeigen, und ich sehe das, wie gesagt, nicht als Gängelband, sondern als notwendiges Instrument.

Das Controlling wird natürlich auch eine Kosten-Nutzen-Rechnung unter gesamtvolkswirtschaftlicher Bedeutung – das ist geradezu Voraussetzung – für das gesamte Sozialsystem in Österreich bringen, es wird das Sozialsystem mit diesen Vorgängen absichern, und es wird es auch transparenter machen, um bei atypischer Entwicklung rechtzeitig und vorausschauend darauf reagieren zu können. Das ist Controlling, das ist auch für unsere Körperschaften notwendig, und das ist auch für alle Körperschaften, die künftig entstehen werden, notwendig.

Einen letzten Punkt möchte ich noch anführen, für den ich Sozialminister Hums öffentlichen Dank aussprechen möchte. Geschätzte Damen und Herren! Sie wissen vielleicht, daß derzeit weltweit 24 Personen als Ersatzzivildienst Gedenkdienst leisten und dabei wichtige Zeichen setzen, Zeichen setzen in Form von Information bei ehemaligen Holocaust-Stätten gegen Faschismus und gegen jede andere Art von autoritärer Gewalt. Diese Gedenkdienstleistenden waren bis dato nicht in die Sozialversicherungspflicht miteinbezogen. Dank Sozialminister Hums konnten diese Personen jetzt mit den Zivildienern gleichgestellt und in die Sozialversicherungspflicht einbezogen werden. Das, so glaube ich, sind wir diesen Personen schuldig. Und ich möchte auch dem Koalitionspartner dafür danken, daß er dem Sozialminister in dieser Sache entgegengekommen ist. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Dr. Khol. )

13.26

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Nunmehr ist Frau Abgeordnete Haidlmayr zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Abgeordnete.

13.27

Abgeordnete Theresia Haidlmayr (Grüne): Herr Präsident! Herr Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister! Sie haben gesagt, die Sicherung der Qualität im Gesundheitsbereich ist Ihre erste Priorität, und die soll erhalten bleiben und ausgebaut werden. Aber wenn ich mir die 53. ASVG-Novelle genau anschaue und Revue passieren lasse, was im letzten


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Strukturanpassungsgesetz und jetzt mit den sämtlichen Veränderungen und Kostenbeiträgen der Patienten und der kranken Menschen passiert ist, kann ich Ihren Leitsatz: Sicherung der Qualität im Gesundheitsbereich, nicht teilen. Mein Satz lautet – er wird auch von Ärztekammerpräsident Michael Kopitz bestätigt –: Es geht hier nicht um Qualität im Gesundheitsbereich, sondern es geht ausschließlich nur mehr darum, daß man den Markt in diesem Bereich zurückdrängen und die Macht noch stärker ausbauen will.

Man verdrängt die privaten Leistungsanbieter im Gesundheitsbereich und will alles über die Sozialversicherung und über die Länder geregelt haben.

Ich kann Ihnen das anhand einiger Beispiele erklären, auch Herr Kopitz schreibt dies in seinem Bericht. Ab 1. Juli müssen im Rahmen der Sozialversicherung die Patienten bei Kuraufenthalten einen Selbstbehalt bezahlen. Daraus ergibt sich notgedrungen, daß sich viele Menschen wahrscheinlich in Zukunft keine Kur mehr leisten können. Sie wissen, daß die Kuranstalten in Österreich großteils den Sozialversicherungsanstalten als Träger gehören, aber es gibt auch private Kurheime, die mit den Sozialversicherungsträgern Verträge geschlossen haben, in denen sich auch Kurpatienten befinden. Nach Ihrem neuen Modell, wonach die Zahl der Kuraufenthalte sicher zurückgehen wird, heißt das folgendes: Sie werden versuchen, die Leute in Ihren sozialversicherungseigenen Kuranstalten unterzubringen, und alle anderen privaten Kuranstalten werden über kurz oder lang nicht mehr existieren können. Hier werden Sie zum Beispiel den Markt ausschließen.

Sie werden in Zukunft auch den Markt der Hauskrankenpflege ausschließen. Dieser Bereich ist nirgends geregelt, und keiner weiß, wie die Finanzierung der Hauskrankenpflege in Zukunft ausschauen soll. Niemand ist dafür zuständig, es gibt kein Konzept, es gibt auch keine Verantwortlichen dafür, daß Hauskrankenpflege als Pflichtleistung dem Patienten angeboten werden muß und soll. Auf der anderen Seite ist es aber so, daß Menschen, die im Spitalsbereich untergebracht sind, klaglos finanziert werden, während ambulante Hauskrankenpflege seit kurzem in der Luft hängt.

Ihrem Leitbild, Sicherung der Qualität im Gesundheitsbereich, können Sie nicht Rechnung tragen, weil gerade im Bereich der Psychotherapie massive Einsparungen geplant sind. Das hat jetzt nichts mit der 53. ASVG-Novelle zu tun, aber es sind in diesem Bereich Kürzungen von 50 Millionen auf 36 Millionen Schilling vorgesehen. Das heißt, die Psychotherapie ist Ihnen in Zukunft wieder viel weniger wichtig als bisher, obwohl klar ist, daß der Vorfeldbereich Psychotherapie ein wichtiger Bereich war, um Langzeitschäden und lange Krankenhausaufenthalte auszuschließen.

Ich habe diesbezüglich vom Steiermärkischen Landesverband für Psychotherapie einen Brief bekommen, in dem ganz genau das steht, was in Zukunft eintreten wird.

Ich zitiere: Je weniger für die Behebung von psychischen, psychosomatischen und psychosozial bedingten Krankheitszuständen ausgegeben wird, desto höher werden die gesamten Gesundheitskosten steigen. Dieses Argument möchte ich mit einem Beispiel aus meiner Praxis untermauern.

Vor etwas mehr als einem Jahr begann eine Frau mit Psychotherapie. Sie hatte bereits vier Selbstmordversuche mit anschließenden wochenlangen Aufenthalten in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie hinter sich. Die Psychotherapie brachte einen sexuellen Mißbrauch ans Tageslicht, mit dem man sich intensiv auseinandersetzte. Die Klientin ist jetzt ohne stationären Aufenthalt und ohne Medikamente relativ stabil. Die Gesamtkosten der Psychotherapie beliefen sich auf etwa 30 000 S, im konkreten Fall kostet jeder Krankenhausaufenthalt der Klientin mehr als ein ganzes Jahr erfolgreicher Psychotherapie. Das ist Tatsache.

Die Psychotherapie hat erfahrungsgemäß wirklich große Vorsorgewirkung, sodaß langfristige Aufenthalte in stationären Einrichtungen nicht mehr notwendig sind. Das heißt, Psychotherapie sollte bereits im Vorfeld der Behandlung und Heilung von Krankheiten angeboten werden. Aber auch diese Möglichkeit wird in Zukunft gekürzt werden, und das heißt konkret, daß Sie damit wieder den Aufenthalt in stationären Einrichtungen verlängern werden.


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Herr Minister! Für Sie bedeutet die Sicherung der Qualität im Gesundheitsbereich gleichzeitig, daß die Sozialvereine ambulante Betreuung an behinderten, an kranken Menschen leisten. Diese können ihre Arbeit aber nur dann gut machen, wenn sie mittels Werkverträgen Personal beschäftigen. Auch das wird in Zukunft aber nicht mehr möglich sein, weil Sie eines vergessen haben, Herr Minister, nämlich daß all jene Vereine, die im Gesundheitsbereich tätig sind, ihre Kostenschätzungen und ihre Subventionsansuchen für die Finanzierung für das Jahr 1996 bereits im Frühjahr 1995 abgegeben haben und aufgrund dieser Subventionsansuchen die Gelder schon für das laufende Jahr erhalten haben.

Jetzt kommt die Regelung mit den Werkverträgen für die Mitarbeiter, was für diese Vereine ein immenses Mehr an Kosten bedeutet, als damals, 1995, geplant wurde. Das heißt, die Vereine haben jetzt zwei Möglichkeiten. Wollen sie diesem Anspruch Ihrer Werkvertragsregelung gerecht werden, müssen sie einen Großteil ihres derzeitigen Personals, das auf Basis eines Werkvertrages tätig ist, kündigen, weil sie sonst mit den Kosten nicht in Einklang kommen. Wollen sie aber ihre Qualität in diesem Bereich aufrechterhalten, dann können sie die neue Regelung der Werkverträge nicht finanzieren.

Herr Minister! Wie soll das bitte gehen? Ich frage Sie auch: Wie soll das 1997 funktionieren? Die Subventionsansuchen für 1997 mußten von den Vereinen, die ich zuerst genannt habe, bereits im Mai heurigen Jahres bei den zuständigen Magistraten abgeliefert werden. Das heißt, diese Vereine werden auch nächstes Jahr keine Mehrdotierung ihrer Budgets bekommen, sie können also auch nächstes Jahr die Mehrkosten, die sich aus der neuen Werkvertragsregelung ergeben, nicht lukrieren, und müssen daher auch nächstes Jahr und in den Folgejahren weiterhin Personal abbauen. Das heißt gleichzeitig, daß in Zukunft viel weniger Personen ambulant versorgt werden können, sie müssen stationär versorgt müssen, und das bedeutet, daß die Kosten im stationären Bereich massiv explodieren werden, obwohl der ambulante Bereich nicht nur humaner und menschlicher, sondern auch kostengünstiger ist. Bei diesem Bereich werden Sie in Zukunft weiterhin einsparen und die Menschen in stationäre Einrichtungen drängen.

Herr Minister! Ich möchte deshalb einen Entschließungsantrag zur Werkvertragsregelung einbringen, der wie folgt lautet:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Karl Öllinger, Freundinnen und Freunde betreffend Werkvertragsregelungen

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird aufgefordert, alle Änderungen, die im Rahmen des Strukturanpassungsgesetzes 1996 und des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1996 eine Einbeziehung freier Dienstverträge und dienstnehmerähnliche Werkverträge in die Sozialversicherungspflicht begründen, sowie die entsprechenden gesetzlichen Änderungen im Bereich des Steuerrechts vorläufig zurückzunehmen und bis spätestens Ende 1996 dem Parlament zur umgehenden Beratung und anschließenden Beschlußfassung einen neuen, umfassenden und praktikablen Änderungsentwurf vorzulegen.

*****

Herr Minister! Ich bitte Sie, diese Werkvertragsregelung nochmals zu überdenken. Sie ist unsozial, sie ist ungerecht, und sie hat in der derzeitigen Form absolut keine Berechtigung, in Kraft zu treten. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)


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13.38

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Der von Frau Abgeordneter Haidlmayr soeben vorgetragene Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt; ich beziehe ihn in die Verhandlungen mit ein.

Zu Wort gemeldet ist nunmehr Herr Abgeordneter Dr. Stummvoll. – Bitte, Herr Abgeordneter.

13.38

Abgeordneter Dkfm. Dr. Günter Stummvoll (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß der heutige Tag mit 16 "Wiener Stunden" und zwei dringlichen Anfragen neuerlich ein Beweis dafür ist, wie gut es war, gestern die Geschäftsordnungsreform zu beschließen, meine Damen und Herren! (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Ich freue mich darauf, daß wir in der Herbstsession derartige Tage nicht mehr haben werden. Das ist meines Erachtens wirklich ein Mißbrauch des Parlaments, den wir heute wieder erleben (Beifall bei der ÖVP und bei Abg. Mag. Guggenberger ) , denn 16 Stunden plus zwei Dringliche würde bedeuten, daß wir morgen um 6 Uhr früh auch noch hier sind, und das kann es nicht sein, das kann nicht Parlamentarismus sein, meine Damen und Herren! (Abg. Dr. Graf: Wer hat 16 Stunden festgelegt?)

Aber zurück zur heutigen Diskussion. Fünf Punkte in aller Kürze.

Erster Punkt: Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist unbestritten, daß das, was wir als sogenanntes Krankenkassenpaket heute beschließen, in der Tat – das war ja den Medien der letzten Wochen zu entnehmen – ein gewaltiger politischer Kraftakt war. Ich glaube, es war für alle Beteiligten nicht angenehm, dieses Paket zu schnüren, im Ergebnis muß ich aber sagen, daß es meines Erachtens eine möglichst ausgewogene Balance zwischen ausgabenseitigen Einsparungen und einnahmenseitigen Maßnahmen ist. Politik ist halt immer die Kunst des Möglichen, aber ich glaube, es wurde zumindest versucht, diese Balance zu finden.

Meine Damen und Herren! Dieses Paket stellt die Finanzierung der Krankenkassen für die nächsten Jahre sicher. Ich gebe aber eines ganz offen zu: Ich wage nicht zu prognostizieren, wie viele Jahre das sein werden. Denn wir müssen so ehrlich sein, zu sagen, solange wir in der Gesundheitspolitik nicht strukturelle Reformen zusammenbringen, so lange werden die Krankenkassen immer hinterherlaufen und versuchen, durch neue Einnahmen die Ausgaben zu finanzieren.

Die Hauptherausforderung liegt bei der Gesundheitspolitik, das kann die Sozialversicherung allein nicht lösen. Wir brauchen strukturelle Reformen, weil sonst die Kostenexpansion im Gesundheitsbereich ungehemmt weitergehen wird. Es soll nicht den Gesundheitspolitikern der Ball zugespielt werden, aber wir sollten so ehrlich sein, zu sagen, das Paket stellt für einige Zeit die Finanzierung sicher, ist aber nicht die Strukturreform des Gesundheitswesens.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zweiter Punkt: Ich glaube, wir sollten auch so ehrlich sein – ich glaube, das heutige Paket ist ein Schritt in diese Richtung –, daß die Übertragung von kleinen finanziellen Risken an den einzelnen, von Risken in Höhe der Rezeptgebühr, Risken in Höhe der Krankenscheingebühr, mit Sozialabbau überhaupt nichts zu tun hat. Ganz im Gegenteil: Das sind Maßnahmen zur Finanzierung einer Leistungsexplosion, die wir heute erleben. Jeder von uns will, wenn er es braucht, eine künstliche Hüfte haben, ein künstliche Niere haben, ein künstliches Kniegelenk haben. Das ist eine Leistungs-, aber gleichzeitig auch eine Kostenexplosion! Für einen Tag in der Intensivstation im AKH betragen die Kosten 25 000 S, meine Damen und Herren! Für einen Tag!

Daher müssen wir die Kleinrisken dem einzelnen in die Eigenverantwortung übertragen, wenn wir vermeiden wollen, daß wir entweder eine Zweiklassenmedizin bekommen oder das Ganze auf Dauer nicht mehr finanzierbar wird.

Dritter Punkt: Es gibt in diesem Paket einen ganz großen Wermutstropfen für die Wirtschaft, das ist die Einhebung der Krankenscheingebühr.

Meine Damen und Herren! Ich sage Ihnen ganz offen, es war – Politik als Kunst des Möglichen – dies nicht zu verhindern. Für mich ist das aber ein Startzeichen, mich mit aller Kraft – das kündige ich hier an: mit aller Kraft – dafür einzusetzen, daß dieses steinzeitliche System der Zettelwirtschaft namens Krankenscheinsystem möglichst rasch überhaupt abgeschafft wird. Es


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geht nicht an, daß unsere Betriebe jedes Jahr 10 Millionen Krankenscheine ausstellen – 10 Millionen Krankenscheine! Das ist steinzeitlich!

Meine Damen und Herren! Wir fordern hier ganz massiv – ich verspreche Ihnen, ich werde nicht ruhen, bis das nicht eingeführt wird – die Chip-Karte. Ich wehre mich gegen überhöhte Zahlen des Hauptverbandes. Von 2 Milliarden Schilling Kosten kann keine Rede sein. Ich habe erst gestern Kontakt gehabt mit jener Firma, die bei den deutschen Krankenkassen die Chip-Karte eingeführt hat. Wir werden im Herbst Konzepte vorlegen, und Sie werden sehen, es wird an der Chip-Karte kein Weg vorbeiführen, meine Damen und Herren!

Denn eines ist nicht tolerierbar: Jeder von uns erwartet von den Betrieben ständig, die Betriebe sollen Arbeit schaffen und Arbeitsplätze sichern, und daneben haben wir Spezialeinrichtungen für die Durchführung der Krankenversicherung, sie heißen Krankenkassen. Und diese Krankenkassen erklären: Für uns ist das viel zu viel Verwaltungsarbeit, das sollen die Betriebe machen! – Meine Damen und Herren! Wo kommen denn wir da hin? Sollen die Betriebe jetzt Arbeit schaffen oder unbezahlte Staatsbuchhalter sein? – Vor dieser Entscheidung stehen wir, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP.)

Noch ein vierter Punkt im Rahmen meiner selbst auferlegten Redezeitbeschränkung: Arbeitszeit und Arbeitszeitflexibilisierung.

Zwei Unterpunkte: Kollegen Peter möchte ich sagen, daß man in einer Demokratie immer Mehrheiten braucht, daß mir auch vieles nicht gefällt, vieles noch viel zuwenig flexibel ist, sowohl im Arbeitszeitgesetz als auch im Bäckereiarbeiter/innengesetz. Aber Politik heißt eben, man kann nicht nach dem Rosinenprinzip vorgehen. Man kann nicht nur das beschließen, was einem gefällt, sondern man muß auch das beschließen, was der Partner einer Regierungspartnerschaft als für ihn unabdingbar hält, meine Damen und Herren! Das ist die Kunst des Möglichen und nicht das Rosinenprinzip, wie das von der Opposition natürlich gerne gefordert wird. Wenn ich in der Loge sitze und zuschaue, dann sage ich auch: Das müßte man noch tun, das müßte man noch machen, und das müßte man auch noch anders tun. – Das ist eben der Unterschied zwischen Regierung und Opposition!

Herr Sozialminister! Ein letzter Punkt: Wir beschließen heute auch eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes. Es geht um einen Wunsch der Bauwirtschaft, die nach 12jährigen Verhandlungen ein flexibles Arbeitszeitmodell zustande gebracht hat. Wir novellieren auch das Arbeitszeitgesetz. Ich sehe das als eine Präzisierung dessen, was heute schon im Gesetz steht – Durchrechnungszeitraum bis zu einem Jahr.

Herr Sozialminister! Ich gehe davon aus und wäre Ihnen dankbar für eine klare Stellungnahme Ihrerseits, daß diese Präzisierung für die Bauwirtschaft nicht bedeutet, daß das, was bisher in anderen Branchen rechtens war, nunmehr nicht mehr rechtens ist. Dieser Umkehrschluß, ist nicht zu ziehen. Es geht um eine Präzisierung, und Recht darf nicht gebogen werden. Ich gehe davon aus, Herr Minister, daß Sie sich dazu zu Wort melden. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

13.45

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Madl. – Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort.

13.45

Abgeordnete Elfriede Madl (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Dieser Sozialausschuß war meiner Meinung nach die Fortsetzung jener Vorgangsweise der Regierungsparteien, die wir bei den Verhandlungen zum Strukturanpassungsgesetz erlebt haben, und zwar jene Vorgangsweise, daß es in einem großen Ausmaß Unterlagen gegeben hat, die uns zu spät zur Verfügung gestanden sind, daß in letzter Minute umfangreiche Abänderungsanträge und Abänderungsanträge zu den Abänderungsanträgen eingebracht wurden. Dann waren die Regierungsvorlagen ohnehin ein Reparaturpaket des hastig zusammengezimmerten Strukturanpassungsgesetzes. Und eine Reparatur reparieren zu müssen, zeigt eigentlich – unter Anführungszeichen – die "Qualität" der Regierungsvorlagen. (Beifall bei den


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Freiheitlichen.) Das zeigt, daß die Qualität der Regierungsvorlagen wirklich sehr zu wünschen übrig läßt!

Ein Paradebeispiel dafür ist die Änderung des Bäckereiarbeiter/innengesetzes, wie es so schön heißt. Mit diesem Gesetz wird das Nachtarbeitsverbot für gelernte Bäckerinnen aufgehoben. Abgesehen davon, Herr Minister, daß dieses Gesetz jetzt schon als Provisorium gesehen werden muß, weil ohnehin geplant ist, daß angeblich im Herbst eine Gesamtreform des Arbeitszeitrechts vorgenommen werden wird, ist dies meiner Meinung nach ein klassischer Fall von einer Ungleichbehandlung.

Das ist eine Ungleichbehandlung, bei der Arbeitnehmerinnen zweier Klassen geschaffen werden, und zwar einerseits die Klasse der gelernten Bäckerinnen, für die das Nachtarbeitsverbot aufgehoben wurde. Einerseits gibt es sehr wenig Bäckerinnen, weil es zum Erlernen dieses Berufes unbedingt notwendig wäre, auch um 3 Uhr oder 4 Uhr frühmorgens den Bäckereibetrieb kennenzulernen. Also gelernte Bäckerinnen sind eher in der Minderheit.

Andererseits haben Sie Arbeitnehmerinnen geschaffen, die im Bereich des Expedits von Backwarenbetrieben tätig sind. Das sind genau jene Frauen, die einen Druck ausgeübt haben, damit das Nachtarbeitsverbot für Beschäftigte in diesen Bäckereibetrieben ausgenommen wird. Aber genau für jene Frauen, Herr Minister, ist dieses Gesetz nämlich nicht anzuwenden. Es ist die Nachtarbeit für Bäckerinnen zwar ermöglicht worden, aber für ungelernte Arbeiterinnen in diesem Bereich bleibt die Möglichkeit der Nachtarbeit abhängig vom Kollektivvertrag, von Betriebsvereinbarungen oder Einzelvereinbarungen, von der betrieblichen oder persönlichen Notwendigkeit sowie der Möglichkeit des sicheren Erreichens des Betriebes oder der Zumutbarkeit des Weges zum Betrieb.

Ich finde, bei den Bäckerinnen ist es egal, ob sie in der Nähe des Betriebes wohnen, ob sie weiter weg wohnen oder ob sie den Betrieb in der Nacht sicher erreichen können. Da stellt sich die Frage nicht. Bei den Ungelernten müssen wieder Betriebsvereinbarungen getroffen werden, mit denen dieses Nachtarbeitsverbot aufgehoben werden kann. Für uns wäre es besser gewesen, Herr Minister, hätte es einen generellen Entfall des Nachtarbeitverbots für Arbeitnehmerinnen gegeben und nicht nur für eine bestimmte Clique – ich sage das einmal so, denn so kann man das bezeichnen.

Herr Minister! Sie wissen, wir fordern schon seit Jahren eine geschlechtsneutrale Regelung der Nachtarbeit. Sie wissen auch, daß bis zum Jahre 2001 seitens der EU eine Verpflichtung besteht, diese Regelung zu vollziehen. Voriges Jahr noch – ich kann mich noch ganz genau an diesen Sozialausschuß erinnern – waren Sie unseren Intentionen bezüglich des Aufhebens des Nachtarbeitsverbots für Frauen beziehungsweise einer geschlechtsneutralen Regelung der Nachtarbeit eher sehr negativ eingestellt.

Jetzt haben Sie sich dem Druck einer Berufsgruppe beugen müssen, aber leider nur in beschränktem Maße und unzureichend für alle in diesem Berufszweig tätigen Frauen.

Uns ist diese Änderung zu wenig weitreichend. Es wäre wirklich besser gewesen, wie ich schon erwähnt habe, das Nachtarbeitsverbot für alle Arbeitnehmerinnen in diesem Berufszweig aufzuheben.

Noch ein Wort zu den Werkverträgen. Ich habe schon bei der Debatte zum Strukturanpassungsgesetz und damals, als diese Werkvertragsregelung beschlossen wurde, davor gewarnt, daß es zirka 200 000 bis 300 000 Frauen gibt, die es speziell treffen wird, wenn die Sozialversicherungspflicht bei Werkverträgen eingeführt wird. Ich spreche noch einmal ganz konkret jene Frauen an, die im sogenannten Party-Vertrieb beschäftigt sind. Mich haben damals Zuschriften von verschiedenen großen Firmen erreicht, die einen Umsatz von 4 bis 5 Milliarden Schilling jährlich in Österreich machen und die gesagt haben: Sollte diese Werkvertragsregelung mit dieser niedrigen Geringfügigkeitsgrenze eintreten, so werden sie ihren Vertrieb umstellen, nämlich dahin gehend, daß sie in das benachbarte Ausland gehen und diese Bestellungen per Katalog durchführen werden. – Das würde also für 200 000 bis 300 000 Arbeiterinnen in diesem


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Bereich, sowohl in der Verwaltung als auch im Vertrieb und auch in der Erzeugung, Arbeitsplatzverluste bedeuten.

Sie haben jetzt aufgrund dieser chaotischen Werkvertragsregelung eine leichte Änderung herbeigeführt, haben aber ganz vergessen, die Geringfügigkeitsgrenze hinaufzuheben. Jene Arbeiterinnen und jene Frauen, die ein kleines Zubrot für ihre Familie dringend brauchen, werden jetzt auf der Straßen stehen. Auch jene Frauen, Herr Minister, die keine andere Möglichkeiten haben, weil sie aufgrund der Infrastruktur keinen anderen Arbeitsplatz finden, werden diese Arbeit verlieren, denn die Firmen, die mich damals angeschrieben haben, haben die Konsequenzen teilweise schon gezogen und werden sie teilweise noch in Zukunft ziehen.

Wenn Sie dann eine Änderung mit den Werkverträgen herbeiführen, wie heute gesagt wurde – wir probieren es einmal aus –, dann, Herr Minister, wird es zu spät sein, und die Frauen sind wieder die Benachteiligten! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

13.53

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Sophie Bauer. – Bitte, Sie haben das Wort.

13.53

Abgeordnete Sophie Bauer (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Es besteht schon seit langem die Forderung, daß auch die Frauen den Bäckerberuf ausüben dürfen. Für mich ist dabei selbstverständlich, daß für die Berufsausübung auch die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Das neue Gesetz regelt vor allem, daß Probleme des Transportes der Arbeitnehmerin zum Betrieb und wieder zurück beseitigt sind. Das sichere Erreichen des Betriebes muß aber auch in einem zumutbaren Zeitraum möglich sein, oder der Arbeitgeber hat für eine entsprechende Transportmöglichkeit zu sorgen. Bei Nichteinhaltung der nötigen Voraussetzung kann auch der Arbeitgeber bestraft werden, und zwar mit Geldstrafen bis zu 15 000 S.

Die Lösung des Transportproblems ist ein sehr wesentlicher Punkt. Ich möchte hiebei betonen, daß es sicher sehr große Unterschiede gibt, ob jemand am Land oder in der Stadt wohnt, da die Transportmöglichkeiten in ländlichen Gebieten wesentlich eingeschränkter sind als in der Stadt, dies vor allem in der Früh beziehungsweise zur nächtlichen Zeit. Wir wissen aber auch, daß die Beleuchtung oft unzureichend ist und sich viele Frauen dadurch gefährdet fühlen. Auch die Möglichkeit, mit dem Auto in den Betrieb zu kommen, ist zum Beispiel für Lehrlinge oft nicht gegeben, da sie noch keinen Führerschein haben oder sich auch gar kein Auto leisten können.

Wenn wir heute das Bäckereiarbeiter/innengesetz beschließen, so muß gesagt werden, daß damit die nötigen Voraussetzungen für die Ausübung des Bäckerberufes sowohl für Männer als auch für Frauen geschaffen werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da auch gerade wieder von der Abgeordneten Madl die Arbeitszeit, das Nachtarbeitsverbot und überhaupt die Flexibilisierung angesprochen wurde, möchte ich schon sagen, daß die Flexibilität auch in Industrie- und Wirtschaftszweigen gefragt ist, und zwar vor allem von jenen, die, so wie die Abgeordnete Madl, diese Arbeit nie werden erbringen müssen. (Abg. Madl: Was? Da haben Sie eine Ahnung?) Das kann ich mir nicht vorstellen, daß Sie in einem Betrieb eine ganze Woche einmal diese Leistung erbringen müssen. (Abg. Madl: Ja, Sie können sich vieles nicht vorstellen!) Ich gehe gern mit Ihnen in den Betrieb. Ich gehe gerne mit Ihnen in den Betrieb raus! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Haigermoser: Zeigen Sie uns Ihre schwieligen Arbeiterhände!) Die können Sie sich anschauen.

Ich habe 20 Jahre lang Akkordarbeit geleistet. Sie können auch nicht mitreden, was es heißt, acht Stunden in Akkord zu arbeiten. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Rosenstingl. ) Nein, das können Sie nicht! Ich nehme Sie gerne in den Betrieb mit, und dann werden Sie sich anschauen können, was die Leute im Akkord und in Schwerarbeit um 8 000 S netto leisten müssen. (Abg. Ing. Tychtl: Bitte nicht mitnehmen!)


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Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Arbeitnehmervertreterin trete ich auch dafür ein, daß die flexiblen Arbeitszeiten, wo sie notwendig sind, so gestaltet werden, daß der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewährleistet ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Betreffend die Diskussion über die Aufhebung des Nachtarbeitsverbots für Frauen möchte ich sagen, ich setze mich auch für eine gleiche Regelung für beide Geschlechter ein, doch es müssen dafür erst die erforderlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, und dazu wird in erster Linie auch die Wirtschaft ihr Scherflein beitragen müssen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

13.57

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Zu Wort ist nunmehr Frau Abgeordnete Klara Motter gemeldet. – Bitte. (Abg. Haigermoser: Eine angenehme Rede wird das jetzt werden gegenüber der vorigen! – Abg. Motter: Danke, Herr Kollege!)

13.58

Abgeordnete Klara Motter (Liberales Forum): Herr Präsident! Herr Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hätte mich gerne mit meinem Kollegen aus Vorarlberg auseinandergesetzt, denn ich habe heute vernommen, daß er, was die Vorarlberger Gebietskrankenkasse betrifft, zum Controlling steht. Ich hoffe, er weiß, daß er wieder einmal im Widerspruch mit seinem Landesstatthalter Dr. Sausgruber, mit dem Präsidenten der Kammer für Arbeiter und Angestellte, mit der Wirtschaftskammer Vorarlberg sowie mit dem Vorsitzenden der Landesexekutive des ÖGB steht.

Ich frage mich schon, was diese Dokumentation seiner Haltung soll, wenn man weiß, daß die Vorarlberger Gebietskrankenkasse als einzige Krankenkasse noch in den schwarzen Zahlen steht und durch dieses Controlling, das er heute mitbeschließt, in seiner Selbständigkeit ausgehöhlt wird. Was soll ein Controlling durch den Hauptverband, wenn man diese Kontrolle als Entscheidungs- und Führungshilfe durch ergebnisorientierte Planung, Überwachung und Steuerung in all seinen Bereichen und Ebenen definiert? – All diese Aufgaben, meine Damen und Herren, fallen bisher schon eindeutig in das ureigenste Tätigkeitsfeld der Vorarlberger Gebietskrankenkasse.

Noch einmal eine Frage an Herrn Kollege Feurstein: Wo bleibt sein gesundes Empfinden, und wo bleibt sein vielgepriesener Föderalismus? – Ich kann mit gutem Gewissen heute dem Entschließungsantrag der Grünen, die sich mit diesem Inhalt beschäftigen, meine Zustimmung geben. (Beifall beim Liberalen Forum. – Abg. Dr. Feurstein betritt den Sitzungssaal.)

Ich hoffe, Sie haben mich noch gehört, Herr Kollege Feurstein. Wie Sie sich in Vorarlberg rechtfertigen werden, darauf bin ich gespannt! – Aber Sie stehen ja auf der sogenannten schwarzen Liste, das ist ja bekannt, und ich glaube, es spielt keine Rolle mehr für Sie.

Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Beschlußfassung der 53. ASVG-Novelle werden weitere Belastungen für unsere Bevölkerung von den Regierungsparteien beschlossen. Herr Dr. Stummvoll! Sie nennen das "Kunst des Möglichen". – Wir als Opposition sehen das natürlich anders: Durch die Erhöhung der Rezeptgebühr um 7 S, mit der Einführung einer Krankenscheingebühr von 50 S und mit der Erhöhung des Beitragssatzes für Pensionisten kommen Belastungen auf die Bevölkerung zu, die unser desolates Gesundheitssystem auch nicht im Ansatz zu einer Reform führen, denn die Krankenscheingebühr löst keines der schwerwiegenden strukturellen Probleme im österreichischen Gesundheitswesen, sie stopft nur kurzfristig Finanzlöcher, und ich behaupte heute schon, daß – wenn unser Gesundheitswesen nicht von Grund auf saniert wird – die nächste Belastung bereits vorprogrammiert ist! (Beifall beim Liberalen Forum.) Hierin sind wir, Herr Kollege Dr. Stummvoll, wie ich glaube, einer Meinung.

Meine Damen und Herren! Herr Minister! Auch mit der Kritik, daß die Krankenscheingebühr die schlechteste Form einer Selbstbeteiligung an den Behandlungskosten ist, stehe ich nicht allein. Diese Gebühr schafft nämlich keine Kostentransparenz und trägt somit auch nicht zur Stärkung des Kostenbewußtseins bei. Weiters wird die Krankenscheingebühr den Zugang zur Versorgung durch die niedergelassenen Kassenärzte erschweren und so die längst notwendige Entlastung unserer Spitäler verhindern.


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Weiters wird die Einhebung der Gebühr einen enormen Aufwand verursachen. Zudem steht bis heute nicht fest, wer die Rolle des Geldeintreibers übernehmen wird, denn Ärzte wie Dienstgeber weigern sich bis heute, diese Rolle zu übernehmen. Herr Minister! Ich wünsche Ihnen viel Glück bei den Verhandlungen mit dem Hauptverband – den Betroffenen natürlich auch.

Meine Damen und Herren! Zur Erhöhung des Krankenversicherungsbeitragssatzes für Pensionisten um 0,25 Prozent muß festgehalten werden, daß die Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge für die betroffenen Pensionisten jedenfalls teurer kommt als die Krankenscheingebühr. Wenn man dem Österreichischen Gewerkschaftsbund Glauben schenken kann, so kostet bei einer durchschnittlichen Alterspension von 11 000 S die Anhebung des Beitrages zur Krankenversicherung um 0,25 Prozent diese Pensionsbezieher monatlich 27,5 S. Da die Krankenversicherungsbeiträge monatlich anfallen, bedeutet diese Maßnahme durchschnittliche Quartalskosten von über 90 S.

Aber auch Ausgleichszulagenbezieher – also Personen, die in den absolut unteren Einkommenskategorien zu finden sind –, die übrigens von der Rezeptgebühr und damit auch von der Krankenscheingebühr befreit sind, werden mit rund 70 S pro Quartal zur Kasse gebeten.

Meine Damen und Herren! Dabei von "sozial ausgewogen" zu sprechen, klingt wie Hohn – ganz zu schweigen davon, daß Wahlversprechen wieder einmal in den Wind gesprochen wurden. Ebenso haben auch Grundsätze in der Regierungserklärung, wie zum Beispiel der, keine Eingriffe in bestehende Pensionen vorzunehmen, keine Gültigkeit. Somit erhebt sich erneut die Frage: Wie lange läßt sich das der betroffene Wähler noch gefallen?

Auch mit der Erhöhung der Rezeptgebühr von 35 S auf 42 S werden neuerlich Pensionisten und kranke Menschen zur Kasse gebeten, ohne daß andererseits auch nur die geringste Reform beim sogenannten Medikamentenmißbrauch sichtbar wird. (Beifall beim Liberalen Forum.) Herr Minister! Ich goutiere Ihre Gespräche mit der Ärztekammer und mit der Apothekerkammer, aber von Erfolgen kann man in diesem Bereich wohl noch nicht sprechen.

Weiters, meine Damen und Herren der Regierungsparteien, ist die Einschränkung der freien Arztwahl für uns Liberale eine Machenschaft, der wir nie unsere Zustimmung geben können. Es ist nicht einzusehen, warum der Kostenersatz bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes auf 80 Prozent reduziert werden soll. Gerade bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes besteht volle Transparenz der anfallenden Leistungen und Kosten.

Da der Patient dieses Honorar zuerst selbst auslegen muß, kann er die Leistungen überprüfen und somit als Patient und mündiger Staatsbürger durchaus ein kostenregulierender Beteiligter sein. Es ist daher nicht einzusehen, warum der Staatsbürger für diese seine Tätigkeit auch noch mit 20 Prozent Selbstbehalt bestraft werden soll.

Weiters wird dadurch auch dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung widersprochen, denn die geplante Änderung des § 131 ASVG widerspricht den Bestimmungen des § 135 Abs. 2 des ASVG, wonach der Patient das Recht auf die freie Arztwahl hat. Und solange wir im Bereich der Krankenversicherung eine Pflichtversicherung haben, ist diese Maßnahme entschieden abzulehnen! (Beifall beim Liberalen Forum. – Zwischenruf des Abg. Parnigoni .)

Diese Maßnahme trifft außerdem vor allem junge Ärzte, da diese oft die Wartezeit bis zum Erhalt eines Kassenvertrages als Wahlarzt überbrücken müssen.

Ebenso wird durch die heutige Beschlußfassung sicher keine Entlastung der Spitalsambulanzen feststellbar sein, im Gegenteil: Die Spitalsambulanz wird in Zukunft noch stärker in Anspruch genommen werden. – Meine Damen und Herren! Soll dies der Weisheit letzter Schluß sein?

Abschließend, meine Damen und Herren, möchte ich festhalten, daß durch die heutige Beschlußfassung der 53. ASVG-Novelle im Bereich der Absicherung der Krankenversicherung der falsche Weg eingeschlagen wird. Für uns ist dieser Weg eine Pseudosanierung ohne Gestaltungswillen! Die Politik der Regierung und auch der Koalitionsabgeordneten zeigt wieder einmal deutlich, daß diese Politik von einer wirklichen Strukturreform im Gesundheitsbereich noch


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weit entfernt ist. Denn Beitragserhöhungen, aber auch Selbstbehalte wie die Krankenscheingebühr sind kein Ausweg aus dem Krankenkassendefizit, sondern allenfalls eine unüberlegte Feuerwehraktion zur schnellen Geldbeschaffung – und dies lehnen wir Liberalen ab! (Beifall beim Liberalen Forum.)

Zum Schluß möchte ich noch einen Entschließungsantrag einbringen, der sich mit der Situation unserer KünstlerInnen beschäftigt. Da bei der Budgeterstellung der Kulturinitiativen sowie bei der Antragstellung von Künstlern an die Förderungsgeber 1995/1996 eine ASVG-Novelle noch nicht absehbar war und die Mehrbelastung daher jetzt voll von den Künstlern und Künstlerinnen und den Kulturinitiativen getragen werden muß, dies aber bei ihrem knappen Budget kaum möglich ist, stelle ich folgenden

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Volker Kier und PartnerInnen betreffend das Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (53. Novelle zum ASVG) geändert wird

Der Nationalrat wolle beschließen:

"KünstlerInnen, die im Auftrage eines aufgrund der Bestimmungen des Kunstförderungsgesetzes geförderten Veranstalters für diesen künstlerische Leistungen im Rahmen eines sozialversicherungspflichtigen dienstnehmerähnlichen Beschäftigungsverhältnisses erbringen, werden bis zum 1. 1. 1998 von der Änderung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, Artikel 214 Z 2, ausgenommen."

*****

Danke schön. (Beifall beim Liberalen Forum.)

14.08

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Der von Frau Abgeordneter Motter soeben verlesene Entschließungsantrag ist geschäftsordnungsgemäß unterstützt und wird in die Verhandlung miteinbezogen.

Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Steibl. – Bitte, Frau Abgeordnete.

14.08

Abgeordnete Ridi Steibl (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zu meinem eigentlichen Thema, dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz als Teil der wichtigen heutigen Sozialdebatte komme, möchte ich sehr verwundert etwas anderes feststellen: Wir haben uns fast einen ganzen Tag lang – einen Arbeitstag, wenn ich die Arbeitszeit an einem normalen Arbeitstag rechne – mit dieser wichtigen Sozialdebatte beschäftigt, bei der es um sehr, sehr viele Dinge für unser Land, für unsere Bevölkerung geht. Und was passiert? – Die F-ler sind nicht anwesend, allen voran der Ober-F-ler! Der Herr Abgeordnete Haider ist nicht hier! (Beifall bei ÖVP und SPÖ. – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Er wird wahrscheinlich wieder eine Sondersitzung zu diesem Thema planen und wahrscheinlich seine heutige Pressekonferenz – während der Arbeitszeit der Abgeordneten hier im Haus – um 19 Uhr im Schweizerhaus bei Stelzen und Maßbier vorbereiten! (Abg. Ing. Tychtl: Unerhört! Keine Moral!) Aber vielleicht hat er sich in der Zeit geirrt, vielleicht meint er morgen 6 Uhr früh, wenn wir dann fertig sind mit der Debatte. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dr. Stippel: Eine Stechuhr für den Haider!) Bei ihm würde wahrscheinlich dann das eintreffen, was er uns immer unterstellt: daß wir eine Stechuhr benützen, aber nicht arbeiten.

Nun zum eigentlichen Thema: Ich glaube, daß die nunmehrige Einführung beziehungsweise die gesetzliche Regelung dieses Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetzes ein Meilenstein in bezug auf die Flexibilisierung der Arbeitszeit ist.


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Soweit ich informiert bin – ich bin erst seit kurzen im Parlament –, wurde elf Jahre lang daran gebastelt oder gearbeitet. Ich glaube, daß dieses Modell ein ganz wichtiger Schritt zur Verbesserung der Jahresarbeitszeitbeschäftigung ist, und zwar aufgrund bestimmter Eckpunkte, Bandbreitenregelung, Einarbeitung in Verbindung mit Feiertagen und der neuen Form der Urlaubskonsumation. Ich bin der Meinung, daß dabei auch die Sozialpartner – alle gemeinsam – ihre Kompetenz bewiesen haben – wenn es auch ein wenig gedauert hat. Und ich möchte noch anregen, daß weitere Schritte in diese Richtung folgen müssen. (Beifall bei der ÖVP.)

Herr Bundesminister! Im Tourismusbereich, aber auch im Bereich von Teilzeitarbeitsplätzen müssen Maßnahmen gesetzt werden. Damit meine ich die abgesicherten, qualifizierten Teilzeitarbeitsplätze, wie überhaupt den gesamten Bereich der Flexibilisierung. Wenn zum Beispiel der "Standard" am 28. April schreibt: Flexible Arbeit noch vor dem Sommer!, so kann wahrscheinlich nur jene Arbeit gemeint sein, die jetzt schon flexibel gehandhabt wird. 60 Prozent der unselbständig Beschäftigten in Österreich arbeiten ja jetzt zum Teil schon flexibel, aber unter schwierigen Umständen, mit vielen verschiedenen Regelungen und Bestimmungen, die nicht immer nur zugunsten, sondern manchmal auch zu Lasten der Arbeitnehmer gehen.

Ich meine, daß wir in Zukunft verstärkt auch eine mittel- und langfristige Beschäftigungspolitik brauchen. Herr Bundesminister! Ich frage Sie: Was gedenken Sie zum Beispiel in bezug auf die Telekommunikation, in bezug auf die unternehmensbezogenen Dienstleistungsbereiche zu tun? – Ich denke dabei zum Beispiel an die Diskussion über die Schaffung neuer Frauenarbeitsplätze im Haushaltsbereich. Ich könnte mir vorstellen, daß es neben der steuerlichen Absetzbarkeit auch die Möglichkeit gäbe, zum Beispiel über das Arbeitsmarktservice Einrichtungen zu schaffen, welche Frauen nicht unter der Geringfügigkeitsgrenze an Haushalte vermitteln, sodaß sie ihr Gehalt zur Gänze bekommen und auch voll abgesichert sind.

All das sind Bereiche, von denen ich glaube, daß es sehr wichtig wäre, daß da etwas weitergeht. Es wäre besser, in der Zeitung zu lesen: Flexible Arbeitszeit zugunsten aller! als über Rückschläge in den Gesprächen über flexible Arbeitszeiten. Die einen wollen nämlich eine Arbeitszeitverkürzung, und die anderen als ersten Schritt einmal eine Flexibilisierung, das heißt nicht eine Ausdehnung der täglichen Normalarbeitszeit, sondern ein Zulassen einer neuen Einteilung, je nachdem, ob man drei Tage oder vier Tage oder sechs Tage pro Woche arbeiten will.

In diesem Sinne glaube ich, daß wir die Diskussion über dieses gesamte Paket mit einer verstärkten Anwesenheit im Plenarsaal weiterführen sollten – das ist aber eher in diese Richtung (in Richtung der Freiheitlichen weisend) gemeint. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der SPÖ.)

14.14

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister Hums. – Bitte, Herr Minister.

14.14

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es wurde jetzt in mehreren Wortmeldungen das Thema "Neue Gestaltungsmöglichkeiten im Arbeitszeitbereich" angesprochen. Wir haben in dieser Novelle zwei Bereiche erfaßt:

Ein Bereich ist die Baubranche. Nach sehr langen und umfangreichen Verhandlungen kam es zu einem gemeinsamen Ergebnis. – Herr Abgeordneter Dr. Stummvoll hat erklärt, daß nach zwölf Jahren ein Ergebnis erzielt wurde; so lange war ich nicht beteiligt. Meine Dienstzeit dauert bis jetzt ein Jahr und drei Monate, aber davon habe auch ich etliche Stunden mit diesen Verhandlungen verbracht. Es ist daher erfreulich, daß wir eine gemeinsame Regelung finden konnten, die einen vernünftigen Interessenausgleich zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern sicherstellt, und die Novelle, die wir heute beschließen, sichert auch gesetzlich die Durchführbarkeit dieser Maßnahme.

Hiezu hat es eine konkrete Frage, von Herrn Abgeordneten Dr. Stummvoll gegeben, nämlich, was das für andere Branchen bedeutet. – Es bedeutet für andere Branchen schlichtweg, daß wir


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eine Regelung für die Baubranche haben und daß jene Regelungen, die es in anderen Branchen derzeit gibt, natürlich auch in Zukunft gesetzlich gedeckt bleiben – soferne sie heute gesetzlich gedeckt sind. In einem treffen wir uns voll: Recht darf nicht gebogen werden. Das ist keine Frage!

Es gibt daher in diesem Bereich sicher auch die Notwendigkeit, daß wir weitere Maßnahmen setzen. Da bewegen sich die Sozialpartnerverhandlungen in einem sicherlich sehr schwierigen Bereich. Es sollen – von beiden Seiten, von Arbeitnehmern und Unternehmern gewünscht – neue Maßnahmen, neue Möglichkeiten geschaffen werden. Ich hoffe, daß wir noch in den nächsten Tagen auf Sozialpartnerebene eine Einigung darüber finden können.

Ich habe aber immer erklärt, und dazu stehe ich auch jetzt: Sollte diese Einigung vor dem Sommer noch nicht perfekt sein – jetzt ist zwar schon Sommer; auch wenn Jahreszeit und Wetter nicht übereinstimmen –, dann möchte ich von meinem Ministerium aus trotzdem einen Vorschlag als Entwurf in Begutachtung schicken. Dieser Entwurf soll als Grundlage dafür dienen, daß die Einigung bis zum Herbst erfolgen kann, sodaß wir im Herbst hier im Haus eine Neuregelung beschließen können.

Diese Neuregelung soll aber so gefaßt sein, daß es mehr Gestaltungsmöglichkeiten, insbesondere für branchengerechte zusätzliche Regelungen, für die das Gesetz aufmacht, gibt. Diese branchengerechten Regelungen sollen dann von den Kollektivvertragspartnern gefunden werden.

Es kann sich dabei aber nur um Gestaltungsmöglichkeiten handeln, die im Interesse beider Partner sind. Es kann sicher nicht so sein, daß etwa unter dem Titel "Flexibilisierung der Arbeitszeit" schlichtweg danach getrachtet wird, den Arbeitnehmern zum Beispiel Überstundenzuschläge zu streichen. Das kann es nicht sein. Bessere Gestaltungsmöglichkeiten: ja, aber keinesfalls zu Lasten eines der beteiligten Partner! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Tichy-Schreder .)

Ähnliches gilt auch für den Bereich der Nachtarbeit. Auch hierüber gibt es Gespräche zwischen den Sozialpartnern, die schon sehr weit gediehen sind und die EU-konform auch eine Neuregelung der Nachtarbeit für Frauen in der Form vorsehen, daß eine weitgehende Öffnung der Nachtarbeitsmöglichkeiten auch für Frauen vorgesehen wird. Aber auch dieser Gesetzentwurf – und ich glaube, daß wir in der Wirtschaft dafür Verständnis finden werden – kann nur in der Form in Begutachtung gehen, daß Grundlagen geschaffen werden – auch mit Übergangsregelungen –, die berücksichtigen, daß Nachtarbeit für Menschen eine besondere Form der Arbeit ist.

Denn im wesentlichen, von der gesamten Biologie her, sind die Menschen für Tagesarbeit geschaffen. Nachtarbeit ist biologisch erschwert, ist gesundheitsgefährdender, und sie bringt gesellschaftliche Probleme. Sie ist im Interesse der Wirtschaft – und zur Wirtschaft gehören Unternehmer und Arbeitnehmer – in bestimmten Bereichen notwendig. Aber es muß Ausgleiche geben für die gesundheitlichen, für die gesellschaftlichen und für die familiären Belastungen.

In diesem Sinne hoffe ich, daß wir auch in diesem Bereich einen vernünftigen Kompromiß finden und im Herbst zu einer generellen Neuregelung im Bereich der Arbeitszeit kommen werden, ebenso wie im Bereich der Nachtarbeit für Frauen und damit generell im Bereich der Nachtarbeit. Das möchte ich hier jetzt schon ankündigen, für das nächste Programm des Hauses im Herbst.

Dabei ist mir natürlich eines klar – das ist so wie bei der jetzigen Novelle, wie auch bei den anderen Maßnahmen, die getroffen werden –: Damit ein Gesetz hier beschlußfähig wird, ist es notwendig, auch Kompromisse zu schließen. Aber ich möchte nochmals betonen: sicher keine Kompromisse, die einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer gehen! (Beifall bei der SPÖ.)

Ebenfalls in mehreren Wortmeldungen wurde über die Maßnahmen diskutiert, die jetzt im Bereich der arbeitnehmerähnlichen Werkverträge und der freien Dienstverträge getroffen werden. – Ich habe es heute in der Fragestunde schon erklärt: Diese Maßnahme, die hier im April


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vorgelegt und beschlossen wurde, ist notwendig, weil immer mehr und mehr Unternehmen dazu übergegangen sind, Dienstnehmerverträge in unechte Werkverträge umzuwandeln.

Damit ist für die einzelnen Arbeitnehmer der soziale Schutz verlorengegangen, und gleichzeitig wurde für die Riskengemeinschaft eine Gefährdung hergestellt, weil dadurch Beiträge verlorengehen. Das nimmt immer mehr und mehr zu. Es ist daher notwendig, daß wir hier dieser Umgehung der Sozialversicherung zu Lasten des einzelnen Arbeitnehmers und zu Lasten der Riskengemeinschaft mit einer neuen Maßnahme entgegenwirken.

Es ist dies einer der kompliziertesten Bereiche im Sozialversicherungsgebiet, und es ist sicher auch schwierig, das in das bereits mehrfach und vielfach novellierte ASVG einzupassen. Es ist aber notwendig, weil es ansonsten immer mehr und mehr Umgehungsversuche gegeben hätte.

Daher haben wir mit der jetzigen Novellierung im Einvernehmen mit den Sozialpartnern, mit der Wirtschaft, aber auch unter Beiziehung der Wirtschaftstreuhänder und von Praktikern eine Neuregelung gefunden, die leichter administrierbar ist. Ich stehe nicht an zu sagen: Ich kann nicht ausschließen, daß wir diesen Bereich noch öfter novellieren müssen. Es wäre aber nicht richtig gewesen, so lange zu warten, bis wir die perfekte Lösung gefunden haben, denn das wird sich immer erst in der Praxis herausstellen. Das wäre zu Lasten vieler gegangen. Und viele – gerade Frauen – werden nach dieser Regelung zum ersten Mal in ihrem Leben wirklich für ihre Tätigkeit, für die sie bisher in einem Quasiwerkvertrag beschäftigt wurden, soziale Sicherheit haben, zum ersten Mal Unfallversicherungsschutz, zum ersten Mal Krankenversicherungsschutz und zum ersten Mal Pensionsversicherungsschutz. Das ist ganz entscheidend.

Diese Maßnahme ist daher nicht verzichtbar, auch wenn sie nicht perfekt sein kann und auch wenn ich nicht ausschließen kann, daß wir sie noch öfter novellieren müssen. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

14.22

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Ing. Reichhold. – Bitte, Sie haben das Wort.

14.22

Abgeordneter Ing. Mathias Reichhold (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Hohes Haus! Der Herr Abgeordnete Donabauer hat in seinem Beitrag uns Freiheitlichen vorgeworfen, daß unser Antrag betreffend Bäuerinnenpension unseriös sei. Er ist leider nicht im Hause, aber ich habe mich geärgert darüber, weil er nicht dazugesagt hat, was unseriös sei an diesem Antrag.

Wissen Sie, was unseriös ist? Zuerst die Bäuerinnen in eine Pensionsversicherung zu locken, ihnen zu versprechen, daß sie nach 15 Jahren pensionsberechtigt sind, und jetzt, wo sie brav ihre Beiträge zahlen, diese Frist um fünf Jahre zu verlängern. Ist die schwarze Donabauer-Pensionsfalle einmal zugeklappt, dann müssen sie fünf Jahre länger zahlen, damit sie am Ende die gleiche Pension herausbekommen. Das ist unseriös (Beifall bei den Freiheitlichen) , und dagegen werden wir uns entschieden zur Wehr setzen.

Zum zweiten: Es wird immer von den Errungenschaften gesprochen. Wir respektieren das. Wir haben ja vieles auch eingefordert, vieles mitgetragen. Herr Abgeordneter Donabauer hat uns vorgeworfen, warum wir nicht von den Errungenschaften reden. Ich sage Ihnen: Sie machen das als Regierungsparteien schon besser.

Unsere Aufgabe ist es, aufzuzeigen, daß Sie beispielsweise den Bauern jetzt Zuschüsse beim Ankauf von Hörgeräten streichen und Selbstbehalte bei Prothesen einführen wollen. Uns ärgert dies deshalb, weil im Zuge dieses Sparpaketes wieder einmal die Behinderten, die Schwachen, die Alten, die Gebrechlichen zur Kasse gebeten werden. Die Damen und Herren von der linken Seite dieses Hauses berührt das offenbar überhaupt nicht mehr, wenn Schwache, Behinderte und alte Menschen zur Kasse gebeten werden.


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35. Sitzung / Seite 91

Wir als Opposition haben hundert Vorschläge aufgezeigt, wie man es anders, wie man es besser machen könnte.

Der Grund, warum ich mich aber jetzt zu Wort gemeldet habe, betrifft ein Unrecht, das die Nebenerwerbsbauern schon lange hinnehmen müssen. 70 Prozent der Nebenerwerbsbauern – und ich behaupte, ein Großteil davon – geht ja nicht aus Jux und Tollerei einem Zweitberuf nach, sondern ist genötigt, wird gezwungen, einen Zweitberuf auszuüben: zweimal arbeiten, um einmal leben zu können.

Die Nebenerwerbsbauern zahlen auch brav in die Arbeitslosenversicherung ein, nur: In der Praxis schaut das dann halt ganz anders aus. Meistens werden im Zuge von Kündigungs- und Entlassungswellen bei dieser angespannten Wirtschaftslage zunehmend Nebenerwerbsbauern als erste nach Hause geschickt. Sie bekommen aber, soferne ihr Einheitswert höher als 54 000 S ist, dann kein Arbeitslosengeld. Das heißt, sie zahlen zwar brav ein, sehen aber nie Geld. Das dürfte den meisten wahrscheinlich gar nicht bekannt sein, ist aber schreiendes Unrecht.

Wissen Sie, wir können uns halt nicht mit der Aussage Ihres Kollegen Donabauer identifizieren, daß wir schon lange darüber verhandeln. Freilich, Sie verhandeln schon lange darüber, aber letztendlich haben Sie keinen Erfolg.

Sie haben heute eine Möglichkeit, dieses schreiende Unrecht für die Nebenerwerbsbauern zu beseitigen, indem Sie unseren Entschließungsantrag mitbeschließen, einen Entschließungsantrag, der sicher im Sinne vieler ÖVP-Abgeordneter ist, zumal diese Forderung nach Beseitigung dieses Unrechts ja in vielen öffentlichen Erklärungen, selbst vom Präsidenten Schwarzböck und auch von Ihnen, Herr Präsident Schwarzenberger, des öfteren schon erhoben wurde. Ich weiß schon, daß Sie sich da in einer roten Umklammerung befinden und daß Sie viele Fragen besser mit uns lösen könnten. Aber das ist momentan Ihr Problem. Wir bieten Ihnen an, hier mitzugehen.

Ich möchte daher folgenden Entschließungsantrag stellen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Anna Elisabeth Aumayr, Mag. Herbert Haupt und Ing. Mathias Reichhold zur Regierungsvorlage betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauern-Sozialversicherungsgesetz (20. Novelle zum BSVG) und das Betriebshilfegesetz (9. Novelle zum BHG) geändert werden (216 der Beilagen) in der Fassung des Ausschußberichtes (288 der Beilagen) betreffend Leistungen nach dem AlVG für Nebenerwerbsbauern

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Der Bundesminister für Arbeit und Soziales wird ersucht, dem Nationalrat einen Gesetzentwurf zuzuleiten, der Leistungen nach dem AlVG für Nebenerwerbsbauern unabhängig vom Einheitswert ihrer Landwirtschaft gewährleistet, wenn Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet wurden."

*****

Herr Bundesminister! Ich bitte Sie, ich fordere Sie auf, auch im Namen der gesamten Bauernschaft, dieses Unrecht endlich zu beseitigen, damit jene, die Beiträge zahlen, auch Leistungen erhalten können. (Beifall bei den Freiheitlichen.)


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35. Sitzung / Seite 92

14.27

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Der vom Abgeordneten Ing. Reichhold verlesene Entschließungsantrag ist geschäftsordnungsmäßig unterstützt. Er wird in die Verhandlung miteinbezogen.

Als nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Silhavy zu Wort gemeldet. – Bitte.

14.27

Abgeordnete Heidrun Silhavy (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Kollegin Hostasch hat in ihrem Debattenbeitrag auf die soziale, wirtschaftliche und vor allem politisch mehrheitsfähige Kompromißlösung zur Sicherung der Gesundheitsvorsorge hingewiesen.

Ich möchte einen Aspekt dabei noch aufgreifen. Die APA hat am 26. Juni dieses Jahres eine Presseaussendung der steirischen Ärztekammer veröffentlicht, wonach diese sich vehement gegen die Einhebung einer Krankenscheingebühr ausspricht. Auch die Wortmeldung des Herrn Dr. Pumberger heute ist in die gleiche Richtung gegangen. Und ich frage mich: Warum? Vielleicht deshalb, weil Patienten dann keine Krankenkassenschecks mehr automatisch beim Arzt deponieren und man sozusagen keine Verrechnung ohne Leistungserbringung mehr machen kann, das heißt, kein arbeitsloses Einkommen aus diesen deponierten Krankenkassenschecks lukrieren kann?

Auch der Angriff auf die Kassenambulatorien wird immer wieder von der FPÖ hier getätigt (Zwischenruf des Abg. Meisinger ) , und ich finde ihn nicht ganz gerechtfertigt, denn man sollte es einmal anhand von sachlichen Zahlen anschauen, Herr Kollege.

Die Zahnambulatorien der Krankenversicherungsträger haben im Jahr 1994 einen Produktionswert von 1 458 Millionen Schilling erbracht, bei Kosten von 1 066 Millionen Schilling. (Abg. Koppler: Die Ambulatorien!) Das heißt mit anderen Worten: Wenn ich mir das am freien Zahnarztmarkt sozusagen zukaufen müßte, müßte die Sozialversicherung 392 Millionen Schilling mehr für diese Leistungen erbringen. Das ist Ihre Politik!

Auch der Rechnungshofbericht wurde sehr eigenwillig vom Kollegen Dr. Pumberger zitiert. Erstens einmal hat er die Stellungnahmen der Kassen sowieso gleich ignoriert, aber vor allem hat er einen Punkt übersehen, nämlich den Punkt 19.1, der doch recht interessant klingt. Da stellt der Rechnungshof nämlich fest: "Wiewohl die Ärztegesamtverträge eine Begrenzung der Ausgaben der Träger der Krankenversicherung für die vertragsärztliche Tätigkeit enthalten sollen, ist es der Kasse nicht gelungen, bei Honorarverhandlungen mit der Ärztekammer eine Gesamtausgabenbegrenzung in die Ärztegesamtverträge aufzunehmen. Die Kasse will sich weiter darum bemühen", steht dann in der Entgegnung der Kasse.

Warum, frage ich mich, hat Herr Dr. Pumberger diese Kritik auf einmal übersehen? Warum hat er nur Belange aufgezeigt, die mit Dienstnehmerrechten zu tun haben, aber nichts mit Kassen und Vertragsbedingungen und mit Ärztehonoraren? (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Ing. Tychtl: Sehr verdächtig!)

Aber das liegt vielleicht an der Intention der Politik der FPÖ. Die Freiheitlichen haben eine Presseaussendung am 28. Juni getätigt, in der sie das freiheitliche Maßnahmenpaket zur Sanierung der Krankenkassen darstellen, und darin findet sich witzigerweise überhaupt nichts über eine Eindämmung der Ärztehonorare, aber sehr wohl wieder die Forderung nach Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger und nach einem freien Wettbewerb am Versicherungsmarkt, Umwandlung der Pflichtversicherung in eine Versicherungspflicht. Selbstverwaltung und damit direkte Demokratie paßt eben nicht in die Dritte Republik der Freiheitlichen. (Beifall bei der SPÖ.)

Noch ein Wort zu den Werkverträgen, über die ja heute schon sehr viel gesprochen wurde.

Kollege Öllinger und Kollege Kier haben die nunmehr zu treffende Regelung kritisiert, obwohl sie gleichzeitig kundgetan haben, daß ihnen die Bestrebungen zur Umgehung des Arbeits- und Sozialrechts sehr wohl bekannt sind und daß sie auch befürchten, daß dieser Trend in Zukunft verstärkt wird.

Herr Kollege Öllinger! Sie haben aus einer APA-Meldung zitiert; ich zitiere ebenfalls aus einer, auch vom 28. Juni. Hier wird von der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft BDO Auxilia Treuhand GmbH geschätzt, daß 300 000 Personen von dieser Neuregelung erfaßt werden, und es wird auch festgehalten, daß es nur mehr wenige Schlupflöcher geben wird, um der Sozialversicherungspflicht zu entgehen.


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Ich gebe Ihnen recht, die Geringfügigkeit ist ein Problem, nicht nur bei den Werkverträgen insgesamt, und ich bin der Meinung, daß wir auch hier gefordert sind, Modelle für eine soziale Absicherung von Menschen zu finden, die sich in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, in welcher Form auch immer, befinden.

Aber beim Thema Werkverträge bin ich schon bei dem berühmt-berüchtigten Antrag der Frau Abgeordneten Haller, die jetzt auch die Tagesmütter hineinbringen will in diesen Bereich und das Problem der Tagesmütter in Form von freien Dienstverhältnissen gelöst sehen will.

Dieser Antrag wird keinesfalls unsere Zustimmung finden. Wir glauben, daß für Tagesmütter das (entfaltet ein Plakat) die bessere Lösung ist, meine Damen und Herren: "Kinderbetreuung ist kein Kinderspiel. Tagesmütter sind bei uns Angestellte. Qualität schafft Sicherheit." Und das müssen uns unsere Kinder auf jeden Fall wert sein. Daher wollen wir Tagesmütter, die beschäftigt sind, die Angestellte sind, die ein Berufsbild und eine Ausbildung haben. Das ist unser Bestreben. (Beifall bei der SPÖ.)

Ein möglichst hohes Beschäftigungsniveau ist nach wie vor der beste Garant für die Erhaltung der sozialen Sicherheit, und dafür treten wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ein.

Aber da fällt mir noch etwas dazu ein, weil der Kollege Reichhold schon wieder gemeint hat, manche Fragen ließen sich vielleicht besser mit der FPÖ lösen. Kollege Haider sollte sich besser mehr um den Kollegen Meischberger kümmern als um das Semperit-Werk, denn dort springt er wieder auf einen fahrenden Zug auf, und dabei kann man leicht ausrutschen. Dort sind nämlich schon längst Sozialdemokraten, ÖGB und Arbeiterkammer dabei, Lösungsmöglichkeiten, und zwar ernsthaft, zu erarbeiten. (Beifall bei der SPÖ.)

In einer Originalton-Service-Aussendung von heute ist nämlich festzustellen – ich glaube, der Kollege Meischberger hat es zwar dementiert –, daß dem FPÖ-Mann Meischberger eine Firmeninsolvenz droht.

Ich denke, Herr Dr. Haider, Sie wären vielleicht ganz gut beraten, zu schauen, daß die Arbeitsplätze in Ihrem eigenen Bereich, wo Sie als Unternehmer tätig sind, gesichert werden können.

Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind täglich vor Ort gemeinsam mit den betroffenen Menschen bemüht, die bestmögliche Lösung für alle zu finden. (Beifall bei der SPÖ.)

14.34

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Barmüller. – Bitte, Sie haben das Wort.

14.34

Abgeordneter Mag. Thomas Barmüller (Liberales Forum): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Ich möchte in diesem ganzen Konvolut von Anträgen, die es heute hier zu behandeln gibt, auf jenen Antrag verweisen, der von seiten der Liberalen bereits am 19. April 1996 wieder eingebracht worden ist, nachdem er auch in der letzten Legislaturperiode schon eingebracht worden war, und der sich damit befaßt hat, daß man insbesondere die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren bei ihren gesetzlich übertragenen Aufgaben – und nicht nur bei jenen Aufgaben, die ihnen behördlich übertragen sind – in die Unfallversicherung miteinbeziehen soll.

Wie so viele Anträge der Opposition ist auch dieser Antrag in der letzten Legislaturperiode nicht behandelt worden. Er ist auch diesmal nicht in Diskussion gezogen worden, bis die Regierungsparteien selbst tätig geworden sind.

Ich freue mich aber, daß mittlerweile die Mitglieder Freiwilliger Feuerwehren bei der Unfallversicherung berücksichtigt sein werden, wenn es zu Unfällen kommt in dem Bereich, wo Aufgaben gesetzlich übertragen worden sind.

Ich frage mich aber, Herr Bundesminister, warum nicht jenen Anregungen, die auch im Stellungnahmeverfahren gemacht worden sind und die eine sehr einfache und unmittelbare Einbe


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ziehung der Feuerwehrleute vorgesehen haben, Rechnung getragen worden ist und man dazu übergegangen ist, daß dies nur durch eine Verordnung Ihrerseits und nicht von vornherein von Gesetzes wegen geschieht. Sie haben nämlich mittlerweile einen ausdrücklichen Bezug in § 176 Abs. 1 Z 7 auf § 22a aufgenommen, und diese Lösung bedeutet letztlich, daß man in dem Zusammenhang durch Verordnung die Feuerwehrleute wieder ausnehmen kann.

Ich meine, es wäre gerechtfertigt ob der Wichtigkeit dieser Aufgaben, daß man von vornherein einen gesetzlichen Anspruch darauf festlegt und es nicht einer Verordnungserlassung des Herrn Bundesministers anheimstellt, weil ja letztlich – noch einmal – damit auch die Möglichkeit gegeben ist, sie durch Verordnung wieder auszunehmen.

Insgesamt aber, meine Damen und Herren, wäre es schön, wenn auch von Ihrer Seite grundsätzlich solchen Anträgen zugestimmt wird. Man könnte sie dann vielleicht gleich in der ersten Legislaturperiode, in der sie – wenn auch von der Opposition – eingebracht werden, behandeln und müßte nicht eine verstreichen lassen, um es dann doch so zu machen. – Danke schön. (Beifall beim Liberalen Forum.)

14.37

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Dr. Trinkl. – Bitte, Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort. (Der Aufgerufene schlägt irrtümlich den Weg zur Regierungsbank ein. – Ruf bei der ÖVP: Da mußt du gehen! – Heiterkeit. – Abg. Seidinger: Die Ministerbank ist nicht drinnen! – Abg. Dr. Khol: Wird schon noch kommen! – Neuerliche Heiterkeit.)

14.37

Abgeordneter Mag. Dr. Josef Trinkl (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fast hätte ich die Regierungsbank erklommen. Aber keine Angst: Sie ist gut besetzt, daher ist das auch nicht notwendig. (Beifall bei ÖVP und SPÖ. – Zwischenruf bei der SPÖ.) Da war ich schon, bei der Frau Dr. Pittermann, und das war nicht unangenehm!

Wir diskutieren heute die 53. ASVG-Novelle, und allein die Ordnungszahl 53 zeigt, daß unser Sozialsystem ständig ausgebaut, verbessert und an die jeweiligen Bedürfnisse angepaßt wurde. Wir können heute mit Fug und Recht sagen, daß wir eines der besten Sozialversicherungssysteme der Welt haben.

Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, daß der Fortschritt der Medizin allen zugute kommt, ob jung, ob alt, ob reich, ob arm. Diesen Standard gilt es zu erhalten, und die vorliegende Novelle trägt diesem Anliegen Rechnung, weil wir feststellen mußten, daß die an sich positive Entwicklung, die fortschreitende Entwicklung in der Medizin, aber auch die konstant steigende Lebenserwartung unsere Krankenversicherungsträger vor tatsächlich schwierige Aufgaben gestellt hat. Wollen wir aber dieses soziale Netz tragfähig erhalten, müssen wir die Liquidität der Krankenkassen sicherstellen.

Und dabei war der Weg der Volkspartei immer klar. Für uns kam eine allgemeine Beitragserhöhung nicht in Betracht. Vielmehr haben wir immer gefordert, die Einsparungspotentiale der Krankenkassen bestmöglich auszuschöpfen, was tatsächlich in weiten Bereichen im Wege dieser Reform jetzt auch gelungen ist. Nur knapp ein Drittel der notwendigen Mittel sollen in Hinkunft aus bescheidenen Beiträgen jener kommen, die die Leistungen auch in Anspruch nehmen.

Wir bekennen uns in diesem Zusammenhang zu einem minimalen Selbstbehalt in Form einer Krankenscheingebühr von 50 S, auch für ASVG-Versicherte. Und diese Gebühr ist auch ein kleiner Beitrag zur Gerechtigkeit.

Ich möchte Herrn Dr. Pumberger fragen, was er gemeint hat als er gesagt hat: Die Politiker gefährden die Volksgesundheit. Wie macht er den Bauern klar, daß sie 20 Prozent ihrer Krankenkassenleistungen selbst tragen müssen? Wie macht er einem kleinen Unternehmer klar, daß er 20 Prozent selbst zahlen muß? Wie macht er einem kleinen C-Beamten klar, daß er 20 Prozent selbst zahlen muß? Nur ein Angestellter oder Arbeiter, der ein Einkommen von 40 000 S hat, der braucht nichts selbst zu bezahlen.


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Nur, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eines feststellen: Die Einhebung des Selbstbehaltes, Herr Bundesminister, durch den Arbeitgeber stellt nur die drittbeste aller Möglichkeiten dar.

Wir reden so gerne von der Sicherung des Wirtschaftsstandortes Österreich. Wir reden von den Rahmenbedingungen, die wir schaffen müßten, damit Unternehmungsgründungen interessant werden. Und was tun wir? – Wir belasten die Unternehmer mit zusätzlicher Bürokratie! Kein Mensch versteht, warum die Einhebung nicht dort passiert, wo auch der wirtschaftliche Nutzen gezogen wird, nämlich beim Arzt. Wenn schon dieser Weg aus mir nicht erklärlichen Gründen nicht durchsetzbar ist, so bietet uns die Situation doch die Möglichkeit, das Steinzeitsystem des Krankenscheines grundsätzlich zu diskutieren. (Beifall bei der ÖVP.)

Wozu braucht der Patient quasi einen Gutschein, wenn er zum Arzt gehen will, obwohl er doch eigentlich einen Rechtsanspruch auf diese Behandlung hat? Jeder von uns hat diese Versicherungskarte eingesteckt (der Redner zeigt eine Sozialversicherungskarte) , auf der die Versicherungsnummer steht. Es wäre eigentlich ein einfaches, durch die Anbringung eines Chips aus dieser Versicherungskarte eine Chipkarte zu machen, und wir hätten die Bürokratie auf ein Minimum reduziert. In Deutschland gibt es diese Lösung, und in einem Feldversuch wurde so eine Lösung auch in Österreich probiert. Dieser Versuch war sehr erfolgreich. Die Akzeptanz war sowohl bei Patienten als auch bei Ärzten sehr, sehr hoch.

Mir wurde im Ausschuß entgegengehalten, die Einführung dieser Chipkarte würde Milliardeninvestitionen erfordern. Dann frage ich mich als Mitglied der steirischen Arbeiterkammer schon, was diese Aktion gekostet hat, ob das auch Milliarden gekostet hat, als jedes Mitglied vor der Wahl diese Karte (der Redner hält eine AK-Karte in die Höhe) zugesandt bekommen hat? Also ich glaube, daß man hier nicht mit Milliardenzahlen operieren, sondern positiv an die Geschichte herangehen und den Versuch einfach starten soll.

In den letzten Tagen haben uns viele, viele Unternehmer angerufen, die diesen neuerlichen Bürokratieschub wirklich sehr bedauern. Ich appelliere daher an den Herrn Bundesminister und auch an die Sozialversicherungsträger Österreichs, die Leerformel vom Wirtschaftsstandort Österreich nicht weiter zu predigen, wenn man nicht bereit ist, Bürokratieabbau aktiv anzugehen. (Beifall bei der ÖVP.)

Bis zur Einführung der Chipkarte ersuchen wir mit allem Nachdruck, die Belastung für die Betroffenen durch eine möglichst einfache Durchführung auf ein Minimum zu reduzieren. So gesehen bedeutet die vorliegende Novelle tatsächlich eine große Chance: Sie gibt einerseits allen Österreicherinnen und Österreichern die Sicherheit, daß ihnen auch in Zukunft – zumindest in den nächsten Jahren – die Möglichkeiten, die die moderne Medizin bietet, offenstehen, sie ist aber auch Anlaß dafür, eingefahrene bürokratische Gleise zu verlassen und neue Wege der Kooperation zwischen Krankenversicherungsträgern, Patienten und Ärzten zu entwickeln. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dr. Khol: Guter Schlußsatz! – Abg. Kiss: Herr "Minister" Trinkl! – Abg. Dr. Khol: Bald bist du Minister! – Abg. Dr. Trinkl: Ich bin eh schon hinaufgegangen!)

14.43

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Der nächste Redner ist Herr Abgeordneter Dolinschek. – Bitte, Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter.

14.43

Abgeordneter Sigisbert Dolinschek (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beim heutigen Sozialrechts-Änderungsgesetz, bei dem ja 17 Tagesordnungspunkte unter einem verhandelt werden, hat der Herr Sozialminister in seiner Wortmeldung von der Sicherung der Finanzierung der hohen Qualität des österreichischen Sozialsystems gesprochen, er hat davon gesprochen, daß die durchschnittliche Lebenserwartung steigt, daß bessere Möglichkeiten der Medizin vorhanden sind als früher, daß die medizinische Betreuung für alle abzusichern ist, und er hat gemeint, daß das ohne Qualitätsverlust durch zwei Drittel Kosteneinsparung und ein Drittel Erhöhung der Beiträge geschehen soll.


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Herr Bundesminister! Ich glaube, wir sind einer Meinung: Daß die Lebenserwartung steigt, ist sehr positiv – keine Frage –, daß es bessere Möglichkeiten der Medizin gibt, ist auch sehr positiv – das kann ich auch nur unterstreichen –, und daß die medizinische Betreuung natürlich für alle Österreicherinnen und Österreicher abzusichern ist, ist auch keine Frage. Beim Krankengeldbezug, der jetzt von 26 Wochen auf 52 Wochen auf gesetzlicher Basis verankert werden soll (Abg. Koppler: Das ist positiv!) , muß man aber hinzufügen – Herr Bundesminister, Sie haben das ja vorher selbst gesagt –, daß es früher 78 Wochen waren, die die Krankenversicherungen praktisch freiwillig gewährt haben. Für die Bevölkerung selber ist das daher ganz einfach eine Reduzierung von 78 Wochen auf 52 Wochen. Es ist eine Auslegungssache, wie man es jetzt sieht. Natürlich ist die Anhebung von 26 auf 52 Wochen jetzt gesetzlich verankert, aber bisher waren es eben 78. (Abg. Koppler: Freiwillig, Dolinschek, freiwillig!) Das war bisher gang und gäbe, und jetzt ist es eben weniger.

Diese Kürzung, die von der Wiener Krankenversicherung ausgegangen ist, hat natürlich etwas damit zu tun, daß es in diesen Krankenversicherungsanstalten sowie in allen Sozialversicherungsanstalten früher und auch zurzeit noch Privilegien gibt, die nicht eingestellt worden sind. Man hat sich dort überall die Zuckerln herausgeholt, jene aus dem öffentlichen Dienst und jene aus dem ASVG-Bereich, so zum Beispiel die Beamtenpension aus dem öffentlichen Bereich, das Jubiläumsgeld aus dem öffentlichen Bereich und die Definitivstellung aus dem öffentlichen Bereich, aber die Abfertigung aus dem ASVG-Bereich. Dadurch ist es natürlich zu einer Belastung für diese Krankenversicherungsträger gekommen, und jetzt holt man sich das praktisch von den Pflichtversicherten wieder zurück.

Beim Pensionsbeitrag ist es ähnlich. Wir haben heute noch das Kuriosum, daß die Bediensteten der Oesterreichischen Nationalbank 2 Prozent beziehungsweise 5 Prozent, die jetzt erst eingeführt worden sind, an Pensionsbeitrag bezahlen, aber alle nach dem ASVG Versicherten einen Beitrag bezahlen, der doppelt so hoch ist, soweit es nur die Dienstnehmerseite betrifft; noch einmal soviel kommt von der Dienstgeberseite her.

Zur Regierungsvorlage 214 der Beilagen: Sozialrechts-Änderungsgesetz, in der diese vorgeschlagene Änderung des § 292 Abs. 1 des ASVG enthalten ist, durch die eine mißbräuchliche Inanspruchnahme der Ausgleichszulage durch Personen, die nicht in Österreich leben, verhindert werden soll, wenn sie den Hauptwohnsitz nicht in Österreich haben, sehr geehrte Damen und Herren, hat Frau Kollegin Reitsamer vorhin erwähnt, es gebe keine Ausgleichszulage, wenn jemand nicht in Österreich wohnhaft ist. Das ist mir schon klar. Aber es gibt ja auch diese Ausgleichszulagenpendler, wie uns allen bekannt ist. Das sind Leute, die einen Hauptwohnsitz in Österreich angeben, aber praktisch nur herfahren, damit sie die Ausgleichszulage kassieren. Da gibt es etliche Beispiele aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Polen und so weiter. (Abg. Silhavy: Wie heißt das? Wie der Schelm denkt, so ist er! – Abg. Reitsamer: Wie der Schelm ist, so denkt er!)

Frau Kollegin Reitsamer, ich bin überzeugt davon, daß auch Ihnen diese Mißstände bekannt sind, und Sie müßten eigentlich auch bestrebt sein, daß diese Mißstände hintangehalten werden, denn der Betrug ist umso verlockender, je niedriger die Pensionsleistung und damit umso höher die Ausgleichszulage ist. Dies trifft vor allem auf diese Personen, die ich eben gerade genannt habe, zu.

Ich bringe daher auch folgenden Abänderungsantrag ein:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Edith Haller, Dr. Helene Partik-Pablé, Mag. Herbert Haupt zur Regierungsvorlage betreffend ein Sozialrechts-Änderungsgesetz 1996 – SRÄG (214 der Beilagen) in der Fassung des Ausschußberichtes (286 der Beilagen)

Der Nationalrat wolle beschließen:


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Die im Titel genannte Regierungsvorlage in der Fassung des Ausschußberichtes wird wie folgt geändert:

Artikel I, Z 154 lautet:

"154. § 292 Abs. 1 lautet:

,(1) Erreicht die Pension zuzüglich eines aus übrigen Einkünften des Pensionsberechtigten erwachsenden Nettoeinkommens und der gemäß § 294 zu berücksichtigenden Beträge nicht die Höhe des für ihn geltenden Richtsatzes (§ 293), so hat der Pensionsberechtigte, solange er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnittes Anspruch auf eine Ausgleichszulage zur Pension. Sofern der Pensionsberechtigte nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, ist überdies das Vorhandensein von 180 Versicherungsmonaten erforderlich, wovon mindestens die Hälfte auf österreichische Versicherungszeiten entfallen muß.’"

*****

Das wäre ein Beitrag, um die Finanzierung des österreichischen Sozialsystems zu sichern, sehr geehrte Damen und Herren!

Jetzt zu der Erweiterung der Unfallversicherung für freiwillige Hilfsorganisationen. Ich bin sehr froh darüber. Es hat lange gedauert, daß es hier zu einer Erweiterung gekommen ist. Das ist sehr positiv, es könnte aber darüber hinaus noch eine Verbesserung erfolgen, wenn man den Antrag, den auch Kollege Barmüller vorhin als Vorredner erwähnt hat, berücksichtigen würde. Er ist viel weitreichender als die Regierungsvorlage und würde praktisch alle Tätigkeiten abdecken, die von Freiwilligen Feuerwehren und von freiwilligen Hilfsdiensten über Anordnung oder aufgrund von Verordnungen von Bürgermeistern und so weiter getätigt werden und im Dienste der Öffentlichkeit geschehen. Wenn jemandem bei Tätigkeiten in so einer Körperschaft öffentlichen Rechts wie etwa der Freiwilligen Feuerwehr etwas passiert, etwa bei praktischer Hilfeleistung nach Murenabgängen – ich konnte mich selbst erst im Süden Kärntens davon überzeugen, wie hilfreich die Freiwilligen Feuerwehren dort bei Aufräumungsarbeiten tätig waren – und auch bei Wegefreihaltung nach Schnee- und Sturmschäden, so hat er keinen Unfallversicherungsschutz. Ich wäre froh, wenn es noch in dieser Periode zu einer derartigen Verbesserung kommen würde.

Sehr geehrte Damen und Herren! Was die flexible Arbeitszeit betrifft, so wird viel darüber diskutiert. Meiner Meinung nach müßte es eine Dreistufigkeit geben: das Arbeitszeitgesetz, den Kollektivvertrag und die Betriebsvereinbarung, wobei die tägliche Normalarbeitszeit dem Gesundheitsaspekt und dem Lohnaspekt Rechnung tragen müßte.

Kollege Koppler! Ich glaube, da bist du meiner Meinung. (Abg. Koppler: Das gibt es ja!) Das gibt es nicht, Kollege Koppler. Ich werde dir jetzt einige Beispiele sagen, wieso es das nicht gibt. Die tägliche Normalarbeitszeit ist jetzt aufgeteilt. Jetzt steht im Arbeitszeitgesetz, die tägliche Normalarbeitszeit kann acht, sie kann aber auch neun oder zehn Stunden betragen. Da gibt es unterschiedliche Regelungen im Kollektivvertrag, und das ist eigentlich der krumme Hund dabei, Kollege Koppler.

Denn wenn man in Betrieben Betriebsvereinbarungen verhandelt, so wird von Gewerkschaftsseite immer gesagt, man kann nichts Schlechteres abschließen, als im Kollektivvertrag oder im Arbeitszeitgesetz festgelegt ist. Jetzt ist das Ganze aber Auslegungssache. Du weißt selbst, daß es oft so ist. Ich bringe dir ein Beispiel über die Pausenregelung. Es ist bei einer durchgehenden Arbeitszeit, die mehr als sechs Stunden dauert, eine Pause von einer halben Stunde vorgeschrieben, die nicht bezahlt werden muß, oder zweimal eine Viertelstunde oder dreimal 10 Minuten. – Richtig, nicht? Ein Dienstnehmer dort ist nicht interessiert, eine halbe Stunde Pause zu machen, weil er sagt, für diese Zeit bekommt er nicht bezahlt, er geht lieber früher nach Hause. Das ist im Prinzip nicht dem Gesetz und nicht dem Kollektivvertrag entsprechend, wäre aber eine Verbesserung, und man könnte es in einer Betriebsvereinbarung festlegen. (Abg. Koppler:


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Für seine Gesundheit ist es aber nicht besser!) Das ist eben das Problem. Was ist jetzt besser? Das ist eben Auslegungssache, und es ist schwierig, das dann durchzusetzen.

Wenn im Kollektivvertrag Metall-Bergbau-Energie steht, daß die tägliche Arbeitszeit nicht über neun Stunden ausgedehnt werden darf, mit der Ausnahme, daß für Fenstertage eingearbeitet wird, dann wird es schon schwierig, das Ganze abzuschließen. Wir wollen aber eine Bandbreite, die eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von meinetwegen 50 Stunden zuläßt – nicht so wie der Antrag des Liberalen Forums, der 60 Stunden wöchentlich beinhaltet, noch dazu ohne Abgeltung des Überstundenzuschlages, weiters sieht er vor, die tägliche Arbeitszeit auf 13 Stunden zu erhöhen; das ist extrem arbeitnehmerfeindlich, dem gewinne ich überhaupt nichts ab –, aber es muß hier zu Vereinbarungen kommen können, auch zu Betriebsvereinbarungen, die es ermöglichen, wenn die Dienstnehmer es wollen, auch zehn Stunden am Tag zu arbeiten, inklusive einer Einarbeitungszeit für diese Freiräume. Ich könnte mir einen Durchrechnungszeitrahmen bis zu 52 Wochen vorstellen – das wäre auch kein Problem –, aber nur in Anlehnung an die Jahresarbeitszeit.

Eine Durchrechnung auf 52 Wochen dürfte nicht überschritten werden, aber die Überstundenzuschläge – das ist extra zu verhandeln –, müßten pro Monat ab einer gewissen Anzahl mit dem Grundlohn ausbezahlt werden. Die Höhe ist fraglich. Man muß überlegen, ob man das ab 40 Stunden, ab 43 Stunden pro Woche macht, die geleisteten Stunden zwischen 38,5 und 50 sollten als Zeitausgleich innerhalb von 52 Wochen verwendet werden. Aber auf keinen Fall kann die wöchentliche Normalarbeitszeit darüber hinaus bis auf 50 Stunden ausgedehnt werden. Die EU-Richtlinie sagt überdies noch aus, daß die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden nicht überschritten werden soll. (Abg. Koppler: Schau dir die Betriebsvereinbarung bei BMW Steyr an!)

Herr Kollege Koppler! Ich würde dir nur eines raten, daß du diese Betriebsvereinbarung von BMW Steyr deinen Kärntner Kollegen bei der Gewerkschaft zusendest, die dann die Arbeitnehmer in den diversen Betrieben beraten. Die sagen, so etwas gibt es nicht, wir kennen so etwas nicht. Ich habe gesagt, mir ist aber bekannt, daß es bei BMW Steyr und auch bei General Motors so etwas gibt, aber deine Kollegen wissen davon nichts. Bitte, sende ihnen das zu, denn die informieren sonst die Kollegen und die Betriebsräte in den Betrieben falsch!

Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag 66/A ist – ich habe es schon gesagt – keine Kompensation für Arbeitnehmer. Dadurch gibt es auch keine flexibilisierte Regelung für Arbeitnehmer. Eine Verlängerung der wöchentlichen Normalarbeitszeit auf 13 Stunden oder wöchentlich 60 Stunden kommt für uns überhaupt nicht in Frage. Außerdem beinhaltet er eine Verkürzung der Nachtruhe auf 8 Stunden, anstatt der bestehenden 11 Stunden, und die Wochenendruhe kommt überhaupt nicht mehr vor.

Dieser Vorschlag ist extrem arbeitnehmerfeindlich, gesundheitsgefährdend, gehaltskürzend, es ist keine Flexibilisierung der Arbeitszeit vorhanden, sondern eine Arbeit auf Abruf. So etwas, sehr geehrte Damen und Herren, können wir einfach nicht mittragen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Das Bäckereiarbeiter/innengesetz wurde schon angeschnitten. Ich möchte nur soviel erwähnen: Die geltenden Grenzen der Arbeitszeit werden im Prinzip beibehalten, die Viertagewoche ist auch künftig nicht möglich. Drei Stunden pro Woche laut Kollektivvertrag ist meiner Meinung nach ein bißchen wenig; das könnte ausgeweitet werden. Die Nachtarbeit für Ungelernte ist praktisch nur durch Betriebsvereinbarungen möglich. Das ist seitens der Dienstgeber eine extreme Ungleichbehandlung von gelernten und ungelernten Arbeitskräften.

Jetzt noch zur Feiertagsregelung im Antrag 242/A der Koalition zum Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz. Für mich ist diese Feiertagsregelung für die Weihnachtsfeiertage etwas Positives – keine Frage –, die Kürzung des Urlaubsgeldes durch den Entfall einer Anwartschaftswoche aber negativ, weil die Arbeitnehmer zum Teil schon durch die ausverhandelten Maßnahmen für den Zeitausgleich und den Entfall von Zuschlägen massiv belastet werden, und dieses Entfallen der Anwartschaftswoche bedeutet im Prinzip doch nichts anderes als einen


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finanziellen Verlust von im Durchschnitt zirka 1 400 S für jeden Bauarbeiter zugunsten der Refundierung an den Arbeitgeber und birgt außerdem das Risiko in sich, im Jahr darauf schwerer wieder die notwendigen 46 Wochen zu erreichen. Der Arbeitgeber gewinnt im Prinzip im gleichen Ausmaß, wie die Ansprüche des Arbeitnehmers gekürzt werden.

Auch der verpflichtende Urlaub von zwei Wochen im Dezember oder Jänner ist nicht unbedingt das Gelbe von Ei, weil die Firmen meist schon ab Oktober nicht mehr ganz ausgelastet sind und somit ein Urlaubsverbrauch auch im Oktober oder im Februar naheliegend wäre.

Die entfallenen Überstundenzuschläge und Trennungszulagen bedeuten im Prinzip nur eine Änderung auf Kosten der Arbeitnehmer. Deswegen können wir auch dieser Änderung des Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetzes nicht unsere Zustimmung geben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

14.57

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Der Abänderungsantrag, den Abgeordneter Dolinschek im Laufe seiner Rede vorgetragen hat, ist ausreichend unterstützt und wird in die Verhandlung miteinbezogen.

Als nächster zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Seidinger. – Bitte, Herr Abgeordneter.

14.57

Abgeordneter Winfried Seidinger (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren! Die Diskussion um den Sozialbereich zieht sich nun über einige Stunden, und zwar bei unterschiedlicher Präsenz – eher bei negativer –, obwohl man erwarten könnte, daß so wichtige Dinge von mehr Damen und Herren des Hohen Hauses verfolgt werden hätten können.

Es waren einige Highlights negativer Art festzustellen und zu berichten. Wenn zum Beispiel Dr. Pumberger herausgeht und den Herrn Sozialminister beleidigt und sagt, er sei eine vom Hauptverband ferngesteuerte Marionette, dann ist das an und für sich beleidigend genug, aber dann noch zu einer tatsächlichen Berichtigung herauszugehen und dasselbe noch einmal unter demselben Titel festzustellen, das fällt unter den Titel Wiederholungstäter. – Herr Dr. Pumberger, ich weiß nicht, welche Kinderstube Sie genossen haben! (Beifall bei der SPÖ.)

Daß Herr Dr. Haider nicht anwesend ist, das ist für uns alle nichts Neues. Heute war er in Traiskirchen draußen vor 15 Mitarbeitern. Das war traurig: Das Fernsehen war nicht dort, die Presse war nicht dort. Jetzt um diese Zeit möchte er eine Pressekonferenz geben, aber der Werksleiter hat ihm das nicht zugestanden, und hinein soll er auch nicht gehen. Das ist einmal die richtige Antwort auf jemanden, der immer nur vorgibt, für die kleinen Leute und die Arbeiter dazusein, der aber in Wirklichkeit keinen Einsatz zeigt. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Steibl: Das war ein kluger Mann!)

Frau Kollegin Steibl hat sich mit dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz beschäftigt, ebenso mein Vorredner, und ich stehe nicht an, zu sagen, daß hier, glaube ich, den Sozialpartnern doch etwas gelungen ist. Es gelingt ihnen nicht immer alles, weil sie von den unterschiedlichsten Lösungsansätzen ausgehen, aber ich glaube, daß die Zielsetzung, nämlich ein Abschluß über Jahresbeschäftigung für die Bauarbeiter, erreicht worden ist, daß die Priorität dieser Jahresbeschäftigung und des Jahreseinkommens festgehalten werden konnte und auch die Regelung über die Wochenarbeitszeit, über Arbeitszeitmodelle mit lang – lang, kurz – kurz, kurzer – langer Woche und dergleichen mehr, aber auch Beibehaltung alter Möglichkeiten gezeigt haben, daß hier eben Ausgleich und Einvernehmen erfolgen kann.

Auch die kritisierte Einrechnung von Urlaubszeiten, die man nehmen muß, führt letztendlich dazu, daß der Bauarbeiter länger in Beschäftigung ist, daß er kürzere Zeit aus der Arbeitslosenversicherung versorgt werden muß und länger das Gefühl haben kann, gebraucht zu werden.

Letztendlich ist es bei der Schaffung eines Weihnachtsfeiertagsfonds im Rahmen der Bauarbeiter Urlaubs- und Abfertigungskasse so, daß in diesen Fonds die Betriebe für jeden Arbeit


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nehmer pro Beschäftigungswoche einen Zuschlag einzahlen müssen, in Summe rund 500 Millionen Schilling. Das kann aber dann an solche Betriebe, die Leute beschäftigen, zurückfließen. Auch die Starthilfe des AMS für 1997 in Höhe von 60 Millionen Schilling und 1998 in Höhe von 40 Millionen Schilling schlägt sich zweifellos positiv zu Buche.

Diese Einigung ist der Beweis dafür, daß die Sozialpartnerschaft – ich habe es schon gesagt – wieder als funktionierend bezeichnet werden kann. Sie konnte somit auch in einer schwierigen Wirtschaftslage ihre Handlungsfähigkeit und Kompetenz unter Beweis stellen.

Ich glaube, gemeinsam mit den Beschäftigungsinitiativen der Bundesregierung, die jährliche Investitionen in Höhe von 20 Milliarden Schilling vorsehen, kann es gelingen, die hohe Arbeitslosigkeit in der Bauwirtschaft zu reduzieren. Ich meine, daß damit die Arbeitslosenrate um rund 40 000 Personen verringert werden könnte.

Nun zu einem dritten und abschließenden Punkt, zur 53. ASVG-Novelle. Herr Dr. Trinkl – ich glaube, er ist momentan nicht im Saal – hat die Frage der Chips aufgeworfen. Er hat auch eine Karte von der Arbeiterkammer vorgezeigt, wie sie präsentiert worden ist. Ich glaube, daß es in Zukunft möglich sein muß, sich dieser modernen Methoden zu bedienen, aber unter gewissen Bedingungen – das muß ich auch gleich sagen –, nämlich daß die partnerschaftlichen Rechte dort auch wirklich zum Tragen kommen. Letztlich sollten auch die Nutznießer zur Kasse gebeten werden können und nicht nur derjenige, der sich in diesem Sinn vereinfacht des Gesundheitswesens bedienen kann.

In diesem Zusammenhang will ich es mir nicht ersparen, zu den Pensionen und zu verschiedenen Maßnahmen, die in der 53. ASVG-Novelle vorgesehen sind, Stellung zu nehmen.

Der Herr Bundesminister hat uns sehr deutlich vor Augen geführt, daß, was Einnahmen und Ausgaben im Gesundheitswesen betrifft, es so sein wird, daß die Deckung nicht mehr gegeben ist. Einnahmen von einem Drittel stehen Ausgaben in Höhe von zwei Dritteln gegenüber. Er hat uns auch viele Maßnahmen aufgezählt, die im Bereich der Medikamente, der Ärzte, Vertragsärzte, der Verwaltungskosten oder wo immer gesetzt werden könnten, und zwar immer unter der Prämisse, daß das vom Standard und von der Qualität her gesehen anerkannt hohe Niveau des Gesundheitswesens in Österreich aufrechterhalten werden kann.

Bei den Beiträgen scheiden sich die Geister etwas. Es ist auch kein Geheimnis, daß in den Verhandlungen moderate Beitragserhöhungen bei den verschiedensten Gruppen von Arbeitnehmern oder Pensionisten – es gibt derzeit unterschiedliche Beitragshöhen – angepeilt worden sind, die zur Bedeckung der Ausgaben herangezogen werden könnten.

Ich glaube, es ist unerfreulich, daß jetzt nur die Beiträge der Pensionisten erhöht worden sind, und das gleich ab 1. August. Es geht gar nicht so sehr um die Höhe, es geht gar nicht so sehr um die Belastung, sondern eher darum, daß sich eine große und immer größer werdende Gruppe irgendwo alleingelassen fühlt und daß sie in diesem sozialen System, an dessen Aufbau sie maßgeblich beteiligt war, nicht mehr die Partnerschaft findet, die man eigentlich in einer Solidargemeinschaft braucht. Und das ist die Partnerschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Und manche betrachten es als Systembruch, wenn das nicht mehr in dem Maße fortgesetzt werden sollte, wie es in der Vergangenheit eben gewesen ist.

Es hat manche Anregung in der heutigen Diskussion gegeben. Vielleicht könnte man die eine oder andere verfolgen, etwa die Frage der Höchstbeitragsgrenze. Denn es ist wirklich nicht einsichtig, daß bei einem Einkommen von 60 000, 70 000 S brutto keine Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrages erfolgt. Die 50 S Krankenscheingebühr sind bald abgegolten und stellen somit einen Vorteil gegenüber jemandem dar, der eine Beitragserhöhung von 0,25 Prozent in Kauf nehmen muß.

Ich bin aber auch überzeugt davon, daß Herr Bundesminister Hums in seinem Verhandlungsergebnis vieles aufzeigen kann, was herzeigenswert ist und was wir glauben zu brauchen. Ich meine aber, daß man gerade die Geduld der älteren Generation nur eine Zeitlang strapazieren und auf keinen Fall überziehen darf. Wenn alle für Sicherheit und soziale Gerechtigkeit


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eintreten, dann sollte man das auch dort tun. Und es wird nicht von ungefähr kommen, daß man auch da eine Abgeltung fordert. (Präsident Dr. Fischer übernimmt den Vorsitz.)

Erlauben Sie mir zum Schluß noch eine Feststellung zum Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz. Im Zusammenhang mit der Neuregelung der Bezüge von Politikern, die gleichzeitig Beamte sind, ist nunmehr die Meinung aufgetaucht, daß in Zukunft auch dann, wenn der Bezug des Beamten entsprechend seiner tatsächlichen Arbeitsleistung gekürzt wird oder wegen Außerdienststellung zur Gänze entfällt, der Bund die Krankenversicherungsbeiträge zur Gänze zu tragen hätte, also auch den Dienstnehmeranteil von der Differenz.

Diese Interpretation ist aus folgenden Gründen unzutreffend. Gemäß § 19 Abs. 5 Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz ist in Zukunft im Falle der Kürzung, eines teilweisen oder gänzlichen Entfalls der Bezüge für die Bemessung der Beiträge die letzte vor der Herabsetzung der Bezüge herangezogene Beitragsgrundlage maßgeblich. Und dies gilt auch für den Fall der Kürzung oder des Entfalls der Bezüge eines Politikers. In diesem Fall ist nach § 22 Abs. 4 B-KUVG der entfallende Anteil vom Dienstgeber allein zu tragen, weil diese Vorschrift ausdrücklich eine Ausnahme für den Fall einer Verminderung der Bezüge aufgrund einer Herabsetzung der Dienstzeit enthält. Diese Ausnahme gilt auch für Abgeordnete, deren Dienstbezüge entsprechend der neuen Regelung gekürzt werden oder wegen Außerdienststellung zur Gänze entfallen. – Ich bitte Sie, diese Feststellung zur Kenntnis zu nehmen. Danke schön. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Dr. Khol: Das war eine richtige Feststellung!)

15.07

Präsident Dr. Heinz Fischer: Als nächste zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Edith Haller. Freiwillige Redezeit 8 Minuten.

15.07

Abgeordnete Edith Haller (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Gleich eingangs erlauben Sie mir bitte eine Feststellung: Ich halte die Art und Weise, wie man hier in einem 15 Tagesordnungspunkte behandelt, die zwar alle Soziales beinhalten, aber tendenziell doch so unterschiedlich sind, für eine schlampige Geschäftsbehandlung. Ich kann eigentlich nur einen Grund darin sehen, nämlich daß man versucht, wichtige Anträge der Opposition zu unterdrücken und die Debatte darüber möglichst untergehen zu lassen.

Zum Sozialrechts-Änderungsgesetz selbst ist schon sehr viel gesagt worden. Es ist in der Zwischenzeit die 159. Änderung des ASVG, sie enthält teilweise Reparaturmaßnahmen vorangegangener Novellierungen und bedeutet auf jeden Fall einen weiteren Schritt hin in Richtung Unlesbarkeit dieses Gesetzes.

Aber eines möchte ich hier aus meiner Sicht noch deponieren: Wenn der Chefverhandler der ÖVP im Ausschuß gemeint hat, daß die Erhöhungen, die dieses Sozialrechts-Änderungsgesetz beinhaltet, verträglich sind und daß die Pensionistenverbände viel Verständnis dafür gehabt haben, dann muß ich schon fragen: Wo lebt denn der Herr Feurstein? Mit wem spricht der Herr Feurstein?

Die Pensionisten – und das sind nicht die Apparatschiks, mit denen er spricht –, die empfinden das ganz anders. Die sind sehr wohl davon betroffen, daß Wahlversprechen nur ein halbes Jahr gehalten haben. Und auch die Behinderten haben es der Mühe wert gefunden, in ihrem letzten Monatsbericht auf der Titelseite zu diesem Sozialrechts-Änderungsgesetz Stellung zu nehmen, und sagen, daß damit der letzte Rest von Solidarität in Österreich verlorengegangen ist.

Hier halte ich es eher mit Kollegen Stummvoll, der auch im Ausschuß gesagt hat, daß es eines gewaltigen politischen Kraftaktes bedurft hat, allein dieses Paket zusammenzubringen. Und damit wird für mich als Oppositionspolitikerin klar – und er hat es somit auch bestätigt –, daß dieses Stückwerk, das hier vorliegt, der Beweis dafür ist, daß es tatsächlich einfach eine Reformunfähigkeit dieser Regierung gibt, wenn das, was man uns hier präsentiert, als Reform verkauft wird.


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Ein Beispiel ist die Ausgleichszulage. Hier startet man den Versuch einer Eindämmung von Mißbrauch. Aber es wird bei diesem Versuch bleiben. Denn wenn eine Kollegin Silhavy es nach wie vor als opportun empfindet, zu sagen, Freiheitliche seien ausländerfeindlich, nur weil sie verlangen, daß Ausländer, die nur zwei oder drei Jahre in Österreich gearbeitet haben, keinen Anspruch auf Ausgleichszulage haben sollen, vor allem dann nicht, wenn sie im Ausland leben und das Geld dort auch ausgeben, dann muß ich sagen, da versteht Sie der Bürger nicht. Denn ihm wird das Anspruchsdenken vorgeworfen, den Ausländern gesteht man es zu. Das ist nämlich keine Versicherungsleistung, sondern das ist eine Fürsorgeleistung! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Nun zum Antrag 226/A, der von mir eingebracht wurde, und zwar zum zweiten Mal eingebracht wurde und der eine ganz klare, einfache, logische Schlußfolgerung in dem Sinn bedeutet, daß ja immer wieder flächendeckende Kinderbetreuungseinrichtungen gefordert werden, und zwar von allen Seiten und von allen Parteien. Alle Parteien bekennen sich ja anscheinend auch zu den Tagesmüttern.

Eine unbedingt notwendige Voraussetzung dafür wäre jedoch die Anerkennung von Tagesmüttern oder -vätern als Beruf und die sozialrechtliche Absicherung. Das gesteht man den Tagesmüttern aber nach wie vor nicht zu. Das wäre ganz einfach im § 4 Abs. 3 Z 3 des ASVG zu lösen, indem man die Tagesmütter und Tagesväter den Hauslehrern als Nachsatz anhängt.

Zum zweiten Mal wurde dieser Antrag abgelehnt, obwohl in der Zwischenzeit bereits ein Gutachten von Herrn Universitätsprofessor Tomandl vorliegt, der diese Möglichkeit auch als richtig empfindet, und in der Stellungnahme zum Sozialrechts-Änderungsgesetz das Amt der Salzburger Landesregierung auch diese Regelung angeregt hat. Trotzdem wird der freiheitliche Antrag wieder abgelehnt, obwohl ja ganz klar und offensichtlich ist, daß die Tagesmütter-Aktion forciert werden müßte, weil Kinderbetreuung durch Tagesmütter nach der Eigenbetreuung durch die Eltern auf jeden Fall die zweitbeste ist: erstens, weil sie dem Kindeswohl am meisten dient, und zweitens, weil sie für berufstätige Eltern eine möglichst flexible Art von Betreuung darstellt.

Daß ein Erfolg dieser Einrichtung davon abhängt, endlich einmal gesetzliche Regelungen dafür zu treffen, das scheinen die Politiker der Regierungsparteien bewußt an sich vorbeigehen zu lassen.

Wenn Frau Kollegin Silhavy im Ausschuß gesagt hat, da könne man nicht zustimmen, denn da müßte ja zuerst einmal die Ausbildung geregelt sein, dann muß ich mich schon fragen, ob sie sich überhaupt einmal mit dieser Thematik befaßt hat. Denn es werden derzeit bereits Tagesmütter ausgebildet, nur ist es länderweise geregelt. Es hätte Sie aber auch niemand davon abgehalten, diesbezüglich eine bundesweite Regelung vorzuschlagen. Das eine schließt das andere nicht aus.

Wir werden uns auf alle Fälle nicht entmutigen lassen und diesen Antrag immer wieder einbringen.

Nun noch ganz kurz zur Regierungsvorlage zum Bäckereiarbeiter/innengesetz. Seit Jahrzehnten wird in Österreich dieses unsinnige Nachtarbeitsverbot für Frauen aufrechterhalten. Das hätte spätestens mit dem EU-Beitritt fallen müssen. Es hat ja in der Zwischenzeit massive Proteste gerade aus der Branche der Bäckereiarbeiterinnen gegeben, und zwar nicht nur von gelernten Bäckerinnen, sondern vor allem auch von Frauen, die dort beispielsweise im Versand beschäftigt sind.

Ich selbst habe dazu im Jahre 1993 eine Petition eingebracht, die wieder abgelehnt wurde. Meine Vorredner Peter und Madl haben ja schon ausdrücklich darauf hingewiesen, daß diese Vorlage weder den Intentionen der Fauen noch der Bäckereien entspricht, weil sie Industriebetriebe bevorzugt und Kleinbetriebe benachteiligt. Sie entspricht aber anscheinend den Vorstellungen der Gewerkschaft. – Österreichische Gesetze werden anscheinend immer nur entsprechend den Vorstellungen der Gewerkschaft gemacht.


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Ich bringe deshalb dazu einen freiheitlichen Abänderungsantrag ein, der darauf abzielt, daß das Nachtarbeitsverbot für Frauen endlich zur Gänze aufgehoben wird. Dieser Abänderungsantrag lautet:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Mag. Haupt, Haller, Madl zur Regierungsvorlage betreffend ein Bundesgesetz über die Regelung der Arbeit in Backwaren-Erzeugungsbetrieben (Bäckereiarbeiter/innengesetz 1996 – BäckAG 1996) und über Änderungen des Bundesgesetzes über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen 1987 und des Arbeitsruhegesetzes (177 der Beilagen) in der Fassung des Ausschußberichtes (300 der Beilagen)

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die im Titel genannte Regierungsvorlage in der Fassung des Ausschußberichtes wird wie folgt geändert:

1. Der Titel lautet: "Bundesgesetz, mit dem das Bäckereiarbeitergesetz geändert wird".

2. Der Text lautet:

"Das Bäckereiarbeitergesetz, BGBl. Nr. 69/1995, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 232/1978, wird wie folgt geändert:

1. § 9 lautet:

,§ 9. Den Dienstnehmern ist eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf aufeinanderfolgenden Stunden zu gewähren.‘

2. Nach § 21 wird folgender § 22 angefügt:

,§ 22. § 9 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. XXX/1996 tritt mit 1. September 1996 in Kraft.‘"

*****

(Beifall bei den Freiheitlichen.)

15.17

Präsident Dr. Heinz Fischer: Der soeben vorgetragene Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht mit in Verhandlung.

Zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Gatterer. – Bitte sehr.

15.17

Abgeordnete Edeltraud Gatterer (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Ich möchte mich nach den vielen Vorrednern und Vorrednerinnen ausschließlich mit dem Bäckereiarbeiter/innengesetz beschäftigen. Es ist wirklich – und da muß ich meiner Vorrednerin von der freiheitlichen Fraktion recht geben – ein leidiges Thema, das zumindest so lange, solange ich hier im Hause bin, immer wieder diskutiert wird.

Ich sehe im Bäckereiarbeiter/innengesetz zumindest einen ersten Schritt in die Richtung, daß man das Nachtarbeitsverbot für Frauen aufhebt. Es war wirklich unerträglich und unverständlich, daß es in der Vergangenheit gelernten Bäckerinnen untersagt war, ihren Beruf auszuüben, denn es stand im Gesetz, zwischen 20 Uhr und 5 Uhr gilt das Nacharbeitsverbot für Bäckerinnen. Dieses Nachtarbeitsverbot hinderte Bäckerinnen daran, ihren Beruf auszuüben.

Es ist ein positiver zeitgemäßer Schritt – leider nur ein erster Schritt –, und ich hoffe, daß damit die Türe aufgemacht und endlich das Nachtarbeitsverbot auch für andere Kolleginnen aufge


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hoben wird. Dies ist seit Jahren, ja schon Jahrzehnten umstritten, und ich weiß, daß immer wieder das Argument kommt: Wenn man die Schranke aufmacht und das Nachtarbeitsverbot aufhebt, dann hat dies generell eine Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen zur Folge. – Das stimmt. Das gilt leider für Männer und Frauen.

Andererseits muß man heute sagen, daß es aufgrund des Nachtarbeitsverbots eine zunehmende Benachteiligung von Frauen auf dem ohnehin sehr angespannten Arbeitsmarkt gibt. Es ist eigentlich nicht einzusehen, daß wir bis 2001 warten sollen, um eine neue Lösung zu finden. Wir sind ja verpflichtet, dies bis zu diesem Zeitpunkt zu tun. Unser Verfassungsgerichtshof hat zwar gesagt, daß das Nachtarbeitsverbot für Frauen nicht gleichheitswidrig ist. Das steht allerdings im Gegensatz zum Europäischen Gerichtshof, der das Nachtarbeitsverbot für gleichheitswidrig hält.

Nach derzeit geltendem Recht dürfen die Arbeitnehmerinnen während der Nacht – also zwischen 22 Uhr und 6 Uhr früh – grundsätzlich nicht beschäftigt werden. Wir sind aber selbst als Gesetzgeber unglaubwürdig, weil wir immer wieder zahlreiche Ausnahmebestimmungen genehmigt haben, sei es im Verkehrswesen, bei den Krankenanstalten, Reinigunsunternehmungen oder im Gastgewerbe.

Sie müssen mir verzeihen, aber ich wundere mich doch auch manchmal darüber, daß Kollegen und Kolleginnen, die gegen die Aufhebung des Nachtarbeitsverbotes sind, sehr wohl um 1 Uhr oder um 2 Uhr in die Cafeteria gehen und erwarten, daß dort jemand für sie das Schnitzel bäckt und serviert und daß auch nach der Sitzung jemand unseren Mist wegräumt. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten von den Freiheitlichen. – Abg. Böhacker: Welchen Mist meinen Sie?) Nicht den, den Ihr Parteiführer meint.

Zurzeit ist es so – das sind die letzten aktuellen Daten –, daß in Österreich 257 700 Personen, also Männer und Frauen, Nachtarbeit verrichten, davon 148 600 regelmäßig und immerhin über 100 000 unregelmäßig. Es sind zirka 50 000 Frauen, die regelmäßig Nachtarbeit machen. Im öffentlichen Dienst ist die größte Zahl an in der Nacht Beschäftigten zu finden. Es kommt auch immer der Einwand, für den öffentlichen Dienst darf das Nachtarbeitsverbot nicht gelten. Es könnten die Krankenhäuser nicht offengehalten, auch die Sicherheit könnte nicht gewährleistet werden, wenn es keine Polizistinnen gäbe. Im öffentlichen Dienst ist also erlaubt, was ansonsten verboten ist.

Kollege Feurstein nickt mir schon zu, und zwar nicht nur, weil er mir recht gibt, sondern, wie ich annehme, weil ich auch zu lange spreche.

Bei der Firma Suchard zum Beispiel gibt es 400 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Hälfte davon sind Frauen. Suchard macht den Pilotversuch, Nachtarbeitsschichten zu fahren. Es gab eine Umfrage, und die meisten Frauen sind auf freiwilliger Basis bereit, Nachtarbeit zu leisten, weil es für sie bedeutet, den Job zu bekommen, den Job zu behalten und natürlich auch mehr zu verdienen. Ich glaube, es ist heutzutage hoch an der Zeit – und ich fordere Sie und den Sozialminister wirklich auf –, hier endlich tätig zu werden. Ich erwarte mir, daß der Sozialminister sein Versprechen hält, daß es eine Lösung dieses Problems bis zum Herbst gibt. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

15.22

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Povysil. Sie hat das Wort. Die Redezeit ist auf 8 Minuten gestellt.

15.22

Abgeordnete Dr. Brigitte Povysil (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Wissen Sie, was die Abkürzung "u.U" bedeutet? – "Unter Umständen", bei mir daheim "Urfahr-Umgebung", bei mir steht es als Abkürzung für "ungeheuer unsinnig". Und das ist nicht meine Beurteilung des Belastungspakets, das wir heute schon den ganzen Tag lang diskutieren, sondern die Beurteilung durch Herrn Bürgermeister Häupl. Für Häupl ist es nur ein Wahlkampfgag, für Kranke und Pensionisten ist es aber eine traurige Realität. Da wir schon den ganzen Nachmittag, ja den ganzen Tag über dieses Paket diskutieren, möchte ich die einzelnen Punkte gar nicht mehr auflisten, Sie wissen Bescheid.


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Es gibt aber einen neuen Trend in Österreich, der in Amerika schon seit längerer Zeit diskutiert wurde. Das ist ein Trend, der sich mit dem Begriff "Working poor" auseinandersetzt, also mit jenem Menschen, der zwar eine Beschäftigung hat, der auch regulär arbeitet, gegebenfalls auch Familie hat, der aber dennoch immer mehr an den Rand der Armut gedrängt wird. Es sinkt die reale Einkommenssituation. Es steigt das Preisniveau. Das wird uns sehr klar an der derzeitigen Situation auf dem Mietensektor vor Augen geführt.

Jede neue Belastung wirkt sich dann umso spürbarer in den Haushaltskassen unserer Familien, also unserer Bürger aus. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Gestern wurde über die Bezügereform diskutiert, und es wurde auch darüber diskutiert, wie viele Spesen, wie viele Vergütungen wir bekommen. Ein bißchen geht uns dabei das Realitätsbewußtsein für die wirtschaftliche Situation des Durchschnittsösterreichers verloren. Und dieser Pensionisten-Tausender, der die alten Menschen durch das jetzige Belastungspaket trifft, ist überhaupt nicht einfach nur so abzutun, sondern der trifft sie wirklich und hat eine echte Qualitätsminderung bei unseren alten Mitbürgern zur Folge.

Ich kann Ihnen den Pensionisten-Tausender auch vorrechnen. Er ergibt sich einfach aus dem Belastungspaket aufgrund von Kuren, der 0,25prozentigen Steigerung des Sozialversicherungsbeitrags und der durchschnittlichen Medikamentensituation unserer alten Mitmenschen.

Ich habe Ihnen im letzten Plenum erzählt, daß das Belastungspaket schwanger ist, und ich habe Ihnen auch gesagt, daß es ein neues Belastungsbaby in sich trägt. Leider ist der Herr Minister heute nicht da, weil ich kann ... (Abg. Dr. Haselsteiner: Von Hums! Der Schlögl war es nicht! – Abg. Dr. Partik-Pablé: Dann würde es besser ausschauen!) Ich kann ihm das nämlich auch gleich beweisen. Der Herr Minister selbst hat nämlich gesagt, daß das prognostizierte Defizit der Kassen für 1998 bereits 8 Milliarden beträgt. Ich habe es hier in einer Pressemeldung. Alle bis jetzt getroffenen Maßnahmen einschließlich der für 1998 vorgeschlagenen Maßnahmen reduzieren dieses Defizit auf nur 6,8 Milliarden Schilling. Das heißt, es fehlt uns jetzt schon eine Milliarde Schilling, von der wir nicht wissen, wo wir sie hernehmen sollen.

Wir brauchen keine neue Krankensteuer bei den Krankenscheinen. (Beifall bei den Freiheitlichen.) Wir brauchen – und das haben schon einige meiner Vorredner gesagt – eine etwas modernere, intelligentere Form der Verrechnung, nämlich eine Chip-Card oder eine Med-Card, je nachdem, wie man sie nennen will. Das würde uns viel Arbeit und auch sehr viele Kosten ersparen.

Ich kann Ihnen das wieder aus meiner eigenen Berufsgruppe sagen. Das Problem der Mehrfachuntersuchungen im Spital, wo man ja nicht weiß, welche Untersuchungen ein Patient bereits gehabt hat, wird dadurch, daß eben die Chip-Card, die Med-Card in ein Gerät eingeschoben wird, wodurch man sofort weiß, welche Untersuchungen und Krankheiten ein Patient bereits gehabt hat und welche Medikamenten ihm verschrieben worden sind, gelöst und somit auch jenes der Kosten.

Dort, wo heute die Bürokratie mit der Krankenscheinadministration zuschlägt, muß morgen einfach ein neues Computersystem stehen. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Fekter: Ja!)

Ganz wichtig ist für mich aber auch der Hinweis auf die privatmedizinischen Einrichtungen und die Anerkennung dieser privatmedizinischen Einrichtungen. Es sind wirtschaftlich positive Betriebe, sie machen 20 Prozent der medizinischen Grundversorgung aus, und auf diese wurde einfach vergessen. Es wurde vergessen, sie in die neue Form der Krankenhausfinanzierung in irgendeiner Weise miteinzubeziehen. Es wurden ihnen noch dazu die Verträge mit den Krankenkassen bis 31. Dezember gekündigt, das heißt, sie sind im legalen Vakuum, sie haben eigentlich gar keine Berechtigung auf irgendeine Zuweisung von seiten der Krankenkassen. Wir haben auch bereits einen Antrag zur gesetzlichen Verankerung der privaten Krankenanstalten eingebracht.


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Es muß auch außer Frage stehen, daß in der Phase des Lebensabends höhere Kosten bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen entstehen. Ich möchte Ihnen jetzt ein Beispiel zitieren. Es gibt den Dr. Thalé, der Ihnen allen wahrscheinlich schon ein Begriff ist, er hat über Sozialversicherung und Patienten ein Buch geschrieben, das sehr gut ist, das ich Ihnen empfehlen möchte, und er hat auch einen gesundheitspolitischen Artikel in der "Ärzte-Woche" veröffentlicht. Und da zeigt er folgendes Fallbeispiel auf. Da sagt einmal ein 83jähriger: "Ich kenne mich nicht mehr bei dieser Gesellschaft aus, bin ich denn zu alt zu leben?"

Es wird dann folgendes Beispiel gebracht. Es gibt einen 56jährigen Mann und eine 73jährige Frau. Beide leiden an cerebralem Schwindel, beide werden zu einer kernspintomographischen Untersuchung des Gehirns geschickt. Dem 56jährigen Patienten werden die Kosten dieser Untersuchung rückvergütet, dem 73jährigen nicht. Beiden wird ein Medikament verordnet, beide beziehen dieses Medikament in der Apotheke. Der 56jährige bekommt die Kosten ersetzt, die 73jährige nicht.

Der Schluß dieses Artikels ist folgender: "Wieviel alten Menschen ergeht dies so in unserer sozialen Gesellschaft? Die angeführten Fälle sind Anzeichen einer Entwicklung, die ein redlicher Mensch nicht verstehen – ein Arzt nicht mittragen kann."

Ich bitte Sie wirklich, das zu bedenken: Es ist ganz besonders notwendig, einen politischen Bewußtseinswandel zu vollziehen, gerade im Umgang mit unseren alten Menschen. Es ist keine noble Geste, diesen einfach ihre Bezüge und ihre Leistungen zu streichen. Und es ist auch bar jeder politischen Moral, wenn vor den Wahlen diametral anders argumentiert wird als nach den Wahlen.

Und nur ganz kurz – ich bin schon fast am Ende meiner Ausführungen –: Es wurde jüngst – Sie haben das sicher in den Medien gelesen – zum ersten Mal in der Geschichte ein französischer Politiker wegen eines gebrochenen Wahlversprechens zu einer nicht unbedeutenden Geldstrafe in Höhe von 42 000 S verurteilt. Ich gebe es Ihnen zu bedenken.

Wir von den Freiheitlichen bekräftigen daher heute unsere Ablehnung, unsere absolute Ablehnung diesem unintelligenten Belastungspaket gegenüber. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Es ist mir persönlich ein ganz besonderes Anliegen, mich für sozial Schwache und vor allem auch für unsere alten Mitbürger einzusetzen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

15.30

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Kollege Großruck. Er hat das Wort.

15.30

Abgeordneter Wolfgang Großruck (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Geschätzte Damen und Herren! Herr Kollege Dolinschek – ein lieber Sitznachbar von mir – hat vorhin über das Arbeitszeitgesetz gesprochen und moniert, daß durch verschiedene Anträge die Gefahr besteht, daß die Bürger zu lange arbeiten müssen. Dolinschek, du hättest es gestern in der Hand gehabt, daß zumindest ein Teil der Bürger nicht so lange arbeiten muß, indem du der Geschäftsordnungsreform zugestimmt hättest, denn dann hätten jene Bediensteten im Parlament, die 18 Stunden und mehr arbeiten, dank deiner Zustimmung weniger arbeiten müssen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.) Das war nur ein kleiner Hinweis, der zeigt, daß die Praxis etwas anders ausschaut, als es in der Theorie hier heraußen verkündet wird.

Meine Damen und Herren! Die 53. Novelle soll also heute beschlossen werden. Es ist sehr viel gesagt und argumentiert worden. Ich möchte noch einen kleinen neuen Aspekt dazu einbringen.

Meine Damen und Herren! Nicht nur in Österreich haben wir Probleme mit dem Sozialstaat, nicht nur in Österreich muß novelliert werden. Im "Spiegel" vom 13. Mai 1996 ist ein Bericht über das Schlaraffenland, das in Deutschland angeblich abgebrannt ist, zu finden. Ich lese Ihnen ein paar Schlagzeilen vor, die zeigen, mit welchen Problemen das Wirtschaftswunderland Deutsch


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land momentan zu kämpfen hat. (Abg. Ing. Reichhold: Die haben aber weniger Schulden als wir!)

Übertitel: Pleite im Paradies. Geburtenrückgang und Arbeitslosigkeit haben die sozialen Sicherungssysteme verwüstet. Der Sozialstaat bisheriger Prägung ist am Ende. Die Rente ist unsicher. Niemand weiß, womit Arbeitslosengeld, Pflegehilfe und Krankengeld in Zukunft bezahlt werden sollen. – So gehen die Schlagzeilen in diesem "Spiegel"-Bericht über Deutschland weiter. Es heißt: Letzte Chance: Umschichtungen können die Bundesanstalt für Arbeit entlasten. – Und so weiter. (Abg. Ing. Reichhold: Die haben fünf neue Bundesländer verkraften müssen!)

Meine Damen und Herren! Das ist die Situation in Deutschland (Abg. Ing. Reichhold: Was sagen Sie dazu, daß die fünf neue Bundesländer verkraften haben müssen und trotzdem weniger Schulden haben als wir?) , und wir werden mit dieser 53. Novelle die Schraube drehen, damit wir nicht in diese Situation kommen. (Abg. Ing. Reichhold: Warum gehen Sie auf meine Zwischenrufe nicht ein?!) Ich habe nicht so viel Zeit! Wenn der Zwischenruf qualifiziert wäre, bekämen Sie eine Antwort, aber so gehe ich nicht darauf ein. (Beifall bei ÖVP und SPÖ. – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.) Die blauen Brüder probieren jetzt, mich aus dem Konzept zu bringen. Das wird ihnen nicht gelingen! Hören Sie zu, dann wissen Sie, was ich Ihnen zu sagen habe, und dann sind Sie nachher ein bißchen gescheiter. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Böhacker: Wer regiert denn in Deutschland? Die Schwarzen regieren in Deutschland!)

Meine Damen und Herren! Wir setzen mit der 53. ASVG-Novelle einen richtigen Schritt. Wir betätigen das Regulierventil, damit wir die Herausforderungen, die ein Sozialstaat auf sich nehmen muß, permanent annehmen können.

Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler der Republik Deutschland Dr. Kohl hat etwas sehr Gescheites gesagt, nämlich: Der Staat ist keine Kuh, die im Himmel gefüttert und auf der Erde gemolken werden kann! (Abg. Böhacker: Darum das Krisenszenario in Deutschland!) – So funktioniert es auch bei uns: Die Sozialkuh, meine Damen und Herren, die wir in Österreich melken, müssen wir auch hier in Österreich füttern! – Das muß uns klar und bewußt sein. Damit eben der Futtertrog nicht leer wird, damit wir in Österreich auch weiterhin den Sozialstandard aufrechterhalten können, ist es notwendig, die 53. ASVG-Novelle zu beschließen. (Beifall bei der ÖVP.)

Ich bringe jetzt noch drei Abänderungsanträge ein. Muß ich sie vorlesen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ja, aber ohne Begründung, nur den Text.

Abgeordneter Wolfgang Großruck (fortsetzend): Die Begründung nicht, nur den Text, das weiß ich.

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Annemarie Reitsamer, Dr. Gottfried Feurstein und Genossen betreffend Sozialrechts-Änderungsgesetz 1996

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Der eingangs bezeichnete Gesetzesantrag wird wie folgt geändert:

1. Im Artikel I wird nach der Z 6 folgende Z 6a eingefügt:

"6a. Im § 4 Abs. 3 Z 3 wird der Ausdruck ,Musiker und Artisten‘ durch den Ausdruck ,Musiker, Artisten und Kabarettisten‘ ersetzt."

2. Im § 564 Abs. 1 Z 1 in der Fassung des Artikels I Z 197 entfallen die Ausdrücke "253b Abs. 3, 253d Abs. 2," und "276b Abs. 3, 276d Abs. 2,".

3. Nach § 564 Abs. 1 Z 2 in der Fassung des Artikels I Z 197 wird folgende Z 2a eingefügt:


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"2a. mit 1. November 1996 die §§ 253b Abs. 3, 253d Abs. 2, 276b Abs. 3 und 276d Abs. 2 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. xxx/1996;".

4. Im § 564 Abs. 1 Z 3 in der Fassung des Artikels I Z 197 wird der Ausdruck "§ 104 Abs. 2" durch den Ausdruck "die §§ 4 Abs. 3 Z 3 und 104 Abs. 2" ersetzt.

*****

Der zweite Antrag lautet:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Annemarie Reitsamer, Dr. Gottfried Feurstein und Genossen betreffend 21. Novelle zum GSVG

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Die Regierungsvorlage 215 der Beilagen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz geändert wird (21. Novelle zum GSVG), in der vom Ausschuß für Arbeit und Soziales beschlossenen Fassung (287 der Beilagen) wird wie folgt geändert:

1. Im § 267 Abs. 1 Z 1 in der Fassung der Z 90 entfällt der Ausdruck "131 Abs. 3,".

2. Im § 267 Abs. 1 in der Fassung der Z 90 wird nach der Z 2 folgende Z 2a eingefügt:

"2a: mit 1. November 1996 der § 131 Abs. 3;".

*****

Ich bringe nun noch den dritten Antrag ein:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Annemarie Reitsamer, Dr. Gottfried Feurstein und Genossen betreffend 20. Novelle zum BSVG und 9. Novelle zum BHG

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Die Regierungsvorlage 216 der Beilagen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauern-Sozialversicherungsgesetz (20. Novelle zum BSVG) und das Betriebshilfegesetz (9. Novelle zum BHG) geändert werden, in der vom Ausschuß für Arbeit und Soziales beschlossenen Fassung (288 der Beilagen) wird wie folgt geändert:

1. Im § 256 Abs. 1 Z 1 in der Fassung der Z 79 entfällt der Ausdruck "§ 122 Abs. 3,".

2. Im § 256 Abs. 1 in der Fassung des Artikels I Z 79 wird nach der Z 2 folgende Z 2a eingefügt:

"2a: mit 1. November 1996 der § 122 Abs. 3;".

*****

Das waren die drei Anträge, meine Damen und Herren, die somit eingebracht sind. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP.)


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15.38

Präsident Dr. Heinz Fischer: Die Anträge entsprechen den Bestimmungen der Geschäftsordnung und stehen daher mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Meisinger. – Bitte sehr.

15.38

Abgeordneter Josef Meisinger (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren! Betreffend das Sozialrechts-Änderungsgesetz befürwortet unter anderem die Bundesarbeitskammer in einer Stellungnahme die Verschlechterung bei den Wahlärzten, um, wie sie sagt, Kosten zu sparen. Es werden in Zukunft nur mehr 80 Prozent rückvergütet, obwohl die Kranken auch die Krankenscheingebühr von 50 S abliefern müssen.

Auch Patiententransporte werden in Zukunft in Frage gestellt sein, und man fragt sich, was den Sozialversicherungsträgern, den Regierenden noch alles einfallen wird, um die bodenlosen Töpfe im Budget der Regierung und der Sozialversicherungen zu stopfen.

Auf der anderen Seite gibt es zum Beispiel in Oberösterreich einen Gebietskrankenkassenobmann, der Zigtausende aus Sozialversicherungspflichtbeiträgen im Monat kassiert und in etwa die Hälfte davon an die Sozialistische Partei an Parteisteuer und -abgaben abführt. Das, geschätzte Damen und Herren, ist die sogenannte hochgepriesene Umverteilung nach ÖVP- und SPÖ-Proporzmuster. Diese Machenschaften ähneln dem System einer sogenannten ehrenwerten Gesellschaft, wo vorerst Versorgungsposten wie bisher à la Höchtl, Pallwein-Prettner, Fischer oder Kostelka geschaffen werden, um dann bestbezahlte Parteigünstlinge der Regierungspartei von SPÖ und ÖVP unterzubringen und Informationen aus erster Hand zu haben und zusätzlich noch Zigmillionen an Parteisteuern und Einnahmen zu kassieren.

Mein Kollege Pumberger hat schon angeführt, daß von den Sozialversicherungsanstalten 2,2 Milliarden an freiwilligen Pensionsleistungen für ihre Bediensteten bereitgestellt werden. Und da beginnt die Sache wirklich kritisch zu werden. Auf dem freien Markt werden Zigtausende oder zumindest Tausende – wie bei Semperit – arbeitslos, und im geschlossenen Bereich füllt man sich die Taschen auf Kosten der Beitragszahler!

Oder die 2,5 Prozent vom Bruttogehalt der Bediensteten – da greift der Arbeitgeber, die Sozialversicherung, für Freizeit, Sport und Spaß besonders großzügig in die Tasche. Besonders hervorgetan haben sich da jene Versicherungsgesellschaften, die auch am meisten verschuldet sind.

Weiters werden auf diese Art und Weise von den Sozialversicherungen die Partei- und Klubbeiträge ihrer Mandatare bezahlt, indem man ihnen eben zumindest bisher das arbeitslose Einkommen gegönnt hat. Ganz typisch bringt es der Sicherheitssprecher der Sozialistischen Partei auf den Punkt, der sagt, seine Parteisteuer von 19 000 S entspricht eben genau oder annähernd dem Betrag, den er als arbeitsloses Einkommen kassiert.

Die Arbeitnehmer, die täglich um ihren Arbeitsplatz kämpfen müssen, fühlen sich da wirklich auf den Arm genommen! (Beifall bei den Freiheitlichen.) Und zwar auf der einen Seite von einer Regierungspartei, die vorgibt, Arbeitnehmervertreter oder Arbeiterpartei zu sein, und auf der anderen Seite von einer Regierungspartei, der christlichsozialen Partei, die immer wieder sagt, daß sie sich für den Menschen und für die Gleichbehandlung einsetzt.

Im Bereich des Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetzes gibt es eine Regelung, die nicht als Ministerialentwurf in Begutachtung war, die in der letzten Sitzung des Sozialausschusses im raschesten Verfahren durchgezogen wurde – natürlich ohne gründliche Vorbereitung, denn darin haben die Sozialpartner ja besondere Erfahrung. Das möchte ich ganz besonders ins Treffen führen, da dieses Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz in krassem Widerspruch zu dem steht, was zum Beispiel in Oberösterreich passiert, wo die Abteilung des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, die für Wildbach- und Lawinenverbauung zuständig ist, über die Wintermonate 100 Mitarbeiter freisetzen will. Auf der anderen Seite aber kündigt die Bundesregierung im Baubereich große, medienwirksame Beschäftigungsoffensiven an. Es sollen diese Mitarbeiter also über die Wintermonate freigestellt werden, und man ist nicht bereit, für sie dieses neue Gesetz anzuwenden. (Beifall bei den Freiheitlichen.)


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35. Sitzung / Seite 110

15.44

Präsident Dr. Heinz Fischer: Als nächste gelangt Frau Abgeordnete Rossmann zu Wort. – Bitte.

15.44

Abgeordnete Mares Rossmann (Freiheitliche): Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte kurz zu meinem Antrag Stellung nehmen, der für die Betriebe, speziell die Einsaison-Betriebe, ein Anreiz zur Saisonverlängerung sein sollte.

Der Grund dafür war, daß von seiten der Kommunalpolitik in letzter Zeit sehr oft der Wunsch herangetragen wurde, die Betriebe mögen länger offenhalten. Das heißt, entweder die Saison früher beginnen oder gegen Ende der Saison ein, zwei Wochen anhängen – das gilt für Einsaison-Betriebe, aber auch für Zweisaisonen-Betriebe. Manchen Betrieben, die nur im Sommer geöffnet haben – Einsaison-Betrieben – will man sagen: Sperrt wenigstens über Weihnachten zwei Wochen auf! – Das geht aber aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht, Herr Minister; wir haben das in der Ausschußsitzung schon besprochen. Denn zum Beispiel jetzt im Juni hatten manche Betriebe einen Lohnkostenanteil von 60 Prozent des Umsatzes. Daß sich das nicht mehr rechnet, ist, glaube ich, jedem klar.

Mein Antrag wäre eine Erleichterung, ein Anreiz für einen gewissen Sektor. Es ist mir klar, daß er nur einen gewissen Bereich betrifft. Der Antrag hat aber im Ausschuß leider nicht die Zustimmung gefunden, was ich sehr bedaure. Es ist mir unerklärlich, warum der Antrag von seiten der Arbeitnehmervertretung nicht die Zustimmung bekommen hat, da er einen Anreiz dafür gibt, Arbeitslose vom Arbeitslosendasein wegzubekommen und kurze Zeit in einem Betrieb zu beschäftigen und gleichzeitig dem Betrieb Unterstützung zu gewähren.

Das Argument des Herrn Ministers, daß das nicht geht, da es sonst zu einer Konkurrenz käme, weil dies eine einseitige Förderung darstellt, lasse ich auch nicht gelten, denn so gesehen dürfte es nirgendwo eine Förderung geben. Jede Förderung ist irgendwo eine Konkurrenzierung oder eine einseitige Betrachtung. Herr Minister! Dieses Argument lasse ich nicht gelten!

Vielleicht können Sie, Herr Minister, diesen Antrag doch noch einmal überdenken und von Ihrer Seite her initiativ werden. Mich würde es freuen, wenn es wenigstens in naher Zukunft in dieser Richtung zu einer Umsetzung käme.

Herr Minister! Sie werden sich noch wundern, was sich im heurigen Herbst im Tourismus und gerade bei den Einsaison-Betrieben abspielen wird. Ich ersuche Sie daher, das wirklich ernst zu nehmen und initiativ zu werden. – Danke sehr. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

15.47

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Aumayr. – Bitte.

15.47

Abgeordnete Anna Elisabeth Aumayr (Freiheitliche): Herr Bundesminister! Herr Präsident! Hohes Haus! Herr Bundesminister, Sie haben versprochen, daß mit dem Entwurf einer 20. BSVG-Novelle eine Verbesserung der finanziellen Situation der Bauernkrankenkassen eintritt. Sie machen jetzt aber genau das Gegenteil, denn der geplante Selbstbehalt für Heilbehelfe für bei der Bauernkrankenkasse Versicherte soll mindestens 259 S ausmachen, und Höchstgrenzen für Prothesen mit 32 000 S sind geplant.

Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß die Bauern ohnehin schon mit Selbstbehalten gepeinigt sind: 20 Prozent für Arztbesuche und 10 Prozent für den Spitalsaufenthalt. Eine weitere Belastung mit Selbstbehalten für eine Berufsgruppe, die sich in einer sehr schwierigen Situation befindet, finde ich wirklich unverantwortlich.

Ich bringe daher bezüglich der Bäuerinnenpension einen Abänderungsantrag ein:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Anna Elisabeth Aumayr, Robert Wenitsch, Mag. Herbert Haupt, Ing. Mathias Reichhold und Genossen zur Regierungsvorlage betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauern-Sozialversicherungsgesetz (20. Novelle zum BSVG) und Betriebshilfegesetz (9. Novelle


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35. Sitzung / Seite 111

zum BHG) geändert werden (216 der Beilagen) in der Fassung des Ausschußberichtes (288 der Beilagen)

*****

Begründung: Mit dem Strukturanpassungsgesetz 1996 wurde die Wartezeit für die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit von 120 auf 180 Monate erhöht. Diese Regelung trifft auch Frauen, die zwar aufgrund ihres Alters die Einbeziehung in die 1992 neugeschaffene Pensionsversicherung hätten verhindern können, denen auf Basis des damals geltenden Rechts aber zur Versicherung geraten wurde, weil die Versicherungsmonate auch im Falle einer Frühpension jedenfalls gereicht hätten. Die undifferenzierte Anwendung der Verlängerung der Wartezeit auch auf diesen Personenkreis schafft Fälle, in denen – wegen mangelnder sonstiger Versicherungszeiten – gar kein Anspruch auf Frühpension erworben werden kann und somit der seinerzeitige Rat zur Versicherung eindeutig negative Folgen hätte.

Die Antragsteller schlagen daher vor, den Kreis der weiblichen Versicherten, die von ihrer Versicherungspflicht ab 1992 hätten befreit werden können, auch aus der Geltung der verlängerten Wartezeit zur Gänze auszunehmen.

Ich ersuche vor allem die bäuerlichen Abgeordneten der ÖVP, dem Wunsch der oberösterreichischen Bäuerinnen, des oberösterreichischen Bäuerinnenausschusses, der eine Resolution an alle Parlamentsfraktionen geschickt hat, gerecht zu werden, denn es handelt sich in diesem Fall um echte Härtefälle, da eine Gesetzesänderung im nachhinein nun dazu führt, daß Bäuerinnen, die seit ihrem 14., 15. Lebensjahr schwer arbeiten, aufgrund der Änderung absolut keinen Anspruch mehr haben, nicht einmal auf eine Mindestpension. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

15.50

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Wenitsch. Er hat das Wort.

15.50

Abgeordneter Robert Wenitsch (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In kurzen Worten: 1992 wurde die Neufassung der Pensionsversicherung als große Errungenschaft der Regierung Vranitzky gefeiert. Den Bäuerinnen wurde damals aufgrund des geltenden Rechts zur Versicherung geraten. 1996 wurden diese mittlerweile selbständig versicherten Bäuerinnen im Rahmen der Strukturanpassungsgesetze von derselben Regierung Vranitzky um ihre hart erkauften Rechte betrogen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieses Hohe Haus wird sich im Hinblick auf die Regierung Vranitzky für die Zukunft etwas Neues einfallen lassen müssen, denn eines steht mittlerweile fest: Diese Regierung Vranitzky sagt seit Jahren dem Steuerzahler permanent die Unwahrheit. Auf diese Regierung ist kein Verlaß mehr. Diese Regierung bietet Österreich keine Stabilität. Und mit dieser Regierung Vranitzky gibt es für Österreichs Jugend keine aussichtsreiche Zukunft.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, handeln Sie! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

15.51

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Böhacker. Er hat das Wort.

15.52

Abgeordneter Hermann Böhacker (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Kein Gesetz hat in der letzten Zeit so viel Staub aufgewirbelt wie die Sozialversicherungspflicht besonderer Werkverträge. Finanzexperten, Budgetexperten, Pensionsexperten, Wirtschaftstreuhänder, Rechtsanwälte, die Wirtschaft selbst hat massiv Kritik an dieser Regelung geübt. Und plötzlich – fünf Minuten vor zwölf – scheint auch die Österreichische Volkspartei die Unsinnigkeit dieser Regelung erkannt zu haben.


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35. Sitzung / Seite 112

In einer APA-Aussendung von heute, 14.31 Uhr, sagt Ihr Parteiobmann Schüssel, sehr geehrter Herr Klubobmann Khol: Sozialversicherungspflicht für Werkverträge falsch, wird nicht Bestand haben. Quellensteuer ist in Ordnung.

Als falsches Signal bezeichnete Dienstag ÖVP-Obmann Vizekanzler Wolfgang Schüssel die Sozialversicherungspflicht für Werkverträge. Dieser wirkliche Schönheitsfehler des Sparpakets werde sicher nicht Bestand haben. – Das sind klare, freiheitliche Forderungen.

Ich darf Sie, meine Damen und Herren von der Österreichischen Volkspartei, herzlich einladen, gemeinsam mit uns Freiheitlichen eine Koalition der Vernunft zu bilden und die Besteuerung beziehungsweise Sozialversicherungspflicht bei Werkverträgen wieder abzuschaffen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

An Sie, Herr Bundesminister, noch ein paar Worte: Sie haben bei der Gesetzwerdung, bei Ihrem Vorschlag, Mut bewiesen, indem Sie gesagt haben: Ich verlange nicht die Aufnahme in Verfassungsrang. – Meine Hochachtung dafür!

Nun, Herr Minister, haben Sie den Mut, diese Sozialversicherungspflicht bei Werkverträgen bis Jahresende auszusetzen, damit neu verhandelt werden kann und endlich das gemacht wird, was auch Ihr Koalitionspartner will. (Beifall der Abg. Dr. Partik-Pablé.)

Ich darf noch folgenden Abänderungsantrag einbringen:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Aumayr, Wenitsch, Mag. Haupt zu 216 beziehungsweise 288 der Beilagen.

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die im Titel genannte Regierungsvorlage der Fassung des Ausschußberichtes wird wie folgt geändert:

Im Artikel I wird nach Z 78 folgende Z 78 a eingefügt:

"78 a. In § 255 Abs. 21 wird das Wort ,September‘ durch ,Jänner‘ und die Zahl ,55‘ durch ,49‘ ersetzt."

*****

Dieser Abänderungsantrag gehört zur Regierungsvorlage betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauern-Sozialversicherungsgesetz und das Betriebsbeihilfegesetz geändert werden sollen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

15.54

Präsident Dr. Heinz Fischer: Auch dieser Antrag ist ordnungsgemäß unterstützt und steht mit in Verhandlung.

Die Rednerliste ist erschöpft.

Ich wähle jetzt folgende Vorgangsweise. Das Croquis liegt mir noch nicht vor, da bis zuletzt Anträge eingebracht wurden. Es ist auch eine namentliche Abstimmung verlangt worden. Die Summe aller Abstimmungen wird daher 20 oder 30 Minuten dauern.

Ich frage die Frau Berichterstatterin, ob sie ein Schlußwort wünscht. – Das ist nicht der Fall.

Damit erkläre ich diese Debatte für geschlossen.

Die Abstimmungen werden unter einem und ohne Unterbrechung einer Abstimmung nach den dringlichen Anfragen erfolgen.


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35. Sitzung / Seite 113

Ich unterbreche jetzt die Sitzung bis 16 Uhr und werde um 16 Uhr die erste der beiden dringlichen Anfragen aufrufen.

Das gesamte Abstimmungspaket wird dann nach Fertigstellung des Croquis nach Schluß der dringlichen Anfragen erfolgen.

Die Sitzung ist unterbrochen.

(Die Sitzung wird um 15.55 Uhr unterbrochen und um 16 Uhr wiederaufgenommen. )

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf.


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Dringliche Anfrage

der Abgeordneten Mag. Doris Kammerlander, MMag. Dr. Madeleine Petrovic und Genossen an den Bundeskanzler betreffend "Immerwährende Neutralität" Österreichs (989/J)

Präsident Dr. Heinz Fischer:

Wir gelangen zur dringlichen Behandlung der schriftlichen Anfrage 989/J. Sie ist inzwischen verteilt worden. Es erübrigt sich daher eine Verlesung.

Die dringliche Anfrage hat folgenden Wortlaut:

Die Vertreter der österreichischen Bundesregierung argumentieren in bezug auf Österreichs Neutralität widersprüchlich. Durch Sprachschöpfungen werden die wahren Absichten, nämlich die Unterwerfung unter die verteidigungspolitischen Vorgaben aus Brüssel, verschleiert. Doppelzüngige Botschaften zur Neutralität, je nachdem, ob sich ein Regierungsvertreter in Brüssel oder Wien befindet, beherrschen den diesbezüglichen Diskurs.

Die Bundesregierung ist an der Aufgabe, die Neutralitätspolitik nach der West-Ost-Konfrontation jetzt auch als spezifischen Beitrag für eine europäische und globale Friedensordnung zu entwickeln, gescheitert. Ebenso gescheitert ist sie an der Weiterentwicklung der Kreiskyschen Politik der Neutralität im Nord-Süd-Konflikt.

Im Rahmen der EU-Regierungskonferenz 1996 wird über sicherheitspolitische Kompetenzen der Europäischen Union verhandelt. Nach wie vor ist von einer engen Kooperation – bis zu einem institutionellen Zusammenschluß – von EU und Westeuropäischer Union (WEU) unter Einbindung der NATO die Rede. Andererseits hat sich bei der NATO-Ratstagung in Berlin herauskristallisiert, daß die WEU zum westeuropäischen Pfeiler der NATO weiterentwickelt wird.

Aufgrund der innenpolitischen Debatte in Österreich wird das Einverständnis von Spitzenpolitikern der SPÖ-ÖVP-Koalition mit diesen Vorhaben deutlich. Angesichts der kaum überbrückbaren Differenz zwischen den Positionen der österreichischen Bundesregierung, den Meinungen führender Koalitionspolitiker und der überwältigenden Neutralitätsbefürwortung der Österreicherinnen und Österreicher muß vor einer etwaigen weiteren sicherheitspolitischen Vertiefung der Europäischen Integration eine Volksabstimmung über die Zukunft der österreichischen "immerwährenden Neutralität" und damit den völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Verpflichtungen Österreichs abgehalten werden.

Aus dem Umstand der Stationierung von Nuklearsprengköpfen und Atomwaffen ergibt sich ein enormes grundsätzliches Sicherheitsrisiko auch für die österreichische Bevölkerung. Gemessen an der offiziellen Politik Österreichs gegen die Gefahren aus grenznahen Risikoreaktoren sollte auch hier eine kritische Bewertung und Positionierung erfolgen. Immerhin könnten mit rund 2 Prozent der rund 5 000 Milliarden Schilling der Rüstungsausgaben der NATO-Mitglieder alle Blöcke der zwölf gefährlichsten Atomkraftwerke (20 000 Megawatt) im Osten ersetzt werden. Eine zukunftsweisende Sicherheitspolitik im Sinne der Sorgen der Bevölkerung könnte etabliert werden.

 

Dringliche Anfrage

1. Sind Sie bereit, jede weitere Einschränkung beziehungsweise die Aufgabe der Neutralität vom Ergebnis einer Volksabstimmung, wie es ebenfalls SPÖ-Spitzenkandidat für die Europawahlen Hannes Swoboda gefordert hat, abhängig zu machen?

2. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Neutralitätsgesetzes (598 der Beilagen VII. GP) heißt es ausdrücklich: "Der Gesetzesbefehl der Vorlage richtet sich auch an die vollziehende Gewalt und insbesondere an die Bundesregierung".

a) Sind Sie daher bereit, gegen alle Spekulationen von Regierungsmitgliedern über einen NATO- oder WEU-Beitritt aufzutreten?

b) Werden Sie in Zukunft sicherstellen, daß alle Mitglieder der Bundesregierung, insbesondere in Zusammenhang mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in den Institutionen der EU, diesem Gesetzesbefehl Folge leisten?

3. Schließen Sie sich der Überzeugung an, daß der nationale Konsens über das Ziel eines atomfreien Europas selbstverständlich die Forderung mit einschließt, alle Atomwaffen zu beseitigen, und dieser nationale Konsens jedenfalls einen Beitritt zu einem nuklearbewaffneten Militärbündnis ausschließt?

4. Nach einer Studie des Pentagons müßten die potentiellen Neumitglieder der NATO, Polen, Tschechien und Ungarn, bis ins Jahr 2010 124 Milliarden Dollar investieren, um ihre Armeen auf NATO-kompatible Waffensysteme umzustellen. Halten Sie eine solche horrende Aufrüstung in Europa und die daraus folgende wirtschaftliche Belastung für die Europäische Integration und eine friedliche und demokratische Entwicklung dieser Länder für verantwortbar?

5. Sind Sie bereit – insbesondere vor dem Hintergrund von Budgetkrise und Arbeitslosigkeit –, die Kosten offenzulegen, die durch einen Beitritt zur NATO oder WEU dem österreichischen Steuerzahler erwachsen würden?

6. Zielen Ihre jüngsten Aussagen im Hinblick auf die Prüfung einer Liberalisierung des österreichischen Kriegsmaterialiengesetzes darauf ab, die marode österreichische Rüstungsproduktion auszuweiten und in den sich neuformierenden westeuropäischen Rüstungsmarkt einzubinden?

7. Bei der 9. Tagung der Regierungsbeauftragten am 6. Juni 1996 wurde im Hinblick auf die Frage der Entscheidungsfindung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU von den anderen neutralen EU-Mitgliedern Schweden und Finnland die Beibehaltung einer Vetomöglichkeit gefordert. Österreich hat sich mit dieser Frage für Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit ausgesprochen. Wie soll mit qualifizierter Mehrheit und ohne Vetorecht in der GASP den verfassungs- und völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs zur immerwährenden Neutralität entsprochen werden?

8. Sind Sie bereit, die sich aus den bestehenden Einstimmigkeitsregeln ergebenden Möglichkeiten in Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bei der Regierungskonferenz dazu zu nutzen, ein tatsächliches System kollektiver Sicherheit unter der Oberhoheit von UNO und OSZE anzusteuern, anstatt NATO und WEU als Rahmen für eine militärisch ausgerichtete europäische Sicherheitspolitik hinzunehmen?

In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung dieser Anfrage zum frühestmöglichen Zeitpunkt verlangt.

*****

Präsident Dr. Heinz Fischer: Die Frau Abgeordnete Mag. Doris Kammerlander erhält als erste Fragestellerin zur Begründung der Anfrage nach § 57 Abs. 1 der Geschäftsordnung das Wort. – Bitte, Frau Abgeordnete.


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35. Sitzung / Seite 115

16.00

Abgeordnete Mag. Doris Kammerlander (Grüne): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen Tagen zieht sich ein Schauspiel durch die österreichischen Medien, das wir eigentlich schon fast gewohnt sind, denn seit Monaten, ja fast seit Jahren, geht es darum, wie die Weichenstellung und die Zukunft für Österreich im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik aussehen werden, welche Optionen die Bundesregierung diesbezüglich aufstellt und wie die Regierung – allen voran Sie, Herr Bundeskanzler – denn gedenkt, mit der Frage der immerwährenden Neutralität Österreichs zu verfahren.

Vielfach wird dieses Schauspiel auch kommentiert und durchaus zu Recht als Eiertanz bezeichnet, den Sie hier aufführen, der immer anders ausschaut, je nachdem, welche Regierungsvertreter in Brüssel oder in Wien sprechen und österreichische Interessen vertreten.

Lassen Sie mich daher zu Beginn eine Reihe von Zitaten bringen, die beleuchten und untermauern, wie unterschiedlich hier die Auffassungen und Interessen Österreichs vertreten werden.

Beginnen möchte ich mit dem Spitzenkandidaten der SPÖ für die Europawahlen, Stadtrat Swoboda, der erst vor kurzem wieder gesagt hat: Wir anerkennen die NATO als militärische Organisation und auch in ihrer Bedeutung für Sicherheit und Frieden. Interessanterweise hat er dann noch eine eigentümliche Definition hinzufügt, indem er gesagt hat: Wo die Europäische Union ist, herrscht Frieden, wo die Union noch nicht ist, gibt es Konflikte und Spannungen. – Das scheint seinen Hintergrund zu beleuchten, wenn es um die Sicherheitspolitik geht, die im übrigen in seinen Ausführungen überhaupt sehr widersprüchlich gerät.

Etwas später hat er gesagt: Man kann nicht wegschauen, wenn ein anderer angegriffen wird. Und weiters: Ich kann mir vorstellen, daß Österreich in einem neuen europäischen Sicherheitssystem die gleiche Position hat wie andere Länder.

Die Neutralität hat er folgendermaßen definiert: Ich möchte eine offensive und flexible Neutralität.

Eine solche Begrifflichkeit von "offensiv" und "flexibel" ist offensichtlich wirklich notwendig, wenn man seine Meinungsschwankungen in den letzten Monaten verfolgt, denen er im Zusammenhang mit diesem Thema unterlegen ist.

Am 12. Juni äußerte sich der SPÖ-Spitzenkandidat folgendermaßen: Die EU-Länder sollten eine gegenseitige Beistandspflicht im Falle eines militärischen Angriffes eingehen, und da sei es selbstverständlich, daß man sich im Verteidigungsfall innerhalb der Europäischen Union gegenseitig zu Hilfe kommt. Zur Verstärkung noch: Es gehe keinesfalls darum, daß sich die Neutralen die Extrawürste herausklauben könnten.

Da ist ihm jedoch ein Widerspruch zu einer anderen Äußerung aufgefallen, die er in einem Streitgespräch mit dem grünen Spitzenkandidaten zur Europawahl, Johannes Voggenhuber, getätigt hat, nachzulesen im "NEWS", wo er auf die Frage, ob eine Volksabstimmung notwendig ist, wenn die Neutralität aufgegeben wird, gesagt hat: Wenn die Regierung der Meinung ist, daß die Neutralität aufgegeben werden sollte, sollte das Volk befragt werden. Dieser Widerspruch scheint ihm aufgefallen zu sein, als er zur Beistandspflicht aufgerufen und davon gesprochen hat, daß sich die Neutralen keine Extrawürste herauspicken dürften. Denn am selben Tag hat er seine Erklärung bereits wieder abgeschwächt und gemeint, daß natürlich die Neutralität damit nicht in Frage gestellt werden dürfe und daß seine Aussage über eine Beistandspflicht nur für einen Extremfall gelten dürfe. Das alles sollte man unter dem Licht sehen, daß er die Neutralität als flexibel definiert. – Da braucht man wirklich einigermaßen Flexibilität, um dem noch folgen zu können.

Oder aber – und das scheint auch sehr logisch zu sein, verfolgt man die Politik der SPÖ überhaupt in dieser Frage – Sie versuchen hier einen Spagat, der nicht gelingen kann, einen Spagat zwischen einem Beitritt zur NATO, zur Westeuropäischen Union und der Aufrechterhaltung der Neutralität. Diesen Spagat versuchen Sie offensichtlich noch bis zur Europawahl zu halten, um damit auch ganz wichtige Wählersegmente abzudecken, um zumindest den Schein zu wahren, als würden Sie die Neutralität nie wirklich in Frage stellen. (Beifall bei den Grünen.)


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35. Sitzung / Seite 116

Ihr Regierungskollege von der anderen Koalitionspartei, der ÖVP, Verteidigungsminister Fasslabend, ist da direkter. Er spricht davon, daß die EU-Länder im Fall eines militärischen Angriffes eine gegenseitige Beistandspflicht eingehen sollen. Er begrüßt diese Äußerung Ihres Spitzenkandidaten Swoboda und meint, es seien jetzt grundsätzlich Überlegungen anzustellen, zu einer Stärkung der europäischen Verteidigungsidentität zu kommen.

Im folgenden Zitat vom 3. Juli spricht er davon, daß die Neutralität allmählich wirkungslos und überflüssig wird und daß Österreich sich eine Entscheidung über die weiteren Schritte vorbehalten beziehungsweise diese Entscheidung noch vor einer Beschlußfassung der NATO über die Osterweiterung, die Anfang 1998 stattfinden wird, fällen wird. Österreichs Neutralität wäre jedenfalls mit zunehmender Integration allmählich wirkungslos und überflüssig.

Interessanterweise ist dieses Zitat in einer Presseaussendung zu finden, in der es vor allem um die Grundsatzentscheidung eines weiteren Ankaufes von Waffen beziehungsweise einer weiteren Aufstockung von Militärmitteln im österreichischen Bundesheer geht. Das zeigt schon einen der Zusammenhänge in dieser Debatte auf, wie eng verflochten die Frage eines Beitritts zu einem Militärbündnis, die Frage der Aufrechterhaltung der Neutralität und die Frage der Rüstung und der Aufrüstung, Waffenhandel und Rüstungsproduktion überhaupt ist.

Diese Debatte hat, wie ich eingangs gesagt habe, am Wochenende wieder einen Höhepunkt und weitere Aktualität erreicht, als unser Bundespräsident gesagt hat, wir hätten 50 Jahre lang unsere Rolle gespielt, die der Neutralität. Nun hätte sich das komplett geändert und Österreich suche eine neue Rolle in Europa. Der Osten ist nicht mehr der Osten des kalten Krieges, die NATO ist nicht mehr die NATO des kalten Krieges, und die Neutralität ist nicht mehr die Neutralität. Ein sehr einfaches Weltbild scheint sich dahinter zu verbergen, und die Frage wirft sich auf, ob unser Bundespräsident sich mit diesen Äußerungen überhaupt noch im Verfassungsbogen, den sein Klubobmann in anderen Fällen immer gerne auslegt, befindet. (Beifall bei den Grünen.)

Aber, Herr Bundeskanzler, Sie haben an diesem Wochenende mit Ihrer Reaktion auf diese Äußerungen des Bundespräsidenten auch aufhorchen lassen. Sie haben eine klare Distanzierung, um nicht zu sagen, Kritik diesen Äußerungen gegenüber vermissen lassen. Aber Sie haben nicht nur diese Distanzierung vermissen lassen, sondern Sie haben in Ihrer Aussage dem Bundespräsidenten sogar insofern recht gegeben, als Sie gesagt haben, die NATO hätte sich auf den Weg gemacht, in acht bis zehn Jahren eine andere NATO zu sein. (Abg. Hans Helmut Moser: In vier Jahren!)

Das läßt aufhorchen, denn bisher war Ihre Haltung eine andere. Ich zitiere aus einer Wahlkampfbeilage der Zeitschrift "International", die, glaube ich, jeder Abgeordnete bekommt. In dieser letzten Nummer hat die SPÖ eine mehrere Seiten umfassende Propagandainformation über ihre Haltung und Meinung zur Europäischen Union veröffentlicht. In dieser Beilage schreiben Sie und Ihre Partei noch ganz beruhigend: Die SPÖ plädiert für die Beibehaltung der Neutralität und hat auf EU-Ebene massive Bemühungen unternommen, das Thema Beschäftigungspolitik zum Inhalt der Konferenz zu machen. Weiters meinen Sie, daß es Ihrer Meinung nach darum geht, ein sicheres und soziales Europa zu schaffen, und daß es nicht darum geht, der NATO oder WEU beizutreten.

Durch diese Diskrepanz zwischen einer Wahlkampfinformation, die erst jetzt in die Hände einer durchaus erklecklichen Anzahl, so nehme ich an, von Wählerinnen und Wählern kommt, und Ihrer Haltung und Meinung zu den Äußerungen des Bundespräsidenten Klestil ergibt sich allerdings einiger Erklärungsbedarf. Das ist auch die Begründung der Dringlichkeit unserer Anfrage. Wir denken, es geht nicht länger an, daß Sie in einer derart schlampigen Art und Weise – und ich möchte das wirklich so bezeichnen – mit einer Verfassungsbestimmung umgehen, daß Sie in einer derart unzulässigen, fast skandalösen Art und Weise eine Debatte in Österreich nicht führen, die zu führen an und für sich höchst an der Zeit ist, nämlich: Wie schaut der österreichische Beitrag zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik tatsächlich aus?

Ich möchte Sie nur erinnern: Erst vor einigen Tagen haben wir im Außenpolitischen Ausschuß erlebt, wie die Koalitionsparteien mit dieser sehr, sehr wichtigen und sensiblen Frage umgehen.


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35. Sitzung / Seite 117

Sie haben sie nämlich entsorgt in einem Unterausschuß, der ad hoc eingerichtet wurde, ohne daß das vorher je abgeklärt oder abgesprochen worden wäre. In diesem Unterausschuß wurden nicht nur jene 350 000 Unterstützer und Unterstützerinnen des Volksbegehrens für die Aufrechterhaltung der Neutralität mit ihrem Antrag entsorgt, in diesem Unterausschuß wurde auch ein Antrag der liberalen Fraktion auf WEU-Beitritt entsorgt. Und ein anderer Antrag der Freiheitlichen betreffend den NATO-Beitritt wurde von der Tagesordnung genommen und vertagt.

Jetzt geht es nicht darum, daß ich die Anträge der anderen Oppositionsparteien verteidigen möchte – vor dem Hintergrund, den ich habe, sind sie nicht das, was ich will –, aber es geht um die Vorgangsweise, die hier gewählt wurde: Man meidet bewußt eine Debatte über einen ganz wichtigen zentralen politischen Punkt, nämlich über den Beitrag zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Man meidet die Debatte darüber, wie sich Österreich entscheiden soll, was die Optionen sind, und glaubt offensichtlich, dieses Thema Neutralität schlicht und einfach aussitzen zu können. (Beifall bei den Grünen, bei Abgeordneten des Liberalen Forums sowie des Abg. Dr. Graf. )

Wenn Sie nicht gewillt sind, in einem Ausschuß und in einer Plenardebatte dieses Thema zu diskutieren, dann müssen wir dieses Thema eben im Zuge einer dringlichen Anfrage hier einbringen und hier diskutieren.

Es geht um die Frage der NATO, der WEU; die NATO hat sich auf den Weg gemacht, eine andere zu werden. Bundespräsident Klestil sieht das bereits als ein Ergebnis, sie ist eine andere. Diskutieren wir doch darüber: Was hat sich denn wirklich geändert an diesem Bündnis? Was ist anders geworden, das Sie dazu bewegt, zu dieser Schlußfolgerung zu kommen? Was hat sich am Bedrohungsszenario in Europa geändert? – Ich weiß schon, Sie argumentieren damit, daß sich seit dem Fall des Eisernen Vorhanges 1989, seit der Auflösung des Warschauer Paktes einiges bezüglich der Optionen geändert hat. Sie tun aber immer so – und das ist einer der großen Mythen, die mit der NATO verbunden sind –, als wäre die NATO immer nur ein reines Verteidigungsbündnis gewesen für Europa, für Westeuropa gegenüber dem Warschauer Pakt.

Das stimmt aber nicht, wie Sie sehen können, wenn Sie sich die Geschichte der NATO genau anschauen. Die NATO war immer auch eine Interventionsstreitkraft, die NATO war verwickelt in Interventionen auch außerhalb Europas, nur ein Beispiel: Vietnam. Die NATO hat Hilfe geleistet, etwa logistische Hilfe für totalitäre Regime. Sie hat sehr wohl in den verschiedenen Bereichen, vor allem auch in den logistischen Bereichen, eingegriffen und interveniert. Also dieser Mythos, daß die NATO ein reines Verteidigungsbündnis war, stimmt einfach nicht.

Ein anderer Mythos ist – der Klubobmann der ÖVP hat das erst neulich wieder in einem Kommentar beschrieben –, daß die NATO den Frieden in Europa gesichert hat. Wie hat denn die NATO den Frieden in Europa gesichert? Mit einer Rüstungsspirale, mit einer Abschreckungspolitik und -philosophie wurde nicht ein Frieden gesichert, sondern wurde gesichert, daß es zu keinem Ausbruch von militärischen ... (Abg. Scheibner: Wäre Ihnen das andere lieber gewesen?)

Nein, es wäre mir nicht lieber gewesen, aber man soll auseinanderhalten, was Frieden ist und was Abschreckung ist (Abg. Scheibner: Da gehören aber immer zwei dazu!), und man soll keinen Mythos bilden, als wäre die NATO eine Friedenstruppe. Das ist sie nicht, das war sie nicht, und das wird sie nie sein! (Beifall bei den Grünen.)

Was hat sich denn geändert? Nach wie vor besteht das Konzept der atomaren Abschreckung, des atomaren Ersteinsatzes. Und da frage ich Sie, Herr Bundeskanzler, wie Sie das vereinen können mit einem durchaus nationalen Konsens, daß es zu einer atomwaffenfreien Zone in Europa kommen soll, damit, daß sich Österreich nicht an Einsätzen mit atomaren Waffen beteiligen will und soll.

Bei all diesen Debatten, die Sie führen, wenn Sie sagen, die NATO habe sich auf den Weg gemacht, eine andere zu werden, unterlassen Sie es, darauf hinzuweisen, daß nach wie vor dieses Konzept der atomaren Abschreckung und des atomaren Ersteinsatzes weiter gilt.


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35. Sitzung / Seite 118

Ich frage Sie: Gibt es heute weniger Atomraketen als vor 10 oder 20 Jahren? In keiner Weise gibt es weniger. Die Vernichtungsgefahr ist dieselbe geblieben wie vor 10 oder 20 Jahren. Ebenso ist die Philosophie – um noch einmal darauf hinzuweisen –, die hinter einem Militärbündnis steht, das sich immer als Interventionsstreitkraft verstanden hat, dieselbe.

Seit den achtziger Jahren wird auf der Ebene der Europäischen Union über die Out-of-area-Einsätze diskutiert. Das sind also jene Einsätze, die in anderen Ländern außerhalb Europas stattfinden – sie sind inzwischen auch beschlossen –, zur Wahrung und Sicherung der Interessen Europas, wenn es um die Sicherung der Rohstoffe geht. Das hat nichts mit Verteidigung zu tun, das hat überhaupt nichts mit Frieden zu tun, das sind klassische Interventionseinsätze.

Daher noch einmal die Frage: Was hat sich denn Ihrer Meinung nach geändert? Wenn Sie von einem Bedrohungsszenario reden und wenn Sie davon reden, daß sich dieses Bedrohungsszenario verändert hat, dann reden wir darüber, was und wo die Bedrohungen Europas heute sind. Diese "Bedrohungen" – unter Anführungszeichen –, die wir heute haben, das sind Krisenanfälligkeiten auf sozialer Ebene, auf wirtschaftlicher Ebene, auf demokratischer Ebene, die sicher einige Länder des früheren Ostens haben. Aber die Frage ist, ob es richtig ist, darauf mit Waffen, mit einem Militärbündnis, mit einer Interventionsstreitkraft zu antworten.

Wie schauen denn Ihre Bedrohungsszenarien aus, wenn es zu einer Osterweiterung kommt? Wie schauen denn Ihre Bedrohungsszenarien aus, wenn sich die NATO heute bis an die russische Grenze erstreckt? Ist für Sie Rußland wirklich das Bedrohungsszenario? Oder wo hört denn diese NATO-Grenze auf, daß Sie sagen können, die Sicherheit ist jetzt hergestellt? Oder wie definieren Sie die Bedrohung? Auf das alles gehen Sie nicht ein. Warum? – Sie wollen gar nicht darauf eingehen, Sie wollen darstellen: Die NATO hat sich auf den Weg gemacht, eine andere zu sein. Die NATO ist eine andere, sie ist heute eine Friedenstruppe, die uns den Frieden bringt.

Sie vergessen aber, darauf einzugehen und zu erwähnen, daß sich an der Konzeption, daß sich an der Rüstung, daß sich an der Stärke, an der Ausrichtung dieses Militärbündnisses im Prinzip nichts geändert hat.

Zum nächsten: zur Einschätzung des Beitrittes zur Westeuropäischen Union. Da, denke ich, ist die Einschätzung der ÖVP, auch des Klubobmannes Khol, durchaus richtig: Die Westeuropäische Union ist das Vorzimmer der NATO. Mehr denn je, vor allem nach dem Berliner Gipfel ist es klar – auch hier hat Bundespräsident Klestil recht –: Westeuropäische Union und NATO sind eine Einheit.

Sie aber, Herr Bundeskanzler und einige Vertreter Ihrer Fraktion, tun gerne so, als wäre die Westeuropäische Union das harmlosere Bündnis, denn da ist das alles noch nicht so genau festgelegt, alles noch offener und nicht so klar. Daher ist es momentan nicht so gefährlich, das in die Diskussion einzubringen, als wäre das eine Option. Sie unterlassen es hier genauso, darauf hinzuweisen, daß eben die Westeuropäische Union nichts anderes ist als das Vorzimmer der NATO.

Sie und auch die Vertreter der beiden Koalitionsparteien reden in Ihren Erklärungen immer wieder so rühmend von den Petersberger Erklärungen und davon, wie wichtig es für ein Land wie Österreich ist, im Rahmen dieser Petersberger Erklärungen auch seinen Beitrag zu leisten.

Sie erwähnen dann im Zusammenhang mit diesen Petersberger Erklärungen immer die humanitären Aufgaben, die Rettungseinsätze, die friedenserhaltenden Aufgaben. Sie vergessen auch hier zu sagen: Der zweite Teil dieser Petersberger Aufgaben – und den erwähnen Sie nie – sieht nämlich Kampfeinsätze zur Krisenbewältigung und eindeutig auch Peace-making vor, also Kampfeinsätze zur Herstellung des Friedens. (Abg. Dr. Frischenschlager: Das hat der Pilz immer verlangt!) Was immer das heißen mag, es ist eben offen. Und vergessen Sie nicht, daß das im Lichte der letzten Entwicklungen bedeutet, daß solche Einsätze auch unter dem atomaren Schirm durchgeführt werden können und sollen und gewollt sind. Aber das erwähnen Sie nicht. Sie tun immer so, als würde es sich hier um eine humanitäre Organisation handeln. (Beifall bei den Grünen.)


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Eine weitere Frage, die anzusprechen immer tunlichst unterlassen wird, ist die Frage: Was kostet denn überhaupt dieser Beitritt zur NATO oder auch zur WEU?

Verteidigungsminister Fasslabend tut so, als wären wir im Ausverkauf, und bietet uns den Beitritt zur Westeuropäischen Union fallweise auch schon zum Sonderangebot, mit Rabatt an. Er meint, der Beitritt würde Österreich eigentlich ohnehin nichts kosten, denn wenn alle anderen Länder beitreten, dann werden eben die ihre Rüstungssysteme umstellen, und wir können uns dann mit einem relativ kleinen Beitrag durchschwindeln und so viel billiger fahren, als würden wir allein beitreten. Das ist gleich sein Argument für die NATO-Osterweiterung.

Auch hier wird tunlichst verschwiegen, was längst anhand von durchaus seriösen Untersuchungen auf dem Tisch liegt und auch durch Aussagen von führenden Militärs des Landesverteidigungsministeriums belegt ist: Die Mindestkosten eines NATO-Beitrittes betragen das Doppelte des Landesverteidigungsbudgets, das heißt also, es ist eine Verdoppelung von 20 auf 40 Milliarden notwendig. (Abg. Hans Helmut Moser: Wer sagt denn das?) Das ist das mindeste. (Abg. Scheibner: Können Sie die Kosten aufschlüsseln?) Diese Kosten sind aufgeschlüsselt worden, und Sie können sie nachlesen in der Zeitschrift "NEWS" aus dem vorigen Jahr: Aufstockung des Personals, höherer Sachaufwand durch die NATO-Übungen, höhere Investitionen, die Umstellung des Militärs, all das bringt eine Mindestverteuerung von 20 auf 40 Milliarden. (Abg. Scheibner: Bringen Sie die Alternative!)

Aber es ist ohnedies logisch. Schauen Sie sich den Durchschnitt des Verteidigungsbudgets in den 16 NATO-Mitgliedsländern an. Der Durchschnitt des Verteidigungsbudgets beträgt 3,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Wenn wir das erreichen wollten, dann hätten wir ein Verteidigungsbudget in der Höhe von 72 Milliarden. Das ist wohl völlig unrealistisch, das kann man festhalten.

Aber ich frage Sie: Wie wollen Sie allein diese Steigerung von 20 auf 40 Milliarden vor der Bevölkerung vertreten? Wir haben erst vor zwei Monaten in diesem Haus eine Diskussion über die Sparpakete für die nächsten zwei Jahre gehabt. (Abg. Scheibner: Bringen Sie die Alternative!) Hier wurden Streichungen bei den Sozialleistungen vorgenommen, die Familien wurden regelrecht geschröpft, die Familienbeihilfen gekürzt. Das nächste Sparpaket steht vor der Tür, es wird notwendig sein, trotz der Beteuerungen, daß keines kommen wird. Und Sie reden locker davon, daß das eine Priorität ist, die Österreich in diesem Bereich zu setzen hat, obwohl ein NATO-Beitritt mindestens eine Verdoppelung des Landesverteidigungsbudgets erfordert, ungeachtet aller sozialen und wirtschaftlichen Anstrengungen, die Österreich unternehmen sollte, ja ungeachtet dessen, daß Sie sich in einem Widerspruch zu Ihren eigenen Aussagen befinden, Herr Bundeskanzler, wenn Sie sagen, das zentrale Anliegen der Regierungskonferenz sei die Beschäftigungspolitik. Wie wollen Sie denn Beschäftigung sichern und ermöglichen, wenn Sie das Geld in die Aufstockung des Landesverteidigungsbudgets pulvern? (Beifall bei den Grünen.)

Fragen Sie doch die Österreicher und Österreicherinnen, was sie lieber wollen, ob sie lieber Radpanzer und Schützenpanzer oder lieber eine ordentliche Familienbeihilfe wollen. Fragen Sie doch die Österreicher und Österreicherinnen, ob sie lieber neue Abfangjäger als Nachfolger der Draken wollen oder ob sie lieber eine Sicherung ihrer Arbeitsplätze, eine Mindestsicherung ihrer sozialen Situation wollen. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Dr. Stummvoll: So eine Polemik! Das ist ja unglaublich!)

Aber diese Antworten scheuen Sie natürlich, denn – und das kommt nicht von mir, das haben auch schon andere Kommentatoren in den letzten Monaten festgestellt – es wäre vermutlich leichter für Sie, eine Volksabstimmung über die Inbetriebnahme von Zwentendorf zu gewinnen, als – angesichts der sozialen und finanziellen Situation, in der wir uns befinden – eine Volksabstimmung darüber zu gewinnen.

Die einzigen, die davon profitieren – das sei hier auch einmal festgehalten –, sind das österreichische Bundesheer – seine Existenz ist dann gesichert – und die Rüstungsindustrie. Auf diesen Zusammenhang mit der Rüstungsindustrie und der NATO-Erweiterung und auch eines NATO-Beitrittes Österreichs möchte ich noch eingehen.


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Der nächste Punkt – und da sind wir ja bei diesem Fall –: Uns wird immer von Ihnen und den Vertretern der Regierung vorgeworfen, Österreich würde Trittbrettfahrer sein, wenn wir hier nicht mitmachen und uns nicht an einer NATO-Erweiterung beteiligen.

Zum einen frage ich mich: Was wäre denn so schlimm daran, Trittbrettfahrer zu sein, wenn Sie das so bezeichnen wollen? Wir haben einen neutralen Status, und wenn Ungarn, Slowenien, Tschechien und Polen der NATO beitreten, dann frage ich Sie: Was stört Sie daran, daß wir neutral bleiben, aber durchaus partizipieren und teilnehmen an einer gemeinsamen Außenpolitik der Europäischen Union? Was stört Sie eigentlich daran? Was soll daran diskreditierend sein? Abgesehen davon, daß auch der Verteidigungsminister festgestellt hat, daß es uns sogar noch billiger käme. Die Frage ist aber politisch zu beantworten.

Schauen Sie sich diese NATO-Osterweiterung einmal an. Nach einer Studie des amerikanischen Verteidigungsministeriums würde die NATO-Osterweiterung für diese Länder 124 Milliarden Dollar kosten. (Abg. Hans Helmut Moser: Das stimmt ja nicht! Das ist eine theoretische Berechnung, die nicht stimmt!) Das ist ein Betrag, der für uns kaum mehr vorstellbar ist. Und ich frage Sie, wie glaubwürdig Sie mit Ihrer Politik sind, wenn Sie immer wieder beteuern, daß Sie für eine Osterweiterung sind, und zwar nicht in militärischer, in verteidigungspolitischer Hinsicht, sondern in wirtschaftlicher Hinsicht, in Hinsicht auf die Europäische Union.

Sie treten immer wieder dafür ein, Sie sind – in einer eigenartigen Parallelität – für ein Kerneuropa und die Osterweiterung. Ich könnte das natürlich so interpretieren: Sie sind für Kerneuropa, was die wirtschaftliche Seite Europas betrifft, und Sie sind für die Osterweiterung, was die verteidigungspolitische Seite betrifft, denn anders kann sich das nicht ausgehen. Das untermauern auch diese Studien und Untersuchungen. Wenn diese Länder diesen Betrag tatsächlich aufbringen müssen – und der ergibt sich daraus, daß sie ihre Waffensysteme umstellen und an die Erfordernisse der NATO adaptieren müssen –, dann können sie vergessen, jemals die Kriterien einer Wirtschafts- und Währungsunion auch nur annähernd zu erreichen und auch nur in die Nähe eines Beitrittes zur Europäischen Union zu kommen.

Ich kann nur hoffen, daß die Regierungen dieser Länder auf diese Tücke und auf diese Falle draufkommen, daß ihnen mit der NATO-Osterweiterung zwar eine dieser kleinen Türen, eine Falltüre, zur Europäischen Union geöffnet wird, aber das große Tor verschlossen bleibt.

Die Frage ist natürlich – und Sie haben sie auch schon gestellt –: Was sind die Alternativen, die wir dafür vorschlagen? Ich möchte zunächst einmal Sie zitieren, Herr Bundeskanzler Vranitzky. Am 14. Juni haben Sie in einer Presseaussendung gesagt: In all diesen Bereichen könne und werde Österreich einen substantiellen Beitrag leisten. Und Sie haben dann aufgezählt die Teilnahme an der Friedenstruppe in Bosnien, eine aktive Mitarbeit an der NATO-Partnerschaft für den Frieden, die Petersberger Aufgaben, wie schon erwähnt, und eine solidarische Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich.

Ich möchte in einigen Fällen durchaus kritisch darauf eingehen. Allein Ihre Haltung im Rahmen einer aktiven Außenpolitik läßt alles vermissen, was wir darunter verstehen. Wir verstehen Neutralität keineswegs so, daß wir nichts tun sollten, uns nicht beteiligen sollten an dieser Debatte. Wir verstehen Neutralität durchaus so, daß Sie sich aktiv daran beteiligen sollten, wie denn diese Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ausschauen soll. (Beifall bei den Grünen.)

Wie aber können Sie sich denn in diesem Zusammenhang erklären, Herr Bundeskanzler, daß Österreich bei der Sitzung zur Regierungskonferenz am 6. Juni 1996, in der es um die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gegangen ist, nicht für die Beibehaltung der Vetomöglichkeit eingetreten ist? Alle anderen neutralen Staaten, Schweden und Finnland, sind für die Beibehaltung der Vetomöglichkeit im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik eingetreten, nämlich durchaus im Sinne einer aktiven Außenpolitik, daß sie sagen, wenn grundlegende nationale Interessen das erfordern, wollen sie ein Veto haben. Und diese grundlegenden nationalen Interessen sollen und wollen diese Länder selbst definieren.


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Österreich hat aber diesen Anspruch überhaupt nicht für sich erhoben. Österreich hat sich einfach den Vorschlägen Deutschlands angeschlossen, den Vorschlägen der Mehrheit der anderen Länder angeschlossen. Österreich hat es am 6. Juni in Brüssel wieder einmal verabsäumt, irgendwelche eigenen Vorstellungen zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einzubringen. (Beifall bei den Grünen.)

Gleichzeitig versichern Sie uns in den entsprechenden Gremien, das Thema Außen- und Sicherheitspolitik würde bei der Regierungskonferenz noch gar nicht behandelt werden, wir hätten Zeit bis zum Herbst. Wie gesagt, diverse Anträge werden von der Tagesordnung genommen oder entsorgt. Es wird uns gesagt, es sei noch gar nicht das Thema. Inzwischen beraten die Vertreter der Mitgliedsländer in Brüssel bereits über die Details dieser Fragen, und Österreich nimmt daran quasi nicht teil. Es bringt keine eigene Meinung, keinen eigenen Standpunkt ein. Es schließt sich immer der Mehrheitsmeinung an. Das ist nicht unser Verständnis von aktiver Außenpolitik, und das ist nicht unser Verständnis von Neutralitätspolitik. (Beifall bei den Grünen.)

Lassen Sie mich nur bei einem Beispiel bleiben, um eine Alternative aufzuzeigen. Österreich hat sich nach dem Abkommen von Dayton an den IFOR-Truppen beteiligt, und das hat Österreich in etwa 1996 300 Millionen Schilling gekostet, wenn man das einmal so sehen will. Das aber, was unserer Meinung nach heute und in Zukunft notwendig sein wird, um diesen Waffenstillstand und die Durchführung dieses Abkommens auch wirklich sicherstellen zu können, ist sehr, sehr viel mehr als nur Geldmittel, sondern das sind sehr viel mehr präventive Maßnahmen, sind sehr viel mehr zivile Aufbaumaßnahmen, Wiederaufbaumaßnahmen. Es ist zu gewährleisten, daß die Wahlen in Bosnien tatsächlich durchgeführt werden können. Es ist zu gewährleisten, daß die Flüchtlinge in ihre Gebiete zurückkehren können. Es sind viele, viele begleitende Arbeiten in diesem Bereich des Aufbaus zu leisten, des zivilen Lebens in Bosnien. Wir denken, wir wären besser beraten, anstatt 300 Fernfahrer nach Bosnien zu schicken, die, was diesen Aspekt betrifft, das Kraut wirklich nicht fett machen, dort einzutreten und uns dort einzusetzen, wo die Stärken Österreichs liegen (Beifall bei den Grünen), und ich denke, daß diese Stärken durchaus beim zivilen Aufbau, in der humanitären Hilfe liegen, was jetzt genauso dringend notwendig ist wie vor einem Jahr oder wie zum Zeitpunkt des Abkommens von Dayton. Das wäre eine der möglichen Alternativen.

Warum kann sich Österreich nicht, statt als voreiliger Musterschüler zu glauben, einem Militärbündnis unter völlig ungeklärten Voraussetzungen beitreten zu wollen oder zu können, auf jene Stärken berufen und besinnen, die es zweifelsohne hat, die es als neutrales Land auch weiter ausführen und ausüben kann. Es kann in dieser Situation durchaus als Vermittler, als unterstützendes Land auftreten und mehr Geldmittel als bisher, die eine Lächerlichkeit sind gegenüber dem, was nötig ist, zum Beispiel für Wahlbeobachtungen in Bosnien einsetzen, um dafür die Garantie zu geben, daß diese Wahlen wirklich durchgeführt werden können. (Beifall bei den Grünen.)

Herr Bundeskanzler! Lassen Sie mich am Schluß noch einmal unsere dringendsten Anliegen, die wir mit dieser Anfrage verbunden haben, wiederholen. Die Bevölkerung hat unserer Meinung nach ein Recht auf eine klare Auskunft, was die Absichten Österreichs sind, wenn es um diese Außen- und Sicherheitspolitik geht, und auf eine klare Auskunft darüber: Gibt es eine Volksabstimmung, wenn die Neutralität aufgelassen wird? Gibt es eine Volksabstimmung bei einem Beitritt zur Westeuropäischen Union? Gibt es eine Volksabstimmung bei einem Beitritt zur NATO oder überall dort, wo die Neutralität aufgeweicht wird? – Das, was wir konstatieren, ist eine sukzessive Aufweichung der Neutralität, ein sukzessives Verlassen der gesetzlichen Ebene und keine klare Antwort auf diese Frage.

Und sehen Sie: Nicht wenige Menschen haben dieses Volksbegehren unterstützt, und ich denke mir, sie und alle anderen verdienen diese klare Antwort auf diese Frage. Sie sollten nicht ein Volksbegehren in einem Unterausschuß entsorgen, und Sie sollten nicht glauben, daß Sie mit dieser Antwort einfach bis nach den Wahlen warten und so tun können, als würde diese Frage jetzt nicht existieren. (Beifall bei den Grünen.)


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Eine zweite Frage ist dringend und braucht eine Antwort. Sie haben schon bei dem EU-Beitritt keine klaren Angaben darüber gemacht, wieviel dieser Beitritt Österreich kosten wird. Sie haben weitaus niedrigere Zahlen angegeben. Sie haben beschwichtigt, Sie haben beschönigt. Sie haben Kritiker und Kritikerinnen, die das in den Medien aufgezeigt haben, durch beauftragte sogenannte Wissenschafter ziemlich verreißen lassen. Sie haben überall dort diskreditiert, wo es darum ging, zu versuchen, der Wahrheit, welche Kosten damit verbunden sind, ein Stück näher zu kommen.

Wir denken, daß die österreichische Bevölkerung ein Recht darauf hat, zu wissen, wieviel es Österreich kostet, wenn wir uns an einem kooperativen Sicherheitssystem beteiligen, wie immer dieses Sicherheitssystem ausschaut und heißt. Aber eines soll klar sein: Dieses Sicherheitssystem kann und soll kein reines Verteidigungsbündnis sein. Dieses Sicherheitssystem soll keine neuen Grenzen in Europa schaffen, wo sie gerade überwunden sind und überwunden waren. Dieses Sicherheitssystem kann auch nicht vor den russischen Grenzen haltmachen, sondern ein europäisches kooperatives Sicherheitssystem muß jedenfalls auch Rußland und die anderen GUS-Länder mit einbeziehen, wie immer dieses System ausschaut. Ich denke mir, es wäre Zeit, darüber zu diskutieren und eine Debatte im Haus durchzuführen. Wo wollen Sie denn diese Entscheidung tatsächlich fällen?

Die Befürchtung, die nicht nur wir haben, die sehr viele haben, ist, daß diese Entscheidungen nicht im Parlament getroffen werden, daß Sie diese Entscheidungen in Gremien verlagern, wo es die Mitsprache der Parlamentarier und Parlamentarierinnen nicht gibt und noch weniger die Mitsprache der Bevölkerung, wiewohl sie notwendig und dringend erforderlich ist. (Beifall bei den Grünen.)

Herr Bundeskanzler! Daher sind Sie aufgerufen, jetzt und heute und nicht im Herbst und nicht drei Tage vor den Wahlen und nicht drei Tage nach den Wahlen Antwort darauf zu geben: Wird es eine Volksabstimmung geben, wenn Österreich den Boden der Neutralität verläßt? Wieviel kostet die Beteiligung Österreichs an einem gemeinsamen Außen- und Sicherheitsmodell, und wie wird dieses von Ihnen in Brüssel mit getragen und mit entschieden werden? – Danke. (Anhaltender Beifall bei den Grünen.)

16.40

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zur Beantwortung der dringlichen Anfrage gelangt der Herr Bundeskanzler zu Wort. – Bitte, Herr Bundeskanzler.

16.40

Bundeskanzler Dkfm. Dr. Franz Vranitzky: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn Sie, Frau Abgeordnete, an meiner Aussage Anstoß nehmen, muß ich sie doch wiederholen: Wir sind wirklich seit 1989 mit vollkommen neuen geopolitischen Rahmenbedingungen konfrontiert, und vor diesem Hintergrund muß Österreich seine sicherheitspolitische Ausrichtung laufend weiterentwickeln. Aber nicht nur Österreich, sondern auch die Europäische Union hat sich diesen neuen Herausforderungen im Rahmen der Regierungskonferenz zu stellen.

Österreich nimmt die Gelegenheit wahr, nunmehr als Mitglied der Europäischen Union die sich entwickelnde europäische Sicherheitsarchitektur mitzugestalten. Im Sinne unseres – wie in unserem Grundsatzpapier der österreichischen Bundesregierung für die Regierungskonferenz dargestellt – umfassenden Sicherheitsbegriffs war zunächst einmal unser EU-Beitritt selber die wichtigste Voraussetzung für die Sicherheit Österreichs in Europa. Ansonsten könnten wir an keinen dieser Mechanismen gleichberechtigt mitwirken. Deshalb ist auch die Erweiterung der Europäischen Union, etwa um die Viségrad-Staaten und Slowenien und in einem späteren Zeitpunkt auch um andere oder um die baltischen Staaten, ebenfalls eine Investition in die Sicherheit Europas, daher auch in unsere.

Ein solcher umfassender Sicherheitsbegriff – ich betone das immer wieder – beinhaltet wesentlich mehr als die traditionelle militärische Sicherheit. Das Bedürfnis der Österreicher nach Sicherheit – ich glaube, das kann man ruhig sagen – wird kaum durch eine militärische Bedrohung bestimmt. Es sind andere Faktoren, denen wir unsere Aufmerksamkeit ebenso stark widmen müssen wie der Union selbst.


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Was die Sicherheit jedes einzelnen von uns gefährden kann, ist beispielsweise und vordringlich das international organisierte Verbrechen, ist die drohende Arbeitslosigkeit, die wir auch auf europäischer Ebene bekämpfen müssen, das sind ethnische und soziale Konflikte – ich stimme dem sehr zu, was Sie gesagt haben –, die alle zu politischer Instabilität führen können. Es sind auch ökologische Bedrohungen, die ja vor Grenzen nicht haltmachen. All das sind sehr unterschiedliche Formen von Unsicherheit, und deshalb ist es so wesentlich, daß die Europäische Union alle ihre Handlungsmöglichkeiten ausschöpft: im Rahmen der Außenpolitik, der Innenpolitik, der Justizpolitik, der Wirtschaftspolitik, der Entwicklungspolitik und so weiter.

Die Entstehung dieser Bedrohungen, dieser Risiken muß an ihren sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wurzeln bekämpft werden. Wir Österreicher haben daher auf europäischer Ebene vor allem für die Regierungskonferenz konkrete Vorschläge zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, zur effizienteren Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität oder auch zur Verstärkung des Umweltschutzes eingebracht.

Arbeitslosigkeit ist – das wissen wir – letztendlich genauso ein Sicherheitsproblem, wie es eine militärische Bedrohung sein kann. Und wenn das langsam in Europa so erkannt wird, dann nicht zuletzt deshalb, weil wir einen wesentlichen Beitrag zu dieser Meinungs- und Erkenntnisbildung geleistet haben. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich meine daher, daß die Europäische Union sich diesem breiten Spektrum von Sicherheitsproblemen durch den koordinierten Einsatz einer Vielfalt von Instrumenten zu widmen hat. Ich meine auch, daß eine Diskussion über Sicherheitspolitik, die sich nur und ausschließlich auf die Frage eines Beitritts zu einem Militärbündnis reduziert, verfehlt ist. Reduzieren wir die notwendige Diskussion über Österreichs Sicherheit daher nicht auf die Frage der Mitgliedschaft zur NATO, denn sie würde viele Befürchtungen, die den Österreichern heute Sorgen machen, überhaupt nicht entschärfen oder überhaupt nicht entkräften.

Arbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung, soziale Unsicherheit werden nicht durch ein Militärbündnis gelöst, aber durch internationale Zusammenarbeit, die weit darüber hinausgeht. Es gilt daher, jetzt bei dieser Regierungskonferenz sehr konkret – weil ja die Meinungen dort auch unterschiedlich sind –, zu einem gemeinsamen europäischen Verständnis außen- und sicherheitspolitischer Herausforderungen zu kommen.

Österreich hat sich seit Jahrzehnten aktiv und solidarisch an der Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit beteiligt, wenn es gerufen wurde. Ich erinnere an das Engagement im Rahmen von UNO und OSZE. Wir haben uns auch nicht gescheut, im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik an den friedenserhaltenden Aktionen der WEU – obwohl wir Beobachterstatus und nicht Mitgliederstatus haben – teilzunehmen. Erst heute haben wir in der Bundesregierung einen Beschluß gefaßt, unsere Verantwortung etwa in der Region um Mostar wahrzunehmen und haben den Einsatz österreichischer Polizisten in Mostar als ein Mittel zur Erhaltung des Friedens verlängert.

Frau Abgeordnete! In diesem Sinne haben wir uns auch durch die Entsendung einer Einheit an IFOR nach Bosnien beteiligt. Und da haben Sie jetzt gefragt: Wieso besinnen wir uns nicht auf unsere Stärken, indem wir uns hauptsächlich im zivilen Einsatz betätigen? Ich glaube, daß das wirklich unsere Stärke ist, daß aber allein dieser Einsatz nicht genügt. Daher haben wir uns zu einer dreiteiligen Annäherung an das Problem verstanden: erstens: Teilnahme an IFOR, um an der militärischen Absicherung mitzuwirken, zweitens: Aufbau der zivilen Strukturen, Infrastruktur, Schulen, Krankenhäuser et cetera, drittens: Rückführung von Flüchtlingen, die sich in Österreich aufhalten.

Das sind drei Elemente zur Erreichung ein und desselben Ziels. Denn wenn die militärische Sicherheit nicht gegeben ist, dann kann man nicht vom wirtschaftlichen Wiederaufbau reden. Und wenn von wirtschaftlichem Wiederaufbau nicht die Rede ist, wird man die Rückführung der Flüchtlinge nicht bewerkstelligen. Daher müssen das drei Elemente sein, die sinnvollerweise ineinandergreifen.


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Meine Damen und Herren! Im übrigen haben wir uns dort eben eine Tätigkeit ausgesucht – Sie haben das als Lastwagenfahrer oder so ähnlich bezeichnet, also nicht besonders qualifiziert –, bei der Österreich seine bisherigen Erfahrungen im Peace keeping einbringen konnte. Sie haben außerdem gesagt, beteiligen wir uns lieber an der Unterstützung der Abhaltung der Wahl in Bosnien-Herzegowina. Ich kann Ihnen dazu mitteilen, daß wir aus dem Budgetkapitel Osthilfe gar nicht so unbedeutende Beträge zur Verfügung stellen, um im Rahmen der OSZE durch Wahlbeobachter dazu beizutragen, daß diese Wahlen nach demokratischen Spielregeln abgehalten werden können. Das sind 10 Millionen Schilling Gegenwert in Sachleistungen und 3 Millionen Schilling in Bargeld.

Meine Damen und Herren! Das alles zeigt, daß wir gar keine Berührungsängste haben, sondern daß wir eine Beteiligung an internationalen Aktionen auf der Grundlage des geltenden Rechts und abhängig vom Ziel der jeweiligen Operation von Fall zu Fall prüfen. Wir drücken uns vor nichts, aber wir geben uns immer wieder darüber Rechenschaft, was der Sicherheit dort und was auch unserer Sicherheit dient. Damit sind wir in der jüngeren Geschichte sehr gut gefahren.

Wir haben uns in der Regierungskonferenz – weil Sie auch das angesprochen haben – vom Beginn an dafür eingesetzt, daß die Union die Möglichkeit erhält, humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze sowie friedenserhaltende Aufgaben und solche des Krisenmanagements zu beschließen. Es ist auch konsequent, meine ich, daß die Union in der Folge an die WEU den Auftrag erteilen können muß, in diesem klar abgesteckten Rahmen Einsätze durchzuführen.

Wenn Sie die Petersberger Aufgaben hier erwähnt haben, dann haben Sie schon recht mit Ihrer Auflistung all dessen, was die Petersberger Aufgaben umfassen. Wir haben seitens der österreichischen Bundesregierung zum Ausdruck gebracht, an welchen Teilen dieser Auflistung – eben nicht an allen, sondern an welchen Teilen – wir uns selber vorstellen können, uns zu beteiligen. Das heißt ja nicht, daß wir die anderen verschweigen, sondern wir haben hervorgehoben, an welchen wir uns beteiligen.

Ich glaube, daß diese Haltung, dieser österreichische Vorstoß, das so zu tun, unserer sicherheitspolitischen Tradition entspricht, die sich im übrigen auf ein aktives Verständnis der Neutralität gründet und der veränderten sicherheitspolitischen Landschaft entspricht.

Meine Damen und Herren! Ich meine daher, daß wir froh sein sollten, daß die europäische Staatengemeinschaft zunehmend auch dieses Verständnis teilt, welches wir in diesen Prozeß einbringen, nämlich Krisen an der Wurzel zu bekämpfen und in der Konfliktverhütung, in der Verhütung des Entstehens von Krisen überhaupt, die zentrale Herausforderung zur vorauseilenden Bewältigung von Krisen zu sehen.

Daher sind auch alle Vorwürfe unzutreffend, Österreich sei ein sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer. Innerhalb der sich abzeichnenden Konturen für eine europäische Sicherheitsarchitektur sehe ich die Rolle Österreichs durchaus als ein Mitgestalter, als ein Teilmotor eines Gesamten für Frieden und Stabilität, und ich glaube, daß wir diesen Weg gemeinsam fortsetzen müssen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich komme nun zu Ihren Fragen:

Zur Frage 1:

Vor dem Hintergrund des eben Gesagten steht die Einschränkung oder gar die Aufgabe der Neutralität, wie Sie dies in Ihrer Frage behaupten, nicht zur Diskussion. Es erübrigt sich daher, Überlegungen in bezug auf die Durchführung einer Volksabstimmung anzustellen.

Zur Frage 2:

Es ist unbestritten, daß der angesprochene Gesetzesbefehl auch die vollziehende Gewalt bindet. Selbstverständlich muß es in einem demokratischen Staat möglich sein, rechtspolitische und sicherheitspolitische Überlegungen anzustellen und zu diskutieren. Grundsätzliche Posi


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tionen werden aber nicht von einzelnen Mitgliedern der Bundesregierung, sondern von der Bundesregierung insgesamt auf Grundlage der Gesetze festgelegt, und alle Mitglieder der Bundesregierung sind daran selbstverständlich gebunden. (Abg. Wabl: Warum hält sich Fasslabend nicht daran?)

Herr Kollege, es geht nicht darum, was jemand als Diskussionsbeitrag liefert, sondern was die gesamte Bundesregierung letztendlich beschließt. Das ist in einem Rechtsstaat so. Wir legen Ihnen ja auch nicht einzelne Meinungen von Ministern als Regierungsvorlagen vor, sondern diese drücken die Haltung der gesamten Bundesregierung aus. Und dabei wird es auch bleiben. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Zur Frage 3:

Österreich kann auf eine langjährige Tradition bezüglich eines Engagements gegen jegliche Verwendung der Kernkraft verweisen. Das Eintreten für einen Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, für ein AKW-freies Mitteleuropa und für einen Atomteststoppvertrag sind die wesentlichen Beispiele. Ich schließe daher auch aus, daß in Österreich je Atomwaffen stationiert werden. Im übrigen verweise ich auf meine bisherigen Ausführungen.

Zur Frage 4:

Wie ich hinlänglich klargelegt habe, halte ich die Aufrüstung für kein geeignetes Mittel, um Sicherheit und Stabilität zu fördern. Die wirtschaftliche Kooperation mit und zwischen Ländern Mittel- und Osteuropas, ein konsequenter und institutionalisierter Dialog und die zügige Aufnahme in die Europäische Union sind die tauglichsten Mittel, um die friedliche und demokratische Entwicklung in diesen Ländern abzusichern. Sie haben ja vollkommen recht, wenn Sie auf mögliche soziale Spannungen hinweisen, wenn diese ökonomischen Grundlagen nicht gegeben sind.

Im übrigen halte ich es nicht für angebracht, mich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen. Gerade die Entscheidung über die sicherheitspolitische Ausrichtung von Staaten trifft den Kern der Souveränität und ist deshalb von jedem Staat selbst zu entscheiden.

Zur Frage 5:

Frau Abgeordnete, selbst wenn ich eine solche Kostenschätzung abgeben wollte – was ich aber gar nicht will –, wäre das aufgrund der Abhängigkeit von einer Vielzahl derzeit noch gar nicht endgültig zu beurteilender Faktoren gar nicht möglich. Aber im Hinblick auf meine bisherigen Ausführungen gehe ich davon aus, daß diese Frage in dieser Form sich nicht stellt.

Zur Frage 6:

Ich habe schon bei der Beantwortung einer auf meine Äußerungen in Saudi-Arabien bezugnehmenden Frage anläßlich der parlamentarischen Fragestunde am 28. Juni 1996 unter anderem erklärt, daß an eine wie immer geartete Anlaßgesetzgebung jedenfalls nicht gedacht ist. Ich habe in diesem Zusammenhang die Frage aufgeworfen, inwieweit zum Beispiel Österreichs Mitgliedschaft in der Europäischen Union ein grundsätzliches Überdenken der in Rede stehenden Regelungen nahelegt. Damit sind aber keineswegs solche Ziele verbunden, wie sie von der Antragstellerin vermutet werden.

In diesem Zusammenhang – ich wiederhole das – habe ich den Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes beauftragt, eine vergleichende Überprüfung im Hinblick auf die Kriegsmaterialgesetzgebung und die Praxis vergleichbarer europäischer Staaten vorzunehmen. Ich betone nochmals, daß daraus noch nicht rechtspolitische Schlußfolgerungen gezogen werden können. Gerade deshalb, um ein Grundgerüst für allfällige Schlußfolgerungen zu erstellen, soll ja diese genaue Recherche und Analyse noch einmal angestellt werden.


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Zu Ihren Fragen 7 und 8:

Österreich hat in der Regierungskonferenz seinen Vorschlag, graduell zu Mehrheitsentscheidungen überzugehen, immer mit der Bedingung verknüpft – ich bitte um Aufmerksamkeit, das ist ganz wichtig! –, daß im Bereich der militärischen Sicherheit jedenfalls Einstimmigkeit fortbestehen muß. Dies entspricht der österreichischen Grundsatzposition, die ich auch hier im Hohen Haus mehrmals dargelegt habe. Diese Auffassung wurde im übrigen durch die anderen Mitgliedstaaten in der Regierungskonferenz auch nicht bestritten.

Meine Damen und Herren! In der österreichischen Grundsatzposition zur Teilnahme an der Regierungskonferenz heißt es in diesem Zusammenhang – ich zitiere, weil es wirklich sehr wichtig ist, zwei Passagen –:

Im Interesse einer Steigerung der Effizienz der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik unterstützt Österreich einen graduellen Übergang zu Mehrheitsentscheidungen. Im Lichte der Erfahrungen im Bereich der Ersten Säule ist zu erwarten, daß in der Praxis Abstimmungen die Ausnahme bilden würden. Allein die Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen würde jedoch zu größerer Konsens- und Kompromißbereitschaft beitragen und so den Entscheidungsprozeß dynamisieren.

Allerdings – heißt es im darauffolgenden Absatz – müßten beim Übergang zum Mehrheitsprinzip die Besonderheiten von GASP-Beschlüssen, die teilweise sensible Aspekte der staatlichen Souveränität betreffen, berücksichtigt werden. So ist Österreich insbesondere der Meinung, daß der Bereich militärische Sicherheit auch in Zukunft der Einstimmigkeit unterworfen bleiben muß.

Ich habe zur Illustration dessen hier das Dokument des Ständigen Stellvertretergremiums in Brüssel. Dieses Dokument wurde mit Datum 12. Juni 1996 übermittelt, ist also sehr aktuell. Unter dem Titel "Klärung der Rechtsinstrumente der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik", Unterkapitel "Entscheidungsverfahren" heißt es: Einig ist man sich, daß im Bereich der militärischen Sicherheit auch in Zukunft einstimmig entschieden wird.

Wir werden außerdem aufgrund unserer Grundsatzposition darauf bestehen, daß der im Artikel J 4.4 des Vertrags von Maastricht festgelegte Grundsatz auch in Zukunft aufrecht bleibt, wonach die Sicherheitspolitik der Union nicht den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Mitgliedstaaten berührt – ein ganz besonders wichtiger Aspekt.

Im übrigen verweise ich auf meine einleitenden grundsätzlichen Ausführungen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

16.58

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich danke dem Herrn Bundeskanzler für die Beantwortung der dringlichen Fragen.

Wir gehen in die Debatte ein. Die Redezeiten betragen jetzt einheitlich 15 Minuten.

Erste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Petrovic. Sie hat das Wort.

16.58

Abgeordnete MMag. Dr. Madeleine Petrovic (Grüne): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben sehr aufmerksam den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers zugehört. Besonders interessant fanden wir, was Sie, Herr Bundeskanzler, alles nicht gesagt haben und was Sie offenbar in Ihrer Beantwortung sehr bewußt ausklammern wollten. Ich werde Sie daher noch einmal auf die in meinen und in unseren Augen zentralen Punkte ansprechen.

Herr Bundeskanzler! Es stimmt: Sie und weite Teile Ihrer Fraktion waren in der Vergangenheit nicht diejenigen, die die Demontage der österreichischen Neutralität besonders aktiv und lautstark betrieben haben. Das stimmt. Aber Sie haben auch nicht aktiv und lautstark und mit dem ganzen Gewicht der stärksten Fraktion in diesem Haus die österreichische Neutralität verteidigt und auch nicht die immer wieder und ganz kontinuierlich kommenden Vorstöße in Richtung eines Abbaus der Neutralität verhindert. (Zwischenruf des Abg. Scheibner.) Sie hören ja, wie


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die Stimmung in diesem Haus ist. (Abg. Scheibner: Ganz furchtbar ist die Stimmung in diesem Haus!)

Herr Bundeskanzler, das mache ich Ihnen zum Vorwurf! Mit dieser Antwort, die Sie geben, tun Sie so, als würden Sie in einem innenpolitischen Vakuum agieren, als könnten Sie ganz allein und ohne mit Widerständen rechnen zu müssen, Ihre Position umsetzen. – Dem ist nicht so. Drei Fraktionen in diesem Haus haben bereits ganz klar ihre Meinung zur österreichischen Neutralität kundgetan. (Abg. Scheibner: Das ist schon die Mehrheit!) Ja, das ist die Mehrheit, Herr Abgeordneter Scheibner, leider. Und insofern wäre ein vehementes, ein ganz entschlossenes Verteidigen der Neutralität durch die stärkste Fraktion in diesem Haus dringend angesagt! (Beifall bei den Grünen.)

Hier in diesem Hause, nicht bei der österreichischen Bevölkerung – ich betone, bei weitem nicht bei der Mehrheit der österreichischen Bevölkerung –, bei der ÖVP, den Freiheitlichen und den Liberalen gibt es die Meinung, die Neutralität sei obsolet, und in graduellen Abstufungen solle mehr oder minder schnell ein NATO-Beitritt umgesetzt werden.

Das ist die Mehrheit in diesem Haus! Und da genügt es nicht, Herr Bundeskanzler, daß Sie sagen: Wir werden zuwarten, wir werden sehen, nicht jetzt, vielleicht, und vielleicht wird die NATO einmal etwas ganz anderes sein, wer weiß, wohin sich die EU entwickelt. – Wenn Sie als Bundeskanzler und mit Ihnen die stärkste Fraktion in diesem Hause hier nicht aktiv für die Neutralität eintreten und kämpfen, dann kann man heute schon voraussagen, daß der Prozeß einer scheibchenweisen Demontage der Neutralität in Österreich, den Sie auch bisher nicht verhindert haben, weitergehen wird. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Dr. Frischenschlager: Vielleicht wollen sie es nicht!)

Der Zwischenruf des Abgeordneten Frischenschlager spricht Bände: Vielleicht wollen Sie es nicht. Mir drängt sich auch immer stärker die Vermutung auf, daß Sie einfach wissen, daß das bei den Stammwählerschichten bei der SPÖ keine sehr populäre Botschaft wäre. Das war ja auch in allen ökonomischen Dingen Ihre generelle Linie: nicht anecken, Musterschüler sein, sich jedem, aber auch wirklich jedem Diktat aus Brüssel unterwerfen.

Daher ist es offenbar Ihre Strategie: Reden wir nicht viel darüber, streifen wir nicht an, wir werden sehen. Irgendwann einmal, wenn von seiten der Fasslabends und der Klestils und der vielen anderen immer wieder ein Vorstoß nach dem anderen kommt, irgendwann einmal wird die österreichische Bevölkerung es so müde sein, überhaupt noch an die Neutralität erinnert zu werden, daß das in einem Aufwaschen und ohne viel Aufhebens erledigt werden wird.

Ich erinnere Sie, Herr Bundeskanzler: 1990/91, Golfkrieg. Sie und Ihre Fraktion waren mit dabei, als ein wesentlicher Teil der Neutralität verschwunden ist, als die Vorschriften über die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial wesentlich abgeschwächt und verändert wurden. (Präsident Dr. Neisser übernimmt den Vorsitz.)

1995, Bosnieneinsatz – das wurde von Frau Abgeordneter Pollet bereits angesprochen –: Auch da haben Sie sich wieder einmal mehr um die Frage, ob das mit der österreichischen Neutralität vereinbar ist, herumgedrückt. Das ist keine Antwort, daß Österreich auch humanitäre Hilfe leistet. Gott sei Dank, ich bin sehr froh darüber und ich bin sehr stolz darauf, daß Österreich es tut, aber der andere Teil, der ist nicht vereinbar mit der österreichischen Neutralität, und es macht einen großen Unterschied, ob Österreich sich im Rahmen von Peace-keeping-missions aktiv einsetzt oder bei diesem Einsatz – noch dazu bei der historischen Position Österreichs. (Beifall bei den Grünen.)

Letztlich Partnership for peace 1996: Damit erfolgte der erste ganz klare Schritt in Richtung NATO-Mitgliedschaft, so wie es bei allen anderen Gremien war. Gehen wir einmal ein bisserl dazu, schauen wir einmal, was sich dort tut, und dann werden wir schon sehen, nach dem Motto des österreichischen Wegs: Bloß keine politische Auseinandersetzung, bloß keine mögliche Gefährdung der Koalition – lassen wir es lieber laufen.


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Soviel zur innenpolitischen Situation. Auf die Punkte, wo Ihre Ausführungen in meinen Augen unzulänglich, schwammig und letztlich nichtssagend waren, möchte ich Sie gesondert ansprechen.

Herr Bundeskanzler! Ganz Europa ist in der Situation, daß massive Lobbyinteressen die Aufrüstung vorantreiben. Auch wir sind nicht im luftleeren Raum. Und vor diesem Hintergrund ist es doch wirklich bemerkenswert, daß Sie sagen: Ich lasse einmal den Verfassungsdienst prüfen, aber ohne daß irgendwelche rechtspolitischen Konsequenzen daran geknüpft werden. – Na warum lassen Sie dann überhaupt prüfen? Warum werden denn nicht irgendwelche anderen Bereiche geprüft, zum Beispiel wie Österreich noch aktiver humanitäre Hilfe leisten kann? Warum wird denn nicht noch aktiver geprüft, wie Österreich präventiv im Sinne der Beobachtung von friedenserhaltenden Maßnahmen tätig werden kann? Warum wird das nicht geprüft, sondern ausgerechnet der Bereich der Produktion und des Exportes von Kriegsmaterialien? Einfach so, weil dem Verfassungsdienst fad ist, weil die zu wenig zu tun haben, oder weil Sie ein grundsätzliches Papier wollen, an das Sie keine Konsequenzen knüpfen? – Das können Sie doch niemandem erzählen!

Sie haben es ja in Ihren ersten Ausführungen noch klarer formuliert: Sie wollen zwischen Tätern und Opfern differenzieren. Herr Bundeskanzler, das ist legitim, aber auf der Seite der Zivilbevölkerung. Dort heißt aktive Neutralitätspolitik tatsächlich, sich bedingungslos für die Opfer einzusetzen, aber nicht auf der Ebene der Staaten. Auf der Ebene der Staaten heißt neutral sein tatsächlich, Distanz zu wahren in Konflikten. (Beifall bei den Grünen.)

Herr Bundeskanzler, wenn Sie heute schon hoffen, daß die NATO in fünf, sechs, acht Jahren vielleicht eine ganz andere Organisation sein wird, ein rein ziviler Verein, ähnlich wie amnesty international vielleicht, ähnlich wie die Heilsarmee oder das Rote Kreuz, warum setzen Sie dann nicht auf die Entwicklung in diesen Bereichen? Warum setzen Sie nicht auf die OSZE? Warum setzen Sie nicht auf eine große UNO-Reform? Warum glauben Sie, daß ausgerechnet ein klassischer Militärpakt morgen auf einmal seine große Liebe zur reinen Humanität entwickeln wird?

Herr Bundeskanzler! Ein Militärpakt ist ein Militärpakt ist ein Militärpakt – und daran führt nichts vorbei. Gerade der Jugend in Österreich können Sie nicht ein X für ein U vormachen. Die NATO neu wird vielleicht einige Aufgaben dazubekommen, auch um die immer unpopulärer werdenden militärischen Einsätze ein bißchen zu verbrämen, aber sie bleibt ein Militärpakt. Und sich dieser Hoffnung hinzugeben, heißt, die österreichische Neutralität leichtfertig aufs Spiel zu setzen! (Beifall bei den Grünen.)

Ein weiterer Punkt. Sie, Herr Bundeskanzler, sind tatsächlich oftmals für eine Zurückdrängung, eine sukzessive Abschaffung der Kernkraft in Europa eingetreten, insbesondere was Kernkraftwerke betrifft. Auch diesbezüglich war es die österreichische Bevölkerung, die eine derartige politische Reaktion notwendig gemacht hat, denn Sie kennen die Mehrheitshaltung der österreichischen Bevölkerung. Die Bevölkerung will keine Kernkraftwerke, und sie will noch viel weniger Atomwaffen.

Herr Bundeskanzler, Sie sind doch auch – Sie haben es selbst gerade eben erwähnt – für ein kernkraftfreies Mitteleuropa eingetreten. Da haben Sie – sehr zu unserer Freude – keine Sorgen und Ängste gehabt von wegen Einmischung oder Nichteinmischung. Wenn ein Staat in Europa eine aktive Rolle zur Zurückdrängung der Kernkraft ausüben will, dann muß er selbstverständlich friedlich und freundlich, aber mit aller Deutlichkeit auch versuchen, das Verhalten anderer Staaten zu beeinflussen. Es genügt eben nicht, nur zu sagen: Bei uns gibt es kein Kernkraftwerk, aber ein paar Kilometer von unseren Grenzen entfernt stehen ganz, ganz gefährliche Schrottmeiler!

Herr Bundeskanzler! Dasselbe Prinzip wollen Sie hinsichtlich Atomwaffen, die noch viel, viel gefährlicher sind, die von vornherein eine kriegerische Zielsetzung haben, nicht anwenden? Das verstehe ich nicht! Das ist doch ein Wertungswiderspruch! Es geht doch nicht um das Prinzip der Nichteinmischung oder der Einmischung, sondern darum, Politik zu machen! Und in Europa


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Politik gegen Kernenergie zu machen, heißt selbstverständlich auch, einzutreten gegen Kernwaffen – und zwar in ganz Europa!

Da können Sie nicht mit der NATO-Politik konform gehen, und da ist es viel zu wenig, zu sagen, auf österreichischem Territorium werden keine Kernwaffen stationiert, sondern wenn es Ihnen ernst ist mit der Antiatompolitik, dann müssen Sie sich gerade in unseren Nachbarstaaten, gerade in den Gremien der EU dafür einsetzen, daß alle Staaten atomar abrüsten und daß kein Staat mehr – insbesondere Österreich nicht – in diesem Wahnsinn der atomaren Aufrüstung mitmacht. (Beifall bei den Grünen.)

Ein weiterer Punkt: Sie haben die österreichische Regierungsposition in Sachen Veto, in Sachen Einstimmigkeitsprinzip, was militärische Entscheidungen betrifft, vorgestellt. Es mag sein, daß das die Regierungsposition ist, aber es kann ja auch sein, daß da irgendein Minister aus dem Kabinett wieder einmal seine Privatmeinung in irgendwelchen EU-Gremien laut gedacht hat.

Jedenfalls stellt sich, was die uns zugänglichen Quellen, etwa den Deutschen Bundestag, betrifft, die Situation anders dar. Hier heißt es in bezug auf ein deutsches Papier, das eine Abänderung für die Bereiche anstrebt, die heute einstimmig entschieden werden müssen in Richtung Mehrstimmigkeitsprinzip, wortwörtlich: Für eine qualifizierte Mehrheit traten ebenfalls ein: unter anderem Österreich (schrittweiser Übergang). Die Beibehaltung einer Vetomöglichkeit bei der Beeinträchtigung grundlegender nationaler Interessen forderten Griechenland, Finnland und sehr apodiktisch Schweden – und nicht Österreich.

Herr Bundeskanzler! Das ist das vielfach beklagte Demokratiedefizit in den europäischen Gremien, das offenbar auch dazu führt, daß im Rahmen der Bundesregierung mit gespaltener Zunge gesprochen wird, und hier vermisse ich Ihre deutliche Haltung als Regierungsmitglied.

Ein Letztes: Uns ist es um die österreichische Neutralität sehr, sehr ernst, und ich kann mich mit dieser schwammigen Haltung, wie sie auch heute wieder von Ihnen vorgetragen wurde, nicht abfinden. Ich bringe daher folgenden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Doris Kammerlander, MMag. Dr. Madeleine Petrovic, Freundinnen und Freunde betreffend Abhaltung einer Volksabstimmung über die "immerwährende Neutralität" Österreichs bei einem WEU- oder NATO-Beitritt

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert eine Regierungsvorlage vorzulegen, die die Voraussetzungen dafür schafft, daß jede Revision des Maastrichter EU-Vertrages, die zu einer weiteren Einbindung der WEU in die Sicherheitspolitik der EU führt, ebenso wie ein österreichischer WEU- oder NATO-Beitritt einer "Volksabstimmung über die Zukunft der immerwährenden Neutralität Österreichs" zu unterziehen ist.

*****

Herr Bundeskanzler! Das ist die einzig klare und konsequente Reaktion! Wenn es hier unklare Haltungen gibt, dann lassen Sie die österreichische Bevölkerung, von der Sie wissen, daß sie hinter der Neutralität steht, entscheiden! In diesem Sinne, Herr Bundeskanzler, hat sich schon einmal Exaußenminister Mock auf einem Bundeskongreß der Grünen ausgesprochen; wir haben das sehr begrüßt.

Und wenn Sie meinen, diese Frage werde sich nie stellen: Umso leichter könnten Sie uns doch die Volksabstimmung versprechen! Das ist doch keine konsistente Haltung Ihrerseits!

Und, Herr Bundeskanzler, ein Allerletztes: Ganz offenbar scheinen Sie auch zu übersehen – auch das haben Sie in Ihrer Anfragebeantwortung bewußt ausgelassen –, daß Sie damit ganz


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klar Ihrem EU-Spitzenkandidaten Hannes Swoboda in den Rücken fallen. Swoboda hat sehr klar gesagt: Wenn es dazu käme, daß an der österreichischen Neutralität gerüttelt wird, trete er für eine Volksabstimmung ein. Wenn Sie jetzt hier diese Haltung konterkarieren, dann zeigt sich sehr klar, daß Sie offenbar mit dieser schwammigen, dieser ambivalenten Haltung auch in einen EU-Wahlkampf gehen wollen. Mir tut das für die österreichische Bevölkerung sehr, sehr leid. (Beifall bei den Grünen.)

17.13

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Der von der Frau Abgeordneten Dr. Petrovic verlesene Entschließungsantrag ist geschäftsordnungsgemäß ausreichend unterstützt. Er wird in die Verhandlung miteinbezogen.

Zu Wort gemeldet ist nunmehr Herr Abgeordneter Schieder. – Bitte, Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

17.13

Abgeordneter Peter Schieder (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Ich glaube nicht, daß es gut für Österreich ist, wenn die Neutralität laufend ins Gerede gebracht wird. (Beifall bei der SPÖ.) Egal, aus welcher Absicht es geschieht – im Wollen, sie abzuschaffen, oder, wie heute durch die Anfrage der Grünen, im Bestreben, sie zu schützen –: Ins Gerede kommt sie dadurch allemal. (Ironische Heiterkeit bei den Grünen. – Abg. Mag. Stadler: Sie sind doch eine so diskussionsfreudige Partei!)

In diesem Sinne ist die grüne Anfrage sicherlich nicht dringlich gewesen. Sie war eindringlich vorgebracht, aber dringlich ist sie wirklich nicht. (Abg. Ing. Langthaler: Also wollen Sie eine Geheimhaltung?) Nein, es geht nicht um Geheimhaltung. Es ist nichts geheimzuhalten. Es ist völlig offen und völlig klar: Wir haben ein gültiges Gesetz. Die österreichische Neutralität besteht, sie ist inhaltlich weiterentwickelt worden, und diese Weiterentwicklung war gleichzeitig auch ein Zurückführen auf jene Punkte, die in den Verhandlungen seit 1953 und in der parlamentarischen Debatte 1955 im Vordergrund standen, nämlich die Ablehnung eines Bündnisses und die Ablehnung von fremden Truppen auf unserem Territorium.

All die Debatten, die geführt werden von Ihnen, indem Sie laufend sagen: Sie ist in Gefahr! Sie ist in Gefahr!, oder von der anderen Seite, die sagt: Die Neutralität gehört abgeschafft, weil sie ein Relikt aus dem kalten Krieg ist, sind absurd, wenn gleichzeitig gesagt wird: Aber die NATO soll nicht abgeschafft und weiterentwickelt werden, obwohl sie auch ein Relikt aus dem kalten Krieg darstellt.

Es ist klar: Die Neutralität hat uns viel genützt, sie nützt uns weiterhin. Und es ist auch klar, sie war nicht hinderlich in der neuen Zeit, sie war nicht für uns hinderlich beim EU-Beitritt, sie hindert uns nicht daran, am Aufbau einer europäischen Sicherheitsstruktur teilzunehmen, sie behindert uns nicht, an der GASP teilzunehmen, und sie hindert uns auch nicht, uns solidarisch zu verhalten: nicht bloß zu nehmen, sondern auch zu geben, wie manche sagen.

Das wird auch durch das Entsende-Gesetz unterstrichen werden, womit klargestellt wird, daß Österreich dort solidarisch teilnehmen wird, wo es sich um internationale Maßnahmen handelt, die im Einklang mit unseren vertraglichen Verpflichtungen in UNO, EU und OSZE sind.

Die Frage der Neutralität stellt sich daher nicht, und die Frage der Volksabstimmung stellt sich genausowenig, wie sich die Frage der Abschaffung der Neutralität stellt. (Abg. Dr. Ofner: Da hat er recht!)

Verfassungsrechtlich ist es theoretisch klar: Ein Abgehen vom Status der dauernden Neutralität ist keine Totalrevision gemäß Art. 44 Abs. 3 B-VG, und schon in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zum Neutralitätsgesetz wurde festgehalten, daß die Neutralität kein Baugesetz darstellt.

Verfassungsrechtlich ist daher eine Volksabstimmung nicht notwendig; ob sie politisch wünschenswert ist, wird der ferne Gesetzgeber, der sie vielleicht einmal abschaffen wird, zu


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entscheiden haben. Ob das eintritt, weiß ich nicht. (Abg. Mag. Stadler: Das ist dann, wenn die SPÖ in Opposition ist!) Eine vorauseilende Bindung des Gesetzgebers ist weder sinnvoll noch zielführend, und deshalb wird unsere Fraktion auch gegen den Entschließungsantrag stimmen.

Zur Frage, die Ihre außenpolitische Sprecherin in der Begründung aufgeworfen hat, wie denn nun diese Sicherheitsarchitektur Europas ausschauen kann, werden wir hier sicherlich in den folgenden Beiträgen – vor allem der FPÖ, aber vielleicht auch des Liberalen Forums – wieder einmal hören, wie man bestehende Einrichtungen weiterentwickeln soll. Ich denke dabei immer daran, daß sich die Militärexperten eigentlich nicht einig sind, wann das Ende der Kavallerie anzusetzen ist. War es Friedland, oder war es Borodino, oder war es 1917 im Kampf um Beersheba – oder vielleicht gar erst 1945 im Joglland? (Abg. Haigermoser: 1970/71! – Abg. Mag. Stadler: Wenn der letzte Lipizzaner stirbt! Dann ist die Kavallerie tot!)

Den ersten Fehler, den Kavalleristen machen können, hat jedenfalls die Kavallerie selbst überlebt, nämlich den Fehler, das Pferd von der falschen Seite her aufzuzäumen. Dieser Fehler findet sich hier sehr oft in den militärischen Diskussionen wieder, in den Debatten, in denen es um die militärische Sicherheit geht. Man geht lediglich von bestehenden Strukturen aus, die man extrapoliert, und fragt nicht: Was kann sein? Was könnte sein? Und: Was soll sein?

Meine Damen und Herren! Jede Debatte über die Sicherheit muß von klaren Zielvorstellungen ausgehen: von den Fragen: Was dient Österreich? Was ist für Österreich wichtig? Was ist für Europa wichtig? Wie schaffen wir in Europa ein System der umfassenden Sicherheit nach außen und nach innen, das Schutz bei Bedrohungen und Angriffen bietet, das gemeinsame Maßnahmen darstellt, das einen Rechtsanspruch auf Hilfe und Herstellung des rechtmäßigen Zustandes enthält, ein entsprechendes Netz von Frühwarn- und Versorgungseinrichtungen?

Es stellt sich auch die Frage: Wie antworten wir auf all die Bedrohungen, die nicht militärischer Art sind und die für unsere Sicherheit viel gefährlicher sind – der Herr Bundeskanzler hat dazu schon gesprochen –, und was tun wir, daß es auch zwischen den Teilnehmern eines Sicherheitssystems Mechanismen zur friedlichen Konfliktregelung gibt und einen vertraglich festgelegten Gewaltverzicht?

Wir glauben, daß es das Beste wäre, solch ein System vom Kopf her aufzubauen, also von einer Staatenkonferenz mit Vertrag, eventuell in europäisches Recht eingebunden, und dann ausgehend von diesen vertraglichen Rechten Mechanismen und Instrumente zur Durchführung festzulegen.

Es gibt eine andere Tendenz, nämlich die Tendenz, von der anderen Seite her zu beginnen: von den bestehenden Einrichtungen, von dem Bündnissystem und den funktionierenden Truppensystemen her sich einem System der Sicherheit anzunähern.

Es gibt manche, die nicht einmal das wollen, die beim Bestehenden bleiben wollen. Aber es ist deutlich zu sehen, und es spiegelt sich wider in der Partnerschaft für den Frieden, in den Überlegungen zur NATO-Erweiterung, in der Petersberger Erklärung und in den Berliner Vorschlägen: Das geht klar in die Richtung, durch Ausdehnung, Ausweitung und Änderung das militärische Bündnissystem langsam inhaltlich auszuweiten und in seinem Wesen zu entwickeln. Es wäre zu hoffen, daß das fließend zu einem Sicherheitssystem hinführt.

Die NATO-Mitglieder sind selbstverständlich für letztere Vorgangsweise (Abg. Scheibner: Was sind die NATO-Staaten: böse Finsterlinge?), selbst wenn sie sich für ein Sicherheitssystem aussprechen, denn sie befinden sich auf vertrautem Terrain, sie haben mit Strukturen und Hierarchien umzugehen gelernt, es ist die Aktie über den Atlantik da, über die Aufteilung der Finanzierung herrscht Klarheit, und es ist auch im Interesse der Rüstungsindustrie und deren Lieferantenfirmen, die sich auf bestehende Systeme fixiert haben und die wissen, daß sie eine gewisse Garantie haben. Auch die Verwaltung, die natürlich überleben will, ist für dieses System. Hauptargument der Staaten ist allerdings: Es gibt funktionierende Einrichtungen, die eingespielt und einsatzbereit sind.


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Die Nachteile des Anknüpfens an das Bestehende sind ebenfalls klar: Es ist ein sehr langsames Entwickeln. Es ist eine Einseitigkeit, und es gibt viele ungelöste Fragen, wie etwa die Sicherheitsgarantien zwischen den Mitgliedern. Wir sehen, daß in der NATO die Frage der Konflikte zwischen der Türkei und Griechenland zwar aufs Eis gelegt, aber nicht wirklich gelöst wird. Es gibt die Frage der atomaren Bewaffnung, auf die zu Recht aufmerksam gemacht wurde. Es gibt auch noch die Frage exkolonialer Interessen einzelner Mitglieder, und es gibt sicherlich auch die psychologische Barriere für die Erweiterung, nämlich daß sich Mitglieder der ehemaligen anderen Seite einem gewandelten Relikt aus dem kalten Kriege anschließen müssen. (Abg. Scheibner: Die wollen ja alle hinein!)

Bei der OSZE-Tagung vor wenigen Tagen haben sich diese Bruchlinien klar gezeigt: Die osteuropäischen Länder wollen hinein, die westlichen Länder wollen, daß in der OSZE die NATO die führende Rolle übernimmt, und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion haben für ein europäisches Sicherheitssystem plädiert, das mehr ist als eine sich verändernde NATO. (Abg. Scheibner: Trotzdem wollen sie alle in die NATO hinein: das Baltikum und so weiter!)

Sie rennen gegen Türen, die gar nicht so verschlossen sind, wie sie glauben. Denn: Ich meine, Österreich täte gut daran, als erste Lösung mit Möglichkeitssinn ein Sicherheitssystem mit einem umfassenden Vertrag anzustreben und mit einem gewissen Wirklichkeitssinn auch nicht die zweite Lösung auszuschließen. Natürlich bleibt abzuwarten, was sich entwickelt. Es ist noch nicht soweit. Aber vielleicht ist es eines Tages soweit, daß sich aus den bestehenden europäischen Verteidigungsstrukturen eine Konstruktion entwickelt, in der die Elemente eines europäischen Sicherheitssystems quantitativ und qualitativ die Relikte eines Militärbündnisses bei weitem überwiegen. Das wäre dann der Zeitpunkt, zu dem man die Frage einer österreichischen Mitgliedschaft stellen könnte. Um allen Irrtümern und Mißinterpretationen gleich vorzubeugen: Es ist wirklich noch nicht soweit, und es wäre wahrlich verfrüht, heute eine diesbezügliche Entscheidung oder Aussage zu treffen.

Manche drängen natürlich auf eine Entscheidung unter Verweis auf die notwendigen Sicherheitsgarantien. Hiezu meine ich: Österreich soll nicht eine Beteiligung an Sicherheitssystemen mit Sicherheitsgarantien verknüpfen, die es gar nicht braucht. Österreich hat jedenfalls in der Vergangenheit schon ausreichend bewiesen und ist auch in der Zukunft ausreichend in der Lage, konstruktive Beiträge für die internationale Sicherheit zu liefern, ohne daß dafür ständig vom NATO-Beitritt und vom Abschaffen der Neutralität auf der eine Seite geredet werden muß oder andererseits die NATO verteufelt und die Neutralität mystifiziert wird, wie es von mancher Seite geschieht. (Abg. Wabl: Was wird da mystifiziert?)

Ich weiß, wir leben in einer Zeit, in der man griffige, titelartige Formulierungen liebt, in der man ein Ja oder ein Nein haben möchte, aber wir alle wissen, wir leben gleichzeitig in einer Welt, in der die Lösungen nicht bloß schlagzeilenartig sind, nicht bloß ein Ja oder ein Nein darstellen, und deshalb ist es gut, daß wir bei unserer Haltung bleiben: auf die speziellen Sicherheitsinteressen Österreichs einzugehen und in der Frage der militärischen Strukturen eine flexible Position einzunehmen. Und eine flexible Position heißt in diesem Zusammenhang abwarten und dann beurteilen, heißt nicht Opportunismus, sondern garantiert, daß das Notwendige und politisch Sinnvolle tatsächlich gemacht werden kann und so ein Maximum an Sicherheit möglich ist. (Beifall bei der SPÖ und des Abg. Dr. Stummvoll .)

17.28

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Mock. – Bitte, Herr Abgeordneter.

17.28

Abgeordneter Dr. Alois Mock (ÖVP): Meine Damen und Herren! Ich möchte das Thema Neutralität bewußt in einem besonderen Bemühen um den Dialog hier anschneiden. Ich glaube, es ist ein wichtiges Thema für die Zukunft unseres Landes, und es war ein wichtiges Thema in der Vergangenheit, aus der wir lernen sollen. Ich spreche deswegen vom Dialog, weil ich von den diesbezüglichen Aussagen der Kollegin Kammerlander sehr enttäuscht war. Ich werde später darauf eingehen.


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Es ist einmal die Feststellung getroffen worden: Die Neutralität ist doch der beste Schutz unserer Unabhängigkeit, unserer Souveränität. Diese wird in Frage gestellt aufgrund des Beitritts zur EU. Ich möchte nochmals wiederholen: Der wesentliche Unterschied zwischen der Auffassung der anfragenden Gruppe, der grünen Abgeordneten, und jener der Regierungsparteien besteht in der Frage: Was wollen wir? Für uns ist die Neutralität ein Mittel. Es war ein Mittel, um die Unabhängigkeit unseres Landes zu erlangen, um die Freiheit wiederherzustellen, die Besatzung zu beenden und eine Zukunft in Demokratie und Unabhängigkeit sicherzustellen. Das war das Ziel, dem die Neutralität diente. Daher heißt es im Gesetz sehr eindeutig: Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletztlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. "Zum Zwecke" heißt es im Gesetz. Der Zweck ist seinerzeit im Gesetz festgelegt worden, was sehr selten vorkommt, meine Damen und Herren.

Bundeskanzler Raab hat im Ausschuß am 26. Oktober 1955 erklärt, die Motive und die Zwecke der Neutralitätserklärung sind deswegen so klar festgehalten, weil es ein ganz bedeutender Akt für die internationale Position Österreichs ist. Er hat gewußt, was er macht: Uns geht es nicht um Neutralität, uns geht es um die Sicherheit dieses Landes. Wenn diese durch die Neutralität gesichert ist, ist es gut. Das war damals der Fall. Wir konnten den größten Schritt durch die Erklärung der immerwährenden Neutralität machen.

Wenn wir heute die Sicherheit unseres Landes durch den Verbund mit anderen freien Ländern gewährleisten können, dann halte ich das für die beste Wahl. Ich habe zu garantieren beziehungsweise zu sichern, daß sich der Staat frei und in demokratischer Weise entwickeln kann. Wodurch ich das erreiche, ist sekundär. Es ist die Wahl, für die ich in der Politik die Verantwortung trage. Das ist der Unterschied! (Beifall bei der ÖVP und des Abg. Mag. Peter .)

Sie wollen die Neutralität an und für sich. Was bringt das "an und für sich"? Sie ist keine Garantie. Sie kann nur in einer bestimmten Situation etwas bringen. Das haben wir praktiziert.

Erinnern wir uns, wie es mit der Neutralität in Belgien und in Luxemburg war. Sie hat nichts genützt. Sie ist keine Garantie. Das gibt es nicht!

Auch die Flexibilität der Neutralität ist zwar gelegentlich ein Vorteil, aber zeigt, wie unverläßlich die Rechtsstrukturen im internationalen Bereich sind. Daß wir an Glaubwürdigkeit verlieren, weil wir das flexibel praktizieren, ist eine selbstkritische Art und Weise, die nicht begründet ist.

Ich darf Sie daran erinnern, daß zum Beispiel die Schweiz ihre Neutralität durch Vorgangsweisen behalten hat, die mehr als problematisch waren. Die Schweiz hat zum Beispiel die Offiziere der österreichisch-ungarischen Armee nach Graubünden hineingelassen, als sie aufgrund des Risorgimento annehmen konnte, daß es vielleicht einen Angriff Italiens gegen die Schweiz geben würde, denn sie hat in den Landkarten der Risorgimento-Vertreter das Tessin bei Italien gesehen. Für diesen Fall wollte man sich eines mächtigen Verbündeten versichern. Sie sind nach St. Moritz gegangen, auf die Grenzwege der italienisch-schweizerischen Grenze, konnten italienische Stellungen einsehen, um zu wissen, daß Österreich-Ungarn, wenn es zu einem Angriff auf das Tessin kommt, der Schweiz beistehen könnte. Das war natürlich ein glatter Bruch der Neutralität. Es wurden auch Offiziere verhaftet. Es ist ihnen nicht viel passiert. Sie sind formell verurteilt worden, haben in einem netten Landhaus dem Kriegsende entgegengesehen. Aber die Schweiz hat zu Mitteln gegriffen, die höchst bedenklich waren. Keiner hat behauptet, die Schweiz hätte keine Neutralität praktiziert.

Was hat Schweden gemacht? – Schweden hat immer eine Neutralität praktiziert, die ein großes Echo gefunden hat. Die Schweden haben mit Großdeutschland Verträge abgeschlossen, welche Flugzeuge mit welcher Bewaffnung auf dem Weg nach Rußland, nach Norwegen auf den Flughäfen landen dürfen. Ich zeige das nicht deshalb auf, weil ich die Länder verurteile. Ich bedauere, daß so etwas notwendig war. Die Verantwortung für den Zustand lag bei Großdeutschland, lag beim Nationalsozialismus. Aber sie haben die Rechtsnorm nicht eingehalten, weil es um ihre Existenz ging.


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Das hat Österreich noch nie gemacht. Wir haben die zwei wesentlichen Punkte der Neutralität, nämlich daß erstens keine ausländischen Truppen in Österreich ständig stationiert sind und daß wir zweitens keiner klassischen Militärallianz beitreten, immer respektiert. Wir brauchen uns nicht nachsagen zu lassen, unsere Neutralität sei nicht glaubwürdig. (Beifall bei der ÖVP.)

Die Schweiz – und viele wissen, daß ich ein großer Bewunderer der Schweizer Außenpolitik bin; seinem Volk zwei Weltkriege zu ersparen, ist eine Leistung, die ganz außergewöhnlich ist und die geschichtlich nie stark genug hervorgehoben werden kann – praktiziert eine Kombination aus Realismus, humanen Perspektiven und dem Bekenntnis zur Landesverteidigung.

Es geht nicht darum, liebe Kollegin Kammerlander, was wir uns wünschen, sondern darum, was in dieser Welt notwendig ist, um die Demokratie und die Freiheit der Menschen zu sichern. (Beifall bei der ÖVP.)

Sie haben sich mit der NATO beschäftigt. Bei jedem Bemühen, Ihre Ansicht zu respektieren, muß ich doch sagen, daß ich davon sehr betroffen war, zumal ich weiß, weil ich selbst bei einigen Projekten mittun konnte, wie sehr sich die grüne Fraktion in Bosnien-Herzegowina in humanitärer Weise beispielhaft engagiert hat. Aber nach dem, was dort passiert ist, zu sagen: Was ist die NATO?, das ist keine Friedensorganisation, eine militärische Organisation kann nie eine Friedensorganisation sein, macht mich betroffen.

Ich sage Ihnen: Die NATO hat dort mehr gemacht als viele tausend Bücher, die über Menschenrechte, über Menschenwürde geschrieben wurden. Sie hat nämlich endlich einmal mit dem Morden, mit dem Vergewaltigen en masse, das dort passiert ist, Schluß gemacht. Man muß auch den Mut haben, das anzuerkennen. (Beifall bei der ÖVP und der Abg. Mag. Peter , Mag. Firlinger und Scheibner .)

Ich habe meine Amtsführung als Außenminister mit einer Weisung an den Sicherheitsrat begonnen, in einer bestimmten Frage des Verhaltens in Panama gegen die Vereinigten Staaten zu votieren. Allein die Bemerkung, ich sei amerikaabhängig, paßt also nicht sehr in die Sache hinein. Aber immer noch bei der Meinung zu bleiben: Das waren zwei Lager! Was hat denn die NATO gemacht? Wo hat sie uns geschützt?, enttäuscht mich sehr.

Die NATO war auch für uns ein wesentlicher Bestandteil unseres Schutzes. Sie glauben doch nicht, daß sich die Sowjetunion, wenn es in ihre Rechnung hineingepaßt hätte, von unserer erklärten Neutralität hätte abhalten lassen. Solange sie hineinpaßte, zusammen mit Landesverteidigung, wurde sie respektiert. Wenn die Vorteile für eine solche Macht wie die Sowjetunion größer gewesen wären, dann hätte man sie nicht respektiert. Die haben das doch gezeigt! Die waren doch auch an der Eröffnung des Zweiten Weltkrieges beteiligt. Sehen wir das doch mit Realismus!

Es gibt einen Mann namens Sjuganow. Sie sagen: Wo ist eine Drohung? Stellen Sie sich vor, es würde sich in Deutschland eine Wählermasse in diesem Prozentsatz mit jemandem identifizieren, der so ein verbrecherisches Regimes vertritt! Sjuganow identifiziert sich mit der Vergangenheit. Er hat 30 Millionen Stimmen bekommen. Man weiß nicht, was der macht. Das ist doch eine eminente Gefahr!

Alleine die transitorische Entwicklung in der Sowjetunion ist eine Destabilisierungsfrage. Wir nehmen sie in Kauf, weil wir glauben, daß heute mit Jelzin die Chance gegeben ist, einen Schritt in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft zu machen. Wie lang das gelingt, ob es Rückschläge geben wird, das müssen wir offenlassen. Hier ist Realismus angebracht! Ich habe, wie gesagt, die Wahl von Jelzin begrüßt. Es ist aber kein Anlaß, Triumphgeheul auszustoßen. Man weiß nicht, wie sich jemand verhalten wird. Das hat man auch bei anderen schon gesagt. Es gibt den berühmten Satz: Wenn ich in meinem Land in einer Situation wie in Deutschland wäre, daß ich jemanden brauchen würde, der das Land zu nationaler Renaissance erhebt, dann würde ich an so jemanden denken – bei allen ideologischen Unterschieden – wie Hitler. – Das war ein Zitat von Churchill aus dem Jahr 1937. Und Churchill kann man nicht ankreiden, daß er nicht früher als andere erkannt hätte, welche Gefahr aus Berlin gedroht hat.


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Realismus, meine Damen und Herren, ist in der Außenpolitik genauso notwendig wie eine Perspektive, ein humanes Engagement. Das möchte ich hier sehr unterstreichen! Daher haben wir von der Bundesregierung uns auch in der KSZE engagiert. Wir haben uns bei der Menschenrechtskonferenz in Wien engagiert. Es war keine Selbstverständlichkeit, daß Österreich von 183 Mitgliedern als einziges Land gegen den Völkermord gestimmt hat. Alle anderen haben sich der Stimme enthalten. Die westlichen Länder haben nicht für diese Resolution gestimmt. Die dritte Welt hat dafür gestimmt, und die Sowjetunion, damals schon Rußland, hat dagegen gestimmt. Wir haben als erstes Land die KSZE-Prozedur zum Schutz der Menschenrechte gegen den Kosovo eingeleitet, dann für die Kurden in der Türkei vor fünf Jahren, wo es geheißen hat, ihr werdet weniger Aufträge bekommen.

Unser Land hat etwas herzuzeigen. Aber wir müssen auch realistisch bleiben! Mit den Rechtssystemen und mit den Wünschen allein kann man die Freiheit nicht sicherstellen. Sie können heute auch nicht ohne Polizei die innere Sicherheit garantieren. Das ist die gleiche Träumerei.

Meine Damen und Herren! Ich wünsche mir auch eine Welt ohne Waffen. Es wäre großartig, wenn wir Waffen nicht mehr brauchen würden, wenn wir militärische Gewalt nicht mehr brauchen würden. Aber für mich ist die menschliche Würde so wichtig, die Chance zur Freiheit des Menschen und zur Demokratie so wichtig, daß ich auch sage: Wenn es notwendig ist, brauche ich auch militärische Gewalt!

Wer trägt die Verantwortung mit – bewußt! –, daß man gesagt hat: Nach der Aggression gegen Slowenien, gegen Kroatien, gegen Bosnien-Herzegowina keine militärische Lösung! Jeder, der für eine militärische Lösung eintrat, ist als Kriegsgewinnler oder Kriegshetzer bezeichnet worden.

Ich habe mich im September 1991 beim Angriff auf Kroatien gegen das Waffenembargo ausgesprochen. Es haben dann die Verhandlungen über die Wiederherstellung des Friedens in diesem Teil Europas begonnen. Vier Jahre ist nichts passiert. In dieser Zeit hat man sich massiv gegen eine militärische Lösung ausgesprochen. Meine Damen und Herren! Die 8 000 Menschen von Srbrenica würden heute noch leben, wenn es zwei Jahre vorher eine militärische Lösung gegeben hätte. Wer trägt denn die Verantwortung dafür? (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ, des Liberalen Forums und der Freiheitlichen.)

Wer trägt denn die Verantwortung? Kollege Wabl! Ich respektiere sehr den Pazifisten, auch die Ideale, die dahinterstehen, aber ich habe in der Politik primär die Aufgabe, Solidarität zu zeigen, den Menschen in der Welt, in der wir leben, zu schützen. In 1000 Jahren ist es vielleicht um einiges besser – ich bin ja kein Pessimist –, aber ich habe jetzt den Schutz zu sichern. Wo bleibt denn da die Solidarität, wenn ich sage: Wir schicken dorthin keine Truppen?! Stellen Sie sich vor, man hätte vor zehn Jahren ein Buch geschrieben, da hätte es geheißen: Der Sicherheitsrat beschließt, in Bosnien-Herzegowina nach inneren Unruhen und dem Zerfall Jugoslawiens sechs Schutzzonen einzurichten – das war übrigens damals der Antrag von Österreich –: Srbrenica, Tuzla, Sarajevo, Biha# und noch zwei weitere Orte.

Der Sicherheitsrat beschließt, daß das eine Schutzzone für die Zivilisten ist. Man kümmert sich nicht darum. Die Menschen werden herausgeholt, werden niedergeschossen und werden dann in Massengräbern vergraben, sie werden vergewaltigt und dergleichen mehr. Man sagt, der Sicherheitsrat hat beschlossen, daß jene militärisch geschützt werden müssen, die humane Tätigkeiten entwickeln, vor allem Nahrungsmittel und Medikamente bringen. Man wird aufgehalten. Man muß 40 Prozent Zoll zahlen. Der Sicherheitsrat beschließt, der Luftraum darf nicht mehr von fremden Flugzeugen benützt werden. Der Sicherheitsrat beschließt das und jenes.

Was kam heraus? – Das furchtbare Beispiel von Vukovar hat man schon vergessen. In Srbrenica fanden Massenmord und Massenvergewaltigungen statt. Man hätte zwei Jahre früher nach dem politischen Bemühen, nach dem diplomatischen Bemühen, zu militärischen Mitteln greifen sollen, um eine Lösung herbeizuführen. In der Charta der UNO heißt es: All means, alle Mittel sind einzusetzen. Ich glaube, es sind tatsächlich zuerst immer politische Mittel einzusetzen. Es sind zuerst diplomatische Mittel einzusetzen, und wenn es um einen großen Einsatz


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35. Sitzung / Seite 136

geht, sollte man sich nochmals bemühen. Wir wollen kein Risiko eingehen. Wir sollten alles tun, um das ohne Gewalt zu lösen. Wenn das nicht geht, dann sind mir die Menschenrechte wert genug, zu sagen, hier brauchen wir militärische Gewalt. So wie wenn ein Krimineller die Regeln des Zusammenlebens eines Landes nicht respektiert, dann hat man auch das Recht, ihn durch einen Menschen, der mit militärischer Gewalt oder polizeilicher Gewalt ausgestattet ist, zur Verantwortung zu ziehen.

Meine Damen und Herren! Wir können das nicht so abwerten. Wir leben in einer Zeit der Hedonie, des Materialismus, in der es ein Problem ist – gerade Sie von den Grünen weisen oft zu Recht darauf hin –, geringe zusätzliche Leistungen für Entwicklungsländer, für die Armen der Welt zu erbringen. Aber was sagen wir jenen, die das Optimum leisten, die ihre Sicherheit, ihre Unverletzlichkeit zur Verfügung stellen, um den Bürger zu schützen? Der Polizist, aber auch der Angehörige des Bundesheeres riskieren sein Leben, um den anderen Sicherheit zu geben. Da haben wir doch allen Grund dazu, ihnen Dank auszusprechen, sie zu respektieren. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Ich glaube, daß wir in der Sicherheitsfrage den Dialog in gegenseitigem Respekt führen sollen. Ich glaube, wir werden dies genauso bewältigen wie die Frage der politischen, wirtschaftlichen Integration. Ich bin nicht der Interpret der Sozialistischen Partei, das ist mir klar, aber ich bin überzeugt davon, daß die Worte des Stadtrats Swoboda hier einen Durchbruch hergestellt haben, so wie dies seinerzeit Dr. Jankowitsch gemacht hat. Man kann das auch über die Grenzen der politischen Ansichten mit Respekt zum Ausdruck bringen. Wir leben in einer sonderbaren Welt. Gelegentlich schadet es dem politisch Andersdenkenden, wenn er vom politischen Gegner anerkannt wird, statt daß man er als Praxis einführt, daß man die Anerkennung nicht von politischer Qualifikation abhängig machen soll.

Daß nun ein Durchbruch erzielt worden ist, sagte schon mein Kollege Schieder. Wir sollten diesen Weg intensivieren. In Berlin wurde ein neuer Ansatz gesetzt. Die NATO wurde europäisiert. Frankreich kehrt zurück in den militärischen Apparat der NATO. Die NATO stellt auch der Westeuropäischen Union Mittel zur Verfügung, um im Interesse des Friedens, im Interesse des menschlichen Fortschritts, im Interesse der UNO-Charta agieren zu können. Auch in Bosnien, Kollegin Kammerlander, hat die NATO im Auftrag der UNO gearbeitet. Wir sollten anerkennen, daß diese Institutionen nur dann eine Chance auf Wirkung haben, wenn sie auch tatsächlich ernstgenommen werden. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

17.44

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Scheibner. – Herr Abgeordneter! Sie haben das Wort.

17.44

Abgeordneter Herbert Scheibner (Freiheitliche): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Mock! Wie so oft, wenn es um außenpolitische Debatten geht, kann man Ihren Worten völlig zustimmen. Sie haben das auch aus unserer Sicht richtig analysiert. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Herr Kollege Mock! Das gilt auch für Ihren Kollegen Fasslabend. Das ist aber immer unser Problem. Wir hören von Ihnen, von seiten der ÖVP, richtige Analysen, völlig richtige Analysen, bei denen wir sagen, genau das ist die Realität, das sind die Fakten. Wir fragen uns nur dann immer, Herr Kollege Mock: Warum setzt man nicht aufgrund dieser richtigen Analysen auch die richtigen Handlungen?

Es kann doch nicht so sein, Herr Kollege Mock und meine Damen und Herren von der ÖVP, daß man deshalb, weil man in einer Regierung mit den Sozialisten sitzt, die ein anderes Verständnis von Sicherheitspolitik haben, sagt, diese Frage klammern wir aus unserer Politik aus, aus unserer politischen Handlung klammern wir die Sicherheitspolitik aus. Das kann doch nicht die Aufgabe einer Partei wie der Österreichischen Volkspartei sein, Herr Minister Mock, in der Sie noch etwas zu reden haben, in der es einen Verteidigungsminister Fasslabend gibt, in der es einen Vizekanzler Schüssel gibt (Beifall bei den Freiheitlichen), die uns immer wieder richtige


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Analysen geben und richtige Forderungen aufstellen. Aber die Umsetzung dieser Forderungen, dieser Analysen läßt auf sich warten.

Wir haben es heute wieder erlebt, meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Beantwortung der dringlichen Anfrage – selbstverständlich kann man mit den Intentionen der Anfragesteller überhaupt nicht konform gehen kann – nur einen Nebeltopf losgelassen, nämlich die Dinge, die wir schon so oft gehört haben wiederholt. Man muß zuwarten, man wird sehen, was sich entwickelt, jetzt noch nicht. Es war auch der Zeitplan sehr interessant, den er uns vorgelegt hat. In acht bis zehn Jahren wird sich vielleicht etwas entwickeln. Das heißt also, in der Nach-Vranitzky-Ära werden sich seine Nachfolger mit der Neuordnung der Sicherheitspolitik zu beschäftigen haben. Er ist nicht bereit, diese Diskussion zu führen. (Zwischenbemerkung des Bundeskanzlers Dr. Vranitzky .)

Selbstverständlich, Herr Bundeskanzler! In den Diskussionen der letzten Tage haben Sie acht bis zehn Jahre gesagt. (Abg. Schieder: Wieso schließen Sie in zehn Jahren ein Nachher aus?) Davon gehe ich wohl aus, Herr Kollege Schieder. Vielleicht ist es auch eine Hoffnung. Herr Kollege Schieder! Ich gebe Ihnen recht, da ist vielleicht der Wunsch Vater des Gedankens. (Abg. Dr. Fuhrmann: Wishful thinking!) Ich hoffe jedenfalls, daß Sie bald auch in Ihren Reihen Politiker an der Spitze Ihrer Fraktion haben werden, die keine Berühungsängste mit sicherheitspolitischen Debatten haben, denn damit wäre unserem Land wirklich gedient, Herr Kollege Schieder und meine Damen und Herren von der SPÖ. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Sie haben es auch offengelegt, Kollege Schieder. Sie haben gesagt, das Gerede über die Neutralität sei schädlich. Das heißt, Sie erteilen ein Diskussionsverbot. Wir dürfen über die Frage der Neutralität und damit im Zusammenhang über die Sicherheitspolitik nicht diskutieren, denn das schadet.

Herr Kollege Schieder! Wem schadet das? Wo ist der Schaden einer Neutralitätsdiskussion? – Es ist mir schon klar, daß Ihnen das unangenehm ist, denn Sie haben ja die Neutralität zu einem Dogma erhoben. Und der Herr Bundeskanzler hat vor dem EU-Beitritt den Leuten vorgegaukelt, daß wir als neutraler Staat in die Europäische Union hineingehen können. Das stimmt natürlich nicht, meine Damen und Herren, denn eine ernstgenommene Neutralität ist mit einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union nicht vereinbar. Man könnte sich daher überlegen, dem Antrag der Grünen zuzustimmen, die eine Volksabstimmung über die Neutralität verlangt haben, die verfassungsrechtlich nicht notwendig ist.

Meine Damen und Herren! Wenn diese Volksabstimmung so ausgehen würde, wie es sich die Grünen erhoffen, daß nämlich die Entscheidung für die Beibehaltung der Neutralität ausfallen würde, dann wäre das unserer Meinung nach gleichbedeutend mit der Verpflichtung zum Austritt aus der Europäischen Union. Denn auch das, Herr Kollege Schieder – und das wissen Sie ganz genau –, wird uns, wenn wir im Ausland sind, bei Veranstaltungen immer wieder gesagt. Ihr Österreicher seid EU-Mitglied. Ihr habt damit die Intentionen und die Ziele des Maastricht-Vertrages ohne Wenn und Aber akzeptiert, in dem auch die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik enthalten ist. Wo soll da noch Platz für eine ernstgenommene Neutralität sein?

Herr Kollege Schieder! Sie wissen, daß es diese Diskussionen gibt. Sagen Sie nicht im Inland etwas anderes als das, was uns draußen auch immer wieder mitgeteilt wird. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Schieder: Aber deswegen muß das nicht stimmen!)

Herr Kollege Schieder! Sie sagen natürlich immer (Abg. Schieder: Wenn alles stimmt, was gesagt wird, wäre das furchtbar!), das stimmt alles nicht, was die anderen sagen. Es stimmt alles nicht, was die Europäische Union festhält, was Ihre Parteikollegen festhalten. Es ist mir ein völliges Rätsel, warum es diese Berührungsängste gibt. (Abg. Schieder: Sie waren selbst dabei, wie Delors gesagt hat, er kann leben damit!) Natürlich. Er kann mit einer Neutralität leben, die bedeutet, daß wir uns überall beteiligen, daß wir uns von keinen Aktionen ausschließen, weil die Neutralität nur zur innenpolitischen Beruhigung der Bevölkerung notwendig ist. Das ist es. Das sind die Dinge, die uns dort vorgehalten werden, Herr Kollege Schieder! (Beifall bei den Freiheitlichen.)


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Wenn wir uns überall beteiligen, wenn wir solidarisch mit den anderen ohne Wenn und Aber mittun, dann ist die Neutralität kein Problem, denn dann sind wir kein neutraler Staat mehr. Legen Sie offen, daß dieses Festhalten an der Neutralität nur mehr zur Beruhigung der Bevölkerung hier im Inland notwendig ist, weil Sie halt Versprechungen gemacht haben, die in Wahrheit nicht einzuhalten sind.

Trotzdem, Herr Kollege Schieder, kann es hier kein Diskussionsverbot geben, im Gegenteil: Wenn Sie hier sagen, daß sich irgendwann einmal ein neues Sicherheitssystem entwickeln wird, dann wäre es doch notwendig, jetzt bereits diese Diskussionen zu beginnen, weil man auch in der Bevölkerung einen Meinungsbildungsprozeß umsetzen muß.

Meine Damen und Herren! Zur Neutralität hat auch Kollege Mock festgehalten, daß diese – darin sind wir uns wohl alle einig – einen großen historischen Wert gehabt hat. Sie war die Bedingung für unseren Staatsvertrag und damit auch die Bedingung für den Abzug der Besatzungsmächte. Und seit 1955 hat sie auch die Funktion Österreichs als neutraler Puffer zwischen den Blöcken definiert. Österreich war ein Ort der Begegnung, all das war sehr wichtig.

Den Wahrheitsbeweis betreffend den sicherheitspolitischen Wert mußte diese Neutralität Gott sei Dank nie wirklich erbringen, Herr Kollege Schieder, denn all unsere Verteidigungsdoktrinen waren doch nicht auf die sicherheitspolitische Funktion der Neutralität ausgerichtet, sondern doch eher auf den Versuch, so lange durchzuhalten, bis von der NATO Hilfe nach Österreich gekommen wäre. Das waren doch unsere sicherheitspolitischen Doktrinen auch in den Zeiten des kalten Krieges, in denen man noch zu 100 Prozent zur Neutralität gestanden ist. Man kann doch nicht hier so tun, als ob wir nie diese Beziehungen und dieses Hoffen und das Warten auf die NATO gehabt hätten.

Meine Damen und Herren! Wenn man schon diesen sicherheitspolitischen Wert der Neutralität in der Vergangenheit befürwortet hat, dann, Herr Kollege Schieder, müssen Sie mir sagen, welchen sicherheitspolitischen Wert eine ernstgenommene Neutralität heute noch haben kann. Sagen Sie mir das! Worin kann nach dem Zerfall des Ostblocks, worin kann in einer Zeit, in der es auch im Verteidigungsbereich eine immer größere Zusammenarbeit zwischen den Staaten gibt, der Sinn einer ernstgenommenen völkerrechtlichen Neutralität liegen?

Man muß doch wohl auch klarlegen, was das bedeutet, Herr Kollege Schieder. (Abg. Schieder: Aktive Friedenspolitik, Friedensforschung!) Was bedeutet eine ernstgenommene völkerrechtliche Neutralität? – Das heißt, daß man seine Sicherheits- und Verteidigungspolitik alleine und isoliert von anderen Staaten organisiert. Da rede ich gar nicht von Überflugsgenehmigungen und von Durchfuhrgenehmigungen von Waffen und sonstigem Gerät, sondern da rede ich nur von der Neutralitätspolitik, Herr Kollege Schieder, die auch in Friedenszeiten für einen neutralen Staat Voraussetzung ist, sodaß man sagen kann, man werde sich auch in Zukunft im Ernstfall aus allen möglichen Konflikten heraushalten, man werde selbstverständlich keiner Organisation beitreten, die kollektive Verteidigungsmaßnahmen vorsieht. Herr Kollege Schieder! Das wären die Bedingungen an einen dauernd neutralen Staat. Die Schweiz etwa hat es sehr ernst genommen. Sie hat gesagt, wir bleiben aus all diesen Sicherheitssystemen draußen: keine UNO-Mitgliedschaft, keine EU-Mitgliedschaft et cetera et cetera.

Herr Kollege Schieder! Sie, aber auch Ihr Klubobmann Kostelka, haben auch die Kosten eines NATO-Beitritts immer wieder ins Spiel gebracht. Man muß dann aber auch festhalten, daß man seine Verteidigung selbst organisieren und selbst finanzieren muß. Herr Kollege Schieder! (Abg. Schieder: Glauben Sie an Geisterstimmen? Ich habe das mit keinem Wort erwähnt!) Was würde das kosten, wenn wir sagen, wir müssen unser Bundesheer so weit aufrüsten, daß wir uns alleine gegen alle möglichen potentiellen Bedrohungen der Zukunft zur Wehr setzen können? (Abg. Dr. Cap: Hören Sie wirklich Geisterstimmen?) Da müssen Sie auch die Alternativen sehen. (Beifall bei Freiheitlichen.)

Denn die Alternativen sind nicht, so weiterwurschteln wie bisher oder der NATO beitreten, sondern die Alternativen sind, entweder Sicherheit gemeinsam mit anderen Staaten zu organisieren


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oder sich alleine so hochzurüsten, daß man auch das Abschreckungspotential gegen alle möglichen Aggressoren gestalten kann. (Abg. Dr. Cap: Warum hören Sie Stimmen?)

Herr Kollege Cap! Von Ihnen kommt immer der Zwischenruf: Welche Bedrohungen sind denn zu bewältigen? Dann kommt der Herr Bundeskanzler gemeinsam mit den Grünen und sagt, es geht eigentlich um soziale Fragen, um Umweltfragen. Meine Damen und Herren! Können Sie es wirklich ausschließen, daß in den nächsten fünf Jahren, in den nächsten zehn Jahren an Österreichs Grenzen wieder Konflikte entstehen? Können Sie das wirklich ausschließen?

Hätte vor 10 oder 15 Jahren jemand vorhersehen können, daß 1991 an unseren Grenzen gekämpft wird, daß im ehemaligen Jugoslawien ein fürchterlicher Bürgerkrieg stattfindet? Hätte man damals Garantien abgeben können, daß das alles nicht passiert und daß eine militärische Landesverteidigung nicht notwendig ist? Wer würde denn heute die Verantwortung für diese Garantien übernehmen? Können Sie diese Garantien abgeben, und übernehmen Sie dann die Verantwortung, wenn Ihre Prognose nicht eintritt? Ich glaube, daß das nicht möglich ist. Wir als verantwortliche Politiker in Österreich müssen uns auf den Fall, der derzeit nicht aktuell, aber auch nicht auszuschließen ist, vorbereiten wie bei einer Versicherung. Jetzt in Friedenszeiten für unsere Sicherheit sorgen, das muß uns etwas wert sein, und dazu müssen wir auch Dogmen aus der Vergangenheit überwinden. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Wir sind der Meinung, meine Damen und Herren, daß die NATO und die Teilnahme an gemeinsamen Sicherheitssystemen nichts mit Instrumenten des kalten Krieges und mit militärischer Aggression zu tun haben, sondern daß es ganz einfach das Gebot der Stunde ist, daß wir gemeinsam mit den anderen westlichen Staaten solidarisch Sicherheit in Europa schaffen und gemeinsam mit den anderen Staaten auch für unsere Verteidigung einen Beitrag leisten.

Sie können auch nicht so tun, als ob noch nicht absehbar ist, was sich in Europa entwickeln wird. Die Weichen sind doch schon längst gestellt. Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft, die Staaten der NATO, die Staaten der Westeuropäischen Union haben doch schon festgehalten, daß sich nichts Neues in Europa entwickeln wird, daß man keine neue Struktur aufbauen wird, sondern daß die vorhandenen Institutionen weiterentwickelt werden, daß sie erweitert werden und daß man aus diesen vorhandenen Institutionen eine Sicherheitsarchitektur bauen wird.

Jetzt geht es auch darum: Sind wir bei dieser Neuordnung, bei dieser Weiterentwicklung der vorhandenen Instrumente dabei, oder beobachten wir nur von außen? Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, wir sind dabei, wir gestalten mit. Wie kann man mitgestalten, Herr Bundeskanzler, wenn man von außen zusieht und sagt, wir beobachten zwar, aber wir sind nicht bereit, als Mitglied auch wirklich solidarisch mit allen Rechten und Pflichten einen Beitrag dazu zu leisten. Das können Sie mir nicht erklären. Es ist auch schon rein optisch für uns erkennbar, wie die Situation läuft, Herr Bundeskanzler!

In den Gremien, in denen wir als Beobachter vertreten sind, sitzen wir in der letzten Reihe und hören zu, wie Staaten wie Albanien, Moldavien, Rußland, Rumänien das Rederecht haben und Anträge stellen, in die politischen Gremien der NATO und der anderen Verteidigungssysteme vollintegriert sind. Wir sind hier Schlußlicht, Herr Bundeskanzler! Die Staaten des ehemaligen Ostblocks, die Staaten des ehemaligen feindlichen Bündnisses haben uns bei der Integration in die westliche Verteidigungsstruktur längst überholt. Das ist Ihre Verantwortung. Durch Ihr Zögern, durch Ihr Zaudern, mitverantwortet auch durch die ÖVP, die das zugelassen hat, sind wir hier auf das Abstellgleis gekommen, meine Damen und Herren! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Deshalb wäre dies ein Gebot der Stunde. Kommen Sie jetzt nicht mit den Argumenten Atomwaffen und Stationierung fremder Truppen. Da ist man doch schon längst weiter. Die NATO hat schon festgehalten, daß bei den neuen Mitgliedern keine Atomwaffen stationiert werden, daß mit großer Wahrscheinlichkeit auch keine neuen Truppen stationiert werden. Da ist man schon wesentlich weiter.


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Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler! Österreich ist nicht Trittbrettfahrer in der Sicherheitspolitik, denn das lassen die anderen Staaten nicht zu, daß jemand, ohne die Pflichten einer Mitgliedschaft zu tragen, die Vergünstigungen bekommt. Aber Österreich wird immer mehr zum Geisterfahrer in der Europäischen Sicherheitspolitik. Wir fahren in die falsche Richtung und wissen anscheinend nicht, in welche Richtung die sicherheitspolitische Diskussion geht.

Fassen Sie endlich Mut, sagen Sie der Bevölkerung in Österreich die Wahrheit, nämlich daß die Neutralität ein Instrument der Vergangenheit ist, das in der Vergangenheit eine wichtige Funktion gehabt hat, daß wir uns aber jetzt auf neue Gegebenheiten einzustellen haben, und das ist nur im Verbund mit den anderen Staaten möglich. Fassen Sie den Mut, setzen Sie endlich gemeinsam mit uns die Initiativen, stellen Sie die Mitgliedsanträge zur NATO, zur Westeuropäischen Union, schaffen Sie die Voraussetzungen für eine funktionierende Landesverteidigung, denn dann ist auch die Sicherheit Österreichs für die Zukunft sichergestellt! Österreich darf sich nicht immer mehr zu einem sicherheitspolitischen Vakuum im Herzen Europas entwickeln. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

18.00

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Abgeordneter Dr. Frischenschlager. – Bitte, Herr Abgeordneter.

18.00

Abgeordneter Dr. Friedhelm Frischenschlager (Liberales Forum): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Hohes Haus! Ich bin der grünen Fraktion dankbar, daß sie heute das Thema Neutralität einer Diskussion unterzieht. Ich glaube, daß diese Diskussion dringend notwendig ist – im Gegensatz zu dem, was Kollege Schieder gesagt hat –, aber in der Sache selbst gehe ich natürlich mit den Grünen ganz und gar nicht konform. Im Gegenteil: Ich behaupte, daß sie einen sicherheitspolitischen Diskussionsstand haben, der irgendwo weit vor ihrem Gründungsdatum liegt, irgendwo in den siebziger Jahren. (Zwischenruf des Abg. Hans Helmut Moser .) Ich glaube auch, daß sie bis heute noch nicht erfaßt haben, daß sich Österreich als Mitgliedsland der Europäischen Union in einer total veränderten sicherheitspolitischen Situation befindet.

Es gibt aber einen Milderungsgrund für die Grünen, der darin liegt, daß sich auch die beiden Regierungsparteien sehr bemühen, nur ja zu vermeiden zuzugeben, daß sich in den Fragen des Zusammenhanges Beitritt zur Europäischen Union und immerwährende Neutralität vielleicht gar etwas geändert hätte. Das hat natürlich auch wieder Tradition. Das war nicht nur so, als wir die Abstimmung über den Beitritt zur Europäischen Union hatten, sondern das geht bis heute weiter, daß man strikt und konsequent sagt: Mit dem Beitritt zur Europäischen Union rührt sich bei der Neutralität überhaupt nichts, sie wird nicht verändert, man muß sie vielleicht ein bißchen weiter interpretieren, man muß eine neue Neutralität als Schlagwort kreieren, aber es bleibt alles beim alten.

Diese Vernebelungstaktik führt natürlich dazu, daß Unsicherheit über die sicherheitspolitische Zukunft dieses Landes besteht. Die Bundesregierung, die eigentlich dazu aufgerufen wäre, diesbezüglich an einem Strang zu ziehen, belegt fast täglich die Zerstrittenheit zwischen den Regierungsparteien, aber natürlich genauso innerhalb der Parteien in dieser zentralen Frage.

Wenn zum Beispiel der ÖVP-Obmann und Außenminister ganz klar im ORF feststellt, es gehe um die Schaffung einer europäischen Friedenszone und einer europäischen Friedensinstitution, die etwa in Europa nur die Westeuropäische Union als der europäische Arm der NATO sein kann, dann drückt er ganz klar aus, was seine Zielsetzung ist.

Aber offensichtlich glaubt er oder zumindest die ÖVP, daß das mit der Neutralität nichts zu tun hat. Dort schaut es aus einer anderen Perspektive wieder anders aus. ÖVP-Generalsekretär Karas sagte vor nicht einmal einem Monat: Wir haben keine Neutralitätsdiskussion zu führen, und wir führen auch keine. – Das ist also genau dieselbe Methode, die man bei den Sozialisten noch viel stärker sieht: Westeuropäische Union und EU haben mit Neutralität nichts zu tun.

Klubobmann Khol sieht das schon wieder anders, denn er stellt in einem Presse-Artikel fest: "Wo kein Neutralitätsfall mehr eintreten kann, ist der Neutralitätsstatus nicht mehr anwendbar." –


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Er hält sich also wieder nicht an den Befehl seines Generalsekretärs, der sagt, es gibt keine Neutralitätsdiskussion und wir führen auch keine.

Zum Drüberstreuen zitiere ich – das ist wirklich das Beste –, was der ehemalige ÖVP-Präsidentschaftskandidat, jetzt unser aller Bundespräsident Klestil, vor zwei Tagen im "Standard" meinte: "Europäische Union, Westeuropäische Union und NATO werden verschmelzen." – Er scheint offensichtlich fast eine naturgesetzliche Entwicklung darin zu sehen und hält sich auch nicht an das Verbot, darüber nachzudenken, ob das mit der Neutralität vereinbar ist.

In der Sozialdemokratischen Partei weiß der Europakandidat offensichtlich nicht, was seine Partei denkt, denn er sagt deutlich in der "Presse" am 13. Juni: "Swoboda ist für Beistandspflicht in der Europäischen Union." – Bei der sind wir, wenn ich mich recht erinnere. Wie soll Beistandspflicht mit Neutralität zusammenzubringen sein? – Das bringt dann nur jemand zustande, der auch noch den NATO-Beitritt mit der immerwährenden Neutralität unter einen Hut bringen kann. Also überall gibt es dieses merkwürdige Bild, daß man einerseits schon so vage sieht, daß es eine europäische sicherheitspolitische Entwicklung gibt, der man sich nicht so ohne weiteres entziehen kann, was aber andererseits mit der Neutralität nichts zu tun haben darf.

In der SPÖ gibt es eine neue Facette, die mich natürlich auch fasziniert hat. Das kommt in einer Aussendung des Bundeskanzlers vom 29. Juni zum Ausdruck, in der steht: "Klar bekannte sich Vranitzky zur Beibehaltung der Neutralität, solange es kein anderes System gibt, das uns größere Sicherheit bringt." – Das ist immerhin etwas, was ganz gut ist. Aber interessant ist, daß der Herr Bundeskanzler einen neuen Begriff in die aktuelle Diskussion einführt, nämlich die Paktfreiheit. (Bundeskanzler Dr. Vranitzky: Das ist doch nicht neu!)

Herr Bundeskanzler! Ein paktfreier Staat – so steht es zumindest hier – habe Handlungsspielraum. Um diesen nützen zu können, müsse man ihn schützen – und das im Zusammenhang mit der Neutralität.

Nun meine ich, daß hier offensichtlich wieder eine neue Verwirrungsmethode kreiert wird, indem man sich nämlich von der immerwährenden Neutralität zur Paktfreiheit "hinüberhantelt". Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler! Die Paktfreiheit hat natürlich mit Neutralität überhaupt nichts zu tun (Bundeskanzler Dr. Vranitzky: Oja!) , sondern Paktfreiheit ist die selbstgewählte Positionierung, keinem Pakt anzugehören, während die Neutralität zwei Seiten hat, nämlich einerseits, daß man sich selbst ganz klar zum Heraushalten aus Konflikten verpflichtet, aber eben auch international Pflichten hat, nämlich sich aus zukünftigen Konflikten absolut herauszuhalten. Sie ist eben eine zweiseitige Angelegenheit, und das ist der elementare Unterschied zur Paktfreiheit.

Ich würde wirklich ersuchen, diesen Begriff in dem Zusammenhang wieder aus der Diskussion zu nehmen, weil er nur zu weiterer Verwirrung beiträgt. Ich habe manchmal den Eindruck, daß man sich über diesen Begriff der Paktfreiheit wieder ein bißchen wegbewegt von der starren Klammer der Neutralität und vielleicht doch irgendwo in die europäische Sicherheitspolitik hinüberkommt und die Neutralitätsmotivation der österreichischen Bevölkerung oder ihre Einstellung dazu sozusagen ein bißchen abdämpft. Herr Bundeskanzler! Es ist kein geeignetes Instrument, mit der Paktfreiheit über die Neutralität hinwegkommen, also das alles mit der Europäischen Union in Zusammenhang bringen zu wollen.

Meine Damen und Herren! So weit zunächst einmal zur aktuellen Diskussion, die verwirrend genug verläuft.

Aber die Grünen und auch die Sozialdemokraten übersehen natürlich eines, und das muß man ganz klar an die Spitze der Diskussion stellen: Mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union haben wir die Möglichkeit der Neutralitätspolitik hinter uns gelassen, und wir haben uns auch vertraglich dazu verpflichtet. In unserem Beitrittsvertrag mit der Europäischen Union haben wir ganz klar gesagt, daß wir an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik teilhaben werden, und wir haben uns verpflichtet, uns der Weiterentwicklung zu einer Verteidigungsgemeinschaft nicht entgegenzustellen, sondern sie mitzutragen.


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Herr Bundeskanzler! Nun haben Sie schon recht, wenn Sie fragen: Wann wird denn das sein? Wie wird das aussehen? – Aber ein ganz zentraler Punkt der Neutralität ist damit einfach die Donau hinuntergeschwommen, nämlich das Vertrauen der internationalen Staatengemeinschaft darauf, daß sich Österreich in einer Konflikt- und Krisensituation neutral verhalten werde, im Sinne von Gleichbehandlung von Konfliktparteien, weil doch völlig klar ist, daß eines nicht geht – es wäre auch absurd –, nämlich daß Österreich als Mitgliedsland der Europäischen Union in einer Krisensituation nicht die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union mittragen sollte, daß es nicht ein Interesse daran haben sollte, daß das Gewicht der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik Österreichs innerhalb der EU zum Tragen kommt, sondern daß wir uns querlegen und die beiden Konfliktparteien völlig gleich behandeln – und das als Mitglied der Europäischen Union.

Das geht nicht, das ist völlig unglaubwürdig, und richtigerweise wird jeder Staat auf dieser Welt annehmen, daß sich Österreich in Krisen- und Konfliktsituationen zur Europäischen Union nicht nur loyal verhalten wird, sondern vor allem ein Interesse daran hat, daß sich diese Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik auch tatsächlich durchsetzt. Das ist der Sinn dieser Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, daß sich die politische Kraft und die wirtschaftliche Stärke dieses Kontinents in eine Sicherheitspolitik umsetzen. Das ist der Sinn dieser Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. (Beifall beim Liberalen Forum.)

Nochmals in diesem Zusammenhang: Mit dem Beitritt zur Europäischen Union haben wir jede Glaubwürdigkeit, daß wir uns in Zukunft neutral verhalten werden, selbst bewußt aufgegeben und uns vertraglich dazu verpflichtet, daß wir diese Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union mitbeginnen, mitaufbauen und mittragen. Wir sollten das jetzt auch nicht nach dem Lebertranprinzip als etwas sehen, das wir bedauerlicherweise machen müssen, weil wir zu den süßen Drops auch saure Drops dazunehmen mußten. Nein, das Liberale Forum ist sich dessen bewußt, es gibt auf diesem Kontinent nur in einer solidarischen Sicherheitspolitik, in einer Leistungs- und Lastenverteilung eine gemeinsame sicherheitspolitische Perspektive. (Beifall bei Liberalen Forum.)

Das ist ein sicherheitspolitischer Fortschritt, und diesen sollten wir bejahen. Das sei jetzt im Hinblick auf die Anregung der Grünen für das Referendum gesagt: Mir ist völlig klar, daß leider aufgrund der Diskussionsverweigerung durch die Regierungsparteien und aufgrund der für mich völlig absurden rückschrittlichen Position der Grünen in den Sicherheitsfragen die Neutralität in ihrer sicherheitspolitischen Dimension in Österreich in der Bevölkerung weit überbewertet wird.

Aber unsere Aufgabe ist es, nicht nur den Realitäten ins Auge zu schauen, sondern für eine bessere, solidarische europäische Außen- und Sicherheitspolitik zu sorgen, die natürlich nicht nur eine militärische ist. Im Gegenteil, ich bin davon überzeugt, daß dieser Kontinent nach wie vor "überrüstet" ist. Abrüstung muß das Ziel sein. Wir müssen daher eine Sicherheitspolitik aufbauen, die Konflikte verhindert, und vorbeugend darauf achten, daß keine Konflikte ausbrechen. (Abg. Wabl: Dazu müssen wir beitreten, wenn wir abrüsten müssen!) Wir müssen darauf schauen, daß dieser europäische Kontinent in bezug auf gesellschaftspolitische, wirtschaftspolitische, grundrechtliche und demokratische Standards auf ein Niveau kommt, daß es keine Konflikte mehr geben kann. Das ist das Ziel.

Der Herr Bundeskanzler hat heute sehr oft mit diesem allumfassenden Sicherheitsbegriff argumentiert, er hat aber heute sein Argument selbst ad absurdum geführt, indem er gesagt hat, ökologische, soziale und wirtschaftliche Sicherheitsfragen könnte man militärisch nicht lösen. Damit hat er natürlich völlig recht. Aber dann soll er es auch lassen, alle diese Dinge unter einem Sicherheitsbegriff in einen Sack zu packen. Das sind unterschiedliche Dinge, für die wir unterschiedliche Instrumentarien haben, und daher habe ich manchmal den Eindruck, man redet über einen umfassenden Sicherheitsbegriff, unter dem von der Ökologie bis zur Verteidigungspolitik alles beieinander ist, damit man diese zugegebenermaßen sehr unangenehme militärische sicherheitspolitische Seite ein bißchen in andere Sicherheitspolitiken einpacken kann, aber realistisch ist es nicht.


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Wir müssen auf diese sicherheitspolitischen Notwendigkeiten klare Antworten geben, und diese können nur lauten: solidarische Sicherheitspolitik, das heißt Beitritt zur Westeuropäischen Union, um das politische Instrumentarium zu schaffen, um überhaupt sicherheitspolitisch agieren zu können. (Zwischenruf des Abg. Wabl .) Kollege Wabl! Wenn Gewalt mißbraucht wird, wenn militärische Gewalt angewendet wird, dann muß sich dieser Kontinent gemeinsam und solidarisch wehren können, und dazu werden auch wir – leider – einen Beitrag leisten müssen – nicht im Interesse der anderen, sondern in unserem Interesse.

Kollege Wabl! Eines ist klar: Auf diesem Kontinent gibt es Sicherheit, wenn wir eine solidarische Sicherheitspolitik aufbauen, die für mich den Einschluß Rußlands bedeutet – nur so nebenbei.

Aber dafür müssen wir politische Strukturen schaffen, das ist die Westeuropäische Union. Wir brauchen bescheidene militärische Kapazitäten, um uns wehren zu können, und drittens müssen wir alles tun, um die wirtschaftlichen, sozialen und demokratischen Standards in diesem Kontinent auf ein Niveau zu bringen, daß Konflikte von vornherein nicht ausbrechen. Das verstehe ich unter umfassender Sicherheitspolitik, und das ist eine logische Folge – im Gegensatz zu eurer Position. Ihr glaubt, daß, wenn wir unser eigenes sicherheitspolitisches Neutralitäts"gartl" bearbeiten, das unsere Sicherheit erhöht und ein Beitrag zur internationalen solidarischen Sicherheitspolitik ist.

Das ist nicht möglich, deshalb müssen wir endlich die Scheuklappen beiseite geben, das Ziel der Europäischen Sicherheitspolitik angehen und von Anfang an beim Aufbau dieser Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik dabei sein. (Beifall beim Liberalen Forum.)

Das ist realistisch, das ist logisch. Daß ich das heute sagen konnte, verdanke ich eurer Dringlichen, wofür ich mich nochmals herzlich bedanke. (Beifall beim Liberalen Forum.)

18.16

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Öllinger. – Bitte, Sie haben das Wort.

18.16

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Abgeordneter Frischenschlager hat jetzt für mich ein wunderbares Beispiel in der Disziplin "Tarnen und Täuschen" geliefert. Wenn er von einer europäischen Sicherheitspolitik, von einer europäischen Sicherheitsarchitektur, von einem europäischen Sicherheitssystem redet, dann ist das synonym zu setzen mit Rüstungssystem, Rüstungspolitik und Rüstungsarchitektur. (Zwischenrufe beim Liberalen Forum.)

Nicht anders ist es zu verstehen, wenn er einerseits davon spricht, daß wir in Europa überrüstet sind – da gebe ich ihm recht –, wenn er aber auf der anderen Seite noch vor wenigen Tagen in der Öffentlichkeit, beispielsweise im "Standard" sagt: In Österreich haben wir zu wenig Rüstung. Wir verstoßen sozusagen auf dem Feld der militärischen Verteidigungspolitik gegen die europäischen Wettbewerbsbedingungen, weil wir zu wenig gerüstet haben. Wir müssen sozusagen aufrüsten – um in der Logik des Abgeordneten Frischenschlager zu bleiben –, damit dann europaweit abgerüstet werden kann. Wer das verstehen will, der möge es verstehen. (Zwischenruf des Abg. Dr. Frischenschlager .) Herr Abgeordneter Frischenschlager! Für meine Begriffe ist das sehr deutlich etwas anderes als das, was Sie hier gesagt haben.

Ich möchte aber schon darauf hinweisen, es geht eigentlich um mehr als um die Einzelbeiträge von einzelnen Abgeordneten. Für mich kam bisher in der Debatte schon sehr deutlich heraus, daß versucht wird, uns unter dem Mantel "neue Sicherheitsarchitektur, NATO-Erweiterung" und ähnlichem zu verkaufen: Wer sich gegen die NATO stellt, wer sich gegen diese Sicherheitsarchitektur stellt, wer gegen den Beitritt zur WEU ist, ist ein Träumer, lebt in den siebziger Jahren, betreibt eine falsche Politik der Wehrlosigkeit, der Entwaffnung und treibt uns in die Arme des russischen Bären. – Das hat Abgeordneter Mock ziemlich deutlich ausgesprochen, indem er mit Herrn Sjuganow aus Moskau sozusagen symbolisch mit dem russischen Bären gewinkt hat beziehungsweise ihn in den Raum gestellt hat. (Abg. Mag. Kukacka: Da hat er nicht so unrecht!)


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Ich möchte schon darauf hinweisen, meine Damen und Herren von der ÖVP: Träumer ist man deswegen, weil man eine Langstreckenrakete noch immer als eine Langstreckenrakete sieht und nicht als ein militärisches Verteidigungsmittel, noch lange nicht. Wenn ich mir die NATO ansehe, dann muß ich schon sagen, primär besteht die NATO, auch wenn sie durchaus auch anderen Zielen dienlich gemacht werden kann, nicht aus Verteidigungszwecken und aus Verteidigungszielen. (Abg. Mag. Kukacka: Na sicher!) Primär ist die NATO ein Angriffsinstrument. Sie hat die Mittel zur Verfügung, die nur für den Angriff geeignet sind. (Zwischenruf des Abg. Hans Helmut Moser .)

Kollege Moser! Darüber kann man natürlich entrüstet sein, aber wenn ich mir die militärischen Instrumente der NATO von ihrer Atombewaffnung, von ihrem Atomwaffenarsenal, von ihren Instrumenten her ansehe, dann kann ich bei weitem nicht davon reden, daß wir es mit einem reinen Verteidigungsbündnis zu tun haben, mit einem Verteidigungsbündnis, das eigentlich seine wunderbare Premiere als Verteidigungs- und Sicherheitsbündnis in Jugoslawien gehabt hat.

Sehen wir uns doch diesen Konflikt in Jugoslawien ein bißchen näher an. Meine Damen und Herren! War es nicht so, daß die NATO, solange die UNO-Stäbe in Jugoslawien ihr unterstellt waren, nichts gemacht hat? – Meine Damen und Herren! Da kann Abgeordneter Mock noch so sehr und in emotionalen Bildern die Schrecken von Srbrenica und anderen Städten beschwören: Es war nicht die UNO, die in Jugoslawien in den letzten fünf Jahren versagt hat.

Es war die NATO, die eindeutig in Jugoslawien der UNO den Auftrag, den Befehl zum Einschreiten verweigert hat. Die NATO hätte schon viel früher die Möglichkeit gehabt einzuschreiten! (Abg. Scheibner: Genau umgekehrt!) Sie hat es nicht getan. Es ist in Jugoslawien unter anderem auch darum gegangen, ein international durchaus sinnvolles System wie die UNO zu diskreditieren. Ich meine, man muß schon sehr genau aufpassen, wenn man sich den jugoslawischen Konflikt ansieht, um nicht zu einem falschen Urteil zu kommen.

Meine Damen und Herren! Es geht nicht darum, daß die Grünen die Träumer, die Polizei- und Militärabschaffer sind (Abg. Scheibner: Richtig! Sie haben ganz klare Ziele!), die Österreich wehrlos dem russischen Bären ausliefern wollen. Es geht darum, daß man sich, auch in Europa, ganz real die Bedrohungsszenarien anschauen muß. Ich möchte nur darauf hinweisen – und das stammt nicht aus meinem Mund, sondern aus dem eines international renommierten Militärforschers –, daß sich die Bedrohungsszenarien international in den letzten Jahrzehnten gewaltig verändert haben. Es geht nicht mehr primär um die klassischen Konflikte zwischen Militärbündnissen und die klassischen Konflikte zwischen Ländern. Es geht nicht mehr darum, daß ein Land dem anderen den Krieg erklärt.

Es geht im wesentlichen darum – und diese Dimension hat zugenommen –, daß die nicht klassischen Konflikte enorm an Bedeutung gewonnen haben, und zwar die Konflikte, die nicht zwischen den Ländern stattfinden, die Konflikte, die sozusagen auf der zivilen Ebene stattfinden, zwischen Ethnien, entlang von Religionen, nicht zwischen organisierten Verbänden. Das ist das Problem, mit dem wir heute – und zwar nicht nur in Europa, sondern weltweit – konfrontiert sind! Und darauf hat die militärische Sicherheitsoptik und Sicherheitsposition noch überhaupt keine Antwort gefunden. Es gibt ein absolutes Versagen jeglicher militärischer Option darüber, wie man mit diesen Konflikten zu Rande kommt.

Da gibt es höchstens das Schulterzucken von Militärs – egal, wo –, weil man nicht weiß, wie man mit diesen Konflikten zu Rande kommen soll. Das war doch auch – meine Damen und Herren, erinnern Sie sich daran! – die Situation noch vor wenigen Jahren in Jugoslawien! Auch da hat die Militärseite mit den Schultern gezuckt und gemeint, man könne nicht intervenieren. Und ich bin mir nicht sicher, was in wenigen Jahren das Ergebnis dieser Intervention in Jugoslawien sein wird, ob es tatsächlich von dauerhaftem Bestand ist, solange es keine politische und keine soziale Unterfütterung für diese Region in Jugoslawien gibt.

Das ist doch die Situation, die wir heute bei Konflikten überall erleben: daß das Entscheidende, das oftmals viel Entscheidendere, die sozialen Spannungen, die religiösen Spannungen, die


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nationalen Spannungen zwischen den Beteiligten sind und daß die militärische Konfliktsituation nur ein Teil ist, der dargestellt werden kann.

Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Mock hat direkt darauf Bezug genommen, daß er die Neutralität nicht als Ziel sieht, sondern als Mittel. Das ist eine spannende Frage, aber eine Frage, die weit über das hinausgeht, was wir hier und heute diskutieren können. Ich möchte nur sagen: Dasselbe, was man im Rahmen des Begriffes Neutralität hier diskutieren kann, könnte man auch bei der Demokratie diskutieren. Ist die Demokratie ein Ziel oder ein Mittel? – Für mich ist das eine unentschiedene Frage.

Ist die Unabhängigkeit Österreichs, die Abgeordneter Mock im Zusammenhang mit dem Neutralitätsgesetz angesprochen hat, ein Ziel oder ein Mittel? – Er hat sie als ein Ziel angesprochen. Ich meine, so wie er sie definiert hat, war sie aber eindeutig als ein Mittel zu sehen, und zwar als ein Mittel, um sich zu befreien. Und man sollte, wenn man schon sehr grundsätzlich an diese Fragen herangeht, es auch sehr grundsätzlich diskutieren und sich auch grundsätzlich die Zeit dafür nehmen. (Abg. Mag. Stadler: Wozu dient der Mittelfinger des Kollegen Wabl?)

Herr Abgeordneter Stadler! Wenn Sie bei einer Debatte über die Sicherheitspolitik nichts anderes im Sinn haben, als über den Mittelfinger des Abgeordneten Wabl zu diskutieren, dann tun Sie mir, ehrlich gesagt, wirklich leid! (Beifall bei den Grünen.) Das ist Ihre Art, sich damit auseinanderzusetzen. Das ist Ihre Art, sich mit der Sicherheitspolitik, mit der Neutralitätspolitik auseinanderzusetzen, daß Sie in dieser Debatte auf den Mittelfinger verweisen. (Abg. Mag. Stadler: Weil es eine Obszönität war, eine Entgleisung des Kollegen Wabl! Wenn Sie schon Ihre Kohlenkastenphilosophie hier ausbreiten, bringen Sie wenigstens dem Wabl Anstand bei!)

Herr Abgeordneter Stadler! Bitte um etwas mehr Respekt gegenüber dem, was viele Österreicherinnen und Österreicher in dieser Frage auch bewegt. Ich bitte Sie um etwas mehr Respekt! (Abg. Dr. Partik-Pablé: Sonst schreien Sie immer! – Abg. Mag. Stadler: Bringen Sie Ihrem Kollegen Wabl Anstand bei!) Ich gebe Ihnen die Chance, daß Sie Ihren Mittelfingerdiskurs zu Ende führen, aber lassen Sie mich bitte aus dem Kraut dabei. Ich will nicht mit Ihnen über den Mittelfinger diskutieren! Es geht um die Sicherheits- und Neutralitätspolitik! Und Sie sollten sich langsam wieder etwas beruhigen, Herr Abgeordneter Stadler! (Beifall bei den Grünen. – Abg. Mag. Stadler: Ich bin ruhig! Sie sind nicht ruhig, Sie wissen sich nicht zu helfen!)

Ich möchte darauf hinweisen, daß es um Bedrohungsszenarien geht, nicht nur in Europa, sondern weltweit, die sich grundlegend geändert haben. Es geht nicht mehr nur um den West-Ost-Konflikt. Es geht nicht mehr nur darum, daß Staaten einander möglicherweise Kriege liefern. Es geht darum, daß die Zahl der Konflikte zwischen den Nichtstaaten zugenommen hat.

Meine Damen und Herren! Ich frage Sie: Wo bleibt die österreichische Rolle in einer europäischen Sicherheitsarchitektur als neutraler Staat innerhalb der EU, wenn es zum Beispiel darum geht, im Konflikt innerhalb Nordirlands oder zwischen Irland und Großbritannien zu vermitteln? Wo bleibt unsere Rolle, wenn wir ein Teil der NATO, ein Teil der WEU sind? Wo bliebe da die Rolle? – Sie ist nicht gegeben. (Rufe und Gegenrufe bei den Freiheitlichen und beim Liberalen Forum.)

Meine Damen und Herren! Die Rolle Österreichs ist aber dann gegeben, wenn wir tatsächlich als neutraler Staat intervenieren können. (Neuerliche Zwischenrufe des Abg. Mag. Stadler in Richtung Liberales Forum.) – Herr Abgeordneter Stadler! Ich bitte Sie wirklich: Können Sie ein bisserl leiser sein? Sie können Ihre Wirtshausdiskurse bitte woanders machen, aber nicht im Plenarsaal! (Beifall bei den Grünen. – Abg. Mag. Stadler: Ich rede mit Kollegen Haselsteiner! Haselsteiner führt keine Wirtshausdiskurse! Haselsteiner, wehren Sie sich!) Herr Abgeordneter Stadler! Diese Art ... (Abg. Mag. Stadler: Bringen Sie dem Wabl Anstand bei!) Herr Abgeordneter Stadler! Sie können einen eigenen Tagesordnungspunkt verlangen, Sie können sich zu diesem Thema auch zu Wort melden. Aber Ihre permanenten Zwischenrufe von unbeschreiblicher Qualität sollten Sie besser bleiben lassen! (Beifall bei den Grünen. – Abg. Mag. Stadler: Weil Wabl mit seinen Obszönitäten das ganze Haus herunterwürdigt!)


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Herr Abgeordneter Stadler! Reißen Sie sich etwas zusammen, disziplinieren Sie sich etwas! Ich habe ja nichts dagegen, wenn Sie einen intelligenten Zwischenruf machen. Ich wäre sehr dafür, wenn Sie auch einmal einen intelligenten Zwischenruf zuwege brächten! (Abg. Koppler: Ätzend! – Weitere Zwischenrufe bei den Freiheitlichen und der SPÖ.)

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Meine Damen und Herren! Bitte, lassen Sie den Redner ausreden. Er hat ohnehin nicht mehr viel Redezeit.

Bitte, Herr Abgeordneter, Sie sind am Wort. Fahren Sie fort!

Abgeordneter Karl Öllinger (fortsetzend) : Danke, Herr Präsident! Aber wenn Herr Abgeordneter Stadler glaubt, diese Diskussion unterbrechen zu müssen, ... (Der Redner trinkt einen Schluck Wasser. – Abg. Wabl: Der Anstands-Stadler! – Abg. Mag. Stadler: Jetzt hat er ein Glas Wasser verinnerlicht, damit er den Text wiederfindet!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht darum, eine neue Rolle für die Neutralität innerhalb von geänderten Bedrohungsszenarien zu finden. Und ich meine, es ist für Österreich durchaus möglich, sinnvoll und positiv, an der aktiven Neutralitätspolitik anzuknüpfen, wie sie der ehemalige Bundeskanzler Kreisky zu entwerfen versucht hat. Es ist sinnvoll, Neutralität als Friedenspolitik zu definieren, als Vermittlungsauftrag und Neutralität in internationalen Konflikten anders wahrzunehmen, als das etwa Außenminister Mock gemacht hat, nämlich Neutralität wahrzunehmen als Vermittlungspolitik, die tatsächlich versucht, mit friedlichen Mitteln, mit aktiver Politik zu intervenieren und nicht nur Partei zu ergreifen für eine bestimmte Gruppe.

Die Bedrohungsszenarien haben sich geändert. Es gibt nicht mehr nur den West-Ost-Konflikt. Bundeskanzler Kreisky hat schon damals darauf hingewiesen, daß es auch um den Nord-Süd-Konflikt geht. Es ist auch notwendig, daß wir als neutraler Staat hier in Europa klar Partei ergreifen und daß wir uns nicht vereinnahmen lassen für eine Sicherheitspolitik, die eine versteckte Rüstungspolitik ist, Herr Abgeordneter Frischenschlager! (Zwischenrufe beim Liberalen Forum.)

Es ist notwendig, daß wir uns klar positionieren in einer internationalen Ordnung, und zwar zugunsten derer, die derzeit unter dieser Hochrüstung leiden, die diese Hochrüstung nicht mitmachen können und nicht mitmachen wollen, die von dieser Hochrüstung auch bedroht werden, und zwar deswegen, weil es um den Zugang beispielsweise zu den Rohstoffquellen geht, weil es darum geht, daß sich der Norden auch deswegen in einer neuen Sicherheitsarchitektur organisiert, damit der Weg zu diesen Rohstoffquellen frei wird.

Bei allem, was man über diesen Konflikt um den Irak sagen kann, muß man auch festhalten: Dort erfolgte die Intervention deswegen so schnell, weil es um den Zugang zu diesen Rohstoffquellen gegangen ist. Und das kann man vom Jugoslawien-Konflikt beim besten Willen nicht sagen, nämlich daß dort schnell interveniert worden wäre.

Neutralität ist mehr als die bloße Enthaltsamkeit von Militärbündnissen und Militärpakten. Neutralität definiere ich in einem umfassenden Sinn: Neutralität ist wirklich als aktive Politik zu verstehen. Und deshalb habe ich auch meine Probleme mit jener Definition, wie sie vom sozialdemokratischen Abgeordneten Schieder hier angesprochen wurde. Sie unterscheidet sich meiner Ansicht nach auch grundsätzlich von dem, was der Bundeskanzler gesagt hat. Der Bundeskanzler hat nur ganz flockig und flauschig von Konturen einer europäischen Sicherheitsarchitektur gesprochen, in der Österreich als Mitgestalter auftreten kann.

Abgeordneter Schieder hat davon gesprochen, daß Österreich zunächst einmal zusehen soll, wie quasi die Grundfesten ausgehoben werden und der Bau errichtet wird – und erst dann könne sich Österreich beteiligen. – Das sind grundsätzlich unterschiedliche Optionen, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei! An Ihre Adresse ist das gerichtet! Sie müssen sich dazu bekennen, ob Sie diese aktive Neutralitätspolitik, wie sie uns Bundeskanzler Kreisky vorgelebt und versucht hat, sie für Europa zu entwickeln, fortsetzen wollen, ob Sie an dieser Position anknüpfen wollen oder ob Sie dort mitmachen wollen, dorthin gehen wollen, wo die Österreichische Volkspartei und die Freiheitliche Partei uns hinführen wollen.


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Meine Damen und Herren! Darum ist es so wichtig, sich hier und heute auch zu deklarieren und darüber zu diskutieren, wohin der Weg in diesem Europa geht. Und ich hoffe, daß Sie sich dieser Diskussion auch in Zukunft nicht verweigern werden! (Beifall bei den Grünen.)

18.32

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Gaál. – Bitte, Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

18.32

Abgeordneter Anton Gaál (SPÖ): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine sehr geschätzten Damen und Herren! (Der Redner senkt das Pult ab. – Abg. Mag. Schweitzer: Hoch, gelt?) Das ist eine optische Festlegung. Ansonsten kann man das, was hoch oder niedrig ist, auch anders beurteilen!

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einer Feststellung beginnen. Die zentrale Frage in der Diskussion um die europäische Sicherheitspolitik – und das haben heute diese vielen Debattenbeiträge auch gezeigt – ist: Wie wird diese neue Sicherheit in Europa umfassend organisiert? – Natürlich, Kollege Scheibner, werden dabei die Verteidigungsbündnisse NATO und WEU, insbesondere dann, wenn sie sich weiterentwickeln, in dieser neuen europäischen Sicherheitsarchitektur ebenso eine Funktion erfüllen können wie die OSZE. Eines ist jedenfalls sicher: Ein neues europäisches Sicherheitssystem steht und fällt damit, daß es keine neuen Blöcke und keine Trennlinien in Europa mehr geben darf! (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Kollege Scheibner! In vielem, was Sie heute zur Sicherheitspolitik gesagt haben – insbesondere bei dem, was nicht auszuschließen ist –, gebe ich Ihnen recht. Aber wenn Sie uns damit unterstellen, daß wir die Landesverteidigung in Frage stellen, dann kann ich Ihnen sagen: Das Gegenteil ist der Fall! Wir treten für eine glaubwürdige und effiziente Landesverteidigung ein. (Abg. Scheibner: Alle in deiner Fraktion?)

Ich glaube, das haben wir immer wieder bewiesen. Und auch das, was Sie als Begründung für einen übereilten NATO- und WEU-Beitritt immer wieder anführen, findet nicht unsere Zustimmung, sondern wir vertreten die Auffassung, der Beitritt zur WEU und zur NATO würde für Österreich zum jetzigen Zeitpunkt kein Mehr an Sicherheit bringen (Abg. Scheibner: Aber weniger auch nicht!) , sondern nur unseren sicherheitspolitischen Spielraum einengen und unsere Handlungsfähigkeit einschränken. Daher darf ich gemäß meiner Einschätzung diese beiden Organisationen einmal erklären.

Die WEU ist gegenwärtig von einer Doppelrolle geprägt. Zum einen ist sie beauftragt, die Verteidigungskomponente der Europäischen Union auszuarbeiten, und zum anderen wurde sie als europäischer Pfeiler akzeptiert. Nach unserem Beitritt zur Europäischen Union sind wir – so wie andere neutrale Staaten auch – Beobachter der EU geworden. Dabei darf man nicht vergessen, daß die WEU noch immer ein Militärbündnis mit einer automatischen Beistandsverpflichtung ist. (Abg. Hans Helmut Moser: Das ist positiv!) Das heißt, Kollege Moser, daß eine Vollmitgliedschaft bei der WEU mit der Neutralität gemäß unserer Bundesverfassung nicht vereinbar ist! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Scheibner: Das ist richtig!)

Aber es gibt in der WEU auch Entwicklungen, die für Österreich von großem Interesse sind, sie wurden heute schon angesprochen, nämlich die Petersberger Beschlüsse. Es ist wichtig, daß sich die WEU über die Beistandsverpflichtung hinaus zur Übernahme von humanitären Aufgaben und Rettungseinsätzen, von friedenserhaltenden Aufgaben und zu Einsätzen für Friedensschaffung und Krisenbewältigung bereit erklärt hat. Daher gibt es, so glaube ich, keine Einwände dagegen, daß sich Österreich dem schwedischen und finnischen Vorschlag auf Übernahme der Petersberger Beschlüsse in den Unionsvertrag anschließt und in solidarischer, aber eigenverantwortlicher Entscheidung von Fall zu Fall an Operationen der WEU – aber nur im Bereich der humanitären Einsätze, der Katastrophenhilfe sowie bei friedenserhaltenden Aufgaben! – teilnimmt.

Meine Damen und Herren! Die NATO ist eine gut funktionierende Organisation, hat aber für mich bis heute die Frage nicht ausreichend beantwortet, wie sie die Anforderungen einer neuen


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umfassenden Sicherheitspolitik erfüllen kann, die ja, wie wir wissen, weit über den militärischen Bereich hinausgehen.

Auch die Berliner Erklärung des NATO-Rates hat die WEU, im Gegensatz zu dem, was Herr Dr. Mock heute gesagt hat, für mich nicht europäischer gemacht. Ganz im Gegenteil: Sie wurde wieder atlantischer und näher an die NATO heran genommen, und daher kann ich mich nicht der hier von Dr. Mock vertretenen Einschätzung anschließen. (Abg. Scheibner: Warum ist die NATO so ein Feindbild?)

Dem gegenüber sehe ich in der NATO-Partnerschaft für den Frieden ein sehr nützliches Instrument der sicherheitspolitischen Kooperation auf internationaler Ebene. Wir haben die Zusammenarbeit mit den NATO-Mitgliedsstaaten in diesem Bereich eindeutig geregelt. Sie bewegt sich – wie gesagt – im Rahmen der Friedenserhaltung, der humanitären Maßnahmen und der internationalen Katastrophenhilfe.

Ich halte es für falsch, den Beitrag zur Stabilität in Europa primär an einem Beitritt oder einem Nichtbeitritt zu einem Militärbündnis zu messen. Was zählt, meine Damen und Herren, ist die Bereitschaft, sich aktiv an einer internationalen und europäischen Sicherheitskooperation zu beteiligen. Unsere internationale Solidarität scheitert also sicher nicht an der Neutralität! Gerade der Bosnieneinsatz des österreichischen Bundesheeres zeigt klar und deutlich, daß sich Österreich vor seinen internationalen Verpflichtungen nicht drückt. Auch ohne Mitgliedschaft bei einem Militärbündnis und ohne einseitige Parteinahme leisten wir einen wirklich wichtigen Beitrag, für friedliche Verhältnisse in einer umstrittenen Region zu sorgen.

Daher ist es mir ganz unverständlich, Frau Mag. Kammerlander, daß Sie die 300 im Bosnieneinsatz befindlichen österreichischen Soldaten abwertend als "Fernfahrer" bezeichnet haben. Diese Soldaten leisten ja einen großartigen Einsatz zur Friedenssicherung und damit auch für Österreich! Ich bitte Sie daher, diese Leistungen, dieses persönliche Engagement, diesen nicht ungefährlichen Einsatz dieser Freiwilligen hier nicht zu schmälern und sie nicht "runterzumachen". (Beifall bei der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Der Schwerpunkt der internationalen Friedensbemühungen liegt nicht mehr in der Verhinderung zwischenstaatlicher Kriege oder in der Abwehr von Angriffen auf das Territorium souveräner Staaten oder Staatengemeinschaften, wie etwa das EU-Territorium, sondern in der Verhütung von Konflikten im Inneren von Staaten oder auch in grenzüberschreitenden Räumen. Diese grundlegenden Veränderungen erfordern jedoch natürlich auch eine neue Strategie in der Sicherheitspolitik, die weit über den begrenzten Rahmen eines rein militärischen Bündnisses hinausgeht und sich daher nicht nur in einer Diskussion der Neutralität, des NATO- oder WEU-Beitrittes erschöpfen kann.

Österreich wird sich an einem zukünftigen EU-Sicherheitssystem beteiligen, soweit es sich um die Bekämpfung von Konflikten innerhalb der EU oder um die Verteidigung gegen äußere Angriffe auf EU-Territorium handelt. Wir sollten es aber klar ablehnen, an militärischen Aktionen ohne Deckung durch Beschlüsse der Vereinten Nationen oder der OSZE oder gar an einer nuklearen Verteidigung mitzuwirken.

Damit beantworte ich auch die von Ihnen, Kollege Scheibner, aufgeworfene Frage, gegen wen wir noch neutral sein wollen (Abg. Scheibner: Die habe ich nicht gestellt!) – sehr wohl ist sie in Ihrer Rede vorgekommen –: Gegen jede Art von Interventionspolitik und gegen alle militärischen Interventionen out of area. Das ist so. (Abg. Scheibner: Ein völkerrechtliches Instrument kann man doch nicht selbst definieren!) Dennoch ist ein Festhalten an der Neutralität für uns berechtigt.

Unser Ziel muß es sein, meine Damen und Herren, umfassende Lösungen für unsere Sicherheit zu finden, die weit über den militärischen Bereich hinausreichen, die natürlich auch die wirtschaftliche, die soziale und ökologische Dimension miteinschließen. Da ist natürlich eine europaweite Zusammenarbeit notwendig und erforderlich, und wir werden daran aktiv mitarbeiten. (Beifall bei der SPÖ.)

18.42


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Präsident Dr. Heinrich Neisser:
Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Hans Helmut Moser. – Sie sind überrascht, Herr Abgeordneter, aber Sie sind gemeldet, oder ist das ein Irrtum? – Nein? Bitte, dann sind Sie eingeladen.

18.42

Abgeordneter Hans Helmut Moser (Liberales Forum): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! (Abg. Wabl: Brauchen wir Abfangjäger, oder brauchen wir sie nicht?) Ich bin froh, daß wir wieder über das Thema Sicherheitspolitik in diesem Hohen Haus diskutieren können. Kollege Frischenschlager hat das ja in seiner Wortmeldung bereits dargestellt (Abg. Wabl: Brauchen wir neue Abfangjäger oder nicht?) – Kollege Wabl, hör zu, du wirst Antworten bekommen auf die sicherheitspolitischen Fragen aus unserer Sicht –, wie notwendig eine sicherheitspolitische Diskussion ist, daß die Bundesregierung in dieser Frage doch ein sehr konfuses und auch planloses Bild bietet und – so wie man es in einer Karikatur im "Standard" sehen konnte – eine Vogel-Strauß-Politik betreibt, den Kopf in den Sand steckt und an den Realitäten, an den Gegebenheiten in Europa vorbeidiskutiert, meine Damen und Herren.

Aber den Vogel im wahrsten Sinne des Wortes haben ja meiner Meinung nach die Grünen mit ihren Thesen, mit ihren Theorien abgeschossen, die heute hier wieder einmal dargestellt worden sind. Meine Damen und Herren von der grünen Fraktion! Sie befinden sich wirklich im Diskussionsstadium der sechziger Jahre, in der Zeit des kalten Krieges. An Ihnen scheint die sicherheitspolitische Entwicklung in Europa in den letzten Jahren wirklich vorübergegangen zu sein.

Ich glaube, meine Damen und Herren, daß wir Verantwortung haben in Fragen der Sicherheitspolitik, daß wir darüber diskutieren müssen. Ich finde es daher nicht gut, wenn von Kollegen Schieder im "Kurier" vom 14. Juni ein Artikel zu lesen ist mit der Überschrift: "Wir verweigern uns derzeit ganz bewußt." Ich glaube, man darf diese Diskussion nicht verweigern, wir sollten die Diskussion offen führen, wir sollten mit den Argumenten aufeinander zugehen, diese aufnehmen und dann zu einer seriösen, sinnvollen Perspektive für die österreichische Sicherheitspolitik kommen.

Ich bedaure es, meine Damen und Herren, daß wir im Außenpolitischen Ausschuß die Anträge zu Fragen der Sicherheitspolitik einem Unterausschuß zugewiesen haben. Ich darf von hier aus noch einmal den Appell an den Obmann des Außenpolitischen Ausschusses und an seinen Stellvertreter, an die Abgeordneten Schieder und Khol richten, daß wir zum frühestmöglichen Zeitpunkt und doch in einer größeren Dichte und Abfolge im Rahmen dieses Unterausschusses die beiden Anträge, die jetzt zur Beratung zugewiesen worden sind, nämlich die Frage der Neutralität und die Frage des WEU-Beitrittes betreffend, diskutieren, damit eben diese so wichtigen Fragen nicht aufgeschoben, nicht schubladiert und so auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertagt werden.

Meine Damen und Herren! Die Diskussion ist jetzt notwendig. Wir sind jetzt in der Phase einer Regierungskonferenz der Europäischen Union. Österreich muß sich mit seinen sicherheitspolitischen Vorstellungen in diese Diskussion einbringen, weil die Frage der zukünftigen Sicherheitspolitik der Europäischen Union eine zentrale Frage dieser Regierungskonferenz ist. Und wenn wir nicht Position beziehen, meine Damen und Herren, dann werden andere entscheiden, andere festlegen, wie die zukünftige europäische Sicherheitspolitik aussieht.

Daher bedaure ich es, daß wir hier im Hohen Hause nicht die Diskussion führen, daß wir auch keine klare und politisch auf breite Basis gestellte Position haben. Durch ein derartiges Verhalten werden wir zu einem Sicherheitsrisiko, werden wir ein Unsicherheitsfaktor in einer sehr sensiblen Region, meine Damen und Herren. Ich meine daher, daß wir, wenn wir uns so verhalten, der Verantwortung, der sicherheitspolitischen Verantwortung nicht gerecht werden und nicht nachkommen.

Meine Damen und Herren! Die sicherheitspolitische Debatte und einige Beiträge haben wirklich von einem Realitätsverlust gezeugt. Ich habe darauf hingewiesen, daß die Grünen einen


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Diskussionsstand haben, der der Zeit des kalten Krieges entspricht. Ich darf die grüne Fraktion wirklich bitten, die Dokumente der letzten Zeit zu lesen, wenigstens zu lesen, und wenn schon nicht aufzunehmen, dann zumindest zur Kenntnis zu nehmen. Wenn Sie sie nicht haben, stelle ich sie Ihnen auch gerne zur Verfügung. Das sind zum Beispiel die Statuten der Westeuropäischen Union. Wir haben die Kommuniqués zur letzten NATO-Tagung in Berlin, wir haben die Studie der NATO-Osterweiterung, um nur einige Beispiele zu nennen.

Herr Kollege Anschober, wenn Kollegin Kammerlander festgestellt hat und auch in Ihrer dringlichen Anfrage festgeschrieben ist, daß es durch einen NATO-Beitritt zu einer Stationierung von Atomwaffen oder zur Stationierung von fremden Truppen aus den neuen NATO-Mitgliedsländern kommt, dann muß ich sagen, das ist falsch! Lesen Sie da drinnen nach: Das entspricht nicht den Tatsachen, entspricht also nicht der Realität.

Oder wenn gebetsmühlenartig immer wieder gebracht wird, der NATO-Beitritt koste Zigmilliarden – einmal wird von 140 Milliarden, dann wieder von nur 50 Milliarden gesprochen –, dann, meine Damen und Herren muß ich sagen: Das stimmt nicht! (Abg. Anschober: Sondern?) Es ist richtig, es gibt eine Studie aus dem Pentagon, es gibt eine Studie der RAND-Corporation, das ist ein theoretischer Ansatz. Faktum ist, meine Damen und Herren – und ich sage Ihnen jetzt die Zahlen, Frau Kollegin Kammerlander –, daß es gerade in den NATO-Ländern in den letzten Jahren zu einer massiven Abrüstung gekommen ist. Und die Zahlen schauen so aus: Im Jahre 1980 waren die Gesamtausgaben der NATO – und ich nehme NATO-Europa her, nur NATO-Europa – 168 700 Millionen US-Dollar. 1990 waren es 186 200 Millionen. (Abg. Schieder: 100 000 Millionen US-Dollar?) Millionen US-Dollar! (Abg. Schieder: 100 000 Millionen US-Dollar?) 100 000 US-Millionen US-Dollar! NATO-Unterlage! (Abg. Schieder: Das sind 100 Milliarden Schilling! – Nein!) Nein, 1 000 Milliarden Schilling!

1995 waren es 158 600 Millionen US-Dollar. Das heißt, wir haben 1995 einen geringeren Stand, als es 1985 der Fall war. Wir haben einen geringeren Stand, als es 1990 der Fall war. Das heißt, wir haben eine massive Rücknahme der Verteidigungsausgaben innerhalb der NATO.

Oder wenn Sie es gemessen haben wollen an Prozenten des Bruttoinlandsproduktes, Herr Kollege Anschober – es geht mir darum, daß hier Fakten dargestellt werden –: Bis 1989 hat NATO-Europa etwa 3,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausgegeben. Von 1990 bis 1994 wurde das auf 2,7 Prozent reduziert, 1995 waren es im Durchschnitt 2,3 Prozent. Und Sie kommen daher und reden von massiven Aufrüstungen in Europa, reden von massiven Rüstungsanstrengungen der NATO!

Das, meine Damen und Herren, stimmt nicht mit den Tatsachen überein. Bitte informieren Sie sich, nehmen Sie die Fakten so, wie sie sind, und bringen Sie diese in die Diskussion ein, weil ich glaube, daß wir gerade in sicherheitspolitischen Fragen hier eine faire, offene, sachlich fundierte Diskussion führen müssen.

Meine Damen und Herren! Es ist heute schon viel über die Neutralität gesprochen worden. Die Neutralität war ein richtiges Konzept in der Zeit des kalten Krieges, die Neutralität war ein Teil einer europäischen Sicherheitsordnung, aber, meine Damen und Herren, heute haben sich die Voraussetzungen geändert, heute haben wir andere Gegebenheiten, und daher kann die Neutralität nicht mehr die Antwort sein. Die Neutralität war früher richtig.

Ich frage Sie wirklich, Herr Kollege Wabl – Sie werden sicherlich noch herauskommen und darüber sprechen –, wem gegenüber wir noch neutral sein sollen als sicherheitspolitische Konzeption. Die Neutralität war Mittel zum Zweck und ist kein Selbstzweck. Da die Neutralität ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen kann, sind wir, glaube ich, gut beraten, darauf zu verzichten und uns eine neue Rolle im Rahmen der europäischen Sicherheitsordnung zu suchen, und diese neue Rolle im Rahmen dieser europäischen Sicherheitsordnung heißt für uns auch Solidarität: aktive Mitwirkung und aktive Mitarbeit im Rahmen der Europäischen Union, im Rahmen dieser neuen europäischen Sicherheitsordnung. (Beifall beim Liberalen Forum.)

Da auch hier immer die Frage der Volksabstimmung im Zusammenhang mit der Neutralität angesprochen worden ist: Kollege Wabl! Die Frage der Volksabstimmung ist keine verfas


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sungsrechtliche Frage, das ist eine politische Frage. Es besteht überhaupt kein Grund für eine Volksabstimmung, weil kein Grundprinzip unserer Verfassung dadurch berührt ist, und es kommt schon gar nicht dann zu einer Gesamtänderung der österreichischen Bundesverfassung. Daher können wir darauf verzichten.

Es ist schon richtig, daß wir das in diesem Hause diskutieren müssen, und ich meine, daß wir dann, wenn wir der Westeuropäischen Union oder einem entsprechenden Sicherheitssystem beitreten und dort aktiv mitwirken, auch die dafür notwendigen völkerrechtlichen Voraussetzungen schaffen müssen – das heißt, das Neutralitätsgesetz aufheben.

Meine Damen und Herren! Nun zur Frage der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und zur Frage der Westeuropäischen Union: Es ist ja heute schon die sicherheitspolitische Bedeutung der Erweiterung der Europäischen Union, der Osterweiterung, angesprochen worden. Ich glaube, das ist ein ganz wesentlicher Schritt. Dieser Schritt bringt uns tatsächlich ein Mehr an Sicherheit.

Es stimmt schon, daß Sicherheit nicht nur militärisch gesehen werden darf, aber die Sicherheit hat auch eine militärische Komponente, und diese Komponente kann und darf nicht geleugnet werden. Daher haben wir auch die Fragen, die in diesem Zusammenhang zu stellen sind, entsprechend zu beantworten.

Meine Damen und Herren! Mit dem Beitritt zur Europäischen Union hat Österreich auch die Möglichkeit bekommen, Mitglied der Westeuropäischen Union zu werden. Wir sind damals mit einem ganz wesentlichen Aspekt in die Diskussion über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union gegangen. Wir haben gesagt: Ein Beitritt zur Europäischen Union bringt uns mehr Sicherheit. Und jetzt, wo wir in der Europäischen Union sind, nützen wir diese Chance nicht!

Wir haben daher den bisherigen Status des Beobachters weiterzuentwickeln. Das kann nur ein erster Schritt gewesen sein. Wir haben daher den nächsten Schritt zu setzen, nämlich die Vollmitgliedschaft in der Westeuropäischen Union, weil wir damit ein Mehr an Sicherheit bei gleichbleibenden Verteidigungsanstrengungen bekommen. Und damit bekommen wir vor allem auch eines, was sich immerhin fast 50 Prozent der Österreicher wünschen, nämlich daß wir im Falle einer Bedrohung Hilfe von außen bekommen, weil – Herr Kollege Schieder, Sie kennen ja ganz genau die Statuten der Westeuropäischen Union – ein Vollmitglied im Rahmen der Westeuropäischen Union die Unterstützung, die Solidarität der anderen hat, weil es die Möglichkeit hat, Hilfe der anderen zu bekommen.

Das ist genau das, was Sie seinerzeit auch in Ihrem Artikel verlangt haben, wo Sie darauf hingewiesen haben, wie Sie sich ein entsprechendes Sicherheitssystem vorstellen können. Ich darf daraus zitieren. Ihre Vorstellungen sind, "daß jedes EU-Mitglied Anspruch auf den Beistand hat, auf Schutz vor Übergriffen und auf einen gemeinsamen Kampf gegen einen Aggressor".

Und genau das, Herr Kollege Schieder, ist für die anderen EU-Mitgliedstaaten völkerrechtlich verpflichtend, wenn wir Mitglied im Rahmen der Westeuropäischen Union sind. (Abg. Schieder: Kollege Moser, das ist nicht korrekt! Nur wenn es ein Angriff von außen ist!) Richtig! (Abg. Schieder: Nicht untereinander!) Richtig! (Abg. Schieder: Bitte ganz korrekt sein!) Und genau das, Herr Kollege Schieder, verlangen Sie: Gegen einen Aggressor! (Abg. Schieder: Das kann ja auch innerhalb einer Gemeinschaft sein!) Eine gemeinsame Unterstützung!

Herr Kollege Schieder, Sie wissen auch ganz genau, daß der Artikel V des Vertrages über die Westeuropäische Union nicht für die Mitgliedstaaten der Westeuropäischen Union untereinander gilt, genauso wie die Beistandsverpflichtung der NATO nicht gilt, wenn zwei NATO-Mitgliedsländer gegeneinander in einen bewaffneten Konflikt eintreten. (Abg. Mag. Stadler , zu Abg. Schieder gewendet: General in Ruhe! – Abg. Schieder: Also im Falle eines Konfliktes zwischen zwei WEU-Mitgliedern gibt es nichts?!) Da gibt es nichts! Das ist richtig: Da gibt es nichts! Das ist keine Frage! Aber gegen eine Aggression von außen hat sehr wohl Artikel V des Statuts der Westeuropäischen Union seine Gültigkeit. (Abg. Schieder: Gegen einen Nachbarn gibt es nichts!) Das ist richtig! Das ist klar so festgelegt und auch klar so definiert.


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Meine Damen und Herren! Ich möchte abschließend noch ein Wort zur Frage der NATO-Erweiterung sagen. Ich glaube, daß sich, wenn wir Mitglied der Westeuropäischen Union werden, auch die Frage der NATO-Mitgliedschaft für uns stellt, und es ist heute schon gesagt worden, daß die NATO auf dem Weg ist, sich entsprechend zu ändern.

Ich bedaure es, daß gerade die Regierungsparteien so tun, als würde es die Berliner Beschlüsse nicht geben. Und in diesen Berliner Beschlüssen, meine Damen und Herren, Herr Kollege Gaál, ist klar definiert, daß die NATO europäischer wird. Nicht die Westeuropäische Union ist amerikanischer geworden, sondern ich sage, die NATO ist europäischer geworden, indem sie der Westeuropäischen Union eine klare Aufgabe, eine klare Rolle zugeteilt hat. Und die NATO ist auf dem Weg zu einem gesamteuropäischen Sicherheitssystem mit einer europäischen Verteidigungsidentität im Rahmen der Westeuropäischen Union als Ausdruck der Verteidigungsidentität der Europäischen Union, mit einer klaren transatlantischen Partnerschaft zu den Vereinigten Staaten und mit einer Sicherheitskooperation mit Rußland (Präsident Dr. Neisser gibt das Glockenzeichen), denn Sicherheit auf dem Kontinent ohne Rußland ist nicht möglich.

Genau das sind all die Bedingungen, meine Damen und Herren, von denen Sie immer wieder sagen, daß sie erfüllt werden müssen (Präsident Dr. Neisser gibt erneut das Glockenzeichen) , und die notwendig sind für die zukünftige europäische und österreichische Sicherheitspolitik.

Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. Ich frage mich: Worauf wartet diese Regierung noch? Ich glaube, es ist an der Zeit, daß wir die notwendigen sicherheitspolitischen Schritte setzen, es ist an der Zeit, daß wir in diesem Hause eine umfassende sicherheitspolitische Diskussion führen, damit wir zum frühestmöglichen Zeitpunkt Mitglied der Westeuropäischen Union werden, damit wir auch unsere Position zur NATO entsprechend definieren können. – Danke. (Beifall beim Liberalen Forum. – Abg. Scheibner: Überzogen!)

18.58

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Anschober. – Bitte.

18.58

Abgeordneter Rudolf Anschober (Grüne): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr herzlich möchte ich auch den heutigen Vertreter und Beobachter seitens des militärischen Geheimdienstes, des Heeres-Nachrichtenamtes, hier in unserer Runde begrüßen – ich hoffe, daß ich keine negativen Vermerke in meinem Akt nach dieser Rede erhalte – und zu Beginn auch sehr herzlich begrüßen und danken für seine stramme Rede dem Herrn Oberst, dem Herrn Oberst Moser. Das war wirklich eine beachtenswerte, stramme Rede! (Abg. Schieder: Kann ich gehen, oder danken Sie uns auch?) Ich würde vorschlagen nach dieser Rede: Beförderung in den Generalstand. Durchaus machbar und durchaus möglich, Herr Generaloberst.

In Oberösterreich habe ich ja einen Landeshauptmann gehabt, der einmal gemeint hat – sehr zu meinem Leidwesen und von mir kritisiert –, daß man manchen Personen die Herkunft ansieht. Manchmal geht es mir so, zum Beispiel bei der letzten Rede, daß man manchen Personen die politische Herkunft "anhört", denn zwischen dem Herrn General Moser und den Kameraden von den Freiheitlichen war eigentlich kein Unterschied, keinerlei Unterschied (Abg. Dr. Mertel: Gilt das für die Grünen auch?) , und das war für mich auch etwas Entlarvendes und Interessantes an dieser Debatte. (Abg. Wabl: General Moser a.D. ohne Bezüge!)

Entlarvend und interessant war aber insgesamt das Auftreten der Freiheitlichen Partei. Da kommt die Freiheitliche Partei mit ihrem angeblichen zentralen Thema, der Sicherheitspolitik – es geht ja immer um die Sicherheit der Menschen in diesem Land –, und wirft uns hier den Knochen vor, wir sollen überall beitreten, wo nur Rüstung und Waffen dahinter sind.

Das verstehe ich ja noch von Ihrem Denken her, das verstehe ich ja noch sehr gut, aber daß Sie nur einen einzigen Redner stellen und sich dann niemand mehr zu Wort meldet – außer der Herr Stadler mit ein paar "qualifizierten" Zwischenrufen (Abg. Mag. Stadler: Sie sind mir nicht einmal mehr einen Zwischenruf wert!) –, das wundert mich auch sehr, und das paßt eigentlich


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nicht sosehr zu dieser angeblichen Sorge um die Sicherheit der Bürger in diesem Land Österreich. (Lebhafte Gespräche zwischen
Abgeordneten der Grünen und des Liberalen Forums. – Abg. Wabl: Herr Präsident! Ich höre nichts mehr!) Herr Kollege Haselsteiner, was gibt es zum Thema Beton zu vermelden? Wo bauen wir heute wieder? (Fortgesetzte Gespräche in den Bankreihen und Zwischenrufe.) Nur nicht ärgern! (Abg. Wabl: Herr Präsident! Ich höre nichts mehr!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die ÖVP hat es ja genauso gemacht, leider Gottes zu einem zentralen Thema: sicherheitspolitische Zukunft Österreichs – ein einziger Redner! (Anhaltende Zwischenrufe und allgemeine Unruhe im Saal.) – Kollege Haselsteiner, ich habe Sie nicht verstanden. Sie haben jetzt so engagiert zwischengerufen, und ich konnte Sie leider Gottes nicht verstehen. Aber vielleicht beim nächsten Mal. Fest dahinterbleiben!

Dritter Bereich, der meiner Ansicht nach auch entlarvend war in dieser Debatte bisher ... (Fortgesetzte Zwischenrufe. – Präsident Dr. Neisser gibt das Glockenzeichen.) Herr Präsident, haben Sie vielleicht ein Herzmittel für den Kollegen Haselsteiner? Das nimmt ja bedrohliche Ausmaße an. (Abg. Wabl: Der Betriebsarzt ist auch da!) Gut, es beruhigt sich alles wieder.

Dritter Bereich, der entlarvend war ... (Rufe und Gegenrufe zwischen den Grünen und dem Liberalen Forum.) Ich will Sie wirklich nicht reizen, Herr Haselsteiner. Jetzt will ich wirklich nicht reagieren, aber offensichtlich war es ein Treffer, offensichtlich geht es euch dann nicht gut, wenn man zeigt, daß ihr in verteidigungspolitischen Bereichen durchaus eine Allianz mit den Freiheitlichen bildet. Das ist unangenehm.

Dritter Bereich, der entlarvend war, war die sehr, sehr weiche Antwort auf die dringliche Anfrage seitens des Bundeskanzlers, eine Antwort, die im wesentlichen weder Fisch noch Fleisch war, in der er versucht hat, sich hier durchzuturnen zwischen der Parteienmehrheit in diesem Haus, zwischen dieser unseligen Dreiparteienallianz von ÖVP, Freiheitlichen und Liberalen in dieser Frage einerseits und andererseits der Mehrheitsmeinung der österreichischen Bevölkerung, die die Beibehaltung der Neutralität will und einen Beitritt in Richtung NATO und auch eine schleichende Annäherung zur NATO entscheidend und vehement und mit ganz überzeugend großer Mehrheit ablehnt. (Präsident Dr. Brauneder übernimmt den Vorsitz.)

Herr Staatssekretär! Ich habe das Gefühl, die SPÖ macht es sich in dieser Frage ein bißchen leicht. Das kommt mir so vor wie bei der Anonymität. Die Anonymität wird bis zum 13. Oktober vehement verteidigt. Wir alle wissen, was dann am 14. Oktober passieren wird. Sie selbst haben das – das muß ich Ihnen zugute halten – einmal sehr offen und klar gesagt und heftige Schelte dafür erhalten. Ich habe es für richtig gefunden, daß man klar sagt, was tatsächlich die inhaltlichen Notwendigkeiten sind, die eben mit einem EU-Beitritt verbunden sind, wiewohl das ohnedies seit langer Zeit eine Forderung der Grünen ist.

In einem Land, in dem etwa vor zwei Wochen in einem Polizeibericht festgestellt wird, daß ein ermordeter Geschäftsmann in Wien innerhalb von nur sechs Wochen 2 000 Sparbücher in einer Größenordnung von jeweils 199 000 S angelegt hat, wird es vermutlich – Kollege Scheibner, zu Ihnen komme ich schon noch – auch in der Frage NATO keine Ehrlichkeit geben vor diesem 13. Oktober. Vor diesem 13. Oktober: Nur keine Festlegungen, durchschwindeln, durchmogeln, allen geben wir ein bißchen recht, Regierungslinie gibt es in dieser Frage keine.

Der Herr Bundeskanzler sagt, es geht doch nicht um die Meinung einzelner Ressortchefs in dieser Regierung, sondern es geht um die gesamte Regierungsmeinung. Ein Problem ist: Diese gesamte Regierungsmeinung gibt es nicht in dieser Frage, und was der entscheidende zuständige Ressortchef Fasslabend, der Verteidigungsminister, in dieser Frage meint, hat er in der letzten Sitzung des parlamentarischen Verteidigungsausschusses sehr klar und deutlich gesagt.

Er hat dort wörtlich formuliert – ich habe das mitgeschrieben letzten Dienstag; einer der seltenen Verteidigungsausschüsse, bei denen ich vertreten war –: Die Neutralität sei natürlich ein Unsinn, aber Faktum sei auch, daß die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung noch einen irrationalen Hang zu diesem irrationalen Thema habe – also sie sei ein Unsinn, aber die Mehrheit der Bevölkerung würde noch zu diesem Thema stehen, es würde noch eine Mehrheit dafür


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geben –, und diese irrationale Haltung der Öffentlichkeit müsse man zur Kenntnis nehmen und mir ihr sachte und sanft umgehen.

Das war genau auf den Punkt gebracht das, was eigentlich die Regierungspolitik ist: Schritt für Schritt, immer genau schauend, wie verträglich diese Schritte in Richtung NATO in der Öffentlichkeit sind, wird eine scheibchenweise Aufgabe der Neutralität verwirklicht.

Was mir gut gefallen hat – das muß ich auch sagen – an der Rede des Bundeskanzlers, war die Darstellung seines Sicherheitsbegriffes, nicht nur reduziert – das hat er sehr klar und deutlich ausgedrückt, das hat ihn von manchen Nachrednern, etwa von denen der Freiheitlichen und der ÖVP, sehr unterschieden – und konzentriert auf den militärischen Begriff, sondern sehr wohl etwa auf soziale Komponenten, auf arbeitsmarktpolitische Komponenten und auf ökologische Fragen ausgedehnt.

Es ist wichtig, dies in diesem Land sehr klar und deutlich zu formulieren, es müßte aber natürlich auch eine konkrete Konsequenz in der Realpolitik haben. Und wenn der Bundeskanzler meint – zu Recht meint, so wie wir –, daß etwa die Frage der Beschäftigungspolitik in Europa eine zentrale sicherheits- und friedenspolitische Frage ist, daß etwa die Frage der Entschärfung der Atomkraftwerke in Europa eine zentrale sicherheitspolitische Frage ist, dann frage ich mich: Wie sollen denn diese beiden hehren Ziele tatsächlich erreicht werden, wenn gleichzeitig wesentliche der NATO beitrittswillige Länder mit massiven Mehrkosten belastet werden, falls sie der NATO tatsächlich beitreten? Wie sollen sie denn dann noch eine engagierte Beschäftigungspolitik betreiben können? Wie sollen sie denn dann noch den notwendigen Umbau von lebensbedrohenden Atomreaktoren finanzieren können?

Wir haben heute sehr klar thematisiert – dieser Zahl wurde von niemandem widersprochen –, daß nach einer Studie des Pentagons für den Fall, daß die potentiellen Neumitglieder der NATO Polen, Tschechien und Ungarn beitreten würden, diese Armeen natürlich auf NATO-kompatible Waffensysteme umgestellt werden müßten und dies nach Schätzungen des Pentagons Kosten von 124 Milliarden Dollar verschlingen würde. Was glauben Sie, was dies für die Handlungsmöglichkeiten dieser Länder im Bereich der Entschärfung der Atomreaktoren, im Bereich des Umbaus dieser nuklearen Zeitbomben, im Bereich einer offensiven Beschäftigungspolitik bedeuten würde? Damit wäre der Handlungsspielraum in diesen wesentlichen sicherheitspolitischen Feldern gleich null und entscheidend reduziert. (Abg. Scheibner: Diese Länder müssen ja nicht NATO-Mitglied werden! Sie wollen es ja selber!)

Und da muß man sich entscheiden: In welche Richtung wird Österreich initiativ? Läuft es hier mit in diesem FPÖ-Drang in jedes Waffensystem, hinein in Richtung NATO, hinein in Richtung wesentliche Erhöhung der Verteidigungsbudgets – auch des österreichischen Verteidigungsbudgets –, oder werden von österreichischer Seite Initiativen in Richtung anderer sicherheitspolitischer Maßnahmen, etwa im Bereich der Beschäftigungspolitik, im Bereich der Ökologie, im Bereich der Entschärfung der Atomreaktoren Europas, vor allem auch Osteuropas gesetzt? Das ist die entscheidende Frage: Welche Impulse kommen in dieser Situation von der österreichischen Bundesregierung, von Österreich insgesamt?

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben Ihnen in unserer Anfrage auch ein Faktum vorgerechnet, auf das keiner der Nachrednerinnen und Nachredner eingegangen ist, nämlich das Faktum, daß ja Österreich – Gott sei Dank nach einigen Jahren heftigen Drucks der Grünen – in der Antiatomfrage eine klare Haltung hat und auch einige Initiativen gesetzt hat, mit denen wir durchaus einverstanden waren. Sie waren unserer Ansicht nach zu lasch, zu lau, aber es ist Aufgabe einer grünen Opposition, Druck zu machen in diesem Zusammenhang. Dennoch: Schauen wir uns doch an, was mit nur marginalen Summen des NATO-Budgets in Richtung Entschärfung der gefährlichsten Atomreaktoren Osteuropas geschehen könnte.

Mit nur 2 Prozent des NATO-Budgets, meine sehr verehrten Damen und Herren – das müssen Sie sich einmal auf der Zunge zergehen lassen –, mit nur 2 Prozent eines einzigen NATO-Budgets könnten alle Reaktorblöcke der zwölf gefährlichsten Atomkraftwerke entschärft werden,


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umgebaut werden, umgestellt werden in Richtung Alternativen, in Richtung Gas-Dampf-Kraftwerke. Mit 2 Prozent, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ich glaube, das ist eine Zahl, die sehr klar und eindrucksvoll ist und die zeigt, welche unglaublichen Ressourcen da gebunden sind in einem rein militärischen Bereich. Und nicht einmal nach der Rede des Herrn Generals Moser habe ich es geglaubt, was er uns hier sagen wollte, nämlich daß die NATO schön langsam zu einer zweiten Caritas oder zu Greenpeace 2 wird oder ähnliches, indem er uns angedeutet hat, daß ja das NATO-Verteidigungsbudget reduziert wurde.

Aber, Herr General, von welchen Größenordnungen reden wir denn? Sie haben ja nicht einmal mehr mit den Nullen, die hier in der Gegend herumgekollert sind, so haushalten können, daß Sie uns die Zahl auf den Punkt gebracht hätten. Tausende Milliarden! Das sind ja Größenordnungen an Ressourcen, die da gebunden werden, die unvorstellbar sind. Aber eben nur marginale Teile davon, eingesetzt im Bereich Beschäftigungspolitik, im Bereich Ökologisierung, im Bereich Entschärfung der nuklearen Zeitbomben, würden ausreichen, um tatsächlich eine Wende zum Positiven und auch zu mehr Sicherheit in Europa realisieren zu können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist der eine Bereich. Der zweite Bereich – und da war ich mit der Beantwortung seitens des Bundeskanzlers mehr als unzufrieden – ist der Bereich der Rüstungsproduktion und der nun zart aus dem Ausland angedeuteten Wende im Bereich der heimischen Rüstungsproduktion.

Man muß es dem Bundeskanzler lassen: Im gesamteuropäischen Kontext, wohin die europäische Rüstungsindustrie geht, geben diese Aussagen, in Saudi-Arabien verlautbart, durchaus einen Sinn. Denn angestrebt wird seitens der verarbeitenden Rüstungsindustrie in Europa ein Zusammenschluß, eine Vernetzung der Rüstungskonzerne aus Großbritannien, Deutschland, Frankreich. Und da würde sich vielleicht – das ist die trügerische Hoffnung – auch eine kleine Chance für die darniederliegende österreichische Rüstungsindustrie ergeben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Genau das passiert derzeit. Diese Rüstungsindustrie, die nach Dutzenden Skandalen, nach der völligen wirtschaftlichen Pleite von NORICUM über Hirtenberger bis Assmann völlig auf dem Bauch gelegen ist, die schrittweise auf zivile Produktionen umgestellt werden mußte, wird nun künstlich wieder aufgepäppelt – mit zweistelligen Millionenzuschüssen, die Hirtenberger seitens der Republik und des Landes Niederösterreich gestern bereits garantiert wurden, und mit einer angestrebten Liberalisierung des Waffenexportgesetzes.

Das kann doch bitte nicht unser Ernst sein in diesem Österreich, in dem wir doch aus der Geschichte gelernt haben, daß Rüstungskonzerne nichts an Beschäftigung bringen, sondern ein enormes Beschäftigungsrisiko – neben allen anderen Themen – in sich bergen! Das kann doch nicht unser Ernst sein, daß wir jetzt wieder diesen Weg in die Vergangenheit zurückgehen!

Und die Bundesregierung? – In Beantwortung unserer Anfrage durch den Bundeskanzler, in der er gemeint hat, daß anhand des Gutachtens, das in Auftrag gegeben wurde – ich zitierte wörtlich –, "er nochmals betonen möchte, daß daraus noch nicht rechtspolitische Schlußfolgerungen zu ziehen sind", erfolgte eine sehr offene Antwort, eine sehr klare Antwort eigentlich, wohin der Zug fährt. Er geht in Richtung Einschaltung, Einklinken in eine gesamteuropäische Rüstungsindustrie, er geht in Richtung Versuch, an diesem Kuchen, der kein Kuchen ist, der nichts an Beschäftigung bringt, mitnaschen zu wollen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Und der letzte Bereich ...


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Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder:
Herr Abgeordneter, Ihren Schlußsatz bitte. Keinen Bereich mehr.

Abgeordneter Rudolf Anschober (fortsetzend): Der letzte Satz – es ist schwierig, zu versuchen, einen letzten Bereich mit einem Satz rüberzubringen –: Die Art der Beschaffungsvorhaben seitens des Bundesheeres – Beistrich –, wenn etwa Fasslabend meint, in Richtung Kampfpanzer, in Richtung Abfangjäger, in Richtung Radpanzer ...

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Herr Kollege, es wird doch ein Bereich aus mehreren Sätzen. Wenn Sie bitte den Schlußsatz jetzt beginnen und zu Ende führen.

Abgeordneter Rudolf Anschober (fortsetzend): Ich war jetzt in meinem Satz, Herr Präsident!

19.14

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Das war also der Schlußsatz. Ihre Redezeit ist abgelaufen, Herr Abgeordneter. Es tut mir leid. (Beifall bei den Grünen für den das Rednerpult verlassenden Abg. Anschober.)

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Gusenbauer. – Bitte, Herr Abgeordneter. (Abg. Anschober: So eine Genauigkeit würde ich mir sonst bei Ihrer Vorsitzführung auch wünschen!) Ganz bestimmt. Damit können Sie rechnen. (Zwischenrufe bei den Grünen.)

19.14

Abgeordneter Dr. Alfred Gusenbauer (SPÖ): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wurde heute in dieser Debatte des öfteren der Kalte Krieg strapaziert, die Neutralität unter anderem als ein Relikt dieses Kalten Krieges bezeichnet, in diesem Zusammenhang auch die NATO und die WEU ebenso als Teil der Logik des Kalten Krieges bezeichnet, und es stellt sich die Frage: Wenn man auf Basis der Erfahrungen des Kalten Krieges diesen überwinden will, was ist die neue Grundlage für eine Sicherheitspolitik in Europa? Und da ist doch das erste Ziel in diesem Zusammenhang, daß die vorhandene Spaltung Europas in Ost und West überwunden werden muß, das heißt, daß jede künftige Sicherheitsstruktur Europas vermeiden muß, erneut einen solchen Spalt durch Europa zu ziehen.

Wenn man sich dieser Zielsetzung stellt, dann muß es natürlich das erste Anliegen sein, die ehemaligen Gegner und Feinde in eine solche Sicherheitsstruktur miteinzubeziehen (Abg. Moser: Das macht man!) , zum Beispiel den gesamten Südosten, Osten und Zentralraum Europas. Wenn man nun an diese Frage herangeht, wie das zum Beispiel die NATO gemacht hat, die in der Berliner Erklärung durchaus einige Schritte in Richtung Europäisierung setzt, aber gleichzeitig gegenüber Rußland keine stichhaltige Sicherheitsgarantien abgeben hat können, was militärische Ausdünnung in den angrenzenden osteuropäischen Staaten, Garantie über die Nichtstationierung von Atomwaffen in diesen Bereichen und eine Reihe von anderen Garantien auch betrifft, dann muß man sich die Frage stellen: Ist Berlin ein Zwischenschritt, dem weitere in der NATO folgen werden, oder ist Berlin ein Schritt, der nur eine Einladung an Rußland sein soll, zu akzeptieren, daß die vormaligen Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes Mitglied der NATO werden können: ja oder nein?

Das ist aber eine Frage, die heute letztendlich relativ schwer zu beurteilen ist, wenn man zum Beispiel ein Rußland-Bild zeichnet, wie es auch heute hier in der Debatte getan wurde. Ich gebe schon zu, auch der jetzige Wahlsieger Jelzin mit seinem Kommilitonen Lebed ist nicht unbedingt das Gelbe vom demokratischen Ei, aber – das muß man dazusagen – natürlich wird wohl dieser Wahlsieg, da er ja auch aufgrund der breiten Unterstützung des Westens stattgefunden hat, zumindest als ein Signal der Stabilisierung der demokratischen Entwicklung in Rußland gewertet werden müssen.

Ich verstehe daher nicht, warum in der heutigen Debatte, gerade nach diesem Wahlergebnis, Rußland wieder in diese Ecke "Bedrohung aus dem Osten" gestellt wurde, als ob sich da nichts geändert hätte. Das ist mir offen gestanden etwas sonderbar vorgekommen, und dieser Eindruck, den ich dabei gewonnen habe, läßt mich auch nachdenken, wie verschiedene Ankündigungen der NATO in bezug auf das Verhalten gegenüber Rußland in Zukunft aussehen werden. Ist das nur im Kontext der russischen Wahlen zu sehen gewesen, ist das im Kontext der amerikanischen Wahlen, oder ist es tatsächlich eine Strategie, die in die Richtung geht, daß man sagt: Jawohl, es soll zwar auch in Zukunft NATO heißen, weil das Teil der Verlassenschaftsverhandlung des Kalten Krieges ist – und irgendwie muß ja der Sieger des Kalten Krieges  auch  festgestellt werden,  und das war eben die NATO und nicht der Warschauer Pakt –


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, aber die neue NATO ist etwas gänzlich anderes als die alte NATO und hat mit dieser nichts mehr zu tun!?

Mein Eindruck ist, daß eine abschließende Bewertung dieser zentralen Fragestellung nicht durchführbar ist. Wenn man sich herstellt und sagt, diese Fragen stellen sich heute alle nicht, man muß möglichst schnell und gleich dort hinein, dann habe ich den Eindruck: Es geht im Kern nicht um Sicherheitsfragestellungen, sondern es geht um eine ideologische Verbrämung von Sicherheitspolitik, die in Wirklichkeit der Interessenlage dieses Landes nicht angepaßt ist.

Und ich habe den Eindruck, die Bevölkerung sieht das genauso. Nicht zu Unrecht ist die große Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher nach wie vor der Auffassung, Österreich soll ein neutraler Staat bleiben. Nicht deswegen, weil die Neutralität teilweise auch mythologisiert und überhöht wurde, sondern vor allem deswegen, weil viele Menschen den Eindruck haben, alles das, was da jetzt vorgeschlagen wird mit WEU, NATO und so weiter und so fort, ist so wie ein Wettrennen, daß wir schnell irgendwo wieder beitreten sollten, ohne daß wir ganz genau wissen, was am Ende dieses Prozesses stehen wird.

Ich habe weiters den Eindruck, daß es das Bedürfnis der österreichischen Bevölkerung jetzt ist, einmal den Betritt zur Europäischen Union zu verdauen, zu schauen, daß wir innerhalb der Europäischen Union jene Funktion wahrnehmen, die wir uns vorgenommen haben, als wir Mitglied der Europäischen Union geworden sind, und nicht, uns bereits in die nächste Kooperationsstruktur einzulassen, hinsichtlich der wir wieder sagen, was wir alles darin ändern werden, ohne daß wir unseren Auftrag und unserer Aufgabe in der Europäischen Union bereits erfüllt hätten.

Daher glaube ich schon, daß auch die Frage, ob wir wo beitreten oder nicht und zu welchem Zeitpunkt wir es machen, eine Frage der demokratischen Akzeptanz in der Bevölkerung ist und nicht nur eine Hinhaltetaktik, weil es auch darum geht, welche Diskussionen in diesem Zusammenhang geführt werden und welche Zielsetzungen man damit verbindet.

Über die Frage Neutralität als Mittel oder Ziel kann man lange philosophieren. Klassische Begriffsauffassung in Österreich war, daß sie ein Mittel zur Erreichung der Unabhängigkeit und Souveränität des Landes und zur Aufrechterhaltung der Sicherheit sei. Selbstzweck war es nie.

Wenn dieser Wunsch nun in der Debatte geäußert wird, dann müßte die Neutralität mit einem derartigen Ausmaß wie die Demokratie oder die Freiheit als Grundwert ausgestattet werden, etwas, was ich aber auch in den Ausführungen des Kollegen Öllinger nicht erkennen konnte, daß sozusagen Neutralität als Wert per se nun gleichrangig neben Demokratie und Freiheit stehen würde. Aber wenn das eine politische Zielsetzung ist, dann bin ich bereit, darüber zu diskutieren. (Zwischenruf des Abg. Wabl. ) Sofort, Kollege Wabl.

Nur glaube ich, daß man es sich nicht so leicht machen und mit globalen Formulierungen über dieses Problem hinweggehen und sagen kann, neutral ist heute nicht mehr: Ost-West alleine, sondern auch Nord-Süd und so weiter und so fort.

Ich habe viel Verständnis für Entwicklungspolitik und so weiter, aber: Wie schaut denn heute neutrale Entwicklungspolitik aus? Wie schaut heute neutral sein im Nord-Süd-Maßstab aus, wenn man als Teil des Nordens die Entscheidungen der internationalen Finanzinstitutionen auch aus eigenen Interessen heraus mitträgt? Es ist relativ schwierig, ökonomisch und politisch klar zugehörig sein, aber es ist nicht richtig, sich eine Spielwiese zu suchen und zu sagen, wir sind neutral und eigentlich gehören wir nicht zu dem, wo wir in Wirklichkeit dazugehören. Man sollte politische Zielsetzungen, die man hat, als solche bezeichnen, was sie sind – und nicht zu versuchen, hinter dem Titel "Neutralität" Dinge zu verbergen, die nicht drinstecken. (Abg. Wabl: Sagen Sie das dem Bundeskanzler!)

Führen wir daher eine vernünftige, saubere sicherheitspolitische Debatte, manchmal auch nur eine militärische, auch wenn die anderen Bereiche natürlich viel, viel wichtiger sind. Aber man muß auch diese Frage, so meine ich, klar beantworten.


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Die harten Entscheidungen in diesem Zusammenhang kommen ohnehin auf uns zu. Aber heute die österreichische Bevölkerung in ein solches Abenteuer hineinzuhetzen, das hielte ich demokratisch gesehen für nicht verantwortbar. (Beifall bei der SPÖ.)

19.23

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Van der Bellen. – Bitte, Herr Abgeordneter.

19.23

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Frischenschlager hat die Positionen der Grünen heute als realitätsfern bezeichnet, und er war nicht der einzige von den Liberalen. Dieser Vorwurf ist mir nicht unbekannt.

Als ich vor ungefähr zwölf Jahren zusammen mit Peter Pilz eine Studie zur Rüstungskonversion in Österreich vorgestellt habe, war dasselbe zu hören. Es ging damals darum, die wirtschaftlichen – ich betone: ausschließlich die wirtschaftlichen – Perspektiven der österreichischen Rüstungsindustrie zu untersuchen und eine Prognose zu wagen, ob das ein in Zukunft ökonomisch sinnvoller Bereich ist oder nicht.

Was haben wir uns damals alles anhören müssen! Ein Abgeordneter der ÖVP hat damals Peter Pilz der "Spionage" geziehen, was ich nicht besonders lustig fand. In anderen Ländern wird man immerhin deswegen gehenkt, in Österreich Gott sei Dank nicht.

Der damalige Verteidigungsminister hat gesagt, das sei ein Anschlag auf die österreichische Rüstungsindustrie. Er hat aber gleichzeitig zugegeben, daß er die Studie gar nicht kennt. Wer war der damalige Verteidigungsminister? – Es war niemand anderer als unser verehrter Kollege Frischenschlager.

Abgeordneter Moser hat heute auf eine Karikatur im "Standard" hingewiesen. Es ist ein sehr schönes Bild, ich habe es auch gesehen. Am unteren Rand dieser Karikatur sind verschiedene Vögel abgebildet. Der Kundige weiß, es handelt sich um den Vogel Strauß. Darüber sind sehr viele schöne Panzer, Kanonen, Flugzeuge und was es da noch alles zu sehen gibt.

Ich habe volles Verständnis dafür, wenn ein Oberst des Bundesheeres die Darstellungen im oberen Bereich dieser Karikatur schöner findet als die Vögel im unteren Bereich. Das verstehe ich. Darüber will ich gar nicht mit Ihnen diskutieren. Meine Frage ist nur: Was darf’s denn kosten? Was darf dieses schöne Spielzeug – als Kind habe ich ja auch gern mit diesen Panzern gespielt, wo vorne das Feuer herauskommt, das ist ja sehr lustig – kosten? (Abg. Hans Helmut Moser: Dieses Spielzeug gibt es nicht mehr!) Ich bin überzeugt davon: Wenn Sie sich bemühen, können Sie es noch irgendwo kaufen.

Abgeordneter Scheibner hat heute auch ein sehr treffendes Bild verwendet. Er hat nämlich den NATO-Beitritt als Versicherungsprämie bezeichnet. – Das ist ein Argument, das man hinnehmen kann.

Wenn Sie ein Haus haben und es versichern lassen wollen, dann werden Sie natürlich ökonomische Überlegungen anstellen und abwägen, welches Risiko besteht, daß es abbrennt, und welche Prämie man dafür zu bezahlen bereit ist. (Abg. Scheibner: Gerade deshalb ist der NATO-Beitritt die günstigste Variante!) Dieses Thema wollte ich heute unbedingt anschneiden: In welchem Verhältnis zum Risiko steht die Prämie, die wir für den NATO-Beitritt zu bezahlen hätten? Was darf’s sein?

Ich kann mich dunkel daran erinnern, daß die Freiheitlichen einmal einen Antrag gestellt haben, das Verteidigungsbudget auf etwa 1,5 Prozent des BIP zu erhöhen. Das wird etwa ein halbes Jahr oder ein Jahr her sein.

Meine Damen und Herren! Innerhalb der NATO gibt es kaum ein Land, dessen Militäretat weniger als 2 Prozent des Sozialprodukts beträgt. (Abg. Scheibner: Deutschland!) Neuesten Daten


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zufolge sind es in Kanada 1,7 und in Belgien 1,8 Prozent, aber der Schnitt innerhalb der NATO liegt bei über 3 Prozent des Sozialprodukts.

Ich gebe gerne zu, Herr Kollege Moser, daß die Summe der Militäretats innerhalb der NATO seit 1989 zurückgegangen ist. Na selbstverständlich! Angesichts des sinkenden Bedrohungspotentials sind diese Zahlen zurückgegangen. Das ändert nichts daran, daß der Durchschnitt der NATO immer noch bei 3 Prozent des Sozialprodukts liegt. Wissen Sie, was 3 Prozent bedeuten? – Das heißt 70 Milliarden Schilling im Falle Österreichs. Derzeit haben wir ein Verteidigungsbudget in Höhe von 20 Milliarden Schilling. Das wollen Sie wirklich? (Zwischenruf des Abg. Hans Helmut Moser .) Mir ist es ja gleichgültig, Herr Kollege.

Wenn Sie nur Belgien als Maßstab nehmen, dann bedeutet das eine Verdoppelung des österreichischen Militäretats. Das sind halt 20 oder 25 Milliarden Schilling pro Jahr mehr. Ist in Ordnung – aber dann sagen Sie bitte, wie Sie das finanzieren wollen, welche anderen Ausgabenkategorien zu streichen oder welche Steuern zu erhöhen sind. Das, meine ich, wäre eine ehrliche Diskussion.

Nur den NATO-Beitritt zu verlangen, ohne zu sagen, was das kostet, und ohne zu sagen, wie das finanziert werden soll, durch Steuererhöhungen oder durch Ausgabensenkung, eine derartige Diskussion halte ich für unseriös und unehrlich, und zwar so lange, bis ehrliche, ernsthafte Vorschläge kommen. Ich bitte Sie, nicht mit den Dienstwägen zu kommen. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

19.29

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Kier. – Bitte, Herr Abgeordneter.

19.29

Abgeordneter Dr. Volker Kier (Liberales Forum): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist mir angenehm, in einem ganz kurzen Beitrag hier vielleicht die ganze Sache politisch einmal auf den Punkt zu bringen. Daß ich das ausgerechnet nach dem Kollegen Van der Bellen machen kann, ist mir deswegen recht, weil er zweifellos ein Thema mitangeschnitten hat, das nicht bedeutungslos ist. Es ist keineswegs so, daß man sich in der Politik nicht den Kopf darüber zu zerbrechen hat, wie die Dinge, die man ins Rollen bringt, zu finanzieren sind. Das ist absolut richtig.

Nur: Es ist in Fragen der Friedenssicherung, einer europäischen Sicherheitsarchitektur, der Neutralität im Spannungsfeld zur Westeuropäischen Union und einer möglichen, wenn auch in utopischer Ferne liegenden Weltfriedensordnung der falsche Zugang, aus kaufmännischer Sicht zu sagen: Da es wahrscheinlich etwas kosten wird, lassen wir es lieber, wie es ist. (Abg. Wabl: Nein, das ist nicht das Problem! Diese Frage haben wir oft diskutiert!) Das ist ein unrichtiger Zugang, und es ist mir ganz wichtig, das auf den politischen Punkt zu bringen.

Das, was mich hier berührt, allerdings nicht angenehm berührt hat, war, daß es Vertreter in diesem Haus gibt, die aus der Neutralität ein Dogma zu machen versuchen. Wenn man in der Politik irgendeine politische Position – und sei sie auch über Jahrzehnte noch so verdienstvoll gewesen – dogmatisiert, nimmt man sich selber den Raum für Weiterentwicklung. (Beifall beim Liberalen Forum.)

In der Frage der Neutralität geht es überhaupt nicht darum, ob sie "immerwährend" ist oder nicht, sondern welche sicherheits- und außenpolitische Funktion sie im Kontext unserer Mitgliedschaft zur Europäischen Union und in ihrer Entstehungsgeschichte aus dem Staatsvertrag heraus hat. Jeder in diesem Hohen Haus weiß, daß sie damals als Preis für den Staatsvertrag entrichtet wurde. Und dieser Preis wurde 40 Jahre lang gezahlt. Jetzt aber hat dieser Preis seinen internationalen Gegenwert verloren. Daher, meine ich, müssen wir uns eigentlich nur darum bemühen, einen seriösen, außenpolitisch gut abgesicherten Weg in eine europäische Sicherheitsarchitektur zu finden. Das ist die politische Frage. Da interessiert mich der Vergleich mit diesem oder jenem weniger.


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Es geht darum, wie wir in diesem Punkt unserer Souveränität leben, wie wir an einer europäischen Friedensordnung mitwirken wollen. Das ist vor der Wahl zum Europäischen Parlament deutlich auszusprechen, ich sage das ganz eindeutig. Die liberale Fraktion hat in diesem Punkt zu allen Zeiten eine ganz klare Position gehabt. Sie hat sich nie verschwiegen, sie hat sich nicht vor den Wählern versteckt, sie war immer der Meinung, unser Weg muß in einer europäischen Sicherheitsarchitektur enden. Und da gibt es nur eine einzige Schnittstelle, und das ist die Westeuropäische Union. Da gibt es kein Herumreden.

Wer an der Neutralität in der Form der Kollegin Kammerlander oder des Kollegen Öllinger festhält, muß sich leider den Vorwurf des dogmatischen Zugangs zur Politik gefallen lassen (Abg. Wabl: Herr Kier! Das ist doch nicht Ihr Niveau!) , der Perspektivenlosigkeit für die Zukunft und der Mutlosigkeit. Und das ist kein guter Ansatz für eine Lösung.

Wenn man sich tatsächlich als neutraler Staat allein und souverän behaupten will, dann würde das konsequenterweise isolierte, autarke Hochrüstung bedeuten, und das kann niemand in diesem Hause wollen. – Danke schön. (Beifall beim Liberalen Forum.)

19.33

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Mag. Kammerlander. – Bitte, Frau Abgeordnete.

19.33

Abgeordnete Mag. Doris Kammerlander (Grüne): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme diese Gelegenheit wahr, gegen Ende der Debatte noch einmal das Wort zu ergreifen, nachdem ja auch einiges Anregendes in der Diskussion gekommen ist, also einiges, worauf es sich lohnt, noch einzugehen.

Vorweg möchte ich sagen, ich begrüße es auch, daß es doch eine sehr lebhafte und intensive Diskussion in diesem Haus zu diesem Thema gegeben hat, stelle allerdings mit Verwunderung fest, daß es den Freiheitlichen nicht sehr ernst sein kann bei ihrem Engagement und bei dem Antrag, den sie eingebracht haben. Vorige Woche haben sie sich ja fürchterlich beklagt darüber, daß ihr Antrag entsorgt werde, indem er von der Tagesordnung wieder verschwunden ist. Sie hätten heute Gelegenheit gehabt, zu diskutieren und ihre Meinungen einzubringen. Aber da sieht man wieder einmal: Es ist ihnen nicht wirklich ernst und wichtig, über das Thema zu diskutieren, sondern es sind offensichtlich andere Gründe, die im Vordergrund stehen.

Ich habe gehört, daß ihr Parteiobmann inzwischen wieder einmal einen Firmenbesuch gemacht hat. Vermutlich hat er statt der Wurstsemmel diesmal vier neue Autoreifen gekauft. Aber das ist halt dann ihre Art von Politikzugang, wenn sie nicht die Möglichkeit ergreifen, hier eine Debatte zu führen, die sie immer urgieren.

Es stört mich auch nicht sehr, muß ich sagen – ich habe ja gewußt, wie die Mehrheiten in diesem Haus sind –, wenn hier drei Fraktionen sind, die uns zeihen, den Standpunkt der sechziger Jahre zu vertreten, was mich auch nicht besonders trifft, denn darin sehe ich noch keine Wertung. Manche dieser Parteien sind ja gerade jene, die immer sehr stark mit der Tradition argumentieren, die ja bekanntlicherweise noch viel weiter zurückgeht als in die sechziger und siebziger Jahre.

Mein Vorredner, Kollege Kier, meinte, wir seien dogmatisch, perspektivenlos und mutlos. Es läßt sich ohne Mühe das Argument umdrehen und sagen: Jene, die unter einem großen Schirm Schutz suchen, der womöglich noch atomar bestückt ist, wie dem der NATO oder auch der WEU, sind eigentlich die Mutlosen und die Perspektivenlosen, weil sie sich gar nichts anderes vorstellen können als das traditionelle, also seit 30, 40, 50 Jahren übliche Bündnis. Sie haben überhaupt keine Vorstellungskraft, daß eine, wie Sie sagen, Herr Kollege Kier, europäische Friedensordnung auch etwas anderes sein kann als bestehende Militärbündnisse. Ich kann nach Ihren Ausführungen zweifellos den Vorwurf des Dogmatischen, Perspektivlosen und Mutlosen an Sie zurückgeben.


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Die SPÖ hat die Dringlichkeit der Anfrage bezweifelt. Herr Kollege Schieder! Wenn Sie die Zeitungen gelesen und die Äußerungen unseres Bundespräsidenten und auch des Außenministers mitverfolgt haben – lassen wir halt einmal den Kanzler weg, denn das schmerzt ein wenig und tut Ihnen vermutlich weh, nehmen Sie also diese beiden Personen –, dann, muß ich sagen, ist das sehr wohl ein klarer Beweis für die Dringlichkeit der Debatte. Denn es wurde einfach am Rande einer Tagung diese Frage aufgerollt. Es wurde gesagt: Neutralität ist passé, diese Rolle haben wir jetzt 50 Jahre lang gespielt, jetzt machen wir etwas anderes. – Ich wundere mich nur, wieso Sie und der Bundeskanzler zu dem Schluß kommen, das sei nicht auf der Tagesordnung und es sei daher auch nicht notwendig, darüber zu diskutieren beziehungsweise unserem Antrag Folge zu leisten.

Sie sehen tatenlos zu – diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen –, wie die Neutralität scheibchenweise demontiert wird, aber nichts anderes, wirklich Neues an Stelle dessen tritt. (Abg. Schieder: Glauben Sie, daß der Effekt ist, daß morgen in der Zeitung steht: Parlament schützt Neutralität!, oder glauben Sie nicht, daß es heißen wird: Wieder Debatte über Neutralität?) Das war eine ganze Zwischenrede. Ich meine, wenn Sie heute mit uns gemeinsam diesem Antrag Folge leisten würden, was ja noch nicht die Mehrheit wäre, wäre es immerhin ein sehr klares und deutliches Signal an eine Mehrheit in der Bevölkerung, die nicht ohne weiteres die Neutralität aufgeben möchte. – Aber so tragen Sie auch weiter zur Verunsicherung bei, die zweifelsohne stattfindet, die eben jeden Tag ein bißchen mehr, bei jeder Gelegenheit ein bißchen mehr weiter verbreitet wird.

Was passiert dann mit dieser Unsicherheit? Was resultiert aus dieser Unsicherheit? – Genau das, was Sie nämlich vermutlich auch nicht wollen, wie ich Ihren Worten entnommen habe, nämlich eine Tendenz hin zum Bestehenden. Die Reaktion nach Unsicherheit ist immer eine Rückwendung, eine Tendenz zum Bestehenden, eine Tendenz zu bestehenden Militärblöcken wie der NATO und der Westeuropäischen Union. Das ist die einzige Konsequenz.

Kollege Mock – und darauf möchte ich auch noch gerne antworten – sagt, es gehe nicht darum, wovon wir träumen. Das mag schon richtig sein, daß es nicht darum geht, wovon wir träumen. Aber man kann ruhig daran anschließen.

Versetzen Sie sich noch einmal in die Ausgangslage der neuen Situation: 1989 und 1990 gab es einen Traum in ganz Europa, das war der Traum von einem gemeinsamen Haus, von einem europäischen Haus, sehr stark getragen damals auch von Gorbatschow, mitgetragen von nahezu allen, auch westeuropäischen Staatsmännern und Politikern.

Die KSZE hat 1990 eine Charta beschlossen, nämlich die "Charta für eine neues Europa". Der Traum von diesem neuen Europa war zweifellos ein Traum einer völlig neuen Friedensarchitektur, sozusagen einer Aufhebung dieser früheren logischen Ordnung eines West- und Ostbündnisses, eines Militärbündnisses auf der einen wie der anderen Seite Europas.

Vor gar nicht allzu langer Zeit hat der ungarische OSZE-Delegierte mit Bedauern festgestellt, daß diese Chance verpaßt wurde, auch von einem Land wie Ungarn verpaßt wurde, indem man nicht die Geduld hatte, zu versuchen, diesen Traum auch nur ansatzweise in reale Politik umzusetzen. Es ist vielmehr das Gegenteil geschehen, und zwar in der Ungeduld, daß auch frühere osteuropäische Länder stärker in die NATO gedrängt haben.

Wenn Sie alle heute hier – die Liberalen, die Freiheitlichen und die ÖVP – so tun, als würde gar keine andere Möglichkeit bestehen als die der NATO und der Westeuropäischen Union (Abg. Scheibner: Oh ja, die eigene Armee so hochrüsten, daß wir es allein können wie die Schweiz!) , als ob das die Legitimation darstellen würde, nur so könnte eine friedliche Ordnung in Europa hergestellt werden, so möchte ich Sie auch noch einmal zurückführen in die Jahre 1989/90.

Damals – versuchen Sie, sich daran zu erinnern – war die Legitimität der NATO nahezu auf dem Nullpunkt, sie war nicht Thema des politischen Diskurses. Damals ging es sehr stark um die Frage der KSZE, um eine Änderung der Strukturen der KSZE, der heutigen OSZE.


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Zwei Faktoren haben die Legitimität der NATO wieder erhöht: Ein Faktor war das Hineindringen in die NATO, das Öffnen der NATO durch die "Partnerschaft für den Frieden", meiner Meinung nach ein Feigenblatt und kein wirkliches Angebot für den Frieden. Der zweite Faktor – das muß man hier sagen – war leider der Krieg in Exjugoslawien. Während dieses Krieges hat man nichts unversucht gelassen, die UNO zu diskreditieren und die Legitimität der NATO wieder zu erhöhen.

Es stimmt einfach nicht, wenn hier behauptet wird, es wäre einzig und allein das Versagen der UNO gewesen: Es war das ein Zusammenspiel der verschiedensten Interessen, der verschiedensten Mächte. Es war eine Tatsache, daß die Militärchefs der UNO nicht der UNO und nicht den Anordnungen des UNO-Generalsekretärs unterstellt waren, sondern den Befehlen aus Paris und London gehorcht haben.

Es ist Tatsache, daß die NATO-Geheimdienste Tage vor dem Fall von Srbrenica davon gewußt haben. Sie haben gewußt, was da auf die Bevölkerung und auf die dort stationierten UNO-Soldaten zukommt. Sie haben aber diese Informationen nicht an die UNO und an die Öffentlichkeit weitergegeben und auch nicht nach diesen Informationen gehandelt.

Diese Tatsache, daß die NATO-Geheimdienste es gewußt haben, wurde erst vor Monaten wieder in internationalen Zeitungen mit Photos, mit Satellitenphotos belegt und dargestellt. Das heißt, es hat diese Informationen gegeben, sie wurden nicht weitergegeben. Man hat bewußt versucht, die UNO zu diskreditieren, auch mit einem Auftrag an die UNO, der so nicht durchführbar und nicht umsetzbar war – mit der Logik, daß dann nur die NATO als die einzige Möglichkeit, als die einzige Option erscheint für die Herstellung von "Frieden" – unter Anführungszeichen – in Exjugoslawien, denn es handelt sich um einen Waffenstillstand; zum Frieden fehlt noch viel.

Das sollte man einfach auseinanderhalten, bevor man hier diskutiert und bevor man, wie Kollege Kier, von der europäischen Friedensordnung redet, aber eigentlich nicht die Friedensordnung, sondern den Militärpakt, die NATO und auch die WEU meint.

Noch ein Stück der Beleuchtung zur Legitimität der NATO: Auf dem Berliner Gipfel wurden nicht nur die Out-of-area-Einsätze beschlossen, die es auch den europäischen NATO-Staaten ermöglichen, alleine solche Einsätze durchzuführen, sondern es wurde festgelegt, daß neben der Sicherung des Vertragsgebietes wichtige Aufgaben für diese Einsätze die Sicherung von Rohstoffen und der freie Zugang zu den Weltmärkten sind.

Wenn nichts anderes, dann unterstreicht dieses Faktum ganz klar und eindeutig, daß es nicht um eine Friedenstruppe, um eine Friedensordnung, nicht einmal um ein Verteidigungsbündnis geht, sondern daß es ganz klar um einen Militärpakt mit Interventionsauftrag geht, wenn der Zugang zu den Rohstoffen und der Zugang zum Weltmarkt für die Europäische Union gefährdet erscheint. (Beifall bei den Grünen.)

Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal ein Beispiel bringen, ein Beispiel nur. Österreich hat sich in Bosnien in drei Bereichen beteiligt, wie das auch vom Kollegen Mock ausgeführt wurde: mit den IFOR-Truppen in Höhe von 300 Millionen Schilling, dann in einer von der UNO und EU organisierten Wirtschaftshilfe mit Krediten in Höhe von 90 Millionen Schilling und an der Wahlvorbereitung und Flüchtlingsrückführung mit 15 Experten. – Das sind, wenn man das gegenüberstellt, militärische Maßnahmen in Höhe von 300 Millionen Schilling und zivile Maßnahmen in Höhe von 100 Millionen Schilling. Aber es ist trotzdem ein Ungleichgewicht zwischen militärischen und zivilen Maßnahmen. (Abg. Dr. Maitz: Ohne den militärischen Schutz hat das ganze andere keinen Sinn!)

Das, was wir vorschlagen, ist, die OSZE-Mission mit 100 Millionen Schilling und 200 Experten von seiten Österreichs aufzustocken, um die Flüchtlingsrückführung und die Wahlvorbereitung auch tatsächlich durchführen zu können, und die Hilfe für den Wiederaufbau und die Wirtschaftshilfe statt mit 90 mit 190 Millionen Schilling zu dotieren, um tatsächlich ziviles Leben wieder aufbauen zu können.


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Das erachten wir als die zukünftigen Herausforderungen, die an uns in Europa gestellt werden. Das werden die Herausforderungen nicht nur in Bosnien, in Exjugoslawien sein, sondern leider in vielen Regionen Europas, vor allem in Osteuropa. Es geht darum, nicht nur die Logistik, nicht nur politischen Willen, sondern sehr wohl auch Finanzmittel dort einzusetzen, wo ziviles Leben präventiv geschützt oder nach militärischen Konflikten wiederaufgebaut werden kann.

Das, was Sie tun – und was unser Vorwurf ist in diesem Zusammenhang –, ist: Sie stützen sich ausschließlich in Ihrer Beurteilung der politischen Bedeutung und auch der materiellen Zuwendung auf die militärischen Mittel, und Sie lassen keinen anderen Möglichkeiten mehr Platz.

Damit einhergehend, um zurückzukommen zu der dringlichen Anfrage und zu dem Entschließungsantrag, der auf dem Tisch liegt, montieren Sie auch noch die Neutralität stückchenweise ab, ohne das Volk zu befragen, weil Sie genau wissen, daß, wenn Sie heute eine Volksabstimmung zu diesem Thema durchführen würden, die Mehrheit eine andere wäre als hier im Haus. Davor haben Sie Angst, und der Koalitionspartner gehorcht offensichtlich einem Koalitionswillen, anstatt das einzig Richtige zu tun: die Fakten vor einer Wahl zum Europaparlament klarzustellen, das Volk zu befragen und vorher klarzustellen, daß eine solche Volksabstimmung durchgeführt wird, wenn es zu einer Veränderung der Verfassung in den Bereichen der Neutralität kommt. (Beifall bei den Grünen.)

19.47

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Wabl. – Bitte, Herr Abgeordneter.

19.47

Abgeordneter Andreas Wabl (Grüne): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Es gab heute sehr interessante Beiträge des Bundeskanzlers und meines Erachtens auch einen sehr beachtenswerten Beitrag des Kollegen Schieder. (Abg. Schieder: Danke!)

Meine Damen und Herren! Es gibt in diesem Hause drei Parteien, die der Meinung sind, daß Österreich im Zusammenhang mit Sicherheitsfragen am besten in der NATO aufgehoben ist. Das ist ohne Wenn und Aber die Freiheitliche Partei, das ist ohne Wenn und Aber die Liberale Partei (Abg. Dr. Haselsteiner: Nein, das stimmt nicht! Sie haben schon wieder nicht zugehört!) , und das ist auch die ÖVP.

Die Sozialdemokraten meinen – das hat Kollege Schieder hier sehr ausführlich dargestellt, er möge mir verzeihen, wenn ich nicht seine ganze Rede wiederhole –, daß die Neutralität ein sehr taugliches Mittel nicht nur in der Vergangenheit war, sondern auch jetzt ist und in Zukunft sein wird. Schieder meinte aber, daß es in dieser Dynamik der europäischen Sicherheitsentwicklung, der europäischen Sicherheitspolitik neue Aspekte gibt, aber daß es jetzt überhaupt keinen Anlaß dafür gibt, die Neutralität in irgendeiner Art und Weise in Frage zu stellen und ins Gerede zu bringen.

Die Grünen nehme eine Position zur Neutralität ein, die Kollegin Kammerlander hier klar dargelegt hat. – Meine Damen und Herren! Was das Interessante ist ... (Zwischenruf des Abg. Dr. Haselsteiner. )

Herr Kollege Haselsteiner, ich weiß schon, daß es unterschiedliche Auffassungen in Ihrer Partei gibt. Frau Schmidt denkt etwas anders über die Abfangjägerfrage nach als Herr Moser. Sie glauben, daß die Landepisten in Österreich schon gebaut sind, also kein Geschäft mehr zu erwarten ist. Das verstehe ich schon, lassen wir das Thema; meine Redezeit ist nicht so lang.

Meine Damen und Herren! Was sehr interessant war, ist, daß Kollege Schieder im Zusammenhang mit seinem – noch einmal – sehr beachtenswerten Redebeitrag gemeint hat, man solle die Neutralität nicht ins Gerede bringen; auf der einen Seite meint er die Freiheitlichen, auf der anderen Seite die Grünen, und er meint natürlich auch die ÖVP, aber das kann er als braver, koalitionstreuer Abgeordneter nicht sagen. Er meint vor allem den sehr geehrten Herrn Minister Fasslabend.


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Meine Damen und Herren! Es gibt einen kleinen Unterschied: Hier in diesem Haus sitzen Volksvertreterinnen und Volksvertreter, die über eine wichtige Frage der österreichischen Sicherheitspolitik diskutieren und ihre Meinung austauschen. Aber seit wann ist die österreichische Bundesregierung ein Diskutierklub? Bundeskanzler Vranitzky hat hier deutlich klargelegt: Grundsätzliche Positionen – so war seine Antwort – werden nicht von einzelnen Mitgliedern der Bundesregierung, sondern von der Bundesregierung insgesamt festgelegt.

Herr Kollege Schieder! Ich verstehe Ihre Verärgerung über die Ausritte vom Fasslabend auf dem Militärroß in Richtung NATO. Aber Sie sollten doch einmal ein ernstes Wort mit ihrem Partei- und Regierungschef reden und ihm sagen, daß er in der Bundesregierung verpflichtet ist, eine klare politische Linie zu erarbeiten, die nach außen präsentiert wird.

Es ist nicht die Frage, ob Herr Fasslabend in Diskussionsrunden nicht auch über die Fragen NATO-Beitritt und Neutralität diskutieren kann, sondern die Frage ist, ob ein Regierungsmitglied bei offiziellen Anlässen im In- und Ausland klar die Position vertritt, daß Österreich am besten der NATO beitreten sollte, weil das die billigste sicherheitspolitische Lösung ist. Und der österreichische Regierungschef ist nicht in der Lage, die Meinungen zu koordinieren und in der Öffentlichkeit ein klares Bild der österreichischen Regierung darzulegen. Das ist das Problem, mit dem wir hier in diesem Parlament zu kämpfen haben, und der Grund dafür, daß diese Diskussion so notwendig ist.

Der Herr Bundeskanzler sollte mit Ihnen einmal einige Beratungsstunden durchführen, in denen Sie ihn beraten, vor allem auch Herrn Bundesminister Fasslabend. Daß Kollege Scheibner am liebsten in die NATO ginge, weil er auch der Meinung ist, daß die Rüstungsindustrie ordentlich angekurbelt werden muß, so wie Herr Moser das auch meint – den ideologischen Über- oder Unterbau dafür liefert Kollege Frischenschlager, der weiß, wie man das macht –, ist zulässig. Es ist aber nicht zulässig, daß die österreichische Bundesregierung nicht in der Lage ist, eine klare Meinung und eine klare Haltung in dieser Frage einzunehmen.

Man fragt sich: Wem nützt diese Unklarheit? Der Lateiner sagt: Cui bonum? Wem nützt sie? (Abg. Dr. Haselsteiner: Wie sagt er? – Abg. Schieder: "Cui bono"?!) Ja, ist schon klar, Herr Kollege Schieder, ich danke Ihnen, in Latein war ich immer bestens. Meine Damen und Herren! Die Frage ist: Wem nützt es? Die SPÖ hat eine hervorragende Haltung und wird deshalb ... (Abg. Dr. Haselsteiner: "bonum" oder "bonus"?) Bei Ihnen heißt es immer "Bonus", das ist klar. (Heiterkeit. – Abg. Dr. Haselsteiner: Dafür bin ich zu gewinnen!)

Die Sozialdemokraten haben eine sehr vernünftige Haltung eingenommen im Sinne der Maximierung von Stimmengewinnen. Die SPÖ weiß ganz genau, daß laut Meinungsumfragen innerhalb der österreichischen Bevölkerung eine klare Mehrheit für die Neutralität gegeben ist, deshalb nimmt sie eine vorsichtige Position ein, insbesondere Kollege Schieder mit seiner Haltung. Der Herr Bundeskanzler weiß natürlich, daß möglicherweise auch Wählerinnen und Wähler von einer anderen Seite zu gewinnen sind, und deshalb begnügt er sich mit dieser sehr schwammigen Haltung.

Meine Damen und Herren! Dieses Spiel ist durchschaubar: Sie wollen bei den Europawahlen punkten, Sie wollen am 13. Oktober punkten, und Sie wollen gleichzeitig Ihre politische Reputation vollinhaltlich halten. – Das geht nicht, Herr Kollege Schieder. Diesbezüglich hat Kollege Frischenschlager recht, und deshalb haben wir auch diese dringliche Anfrage eingebracht, Sie sollen nämlich eine klare Position beziehen! Das ist die Aufgabe der Exekutive, der österreichischen Bundesregierung!

Kollege Kier hat hier von Mut gesprochen. Er hat sicher nicht "Mut" wie "Moser" gemeint. Aber eines sollten Sie, Herr Kollege Kier, vielleicht auch bedenken: Selbstverständlich kann man verschiedene Positionen in der Sicherheitspolitik hinterfragen, sei es die militärische, die neutralitätspolitische oder auch die pazifistische. Sie sollten aber zur Kenntnis nehmen: Gerade in Krisensituationen und in Umbruchsituationen kann ein Staat oder eine Gruppe, die eine neutrale Haltung einnimmt, insbesondere ein Land, welches so lange Erfahrungen hat auf diesem


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Gebiete – Kreisky hat das vorgeführt – wichtige, überlebensnotwendige Positionen einnehmen und Vermittlungspositionen realisieren, die kein Bündnispartner, kein Paktpartner realisieren kann. Und Sie sollten berücksichtigen, inwieweit diese Funktion für Österreich nützlich ist und auch in Zukunft nützlich sein wird.

Meine Damen und Herren! Das ist in jeder Gruppe so. Herr Kollege Schieder, Sie wissen es ganz genau: Wenn es darum geht, daß Kollege Kostelka mit Kollegen Khol ein gutes Gesprächsklima haben möchte, dann wird er nicht selbst den Schlag gegen Herrn Höchtl führen, sondern Frau Karlsson oder jemand anderen vorschicken. Das ist ganz klar, denn sonst gibt es kein ordentliches Verhandlungsklima. – Diese Dynamik ist zu berücksichtigen, auch im internationalen Staatengefüge, in den internationalen Sicherheitsfragen.

Ich glaube, daß man sich irgendwann einmal entscheiden muß, welche Rolle man einnimmt. Man kann  meinetwegen meinen –  ich halte die Meinung, die Scheibner da einnimmt, für falsch –, daß es die beste Lösung ist, daß Österreich im großen Waffengeklirr mitspielt und dort seine Position einbringt. Aber dann halte ich es für eine Frage der politischen Redlichkeit – und daran sollten Sie, Herr Kollege Kier, nicht vorbeischauen –, daß man dann, wenn man über politische Themen und Inhalte redet, auch die ökonomische Frage klar anspricht. Es geht nicht an, daß Sie eine sicherheitspolitische Option ansprechen, aber völlig ausklammern, daß diese auch budgetäre Auswirkungen hat. Herr Scheibner! Deshalb ist es legitim, daß man, wenn Sie Kampfpanzer, Abfangjäger haben wollen, von Ihnen verlangt wird, zu sagen, woher Sie das Geld dafür nehmen. (Abg. Scheibner: Wieviel ist Ihnen die Sicherheit Österreichs wert?) Kollege Sascha Van der Bellen hat Ihnen schon gesagt: Nicht mit dem Dienstauto – Sparmentalität. Das ist wichtig, aber es bringt uns nicht die von Ihnen und Moser gewünschten neuen Abfangjäger. Sie sollten das klar auf den Tisch legen.

Frau Kollegin Heide Schmidt! Herr Haselsteiner hilft Ihnen sicher – er ist ein hervorragender Ökonom und weiß genau, wie man die Profite maximiert und wie man Gewinne macht – und sagt Ihnen, wie das finanzierbar ist, wo man ansetzen muß. Herr Moser, reden Sie einmal ein ernstes Wort mit Kollegen Haselsteiner, er wird Ihnen das sagen.

Genauso können wir ja auch in den Fragen des Gesundheitswesens nicht sagen (Abg. Dr. Cap: Was will Wabl?) , wir diskutieren jetzt nur das Gesundheitswesen, aber wieviel das kostet, interessiert uns nicht. Das ist unredlich, Herr Kollege Cap! Es ist vielleicht politischerweise für Sie opportun vor den Wahlen am 13. Oktober, aber letztendlich unredlich und unsauber. (Abg. Dr. Cap: Was will Wabl?)

Meine Damen und Herren! Es kommt dann auch noch die wunderbare Walze – Moser hat damit angefangen, aber auch andere – mit den Kosten in der NATO. Es wird gesagt, die seien nicht gestiegen. Die Ausgaben für die NATO sind im Durchschnitt ungefähr 3,3 Prozent. Wenn ich das für Österreich hochrechne, komme ich auf ungefähr 72 Milliarden Schilling. Herr Moser, wieviel fehlen da auf das österreichische Militärbudget? – Fragen Sie Frischenschlager! – Ungefähr 40 bis 50 Milliarden Schilling. Herr Scheibner, sagen Sie uns bitte, woher Sie diesen Betrag nehmen! (Abg. Scheibner: Das ist doch Unsinn!) Geschenkt – wir nehmen nur die Hälfte, aber sagen Sie uns, woher Sie das Geld nehmen! Sie wissen ja nicht einmal, woher Sie das Geld für die neuen Abfangjäger, die Sie propagieren, nehmen sollen, das Geld, das Sie so wieder der Rüstungsindustrie in den Rachen werfen wollen.

Das ist unseriös, Herr Kollege Scheibner! Das ist nicht Politik! Das mag möglicherweise für Wahlkampfreden interessant sein, ist aber einer echten sicherheitspolitischen Diskussion hier in diesem Haus nicht zweckdienlich. (Abg. Dr. Cap: Was will jetzt Wabl?)

Meine Damen und Herren! Jeder Abgeordneter und jede Abgeordnete meinen, seine/ihre Position sei die richtige. Ich habe am meisten Sympathie natürlich für unsere und für jene des Abgeordneten Schieder – Entschuldigung, daß ich das noch einmal sage –, aber ich muß folgendes sagen, Herr Abgeordneter Schieder: Reden Sie mit dem Herrn Bundeskanzler, sagen Sie ihm, daß es eine einheitliche Linie geben muß. Vielleicht macht das Staatssekretär Schlögl.


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Da er in der Bezügereformgeschichte etwas versagt hat, wird er vielleicht das zustande bringen. Ich bin überzeugt davon, es steckt da noch vieles drinnen.

Meine Damen und Herren! Wir verlangen, daß in dieser sehr sensiblen Frage das österreichische Volk befragt wird, und dann können Sie, meine Damen und Herren, als Volksvertreter sagen: Ja, das war eine demokratische Entscheidung, und die Exekutive, die Regierung hat sich daran zu halten. Aber hören Sie auf mit diesem Versteckspiel "Windi, wandi, welches Handi?", je nachdem, ob Fasslabend aus dem Fernsehbild glotzt oder der Herr Bundeskanzler aus der Röhre lacht. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

20.00

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Die Rednerliste ist erschöpft, die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen daher zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Kammerlander und Genossen betreffend Abhaltung eine Volksabstimmung über die immerwährende Neutralität Österreichs bei einem WEU- oder NATO-Beitritt.

Ich bitte jene Damen und Herren, die diesem Antrag Ihre Zustimmung geben wollen, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist damit abgelehnt.

Dringliche Anfrage

der Abgeordneten Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn und Genossen an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten betreffend Semperit – Ende eines traditionsreichen österreichischen Unternehmens (990/J)

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Wir gelangen nunmehr zur dringlichen Behandlung der schriftlichen Anfrage 990/J. Da auch diese inzwischen allen Abgeordneten zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch den Schriftführer.

Die dringliche Anfrage hat folgenden Wortlaut:

Bei Semperit herrscht Untergangsstimmung – die Schließung des Werks in Traiskirchen, das heuer sein 100jähriges Bestandsjubiläum hätte feiern sollen, steht unmittelbar bevor. "Für das Jahr 1997", so Semperit-Betriebsrat Alfred Artmäuer, "erwarte (er) die Schließung des Reifenwerkes in Traiskirchen."

Trotz der österreichischen Einsparungsvorschläge in Höhe von etwa 400 Millionen Schilling will der Continental-Konzern die jährliche Reifenproduktion am österreichischen Standort vorerst auf die Hälfte (= etwa 2 Millionen Stück) des bisherigen Ausstoßes reduzieren, die freiwerdenden Maschinen sollen ins tschechische Otrokovice verbracht werden. Artmäuer hält nach eigenen Worten diese Vorgangsweise für eine "Verlegenheitsmaßnahme", die im nächsten Jahr in die endgültige Schließung münden werde.

Diese Entwicklung wird von Betriebsrat Harald Guttmann mit den Worten kommentiert: "Dies ist der Anfang vom Ende. Wir werden langsam ausgehungert. Mit der halben Reifenproduktion ist das Werk nicht zu halten."

300 Mitarbeiter verlassen bis zum Jahresende freiwillig das Unternehmen, weitere 400 verlieren durch die Produktionsdrosselung ihren Job.

Insgesamt 2 400 Beschäftigte werden von der absehbaren Schließung des Werkes betroffen sein, und – da die Arbeitsplatzsituation in dieser Region schon bisher extrem schlecht war – in ihrer Mehrzahl auf der Straße stehen.

Erst 1983 wurde die damals kränkelnde CA-Tochter Semperit mit 1,2 Milliarden Schilling aus Steuergeldern bei der Errichtung eines Werkes in Traiskirchen unterstützt.


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Schon bald nach dem 1985 erfolgten Verkauf des Unternehmens an den Continental-Konzern mußte Semperit die wichtigsten Kunden an die Konzernmutter abgeben, dann wurde die Forschungs- und Entwicklungsabteilung abgezogen und im Stammwerk angesiedelt; schließlich mußte der österreichische Standort mit der Konzerntochter BARUM in Otrokovice (Tschechien) um Aufträge streiten.

Ende 1995 lief die von Conti gegebene Standortgarantie für Traiskirchen aus. Bei einer vorzeitigen Schließung hätte Conti rund 10 Prozent der erhaltenen Förderungen zurückzahlen müssen.

Semperit wurde von seiner Konzernmutter sehenden Auges auf eine mit Niedriglohnländern nicht konkurrenzfähige, technologisch veraltete, verlängerte Werkbank reduziert und durch den EU-Beitritt auch noch seines wichtigsten Marktes, Japan, beraubt.

Verkaufte Semperit noch 1992 mehr als 2 Millionen Reifen nach Japan, so waren es 1994/95 nur noch 500 000. Für heuer wird noch mit einem Absatz von 250 000 Reifen gerechnet, 1997 wird es keinen Verkauf von Semperit-Reifen an Japan mehr geben. Ende Juni 1996 lagerten in Traiskirchen 1 020 000 Stück PKW-Reifen und 145 000 Stück LKW-Reifen. Ein derart hoher Lagerbestand war noch nie da!

Die Bundesregierung wußte nachweislich bereits vor dem Beitritt Österreichs zur EU von den zu erwartenden katastrophalen Folgen für die Kfz-Zulieferindustrie und den negativen volkswirtschaftlichen Effekten eines Ausfalles des Japangeschäfts (Studie: Volkswirtschaftliche Effekte der österreichischen Kfz-Zulieferungen nach Japan. Wien 1992). Dennoch hat sie es verabsäumt, durch haltbare internationale Vereinbarungen und Verträge mit Japan und der Europäischen Union den Bestand dieses für Österreich so wichtigen Wirtschaftszweiges zu sichern.

Die Auswirkungen des Wegfalls der Zollbegünstigungsregelung mit Japan auf die Semperit Reifen AG sind ruinös:

Ausfall des Exportvolumens nach Japan .................................................................

1 430 Millionen Schilling

Ausfall von Nachrüstungsbedarf im österreichischen Markt von Semperit Reifen durch Import von japanischen Reifen als Folge der Erstbereifung ..........................

322 Millionen Schilling

Ausfall von Nachrüstbedarf an Semperit Reifen in den übrigen westeuropäischen Märkten ......................................................................................................................

1 490 Millionen Schilling

 

Im Fall der gesamten österreichischen Kfz-Zulieferindustrie – Österreich war jahrelang hinter den USA der zweitgrößte Lieferant automotiver Teile – stellt sich die reale wirtschaftliche Lage nunmehr wie folgt dar:

Sämtliche große österreichische Lieferanten automotiver Teile – Semperit, VOEST-Glas, Schmidt Feldbach, Asota, Novoflor, Palfinger, Leykam ... – sind unter enormen Preisdruck geraten und verzeichnen teilweise dramatische Umsatzeinbrüche.

"Zum Preisdruck der Abnehmer kommen seit 1. Jänner die negativen Folgen des EU-Beitritts: Das durch den EU-Beitritt ausgelaufene Gegenlieferungsabkommen mit Japan sollte zwar ursprünglich durch eine EU-konforme Vereinbarung ersetzt werden, doch trotz vollmundiger Versprechungen des Wirtschaftsministeriums sieht es derzeit nicht danach aus, als ob die Bemühungen der österreichischen Verhandler von Erfolg gekrönt wären. Wenn nicht, sind der Zuliefervereinigung AOEM zufolge 3 800 Arbeitsplätze in Gefahr.

Leidtragende sind all jene Firmen, die sich stark aufs Japangeschäft konzentriert hatten und teilweise zu Preisen lieferten, die ohne den sanften Zwang des Abkommens jetzt nicht mehr konkurrenzfähig sind. So lieferte Semperit 1992 noch 2,4 Millionen Reifen nach Japan, während es heuer nur noch etwas mehr als 500 000 sein werden." (Industrie Magazin; Nr. 6, Juni 1995)

Betrug das gesamte Exportvolumen der österreichischen Zulieferer in Spitzenjahren noch 4,3 Milliarden Schilling, so ist der Rückfall der Jahre 1995/96 dramatisch.


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"Ohne ein weiteres Abkommen mit Japan werden wir 1997 keine Lieferungen mehr haben." (Semperit-Vorstand Bernd Bartha; APA, 14. Mai 1996).

Finanzminister Mag. Klima und Wirtschaftsminister Dr. Ditz sicherten angesichts dieser Ent-wicklung zu, eine "task force" (Arbeitsgruppe) einzurichten, "die die Kompensationsgeschäfte mit Japan wiederbeleben soll".

In der 2. Sitzung der EU-Unterausschüsse vom 18. April 1994 hatte der damals amtierende Wirtschaftsminister Dr. Schüssel noch folgendes ausgeführt:

"Der zweite Bereich, auf den ich kurz eingehen möchte (...), ist die Frage von Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union und außerhalb der EFTA, die mit uns spezifische Regelungen im Zollbereich gehabt haben. (...) Zum Beispiel hatten wir im Bereich der Autoindustrie mit Japan eine recht günstige Lösung, die sicherstellte, daß die japanischen Autos mit einem niedrigeren Zoll – statt 20 nur 4 Prozent – belegt waren, wenn der österreichische Zulieferanteil nach Japan einen bestimmten Prozentsatz, nämlich 25 Prozent der japanischen Autoexporte nach Österreich, betroffen hat. Diese Regelung hat dazu geführt, daß wir eigentlich ein sehr gutes Potential mit Japan aufgebaut haben. Wir haben etwa im Jahr 1992 (...) automotive Produkte von 3 533 Millionen Schilling nach Japan exportiert. (...)

Diese Regelung ist natürlich mit dem EU-Beitritt nicht mehr zu halten. Wir werden daher einen gemeinsamen Außenzoll gegenüber Drittstaaten haben und befürchteten daraus gewisse Nachteile für Zulieferer Österreichs nach Japan.

Ich bin daher selber nach Japan gefahren und habe mit den dortigen Behörden und Ministern Gespräche geführt, wie das sein wird, wenn die EU für uns entsprechende Quoten festlegt und dann mit Japan entsprechende Vereinbarungen abzuschließen hat.

Das Ergebnis war ermutigend. Die Japaner haben akzeptiert, daß hier ein Problem besteht, das im österreichischen Sinn gelöst werden muß, und die EU hat dafür akzeptiert, daß sie die volle Importquote auf die bisherigen EU-Importe drauflegt. (...)

Wir haben sichergestellt, daß die volle österreichische Quote auf den gesamten österreichischen EU-Anteil draufgelegt wird, und wir haben überdies ein Commitment schriftlich vereinbart, das sicherstellt" – wörtliches Zitat –, "daß die Kommission der Europäischen Union sofort in Konsultationen mit Japan eintritt, sobald die Beitrittsverhandlungen abgeschlossen sind, mit dem Ziel, einerseits den Japanern entsprechende Ziffern anzubieten für die Importe und auf der anderen Seite von Japan ein Commitment, eine Verpflichtungserklärung, zu bekommen, daß die bisherigen Importe Japans aus Österreich von automotiven Produkten beibehalten werden sollen. Diese Verpflichtung dauert fünf Jahre und endet mit dem 31. Dezember 1999."

Im Vorfeld der EU-Volksabstimmung versprach der nunmehrige Vizekanzler und damalige Wirtschaftsminister also der existentiell gefährdeten Autozulieferindustrie das Blaue vom Himmel und nahm offenbar in Kauf, nach einem erst einmal erfolgten EU-Beitritt als – freundlich formuliert – "Schönfärber" enttarnt zu werden.

Die tatsächlichen Entwicklungen im Bereich der Autozulieferindustrie zeigen einmal mehr, was die Versprechungen der Bundesregierung wert sind.

Aus oben angeführten Gründen richten die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten nachstehende

dringliche Anfrage:

1. War die österreichische Bundesregierung bereits vor dem Beitritt Österreichs zur EU von den zu erwartenden katastrophalen Folgen für die Kfz-Zulieferindustrie und die negativen volkswirtschaftlichen Effekte im Falle eines Zusammenbruchs des Japangeschäfts informiert, und wenn ja,


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welche Maßnahmen wurden von der Bundesregierung getroffen, um den Bestand der Japanexporte zu sichern?

Welcher Erfolg war diesen Bemühungen nach Ihrer Einschätzung beschieden?

2. Wurde die EU-Kommission in der Sache der Sicherung der Exporte der österreichischen Kfz-Zulieferindustrie nach Japan bereits aktiv, und wenn ja, welche diesbezüglichen Aktivitäten wurden mit welchem Erfolg gesetzt?

3. Konnte tatsächlich "sichergestellt (werden), daß die volle österreichische Quote auf den gesamten österreichischen EU-Anteil draufgelegt wird", wie es Dr. Schüssel den Österreicherinnen und Österreichern vor der EU-Volksabstimmung versprochen hat?

4. Sind Sie der Meinung, daß das von Wirtschaftsminister Dr. Schüssel nach Hause gebrachte "Versprechen" eine Sicherung der heimischen Kfz-Zulieferindustrie bewirkte?

5. Wo und wie werden Sie die Einhaltung der nach den Worten des ehemaligen Wirtschaftsministers Dr. Ditz von Ihrem Amtsvorvorgänger Dr. Schüssel "unter Dach und Fach gebrachten Versprechen" einfordern, und sehen Sie dazu überhaupt eine Chance?

6. Welchen Wert hat angesichts der katastrophalen Entwicklung der österreichischen Kfz-Zulieferindustrie Ihrer Ansicht nach das "Versprechen", welches Wirtschaftsminister Schüssel von der EU-Kommission mitbrachte?

7. Sind Sie der Meinung, daß lediglich "Versprechen" in internationalen Wirtschaftsbeziehungen Grundlage staatlichen Handelns sein sollen? Wenn ja, warum?

8. Entspricht es den Tatsachen, daß im Jahre 1997 mit einem vollständigen Ausfall der Exporte nach Japan zu rechnen ist? Wenn ja, was werden Sie dagegen unternehmen?

9. Aus welchen Mitgliedern besteht die von Wirtschaftsminister Dr. Ditz angekündigte "task force" (beziehungsweise falls die Konstituierung noch nicht erfolgte: wie wird sie sich zusammensetzen?)

10. Hat die angekündigte "task force" ihre Tätigkeit bereits aufgenommen?

11. Wenn ja, welche Erfolge hat sie bereits erzielt und welche konkreten Ergebnisse kann die Arbeitsgruppe vorweisen?

12. Wie ist der aktuelle Stand der Verhandlungen mit den japanischen Partnern?

13. Hat Japan das angekündigte Commitment unterschrieben, das der österreichischen Kfz-Zulieferindustrie die Beibehaltung der vollen Exportquote vertraglich zusichert?

14. Sehen Sie eine Chance, das von Schüssel versprochene neue Abkommen mit Japan noch vor dem totalen Zusammenbruch der Geschäftsbeziehungen Ende dieses Jahres abzuschließen?

15. In welchem Zeitraum hoffen Sie – durch die Tätigkeit der "task force" – Kompensationsgeschäfte in welchem Umfang für die österreichische Autozulieferindustrie mit Japan abschließen zu können?

16. Wenn die angekündigte "task force" ihre Tätigkeit noch nicht aufgenommen hat, wann ist Ihrer Ansicht nach mit der Einsetzung der Arbeitsgruppe zu rechnen?

17. Welche Maßnahmen haben Sie gesetzt beziehungsweise werden Sie setzen, um den Verbleib des österreichischen Produktionsstandortes von Semperit zu sichern?

18. Haben Sie im Interesse einer Sicherung des Produktionsstandortes Traiskirchen Gespräche mit dem Land Niederösterreich, den beteiligten Banken und dem Continental-Konzern geführt, und wenn ja, was waren die Ergebnisse dieser Gespräche?


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19. Haben unter Ihrer Beteiligung Gespräche mit potentiellen Käufergruppen stattgefunden? Wenn ja, welche Ergebnisse haben diese Gespräche erbracht?

20. Wie realistisch sehen Sie die Chancen auf ein "Management-Buyout" für Semperit?

21. Ist die Bundesregierung in der Lage, für Semperit eine Bestandsgarantie abzugeben, und wenn ja, für welchen Zeitraum? Wenn nein, warum nicht?

22. Welche Erwartungen haben Sie hinsichtlich der Entwicklung der österreichischen Kfz-Zulieferindustrie am europäischen Markt beziehungsweise auf den außereuropäischen Märkten für die kommenden Jahre?

23. Entspricht es den Tatsachen, daß Semperit durch konzerninterne Bestimmungen daran gehindert wird, direkt Reifen an die europäische Automobilindustrie (Mercedes, Audi, VW, Saab, Fiat et cetera) zu liefern?

24. Wie viele Arbeitsplätze werden durch den EU-Beitritt im Bereich der Kfz-Zulieferindustrie in den Jahren 1994 bis 1999 voraussichtlich verlorengehen?

25. Welche Auswirkungen erwarten Sie infolge des Zusammenbruchs der Japanexporte der Kfz-Zulieferindustrie auf die österreichische Handelsbilanz?

26. Wirtschaftskammerpräsident Maderthaner ist sich – Zeitungsmeldungen zufolge – mit ÖGB-Präsident Verzetnitsch einig, daß "gegen den europäischen Förderungstourismus etwas unternommen werden müsse"; welche Möglichkeiten sehen Sie als Wirtschaftsminister, "gegen den europäischen Förderungstourismus etwas zu unternehmen", und welche positiven Auswirkungen erwarten Sie von solchen Maßnahmen für die österreichische Kfz-Zulieferindustrie?

27. Welche konkreten Maßnahmen werden Sie setzen, damit die Arbeitsplätze in dieser Region erhalten bleiben können?

28. Mit welchen konkreten Maßnahmen glauben Sie verhindern zu können, daß es zu Streik- und Boykottmaßnahmen bei der Belegschaft der Semperit Reifen AG im Falle einer Stillegung des Betriebes kommt?

29. Werden Sie sich allfälligen Streik- und Boykottaufrufen von Betriebsräten der Semperit Reifen AG im Falle einer Stillegung des Betriebes anschließen? Wenn ja, in welcher Form?

In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage im Sinne der Bestimmungen des § 93 GOG des Nationalrates dringlich zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu behandeln.

*****

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Ich erteile nun Herrn Abgeordneten Dipl.-Ing. Prinzhorn als erstem Fragesteller zur Begründung der Anfrage das Wort. Gemäß § 57 Abs. 1 der Geschäftsordnung beträgt die Redezeit 40 Minuten. – Bitte, Herr Abgeordneter.

20.01

Abgeordneter Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn (Freiheitliche): Herr Präsident! Hohes Haus! Der Überlebenskampf von Semperit nimmt dramatische Formen an, dramatische Formen vor allem für die Mitarbeiter, die seit Jahren jeden Tag in der Früh aufstehen und mit neuen Überraschungen rechnen müssen, wenn sie zu ihrem Arbeitsplatz kommen.

Es wäre schön, wenn es nur um 1,2 Milliarden Schilling an Subventionen ginge, meine Damen und Herren. Es wäre auch schön, wenn sich unser Vizekanzler und früherer Wirtschaftsminister nur von den Japanern 1994 hinters Licht führen hätte lassen. Es geht aber leider um Tausende Arbeitsplätze – und das nicht nur bei Semperit. Der japanische Konzern Mitsui, einer der größten japanischen Konzerne, schrieb vor einigen Tagen an Dr. Haider einen Brief – ich zitiere –:


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Wir sind zumindest für 40 Prozent der österreichischen Ausfuhren nach Japan verantwortlich. Wir haben den Großteil der österreichischen Exporte von Autoteilen durchgeführt. Wir vertreten Semperit, VOEST-Glas, Schmidt Feldbach, Asota. – Ich könnte Ihnen noch 20 andere Firmen nennen. Klingt wie das "Who ist who" der österreichischen Industrie.

Nun zu den Tatsachen, schreibt Mitsui, dieser größte japanische Handelskonzern: 1992 haben wir von Österreich nach Japan noch im Wert von 4 Milliarden Schilling exportiert, 1995 werden es knapp 1 Milliarde sein, 1996 vielleicht 600 bis 800 Millionen und 1997 wahrscheinlich nichts. Vielleicht noch VOEST-Glas aus dem steirischen Werk. (Abg. Koppler: VOEST-Glas gibt es schon seit zehn Jahren nicht mehr!)

Meine Damen und Herren! Bei Semperit sieht die Sache so aus: 1992 – Herr Abgeordneter Koppler, das ist sehr betrüblich für die Mitarbeiter dort – waren es noch 2 Millionen Stück Autoreifen. 1997 werden es voraussichtlich null sein. Der zusätzliche negative Effekt – Sie können sicherlich auch Handelsbilanzen lesen, Herr Abgeordneter – für die österreichische Handelsbilanz ist in der Beilage der Semperit-Aussendungen ersichtlich.

Österreich war jahrelang hinter den USA für diese Produkte nach Japan der zweitgrößte Exporteur. Die österreichische Bundesregierung hat vor dem EU-Beitritt viel versprochen, diesbezüglich aber wirklich nichts gehalten! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Desgleichen verhält sich aber auch die EU bezüglich der österreichischen Lieferungen nach Japan – so schreibt Mitsui – außerordentlich passiv, und der Herr Kommissar van den Broek hat darüber Minister Schüssel gegenüber auch eine Garantie abgegeben, die er eigentlich nicht eingehalten hat.

Ein weiteres österreichisches Problem ist, daß viele unsere Zulieferbetriebe – schreibt Mitsui – im Besitz ausländischer Konzerne stehen. Semperit darf zum Beispiel – und das ist interessant – keine Reifen an europäische Autoindustrien liefern. Das behält sich Continental vor. Semperit hat bis Ende der achtziger Jahre Reifen an Mercedes, Audi, VW, Opel, Ford und viele andere geliefert.

VOEST-Glas, Tochter von Flachglas, Herr Abgeordneter, darf ebenfalls nicht nach Deutschland liefern. So können Sie eine ganze Reihe von Unternehmen anführen, und Mitsui kommt dann zu dem Schluß:

Semperit hat ohne Japan keine Zukunft. Der Lagerstand der Reifen beträgt heute 1 Million Stück. Trotzdem habe Continental – da die Logistik nicht stimmt – wesentliche Umsätze aus Österreich abgezogen.

Das Resümee des Briefes ist: Die nicht vorhandene Wirtschaftspolitik der österreichischen Regierung und das Nichtverhandeln in dieser österreichischen Angelegenheit sowie der überstürzte Beitritt zur EU beginnen jetzt überall in unserem Lande Auswirkungen zu haben. Die nächsten Jahre werden für die österreichische Bevölkerung und die betroffenen Betriebe sehr bitter werden.

Meine Damen und Herren! Tatsache ist aber auch, daß der Fall Semperit viel mehr ist als nur Semperit und das Versagen der Politiker in diesem Fall. Es zeigt, wie in Österreich der Strukturwandel, entgegen allen Behauptungen, nicht vollzogen wurde. Dabei war längst bekannt – seit dem EWR-Beitritt –, was zu tun ist: entweder im internationalen Wettbewerb bestehen können oder aber zwischen Abwanderung und Zusperren und den damit verbundenen Insolvenzen wieder alles aufs Spiel setzen, was die Nachkriegsgeneration in großartiger Aufbauleistung erbracht hat.

Realitätsbewußtsein und ständige internationale Wettbewerbsvergleiche waren gefordert, um die Position richtig einzuschätzen. Semperit hat aufgrund von Fehleinschätzungen Milliarden verschlungen. Da muß ich Ihnen sagen, Generaldirektor Treichl und Leibenfrost, die damals dafür verantwortlich waren, beide glühende ÖVP-Anhänger, haben schon zu CA-Zeiten die Steuer


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zahler Milliarden Schilling gekostet. Semperit hat damals Milliarden verschlungen und dann noch um einige Milliarden das Bürogebäude an die Bundeswirtschaftskammer überhöht verkauft.

Zitat Treichl: Von meinen 100 Vorstandsmitgliedern – und darauf bin ich besonders stolz, Herr Prinzhorn, hat er mir gesagt – kommen 99 aus der ÖVP. Herr Dr. Treichl leistet wenigstens heute Abbitte durch seine karitative Tätigkeit als Präsident des Roten Kreuzes (Beifall bei den Freiheitlichen), während Leibenfrost bei der Löwenbräu sein nächstes Waterloo erlebt. – Aber das zahlt wenigstens ein Privater! (Heiterkeit bei den Freiheitlichen.)

Erst als das alles für die größte österreichische Bank, natürlich eine Staatsbank, nicht mehr finanzierbar war, kam der Ruf nach der dringend notwendigen Privatisierung. Damit beginnt das jetzige und gleichzeitg auch letzte Kapitel des Leidensweges. Daß dieser Verkauf ein Ausverkauf an die steinreichen Conti-Leute werden würde, den der österreichische Steuerzahler mittlerweile mit 1,2 Milliarden Schilling Subventionen mitfinanziert, lag an denselben Versäumnissen, die wir Freiheitliche auch anläßlich des EU-Wahlkampfes der Regierung kritisierten. Der Gesetzgeber, der Kammerstaat Österreich hat zum Thema "eurofit" damals nur Bahnhof verstanden. Die Rechnung haben wir jetzt auf dem Tisch! Also griff man wieder in die alte Lade: Beschwichtigungsaktion des Wirtschaftsministers Schüssel im EU-Unterausschuß am 18. April 1994 zum Thema Semperit. Der damalige Wirtschaftsminister ließ uns damals ausrichten:

Der zweite Bereich, auf den ich kurz eingehen möchte, ist die Frage der Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union und außerhalb der EFTA, die mit uns spezifische Regelungen im Zollbereich gehabt haben. Und dann geht er auf das Thema der Importquote der Japaner ein und sagt: Wir können Ihnen garantieren, daß die österreichische Exportquote bestehen bleibt und diese Verpflichtung andauern wird. Sie kennen die tatsächliche Situation: Die Japaner haben sich nach Auslaufen dieser Garantie einen Dreck darum geschert, und heute stehen wir und vor allem die Mitarbeiter vor einem Trümmerhaufen!

Meine Damen und Herren! Diese Vorgangsweise, daß sich Politiker kurzfristig zum vermeintlichen Unternehmer aufspielen, ist nichts Neues. Dabei haben die Politiker offensichtlich wieder einmal die Aussagen des Wirtschaftsredakteurs Frasl der letzten Woche gründlich mißverstanden. Er hat geschrieben: Abgeordnete brauchen Praktikum in Betrieben, Abgeordnete müssen in Zukunft in jeder Gesetzgebungsperiode ein dreimonatiges Praktikum in privaten Unternehmen nachweisen, und so weiter. Wenn man das alles getan hätte, hätte man einiges verhindern können im Fall Semperit und hätte sich nicht für so dumm verkaufen lassen, wie zugegebenermaßen die Japaner das sehr gekonnt gemacht haben.

Statt sich als harte Verhandler mit Japan – zumindest jetzt – zu erweisen, meine Damen und Herren, und den nötigen Druck zu machen, um Semperit wieder den japanischen Markt offenzuhalten, was zweifelsohne möglich ist, da brauchen Sie nur Ihren Handelsdelegierten – der Herr Wirtschaftsminister kennt ihn ja ganz gut – anzurufen und zu fragen, wie das denn die Amerikaner im Fall der japanischen Autoimporte und der Repressionen der japanischen Importe gemacht haben. Man könnte ja auch in Detroit anrufen, von dort bekäme man sicher gute Ezzes. Stattdessen beschränkt man sich auf weitere Beschwichtigungen. Letztlich haben sich Politiker schon immer als politische Provisionsverkäufer in ihren Auslandsreisen verdient gemacht und sich immer dann in Szene gesetzt, wenn es bei Staatsbesuchen darum gegangen ist, längst beschlossene Exportaufträge auf ihre Fahnen zu heften.

Haben nicht Initiativen und Ankündigungen über Arbeitsplatzschaffung, Exportoffensiven, nicht zuletzt auch die des Oberkämmerers und jetzigen Wirtschaftsministers Farnleitner in dieselbe Kerbe geschlagen, meine Damen und Herren? (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Aber ganz sozialpartnerschaftlich bleiben sich beim Thema "Unternehmensgründungsoffensive" die Herren Bundeskanzler und Vizekanzler an gegenseitigen Überbietungen und Lächerlichkeiten ja nichts schuldig. Das sollte der Herr Vizekanzler getrost dem Herrn Bundeskanzler überlassen – vielleicht kann man ihm das ausrichten –, denn er kann mit solchen Versprechen und Garantien – siehe EU-Wahlkampf und auch Wahlkampf zu den Pensionsgarantien – viel lockerer umgehen.


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In Wirklichkeit, meine Damen und Herren, findet weltweit ein Wettlauf um Industriestandorte statt, wo Österreich nur staunender Beobachter ist. Conti hat das am Beispiel Semperit demonstriert, zahlreiche andere Betriebe siedeln unbemerkt und bemerkt ebenfalls aus Österreich aus. Die Liste geht von Henkel, Unilever zu vielen anderen. Während wir uns mit Unternehmungen wie General Motors und BMW beruhigen, in die wir viele Milliarden hineingesteckt haben, verlieren wir einen Industriearbeitsplatz nach dem anderen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Aber ein sehr anschauliches Beispiel kann ich Ihnen auch bringen hinsichtlich der Produktion von Toilettpapier in Österreich im europäischen Wettbewerb. (Der Redner zeigt dem Plenum eine Tabelle.) Österreich verzeichnet mit dem Produkt "Danke" den teuersten Standort, man kann sehen, daß alle anderen Länder Europas geringere Kosten haben als Österreich. Das geht bis England, wo die Kosten um 17 Prozent niedriger sind als beim selben Produkt, das im selben Konzern erzeugt wird, jedoch in Österreich. Das wurde von McKinsey untersucht.

Das, meine Damen und Herren, ist die Wahrheit. Österreich ist dafür der teuerste Standort Europas. Gott sei Dank, kann ich nur sagen, kann man Papiermaschinen nicht so leicht wie Bearbeitungsmaschinen der Reifenindustrie auf einen Tieflader verfrachten und in andere Länder übersiedeln und dort wieder aufstellen. (Ruf bei der SPÖ: Serviettenmaschinen schon!)

Ich kann Ihnen noch etwas prophezeien, das wird leider traurige Wahrheit in nächster Zeit werden. Auch in Hallein, wo eine Salamitaktik von einem internationalen Konzern betrieben wird, wird es in den nächsten Monaten zu weiteren Verlusten von Arbeitsplätzen führen. Angesichts günstigster Holzkosten – dank des Beitrags der bäuerlichen Bevölkerung kann man Holz fast zum Nulltarif bekommen – wird es trotzdem nicht möglich sein, Hallein vor dieser Salamitaktik à la Semperit zu bewahren.

Dafür, meine Damen und Herren, haben wir aber Lohnkosten mit dem Milliardenaufwand der Kammerumlage auf Jahrzehnte bereits überfrachtet, und ich habe mir gerade eine neue Aufstellung vom April dieses Jahres geben lassen und kann Ihnen sagen: All unsere Prognosen von 6 Milliarden Schilling an Bürokratiekosten in den Kammern, die zum Großteil in die Lohnnebenkosten eingehen, wurden überboten. Der tatsächliche Aufwand beträgt 8,5 Milliarden, die die Landeskammern und Wirtschaftskammern gemeinsam verursachen. Dabei sind es allein fast 500 Milliarden Funktionäraufwand, es sind 3,3 Milliarden Personalaufwand, und es sind 3,6 Milliarden Aufwand von Organisationen, die sich alles selbst finanzieren könnten, und das belastet den österreichischen Standort und nicht zuletzt auch Semperit. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Aber auch Umweltauflagen, meine Damen und Herren, die wir in Brüssel verpflichtend für die EU einbringen wollten und die in Österreich schon lange gelten, werden von dort nicht einmal ignoriert, weil wir uns in diesen Verhandlungen unsere Rechte nicht ordentlich haben absichern lassen, nämlich unsere Rechte auf Umweltstandards und nicht auf den Import des Drecks von anderen EU-Ländern. (Beifall bei den Freiheitlichen.) Diese unsere guten Bestimmungen, die wir in der EU nicht durchbringen, führen noch dazu auf unserem Buckel zu Entindustrialisierung und steigender Arbeitslosigkeit.

Meine Damen und Herren! Das einzige, was diese Regierung noch wirklich ungebrochen erreicht, ist, die Gesetzgebungsmaschine in Bewegung zu halten: Belastungspaket, Steuerquote, öffentlicher Dienst und dann ein sündteures Parlament, das die Öffentlichkeit mit einer verschleierten Bezügereform – siehe gestern Nacht – an der Nase herumführen will und selbst von einem Tief der öffentlichen Anerkennung ins andere fällt.

Da muß ich Ihnen sagen, der Punkt vom i war gestern schon – und das sei hier einmal erwähnt –, als der Pädagoge Wabl seinen Finger in Richtung unseres Parteiobmannes gezeigt hat und der Herr Präsident des Nationalrates verschämt weggeschaut und nicht eingegriffen hat: Ich habe den Herrn Wabl immer sehr für seine vielen und wirren Haare bewundert, die er trägt. Seit ich weiß, was unter diesen Haaren verborgen ist, bewundere ich ihn nicht mehr und bin mit meiner Glatze sehr zufrieden! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenruf der Abg. Dr. Mertel .)


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Aber daß die Eingriffe des Staates fast nur negative Signale setzen, kann man auch am Beispiel Staatsdruckerei gut verfolgen. Lassen Sie sich das Beispiel Staatsdruckerei nur einmal vorrechnen, die ist nämlich nur wenige Kilometer von Semperit entfernt, das kann man gut von dort verfolgen.

Da schreibt mir ein Unternehmer in den letzten Tagen und sagt: Was sollen wir denn machen? Die Staatsdruckerei hat die Firma Strohal übernommen. In der Nähe von Wiener Neustadt, mit 160 Millionen Verbindlichkeiten hat die Staatsdruckerei Strohal übernommen. Mit 500 Millionen Kriegskasse sind sie in diesem geschützten Bereich weiter auf Expansionskurs und haben behauptet, sie werden das alles in den Export, in eine Rollenoffsetdruckerei stecken.

Tatsache ist heute, daß dieselbe Staatsdruckerei mit 500 Millionen Kriegskasse aus einem Monopolbereich den gesamten Markt der Rollenoffsetdrucker derotiert, es zu zahlreichen negativen, um nicht zu sagen katastrophalen Entwicklungen bei den sieben großen Rollenoffsetdruckereien kommt, wenige Kilometer von Semperit entfernt, wo mit Steuergeldern bei der Staatsdruckerei unter dem Schutz des Monopols der freie Markt ruiniert und Arbeitsplätze gefährdet werden.

Ich muß Ihnen sagen: Für mich ist das so erschütternd, weil man anscheinend nichts gelernt hat. Hatten wir nicht bei HTM schon dasselbe Desaster? Haben wir nicht bei HTM bereits mit dem zigarrenrauchenden Monopolisten am Zigarren- und Zigarettensektor milliardenteure Exkurse gemacht in die Freizeitindustrie? Haben wir aus all dem nichts gelernt? Muß jetzt die Staatsdruckerei, gerade jetzt, dasselbe noch einmal machen, den geschützten Bereich ausweiten, sich nicht auf Reisepässe und Vignetten reduzieren, sondern eine riesige, europaweit führende Rollenoffsetdruckerei schaffen und mit den Gewinnen, die sie am Monopolsektor gemacht hat, dort jetzt den Wettbewerb unterfahren und eine Politik der verbrannten Erde machen. Wir lernen nicht, meine Damen und Herren! Und das ist eigentlich erschreckend. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Wir Unternehmer haben daher einen Antrag eingebracht – dieser Antrag ist bereits dem Herrn Präsidenten zugegangen –, in dem diese wesentlichen Dinge auch stehen. Statt die standorterhaltenden Anliegen der Unternehmer samt Mitarbeitern von Kammern und Gewerkschaft selbst zu entwickeln (Zwischenruf des Abg. Koppler ) , Herr Abgeordneter Koppler, begnügt man sich mit Feuerwehraktionen, am besten still und heimlich, um Beispielswirkungen erst gar nicht aufkommen zu lassen.

Da wird sogar die Wochenarbeitszeit in österreichischen Industriebetrieben meiner Branche ohne Lohnausgleich verlängert, gleich um vier Stunden! Allein das nützt dann nichts mehr, der Betrieb ist schon im Abwandern. Die Entscheidungen über die Zukunft dieser Betriebe sind meistens lange vorher gefallen. Der Tod dieser Standorte spielt sich auf Raten ab und beginnt zu einem Zeitpunkt, wo Sie ihn noch gar nicht verstanden haben. Lange, bevor er vor allem uns Politikern sichtbar gemacht wird. Das Kuriose daran ist, Herr Präsident Verzetnitsch, daß Sie zum selben Zeitpunkt von einer 35-Stunden-Woche sprechen.

Herr Präsident! Was ist denn los in der Gewerkschaft? Der Schwund an Mitgliedern sollte doch endlich zum Umdenken führen und einer auch nach außen bejahenden Strategie der Arbeitsplatzsicherung Platz machen. Sie sollten nicht zur Rettung der Betriebe eine Arbeitszeitverlängerung in den Betrieben und zur eigenen Rettung am Gewerkschaftstag eine Arbeitszeitverkürzung verlangen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Der Zutritt zu neuen Technologien wird von einer wirren Politik so lange verhindert, bis sich sogar der Bundesobmann der Grünen dieses Themas erbarmt und in die Bresche spring – wohl einzigartig in der politischen Landschaft Europas! Denn das sieht man bei Semperit genau: Wenn das Know-how in einem Betrieb still und heimlich abgesiedelt wird, folgt der Verlust der Arbeitsplätze auf den Fuß. Alles unter kräftiger Mitwirkung des Steuerzahlers, wie im Fall Semperit.

Die geschützten Bereiche fallen bei uns langsam. Der Herr Wirtschaftsminister Ditz hat nach seinem Kampf im Parlament auch resigniert und wird in Kürze bei der Post eintreten. Er geht


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den Weg der meisten Wirtschaftsminister: Entweder kommen sie aus dem oder gehen sie in den geschützten Bereich, meistens wechselt das ab.

Auch in diesen geschützten Bereichen widersetzt man sich allen Mahnungen der EU zum Trotz. Wieder gehen wertvolle Jahre verloren. Nicht einmal da sind wir in der Lage, die EU als Anstoß zur Veränderung zeitgerecht zu nutzen. Statt dessen verblödeln wir Jahre mit der CA-Privatisierung, und der gute Ruf der CA geht noch dazu den Bach hinunter. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Ist Österreich wieder anders? Semperit könnte vielleicht vom Niederösterreichischen Bauernbund übernommen werden, wenn man nur daran denkt, wie Landeshauptmann Pröll im Zusammenhang mit der Mehrwegverpackung agiert hat. Er hat Unternehmen wie Römerquelle durch eine völlig falsche Signalwirkung in die falsche Richtung getrieben, indem er sich bei Fernsehauftritten mit dem Milchpackerl ins Gesicht gespritzt und die PET-Flasche als Gift dargestellt hat. Und bei Coca-Cola lacht man sich heute den Rücken krumm, denn die haben den Fernsehauftritt des Herrn Dr. Pröll Gott sei Dank nicht gesehen und in die richtige Richtung investiert. Und wer ist wiederum einmal schuld? Ein österreichischer Unternehmer, der von Politikern in die falsche Richtung getrieben wurde. Aber vielleicht hat Herr Dr. Pröll eine Idee und wird Kautschuk im nördlichen Niederösterreich zur Rettung von Semperit anbauen. Man weiß ja bei ihm nie. Gut hineingebrüllt und dazu gelacht, das geht allemal hinein. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Bei soviel Populismus vergißt man leicht darauf, die Milliardenförderungen, die der Staat Semperit gezahlt hat, zurückzufordern, und das ist eines der Anliegen von uns Freiheitlichen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Geld, das in all den Jahren von Semperit als Dividende nach Deutschland geflossen ist, Geld des österreichischen Steuerzahlers, das wollen wir zurück, wir fordern das ganz deutlich. Aber bei der Wirtschaftspolitik in diesem Land, meine Damen und Herren, ist der Verlust von Geld ja nur der Anfang, der Verlust von Arbeitsplätzen folgt auf den Fuß. Siehe bei Semperit! – Danke schön. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

20.22

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zur Beantwortung der Anfrage hat sich der Herr Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten gemeldet. – Bitte, Herr Bundesminister.

20.22

Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten Dr. Johann Farnleitner: Herr Präsident! Hohes Haus! Einleitend möchte ich festhalten, daß es sich grundsätzlich bei der österreichischen Autozuliefererindustrie um einen Wachstumsbereich handelt, der 1995 weltweit rund 52 Milliarden Schilling abgesetzt hat und derzeit rund 50 000 Mitarbeiter beschäftigt. Durch eine Reihe von Initiativen von multinationalen Unternehmen gerade in diesem Bereich – ich nenne BMW, VW, Audi, Mercedes, Ford und General Motors – ist in der Zukunft in diesem Bereich mit weiteren Umsatzsteigerungen zu rechnen. (Beifall bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Dr. Haider: Warum sperren wir dann zu?)

Semperit ist ein atypischer Sonderfall, der im Zusammenhang mit den Strukturproblemen allgemein und der Situation der japanischen Autoindustrie im besonderen zu sehen ist. Viele österreichische Zulieferfirmen konnten in den letzten Jahren erhebliche Steigerungen ihrer Exporte erreichen, und wir sind für diesen Bereich nach wie vor ein Investorland, wenn ich nur an die Verlagerung der Europazentrale eines multinationalen amerikanisch-kanadischen Zulieferers in jüngster Zeit erinnern darf. (Beifall bei der ÖVP.)

Zur Frage 1:

Seit 1993 finden laufend Konsultationen zwischen dem Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten und dem MITI auf Expertenebene statt, bei denen der japanischen Seite immer wieder die schwierige Situation der österreichischen Zulieferindustrie vor Augen geführt wird und Abhilfemaßnahmen verlangt werden.


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Die japanische Seite leitete nachweislich sämtliche Beschwerden an die betroffene japanische Industrie weiter, wobei dem MITI jedoch nur eine bedingte Einflußnahme auf die privaten Kaufentscheidungen der japanischen Autokonzerne zukommt.

Überdies steckt die japanische Autoindustrie derzeit selbst in der Krise, und das auch hier genannte weltweit größte Handelsunternehmen war nicht in der Lage, irgendeinen Einfluß in Japan in der von Österreich gewünschten Richtung auszuüben.

Zu den Fragen 2, 12, 13 und 14:

Die EU-Kommission wurde in der Sache der Sicherung der österreichischen Zulieferungen nach Japan bereits mehrmals aktiv, zuletzt bei den Konsultationen zwischen EU und Japan über japanische PKW-Exporte in die EU, welche vom 25. bis 26. März dieses Jahres in Tokio stattfanden. Die gegenständlichen Konsultationen erfolgten im Rahmen des Abkommens EU/Japan aus dem Jahr 1991 über eine schrittweise Öffnung des EU-Marktes für japanische PKW bis Ende 1999.

Bei dieser Gelegenheit wurde gegenüber dem MITI von der EU-Kommission im Sinne der Verwendungszusage, die die Europäische Kommission anläßlich der Unterzeichnung des österreichischen Beitrittsvertrages gemacht hat, der 1995 zu verzeichnende Rückgang der Lieferungen österreichischer automotiver Produkte nach Japan mit Nachdruck betont. Das MITI hat das Vorbringen der EU zur Kenntnis genommen und zugesagt, die Angelegenheit weiter zu verfolgen. Gleichzeitig wurde aber auch an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß in Entscheidungen der japanischen Automobilindustrie von staatlicher Seite nur mehr sehr bedingt eingegriffen werden kann.

Die österreichischen Anliegen wurden weiters auf höchster politischer Ebene von Vizepräsident Sir Leon Brittan bei dem bilateralen Ministertreffen mit Japan am 29. 4. dieses Jahres gegenüber dem MITI-Minister Tsukahara vorgebracht. Die japanische Seite nahm dieses Vorbringen zur Kenntnis, unterstrich jedoch wiederum die Notwendigkeit, daß die Angebote in Hinblick auf Preis, Qualität und Verfügbarkeit der Produkte entsprechen müssen.

Zur Frage 3:

Die maßgebliche EU-Quote für Autoimporte wurde ab dem EU-Beitritt Österreichs um die Menge der traditionellen Importe der neuen Mitgliedstaaten aufgestockt, sodaß die bestehenden Importe nach Österreich in vollem Umfang im Rahmen der EU-Quote aufrechterhalten werden können. Das heißt, es besteht keine Ausrede von japanischer Seite, das nicht von unserer beziehungsweise von EU-Seite die Absatzmöglichkeiten für die japanischen Lieferungen, wie sie vorher im österreichischen Vertrag bestanden haben, aufrechtzuerhalten sind.

Einige Zahlen: Für 1996 wurde für die japanischen PKW-Lieferungen in die EU ein Kontingent in der Höhe von 1 066 000 PKW vereinbart. Diese Zahl wurde aufgrund der 1995 tatsächlich erfolgten Lieferungen und der Marktprognose für 1996 festgelegt. Die Quote ist unterteilt in jene für die zwölf alten Mitgliedstaaten und jene für die drei neuen EU-Mitgliedstaaten, darunter Österreich: 89 000 PKW; das ist eine Steigerung um 6,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Zu den Fragen 4 bis 7:

Bei dem angeführten Versprechen meines Amtsvorgängers Dr. Schüssel kann es sich nur um dessen Briefwechsel mit der EU-Kommission handeln, in dem diese ihre Bereitschaft erklärte, Japan zu konsultieren, um von der japanischen Seite eine Zusage zu erhalten (Abg. Mag. Stadler: So war das nicht! Er hat das ausdrücklich versprochen! Reden Sie einmal mit Ihrem Chef!)

Die traditionellen Autozulieferungen sollten, so die japanische Zusage, unter dem EU-Zollregime in voller Höhe aufrechterhalten werden. (Abg. Ing. Reichhold: Da waren Sie noch nicht im Parlament, als er das versprochen hat!)


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Wie ich schon zu Frage 2 ausgeführt habe, hat es eine Reihe intensiver Kontakte der EU-Kommission mit dem MITI gegeben. Es muß hier darauf hingewiesen werden, daß es eine bittere Lehre ist (Abg. Mag. Stadler: Sie können "Lehre" sagen! Wir sagen "Schwindel" dazu!) , daß auch unter den neuen japanischen politischen Bedingungen die Zusage einer Regierung bei den Großkonzernen, die sich insgesamt selbst in einer tiefen Krise befinden, nicht die Wirkungen hat, die sie noch vor etwa einem Jahrzehnt gehabt hätte.

Schließlich ist zu betonen, daß insgesamt die heimische Kfz-Zulieferindustrie, wie ich später noch ausführen werde, eine sehr positive Entwicklung aufzuweisen hat. (Abg. Ing. Reichhold: Das hat er sogar im Fernsehen versprochen, fällt mir jetzt ein!)

Zur Frage 8:

Mit einem Ausfall der Lieferungen ist 1997 sicherlich nicht zu rechnen. Die Zulieferfirmen werden sich auch weiterhin bemühen, ihre Exportchancen zu nützen, und mein Bundesministerium wird selbstverständlich diese Bemühungen durch entsprechende Aktivitäten unterstützen.

1996 ist mit einem Rückgang der automotiven Exporte auf rund 780 Millionen – nach Exporten von 1,1 Milliarden im Jahre 1995 und 2,8 Milliarden im Jahre 1994 – zu rechnen, wobei die nach wie vor schlechte wirtschaftliche Situation der japanischen Autoindustrie entscheidenden Einfluß hat.

Die japanischen Werke greifen zunehmend auf landeseigene Zulieferer zurück. Japanische Betriebe, die zunehmend im Ausland produzieren, erschweren automotive Exporte österreichischer Zulieferer. Und das mag einer der strukturellen Fehler in der Vertragsgestaltung gewesen sein, daß die zunehmende Verlagerung japanischer Autoproduktion nach Europa nicht durch eine entsprechende vertragliche Absicherung der Lieferfähigkeit anstelle nach Japan in die europäischen Produktionsorte japanischer Autos ergänzt worden ist.

In Österreich ist darüber hinaus, was japanische Autos anlangt, eine relative Sättigung des Marktes festzustellen. Die Marktanteile für japanische Autos sind in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen. – Ich nenne ein Beispiel: Allein im letzten Jahr gab es einen Rückgang des Marktanteils von 22,4 auf 20,8 Prozent. Dieser Trend hat sich schon seit Jahren abgezeichnet.

Zu den Fragen 9, 10, 11, 14, 15 und 16:

Die hier angesprochene "task force" oder Arbeitsgruppe wurde meines Wissens nicht von meinem Vorgänger angekündigt, und daher sind auch in meinem Ministerium keine entsprechenden Schritte gesetzt worden.

Zu den Fragen 17 bis 21:

Wir müssen davon ausgehen, daß in den Marktwirtschaften von heute Bestandsgarantien öffentlicher Hände für bestimmte Unternehmen nicht mehr möglich sind. Übrigens sind durch internationale Verträge – in unserem Fall durch den Beitritt zur Europäischen Union – auch bestimmten substanzerhaltenden Interventionen wie Zuschüssen von der rechtlichen Seite her Grenzen gesetzt.

Nach dem derzeitigen Stand der Überlegungen, vor allem aufgrund eines am Freitag durchgeführten Gespräches wird in der Sache Conti/Semperit folgende Strategie verfolgt: Es wird zunächst zu gut vorbereiteten Gesprächen mit dem Vorstand von Conti kommen, und darüber hinaus wird die FGG eingeladen werden, zusammen mit einer Arbeitsgruppe aus mehreren Ministerien alle möglichen Alternativen betriebswirtschaftlich zu überprüfen.

Ich selbst habe – zu einer anderen Frage kommend – keine konkreten Gespräche mit Käufergruppen geführt, sondern ich persönlich habe wiederholt betont, daß ein Rückkauf des Unternehmens ohne Einschluß der Markenrechte kaum wirtschaftlichen Erfolg bringen kann.


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Zur Frage 22:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die österreichische Kfz-Zulieferindustrie weist einen durchschnittlichen jährlichen Gesamtumsatz – wie schon gesagt – von rund 52 Milliarden Schilling auf, wobei 42 Milliarden Schilling davon für den Export bestimmt sind. Sie erzielt dabei sowohl auf dem europäischen als auch auf den außereuropäischen Märkten wesentliche, nachhaltige Erfolge. Diese sind auch weiterhin gesichert, da die Exporte verstärkt auf zukunftsträchtige Systemlieferungen abgestellt werden.

Die erfolgreiche Exportposition dieses Industriezweiges möchte ich durch einige Beispiele mit Zahlen aus dem Jahr 1995 verdeutlichen:

Den österreichischen Zulieferexporten an BMW im Wert von 13 Milliarden Schilling – 13 Milliarden Schilling! – stehen Importe von Kfz dieser Marke im Wert von 3 Milliarden Schilling gegenüber. Das entspricht einer Deckungsquote von 420 Prozent. (Beifall bei der ÖVP.)

Im Fall der österreichischen Zulieferungen an Opel beträgt deren Wert 13,8 Milliarden, wobei allein 11 Milliarden auf das General-Motors-Werk in Wien Aspern entfallen. Im Vergleich zu den Importen von Opel-Kfz im Wert von 4 Milliarden Schilling liegt hier die Deckungsquote bei etwa 300 Prozent.

Weiters: Der Wert der österreichischen Kfz-Zulieferungen an Mercedes beträgt 4 Milliarden Schilling, die entsprechenden Importe 3,5 Milliarden. Auch hier gibt es eine Deckungsquote von etwas über 100 Prozent.

Und als besonderen Erfolg können wir sicher auch darstellen, daß Lieferungen von General Motors in Richtung Brasilien in der Größenordnung von 600 Millionen Schilling in letzter Zeit durchgeführt werden konnten.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich ein persönliches Bekenntnis zu unserer Unternehmensstrukturpolitik ablegen: Wenn wir es mit multinationalen Unternehmen in Österreich zu tun haben, so muß es unser Ziel sein, daß es hier um Niederlassungen geht, die nicht Lohnfertiger, nicht Zulieferer auf Stückkostenbasis sind, sondern daß es sich um Niederlassungen handelt, die tatsächlich erhebliche Rechte zu Marktbelieferungen in alle möglichen Teile der Welt haben, wie das die meisten multinationalen Niederlassungen in Österreich auch haben. Darin liegt ja eigentlich das wirkliche Problem unseres gegenständlichen Diskussionsfalles.

Zur Frage 23:

Aus den Medien wissen wir, wie die Begrenzungen des Vertrages laufen sollen. Dem Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten liegen hierüber keine offiziellen Informationen vor. Wären sie uns offiziell mitgeteilt worden, hätte ich Schwierigkeiten mit der Amtsverschwiegenheit. Aber wir haben alle die Zeitungen gelesen.

Zur Frage 24:

Hier sind seriöse Angaben für die nächsten Jahre nicht möglich. Fest steht für mich jedoch, daß mögliche Arbeitsplatzverluste in Krisenbetrieben, von denen wir in verschiedenen Gebieten welche haben, mit Beschäftigungszuwächsen durch Ausnützen neuer Marktchancen anderer Betriebe, zum Teil auch in andere Regionen, ausgeglichen werden müssen.

Zur Frage 25:

Ein gewisser Rückgang der österreichischen Kfz-Zulieferexporte nach Japan wirkt sich zwar negativ auf die Handelsbilanz mit diesem Staat aus, doch steht dem eine Steigerung der sonstigen Exporte gegenüber. Im Augenblick gibt es hier keine offiziellen Statistiken. Sobald diese vorliegen, werden wir sie dem Haus zuleiten. (Abg. Ing. Reichhold: Wie können Sie das behaupten?) – Weil wir uns anhand der japanischen Statistik und der Auskünfte der Handels


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delegierten eine Vorinformation verschafft haben. Aber es gibt keine offizielle Statistik – das ist leider so.

Zur Frage 26:

Strukturelle Probleme können durch Sonderförderungsmaßnahmen sicher nicht mehr gelöst werden. Im übrigen bitte ich Sie, diese Frage an die genannten Vertreter der Sozialpartner selbst zu richten.

Ich komme zur Frage 27:

Ich persönlich setze mich – wie ich dies in diesem Haus schon einmal erklären durfte – entschieden für eine Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen vor allem für Klein- und Mittelbetriebe ein und darf dazu auf meine Initiativen zu bestimmten Deregulierungen in bestimmten Betriebsbereichen, zur Gründung neuer Unternehmen und insbesondere auf die Bemühungen betreffend Exportoffensive hinweisen.

Ich habe auch hier vor wenigen Tagen gesagt, daß es uns gelingen muß, etwa den japanischen Markt durch gemeinsame Bemühungen von EU und Vereinigten Staaten zu öffnen, daß wir allein dazu sicher nicht die Möglichkeit haben.

Ich habe in diesen Tagen auch die Zuständigkeit für die ABA – Austrian Business Agency – geerbt, das heißt die frühere ICD, die Industrieansiedelungsgesellschaft, und ich werde in den nächsten Tagen auch die notwendigen Initiativen ergreifen, um die möglichen Investitionschancen im Gebiet um diesen gefährdeten Standort international entsprechend zu publizieren und mit Investoren Kontakt zu suchen.

Zu den Fragen 28 und 29:

Meine Damen und Herren! Derartige Maßnahmen sind im Rahmen der verfassungsgesetzlich verankerten Grundrechte und des Betriebsverfassungsrechtes zulässig. Ich halte jedoch Gespräche mit allen Betroffenen für zielführender und bin gerne bereit, selbst nicht nur an allen Gesprächen teilzunehmen, sondern auch weiter nötige Initiativen zu ergreifen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der SPÖ.)

20.37

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Wir treten nun in die Debatte ein. Die Beschränkung der Redezeit beträgt für jeden Redner 15 Minuten.

Als Erstredner gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Haider. – Bitte, Herr Abgeordneter.

20.37

Abgeordneter Dr. Jörg Haider (Freiheitliche): Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Die Tatsache, daß wir heute eine dringliche Anfrage zum Thema Semperit einbringen, hat ganz wesentlich damit zu tun, daß es sich nicht um einen Einzelfall handelt, sondern im Grunde genommen um ein Flaggschiff der österreichischen Autozubehörindustrie, das sein 100jähriges Bestehen gefeiert hat, das aber offenbar zehn Jahre sozialistischer Regierungspolitik nicht zu überdauern scheint. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Es hat damit zu tun, daß wir in der morgen erscheinenden "WirtschaftsWoche" in vielen Details aufgelistet erhalten, wie das Drama Semperit wirklich ausschaut, und vielleicht wird manche Infomation, die der Herr Wirtschaftsminister noch nicht hat und heute begehrt hat, auch da nachzulesen sein.

Es geht hier nämlich – Kollege Verzetnitsch war ja heute auch im Betrieb so wie ich; er hat in der Früh Kaffee und Kuchen beim Portier genossen, um sich ein Bild über den Zustand des Unternehmens zu machen –  um  2 400 Arbeitsplätze und,  wenn  man  die Zulieferindustrie und -betriebe für Semperit hernimmt, um weitere 2 000 bis 3 000 Arbeitsplätze und damit um einen Standort in einer Region.


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Herr Bundesminister! Das damit abzutun, daß das im Rahmen einer erfolgreichen Betriebspolitik der österreichischen Bundesregierung ein Sonderfall ist, das halte ich wirklich für falsch in der Argumentation. Bitte nehmen Sie doch zur Kenntnis, daß die Firma Semperit in den elf Jahren, in denen Semperit dem Conti-Konzern angehört, 1,4 Milliarden Schilling Gewinne nach Steuern erwirtschaftet hat – Gewinne nach Steuern: 1,4 Milliarden Schilling! – und davon 800 Millionen Schilling an den Konzern abgeliefert hat. Da kann man ja nicht sagen, das ist ein erfolgloses Unternehmen, und wir weigern uns, weitere Subventionen zu geben. Sie brauchen keine Subventionen zu geben! Hätten Sie vor dem EU-Beitritt ordentlich verhandelt, dann wäre das Chaos bei den Aufträgen nicht entstanden. Das ist die Realität! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

So aber ist man heute mit einem Tod auf Raten konfrontiert, und Verzetnitsch hat in einem Zeitungsinterview schon richtig gesagt: Wenn man in der EU etwas gelten will, dann muß man entweder ein Verbrecher sein oder – was hat er noch gesagt? (Abg. Verzetnitsch: Rinderwahn haben!) – Rinderwahn haben.

Sehen Sie: Der Herr Präsident hat sich sein Zitat gemerkt. Arbeitsplätze gelten nicht in der EU. Verbrecher oder Rinderwahn ist relevant, hat er gemeint, und da stimme ich ihm wirklich zu.

Meine Damen und Herren! Es nützt nichts, wenn man jetzt hört, daß die Regierung beginnt, irgendwelche Gespräche zu führen. Die Geschichte ist ja nicht erst seit heute bekannt. Die Firma Conti als deutscher Konzern hat sich verpflichtet, eine Bestandsgarantie für zehn Jahre für das Werk Semperit zu geben.

Zehn Jahre sind nicht vergangen gewesen, sondern nach fünf Jahren hat die Demontage dieses Werkes begonnen, und alle Wirtschaftsminister und alle mit Sozialfragen befaßten Minister der Bundesregierung und der Herr Bundeskanzler höchstpersönlich schauen seit fünf Jahren zu, wie dieses Werk, das an sich ein traditionsreiches österreichisches Unternehmen ist, schrittweise demontiert wird und wie vielleicht im nächsten Jahr das Aus für 2 400 Arbeitsplätze in dieser Produktion angesagt ist.

Meine Damen und Herren! 1985 hat die Firma Conti in einem Vertrag einen Förderungszusage von 1,2 Milliarden Schilling vom damaligen Sozialminister Dallinger mitübernommen. Und sie hat sich ausbedungen, daß sie, auch wenn sie Gewinne macht, 950 Millionen Schilling Förderungen nicht mehr zurückzahlen muß. Sie hat sich weiters in einem Vertrag, Herr Bundesminister, den Sie heute offenbar noch nicht verfügbar haben, den ich aber habe, im Punkt 12 verpflichtet wie folgt: "Continental wird im Werk Traiskirchen der Semperit AG einen wesentlichen Schwerpunkt der Entwicklungstätigkeit für Fahrzeugsbereifungen ihres Konzernes konzentrieren."

Meine Damen und Herren! Einen Schwerpunkt konzentrieren – und wie schaut das aus? 1990 hat man die Forschungs- und Entwicklungsabteilung für LKW-Reifen nicht konzentriert, sondern abgebaut und in den Konzern nach Deutschland verlagert.

1991 hat man die Fahrradreifenproduktion eingestellt, nach Thailand verlegt und dort aufgebaut. 1993 hat man den gesamten Verkauf nach Hannover abgesiedelt und gleichzeitig ein Exportverbot für Semperit erlassen. Auch das haben Sie urgiert, weil Sie es angeblich nicht wissen, aber ich werde es Ihnen mit einem Schriftstück nachreichen, weil Sie gesagt haben, es ist nicht nachweisbar, daß ein Exportverbot für die Semperit erlassen worden ist.

Sie selbst kommen aus der Bundeswirtschaftskammer. Da gibt es ein Schriftstück der Bundeswirtschaftskammer, Abteilung für Außenwirtschaft, Österreich, vom 4. Juli 1996, also Sie müßten das eigentlich noch kennen, wo Dr. Alfred Schragl, Handelsdelegierter für Deutschland mitteilt, daß Semperit seinerzeit an einer Wirtschaftsmission über Autozulieferungen nach Brasilien und Argentinien beteiligt war. "Damals wurde von General Motors und anderen brasilianischen Herstellern der Wunsch nach dem Bezug von Autoreifen aus Österreich geäußert", schreibt der Handelsdelegierte jetzt im Juli:

"Nach Rückkehr der Österreicher wurde Semperit dann vom Mutterhaus Continental-Reifen die weitere Behandlung der Exportwünsche untersagt, da die Belieferung nach Brasilien dem deutschen Mutterhaus vorbehalten ist." (Abg. Mag. Stadler: Da schau her!) Das ist es: Wir


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liefern 800 Millionen Schilling Gewinne ab, und die Konzernmutter verbietet dem erfolgreichen Unternehmen Traiskirchen, Exportchancen zu nützen. Herr Wirtschaftsminister! Das wäre die Aufgabe der Bundesregierung, das wäre Ihre Aufgabe, auch dafür zu sorgen, daß solche Verträge nicht gemacht werden. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Aber es geht noch weiter, Herr Bundesminister! 1994 wird die Forschungs- und Entwicklungsabteilung für PKWs abgesiedelt, obwohl im Vertrag etwas anderes drinnensteht.

1994 wird gleichzeitig ein Lieferverbot für Reifen der Firma Semperit Traiskirchen nach Deutschland für die deutsche Autoindustrie verfügt. Nichts mehr an BMW, nichts mehr an Opel, nichts mehr an General Motors, nichts mehr an Audi. Das wissen Sie doch alle, daß hier seit Jahren eine Demontage dieses Werkes betrieben wird und daß man nicht einmal seine Marktchancen nutzen darf.

Das ist der Grund, warum wir heute diese dringliche Anfrage machen.

1995 passiert dann das Debakel mit dem Japangeschäft, wo der Herr Vizekanzler und damalige Wirtschaftsminister uns vor dem 12. Juni 1994 noch erklärt hat: Ich war selbst in Japan. Ich habe hier sein wörtliches Zitat: "Ich war selbst in Japan und habe selbst Verhandlungen geführt", sagt er in der zweiten Sitzung des EU-Unterausschusses vom 18. April 1994. Habe selbst Verhandlungen geführt, ein schriftliches Commitment vereinbart, das eine Verpflichtungserklärung beinhaltet, daß die bisherigen Importe Japans aus Österreich vom automotiven Produkten beibehalten werden soll.

Diese Verpflichtung dauert fünf Jahre und endet mit dem 31. Dezember 1999. Eine glatte Unwahrheit! Von diesen Vertrag existiert noch nicht einmal ein Stückchen Papier. Nicht einmal mehr die Druckerschwärze, die dafür aufgewendet wurde, um dieses Protokoll zu schreiben.

Meine Damen und Herren! Von einem Reifenabsatz von 1,5 Millionen im Jahre 1994 sind heuer 260 000 übriggeblieben. Das ist Ihre Politik! Das ist die Politik dieser Bundesregierung, die die Hausaufgaben für die EU gelöst hat, die sagt: Ihr müßt als Arbeiter für die EU stimmen, denn das sichert eure Arbeitsplätze! In Wirklichkeit schauen Sie zu, wie die Aufträge den Bach hinuntergehen, Millionen ins Ausland überwiesen und die Arbeitsplätze gleichzeitig vernichtet werden. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Sie wissen ganz genau, daß es nicht nur um Semperit geht. Sie wissen, daß auch die Zulieferindustrie in anderen Bereichen dranhängt: VOEST-Glas, Flachglas, eine Tochter, darf auch nicht nach Deutschland exportieren, darf auch nicht die deutsche Autoindustrie beliefern. Das weiß der Herr Koppler ganz genau.

Da geht es ja auch um Arbeitsplätze, das ist ihm ja offenbar ziemlich egal. Und wenn die nicht mehr liefern dürfen, dann werden auch die 160 Arbeitsplätze in Eisenerz, in dieser umstrittenen Region, nicht mehr zu halten sein, wenn die nur unter dieser Voraussetzung auch wirklich rentabel weitergeführt werden können.

Und das ist mein Appell, Herr Bundesminister! Da gibt es ja eine Studie, vor dem EU-Beitritt angefertigt vom Wirtschaftsministerium, eine Kostenrechnung, wie die Auswirkungen auf Semperit Reifen AG bei Wegfall der Japan-Regelungen sein werden. Daraus geht hervor, daß 3 242 Millionen an Wertschöpfung verlorengehen, wenn das Japangeschäft nicht gesichert werden kann. (Abg. Mag. Stadler: Seit wann hat er das Gutachten?)

Dieses Gutachten existierte bereits vor dem Jahre 1994 und ist im Auftrag des Wirtschaftsministerium erstellt worden. Ich stelle es Ihnen gerne zur Verfügung. Sie, diese Bundesregierung hat die Leute nach Strich und Faden angelogen. Sie haben die Arbeiter hinters Licht geführt und nehmen in Kauf, daß Tausende Arbeitsplätze und Industriebetriebe auf diese Weise gefährdet werden. (Beifall bei den Freiheitlichen.) Das, meine Damen und Herren, ist die wirklich ungeheuerliche Vorgangsweise.


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50 Prozent des Umsatzes werden bei Semperit alleine mit Japan gemacht. Das wissen Sie, daher können Sie ein Werk nicht so zum Teufel gehen lassen. 1996, vor wenigen Wochen, wird die gesamte Produktionsdatei, also das Verzeichnis jener Typen, die in Traiskirchen produziert werden, die Rezepturen werden abgesiedelt. Die können nicht einmal mehr ohne Rückfrage im Konzern produzieren.

Meine Damen und Herren! Die ganze EDV ist weg! Das ist das Problem, mit dem wir kämpfen. In den letzten drei Jahren sind aus dem Betrieb, trotz größter Probleme, Sonderdividenden von 1,3 Milliarden Schilling herausgezogen worden. 1996 will man noch einmal 500 Millionen Rücklagen auflösen, damit man die 600 gekündigten Arbeiter abfertigen kann. Und man plant mit der Umsiedlung der Maschinen von Traiskirchen in das neue tschechische Werk noch einmal 500 Millionen Schilling an Sonderdividende aus dem Werk herauszunehmen. Dann brauchen sie nächstes Jahr, zu Beginn 1997, nur mehr den Konkurs anzumelden. Dann sparen sie sich die Schließungskosten von 3,5 Milliarden Schilling, darauf läuft es hinaus.

Das fordert Ihre wirtschaftspolitische Verantwortung und auch jene der Regierungsparteien, wenn es um den Kampf für die Arbeitsplätze geht! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Wer hat sich denn erfolgreich gewehrt? Irland zum Beispiel war konfrontiert mit dem Wunsch von Conti, in Indien die irländische Produktion weiterzuführen. Irland hat sofort auf Rückzahlung sämtlicher Förderungen geklagt, und die Firma Continental hat den Kopf eingezogen, und die Produktion ist erhalten geblieben. (Abg. Mag. Stadler: Das traut sich die Regierung nicht!)

Wo, bitte, klagt denn die Regierung? Seit fünf Jahren wissen Sie, daß der Vertrag nicht eingehalten wird. Seit fünf Jahren wissen Sie, daß die Forschungs- und Entwicklungskonzentration, wie im Vertrag vereinbart, nicht stattfindet. Also klagen Sie endlich einmal auf die Rückzahlung von 1,2 Milliarden Schilling, die hier zu Unrecht aus dem Steuertopf in Anspruch genommen worden sind, damit Sie Conti unter Druck setzen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Der jetzige Versuch von Klima & Co. und Vranitzky, zu sagen, na wir werden schauen, daß wir das Werk gemeinsam kaufen können, ist ein Wahnsinn! Ein Wahnsinn, wenn nicht einmal die Firmenbezeichnung "Semperit" mitgekauft werden kann. Ein unbekanntes Werk, ohne Vertriebsorganisation, ohne EDV, ohne Forschung, ohne Maschinen – die werden in die Tschechei transportiert, sind aber mit unserem Geld subventionieren und gefördert worden –, einen solchen Betrieb will man kaufen und sagen, damit retten wir die Arbeitsplätze.

Blöder geht es ja wohl wirklich nicht mehr. Dann spart sich nämlich die Firma Conti auch noch die Schließungskosten. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Also: Notwendig wäre ein intensives Lobbying, Herr Bundesminister. Ich setze große Hoffnungen, daß Sie mehr tun als Ihre Vorgänger. Ein intensives Lobbying für den Standort. Dann werden Sie halt Ihren roten Freunden in der Regierung einmal sagen müssen, ob der Herr Bundeskanzler vergessen hat, daß der rote Ministerpräsident Schröder, der SPD-Vizevorsitzende, im Aufsichtsrat jener Bank sitzt, die Conti-Aktien gekauft hat und gleichzeitig eine Dividendengarantie abgegeben hat, sodaß man Arbeitsplätze vernichten muß, um Dividenden zu schinden.

Da sollen also die Genossen einmal wissen, mit wem sie sich im Boot befinden, mit wem der Herr Bundeskanzler Golf spielt, bis hin zum Herrn Neuber, der der Chef jener WestLB ist, jener Bank, die diese Zwangsdividende herausschindet, um Arbeitsplätze zu vernichten. Fragen Sie einmal Ihren Kanzler, warum er so schweigsam ist bei der Semperit-Partie? Weil er seine Golffreunde nicht vergrämen will und lieber Tausende Arbeitsplätze riskiert, die hier zugrunde gehen. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenrufe bei der ÖVP.) Euch ist das Wurscht! Jawohl, ihr habt jetzt fünf Jahre zugeschaut, obwohl ihr in der Regierung seid.

Ein weiterer Vorschlag von uns: Herr Bundesminister! Sichern Sie den Standort, indem Sie den Japanern klar sagen: Wir erhöhen als Österreicher die NoVA als Zulassungssteuer für japanische Autos, wenn dieser Vertrag nicht eingehalten wird, wie er vor dem EU-Beitritt bestanden hat. Das können Sie tun. Dazu haben Sie eine Möglichkeit, und Sie werden sehen, daß wir genauso einen Erfolg haben werden wie die Amerikaner, die den Japanern auch das Messer


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angesetzt haben. Aber man muß verhandeln, nicht auf Beamtenebene Kaffeerunden machen, die nur immer neue Verhandlungstermine ausmachen. Sie selbst müssen als Minister zu diesen Vehandlungen fahren und versuchen, zu retten, was noch zu retten ist. Das, meine Damen und Herren, sind unsere Vorstellungen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Kollege Verzetnitsch! Zuviel ist schon passiert. Zu lange hast Du schon geschwiegen. Jetzt kommt die Ernte in die Scheune. Ihr schaut immer weg als Gewerkschafter, ihr schweigt immer zu den Dingen, ihr beschwichtigt nur, meine Damen und Herren, ihr habt die Verträge gekannt, die jetzt bekanntgeworden sind, ihr habt geschwiegen, die Mitarbeiter nicht informiert. Die waren heute sehr interessiert, als ich ihnen die Verträge einmal vorgelesen habe, was da alles vereinbart worden ist. Und ihr riskiert die Schließung von Betrieben.

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Bitte den Schlußsatz!

Abgeordneter Dr. Jörg Haider (fortsetzend): Meine Damen und Herren! HTM hat geendet, daß ein Ausländer die Partie übernommen hat, Arbeitsplätze verloren sind, 5 Milliarden Schilling im Kamin sind, die die Republik Österreich zu zahlen hat.

"Konsum" – dieses Schicksal kennen wir. Bauknecht: Da wissen wir, daß 1 000 Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Euroquarz – eine Pleite sondergleichen.

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Bitte den Schlußsatz zu beenden!

Abgeordneter Dr. Jörg Haider (fortsetzend): Und demnächst wird ein weiterer größerer Automobilproduzent in Österreich mit mehr als 1 000 Mitarbeitern ebenfalls das gleiche Problem wie Semperit haben. Es ist eine Wende angesagt in der Industriepolitik, und Sie werden sich endlich einmal um die Arbeitsplätze kümmern müssen, anstatt Ihrem Kanzler ständig Golfwochenenden zu finanzieren. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

20.53

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Kampichler. – Bitte, Herr Abgeordneter.

20.53

Abgeordneter Franz Kampichler (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Es ist wieder einmal eine der populistischen Aktionen der Freiheitlichen. (Beifall bei der ÖVP. – Ironische Heiterkeit bei den Freiheitlichen. – Zahlreiche lebhafte Zwischenrufe.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt ein Problem, mit dem sich bereits alle namhaften Verantwortungsträger des Bundes und des Landes auseinandergesetzt haben, für das bereits intensiv nach Lösungen gesucht wird, ein Problem, meine sehr geehrten Damen und Herren von den Freiheitlichen, bei dem es leider Gottes sehr viele Betroffene gibt. Und diese Betroffenen sind es auch, die die F aktiv werden lassen. Jörg Haider wittert hier Wählerstimmen, und deshalb wird diese Show inszeniert.

Zuerst hat die Show in Traiskirchen begonnen. Das ist offensichtlich nicht so erfolgreich verlaufen, und jetzt wird diese Show hier im Hohen Haus fortgesetzt. Ein Aktionismus, der medial gut rüberkommen soll, der aber leider Gottes den Betroffenen draußen im Werk bei Semperit überhaupt nichts bringt. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Aumayr: Was bringen Sie?)

In Wirklichkeit geht es den Freiheitlichen nicht um das Schicksal der Semperit-Arbeiter, sondern es geht in erster Linie um ein Politspektakel, Herr Kollege Stadler. (Abg. Mag. Stadler: Schauen Sie auf Ihren Minister! Er schämt sich!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr viele Bürger unseres Landes haben dies bereits durchschaut und fallen nicht mehr auf Ihre plumpen Aktionen herein. Ich verstehe Ihre Nervosität, aber für mich ist eines unverständlich (Zwischenrufe bei den Freiheitlichen. – Präsident Dr. Brauneder gibt das Glockenzeichen): Dr. Haider ruft plötzlich nach dem Staat, obwohl er sich


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sonst immer beschwert, daß sich der Staat einmischt. Also hier ist ein gewisser Anachronismus zu bemerken. (Beifall bei der ÖVP.)

Aber die Arbeitsmarktlage im südlichen Niederösterreich ist zu ernst, als daß wir sie für diesen billigen Populismus der Freiheitlichen mißbrauchen lassen dürfen, denn neben Semperit gibt es auch noch andere Probleme. In einigen Betrieben sind Kündigungen angekündigt, und einige Betriebe sind von der Schließung bedroht. Die Auslagerung der Produktionsstätten in Billigländer ist für arbeitsintensive Betriebe leider Gottes sehr verlockend. Die wenigen Kilometer dorthin sind kein besonderes Hindernis. Die Grenzen sind gefallen, damit sind die Barrieren weggeräumt.

Unsere Antwort auf diese Entwicklung kann nicht die Wiedererrichtung des Eisernen Vorhanges sein, sondern wir müssen offensiv an diese Probleme herangehen, etwa durch Ausbildungsoffensive in Richtung höhere Qualität; wir brauchen Betriebe, die hochwertige Produkte mit einer hohen Wertschöpfung produzieren. Wir brauchen Möglichkeiten, wo wir unser wichtigstes Kapital, unsere hochmotivierten und bestens ausgebildeten Arbeitskräfte einsetzen, daß Produkte mit einer hohen Wertschöpfung produziert werden, und daß der Betrieb die Chance hat, dieses hohe Lohnniveau, über das wir uns freuen, auch zu erhalten.

Mittelfristig wird sich die Situation verbessern, denn mit jedem Betrieb, der ausgelagert wird, steigt das Lohnniveau in diesen Ländern, und es ist also zu erwarten, daß dieses hohe Lohngefälle sich ausgleicht. (Abg. Dr. Ofner: So alt werden wir aber nicht, daß wir das noch erleben!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine weitere Erfahrung aus der derzeitigen Entwicklung ist sicher, daß man sich beim Verkauf und bei der Vergabe öffentlicher Förderungsmittel die Partner genau ansehen muß. Der Verkauf an ausländische Konzerne, für die der österreichische Betrieb dann nur mehr eine verlängerte Werkbank ist und als Puffer für Konjunkturspitzen oder Konjunkturflauten dient, sollte nicht durch Förderungsmittel gestützt werden.

Im übrigen möchte ich auch hier zur Diskussion stellen, ob nicht Förderungsmittel des Landes oder des Bundes bei Betriebsauslagerungen generell wieder zurückgefordert werden sollen, egal, wie lange der Betrieb in Österreich gearbeitet hat. Ich habe diese Forderung bereits im Zusammenhang mit der Auslagerung der Firma Euroquarz in den Raum gestellt.

Bei der Absicherung von Betrieben sollten wir verstärkt Modelle unterstützen, bei denen die Mitarbeiter des Betriebes zu Betriebsinhabern werden. Jede Form der Mitarbeiterbeteiligung bringt einen enormen Motivationsschub. Das führt zu einer totalen Identifikation mit dem Betrieb und bringt damit einen entscheidenden Schritt zur Gesundung, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Abg. Mag. Stadler: Die Arbeiter werden sich was denken, wenn Sie Ihre Rede hören!) Herr Kollege Stadler! Sie kennen die Situation in diesem Gebiet nicht so gut wie ich. (Abg. Mag. Stadler: So sieht die "Wirtschaftskompetenz" der ÖVP aus! Da wird sich jeder abwenden, wenn er das hört!)

Es gibt in der Nähe von Traiskirchen, und zwar in Berndorf, einen Betrieb ... (Abg. Mag. Stadler: Ihnen kann nichts Besseres passieren, als daß Sie still sein müßten!) Kollege Stadler! (Abg. Mag. Stadler: Bitte, tun Sie mich nicht als Kollegen bezeichnen! Reden Sie weiter!)

Es gibt in der Nähe von Traiskirchen einen Betrieb, und zwar in Berndorf, wo diese Mitarbeiterbeteiligungsmodelle sehr erfolgreich laufen. Ich habe mich dort persönlich überzeugen können, und ich würde es wirklich jedem empfehlen – auch Ihnen, Herr Kollege Stadler, denn dann würden Sie wissen, wovon ich rede –, diesen Betrieb zu studieren. (Abg. Mag. Stadler: Ich weiß, wovon Sie reden! – Weitere Zwischenrufe. – Präsident Dr. Brauneder gibt das Glockenzeichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Stadler! Dort wurde ein konkursreifer Betrieb sehr erfolgreich aufgebaut und läuft heute bestens. (Abg. Mag. Stadler: Ich bin froh, daß Sie diesen Unsinn verzapfen!)


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Kollege Stadler! Wenn Sie zuhören würden, würden Sie wissen, wovon ich spreche, aber das kann man von Ihnen leider Gottes nicht verlangen. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Mag. Stadler: Konkursreif!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Interesse aller Betroffenen hoffe ich, daß es möglich ist, mit Conti eine Lösung zu erzielen, die den Betriebsstandort erhält. Auch aus meiner Region pendeln sehr viele Arbeitnehmer nach Traiskirchen, und ich weiß, wie viele persönliche Schicksale damit verbunden sind. (Präsident Dr. Fischer übernimmt den Vorsitz.)

Ich glaube, wir brauchen für die Zukunft neue Ideen, neue Impulse. Wir brauchen intelligente Produkte mit einer hohen Wertschöpfung, und wir brauchen die Modelle der Mitarbeiterbeteiligung. Auf diese Weise, meine sehr geehrten Damen und Herren, werden wir den Abwanderungen über die Grenze in Billiglohnländer entgegentreten können. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

21.02

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Verzetnitsch. Er hat das Wort. – Gleiche Redezeit.

21.02

Abgeordneter Friedrich Verzetnitsch (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter Prinzhorn! Da Sie die Arbeitnehmerpolitik in Frage gestellt haben: Ich maße mir nicht an, mich mit französischen Ministerpräsidenten auf die gleiche Stufe zu stellen. Aber Juppé und Rocard sind nicht gerade Gewerkschaftsführer und verlangen zum Beispiel auch die Arbeitszeitverkürzung auf die 35-Stunden-Woche. (Abg. Dr. Haider: Deswegen muß es noch nicht richtig sein!) Anscheinend gibt es ja doch Modelle, über die man nachdenken soll. (Beifall bei der SPÖ.)

Es ist ja auch eine Tatsache, daß Sie als prominenter Funktionär der Industriellenvereinigung auch dazu beigetragen haben, daß sich die Industriellenvereinigung an Auslandsdelegationen in hohem Maße beteiligt hat. Ebenso kennen Sie sich bei Subventionen in Österreich aus (Abg. Dr. Haider: Was hat das damit zu tun?) – ich beziehe mich auf die Rede Ihres Abgeordneten – und haben auch mit der Frage der Auslagerung in osteuropäische Staaten einige Erfahrung. (Beifall bei SPÖ und ÖVP. – Abg. Dr. Nowotny: Jawohl!)

Herr Kollege Haider! Ich bin froh, daß du noch nicht im "Schweizerhaus" bist, sondern daß du vielleicht auch mir ein bißchen weiterhelfen kannst in meiner Unsicherheit. Ich habe nämlich schon irgendwie das Gefühl, daß heute der Arbeitnehmertag ist. Da verlangt Haider staatliche Interventionen. Morgen ist dann Wirtschaftstag, und da wird dann das Wachstumskonzept der FPÖ zitiert, in welchem eine Abnahme der staatlichen Intervention bei unternehmerischen Maßnahmen verlangt wird. Also morgen ist dann wieder die freie Wirtschaft dran. (Abg. Dr. Haider: Du verstehst es noch immer nicht!)

Wir alle können uns noch daran erinnern, wie die FPÖ – und im besonderen ihr Führer Haider – zum Beispiel in der Steiermark verlangt hat, Betriebe zu schließen. (Abg. Dr. Haider: Sag nicht "Führer", ich sag’ auch "Obmann" zu dir!) Der Parteiführer, ist in Ordnung.

Meine Damen und Herren! Ich persönlich bin sehr gerne bereit, mit jedem hier im Haus über die unterschiedlichen Wege der Wirtschaftspolitik zu diskutieren. Vor wenigen Monaten, ja vor wenigen Tagen haben wir auch hier im Haus und bei anderen Anlässen darüber gesprochen, wie denn eigentlich die Wirtschaftspolitik zu verstehen ist, wenn die Aktienkurse steigen, wenn die Beschäftigung fällt, und umgekehrt, daß die Aktienkurse sinken, wenn ein Beschäftigungszuwachs festzustellen ist. Ein Beispiel dafür im eigenen Land ist Semperit. Es ist ein gutes Beispiel, um hier die eigentlichen Unterschiede aufzeigen zu können.

Ich meine hier Semperit als Reifenkonzern. Ich sage das bewußt, weil wir noch einen zweiten Semperit-Betrieb im Lande haben, den man nicht in einem Aufwaschen mitnennen sollte. (Abg. Dr. Haider: Der wurde gut, weil man ihn verselbständigt hat!) Dort gibt es Facharbeiter, Männer und Frauen, die ich heute im Betrieb kennengelernt habe (Abg. Dr. Haider: Aber die haben sich


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verselbständigt und sind deshalb nicht abmontiert worden!) , ich bin nämlich nicht vor dem Betrieb gestanden, ich bin im Betrieb gewesen und habe mit den Kolleginnen und Kollegen dort diskutiert. (Beifall bei der SPÖ.) Ich habe dort modernste Technologie gesehen, eine traditionell gute Produktion, ein Produkt, das in Österreich einen Marktanteil von 50 Prozent hat; ein Werk, das in den letzten beiden Jahren, wie schon erwähnt worden ist, 400 Millionen Schilling Dividende an Deutschland abgeführt hat. (Abg. Dr. Haider: 800!) Je 400; ich habe gesagt: in den letzten beiden Jahren.

Aber nicht nur das. Darüber hinaus wurde mit dem Ertrag, der erwirtschaftet worden ist, der Kauf von Barum überhaupt erst ermöglicht. Das muß man auch in diesem Zusammenhang erwähnen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin daher davon überzeugt, daß wir die Dinge auch beim Namen nennen sollen, Namen, die bedeuten: Wir wandern in eine Dividendengesellschaft hinein, in eine Dividendengesellschaft, wo nur das Abzocken – ich sage das so, wie ich es mir denke – von Dividenden im Vordergrund steht und nicht eine soziale Entwicklung unseres Marktes. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Dr. Haider: Da kauf’ ich keine Aktien!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin sogar überzeugt, daß in diesem Fall die Conti-Gesellschaft gegen ihre eigenen Interessen handelt. Anscheinend sind dem Herrn Grünberg, der die Verantwortung trägt – denn es trägt niemand anderer als der Herr Grünberg die Verantwortung –, 50 Prozent Marktanteil in Österreich weniger wichtig als dem Herrn Lopez, der die Zulieferer sehr bewußt forciert, um den Marktanteil zu halten und den Markt für VW in Österreich entsprechend aufzubereiten.

Es kann, so glaube ich, zu einem bösen Erwachen der Conti-Verantwortlichen führen, wenn der Österreich-Vorteil beim Käufer nicht mehr registriert wird und daher die Marke nicht mehr als österreichische Marke wahrgenommen wird. (Abg. Mag. Stadler: Das ist ein Strohhalm, an den Sie sich da klammern!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin aber überzeugt davon, daß damit eigentlich nur eine Linie fortgesetzt wird, die wir von Herrn Grünberg seit längerer Zeit kennen: Zusage, Forschung und Entwicklung in Österreich auszubauen – nicht eingehalten. Zusage für Neuausrüstung von Maschinen – nicht eingehalten. Im Gegensatz zu Ihrer Begründung bin ich der Auffassung – eben weil ich den Betrieb kenne –, daß dieser Betrieb keine veraltete Technologie in sich birgt. (Abg. Dr. Haider: Da mußt du meine Rede nehmen!)

Das steht in eurer Begründung drinnen, in der letzten Zeile eurer Begründung. Lest eure Begründung! Ich nehme nur die Begründung der FPÖ; da steht das in der letzten Zeile. Man sollte sich schon auf etwas einigen. (Abg. Mag. Stadler: Warum klagt ihr dann nicht, wenn er die Zusagen nicht einhält?)

Weiters: Zusagen für Neuausrüstungen – nicht eingehalten. Die fünfte Maschine fehlt nach wie vor. Und auch die Zusage, die im heurigen Frühjahr abgegeben worden ist, die Kostenvoranschläge, die Kosteneinsparungsmöglichkeiten zu prüfen, ist nicht eingehalten worden. Die Antwort waren die Reduzierung der Produktion und das Verbot – das Verbot, das der Herr Minister nicht ausgesprochen hat – des Herrn Grünberg, daß die österreichischen Reifenhersteller also nicht direkt mit den Japanern verhandeln dürfen und auch nicht direkt abschließen dürfen. (Abg. Dr. Haider: Seit fünf Jahren wißt ihr das und klagt nicht!)

Ein gutes Produkt, modernste Technologie, hervorragende Facharbeit, abgelieferte Gewinne – und dennoch ziehen sich die Eigentümer schrittweise zurück. (Abg. Dr. Haider: Wäre möglich, daß sie abzocken!) Sie müssen sich nur einigen, was Sie wollen: freie Wirtschaft oder staatlich gelenkte Wirtschaft. Sie müssen sich einmal darauf einigen, was Sie wirklich wollen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Ich persönlich bin überzeugt davon: Das, was mit Semperit in unserem Land geschieht, ist Kapitalismus pur. Und wenn der eine oder andere meint: Na ja, das ist eine typische Gewerk


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schaftsansage!, dann zitiere ich ein Blatt, das man nicht gerade als Gewerkschaftsblatt bezeichnen kann: "Die Presse"; die Eigentümerschaft dieser Zeitung ist ja bekannt.

"Ein Fall von Wirtschaftskolonialismus" wird hier geschrieben – ich zitiere –: Es gibt internationale Investoren, wie etwa Siemens, Opel oder BMW, die bei ihren Engagements in Österreich zwar hohe Förderungen in Anspruch nahmen, diese aber zum Aufbau von langfristig abgesicherten Produktionen verwenden, was unter dem Strich zumeist auch für den Subventionsgeber, wie nachgewiesen, zum guten Geschäft wird. Es gibt die internationalen Förderungsabzocker, die sich im Land einkaufen, dafür hohe Subventionen nachgeworfen bekommen, die erworbene Firma noch ein paar Jahre wie eine reife Zitrone ausquetschen und sich dann unter Mitnahme einer angesehenen Marke im billigeren Ausland vertschüssen, wo das erbärmliche Spiel von vorne beginnt. Die deutsche Semperit-Mutter Continental versucht derzeit – nicht böse sein, Herr Grünberg, so lautet das Zitat – offenkundig mit Gewalt, sich in die zweite Kategorie einzureihen.

Halten wir fest: Continental hat für Semperit insgesamt deutlich mehr als eine Milliarde Schilling bekommen. Zusätzlich sind weitere Millionen geflossen. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit einigen Monaten wird gegen diese Strategie gearbeitet. (Abg. Dr. Haider: Fünf Jahre schaut der SPÖ-Sozialminister zu!) Den Belegschaftsvertretern – mit denen du heute nicht gesprochen hast –, dem Bürgermeister, dem Land, dem Bund, den Interessenvertretern und den direkt Betroffenen geht es im wesentlichen darum, daß der Versuch unternommen wird, durch Rückforderungen, anhand von Prüfungen durch die Finanzprokuratur nachzuweisen, daß diese Verträge einzuhalten sind und nicht einem kurzfristigen Dividendenzuwachs des Herrn Grünberg entsprechen müssen. (Abg. Mag. Stadler: Die Finanzprokuratur hat das gemacht!)

Der Conti-Vorschlag, den Rückkauf möglich zu machen, sollte geprüft werden. – Kollege Haider, nur zur Erinnerung: In einer Presseaussendung von dir heißt es heute "schwachsinniges Argument", ein "Wahnsinn" sagtest du in deiner Rede. Der niederösterreichische Wirtschaftssprecher der FPÖ Rambossek hat das offenbar noch nicht mitbekommen, denn er hat einen Antrag eingebracht: Der Semperit-Standort Traiskirchen kann längerfristig nur dann überleben, wenn er sich wieder aus der Umklammerung der deutschen Continental löst. – Das stellte der freiheitliche Wirtschaftssprecher Rambossek fest. – Die Belegschaft müßte daher in ihrem eigenen Interesse Verhandlungen mit dem deutschen Eigentümer aufnehmen, um das Werk im Wege eines Management- und Mitarbeiter-Buyout wieder zurückzukaufen. – Also scheint sich das noch nicht ganz herumgesprochen zu haben. (Ruf bei den Freiheitlichen: Wie bei HTM!)

Ich persönlich bin überzeugt davon, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß Traiskirchen ein gutes Lehrbeispiel für falsches Verhandeln, für falsches Verhalten von Konzernspitzen ist.

Es gibt andere, von denen man sicherlich lernen kann, meine sehr geehrten Damen und Herren. Ein ganz aktuelles Beispiel von heute: Audi in der Bundesrepublik Deutschland. Auch Audi lagert aus, aber Audi hat mit seinen Beschäftigten einen Beschäftigungssicherungspakt abgeschlossen, der bis zum Jahr 2000 die Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland garantiert und darüber hinaus die Beschäftigung in Ungarn aufbaut. Ich glaube, daß das der richtigere Weg ist. (Abg. Dr. Haider: Zuerst habt ihr gesagt, daß bis 1999 alles garantiert ist!)

Das richtet sich an alle hier im Haus: Wenn wir Semperit für so wichtig halten, dann brauchen wir keine dringliche Anfrage, Kollege Haider, dann brauchen wir zum Beispiel auf deinem Dienstwagen keine Continental-Reifen, sondern Semperit-Reifen, wie das in vielen anderen Bereichen auch sinnvoll wäre. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Dr. Haider: Fünf Jahre habt ihr Zeit gehabt, zu klagen auf die Einhaltung der Verträge!)

Dann brauchen wir meiner Meinung nach keine dringliche Anfrage, sondern dann brauchen wir eine dringliche "Ansage" an den Herrn Grünberg, er sollte "Die Zeit" lesen: Ändern Sie Ihre Moral vom Kapital, sonst fahren Sie demnächst mit platten Reifen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP. – Abg. Dr. Haider: Da mußt du aber jetzt einen Reifenwechsel machen bei deinem Auto! Conti-Reifen!)

21.13


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35. Sitzung / Seite 188

Präsident Dr. Heinz Fischer:
Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich der Abgeordnete Prinzhorn zu Wort gemeldet. Er ist eingeladen, diese im Sinne der Geschäftsordnung zu machen.

21.13

Abgeordneter Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn (Freiheitliche): Herr Präsident Verzetnitsch! Sie haben unrichtig behauptet, ich hätte Betriebsverlagerungen in Niedriglohnländer vorgenommen. Das ist unrichtig. (Abg. Leikam: Sie kennen sich aus!)

Ich exportiere Milliarden aus österreichischer Produktion in Niedriglohnländer, habe nur in Österreich Betriebe aufgebaut und nicht abgebaut, und ich beschäftige über 2 000 Mitarbeiter. (Beifall bei den Freiheitlichen.) Keinerlei Produktions-, Maschinen-, geschweige denn Betriebsverlagerung aus Österreich weg wurde von mir je vorgenommen.

Herr Präsident Verzetnitsch! Sie behaupten weiters fälschlich, ich hätte ... (Abg. Dr. Nowotny: Und Beteiligungen? Nie Beteiligungen?) Es geht um Verlagerungen aus Österreich weg. Das haben Sie mehrfach behauptet. (Abg. Dr. Nowotny: Beteiligungen im Ausland? Haben Sie Beteiligungen? – Abg. Mag. Stadler: Zahlen Sie Ihre Gehälter zurück, bevor Sie da maulen!) Sie behaupten weiters – unmißverständlich deuten Sie das an –, ich hätte Subventionen in Österreich bezogen. Das ist unrichtig. Ich bediene mich in Österreich für jedermann zugänglicher Kredite – und sonst nichts! Stellen Sie das einmal richtig! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

21.15

Präsident Dr. Heinz Fischer: Der nächste Redner ist der Abgeordnete Haselsteiner. Er hat das Wort. Redezeit: 15 Minuten.

21.15

Abgeordneter Dr. Hans Peter Haselsteiner (Liberales Forum): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren über das Schicksal eines österreichischen Paradeunternehmens, über einen der großen Namen. Österreich ist ja, was große Namen im Wirtschaftsgeschehen angeht, nicht gerade reich, durch unsere Nachkriegsentwicklung bedingt. Aber Semperit gehört ohne Zweifel zu diesen wenigen großen Namen, über die wir verfügen.

Aber bei aller Berechtigung um die Sorge über die Arbeitsplätze, über die Entwicklung möchte ich darauf hinweisen, daß wir auch über ein Unternehmen diskutieren, das 1985 schlicht und ergreifend pleite war. (Abg. Dr. Haider: Nein! Stimmt nicht! 1985 schon wieder positiv! Zum Zeitpunkt, wo die Conti eingestiegen ist, waren sie positiv!)

Lieber Jörg! 1985 waren sie pleite. Ich kenne mich auf diesem Gebiet, glaube ich, ganz gut aus, vielleicht sogar ausnahmsweise ein bißchen besser als du. (Abg. Dr. Haider: Ich kann dir die Bilanzen vorlegen! 1983 waren sie pleite, 1985 waren sie schon wieder flott!) Und ich darf noch etwas dazu sagen: Semperit war zu einem Zeitpunkt in einer Krise, als die Reifenindustrie weltweit eine nachhaltige Krise durchlebt hat, die insgesamt durch Überkapazitäten und Neuorientierungen im internationalen Markt gekennzeichnet war. Es war ja nicht nur Semperit damals in einer Krise. Es gab auf dem italienischen Markt Entwicklungen, die zur Konzentration geführt haben, es gab letztendlich vor allem auch in Deutschland eine ganz massive Unternehmenkonzentration, die eben mit einer dominanten Stellung von Conti – und ich kenne den Vorstandsvorsitzenden, der damals verantwortlich war, recht gut – einherging.

Damit verbunden war der Abbau Tausender Arbeitsplätze, waren Kapazitäten, die zurückgenommen werden mußten. Und in diesem Szenario hat die österreichische Wirtschaftspolitik bedauerlicherweise nicht die Maßnahmen getroffen, die nach meinem Dafürhalten richtig und auch möglich gewesen wären.

Es wäre damals sicher richtig gewesen, wenn man versucht hätte, in einem dieser wesentlichen Unternehmungen die österreichische Identität zu wahren. Wir beklagen etwas, dessen Ursache zehn Jahre zurückliegt. Ich will überhaupt nicht darüber diskutieren oder abstreiten oder in Frage


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35. Sitzung / Seite 189

stellen, daß dieser Vertrag, der damals geschlossen wurde, sehr wahrscheinlich nicht optimal war. Du würdest es härter ausdrücken, Jörg, du würdest sagen, es ist das ein verbrecherischer, leichtsinniger Vertrag. (Abg. Dr. Haider: Hab’ ich nicht gesagt! Er wird nur nicht eingehalten!) Ich weiß es nicht, so genau kenne ich ihn nicht. Aber ich schließe nicht aus, daß dieser Vertrag ungünstig ist.

Ich glaube darüber hinaus, daß er das eine oder andere Schlupfloch bietet – das ist auch noch möglich –, daß er sozusagen nicht eingehalten werden muß . Aber die Ursache der heutigen Erscheinungen liegen im Jahr 1985 und nicht in einer Dringlichkeit begründet. Dringlich, Herr Kollege Prinzhorn, sind sozusagen nur die Auswirkungen und die Gelegenheit, darüber auch politisch zu diskutieren, und das wird ja einer Opposition noch überlassen bleiben. (Abg. Dr. Haider: Semperit hat in elf Jahren 1,4 Milliarden Gewinn gemacht und 800 Millionen Dividende abgeliefert! Du kannst jetzt nicht sagen, daß die nicht saniert waren!)

Ich glaube das alles, nur: Wenn man sich etwas damit befaßt, was Konzernpolitik und was internationale Konzernpolitik bedeutet, dann kann man es nicht beklagen, daß ein Unternehmer, ein Konzerneigner, sei er nun deutsch oder japanisch, seine übergeordneten Interessen verfolgt. Ich bin ein kleiner internationaler Unternehmer, aber auch ich habe in anderen Ländern Interessen. Und ich würde es mir verbieten, wenn ich in Ungarn kritisiert werden würde, weil ich meinen österreichischen Betrieb im Vordergrund habe, wenn man dort sagen würde: Jetzt zieht er die EDV ab nach Österreich, und die Maschinenabteilung ist in Österreich, und das Labor ist in Österreich. (Abg. Dr. Haider: Weil du einen Vertrag hast, daß du es dalassen mußt !) Das muß jedem Unternehmer überlassen bleiben, meine Herren, hier irren Sie grundsätzlich! (Beifall beim Liberalen Forum.)

Sie stellen hier ein Gespenst in das Schaufenster und sagen: Das ist es!, und am allerliebsten tust du es, Jörg, indem du sagst: Das ist die EU! Ich verstehe den Schmäh, aber ich weise ihn zurück als Schmäh. (Abg. Dr. Haider: Mit unseren Gewinnen im Ausland die Arbeitsplätze finanzieren!)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas sagen zur Förderung. (Anhaltende Zwischenrufe bei den Freiheitlichen. – Abg. Mag. Barmüller: Den Mund halten und zuhören!)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Meine Damen und Herren! Das hat doch gar keinen Sinn so, es versteht niemand ein Wort!

Herr Abgeordneter Haselsteiner, jetzt sind Sie wieder am Wort.

Abgeordneter Dr. Hans Peter Haselsteiner (fortsetzend) : Danke vielmals, Herr Präsident!

Wir haben 1,2 Milliarden Schilling für die damalige Rettungsaktion durch Conti aufgewendet. Ich bedaure das, weil ich grundsätzlich glaube, daß diese Maßnahmen das Ziel nicht wirklich erreichen können. Nur: Der Fairneß halber, der guten Ordnung halber muß man auch die Dimension wiederherstellen.

In diesen zehn Jahren wurden ungefähr 25 000 Mannjahre an Arbeit gesichert. Das heißt: pro Mannjahr 40 000 S an Förderung. – Damit wir das zurechtrücken, weil es ist immer so schnell gesagt: 1,2 Milliarden. Insofern sind zehn Jahre ein nicht unerheblicher Zeitraum und auch ein – ich möchte nicht sagen Erfolg, aber zumindest muß man es zurechtrücken.

Es gibt andere Fälle, HTM zum Beispiel, wo wir erst erleben müssen, wie viele Mannjahre mit 4 oder 5 Milliarden Schilling sozusagen gerettet werden können. Hier, im Falle Semperit, meine Damen und Herren, ist es nicht so dramatisch. (Abg. Dr. Graf: Da haben Sie aber auch gesagt, daß das nicht dringlich ist!)

Herr Verzetnitsch, jetzt komme ich zu Ihnen. Es ist bedauerlich in dieser Republik, daß maßgebliche Persönlichkeiten, die vor allem die Wirtschaftspolitik in diesem Land so stark prägen wie Sie und Ihre Kollegen aus dem Gewerkschaftsbund, grundsätzliche Wirtschaftszusammenhänge einfach nicht sehen oder nicht sehen wollen. Ich habe Ihnen das schon öfter gesagt. (Abg.


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Verzetnitsch: O ja, schon, aber sie müssen realisierbar sein!) Mich schockiert es jedesmal, wenn Sie hier am Rednerpult mit einer gewissen Unverfrorenheit auch dem Prinzhorn ein’s "drüberbraten". Man bekommt das Gefühl, daß hier herinnen ein Unternehmer ein Aussätziger ist!

Meine Damen und Herren! Angesichts einer solchen Vorgangsweise, muß ich schon fragen: Herr Stummvoll, warum kommen Sie nicht heraus und verteidigen uns Unternehmer einmal? (Beifall beim Liberalen Forum und bei den Freiheitlichen.) Geben Sie doch Ihrem Koalitionspartner eine Nachhilfestunde über wirtschaftliche Zusammenhänge! (Abg. Koppler: Wer kümmert sich denn um die Industriepolitik da herinnen? Wer kümmert sich denn um die Industriepolitik außer uns?) Aber, geh’n S’!

Wenn Sie, Herr Verzetnitsch, sagen, die 35-Stunden-Woche wird auch anderswo gefordert, dann vergessen Sie aber, zu sagen: Wenn die 35-Stunden-Woche aus dem Lösungsansatz herauskommt, daß Sie hier ein knapper werdendes Gut, nämlich Arbeit, gerechter verteilen müssen, dann haben Sie meine Unterstützung. Aber dann sagen Sie auch laut und deutlich: Selbstverständlich ohne jeglichen Lohnausgleich!, denn wenn Sie in einem Atemzug auch den Lohnausgleich fordern, dann erhöhen Sie die Produktionskosten, dann verringern Sie die Wettbewerbsfähigkeit und die internationale Konkurrenzfähigkeit des Standortes Österreich. Das müssen Sie dazusagen! (Beifall beim Liberalen Forum.)

Wenn Sie heute sagen, es gibt eine Korrelation zwischen Aktienkurs und Arbeitsplatzabbau, dann muß ich sagen: Lieber Herr Präsident Verzetnitsch, ich verstehe Sie nicht. Sie halten Kapitalisten oder "Abzocker", wie Sie es nennen, zwar für eine verderbliche moralische Kategorie – das ist möglich –, aber halten Sie sie doch um Gottes willen nicht für Dummköpfe! Das Kapital und die Tausenden Menschen, die darüber entscheiden, entscheiden rational, hochausgebildet und sehr, sehr schnell. Es wird weder einen Herrn Grünberg noch einen Herrn Lopez noch einen anderen Industriekapitän auch nur einen Deut kümmern, was Sie in Ihrer Winzigkeit auch in Ihrer Position als österreichischer Gewerkschaftschef hier meinen oder glauben.

Hier gelten andere, internationale Gesetze, und die werden sie befolgen. Und diese Menschen werden auch Erfolg haben – ob es Ihnen paßt oder nicht paßt, Herr Verzetnitsch (Abg. Verzetnitsch: Der Herr Lopez, aber sonst niemand! – Abg. Dr. Haider: Du wirst immer mehr zum Pflichtverteidiger der Conti!)

Aber, meine Herren! Jörg! Was heißt "zum Pflichtverteidiger der Conti"? Ich bin der Meinung: Wenn die Conti Verpflichtungen auf sich genommen hat, dann sind diese Verpflichtungen auf Schilling und Heller einzufordern, selbstverständlich! Ich nehme an, die Finanzprokuratur und andere werden dafür sorgen. (Abg. Dr. Haider: Dann sag es einmal! – Abg. Mag. Stadler: Die Finanzprokuratur?!)

Herr Stadler! Oder machen Sie es halt persönlich, das ist mir doch egal. Sie sind zwar nicht dazu fähig, aber probieren Sie es. (Heiterkeit und Beifall beim Liberalen Forum. – Weitere Zwischenrufe des Abg. Mag. Stadler .)

Meine Damen und Herren! Eines muß auch klar sein: Durch die bloße Negation wirtschaftlicher Zusammenhänge, durch lautes Bellen aus der ersten Reihe, Herr Stadler (Abg. Dr. Haider: Hundenamen brauchst du nicht schon wieder verwenden!) , lösen Sie dieses Problem nicht, und auch du nicht, Jörg. Du bist seinerzeit zum "Konsum" gefahren, hast eine Wurstsemmel gegessen. Heute bist du nach Wimpassing gefahren, aber die Wurstsemmel mit "Semperit"-Schnitzel wirst du nicht gegessen haben, weil sie dir nicht schmeckt. (Heiterkeit und Beifall beim Liberalen Forum.) Das ist doch ein Witz! (Abg. Mag. Stadler: Verteidigt Conti-Manager! – Abg. Dr. Haider: Haben wir ihn an einer wunden Stelle erwischt! – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.)

Wenn sich die Eigentümer zurückziehen, Herr Präsident Verzetnitsch, dann machen sie das nicht aus Jux und Tollerei. Die haben kein Interesse daran, uns oder Ihnen oder den Semperit-Arbeitern irgendeinen Tort anzutun. Sie tun es, weil es rationale, meist wirtschaftlich zwingende Voraussetzungen dazu gibt. Und wenn Sie glauben, daß Sie ein unintelligentes Produkt – und ein Reifen ist ein verhältnismäßig unintelligentes Produkt (Abg. Dr. Haider: Nein, wirklich nicht!


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Hohes Maß an Qualität und Facharbeit!) – bei unseren Lohnkosten, bei unseren Lohnnebenkosten, bei unserer realen Arbeitsverfassung, bei unserem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz in Wimpassing halten können, dann haben Sie sich geirrt! (Abg. Marizzi: In Traiskirchen! Sie verwechseln das!) Das Werk in Traiskirchen, entschuldigen Sie, Herr Marizzi.

Sie werden diese Produktion hier nicht aufrechterhalten können, und es ist eine Aufgabe der Politik, dafür eine Alternative vorzusehen.

Diese Alternative kann aber nicht darin bestehen – wie Herr Dr. Haider meint –, daß jetzt irgendeiner irgendwohin fährt und dann dort als Politiker, zum Beispiel als Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten, sagt: Jetzt zeige ich euch Japanern einmal, wie es geht! Entweder so – oder ich hau’ die NOVA drauf!

Herr Bundesminister! Ich glaube, daß Sie, wollten Sie das probieren, größere Probleme mit der Übersetzung haben würden. Man wird Sie schlicht und ergreifend nicht verstehen. Ich glaube daher, Sie sollten dem Ratschlag des Herrn Klubobmannes Haider in diesem Punkt nicht folgen. (Abg. Dr. Haider: Was schlägst du dann vor?)

Ich glaube aber, daß es verschiedene andere Dinge gibt, Herr Bundesminister, wo auch Sie Ihren Beitrag leisten könnten. Ich glaube, daß es verschiedene Möglichkeiten gibt, wie wir den Standort Österreich wieder verbessern können.

Herr Stummvoll! Ich meine da zum Beispiel nur die kleinen Schritte. Ich erinnere Sie noch einmal an die Todsünde des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes. Ein Gesetz, das niemandem dient, der Wirtschaft erhebliche Kosten verursacht und nur deshalb noch tragbar ist, weil es gegen die gesetzliche Normierung nicht befolgt wird. Sonst wäre die Katastrophe in diesem Punkt schon lange eingetreten.

Ich glaube aber, wir könnten zum Beispiel auch darüber diskutieren, daß wir endlich die Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich, Herr Präsident Verzetnitsch, flexibilisieren.

Wir glauben auch, daß man in verschiedenen Bereichen Erleichterungen für die Unternehmer schaffen könnte, zum Beispiel einen leichteren Zugang zum Gewerbe. (Abg. Dr. Haider: Das nützt den Semperitlern nichts!) Bedauerlicherweise, meine Damen und Herren, sind all diese Rezepte und all diese Maßnahmen nur mittelfristig und langfristig. Das weiß ich, und ich bedauere, daß man den Betroffenen nicht in der Schnelligkeit und mit der Wirkung helfen kann, wie sie sich das wünschen und wie sie es ohne Zweifel auch verdienen. (Abg. Dr. Haider: Konkret für Semperit, lieber Freund!) Aber so wenig, wie du den "Konsum"-Angestellten helfen konntest, weil du dort eine Wurstsemmel verzehrt hast, kannst du den Semperit-Angestellten helfen, indem du dort heute eine Versammlung abgehalten hast. (Beifall beim Liberalen Forum.)

21.29

Präsident Dr. Heinz Fischer: Es folgt der Herr Abgeordnete Van der Bellen. – Sie haben das Wort.

21.29

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! (Anhaltende Zwischenrufe bei den Freiheitlichen – Abg. Dr. Haselsteiner: Gehen Sie zu Ihrem arbeitslosen Einkommen, Herr Bauer! Das ist viel gescheiter! Wenn Sie nicht zurechtkommen, schicke ich Ihnen einen Portugiesen!) – Der Kollege Haselsteiner ist schon den ganzen Abend sehr erregt.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Kollege Van der Bellen, ich muß Ihnen die Uhr wieder auf Null stellen, sonst ist es unfair.

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (fortsetzend): Vorweg möchte ich sagen, es hat mich etwas überrascht, daß der Abgeordnete Kampichler den Freiheitlichen zu Beginn heute wieder Populismus – was immer das sein mag – vorgeworfen hat. Aber ich muß sagen, wenn das Aufgreifen einer wichtigen industriepolitischen Frage oder das Aufgreifen, wenn Sie wollen,


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der Sorgen von 2 000 Industriebeschäftigten populistisch ist, dann kann Populismus nichts Schlechtes sein. (Beifall bei den Grünen und den Freiheitlichen.) Meine Kollegen werden sagen: Beifall von der falschen Seite!, aber ich kann mich nicht dagegen wehren. (Heiterkeit.) Aber in diesem Sinne bin ich selbst hin und wieder nicht ungern populistisch.

Aber jetzt im Ernst: Ich möchte ein paar Worte über die Strategie des Conti-Konzerns als exemplarischem Fall einer Industriepolitik verlieren und die möglichen österreichischen Gegenstrategien nennen. Und ich möchte das ganz nüchtern und nicht moralisch sehen. Ich glaube, daß es eine Spur mehr Möglichkeiten gibt, als Kollege Haselsteiner angedeutet hat. – Ich sage offen: Meine Überlegungen sind nicht reines Copyright Van der Bellen, sondern sind inspiriert von einem Artikel von Stephan Schulmeister im "Standard" vom Samstag.

Wie ist die Ausgangstatsache? – Die Ausgangstatsache, die unbestreitbar zu sein scheint, ist, daß Conti-Semperit in Österreich einen sehr, sehr hohen Marktanteil bei den Reifen hat. Welche ist die Ausgangshypothese? – Die Ausgangshypothese ist erstens, daß Conti-Semperit in Österreich hohe Gewinne macht, nach allem was ich weiß. Zweitens glaubt Conti-Semperit, diesen Gewinn durch Auslagerung der Produktion noch erhöhen zu können, möglicherweise durch Verkauf der Produktionsstätten. Drittens besteht aber die Nebenbedingung, daß der Markenname "Semperit" unter keinen Umständen verkauft werden darf, weil dieser die Basis des hohen Marktanteiles in Österreich ist. Alles kann verkauft werden: die Maschinen, die Gebäude, die Grundstücke, die Menschen, wenn ich das, symbolisch gemeint, so bezeichnen darf. Alles kann verkauft werden, nur der Markenname nicht.

Ich sage ausdrücklich: Ich kann in die Manager von Conti nicht hineinschauen, ich habe auch gar keine besondere Lust, sie kennenzulernen. Ich spreche über eine Hypothese oder eine Theorie, von der die Engländer sagen würden: It fits the facts. Sie ist mit dem, was wir beobachten können, voll kompatibel.

Was folgt aber dann daraus? – Erstens folgt daraus, was Präsident Verzetnitsch schon gesagt hat – wie ich den Medien entnommen habe –: Das ist Kapitalismus pur. – Ja, das ist Kapitalismus pur. Diese Aussage läßt mich als Ökonomen zunächst einmal ziemlich kalt. Sie scheint mir ein bißchen moralisch zu sein, aber sie hilft uns noch nicht wirklich weiter. Denn was soll ich jetzt damit anfangen? – Soweit ich Unternehmensleiter kenne, haben die wenigsten von ihnen den Ehrgeiz, Säulenheilige der Moraltheologie zu werden. Ihr Interesse ist ein anderes, nämlich Gewinne zu machen. (Abg. Dr. Graf: Damit wollte er den Futterneid schüren!)

Nun meine ich, daß die Strategie von Conti oder von Conti-Semperit eine Achillesferse hat, und zwar genau dort, wo auch ihre Stärke liegt, nämlich beim hohen Marktanteil in Österreich. (Abg. Mag. Stadler: Das ist richtig!) Dieser hohe Marktanteil ist, wenn ich dem "Kurier" glauben darf, wirklich extrem: nämlich bei PKW-Reifen insgesamt 48 Prozent, wenn man alle Marken zusammenzählt, bei Semperit allein 32 Prozent, aber da kommen noch einige andere Markennamen dazu, die auch Conti zugehören; und bei LKW-Reifen beträgt der Marktanteil insgesamt nicht weniger als 60 Prozent, davon allein 49 Prozent Semperit!

Wieso bezeichne ich diesen hohen Marktanteil als Achillesferse? Wenn Conti-Semperit in Österreich einen Marktanteil von 2 Prozent hätte, dann würde ich sagen: Die Sache ist chancenlos. Sie lagern ihre Produktion aus, weil ihnen das aus irgendwelchen Gründen besser gefällt. Was soll man dagegen machen? Das ist die Unternehmerentscheidung, die eben im Kapitalismus frei ist.

Der hohe Marktanteil läßt allerdings andere Möglichkeiten offen, die ich jetzt plakativ als die Greenpeace-Shell-Strategie bezeichnen möchte, denn da gibt es gewisse Parallelen.

Ich möchte Ihnen vorlesen, was Kollege Schulmeister dazu schreibt. Das muß man nicht wörtlich nehmen, aber dem Sinn nach ist es sehr interessant. "Angesichts der extrem unkooperativen Strategie der Continental AG wäre zu erwägen, ob den Interessen der Arbeitnehmer des Traiskirchen-Werks nicht mehr gedient wäre" – statt eines Streiks, meint er –, "wenn die Gewerkschaft auf Bundesebene stärker die Macht der Arbeitnehmer auf den Gütermärkten ins


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strategische Spiel einbrächte: Damit würde sie gleichzeitig die Manager nach jener Logik ansprechen, die sie verstehen."

Moral verstehen sie nicht, das ist uns allen klar. Aber diese Sprache verstehen sie wahrscheinlich, nämlich die Sprache von Marktanteilen, Umsätzen und strategischen Gesamtkosten.

"So könnte etwa der ÖGB der Konzernleitung klarmachen, daß in Österreich mehr als 1,5 Millionen Menschen Mitglieder der Gewerkschaft sind" – immer noch – "und daß diese sich bei ihrer Produktwahl auch danach motivieren können, wie ein Konzern österreichische Arbeitnehmer behandelt im Sinne der Konsumentensouveränität der freien Märkte."

Der ÖGB "könnte darauf hinweisen, daß der ÖGB seine Mitglieder angesichts der (bisher) exemplarisch unkooperativen Strategie der Continental AG mit besonders großem Engagement dahin gehend informieren werde, daß ihnen Solidaritätsaktionen beim Konsum" – gemeint ist einfach der Kauf von Reifen – "keine nennenswerten Opfer abverlangten."

Dem Konsumenten kann es letzten Endes egal sein. Er kauft Semperit, Conti oder einen anderen Reifen, und sei es Michelin, wenn nicht diese extrem starke Markenbindung vorhanden wäre.

Markenbindung existiert nicht einfach a priori, Markenbindung erzeugt man im Lauf der Geschichte, sie wächst historisch. Aber man kann sie auch sehr schnell untergraben. Das mußte etwa Shell erfahren. So etwas kann man nicht 1 : 1 übertragen, aber den Grundgedanken kann man übernehmen. (Abg. Mag. Stadler: Das traut sich die Regierung auch nicht!)

Der ÖGB "könnte zu bedenken geben, daß in Folge derartiger Maßnahmen der Konzernumsatz in Österreich erheblich sinken und somit die Werkschließung statt der Extragewinne insgesamt Extraverluste bringen könnte." – Zitat Ende.

Ein solches Drohpotential wird natürlich nicht von allein wirksam, das muß man schon aktiv in die Hand nehmen, sei es der ÖGB, sei es der Wirtschaftsminister oder wer immer sich berufen fühlt, etwas zu tun. Aber es gibt jedenfalls mehr Möglichkeiten und auch politische Möglichkeiten jenseits der reinen Marktwirtschaft, die tatsächlich zur Verfügung stehen. Man muß dieses Instrument nur mit hinreichender Härte oder Entschlossenheit – oder welches Wort auch immer Sie dafür verwenden wollen – aufgreifen.

Nur nebenbei möchte ich noch zum Herrn Kollegen Kampichler sagen: Dringlich ist das sehr wohl. Ich habe verschiedene Anfragen der Freiheitlichen erlebt, die ich weder dringlich noch interessant fand. Für diese Anfrage gilt das mit Sicherheit nicht: Diese Anfrage ist dringlich.

Unbeschadet dessen kann man natürlich auch die anderen Maßnahmen treffen. Man muß sie sogar treffen und prüfen, ob der Vertrag erfüllt worden ist, ob die Auflagen, die seinerzeit 1983 auferlegt wurden, erfüllt wurden. Es muß ja irgend etwas Vertragsähnliches geben! Es muß zumindest einen Schriftverkehr mit dem damaligen Sozialminister, mit dem Sozialministerium geben. Denn diese Mittel wurden meines Wissens aus der aktiven Arbeitsmarktverwaltung gegeben. – Kollege Haider scheint, im Gegensatz zu mir, diesen Schriftverkehr zumindest teilweise auch zu kennen.

Die Übernahme von Semperit durch Conti ist in diesem Zusammenhang völlig irrelevant. Conti wird wohl die Auflagen, die Semperit gegeben wurden, mit übernommen haben, es sei denn, die damalige österreichische Politik hat bewußt davon Abstand genommen. Darüber muß es auch einen Schriftverkehr geben. Wenn nicht, dann gilt das, was 1983 vereinbart wurde. (Zwischenrufe der Abgeordneten Mag. Stadler und Dr. Haider .) Davon habe ich gehört.

Aber entweder wurden die Auflagen erfüllt oder nicht. Bürgermeister Knotzer von Traiskirchen behauptet jedenfalls immer wieder – das entnehme ich den Medien –, daß Vertragsverletzungen von Conti vorliegen. Ich meine: Entweder liegen sie vor oder nicht. Aber wenn sie vorliegen, dann muß die Firma doch geklagt werden! Das kann man doch nicht einfach hinnehmen! (Abg. Mag. Stadler: Das traut sich die Regierung nicht!) Mit diesen Auflagen meine ich nicht nur die


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klassischen Arbeitsplatzauflagen; deren Einhaltung ist über so lange Perioden immer schwer zu kontrollieren und zu erfüllen. Aber es hat anscheinend auch Auflagen hinsichtlich der Forschungs- und Entwicklungsabteilung gegeben, und wenn diese im Zeitablauf abgesiedelt worden ist, dann ist das – meine ich – juristisch relevant.

Aber auch wenn das einmal alles funktioniert – nehmen wir es einmal an –, dann ist es insofern nicht so wahnsinnig spannend, als es den Charakter von Vergangenheitsbewältigung hat. Das waren Fehler, die in der Vergangenheit passiert sind, und Conti hat sich an Auflagen gehalten oder nicht gehalten.

Was mich viel mehr interessiert, ist: Wie werden in Zukunft solche Fälle vermieden? – Die Modalitäten der Förderungsvergabe oder Subventionsvergabe haben sich seit dem EU-Beitritt wesentlich verändert. Im Gegensatz zu der Zeit vor 1995 herrscht jetzt grundsätzlich ein Subventionsverbot. Die Regierung kann nicht mehr fördern, wen immer sie will, sie kann nicht mehr irgendein Unternehmen nach Lust und Laune fördern. Es gibt Meldepflichten nach Brüssel, es gibt eine Argumentationspflicht, es gibt eine Begründungspflicht gegenüber Brüssel und so weiter.

Was ich aber in der kurzen Zeit, seit ich die Dringliche der Freiheitlichen kenne, nicht herausfinden konnte, war, ob sich in bezug auf die Auflagen für die Unternehmungen irgend etwas verändert hat. Das würde mich jetzt interessieren! Wir haben ein völlig anderes Regime, was die Beziehungen zu Brüssel betrifft: Es ist schön und gut, daß jede Subvention argumentiert und gerechtfertigt werden muß, weil die in Brüssel sonst nicht zustimmen. Aber wozu verpflichten sich die Unternehmungen eigentlich? Und wie wird sie der Staat in Zukunft zwingen, diese Verpflichtungen auch einzuhalten? (Abg. Mag. Stadler: Mit der Finanzprokuratur!)

Im Burgenland haben wir einen größeren Industriebauplatz, und es müssen – ich weiß nicht genau – 500 oder 700 Millionen in das Lyocell-Werk gesteckt werden. (Abg. Dr. Haider: 1,2 Milliarden!) Also gut, soll sein, es müssen 1 Milliarde oder 1,2 Milliarden in das Werk gesteckt werden. Mit welchen Auflagen wurden diese Mittel aber eigentlich vergeben? Mit gar keinen? Gut, dann können wir nur abwarten, was die freie Marktwirtschaft nach der Methode "Haselsteiner" dann bringt. Dann kann man sowieso nichts ändern! Aber wenn es Auflagen gibt, dann hätte ich gerne gewußt, wie das Wirtschaftsministerium pro futuro Fälle wie "Semperit" auszuschließen gedenkt. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

21.41

Präsident Dr. Heinz Fischer: Der nächste Redner ist Abgeordneter Rosenstingl. Er hat das Wort.

21.41

Abgeordneter Peter Rosenstingl (Freiheitliche): Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Leider ist Kollege Kampichler jetzt nicht im Saal. Mir wäre es sehr recht gewesen, wenn die niederösterreichischen Arbeitnehmer und Unternehmer seine Rede gehört hätten. Denn es ist wirklich eine Zumutung für diese Leute, wenn Kollege Kampichler von einer populistischen Aktion spricht und dabei total vergißt, daß wieder einmal Arbeitsplätze verlorengehen und Existenzen gefährdet werden.

Sein Verhalten hier am Rednerpult ist bezeichnend: Er redet an der Sache vorbei, es wird deutlich, daß Ratlosigkeit in dieser Regierungskoalition herrscht und in welche Richtung die ÖVP sich entwickelt hat: Eine Partei, die sich irgendwann einmal vor vielen Jahrzehnten als "Wirtschaftspartei" bezeichnet hat, schickt als Erstredner jemanden ans Rednerpult, der uns folgende Theorie klarmacht: Auslagerungen aus Österreich sind glänzend, weil durch diese Auslagerungen das Lohnniveau in den entsprechenden Ländern gehoben wird. Das ist Ihre Theorie: Lagern wir alle Betriebe von Österreich in andere Länder aus. Dann haben diese ein hohes Lohnniveau, und wir werden wieder leichter arbeiten können. – Sehen Sie denn nicht, welch Unsinn das ist? Herr Kollege Stummvoll! Schämen Sie sich nicht, wenn solche Theorien hier vertreten werden? (Beifall bei den Freiheitlichen.)


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35. Sitzung / Seite 195

Zum Kollegen Kampichler kann ich nur eines sagen: Einfach Kampichler, ganz einfach peinlich! (Ruf bei der ÖVP: Arbeiten statt polemisieren!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Leider ist auch Herr Präsident Verzetnitsch nicht mehr im Saal. (Ruf bei der SPÖ: Da ist er ja!) Wo ist er? – Aha, er ist da! Herr Präsident! Es ist bedauerlich, daß Sie diese notwendige Debatte mit einer unsachlichen Diskussion eingeleitet haben. Herr Kollege! Sie müßten doch den Unterschied zwischen Betriebsverlagerungen und Expansion in Österreich und im Ausland kennen! – Wenn ja, was soll dann dieser unqualifizierte Angriff auf einen erfolgreichen Unternehmer, der viele Arbeitsplätze in Österreich geschaffen hat?

Der Zwischenruf des Herrn Professor Nowotny hat deutlich gezeigt, wie Sie denken: In einem Zwischenruf meinte er, daß es schändlich sei, ausländische Beteiligungen zu haben. – Dieser Zwischenruf zeigt Ihr Problem, Herr Kollege Fuhrmann, auf, nämlich das Problem der Sozialdemokraten. Sie vertreten leider noch immer eine unternehmerfeindliche Politik. Sie haben noch nicht begriffen, daß Unternehmerfeindlichkeit auch Arbeitnehmerfeindlichkeit bedeutet, Frau Präsidentin Hostasch! Das haben Sie leider bis jetzt nicht begriffen! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Kollege Haselsteiner! Ich habe Sie einmal verteidigt – Sie können sich vielleicht daran erinnern, und ich unterstreiche das –, als Herr Kollege Stummvoll Sie angegriffen hat. Nun beklagen Sie das Verhalten des Herrn Stummvoll und das Verhalten des Herrn Maderthaner, daß sie sich nicht gegen Unternehmerbeschimpfungen aussprechen. Sie selbst vergeben leicht Zensuren! Sie maßen sich an, darüber zu urteilen, ob jemand in diesem Hause fähig oder unfähig ist. Sie haben jetzt gerade von einem unserer Kollegen gesagt, daß er unfähig ist. – Damit haben Sie sich leider jeder Diskussionsgrundlage begeben!

Herr Kollege Haselsteiner! Wir Freiheitliche haben für die Arbeitnehmer und für die Unternehmer hier in diesem Hause etwas getan. Wir haben in von uns beantragten Sondersitzungen zum Beispiel das Problem der "Konsum"-Angestellten verdeutlicht oder etwa auch das Thema der Arbeitsplatzsicherung in Österreich insgesamt aufgegriffen. Sie vom Liberalen Forum haben hingegen noch überhaupt nichts getan! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Das einzige, was Sie gemacht haben, war gestern als Blindarm dieser Regierungskoalition die notwendigen Aktivitäten hier in diesem Hause einzuschränken! (Zwischenruf des Abg. Dr. Haselsteiner .) Herr Kollege! Sie sollten wirklich nicht darüber sprechen, daß Sie oder eine andere Partei hier irgend etwas gemacht hat! Sie müssen erst beweisen, daß Sie irgendeine sinnvolle Aktivität setzen können! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenruf des Abg. Mag. Barmüller .) Mit dir diskutiere ich nicht über Wirtschaftspolitik, denn du verstehst nichts davon! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Bundesminister! Ihre Anfragenbeantwortung war leider nicht sehr zufriedenstellend. Sie haben das gleiche Verhalten wie Ihre Vorgänger Schüssel und Ditz aufgezeigt. Sie wollen anhand einiger Zahlen beweisen, daß ohnedies alles in Ordnung ist. Sie sagen: Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung. Sie bagatellisieren die Probleme um "Semperit", geben der japanischen Autoindustrie die Schuld, diese sei der Grund dafür, daß Semperit jetzt zugrunde geht, da es nämlich in der japanischen Autoindustrie derzeit Probleme gibt. Sie erkennen aber nicht, daß unsere wirtschaftspolitischen Maßnahmen an diesem Zustand schuld sind. Herr Klubobmann Haider hat es ja schon angeführt: Der damalige Wirtschaftsminister, Herr Schüssel, hat ganz einfach die Unwahrheit gesagt. Er hat hier in diesem Hause gesagt, daß mit den Japanexporten alles abgesichert sei. – Es war jedoch gar nichts abgesichert! Wie so oft war Herr Bundesminister beziehungsweise Vizekanzler Schüssel zwar ein großer Ankündiger, aber leider ein politischer Tatenzwerg.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Abgeordneter! Bitte achten Sie auf die Terminologie! Mit persönlichen Verunglimpfungen fangen wir nichts an!


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Abgeordneter Peter Rosenstingl
(fortsetzend) : Es ist aber auch erschreckend, Herr Bundesminister, wenn Sie großartig von EU-Verwendungszusagen sprechen und glauben, damit irgend etwas gelöst zu haben. Herr Bundesminister! Verwendungszusagen sind keine Garantie dafür, daß irgend etwas hier in diesem Land entsteht. Sie sollten wissen, was eine Verwendungszusage ist!

Sie beziehungsweise die Regierungsfraktionen haben vor lauter EU-Euphorie geglaubt, daß ohnedies alles Ordnung sei. Sie waren zufriedengestellt und haben überhaupt nicht an die österreichischen Arbeitnehmer und Unternehmer gedacht. Diese österreichischen Arbeitnehmer und Unternehmer und auch die österreichischen Bauern, Herr Kollege, sind auf der Strecke geblieben. Denn Sie sind übereilt in diese EU gegangen und haben die entsprechenden Rahmenbedingungen nicht geschaffen! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Herr Bundesminister! Semperit ist kein Sonderfall. Das sollten Sie eigentlich wissen, und davor sollten Sie die Augen nicht verschließen. Solche Probleme gibt es in Niederösterreich überall und umso mehr, je weiter südlich man sich befindet. Es herrscht in Niederösterreich derzeit eine schlechte Situation. Viele Arbeitsplätze sind gefährdet. Semperit ist erst der Anfang. Schauen wir etwa nach Ternitz! Mein Kollege Pepi Trenk wird Ihnen noch einiges darüber erzählen, wie sehr dort Arbeitsplätze gefährdet sind und wie viele Arbeitsplätze dort verlorengehen. Die Zahl der Betriebseinstellungen nimmt in Niederösterreich zu. Der Pleitenrekord wird im Jahre 1996 erreicht!

Es handelt sich hiebei aber nicht um Sonderfälle einzelner Betriebe, sondern um Strukturprobleme, die Sie durch Ihre Wirtschaftspolitik geschaffen haben. Auch im Hinblick darauf ist es wirklich eine Zumutung für alle fleißigen Unternehmer und Arbeitnehmer, wenn diese Regierungskoalition auf der einen Seite die eigenen Privilegien verteidigt, auf der anderen Seite jedoch überhaupt keine Handlungen setzt, um Verbesserungen in Österreich zu schaffen.

Wir haben leider einen Bundeskanzler, der keine Lösungskompetenz hat. Das hat er gestern in vielen Debatten wieder bewiesen. Überdies haben wir eine Bundesregierung, die jetzt schon monatlich hier in diesem Hause weitere Belastungen beschließt, vom Strukturanpassungsgesetz angefangen; der nächste Brocken waren die Regelungen mit den Krankenkassen. Sie sind nur in der Lage, den Österreicherinnen und Österreichern etwas wegzunehmen. Sie sind aber nicht in der Lage, Strukturreformen durchzuführen! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Bundesminister! Wir brauchen eine Arbeitsplatzentsteuerung in Österreich. Auf diesem Gebiet besteht Handlungsbedarf. Wir sagen Ihnen das immer wieder. Wir haben entsprechende Anträge eingebracht. Die Anträge, die wir zuletzt eingebracht haben, haben Sie, die Regierungskoalition, jedoch in der letzten Sitzung des Finanzausschusses wieder niedergestimmt. Sie sind morgen auf der Tagesordnung, und wir werden uns darüber noch unterhalten.

Und die Bundeswirtschaftskammer – Herr Kollege Stummvoll ist leider auch nicht da – hat fleißig mitgeholfen. Die Kammerumlagen sind erhöht worden. Maderthaner und Stummvoll sind unehrlich zu den Unternehmern. Sie beklagen sich bei Kammerveranstaltungen immer wieder darüber, wie unerträglich es ist, daß die Unternehmer laufend belastet werden. Aber sie beschließen jede Belastung hier in diesem Hohen Haus mit – ohne Rücksicht auf die Unternehmer! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Bundesminister! Wir brauchen in Österreich eine Standortverbesserung, und dafür müssen wir die Rahmenbedingungen schaffen. Wir müssen die Lohnnebenkosten senken, wir müssen die Eigenkapitalbildung hier in Österreich in stärkerem Maß, als es jetzt möglich ist, ermöglichen. Wir brauchen eine EU-Angleichung im Steuerrecht, wir brauchen Verfahrenskonzentrationen, wir brauchen Verfahrenserleichterungen, wir brauchen den Ausbau der Telekommunikation in Österreich, und wir müssen Privatisierungen vorantreiben. – All das bedeutet viel Arbeit, die erledigt werden muß, damit auch solche Fälle wie Semperit vermieden werden können.


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Ich möchte daher einen Entschließungsantrag über Maßnahmen zur Rettung der Semperit Reifen AG und der übrigen österreichischen Kfz-Zulieferindustrie einbringen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dipl.-Ing. Prinzhorn und Kollegen

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, zur Rettung der Semperit Reifen AG und der übrigen österreichischen Kfz-Zulieferindustrie folgende Maßnahmen zu setzen:

1. Aufnahme von Verhandlungen mit der EU, um im Rahmen von Förderungsprogrammen die Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Semperit wieder an den Standort Traiskirchen zurückstellen zu können.

2. Im Fall negativer Verhandlungsergebnisse mit dem Continental Konzern Ausrüstung sämtlicher in Österreichs öffentlicher Wirtschaft und Verwaltung eingesetzter Kfz (bei Neukauf beziehungsweise Ersatzkauf) mit Produkten anderer Hersteller.

3. Vorbereitung von Klagen gegen den Continental Konzern zwecks Rückzahlung an den Konzern ausbezahlter Förderungsmittel in Höhe von 1,2 Milliarden Schilling, wegen vereinbarungswidriger vorzeitiger Absiedlung wesentlicher Teile der Semperit Reifen AG ins Ausland.

4. Aufnahme von Verhandlungen mit den zuständigen staatlichen Stellen und der Kfz-Industrie in Japan, um den Absatz österreichischer Produkte und der Kfz-Zulieferindustrie wieder anzukurbeln.

5. Anhebung der NOVA für Kfz japanischer Provenienz im Falle negativer Verhandlungsergebnisse mit den japanischen Partnern.

*****

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bitte Sie wirklich, diesem Entschließungsantrag zuzustimmen, damit noch irgend etwas Positives in Sachen Semperit erreicht werden kann. Wir müssen weitere derartige Entwicklungen und Betriebsschließungen oder Absiedlungen verhindern.

Herr Bundesminister! Sie sind gefordert! Wir erwarten von Ihnen Handlungen! Wenn Sie diese Handlungen nicht setzen, dann werden wir Sie und Ihre Regierungskollegen wie bisher vorantreiben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

21.53

Präsident Dr. Heinz Fischer: Der vorgetragene Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht in Verhandlung.

Am Wort ist Herr Abgeordneter Dr. Fuhrmann. – Bitte sehr.

21.53

Abgeordneter Dr. Willi Fuhrmann (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren des Hohen Hauses! Wir diskutieren heute die dringliche Anfrage der FPÖ betreffend Semperit – Ende eines traditionsreichen österreichischen Unternehmens. – Das ist der Titel der Anfrage.

Wir diskutieren also, meine sehr geehrten Damen und Herren, über die Zukunft von rund 2 400 Beschäftigten dieses Betriebes. Wir diskutieren über die Zukunft von rund 7 000 Menschen, die familiär mit diesen 2 400 Beschäftigten verbunden sind. Wir diskutieren über das weitere wirtschaftliche Schicksal von rund 3 000 Zulieferbetrieben. Wir diskutieren aber auch über die Zukunft der anerkannten Sozialgemeinde Traiskirchen, die natürlich durch diesen Standort der


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Firma Semperit in der Lage ist, Leistungen für ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger zu erbringen, die sie nicht erbringen könnte, wenn dieser Standort nicht vorhanden wäre. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren ferner natürlich auch über die Zukunft einer ganzen Region, über die Frage: Wie kann sich diese Region – und es ist schon gesagt worden: der Einzugsbereich der Beschäftigten geht bis tief in das südliche Niederösterreich und teilweise sogar bis in die Steiermark – weiterentwickeln?

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir über solche Probleme in einer solchen Debatte des Hohen Hauses sprechen, dann will ich das nicht a priori als Populismus abwerten. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der FPÖ! Sie müssen aber schon erlauben, daß wir uns damit auseinandersetzen, wie ernst Sie diese Frage nehmen, ob Sie nur die Überschrift der dringlichen Anfrage so ernst und dramatisch niederschreiben oder ob Sie die Probleme auch wirklich ernst nehmen. Und dabei ist mir etwas aufgefallen, sehr geehrter Herr Kollege Prinzhorn! Sie haben bei der Begründung dieser dringlichen Anfrage 21 Minuten lang geredet. In diesen 21 Minuten haben Sie sich genau 4 Minuten mit Semperit befaßt, während Sie 17 Minuten durchaus interessanten, diskussionswürdigen und durchaus in einer Debatte ernstzunehmenden wirtschaftspolitischen und wirtschaftlichen Fragen gewidmet haben, aber nicht jedoch Semperit. (Abg. Böhacker: Das kann man doch nicht trennen!)

Dieses Mißverhältnis, Herr Abgeordneter Prinzhorn, resultiert vielleicht aus der gleichen Mentalität, aufgrund welcher Ihnen hier an diesem Pult auch eine Freudsche Fehlleistung unterlaufen ist. Sie haben nämlich einmal gesagt: Wir Unternehmer haben einen Antrag eingebracht. – Sie haben gemeint: Ihre Fraktion, die FPÖ, hat einen Antrag eingebracht. (Zwischenruf des Abg. Meisinger .)

Ich frage mich daher, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wie ernst nimmt die Fraktion, deren dringliche Anfrage wir heute abend diskutieren, das Schicksal dieses Betriebes und das Schicksal von 2 400 Beschäftigten, wenn der Anfragebegründer sich nur 4 von 21 Minuten mit diesem gefährdeten Unternehmen befaßt? – Ich frage mich und Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren des Hohen Hauses: Wie ernst nimmt es denn die FPÖ, die diese dringliche Anfrage eingebracht hat?

Herr Kollege Dr. Haider! Wird es Ihnen nicht schon schön langsam unangenehm, daß Ihre Fraktion hier zunehmend den Eindruck erweckt wie die Zuhörer, die Sie sonst in Wirtshäusern und Bierzelten haben, daß Sie nämlich andere niederschreien, dreinplärren, nicht zuhören und andere keine Argumente entwickeln lassen? (Abg. Mag. Stadler: Niemand stört Sie!) Mir scheint, diese Fraktion, Herr Dr. Haider, "verstadlert" zunehmend. Seitdem nämlich Ihr Statthalter hier ist ... (Abg. Dr. Haider: Wer hat Sie jetzt gestört?) Die da hinten schreien ununterbrochen drein! Sie werden mich jedoch nicht davon abbringen, Ihnen das zu sagen, was ich mir zu sagen vorgenommen habe! (Beifall bei der SPÖ.)

Daher drehe ich Ihnen jetzt einmal die Schulter zu, nämlich die kalte Schulter! Ich werde Ihnen weiter diese Frage stellen (Abg. Dr. Haider: Sie haben die falsche Rede vorbereitet, denn es hat Sie niemand gestört!): Wie ernst, meine sehr geehrten Damen und Herren von der FPÖ, nehmen Sie es mit dem Schicksal dieses Betriebes und mit dem Schicksal der Mitarbeiter dieses Betriebes?

In den vergangenen Tagen und Wochen haben es viele aus dem politischen Leben Österreichs wirklich ernst mit Semperit gemeint. Viele machen sich wirklich Sorgen um diesen Betrieb, die Mitarbeiter dieses Betriebes und um diese Region. Viele haben sich damit befaßt, haben Gespräche geführt und Konferenzen abgehalten. – All das hat selbstverständlich auch medial einen sehr, sehr starken Niederschlag gefunden.

Nun sehe ich die Sachlage so: Plötzlich mußte gestern in der Nacht oder vielmehr heute in den Morgenstunden, nach Ende des Plenums, in einer Fraktionssitzung der FPÖ schnell eine dringliche Anfrage für den heutigen Sitzungstag vorbereitet werden. Und plötzlich erscheint heute Klubobmann Haider, der Parteichef der FPÖ, bei Semperit, um dort präsent zu sein, nicht, um Wurstsemmeln zu essen, und auch nicht, um Reifen zu kaufen, sondern – wie hat er heute


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gesagt? –, um mit den Mitarbeitern zu reden. Und die Mitarbeiter waren angeblich sehr interessiert, als er ihnen verschiedenes gesagt und ihnen verschiedene Verträge vorgelegt hat.

Stimmt leider nicht: Der Herr Dr. Haider hat es überhaupt nicht für notwendig gefunden, mit den Mitarbeitern dieses Betriebes Kontakt aufzunehmen. Er hat es überhaupt nicht für notwendig gefunden, die Vertreter der Mitarbeiter dieses Betriebes zu einem Gespräch einzuladen. Er hat sich den Generaldirektor des Unternehmens eingeladen und hat es nicht für notwendig gefunden, mit der Belegschaftsvertretung auch nur zu versuchen, ins Gespräch zu kommen, sie zu fragen, wie sie die Sache sieht. (Abg. Dr. Krüger: Woher wissen Sie das?) Ich weiß es, weil ich mit den Leuten geredet habe, weil ich mit diesen Leuten, Herr Kollege Krüger, seit Wochen, ja seit Monaten in Kontakt bin.

Daher weiß ich auch, wie das heute abgelaufen ist: Er hat es überhaupt nicht probiert, mit ihnen zu reden. Und dann stellt er sich da her und sagt, die waren interessiert daran, was er ihnen vorgelesen hat und was er ihnen für Verträge vorgelegt hat.

Er hat sie nicht einmal ignoriert! Dann ist er dort gestanden und hat versucht, mit ein paar Leuten von der Straße Kontakt aufzunehmen. (Abg. Dr. Partik-Pablé: Aber es gibt ein Foto davon in der "Presse"! Schauen Sie nach! – Abg. Mag. Stadler , auf ein Bild in der "Presse" weisend: Schauen Sie! Sie sind schon ertappt!)

Meine Damen und Herren! So ernst scheint es Ihnen – zumindest dem Abgeordneten Haider – um das Schicksal dieser Menschen, um das Schicksal dieser Region nicht zu sein, wie er in seiner heutigen Rede versucht hat, uns glauben zu machen. (Abg. Dr. Partik-Pablé: Herr Abgeordneter Fuhrmann! Schauen Sie her! Da ist ein Foto, wie der Jörg Haider mit den Arbeitern redet!)

Und noch etwas, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe sehr genau zugehört, weil ich im Interesse all derer, um die es geht, im Interesse all der Schicksale, die damit verbunden sind, sehr daran interessiert bin, gute Vorschläge, gute Ideen, gute Anregungen aufzunehmen und zu versuchen, mit anderen, die das ernst nehmen, auch zu verwirklichen. Und da möchte ich dem Kollegen Van der Bellen meinen Respekt aussprechen. Seine Ausführungen dazu kann man hundertprozentig unterstreichen. Sein Strategieszenario ist ein korrektes und richtiges, und ich gehe davon aus, daß das auch der Abgeordnete Haselsteiner aus seiner – und das ist jetzt durchaus nicht abwertend gemeint; ich bin selber ein kleiner Unternehmer, ein Freiberufler – Kapitalisteneinstellung, aus seiner Unternehmereinstellung heraus teilen können wird.

Man muß der Führung der Firma Conti den Schließungspreis so teuer zu machen versuchen, daß man diese Schließung, diese Verlagerung auch nach den Kriterien, die der Vorstand der Firma Conti für richtig hält – ob wir das jetzt goutieren oder nicht –, zu teuer machen. Es darf sich für Conti nicht auszahlen. (Beifall bei der SPÖ und bei den Grünen. – Abg. Dr. Partik-Pablé: Da ist das Foto, wo der Jörg Haider den Leuten das sagt!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Und all diejenigen, die sich in den vergangenen Wochen und Monaten um die Sorgen der Semperitler wirklich gekümmert haben – der Fritz Verzetnitsch, der Willi Fuhrmann, der Erwin Pröll, der Ernest Gabmann, der Viktor Klima, der Franz Hums, der Heinz Fischer, um nur einige aufzuzählen, die dort waren –, waren nicht mit einem Fernsehteam dort, und sie haben auch ihren Besuch nicht auf Plakaten angekündigt. Sie aber haben vorher plakatiert: Der Jörg Haider kommt! Wir haben nicht plakatiert, daß wir hinkommen. (Abg. Dr. Partik-Pablé: Ihr habt die Betriebsräte ausgeschickt!) Wir sind hingegangen und haben mit den Leuten von der Belegschaft und von der Betriebsführung geredet: Wo liegt das Problem? Wie kann man euch helfen? (Abg. Mag. Stadler: Da ist auch viel herausgekommen! Er ist unterm Tisch versunken, der Grünberg! Der fürchtet sich jetzt!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Strategie ist ja schon seit langem, zum Beispiel einstimmig auch im Niederösterreichischen Landtag, beschlossen worden. Noch vor wenigen Tagen haben wir miteinander geplaudert und waren der Meinung, daß die Angelegenheit Semperit von allen politisch relevanten Kräften dieses Landes doch als eine solche erkannt worden


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zu sein scheint, wo es sich nicht auszahlt, wo es nicht dafürsteht, schnellen politischen Erfolg zu suchen, schnell vielleicht irgendwo ein paar auf seine Seite zu bringen.

Wir sind der Auffassung gewesen – auch aufgrund des einstimmigen Entschließungsantrages im Niederösterreichischen Landtag, wo die FPÖ-Abgeordneten mitgestimmt haben –, daß wir da einmal etwas haben, wo es sich auch die FPÖ versagt, demagogisch zu agieren. Die niederösterreichischen Landtagsabgeordneten und der niederösterreichische Landesrat der FPÖ haben da in Verantwortung für die Beschäftigten dieses Werkes, für dieses Werk, für die Region an einer ordentlichen politischen Vorgangsweise mitgewirkt.

Das hat aber nicht lange gehalten, denn wir haben heute etwas anderes erlebt. Wobei ich aber noch einmal sage: Ich beschwere mich nicht darüber, daß wir diesbezüglich eine dringliche Debatte führen. Das ist ein Thema, wo man das durchaus machen kann. Nur, meine sehr geehrten Damen und Herren, sich da herstellen und jetzt plötzlich so zu tun, als ob einem über das Schicksal dieser Menschen dort das Herz bräche, als ob die "böse" Regierung und die "bösen" anderen, alle miteinander, diese Leute dort verraten, verkauft und vergessen hätten, und so zu tun, als ob es in dieser Republik nur einen Erlöser für die Armen und Geknechteten und Verratenen und Verkauften gäbe – und die Partik-Pablé kann mir noch soviel dreinschreien, ich werde trotzdem weiterreden –, und das sei der Haider (demonstrativer Beifall bei den Freiheitlichen) , das ist nicht richtig, weil das, was Sie da sagen, ganz einfach nicht stimmt, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Ich sage Ihnen: Wir werden die Vorstände dieses Unternehmens und die Mitarbeiter dieses Unternehmens mit den bereits im Einvernehmen mit der Firmenleitung und Belegschaftsvertretung geplanten Schritten weiterhin vertreten. Wir werden alle Optionen überprüfen – aber, bitte schön, verantwortungsbewußt überprüfen. Wir werden zuerst schauen, daß wir den Preis der Schließung zu hoch machen, daß die Unternehmensleitung Conti einsieht, daß es unsinnig und unökonomisch ist, ein so gut funktionierendes und im übrigen – Herr Abgeordneter Prinzhorn, nicht so, wie Sie in Ihrer Anfrage schreiben, ein heruntergewirtschaftetes Werk – das modernste Werk in ganz Europa – es ist auf dem letzten technischen Stand – zu einer Schließung zu treiben.

Wenn das nicht funktionieren sollte, wird man sich anderes zu überlegen haben; da gibt es Optionen, Management-Buyout mit Unternehmen und so weiter. (Abg. Dr. Partik-Pablé begibt sich zum Sitzplatz des Abg. Dr. Fuhrmann, um ihm das von ihr in Zwischenrufen mehrmals erwähnte Foto hinzulegen.) Ja, tänzeln Sie nur herum! Ich habe nur mehr eine halbe Minute und lasse mich von Ihnen da jetzt nicht ablenken.

Wir werden all diese zur Verfügung stehenden Optionen, die von den seriösen Rednerinnen und Rednern heute schon angeführt worden sind, sehr genau, mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, prüfen und selbstverständlich verfolgen. Aber das einzige Rezept, das wir von Ihnen (auf die Freiheitlichen weisend) bis jetzt gehört haben, war: Klagen! Klagt die Conti auf die 1,2 Milliarden Schilling! Auf diese Weise könnte man wahrscheinlich tatsächlich erreichen, daß der Betrieb gesperrt wird. (Abg. Mag. Stadler: Und das ist ein Rechtsanwalt! Das sagt ein Rechtsanwalt!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir werden, wenn alle Stricke reißen, wenn es notwendig sein sollte, Conti mit einem Prozeß zu überziehen, alle diese Möglichkeiten ergreifen. (Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.) Aber – ich bin schon beim Schluß, Herr Präsident – wir werden das alles mit Vernunft angehen und nicht auf vordergründigen, kurzfristigen politischen Vorteil hinschielen, weil wir zum Unterschied von Ihnen nicht die Maxime vertreten, daß politisches Kleingeld nicht stinke. Aber Sie, so scheint mir, haben doch irgendwo ein bißchen einen Ansatz in diese Richtung. (Beifall bei der SPÖ.)


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35. Sitzung / Seite 201

22.09

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Abgeordneter Haider gemeldet. Es wird der berichtigte Sachverhalt dem zu berichtigenden gegenübergestellt.

22.09

Abgeordneter Dr. Jörg Haider (Freiheitliche): Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Der Kollege Fuhrmann hat behauptet, daß ich heute keinen Kontakt mit den Mitarbeitern des Unternehmens genommen habe. – Wörtliches Zitat.

Das ist unrichtig. (Abg. Dr. Partik-Pablé: Er hat schon das Foto gesehen!) Wir haben ihm bereits eine Tageszeitung zur Verfügung gestellt, wo auch ein Foto der Diskussion des freiheitlichen Parteiobmannes mit den Arbeitnehmern von Semperit zu sehen ist. Damit ist, glaube ich, auch klar, daß seine Behauptung unwahr gewesen ist. – Punkt eins.

Punkt zwei: Er hat gesagt, wir hätten nicht einmal die Belegschaftsverteter eingeladen. Ich habe bei Beginn des Gespräches mit dem Direktor Kraus gebeten, den Betriebsratschef miteinzuladen. Direktor Kraus hat dort vor Zeugen gesagt, er hat ihn eingeladen, aber der Betriebsratschef hat ihm mitgeteilt, er fühlt sich von uns nicht eingeladen und wird nicht erscheinen. (Abg. Parnigoni: Das ist ein gescheiter Mensch! – Weitere Zwischenrufe.)

Sie haben gesagt, wir haben plötzlich das Interesse an Semperit entdeckt. Das ist ebenfalls falsch, Herr Kollege Fuhrmann. Ich habe hier einen Brief vom 5. Dezember 1995 in Händen, den der Zentralbetriebsrat, die Herren Neubauer und Böheimer, von der Firma Semperit an mich gerichtet haben, in dem es heißt, daß sie wohlwollend zur Kenntnis nehmen, daß ich in der TV-Konfrontation mit Herrn Vizekanzler Dr. Schüssel die Situation der Semperit-Arbeiter nach dem EU-Beitritt dargestellt habe. Es ist richtig, heißt es in diesem Brief weiter, daß durch den Wegfall spezieller Zollabkommen ein Exportrückgang nach Japan um 48 Prozent in unseren Aufträgen zu verzeichnen ist.

Das heißt also, ich habe vor Monaten bereits eine Anerkennung für meinen Einsatz für die Semperit-Arbeiter durch ein Schreiben des Zentralbetriebsrates erhalten. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

22.11

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Firlinger. – Redezeit 15 Minuten. (Abg. Dr. Partik-Pablé: Sie sollten sich jetzt entschuldigen, Herr Dr. Fuhrmann! Ich würd’ mich entschuldigen, auch wenn’s schwerfällt!)

22.12

Abgeordneter Mag. Reinhard Firlinger (Liberales Forum): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Die Problematik Semperit kann man immer von mehreren Seiten angehen und versuchen, einen individuellen Zutritt zu finden. (Abg. Dr. Graf: Wie nehmen Sie’s?) Das werden Sie gleich hören, Herr Kollege. Das werden Sie gleich hören.

Ich möchte an das anknüpfen, was Kollege Haselsteiner eingangs gemeint hat. (Abg. Mag. Stadler: Wie nehmen wir ihn denn? – Heiterkeit bei den Freiheitlichen. – Abg. Parnigoni: Das ist aber lustig! Ein Würsteltheater!) Lassen wir doch den Stadler! Lassen wir doch den Stadler! Er unterbricht gerne, das wissen wir.

Ich möchte also anknüpfen bei dem, was Kollege Haselsteiner zu Beginn seiner Rede ausgeführt hat. Das Problem ist nicht ein Problem von heute, nicht ein Problem der letzten zwei, drei Jahre, sondern – und das muß ich auch an die Adresse der sozialdemokratischen Fraktion sagen – das Problem ist wirklich in den frühen achtziger Jahren schlagend geworden, meine Damen und Herren. Ich erinnere nur daran, daß es in dieser Zeit einen Aufsichtsratspräsidenten der Creditanstalt namens Dr. Hannes Androsch gegeben hat. Dieser sah sich mit der Aufgabe konfrontiert, einen notleidenden Industriekonzern als Bestandteil der CA-Gruppe zu sanieren. – Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich war selbst zehn Jahre lang Mitarbeiter in einem CA-Unternehmen und weiß auch, wie es damals bei Semperit zugegangen ist: 488 Millionen Schilling Defizit, Bilanzverlust! Das war die Horrormeldung, die damals Androsch und Leibenfrost nach außenhin verkündet haben. 488 Millionen Schilling – immerhin kein Pappenstiel – nach 322 Millionen Schilling Verlust im Jahr zuvor.


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Und so hatte Generaldirektor Androsch nicht nur für die CA-Gruppe ein Problem zu lösen, sondern auch ein persönliches, denn er hat den Auftrag erhalten, diesen Konzern zu sanieren.

Und was bietet sich in so einem Fall an? – Semperit teilen, Partnersuche, Verluste minimieren, Verlustbringer wegbringen, zu verkaufen, ohne lange herumzufackeln, herschenken, und damit das Herschenken noch attraktiver ist, noch etwas draufsetzen; Investitionsprämien und so weiter.

Das wurde gemacht – das wissen wir –, und das ist der Ausgangspunkt.

Dr. Androsch konnte aber das Problem nicht alleine lösen, er hat sich an seine Freunde wenden müssen – in der SPÖ in erster Linie, auf Landes- und auf Bundesebene –, um ihm die 1,2 Milliarden Schilling, die man dann an das Unternehmen transferiert hat, in Tranchen zu ermöglichen.

Im nachhinein muß man natürlich schon die Frage erheben: War das gescheit? War das Industriepolitik oder war das eine temporäre Arbeitsplatzgarantie? War das ein Ersatz für die Inanspruchnahme eines Insolvenz- oder Arbeitslosenfonds und all diese Dinge?

Man muß sich auch fragen, ob damals die Verträge auch richtig verhandelt worden sind, ob damals mit dem Management Klartext gesprochen wurde, ob, wie man auf "deutsch" so schön sagen würde, "Tacheles" gesprochen wurde mit dem Conti-Management. – Ich glaube nicht.

Mein Eindruck ist, daß man das Unternehmen sehr, sehr schnell verkaufen wollte und ein Problem sehr, sehr schnell loswerden wollte. Und da hat man nach meinem Dafürhalten nicht gefragt: Was wird in zehn Jahren mit dem Standort sein? Was wird sein mit den Forschungsaktivitäten? Was wird sein mit der Marke? Man war, glaube ich, großzügig, und ich glaube auch, daß man das eine oder andere übersehen hat.

Meine Damen und Herren! Viele Indizien deuten also darauf hin, daß man die Standortsicherung vielleicht nicht mit dem notwendigen Ernst betrieben hat, mit jenem Ernst, wie man vermutet hätte und wie man ihn sich vielleicht auch von der Politik erwartet hat.

Mir geht allerdings in der Diskussion auch eines ab: daß der Aufschrei rechtzeitig gekommen wäre. Als es etwa darum ging, die Fahrradreifen-Produktion einzustellen, war kaum ein Aufschrei da. Man hat gesagt, man bedauere, es sei schwierig, die Märkte hätten sich geändert, es seien Überkapazitäten da, es rentiere sich nicht. – Fertig.

Man hat auch kaum geschrieen, als sich der nächste Schritt abgezeichnet hat, meine Damen und Herren, als es in Richtung Zurücknahme der F-&-E-Abteilung am LKW-Reifensektor ging.

Man hat dann schon etwas lauter geschrieen, als es darum ging, die Forschungsaktivitäten im PKW-Reifenbereich nach Deutschland zu transferieren, aber das Schreien war deshalb nicht so laut, weil immerhin damit auch das Angebot des Conti-Managements verbunden war, die Entwicklungsingenieure in Deutschland weiterzubeschäftigen.

Ich möchte nur versuchen, hier auch etwas zu objektivieren und nicht immer nur schwarzweißzumalen. – So weit, so gut. Oder – wenn Sie wollen –: So weit, so schlecht.

In der Zwischenzeit hat sich auf der Produktivitätsseite natürlich einiges getan. Immer weniger Werke mit immer weniger Beschäftigten produzieren aufgrund eines gigantischen Technologieschubes und aufgrund getätigter Rationalisierungsinvestitionen immer mehr Reifen – das ist eine Tatsache –, und daraus entstehen Überkapazitäten und ein enormer Wettbewerb. Das kann auch hier herinnen niemand leugnen. An dieser Tatsache kann das Conti-Management nicht vorbeigehen, kann der Abgeordnete Haider nicht vorbeigehen, kann der Kollege Verzetnitsch nicht vorbeigehen, auch wenn er meint, das, was sich hier alles abgespielt hätte, sei Zeichen und Markenbegriff für Kapitalismus pur.


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35. Sitzung / Seite 203

Aber für mich, meine Damen und Herren, steht das Conti-Management – und das muß ich schon auch sagen – im Lichte einer schiefen Optik. Mag sein, daß die Verträge schlampig erstellt worden sind, mag sein, daß sich das Conti-Management nicht an alles gehalten hat, was vertraglich vereinbart wurde. Es mag aber auch durchaus sein, daß das eine oder andere übersehen wurde, und daß daher jetzt das Unternehmen heute aus seiner Sicht das Beste zu versuchen glaubt.

Ich glaube aber, daß diese schiefe Optik aus mehreren Gründen entstanden ist. Ich persönlich habe die Vermutung, daß man jetzt auf seiten des Conti-Managements durch diesen Transfer nach Tschechien versucht, diese Art des Förderungstourismus in Tschechien nochmals zu wiederholen, versucht, ganz schnell noch, im letzten Abdruck, bevor die Tschechische Republik der Europäischen Union beitritt, noch einmal ähnliche Aufbauförderungen zu erreichen.

Auch das – kann man sagen – ist noch legitim, wenn nicht auf der gleichen Seite den Österreichern doch relativ übel mitgespielt werden würde. Denn die Absichten sind schon leicht zu durchschauen: Auf der einen Seite stehen 3,5 Milliarden an Schließungskosten, die das Unternehmen bedrohen, auf der anderen Seite versucht man jetzt durch diese Salamitaktik, durch dieses scheibchenweise Abschneiden der Produktion und der Entwicklungsaktivitäten eine billige Variante zu finden, daß man die 3,5 Milliarden Schilling nicht zahlen muß, wenn es wirklich ans Eingemachte geht, ans unternehmerisch Eingemachte geht und ein Standort fallen muß.

Ich persönlich glaube, daß diese Entscheidung falsch wäre, und zwar nicht nur volkswirtschaftlich falsch, nicht nur rechtlich falsch, sondern auch betriebswirtschaftlich falsch. (Beifall beim Liberalen Forum.)

Warum, meine Damen und Herren? – Alle haben gewußt, daß Semperit ein teurer Standort ist, aber ein Standort mit Qualität, mit Qualitätsbewußtsein, mit einem hochwertigen Produkt. Alle haben gewußt, daß Semperit in Traiskirchen Reifen teurer als in den Billiglohnländern Europas, teurer als in Osteuropa produziert, aber billiger als in Deutschland, billiger als in England, billiger als in etlichen anderen Hochlohnländern Europas. Alle wissen, daß in Traiskirchen die Qualität vergleichbar ist mit jener in Deutschland. Daher: Wenn schon Überkapazitäten auf diesem Markt vorhanden sind, dann wäre es doch auch aus unternehmerischer Sicht sinnvoll, zunächst die allerteuersten Kapazitäten zu reduzieren. Die allerteuersten Kapazitäten stehen aber in Deutschland. Und das schaue ich mir an, ob es Herr Grünberg politisch durchsteht, ob er es im Heimatland Deutschland angesichts der politischen Lobby in Deutschland durchsteht, dort einen Standort zu schließen. Also geht man den bequemeren Weg – oder versucht es zumindest –, das in Österreich zu tun. Ich glaube nicht, daß das für einen international tätigen Konzern gescheit ist (Abg. Dr. Graf: Kollege Haselsteiner meint aber etwas anderes!) , aber wenn die Herren glauben, sie müssen das probieren: Ich glaube, die österreichische Politik weiß sich zur Wehr zu setzen.

Meine Damen und Herren! Wir können durch Rundumschläge Überkapazitäten und wirtschaftliche Probleme nicht abbauen, nicht beseitigen. Wir können auch die verlorengegangene Marke für Österreich, für dieses Werk in Traiskirchen nicht herbeizaubern. Es wird schwierig sein – ich glaube nicht, daß es so leicht möglich ist, wie die Freiheitlichen in ihrem Antrag angekündigt haben –, den Österreichern sozusagen zu ihrem Recht zu verhelfen, aber es müssen alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergriffen werden, und der Bogen dieser Möglichkeiten ist weitgespannt.

Meine Damen und Herren! Dieser Bogen reicht von einem regelrechten Interventionskonzert bei den führenden Wirtschaftskapazundern in Deutschland, bei Bangemann in der Europäischen Union bis hin auch zur Prüfung einer Variante, den Standort mit Hilfe des internationalen Kooperationspartners und Beteiligungspartners zu halten. Und das erscheint mir wesentlich. Das wäre eine der letzten Maßnahmen, die man ernsthaft prüfen muß.

Aber allein, sozusagen in einer Art Wiederverstaatlichung, und dann haben wir das alte Desaster wieder und noch dazu keine Marke mehr, meine Damen und Herren, wird es nicht gehen.


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Es wäre gegangen, hätte man nicht seinerzeit den Fehler gemacht, sozusagen das Werk zu verkaufen, so nach dem Motto: Freunde, hinter mir die Sintflut! Denn dieser Gedanke stand im Vordergrund, als Androsch das Problem lösen wollte. Es wäre dann gegangen, wenn man die Marke nicht mitverkauft hätte, sondern sozusagen den Verkauf an die Erhaltung des Standortes gebunden hätte. – Eine Maßnahme, die im internationalen Geschäft und bei solchen Transfers immer wieder vorkommt und von anderen Unternehmen mit Erfolg betrieben wird. Nur in Österreich hat man leider darauf vergessen, oder man wollte es, um das Problem noch schneller zu lösen, einfach nicht tun.

Meine Damen und Herren! Was will ich damit sagen? Es gibt Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen. Ich sehe keinen Grund, dauernd schwarzweißzumalen. Ich sehe aber auch keinen Grund – das muß ich Ihnen sagen, Herr Bundesminister –, das Management mit Glacéhandschuhen anzupacken, wie Sie das unlängst in der "ZiB 2" getan haben, sondern wir müssen hier alle politischen Kräfte, die ein Interesse daran haben, diesen Standort zu retten, mit sachlich fundierten Maßnahmen gewinnen und alles in Bewegung setzen, um diese wichtige Industrieregion zu retten, um einen dauerhaften Schaden abzuwehren. – Das ist unsere Antwort. (Beifall beim Liberalen Forum.)

22.25

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Prinzhorn. Er hat das Wort.

22.25

Abgeordneter Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Minister! Sie sind hier sicherlich im Regen stehengelassen worden, Herr Minister, und ich habe keinen Anlaß – weder aus der Vergangenheit noch aus der Gegenwart –, Sie besonders in Schutz zu nehmen. Man sollte Ihnen aber die 100 Tage wirklich einräumen. Es trägt aber das Ganze natürlich sehr stark eine Handschrift, die Sie in den letzten 30 Jahren, vor allem aber in den letzten zehn Jahren, mitgeprägt haben, eine Handschrift, die letztlich auch Ihre Kollegen mitgeprägt haben.

Tatsache ist, daß dieses Unternehmen Semperit eine Kombination aus einer ÖVP-Wirtschaftsriege, die ursprünglich – da hat der Abgeordnete Firlinger ganz recht – von der CA gekommen ist und dann über Androsch, also die SPÖ, gegangen ist. Und ich sage noch einmal: Es war ganz sicherlich Treichl derjenige, der dieses Unternehmen in keinster Weise auf die Zukunft vorbereitet hat. Er hat sich immer nur auf seinen politischen Hintergrund abgestützt.

Herr Präsident Verzetnitsch! Ich war ja mit Ihrem Chemiearbeitergewerkschafter Teschl und mit dem Abgeordneten Kaiser in derselben Gewerkschaft, und ich bin ein paar Kilometer von Traiskirchen weg. Also ich maße mir da schon ein Urteil an. Und mein väterlicher Freund, Generaldirektor Röker von Semperit, hat mir am Beispiel Semperit viele Nachhilfestunden gegeben, wie man es nicht machen soll.

Und ich sage Ihnen, es gibt hier eben diese zwei Aspekte: Eine Ursache sind die wirtschaftspolitischen Verfehlungen über Jahrzehnte, aber die zweite Ursache – glauben Sie mir das! – liegt in den EU-Verhandlungen. Und da kann ich dem Herrn Abgeordneten Haslinger – Haselsteiner, Verzeihung! – nicht ganz recht geben. Das Produkt Kfz ist ein politisches Produkt. Japan ist ein Markt, der nicht so funktioniert wie Amerika. In Japan werden Repressalien, Repressionen – wie immer Sie das nennen – im gegenseitigen Warenverkehr seit Jahrzehnten gepflegt. Das ist eine Kultur, möchte ich fast sagen. Und daher bin ich der Meinung, daß ein Intervenieren, das ich sonst grundsätzlich ablehne, dort sehr wohl Stand der Kultur ist, Stand der Industrie- und Handelskultur. Es war ja auch der Wirtschaftsminister drüben und hat Dinge verhandelt, die alle nicht halten.

Und jetzt sage ich: Wir haben sehr wohl noch eine Möglichkeit – und das werden wir ja in unseren Anträgen auch begründen –, das gutzumachen. Ich glaube, bei dieser sachlichen Argumentation müssen wir beide uns treffen, denn uns – und dem Herrn Parteiobmann Dr. Haider – geht es in erster Linie jetzt um Arbeitsplätze. Ich bin in erster Linie Unternehmer – trotz Freudscher Fehlleistung, die mir Herr Fuhrmann unterstellt hat. Ja, ich bin in erster Linie


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Unternehmer und bin stolz darauf, daß ich auch sehr viel zu den Steuern beitrage, aus denen dieses teure Parlament bezahlt wird. Daher, glaube ich, habe ich ein Recht, auch als Unternehmer dazu Stellung zu nehmen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Und ich sage Ihnen: Die Routine, die uns bei den EU-Verhandlungen gefehlt hat – nicht nur gegenüber Drittländern und deren Absicherung –, hat uns ja auch gefehlt gegenüber anderen Bereichen wie dem Transitbereich und dem Agrarbereich.

Und wenn der Herr Abgeordnete Fuhrmann sagt, ich habe nur 4 Minuten von 21 zu Semperit gesprochen, dann muß ich ihm leider unterstellen – werden Sie jetzt sagen –, daß er mich nicht verstanden hat. Das ist nämlich ein und dasselbe Thema. Ob das Semperit ist, die Staatsdruckerei oder die EU-Verhandlungen: Das ist das Thema Semperit. Das führt aber bei mehreren Firmen zum selben Erfolg, nämlich zum Verlust von Arbeitsplätzen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Und wenn dann auch noch ein Lieferant wie Glanzstoff und Semperit wegen des Widerstandes der Chemiearbeitergewerkschaft seine Arbeitsplätze nicht hier aufbaut, sondern in anderen Ländern, weil er an Kollektivvertragsverhandlungen mit Ihnen scheitert, dann, muß ich sagen, sind das schon wieder 180 Plätze in St. Pölten, die aufgrund der starren, verkrusteten Haltung, die sie an den Tag gelegt haben, verlorengehen.

Dort lag die letzten 20 Jahre auch bei Semperit der Hase im Pfeffer. Jetzt machen Sie alles auf im Fall Hallein und sagen: Alles ist möglich. – Ich meine: Es ist zu spät, Herr Präsident! Wir laufen unserem Glück hinterher! (Abg. Verzetnitsch: Kennen Sie die Löhne bei Glanzstoff?)

Der Vorschlag wäre gewesen, daß es dort zwei Kollektivverträge gibt: einen für die Chemiearbeiter und einen für die Textilfertigung. Aber diese Flexibilität haben Sie nicht und daher werden Sie weiterhin Arbeitsplätze verlieren, bis Sie diese Flexibilität erreicht haben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Wir bringen einen Entschließungsantrag, der von vielen der Vorredner gewürdigt wurde, weil er auch Rahmenbedingungen enthält.

Zum ersten sollen Verhandlungen mit der EU aufgenommen werden, um im Rahmen von Förderungsprogrammen unsere ohnedies schon sehr niedrige Forschungs- und Entwicklungsquote von 1,5 Prozent, die man ohne weiteres mit dem Europaprogramm etwas aufstocken kann, in Österreich zu verbessern. Das können wir Conti schmackhaft machen und sagen: Wir betreiben eine Vorwärtsstrategie!

Die Iren haben das mit Conti so gemacht, und was die Iren können – sie sind nämlich keine Irren, sondern Iren – das können die Österreicher auch! Das wäre gar nicht so schlecht!

Zweiter Punkt: Im Falle negativer Verhandlungsergebnisse mit dem Continental-Konzern soll die Ausrüstung sämtlicher in Österreich in der öffentlichen Wirtschaft und Verwaltung eingesetzten Kfz, bei Neukauf und Ersatzkauf, mit Produkten anderer Hersteller vorgenommen werden. – Dazu möchte ich Ihnen sagen: Einerseits sagen Sie, daß wir jetzt nicht Verträge einfordern sollen, da Conti sonst "sauer" sein könnte, wie Ihr Herr Fuhrmann gesagt hat. Gleichzeitig äußern Sie aber Streikdrohungen und verunsichern Conti. Neubauer hat das die ganze Zeit gemacht. Da muß ich Sie fragen: Was soll denn das wieder für eine Strategie sein? Bremsen Sie jetzt etwa, damit Semperit zum Stillstand kommt? Was soll das bedeuten? (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Präsident! Versuchen wir es doch gemeinsam! Es geht doch um unser gemeinsames Geld und unsere Arbeitsplätze! Wir brauchen letztere dringend! Wir sind im weitesten Sinn auch Zulieferant, viele Betriebe dieser Region sind Zulieferer, auch meine Firmen. Versuchen wir es doch! (Zwischenruf des Abg. Verzetnitsch. ) Ich biete Ihnen immer wieder die Hand. Sie müssen nur irgendwann einmal zupacken und nicht immer die Augen vor den Problemen verschließen!


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Ein weiterer Punkt: Vorbereitung von Klagen gegen den Conti-Konzern wegen Rückzahlung der 1, 2 Milliarden. Herr Präsident! Das ist nicht sinnlos! Diese 1,2 Milliarden sind nicht verloren! Es wurde vereinbarungswidrig gehandelt. Und natürlich probiert es Conti nun. Es handelt sich hiebei um einen großen Konzern, der in allen Ländern, nicht zuletzt auch in Japan, schwimmt wie ein Fisch im Wasser. – Daher: Werfen Sie nicht die Flinte ins Korn so wie bei den EU-Verhandlungen und bei den Transitverhandlungen, als Sie Tirol oder jetzt die Bergbauern über die Klinge springen ließen.

Ermannen Sie sich, nehmen Sie sich ein Beispiel an einem Unternehmer wie mir! Ich habe auch viel riskieren müssen. Es funktioniert nicht immer. Aber ich kann Sie nur ermuntern: Tun Sie etwas! Ich habe jahrelang in Amerika gearbeitet: Man kann ohneweiters etwas riskieren! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich muß Ihnen sagen: Die Aufnahme von Verhandlungen mit den zuständigen staatlichen Stellen ist in Japan ein Kernpunkt. Das kann man mit den Japanern machen, denn die machen das selber so. Daher kann man nur sagen: Manus manum lavat, oder wie immer Sie das formulieren wollen. Denn dann sitzen die Japaner auf einmal mit uns an einem Tisch. Man muß dafür aber auch Geduld aufbringen und darf nicht gleich sagen: Es ist alles erledigt. Denn dann freuen sich die Japaner und meinen, daß wir uns schon wieder ein X für ein U vormachen lassen haben. Bringen Sie die Geduld auf! Holen Sie sich bei Herrn Stronach die entsprechenden Erfahrungen! Sie haben ihn heute zitiert. Stronach von Magna ist hierhergekommen, um einen Golfplatz und ein Schloß zu kaufen, weil er ein Nostalgiker ist. Holen Sie sich von ihm ein paar Ezzes! Das ist eine gute Adresse.

Abschließend muß ich Ihnen sagen: Die Anhebung der NOVA ist absolut diskussionswürdig gegenüber den Japanern.

Wenn Sie all das machen, dann werden die Semperit-Mitarbeiter morgen, wenn sie wieder in den Betrieb gehen, sehen, daß sie von Ihnen nicht hängengelassen wurden. Ich bin sicher, Minister Farnleitner ist bei aller Kammervergangenheit heute als Außenhandelsmann so versiert, daß er Sie in Japan unterstützen kann. Er spricht auch mehrere Sprachen. Fahren Sie gemeinsam hinüber! Sie werden sehen, daß etwas für uns drin ist, zum Wohle von uns allen. – Nichts anderes haben wir heute hier im Plenum präsentiert, und dafür sollten wir jetzt Abgeordnetem Haider dankbar sein.

Und dafür, daß er bei den Mitarbeitern dort besser ankommt als andere von uns und er dort keine Pressekonferenz einberufen mußte, sondern gleich ein paar hundert Leute gekommen sind, dürft ihr ihm doch nicht so neidig sein! (Abg. Parnigoni: Zwölf Leute sind gekommen!) Er kann das eben! Also bitte: Kein Futterneid! – Danke. – (Beifall bei den Freiheitlichen.)

22.35

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Kaufmann. Er hat das Wort.

22.35

Abgeordneter Mag. Herbert Kaufmann (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Um gleich eines vorwegzunehmen: Herr Dipl.-Ing. Prinzhorn hat etwas mehrmals betont, was ich später ohnehin sagen wollte. Nun sage ich es gleich:

Es ist für uns völlig klar, daß Förderungsgelder, wenn möglich, selbstverständlich zurückgefordert werden müssen. Am Freitag fand bei Finanzminister Klima eine Besprechung statt, bei der er gesagt hat, daß er die Finanzprokuratur damit beauftragen wird, zu überprüfen, ob eine Rückforderung möglich ist. Und die Finanzprokuratur ist eben der Anwalt des Staates. (Abg. Mag. Stadler: Sie ist ein Klub von Hofräten! – Rufe und Gegenrufe bei den Freiheitlichen und der SPÖ. – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.) Das ist bei der Finanzprokuratur richtig untergebracht. Es soll zurückgefordert werden, wenn es möglich ist, und wir werden jetzt nicht darüber streiten, wer diese Rückforderung einleitet.


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Zum zweiten, zum Kern des Problems: Ich glaube, man muß darstellen, daß Semperit als Betrieb nicht pleite ist, sondern gut dasteht. 1994 wurden 400 Millionen an Dividenden ausbezahlt, 1995 ebenfalls 400 Millionen Schilling an Dividenden. Es liegt daher nicht an den Arbeitskosten oder an den Arbeitnehmerschutzeinrichungen oder an ähnlichem, daß Semperit geschlossen werden muß, sondern der Grund muß anderswo zu finden sein.

Drittens: Es ist nur ein kleiner Teil der Wahrheit, wenn man glaubt, daß Semperit deswegen geschlossen wird, weil es keinen entsprechenden Markt mehr gibt oder weil die Japan-Geschäfte verlorengegangen sind. (Abg. Dr. Haider: 50 Prozent der Produktion!) Das ist nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Das gewichtigere Argument lautet wie folgt: Die 4 Millionen Reifen, die jetzt produziert wurden, müssen auch nächstes Jahr produziert werden. Die Frage ist nur: Wo? (Abg. Dr. Haider: Neubauer sagt: 48 Prozent der Produktion!) Lassen Sie mich das ausführen, wir kommen im Endeffekt zum gleichen Ergebnis!

4 Millionen Stück Reifen werden jetzt produziert. 2 Millionen sollen nach der Reduktion produziert werden. Die Produktion von 4 Millionen Stück Reifen ist aber weiterhin notwendig für den Conti-Konzern. Der Conti-Konzern will diese Reifen aber nicht in Traiskirchen, sondern in Tschechien produzieren. Daher ist das Problem nicht der Marktverlust. Das Problem ist vielmehr ganz eindeutig, daß in Tschechien billiger produziert werden kann. (Rufe und Gegenrufe bei der SPÖ und bei den Freiheitlichen. – Zwischenruf des Abg. Dr. Haider. – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.)

Es geht letzten Endes bei Semperit darum, daß ein Konzern Lohndumping betreibt und daß er schließen will, obwohl er hier Gewinne macht, und zwar deswegen, weil die Gewinne in Tschechien noch größer sein könnten. Das ist der Punkt, um den es beim Problem Semperit wirklich geht! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Aumayr: Ich gehe, glaube ich, recht in der Annahme, daß Sie für die bilateralen Abkommen mit Tschechien sind!) Darauf komme ich noch zu sprechen. Ich möchte aber jetzt noch ausführen, daß der Fall Semperit nicht passiert wäre, wenn man mit der Mehrheit an der Firma Semperit nicht auch die Einflußmöglichkeiten mit verkauft hätte. (Beifall des Abg. Dr. Haselsteiner. )

Denn der Ablauf war völlig klar: Erstens einmal sind die Einflußmöglichkeiten verlorengegangen. Weiters ist die Marktposition verlorengegangen, Semperit konnte die Erstausrüstung nicht mehr selbst liefern. Dann ist die Möglichkeit zu Forschung- und Entwicklung verlorengegangen, und der Betrieb ist letzten Endes eine verlängerte Werkbank geworden. Und schließlich gehen jetzt die Arbeitsplätze in der Produktion verloren, oder es wird zumindestens damit gedroht.

Das ist ein Kreislauf, der in jeder Gewerkschaftsschule deutlich dargestellt werden kann. Begonnen hat dieser Kreislauf mit den Veräußerungen der Einflußmöglichkeiten und dem Aufgeben der Mehrheit bei der Firma Semperit. Daher sollte man bei allen ähnlichen Problemen – Stichwort: CA-Privatisierung et cetera – wirklich ernsthaft auf der Hut sein! (Beifall bei der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Zur Frage: Wie könnte konkret reagiert werden? – Ich glaube, daß es im Prinzip zwei Schienen gibt. Einerseits könnte man – das ist allerdings relativ schwierig – versuchen, den Betrieb zu erwerben und unter österreichischen Einfluß zu bringen. Wobei ich Ihnen völlig recht gebe, daß das, was Conti angeboten hat, nämlich daß man Maschinen, Hallen, also Anlagevermögen, herauskauft, weiterproduziert und dann an Conti liefert und das zu indischen oder portugiesischen Preisen – so sieht das Angebot der Firma Conti nämlich aus – völlig unmöglich ist.

Es ist zu prüfen, ob es möglich ist, die gesamte AG zu erwerben, und damit natürlich den Markennamen Semperit. Aber selbst wenn es möglich wäre, die gesamte AG zu erwerben, wird man auch noch einen Partner brauchen. Dann wird man sich etwa an Goodyear, Bridgestone oder ähnliche Unternehmen wenden müssen, um entsprechende Abnahme- und Kooperationsmöglichkeiten zu finden.

Völlig klar ist auch den Betriebsräten, daß das Herauskaufen von Anlagevermögen und das Produzieren an einer verlängerten Werkbank zu indischen Preisen nicht möglich ist und zu nichts führen kann. Aber dieser zweite Weg, daß man die gesamte AG mit der Marke Semperit


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erwirbt, könnte sehr wohl zielführend sein. Der Niederösterreichische Landtag hat auf Initiative des Abgeordneten Rambossek mit Unterstützung durch Abgeordneten Haberler und anderer eine einstimmige Resolution beschlossen, in der genau dasselbe verlangt wird. (Abg. Mag. Stadler: Das ist eines von mehreren Szenarien!)

Zweiter Punkt: Man muß natürlich neuerlich in Verhandlungen mit dem Conti-Vorstand treten und versuchen, die bereits gefallene Entscheidung rückgängig zu machen. Der wichtigste Punkt in diesen Verhandlungen muß sein, daß die Schließungskosten der Firma Semperit so teuer wie möglich gemacht werden, und daher müssen wir einige Strategien entwickeln, wie diese Schließungskosten möglichst teuer gemacht werden können. Dafür bringe ich jetzt einige Anregungen:

Erstens betragen die Schließungskosten nach den Annahmen des Conti-Konzernes ohnehin 3 bis 3,5 Milliarden Schilling. Die Zeitspanne für das Pay-back, also die Zeit, nach deren Ablauf sich die Verlagerungskosten rechnen, ist sehr, sehr lang, nämlich zehn Jahre.

Zweitens: Die Betriebsräte und die Arbeitnehmer in diesem Betrieb sagen, daß sie es nicht zulassen werden, daß Maschinen und technische Anlagen in Traiskirchen abmontiert, abtransportiert und in Tschechien aufgebaut werden. (Abg. Trenk: Wie will man das verhindern?) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selbstverständlich müssen wir die Betriebsräte und die Gewerkschaft bei dieser Aktion mit voller Solidarität unterstützen! (Beifall bei der SPÖ.)

Denn diese Solidarität treibt die Schließungskosten in die Höhe. Die Firma Conti rechnet damit, daß die Sommerreifenproduktion des Jahres 1997 in Tschechien durchgeführt werden kann. Wenn wir das damit verhindern können, daß der Abtransport der Maschinen nicht möglich ist, dann wird das ein wichtiger Faktor für die Entscheidungen bei der Firma Conti sein. (Zwischenruf des Abg. Haselsteiner . – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen. – Rufe und Gegenrufe bei der SPÖ und den Freiheitlichen.)

Nächster Punkt: Ich bin überzeugt, daß das, wenn wir die Betriebsräte und die Gewerkschaft mit unserer vollen Solidarität unterstützen, auch möglich sein wird, Herr Haselsteiner!

Nächster Punkt – Problembereich Boykott: Natürlich muß es auch unsere Strategie sein, die Schließungskosten so teuer wie möglich zu machen, wenn die Conti-Produkte in Österreich boykottiert werden. Conti macht in Österreich etwa 50 Prozent des Reifenabsatzes. 80 Prozent der Conti-Produkte sind Semperit-Produkte, also etwa 40 Prozent des gesamten Reifenabsatzes in Österreich. Insgesamt beträgt der Marktanteil der österreichischen Conti-Produkte 3 Prozent der gesamten Weltabsatzes von Conti. Und wenn man weiß, daß Millionen und Milliarden in die Werbung eingesetzt werden, um ein halbes Prozent bis ein Prozent zusätzlichen Weltmarktanteil zu haben, dann realisiert man, daß 3 Prozent sehr, sehr viel sein muß. Dann wird klar, daß man mit Boykottmaßnahmen einiges ausrichten kann. Daher haben wir im Bereich der Niederösterreichischen Arbeiterkammer und auch mit der Gewerkschaft und den Betriebsräten klargestellt, daß die Niederösterreichische Arbeiterkammer Maßnahmen des Boykotts der Conti-Produkte mitinitiieren und mit ihrem PR-Instrumentarium mitunterstützen wird und wir diese Maßnahmen mittragen werden. Ich glaube, daß das ein ganz wesentlicher Punkt ist. (Beifall bei der SPÖ und bei den Freiheitlichen.)

Eine weitere Maßnahme zur Erhöhung der Schließungskosten ist, wenn das auch ein relativ bescheidener Beitrag ist, die Rückforderung von Förderungskosten, wenn das möglich ist. – All das ist aber nur ein Teil des gesamten Spektrums von Maßnahmen unter dem Titel: "Verteuerung der Schließungskosten". (Beifall bei der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Die Entscheidung des Conti-Konzerns wird ja nicht vom gesamten Aufsichtsrat und vom gesamten Conti-Vorstand getragen. Zwei Kolleginnen und zwei Kollegen von der Niederösterreichischen Arbeiterkammer waren bei der Hauptversammlung der Firma Conti in Hannover, ausgestattet mit zwei Aktien, und haben das Stimmrecht wahrgenommen. Sie haben sich dort auch zu Wort gemeldet und etwa eineinhalb Stunden an der Diskussion mit den Betriebsräten teilgenommen. Wir konnten den Eindruck gewinnen, daß die Argumentation des Verteuerns der Schließungskosten greift. Wir konnten auch darstellen, daß die Firma Conti nicht damit rechnen kann, daß die Grundstücke verwertet werden können. Dabei geht es auch um die Widmung durch die Gemeinde. Auch der Bürgermeister von Traiskirchen wird entspre


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chend mitspielen. Wir haben darzustellen versucht, daß die Schließungskosten unterschätzt wurden, und ich habe den Eindruck, daß das bei der Hauptversammlung des Conti-Konzerns auch Gehör gefunden hat. Ich glaube, daß wir genau auf diesem Weg weiterarbeiten müssen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Semperit ist deswegen kein Einzelfall, weil derzeit sehr viele Betriebe in Österreich versuchen, das riesige Lohngefälle, das es zwischen Österreich und Tschechien, der Slowakei oder Ungarn gibt, auszunutzen, die Löhne und Gehälter in den Betrieben zu drücken und die Arbeitnehmer unter Druck zu setzen. Es ist ganz einfach eine Tatsache, daß wir an der Staatsgrenze in Niederösterreich ein Einkommensgefälle von etwa eins zu acht bei den Industriearbeitern gegenüber dem übrigen Bundesgebiet haben.

Es stehen mir leider nur mehr zwei Minuten Redezeit zur Verfügung, aber ich will kurz versuchen, eine Antwort darauf zu finden: Auf der einen Seite bieten die Ostöffnung und die Annäherung der Reformstaaten an Österreich eine riesige Chance. Die Wirtschaft wird dort zwei- bis dreimal so rasch wachsen wie bei uns, und es ist eine Chance, neben einem solchen Wachstumspol arbeiten und wirtschaften zu können. Auf der anderen Seite darf man aber in Anbetracht dieser Chance den Druck auf die Löhne und Gehälter, den es gibt, nicht vergessen. Dadurch wird das Verhältnis der Einkommensverteilung verzerrt. Und möglicherweise werden wir das, was wir an Konjunktur wegen des raschen Wirtschaftswachstums in den Reformstaaten gewinnen, durch den rückläufigen Konsum wieder verlieren. Außerdem werden die Menschen unter Umständen nicht mehr lange bereit sein, diese Entwicklung mitzutragen. Der Ruf nach Protektionismus wird laut werden, und es werden sich auch politische Gruppierungen finden, die diesem Protektionismus das Wort reden. Dann werden auch die Unternehmer, die vorher die Arbeitnehmer unter Druck gesetzt haben, von diesem Wachstumspol an unserer Grenze nichts haben.

Daher ist es notwendig, daß es nicht nur in Österreich, sondern europaweit zu einer Art neuem Pakt zwischen Arbeitnehmern und Unternehmern kommt, der sich im wesentlichen wie folgt gestalten muß: Die eine Seite nützt die riesigen Lohnunterschiede, die es gibt, nicht aus. Und wenn diese riesigen Lohnunterschiede nicht ausgenützt werden, dann ergibt sich für die gesamte Wirtschaft die Chance, den Wachstumspol, der entsteht, auch entsprechend auszunutzen. Ich glaube, daß die zukünftige Strategie in etwa in diese Richtung gehen muß. Das eine neue, großangelegte Sozialpartnerschaft in Europa zu nennen, ist wahrscheinlich zu viel; ich möchte das als neue Qualität der Zusammenarbeit zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern auf europäischer Ebene bezeichnen. (Abg. Aumayr: Dafür müssen Sie die Rahmenbedingungen schaffen!)

Ich meine, daß der Weg, den Herr Dipl.-Ing. Prinzhorn angedeutet hat, nicht der richtige ist, daß sich nämlich der österreichische Wirtschaftsminister für den amerikanischen Wirtschaftsminister hält und versucht, dessen Macht gegenüber den Japanern auszuüben. Das wird nicht ganz gelingen, denn wir sind etwas kleiner als der gesamte europäische Markt. – Danke sehr. (Beifall bei der SPÖ.)

22.50

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Hans Helmut Moser. – Bitte sehr.

22.50

Abgeordneter Hans Helmut Moser (Liberales Forum): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Die drohende Schließung des Semperit-Werks in Traiskirchen stellt für die Region ein ernsthaftes Problem dar. Daraus ergibt sich auch für mich sehr wohl die Dringlichkeit einer derartigen Debatte im Parlament. Ich glaube daher, daß es gut ist, wenn wir heute, nachdem sich auch der Niederösterreichische Landtag dieses Themas angenommen hat, darüber diskutieren.

Meine Damen und Herren! Allerdings sehe ich ein Problem betreffend die Glaubwürdigkeit der Freiheitlichen. (Zwischenrufe des Abg. Blünegger. ) Ich hätte erwartet, daß sich zu diesem Thema schon früher ein Freiheitlicher zu Wort meldet. Das war jedoch nicht der Fall, und das bedaure ich wirklich! Denn in der Vergangenheit haben sich alle Fraktionen in der Frage


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Sicherung des Standorts von Semperit in Traiskirchen zu Wort gemeldet, leider Gottes aber keiner aus dem Bereich der freiheitlichen Fraktion: weder der Herr Stadtrat Brauneder, der in der unmittelbaren Umgebung seine politische Heimat hat, noch Kollege Gratzer noch der Kollege Rambossek. Das bedaure ich wirklich! (Weiterer Zwischenruf des Abg. Blünegger. ) Aber ich bin froh, lieber Toni Blünegger, daß wir zumindest heute darüber diskutieren!

Meine Damen und Herren! Als es darum gegangen ist, sich zur Frage einer Standortgarantie im Zusammenhang mit dem Auslaufen der Garantie Ende 1995/Anfang 1996 zu Wort zu melden, oder als Conti die Entscheidung getroffen hat, die Forschungs- und Entwicklungsabteilung nach Hannover zu verlegen, traten Rufe nur sehr vereinzelt auf. Wir haben uns damals zu Wort gemeldet und auf die bedenkliche Entwicklung hingewiesen. Denn mit der Entscheidung, die Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Traiskirchen nach Hannover zu verlegen, war seitens des Konzerns die Entscheidung gefallen, innerhalb eines überschaubaren Zeitraums Traiskirchen schlußendlich stillzulegen beziehungsweise nur mehr als verlängerte Werkbank oder – auch das ist kolportiert worden und steht im Raum – nur als Umschlagplatz und Lager für den südosteuropäischen Raum zu verwenden.

Diese Entwicklung hat sich damals abgezeichnet, und ich glaube, daß es damals notwendig gewesen wäre, daß vor allem die politisch Verantwortlichen, die Regierungsparteien, jenes Engagement an den Tag legen, das sie heute an den Tag zu legen versuchen. Wir hätten nämlich damals eine Task force bilden müssen. Damals hätten man mit größerem Nachdruck mit Conti allenfalls verhandeln müssen. – Ich bedaure, daß das nicht geschehen ist!

Der Niedergang der Firma Semperit ist für mich der Ausdruck des Scheiterns der Industriepolitik gerade der Sozialdemokratischen Partei, aber auch der Wirtschaftspolitik der Österreichischen Volkspartei.

Herr Kollege Verzetnitsch! Sie haben heute aus einer APA-Meldung mit dem Thema: "Ein Fall von Wirtschaftskolonialismus" zitiert. Ich möchte nun etwas aus der Meldung zu Gehör bringen, was Sie nicht vorgelesen haben. Und das bestätigt auch, was ich vorhin in den Raum gestellt habe, nämlich ein Scheitern der Industrie- und Wirtschaftspolitik der Regierungsparteien. – Es heißt hier: "Natürlich kann man Continental nicht allein für das drohende Ende des Werks Traiskirchen verantwortlich machen. Der Großindustrieausverkauf ans Ausland hat ja deshalb stattgefunden, weil es die Industriepolitik in den vergangenen Jahrzehnten nicht geschafft hat, Rahmenbedingungen für das Entstehen österreichischer Konzerne herzustellen." – Meine Damen und Herren! Das ist ein Ausdruck des Scheiterns dieser Industrie- und Wirtschaftspolitik der beiden Regierungsparteien! (Beifall beim Liberalen Forum.)

Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß insbesondere die Wirtschaftsminister der Österreichischen Volkspartei ein gerüttelt Maß an Verantwortung dafür zu tragen haben. – Zum Fall Semperit möchte ich den ehemaligen Wirtschaftsminister Schüssel zitieren, der – so möchte ich das wirklich ausdrücken – uns Parlamentarier am Schmäh gehalten hat. Ich zitiere aus seiner Wortmeldung im Rahmen der Beratungen zum Beitritt Österreichs zur Europäischen Union. Er hat groß aufgetrumpft, daß er nach Japan gefahren ist und dort Gespräche geführt hat, daß die Japaner akzeptiert hätten, daß das ein österreichisches Problem ist und daß die EU entsprechende Beratungen oder Verhandlungen führen müssen wird. – Ich zitiere: "Wir haben sichergestellt, daß die volle österreichische Quote am EU-Anteil draufgelegt wird. Wir haben sichergestellt, daß es eine entsprechende Verpflichtungserklärung gibt, daß es Verhandlungen mit Japan gibt, daß es ein Commitment gibt, daß diese Verpflichtung fünf Jahre dauert und per 31. Dezember 1999 endet."

Meine Damen und Herren! Nichts ist passiert! Minister Schüssel hat das Parlament an der Nase herumgeführt, er hat uns am Schmäh gehalten – um es so auszudrücken.

Nun vermisse ich auch das entsprechende Engagement von Ihnen, Herr Bundesminister Farnleitner! Ich möchte Sie wirklich gern fragen: Wo waren Sie, als der Krisengipfel stattgefunden hat? – Ich habe Sie vermißt! Den Sozialminister und den Finanzminister haben wir gesehen, Sie waren jedoch nicht anwesend. Ich glaube, daß Sie wirklich kein Interesse daran haben,


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daß der Wirtschaftsstandort erhalten bleibt! Sie erwecken für mich den Eindruck, daß Sie nicht bereit und nicht gewillt sind, diese heiße Kartoffel jetzt anzugreifen.

Meine Damen und Herren! Der Niedergang der Firma Semperit bedeutet auch die Fortsetzung des Industriesterbens in dieser Region. Das ist ja nichts Neues. (Abg. Marizzi: Das ist doch kein Niedergang! Wieso ist das ein Niedergang? Sie schreiben schwarze Zahlen!)

Meine Damen und Herren! Kollege Marizzi! Du mußt das zur Kenntnis nehmen! Gerade in der Region Baden/Bad Vöslau mußten in den letzten Jahren Industrieunternehmungen aufgrund dieser verfehlten Industriepolitik zusperren. Ich darf erinnern an die Firmen in Bad Vöslau, in Möllersdorf, in Berndorf, in Hirtenberg. Dort wurde das Ergebnis dieser verfehlten Industriepolitik offenbar.

Jetzt ist leider Gottes Semperit dran, und Semperit ist für die Region ein ganz entscheidender Wirtschaftsfaktor. Denn wenn Semperit geschlossen wird, bedeutet dies immerhin einen Kaufkraftverlust von über einer Milliarde Schilling, den Verlust von über 2 500 Arbeitsplätzen konkret im Werk Semperit. Und es arbeiten nicht nur Leute aus der Region dort, sondern es kommen auch aus dem Burgenland Arbeiter nach Traiskirchen. Das bedeutet außerdem auch den Verlust von Arbeitsplätzen in Hunderten von Zulieferfirmen.

Zudem wird es auch im kommunalen Bereich der Gemeinde Traiskirchen immense Einnahmensverluste geben, denn die Firma Semperit hat beispielsweise im Jahr 1994 17,5 Millionen Schilling an Kommunalsteuer bezahlt, und im Jahr 1995 waren es bereits 20,6 Millionen Schilling. Das ist eine Einnahme, bei deren Entfall eine Gemeinde natürlich ganz massive Einbußen zu erwarten hat. Das würde natürlich auch für die Gemeinde Traiskirchen einen großen Verlust darstellen. Es sind daher Maßnahmen notwendig, damit dieser Standort Semperit gehalten werden kann.

Eigentlich sind die Fehler – meine Vorredner haben das auch schon angeführt – in der Vergangenheit passiert. Man hat diese Firma sozusagen verscherbelt. Man hat Milliarden investiert, um das Unternehmen zu modernisieren und es dann in den Rachen internationaler Konzerne zu werfen.

Es hätte allerdings die Möglichkeit gegeben, diesen Industriestandort mit Hilfe moderner Methoden zu erhalten. Es gibt gerade in dieser Region ein sehr interessantes Beispiel: So hat man bei der Gießerei in Möllersdorf beispielsweise ein Management-Buyout vorgenommen. Dort ist heute eine absolut positive Entwicklung festzustellen, eben weil man in erster Linie zeitgemäße Methoden angewandt hat.

Ich glaube also, daß wir auch für Semperit in Traiskirchen eine zeitgemäße Lösung brauchen. Denn Semperit ist ein wirtschaftlich florierendes Unternehmen. Semperit zahlt Dividenden aus, Semperit hat hohe Qualität und einen guten Ruf auf dem Markt. Daher muß dieser Standort erhalten bleiben. Wir sind alle aufgerufen, entsprechende Kraftanstrengungen auf uns zu nehmen, damit die Fehler, die in der Vergangenheit passiert sind, nicht wiederholt werden, meine Damen und Herren! (Beifall beim Liberalen Forum.)

Es wird notwendig sein, endlich munter zu werden und nicht weiter blauäugig den internationalen Konzernen und den internationalen Managern zu glauben.

Es ist heute bereits ein breites Spektrum von Möglichkeiten, von Strategien diskutiert worden; sie reichen von der Klage bis hin zu Boykottaufrufen. Eines stimmt: Das Schließen oder das Verlagern des Werks Traiskirchen darf sich für den Konzern nicht rechnen. Was ich aber vermisse, ist eine Möglichkeit, die heute eigentlich noch niemand angesprochen hat, nämlich die Möglichkeit des Rückkaufs mit einem Management-Buyout und der weiteren Privatisierung. Auch diese Möglichkeit müssen wir ins Auge fassen.

Ich halte Teile des Vorschlags von Bürgermeister Knotzer für durchaus interessant, meine aber nicht, daß man mit Conti als Partner ein derartiges Vorhaben angehen sollte. Hier wird es notwendig sein, einen starken internationalen Partner zu suchen. (Präsident Dr. Neisser über


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nimmt den Vorsitz.) Was ich auch vermisse, ist, daß man eine Möglichkeit nicht in Erwägung gezogen hat: daß man, wenn schon der Markt in Japan verlorengegangen ist und wenn es stimmt, daß durch den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union dieser für Semperit sehr wichtige Markt nicht mehr in dem Ausmaß attraktiv geblieben ist, nicht versucht, andere Märkte zu erobern.

Vor kurzem hat ja eine Parlamentarierdelegation Ostafrika bereist. Dort geben sich die Handelsdelegationen aus Japan, aus den verschiedensten europäischen Ländern in den Außenministerien die Klinke in die Hand, um eben in diesen Märkten, die interessant sind, entsprechend Fuß zu fassen. Nur: Eine österreichische Handelsdelegation habe ich dort noch nicht gesehen.

Es wird, so glaube ich, auch notwendig sein, daß entsprechende Schritte gesetzt werden. Hier ist auch die Wirtschaftskammer aufgerufen und gefordert, die notwendigen Maßnahmen einzuleiten und Unterstützungen für die Wirtschaft zu tätigen.

Derartige Vorschläge vermisse ich auch im Antrag der freiheitlichen Fraktion.

Ich glaube, daß bei einem eventuellen Rückkauf des Standortes Traiskirchen von der Firma Conti der Bund, das Land und auch die Gemeinden werden helfen müssen; sie werden einen solchen Rückkauf unterstützen müssen. Ich glaube aber, daß es noch immer günstiger ist, noch immer besser ist, als wenn dann die Millionen- oder Milliardenbeträge für Arbeitslosenunterstützung ausgezahlt werden müssen. Der Rückkauf wäre eine bessere Lösung, das wäre günstiger, ökonomischer und vor allem sozial richtiger.

Denn, meine Damen und Herren – und daher sind auch Bund, Land und Gemeinden aufgerufen –, es geht immerhin um über 2 000 Beschäftigte mit ihren Familien, und daher haben wir Politiker auch eine entsprechende Antwort zu finden.

Aber was auch wichtig sein muß, ist, daß wir auf europäischer Ebene aktiv werden, und zwar nicht nur die Bundesregierung, sondern auch der Gewerkschaftsbund. Es ist, glaube ich, notwendig, initiativer zu sein, denn es kann nicht die Industrie- und Beschäftigungspolitik im Rahmen der Europäischen Union sein, daß eine Firma von einem Land zum anderen zieht, dort Subventionen bekommt, und sich dann letztendlich, weil es mit den osteuropäischen Ländern entsprechende Abkommen gibt, auslagert. Das geht nicht, bitte! (Abg. Verzetnitsch: Ihr eigener Kollege verlangt’s!) – Was ist denn, Herr Kollege Verzetnitsch? Was verlangt der eigene Kollege? (Abg. Verzetnitsch: Das Auslagern gehört zum Wirtschaftsleben dazu! – Abg. Parnigoni: Sag’ einmal, kennst du dein Wirtschaftsprogramm überhaupt? – Heiterkeit bei der SPÖ.)

Das Auslagern gehört zum Wirtschaftsleben dazu, aber das kann nicht das ausschließliche Ziel der Politik sein. Daher wird es auch notwendig sein, im Rahmen der Europäischen Union auch eine entsprechende Wirtschaftspolitik und Industriepolitik durchzusetzen und zu betreiben. (Abg. Parnigoni: Der Haselsteiner weiß schon nicht mehr, was er machen soll!) Ja, das ist die Meinung des Herrn Kollegen Haselsteiner – wieso auch nicht? (Beifall beim Liberalen Forum.)

Aber es wird notwendig sein, im Rahmen der Europäischen Union diese Maßnahmen und Schritte zu setzen, und ich bin überzeugt, daß es uns gelingen wird, wenn wir uns gemeinsam das Ziel setzen, daß der Standort Traiskirchen erhalten bleibt, daß Traiskirchen als Werk weiterproduzieren kann.

Ich appelliere von hier aus vor allem an den Wirtschaftsminister, sein bisher gezeigtes Desinteresse aufzugeben und alles daranzusetzen, daß durch ein aktiveres Engagement die Region, der Standort in eine bessere Zukunft geht. – Danke schön. (Beifall beim Liberalen Forum.)


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35. Sitzung / Seite 213

23.05

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Nunmehr hat sich Herr Bundesminister Dr. Farnleitner zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Minister.

23.05

Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten Dr. Johann Farnleitner: Da mich der Herr Abgeordnete Moser angesprochen hat, möchte ich zu meiner "Betroffenheit" zwei Feststellungen machen.

Zum ersten: Nachdem zwei Verwandte aus meiner Familie, die im Betrieb arbeiten, zwei, meine Schwester und mein Schwager, Pensionisten des Unternehmens sind, ist das Schicksal von Semperit eines, das mich persönlich schon immer berührt hat und bei uns seit Jahren Gegenstand der Diskussion ist. Ich brauche mich also nicht in das Problem hineinzulesen, und ich brauche auch nicht hineinzuhören. – Das zum ersten.

Zum zweiten: Ich war zum Gipfel am Freitag nicht eingeladen. Aus welchen Gründen immer dachte niemand an den neuen Wirtschaftsminister, was mich aber nicht gehindert hat, bereits am Vortag ein sehr deutliches Statement in der "ZiB 2" im Fernsehen abzugeben. Ich möchte das nur zur Klarstellung sagen, denn ich kann nicht im Raum stehenlassen, daß ich mich davor gedrückt hätte.

Drittens möchte ich in aller Ruhe und Sachlichkeit darauf hinweisen, daß ein struktureller Fehler im Vertragswerk mit diesem Unternehmen passiert ist, weil durch die Verlagerung der Märkte de facto der japanische Markt – auch aus anderen Gründen – von geringerer Bedeutung geworden ist.

Ich wühle nicht in der Geschichte, Herr Abgeordneter, das hilft mir gar nichts, sondern ich habe aus der Geschichte zu lernen. Wir müssen unsere Diskussionen jetzt darauf konzentrieren, daß wir bei Einmütigkeit der politischen Positionen hier im Land – Arbeitgeber wie Arbeitnehmer – dem Konzern gegenüber eine Strategie verfolgen, der lautet: Ihr riskiert wirklich 3 Prozent eurer weltweiten Marktanteile. Das ist eine Sprache, die Unternehmer besser verstehen als Drohungen. – Erster Punkt.

Mein zweiter Punkt, den ich herausstellen sollte, basiert auf meiner eigenen Erfahrung: Zufällig hat unser Haus gerade einen neuen Wagen bestellt. Ich habe bei BMW anrufen lassen und gesagt: Ich nehme das Auto nur mit Semperit-Reifen. – Es ist ein kleinerer Dienstwagen, auf den Semperitprodukte passen. Es wird nicht einmal mit Semperit-Reifen ausgeliefert. Wir müßten aber doch auch über die Konsumentensolidarität erreichen können, daß wir sagen: Wir wollen von allen deutschen Ausrüstern, die in Österreich insgesamt große Marktanteile haben, daß sie österreichische Reifen in der Erstausrüstung verwenden. Das ist eine Dimension, die wir mit Nachbarn ausmachen können, da muß ich nicht nach Japan fliegen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Dritter Punkt – weil ich gefragt worden bin –: Es muß einfach für alle, die sich im internationalen Wirtschaftsbereich auskennen, klar sein, daß zum Zeitpunkt unserer Gespräche mit den Japanern vor dem EU-Beitritt die Stellung des MITI in Japan eine völlig andere war, als sie heute ist. Das MITI war damals die allmächtige Steuerungsinstanz der japanischen Industrie. Es ist in der Zwischenzeit eine Zusagungsinstanz geworden.

Das führt mich zum letzten Teil meiner Zwischenintervention: Bei unseren Gesprächen mit den zuständigen Kommissaren in der Europäischen Union – ich denke hier vor allem an Sir Leon Brittan, ich werde nächste Woche dort sein – müssen wir versuchen, Verantwortung in die Hand zu nehmen und betonen, daß mit der von Conti jetzt gewählten Strategie der von uns beschworene Ernstfall bei den Verhandlungen eingetreten ist, und daß daher die EU jetzt zu ihrem Wort stehen muß, daß sie uns konsequent hilft, zumindest Teile des japanischen Marktes abzusichern. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

23.09

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Nächster Redner ist der Abgeordnete Mentil. – Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

23.09

Abgeordneter Hermann Mentil (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Minister! So leicht werde ich Sie nicht aus der Haftung entlassen, Herr Minister, denn eines steht fest: Von dieser Bank


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35. Sitzung / Seite 214

hat man uns die Unwahrheit mitgeteilt. Ich werde das dann noch zitieren, denn wenn das so ist, wie Sie das jetzt dargestellt haben, hätte Herr Minister Schüssel anders argumentieren müssen; das hat er aber nicht getan. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Kollege Verzetnitsch und Herr Kollege Kaufmann haben ja heute schon ein Geständnis abgelegt. Darauf komme ich noch zurück.

Nur, Herr Kollege Verzetnitsch: Ich habe schon einmal eine "riesige" Aussage von Ihnen vernommen. Sie haben einmal gesagt, in Ihrem Alter kriegt ein Installateur keinen Posten mehr. Ich kann Ihnen beweisen, Männer in Ihrem Alter nimmt, wenn sie gute Installateure sind, unsere Firma ständig auf. Immer wieder nehmen wir solche Leute auf und freuen uns, weil diese Leute sehr viel Erfahrung haben. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Verzetnitsch: Dann melden Sie’s dem Arbeitsamt!)

Und da komme ich jetzt auf Ihre Äußerung bezüglich der freien Wirtschaft zu sprechen. Wissen Sie, mit diesen Wirtschaftssystemen habe ich immer ein bisserl Probleme, wenn sie da herinnen zitiert werden.

Wenn ich Herrn Kollegen Moser über Wirtschaftspolitik reden höre, ist das immer lustig; da kann man nur hoffen, daß die Zeit vergeht. Aber der Herr Kollege Haselsteiner redet immer von der sogenannten freien Wirtschaft. – Meinen Sie dieselbe freie Wirtschaft wie er? Dasselbe System? Mit dem System des Herrn Kollegen Haselsteiner bin ich nicht einverstanden. Das ist das System des Konzentrierens. Wenn man dem Rechnung tragen würde, hätten wir in Österreich in kürzester Zeit nur mehr vier Bauunternehmungen. Die Aufträge könnten wir dann über Telefon von der Preissituation her abklären, und die armen Generalunternehmer – aber davon will ich gar nicht reden – wären dann in der verzwickten Situation, daß sie aufgrund der Preisgestaltung die Baunebengewerbeunternehmungen mit den Preisen in den Keller drücken.

Das ist eine liberale oder freie Wirtschaftsordnung, wie Sie sie immer bezeichnen, die mir nicht gefällt. Ich halte nichts von einer Wirtschaftsordnung, in der einige große Baukonzerne fuhrwerken und das Baunebengewerbe zum Handlanger degradiert wird. Die guten Facharbeiter aus dem Baunebengewerbe müssen sich dort prostituieren, um überhaupt Aufträge zu bekommen. Eine solche Wirtschaft will ich nicht, die gefällt mir nicht. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Haselsteiner: Dafür verstehen Sie sie auch nicht!)

Das ist das, was uns trennt. Ich bin ein Verfechter der sozialen Marktwirtschaftsordnung. Ich weiß, das ist heute nicht mehr modern, das will man heute nicht mehr, davon redet man nicht, damit hat man keine Freude. (Abg. Dr. Haselsteiner: Es kommt nicht darauf an, was Sie wollen, sondern wie sich der Markt entwickelt!) Herr Kollege Haselsteiner! Es gibt eben Menschen, die die Schöpfung nicht in der Weise ausgestattet hat, daß sie sich alles richten können, wie sie es brauchen. Auch sie haben ein Recht auf gerechte Behandlung, und für sie ist das System der sozialen Marktwirtschaft meines Erachtens das bessere System. Deshalb glaube ich daran.

Ich halte natürlich auch nichts von einer zentralistischen planwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung. Die kann mir auch gestohlen bleiben, denn in letzter Konsequenz treffen sich für den Bürger diese beiden Systeme, nämlich die zentralistische planwirtschaftliche und Ihre sogenannte liberale oder freie Wirtschaftsordnung. – Das nur zur Erläuterung bezüglich der Wirtschaftssysteme. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Kollege Haselsteiner! Bei diesen Konzentrationen und Firmenzusammenlegungen läuft man sehr oft Gefahr, in ein sogenanntes Abzocker-System hineinzurutschen, beziehungsweise nehmen paradoxerweise auch die Leute, die immer so gern von der freien oder der liberalen Wirtschaft reden, immer ganz gerne Steuergelder. Es ist mir völlig unverständlich, wie das in Einklang zu bringen ist: Auf der einen Seite nimmt man Steuergelder, auf der anderen Seite konzentriert man und redet man von freier Wirtschaft, und dann kann man immer auch diese Steuergelder ganz leicht erklären und hochrechnen: 40 000 S pro Jahr und Mann – das sei doch kein Betrag, das solle man nicht so drastisch sehen.


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Das ist ein Wirtschaftssystem, das mir gestohlen bleiben kann! Das muß ich einmal ganz klar und deutlich hier sagen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich bin aber auch nicht ganz glücklich, Herr Verzetnitsch, wenn Sie immer die verschiedenen nationalen Wirtschaften vergleichen. Frankreich hat eben ganz andere Voraussetzungen. Belgien hat andere Voraussetzungen. Holland hat andere Voraussetzungen. Das kann man nicht immer 1 : 1 umlegen und glauben, da ist so wie mit einer Schablone das eine Land auf das andere Land übertragbar. Ich glaube, das muß man viel individueller, viel konsequenter und engagierter angehen.

Ganz fürchterlich wird es natürlich, wenn der Herr Kollege Seidinger, Lehrer in Ruhe, oder der Herr Kollege Kampichler da stehen und erklären: Was will eigentlich die Opposition, die hat doch gar kein Recht, darüber zu reden! Wir machen das schon, wir erledigen das schon, wir brauchen die Opposition nicht, daß sie uns darauf hinweist, was auf uns zukommt und was passiert ist.

Wenn ich mir die Entwicklungen der letzten Wochen, der letzten Monate betrachte, muß ich Sie schon fragen: Warum diskutieren wir erst heute? Warum haben wir eigentlich die Dringliche von den Freiheitlichen gebraucht, um das zu erörtern? (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Es  gibt  doch  eine einschlägige  Berichterstattung.  Alle anerkannten Wirtschaftspublizisten und -journalisten haben durch Monate hindurch darüber berichtet. Unter anderem ist da zu lesen: "Traiskirchen, semper it" – aus dem Lateinischen wunderbar abgeleitet –, "immer möge es bestehen, das Semperit Werk in Traiskirchen. Ein frommer Wunsch angesichts der Kalkulationen von Continental, der Muttergesellschaft des Reifenherstellers Semperit. 5 000 Menschen waren einst bei dem Flaggschiff in der Stadtgemeinde beschäftigt. Anfang Mai ‘96 waren es nur noch 2 400, weitere 550 Mitarbeiter sollen noch heuer gehen." – Aber das ist laut Herrn Kampichler kein Problem, wenn 2 400 Mitarbeiter morgen auf der Straße stehen, das werden wir schon hinbiegen. Irgendwie werden wir da, wie es der Herr Kollege Moser gemacht hat, ein bißchen palavern.

"Salzburger Nachrichten": "Bei Semperit müssen rund 950 Mitarbeiter gehen." – Das haben wir doch alle gelesen, wir sind doch alle engagierte Politiker und wollen wissen, was los ist. Wir informieren uns.

"Kurier", Wirtschaftsteil: "Semperits Kampf gegen Conti. – 2 300 Mitarbeiter in Traiskirchen wollen notfalls streiken/Bisher mit Conti schlecht gefahren."

Oder, "Märkte & Manager", lauter Berichterstatter, die ernst zu nehmen sind: "Geschröpft und zugenäht. – Der österreichischen Conti-Tochter Semperit wird voraussichtlich bald der Todesstoß versetzt." – Alarmstufe eins. – "Notwendiges Opfer im Rahmen der Globalisierungsstrategie von Continental? Oder sinnloser Aktionismus eines bedrängten Konzernvorsitzenden?"

Dann gibt es in diesem Zusammenhang noch Berichte über Gewerkschaft und Konzernvorstand: "Märkte & Manager" berichtet ausführlich.

"Die letzte Rettung: Kauft Österreich Semperit zurück? – Krisengipfel im Finanzministerium. Conti will den Markennamen nicht hergeben." – "täglich Alles".

Was ist denn da passiert, meine Damen und Herren, wenn Conti in der Lage ist, den Markennamen nicht hergeben zu müssen? Da muß doch irgend etwas passiert sein, sonst kann das, nachdem die Herrschaften 1,2 Milliarden Schilling bekommen haben, gar nicht möglich sein – wenn der Vertrag gut ist; das setze ich voraus.

"Kurier": "Polit-Gipfel brachte nur wenig Hoffnung für Semperit. – Arbeitsgruppe soll Rettungsmöglichkeiten prüfen."


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Berichterstattung um Berichterstattung! Wieder der "Kurier": "Semperit verliert weiter Luft. Finanzminister Klima: Arbeitsgruppe soll möglichst Zukunftsvarianten durchrechnen/Gespräche mit Conti."

Jetzt kommt aber die späte Einsicht. Diesbezüglich wurde heute schon teilweise zitiert. "Klima meinte aber, daß Überleben ohne Marke, Forschung und Vertrieb schwierig sei. Conti-Vorstandssprecher Dieter von Herz hatte am Donnerstag in der ZiB erklärt, man sei für einen Verkauf von Semperit offen, die Marke stehe aber nicht zur Disposition. Die Politik, so Klima, könne nichts versprechen, ,ich persönlich habe aber eine ohnmächtige Wut, daß Conti ein Werk, das Gewinne schreibt und jahrelang eine fette Dividende abgeliefert hat, nun schließen möchte.’"

Was ist denn da passiert? – Wir haben einen schlechten Vertrag gemacht!

"Keine Semperit-Hilfe: Die Lage eskaliert," heißt es im "WirtschaftsBlatt." "Ein Gipfel der Semperit-Führungsspitze bei Finanzminister Viktor Klima blieb ohne substantielle Erfolge."

Der Herr Kollege Verzetnitsch urgiert zu Recht: "Semperit und ,Kapitalismus pur’." Man weiß ja auch, wer die Schuld trägt dafür, daß sich das so entwickeln konnte, nämlich die Verantwortlichen der Koalitionsregierung. Sie hätten die Voraussetzungen schaffen müssen, sie hätten verhindern müssen, daß ein solches Vertragswerk überhaupt entsteht.

Und jetzt sind wir bei der Kompetenz, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ihr Aufhänger "Semperit und Kapitalismus pur" wird von ernstzunehmenden Wirtschaftsjournalisten aufgegriffen. Da heißt es: "Die Vorgänge rund um den Reifenerzeuger Semperit spotten jeder Beschreibung. Was hier auf dem Rücken von mehr als 2 000 Beschäftigten ausgetragen wird, ist schlichtweg unzumutbar. Auf den ersten Blick trägt die deutsche Mutter Continental die Schuld am Desaster. Immerhin hat sie Semperit finanziell und technologisch ausgenommen."

Jetzt mache ich aber nicht das, was der Herr Kollege Haselsteiner beinahe gemacht hätte – das heißt, wir haben den Eindruck gehabt, er muß ein bißchen eine Verteidigungsrede für Conti halten –, sondern ich komme zum Schluß beziehungsweise zum Succus dieser Geschichte:

"Das Märchen von heimischer Industriepolitik lebt", hat er getitelt, der Herr Kommentarschreiber. Am Schluß dieses Kommentars heißt es: "Sie sollten sich ins Gedächtnis rufen, daß Continental 1,2 Milliarden Schilling vom Staat als Mitgift für die Semperit-Übernahme bekommen hat und trotzdem die Forschung und Entwicklung aussiedeln durfte." (Zwischenruf des Abg. Dietachmayr. ) – Nein, das ist dort nicht dringestanden! Machen Sie keinen Schmäh.

Weiters heißt es da: "Sie sollten sich daran erinnern, wenn Ihnen wieder einmal ein Politiker das Märchen von österreichischer Industriepolitik erzählt."

Und dort sind wir! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unser Problem ist, daß keine Industriepolitik gemacht wird. Und da bin ich bei dem, was Sie heute schon zitiert haben. Wobei ich sagen muß: Man muß rückblickend schon zugeben, daß man sich gegen das Abzocken einfach nicht so gewehrt hat, daß es nicht passieren konnte.

Wenn Sie zitiert haben, daß internationale Förderungsabzocker, die sich im Land einkaufen, dafür hohe Subventionen nachgeworfen bekommen, die erworbene Firma nach einigen Jahren wie eine reife Zitrone ausquetschen und sich dann unter Mitnahme einer angesehenen Marke ins billige Ausland begeben, wo das erbärmliche Spiel von vorne beginnt, dann sage ich nur: Ergreifen Sie doch Maßnahmen! Machen Sie endlich Industriepolitik! Lassen Sie nicht einen Minister, wie den Herrn Minister Schüssel, irgend etwas vortäuschen, was er in Japan verhandelt hat – was er aber in Wahrheit nicht verhandelt hat –, und werden Sie doch hier im Hohen Haus aktiv!


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35. Sitzung / Seite 217

Es liegt an Ihnen, an den Abgeordneten der Regierungsparteien, daß Sie eine Politik machen, die Fehler, wie sie diese Regierung gemacht hat, verhindert. Das ist es, worum ich Sie für die nächsten Jahre ersuchen will. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

23.23

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Marizzi. – Bitte.

23.23

Abgeordneter Peter Marizzi (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt natürlich viele positive Beispiele der Industriepolitik, sie wurden heute schon genannt: BMW, General Motors und andere. Es gibt aber auch negative Beispiele, und es ist mir heute die Sache viel zu ernst, als daß ich auf Polemiken eingehen möchte.

Die Sache ist viel zu ernst: Es geht um 2 400 Arbeitsplätze, um die dazugehörigen Familien, natürlich die dazugehörigen Kinder, um die Zulieferbetriebe. Eine ganze Region ist davon betroffen.

Meine Damen und Herren! Es geht hier nicht um Schwarz, Blau oder Rot, sondern es geht um 2 400 rot-weiß-rote Arbeitsplätze. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich möchte schon einen Satz zum Kollegen Kampichler sagen: Für mich war seine Rede unverständlich.

Und wenn der Herr Kollege Moser heute bei der Debatte um die NATO gemeint hat, daß NATO, WEU sehr wichtig sind, daß – natürlich – die NATO ein wichtiges Friedensprojekt der Nachkriegszeit ist, und daß diese NATO, diese WEU und die Europäische Union Krieg in Europa verhindern sollen: Ein NATO-Beitritt kostet vielleicht 40 oder 80 Milliarden Schilling. Mir wäre es wichtiger, daß wir 40 oder 50 Milliarden Schilling in die Entwicklung, in die Forschung hineinstecken, um so die soziale Sicherheit in Österreich zu gewährleisten, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir – und da sind wir alle aufgefordert; alle Fraktionen sitzen in den Parlamenten von Europa –, müssen trachten, daß nicht nur die Themen Rinderwahn – wie der Kollege Verzetnitsch gemeint hat – und Sicherheitspolitik diskutiert werden, sondern daß vor allem die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und eine Beschäftigungsoffensive das Thema in Europa sind. Sonst wird zwar der Krieg in den Ländern verhindert, aber in der Gesellschaft entsteht ein Krieg, nämlich der Krieg zwischen den Arbeitslosen und denen, die reich sind. Das sollten wir verhindern, und das ist ein wichtiges Projekt, zu dem wir Sozialdemokraten stehen.

Mein Kollege Kaufmann hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich habe sehr aufmerksam zugehört bei seiner Rede. Mich betrifft das ja auch in meiner Region; ich werde später davon berichten.

Es geht um Lohndumping, es geht um Gewinnmaximierung, es geht um Industrietourismus, und da ist nicht nur der Markt schuld, sondern teilweise auch die Liberalisierung. Liberalisierung heißt, daß die Konzerne die Betriebe heute in der Welt hin- und herschieben. So sollte es nicht sein, denn da geht es wirklich ans Eingemachte. Bei Semperit geht es um 2 400 Arbeitsplätze, und wir alle, meine sehr geehrten Damen und Herren, sollten uns mit den Arbeitern und Angestellten in dieser Region, mit Semperit Traiskirchen solidarisieren. (Beifall bei der SPÖ.)

Der Herr Kollege Haselsteiner – er ist leider nicht mehr hier – hat gesagt, es gibt eben ein Sterben in der Wirtschaft, da muß man halt nachdenken. Die Förderungen seien eh nicht so arg gewesen, wenn man das aufrechnet, seien das pro Arbeitsstunden oder Jahreskosten nur soundso viel.

Er soll sich einmal vor die 2 400 Leute bei Semperit hinstellen und soll das den Arbeitern erklären, der Herr Kollege Haselsteiner!


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35. Sitzung / Seite 218

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Natürlich ist es ein Ziel des Liberalismus, daß alles dereguliert wird, und am Schluß verstaatlichen wir die Arbeitslosen. Das ist die sogenannte Deregulierung, das, was der Herr Haselsteiner meint.

Aber: Wenn der Staat fette Bauaufträge vergibt, dann wird nicht dereguliert, dann soll das schön aufgeteilt werden in der Bauwirtschaft. Da steht der Herr Kollege Haselsteiner wieder in der ersten Reihe und sagt: Der Staat muß her, daß die Wirtschaft wieder floriert, daß die Bauwirtschaft wieder floriert! (Beifall bei der SPÖ.)

Mir hat auch sehr gut gefallen, was Kollege Van der Bellen gesagt hat. Es wurde heute ja schon mehrmals angezogen, daß der Konsument in Österreich auch eine starke Waffe ist. Wenn Semperit und Conti in Österreich 48 Prozent Marktanteil haben und dann nach Tschechien gehen, dann sollten wir einmal darüber diskutieren, ob wir nicht den Konsumenten in Österreich deutlich machen sollten: Wenn die wirklich dorthin gehen, dann sollen sie sich auch mit ihren Produkten aus Österreich vertschüssen, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich glaube, den Arbeitern und Angestellten ist es egal, wer vor zehn Jahren den Vertrag falsch oder richtig gemacht hat, ob richtig oder falsch subventioniert wurde. Die zittern jetzt um ihren Arbeitsplatz.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Daher müssen wir die Schließungskosten so hoch wie möglich machen – so wie bei Euroquarz. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich bin ein Betroffener. Bei Euroquarz geht es genau um ein Zehntel der Beschäftigten, um die es bei Semperit geht. 240 Beschäftigte sind dort von Arbeitslosigkeit bedroht, weil der Betrieb in die Slowakei gehen will, auslagern will, weil dort die Löhne um ein Vielfaches billiger sind. (Abg. Mag. Trattner: Und was ist dort mit den Förderungen?) Dazu komme ich schon, Herr Kollege.

Bundesminister Hums war einer der ersten, die sofort angedroht haben – das finde ich ganz wichtig –, bei den Förderungen von Euroquarz entsprechend restriktive Maßnahmen zu setzen beziehungsweise Förderungsgelder zurückzufordern. Wenn Kollege Hums das nicht gemacht hätte, wäre dieser Betrieb am 3. Juli in die Slowakei "marschiert".

Jetzt gibt es Verhandlungen. Da ist die GiroCredit dabei, da ist die FGG dabei, da sucht man nach Partnern. Ich weiß aber nicht, ob die Verhandlungen positiv ausgehen. Aber zumindest hat die Politik, hat Minister Hums dort eines erreicht: daß gestoppt wurde, daß verhandelt wurde.

Sehr geehrter Herr Bundesminister! Ich habe Ihre Antrittsrede sehr genau verfolgt, ich habe genau verfolgt, wie Sie jetzt wirtschaftspolitisch agieren. Aber ich muß Ihnen eines sagen: In einem Nebensatz haben Sie heute gesagt, Sie werden dafür sorgen, daß das Standort-Marketing der Republik sofort eingesetzt wird, um auf diesen Standort Traiskirchen zu schauen, um neue Ansiedlungen zu machen.

Vielleicht habe ich Sie falsch verstanden und interpretiert, Herr Bundesminister. Aber wenn Sie das so gemeint haben, wie ich es verstanden habe, dann haben Sie Semperit schon abgeschrieben.

Wenn Sie jetzt sagen: Ich werde versuchen, dort Standort-Marketing zu betreiben, dann interpretiere ich das folgendermaßen: Der Herr Bundesminister für Wirtschaft sucht neue Betriebsansiedlungsgesellschaften, sucht neue Betriebe, die sich dort niederlassen, und hat Semperit abgeschrieben.

Meine Damen und Herren! Kollege Mentil hat gemeint, die Politik interessiere sich erst seit heute für das Thema dieser dringlichen Anfrage. Herr Kollege Mentil! Hätten Sie doch Zeitungen gelesen und sich entsprechend informiert! Bundesminister Klima und Bundesminister Hums waren dort, und ich könnte noch eine Reihe von Ministern, Landesräten und Landeshauptleuten, ob rot oder schwarz, aufzählen, die dort waren, um an Sitzungen teilzunehmen. Seien Sie doch nicht so ungeschickt zu glauben, daß dieses Thema, nur weil Kollege Haider heute dazu eine dringliche Anfrage macht, erst jetzt aktuell wurde! Das trifft nicht zu! Wir begrüßen es, wenn


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35. Sitzung / Seite 219

auch die Blauen sich dafür interessieren, aber man soll daraus kein politisches Kleingeld schlagen! (Abg. Mag. Trattner: Aber dringlich ist es schon!) Ja, es ist dringlich! Aber wir waren bereits bevor Sie die Dringliche gestellt haben, dringlich dort, und zwar in Traiskirchen und nicht dringlich im Parlament. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich bin ein Betroffener der Ostregion. Dort wandern jetzt mehrere Betriebe in Richtung Osten ab. Ich habe vorgestern mit einem Unternehmer geredet, der daran denkt, aus meiner Region in den Osten zu gehen. Er sagte: Herr Marizzi! Ich habe 40 Beschäftigte. Wenn ich mir das durchrechne, dann stelle ich fest, daß ich ungefähr 40 bis 50 Millionen Schilling mehr Gewinn im Jahr machen kann, wenn ich mit meinen Maschinen in die Slowakei gehe.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister! Ich war selbst fünf Jahre lang Betriebsansiedler. Mir ist einiges gelungen und einiges mißlungen. Ich war in Japan, habe dort Betriebe aufgebaut und sie nach Österreich gebracht. Wir haben dort großzügige Förderungen gegeben. Aber ich glaube – vielleicht ist das ein persönlicher Denkansatz –, daß man mit Förderungen à la longue keine Betriebe binden kann. Ich glaube, daß wir, um langfristig Betriebe in Österreich zu halten, in den entsprechenden Gebieten vielleicht die Steuern senken oder mit Investitionsfreibeträgen eingreifen müssen. Betreffend den Osttourismus der Betriebe müssen wir, gerade in Hinblick auf Semperit und andere, für Kapitaltransfers – und hiebei handelt es sich letztendlich um Kapitaltransfers – finanzielle Barrieren schaffen.

Ansonsten, meine sehr geehrten Damen und Herren, werden wir verstärkte Arbeitslosigkeit haben, und daraus entsteht Krieg in der Gesellschaft. Wir Sozialdemokraten solidarisieren uns auf jeden Fall mit den Arbeitern von Semperit Traiskirchen! – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

23.33

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Trenk. – Bitte.

23.33

Abgeordneter Josef Trenk (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Wirtschaftsminister! Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich zur Sachlage der Dringlichen betreffend die Arbeitsplätze von Traiskirchen komme, möchte ich meinem Kollegen aus der Region eine Antwort geben.

Die Firma Euroquarz ist nicht nur von den Sozialisten oder von der ÖVP unterstützt worden. Ich möchte hier im Hohen Haus ausdrücklich darauf hinweisen, daß wir Freiheitliche im Gemeinderat am 11. März eine Dringliche eingebracht und darauf hingewiesen haben, daß, wenn Teilbetriebe der Firma Euroquarz in die Slowakei ausgelagert werden, voraussichtlich der ganze Betrieb nachziehen wird. (Abg. Marizzi: Ich habe vergessen, dich zu loben!) Daraufhin sind wir, ebenso wie hier im Hohen Haus, als Polemiker bezeichnet worden. Es hat geheißen, wir seien wirtschaftlich inkompetent, das sei lauter Blödsinn und stimme alles nicht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Drei Monate später ist das eingetroffen, worauf wir bereits am 11. März in unserer Dringlichen aufmerksam gemacht hatten: Der ganze Betrieb wandert in die Slowakei aus. – Jetzt möchte ich Sie fragen, wer Wirtschaftskompetenz hat: SPÖ oder ÖVP? Oder haben doch die Freiheitlichen auch ein bißchen Ahnung davon? (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Bangen um 2 400 Arbeitsplätze der Firma Conti in Traiskirchen ist eine traurige Angelegenheit. Ich meine, daß sich die Bundesregierung mit dieser Problematik viel zu spät befaßt. Nur aufgrund des Verlangens der Freiheitlichen auf dringliche Behandlung dieses Themas befassen wir uns heute hier im Hohen Haus damit. Denn ich glaube nicht, daß die ÖVP, die Grünen, die Liberalen oder die SPÖ diesen Fall hier behandelt hätten. Dabei geht es nicht nur um die 2 400 Arbeitsplätze, sondern um die Existenzen ganzer Familien in dieser Region! Diese Region muß man unterstützen, und man darf nicht nur auf Taten warten, so wie es die SPÖ immer verspricht.


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35. Sitzung / Seite 220

Ich erinnere mich an ein Zitat des Herrn Landeshauptmannes Höger. Das ist wirklich sehr interessant. Ich werde das dann mit einem Fall vergleichen. – Ich zitiere den Bericht über die Aussagen des Landeshauptmannstellvertreters Ernst Höger:

"Volle Solidarität der SPÖ Niederösterreich mit Semperit im Zusammenhang mit dem niederösterreichischen Standort Traiskirchen versicherte heute Montag Landeshauptmannstellvertreter Landesparteivorsitzender Ernst Höger in einer Aussendung."

Jetzt kommt das für mich ganz Gravierende: "Jede Überlegung, die Produktion in ein Billiglohnland zu verlegen, werde von der SPÖ und der Gewerkschaftsbewegung kategorisch abgelehnt. Und wenn die Konzernherren glauben, die Maschinen abmontieren zu können, dann werden wir mit unseren Arbeitnehmern auf den Maschinen sitzen und dies zu verhindern wissen." – So Ernst Höger.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bringe jetzt ein gutes Beispiel zum Vergleich: Vor ungefähr zwölf Jahren hat es Probleme bei der Firma Schöller-Bleckmann gegeben. Wir hatten in der Region Ternitz nicht 2 400, sondern 4 500 Beschäftigte. Und als es aufgrund der Fusionierung zu kriseln begann, haben sich die Politiker hingestellt und gesagt: Liebe Freunde! Liebe Arbeitnehmer! Wenn einer abgebaut wird, legen wir uns alle auf die Schienen! Bei uns passiert überhaupt nichts!

Ähnlichen Inhalts ist auch die Aussage des Ernst Höger. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß Interventionen viel zu spät kommen. Die Schienen, auf die sich die Politiker legen sollten, wurden längst weggeräumt, damit sie sich nicht hinlegen können. – 4 500 Arbeitsplätze allein in Ternitz verloren!

Lieber Kollege Marizzi! Wenn du wortwörtlich sagst, wir sollen und müssen sichern und sollen uns mit den Semperit-Arbeitern in Traiskirchen solidarisch erklären, dann vertreten wir selbstverständlich eine Linie. Meine Frage lautet aber: Warum hat man das nicht schon früher getan, etwa aufgrund der Anfragen der Freiheitlichen Partei? Warum reicht man sich nicht gegenseitig die Hand, wenn es in Österreich überall kriselt? Warum handelt man nicht überparteilich? Warum denkt man nur immer an die Wahl? – So verliert man seine Arbeiterschicht, und die SPÖ-Betriebsräte verliert man dann auch!

Auch beim Verhalten der ÖVP – ich denke nur an die Worte des Kollegen Kampichler – stellt es mir wirklich die Haare auf. Es ist unglaublich, was er heute hier aufgeführt hat. Liebe ÖVP-Fraktion! In einem solchen Fall hätte meiner Meinung nach zumindest Kollege Stummvoll hier sprechen müssen, aber nicht irgendein Herr Kampichler aus unserer Region, der nur mit Staubsaugern um die Welt fährt und an und für sich von den Betrieben gar keine Ahnung hat! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß sich die sogenannte Wunderpartei SPÖ, die Arbeitsplatzsicherer, die Arbeitsplatzbeschaffer, die sogenannten Wunderwuzis schon längst von der Arbeiterschicht verabschiedet haben. Denn sonst hätten sie viel früher auf die Situation im Semperit-Werk Traiskirchen reagiert! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Ihre Schaumrollen-Geschichten entsprechen nicht der Realität: Bevor ein Werk zugrunde geht, die Arbeiter abgebaut oder ausgegliedert werden, gehen Sie zu diesen Arbeitern und sagen: Wir sind eh für euch da! Wir unterstützen euch! Wir lassen euch nicht im Stich! – Ich meine, solche Versprechen muß man rechtzeitig umsetzen. Man sollte den Arbeitern nicht nur Versprechungen machen, sondern diese auch wortwörtlich umsetzen, um der Arbeiterschicht wieder eine Garantie zu geben, daß sie in Österreich auch Arbeit haben beziehungsweise Arbeit bekommen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Daß man in einer derart prekären Lage, in der es um Arbeitsplätze geht, dann noch Werbung für die Europäische Union macht, obwohl unser Beitritt zur Europäischen Union mit den Anlaß dazu geliefert hat, Herr Wirtschaftsminister, daß in den Krisengebieten, etwa in Traiskirchen im Conti-Werk, Arbeitsplätze verlorengehen, ist für mich


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das ärgste, was es überhaupt gibt! – Ich habe Zeitungsausschnitte mit Zitaten dazu. Ich erspare es Ihnen, daß ich das jetzt vorlese. Aber ich kann Ihnen diese Unterlagen überreichen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie kann man sich heute, wenn doch 2 500 Arbeitsplätze verlorengehen, hinstellen und noch für die Europäische Union werben? Denn die Arbeiter wissen genau, daß die Europäische Union mit ihrer Orientierung auf den Japan-Markt hauptsächlich schuld daran ist, daß die Arbeitsplätze verlorengehen. Ich denke, meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist eine Politik, mit der man den Arbeiter nicht unterstützt, sondern ihm gleichsam den Rest gibt, wenn er seinen Arbeitsplatz verliert. Meine lieben Freunde von der SPÖ! Diese Politik kann ich nicht vertreten! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein ehrliches Wort wäre angebracht gewesen. Man hätte etwa, wie vor zwölf Jahren bei uns in Ternitz, ausdrücklich sagen können: Liebe Freunde! In einem Jahr muß der Betrieb zugesperrt werden. Sucht euch allmählich eine neue Arbeitsstelle! – Das ist eine Aussage von einem Politiker, die jeder Arbeiter und die gesamte Belegschaft verstehen wird. Nicht verstehen werden es die Leute aber, wenn man zuerst sagt: Ihr braucht keine Sorge um eure Arbeitsplätze zu haben!, und vier Monate später gibt es um 4 000 Arbeitsplätze weniger. (Zwischenruf des Abg. Koppler. )

Genau das spielt sich heute in Traiskirchen ab. Die roten Betriebsräte versprechen: Wir kümmern uns eh um euch! Politiker kommen nach Traiskirchen und sagen: Wir kümmern uns um euch! Sie wissen aber ganz genau – und Sie wissen das auch!-, daß der Standort überhaupt nicht mehr zu retten ist. – Verfolgen Sie im Vergleich dazu einmal das Wirtschaftskonzept der Freiheitlichen Partei! Wir hätten wieder Arbeitsplätze für diese heute in Österreich. So schaut es aus! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Würde ich jetzt aufzuzählen beginnen, wie viele Arbeitsplätze wir auch durch Ihre Schuld beziehungsweise die Mitschuld der gesamten Koalition in den letzten zwei Jahren verloren haben, weil das Wirtschaftskonzept für Österreich überhaupt nicht paßt, dann würde ich morgen um sieben Uhr in der Früh noch immer nicht damit fertig sein, weil wir so viele Arbeitsplätze in den letzten zwei Jahren verloren haben. Versprochen und gebrochen: Das ist die Politik der SPÖ! Und die ÖVP macht mit – gerade daß Sie einander kein Bussi geben! –, weil sie kein eigenes Programm hat. Sie hat kein eigenes Programm! Was die SPÖ macht, das macht auch die ÖVP. Sie von der ÖVP schwimmen bei den nächsten Wahlen mit! Sie wissen noch gar nicht, daß Sie bei den nächsten Wahlen tot sein werden! Aber das wird wahrscheinlich eintreffen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Schluß möchte ich folgendes sagen: Wir sollten hier im Parlament die Redner nicht auslachen oder verspotten, sondern wirklich versuchen – das meine ich ganz ehrlich! –, gemeinsam das Werk Traiskirchen mit 2 500 Arbeitsplätzen zu retten. Stellen Sie uns nicht immer so hin, als würden wir nur polemisieren! Denn wenn diese Debatte so uninteressant wäre, dann hätte sich ja niemand von Ihnen in die Rednerliste eintragen lassen! Das möchte ich auch einmal klarstellen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Wirtschaftsminister! Ich fordere Sie auf, wirklich Maßnahmen zu ergreifen, damit wir den Standort Traiskirchen, das Conti-Werk und die Arbeitsplätze mit allen Mitteln erhalten können! Und wenn ihr von der SPÖ, der ÖVP, den Liberalen oder den Grünen meint, daß die Freiheitliche Partei diese Situation ausnützt, um zu polemisieren, dann seit ihr auf dem Holzweg! Daß dem nicht so ist, haben wir euch nicht erst einmal, sondern mindestens schon zwanzig Mal bewiesen! – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

23.45

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Wurmitzer. – Bitte.

23.45

Abgeordneter Georg Wurmitzer (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrter Herr Bundesminister! Hohes Haus! Das Schicksal der Firma Semperit in Traiskirchen bereitet auch der Österreichischen Volkspartei derzeit große Sorge. (Abg. Mag. Stadler: Das haben wir ge


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merkt!) Da ich selbst Bürgermeister bin, bin ich mir vor allem der regionalen Auswirkungen einer Abwanderung oder möglichen Schließung eines solchen Betriebes bewußt. Tausende Familien sind davon betroffen. Und es sind die Gemeinden betroffen, die ihre finanzielle Grundlage verlieren. Ferner sind die örtlichen Gewerbebetriebe und die örtliche Gastronomie betroffen. In einem solchen Fall brechen die gesamten sozialen Strukturen zusammen. Sogar das Vereinswesen und die kirchlichen Einrichtungen werden in Mitleidenschaft gezogen, kurzum: Alles, was im Ort beziehungsweise in der Region vorhanden ist, ist davon betroffen.

Einen derartigen Fall haben wir bei uns in Kärnten in der Region Hüttenberg zu verzeichnen. Dort ist es bis heute, trotz größter Anstrengungen der Behörden auf regionaler Ebene und Landesebene, nicht gelungen, diese Wunde zu heilen. Deshalb bin ich sehr verwundert, auf welche Art und Weise man von seiten der Freiheitlichen Partei dieses Problem lösen zu können glaubt. (Abg. Dr. Partik-Pablé: Jessas na! – Zwischenruf des Abg. Mag. Trattner. )

Ja, natürlich! Ich habe mir vorher auch die Personen angeschaut, die heute hier als Erstredner aufgetreten sind. (Abg. Dr. Pumberger: Ja, Kampichler!) Es ist interessant, daß sich hier ein Dipl.-Ing. Prinzhorn (Abg. Dr. Pumberger: Von ihm könnt ihr etwas lernen!) , ein Dr. Haider und ein Dr. Haselsteiner als Erstredner zusammengefunden haben. Denn genau die drei gleichen Persönlichkeiten sind im Jahre 1989 in Kärnten, in Klagenfurt, zusammengesessen, um die zwei Zellstoffwerke Obir und Magdalen bei Villach zu retten. – Man kann fast sagen, daß es eine Ironie des Schicksals ist, daß sich just beim Fall Semperit die seinerzeitigen Sanierer von Magdalen und Obir ein politisches Stelldichein geben. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Allein dieses Faktum hat mich natürlich veranlaßt, sehr aufmerksam zuzuhören. Und was habe ich gehört? – Schalmeientöne habe ich gehört, Schalmeientöne! Es hat großartig geklungen: Der Retter Haider ist da! Er ist es, der als einziger das Werk weiterführen kann. Die Mitarbeiter brauchen ihm nur zu vertrauen! – Das Wirtschaftskonzept der Freiheitlichen wird hier in den höchsten Tönen gelobt. Mir ist dann allerdings eingefallen, daß auch Meischberger Mitglied der Freiheitlichen Partei ist. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Haigermoser: Heute gibt es noch eine echte Wurmitzer-Rede!) Ja, ich freue mich schon darauf!

Wie sich die Bilder gleichen: Auch damals wurde der Betrieb besucht. Und auf einmal spielen sogar private Rechte überhaupt keine Rolle mehr, und auf einmal spielen auch Verträge keine Rolle mehr! Wenn man nämlich nachfragt, wer denn die Verträge im Falle Semperit gemacht hat, und überlegt, wer denn im Jahre 1985 Handelsminister war, dann stellt sich heraus: Dr. Norbert Steger, Bundesparteiobmann der FPÖ! (Ironische Heiterkeit bei der ÖVP. – Abg. Mag. Stadler: Jörg Haiders Busenfreund! – Weitere Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Und es sitzt noch einer da. Wer war denn Staatssekretär im Finanzministerium? – Abgeordneter Dkfm. Holger Bauer! Er war auch ein bedeutender Mann in dieser Sache! (Beifall des Abg. Dr. Haider. ) Man muß sich also die Dinge ein bißchen genauer anschauen. Im Jahre 1989 trug es sich genauso zu: Auch damals hat Dr. Haider die beiden Betriebe besucht, rein zufällig waren auch damals die Medien dabei, und rein zufällig hat er damals jedem einzelnen Mitarbeiter dieser Betriebe den entsprechenden Teil einer Sonderzahlung in der Höhe von insgesamt 7 Millionen Schilling versprochen. – Bis heute warten die Arbeiter jedoch auf die Einlösung der Zusage des Herrn Dr. Haider!

Im Jahr 1989 wurde Haider dann Landeshauptmann. (Abg. Mag. Posch: Er sagt die Wahrheit!) Damals sind die drei Herren Dipl.-Ing. Prinzhorn, Dr. Haselsteiner und Dr. Haider zusammengesessen. Die Konsequenz: Es gab für beide Firmen keine Rettung! Beide Firmen und beide Werke wurden geschlossen.

Ich war persönlich bei den Verhandlungen dabei. Dipl.-Ing. Prinzhorn hätte die Firma um einen Anerkennungspreis kaufen können. Er hat sie nicht gekauft. Denn es stand ihm der liberale Wirtschaftsexperte Haselsteiner im Wege, der eine Kaufsoption nicht aufgegeben und so auch die Rettung mit verhindert hat. Das muß man hier sagen, damit einmal bekannt wird, wie es


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zugehen würde, wenn diese Herren, die sich heute als Retter der Wirtschaft Österreichs ausgeben, wirklich ans Ruder kommen! (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Es ist einfach unglaublich, daß, wenn damals alle drei zusammen nicht in der Lage waren, ein Werk mit 200 Mitarbeitern zu retten, heute zwei von ihnen ein Werk mit 2 400 retten wollen! (Zwischenruf der Abg. Schaffenrath. ) – Ich kann also schließen und sagen: Das sollen alle Arbeiter in Traiskirchen wissen: Wer auf Haider vertraut, hat auf Sand gebaut! (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

23.52

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Abgeordneter Dr. Haider hat sich zu einer tatsächlichen Berichtigung zu Wort gemeldet.

Ich bitte Sie, mit dem Sachverhalt zu beginnen, den Sie berichtigen wollen. – Bitte, Sie haben das Wort. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

23.52

Abgeordneter Dr. Jörg Haider (Freiheitliche): Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Wurmitzer hat sich wieder einmal bemüßigt gefühlt, die Unwahrheit zu sagen, indem er festgestellt hat, ich hätte den Arbeitnehmern 7 Millionen Schilling an Sonderzahlungen versprochen und sie nicht ausgezahlt.

Ich entnehme dem Landtagsprotokoll, daß die Kärntner Landesregierung unter Vorsitz des Landeshauptmannes Dr. Haider einstimmig beschlossen hat, diesen Betrag zu genehmigen. (Abg. Kiss: Welchen Betrag?) Ich entnehme dem Landtagsprotokoll weiters, daß sich die ÖVP-Fraktion im Landtag gegen die SPÖ und die FPÖ gegen die Auszahlung dieser Summe zur Wehr gesetzt hat. (Zwischenrufe bei der ÖVP. – Rufe und Gegenrufe zwischen der SPÖ, der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Herr Kollege Wurmitzer war zu diesem Zeitpunkt Klubobmann, hat das zur Koalitionsfrage gemacht und die Zurückstellung dieser Auszahlung und die entsprechende Beschlußfassung im Landtag beantragt. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

23.53

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dipl.-Ing. Hofmann. – Bitte.

23.53

Abgeordneter Dipl.-Ing. Maximilian Hofmann (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Wir haben soeben wieder eine Wurmitzer-Rede erlebt. Wie schon des öfteren war diese gespickt mit Unwahrheiten, wie üblich. Draußen beim Display hat Frau Abgeordnete Frieser vorher gesagt: Jetzt kommt Wurmitzer dran, das wird sicher lustig! – Das ist eben die Art und Weise, die der ÖVP offensichtlich gefällt. Trotzdem, Georg Wurmitzer, es ist einmal mehr in die Hose gegangen! (Zwischenruf des Abg. Wurmitzer. – Heiterkeit bei der ÖVP.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute schon sehr viele Zahlen gehört. Alle haben beteuert, wie ernst die Situation ist. Wir haben von den 2 400 Mitarbeitern gehört, von jenen, die in der Region betroffen sind. Und wir haben gehört, welches Spiel die Firma Continental dabei spielt, nämlich ein – wie ich meine – sehr übles Spiel, vor allem wenn man weiß, daß die Produktionsstätte modernst ausgerüstet ist, daß es sich um einen modernen Betrieb handelt. Nichtsdestotrotz ... (Abg. Leikam: Prinzhorn hat geschrieben, daß der Betrieb veraltet ist!) Ich habe den Zwischenruf akustisch leider nicht verstanden, daher kann ich nicht darauf eingehen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Es liegen – und wir haben auch die Historie dazu gehört – einige Dinge im argen: Wir haben gehört, daß die vertragliche Regelung nicht in Ordnung ist. Wir haben gehört, daß eine Scheibchentaktik – Kollege Firlinger hat das angeführt – angewandt und dieses Werk Stück für Stück demontiert wird. Es gibt Einschränkungen. Der Markt kann nicht genutzt werden. Die Bremse wird von Conti gezogen. Zu guter Letzt werden sich die Ma


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schinen, wenn nicht entsprechend kurzfristig Maßnahmen getroffen werden, in Otrokovice wiederfinden, und dort wird möglicherweise dann ein gleichartiges Spiel, wie es hier gespielt wird, über die Bühne gehen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Eine Standortsicherung durch Subventionen, begleitet von dem Ruf nach Sicherung der Arbeitsplätze, ist sicherlich keine Garantie und wirkt nur so lange entsprechend, als das Ende der Pay-back-Periode noch nicht erreicht ist. Es kann keine Kompensation der Standortkosten durch die Subventionen erfolgen.

Es war sicher ein Fehler, daß die Forschungs- und Entwicklungsabteilung abgesiedelt wurden. Sehr geehrte Damen und Herren! Wir wissen aber, daß diese Entwicklung mittlerweile einige Jahre dauert, sie wurde fortgesetzt, und es wurden bislang, bis vor relativ kurzer Zeit, keine Maßnahmen ergriffen, diese Entwicklung zu unterbinden. Förderungen ohne die Sicherung von Forschung und Entwicklung – und es ist wahrscheinlich auch das entscheidende bei dem Vertrag, daß dies bei der Vertragsabfassung nicht berücksichtigt wurde –, sind eben nicht dazu angetan, den Standort tatsächlich zu sichern!

Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich auf einige meiner Vorredner eingehen.

Kollege Fuhrmann hat hier festgestellt, daß Kollege Prinzhorn von seinen 21 Minuten Redezeit vier Minuten zur Sache gesprochen hat. – Ich habe ebenfalls auf die Uhr geschaut, Herr Kollege Fuhrmann: Sie haben in Ihren 15 Minuten Redezeit Polemiken und nichts als Polemiken gebracht! (Zwischenruf des Abg. Grabner. ) Das kann nicht sein, Kollege Grabner! Denn Kollege Fuhrmann ist erst dann, als das rote Lamperl zu blinken begann, dazu übergegangen, zu sagen: Wir müssen entsprechende Überlegungen anstellen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Kollege Fuhrmann! Dafür, Überlegungen anzustellen, haben Sie bislang Zeit gehabt. Sie haben aber nichts umgesetzt. Es nützt nichts, sich nur im Kreise der angeblich Interessierten, die sich mit der Rettung von Semperit befassen wollen, hinzusetzen und Überlegungen anzustellen, ohne etwas in die Tat umzusetzen. Wir Freiheitlichen haben hingegen einen Entschließungsantrag eingebracht, der einige der möglichen Maßnahmen zur Rettung der Arbeitsplätze in Traiskirchen aufzeigt. Und ich darf Sie, Herr Minister, ersuchen, die Überlegungen, die aus unserem Entschließungsantrag hervorgehen, auch ernsthaft in Ihr Bemühen miteinzubeziehen! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Kollege Fuhrmann! Wir wollen keinen schnellen politischen Erfolg. Wir haben jedoch schon sehr oft gesehen, wie die Regierung und die Regierungskoalition untätig zusehen, wenn sich tatsächlich alles zum Ärgsten wendet. – Einige Beispiele:

Was ist mit HTM passiert? Wie sind die Freiheitlichen verhöhnt worden aufgrund ihrer Bedenken hinsichtlich HTM, als Herr Lacina mit Herrn Eliasch als großem Retter, Sanierer und Investor gekommen ist! Was ist heute mit HTM? – Wir werden – das fürchte ich – irgendwann hier in diesem Hause mit diesem Unternehmen wieder zu tun bekommen.

Als sehr erfolgreich für unsere Bemühungen habe ich die Wortmeldungen des Kollegen Marizzi empfunden. Er fordert ja sensationelle Dinge! Ich habe gedacht, ich traue meinen Ohren nicht, als Kollege Marizzi hier forderte, die Steuern ob des wirtschaftlichen Mißerfolges zu senken und den Investitionsbeitrag zu erhöhen. Sehr geehrte Damen und Herren von den Koalitionsparteien! Sie haben vor relativ kurzer Zeit genau das Gegenteil gemacht! Sie haben alles unternommen, was wirtschaftsfeindlich ist, und sozusagen alles unternommen, damit es zu derartigen Dingen wie Absiedelungen von Betrieben kommt, wie wir heute auch am Beispiel Semperit sehen! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist auch mehrmals gesagt worden – und zwar nicht nur von den Freiheitlichen –, Semperit sei kein Einzelfall. Das kann ich nur bestätigen. Ich kann bestätigen, daß dies kein Einzelfall ist. Und ich bin auch schon gespannt, was mit der Lenzing AG passieren wird, die ja nun auch ans Ausland – nach Fernost – verkauft werden soll. Wie Sie wissen, befinden sich 50,1 Prozent der Lenzing AG im Besitz der Bank Austria und der CA.


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Von einer Überlegung können Sie heute bereits ausgehen: Das Rohprodukt, die Rohfaser, ist nicht standortgebunden, und ich fürchte, daß wir bei einem Verkauf – so wie das in Lenzing geplant ist – ein ähnlich gelagertes Thema hier wieder auf dem Tisch haben werden und uns damit auseinanderzusetzen haben werden.

Sehr geehrte Damen und Herren von den Koalitionsparteien! Selbst die Schließung von Betrieben berührt einen eigenartig. Wenn nichts mehr zu retten ist und Betriebe geschlossen werden, dann ist es eigenartig, wie vorgegangen wird, über welche Dinge man einfach hinwegsieht.

Nehmen Sie als Beispiel die WTK in Ampflwang. Die WTK in Ampflwang schließt ihre Tore. Abgesehen davon, daß zu jenem Zeitpunkt, als nur mehr 32 oder 36 Personen – sozusagen zum Aufräumen des Betriebes – bei der WTK in Ampflwang beschäftigt waren, noch ein dritter Vorstandsdirektor eingesetzt wurde, der der ehemaligen schwarzen Reichshälfte zuzuordnen ist, kam ein ehemaliger Vorstandsdirektor, der seinerzeit mitgewirkt hat, daß der Tagbau geschlossen wurde, plötzlich auf die glorreiche Idee: Den Tagbau kann man selbstverständlich wirtschaftlich weiterbetreiben – und er hat sein Interesse kundgetan, das Areal der WTK in Ampflwang zu erwerben!

Sehr geehrte Damen und Herren! Und eines sollten Sie auch wissen: Obwohl es das Angebot einer seriösen Firma gab, das um mehr als 100 Prozent höher lag als jenes des Herrn Vorstandsdirektors Dr. Schabl, wurde ihm der Zuschlag gegeben. Man hat Mittel und Wege gefunden, das Areal dem Herrn Dr. Schabl, dem ehemaligen Vorstandsmitglied Dr. Schabl, zu verkaufen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir werden sehen, was damit passiert. Ich glaube nicht, daß es tatsächlich zu einem Aufleben des Tagbaus bei der WTK kommen wird.

Wenn man die Begleitumstände im Zusammenhang damit betrachtet: Da überlegt man, wie man sich die Kosten für den Abbau des Kohlenbrechers sparen kann, wie man da rekultivieren kann. Und man macht es ganz einfach: Man strengt sich an, um dieses eher häßliche Stück unter Denkmalschutz stellen zu lassen. (Ruf bei der SPÖ: Was hat das mit Semperit zu tun?) Es hat schon damit zu tun. Ich will nur aufzeigen, welche Vorgangsweisen hier gewählt werden, bis hin zur Schließung.

Das nächste Beispiel: die Gleisanlagen der WTK. – Und im übrigen weiß ich nicht, werter Kollege, warum ich darauf angesprochen werde, nicht zu Semperit zu sprechen, wenn der Kollege Wurmitzer bis auf zwei Sätze zu Beginn seiner Rede nichts anderes zu tun hatte, als über Kärnten anno 1989 zu sprechen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Gleisanlagen der WTK und der Rückbau und die Rekultivierung – das alles ist ebenfalls mit Kosten verbunden. Da gehen die Verantwortlichen her und verkaufen diese Gleisanlagen um einen sehr günstigen Preis einem Verein der Freunde der Eisenbahn, einem Verein, den es irgendwann einmal nicht mehr geben wird. Und was wird sein? – Wenn der Rückbau zu erfolgen hat – und die Auflage wird natürlich mit übertragen –, dann wird es diesen Verein wahrscheinlich nicht mehr geben. Der Steuerzahler wird wieder zur Kasse gebeten, und er wird die Kosten für das tragen, was hier verabsäumt wurde, was durch nicht eindeutige, sondern eher zweifelhafte Geschäfte so abgewickelt wurde.

Sehr geehrte Damen und Herren! Nun komme ich nochmals zurück zu Semperit. Wir wissen – es wurde schon erwähnt –, daß 1,2 Milliarden Schilling an Förderung bezahlt wurden. Wir wissen, daß 1,3 Milliarden Schilling an Dividenden an die Mutter abgegeben wurden, und daß 800 Millionen Schilling an die Mutter bezahlt wurden. Wenn Sie das zusammenzählen, kommt ein sehr erklecklicher Betrag heraus. Im Fall Semperit ist es nicht das Unvermögen, etwas zu erwirtschaften – zumindest dann nicht, wenn man aufgrund von Einschränkungen auf dem Markt die Bremse ziehen muß –, sondern dieser Betrieb wäre selbstverständlich dazu in der Lage, und deswegen ist alles daranzusetzen, um hier noch zu einem besseren Ende zu kommen und den drohenden Verlust der Arbeitsplätze abzuwenden. Aber, bitte, machen Sie das nicht in der Weise, daß Sie nur davon reden, sondern ich ersuche Sie darum, tatsächlich auch zu handeln.


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Herr Bundesminister! Es ist mir ein Anliegen, Sie zu ersuchen: Nehmen Sie auch unsere Vorstellungen mit in Ihre Überlegungen auf und handeln Sie im Interesse der Arbeitnehmer in Traiskirchen so rasch wie möglich! Unsere Unterstützung werden Sie dabei jedenfalls haben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

0.07

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Mag. Trattner. – Bitte.

0.07

Abgeordneter Mag. Gilbert Trattner (Freiheitliche): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Wirtschaftsminister! Sie tun mir heute ein bißchen leid: ein Wirtschaftsminister, der von seiner Fraktion so verlassen wird, so alleingelassen wird! Da kommt der Herr Kampichler heraus und hält ein paar Minuten eine langweilige Verteidigungsrede. Da kommt der Herr Kollege Wurmitzer herunter, hält eine Rede, in der er eigentlich nur den Bundesparteiobmann der Freiheitlichen Partei anschwärzt – der das aber eindeutig widerlegen konnte. Sonst kam kein einziger aus Ihrer Partei mit einer Wirtschaftskompetenz – nicht einmal der Kollege Stummvoll, ein Wirtschaftskämmerer (Abg. Dr. Ofner: Der ist auf Tauchstation!) – hierher und nahm sich dieser Sache an. Ich glaube, diese Fraktion haben Sie sich nicht verdient! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Sie haben auch insofern einen schwierigen Stand, als diejenigen, die das Ganze eingebrockt haben – der Herr Minister Schüssel, der Herr Minister Ditz –, ja auch verlorengegangen sind. Die haben sich ja auch verabschiedet. Und das waren ja diejenigen, die hier im Hohen Haus versprochen haben, daß es bei einem EU-Beitritt mit Japan keine Probleme mit den Reifenexporten geben werde. Das hat nämlich Wirtschaftsminister Schüssel im Ausschuß gesagt: daß sichergestellt worden ist, daß die österreichische Quote auf den gesamten österreichischen EU-Anteil daraufgelegt wird. – Und jetzt ist das Ganze nicht zustande gekommen.

Wir haben im Jahr 1992 nach Japan Reifen in einer Größenordnung von mehr als zwei Millionen Stück geliefert, und jetzt sind wir unter 500 000. – Das ist die Crux der Geschichte, und deswegen verstehe ich eines nicht: Wo ist denn die Wirtschaftskompetenz der Österreichischen Volkspartei geblieben? – Bei der Budgetdebatte war Ihr Generalredner der Herr Höchtl – der Herr Höchtl ist in der Budgetdebatte der Generalredner für das Sparpaket, das für die österreichische Bevölkerung ein Belastungspaket darstellt! Er kassiert aber seit 20 Jahren 32 000 S monatlich an arbeitslosem Einkommen! Das ist Ihr Hauptredner für das Sparpaket! – Ihre Wirtschaftskompetenz ist mittlerweile gleich null. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Wirtschaftsminister, wenn ich mir die Debattenbeiträge Ihres Koalitionspartners ansehe, etwa den Debattenbeitrag vom Kollegen Kaufmann, den Debattenbeitrag vom Kollegen Marizzi, und wenn ich mir den Antrag der Freiheitlichen anschaue in bezug auf Semperit, muß ich Sie schon fragen, Herr Kollege Kaufmann, Herr Kollege Marizzi: Wo liegen wir denn auseinander bei den Zielen, die wir verwirklichen wollen? Warum machen wir es nicht gemeinsam? Schauen Sie sich bitte diesen Entschließungsantrag an: Da stehen die Punkte drinnen, Herr Kollege Kaufmann, die Sie hier vernünftigerweise auch vorgebracht haben. Da steht zum Beispiel auch drinnen, was auch bei Ihnen im Budget steht, Herr Finanzminister: daß es eine sogenannte Technologiemilliarde gibt, eine Technologiemilliarde resultierend aus den Privatisierungen. Verwenden wir einen Teil dieser Technologiemilliarde, damit die Forschungs- und Entwicklungsabteilung Semperit wieder nach Österreich zurückkommt. Es wäre doch ein vernünftiger Ansatzpunkt, Budgetmittel, die aus der Privatisierung resultieren, dort wieder vernünftig einzusetzen.

Es wäre weiters eine dringende Angelegenheit, Herr Wirtschaftsminister, daß Sie nach Japan fahren und dort die Verhandlungen aufnehmen (Beifall bei den Freiheitlichen) , die Verhandlungen mit den Japanern in der Richtung aufnehmen, daß Sie betonen, daß das, was damals versprochen worden ist, eingehalten werden soll. Es ist zuwenig, daß Sie noch ein paar Sätze hier sagen, nachdem Ihre Fraktion nicht in der Lage ist, irgendeinen positiven Beitrag zu diesem Problem zu leisten. Es ist zuwenig, daß Sie sagen: Uns genügt es, wenn die deutschen Autos,


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die nach Österreich kommen, mit Semperit-Reifen ausgestattet werden. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Fahren Sie nach Japan und verhandeln Sie mit den Japanern! Stellen Sie ihnen die Rute ins Fenster: Wenn sie zu keinen Konzessionen bereit sind, dann erhöhen Sie den NOVA-Satz für Autoimporte aus Japan. Dann werden sie uns wahrscheinlich auch unsere Reifenkontingente der Firma Semperit aus Österreich wieder abnehmen.

Zu allem nur ja und amen zu sagen, um sich beliebt zu machen, damit man so rasch wie möglich nach Brüssel gehen kann und dort die Positionen besetzen kann, das ist zuwenig.

Die nächste Forderung, die wir an Sie richten – es ist wirklich eine Forderung –: Nehmen Sie einen Anwalt, beauftragen Sie einen Anwalt, der eine Klage formuliert und Semperit beziehungsweise Conti auf Rückzahlung der Förderungen klagt, weil Dinge, die im Vertrag drinstehen, nicht eingehalten wurden. Man darf es einfach nicht zulassen, daß man den Firmenwert wegnimmt, 700 Leute vielleicht jetzt noch abbaut und 1700 Leute dem österreichischen Insolvenz-Ausfall-geldfonds überläßt.

Conti hat in den letzten Jahren 800 Millionen Schilling nach Deutschland abgezogen. So wird das nicht gehen, das ist keine Wirtschaftspolitik! Sie können nicht die österreichische Bevölkerung mit einem Belastungspaket belasten und auf der anderen Seite weitere Belastungen eines ausländischen Konzerns, der bereits 800 Millionen abgezockt hat, dem bereits verschuldeten Insolvenz-Entgeltfortzahlungsfonds andienen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Setzen Sie Maßnahmen! Kollege Van der Bellen hat hier ein ganz vernünftiges Strategiekonzept präsentiert. Nehmen Sie sich dieses Strategiekonzepts an! Entscheiden Sie, wer dieses Strategiekonzept umsetzen soll, nominieren Sie die entsprechenden Leute! Machen Sie es rasch! Sie werden die Unterstützung aller fünf Fraktionen hier im Hohen Haus haben. Aber tun Sie endlich einmal etwas! Es geht wirklich nicht so weiter, daß man ständig nur von der Regierungsbank aus Sonntagsreden hält und nichts passiert. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Stimmen Sie dem Antrag der Freiheitlichen zu! Dieser Antrag ist sinnvoll. Er beinhaltet ein prozessuales Vorgehen gegen Conti wegen zuviel erhaltener Förderung beziehungsweise erhaltener Förderungen, die Conti nicht zustehen. Stimmen Sie dem Antrag zu, daß man eben im Rahmen eines Gesamtprogramms ein Technologieprogramm entwickelt, damit die Forschungs- und Entwicklungsabteilung wieder nach Österreich zurückkommt. Stimmen Sie doch zu, wieder Verhandlungen mit den Japanern – aber direkte Verhandlungen! – aufzunehmen, damit der Absatz österreichischer Reifen nach Japan wieder garantiert ist.

Stimmen Sie doch dem Antrag zu – es ist doch nichts einfacher als das. Redner der sozialistischen Fraktion haben sich dieser Argumentation bedient. Die Österreichische Volkspartei bedient sich einer Argumentation, die nichts anderes beinhaltet als Beschimpfungen seitens des Kollegen Wurmitzer. Sie sind auf sich allein gestellt, habe ich so das Gefühl. Aber hören Sie doch auf die vernünftigen Leute hier im Hohen Haus! Holen Sie sich die Experten und ziehen Sie das durch! Das ist nämlich noch die einzige Hoffnung für die Belegschaft. Denn bald wird die Belegschaft merken, daß hier überhaupt nichts passiert, daß das Unternehmen seit fünf Jahren – und das wissen Sie: seit fünf Jahren! – filetiert wird. Es wird seit fünf Jahren filetiert, indem die Forschungs- und Entwicklungsabteilung abgezogen worden ist, indem die EDV-Abteilung abgezogen worden ist – man hat das immer schrittweise gemacht. Die Produktion wurde praktisch brachgelegt.

Sie haben zugeschaut, und jetzt haben Sie Handlungsbedarf. Sie haben deshalb Handlungsbedarf, weil aus dem Fall Semperit nicht weitere Fälle werden dürfen, Fälle, wie wir sie aus der Vergangenheit bereits kennen. Wir kennen den Fall HTM, wo 5 Milliarden Schilling vergeudet worden sind. Wir kennen den Fall Atomic, der an einen ausländischen Anbieter abgegeben worden ist, anstatt eine österreichische Lösung zu suchen. Wir kennen den Fall Hofman & Maculan, "Konsum", Hallein-Papier und so weiter und so fort.


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35. Sitzung / Seite 228

Halten Sie solche Dinge bitte von der österreichischen Bevölkerung fern! Die 1 700 Mitarbeiter bei Semperit haben es sich nicht verdient, daß man nichts für sie tut. Sehr geehrter Herr Wirtschaftsminister! Es wird nicht gehen, daß man sich einfach verschließt und sagt: Naja, da kann man halt nichts machen, die verlagern die Produktion in die Tschechei und nehmen halt den Firmennamen mit. Jetzt müssen wir halt schauen, daß wir die Schließungskosten irgendwo im Rahmen halten und das Ganze nicht so sehr explodiert, und dann ist der Fall erledigt.

Hier ist Handlungsbedarf gegeben. Da können Sie sich nicht zurücklehnen und sagen: Es kommt ein neues Belastungspaket auf die Österreicher zu, nämlich weitere 1 700 Arbeitslose, die aus dem Insolvenz-Entgeltfortzahlungsfonds finanziert werden müssen und den Schuldenstand dieses Fonds wieder explodieren lassen. Das führt wieder zu Beitragserhöhungen, die wieder auf Kosten der Arbeitnehmer beziehungsweise Arbeitgeber ausgetragen werden.

Nehmen Sie sich diesen Entschließungsantrag der Freiheitlichen Partei vor und lesen Sie ihn bitte durch. Der ist vernünftig. Auch die sozialistische Fraktion hat in vielen Wortmeldungen diesem Entschließungsantrag indirekt die Zustimmung gegeben. Es gab keine Abweichungen. Machen wir das gemeinsam – ich glaube, dann wäre es möglich, die Sache Semperit noch zu sanieren. Wenn nichts passiert, dann geht leider alles den Bach hinunter. Dafür haben wir leider schon zu viele negative Beispiele in Österreich. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

0.17

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Kier. – Bitte.

0.17

Abgeordneter Dr. Volker Kier (Liberales Forum): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte hat bisher eines ganz deutlich gezeigt – und sie war sicher sinnvoll und notwendig, das möchte ich schon außer Streit stellen –, nämlich daß es in der österreichischen Industriepolitik an der europäischen Dimension mangelt, und daß man offenbar auch im Kreis der Bundesregierung falsche Einschätzungen kolportiert hat, was die Möglichkeiten anlangt, einen halbprotektionistischen Außenhandel weiterzubetreiben, wenn man in der EU ist.

Daher sind die Bemühungen des Herrn Bundesministers, die er angekündigt hat, zwar verständlich, weil offenbar nicht mehr Phantasie da ist, aber sie werden nicht sehr hilfreich sein, wenn wir uns nicht dessen besinnen, was eigentlich Sache ist.

Mein Kollege Haselsteiner hat es sehr pointiert gesagt, aber ich möchte es dennoch wiederholen: Wenn wir uns nicht um die Standortqualität kümmern, werden wir immer wieder ähnliche Probleme haben. Und die Standortqualität heißt, daß eben Unternehmen dieser Größenordnung und dieser Kapitalanforderungen keine Abwanderungstendenzen aufweisen. Es ist nun einmal keine moralische Veranstaltung, einen großen Konzern zu führen. Das wollte Haselsteiner zum Ausdruck bringen: Daß man sich nicht darauf verlassen kann, daß irgend jemand aus Sympathie oder Zuneigung uns zuliebe etwas machen wird, wenn wir nicht entweder eine ordnungsgemäße, eine ordentliche vertragliche Grundlage in der Hand haben – das wurde zu Recht schon eingemahnt – oder eben ein vorteilhafter Standort sind, sodaß aus Eigennutz, aber zu unserem Vorteil hier investiert wird.

Wir haben ein Spannungsproblem im Verhältnis zu den Reformstaaten im Osten, und es gibt nun einmal dieses Lohndelta. Es wäre völlig naiv anzunehmen, daß nur deswegen, weil es uns so, wie es ist, nicht gefällt, die Lohnkosten in den vergleichbaren Ländern, beziehungsweise in den Ländern, mit denen wir im Wettbewerb stehen, sprunghaft steigen werden. Natürlich ist es auf lange Sicht als wahrscheinlich anzunehmen, daß sich die Lohnniveaus angleichen werden, aber – und hier möchte ich dem Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion ausdrücklich widersprechen – nicht in der Form, daß wir hinunterschrauben und die anderen unten bleiben. Es ist natürlich zu hoffen, daß sich der Wohlstand in unseren Nachbarländern so entwickelt, daß sich dieses derzeit vorhandene Lohndelta abbaut. Nur braucht es dazu einer offensiven österreichischen Industriepolitik und nicht irgendeiner protektionistischen Kirchturmpolitik, wie sie der Kollege Kaufmann hier eingemahnt hat.


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Und so sehr mir das, was Van der Bellen gesagt hat, gefällt, so sehr mir seine Argumente sympathisch waren: Das muß man erst umsetzen. Das, was hier als die Macht der Konsumenten ausgespielt wurde, das muß man erst auf die Straße bringen. Das ist nicht ganz so einfach, solange nicht auch die Produkte stimmen.

Darüber hinaus – und das ist mir ganz wichtig, und damit komme ich zum Schluß –: Das, was hier mit Semperit gemacht wurde, hat ja Tradition in dem Konzern, aus dem es herausverkauft wurde. Das ist ja nicht der einzige Fall. Ich denke zum Beispiel nur an die Firma Ruthner, ein hochinnovatives Unternehmen, das in Schwierigkeiten war. Es wurde unterpreisig verkauft, und der Käufer konnte innerhalb von drei Bilanzjahren ein Vielfaches des Kaufpreises dort herausholen. Aber er hat gleichzeitig die Forschung stillgelegt und zu sich verlagert, und er hat gleichzeitig das Know-how transferiert und aus dem Unternehmen eine verlängerte Werkbank gemacht.

Das sind ja keine neuen Phänomene, und daher ist hier von der Bundesregierung einzufordern, nicht so überrascht zu sein, nicht so verblüfft zu reagieren, wenn so etwas passiert. Und auch die Gewerkschaft wäre gut beraten, nicht erst dann, wenn die Schmerzen aufgetreten sind, nach irgendeinem raschen Schmerzmittel zu rufen, sondern frühzeitig an die Probleme heranzugehen.

Und die Bank, die das verkauft hat, hatte damals einen politisch eindeutig zuordenbaren Generaldirektor, der hat Androsch geheißen. Sie war mehrheitlich im Besitz der öffentlichen Hand. Also wenn noch nicht einmal dann, wenn die öffentliche Hand Mehrheitseigentümer einer Bank ist, die auch Industriebetriebe und Beteiligungen hat, wenn nicht einmal dann die Wirtschaftspolitik imstande war, anders zu agieren, obwohl sie die unmittelbaren Möglichkeiten gehabt hätte, dann ist meine Hoffnung, daß es jetzt, wo sie diese Möglichkeiten nicht mehr hat, weil das Eigentum weggegeben wurde, sehr gering, wenn nicht endlich eine Industriepolitik in europäischer Dimension beginnt. Wenn das die Lehre aus dem Fall Semperit ist – in einer langfristigen Dimension zumindest –, wäre das durchaus etwas wert. Kurzfristig allerdings ist die Bundesregierung herzlich eingeladen, sich mehr einfallen zu lassen als schöne Worte. (Beifall beim Liberalen Forum.)

0.23

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Haigermoser. – Bitte, Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

0.23

Abgeordneter Helmut Haigermoser (Freiheitliche): Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz noch einige Argumente skizzieren. Fast wäre ich gehalten, eine weitere Wurmitzer-Rede zu halten. (Demonstrativer Beifall und Bravorufe bei der ÖVP.) Meine Damen und Herren, ich glaube aber, es wäre der Ehre zuviel.

Vielleicht auch einen Blick zurück, wie Wurmitzer es getan hat: sein Blick nach Magdalen. Meiner geht zurück in meine Kindheit, als ich das erste Mal mit Semperit Bekanntschaft machte. Es war das, als mir meine Mutter eine Wärmflasche aus diesem Werk auflegte. Schorsch Wurmitzer hätte heute wohl eher einen Eisbeutel gebraucht ob seiner hitzigen Beiträge, die noch dazu substanzlos waren, meine Damen und Herren. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Schieder : Die war zu heiß, die Wärmflasche!)

Ich glaube aber, daß 2 400 Einzelschicksale, verbunden damit die Schicksale der Familienangehörigen, zu ernst sind, Herr Kollege Schieder, um die Probleme der Mitarbeiter dieser Region Niederösterreichs "herunterzudodeln" – ich sage das in dieser Deutlichkeit, Herr Kollege –, "herunterzudodeln" in der Form, daß nämlich in dieser sozialistischen Koalition bis dato nicht einmal ein Funken einer ordentlichen Industriepolitik zu sehen war. Die Ergebnisse haben Sie heute auf dem Tablett serviert bekommen, meine Damen und Herren. Leider Gottes wird auch der Domino-Effekt eintreten in der Form, daß in dieser Region auch die klein- und mittelständischen Betriebe in die Pleite geführt werden. Dafür haben Sie von der sozialistischen Koalition die Verantwortung! Und Schorsch Wurmitzer hätte heute Vorschläge bringen sollen, wie diese Situation verbessert werden kann.


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Meine Damen und Herren! Da hat Wurmitzer wieder einmal gemeint, mit der aufgepflanzten Lanze eine Attacke gegen die Freiheitlichen reiten zu müssen. Nur warst du, Wurmitzer, einmal mehr auf der Schindmähre unterwegs und bist eingegangen wie weiland die böhmische Leinwand. Das ist einmal wieder einmal offenkundig geworden! (Heiterkeit und Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Schorsch Wurmitzer! Wenn Sie sich angeschaut hätten, welche Belastungen auf die Betriebe abgeladen wurden, Belastungen, die jetzt nach sich ziehen, daß die ausländischen Betriebe, die Konzerne aus Österreich abwandern und neue sich nicht gründen, dann wäre es besser gewesen, Schorsch Wurmitzer hätte sich den wirtschaftspolitischen Spiegel vor die Augen gehalten.

Ein Beispiel: das sogenannte Strukturanpassungsgesetz. Was ist da an Belastungen enthalten! Gestern, heute, morgen werden von dieser sozialistischen Koalition neue Belastungen beschlossen. Ein kleines Beispiel: die Krankenscheingebühr, von den Betrieben in bürokratischer Weise wieder abzuführen.

Allenthalben werden von deinen Parteifreunden, Schorsch Wurmitzer, entsprechende Resolutionen gefaßt. Es wird dagegen angekämpft, die Lanze wird aufgepflanzt – und hier im Parlament wird dann brav mit der sozialistischen Koalition mitgestimmt. Der Mut verläßt euch, wenn es um die Umsetzung positiver wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen geht. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Das Problem habt ihr aber nicht nur bei diesen neuen Belastungen, sondern auch in der Vergangenheit. Ein Beispiel ist das sogenannte Arbeitnehmerschutzgesetz. Jetzt gibt es Resolutionen, Frau Tichy-Schreder tritt mit verbaler Kraftmeierei dagegen auf. Seinerzeit, 1994, hat Stummvoll mit großen, tönenden Worten für diese Belastung in diesem Haus hier gestimmt, meine Damen und Herren. Da sind Ihnen aber die Wähler draufgekommen. Aber nicht nur die Wähler insgesamt leiden darunter, sondern insbesondere in Wimpassing und in Traiskirchen, meine Damen und Herren – in Ternitz; Entschuldigung –, leiden 2 400 Mitarbeiter unter Ihrer Wirtschaftspolitik, die den Namen Wirtschaftspolitik nicht verdient. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Schorsch Wurmitzer! Kurz hergehört, damit wir uns der Probleme annehmen, die in diesem Land vorherrschen, was den Wirtschaftsstandort anbelangt. Was kostet denn zum Beispiel die Betriebsgründung für eine GesmbH in der Bundesrepublik? Was kostet das? – 8 350 S! (Abg. Tichy-Schreder: Was hat denn das damit zu tun?) Das hat sehr viel damit zu tun, Frau Kollegin Tichy-Schreder, denn wenn Sie 2 400 Arbeitsplätze vernichten, müssen wir neue schaffen. Darum geht es! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ihre Rahmenbedingungen schauen so aus, daß im Vergleich diese Betriebsgründung in der Bundesrepublik 8 350 S kostet, in Österreich – man höre und staune! – 118 330 S. Dieselbe Betriebsgründung! Die Wirtschaftskammergebühr zum Beispiel, die sogenannte Einverleibungsgebühr, beträgt in der Bundesrepublik null Komma Josef, und in Österreich (Zwischenruf des Abg. Dr. Cap ) – Josef Cap, hergehört! – 20 000 S. 20 000 S muß man in den Tempel Maderthaners tragen, um zu einer Betriebsgründung zu kommen, in der Bundesrepublik null Schilling. (Abg. Dr. Keppelmüller: Helmut, das ist das Service der Bundeskammer!)

Das ist dem Herrn Josef Cap egal. Das ist wurscht. Was sind denn 20 000 S? Wir genehmigen uns ja eh dann neue Spesen, da haben wir es wieder herinnen! – Aber den Betriebsgründer interessiert es, ob er Eigenkapital hat, wenn er seinen Betrieb gründet. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Schorsch Wurmitzer! Es geht darum, wie die vorherrschende Steuersituation aussieht. Und wenn die Zeitschrift der Industriellenvereinigung, die "Industrie", jüngst unter dem Titel "Klimaverschlechterung" geschrieben hat, daß das Steuerpaket – das auch Schorsch Wurmitzer mitbeschlossen hat – für die österreichische Wirtschaft einen Rückschlag darstellt – "Mit einer Klimaverschlechterung zwischen Steuerpflichtigen und Fiskus muß gerechnet werden", heißt es da –, bedeutet das, daß euch, uns, die Republik, die Arbeiter bei Semperit


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die Geschichte relativ schnell eingeholt hat. 2 400 Arbeitsplätze leiden darunter, daß sich ob Ihrer Wirtschaftspolitik die internationalen Konzerne aus Österreich zurückziehen.

Nun kann man auf diese Konzerne schimpfen, denn es mag schon sein, daß da oder dort in den Führungsetagen mit den Arbeitskräften, mit den Arbeitsplätzen nicht besonders zimperlich umgegangen wird. Aber schlußendlich sind Sie von der sozialistischen Koalition insgesamt primär dafür verantwortlich, was hier passiert ist.

Herr Bundesminister Farnleitner! Natürlich sind Sie – insbesondere aufgrund Ihrer kurzen Amtszeit – nicht zuständig. Aber leider Gottes wird in Österreich die Parteipolitik im wieder an die erste Stelle gereiht und nicht die Sorge um die Nöte der Bürger.

Herr Bundesminister! Ich zitiere jetzt aus Ihrer Antrittsrede bei der Wirtschaftskammer in der vergangenen Woche. Sie haben so nonchalant gemeint, Sie hätten schon gesehen, daß bei Ihnen ein großer Karrieresprung eintreten wird, denn Sie hatten das richtige Parteibuch und die richtigen Verwandtschaften und die richtigen Bekannten.

Das mag in der vergangenen Woche beim Wirtschaftskammertag durchaus lustig geklungen haben. Es zeigt aber deutlich auf, welche Geisteshaltung Ihnen innewohnt, meine Damen und Herren! Ich möchte Ihre Tüchtigkeit nicht in Frage stellen! Aber daß Sie nebenbei auch gleich öffentlich betonen, daß Sie das richtige Parteibuch gehabt haben und deswegen in diesem Land Ihre Karrieresprünge ohnedies vorgezeichnet waren, zeigt nicht nur Ihr Sittenbild, sondern auch das des Herrn Schorsch Wurmitzer deutlich, meine Damen und Herren. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Zum Schluß kommend möchte ich sagen: Mir kommt Ihre Wirtschaftspolitik so ähnlich vor wie eine Karikatur, die jüngst im "Kurier" zu sehen war: Vranitzky steht vor der Wand und unternimmt den untauglichen Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln. – Meine Damen und Herren! Diese Wirtschaftspolitik des Pudding-an-die-Wand-Nagelns zeigen Sie bei Ihrem Verhalten betreffend das Semperit-Werk sowie bei Ihrer Steuerpolitik insgesamt. Es tut uns leid, daß Sie nicht umdenken und daß Wurmitzer immer noch meint, mit persönlichen Angriffen gegen Haider von den Versäumnissen Ihrer Politik ablenken zu können. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

0.31

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Zu Wort ist niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen. Wir haben jetzt einige Abstimmungen durchzuführen.

Wir stimmen jetzt ab über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Dipl.-Ing. Prinzhorn und Genossen betreffend Maßnahmen zur Rettung der Semperit Reifen AG und der übrigen österreichischen Kfz-Zulieferindustrie.

Wer für diesen Entschließungsantrag ist, möge dies durch ein Zeichen kundtun. – Das ist die Minderheit . Dieser Antrag ist abgelehnt .

Fortsetzung der Tagesordnung

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Tagesordnungspunkte 1 bis 15, die ich über jeden Ausschußantrag getrennt vornehme.

Zuerst gelangen wir zur Abstimmung über den Entwurf betreffend Sozialrechts-Änderungsgesetz 1996 samt Titel und Eingang in 286 der Beilagen.

Hiezu haben die Abgeordneten Öllinger und Genossen sowie die Abgeordneten Haller und Genossen Abänderungsanträge eingebracht.

Ferner hat Abgeordneter Mag. Haupt getrennte Abstimmung hinsichtlich der Ziffern 99, 112 und 122 verlangt.


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Weiters liegt von 20 Abgeordneten das Verlangen auf namentliche Abstimmung der Ziffer 107 vor.

Schließlich haben die Abgeordneten Reitsamer, Dr. Feurstein und Genossen einen Zusatz- sowie einen Abänderungsantrag eingebracht.

Ich werde zuerst über die von den erwähnten Zusatz- beziehungsweise Abänderungsanträgen sowie vom Verlangen auf getrennte beziehungsweise namentliche Abstimmung betroffenen Teile der Reihe nach und schließlich über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile des Gesetzentwurfes in der Fassung des Ausschußberichtes abstimmen lassen.

Die Abgeordneten Reitsamer, Dr. Feurstein und Genossen haben einen Zusatzantrag eingebracht, der sich auf die Einfügung einer neuen Ziffer 6a bezieht.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die für diesen Zusatzantrag sind, um ein entsprechendes Zeichen. – Dieser Zusatzantrag ist mehrheitlich angenommen worden.

Die Abgeordneten Öllinger und Genossen haben einen Abänderungsantrag eingebracht, der sich auf die Streichung der Z. 41 § 31 Abs. 3 Z. 2 in Art. I bezieht.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Antrag sind, um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt worden.

Ich lasse gleich über Art. I Z. 41 § 31 Abs. 3 Z. 2 in der Fassung des Ausschußberichtes abstimmen.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die hierfür sind, um ein bejahendes Zeichen. – Das ist die Mehrheit. Diese Gesetzesstelle ist in der Fassung des Ausschußberichtes mehrheitlich angenommen.

Die Abgeordneten Öllinger und Genossen haben einen Abänderungsantrag eingebracht, der sich auf Art. I § 31 Abs. 5 Z. 16, § 51 Abs. 3, § 73 Abs. 1, § 73 Abs. 2, § 73 Abs. 4 und § 153 Abs. 4 bezieht.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Abänderungsantrag sind, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Ich lasse sogleich über diese Teile des Gesetzentwurfes in der Fassung des Ausschußberichtes abstimmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dafür sind, um ein entsprechendes Zeichen der Zustimmung. – Diese Teile sind in der Fassung des Ausschußberichtes mehrheitlich angenommen worden.

Wir kommen zur Abstimmung über Art. I Z. 99 in der Fassung des Ausschußberichtes.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die dieser Textstelle in der Fassung des Ausschußberichtes ihre Zustimmung geben, um ein bejahendes Zeichen. – Das ist die Mehrheit. Dieser Teil ist mit Mehrheit angenommen worden.

Die Abgeordneten Öllinger und Genossen haben einen Abänderungsantrag eingebracht, der sich auf Art. I Z. 107 § 135 Abs. 3 bezieht.

Ich bitte jene Damen und Herren, die diesem Abänderungsantrag des Abgeordneten Öllinger und Genossen zustimmen, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt worden.

Wir kommen nun zur Abstimmung über Art. I Z. 107 § 135 Abs. 3 in der Fassung des Ausschußberichtes.

Dazu liegt ein Verlangen auf namentliche Abstimmung vor, das von 20 Abgeordneten gestellt wurde. Die namentliche Abstimmung ist daher durchzuführen.


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Ich erwähne noch einmal kurz den Vorgang.

Die Stimmzettel befinden sich in den Laden der Abgeordnetenpulte. Die Stimmzettel sind mit dem Namen des Abgeordneten versehen. Die "Ja"-Stimmzettel sind grau, die "Nein"-Stimmzettel sind rosa. Ausschließlich diese amtlichen Stimmzettel können für die Abstimmung verwendet werden.

Die Abgeordneten werden namentlich aufgerufen, die Stimmzettel in die bereitgestellte Urne zu werfen.

Ich ersuche jene Abgeordneten, die für Art. I Z. 107 § 135 Abs. 3 in der Fassung des Ausschußberichtes stimmen, "Ja" -Stimmzettel, jene, die dagegen stimmen, "Nein" -Stimmzettel in die Urne zu werfen.

Die Abgeordneten werden zunächst durch Frau Schriftführerin Abgeordnete Parfuss aufgerufen, die später von Frau Abgeordneter Apfelbeck abgelöst wird.

(Über Namensaufruf durch die Schriftführerinnen Parfuss und Apfelbeck werfen die Abgeordneten die Stimmzettel in die Urne.)

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Die Stimmabgabe ist beendet.

Ich ersuche, die dafür bestimmten Bediensteten des Hauses unter der Aufsicht der Schriftführer mit der Stimmenauszählung zu beginnen und unterbreche die Sitzung für einige Minuten.

(Die zuständigen Beamten nehmen die Stimmenzählung vor. – Die Sitzung wird um 0.43 Uhr unterbrochen und um 0.53 Uhr wiederaufgenommen .)

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf und gebe das Abstimmungsergebnis bekannt.

Ich bitte Sie, sich wieder auf die Plätze zu begeben. Wir schreiten dann sofort im Abstimmungsvorgang fort.

Meine Damen und Herren von der ÖVP! Abstimmungsplatz ist nicht der Mittelgang, sondern der Sitzplatz!

Es wurden 165 Stimmen abgegeben, davon Ja-Stimmen: 118, Nein-Stimmen 47.

Art. I Z. 107 § 135 Abs. 3 in der Fassung des Ausschußberichtes ist somit mit Mehrheit angenommen worden.

Das Abstimmungsverhalten der einzelnen Abgeordneten wird im Stenographischen Protokoll ersichtlich gemacht werden.

Mit "Ja " stimmten die Abgeordneten :

Ablinger, Achs, Amon, Antoni, Auer;

Bauer Rosemarie, Bauer Sophie, Binder, Brader, Brinek, Brix, Buder, Bures;

Cap;

Dietachmayr, Donabauer, Dunst;

Eder, Ederer, Edler, Ellmauer, Elmecker;

Fekter, Feurstein, Fink, Freund, Frieser, Fuchs, Fuhrmann;

Gaál, Gartlehner, Gatterer, Grabner, Gradwohl, Großruck, Guggenberger, Gusenbauer;


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Hagenhofer, Heindl, Hlavac, Höchtl, Horngacher, Hostasch, Huber;

Jäger;

Kaipel, Kaiser, Kampichler, Karlsson, Kaufmann, Keppelmüller, Khol, Kiermaier, Kiss, Kopf, Koppler, Kostelka, Kräuter, Kukacka, Kummerer, Kurzbauer;

Lackner, Leikam, Leiner, Löschnak, Lukesch;

Maier, Maitz, Marizzi, Mertel, Morak, Moser Sonja, Müller, Murauer;

Neisser, Neugebauer, Niederwieser, Nowotny, Nürnberger;

Oberhaidinger, Onodi;

Parfuss, Parnigoni, Pittermann, Platter, Posch, Puttinger;

Rada, Rasinger, Rauch-Kallat, Reitsamer, Riedler, Riepl;

Sauer, Schieder, Schrefel, Schuster, Schwarzböck, Schwarzenberger, Schwemlein, Seidinger, Sigl, Silhavy, Stampler, Steibl, Steindl, Stippel, Stummvoll;

Tegischer, Tichy-Schreder, Trinkl, Tychtl;

Verzetnitsch;

Wallner, Wimmer, Wurm, Wurmitzer;

Zweytick.

Mit "Nein " stimmten die Abgeordneten :

Anschober, Apfelbeck, Aumayr;

Barmüller, Bauer Holger, Blünegger, Böhacker, Brauneder;

Dolinschek;

Firlinger;

Graf, Grollitsch;

Haider, Haigermoser, Haller, Haupt, Hofmann;

Kammerlander, Kier, Koller, Krüger;

Lafer;

Madl, Meisinger, Mentil, Moser Hans Helmut, Motter;

Öllinger, Ofner;

Partik-Pablé, Povysil, Preisinger, Prinzhorn, Pumberger;

Reichhold, Rossmann, Ruthofer;

Salzl, Schaffenrath, Scheibner, Schmidt, Schöggl, Stadler, Stoisits;

Trattner, Trenk;

Wenitsch.

*****


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35. Sitzung / Seite 235

Präsident Dr. Heinrich Neisser:
Wir gelangen zur Abstimmung über Art. I Z. 112 § 139 Abs. 1 in der Fassung des Ausschußberichtes.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die dafür sind, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Mehrheit. Dieser Teil ist mehrheitlich angenommen worden.

Wir kommen zur Abstimmung über Art. I Z. 122 in der Fassung des Ausschußberichtes.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die dafür sind, um ein entsprechendes Zeichen. – Auch dieser Teil ist mehrheitlich angenommen.

Die Abgeordneten Haller und Genossen haben einen Abänderungsantrag eingebracht, der sich auf Artikel I Z. 154 § 292 Abs. 1 bezieht.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Abänderungsantrag sind, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt worden.

Ich lasse sogleich über Art. I Z. 154 § 292 Abs. 1 in der Fassung des Ausschußberichtes abstimmen.

Wer dafür ist, möge ein entsprechendes Zeichen geben. – Dieser Teil in der Fassung des Ausschußberichtes ist mehrheitlich angenommen worden.

Wir kommen zur Abstimmung über den Abänderungsantrag der Abgeordneten Reitsamer, Dr. Feurstein und Genossen betreffend § 564.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dafür sind, um ein entsprechendes Zeichen. – Dieser Abänderungsantrag ist mehrheitlich angenommen worden.

Schließlich komme ich nun zur Abstimmung über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile des Gesetzentwurfes samt Titel und Eingang in der Fassung des Ausschußberichtes.

Ich bitte jene Damen und Herren, die diesen Teilen des Gesetzentwurfes ihre Zustimmung erteilen, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Mehrheit. Diese Teile sind mehrheitlich angenommen worden.

Wir kommen sogleich zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dafür in dritter Lesung sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Dieser Entwurf ist auch in dritter Lesung mehrheitlich angenommen worden.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Öllinger und Genossen betreffend Werkvertragsregelung.

Wer für diesen Entschließungsantrag ist, möge ein entsprechendes Zeichen geben. – Das ist die Minderheit . Der Antrag ist abgelehnt .

Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Kier und Genossen betreffend das allgemeine Sozialversicherungsgesetz.

Wer für diesen Entschließungsantrag ist, möge ein entsprechendes Zeichen geben. – Das ist die Minderheit . Der Antrag ist abgelehnt .

Nunmehr kommen wir zur Abstimmung über den Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz geändert wird, samt Titel und Eingang in 215 der Beilagen.

Hierzu haben die Abgeordneten Reitsamer, Dr. Feurstein und Genossen einen Abänderungsantrag eingebracht, der die Änderung des § 267 Abs. 1 zum Inhalt hat.


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35. Sitzung / Seite 236

Da nur dieser eine Abänderungsantrag vorliegt, gelangen wir sogleich zur Abstimmung über den Gesetzentwurf samt Titel und Eingang unter Berücksichtigung des erwähnten Abänderungsantrag der Abgeordneten Reitsamer, Dr. Feurstein und Genossen in der Fassung der Regierungsvorlage.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die dafür sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Mehrheit. Mehrheitlich angenommen.

Wir kommen sogleich zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die auch in dritter Lesung für diesen Gesetzentwurf sind, um ein entsprechendes Zeichen. – Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit Mehrheit angenommen worden.

Wir stimmen nunmehr ab über einen Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauern-Sozialversicherungsgesetz und das Betriebshilfegesetz geändert werden, samt Titel und Eingang in 216 der Beilagen.

Hiezu haben die Abgeordneten Aumayr und Genossen einen Zusatzantrag eingebracht.

Weiters haben die Abgeordneten Reitsamer, Dr. Feurstein und Genossen einen Abänderungsantrag eingebracht, der sich auf Art. I § 256 Abs. 1 bezieht.

Ich werde zunächst über den erwähnten Zusatzantrag und danach über den Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des erwähnten Abänderungsantrags in der Fassung der Regierungsvorlage abstimmen lassen.

Die Abgeordneten Aumayr und Genossen haben einen Zusatzantrag eingebracht, der sich auf die Einfügung einer neuen Ziffer 78a § 255 Abs. 21 in Art. I bezieht.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Zusatzantrag der Abgeordneten Aumayr und Genossen sind, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Gesetzentwurf samt Titel und Eingang unter Berücksichtigung des Abänderungsantrages der Abgeordneten Reitsamer, Dr. Feurstein und Genossen in der Fassung der Regierungsvorlage.

Wer hier zustimmt, möge ein entsprechendes Zeichen geben. – Das ist mit Mehrheit angenommen.

Wir kommen sogleich zur dritten Lesung.

Wer in dritter Lesung dafür ist, möge dies durch ein Zeichen kundtun. – Der Entwurf ist auch in dritter Lesung mehrheitlich angenommen .

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Aumayr und Genossen betreffend Leistungen nach dem AlVG für Nebenerwerbsbauern.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit . Der Entschließungsantrag ist abgelehnt .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Beamten-, Kranken- und Unfallversicherungsgesetz geändert wird, samt Titel und Eingang in 217 der Beilagen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die sich für diesen Entwurf aussprechen, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Mehrheit. Der Entwurf ist mit Mehrheit angenommen.

Wir kommen zur dritten Lesung.


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35. Sitzung / Seite 237

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem gegenständlichen Gesetzentwurf auch in dritter Lesung ihre Zustimmung geben, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Mehrheit . Der Entwurf ist auch in dritter Lesung mehrheitlich angenommen .

Jetzt stimmen wir ab über den Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Sozialversicherung freiberuflich selbständig Erwerbstätiger geändert wird, samt Titel und Eingang in 218 der Beilagen.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die für sich für diesen Gesetzentwurf aussprechen, um ein entsprechendes Zeichen. – Dieser Gesetzesentwurf ist mit Mehrheit angenommen.

Wir kommen zur dritten Lesung.

Wer in dritter Lesung zustimmt, soll dies kundtun. – Der Entwurf ist auch in dritter Lesung mit Mehrheit angenommen.

Ich lasse jetzt über den Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Notarversicherungsgesetz geändert wird, samt Titel und Eingang in 219 der Beilagen abstimmen.

Ich bitte die Damen und Herren des Hohen Hauses, die dafür sind, um ein entsprechendes Zeichen. – Dieser Entwurf ist mit Mehrheit angenommen.

Wir kommen zur dritten Lesung.

Wer in dritter Lesung zustimmt, möge dies kundtun. – Der Entwurf ist in dritter Lesung mehrheitlich angenommen .

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Arbeit und Soziales, seinen Bericht 292 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Wer für diese Kenntnisnahme ist, möge dies durch ein Zeichen kundtun. – Der Bericht ist mehrheitlich zur Kenntnis genommen .

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Arbeit und Soziales, seinen Bericht 293 der Beilagen zur Kenntnis zur nehmen.

Wer dafür ist, möge das durch ein Zeichen kundtun. – Auch dieser Bericht ist mehrheitlich angenommen .

Nunmehr stimmen wir ab über den Antrag des Ausschusses für Arbeit und Soziales, seinen Bericht 294 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Wer dafür ist, möge dies durch ein Zeichen kundtun. – Die Kenntnisnahme dieses Berichtes erfolgt mit Mehrheit .

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Arbeit und Soziales, seinen Bericht 295 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dafür sind, um ein entsprechendes Zeichen. – Die Kenntnisnahme dieses Berichtes erfolgt mehrheitlich .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Arbeit und Soziales, seines Bericht 296 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Wer dafür ist, soll dies durch ein Zeichen kundtun. – Die Kenntnisnahme dieses Berichtes erfolgt mit Mehrheit .

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Arbeit und Soziales, seinen Bericht 297 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.


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35. Sitzung / Seite 238

Wer dafür ist, soll ein entsprechendes Zeichen geben. – Dieser Bericht ist mehrheitlich angenommen worden.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Arbeit und Soziales, seinen Bericht 299 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dafür ihre Zustimmung geben, um ein entsprechendes Zeichen. – Die Kenntnisnahme dieses Berichtes erfolgt mehrheitlich .

Wir gelangen jetzt zur Abstimmung über den Entwurf betreffend ein Bundesgesetz über die Regelung der Arbeit in Backwaren-Erzeugungsbetrieben und über Änderungen des Bundesgesetzes über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen und des Arbeitsruhegesetzes samt Titel und Eingang in 177 der Beilagen.

Hierzu haben die Abgeordneten Mag. Haupt und Genossen einen gesamtändernden Antrag eingebracht.

Ich werde zunächst üben den erwähnten gesamtändernden Antrag und danach über den Gesetzentwurf in der Fassung der Regierungsvorlage abstimmen lassen.

Die Abgeordneten Mag. Haupt und Genossen haben hiezu einen gesamtändernden Antrag eingebracht, der sich auf den Titel und den Text des Bäckereiarbeiter/innengesetzes bezieht.

Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Ich lasse nunmehr über den Gesetzentwurf samt Titel und Eingang in der Fassung der Regierungsvorlage abstimmen und bitte jene Damen und Herren, die dafür sind, um ein bejahendes Zeichen. – Der Entwurf in der Fassung der Regierungsvorlage ist mehrheitlich angenommen worden.

Wir kommen zur dritten Lesung.

Wer diesem Entwurf in dritter Lesung zustimmt, möge ein Zeichen der Zustimmung geben. – Der Entwurf ist auch in dritter Lesung mehrheitlich angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz, das Arbeitsverfassungsgesetz und weitere Gesetze geändert werden samt Titel und Eingang in 301 der Beilagen.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die für diesen Gesetzentwurf sind, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Mehrheit. Der Entwurf ist mehrheitlich angenommen.

Wir kommen zur dritten Lesung.

Wer für diesen Entwurf in dritter Lesung ist, möge dies durch ein Zeichen kundtun. – Der Entwurf ist auch in dritter Lesung mehrheitlich angenommen.

16. Punkt

Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten über den Antrag 224/A der Abgeordneten Robert Elmecker, Paul Kiss und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Fremdengesetz geändert wird (FrG-Novelle 1996), und über den Antrag 222/A der Abgeordneten Dr. Volker Kier und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Fremden (Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992), in der geltenden Fassung, geändert wird (204 der Beilagen)


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35. Sitzung / Seite 239

17. Punkt

Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten über die Regierungsvorlage (114 der Beilagen): Grenzkontrollgesetz – GrekoG (205 der Beilagen)

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Wir gelangen nun zu den Punkten 16 und 17 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem durchgeführt wird.

Es sind dies Berichte des Ausschusses für innere Angelegenheiten über die Anträge 224/A der Abgeordneten Elmecker, Kiss und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Fremdengesetz geändert wird, und 222/A der Abgeordneten Dr. Kier und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Fremden geändert wird (204 der Beilagen), sowie die Regierungsvorlage (114 der Beilagen): Grenzkontrollgesetz (205 der Beilagen).

Berichterstatter zu Punkt 16 ist der Herr Abgeordnete Schwemlein. Ich bitte ihn, die Debatte mit seinem Bericht zu eröffnen.

Berichterstatter Emmerich Schwemlein: Ich bringe den Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten über den Antrag 224/A der Abgeordneten Robert Elmecker, Paul Kiss und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Fremdengesetz geändert wird (FrG-Novelle 1996), und über den Antrag 222/A der Abgeordneten Dr. Volker Kier und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Fremden (Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992), in der geltenden Fassung, geändert wird.

Der Ausschuß für innere Angelegenheiten hat die erwähnten Initiativanträge (224/A und 222/A) in seiner Sitzung am 20. Juni 1996 gemeinsam in Verhandlung genommen.

Die von der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits eingebrachten Entschließungsanträge fanden keine Mehrheit.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuß für innere Angelegenheiten somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem dem schriftlichen Ausschußbericht angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Berichterstatterin zu Punkt 17 ist die Frau Abgeordnete Parfuss. Ich bitte um ihren Bericht.

Berichterstatterin Ludmilla Parfuss: Herr Präsident! Hohes Haus! Ich bringe den Bericht über die Regierungsvorlage (114 der Beilagen): Bundesgesetz über die Durchführung von Personenkontrollen aus Anlaß des Grenzübertritts.

Durch den Beitritt Österreichs zum Schengener Vertragswerk ist die Verpflichtung entstanden, rigorose Außengrenzkontrollen innerstaatlich umzusetzen.

Der Ausschuß für innere Angelegenheiten hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 20. Juni 1996 in Verhandlung genommen.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuß für innere Angelegenheiten somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem dem schriftlichen Ausschußbericht angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Herr Präsident! Ich bitte um Fortführung der Debatte.

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Ich danke beiden Berichterstattern für ihren Bericht.

Zum Wort gemeldet hat sich nunmehr Frau Abgeordnete Dr. Partik-Pablé. – Bitte.

1.04

Abgeordnete Dr. Helene Partik-Pablé (Freiheitliche): Guten Abend, Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir besprechen heute den § 17 Fremdengesetz, nämlich die Ausweisung. Der Verfassungsgerichtshof hat diese Gesetzesbestimmung aufgehoben.


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Es ist etwas unbefriedigend, daß wir heute hier nur diese eine Gesetzesbestimmung behandeln, denn es ist uns ja vom Innenminister schon seit Monaten in Aussicht gestellt worden, daß es zu einer umfassenden Reform des Fremdenrechtes kommen wird, und es ist der Vorschlag auch schon vorgelegen.

Aber kaum war bekannt, was der Innenminister vorhat, ist auch der Entwurf schon wieder in der Schublade verschwunden, weil offensichtlich der Bürgermeister Häupl gewußt hat, was da auf die Wiener, auf die Österreicher zukommt, welche Ideen der Innenminister hat. Er hat auch gewußt, daß das der angeschlagenen Wiener SPÖ nur zum Schaden gereichen könnte, und deshalb ist der Innenminister offensichtlich aufgefordert worden, diesen Vorschlag gleich wieder verschwinden zu lassen.

Es ist ja wirklich arg, was der Innenminister vorhat, nämlich gerade in Anbetracht dessen, was in der gesamten Ausländerfrage los ist. Wir kennen ja alle – Sie haben das genauso gelesen wie wir – den "Pakt gegen das Elend", den rote und schwarze Bezirksvorsteher geschlossen haben, um die katastrophale Lage in den Bezirken, die besonders stark von Ausländern bevölkert sind, einigermaßen darzustellen. (Präsident Dr. Brauneder übernimmt den Vorsitz.)

Ich habe mich wirklich sehr gewundert, daß der Innenminister im Ausschuß auf meine Frage, was er zu diesem "Pakt gegen das Elend" sage, gemeint hat: Na ja, das ist kein Thema, das die Ausländerproblematik betrifft, sondern die Bezirksvorsteher fordern nur die Weiterführung der sanften Stadterneuerung, und deshalb haben sie diesen Pakt geschlossen.

Der Herr Innenminister hat nämlich dieses Elend dort nicht als Folge des überhöhten Ausländeranteiles gesehen, sondern er meinte, das sei eben deshalb so, weil die Wohngebiete schlecht seien. Und er hat eigentlich mir die Schuld gegeben und gemeint, ich hätte diesen Artikel falsch aufgefaßt.

Herr Minister, ich möchte Sie heute aufmerksam machen ... (Abg. Öllinger spricht an der Regierungsbank mit Bundesminister Dr. Einem.) Könnten Sie sich vielleicht niedersetzen und dann reden, wenn einer Ihrer Abgeordneten spricht? – Aber ich komme ohnehin noch auf die Grünen zu sprechen. (Abg. Öllinger: Der Stadler redet viel öfter dazwischen! – Abg. Mag. Stadler: Gehen Sie ins Café, wenn Sie etwas zu reden haben!)

Herr Minister, Sie sollten mir heute die Gelegenheit geben, das zu widerlegen, was Sie im Ausschuß gesagt haben. Sie haben nämlich gemeint, dieser "Pakt gegen das Elend" habe nichts mit den Gastarbeitern zu tun, und Sie haben gesagt, ich hätte den Artikel falsch verstanden, das sei wieder einmal so typisch für die Freiheitlichen.

Ich lese Ihnen jetzt vor – das sagen nämlich die Bezirksvorsteher –: Es wird die Absiedelung von Gastarbeitern in andere Stadtteile durch die Einführung einer Ausländerhöchstquote von 50 Prozent in den Schulen gefordert. Da wird weiters die Verdünnung des viel zu hohen Ausländeranteiles gefordert, und da sagt auch noch der Ottakringer SPÖ-Bezirkschef Barton, bei einem Ausländeranteil von 60 Prozent und mehr sei die Integration beim besten Willen nicht möglich.

Herr Minister! Das ist kein Problem der sanften Stadterneuerung, sondern das ist ein Problem der zu großen Massierung von Ausländern in manchen Bezirken – und in Wien ganz besonders. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Der Herr Barton sagt beispielsweise auch, allnächtlich muß er den neuen Park am Richard Wagner Platz räumen lassen, denn dort haben beispielsweise am Freitag um vier Uhr früh Jugendliche ein Match gespielt. – Das hat nichts mit der Stadterneuerung zu tun, sondern das hat damit zu tun, daß dort offensichtlich Menschen leben, die einen anderen Lebensstil haben als wir. Dagegen muß man auch etwas unternehmen. Nur sehen offensichtlich Sie und die Grünen überhaupt keinen Handlungsbedarf. Bezeichnenderweise haben diese Artikel und dieser Zusammenschluß "Pakt gegen das Elend" sehr viele Befürworter unter den Politikern gefunden, nur der Herr Innenminister Einem und die Grünen haben keinen Grund gesehen. Der Herr Pilz hat wieder einmal diejenigen, die gesagt haben, es sei eine zu große Ausländermassierung


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gegeben, als Ausländerhasser hingestellt. – Das sind jetzt offensichtlich die SPÖ und die ÖVP, die Ausländerhasser.

Aber es ist ja typisch – und damit bin ich schon bei den Grünen –, daß Sie immer nur die anderen verdächtigen und diffamieren. Bei denen sehen Sie immer das Schlechte, das Böse, nur Sie wollen immer herumlaufen und alle belehren, was gut ist und wie das Klima sein muß. Aber wie scheinheilig das ist, haben wir ja daran gesehen, was der Herr Wabl gestern für eine Rolle gespielt hat. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Er ist derjenige, der immer wieder am Stil der anderen etwas auszusetzen hat. Er ist immer derjenige, der im Ton eines Oberlehrers hier "herumhängt" und allen anderen Rügen erteilt. Und dann reagiert er auf eine Rede des Klubobmannes der Freiheitlichen in einer derart obszönen Weise, daß es wirklich eine Schande für dieses Parlament ist. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Das gehört schon zum politischen Stil, daß man sich die Rede eines politisch Andersdenkenden anhört, ohne dabei aus der Rolle zu fallen, ohne dabei die Geduld so zu verlieren, daß man in pubertäre Zeichensprache verfällt.

Eines möchte ich Ihnen schon noch sagen: Ein deutscher Fußballer hat unlängst nach Hause fahren müssen, weil er ein solches Zeichen gegeben hat. Der Herr Wabl aber sieht überhaupt keine Veranlassung, Konsequenzen zu ziehen!

Frau Stoisits, ich kann mich daran erinnern: Sie haben gellend geschrien, als der Herr Burgstaller Sie in einer obszönen Weise mit einem Mikrophon in Zusammenhang gebracht hat, aber ich vermisse Ihre gellenden Schreie jetzt, wo es um den Herrn Wabl geht. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich fordere jedenfalls den Herrn Wabl auf, Konsequenzen zu ziehen, und dabei erhoffe ich mir auch die Unterstützung der Mitglieder des grünen Klubs.

Herr Innenminister! Der Paragraph über die Ausweisung ist außerordentlich wichtig. Sie haben uns gesagt, 3 600 Personen sind im Jahr 1995 ausgewiesen worden. Ich habe den Eindruck, durch diese Änderung wollen Sie diesen Paragraphen etwas aufweichen. Wir haben uns erlaubt einen Abänderungsantrag dazu einzubringen, den ich Ihnen jetzt vorlesen möchte:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Dr. Helene Partik-Pablé, Herbert Scheibner und Kollegen zum Antrag 224/A betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Fremdengesetz geändert wird (FrG-Novelle 1996)

Der Nationalrat wolle beschließen:

1. In § 17 Abs. 2 ist nach Ziffer 6 das Wort "oder" anzufügen und die folgende Ziffer 7 anzufügen:

"7. innerhalb eines Monates nach der Einreise glaubwürdig beschuldigt wurde, eine Ehe ausschließlich oder vorwiegend zum dem Zweck geschlossen zu haben, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben (im Sinne des § 23 EheG)."

2. In § 17 Abs. 2 entfällt der letzte Halbsatz.

3. In § 18 Abs. 2 ist nach Ziffer 8 ein "Strichpunkt" zu setzen und die folgende Ziffer 9 anzufügen:

"9. wenn ein Fremder eine Ehe ausschließlich oder vorwiegend zu dem Zweck geschlossen hat, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben (im Sinne des § 23 EheG)."


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4. § 27 Abs. 3 hat wie folgt zu lauten:

"Der Berufung gegen eine Ausweisung gemäß § 17 Abs. 2 ist die aufschiebende Wirkung abzuerkennen, wenn die sofortige Ausreise des Fremden im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich ist."

*****

Das heißt also, wir wollen, daß auch die Scheinehe in den gesetzlichen Tatbestand aufgenommen wird, und weiters, daß die aufschiebende Wirkung grundsätzlich gilt und nur im Interesse der öffentlichen Ordnung aberkannt werden soll.

Wir bitten Sie, diesem unseren Abänderungsantrag zuzustimmen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

1.13

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Frau Abgeordnete Mag. Stoisits gemeldet. – Bitte, Frau Abgeordnete. Die Bestimmungen der Geschäftsordnungen sind bekannt.

1.13

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (Grüne): Geschätzter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte meine Vorrednerin, die Frau Dr. Partik-Pablé, tatsächlich berichtigen. Sie hat nämlich hier behauptet, ich hätte gellend geschrien, nachdem der Exkollege Burgstaller im Innenausschuß eine nicht gerade feine Bemerkung gemacht hat.

Ich möchte Sie tatsächlich berichtigen und sagen, daß ich eher wortlos protestiert habe, nämlich in der Form, daß ich in einer abweichenden Stellungnahme sein Verhalten geschildert habe – selbstverständlich kritisch. (Abg. Dr. Graf: Schauen Sie sich einmal den Wabl an!) Ich möchte der Frau Kollegin Partik-Pablé den Rat geben, daß es ihr auch ...

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Das war die tatsächliche Berichtigung, glaube ich, im wesentlichen. Jetzt kommt ein Kommentar von Ihnen.

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (fortsetzend): Es steht ihr frei, mir dies nachzumachen.

1.14

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort gemeldet ist nun Herr Abgeordneter Elmecker. – Bitte, Herr Abgeordneter.

1.14

Abgeordneter Robert Elmecker (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Die Wortmeldung der Frau Dr. Partik-Pablé hat ja bewiesen, daß die Freiheitlichen gerne diese sehr sensible Frage der Ausländergesetzgebung zum Wahlkampfthema in Wien gemacht hätten. (Abg. Scheibner: Das habt ihr gemacht! Das waren eure Bezirksvorsteher!) Sie hat von "Elendsvierteln" gesprochen. Wir haben ja diesen Wahlslogan der Freiheitlichen schon einmal gehört, Kollege Scheibner: "Wien darf nicht Chicago werden" und dergleichen mehr.

Sie hätten ganz gern ein Wahlkampfthema in Wien. Für uns ist dieses Thema zu ernst, zu heikel, und daher wollen wir darüber keine Wahlkampfauseinandersetzung im Wiener Wahlkampf haben, meine geschätzten Damen und Herren!

Es wurde schon gesagt, daß der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Dezember 1995 den § 17 aufgehoben hat. Wir werden diese Reparatur heute beschließen, und die heutige Beschlußfassung dieser kleinen Novelle, meine Damen und Herren, bietet mir die Gelegenheit, in aller Kürze eine grundsätzliche Bemerkung zur sogenannten Ausländerpolitik zu machen.


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Der Gesetzgeber, also wir im Hohen Haus, hat schon zu Beginn der neunziger Jahre auf Veränderungen, auf die sicherheits- wie sozialpolitischen Herausforderungen reagiert und klare gesetzliche Regelungen für den Aufenthalt und für die Beschäftigung von Fremden in Österreich geschaffen. Diese unsere Politik ging im wesentlichen von folgenden Grundsätzen aus.

Erstens: Österreich ist ein Land, in dem Menschen, die in ihrer Heimat aus politischen oder religiösen Gründen oder aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe Verfolgung ausgesetzt sind, auch weiterhin Aufnahme und Schutz finden.

Zweitens: Wann immer und wo immer sich Menschen in Not befunden haben oder vor kriegerischen Auseinandersetzungen flüchten mußten, hat sich Österreich und die österreichische Bevölkerung immer hilfsbereit, aufgeschlossen und großzügig erwiesen.

Die dritte Säule der österreichischen Ausländerpolitik ist die strenge Limitierung des Zuzugs ausländischer Arbeitskräfte gerade auch durch das von uns geschaffene Aufenthaltsgesetz.

Es wird aber gerade von freiheitlicher Seite in konsequenter Fortsetzung der bisherigen Ausländer-raus!-Strategie die Forderung nach einer Rückführung arbeitsloser Ausländer erhoben. (Abg. Mag. Stadler: Das stammt von der SPÖ Vorarlberg!) Da möchte ich doch darauf hinweisen, daß schon heute die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes zentrales Kriterium für die Erlangung, aber auch für die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung ist. Das ist die derzeitige Rechtslage, meine Damen und Herren.

Wir haben uns aber nicht nur in Gesetzesinitiativen zu einer ordentlichen Ausländerpolitik ... (Abg. Mag. Stadler: Aber Ihnen versprechen wir, daß wir die Rumänen-Banden herschicken!)

Lieber Kollege Mag. Stadler! Ich möchte Ihnen nur eines in aller Ruhe sagen: Ich kenne Ihre sogenannte Beißwütigkeit in dieser Richtung (Abg. Mag. Stadler: Was? Ich habe nicht gesagt? Sie sind für die Rumänen-Banden? Oder wollen Sie mit denen ziehen?) , aber diese Sache können Sie mir nicht anhängen. Das ist Gott sei Dank bei den Gerichten geklärt worden, und da können Sie den Richtern glauben, der Justiz glauben.

Lieber Kollege Stadler, gehen Sie nach Rumänien! Fühlen Sie sich dort wohl, Sie sind dort sicherlich gut aufgehoben!

Meine Damen und Herren! Die Zusammenarbeit, die wir auf diesem Gebiete hier im Hohen Hause bisher geübt haben, können wir beruhigt auch weiter fortführen. Uns geht vor allem um die Bekämpfung von Menschenhandel, organisierter Kriminalität und Schlepperunwesen, aber auch von Autoschieberbanden und internationaler Drogenkartelle.

In dem in Diskussion stehenden Integrationspaket geht es darum, jenen, die bereits seit längerer Zeit in unserem Lande arbeiten, das Zusammenleben mit ihren Familien zu ermöglichen. Gerade was die immer wieder angesprochenen Fragen im Zusammenhang mit Ausländerkriminalität, Bandenbildung und ähnlichen Sicherheitsrisiken betrifft, gehe ich davon aus, daß das Zusammenleben mit der eigenen Familie, die Sorge um den Ehegatten und die Kinder diesbezüglich eher stabilisierende Wirkung haben werden.

Es ist aber auch festzuhalten, daß wir nicht die Absicht haben, in Zukunft zusätzliche Hilfskräfte ins Land zu holen, denn wir wollen den Österreicherinnen und Österreichern Arbeit geben können, und dort, wo ausländische Arbeitskräfte benötigt werden, auch in Zukunft in erster Linie denen, die bereits hier leben und arbeiten wollen.

Meine Damen und Herren! Abschließend: Wir werden daher den eingeschlagenen Weg der strengen Begrenzung der Neuzuwanderung konsequent fortsetzen und in jenen Bereichen, in denen Verbesserungen der geltenden gesetzlichen Bestimmungen notwendig geworden sind, beim Vollzug dieser Gesetze auch die Menschlichkeit im Auge behalten. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

1.19


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Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder:
Ich trage nach, daß der von Frau Abgeordneter Dr. Partik-Pablé verlesene Abänderungsantrag ordnungsgemäß eingebracht und entsprechend unterstützt ist und daher mit in Verhandlung steht.

Zu Wort gemeldet ist nun der Herr Abgeordnete Dr. Kier. (Abg. Dr. Graf spricht an der Regierungsbank mit Bundesminister Dr. Einem.)

Ich möchte nur bemerken, daß das besonders für jene Fraktionen gelten muß, die sich dafür einsetzen, daß man den Herrn Minister auf der Regierungsbank nicht ablenken soll.

Herr Abgeordneter Dr. Kier, Sie sind jetzt am Wort. (Abg. Mag. Kukacka: Einen Tagesordnungspunkt einmal, wo Sie nicht reden! Nur einen! )

1.19

Abgeordneter Dr. Volker Kier (Liberales Forum): Herr Kollege Kukacka! Ich kann nichts dafür, daß die Tagesordnung so gestaltet ist, daß sie so komprimiert ist. Sie wissen ganz genau, daß es nicht an mir liegt, daß jetzt die Fremdengesetze zur Debatte stehen.

Es mag Ihnen vielleicht unangenehm sein, was ich jetzt sagen werde – das kann schon sein –, denn eines steht fest: Die Bundesregierung hat ein Integrationspaket angekündigt. Es ist hängengeblieben, aber nicht vielleicht deswegen, weil sich Menschenrechtsorganisationen gemeldet haben, sondern deshalb, weil ein paar besorgte Stellungnahmen der Arbeiterkammer vorliegen.

Darin wird eingemahnt, daß man sich vielleicht doch mehr an die Haidersche Fremdenpolitik anlehnen soll als an das, was humanitär wäre. – Und schon ist das Paket eingefroren! Das, was wir heute machen, ist eine rein formale Reparatur, die uns durch den Verfassungsgerichtshof zwingend aufgetragen ist.

Nicht einmal bei dieser Gelegenheit wurde einem Antrag der liberalen Fraktion im Ausschuß Gehör und Mehrheit geschenkt, der sich darum bemüht hätte, gleichzeitig mit dieser Korrektur wenigstens ein paar ganz leicht durchführbare Verbesserungen vorzunehmen, wie zum Beispiel einen echten Zeugenschutz für Frauen, die im Wege von Frauenhandel in die Prostitution gezwungen worden sind. Heute ist die Situation ja so, daß sie, wenn sie sich der Behörde als Zeugen zur Verfügung stellen, nach dem geltenden Recht – praktisch noch bevor sie als Zeugen aussagen können – abgeschoben werden müssen.

Nicht einmal diese kleine Zusatzkorrektur haben Sie gemacht. Sie haben nur eine Formalkorrektur gemacht, die in der Praxis so enden wird, daß eben jetzt in die Bescheide ein Satz mehr hineingeschrieben werden muß, damit nach wie vor vor Eintritt der Rechtskraft abgeschoben werden kann. – Das ist aus liberaler Sicht absolut inakzeptabel.

Als weiterer Punkt steht etwas auf der Tagesordnung, was von den Kollegen, die heute bereits gesprochen haben, noch nicht erwähnt wurde, nämlich das Grenzkontrollgesetz. Dazu möchte ich den folgenden Abänderungsantrag vortragen:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Volker Kier und Partner/innen zur Regierungsvorlage über die Durchführung von Personenkontrollen aus Anlaß des Grenzübertritts (Grenzkontrollgesetz – GrekoG) (114 der Beilagen), in der Fassung des Ausschußberichtes (205 der Beilagen), und zum Fremdengesetz (BGBl. Nr. 838/92) in der geltenden Fassung

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Regierungsvorlage über die Durchführung von Personenkontrollen aus Anlaß des Grenzübertritts (Grenzkontrollgesetz – GrekoG) (114 der Beilagen) wird wie folgt geändert:

1. § 12 Abs. 1 dritter Satz wird wie folgt geändert und lautet:

§ 12 Abs. 1 dritter Satz: "Amtshandlungen im Rahmen der Grenzkontrolle sind innerhalb des Grenzkontrollbereichs möglichst an der Grenzübergangsstelle vorzunehmen."


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2. § 15 Abs. 1 lautet:

"Die Grenzkontrollbehörden sich ermächtigt, mit Hilfe der nach § 12 Abs. 4 erhobenen identitätsbezogenen Daten des Betroffenen Fahndungsabfragen im Rahmen der Sicherheitsverwaltung und der Tätigkeit der Sicherheitsbehörde im Dienste der Strafrechtspflege durchzuführen."

3. § 15 Abs. 2 lautet:

"Sie sind weiters ermächtigt, diese identitätsbezogenen Daten (Abs. 1), soweit sie für die Vollziehung der Bestimmungen über die Einreise- und Aufenthaltsberechtigung des Betroffenen notwendig sind, den Fremdenpolizeibehörden zum Zwecke der Verarbeitung im Rahmen der zentralen Informationssammlung (§ 75 FrG) zu übermitteln."

4. § 15 Abs. 3 lautet:

"Im übrigen sind die Daten (Abs. 1) zu löschen, sobald sie für Zwecke der Grenzkontrolle nicht mehr benötigt werden, spätestens jedoch nach Ablauf von drei Tagen."

5. § 16 Abs. 1 Z 5 und Abs. 2 entfallen.

Das Fremdengesetz (838/92), in der geltenden Fassung, wird wie folgt geändert:

6. § 75 Abs. 1 erster Satz lautet:

"Die Fremdenpolizeibehörden dürfen Namen, Geschlecht, früheren Namen, Geburtsdatum, Geburtsort und Wohnanschrift, Staatsangehörigkeit, Namen der Eltern und Aliasdaten (Grunddatensatz) eines Fremden ermitteln und im Rahmen einer zentralen Informationssammlung samt allenfalls vorhandenen Fahndungsdaten und erkennungsdienstlichen Daten sowie jenen personenbezogenen Daten des Fremden verarbeiten, welche für die Vollziehung der Bestimmungen über die Einreise- und Aufenthaltsberechtigung notwendig sind."

*****

Soweit der Antrag.

Zur kurzen Begründung darf ich noch ausführen: Unter anderem zielt dieser Antrag auch darauf ab, eine Rechtsbereinigung vorzunehmen. Im vorliegenden Gesetzentwurf ist nämlich eine Formulierung enthalten, die wörtlich aus dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz abgeschrieben wurde, nämlich der dort festgeschriebene Grundsatz, daß Verwaltung entsprechend den Erfordernissen der Zweckmäßigkeit, Einfachheit, Raschheit und Kostenersparnis durchzuführen ist. Es ist mir ein dringendes Bedürfnis, diese gesamte Formulierung aus dem Grenzkontrollgesetz gestrichen zu wissen, weil sie ohnedies im Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz feststeht und daselbst hinlänglich für Rechtssicherheit sorgt.

Ein Schlußsatz zur Kollegin Partik-Pablé: Wenn die Bezirksvorsteher in bestimmten Bezirken Absiedlungen fordern, dann machen sie das, was der Bürgermeister Häupl von ihnen verlangt hat. Und das ist leider das Gegenteil von dem, was aus liberaler Sicht menschlich wäre. – Danke schön. (Beifall beim Liberalen Forum.)

1.25

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Platter. – Bitte, Herr Abgeordneter.

1.25

Abgeordneter Günther Platter (ÖVP): Sehr verehrter Herr Präsident! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Ich möchte ganz kurz auf das Grenzkontrollgesetz eingehen. Ich möchte mich nur auf einen Punkt beschränken und folgenden


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Abänderungsantrag vortragen:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Günther Platter, Anton Leikam und Genossen zum Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten (205 der Beilagen) über die Regierungsvorlage (114 der Beilagen) betreffend ein Bundesgesetz über die Durchführung von Personenkontrollen aus Anlaß des Grenzübertritts (Grenzkontrollgesetz – GrekoG).

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Der erste Satz des § 12 Abs. 4 des Bundesgesetzes über die Durchführung von Personenkontrollen aus Anlaß des Grenzübertritts (Grenzkontrollgesetz – GrekoG) lautet wie folgt:

"(4) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, zum Zwecke der Grenzkontrolle die Identität der Betroffenen festzustellen sowie deren Fahrzeuge und sonst mitgeführten Behältnisse von außen und innen zu besichtigen; sofern ein Zollorgan anwesend ist, haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes diesem die Möglichkeit einzuräumen, eine Zollkontrolle zusammen mit diesem vorzunehmen."

*****

Herr Minister! Außerdem ersuche ich – und das ist im Interesse der Sicherheit, der Raschheit und Sparsamkeit des Zieles –, daß künftig und mittelfristig nur ein Exekutivkörper Grenzdienst verrichten soll. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP.)

1.27

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Der soeben verlesene Abänderungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht, entsprechend unterstützt und steht mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Mag. Stoisits. – Bitte, Frau Abgeordnete.

1.27

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (Grüne): Dobar ve#er, gospodin Khol! Guten Abend, Herr Bundesminister! Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Da sich jetzt alle kurz fassen, muß ich es jetzt auch tun. Deshalb insgesamt nur vier Bemerkungen und Begründungen, warum wir dem Grenzkontrollgesetz nicht zustimmen können.

Erstens: aus sehr grundsätzlichen Überlegungen. Ich habe es dem Herrn Bundesminister schon im Ausschuß gesagt: Das Schengener Abkommen ist zwar von Ihnen dieses Jahr schon unterzeichnet worden, allerdings ist das Durchführungsübereinkommen vom Nationalrat nicht genehmigt und daher auch innerstaatlich nicht in Kraft.

Jetzt frage ich mich, wie eigentlich, solange das Schengener Durchführungsübereinkommen vom Nationalrat nicht genehmigt ist, eine Gesetzesänderung gemacht werden kann, die dieser Staatsvertrag erst notwendig macht, wie man das vorweg beschließen kann. Dafür gibt es keine Rechtsgrundlage, und ich halte das für äußerst bedenklich, denn, meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist eine absolute Unterlaufung des Art. 50 B-VG, der davon spricht, daß die Mitwirkungsbefugnis des Nationalrates beim Abschluß von Staatsverträgen gewährleistet ist.

Und das ist eine Vorgangsweise, die den Nationalrat zum Erfüllungsgehilfen der Regierung degradiert. – Das ist der erste wesentliche Punkt.

Der zweite wesentliche Punkt, der mich besonders aufregt, ist der, daß man hier ein umfangreiches Gesetzeswerk vorlegt – also nicht nur vom Inhalt her, sondern auch vom Umfang des Papiers her – und darin kein Satz dazu enthalten ist, was das kostet. Es gibt zwar ein anderes Gesetz, das Bundeshaushaltsgesetz, wo ganz genau drinsteht, daß in jedem Entwurf für ein neues Bundesgesetz der zuständige Bundesminister, in dessen Wirkungsbereich das fällt, über die finanziellen Auswirkungen eine Stellungnahme abzugeben hat. – Kein Wort davon in diesem Gesetz!


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35. Sitzung / Seite 247

Es sind ja Milliardenbeträge, die Schengen kosten wird. Das wissen wir. Wann wird das endlich zugegeben? Wann wird das endlich transparent, meine sehr geehrten Damen und Herren? Solange ein Vertragswerk, wie das Schengener Abkommen durch den Nationalrat nicht genehmigt ist, halte ich es für eine absolut unlautere Vorgangsweise, daß ein Gesetz beschlossen wird, das so ungeheuer große Kosten verursacht wie dieses.

Eine dritte Bemerkung dazu, weshalb es problematisch ist, dieser ganzen Geschichte zuzustimmen: Die Kontrollrechte, die in anderen Staaten, die den Schengener Vertrag unterzeichnet haben, den nationalen Parlamenten eingeräumt werden, fehlen in Österreich völlig. Es gibt absolut keine Berichtspflicht, beziehungsweise würde ich sogar sagen: Es gibt eine Verweigerung der Berichtspflicht, das heißt, es gibt auch keine Informationen für den Nationalrat. Im Gegensatz zur Vorgangsweise bei EU-Vorlagen, die an den Hauptausschuß zugewiesen werden, gibt es, was Schengen betrifft, absolut nichts.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viertens möchte ich erwähnen, warum dieses Grenzkontrollgesetz in unseren Augen absolut unzulässig ist. Wahrscheinlich hat der eine oder andere von Ihnen auch schon die Autoschlangen an der Grenze und das, was sich bei den Kontrollen abspielt, erlebt, zum Beispiel zu Ostern an der slowenisch-kärntnerischen Grenze. Das ist wohl kein Ruhmesblatt dafür, was uns künftig erwartet! Denn es hat sich gezeigt, daß die strengeren Kontrollen an dieser sogenannten oder faktischen Außengrenze dazu führen, daß slowenische Unternehmer nach Italien ausweichen und sich nicht mehr nach Österreich orientieren. Und ähnliches gilt natürlich auch für Konsumenten. Das, was wir mit der Grenzöffnung erlebt haben, daß sich nämlich ein florierender Wirtschaftsverkehr entwickelt hat, wird nun mit einem Schlag zunichte gemacht beziehungsweise wurde in diesem Probelauf unter Beweis gestellt, daß es sich so verhalten wird.

Meine Damen und Herren! Ähnliches ist jetzt auch noch an der österreichisch-italienischen Grenze in Südtirol zu erwarten. Denn Italien ist bisher nicht Mitglied des Schengener Übereinkommens. Deshalb sind wir ja verpflichtet, strenge Kontrollen auch an der österreichisch-italienischen, sprich: Südtiroler-Grenze durchzuführen. Ich kann allen Kolleginnen und Kollegen, die sich so sehr für die Region Tirol-Trentino einsetzen, versprechen: Sie werden in Zukunft ihre blauen Wunder erleben!

Man könnte zum Grenzkontrollgesetz noch zahlreiche Bemerkungen zu den einzelnen Bestimmungen machen. – Ich erspare mir das heute aber.

Zum Fremdenrechtsänderungsgesetz kann ich nur sagen: Die Änderung, die heute vorgenommen werden muß, ist meiner Meinung nach nichts anderes als ein Zeichen für ganz schlechte, miese Legistik. Sonst hätte der Verfassungsgerichtshof das nicht aufgehoben. Darüber gibt es jedoch weder Freude noch sonst etwas! – Natürlich besteht die faktische Notwendigkeit, etwas zu ändern, was nicht bedeutet, daß man deshalb jetzt vor lauter Mitleid, weil man es nicht besser kann, im Innenministerium zustimmt. All das, was uns von den Kritikern der derzeitigen Ausländergesetzeslage in den letzten Monaten und schon seit mehr als ein Jahr speziell von Dr. Einem als neuem Innenminister versprochen wurde, sind bisher leere Versprechungen und leere Worte geblieben.

In seinen auch von uns gelobten Vorstößen, hat er verbal einiges zum Ausdruck gebracht, zum Teil auch unter Mithilfe von Herrn Dr. Khol. Das sogenannte Khol-Einem-Paket enthielt einiges, was absolut unsere Zustimmung fand. Dieses ist jedoch dem Wiener Wahlkampf buchstäblich zum Opfer gefallen. Daher habe ich – das sage ich ganz emotionslos – halt die große Befürchtung, und diese ist gerechtfertigt, daß man dann, je mehr es in den Winter geht, je kälter es wird und je höher die Arbeitslosenziffern im Herbst werden, noch viel weniger Chancen hat, das umzusetzen, als im Mai oder im Juni, wenn die Lage, jahreszeitlich bedingt, besser ist. Darum ist mein Vertrauen sowohl in die Versprechungen von Dr. Einem als auch in das positive Einlenken von Klubobmann Khol sehr gering. Ich hoffe, daß sich meine Befürchtung nicht bewahrheitet. Ich glaube aber, daß diese berechtigt ist, daß all das, was hier produziert wird, viel heiße Luft ist und kein wahrer Wille zu Änderungen besteht. Ich hoffe, daß ich mich jetzt täusche. Das wäre


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Stenographisches Protokoll
35. Sitzung / Seite 248

im Sinne der Rechtsstaatlichkeit und im Sinne vieler Betroffener in Österreich einmal etwas Erfreuliches! – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und beim Liberalen Forum.)

1.35

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Leikam. – Bitte, Herr Abgeordneter.

1.35

Abgeordneter Anton Leikam (SPÖ): Herr Bundesminister! Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In meinem Beitrag werde ich mich nicht der Änderung des Fremdengesetzes beschäftigen, sondern mit dem Grenzkontrollgesetz.

Mit dem Beitritt Österreichs zum Schengener Vertragswerk verpflichtet sich Österreich, an den EU-Außengrenzen verstärkte Kontrolle durchzuführen, während auf der anderen Seite an den Innengrenzen ein Grenzübertritt ohne entsprechende Personenkontrollen angestrebt wird, was aber letztendlich erst dann möglich ist, wenn an den EU-Außengrenzen auch tatsächlich Schengener Standard erreicht ist.

Österreich muß somit an seinen Außengrenzen die Interessen sämtlicher Schengener Vertragsstaaten wahren. – Wir haben seit 1969 ein Grenzkontrollgesetz, das nach wie vor seine Gültigkeit hat, das allerdings aufgrund des EU-Beitrittes Österreichs nicht mehr ausreichend ist. Daher sind Anpassungen durch ein neues Grenzkontrollgesetz notwendig geworden.

Engstens mit diesem Grenzkontrollgesetz ist natürlich auch der Aufbau des Grenzdienstes verbunden. Durch den Beitritt zum Schengener Vertragswerk haben wir uns ja verpflichtet, Schengener Standard an unseren EU-Außengrenzen zu schaffen. Und wir sind gerade dabei, diesen Schengener Standard letztendlich auch zu erreichen.

Mit 1. 7. 1997 sollte es soweit sein, daß die 1 400 Kilometer EU-Außengrenze tatsächlich Schengener Standard aufweisen. Bis zu diesem Zeitpunkt wird baulich alles fertig sein, was für diesen österreichischen Grenzdienst erforderlich ist. Allerdings – und das ist auch festzuhalten – gibt es nach wie vor einige Schwierigkeiten, auch die personelle Ausstattung bis zu diesem Zeitpunkt in vollem Umfange zur Verfügung zu haben. Daher ist auch die Assistenzleistung des Österreichischen Bundesheeres dringend erforderlich. Denn bei der Exekutive sind etwa 1 000 Planstellen zu diesem Zeitpunkt zuwenig, um eine volle Erfüllung dieses Grenzdienstes nach Schengener Standard zu gewährleisten. Es werden dann etwa 2 000 Exekutivbeamte zur Verfügung stehen, die durch das Österreichische Bundesheer unterstützt werden, und es müßte daher möglich sein, diesen Standard auch zu erreichen.

Zur deutschen Kritik, die vor einigen Wochen zu hören war, daß die österreichische Kontrolle an den EU-Außengrenzen sowohl personell als auch technisch nicht den Anforderungen entspricht, soll doch auch gesagt werden, daß die Deutschen, wenn wir fertig sind, vermutlich ihre eigenen Probleme an der bayrisch-österreichischen Grenze haben, ihr Personal dementsprechend unterzubringen.

Ich möchte daher abschließend feststellen: Je schneller es uns allen zusammen gelingen wird, an den EU-Außengrenzen den Schengener Standard zu erreichen, desto rascher werden wir der Bevölkerung bei der Bewältigung der Grenzen auch die erforderliche Reisefreiheit gewähren können. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

1.40

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Scheibner. – Bitte, Herr Abgeordneter.

1.40

Abgeordneter Herbert Scheibner (Freiheitliche): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einige Worte zu einem meiner Vorredner, zu Abgeordneten Elmecker, sagen. Herr Kollege! Man kann es wirklich schon nicht mehr hören, wenn Sie der freiheitlichen Fraktion immer wieder unterstellen, daß sie parteipolitische Propaganda und Wahlkampfpropagande be


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treibe. Sie sagen: Solche Themen bringen wir jetzt nur vor dem Wahlkampf. Herr Kollege Elmecker! Ich muß Sie daran erinnern: Wer hat denn die Ausländerproblematik wieder auf die politische Bühne gebracht? Wer war denn das? – Das waren nicht die Freiheitlichen, daß war Ihr Herr Minister mit seinem Integrationspaket.

Ich weiß, daß es in Ihrer Fraktion sehr großen Unmut, vor allem bei den Wiener Abgeordneten, gibt, daß Einem Ihnen dieses nette Präsentchen ins Nest gelegt hat. (Abg. Elmecker: Das war schon im Koalitionsabkommen enthalten!) Jetzt kommt er vor den Wiener Wahlen mit einem Integrationspaket daher, gemäß dem 100 000 bis 150 000 Ausländer zusätzlich über den Weg der Familienzusammenführung gerade in die Problemgebiete, vor allem in Wien, zuwandern können. – Das haben Sie sich selbst zuzuschreiben! Sie brauchen nicht wieder die Freiheitlichen beschuldigen, daß sie das jetzt aufs Tapet gebracht haben! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Kollege Elmecker! Das zeigt, wie unverantwortlich Sie mit dieser Materie umgehen! Ich will Ihnen nicht noch einmal Ihre Wahlplakate und Wahlprospekte – etwa das aus dem 17. Bezirk von Kollegen Cap – vorlesen. Ich habe das schon das letzte Mal erwähnt. Ich will auch nicht vorlesen, was Stadtrat Hatzl gesagt hat, als er gemeint hat, daß keine weitere Zuwanderung mehr möglich sein wird.

Und ich möchte Ihnen auch nicht noch einmal die Geschichte mit den Bezirksvorstehern zitieren, mit denen Sie schon Frau Kollegin Partik-Pablé konfrontiert hat. Das ist ja das allerbeste, Kollege Elmecker: Sie stellen sich hier als Nichtwiener her und sagen: Das ist eine Polemik der Freiheitlichen! – Ihre Bezirksvorsteher in Wien machen jedoch Propaganda mit Überschriften, daß die Ausländer umgesiedelt werden sollen! Es war Ihre Gewerkschaft, Herr Kollege Elmecker, die schon im Jahr 1993, als uns nicht eingefallen wäre, solche Forderungen zu stellen, einen Gastarbeiterabbau verlangt hat. Herr Kollege Elmecker! 1993 war es der Gewerkschaft vorbehalten, einen Gastarbeiterabbau zu verlangen! Damals haben wir immer nur gesagt: Die Probleme mit den Illegalen und Kriminellen sollen gelöst werden, vor allem die Neuzuwanderung soll gestoppt werden. Lassen Sie also die Kirche im Dorf, Herr Kollege! Sie haben hier allerhand zu klären! (Abg. Elmecker: Er hat das Hirn eines Dackels. – Zwischenruf des Abg. Mag. Stadler. )

Meine Damen und Herren! Es liegt auch in unserer Verantwortung, daß wir ihrer unbegrenzten Zuwanderungspolitik einen Riegel vorschieben. Denn Sie betreiben das quasi in Wellen, Herr Kollege Elmecker: Wenn die Stimmung gerade wieder einmal danach ist, wenn etwa Wahlen vor der Türe stehen, dann machen wir wieder ein bisserl zu, dann tun wir ein bisserl auf restriktiv. Die Behandlung des verunglückten angekündigten Integrationspakets wurde jetzt auf Oktober, also auf die Zeit nach den Wahlen, verschoben. Das soll dann kommen. Aber vor dem Wahlkampf tun Sie so, als würde sich nichts ändern.

Herr Kollege Elmecker! Ein Beispiel dazu, wohin Ihre Zuwanderungspolitik geführt hat, etwa im Schulbereich: Sie als Sozialdemokraten haben sich – zu Recht – als großes Verdienst auf Ihre Fahnen geheftet, daß Sie für alle, vor allem für die Arbeiterklasse und für die kleinen Angestellten, den unbegrenzten Zugang zum Bildungssystem geschaffen haben. – Sie erreichen mit dieser Einwanderungspolitik jetzt aber wieder genau das Gegenteil: All jene, die es sich leisten können, werden ihre Kinder in die Privatschulen schicken. Und die anderen, die das nicht können, werden Probleme damit haben, ihren Kindern eine ordentliche Ausbildung zu garantieren. So weit kommt man.

Ich nenne Ihnen noch ein Beispiel, Herr Kollege: Einer Ihrer Wähler – wahrscheinlich oder vielleicht ist er es jetzt nicht mehr –, ein ganz normaler Bürger aus Rudolfsheim-Fünfhaus, kam bei einer Veranstaltung zu mir und sagte: Herr Abgeordneter, wissen Sie, wie es mir geht? Ich bin Angestellter in einer Plattenfirma, bin verheiratet, habe zwei Kinder. Meine kleine Tochter soll jetzt in die Volksschule gehen, Ausländeranteil an dieser Schule: über 80 Prozent. In diese Schule möchte ich sie nicht schicken. Meine Tochter soll eine ordentliche Ausbildung haben. Ich gebe sie in eine Privatschule. Aber damit ich mir das leisten kann – Herr Kollege Elmecker, hören Sie zu! –, muß ich jetzt, bevor ich meinen Dienst im Plattengeschäft antrete, für Mediaprint Zeitungen ausführen, von vier Uhr früh bis sieben Uhr früh. Um acht Uhr gehe ich dann ins


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Geschäft. (Abg. Elmecker: Genau diese Stimmung erzeugen Sie!) Kollege Elmecker! Das sind die Resultate Ihrer Zuwanderungspolitik! Genau die Bevölkerungsgruppe, die Sie immer vertreten haben, lassen Sie jetzt im Stich. Das ist das Problem! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Kollege Einem, noch zum Schluß, weil Sie hier auch immer alles verharmlosen ... (Zwischenrufe bei der SPÖ. – Rufe und Gegenrufe zwischen den Freiheitlichen und den Grünen. – Zwischenruf des Abg. Öllinger. ) Sie sollten sich besser mit Ihren Freunden im "Kirchweger-Haus" treffen! Dort werden Sie Übereinstimmung finden! Dort ist alles wunderbar! Aber hier, bei der Vertretung der betroffenen Bevölkerung in Wien, sind Sie sicherlich falsch positioniert, Herr Kollege von den Grünen. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenruf des Abg. Wabl. )

Herr Minister Einem! Sie haben eine Anfrage meines Kollegen Graf nur unzureichend und etwas widersprüchlich beantwortet: Es ging um Newroz-Veranstaltung der Kurden im März in der Kurhalle Oberlaa. Kollege Graf hat gefragt, ob die Parolen, die dort geschrien wurden, übersetzt worden sind und ob es zu strafrechtlichen Tatbeständen gekommen ist. Darauf haben Sie auf der einen Seite geantwortet: Da ist nichts weiter zu verfolgen gewesen. Auf der anderen Seite haben Sie auf die Frage von Dr. Graf, ob die Staatsanwaltschaft irgendwelche Ermittlungen eingeleitet hat, mit Ja geantwortet, über den Stand der Ermittlungen könnten Sie aber noch nichts berichten.

Herr Innenminister! Vielleicht können Sie hier darüber auch Auskunft geben. Entweder hat es keine inkriminierenden Parolen dort gegeben: Dann müßte aber die Staatsanwaltschaft nicht ermitteln. Und wenn doch, dann würde uns schon interessieren, in welche Richtung ermittelt wird und welcher Stand der Ermittlungen derzeit vorhanden ist.

Herr Bundesminister! Jedenfalls geht es jetzt nur um eine kleine Reform. Aber wir werden sehr genau aufpassen, und bei der von Ihnen so propagierten großen Reform, wenn es darum geht, diese Famillienzusammenführung zu verhindern, werden Sie uns wieder als Anwalt der Bürger finden. Wir werden nicht zulassen, daß gerade in die Problembereiche, vor allem der Großstädte, wo wir schon jetzt nicht mehr wissen, wie wir die Schulproblematik und die Wohnproblematik bewältigen sollen, über die Hintertür weitere 100 000 bis 150 000 Zuwanderer kommen. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Öllinger: Sie werden das schon schaffen!)

1.46

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Großruck. – Bitte, Herr Abgeordneter.

1.46

Abgeordneter Wolfgang Großruck (ÖVP): Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Mit einer überwältigenden Mehrheit von zwei Dritteln haben die Österreicher vor zwei Jahren für den EU-Beitritt gestimmt. Sie haben ja gesagt zu einer freien Dienstleistung, sie haben ja gesagt zu einem freien Warenverkehr, sie haben ja zu einem freien Kapitalverkehr und ja zur Reisefreiheit gesagt. Die Reisefreiheit ist allerdings insofern nach wie vor eingeschränkt, als noch immer Grenzkontrollen durchgeführt werden.

Die absolute Reisefreiheit innerhalb der Binnengrenzen garantiert das sogenannte Schengener Abkommen, dem Österreich, nachdem es die Voraussetzungen im nächsten Jahr erfüllt haben wird, auch beitreten soll. Abs. 1 in diesem Schengener Abkommen, meine Damen und Herren, lautet: "Die Binnengrenzen dürfen an jeder Stelle ohne Personenkontrolle überschritten werden." Das bedeutet natürlich für die Teilnehmerländer, daß die Außengrenzen optimal abgesichert werden müssen und Kontrollen im Inneren entsprechend durchgeführt werden müssen. Unser Fraktionsobmann Dr. Khol hat in diesem Zusammenhang bereits im Frühjahr das Schlagwort geprägt: Wenn der Verbrecher mit dem Porsche fährt, dann kann die Exekutive nicht mit dem VW Käfer hinten nachfahren. (Beifall bei der ÖVP.)

Genau diesem Slogan soll das Grenzkontrollgesetz Rechnung tragen: Es soll dazu beitragen, den internationalen Banden, den Drogenhändlern, den mafiosen Organisationen, den Wirtschaftsflüchtlingen, den Migrationsströmen und anderen Verbrecherorganisationen Einhalt zu gebieten, welche hier die Situation ausnützen – mit oder ohne Schengen, das möchte ich betonen.


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Es ist auch im Regierungsübereinkommen klar definiert, was im Grenzkontrollgesetz jetzt beschlossen werden soll. Das Fernziel ist aber, die besten Leute mit der umfassendsten Ausbildung und der technisch besten Ausrüstung, geschult in neuen Methoden der Fahndung und Beweissicherung in Zusammenarbeit mit Europol für die Grenzkontrolle zur Verfügung zu haben. Die Ministerien für Inneres und für Finanzen sind aufgefordert, eine Koordination zwischen Zollwache und Exekutive herzustellen und eine entsprechende Ausbildung zu gewährleisten. (Beifall bei der ÖVP.)

Abschließend, meine Damen und Herren, danke ich dem Bundesheer und den Soldaten, die in hervorragender Art und Weise den Grenzschutz in einem Assistenzeinsatz im Burgenland und jetzt auch in Niederösterreich gewährleisten, bis die Voraussetzungen geschaffen werden, daß andere Exekutivorgane an ihre Stelle treten können. – Die Österreichische Volkspartei wird diesem Grenzkontrollgesetz, an dem sie wesentlich mitgearbeitet hat, welches auch ihre Handschrift trägt, natürlich zustimmen. (Beifall bei der ÖVP.)

1.50

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Schaffenrath. – Bitte, Frau Abgeordnete.

1.50

Abgeordnete Maria Schaffenrath (Liberales Forum): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Meine Damen und Herren! Ich werde mich in Anbetracht der vorgeschrittenen Stunde auch sehr gerne kurz halten. Mein Kollege Kier hat bereits darauf hingewiesen, daß wir heute ein Fremdengesetz diskutieren, das an und für sich nur unter Druck und wegen des bereits ausgesprochenen Verfassungsgerichtshofsurteils als halbherzige Korrektur zustande kommt. Sie haben einen Schimmelsatz im Interesse der öffentlichen Ordnung eingeführt und halten somit weiterhin Tür und Tor offen für – wie ich glaube – rechtswidrige Abschiebungen ohne einen endgültigen rechtsgültigen Bescheid.

Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister! Sie haben es leider verabsäumt, auf diesem Gebiet wirklich tätig zu werden und jene Maßnahmen zu setzen, die gerade für Tausende Frauen in Österreich von ganz besonderer Bedeutung wären. Auch dazu hat mein Kollege Kier bereits seine Anmerkungen gemacht: Es geht um jene Frauen, die durch Betrug, durch Täuschung, durch Zwang in extreme Abhängigkeit geraten und zur Prostitution gezwungen werden. Diese Tausende von Frauen sind rechtlich und gesellschaftlich diskriminiert. – Sehr geehrter Herr Minister! Sie haben im Rahmen der EU-Konferenz "Menschenhandel mit Frauen" meiner Meinung nach nur reine Lippenbekenntnisse abgegeben. Im Rahmen der letzten Ausschußberatungen haben Sie einen diesbezüglichen Antrag meines Kollegen Kier leider abgelehnt.

Ich bringe daher heute einen Zusatzantrag ein.

Antrag

der Abgeordneten Maria Schaffenrath, Dr. Volker Kier und Partner/innen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Fremden (Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992), in der geltenden Fassung, geändert wird

Der Nationalrat wolle beschließen:

Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Fremden in der geltenden Fassung geändert wird.

1. Dem § 17 wird folgender § 17a angefügt:

§ 17a: "Fremde dürfen bei Vorliegen des § 17 Abs. 2 Z. 3 nicht ausgewiesen werden, wenn sie gegen Personen, die der Strafdelikte Zuhälterei (§ 216 StGB) oder Menschenhandel (§ 217 StGB) oder ausbeuterische Schlepperei verdächtigt werden, Informationen liefern, die diesen Verdacht erhärten. Diesen Fremden ist eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung zu gewähren."


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2. Dem § 20 wird folgender Abs. 3 angefügt:

§ 20 Abs. 3: "Ein Aufenthaltsverbot darf außerdem nicht erlassen werden, wenn der Fremde gegen Vorschriften, mit denen die gewerbsmäßige Unzucht oder die Prostitution geregelt ist, verstoßen hat, jedoch gegen Personen, die der Strafdelikte Zuhälterei (§ 216 StGB) oder Menschenhandel (§ 217 StGB) oder ausbeuterische Schlepperei verdächtigt werden, Informationen liefert, die diesen Verdacht erhärten."

*****

Sehr geehrter Herr Minister! Ich glaube, es wäre nicht zu früh, diese Bestimmung in das österreichische Fremdengesetz aufzunehmen. Es kann nie zu früh sein, wenn es um menschliche Schicksale geht. Ich glaube vielmehr, es ist höchste Zeit, diesen menschenrechtsverletztenden Zuständen entgegenzutreten. (Beifall beim Liberalen Forum.)

1.53

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Der soeben verlesene Zusatzantrag ist ordnungsgemäß eingebracht, auch entsprechend unterstützt und steht daher in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Lafer. – Bitte, Herr Abgeordneter.

1.53

Abgeordneter Franz Lafer (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren! Herr Kollege Leikam! Sie haben vorhin in bezug auf das Grenzkontrollgesetz gesagt, daß diese Maßnahme aufgrund des EU-Beitritts notwendig war. Ich selbst glaube, behaupten zu können, daß sehr wohl auch positive Aspekte darin enthalten sind. Gescheitert ist diese Maßnahme jedoch daran, daß der Bundesminister für Inneres Dr. Einem und der Finanzminister sich nicht einig wurden.

Denn in der ursprünglichen Fassung hat es geheißen, daß die uniformierte Zollwache komplett in den Grenzdienst der Bundesgendarmerie übernommen wird und nicht teilweise. In diesem Punkt hätten Sie diesen Akt schon erledigt gehabt, und es würde heute nicht mehr zu Differenzen zwischen dem Grenzdienst der Bundesgendarmerie und der Zollwache kommen. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenrufe bei der SPÖ. – Rufe und Gegenrufe zwischen der SPÖ und den Freiheitlichen. – Abg. Mag. Stadler: Es ist ungehörig, was Sie von der SPÖ aufführen! – Rufe bei der SPÖ: Ungehörig bist du!)

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder (das Glockenzeichen gebend): Ich bitte um Aufmerksamkeit für den Redner! – Herr Abgeordneter, fahren Sie bitte fort!

Abgeordneter Franz Lafer (fortsetzend): Deshalb bringen wir auch einen Abänderungsantrag ein.

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Dr. Helene Partik-Pablé, Franz Lafer und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Durchführung von Personenkontrollen aus Anlaß des Grenzübertritts (Grenzkontrollgesetz – GrekoG) geändert wird

Der Nationalrat wolle beschließen:

1. § 7 Abs. 1 wird wie folgt geändert:

Jeder Grenzübergangsstelle ist ein Grenzkontrollbereich zugeordnet; dies ist der im Inland gelegene Bereich innerhalb von 15 Kilometern im Umkreis der Grenzübergangsstelle.

2. § 9 Abs. 3 wird wie folgt geändert:

Der Bundesminister für Inneres hat im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen durch Verordnung festzulegen, daß in bestimmten Grenzkontrollbereichen von Zollorganen Exe


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kutivdienst zur Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen des vierten Abschnittes für die Behörde zu versehen ist; hierbei kann auch eine Beschränkung auf bestimmte sachliche oder örtliche Bereiche sowie auch bestimmte Zeiten vorgenommen werden. Den Zollorganen kommt bei Amtshandlungen im Zusammenhang mit der Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen des vierten Abschnittes die Stellung von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu.

3. § 12 Abs. 4 erster Satz wird wie folgt geändert:

Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, zum Zwecke der Grenzkontrolle die Identität der Betroffenen festzustellen sowie deren Fahrzeuge und sonst mitgeführte Behältnisse von außen und innen zu besichtigen; sofern ein Zollorgan anwesend ist, haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes diesem die Möglichkeit einzuräumen, eine Zollkontrolle vorzunehmen.

*****

Dieser Abänderungsantrag hat folgenden Sinn: In Übereinstimmung mit dem Zollrechts-Durchführungsgesetz, in dem ein Bereich von 15 Kilometern vorgegeben ist, sollte dies auch im Grenzkontrollgesetz verankert sein, damit eine Abdeckung erfolgt.

Zum zweiten Punkt: Die Verordnungen, die hier angesprochen werden, müssen von Kann-Bestimmungen in Muß-Bestimmungen umgewandelt werden, damit Verordnungen erlassen werden und so auch eine gesetzliche Regelung von vornherein gegeben ist, sodaß es danach nicht zu Mißverständnissen kommt.

Zum dritten Punkt, der in diesem Abänderungsantrag angeführt ist: Es sollen Rahmenbedingungen geschaffen werden, wie sich die Organe bei der Grenzkontrolle zu verhalten haben – und nicht strikte Vorgangsweisen, wer welche Aufgabe genau zu erledigen hat.

Diesbezüglich wurde auch ein Antrag vom Herrn Abgeordneten Platter eingebracht, der sinngemäß das gleiche beinhaltet; diesem Antrag werden wir zustimmen. – Ich ersuche Sie deshalb auch, unserem Antrag die Zustimmung zu geben. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

1.57

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Der soeben verlesene Abänderungsantrag wurde ordnungsgemäß eingebracht, entsprechend unterstützt und steht daher mit zur Abstimmung.

Die Rednerliste ist geschlossen und somit auch die Debatte.

Der Herr Berichterstatter wünscht kein Schlußwort.

Wir kommen nun zur Abstimmung , die ich über jeden Ausschußantrag getrennt vornehmen lassen werde.

Wir gelangen zuerst zur Abstimmung über den Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Fremdengesetz geändert wird, samt Titel und Eingang in 204 der Beilagen.

Hiezu haben die Abgeordneten Schaffenrath und Genossen einen Zusatzantrag eingebracht.

Weiters haben die Abgeordneten Dr. Partik-Pablé und Genossen einen Zusatz- zu ihrem Abänderungsantrag eingebracht.

Ich werde daher zunächst über die erwähnten Zusatzanträge und den Abänderungsantrag, dann über diese Teile und schließlich über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile des Gesetzentwurfes in der Fassung des Ausschußberichtes abstimmen lassen.

Die Abgeordneten Schaffenrath und Genossen haben einen Zusatzantrag eingebracht, der sich auf § 17a und § 20a Abs. 3 bezieht.


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Jene Damen und Herren, die für den Zusatzantrag der Abgeordneten Schaffenrath und Genossen sind, ersuche ich um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Die Abgeordneten Dr. Partik-Pablé und Genossen haben einen Zusatzantrag betreffend § 18 Abs. 2 eingebracht.

Ich ersuche jene Damen und Herren im Falle der Zustimmung um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Ferner haben die Abgeordneten Dr. Partik-Pablé und Genossen einen Abänderungsantrag betreffend die §§ 17 Abs. 2 und 27 Abs. 3 eingebracht.

Ich ersuche im Falle der Zustimmung um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.

Damit gelangen wir zur Abstimmung über diese Teile in der Fassung des Ausschußberichtes.

Ich ersuche jene Mitglieder des Hohen Hauses, die dafür sind, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Mehrheit. Angenommen.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile des Gesetzentwurfes samt Titel und Eingang in der Fassung des Ausschußberichtes.

Ich ersuche im Falle der Zustimmung um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Mehrheit. Angenommen.

Wir kommen sogleich zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die in dritter Lesung zustimmen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Das ist die Mehrheit . Der Gesetzentwurf ist damit auch in dritter Lesung angenommen .

Nunmehr kommen wir zur Abstimmung über den Entwurf betreffend Grenzkontrollgesetz samt Titel und Eingang in 205 der Beilagen.

Hiezu haben die Abgeordneten Dr. Kier und Genossen einen Zusatzantrag eingebracht.

Ferner haben die Abgeordneten Dr. Kier und Genossen sowie die Abgeordneten Dr. Partik-Pablé und Genossen je einen Abänderungsantrag eingebracht.

Weiters haben die Abgeordneten Platter, Leikam und Genossen einen Abänderungsantrag vorgelegt.

Ich werde zunächst über den erwähnten Zusatz-, danach über die Abänderungsanträge und hierauf über diese Teile und schließlich über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile des Gesetzentwurfes in der Fassung des Ausschußberichtes abstimmen lassen.

Die Abgeordneten Dr. Kier und Genossen haben zu diesem Tagesordnungspunkt einen Zusatzantrag eingebracht, der sich auf die Änderung des Fremdengesetzes bezieht.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die für den Zusatzantrag der Abgeordneten Dr. Kier und Genossen sind, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.

Die Abgeordneten Dr. Partik-Pablé und Genossen haben einen Abänderungsantrag eingebracht, der sich auf § 7 Abs. 1 und § 9 Abs. 3 bezieht.

Ich bitte jene Mitglieder des Hohen Hauses, die dem zustimmen, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.


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Ich lasse sogleich über diese Teile des Gesetzentwurfes in der Fassung des Ausschußberichtes abstimmen, und ich ersuche im Falle der Zustimmung um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Mehrheit. Angenommen.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Abänderungsantrag der Abgeordneten Dr. Kier und Genossen betreffend die §§ 12 Abs. 1, 15 und 16, und ich bitte im Falle der Zustimmung um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.

Ich lasse sogleich über diese Teile des Gesetzentwurfes in der Fassung des Ausschußberichtes abstimmen und bitte im Falle der Zustimmung um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Mehrheit. Angenommen.

Die Abgeordneten Dr. Partik-Pablé und Genossen haben einen Abänderungsantrag betreffend § 12 Abs. 4 eingebracht.

Ich ersuche im Falle der Zustimmung um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.

Ferner haben die Abgeordneten Platter, Leikam und Genossen einen Abänderungsantrag betreffend § 12 Abs. 4 eingebracht.

Im Falle der Zustimmung zu diesem Antrag bitte ich um ein Zeichen. – Das ist die Mehrheit. Angenommen.

Schließlich komme ich nun zur Abstimmung über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile des Gesetzentwurfes samt Titel und Eingang in der Fassung des Ausschußberichtes.

Im Falle der Zustimmung bitte ich um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Mehrheit. Angenommen.

Wir kommen sogleich zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die auch in dritter Lesung zustimmen, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Mehrheit . Angenommen .

18. Punkt

Bericht des Familienausschusses über die Regierungsvorlage (188 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 geändert wird, und über die Regierungsvorlage (220 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 geändert wird, sowie über den Antrag 220/A der Abgeordneten Dr. Ilse Mertel und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376, zuletzt geändert durch das Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 201/1996, geändert wird (232 der Beilagen)

19. Punkt

Bericht des Familienausschusses über den Antrag 24/A (E) der Abgeordneten Edith Haller und Genossen betreffend Änderung des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (234 der Beilagen)

20. Punkt

Bericht des Familienausschusses über den Antrag 150/A der Abgeordneten Peter Rosenstingl und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 geändert wird (235 der Beilagen)


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21. Punkt

Bericht des Familienausschusses über den Antrag 176/A (E) der Abgeordneten Mag. Dr. Udo Grollitsch und Genossen betreffend Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der vom Strukturanpassungsgesetz zum Familienlastenausgleichsgesetz massiv betroffenen Studenten (236 der Beilagen)

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Wir gelangen nun zu den Punkten 18 bis 21 der Tagesordnung, über welche die Debatte in einem durchgeführt wird.

Es sind dies die Berichte des Familienausschusses über

die Regierungsvorlagen (188 der Beilagen) und (220 der Beilagen) sowie über den Antrag 220/A der Abgeordneten Dr. Mertel und Genossen, alle betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 geändert wird (232 der Beilagen),

den Antrag 24/A (E) der Abgeordneten Haller und Genossen betreffend Änderung des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (234 der Beilagen),

den Antrag 150/A der Abgeordneten Rosenstingl und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 geändert wird (235 der Beilagen), sowie

den Antrag 176/A (E) der Abgeordneten Mag. Dr. Grollitsch und Genossen betreffend Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der vom Strukturanpassungsgesetz zum Familienlastenausgleichsgesetz massiv betroffenen Studenten (236 der Beilagen).

Berichterstatter zu den Punkten 18, 19 und 21 ist Herr Abgeordneter Ellmauer. Ich ersuche ihn, mit seinen Berichten die Debatte zu eröffnen.

Berichterstatter Matthias Ellmauer: Herr Präsident! Hohes Haus! Ich bringe den Bericht des Familienausschusses über die Regierungsvorlage (188 der Beilagen) sowie über die Regierungsvorlage (220 der Beilagen), weiters über den Antrag 220/A der Abgeordneten Dr. Ilse Mertel und Genossen, alle betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 geändert wird.

Am 13. Juni 1996 haben die Abgeordneten Dr. Ilse Mertel und Genossen einen Antrag betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 geändert wird, eingebracht.

Die Abgeordnete Klara Motter brachte einen Abänderungsantrag zur Regierungsvorlage (188 der Beilagen) ein.

Die Abgeordneten Dr. Ilse Mertel, Dr. Sonja Moser und Genossen haben ebenfalls einen Abänderungsantrag zur Regierungsvorlage (188 der Beilagen) eingebracht.

Bei der Abstimmung fand der Abänderungsantrag der Abgeordneten Klara Motter nicht die Zustimmung der Ausschußmehrheit.

Bei der Abstimmung wurde die Regierungsvorlage (188 der Beilagen) unter Berücksichtigung des Abänderungsantrages der Abgeordneten Dr. Ilse Mertel, Dr. Sonja Moser und Genossen mit Stimmenmehrheit angenommen.

Mit der Regierungsvorlage (188 der Beilagen) in der Fassung des Abänderungsantrages der Abgeordneten Dr. Ilse Mertel, Dr. Sonja Moser und Genossen wurde den Intentionen der Regierungsvorlage (220 der Beilagen) und des Antrages 220/A Rechnung getragen. Diese gelten daher als miterledigt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt somit der Familienausschuß den Antrag , der Nationalrat wolle dem dem schriftlichen Ausschußbericht angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.


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Weiters bringe ich den Bericht des Familienausschusses über den Antrag 24/A (E) der Abgeordneten Edith Haller und Genossen betreffend Änderung des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967.

Dieser Antrag befaßt sich mit dem Familienlastenausgleichsfonds. Nach Ansicht der Antragsteller werden die zweckgebundenen Mittel des Fonds für Fremdleistungen verwendet. Andererseits wurden dem Fonds zu viele sozial-, bildungs-, gesundheits- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen aufgebürdet.

Der Familienausschuß hat den gegenständlichen Antrag in seiner Sitzung am 2. Juli 1996 in Verhandlung genommen.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag nicht die Zustimmung der Ausschußmehrheit.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Familienausschuß somit den Antrag, der Nationalrat wolle den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Weiters bringe ich den Bericht des Familienausschusses über den Antrag 176/A (E) der Abgeordneten Mag. Dr. Grollitsch und Genossen.

Dieser Antrag befaßt sich mit der durch die Strukturanpassung zum Familienlastenausgleichsgesetz schwierigen finanziellen Situation der Studenten durch Beschränkung der Auszahlung der Familienbeihilfe auf die Mindeststudiendauer plus zwei Semester sowie die Abschaffung der Freifahrt.

Der Ausschuß hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 2. Juli 1996 in Verhandlung genommen.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag nicht die Zustimmung der Ausschußmehrheit.

Der Familienausschuß stellt den Antrag, der Nationalrat wolle den schriftlichen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Herr Präsident! Für den Fall, daß Wortmeldungen vorliegen, ersuche ich, die Debatte fortzusetzen.

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Danke. – Zuvor bitte ich noch die Frau Abgeordnete Buder als Berichterstatterin zu Punkt 20.

Berichterstatterin Hannelore Buder: Herr Präsident! Hohes Haus! Ich bringe den Bericht des Familienausschusses (233 der Beilagen) über den Antrag der Abgeordneten Dr. Volker Kier und Genossen betreffend Umstrukturierung der Transferleistungen im Familienbereich 9/A (E).

Die Abgeordneten Dr. Volker Kier, Klara Motter und Genossen haben diesen Entschließungsantrag am 15. Jänner 1996 im Nationalrat eingebracht.

Der Familienausschuß hat den gegenständlichen Antrag in seiner Sitzung am 2. Juli 1996 in Verhandlung genommen.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag keine Mehrheit.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Familienausschuß somit den Antrag , der Nationalrat wolle den schriftlichen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Herr Präsident! Ich bitte, die Debatte fortzusetzen.

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Ich danke den Berichterstattern für ihre Berichte.

Die erste Wortmeldung liegt von der Frau Abgeordneten Haller vor. – Bitte, Frau Abgeordnete.


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2.08

Abgeordnete Edith Haller (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Es braucht in der Tat eine gewisse Portion Idealismus und auch Standvermögen, hier in diesem Haus Familienpolitiker zu sein. Dies nicht etwa deshalb, weil die "böse" Opposition immer so viele dringliche Anfragen einbringt, sondern weil es anscheinend üblich geworden ist, Familiendebatten immer an den Schluß der Tagesordnung zu verlegen.

Und deshalb mein Appell an die Familienpolitiker der beiden Regierungsparteien, dafür zu sorgen, daß das in Zukunft wieder einmal anders wird. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Wir verhandeln heute in einem Tagesordnungspunkt die Änderung des Familienlastenausgleichsgesetzes, zu dem eigenartigerweise eine Regierungsvorlage (188 der Beilagen), eine Regierungsvorlage (220 der Beilagen), dazu passende Änderungsanträge und ein weiterer gleichlautender Antrag der Sozialdemokraten vorliegen. – Verwirrend, kompliziert. Ich sehe den Grund dafür vor allem in der unkoordinierten Vorgangsweise der beiden Regierungsparteien, was die Familienpolitik betrifft, wenn in kürzester Zeit Abänderungen von Abänderungen vorgenommen werden müssen.

Was bringen diese Abänderungen nun oder sollen sie insgesamt bringen, die nur mit den Stimmen der Regierungsparteien angenommen worden sind?

Als erstes werden Reparaturmaßnahmen aufgrund von Versäumnissen und Fehlern vorgenommen, die im Rahmen der Beschlußfassung über die Strukturanpassungsgesetze passiert sind. So wird zum Beispiel der Wegfall der Bestimmungen im Strukturanpassungsgesetz über die Einstellung der Familienbeihilfe bei Doppelrepetenten korrigiert.

Weiters gibt es Veränderungen und neue Definitionen im Bereich der Schulbücher und anderer Unterrichtsmittel, die als notwendig erachtet werden, wobei jedoch der Selbstbehalt immer noch aufrechtbleibt.

Als nächstes steht eine Erhöhung des Finanzierungsanteils des FLAF an den Beiträgen des Wochengeldes und der Betriebshilfe auf der Tagesordnung und – last but not least – eine neue Ermächtigungsregelung für den Herrn Familienminister zum Abschluß von Grund- und Finanzierungsverträgen im Rahmen der Verkehrsverbünde sowie die Streichung des § 39c, der es bisher ermöglicht hat, daß alljährlich Milliardenbeträge an stillen Subventionen an die ÖBB geflossen sind.

Herr Bundesminister! Alle diese Änderungen bringen trotz der wirklich immer prekärer werdenden wirtschaftlichen Situation der österreichischen Familien den Familien selbst kaum Verbesserungen. Insgesamt bedeuten diese Änderungen jedoch eine Fortführung des Prinzips der Ausräumung des Familienlastenausgleichsfonds zugunsten anderer Fonds, so wie es schon in den letzten Jahren immer passiert ist.

Nun ein bißchen ausführlicher zu den einzelnen Punkten.

Obwohl im Bereich der Schulbuchregelung absolut positive Ansätze in bezug auf eine Erweiterung der notwendigen Unterrichtsmittel vorhanden sind, können wir diesem Tagesordnungspunkt trotzdem nicht zustimmen, weil der Selbstbehalt nicht – obwohl uns dies bereits versprochen wurde – aufgehoben wurde, sondern aufrechtbleibt. Wir haben in unserem Antrag 24/A (E) deshalb auch die Abschaffung verlangt.

Auch der Absicht, den Wünschen der Lehrer nachzukommen, damit sie sich im Bereich der Freiheit der Auswahl der notwendigen Unterrichtsmittel etwas leichter tun würden, wäre prinzipiell zuzustimmen, wenn diese kleinen Schritte in die richtige Richtung etwas größer wären.

Der Erhöhung des Finanzierungsanteils an Wochengeld und Betriebshilfe von 50 auf 70 Prozent können wir Freiheitlichen keinesfalls zustimmen. Wir sind schon immer gegen die Erhöhung des Anteils der Finanzierung sogar beim Karenzgeld aufgetreten, als das von 50 auf 70 Prozent erhöht wurde. Auch diesen Passus beinhaltet unser Antrag 24/A (E) zur Änderung des Familienlastenausgleichsgesetzes. Wir haben ja schon zum wiederholten Male verlangt, daß der Finanzierungsanteil des FLAF am Karenzgeld auf die 50 Prozent zurückgeführt wird.


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Es ist einfach absolut nicht einzusehen, daß immer und immer wieder Familiengelder zur Sanierung anderer Ressorts herhalten müssen, in diesem Fall der Arbeitslosenversicherung. Genauso wäre natürlich analog dazu der Beitrag der betreffenden Pensionsversicherungsbeiträge auf 50 Prozent zu reduzieren.

Wir Freiheitlichen könnten den neuen Regelungen in diesem Bereich vielleicht eher zustimmen, wenn man sich endlich einmal dazu bekennen würde, daß diese Leistungen insgesamt familienpolitische Leistungen sind und mit Versicherungspolitik nichts zu tun haben, was natürlich bedingen würde, daß dann alle Mütter in den Anspruch dieser Leistungen kommen könnten.

Bezeichnend in diesem Zusammenhang – und ich möchte das nicht verschweigen – ist vor allem die vom Familienministerium gewählte Argumentation bei der Regierungsvorlage (220 der Beilagen), wo es heißt, fremde Leistungen aus dem Familienlastenausgleichsgesetz, die eine Aufstockung und Refundierung von Fahrpreisen vorsehen, sollen abgebaut werden. Hier verwendet man dieses Argument, aber gleichzeitig belastet man den Familienlastenausgleichsfonds mit anderen Zahlungen.

Und sehr überzeugt scheint ja der Herr Bundesminister von seiner neuen Verhandlungsermächtigung nicht zu sein, die er da bekommen hat, denn erstens tritt der § 39c erst am 31. 12. 1997 außer Kraft, was darauf schließen läßt, daß es zumindest im kommenden Jahr noch keine Veränderungen geben wird.

Auch die vage Formulierung über ein mögliches Einsparungspotential von 1 Milliarde Schilling aus diesem Titel, mit dem gerechnet werden kann, sowie das Fehlen einer Terminisierung in diesem Bereich bestätigen sehr wohl meinen Verdacht, daß man den Verhandlungsergebnissen des Herrn Bundesministers relativ wenig Chancen einräumt, was dann für mich eigentlich nur einer Alibihandlung gleichkommt.

Herr Bundesminister! Auch der Bericht im gestrigen "Kurier", im "Kurier" vom 10. 7., machte deutlich, daß Sie nur die politische Akkordierung bekanntgeben konnten. Sie wissen aber, mit welchen Schwierigkeiten und mit welchen Widerständen bei den Verhandlungen mit den Ländern zu rechnen sein wird. Diesbezügliche Interventionen sind sogar schon an mich herangetragen worden. Ich kann mir vorstellen, daß sie im Familienministerium noch viel zahlreicher eingegangen sind.

Soviel zu den geplanten Änderungen.

Wir Freiheitliche haben dann noch etliche Selbständige Anträge eingebracht. Zum Antrag 176/A, der den Bereich der Verschlechterungen bei den Studenten betrifft und in dem eine Fristerstreckung für diese Maßnahmen gefordert wird, wird mein Kollege Grollitsch dann noch Stellung nehmen. Ich möchte es jedoch nicht versäumen, den Antrag 150/A zu erläutern, der auch die Studentenregelungen betrifft.

Die relativ niedrige Einkommensgrenze bei Studenten beim Kindergeld hatte ja an und für sich früher den Zweck, einen Mißbrauch durch Scheinstudenten zu verhindern, die in Wirklichkeit voll arbeiteten, weil ja kein Leistungsnachweis gefordert wurde. Das hat man ja jetzt verändert, und dieses Argument fällt ja dadurch weg. Eigentlich sollte man froh sein, wenn es in Österreich Studenten gibt, die 5 000 S oder 6 000 S nebenher verdienen und trotzdem das Studium in der vorgeschriebenen Zeit abschließen. Man sollte diese Studenten eigentlich belohnen und nicht bestrafen.

Ich glaube, daß es wirklich eine soziale Härte ist, wenn man den Studenten in diesem Fall nicht einmal ein Existenzminimum zugesteht. Dieser Vorschlag würde nur eine ganz minimale Belastung des Budgets bedeuten, und es ist wirklich nicht einzusehen, warum die Regierungsparteien die Zustimmung zu einer geringfügigen Verbesserung für die Studenten verweigern.

Herr Bundesminister! Am Ende meiner Rede, die ich aus zeitökonomischen Gründen bewußt kurz gehalten habe, möchte ich Sie wirklich ersuchen, die Familienpolitik in Österreich nicht verkümmern zu lassen. Ich habe nämlich den Eindruck, daß das sehr wohl geschieht. Man


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debattiert zu nachtschlafender Zeit, und – noch einmal gesagt – ... (Abg. Rosemarie Bauer: Wegen der Dringlichen!) Nein, auch ohne die Dringlichen wären diese Punkte zu einer Zeit diskutiert worden, wo es keine öffentliche Berichterstattung mehr darüber gegeben hätte. (Abg. Rosemarie Bauer: Um 4 Uhr nachmittag hätten wir es behandelt! Der ORF hat schon gefragt!) Nein, nein! (Zwischenruf der Abg. Steibl .) Frau Kollegin Steibl, warum muß man wirklich Familienpolitik an das Ende der Tagesordnung stellen? Setzen Sie sich einmal in Ihrer Partei dafür ein, daß das in Zukunft nicht mehr passiert. Dann würden Sie mir – zumindest in diesem Bereich – beweisen, daß Familienpolitik für die ÖVP noch ein Thema ist. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

2.19

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Hohes Haus! Es ist von der Frau Berichterstatterin zum Tagesordnungspunkt 20 irrtümlich ein falscher Bericht verlesen worden. Ich bitte um ihr Einverständnis, daß wir das durch das Verlesen des richtigen Berichtes korrigieren.

Berichterstatterin Hannelore Buder: Herr Präsident! Hohes Haus! Es tut mir leid, ich habe zum Tagesordnungspunkt 20 den falschen Bericht des Familienausschusses gebracht. In Verhandlung steht der Bericht des Familienausschusses (235 der Beilagen) über den Antrag 150/A der Abgeordneten Peter Rosenstingl und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 geändert wird.

Der Familienausschuß hat diesen Initiativantrag in seiner Sitzung am 2. Juli 1996 in Verhandlung genommen.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Initiativantrag nicht die Zustimmung der Ausschußmehrheit.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Familienausschuß somit den Antrag, der Nationalrat wolle den schriftlichen Bericht zur Kenntnis nehmen. – Es ist der Bericht (235 der Beilagen) zum Tagesordnungspunkt 20, nicht, wie vorher irrtümlich vorgetragen, der Bericht in 233 der Beilagen.

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Danke, Frau Berichterstatterin.

Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Dr. Moser. – Bitte, Frau Abgeordnete.

2.21

Abgeordnete Dr. Sonja Moser (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Wir besprechen heute das Familienlastenausgleichsgesetz, also jenes Gesetz, das die Lasten der Familien ausgleichen soll, und in der Tat ist dem Familienminister wirklich Gutes in seinen Verhandlungen gelungen, in jenen Verhandlungsrunden nämlich, in denen deutlich wurde, daß aufgrund der negativen Bilanzierung der Krankenkassen neue Verhandlungsrunden stattfinden müßten.

In diesem Falle sind also die Doppelrepetenten aus dem herausgefallen, was durch die marginale Zahl bereits in den Budgetverhandlungen deutlich angesprochen worden war. Es wurden wesentlich größere Zahlen angegeben, aber die Zahlen aus dem Schuljahr 1995/96 waren eher niedrig. 40 000 Familien wären anzuschreiben gewesen, 40 000 Familien wären verunsichert worden – aber es ist das zu einem guten Ende gebracht worden, indem sie eben herausgefallen sind. (Beifall bei der ÖVP.) Das ist also wunderbar gelungen.

Des weiteren wird endlich auch offenes, modernes Lernen möglich. Es kommen jetzt nämlich auch andere Unterrichtsmittel, andere Lernbehelfe, automatisationsunterstützte Datenträger, wie CD-Rom und Disketten, zum Einsatz. Es ist dies zwar noch nicht in der Größenordnung möglich, wie ich sie mir für Lehrer wünschen würde – engagierte Lehrer brauchen verstärkt diese Unterrichtsmittel; derzeit beträgt ihr Anteil nur 5 Prozent –, aber vielleicht wird dann für das nächste Schuljahr mehr möglich sein. (Abg. Dkfm. Holger Bauer: Große Sonntagsreden halten draußen!) Wir in Österreich sind stolz auf diese Schulbuchaktion, aber ohne Wiederverwendung der Schulbücher ist sie in Zeiten des Sparens wohl nicht mehr denkbar. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der SPÖ.)


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Auch bezüglich des Selbstbehaltes, der heute wiederum kritisiert wurde, habe ich schon mehrfach ausgedrückt, daß da sowohl individuell als auch kollektiv eingespart werden kann, und die Einsparungen können direkt, über den Erlagschein, an die Eltern weitergegeben werden.

Zum § 39a des Familienlastenausgleichsgesetzes, wonach das Wochengeld und die Betriebshilfe zu 70 Prozent aus dem Familienlastenausgleichsfonds zu bezahlen sind, kann man sagen, daß dadurch eine wesentlich nähere familienpolitische Leistung ermöglicht wird, die möglicherweise auch in ihrer Folgewertigkeit mehr zählt als die Sozialtarifabgeltung, die 1988 aufgrund einer einmaligen Budgetkonsolidierung in dieses Familienlastenausgleichsgesetz aufgenommen wurde. Sie ist 1997 zum letzten Mal zu bezahlen.

Einen großen Erfolg hat der Familienminister erzielt, indem er nun Verträge mit Verkehrsträgern, mit Verkehrsverbünden abschließen kann, indem er Tarife ausverhandeln kann. Das alles war nicht ursprüngliche Kompetenz des Familienministers. Der Erfolg hat sich bereits darin niedergeschlagen, daß Studenten Zeitkarten zu Preisen bekommen, die bereits 30 bis 40 Prozent unter denen der Verbundtarife liegen. Die Verkehrsverbünde können nicht länger so arrogant sein und eine so große Fahrgastgruppe ausschließen. (Beifall bei der ÖVP.)

Dies ist mit dem Schuljahr 1997/98 in Aussicht gestellt, sodaß wir hier sehr wohl einen Zeithorizont haben.

Ein besonderes Anliegen ist mir persönlich der Mutter-Kind-Paß. Er ist ein EU-Vorzeigeobjekt und wurde 1974 eingesetzt, um die Säuglingssterblichkeit zu reduzieren, um Frühuntersuchungen durchführen zu lassen. Durch diese Untersuchungen haben sich natürlich auch die Folgekosten verringert.

Die Geburtenbeihilfe wurde aber gestrichen, ein entsprechendes Anreizsystem fehlt. Wir wissen aus deutschen Studien, daß nur mehr 40 bis 60 Prozent aller vorgesehenen Untersuchungen in Anspruch genommen werden. Hier müssen wir weiterdenken, hier muß ein Evaluieren, ein Umstrukturieren stattfinden, und wir müssen auch die zehn weiteren Untersuchungen des Obersten Sanitätsrats einfließen lassen, um für unsere Kinder die bestmögliche Versorgung anzubieten. Letztendlich wäre es schön, wenn aus diesem Mutter-Kind-Paß einmal ein allgemeiner Gesundheitspaß für unsere Jugend werden könnte. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

2.27

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Klara Motter. –Bitte, Frau Abgeordnete.

2.27

Abgeordnete Klara Motter (Liberales Forum): Herr Präsident! Herr Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin a. D.! Glauben Sie wirklich alles, was Sie uns jetzt versucht haben weiszumachen? Glauben Sie, daß wir Ihnen das abnehmen? Glauben Sie wirklich, daß das, was Sie jetzt von sich gegeben haben, den Tatsachen entspricht? (Abg. Dr. Feurstein: Das stimmt alles!)

Ein Fehlverhalten in den Strukturgesetzen, das wir schon lange erkannt haben – schon damals erkannt und auch hier angeprangert haben –, jetzt als großen Erfolg zu feiern, das spottet jeder Beschreibung! (Beifall beim Liberalen Forum und bei den Grünen.)

Meine Damen und Herren! Wir stimmen heute unter anderem auch über eine Gesetzesvorlage ab, die rückwirkend mit 1. Juli 1996 in Kraft tritt. Herr Minister, ich habe meinen Unmut bereits im Ausschuß kundgetan, und ich sage Ihnen auch heute: Ich bin mit Ihrer Antwort in keinster Weise zufrieden! Wie Sie über Abgeordnete drüberfahren, wie Sie als Regierungsmitglied uns vormachen wollen, was wir zu tun haben, das ist ebenso ein Fehlverhalten – und ich werde Ihnen das immer wieder vorhalten, merken Sie sich das! (Beifall beim Liberalen Forum und bei den Grünen.)

Mit dieser Regierungsvorlage wird die Querfinanzierung der Krankenkassen aus dem Familienlastenausgleichsfonds fixiert. Der FLAF zahlt nicht mehr wie bisher 50 Prozent, sondern 70 Prozent des Wochengeldes. Wochengeld beziehen allerdings nur Frauen, die im Erwerbsleben gestanden sind.


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35. Sitzung / Seite 262

Für uns Liberale ist die neuerliche vermehrte Finanzierung aus dem FLAF inakzeptabel, da der FLAF Familienleistungen und keine arbeitsrechtlichen Leistungen zu tätigen hat. Das Wochengeld ist unserer Meinung nach de facto eine arbeitsrechtliche Leistung. Wir sehen daher nicht ein, warum der FLAF wieder einmal zweckentfremdet wird.

Herr Minister! Auf Ihre Versprechen gebe ich schon lange nichts mehr. Sie haben immer wieder versprochen, Sie werden den FLAF nicht zweckentfremden. Sie gehen jetzt auf scheinbare Versprechungen ein – ich warte geduldig ab, ob sie eingehalten werden.

Meine Damen und Herren! Wir geben auch den weiteren Anträgen, mit denen das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 geändert wird, nicht unsere Zustimmung, denn wir halten die von uns vorgesehene Umstrukturierung der Transferleistungen im Familienbereich – die im Ausschuß allerdings fürs erste abgelehnt wurden – für einen neuen, richtigen Weg, der weg vom Gießkannenprinzip hin zu einer direkteren Familienförderung führen würde.

Und weil in diesem Zusammenhang auch der Familienlastenausgleich nach neuen Grundsätzen zu überarbeiten wäre, halten wir es auch nicht für sinnvoll, auch zweifellos kleinen Verbesserungen, die durch Versäumnisse in der Strukturreform heute neu beschlossen werden, unsere Zustimmung zu geben. (Beifall beim Liberalen Forum und bei den Grünen.)

2.30

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Dr. Mertel. – Bitte, Frau Abgeordnete.

2.30

Abgeordnete Dr. Ilse Mertel (SPÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Frau Abgeordnete Haller, ich stimme mit Ihnen überein, wenn Sie sagen, daß die Wertigkeit der Familie wohl nicht sehr hoch sein kann, wenn entsprechende Themen immer in der Nacht abgehandelt werden. Da stimme ich Ihnen zu! Ich glaube aber, daß der Familie diese Wertigkeit nicht mit Absicht zugeordnet wird. Denn wir können ja bei der Erstellung der Tagesordnung nicht voraussehen, wie viele dringliche Anfragen Ihre Partei einbringen wird. (Beifall bei der SPÖ.)

Aber ich schließe mich Ihrem Vorschlag an, uns künftig zu bemühen, daß das Kapitel Familie immer vor den dringlichen Anfragen der Freiheitlichen abgehandelt wird. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Abg. Haller .)

Diese Novelle hat mehrere positive Zielsetzungen: Transparenz und Kostenwahrheit für die Schüler- und Lehrlingsfreifahrt; Bereinigung der Sozialtarifabgeltung für die ÖBB; die Familienbeihilfe bleibt auch für jene Schüler, die zweimal wiederholt haben, ab dem 19. Lebensjahr erhalten; eine finanzielle Konsolidierung der Krankenversicherungen durch Familienlastenausgleichsmittel soll erreicht werden; Öffnung der Schulbuchaktion für neue Medien und Unterrichtsmittel freier Wahl.

Ich räume ein und gebe zu, daß die ... (Abg. Schaffenrath: 5 Prozent!) Das ist immerhin etwas! Und das Jahr darauf werden es dann 10 Prozent sein!

Die Krankenversicherung tendiert – das räume ich ein – seit 1994 zu einer negativen Gebarung. Dies war auch der Grund für eine Einigung der Koalitionsregierung betreffend die finanzielle Konsolidierung der Krankenkassen. Das bedingt natürlich eine Absichtserklärung und gleichzeitig eine Neuregelung in wichtigen Bereichen des Familienlastenausgleichsfonds, eine Neuaufteilung der Finanzierungsanteile beim Wochengeld und der Betriebshilfe, nämlich eine Steigerung von 50 auf 70 Prozent. Dadurch trägt der FLAF erheblich zur Krankenkassenfinanzierung bei – ich räume das ein –, aber andererseits wird der Familienlastenausgleichsfonds in einigen Bereichen entlastet, was auch notwendig ist, weil die finanzielle Situation dieses Fonds auch nicht die beste ist.

Die Folge ist eine Einsparung auf der Ausgabenseite, daher war man bestrebt, die Lehrlings- und Schülerfreifahrt in die Tarif- und Verkehrsverbünde aufzunehmen. Der Familienminister erhält die Ermächtigung zum Abschluß von Grund- und Finanzierungsverträgen bei gleichzeitiger Einvernehmensregelung mit dem Verkehrsminister.


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Von Frau Abgeordneter Haller wurde eingemahnt und angesprochen, daß einiges fehlt. Ich darf darauf hinweisen, daß es eine Vereinbarung zwischen dem Verkehrsminister und dem Familienminister gibt, wonach bis 30. 11. 1996 ein gemeinsames Konzept, das bestimmte Ziele hat, zu erarbeiten ist. Immerhin gibt es diese Vereinbarung, und wir werden mit Interesse die Ziele dieser Vereinbarung und die Verwirklichung der Ziele verfolgen.

Auch unter dem Aspekt der Transparenz und der Kostenwahrheit ist der Wegfall der Sozialtarifabgeltung an die ÖBB zu betrachten. Wichtig ist, daß eine Verbilligung der Schülertarife erreicht wird. Wichtig ist aber auch eine Entlastung des Familienlastenausgleichsfonds und des Bundesbudgets. Als Kärntnerin begrüße ich daher, Herr Minister, die Einigung mit den Verkehrsbetrieben in Villach und Klagenfurt. Zwar hat die Presse in Kärnten von einer Notlösung geschrieben, ich begrüße die Lösung aber dennoch und hoffe, daß wir bald eine Einigung mit den Wiener Neustädter Verkehrsunternehmen erreichen werden. (Beifall des Abg. Grabner .)

In diesem Zusammenhang möchte ich auf etwas hinweisen: Für uns SPÖ-Familienpolitiker ist ein wesentliches Element der Familienpolitik, daß neben den Geldleistungen, steuerlichen Leistungen und Infrastrukturmaßnahmen auch die Sachleistungen erhalten bleiben, wie etwa die Schülerfreifahrt oder die Schulbuchaktion, denn diese Leistungen kommen jenen unmittelbar zugute, die sie auch benötigen.

Ein weiterer positiver Punkt dieser Novelle ist zweifellos, daß die Familienbeihilfe für Doppelrepetenten ab 19 Jahren erhalten bleibt. Das hat Frau Abgeordnete Dr. Moser schon betont. Es war sicherlich ein Fehler, aufgrund der geringen Zahl der Betroffenen – ich räume das ein, warum sollte ich das auch nicht tun? –, 2 000 Schülerinnen und Schülern diese Familienbeihilfe abzuerkennen. Und immerhin erhalten diese Schüler und Schülerinnen auch die Schülerfreifahrt weiterhin, weil diese ja an den Bezug der Familienbeihilfe gebunden ist.

Eine Anmerkung möchte ich allerdings auch machen: In Österreich ist die Zahl der Repetenten ziemlich hoch, sie liegt, glaube ich, bei 45 000 im Jahr. Man muß bedenken, daß das auch mit innerfamiliären Konflikten verbunden ist. Solche Konflikte können – wie man in Pressemeldungen der letzten Tage verfolgen konnte – auch zu tragischen Vorfällen führen; abgesehen von dem Aufwand für Nachhilfestunden, der mit der horrenden Summe von 1,4 Milliarden Schilling im Jahr beziffert wird. Ich glaube, auf diesem Gebiet sind die Bildungspolitiker, Herr Kollege Niederwieser, aber auch die Familienpolitiker besonders gefordert. (Zwischenruf des Abg. Dr. Niederwieser .) Danke, Herr Kollege!

Wesentlich ist für mich – das möchte ich betonen – die Öffnung der Schulbuchaktion für neue Medien wie CD-ROM, audiovisuelle Medien und so weiter. So tragen wir der Intention betreffend eine flexiblere Gestaltung des Unterrichts und offenes, spielerisches, entdeckendes Lernen sowie projektartige Unterrichtsformen Rechnung. Eine Kostenexplosion ist in diesem Bereich nicht zu befürchten. Es ist eine stufenweise Regelung vorgesehen, das heißt, ab 1997 sind es 5 Prozent des Limits, ab 1998 10 Prozent der jährlich festgelegten Höchstbeiträge.

Darüber hinaus können auch therapeutische Unterrichtsmittel, die bisher nur für den sonderpädagogischen Förderbedarf eingesetzt wurden, für alle Schüler verwendet werden. Es gibt also diese Mittel betreffend keine Einschränkung mehr auf behinderte Schüler.

Weiters können Schulbücher auch, wenn sie dem Lehrplan einer anderen Schulform oder Schulstufe entsprechen, flexibel eingesetzt werden.

Im Sinne der Ausweitung der Schulautonomie bekommen Schulen also insgesamt mehr Freiraum bei der Ausweitung der Unterrichtsmittel. Das ist, glaube ich, als erster Schritt durchaus begrüßenswert. (Abg. Schaffenrath: Das ist ein Schrittchen !) Wir wissen, daß wir mit Schrittchen angefangen haben, denn je höher die Stöckelschuhe sind, desto schwieriger sind Riesenschritte. Ich möchte daher betonen, Herr Familienminister, daß für die SPÖ-Familienpolitikerinnen die bestehende Schulbuchaktion eine wichtige bildungs- und familienpolitische Maßnahme darstellt. – Meine Kollegin stört den Herrn Minister. Vielleicht sagt sie es ihm gerade. (Ruf bei der ÖVP: Die Kollegin schwätzt!) Sie schwätzen. Solange sie nicht schäkert, ist alles in Ordnung!


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35. Sitzung / Seite 264

Die Schulbuchaktion stellt eine bildungs- und familienpolitische Einrichtung dar, zu der uns wir von der SPÖ bekennen. (Beifall des Abg. Dr. Niederwieser. ) Wir wollen daher sichergestellt wissen, daß Schulbücher als Sachleistungen gleich wie die Schülerfreifahrten im Sinne der Chancengleichheit der Kinder erhalten bleiben.

Ich möchte im Zusammenhang mit den Schulbüchern auch auf die Kostenentwicklung hinweisen, weil immer wieder gesagt wird, daß das Teuerste an der Familienpolitik die Schulbücher seien. Die Kostenentwicklung liegt ... (Abg. Mag. Stoisits: Mein Kollege möchte schon reden!) Worum geht es Ihnen eigentlich? (Abg. Mag. Stoisits: Kollege Öllinger möchte auch reden!) Möchte er schon reden? (Abg. Mag. Stoisits: Sie reizen ihn wegen der Länge Ihrer Rede!) – Ich bin gleich fertig.

Die Preissteigerungsrate liegt darunter, auch der Anteil am FLAF ist gering, nur 2 Prozent. Betonen möchte ich, daß die Schulbuchaktion auch zukünftig sichergestellt ist, ebenso die Grundpfeiler in der Familienpolitik, wie auch der emanzipatorische Aspekt erhalten bleibt.

Herr Bundesminister! Für die SPÖ und vor allem für die SPÖ-Frauen ist es ein dringendes Anliegen, daß die Vereinbarkeit von Familie und Beruf endlich realisiert wird. Das heißt, es muß eine ausreichende Anzahl von Kinderbetreuungseinrichtungen im ganzen Bundesgebiet mit bedarfsgerechten ganzjährigen und ganztägigen Öffnungszeiten zu sozialen Tarifen mit qualifiziertem, fachlich ausgebildetem Personal, das sozial und arbeitsrechtlich abgesichert ist, geschaffen werden. (Beifall bei der SPÖ.)

2.40

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Öllinger. – Bitte, Herr Abgeordneter. (Abg. Dr. Niederwieser: Stoisits hat gesagt: Kurz reden!)

2.40

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Einen schönen guten Morgen, meine Damen und Herren! Vielleicht könnten wir irgendwann einmal, wenn wir wieder über das Kapitel Familienpolitik verhandeln, auch über familienfreundliche Zeiten hier im Parlament sprechen. Es wäre zumindest eine Anregung wert, daß wir in diesem Punkt einen Schritt weiterkommen. (Beifall der Abg. Dr. Mertel .)

Meine Damen und Herren! Ich fasse mich kurz in meiner Wortmeldung. Ich möchte nur auf ganz wenige Punkte kurz eingehen.

Die Schulbuchaktion, die uns die ehemalige Familienministerin Moser als eine der Perlen in ihrer langen Aneinanderreihung von tollen Perlen und Erfolgen im Sinne der ÖVP-Familienpolitik präsentiert hat, ist leider, Frau Kollegin Moser, nicht so gelungen, wie Sie das dargestellt haben. Sie selbst haben immer wieder davon gesprochen, daß es keinen Selbstbehalt geben wird. Wir haben den Selbstbehalt jedoch nach wie vor. Und das ist ein großes Problem! Man soll nicht etwas versprechen, wenn man es nicht halten kann, Frau Kollegin Moser! – Das ist das einzige, was ich zum Thema Schulbuchaktion, zu dieser leidigen Sache, sagen will. Und Sie sind noch sehr stolz darauf, daß 5 Prozent der Mittel für CD-ROM, audiovisuelle Medien und ähnliches mehr verwendet werden dürfen! Es ist sehr peinlich, daß Sie das so anpreisen, da wir in dieser Sache doch eigentlich wenig weitergekommen sind. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Dr. Mertel: Warum ist das peinlich?) Das wollte ich dazu sagen.

Zum zweiten: Herr Familienminister! 220 der Beilagen betrifft die auch nicht sehr angenehme Sache mit der Wochengeldregelung. Ich halte es grundsätzlich für sehr problematisch, daß Leistungen, die eigentlich als Arbeitsersatzleistungen gedacht sind, de facto als familienpolitische Leistungen deklariert werden, und zwar durch den hohen Finanzierungsanteil, den der FLAF zum jetzigen Zeitpunkt übernimmt, obwohl wir noch vor wenigen Wochen gesagt haben: Der FLAF kann weniger als nichts finanzieren, er muß einsparen, denn der FLAF ist pleite. Trotzdem sagt man einige wenige Wochen später: Der FLAF kann das selbstverständlich finanzieren. – Das ist ein Vorgriff auf die Tatsache, daß in wenigen Jahren, 1998 oder 1999, wieder ein positiver FLAF zu erwarten ist.


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35. Sitzung / Seite 265

Ich halte es für falsch, diese Angelegenheit so zu regeln. Ich möchte deponieren, daß ich es für problematisch halte, daß – genauso wie bei der Karenzgeldleistung – getäuschelt wird zwischen familienpolitischen und sozialpolitischen Leistungen und man sich weder für das eine noch für das andere wirklich entscheiden kann. (Abg. Schuster: Es geht um die Sache!)

Es geht nicht um die Sache! Sonst könnte es nicht zu solch verqueren Leistungsfinanzierungen kommen. Das Thema reizt mich, darüber könnte ich noch länger diskutieren. Ich könnte die ganze Geschichte der Karenzgeldregelungen und die Haltung Ihrer Fraktion in dieser Frage auch noch vorexerzieren. Ich verzichte angesichts der fortgeschrittenen Stunde aber darauf.

Herr Familienminister! Ich möchte nur noch einen wichtigen Punkt erwähnen, nämlich die Sozialtarife. Ich bin mit Ihnen einer Meinung – und war auch immer dafür –, daß eine klare Trennlinie gezogen wird. Es geht nicht an, daß diese Querfinanzierungen weiterhin stattfinden. Was hier und heute in der Debatte schon dazu gesagt worden ist, irritiert mich allerdings, Frau Kollegin Mertel! Wir können nicht stolz sein auf eine Entlastung des Bundesbudgets! Wir können vielleicht froh darüber sein, daß das Familienbudget entlastet wird. Aber das Bundesbudget ist bei weitem noch nicht entlastet. Denn wenn wir auch unsere Verantwortung für die Verkehrsverbünde ernst nehmen, dann müssen wir selbstverständlich dafür sorgen, daß auch der Bund aus einem anderen Topf seinen Beitrag leistet, damit diese Verkehrsverbünde finanziert werden können. Wir können doch nicht sagen: Seien wir froh, daß wir den Familienlastenausgleichsfonds davon entlastet haben, und wer das dann bezahlen soll, ist uns egal! Auch der Bund, nicht nur der Familienlastenausgleichsfonds muß einen Beitrag zur Finanzierung leisten, und ich hoffe, Herr Minister, daß es gelingen wird, in einem Nahverkehrsfinanzierungsgesetz eine gemeinsame Finanzierung, an der sich auch der Bund, die Länder und die Gemeinden beteiligen, zu erreichen. Denn die absolut schäbige Lösung mit dieser Netzkarte, die es derzeit in Wien gegenüber den Studenten gibt, ist keine Lösung und keine Verbesserung. Das ist ein Hohn für die Studierenden!

Absolut letzter Punkt: Der Antrag betreffend die Studierenden, den Abgeordneter Rosenstingl gestellt hat, betrifft ein wirklich grundsätzliches und richtiges Anliegen. Wir sind der Meinung, daß es nicht angehen kann, daß dieser Antrag des Abgeordneten Rosenstingl so niedergestimmt wird, wie das bereits im Ausschuß geschehen ist. Ich halte es in Zeiten, in denen Studierende gezwungen sind, ihr Einkommen aus anderen Quellen zu lukrieren, nachdem die Sozialeinkommen gekürzt worden sind, für wichtig und notwendig, auch über das Anliegen des Abgeordneten Rosenstingl nachzudenken und dieses zu unterstützen, daß nämlich der Anteil von Freibeträgen erhöht werden darf, wenn man Familienbeihilfe bezieht. – Das war alles, was ich dazu zu sagen habe. Ich wünsche Ihnen noch einen guten Morgen! (Beifall bei den Grünen.)

2.45

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort gemeldet hat sich der Herr Bundesminister. – Bitte, Herr Bundesminister.

2.45

Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie Dr. Martin Bartenstein: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren des Hohen Hauses! Nach den Ausführungen der Frau Abgeordneten Moser, aber auch der Frau Abgeordneten Mertel kann ich mich zu dieser Stunde sehr kurz fassen. Ich möchte aber dennoch einige Anmerkungen zum vorliegenden Paket im Zusammenhang mit dem FLAF und mit dem Familienlastenausgleichsgesetz machen.

Meine Damen und Herren! Wenn Sie fragen, was die "familienpolitischere" Leistung ist, das Wochengeld auf der einen Seite oder die Subventionierung von Verkehrsunternehmen, insbesondere der Österreichischen Bundesbahnen über den § 39c, auf der anderen Seite, dann kann ich sagen: Ich glaube, es kann kein Zweifel daran bestehen, daß es zielführend ist, in Richtung einer höheren und stärkeren Finanzierung des Wochengeldes zu gehen und dafür auf der anderen Seite sehr wichtige Fortschritte bei der Entlastung des FLAF aus dem Titel Schülerfreifahrt zu erreichen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der SPÖ.) Denn das sind Fortschritte, die über Jahre nicht erreicht werden konnten. Frau Abgeordnete Moser hat schon davon gesprochen, daß die einmalige Inanspruchnahme des FLAF aus dem Titel des § 39c bereits aus dem Jahr 1988 datiert.


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35. Sitzung / Seite 266

Von der Dimension her darf ich klarstellen, daß die Überbezahlung der Schülerfreifahrt aus zu hohen Tarifen mit 1,1 bis 1,3 Milliarden Schilling zu Buche schlägt und dazu noch der § 39c mit 350 Millionen Schilling allein aus dem Titel Schülerfreifahrt belastet wird. Wenn Sie das den 840 Millionen Schilling Mehrbelastung des FLAF aus dem Titel Wochengeldfinanzierung zu 70 Prozent statt zu 50 Prozent gegenüberstellen, so ergibt dies auch rechnerisch einen Positivsaldo für den FLAF.

Wenn hier angemerkt wurde, warum denn das erst am 1. Jänner 1998 wirksam wird, dann darf ich klar sagen: Genau deswegen, Herr Kollege Öllinger, weil in der Zwischenzeit Verhandlungen mit den Finanzausgleichspartnern, den Ländern, zu führen sein werden, weil es notwendig sein wird, zu einer neuen Finanzierung der Verbünde zu kommen. Natürlich sollen die Leistungen der Verbünde aufrechterhalten bleiben. – Ich darf mit Stolz darauf verweisen, daß die von Frau Kollegin Mertel zitierte Vereinbarung zwischen dem Herrn Verkehrsminister Scholten und mir bereits das Schuljahr 1997/98 als Zieldatum angibt, eben was die Integration von Österreichs Schülern und Lehrlingen in die Verkehrsverbünde zu Verkehrsverbundtarifen anlangt.

Ich darf letztlich noch ergänzen, Frau Abgeordnete Mertel, daß ich der Frage Sachleistungen und Geldleistungen völlig emotionslos gegenüberstehe. Was immer im Einzelfall vernünftig ist, wird zu machen sein. Insofern erfüllt es mich mit einer gewissen Befriedigung, daß die Verträge mit Villach und Klagenfurt bereits unterschriftsreif ausverhandelt sind und daß in diesen Tagen auch konstruktive Verhandlungen mit Wiener Neustadt begonnen haben. Allerdings kann ich noch nicht abschließend sagen, ob es im Fall von Wiener Neustadt zu einer neuerlichen Vereinbarung kommen wird, die dann selbstverständlich bereits wieder ab diesem Herbst, ab dem Schuljahr 1996/97 gelten wird.

Meine Damen und Herren! Nichts anfangen kann ich mit der Anmerkung von Frau Kollegin Haller, daß prinzipiell ein Selbstbehalt im Bereich der Schulbuchaktion nicht zielführend sei. Es hat sich das trotz aller Unkenrufe bewährt, sowohl von der Administration als auch von den budgetierten Einnahmen her. Sie wurden fast auf die Million Schilling genau erreicht.

Im Hinblick auf die gegebene Budgetsituation und die gegebenen Einsparungsnotwendigkeiten auch in Bereichen wie der Schulbuchaktion sehe ich keinerlei Veranlassung dafür, von einer Verlängerung dieser Selbstbehaltsregelung in Höhe von 10 Prozent Abstand zu nehmen.

Frau Kollegin Haller! Ich sage Ihnen aber, daß wir – damit meine ich unter anderen Frau Ministerin Gehrer und mich – sehr wohl weiter reichende Reformen im Bereich der Schulbuchaktion vor Augen haben. Wenn es zu mehr Wettbewerb, zu einer höheren Wiederverwendungsrate von Schulbüchern und damit auch zu mehr Sparsamkeit kommt, so soll uns das nur mehr als recht sein! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Ich glaube, das ist ein herzeigbares Paket, das gewissermaßen als erwünschte Nebenwirkung auch mit sich bringt, daß für Studierende – so zeichnet es sich ab – gewisse Verbesserungen bei der Tarifierung von Netzkarten möglich sein sollen. Es war mir möglich, Minister Scholten und auch den anderen Verantwortungsträgern in diesem Bereich zu signalisieren, daß für mich zur Ausverhandlung von Schülerfreifahrtsbedingungen der Normaltarif für Erwachsene Richtschnur sein wird und nicht etwa Sondertarife, die von Gebietskörperschaften für Studierende oder auch für Pensionisten erstattet werden. Das ist eine wichtige Maßnahme, die die Tür zu besseren Tarifkonditionen für Studierende hoffentlich schon ab dem Wintersemester 1996/97 in hoffentlich allen Universitätsstädten und Regionen Österreichs öffnen wird.

Meine Damen und Herren! So gesehen ist das – ich wiederhole mich zu dieser frühen Stunde –ein herzeigbares familienpolitisches Paket, auch deswegen, Frau Kollegin Haller, weil es finanzierbar ist. Es ist sehr schön, wenn Sie meinen, daß das eine oder andere auch für alle Mütter finanziert werden sollte und die Freibeträge für Studierende bezüglich ihrer Tätigkeit auf 6 000 S angehoben werden sollten. All das ist sehr schön, aber nicht finanzierbar und nicht verantwortbar. Die Verantwortung liegt bei den Regierungsfraktionen und bei der Regierung, und daher war so vorzugehen. – Ich danke, Herr Präsident. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

2.51


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35. Sitzung / Seite 267

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder:
Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Rosemarie Bauer. – Bitte, Frau Abgeordnete.

2.51

Abgeordnete Rosemarie Bauer (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister! Vorweg einmal sehr herzlichen Dank für Ihr Engagement, mit dem Sie sich diesen Familienangelegenheiten gewidmet haben. Ich kann es nur bestätigen: Das ist ein herzeigbares und vor allem auch finanzierbares Paket. Und es gibt noch einen Nebeneffekt: Wir haben den Familien einen Teil ihrer Kompetenzen wieder zurückgegeben, wenn auch nur in kleinen Schritten – zugegebenermaßen ist das bei weitem noch nicht das, was wir wollten oder vorhaben. Aber diese Legislaturperiode hat erst begonnen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Stichwort Doppelrepetenten etwas sagen. Wir haben mit Kollegin Moser sehr gelitten, als sie noch Ministerin war und wirklich darum gekämpft hat, für die Doppelrepetenten die Familienbeihilfe zu erhalten. Während davon nur relativ wenige Schüler betroffen sind – das hat sie immer richtig behauptet; im Schuljahr 1995/96 waren es 1 453 Kinder –, war es eigentlich immer unbestritten, daß auch 11 205 Lehrlinge in diesen Genuß kommen. Davon ist bislang nicht gesprochen worden. Darüber sollte man sich auch freuen. Die Schätzungen des Finanzministers, daß es 10 000 Doppelrepetenten gibt, haben sich natürlich als falsch herausgestellt. – Ich glaube, es ist sehr wichtig, daß wir diese Regelung haben. (Präsident Dr. Fischer übernimmt den Vorsitz.)

Seit dem Jahr 1988 habe ich mit dem bereits ausgeschiedenen Kollegen Dr. Hafner dafür gekämpft, den Familienlastenausgleichsfonds von den Fremdleistungen und überhöhten Bahntarifabgeltungen an die öffentlichen Verkehrsträger zu entlasten. Sie werden verstehen, daß ich mich heute freue, daß dieser leidige § 39c endlich gefallen ist. Ich halte es – ich kann nur wiederholen, was der Herr Bundesminister gesagt hat – allemal noch für eine bessere und besser zu argumentierende Lösung, die Wochengeldzahlungen statt der Tarifabgeltungen an öffentliche Verkehrsträger aus dem Familienlastenausgleichsfonds zu leisten, zumal ein Kind zu haben sehr wohl eine Familienleistung ist beziehungsweise die Vorbedingung dafür ist, daß man Familie hat.

Unterstützen möchte ich die Verbesserung der Unterrichtsmittel, was natürlich auch Chancen eröffnet, den Unterricht flexibler, adäquater und vielleicht auch moderner zu gestalten.

Frau Kollegin Haller hat sich betreffend die Schulbücher gewundert. Offensichtlich hat sie die Beantwortung des Herrn Bundesministers aus dem Ausschuß nicht mitgenommen. Ich glaube aber, es hat auch Frau Kollegin Sonja Moser darauf hingewiesen, daß die Selbstbehaltsregelung schon allein deswegen noch weitergeführt werden muß, weil der Rückfluß der Schulbücher sich noch nicht so gestaltet, wie man es sich vorgestellt hat. 23 Jahre lang haben die Schüler ihre Schulbücher zu Schulschluß verbrannt, haben hineingeschmiert, haben alles mögliche damit gemacht. Es gehört ein gewisser Erziehungseffekt – den wollen wir auch erreichen – dazu, daß die Schulbücher sorgsam behandelt werden. Zum Teil sind die Bücher dafür auch noch gar nicht ausgestattet, daß sie ein weiterer Schüler tatsächlich noch verwenden kann. Das wird noch seine Zeit dauern. Aber gerade dieser Selbstbehalt wird von den Eltern toleriert, da diese Maßnahme verstanden wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu dieser späten Stunde hat mich nur eine Äußerung der Frau Kollegin Mertel zu einer Bemerkung provoziert. Frau Kollegin! Sie haben zum Schluß gesagt – und ich kann das voll unterstreichen –: Wir brauchen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. – Flexible Arbeitszeiten sind Gott sei Dank heute nicht mehr verpönt und werden schon sehr gewünscht. Offensichtlich gibt es aber zu einem anderen Thema unterschiedliche Meinungen, vielleicht gar nicht so sehr hier im Hohen Haus, aber doch innerhalb Ihrer Fraktion, nämlich zum Problem der Tagesmütter. Es ist mir ein Anliegen, daß diese 600 Millionen Schilling für Kinderbetreuung sinnvoll und zweckmäßig und im Sinne der Frauen und Kinder eingesetzt werden. Eine Ihrer Kolleginnen hat in diesem Zusammenhang heute schon Dienstverhältnisse, beste Ausbildung und viele andere Dinge für Tagesmütter


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35. Sitzung / Seite 268

gefordert, die ich absolut unterschreiben kann, weil auch ich der Meinung bin, daß wir für Frauen überhaupt Dienstverhältnisse und Arbeitsplätze brauchen. Das ist zumindest ein relativ neuer Zweig, in welchem den Frauen die Möglichkeit gegeben werden kann, die Tätigkeit der Tagesmutter als Beruf auszuüben.

Ich habe nur in den Zeitungen die Auseinandersetzung zwischen Bundesministerin Konrad und Gitti Ederer verfolgt. In dieser geht es um Frauen, die Haushaltshilfen sind. Ich weiß, daß es für Frau Ministerin Konrad eine Vorbedingung ist, daß aus diesem Fonds nur jene Kinderbetreuungseinrichtungen, die elf Stunden offen haben, oder Tagesmütter, die ein Bedienstetenverhältnis haben, gefördert werden sollen – das leuchtet mir ein. Es gibt da aber einen Widerspruch zu der Äußerung von Bundesminister Klima, der gesagt hat, daß er kein Personalsponsoring will, weil das Folgekosten hat, und wer das nächstes Jahr bezahlen soll. – Das ist eine Frage, die hier abzuklären ist. Die Überlegung betreffend die Öffnungszeiten von elf Stunden erinnert mich sehr stark an schwedische Modelle. Ich glaube, man sollte das nicht so einengen. Denn bei meinem Besuch in Schweden habe ich feststellen können, daß die Kinder dort fast rund um die Uhr einfach abgegeben wurden, selbst wenn es Öffnungszeiten gibt.

Ich glaube, dieses Thema wird uns noch lange beschäftigen, weil es bezüglich der Beschäftigung der Tagesmütter viele Fragen und viele Vor- und Nachteile gibt. Ich spreche mich nicht dagegen aus. Ich glaube, wir sollten darin eine neue Möglichkeit der Kinderbetreuung sehen, die Kinder und Frauen dringend brauchen. Und diese Lösung ist mindestens um die Hälfte billiger, denn angestellte Tagesmütter kosten nach den Berechnungen des Niederösterreichischen Hilfswerkes in etwa 6 000 S, wobei der Betrag immer davon abhängt, wie viele Kinder sie betreuen, während eine staatliche Einrichtung wie ein Kindergarten immerhin 11 000 bis 15 000 S kostet. Eine flexiblere und eine humanere Form der Kinderbetreuung erfolgt meiner Meinung nach durch Tagesmütter. (Beifall bei der ÖVP.)

Ich habe nur eine Bitte: Verhindern wir nicht mit Reglements bereits wieder von vornherein eine gewisse Flexibilisierung, die die Mütter beziehungsweise die Kinder dringend brauchen, weil die Lebensschicksale der einzelnen Familien eben verschieden sind. – In diesem Sinne freue ich mich über die Beschlußfassung betreffend die heute vorliegenden Punkte. Es ist in diesem Zusammenhang vieles gelungen! Herr Bundesminister! Ich wünsche mir weiterhin ein solch aktives Engagement im Sinne der Familien! (Beifall bei der ÖVP.)

3.00

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Grollitsch. – Er hat das Wort.

3.00

Abgeordneter Mag. Dr. Udo Grollitsch (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selbst um diese unchristliche Zeit haben es sich die mehr als 200 000 jungen Österreicher, die an Österreichs Hohen Schulen studieren, verdient, daß man ihre aktuellen Sorgen, die in vielen Fällen echte Existenzsorgen sind, zumindest kurz erwähnt.

Mehr als ein Erwähnen wird es nicht sein, denn der schüchterne Versuch, durch einen Antrag der Vernunft der Vertrauenserhaltung und Gerechtigkeit zum Ziel zu verhelfen, ist ja durch den Sitzplatz des Antragstellers auf dieser Seite des Hohes Hauses (auf die Reihen der Freiheitlichen weisend) a priori zum Scheitern verurteilt.

Mit Unvernunft, Vertrauensbruch und Ungerechtigkeit haben sich die hektischen Geldbeschaffer und "gerechten Sparer" auf diese junge Elite, die die Zukunft unseres Landes trägt, gestürzt und die akademische Jugend und die Bildungsstätten abgeräumt.

Der Herr Zukunftsminister hat sich seinem Steigbügelhalter dankbar erwiesen: Er hat die Demontage der hohen Bildung eingeleitet, indem er den gewünschten Pflichtsparanteil seines Ressorts geliefert hat. Er gehört dafür gescholten, er wurde vielfach gescholten – und er wird hoffentlich nicht mehr lange gescholten werden.


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35. Sitzung / Seite 269

Es gehört einiges dazu, unsere im internationalen Vergleich braven, ja allzu braven Studenten auf die Straße zu bringen. Es gehört viel dazu, die akademischen Lehrer zum Streik zu bewegen, und es gehört eigentlich noch mehr dazu, daß die Universitäten bei der Bevölkerung fast ungeteilte Sympathie für ihre Empörung finden.

Ist die pekuniäre Anerkennung eines Studiums über Kinder- oder Familienbeihilfen eine an sich fragwürdige und eine den Status letztlich abqualifizierende Form, so bedeutet der unerwartete und rückwirkend wirksame Entzug mit der Semestererfolgsklausel einen brutalen Schnitt. Die durchschnittliche Studienzeit beträgt derzeit mehr als 14 Semester und liegt um mehr als fünf Semester über den theoretischen Mindestzeiten. (Abg. Dr. Niederwieser: Das stimmt nicht!)

Herr Kollege, bei einzelnen Studienrichtungen sind es, wie Sie wissen, sieben und acht Semester mehr. Und wenn Sie so lachen: Hier herinnen sitzen mehr als 60 Akademiker; keiner von Ihnen ist mit der Mindeststudiendauer ausgekommen. Andernfalls lade ich Sie gerne zur tatsächlichen Berichtigung ein, Herr Kollege Niederwieser. (Abg. Dr. Niederwieser: Acht Semester!)

Die durchschnittliche Studiendauer der akademischen Abgeordneten liegt verläßlich über 13 Semester; dafür sorgt schon der kränkliche Exministrant Dr. Cap, der alleine unser aller Schnitt um ein halbes Semester hebt. Jeder von uns wäre nach dem Beschluß der Regierungsparteien der Beihilfe – mit einer Ausnahme, wie ich höre und akzeptiere – verlustig gegangen.

So wenig, wie wir aus Jux und Faulheit die Zeit überzogen haben, so wenig tun es die Studenten heute. Nur haben sie es heute beträchtlich schwerer, die Massenuniversität fordert ihre Opfer im Drop-out in den Semesterzahlen. Wenn Sie bedenken, daß 1980 auf einen Professor 65 Studenten entfielen und ein Assistent 18 Studierende zu betreuen hatte, 1995 auf einen Professor jedoch 130 Studenten entfielen und auf einen Assistenten 34 Studenten kamen, so ist das nicht weiter verwunderlich.

Die Menge des Unterrichtsraumes hingegen hat sich in diesem Zeitraum pro Student fast halbiert. Es sind keine leeren Worte der Rektoren Otruba, März, Skalicky & Co, wenn sie von Aufnahmesperre, eingeschränktem Betrieb und neuerlichen Streiks reden. Und während die ehrenwerten sozialistischen Bildungspolitiker den freien Zugang zu den Hohen Schulen lauthals verkünden, führen sie den Numerus clausus subtilis ein. (Abg. Dr. Mertel: Zu welchem Punkt der Tagesordnung sprechen Sie, Herr Kollege?)

Ich werde in Kürze auf den von mir gestellten Antrag, der von Ihnen im Ausschuß mit Sicherheit ohne Kenntnis desselben abgelehnt wurde, zu sprechen kommen.

Sie sind dafür verantwortlich, daß der Numerus clausus subtilis eingeführt wird: subtil, über die Sozialschranken hemmend und mit Untergrabung der Studienbedingungen. Monate und jahrelanges Warten auf Labor- und Übungsplätze, auf Prüfungstermine und Diplomarbeiten sind an der Tagesordnung. Ein Universitätsstudiengesetz wird seit geraumer Zeit angekündigt. Es soll Studienpläne entrümpeln und eine Verkürzung der Studienzeit bewirken.

Warum will man mit den Beihilfenentzugsgesetzen nicht bis zu diesem Moment warten? Warum will man den Studierenden das Vertrauen nehmen, die derzeit im Studium sind und das Studium begonnen haben, als von diesem Entzug nicht die Rede war?

Es wurde daher der Antrag 176/A (E) der Abgeordneten Dr. Grollitsch und Kollegen gestellt, in dem gefordert wird, daß für die derzeit Studierenden die Regelung der Plus-2-Semesterklausel bis zur Schaffung der nötigen Voraussetzungen, um die Mindeststudiendauer erfüllen zu können, ausgesetzt wird.

Dieser Antrag wurde im Ausschuß – wie erwartet – abgelehnt, ich bitte Sie aber trotzdem im Namen der akademischen Jugend, im Namen jener, die mit diesem Überfall nicht rechnen konnten, ihm hier zuzustimmen. – Danke (Beifall bei den Freiheitlichen.)

3.06


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35. Sitzung / Seite 270

Präsident Dr. Heinz Fischer:
Die nächste Wortmeldung liegt von der Frau Abgeordneten Binder vor. Sie hat das Wort.

3.06

Abgeordnete Gabriele Binder (SPÖ): Herr Präsident! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Die späte Stunde zeigt, daß manche Themen verwechselt werden, nämlich Unterricht und Wissenschaft mit den tatsächlichen Tagesordnungspunkten Familienangelegenheiten.

Eine Bemerkung zur Frau Kollegin Bauer, die meinte, daß viele Schulbücher zum Schulschluß verbrannt werden. Meiner Meinung nach muß man unterscheiden zwischen Sachbüchern und den Büchern, die man weiter verwendet. Ich bin schon etwas länger aus der Schule, habe aber noch immer meinen Atlas, auch wenn er keine Gültigkeit mehr hat, und ich habe auch noch andere Bücher. Ich meine, man kann nicht in der Form pauschalieren, daß alle Bücher, die die Kinder bekommen, am Schulende dann verbrannt werden. (Beifall bei der SPÖ.) – Das zum einen.

Zum zweiten: Inhaltlich möchte ich ja zu diesen Veränderungen der FLAF-Novellierung nicht mehr sehr viel sagen, nur einige Gedanken dazu, meine sehr verehrten Damen und Herren. Der Streitpunkt ist nämlich immer der: Was sind familienpolitische Maßnahmen, was sind Maßnahmen, die nur für die Frauen sind, was sind Maßnahmen, die nur die Kinder betreffen? – Ich meine, es geht um die Maßnahmen und um die Veränderungen, die Kindern zugute kommen. Eine neue Studie von Steiner und Wolf zeigt, daß kindbezogene Maßnahmen, nämlich die Sachleistungen, sehr wichtig und auch notwendig sind. Sie sind nämlich unabhängig vom Status der Eltern, unabhängig von finanziellen Leistungsvermögen der Eltern, und diese Sachleistungen gewährleisten vor allen Dingen eine Grundausstattung für jedes Kind.

Meine Damen und Herren! Ich bin deshalb mit meiner Kollegin Mertel selbstverständlich einer Meinung, daß Sachleistungen weiterhin aufrechterhalten und Sachleistungen weiterhin ausgebaut werden müssen. Natürlich müssen wir aber diese Leistungen immer wieder auf ihre Treffsicherheit und auf die bedarfsgerechte Notwendigkeit überprüfen.

Eines noch zu dieser Familiendebatte, meine Damen und Herren – auch wenn ich merke, daß sehr viele schon ungeduldig werden; aber ich sitze halt auch schon seit 9 Uhr in der Früh hier und war auch nicht ungeduldig, wenn sich manche zu anderen Tagesordnungspunkten sehr weitschweifig geäußert haben –: Es sagen auch diese Studien, daß die unterschiedlichen und die manchmal sehr ungerechten Einkommenssituationen in unserem Lande nicht durch Transferleistungen im Familienbereich ausgeglichen werden können. Das heißt, daß wir darüber hinausgehende Überlegungen anstellen müssen, wie diese Unterschiede verändert werden können.

Eine Bemerkung noch zu Frau Kollegin Haller. Sie haben einen Entschließungsantrag eingebracht – den ich heute zu lesen bekam –, in dem es darum geht, einen Betreuungsscheck in Österreich einzuführen. Ich stelle mir das immer so vor, meine Damen und Herren: Ich bekomme einen Scheck, möchte ihn einlösen – nur kann ich es leider nicht, weil die diesbezüglichen Einrichtungen nicht vorhanden sind.

Und da bin ich wieder bei der Frau Kollegin Bauer, die meint, es gibt da Differenzen um die Aufteilung der 600 Millionen Schilling für Kinderbetreuungseinrichtungen Natürlich brauchen wir ganz dringend Kinderbetreuungseinrichtungen, die ganztägig geöffnet sind und den Bedürfnissen der Kinder und Eltern entsprechen. Vor allem brauchen wir ganztägige Betreuungseinrichtungen, deren Öffnungszeit immer länger werden muß, deshalb, weil ja von vielen unserer Kolleginnen und Kollegen gefordert wird, Flexibilität in der Arbeitswelt einzuführen. Ich meine, daß unsere Kinder Anspruch auf eine qualitativ hochwertige Betreuung haben, die sie sehr oft in Kinderbetreuungseinrichtungen – vor allem in öffentlichen Einrichtungen – erhalten. Ich bin dafür, daß wir solche Einrichtungen ausbauen, seien es Privatinitiativen, seien es öffentliche Institutionen.


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35. Sitzung / Seite 271

Aber um jetzt auch noch ein aktuelles Thema aufzugreifen, meine Damen und Herren: Gerade Kinder mit besonderen Bedürfnissen bekommen jene Förderung, die sie brauchen, vor allem in öffentlichen Einrichtungen. Es geht immer um eine Qualitätssicherung im Sinne unserer Kinder. (Beifall bei der SPÖ.)

3.11

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist der Herr Abgeordnete Franz Koller. Er hat das Wort.

3.11

Abgeordneter Franz Koller (Freiheitliche): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wer sich mit Familienpolitik beschäftigt, gilt als konservativ und rückständig. (Widerspruch bei SPÖ und ÖVP.) Der Beweis dafür ist, daß der Familienblock ans Ende der Tagesordnung gesetzt wurde. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Gerade in der heutigen Zeit ist es wichtig, sich für eine bessere, zukunftsbezogene, sozial gerechtere Familienpolitik einzusetzen. In der Familienpolitik geht es nicht nur um eine Steuerung von Gesellschaftsmodellen, mittel- und langfristig geht es um die nachhaltige Sicherstellung unseres Sozial-, Wirtschafts- und Pensionssystems.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Eine gesunde Familienpolitik muß Rahmenbedingungen schaffen, die das Leben in der Familie fördern und unterstützen. Aber auch die Ehe muß wieder gesellschaftsfähig und lebenswert gemacht werden. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Heiterkeit bei der SPÖ.) Es stimmt mich bedenklich, daß 38 Prozent der Ehen geschieden werden. Das derzeitige System ist familienfeindlich und unterminiert die Ehe. Wir dürfen nicht ein Land von Alleinerziehenden werden.

Im April wurden die Strukturanpassungsgesetze im Husch-Pfusch-Verfahren beschlossen. Dabei wurde den Familien tief in die Taschen gegriffen. Jetzt versucht man eine Reparatur. Herr Minister! Aber jetzt stimmen Sie bedingungslos der weiteren Ausräumung des FLAF zu. Die Aufwendungen für das Wochengeld werden nicht wie bisher zu 50 Prozent, sondern zu 70 Prozent aus Mitteln des FLAF abgedeckt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der FLAF darf nicht in erster Linie der Sicherstellung der Finanzierbarkeit der Familienleistungen dienen. Hunderttausend Familien leben in Österreich unter der Armutsgrenze, wobei Mehrkinderfamilien besonders betroffen sind. Am Dienstag beschlossen Sie – SPÖ und ÖVP – Politikerbezüge, die von der Bevölkerung überhaupt nicht verstanden werden. Aber den Familien wird tief in die Taschen gegriffen! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Wir brauchen eine Bewußtseinsbildung in unserer Gesellschaft, wonach Ehe und Familie wieder den Stellenwert erhalten, der ihnen zusteht. Die Familie ist und bleibt die wichtigste Gemeinschaft. Die Prägung des Menschen fürs ganze Leben erfolgt im Elternhaus. Wir alle sind gefordert! – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

3.14

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Madl. Sie hat das Wort.

3.14

Abgeordnete Elfriede Madl (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Ich wollte mich eigentlich nicht mehr melden, das heißt, ich wollte mich von der Rednerliste streichen lassen, aber bei der Wortmeldung der Frau Abgeordneten Moser, die über die "wunderbaren" Verhandlungen des Familienministers, bei der zukünftigen Tarifgestaltung der Verkehrsbetriebe gesprochen hat, habe ich begonnen, es mir anders zu überlegen. Die "Kostenwahrheit" der Frau Dr. Mertel hat mir dann schon fast sauer aufgestoßen. Aber die Wortmeldung des Herrn Bundesministers hat dem Faß den Boden durchgeschlagen, und dann konnte ich mich eigentlich nicht mehr beherrschen. (Lebhafte Heiterkeit bei der SPÖ. – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.)


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35. Sitzung / Seite 272

Ganz kurz: Das Einsparungspotential zwischen dem, was aus den Verhandlungen der Verkehrsbetriebe bezüglich der Schülerfreifahrten herauszuholen ist, und dem, was dann für das Mutterschaftsgeld zu bezahlen ist, mit 400, 500 Millionen zu beziffern, das ist wirklich der Gipfel des Unverständnisses!

Ich habe hier ein Schreiben des Verkehrslandesrats von Oberösterreich in der Hand – übrigens ein Sozialdemokrat –, der noch am 4. Juli dem Herrn Minister einen Brief zukommen ließ, den ich Ihnen jetzt vorlesen werde, damit Sie sehen, daß uns unsere Minister die Unwahrheit sagen – und das noch mit der Aussicht, daß der Herr Minister von den Verkehrsbetrieben überhaupt kein Geld für den Familienlastenausgleich 1998 lukrieren kann.

In diesem Brief heißt es: Auswirkungen auf die Verkehrsunternehmen und Länder. Landesrat Ackerl – ist Ihnen bekannt, ist ja Ihr Landesrat, den müssen Sie kennen ... (Abg. Dr. Keppelmüller: Wie meinen Sie das? Ackerl mein Landesrat?) – stellen Sie sich vor, Herr Abgeordneter, der schreibt einen Brief an den Minister, und den wollen Sie nicht einmal hören! (Abg. Dr. Keppelmüller: Ich versteh’ Sie so schlecht!) Ich werde es dem Landesrat erzählen, wie Sie sich hier im Parlament aufführen, wenn ein Brief von Ihrem Landesrat vorgelesen wird. Das ist die sozialdemokratische Solidarität, die Sie hier in diesem Hohes Haus ununterbrochen predigen! (Abg. Dr. Keppelmüller: Der Stadler redet uns pausenlos drein!) Ich weiß, daß Sie unbedingt reden wollen. Ich habe so viel Redezeit, wir können noch eine Stunde reden. (Abg. Dr. Keppelmüller: Ich versteh’ Sie so schwer!) Herr Kollege, eine ganze Stunde noch! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Weitere Zwischenrufe des Abg. Dr. Keppelmüller. – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.) Sie können Ihrem Namen gemäß keppeln, wie Sie wollen. Mich halten Sie nicht davon ab, diesen Brief zu verlesen.

Landesrat Ackerl schrieb also: Falls der Nationalrat diese Änderung in dieser Form beschließen sollte, wäre die Aufrechterhaltung des öffentlichen Verkehrs in Frage gestellt. (Abg. Dr. Keppelmüller: Der Stadler redet pausenlos drein! Wissen Sie, wie unangenehm das ist? – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Präsident Dr. Heinz Fischer (das Glockenzeichen gebend) : Frau Abgeordnete! Einen kleinen Moment. – So, jetzt geht’s wieder.

Abgeordnete Elfriede Madl (fortsetzend): Danke. Er schreibt also: Falls der Nationalrat diese Änderung in dieser Form beschließen sollte, wäre die Aufrechterhaltung des öffentlichen Verkehrs in Frage gestellt. Der Zweck der Gesetzesänderung zielt darauf ab, spätestens am 1. Jänner 1998 Schüler und Lehrlinge in die Verkehrsverbünde einzubeziehen und somit den FLAF zu entlasten. – Das ist genau das, was Sie uns eben hier versprochen haben.

Dann schreibt er weiter: Sollte dieses Gesetz tatsächlich in Kraft treten, so bedeutet dies, daß den Verkehrsunternehmen allein im Raume Oberösterreich zirka 350 bis 400 Millionen Schilling entgingen. Dies würde zu einem Zusammenbruch des öffentlichen Personen- und Nahverkehrs in Oberösterreich führen. – Herr Minister! Mit keinem Wort haben Sie diesen Brief und die Schwierigkeiten, die Sie mit den Verkehrsverbünden haben, die Aussichtslosigkeit bei zukünftigen Verhandlungen erwähnt! Ich finde, das ist wirklich nicht in Ordnung. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Und er schreibt weiter: Sollte dieses Gesetz beschlossen werden – und zwar der § 39 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 – und die Sozialtarifabgeltung für alle Schienenverkehrsunternehmen entfallen, so hätte dies für die oberösterreichischen Schienenverkehrsunternehmen einen Verlust von bis zu 100 Millionen Schilling zur Folge.

Herr Minister! Es wäre wirklich sehr interessant, wie Sie sich tatsächlich ein ungefähres Einsparungspotential von zirka 400, 500 Millionen Schilling für den Familienlastenausgleichsfonds im Jahre 1998 vorstellen, wenn Sie schon von einem Bundesland allein einen Brief bekommen, der besagt, wenn Sie das durchziehen würden, würde das einen Zusammenbruch des öffentlichen Personen- und Nahverkehrs bedeuten.


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35. Sitzung / Seite 273

Ich glaube, Herr Minister, Sie haben die Öffentlichkeit getäuscht, und zwar deswegen, weil Sie sich gedacht haben, die Bevölkerung kennt sich mit einem Familienlastenausgleichsfonds überhaupt nicht aus.

Ein Thema war voriges Jahr die überhöhte Tarifabgeltung bei den Verkehrsbetrieben. Das ist sehr gut, das werden wir unter die Leute bringen und sagen, im Jahre 1988 werden wir die Verkehrsbetriebe gerecht bezahlen (Abg. Mag. Kukacka: 1988! Das war aber schon lang!) , denken Sie, wissen aber ganz genau, daß Sie mit diesen Verhandlungen niemals durchkommen werden, Herr Minister! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

3.19

Präsident Dr. Heinz Fischer: Als nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Haller. – Bitte sehr.

3.19

Abgeordnete Edith Haller (Freiheitliche): Nachdem mich meine Kollegin Madl darauf aufmerksam gemacht hat, daß wir noch eine Menge an Restredezeit zur Verfügung haben, und dadurch auch ein gewisses Leben in dieses Hohes Haus hereingebracht hat, muß ich mich auch noch einmal zu Wort melden.

Spaß beiseite: Das ist es nicht. Es waren vielmehr zwei meiner Vorrednerinnen, die mich dazu veranlaßt haben, die mir hier einen Ball aufgelegt haben. Das muß ich einfach ausnützen, um endlich einmal vor einem so großen Forum über Familienpolitik zu sprechen. (Abg. Dr. Keppelmüller: Aber für Fußball ist der Meischberger zuständig!) – Ich habe es ihm halt ein bißchen abgenommen, damit er es leichter hat, Herr Kollege Keppelmüller.

Kollegin Bauer: Tagesmütter. – Seit ich in diesem Hohes Haus bin, Frau Kollegin Bauer, versuche ich von diesem Pult aus, für Tagesmütter zu kämpfen, für ein flächendeckendes Netz, für Ausbildungsregelungen, für die Absicherung von Tagesmüttern dafür, daß man das als Beruf anerkennt.

Und was ist heute im Sozialausschuß passiert? – Auch die ÖVP hat diesen Antrag zum wiederholten Male abgelehnt und will offenbar nicht, daß man Tagesmütter als Beruf anerkennt.

Frau Bauer! Sie wissen ganz genau – und es war dies wieder eines Ihrer Lippenbekenntnisse ... (Zwischenruf der Abg. Silhavy. ) Ich rede mit der Frau Kollegin Bauer, Frau Silhavy, Sie kommen dann schon noch dran, wenn Sie unbedingt wollen.

Frau Kollegin Bauer, Sie wissen ganz genau, daß die Tagesmütter gerade für Kleinkinder die adäquateste Fremdbetreuung darstellen, daß diese Form der Betreuung dem Kindeswohl am besten entspricht. Warum gibt es dann nicht von Ihrer Seite, von seiten der ÖVP, da Sie sich anscheinend auch so dazu bekennen, in diesem Hohes Haus Initiativen dazu? – Warum gibt es nicht Initiativen der Tagesmütter als Beruf? Man könnte ja auch bundesweite Vorgaben bezüglich der Ausbildung schaffen. Ich habe das heute bereits erwähnt. (Beifall bei den Freiheitlichen.) So aber muß ich Ihre heutigen Aussagen zu den Tagesmüttern wieder nur in den Bereich der Alibihandlungen verweisen.

Ich bin aber jederzeit bereit, mit Ihnen gemeinsam diesen Kampf weiter zu führen. (Abg. Dr. Niederwieser: Wo ist der Ball jetzt gelandet?) Da warten wir noch, wir spielen ja noch, Herr Kollege Niederwieser – und wahrscheinlich noch länger. Denn ich möchte jetzt auf die Aussage einer sozialistischen Kollegin Bezug nehmen möchte, die gesagt hat, der Kinderbetreuungsscheck sei ein Scheck, der nicht gedeckt sei. Ja da frage ich mich wirklich: Wer war in der letzten Zeit an der Regierung?

Von allen Seiten wurden immer flächendeckende Kinderbetreuungseinrichtungen verlangt, seit Jahren. Sie haben das nicht vollzogen, Sie haben es nicht möglich gemacht, daß es in Österreich ein flächendeckendes Netz an Kinderbetreuungseinrichtungen gibt! (Abg. Binder: Das ist Ländersache, nicht Bundessache!) Und in der derzeitigen budgetären Situation, meine lieben


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35. Sitzung / Seite 274

Kolleginnen von den Regierungsparteien (anhaltende Zwischenrufe – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen) , werden Sie sich wohl doch nicht ernsthaft einbilden, daß man zusätzlich für alle fehlenden Kinderbetreuungsplätze – das sind allein im Bereich der Zwei- bis Vierjährigen über 60 000 – Kinderkrippenplätze, Kindergartenplätze schaffen kann, die ja pro Platz mindestens 15 000 S kosten.

Der Kinderbetreuungsscheck wäre eine Möglichkeit, und das sage nicht nur ich als freiheitliche Abgeordnete, sondern das hat auch das Österreichische Institut für Familienforschung in einer Studie festgestellt. Es wäre dies eine Möglichkeit, daß mündige Eltern nach ihrem Gutdünken über die Art der Kinderbetreuung entscheiden könnten, die sie haben wollen.

Deshalb will ich zumindest versuchen, es in allen Bundesländern zuwege zu bringen, daß man dort die Einführung des Kinderbetreuungsschecks zumindest einmal ins Auge faßt und prüft. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

3.24

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zum Wort ist niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist daher geschlossen.

Ein Schlußwort vom Herrn Berichterstatter wurde nicht gewünscht.

Wir kommen daher zu den Abstimmungen, die über die einzelnen Ausschußanträge getrennt vorgenommen werden.

Als erstes stimmen wir ab über den Gesetzentwurf samt Titel und Eingang (232 der Beilagen).

Ich bitte jene Damen und Herren, die dieser Gesetzesvorlage zustimmen, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist in zweiter Lesung mit der erforderlichen Mehrheit angenommen.

Wir kommen sogleich zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die auch in dritter Lesung zustimmen, um ein Zeichen. – Das Gesetz ist in dritter Lesung mehrheitlich beschlossen .

Als nächstes stimmen wir ab über den Antrag des Familienausschusses, seinen Bericht (234 der Beilagen) zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die hierzu ihre Zustimmung geben, um ein Zeichen. – Ich stelle mehrheitliche Kenntnisnahme fest.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Familienausschusses, seinen Bericht (235 der Beilagen) zur Kenntnis zu nehmen.

Auch hier darf ich im Falle der Zustimmung um ein Zeichen bitten. – Ich stelle Kenntnisnahme mit Mehrheit fest.

Wir gelangen schließlich zur Abstimmung über den Antrag des Familienausschusses, seinen Bericht (236 der Beilagen) zur Kenntnis zu nehmen.

Auch hier darf ich um Zustimmung bitten. – Die Kenntnisnahme erfolgt mit Mehrheit.

Die Tagesordnung ist erschöpft.

Einlauf

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich gebe bekannt, daß in der heutigen Sitzung die Anträge 264/A bis 270/A (E) eingebracht wurden.

Ferner sind die Anfragen 989/J bis 1024/J eingelangt.


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35. Sitzung / Seite 275

Die nächste Sitzung des Nationalrats berufe ich für heute, 11. Juli, um 9 Uhr ein. (Abg. Dr. Kostelka: Zur Geschäftsbehandlung!)

Einwendungen gegen die Tagesordnung

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zur Geschäftsbehandlung. – Bitte.

3.26

Abgeordneter Dr. Peter Kostelka (SPÖ) (zur Geschäftsbehandlung): Herr Präsident! Im Hinblick auf die zeitliche Entwicklung ersuche ich, eine Umstellung der Tagesordnung für die nächste Sitzung vorzunehmen.

Ich schlage vor, als Tagesordnungspunkt 1 die Novelle des Geschäftsordnungsgesetzes 1975 auf die Tagesordnung zu setzen, als Tagesordnungspunkt 2 bis insgesamt 7 die Vorlagen aus dem Landwirtschaftsausschuß, als Tagesordnungspunkt 8 bis inklusiv 18 die Wirtschaftsausschußpunkte, danach die Punkte aus dem Finanzausschuß – das wären die Tagesordnungspunkte 19 bis inklusive 40 –, danach die Vorlagen aus dem Umweltausschuß – das wären die Punkte 41 bis 45 – und schlußendlich als die Punkte 46 bis 48 die Vorlagen aus dem Rechnungshofausschuß.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Die Zahl der Vorlagen würde dadurch unverändert bleiben?

Abgeordneter Dr. Peter Kostelka (fortsetzend): Richtig, Herr Präsident! Es ist ausschließlich eine Umstellung der Tagesordnung und keine Absetzung von Tagesordnungspunkten oder eine Ergänzung. (Abg. Dr. Ofner: Warum?)

3.27

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zur Geschäftsbehandlung: Kollege Stadler.

3.27

Abgeordneter Mag. Johann Ewald Stadler (Freiheitliche) (zur Geschäftsbehandlung): Herr Präsident! Ich ersuche darum, an der in der Präsidiale erzielten Einigung, die auch protokolliert ist, die im Einvernehmen im Rahmen einer ausführlichen Debatte erzielt wurde festzuhalten, weil die ... (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Herr Präsident! Ich brauche mir von keinem Mitglied des Hohes Hauses in irgendeiner Form Vertragsbruch vorwerfen zu lassen – auch nicht, was Präsidialbeschlüsse anlangt. Ich ersuche, die dortigen Abmachungen hinsichtlich der Tagesordnung auch einzuhalten, insbesondere deshalb, weil entsprechende klubvorbereitende Beschlüsse bei uns auch hinsichtlich der Rednereinteilung bereits fixiert sind und so spät nicht mehr umgestellt werden. (Heiterkeit bei SPÖ und ÖVP. – Anhaltende Rufe bei der SPÖ und Gegenrufe bei den Freiheitlichen.)

3.28

Präsident Dr. Heinz Fischer (das Glockenzeichen gebend): Meine sehr geehrten Damen und Herren! § 50 der Geschäftsordnung schreibt in diesem Fall folgendes vor: Wenn Einwendungen gegen die Tagesordnung erhoben werden und ein Vorschlag gemacht wird und der Präsident tritt diesen Einwendungen bei, dann gilt diese Tagesordnung. Wenn der Präsident nicht beitritt, entscheidet der Nationalrat.

Im Hinblick auf die gegebene Situation trete ich den Einwendungen nicht bei und lasse den Nationalrat entscheiden. In diesem Fall ist eine Debatte möglich.

Durchführung einer Debatte gemäß § 50 Abs. 1 GOG

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nach bisheriger Gepflogenheit begrenze ich die Redezeite in dieser Debatte auf 5 Minuten. Am Ende dieser Debatte wird über den Antrag im Sinne des § 50 Abs. 1 der Geschäftsordnung abzustimmen sein.


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Stenographisches Protokoll
35. Sitzung / Seite 276

Ich frage, ob in dieser Debatte jemand das Wort wünscht. – Kollege Stadler. – Bitte sehr. Redezeit: 5 Minuten.

3.29

Abgeordneter Mag. Johann Ewald Stadler (Freiheitliche): Herr Präsident! Hohes Haus! Bisher hat Kollege Kostelka – wie wir auch aus Vorgesprächen wissen, wissen auch andere Mitglieder des Hohes Hauses nichts davon – keinen einzigen Begründungssatz geliefert, weshalb die Tagesordnung plötzlich umgestellt werden soll, und das in letzter Minute, sodaß entsprechende klubinterne und administrative Dispositionen gar nicht mehr getätigt werden können.

Die Mitglieder meines Parlamentsklubs sehen so überhaupt keine Möglichkeit, in irgendeiner Form eine Sitzungsplanung durchführen zu können. Wenn die Sozialdemokraten in letzter Minute auf die Idee kommen, willkürlich die Tagesordnung umzustellen, so soll sich das Hohe Haus danach richten. (Beifall bei den Freiheitlichen.) Das sehen wir in keiner Weise ein, zumal sich Kollege Kostelka bis jetzt nicht bemüßigt fühlte, auch nur mit einem Satz eine Begründung nachzuliefern.

Herr Präsident! Wir werden dieser Tagesordnungsumstellung nicht zustimmen. Wir sehen auch nicht ein, wieso insbesondere der eminent wichtige Wirtschaftsblock nicht mit einer Debatte abgehandelt werden soll. Heute beziehungsweise gestern haben wir ja eine entsprechende Debatte zu einem außerordentlich wichtigen Wirtschaftsthema abgewickelt, zu dem man offensichtlich zu einem prominenteren Zeitpunkt seitens der Sozialisten nicht mehr debattieren möchte, augenscheinlich auch nicht seitens der Österreichischen Volkspartei.

Wir sehen nicht ein, daß man eine wichtige Debatte, wie die Wirtschaftsdebatte verlagern soll, um die Geschäftsordnungs-Novelle vorzuziehen, die offensichtlich nicht mit einer Debatte abgewickelt werden soll.

Oder ist geplant, daß zur Geschäftsordnung noch einmal eine große Debatte durchgeführt wird? Nein! Das heißt also, man versucht mit dem Landwirtschaftsblock die Debatte so weit zu strecken, daß man die den Sozialisten offensichtlich sehr unangenehme Wirtschaftsdebatte zu einem sehr unprominenten Zeitpunkt der Tagesordnung bestreiten kann.

Das wird von uns nicht goutiert und von uns nicht unterstützt werden. Ich kann Ihnen für diesen Fall heute schon voraussagen, daß wir das mit entsprechenden Maßnahmen zu verhindern wissen werden. Sie werden die Debatte über eine verfehlte Wirtschaftspolitik in diesem Land, die von dieser Regierung zu verantworten ist und die derzeit ein prominentes, großes Unternehmen als Opfer fordert, auch zu einem Zeitpunkt führen müssen, zu dem die Medien und die entsprechende Medienöffentlichkeit noch im Hohes Haus anwesend sind. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

3.32

Präsident Dr. Heinz Fischer: Es liegt mir eine Wortmeldung des Kollegen Dr. Khol vor. Die Redezeit beträgt 5 Minuten.

3.32

Abgeordneter Dr. Andreas Khol (ÖVP): Herr Präsident! Hohes Haus! Wir treten dieser Anregung beziehungsweise diesem Antrag der Sozialdemokraten bei, und zwar ohne die Hintergedanken zu haben, die Herr Kollege Stadler uns unterstellt.

Kollege Kostelka hat zeitliche Gründe für die Stellung dieses Antrages genannt. Wir sind zu diesem Vorschlag deswegen gekommen, weil aufgrund des Geschäftsordnungsgesetzes bei der dritten Lesung der Geschäftsordnung keine Debatte möglich ist. Es handelt sich also um die Abstimmung, die auf diese Weise, da es ein sehr wichtiges Gesetz ist, an zeitlich guter Stelle abgewickelt werden kann.

Wir haben gedacht, da die Aussprache zur Landwirtschaft morgen in der Früh nicht stattfindet, daß die Landwirtschaftsdiskussion mit einer sehr bedeutenden Gesetzesmaterie, die sehr wichtig ist und längere Zeit dauert ... (Abg. Dr. Graf: All das sind Ausreden!) Das sind keine Ausreden, Herr Kollege, denn wir haben keinen einzigen Tagesordnungspunkt weggestrichen oder sonst eine Umänderung vorgenommen. (Abg. Dr. Graf: Irgend etwas steckt dahinter!)


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35. Sitzung / Seite 277

Das hat rein sachliche Gründe. Da es Ihnen ja freisteht, durch dringliche Anfragen – und wir wissen, daß Sie solche vorbereiten – die Tagesordnung zu gestalten, haben wir aus zeitlichen Gründen eben diese Umreihung vorgesehen. Alle Themen können debattiert werden. Über die Wirtschaft haben wir auch heute bereits debattiert, und ich glaube, daß Wirtschaft und Finanz am Freitag nicht zu kurz kommen werden. (Beifall bei der ÖVP und SPÖ.)

3.34

Präsident Dr. Heinz Fischer: Gibt es weitere Wortmeldungen? – Bitte, Kollege Dr. Krüger.

3.34

Abgeordneter Dr. Michael Krüger (Freiheitliche): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Heute werden meines Wissens das erste Mal seit Beginn der XX. Legislaturperiode Abmachungen der Präsidiale bezüglich der Tagesordnung geändert. (Zwischenrufe bei ÖVP und SPÖ.) Herr Kollege Khol! Da können Sie noch so in die Hände klatschen! Offensichtlich sind Sie im Zuge der Verhandlungen über die Geschäftsordnungsnovelle schon in eine Art Machtrausch verfallen und glauben, Sie können jetzt mit einer saloppen Wortmeldung und Scheinbegründung alles wieder umwerfen! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Das ist unglaublich! Es ist nichts anderes als ein Taschenspielertrick, den Sie vorhaben, wenn Sie jetzt hier vorgeben, daß Sie aus zeitlichen Gründen eine Umreihung der Tagesordnungspunkte erreichen wollen. Was soll denn das für einen Sinn machen? Deshalb verkürzt oder verlängert sich doch nichts! Was heißt denn das: aus zeitlichen Gründen? (Lebhafte Zwischenrufe bei der SPÖ.) Das müssen Sie uns erst einmal erklären!

Offensichtlich handelt es sich, meine sehr geehrten Damen und Herren, um ein abgekartetes Spiel! Alles wurde von den beiden Klubobleuten wohl abgemacht und akkordiert. Und es ist meines Erachtens eine unglaublich Entgleisung, wenn der Klubobmann der Sozialdemokratie hier ohne jegliche Begründung, außer der saloppen Bemerkung: aus zeitlichen Gründen, verlangt, daß eine neue Tagesordnung festgelegt wird. (Abg. Dr. Niederwieser: Wie spät ist es jetzt?)

Ihr Verhalten ist meines Erachtens nur darauf zurückzuführen, daß Sie jetzt draufgekommen sind, daß im Zuge der Geschäftsordnungsreform ohnedies die Kontrollrechte der einzig wahren Opposition, nämlich der freiheitlichen Opposition, eingeschränkt werden sollen. Das ist Ihnen aber offenbar nicht genug, deshalb wollen Sie noch einmal auftrumpfen und mit einer fadenscheinigen Begründung aus rein taktischen Gründen eine Umstellung der Tagesordnung erwirken! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

3.37

Präsident Dr. Heinz Fischer: Es liegt noch eine dritte Wortmeldung vor. Jede Fraktion hat das Recht, drei Redner zu stellen. – Bitte, Kollege Dr. Ofner. (Abg. Dr. Niederwieser: Guten Morgen!)

3.37

Abgeordneter Dr. Harald Ofner (Freiheitliche): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe eine vor meinem unmittelbaren Vorredner etwas abweichende Meinung. – Ich glaube gar nicht, daß es sich um taktische Überlegungen handelt, die zu diesem Schritt geführt haben. Ich glaube, daß Sie uns nach den Ereignissen des gestrigen Tages im Zusammenhang mit der Geschäftsordnungsdebatte einfach zeigen wollen, daß Sie mit uns machen können, was Sie wollen! (Ironische Heiterkeit und Zwischenrufe bei der SPÖ. – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.)

Wir können das auch nicht verhindern. Ich gebe es nur zu bedenken. Sie wollen uns zeigen, daß Sie uns mit dem Absatz ins Gesicht steigen können und daß wir uns nicht dagegen wehren können! (Abg. Dr. Nowotny: Wie spät ist es jetzt? – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Auch noch so wegwerfenden Handbewegungen von angeblichen Demokraten wie Guggenberger machen das auch nicht wirklich besser.


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35. Sitzung / Seite 278

Es ist in der Demokratie nicht so, daß die, die zufällig ein bisserl stärker sind, alles vorgeben können. Sie können sich durchsetzen. Das kann soweit führen, daß man das Jahr 1934 heraufdämmern spürt. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenrufe bei der SPÖ.) Sie können den anderen zeigen, daß Sie ihnen alles aufzwingen können. Sie können den anderen, die ein Viertel der Bevölkerung, ein Viertel der Wähler repräsentieren, zeigen, daß Sie sich an ihnen die Schuhe abputzen können. (Abg. Dr. Kostelka: Es wäre besser gewesen, Sie hätten weitergeschlafen! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Präsident Dr. Heinz Fischer (das Glockenzeichen gebend): Am Wort ist Abgeordneter Dr. Ofner.

Abgeordneter Dr. Harald Ofner (fortsetzend): Ich rede ich überhaupt nur mehr dann, wenn ich will! Denn was Sie hier aufführen zum Schaden des Parlamentarismus, zum Schaden der Demokratie, vor allem zum Schaden Ihrer eigenen Fraktion, spottet jeder Beschreibung, Herr Klubobmann!

Horchen Sie einmal in die Reihen Ihrer eigenen Fraktion, mit welchem Schimpfwort man Sie dort bedenkt! Horchen Sie ein bisserl herum! Ich erspare es Ihnen, es hier zu erwähnen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Es ist eine bedenkliche Entwicklung, daß man nur deshalb, weil man andere demütigen möchte, andere, die die eine Million Wähler vertreten, eine Maßnahme durchsetzen möchte, die nicht eine Sekunde Zeitgewinn bringt. Sie wollen uns zeigen, daß Sie uns demütigen können. (Abg. Dr. Nowotny: Wie der Schelm denkt, so ist er!) – Wir haben es nicht getan, du tust es!

Das ist eine Entwicklung, für die Sie sich schämen müssen! Das ist eine Entwicklung, die für die Demokratie bedenklich ist! Daß Sie, Herr Klubobmann Kostelka, da gar keine Bedenken haben, habe ich längst erkannt. Denn Ihnen fehlt das Gefühl für Parlamentarismus, für Demokratie und für Gerechtigkeit! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Fuhrmann: Ihnen fehlt der Anstand!)

3.40

Präsident Dr. Heinz Fischer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wir kommen daher zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Abgeordneten, die der Meinung von Herrn Klubobmann Dr. Kostelka Rechnung tragen und damit für eine Neureihung der Tagesordnung stimmen, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Mehrheit .

Damit hat der Nationalrat den Beschluß über eine Neureihung der Tagesordnung gefaßt.

Ich werde die neugereihte Tagesordnung vor Beginn der morgigen Sitzung den Klubs schriftlich zustellen lassen.

Die morgige Sitzung beginnt um 9 Uhr mit einer Fragestunde und wird nötigenfalls gegen Mitternacht unterbrochen und am Freitag fortgesetzt.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluß der Sitzung: 3.41 Uhr