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Plenarsitzung
des Bundesrates


Stenographisches Protokoll

 

913. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 8. Oktober 2020

 

 

 

Großer Redoutensaal

 


Stenographisches Protokoll

913. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 8. Oktober 2020

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 8. Oktober 2020: 9.00 – 18.55 Uhr

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Tagesordnung

1. Punkt: Bericht des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft und Forschung be­treffend EU-Vorhaben – Jahresvorschau 2020

2. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Gesundheitstelematikgesetz 2012 geändert wird

3. Punkt: Sozialbericht 2019 der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz

4. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Kinderbetreuungsgeldgesetz geändert wird

5. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Berufsausbildungsgesetz geändert wird

6. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das 2. Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz (2. COVID-19-Justiz-Begleitgesetz – 2. COVID-19-JuBG) geändert wird

7. Punkt: Bericht der Bundesministerin für Justiz betreffend Jahresvorschau des BMJ auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2020 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des rumänischen, finnischen und kro­atischen Ratsvorsitzes

8. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Umweltförderungsgesetz geändert wird

9. Punkt: Bericht der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie über technische Unterwegskontrollen im Jahr 2019

10. Punkt: Verkehrstelematikbericht 2020

11. Punkt: Tätigkeitsbericht der Schienen-Control GmbH 2019

12. Punkt: Gemeinwirtschaftlicher Leistungsbericht 2018

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Ergänzung der Tagesordnung ....................................................................................... 39

13. Punkt: Antrag der BundesrätInnen Dr. Andrea Eder-Gitschthaler, Korinna Schumann, Monika Mühlwerth, Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen be­treffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 2

Thema „Eine neue Kultur des Miteinander. Änderung der nationalen und inter­na­tionalen Rahmenbedingungen nach COVID-19.“ (279/A-BR/2020)

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Inhalt

Bundesrat

Schreiben des Tiroler Landtages betreffend Mandatsverzicht eines Ersatzmit­gliedes                    31

Schreiben des Bundesministers für Finanzen gemäß Art. 50 Abs. 5 B-VG betref­fend Erteilung der Vollmacht zur Aufnahme von Verhandlungen über eine Revision des Abkommens zwischen der Republik Österreich und Spanien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen .................................................................................... 32

Schreiben des Bundesministers für Finanzen gemäß Art. 50 Abs. 5 B-VG be­treffend Erteilung der Vollmacht zur Aufnahme von Verhandlungen über eine Revision des Abkommens zwischen der Republik Österreich und den Vereinigten Mexikanischen Staaten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhin­derung der Steuerumgehung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen samt Protokoll ................................................................................................................. 35

Antrag der BundesrätInnen Dr. Andrea Eder-Gitschthaler, Karl Bader, Korinna Schumann, Monika Mühlwerth, Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 49 Abs. 1 in Verbindung mit § 16 Abs. 3 GO-BR, den Antrag der Bun­desrätInnen Dr. Andrea Eder-Gitschthaler, Karl Bader, Korinna Schumann, Monika Mühlwerth, Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema „Eine neue Kultur des Miteinander. Änderung der nationalen und internationalen Rahmen­bedingungen nach COVID-19.“ (279/A-BR/2020) ohne Vorberatung durch einen Ausschuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen – Annahme  39, 39

Verlesung der vorgesehenen Fassung eines Teiles des Amtlichen Protokolls dieser Sitzung durch Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler ................................................................ 163

Genehmigung des verlesenen Teiles des Amtlichen Protokolls ................................ 164

Personalien

Verhinderungen ................................................................................................................ 9

Ordnungsruf .................................................................................................................... 46

Zurücknahme des erteilten Ordnungsrufes ................................................................. 107

Aktuelle Stunde (79.)

Thema: „Schule im Herbst: Veränderte Bedingungen durch Corona“ ................... 9

RednerInnen:

Mag. Dr. Doris Berger-Grabner ............................................................................. ....... 9

Doris Hahn, MEd MA .............................................................................................. ..... 12

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ..... 15

Claudia Hauschildt-Buschberger .......................................................................... ..... 16


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 3

Bundesminister Dr. Heinz Faßmann ...................................................................  18, 27

Ing. Judith Ringer ................................................................................................... ..... 21

Mag. Daniela Gruber-Pruner .................................................................................. ..... 22

Markus Leinfellner .................................................................................................. ..... 24

Andreas Lackner ..................................................................................................... ..... 25

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse ........................................................................... 39

Ausschüsse

Zuweisungen .........................................................................................................  28, 164

Dringliche Anfrage

der BundesrätInnen Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen an den Bun­desminister für Finanzen betreffend „Gemeindefinanzen in der Krise: Sind die getroffenen Maßnahmen wirklich sinnvoll?“ (3803/J-BR/2020) ...................................................................................................................... 123

Begründung: Korinna Schumann .............................................................................. 123

Bundesminister Mag. Gernot Blümel, MBA ............................................................ 125

Debatte:

Dominik Reisinger .................................................................................................. ... 127

Dipl.-Ing. Andrea Holzner .......................................................................................... 129

Josef Ofner .................................................................................................................. 131

Andreas Lackner ........................................................................................................ 133

David Egger ............................................................................................................. ... 134

Karl Bader ................................................................................................................ ... 137

Mag. Bettina Lancaster .......................................................................................... ... 138

Günter Kovacs ........................................................................................................ ... 140

Ingo Appé ................................................................................................................ ... 142

Verhandlungen

1. Punkt: Bericht des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft und Forschung betreffend EU-Vorhaben – Jahresvorschau 2020 (III-712-BR/2020 d.B. sowie 10421/BR d.B.) ..... 40

Berichterstatterin: Ing. Judith Ringer ........................................................................... 40

RednerInnen:

Mag. Dr. Doris Berger-Grabner ............................................................................. ..... 40

Mag. Bettina Lancaster ................................................................................................ 42

Mag. Reinhard Pisec, BA MA ...................................................................................... 43

Marco Schreuder .......................................................................................................... 46

Bundesminister Dr. Heinz Faßmann ..................................................................... ..... 48

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ..... 49

Korinna Schumann ................................................................................................. ..... 50

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-712-BR/2020 d.B. zur Kenntnis zu nehmen ......................................................................................................................................... 50

2. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 23. September 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Gesundheitstelematikgesetz 2012 geändert wird (232 d.B. und 291 d.B. sowie 10409/BR d.B. und 10418/BR d.B.) ............................................................................................................... 50


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Berichterstatterin: Claudia Hauschildt-Buschberger ................................................. 50

RednerInnen:

Christoph Steiner .................................................................................................... ..... 51

Claudia Hauschildt-Buschberger .......................................................................... ..... 52

Christoph Steiner (tatsächliche Berichtigung) ............................................................. 53

Johanna Miesenberger ........................................................................................... ..... 54

Ingo Appé ................................................................................................................ ..... 55

Wolfgang Beer ......................................................................................................... ..... 57

Bundesminister Rudolf Anschober ...................................................................... ..... 58

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ........................................................................................ 60

3. Punkt: Sozialbericht 2019 der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesund­heit und Konsumentenschutz (III-698-BR/2019 d.B. sowie 10420/BR d.B.) ............................... 61

Berichterstatter: Andreas Lackner ............................................................................... 61

RednerInnen:

Andreas Lackner ..................................................................................................... ..... 61

Ernest Schwindsackl .............................................................................................. ..... 62

Korinna Schumann ................................................................................................. ..... 64

Ing. Bernhard Rösch .............................................................................................  67, 75

Dr. Karlheinz Kornhäusl ......................................................................................... ..... 70

Rudolf Kaske ........................................................................................................... ..... 73

Bundesminister Rudolf Anschober ...................................................................... ..... 75

Bundesministerin Mag. (FH) Christine Aschbacher ........................................... ..... 78

Entschließungsantrag der BundesrätInnen Ing. Bernhard Rösch, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Freiheitliches COVID-19-Maßnahmenpaket“ – Ableh­nung .............  69, 79

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-698-BR/2019 d.B. zur Kenntnis zu nehmen ......................................................................................................................................... 79

4. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 23. September 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Kinderbetreuungsgeldgesetz geändert wird (368 d.B. sowie 10422/BR d.B.) ....... 79

Berichterstatterin: Elisabeth Mattersberger ................................................................ 80

RednerInnen:

Ing. Isabella Kaltenegger ....................................................................................... ..... 80

Mag. Sandra Gerdenitsch ...................................................................................... ..... 81

Thomas Dim ............................................................................................................ ..... 82

Claudia Hauschildt-Buschberger .......................................................................... ..... 83

Mag. Daniela Gruber-Pruner .................................................................................. ..... 84

Bundesministerin Mag. (FH) Christine Aschbacher ........................................... ..... 86

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ........................................................................................ 87

5. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 23. September 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Berufsausbildungsgesetz geändert wird (832/A sowie 10424/BR d.B.) ................. 87

Berichterstatterin: Ing. Isabella Kaltenegger ............................................................... 87


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RednerInnen:

Bernhard Hirczy ...................................................................................................... ..... 88

Nicole Riepl ................................................................................................................... 89

Andrea Michaela Schartel ........................................................................................... 91

Marco Schreuder .................................................................................................... ..... 92

Wolfgang Beer ......................................................................................................... ..... 92

Bundesministerin Dr. Margarete Schramböck .................................................... ..... 93

Sonja Zwazl ............................................................................................................. ..... 95

Entschließungsantrag der BundesrätInnen Wolfgang Beer, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Lehrlingsgarantie in Zeiten von Corona“ – Ablehnung ..........................................  93, 96

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ........................................................................................ 96

6. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 23. September 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das 2. Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz (2. COVID-19-Justiz-Begleitgesetz – 2. COVID-19-JuBG) geändert wird (831/A sowie 10423/BR d.B.) ...... 96

Berichterstatter: Ernest Schwindsackl ........................................................................ 96

RednerInnen:

Claudia Hauschildt-Buschberger .......................................................................... ..... 96

Mag. Christine Schwarz-Fuchs ............................................................................. ..... 97

Mag. Elisabeth Grossmann ......................................................................................... 99

Andreas Arthur Spanring .................................................................................  100, 106

Klara Neurauter ....................................................................................................... ... 103

Bundesministerin Dr. Alma Zadić, LL.M. ............................................................. ... 104

Dr. Karlheinz Kornhäusl ......................................................................................... ... 105

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ...................................................................................... 106

7. Punkt: Bericht der Bundesministerin für Justiz betreffend Jahresvorschau des BMJ auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäi­schen Kommission für 2020 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des ru­mä­nischen, fin­nischen und kroatischen Ratsvorsitzes (III-700-BR/2020 d.B. sowie 10425/BR d.B.) ............................................................................ 106

Berichterstatter: Ernest Schwindsackl ...................................................................... 107

RednerInnen:

MMag. Dr. Michael Schilchegger .......................................................................... ... 107

Claudia Hauschildt-Buschberger .......................................................................... ... 109

Dr. Peter Raggl ........................................................................................................... 110

Stefan Schennach ................................................................................................... ... 112

Bundesministerin Dr. Alma Zadić, LL.M. ............................................................. ... 114

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-700-BR/2020 d.B. zur Kenntnis zu nehmen ....................................................................................................................................... 115

8. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 23. September 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Umweltförderungsgesetz geändert wird (342 d.B. und 356 d.B. sowie 10410/BR d.B. und 10419/BR d.B.) ............................................................................................................. 115

Berichterstatter: Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross ................................................................... 115


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RednerInnen:

Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross ....................................................................................  116, 143

Silvester Gfrerer ...................................................................................................... ... 117

Günther Novak ........................................................................................................ ... 119

Michael Bernard ...................................................................................................... ... 121

Staatssekretär Dr. Magnus Brunner, LL.M. ......................................................... ... 122

Entschließungsantrag der BundesrätInnen Günther Novak, Kolleginnen und Kollegen betreffend „soziale Treffsicherheit bei Thermischer Sanierung und Hei­zungstausch garantieren“ – Annahme (327/E-BR/2020) .............................................................................................................  120, 143

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ...................................................................................... 143

Gemeinsame Beratung über

9. Punkt: Bericht der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobi­li­tät, Innovation und Technologie über technische Unterwegskontrollen im Jahr 2019 (III-719-BR/2020 d.B. sowie 10426/BR d.B.) ............................................................................................................. 144

Berichterstatter: Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross ................................................................... 144

10. Punkt: Verkehrstelematikbericht 2020, vorgelegt von der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (III-721-BR/2020 d.B. sowie 10427/BR d.B.)      ............................................................................................................................. 144

Berichterstatter: Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross ................................................................... 144

RednerInnen:

Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross .......................................................................................... ... 144

Dr. Peter Raggl ........................................................................................................... 147

Dominik Reisinger .................................................................................................. ... 148

Markus Leinfellner .................................................................................................. ... 149

Otto Auer ................................................................................................................. ... 151

Günter Kovacs ........................................................................................................ ... 152

Staatssekretär Dr. Magnus Brunner, LL.M. ......................................................... ... 153

Entschließungsantrag der BundesrätInnen Markus Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Sicherstellung eines effektiven Einschreitens gegen Lenke­rinnen und Lenker, die sich auf Grund von verbotenem Suchtgiftkonsum in einem fahruntauglichen Zustand befinden“ – Ablehnung              150, 153

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 9, den Bericht III-719-BR/2020 d.B. zur Kenntnis zu nehmen .................................................................................................................... 153

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 10, den Bericht III-721-BR/2020 d.B. zur Kenntnis zu nehmen .................................................................................................... 154

Gemeinsame Beratung über

11. Punkt: Tätigkeitsbericht der Schienen-Control GmbH 2019, vorgelegt von der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (III-722-BR/2020 d.B. sowie 10428/BR d.B.) ............................................................................................................. 154


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Berichterstatter: Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross ................................................................... 154

12. Punkt: Gemeinwirtschaftlicher Leistungsbericht 2018, vorgelegt von der Bun­desministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (III-726-BR/2020 d.B. sowie 10429/BR d.B.) ............................................................................................................. 154

Berichterstatter: Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross ................................................................... 154

RednerInnen:

Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross .............................................................................................. 154

Ing. Judith Ringer ....................................................................................................... 157

Günther Novak ........................................................................................................ ... 158

Michael Bernard ...................................................................................................... ... 159

Bernhard Hirczy ...................................................................................................... ... 161

Staatssekretär Dr. Magnus Brunner, LL.M. ......................................................... ... 161

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 11, den Bericht III-722-BR/2020 d.B. zur Kenntnis zu nehmen .................................................................................................... 163

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 12, den Bericht III-726-BR/2020 d.B. zur Kenntnis zu nehmen .................................................................................................... 163

13. Punkt: Antrag der BundesrätInnen Dr. Andrea Eder-Gitschthaler, Korinna Schumann, Monika Mühlwerth, Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen be­treffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema „Eine neue Kultur des Miteinander. Änderung der nationalen und inter­nationalen Rahmenbedingungen nach COVID-19.“ (279/A-BR/2020) ......... 163

Annahme des Antrages 279/A-BR/2020 ...................................................................... 163

Eingebracht wurden

Anträge der BundesrätInnen

Dr. Andrea Eder-Gitschthaler, Korinna Schumann, Monika Mühlwerth, Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema „Eine neue Kultur des Miteinander. Änderung der nationalen und internationalen Rahmenbedingungen nach COVID-19.“ (279/A-BR/2020)

Günther Novak, Kolleginnen und Kollegen betreffend keine Abwälzung der EU-Plastik­abgabe auf SteuerzahlerInnen statt Plastikhersteller (280/A(E)-BR/2020)

MMag. Dr. Michael Schilchegger, Kolleginnen und Kollegen betreffend abschreckende Sanktionen in schweren Fällen absichtlicher Tierquälerei und Tierfolter (281/A(E)-BR/2020)

Anfragen der BundesrätInnen

Markus Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie betreffend allfälliger Gespräche und Pläne für ein gemeinsames Projekt Umfahrung Liezen (3800/J-BR/2020)

Markus Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres be­treffend lückenlose Aufklärung der vermeintlichen Tierquälerei in Bad Blumau (3801/J-BR/2020)

Markus Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres be­treffend Straftaten und Polizeieinsätze im Zusammenhang mit Wohnwagensiedlungen (3802/J-BR/2020)

Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Gemeindefinanzen in der Krise: Sind die getroffenen Maßnahmen wirklich sinnvoll? (3803/J-BR/2020)


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Markus Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Landes­verteidigung betreffend Journaldiensteinteilung bei herabgesetzter Wochendienstzeit (3804/J-BR/2020)

Anfragebeantwortung

des Bundesministers für Finanzen auf die Anfrage der BundesrätInnen Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen betreffend Gemeindefinanzen in Gefahr – es braucht jetzt konkrete Antworten, Herr Minister! (3518/AB-BR/2020 zu 3796/J-BR/2020)

 

 

 

 

 


 


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09.00.36Beginn der Sitzung: 9 Uhr

Vorsitzende: Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler, Vizepräsidentin Mag. Elisa­beth Grossmann, Vizepräsident Mag. Christian Buchmann.

09.00.37*****


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Einen schönen guten Morgen, sehr ge­ehrte Kolleginnen und Kollegen; ich eröffne die 913. Sitzung des Bundesrates.

Die nicht verlesenen Teile des Amtlichen Protokolls der 912. Sitzung des Bundesrates vom 25. September 2020 sind aufgelegen, wurden nicht beanstandet und gelten daher als genehmigt.

Als verhindert gemeldet sind die Mitglieder des Bundesrates Horst Schachner und Thomas Schererbauer.

Bevor wir zur Aktuellen Stunde gelangen, bitte ich, die allgemeinen Empfehlungen im Sinne des Präventionskonzeptes des Hauses, wie Distanz halten, Maske tragen und Hände waschen, während der Sitzung zu beachten, im Sinne unser aller Gesundheit. – Vielen Dank.

09.01.24Aktuelle Stunde


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Wir gelangen nun zur Aktuellen Stunde zum Thema

„Schule im Herbst: Veränderte Bedingungen durch Corona“

mit dem Herrn Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung Dr. Heinz Faßmann, den ich ganz, ganz herzlich hier im Hohen Haus begrüße. (Allgemeiner Bei­fall.)

In der Präsidialkonferenz wurde Einvernehmen über folgenden Ablauf erzielt: Zunächst kommt je eine Rednerin/ein Redner pro Fraktion zu Wort, deren beziehungsweise des­sen Redezeit jeweils 10 Minuten beträgt, sodann folgt die Stellungnahme des Herrn Bun­desministers, die ebenfalls 10 Minuten nicht überschreiten soll. Danach folgt wiederum je eine Rednerin/ein Redner der Fraktionen mit jeweils einer 5-minütigen Redezeit. Zuletzt kann noch eine abschließende Stellungnahme des Herrn Bundesministers erfolgen, die nach Möglichkeit 5 Minuten nicht überschreiten soll.

Als Erste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Dr. Doris Berger-Grabner. – Ich erteile Ihnen das Wort, Frau Bundesrätin, und mache darauf aufmerksam, dass ent­sprechend der Vereinbarung in der Präsidialkonferenz die Redezeit 10 Minuten beträgt. Bitte, Frau Bundesrätin.


9.02.43

Bundesrätin Mag. Dr. Doris Berger-Grabner (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseher und Zuhörer zu Hause via Livestream! Ich habe für Sie gleich zu Beginn eine gute und eine schlechte Nachricht. Üblicherweise macht es Sinn, mit der schlech­­ten zu beginnen: Das Coronavirus wird unser Leben leider auch noch im Schul­jahr 2020/2021 prägen, mit allen pädagogischen, psychologischen und organisatori­schen Herausforderungen, die für ein solch komplexes System wie unser Schulsystem


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zu erwarten sind – mit mehr als 5 000 Standorten, rund 1,1 Millionen Schülerinnen und Schülern und 120 000 Lehrkräften. Da liegt es natürlich auf der Hand, dass im Detail immer wieder vor Ort entschieden werden muss, wie die Coronazeit am besten bewältigt werden kann.

Nun zur guten Nachricht: Mit dem Schulstart Anfang September ist für viele Kinder und Jugendliche wieder ein Stück Normalität in den Alltag zurückgekehrt. Die meisten von ihnen haben sich auf den Schulbeginn auch wieder so richtig gefreut. Der Großteil hat beim Distancelearning neue Kompetenzen erworben, die auch in Zukunft sehr hilfreich sein werden.

Schauen wir uns nun die aktuelle Situation an: Die Sommerschulen sind erfolgreich abgeschlossen und das Feedback war in allen Bundesländern ein durchaus positives; meine Kollegin, Frau Ringer, wird noch genauer darauf eingehen. Man muss aber auch ehrlicherweise sagen, dass durch diese Ausnahmesituation im letzten Semester bei manchen Schülern und Schülerinnen Lernlücken größer geworden sind und Ängste und Unsicherheiten dazugekommen sind. Deshalb war es uns jetzt in den ersten Schul­wochen besonders wichtig, den Schülern und Schülerinnen das Gefühl von Sicherheit und Halt zu vermitteln und den Wiedereinstieg in den Unterricht umsichtig zu begleiten, allem voran mit einer transparenten und klar geregelten Kommunikation und Information, da es hier immer wieder unzählige Fragen gegeben hat.

Um einige Fragen zu nennen, Fragen, die zum Beispiel vor allem von Frauen gekommen sind: Wer hilft mir, wenn ich meinen gesamten Urlaub aufgebraucht habe und jetzt mein krankes Kind zu Hause betreue? – Es freut mich, dass wir die Verlängerung der Son­derbetreuungszeit von bis zu drei Wochen bei Fortzahlung des Entgeltes beschlossen haben. Oder: Wer hilft mir, wenn ich mich nicht mehr raussehe und psychologische Unterstützung brauche? – Dazu ist zu sagen, dass jedes Bundesland eine schul­psycho­logische Beratungsstelle hat, mit einem kostenlosen Service, das es in mehreren Sprachen gibt. Und neu ist auch, das wissen vielleicht viele von uns nicht, dass es seit dem Schulstart auch eine Coronaschulhotline gibt. Dorthin können sich Schüler, Eltern, Lehrer wenden, wenn es um schulische Fragen geht.

Ich komme nun zu unseren Pädagogen und Pädagoginnen: Diese sind in den letzten Monaten sehr, sehr oft an ihre Kapazitätsgrenzen gekommen und haben dennoch Flexibilität, Durchhaltevermögen und Optimismus gezeigt und somit für unsere Gesell­schaft Wertvolles geleistet. Sie sind schließlich die Schlüsselarbeitskräfte im Bildungs­system. Dafür ein herzliches Dankeschön! (Allgemeiner Beifall.)

Daher brauchen unsere Pädagoginnen und Pädagogen auch weiterhin Unterstützung. Es ist mir wichtig, einige Unterstützungsmaßnahmen, die seitens des Bundesminis­teriums gekommen sind, hervorzuheben. Seit Sommer gibt es beispielsweise die Online-Fort- und Weiterbildungsinitiative Distance Learning Massive Open Online Course. Diese kann orts- und zeitunabhängig und im eigenen Tempo absolviert werden, auch als Ergänzung zu den Angeboten der Pädagogischen Hochschule. Eine weitere Initiative ist Hashtag Weiterlernen, bei der sich Eltern und Lehrer und Lehrerinnen Informationen und Hilfsmaterialien zukommen lassen können.

In diesem Zusammenhang möchte ich zum Beispiel auch die digitalen Buddies nennen, wo wir zum Beispiel pensionierte Lehrer und Lehrerinnen, Mentoren, Mentorinnen als Ansprechpartner für schulische und sonstige Herausforderungen in der aktuellen Situ­ation haben.

In einem Punkt sind wir uns wahrscheinlich alle einig: dass es keine großflächigen Schließungen von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen geben soll. Daher brauchen wir diese Coronaampel quasi auch als Stufenplan in der regionalen Covid-19-Bekämpfung zur Verhinderung eines Lockdowns des gesamten Bildungssystems und


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damit es bei lokalen Ausbrüchen zu möglichst kleinräumigen Eingriffen in unser Bil­dungssystem kommt. Es kommt zu verschärften Vorsichtsmaßnahmen nur in jenen Regionen, wo dies aufgrund der Infektionslage auch tatsächlich notwendig ist, während für Bildungseinrichtungen in anderen Gebieten weitgehend Normalität herrscht.

Bei Orange beispielsweise gibt es ja auch die schulautonome Option, dass in der Sekundarstufe 2 ein flexibles Schichtmodell angewendet werden kann, da sich gezeigt hat, dass speziell diese Schüler und Schülerinnen in der Lage sind, Lerninhalte schon selbstständig zu erarbeiten, zu vertiefen, und die Betreuungsnachfrage ist hier auch nachrangig.

Es hat sich auch gezeigt, dass die Schüler und Schülerinnen ab der Sekundarstufe 2 ein sehr viel höheres Ausmaß an externen Sozialkontakten haben und so auch zur Be­schleunigung der Verbreitung der Infektionen beitragen können. Deshalb appelliere ich hier auch an die Eigenverantwortung, dass trotz der Pflege der sozialen Kontakte, was gut und richtig ist, Abstands- und Hygienerichtlinien eingehalten werden. Ich bitte dies­bezüglich auch die Eltern, mitzuhelfen, und auch die Pädagogen mit häufigem Lüften, vor allem mit richtigem Lüften.

So unangenehm Krisen auch sein können, Krisen bieten auch immer Chancen, da sie uns einerseits aus dem Alltag herausreißen, aber auch eine neue Sicht auf die Dinge erfordern, wie zum Beispiel Paul Romer, ein amerikanischer Ökonom und Nobel­preis­träger, einst gesagt hat: „A crisis is a terrible thing to waste“. Eine Chance, die genutzt wurde, ist der verstärkte Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologie.

Die Digitalisierung umfasst ja heute schon so ziemlich jeden Lebensbereich; sie ist die größte Veränderung des Wirtschaftens, des Arbeitens, der Kommunikation. Unser Zu­sammenleben wird sich dadurch zwangsläufig grundlegend verändern, und das stellt insbesondere ja auch unser Bildungssystem vor sehr große Herausforderungen, von den fachlichen Inhalten bis zur Art und Weise des Wissenserwerbs und der Wissens­vermittlung. Dabei zeigt sich, dass weniger das Erlernen einzelner Fakten im Vorder­grund steht, sondern vor allem das Verständnis für große Strukturen, für Zusammen­hänge, Kritikfähigkeit und Interpretation.

In dieser Digitalisierung liegt enormes Potenzial für unser Bildungswesen. Klar ist auch, dass sich das Bildungswesen diesen Veränderungen umfassend stellen muss, daher hat das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung einen Masterplan für Digitalisierung herausgegeben und davon abgeleitet einen Acht-Punkte-Plan. (Zwischen­ruf der Bundesrätin Hahn.) Ich möchte davon einige wenige Punkte herausgreifen, die ich als sehr wichtig erachte, wie zum Beispiel die Ausrichtung der Eduthek auf die Lehrpläne oder das Gütesiegel Lern-Apps, den Ausbau der schulischen Basis IT-Infra­struktur in Bundesschulen oder auch die Zurverfügungstellung von digitalen Endgeräten für Schüler und Schülerinnen ab der fünften Schulstufe. (Neuerlicher Zwischenruf der Bundesrätin Hahn.)

Die Digitalisierung ist nicht nur eine Notmaßnahme, sondern sie ist unsere Zukunft, eine Chance, organisatorische Verwaltungsabläufe und pädagogisch-didaktische Zugänge zu modernisieren. Die Digitalisierung können und sollten wir auch nicht aufhalten, son­dern diesen Prozess aktiv mitgestalten – nicht nur Pädagogen und Pädagoginnen, sondern auch wir als Eltern, Großeltern oder weitere Bezugspersonen.

Zum Abschluss ist es mir noch wichtig zu betonen, dass die Schule in dieser Zeit einen unverzichtbaren Beitrag zum Funktionieren unserer Gesellschaft und damit auch einen wichtigen Beitrag zur erfolgreichen Bewältigung der Pandemie leistet. Die Coronakrise hat zwar nicht viele positive Dinge bewirkt, aber ans Licht gebracht, dass es in unserer Gesellschaft einen hohen Grad an Solidarität gibt, wie die vielen Initiativen zur Nach­barschaftshilfe auch im Bildungsbereich gezeigt haben.


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Eines traue ich mich mit Sicherheit zu sagen: Die Zukunft bleibt ungewiss. Die Zukunft ist für uns alle ein Lernprozess, nämlich zu lernen, mit Ungewissheit umzugehen. Bleiben Sie gesund! – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

9.12


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Doris Hahn. – Bitte, Frau Bundesrätin.


9.13.16

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Geschätzte Frau Prä­sidentin! Geschätzter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren zu Hause, die via Livestream zusehen! Ich fürchte, ich muss uns ein bisschen von dieser rosaroten Wolke herunterholen, denn ganz so rosarot, wie das meine Vorrednerin gerade dargestellt hat, ist die aktuelle Situation in den Schulen mitnichten. Ich habe mir in der Vorbereitung auf diese Sitzung überlegt, dass das Erste, was ich mache, wenn ich in meine Klasse – zum Beispiel Mathematik 4b – gehe, ist, zu kontrollieren, ob die Damen und Herren in der Klasse ihre Hausaufgaben erledigt haben. Und heute habe ich mir vorgenommen, ob das Ministerium, ob der Herr Minister auch seine Hausaufgaben erledigt hat. Schauen wir einmal, was da passiert! (Beifall bei der SPÖ.)

Vor mittlerweile fast exakt einem Monat hat dieses neue Schuljahr 2020/21 begonnen, und wie schon im Frühjahr zu erwarten war, war der Schulstart alles andere als ein ge­wöhnlicher, vieles konnte nicht wie gewohnt ablaufen: Die sonst üblichen Schulmessen zu Schulbeginn fielen aus. Bei den Taferlklasslern durfte nur mehr ein Elternteil beim großen Start ins Erwachsenenleben dabei sein. Es galt, unterschiedliche und leider oft auch widersprüchliche Ampelregelungen einzuhalten – in Bezirken, die immer noch grün sind, sind Schulen trotzdem gelb, andere Bezirke wiederum sind auf Orange gestellt und die Schulen bleiben gelb. Schülergruppen werden nun als epidemiologische Einheiten bezeichnet, dürfen nicht mehr gemischt werden. Sportwochen, Projekttage werden abgesagt. Obwohl die Lehrkräfte ja sowieso ihren Dienst in der Schule und in den Klassen versehen und sich auch im Konferenzzimmer immer wieder begegnen, sind Konferenzen nur mehr per Videokonferenz gestattet, obwohl man zum Beispiel auch in einen großen Turnsaal mit viel, viel Abstand ausweichen könnte, und vieles mehr.

Covid-19 verursachte also schon lange vor Schulbeginn teils große Verunsicherung bei allen Betroffenen im Schulbetrieb, und diese entstandene Verunsicherung war aus meiner Sicht wirklich keine Überraschung. Das Bildungsministerium auf der einen Seite, Bildungsdirektionen auf der anderen gaben regelmäßig ganz unterschiedliche und teilweise widersprüchliche Richtlinien aus. Für den Schulbeginn hat man in Presse­konferenzen sehr vieles angekündigt, gesetzlich verankert war aber lange nicht alles, man musste hier wochenlang auf entsprechende Verordnungen warten. Der Schul­be­ginn kam ja auch völlig unvorhersehbar und völlig überraschend. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Schennach: Richtig!)

Ich möchte an dieser Stelle einen vermutlich gut bekannten Mann zitieren, nämlich Paul Kimberger, seines Zeichens Vertreter der Lehrergewerkschaft und vor allen Dingen Ihrer Fraktion (in Richtung ÖVP) zugehörig. Ich möchte etwas zitieren, was er der „Tiroler Tageszeitung“ in einem Interview gesagt hat. Da steht zum Beispiel: „Vieles war unge­klärt – der Umgang mit Verdachtsfällen, die Teststrategie.“ – „Die rechtlichen Grund­lagen, Erlässe und Verordnungen sind extrem spät gekommen. Das war nicht hilf­reich.“ – Zum Schluss, und das finde ich besonders spannend, steht: „Ich habe wenig Verständnis dafür, dass sich die politisch Verantwortlichen trotz mehrmaliger Aufforde­rung nicht penibelst auf das vorbereitet haben, was für die Schulen für den Herbst


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vorhersehbar gewesen ist. Da ist zu lange zu wenig passiert.“ – Das sagt Paul Kimberger, ein schwarzer Personalvertreter.

Aber in Wahrheit ist es aus meiner Sicht simpel und wirklich durchschaubar, denn die Verantwortung wird schlicht und einfach nach unten verschoben, nämlich zu den Lehrkräften und zu den Schulleiterinnen und Schulleitern, die nun versuchen müssen, aus diesem Chaos und diesen Ankündigungen und Widersprüchen heraus einen möglichst normalen Schulalltag zu gewährleisten und eine Verbreitung des Virus natür­lich möglichst hintanzuhalten, und die dazu noch gewährleisten müssen, dass aus einer großen Verunsicherung keine tatsächliche Furcht und Angst entsteht – das alles mit einem gewissen Deckmantel der Schulautonomie getarnt.

Aus meiner Sicht ist das der denkbar ungünstigste Zeitpunkt und der denkbar schlech­teste Aspekt, um hier Schulautonomie umzusetzen, Herr Minister. Die Betroffenen, nämlich die Pädagoginnen und Pädagogen, die Schülerinnen und Schüler, aber auch die Eltern, die Erziehungsberechtigten, sollten sich nicht darum kümmern müssen, wer wann wofür zuständig ist, von wo die nächste Direktive kommen könnte, ob das jetzt das Ministerium, die Bildungsdirektion oder wer auch immer ist. Ganz ehrlich, als Lehrerin habe ich auch nicht die Möglichkeit, dass ich mich in jeder freien Minute um solche Zuständigkeiten kümmern kann. Es geht den Betroffenen schlicht und einfach darum, dass sie ganz klare und eindeutige Informationen einfordern, und zwar zu Recht einfordern, wie ich meine, das haben sich alle Betroffenen im Schulbetrieb redlich verdient. (Beifall bei der SPÖ.)

Sie haben ja auch selbst diese uneinheitliche Vorgehensweise kritisiert, das haben Sie ja auch in der „NÖN“ erst diese Woche dargestellt. Da haben Sie gesagt: „Ich werde deshalb mit dem Gesundheitsminister sprechen, damit wir in den nächsten Wochen zu einem einheitlichen Prozess kommen.“ Und dann meinen Sie: „Das ist nicht so kompli­ziert, der eigentliche Ablauf ist nicht so komplex.“ – Na dann frage ich mich: Warum ist das nicht schon längst passiert, wieso haben Sie den Sommer dazu nicht längst genutzt, Herr Minister? Aus meiner Sicht ist das völlig unverständlich; offen­sicht­lich verstreicht jetzt wieder ein Semester völlig ungenützt!

In unzähligen Gesprächen, die ich auch als Personalvertreterin geführt habe, ist diese Verunsicherung immer wieder ganz, ganz deutlich ausgedrückt worden. Man kennt sich einfach vielfach nicht aus. So manches klingt in der Theorie gut, kann aber in der Praxis nicht wirklich umgesetzt werden. Wann ist ein Kind tatsächlich ein Verdachtsfall? Was, wenn sich Kinder kaum mehr trauen, in der Klasse zu husten oder zu niesen, wenn sie sich das Niesen quasi schon ganz bewusst verkneifen wollen? Welche schulischen Angebote darf man überhaupt noch anbieten? Es sollen jetzt möglichst kleine Lern­grup­pen gebildet werden, aber was ist, wenn aufgrund personeller, räumlicher Gegeben­heiten das alles gar nicht möglich ist? Wir haben gerade gehört, es soll alle 20 Minuten gelüftet werden: Der Winter steht erst vor der Tür, aber jetzt schon sitzen die Kinder mit Schal und Jacken in der Klasse, weil es einfach viel zu kalt ist. Das heißt, in Zukunft werden wir die Heizung auf voller Stufe laufen lassen, damit wir den Raum auf behagliche 18 Grad aufheizen, um dann 20 Minuten später wieder zu lüften. Wie gesagt, der Winter steht erst vor der Tür; das kommt mir ein bisschen kritisch vor.

Gruppenarbeiten sind eigentlich gänzlich verpönt. Es müssen Sitzpläne erstellt werden, die in der Direktion aufliegen müssen. Die Kinder sind angehalten, ihre Sitzplätze nicht mehr zu wechseln. Okay, das heißt für mich als Lehrerin, es wird jetzt auf kooperatives Arbeiten gänzlich verzichtet – wir haben jetzt reinen Frontalunterricht?, stelle ich jetzt einmal eine provokante Frage. Und die SchülerInnen sollen natürlich auch als epidemio­logische Einheiten den ganzen Tag in ihrer Klasse verbringen, da sie sich ja nicht mehr mischen sollen. Da stelle ich jetzt eine ganz konkrete Frage: Wie stellen Sie sich das in


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Zukunft vor, denn ich habe die Befürchtung, mit diesem Virus werden wir noch eine ganze Weile leben müssen?

Dazu kommt, viele Schulen haben sich aufgrund ihres Schulprofils viele individuelle Angebote geschaffen – Freigegenstände, Exkursionen, Kooperationen mit Betrieben, Institutionen, das kann eine Schulband sein, ein Schulchor, Akrobatikkurse und vieles anderes mehr –: Kann so etwas in Zukunft tatsächlich stattfinden? Sie haben das in Pressekonferenzen freigestellt, das ist aus meiner Sicht wieder eine gewisse Form der Pseudoschulautonomie. Da gibt es also vieles, das offensichtlich gleich von Anfang an dem Virus zum Opfer gefallen ist: Alle Angebote, die kreativ, sport-, begabungs- und interessenorientiert gewesen sind, sind gestrichen worden. All jene Bereiche, die die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder betreffen und von ganz immenser Bedeutung gewesen wären, sind gekürzt worden, dem Virus zum Opfer gefallen.

Jetzt frage ich mich als Lehrerin, was denn in diesem Schuljahr die Schule so lebenswert machen wird. Ich glaube, diese Frage hat seitens der Politik noch niemand wirklich zu beantworten gewagt. Ich kann nur eines sagen, nämlich dass sich die Pädagoginnen und Pädagogen tagtäglich wirklich redlich bemühen, das Beste aus diesem Chaos zu machen und unter diesen Umständen ganz großartige Arbeit leisten, und das nicht nur am WeltlehrerInnentag, am 5. Oktober, sondern das ganze Schuljahr über, und dafür gilt es auch heute Danke zu sagen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Lackner.)

Hinzu kommen dann noch Dokumentationsfluten. Beispielsweise haben wir in meiner Schule für eine Handvoll Verdachtsfälle mittlerweile einen ganzen Ordner an Unterlagen, die wir an irgendwen schicken müssen – ob sie dann gelesen werden, ist eine andere Frage. Jetzt gibt es Gurgeltests, Gurgelstudien, die eine gewisse Klarheit bringen sol­len. Da wurde von Freiwilligkeit gesprochen. Ich kann Ihnen da eine Plattform – schulgschichtn.com – sehr empfehlen, da kommen immer wieder Kolleginnen und Kollegen aus der Praxis zu Wort, und hier spricht eine Grazer Lehrerin davon, dass diese Freiwilligkeit beispielsweise auch nie klar kommuniziert wurde. Da sind die Informationen des Ministeriums viel zu spärlich und hatten oft wenig Bezug zur Praxis.

Man muss sich jetzt einmal vorstellen, was die Lehrer alles leisten müssen: Sie müssen das Material für die Tests vorbereiten, nötige Kühlgeräte teilweise mit nach Hause nehmen, dort einlagern und einkühlen, Listen mit den Daten für die betroffenen Schü­lerInnen erstellen, und so weiter und so fort, stundenlange Arbeit, die in dem Fall nicht bezahlt wird. (Zwischenbemerkung von Bundesminister Faßmann.) Vom Ministerium ist nur ein Paket gekommen, in dem dann auch noch einige Sachen gefehlt haben. – Das erzählt hier eine Grazer Schulleiterin.


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Frau Kollegin, die 10 Minuten sind um. Bitte den Schlusssatz!


Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (fortsetzend): Ich komme zu meinem Schlusssatz: Vieles ist ungeklärt, wie etwa das administrative Unterstützungspersonal, das offen­sichtlich nicht wirklich ankommt, und vieles anderes mehr.

Die Hausaufgaben haben Sie aus meiner Sicht nicht erledigt, ich glaube, da wäre noch ein bisschen Nachsitzen fällig. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Leinfellner.)

9.23


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Monika Mühlwerth. – Bitte, Frau Bundesrätin.



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9.24.06

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren, die via Livestream zusehen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, ich muss es einmal mehr sagen: Das, was dem Lockdown mit all seinen Maßnahmen vorausgegangen ist, war leider etwas, was die Regierung ganz gezielt und bewusst gemacht hat, nämlich Angst und Panik zu verbreiten. Angst ist aber immer ein schlechter Ratgeber und führt dazu, dass die Reaktionen auch entsprechend sind. Wenn wir uns jetzt beklagen, dass die Abstände nicht eingehalten werden, dass die Leute unvorsichtig geworden sind, auch was das Weggehen anbelangt, dann ist das genau dort begründet, denn wenn ich Angst und Panik verbreite und dann kommt die Lockerung, dann glauben alle, es ist jetzt wieder alles in Ordnung, und neigen zur Unvorsichtigkeit. Es wäre von Anfang an wesentlich besser gewesen, auf mehr Eigenverantwortung zu setzen, und das haben wir auch immer gesagt. (Beifall bei der FPÖ.)

Als der Lockdown gekommen ist, haben die Eltern von hier auf jetzt ihre Kinder unter­richten müssen. Eltern geben gerne Hilfestellungen, aber Eltern haben das nicht gelernt. Es gibt natürlich auch Pädagogen, die Eltern sind und die das dann können, aber die meisten haben das nicht gelernt, und trotzdem waren sie überfallsartig gefordert, ihren Kindern den Stoff beizubringen. Und das hat nicht immer wunderbar funktioniert.

Die Lehrer haben versucht, wirklich das Beste zu machen – ich sage auch, ja, sie haben wirklich Großartiges geleistet, da das eine sehr herausfordernde Zeit für sie war –, aber trotzdem hat es natürlich immer wieder Pannen gegeben, was die Aufgabenstellungen anbelangt, was das Herankommen an die Aufgabenstellungen anbelangt, was das Feedback anbelangt. Das war alles nicht immer so wunderbar, wie es zum Beispiel von meiner Vorvorrednerin skizziert wurde. Das stimmt einfach nicht.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Eltern in einer für sie ungewohnten Rolle waren: Sie mussten gleichzeitig Homeoffice machen, und das vielleicht sogar noch in beengten Wohnverhältnissen; da wird es dann wirklich schwierig. Nehmen wir an, wir haben eine Familie, zwei Kinder, eines geht in die Volksschule, eines geht in den Kindergarten, ich muss Homeoffice machen: Das Schulkind kommt und braucht Hilfe, will etwas erklärt bekommen, das Kindergartenkind will beschäftigt werden, das alles vielleicht auf 60 Quadratmeter, da wird es wirklich schwierig. Und dass die Eltern das gestemmt haben, dafür möchte ich mich an dieser Stelle – da jetzt den Lehrern so viel gedankt worden ist – einmal bei den Eltern bedanken, und da vor allem bei den Müttern, denn die haben die Hauptlast gestemmt. (Beifall bei der FPÖ sowie bei BundesrätInnen von ÖVP, SPÖ und Grünen.)

Dabei muss man sagen, dass viele Schüler gar nicht erreicht worden sind. Die Uni Wien hat eine Studie dazu gemacht, wie es den Schülern, aber auch den Studierenden gegangen ist, und wenn man es zusammenzählt, sind rund 37 Prozent gar nicht erreicht worden. Davon hatten 10 Prozent keinen PC, 21 Prozent haben keine Unterstützung von zu Hause bekommen, weil dies aufgrund von mangelnden Sprachkenntnissen oder sonstiger Überforderung nicht möglich war. Und das bildet nicht das Ganze ab, da ja viele gar nicht erreichbar waren in der Befragung, da sie ja keinen Zugang zu einem Computer gehabt haben.

Das heißt, viele der Schüler – und das sind natürlich dann in der Mehrzahl diejenigen, die zugewanderte Eltern haben – werden, da ja auch zu Hause kein Deutsch gesprochen wird, dann wieder zurückfallen. (Zwischenruf der Bundesrätin Hahn.) Das heißt, wir


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können hier fast schon von einer verlorenen Schülergeneration sprechen, da es für sie schwierig werden wird, das wieder aufzuholen.

Ich gebe Kollegin Hahn ja selten recht, aber in dem Fall muss ich es leider tun, denn sie hat nicht ganz unrecht, wenn sie sagt, dass seitens des Ministeriums viel zu wenig Klarheit geherrscht hat. Es stimmt, auch ich habe diese Rückmeldungen bekommen, viele haben sich einfach nicht ausgekannt.

Jetzt haben wir den Schulbeginn, jetzt geht es wieder los, und ich sage Ihnen, sowohl Eltern als auch Lehrer kennen sich nicht ganz aus, was jetzt wirklich verlangt wird, was gewünscht ist, was möglich ist, was nicht möglich ist. Die Schüler können wirklich schwer mit der Situation umgehen, und es ist nicht wahr, wenn man sagt, die Kleinen gewöhnen sich schon an die Maske. Das tun sie eben nicht. Aber am schwersten fällt es ihnen, wenn sie in den Pausen nicht mit den anderen zusammen sein können, nicht mit ihnen spielen können. Es fehlt der Musikunterricht, es fehlt der Turnunterricht, es fehlen die Lerngruppen. Das sind alles Dinge, die unsere Kinder ja auch nachhaltig beeinflussen. Es haben ja auch schon einige Psychologen gesagt, dass viele Leute echte Angst­störungen entwickelt haben. Und eine Angststörung bei Erwachsenen, vor allem bei Eltern, geht auch an den Kindern nicht spurlos vorbei. Das überträgt sich, da kann man sich noch so bemühen. Das überträgt sich nicht nur verbal, sondern eben auch non­verbal.

Da sage ich der Regierung schon eines: Sie haben es hier meistens, auch unter Be­dachtnahme auf die Eigenverantwortung für diese zum Teil notwendigen Maßnahmen – ich bestreite nicht alles –, an nötigem Augenmaß fehlen lassen. Sie sind einfach ratzfatz drübergefahren und haben gesagt, das muss jetzt alles sein, ohne wirklich zu kommunizieren, warum das eigentlich so notwendig ist. Manche Dinge sind es schon wert, dass hinterfragt wird, ob es wirklich so gemacht werden musste. (Beifall bei der FPÖ.)

Jetzt hören wir, dass der Herr Minister im November eine einheitliche Regelung erlassen will, was Covid-Verdachtsfälle anbelangt. Im November! (Bundesrat Schennach: 2020 oder 2021? – Zwischenbemerkung von Bundesminister Faßmann.) Ja, die Schule hat Anfang September begonnen, das hat man gewusst, das war nicht überraschend, das ist nicht vom Himmel gefallen, das hat jeder gewusst. (Beifall bei FPÖ und SPÖ.)

Herr Minister, bei aller Wertschätzung, da müssen Sie sich die Frage gefallen lassen: Was bitte haben Sie über den Sommer gemacht? (Bundesrat Schennach: Urlaub!) – Urlaub, geschlafen?, was auch immer. Es kann ja nicht sein, dass wir wissen, dass im September die Schule beginnt, und Sie sind nicht in der Lage, einheitliche Regeln auszuarbeiten, die dann mit Beginn September gültig werden. Herr Minister, daher sage ich Ihnen, um jetzt im Schuljargon zu sprechen: Sie kriegen kein goldenes Sternderl ins Heft, Sie kriegen einen glatten Fünfer! (Beifall bei der FPÖ.)

9.32


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger zu Wort. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen. (Bundesrat Schennach: Eine, die sich auskennt!)


9.32.21

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Für uns ändert sich nichts, außer dass wir Masken bis in die Klasse tragen müssen, sagt Anna, elf Jahre. Es ist alles wie zuvor; im Bus trinke ich


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einfach ständig etwas, da muss ich keine Maske tragen. Eine Lehrerin von mir trägt ständig eine Maske, auch im Unterricht, das würde ich nicht aushalten, sagt Julia, 13 Jahre. Es ist alles gleich wie bisher in der Schule, ich merke keine Veränderung, wir sitzen auch wieder nebeneinander. Im Bus sind viele Leute, aber zum größten Teil wer­den die Masken getragen, sagt Max, 14 Jahre.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie hören anhand dieser Beispiele von Schülerinnen und Schülern, es dominiert bei den Kindern tatsächlich das Thema des Maskentragens, was aber keineswegs als Belastung angesehen wird. (Bundesrat Steiner: Wegen drei Beispielen?! – Weitere Zwischenrufe bei FPÖ und SPÖ.) Und genau das ist das Ziel aller Maßnahmen und Vorkehrungen der Bundesregierung: den Schülerinnen und Schülern, den Lehrerinnen und Lehrern (Bundesrat Steiner: Das ist ja arrogant, so etwas!), aber auch den Eltern so viel Normalität wie möglich in und nach dieser her­ausfordernden Zeit zurückzugeben beziehungsweise zu geben. (Bundesrat Schennach: Die Kinder sind so heiß auf Masken wie ...!)

Im Frühjahr traf uns die Pandemie weitgehend unvorbereitet und es mussten sehr schnell Maßnahmen getroffen werden, die teilweise als zu radikal oder auch als zu wenig streng eingestuft wurden. In der Realität haben wir in den letzten Monaten sehr viel dazugelernt und nun Maßnahmen gefunden oder zu finden versucht, um den Umgang mit der Pandemie in der Schule zu erleichtern, um besser zurechtzukommen.

Dazu möchte ich auf die Situation in meinem Bundesland Oberösterreich kurz eingehen. Uns allen ist klar – allen, die wir hier sitzen, allen, die damit beschäftigt sind –, dass eine Situation wie in Oberösterreich, wo es kurz vor Beginn der Sommerferien wegen stei­gender Infektionszahlen Schulschließungen gegeben hat, keine Option mehr für diesen Herbst ist. So etwas ist für die Zukunft nach Möglichkeit zu vermeiden. Es wurden in Oberösterreich Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen in insgesamt fünf Be­zir­ken gänzlich geschlossen. Für die Eltern, SchülerInnen und LehrerInnen kam diese Schließung überfallsartig, deshalb muss es unser erklärtes Ziel sein, dass sich Eltern, Kinder und LehrerInnen jetzt jederzeit darauf verlassen können, dass es für die Kinder ein Betreuungsangebot gibt, auch wenn es im Normalbetrieb zu Einschränkungen kommt.

Eltern brauchen Klarheit und Sicherheit, genauso wie die Lehrerinnen und Lehrer, ge­nauso wie die Kinder; Betreuung muss es aber immer geben. (Bundesrat Rösch: Warum tun Sie es nicht?) Wir Grüne haben uns für eine differenzierte Vorgangsweise eingesetzt, und auch der Herr Bildungsminister hat das so gesehen. Eine differenzierte Vorgangs­weise setzt natürlich eine gute Teststrategie und ausreichend Testkapazitäten voraus. Neue Testmethoden wie die Gurgellösung sind sehr erfolgversprechend. (Bundesrat Schennach: Dank Wien!) Das kann sehr schnell in großen Einrichtungen wie Schulen Klarheit bringen, ob das Virus präsent ist.

Der Versuch dazu läuft, auch an 42 oberösterreichischen Schulen, die Teilnahme – und ich betone es noch einmal – ist freiwillig. Wichtig ist es, gegenüber den Eltern eine vertrauensbildende und offene Kommunikation herzustellen, so es doch tatsächlich bei den Eltern Unsicherheiten in Bezug auf die Freiwilligkeit der Teilnahme und eine mögliche Gesundheitsgefährdung durch die Gurgellösung gab.

Wichtig ist natürlich auch immer wieder zu betonen, dass die Öffnung der Schulen und die etappenweise Rückkehr zum Normalbetrieb richtig und extrem wichtig war, denn vor allem Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen leiden enorm unter dem einge­schränkten Schulbetrieb. Nicht nur das Lernergebnis der Kinder verschlechtert sich, sie


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haben zudem auch teilweise gravierende soziale Beeinträchtigungen zu tragen. Es darf aber kein Kind zurückgelassen werden, daher ist die Normalisierung des Schulbetriebes essenziell.

Äußerst positiv ist die Sommerschule zu erwähnen, die im Regierungsprogramm verankert ist. In Oberösterreich war die Sommerschule ein breiter Erfolg: 3 524 Kinder haben in den letzten zwei Ferienwochen an der Sommerschule teilgenommen. Das Angebot wurde sehr gut angenommen: Von den insgesamt 3 631 bereits vor Som­merbeginn angemeldeten Kindern haben über 97 Prozent das Angebot auch tatsächlich genützt. (Ruf bei der SPÖ: In Wien!) 316 Lehrkräfte und 151 Studierende führten die Sommerschule. In diesem Jahr waren bis jetzt nur Kinder mit sprachlichen Defiziten zur Sommerschule zugelassen. Die Anmeldung wurde den Eltern von der Schulleitung beziehungsweise der zuständigen Lehrkraft empfohlen, es haben aber auch Eltern in Eigeninitiative ihre Kinder angemeldet. Für das nächste Jahr ist aber ins Auge zu fassen, dass es auch Bedarf in anderen Fächern wie zum Beispiel Englisch und Mathematik gibt.

Und ja, man sieht es – das ist aber in einem System so –, auch unser Bildungssystem weist Schwachstellen auf, die nun durch Corona besonders deutlich geworden sind. Vieles wurde erkannt, und an weiteren Lösungen wird intensiv gearbeitet. (Zwischenruf der Bundesrätin Grimling.) Aber nochmals: Trotz aller Kritik, trotz aller Erschwernisse, trotz mangelndem Wissen, wie lang uns Corona noch begleitet, denke ich, dass wir einen guten Weg in den Schulen gefunden haben, um gemeinsam durch diese herausfor­dernden Zeiten zu kommen. – Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

9.39


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Für eine erste Stellungnahme hat sich der Herr Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung zu Wort gemeldet. – Ich erteile es Ihnen sehr gerne und mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit 10 Minu­ten nicht überschreiten soll.


9.39.12

Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung Dr. Heinz Faßmann: Frau Präsidentin, ich werde mich bemühen. – Sehr geehrte Mitglieder des Bundesrates! Sehr geehrte Damen und Herren! Herzlichen Dank auch für die Vorreden, ich habe Ihre Botschaft schon verstanden. Manche Botschaften würde ich gerne im Folgenden auch erläutern, manche nehme ich so zur Kenntnis, Ihre Bewertung meiner Leistung muss ich zur Kenntnis nehmen, so wie es ist.

Eines möchte ich aber sagen: Wenn man so gerne vom Chaos in der Schule spricht – der Boulevard berichtet auch gerne darüber –, muss ich das wirklich zurückweisen, denn es wird der Arbeit der Kollegen und Kolleginnen vor Ort nicht gerecht. Ich glaube, dass unsere Lehrer und Lehrerinnen, Direktoren und Direktorinnen Großartiges leisten. Die Schule funktioniert, von einem Chaos kann nicht die Rede sein, ich danke ihnen sehr.

Die Zeit ist schwierig, und wir haben eine Pandemie – vielleicht haben Sie das auch schon bemerkt –, die unser soziales und wirtschaftliches Leben durcheinanderwirbelt, aber wir haben ein funktionierendes Bildungssystem. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Zwischenrufe bei der SPÖ.) Dazu muss ich ganz klar sagen: Das lasse ich mir auch von reißerischen Überschriften nicht vermiesen.

Ich persönlich bin immer sehr am systematischen Wissenserwerb interessiert, auch an Samples, die größer als eins sind, und habe daher eine Umfrage in Auftrag gegeben. Wir haben 600 Eltern zufallsgesteuert befragt, und 82 Prozent dieser Eltern sagen, sie sind mit dem Schulstart sehr oder eher zufrieden. (Bundesrätin Hahn: Weil ... die Lehrer


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perfekt gestalten, trotz allem!) 65 Prozent der Befragten sagen: Die Schule meines Kindes hat die Situation fest im Griff und sie ist krisenfest. Es sagen auch 68 Prozent der Eltern, dass die Zeit des Heimunterrichts, Frau Kollegin, eine sehr belastende Zeit war, die sie nicht mehr haben wollen.

Drei Viertel der Eltern sagen aber auch, wenn man es ihnen freistellen würde, ob sie ihre Kinder im Herbst in die Schule geben oder im Heimunterricht unterrichten – nicht weiter überraschend –, dass sie sie in die Schule geben würden. Das ist also letztlich ein klares und positives Ergebnis für die Schule und für eine funktionierende Schule.

Was haben wir im Sommer gemacht? – Ich sage es Ihnen ganz offen, ich habe keinen Urlaub genommen. Vielleicht haben Sie das Privileg gehabt, diesen zu haben, ich hatte es nicht. Wir haben im Ministerium sehr viel betreffend die Vorbereitungen gearbeitet. Wir haben ein Informationspaket Schule im Herbst formuliert. Wir haben ganz einfache Regeln mit den Stakeholdern formuliert, Frau Kollegin, ganz einfache Regeln, wie mit dem Mund-Nasen-Schutz umzugehen ist. Wir haben auch immer die Balance gehalten. Es hat viele gegeben, die gefordert haben, den Mund-Nasen-Schutz auch im Unterricht die ganze Zeit zu tragen, und ich habe gesagt, wir müssen den Weg der Mitte finden, die Balance: Was ist erträglich, aber was ist auch gesundheitspolitisch notwendig?

Wir haben auch rechtzeitig die rechtlichen Grundlagen hinsichtlich der COVID-19-Schulverordnung geliefert. (Bundesrätin Hahn: Rechtzeitig ist ...!) – Ja, rechtzeitig in Abhängigkeit – Frau Kollegin, hören Sie mir nur ein bisschen zu! (Bundesrätin Hahn: ... muss die Regierung besser werden!) – zu dem, was die Coronakommission vorgeschla­gen hat. Die hat Ende August ihre ersten Sitzungen gehabt, aber wir haben sehr schnell darauf reagiert. (Bundesrat Steiner: Gibt’s die überhaupt noch, die Coronakommission? Da treten immer so viele Experten aus!) – Da müssen Sie Kollegen Anschober fragen.

Ich glaube, auch ein ganz wichtiger Punkt der Vorsorge – und das haben wir im Sommer sehr intensiv gemacht – war die Digitalisierung der Schule. Es war überhaupt keine Frage, dass Distancelearning wieder kommen wird. Immer dann, wenn Schulen ge­schlos­sen sind – und Schulen werden im Herbst geschlossen sein –, brauchen wir Distancelearning, und da haben wir viel gemacht. Es wurde schon darauf hingewiesen, wir haben das Portal Digitale Schule programmiert. Das wird etwas ganz Neues sein, weil es eine einheitliche Kommunikationsplattform von Eltern, Schülern und Lehrern darstellt. Wir haben einen Fortbildungskurs programmieren und erstellen lassen, den seit August immerhin 11 000 Teilnehmer und Teilnehmerinnen konsumiert haben. (Zwi­schenruf der Bundesrätin Hahn.) 5 000 Pädagogen haben das auch mit einem Zertifikat abgeschlossen – großartig.

Wir haben uns gefragt, wie wir mit den Bundesschulen und dem Breitbandanschluss umgehen. Zwei Drittel bis zu drei Viertel der Bundesschulen haben einen Glasfaser­breit­bandanschluss oder haben WLAN mit mindestens 100 Mbit in der Schule, und die letzten 25 Prozent werden wir in den kommenden Jahren zusammenbringen. Und wenn Sie, liebe Mitglieder des Bundesrates, in Ihren Ländern darauf drängen, dass auch die Landesschulen, die Schulen, die den Gemeinden gehören, ähnliche Investitionen vor­nehmen, bin ich hochgradig zufrieden. (Zwischenruf der Bundesrätin Grimling.)

Wir haben die Ausschreibung für die digitalen Endgeräte in der 5. und 6. Schulstufe vorbereitet. Das ist, Frau Hahn, die größte digitale Bildungsinvestition, die wir bisher getätigt haben. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Sie müssen es mir glauben, Frau Hahn, ich kann nicht in den nächsten Elektroladen gehen und sagen: Bitte packen Sie mir 160 000 digitale Endgeräte ein! (Bundesrätin


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Hahn: In der Steiermark ... möglich!) Da braucht es eine ganz ordentliche Ausschreibung dazu, und die Ausschreibung und auch die gesetzlichen Grundlagen werden vorbereitet. (Bundesrätin Hahn: In Niederösterreich ist ...!)

Einen dritten Punkt möchte ich auch gerne erwähnen – Frau Kollegin, Sie haben es an­gesprochen –, das ist eine Sache, die mir am Herzen liegt: Wir brauchen Klarheit betref­fend die Frage, wie die Infektion bei den Sechs- bis 14-Jährigen voranschreitet. Das ist ein wissenschaftlicher Zugriff, den ich hier gerne mache. Ich möchte gerne wissen, wie die Prävalenz bei den Sechs- bis 14-Jährigen ist. Wir haben dazu in Zusammenarbeit mit der Universität Wien ein Forschungsprojekt aufgestellt und testen mit einer Gurgel­wassermethode – nicht dank Wien, sondern dank der Universität Wien, die das ent­wickelt hat. (Rufe bei der SPÖ: 12 Millionen Sonder- -!) Wir helfen auch der Stadt Wien, gemeinsam mit dem Stadtrat Hacker - - (Bundesrat Schennach: 12 Millionen für die Forschung ...!) – Ja, auch mein Ministerium hat für dieses Forschungsprojekt den Betrag finanziert, damit diese Methode weitergeht. (Zwischenrufe der BundesrätInnen Grimling und Schennach.)

Sehen Sie doch bitte beides und nicht immer nur eines! Das scheint mir doch eine wichtige Sache zu sein. Wir werden einen Überblick gewinnen können über die Infek­tionssituation bei den Sechs- bis 14-Jährigen, und das ist eine wichtige Sache. (Zwi­schenruf der Bundesrätin Hahn.)

Ja, zu meinem dritten Punkt muss ich sagen, es läuft nicht alles rund. Das sei schon zugestanden. (Bundesrat Schennach: Nach jeder Ihrer Pressekonferenzen herrscht Chaos! – Beifall bei BundesrätInnen der SPÖ.) – Wonach?

Wir haben sicherlich eine Schwierigkeit bei der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Behörden, um das ganz realistisch darzustellen. Bildungsbehörde und Gesundheits­be­hörde, da brauchen wir eine verbesserte Zusammenarbeit. Es dauert in der Tat manch­mal zu lange, bis die Verdachtsfälle getestet sind. Wenn es sehr lange dauert, bis Verdachtsfälle getestet sind, dann haben wir sehr viele sogenannte K1-Fälle, Kontakt-1-Personen. Hier brauchen wir sicherlich mehr und schnellere Testungen, dann können wir uns auch die Quarantänemaßnahmen bei den K1-Personen ersparen. Das ist, glaube ich, kein Malheur, wenn ich mich, Frau Mühlwerth, mit dem Gesundheitsminister zusammensetze, gemeinsame Verfahrensprotokolle bespreche und versuche, die auch einheitlich zu formulieren.

Wir werden im Wesentlichen drei Dinge vornehmen. Wir werden zwischen Bildungs­behörde und Gesundheitsbehörde eine Fast-Lane-Prozedur schaffen, wir werden die Verdachtsfälle schneller testen, damit klar ist, ob die K1-Personen in Quarantäne ge­schickt werden, und wir werden dafür sorgen, dass bei der Quarantäneentscheidung das Standortprinzip und nicht das Wohnortprinzip zum Tragen kommt.

Ich muss aber auch dazusagen, dass die Gesundheitsbehörde ja bekanntlich in der mittelbaren Bundesverwaltung den Landeshauptleuten untersteht. Auch der Gesund­heits­minister kann nicht ganz locker sagen: So hat es zu geschehen!, sondern er braucht die Länder dazu – und da ich hier im Bundesrat sitze: Wenn Sie Ihren Einfluss geltend machen können, damit wir einheitliche Verfahrensregeln haben, so bin ich Ihnen mit Sicherheit sehr dankbar.

Lassen Sie mich, weil das Licht blinkt, meine Rede vielleicht folgendermaßen abschließen: Es ist für mich vollkommen klar, und wahrscheinlich für die Majorität der hier Sitzenden auch, so lange wir keinen Impfstoff und keine Therapeutika haben, haben wir im Herbst


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eine schwierige Situation, das ist gar keine Frage. Ich bin aber wahrscheinlich auch mit der Majorität hier einer Meinung: Schule offen halten, so lange es geht!, denn Schule ist sehr viel mehr als nur eine Bildungsstätte. Sie ist ein Ort der Sozialisation, ein Ort, wo Freundschaften geschlossen und Konflikte bearbeitet werden, und letztlich ist das Bil­dungssystem ein ganz wesentlicher Teil unserer arbeitsteiligen Gesellschaft. Dahin ge­hend: Kritisieren Sie mich nur, das ist schon klar, aber ich werde mich bemühen, dass die Schule so lange wie möglich offen bleibt und gut funktioniert. – Herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

9.49


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Vielen Dank, Herr Bundesminister, für Ihre Stellungnahme.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minuten nicht übersteigen darf.

Als Nächste ist Frau Bundesrätin Ing.in Judith Ringer zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.


9.49.45

Bundesrätin Ing. Judith Ringer (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuschauerinnen und Zuschauer! Wer von uns kennt ihn nicht, den Spruch: Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir! – Und jetzt sind wir in einer Situation, in der uns das Leben etwas lehrt, in der die Schule und alle, die dazugehören, etwas lernen müssen. Wir bekommen gerade eine Nachhilfestunde im Unterrichtsfach Leben und seine Planbarkeit. Im Leben ist nicht immer alles planbar, das dürfen wir gerade im wahrsten Sinne des Wortes am eigenen Leib erfahren.

Im Gegensatz zu einem normalen Schulfach gab es nicht einen leichten Einstieg und dann einen langsamen Aufbaulehrgang, das Virus war im Frühjahr einfach da und hat den gesamten Unterrichtsablauf vor enorme Herausforderungen gestellt. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Wir reden hier von einem Schulsystem mit mehr als 5 000 Standorten, rund 1,1 Millionen Schülerinnen und Schülern und 120 000 Lehr­kräften. Jetzt befinden wir uns im Herbst und es zeigt sich, was wir in diesem Crashkurs gelernt haben – und das ist einiges. (Zwischenruf der Bundesrätin Hahn.)

In den Schulen gibt es jetzt Krisenteams, Coronabeauftragte und Ablaufpläne. Wir haben gelernt, dass Unterricht auch online stattfinden kann. (Ruf: Kann er nicht!) Zugegeben, diese Unterrichtsform ist im Volksschulalter nur bedingt anwendbar. Viele Lehrkräfte haben auch ihre Kreativität wiederentdeckt, indem sie spannende Varianten für ihre Unterrichtsfächer gefunden haben. Wir haben einen enormen Schritt im Bereich des Zukunftstrends Digitalisierung gemacht, das ist sicher einer der positivsten Effekte dieser Situation. (Zwischenruf der Bundesrätin Grimling.)

Unser Ziel kann und muss es sein, den Regelunterricht, solange es geht, aufrecht­zuerhalten. Speziell für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf ist ein derartiger Unterricht enorm wichtig. Als Mutter einer solchen Tochter weiß ich den Unterricht und die Quali­täten der Lehrkräfte sehr zu schätzen, denn diese befinden sich im Spannungsfeld zwi­schen Förderung und den gesundheitlichen Herausforderungen, da diese Kinder eben das Tragen einer Mund-Nasen-Schutzmaske nicht akzeptieren oder diese nicht tragen können. (Bundesrat Steiner: ... was anderes gesagt!) Und was die Lehrkräfte, Betreu­erinnen und Betreuer in diesem Spannungsfeld leisten, ist absolut erwähnenswert, und ich möchte ihnen hiermit allen sehr herzlich danken. (Beifall bei der ÖVP und bei Bun­desrätInnen der Grünen.)


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Das alles wurde im vom Bildungsministerium vorgelegten Konzept für den Herbst 2020 berücksichtigt. Es umfasst viele Maßnahmen: den rechtlichen Rahmen, pädagogische Leitlinien und, nicht zu vergessen, Unterstützungsangebote. Damit gibt es ein Hand­buch, das den Umgang mit dieser Situation erleichtert. Herzlichen Dank dafür, Herr Minis­ter. (Beifall bei der ÖVP sowie der Bundesrätin Hauschildt-Buschberger.)

Zusätzlich zu den organisatorischen Herausforderungen gibt es für die Pädagoginnen und Pädagogen auch Lernunterschiede zu berücksichtigen. Nicht alle Schülerinnen und Schüler konnten die Lernphase im letzten Schuljahr gleich nutzen. Manchen fehlte es an der Hard- und Software, einigen fehlte es an der elterlichen und sonstigen Unterstützung, einigen ganz einfach an der Motivation, und andere waren schlichtweg mit der Situation überfordert. Weiters gab es solche, die von der Einzelförderung absolut profitiert haben. All diese Gruppen wieder auf einen einheitlichen Stand zu bringen, ist keine einfache Aufgabe, die unsere Lehrerinnen und Lehrer bewältigen müssen, und deshalb war die Sommerschule, wie schon meine Kollegin erwähnt hat, ein absolutes Erfolgsmodell.

Dieser Virus lehrt uns und unseren Kindern noch etwas ganz Wichtiges: den Umgang mit Krisen. Wie gehen wir mit einer ungeplanten Situation um? Sehen wir nur noch das Negative? Sehen wir nur all die Krisen? Sehen wir die Nachteile? Wie schaffen wir es, uns schnell an eine Situation anzupassen? Nutzen wir auch die positiven Effekte und die Chancen und Möglichkeiten? Und es ist nicht hilfreich, den Kindern zu erklären, dass sie eine verlorene Generation sind, sondern wir sollten ihnen zeigen, dass es in jeder Situation Chancen und Möglichkeiten gibt. (Beifall bei der ÖVP.)

Was wir unseren Kindern auch lernen können, ist ein disziplinierter Umgang miteinander: das Zuhören, das respektvolle Anhören und nicht das Dazwischenschreien. Das sollte man gerade von Lehrkräften erwarten können. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrätin Schumann: ... im Parlament!)


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Frau Kollegin, 5 Minuten sind vorbei, ich bitte um den Schlusssatz!


Bundesrätin Ing. Judith Ringer (fortsetzend): Damit sind wir wieder beim Anfang: Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir! Es gibt nur noch eines zu sagen: Es ist, was es ist, aber es wird, was wir daraus machen! Darum: Machen wir das Beste daraus! – Danke. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Schreuder.)

9.55


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag.a Daniela Gruber-Pruner. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.


9.55.41

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Hohes Präsidium! Sehr ge­ehrter Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte ZuseherIn­nen zu Hause! Ich möchte eingangs ausdrücklich betonen, Herr Minister, dass ich es sehr begrüße, dass Sie sich mehrfach – und hier heute auch wieder – dafür ausge­sprochen haben, dass die Schulen möglichst lange offen sind, weil wir denselben Zugang haben. Es ist gut, wenn unsere Kinder in den Schulen, in den Bildungsein­richtungen sind. Das möchte ich sehr unterstützen, gerade auch im Sinne jener Kinder, bei denen die Situation zu Hause nicht optimal ist. Da gebe ich meiner Kollegin Monika Mühlwerth recht, dass die Situation, die zu Hause zu bewältigen ist, für die meisten von ihnen sehr, sehr herausfordernd ist.


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Es gab sie im Frühjahr und gibt sie auch jetzt: die Kinder und Jugendlichen, die aus verschiedenen Gründen derzeit nicht in den Bildungseinrichtungen sind, weil sie selber zur Risikogruppe gehören oder Angehörige einer Risikogruppe sind, Kinder mit Behin­derungen verschiedenster Art. Um diese Kinder mache ich mir besonders große Sorgen. Ich finde, dass es in dieser speziellen Situation gerade für diese spezielle Zielgruppe auch spezielle Ressourcen braucht, damit man proaktiv an diese Zielgruppe herangehen kann (Beifall bei der SPÖ), weil niemand von uns zum jetzigen Zeitpunkt sagen kann, was diese Kinder möglicherweise ertragen müssen, möglicherweise erleiden müssen. Das kann uns nicht egal sein, und meiner Meinung nach können wir da auch nicht warten, bis vielleicht Dinge passieren, die dann an die Öffentlichkeit kommen.

Ich wünsche und erwarte mir eine viel engmaschigere Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendhilfe, einen Ausbau der Schulsozialarbeit und eine aufsuchende Familien­arbeit – und ich erwarte mir einen Plan, Herr Minister, natürlich auch gemeinsam mit dem Familienressort, wahrscheinlich auch mit dem Gesundheitsressort, damit man einerseits dem Bildungsauftrag der Schule nachkommen kann, auch wenn die Kinder nicht in den Bildungseinrichtungen sind, man sich aber andererseits auch um das körperliche und das seelische Wohlergehen dieser Kinder kümmert. Das, denke ich mir, ist eine gesellschaftliche Verantwortung, der wir derzeit nicht nachkommen.

Ich muss auch, und das wird Sie jetzt wenig überraschen, noch den Finger auf eine Wunde legen, die Ihr Ressort betrifft, und zwar den Bereich der Elementarbildung – dieser wurde schon öfter erwähnt. Ich erlebe es so, dass es einen gewissen Reflex im Bildungsministerium gibt, zu sagen, dieses Thema sei Länderkompetenz und da könne man als Ministerium nichts machen. Ich finde aber, angesichts der Bedeutung dieses Themas, der elementaren und der frühen Bildung von Kindern, ist das nicht mehr länger zulässig. Ja, ich weiß, es wurde letzte Woche ein Beirat für Elementarpädagogik ein­gerichtet, und der hat das erste Mal getagt; und glauben Sie mir, aus der Szene berichtend, die Erwartungshaltungen an diesen Beirat sind enorm, und es gibt natürlich auch Freude darüber und wir begrüßen es, dass sich nun auf Bundesebene ein Gremium mit diesem Thema beschäftigt; das ist höchst an der Zeit.

Die gute Nachricht ist, dass es im Bereich der Elementarbildung unter den ExpertInnen, den TrägerInnen dieser Einrichtungen und den SozialpartnerInnen eine wirklich große Übereinkunft gibt, was es in diesem Bereich bräuchte. Es gibt da gemeinsame Positions­papiere, es gibt gemeinsame Vorschläge, und da gibt es eine wirklich hohe Übereinstim­mung, es liegt schon viel am Tisch.

Umso mehr hat es uns eigentlich verwundert, dass man sich da offensichtlich vor den Sozialpartnern zu fürchten scheint, wurden sie doch zu diesem Beirat nicht eingeladen. Es wäre dieser Sache schon sehr dienlich, wenn man alle, die da konstruktiv mitarbeiten könnten, die VertreterInnen dieser Tausenden MitarbeiterInnen in diesem Bereich – es sind ja vor allem Frauen – gleich mit ins Boot holen würde und ihnen von vornherein eine Stimme geben würde. (Beifall bei der SPÖ.)

Ganz kurz noch – weil das Licht schon leuchtet –, Herr Minister: Sie haben vorhin die mangelnde Kooperation zwischen Bildungsressort und Gesundheitsressort angesprochen. Ganz kurz aus der Praxis berichtet: Ich war am 15. September, an dem Tag, als die Ampelschaltung in vielen Regionen von Gelb auf Orange geswitcht ist, in Kindergärten unterwegs und habe gemerkt, wie die KollegInnen damit beschäftigt waren, die Dienstpläne neu zu erstellen, neue Regelungen zu finden, dass sich die Kinder nicht mischen. Sie haben die Eltern angerufen und ihnen mitgeteilt, dass am Morgen und am Nachmittag diese Mischgruppen nicht stattfinden, et cetera. Es gab also große Auf­regung in den Einrichtungen – und dann kam am späteren Nachmittag die Nachricht: Orange gilt für die Einrichtungen nicht, es bleibt bei Gelb.


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Also das ist für mich so ein Beispiel dafür: Es ist viel Aufregung, viel Nervosität im System, damit man alles richtig macht, die Kommunikation ist aber oft verwirrend und führt zu ganz viel Frust. Das ist ein gutes Beispiel für das, was Sie im Zusammenhang mit mangelnder Kooperation hier angesprochen haben.


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Die Redezeit ist zu Ende, bitte um den Schlusssatz!


Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (fortsetzend): Schlusssatz: Ich wünsche mir, dass dieser Bereich der frühen Bildung, der elementaren Bildung in der Kommuni­kation, aber auch in der politischen Aufmerksamkeit Ihres Ressorts und der gesamten Bundesregierung gestärkt wird und die Bedeutung bekommt, die diesem Bereich zusteht. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

10.01


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Markus Leinfellner. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.


10.02.08

Bundesrat Markus Leinfellner (FPÖ, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Österreiche­rin­nen und Österreicher! (Der Redner stellt eine Tafel mit einer Abbildung von vier Kindern mit Maske und dem Text: „Das Ende des Lachens, das Ende des Kindhaften“ auf das Rednerpult.)

Herr Bundesminister, ich möchte auf Ihre erste Stellungnahme eingehen. Sie haben gesagt, 86 Prozent der Österreicher seien mit dem Schulstart zufrieden. – Ja, ich glaube Ihnen das, aber ich sage Ihnen, man muss den Satz schon zu Ende führen: 86 Prozent sind deswegen mit dem Schulstart zufrieden, weil die Schulen wieder offen haben. Im letzten Schuljahr war es ja so, dass die Schulen geschlossen blieben, und das brachte viele Probleme mit sich, die ich heute auch noch näher ausführen möchte.

Sie haben auch gesagt, Lehrerinnen und Lehrer leisten Großartiges. – Ja, das stimmt, Lehrerinnen und Lehrer haben während dieser Coronazeit oder während dieses von dieser Bundesregierung verursachten Coronawahnsinns wirklich Großartiges geleistet – aber nicht wegen dieser Bundesregierung, sondern trotz dieser Bundesregierung. Das darf ich hier an dieser Stelle schon auch sagen. (Beifall bei der FPÖ.)

Nicht das Coronavirus hat die Schule so geprägt, wie sie im letzten Schuljahr ablief, sondern es ist dieser durch diese Bundesregierung verursachte Coronawahnsinn, der die Eltern, Lehrer, unsere Kinder und sehr viele in diesem Land an den Rand des Wahnsinns gebracht hat.

Herr Bundesminister, wissen Sie eigentlich, wie sich eine Mutter fühlt, die zu Hause im Homeoffice sitzt und in Wahrheit 24 Stunden am Tag erreichbar ist? Sie hat ja jetzt ein Homeoffice, ist nicht mehr 8 Stunden in der Firma, sondern in Wahrheit 24 Stunden im Büro. Nebenbei hat sie den Haushalt zu führen, die Kindererziehung zu übernehmen und viele weitere Dinge zu tun. Und durch das Schließen der Schulen ist sie auch noch Lehrerin. Man ist im Stoff in dieser Zeit ja nicht stehen geblieben, sondern weiter­gegangen. Frau Kollegin Mühlwerth hat das vorher ja schon breit ausgeführt. Es gibt natürlich viele Eltern, die auch Lehrer sind, aber das ist nicht die Masse, das darf ich Ihnen sagen.

Wenn ich da einen Vergleich heranziehen darf: Nicht jeder, der ein guter Skifahrer ist, ist auch ein guter Skilehrer und kann seinen eigenen Kindern das Skifahren, das Slalomfahren oder das Riesentorlauffahren beibringen. Das ist ein großer Unterschied. Dafür haben wir qualifiziertes Personal, nämlich unsere Lehrerinnen und Lehrer, denen


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ich an dieser Stelle auch Danke sagen darf, die wirklich Großartiges geleistet haben, unter widrigsten Voraussetzungen.

Und das möchte ich Ihnen hier auch ins Stammbuch schreiben: Sie haben keine Ausstattung gehabt, sie haben mit privaten Druckern, mit privaten Computern, mit privaten Handys gearbeitet, um ihrer Aufgabe der Bildung überhaupt nachkommen zu können. Sie haben Aufgaben über Computer korrigiert, haben das über Schoolfox oder diverse Medien hin- und hergeschickt. Ich muss Ihnen sagen, das ist nur unseren Lehrern zu verdanken, ihnen ist dafür zu danken, dass sie das mit ihrem eigenen, privaten Gerät gemacht haben, da sie von dieser Bundesregierung, vom Bund keine Geräte zur Verfügung gestellt bekommen haben. (Beifall bei der FPÖ. – Ruf bei der ÖVP: Schwache Rede!)

Ich glaube, wir haben in Österreich nicht mehr sehr viele Ressourcen, die wir exportieren können. Wir haben nur noch die Humanressource, nämlich den gut ausgebildeten Men­schen, den gut ausgebildeten Österreicher, den wir mit seinem Wissen quer durch die Welt schicken können, weil genau diese Menschen aufgrund ihrer guten Ausbildung und Bildung weltweit gebraucht werden.

Deswegen darf ich Ihnen sagen, es darf zu keiner Schulschließung mehr kommen! Sie haben gesagt: Wir richten das digitale Lernen ein, Schulen werden im Herbst geschlos­sen werden. – Das darf nicht passieren! Es darf nicht zu vereinzelten Schulschließungen kommen, und es darf nicht zur kompletten Schulschließung kommen – das ist schlicht und ergreifend abzulehnen.

Beenden Sie diesen Maskenwahnsinn an den Schulen! Sie treiben die Kinder an den Rand des Wahnsinns. Unsere Kinder sind vernünftig genug, sich die Hände zu waschen, sind vernünftig genug, Abstand zu halten, sind vernünftig genug, nicht jedem x-Beliebi­gen am Schulgang oder am Schulhof um den Hals zu fallen. Beenden Sie diesen Mas­kenwahnsinn! Wir haben es heute hier wieder gesehen: Es kann ja bitte nicht Sinn der Sache sein, dass man mit einer Maske ein Rednerpult abwischt, weil man sie gerade in der Hand hält. Und auch in den Schulen ist es nicht anders: Die Masken liegen am Tisch, jeder spuckt drauf. Das trägt nicht zur Gesundheit unserer Kinder bei. Beenden Sie diesen Wahnsinn vor allem an unseren Schulen, denn diese haben es sich wirklich verdient. (Beifall bei der FPÖ.)


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist aus. Bitte um den Schlusssatz!


Bundesrat Markus Leinfellner (fortsetzend): Als Schlusssatz darf ich Ihnen sagen: Dieses 35-seitige Konvolut (ein mehrseitiges Schriftstück in die Höhe haltend) regelt den Umgang mit der Coronaampel an unseren Schulen. Der Lernzielkatalog für ein kom­plettes Schuljahr hat hingegen auf einer DIN-A4-Seite Platz. Beenden Sie diesen Wahn­sinn! Kehren Sie zurück zur Normalität! Unsere Österreicherinnen und Österreicher haben es sich wirklich verdient. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

10.07


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Andreas Lackner. – Bitte, Herr Bundesrat.


10.07.50

Bundesrat Andreas Lackner (Grüne, Steiermark): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Hohes Haus! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Eppur si muove – und sie bewegt sich doch, das berühmte Zitat, das Galileo Galilei zugeschrieben wird, fällt mir


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als Erstes ein, wenn ich an die Entwicklung der letzten Monate in unseren Schulen denke. In kaum einem anderen Bereich war das gegenseitige Blockieren von Rot und Schwarz über Jahrzehnte so sichtbar wie im Schulwesen. (Bundesrätin Hahn: Und jetzt ist alles besser, oder was?) Wir kennen das alle: Ideologische Grabenkämpfe verbunden mit der Notwendigkeit der Zweidrittelmehrheit verhinderten in diesem Bereich immer größere Reformen. Und siehe da: Corona macht es möglich, es bewegt sich etwas. (Bundesrätin Grimling: Ja, was? Was? – Bundesrat Schennach: Die Pop-up-Politik!) Der Unterrichtsalltag ist nicht mehr der gleiche. Neue Unterrichtsformen entwickeln sich in einem Tempo, das ich nie für möglich gehalten hätte.

Ich habe als Elternteil seit 15 Jahren zumindest ein Kind in der Pflichtschule, ich bin Obmann des Elternvereins an einer NMS und ich habe in all den Jahren keine solche Dynamik erlebt: Unterricht im Freien, nicht nur mehr als Turnstunde oder Wandertag, sondern so viel Schule wie möglich draußen. Das stärkt nicht nur das Immunsystem, sondern bringt neue Lernformen mit sich: Lernen in Bewegung, Kreativität wird gelebt, Freiräume werden genutzt.

Und dann der ganze Bereich der Digitalisierung, des digitalen Unterrichts: Was hier in den letzten Monaten weitergegangen ist, war die Jahre zuvor nicht möglich. (Bundesrätin Grimling: Was? Ist die Entwicklung so gut, oder was heißt das?) Wir sind da vom Schneckentempo in den Fast-forward-Modus gewechselt. Es wurde innerhalb kürzester Zeit eine ganze Reihe neuer Skills entwickelt – aufseiten der Lehrerinnen und Lehrer, der Schülerinnen und Schüler und ja, auch aufseiten der Eltern. (Ruf bei der FPÖ: Not macht erfinderisch!) Ein großes Danke an dieser Stelle an alle Schulpartner. Es gab viel Bemühen und Engagement auf allen Seiten.

Was hat die Regierung getan? Was haben wir geschafft? – Es gibt zusätzliches admi­nistratives Supportpersonal. (Rufe bei der SPÖ: Wo? Wo? Wo?) 1 000 Stellen, über das AMS gefördert, entlasten Lehrerinnen und Lehrer und die Schulleitungen bei admi­nis­trativen Aufgaben, und für 1 000 Menschen bedeutet das auch einen neuen Job.

Die Sonderbetreuungszeit wurde verlängert und der Finanzierungsanteil des Bundes erhöht.

Die Matura Neu wird beibehalten, denn es macht Sinn und ist fairer, die Matura nicht als punktuelle Leistungsbeurteilung am Ende zu sehen, sondern auch die Leistung während des Schuljahres miteinzubeziehen.

Das System Lernstation: Die Schulen werden immer offen sein für die, die es brauchen. (Bundesrätin Grimling: Aha!) Selbst bei Rot würden die Schulen im Notbetrieb offen bleiben und Lernstationen werden eingerichtet.

Hashtag Weiterlernen: Eine Onlineplattform wurde eingerichtet, damit Schülerinnen und Eltern schnell und einfach digitale Buddys finden können, um sich bei schulischen oder anderen Herausforderungen unkonventionell Unterstützung holen zu können.

Die Sommerschule wurde heute schon erwähnt: Sie hat sich bewährt, wurde sehr gut aufgenommen und wird beibehalten.

Eine Mischung aus klaren Vorgaben in bestimmten Bereichen und einer flexiblen Um­setzung in anderen Bereichen finden wir wichtig, um auf standortspezifische Gegeben­heiten vor Ort eingehen zu können.

Der Achtpunkteplan für Digitalisierung: Wir nehmen 200 Millionen Euro für den Ausbau der Digitalen Schule in die Hand. IT-Infrastruktur wird ausgebaut, digitale Endgeräte


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werden angeschafft, Onlineplattformen werden vereinheitlicht. Jede Schule muss sich für ein einheitliches System entscheiden. Alle Schulen erhalten einheitliche E-Mail-Accounts, die auch von den Schülerinnen und Schülern genutzt werden. Das macht es auch erst möglich, diese zu warten und zu verwalten.

Die Achillesferse der Digitalen Schule und des Homeschooling ist die Qualität der Internetanbindung. Was in den Städten kein Problem ist, wird in den ländlichen Gebieten oft zu einem großen Hemmschuh. Bezüglich Breitbandausbau müssen wir mit Sonntags­reden aufhören und noch kräftig zulegen. Österreich liegt da im europäischen Vergleich gar nicht gut, auf den hintersten Plätzen. Gerade die Coronakrise hat gezeigt, wie wertvoll und wichtig eine gute Anbindung an das digitale Netz ist, und das keineswegs nur in Bezug auf die Digitale Schule. Die Chancen und Möglichkeiten, die die Digitalisie­rung bietet, dürfen nicht von der Postleitzahl abhängen. – Danke. (Beifall bei den Grü­nen.)

10.12


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Zur Abgabe einer abschließenden Stel­lung­nahme hat sich nochmals der Herr Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung zu Wort gemeldet. – Ich erteile es Ihnen, Herr Bundesminister, und bitte, die Redezeit von 5 Minuten nach Möglichkeit einzuhalten.


10.12.56

Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung Dr. Heinz Faßmann: Ja, das wird gelingen.

Ich wollte mich beim Vorredner bedanken: Sie haben aufgezählt, welche Maßnahmen in den letzten Monaten möglich waren. Und in der Tat, wir haben sehr viel weitergebracht, was vorher, glaube ich, gar nicht möglich gewesen ist.

Herr Leinfellner! Sie haben sehr deutlich die Situation einer alleinerziehenden Mutter geschildert, um damit die Notwendigkeit einer offenen Schule zu legitimieren. – Sie haben da bei mir offene Türen eingerannt. Ich wollte nie etwas anderes, als die Schule so weit wie möglich offen zu halten. Ob wir sie in Zukunft offen halten können, wird letztlich die Infektionssituation klären. Da muss man, glaube ich, realistisch sein. Mein Vorredner hat aber auch gesagt: Auch dann, wenn die Schule geschlossen wird, wird es so etwas wie Lernstationen und einen bestimmten Standard der Betreuung geben. Da haben wir, glaube ich, gut und vernünftig vorgekehrt.

Frau Mag. Gruber-Pruner! Die Sache mit der Zielgruppe Schüler und Schülerinnen mit besonderem Förderbedarf nehme ich mit. Und Sie haben auch nicht unrecht damit, dass der Bund immer einen Reflex zeigt, wenn es um die Elementarpädagogik geht. Wir haben wahrscheinlich überhaupt keinen Dissens darüber, wie wichtig die Elementar­pädagogik ist, um unterschiedliche Ziele zu erreichen: Bildung, Sozialisation, Integration und dergleichen mehr.

Wir haben den Beirat einberufen und nicht alle Sozialpartner mit hineingenommen, er besteht gleichsam aus den konstituierenden Mitgliedern. Der Beirat ist ein relativ großer geworden, weil alle Länder vertreten sein möchten, aber es wird sicherlich im Zuge der Beiratstätigkeit möglich sein, Vertreter der Arbeiterkammer, der Wirtschaftskammer und so weiter für Sitzungen einzuladen.

Ich will diesen Beirat als ein lebendiges Instrument sehen, um Elementarpädagogik in Österreich auf der Ebene des Bundes und auch einer vereinheitlichten Ebene der Länder zu haben, damit dort Qualität und Quantität verbessert werden, gar keine Frage. Er soll ein aktives Element in der Weiterentwicklung der Elementarpädagogik sein.


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Frau Gruber-Pruner, Sie haben gesagt, es hat viel Aufregung gegeben, als angekündigt wurde, die Ampel von Gelb auf Orange zu stellen, was dann nicht geschehen ist. Wir haben die Ampel auf Gelb belassen, weil uns die Ampelkommission das empfohlen hat. Sie hat gesagt, die Infektionssituation an den Schulen ist so, dass sie Gelb weiterhin gelten lassen können. Ich war froh und habe das dankbar aufgegriffen, denn wenn man jetzt schon im September anfängt, die Ampel von Gelb auf Orange zu stellen, dann wird einem im Laufe des Herbstes – und der Herbst wird ja erst eine schwierige Saison werden, mit der Überlagerung von unterschiedlichen Infektionen – nicht viel anderes übrig bleiben, als dann möglicherweise Schulen zu schließen, und das wollen wir, glaube ich, alle nicht.

Ich möchte abschließend auch Folgendes unterstreichen: Frau Ing. Ringer, Sie haben gesagt, der Begriff der verlorenen Generation ist ein nicht anzuwendender Begriff. – Ich schließe mich dem vollkommen an. Bei allem Verständnis für eine politische Rhetorik und manchmal auch für eine medial transportierte Rhetorik, mittels derer man sich bemüht, Auflagenzahlen zu erhöhen, wir müssen die Kirche im Dorf lassen. Schüler und Schülerinnen haben in den letzten Monaten viel gelernt, vielleicht nicht immer all das, was im Mathematiklehrplan stand, sondern andere Dinge, aber sie haben unzweifelhaft fürs Leben gelernt: Krisen zu meistern, Solidarität zu leben. Das ist etwas, was vielleicht nicht im Lehrplan steht, aber im Sinne des Zielparagrafen des Schulunterrichtsgesetzes ganz wesentlich ist. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

10.17


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Vielen Dank, Herr Bundesminister, für diese weitere Stellungnahme.

Die Aktuelle Stunde ist beendet.

10.17.10Einlauf und Zuweisungen


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Hinsichtlich der eingelangten, vervielfältig­ten und verteilten Anfragebeantwortungen,

eines Schreibens des Tiroler Landtages betreffend Mandatsverzicht eines Ersatzmit­glieds,

der Schreiben des Bundesministers für Finanzen gemäß Art. 50 Abs. 5 Bundes-Ver­fassungsgesetz

verweise ich auf die im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen gemäß § 41 Abs. 1 der Ge­schäftsordnung des Bundesrates, die dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Ebenso verweise ich hinsichtlich der eingelangten Verhandlungsgegenstände und deren Zuweisungen im Sinne des § 19 Abs. 1 der Geschäftsordnung auf die gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäftsordnung im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen, die dem Steno­graphi­schen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:

A. Eingelangt sind:

1. Anfragebeantwortung


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 29

(Anlage 1) (siehe auch S. 8)

2. Schreiben des Landtages

Schreiben des Tiroler Landtages betreffend Mandatsverzicht eines Ersatzmitgliedes (Anlage 2)

3. Unterrichtungen gemäß Art. 50 Abs. 5 B-VG

Schreiben des Bundesministers für Finanzen betreffend die Vollmacht zur Aufnahme von Verhandlungen über eine Revision des Abkommens

zwischen der Republik Österreich und Spanien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Anlage 3)

und

zwischen der Republik Österreich und den Vereinigten Mexikanischen Staaten zur Ver­meidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerumgehung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen samt Protokoll (Anlage 4)

B. Zuweisungen

1. Gesetzesbeschlüsse (Beschlüsse) des Nationalrates

(siehe Tagesordnung)

2. Vorlagen der Bundesregierung oder ihrer Mitglieder

(siehe Tagesordnung) sowie

Tätigkeitsbericht des Rates für Forschung- und Technologieentwicklung 2019, vorgelegt von der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (III-727-BR/2020)

zugewiesen dem Ausschuss für Innovation, Technologie und Zukunft

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Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Eingelangt sind und den zuständigen Aus­schüssen zugewiesen wurden jene Beschlüsse des Nationalrates beziehungsweise jene Berichte, die Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind.

Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen abgeschlossen und schriftliche Ausschuss­berichte erstattet.

Antrag gemäß § 16 Abs. 3 GO-BR


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Ich gebe bekannt, dass von den Bundes­rätInnen Dr. Andrea Eder-Gitschthaler, Karl Bader, Korinna Schumann, Monika Mühlwerth, Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 66 der Geschäftsordnung des Bundesrates der Antrag auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete zum Thema „Eine neue Kultur des Miteinander. Änderung der nationalen und internationalen Rah­menbedingungen nach COVID-19.“ eingebracht wurde.

Hiezu wurde gemäß § 49 Abs. 1 in Verbindung mit § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates beantragt, diesen Selbständigen Antrag gemäß § 16 Abs. 3 der Ge­schäftsordnung des Bundesrates ohne Ausschussvorberatung in Verhandlung zu neh­men.

Ich lasse daher über den Antrag der BundesrätInnen Andrea Eder-Gitschthaler, Karl Bader, Korinna Schumann, Monika Mühlwerth, Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen, diesen Selbständigen Antrag auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates ohne Ausschussvor­be­ra­tung in Verhandlung zu nehmen, abstimmen.

Hiezu ist eine Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen erfor­der­lich.

Ich bitte daher jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem vorliegenden Antrag ihre Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag, den Selbständigen Antrag auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete ge­mäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates ohne Vorberatung durch einen Ausschuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen, ist somit mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

Ich werde daher die Tagesordnung um den Selbständigen Antrag auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete zum Thema „Eine neue Kultur des Miteinander. Änderung der nationalen und internationalen Rahmenbedingungen nach COVID-19.“ ergänzen und diesen als 13. Tagesordnungspunkt in Verhandlung nehmen.

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Ich habe die zuvor genannten Verhandlungsgegenstände sowie den Selbständigen Antrag auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete auf die Tagesordnung der heuti­gen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Behandlung der Tagesordnung


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Aufgrund eines mir zugekommenen Vor­schlags beabsichtige ich, die Debatten über die Tagesordnungspunkte 9 und 10 sowie 11 und 12 jeweils unter einem zu verhandeln.


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Erhebt sich dagegen ein Einwand? – Das ist nicht der Fall.

Ankündigung einer Dringlichen Anfrage


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Bevor wir in die Tagesordnung eingehen, gebe ich bekannt, dass mir ein Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Geschäftsord­nung des Bundesrates auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundes­rätInnen Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Gemeindefinanzen in der Krise: Sind die getroffenen Maßnahmen wirklich sinnvoll?“ an den Herrn Bundes­minister für Finanzen vorliegt.

Im Sinne des § 61 Abs. 3 der Geschäftsordnung verlege ich die Behandlung an den Schluss der Sitzung, aber nicht über 16 Uhr hinaus.

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Wir gehen in die Tagesordnung ein.

10.21.271. Punkt

Bericht des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft und Forschung betreffend EU-Vorhaben – Jahresvorschau 2020 (III-712-BR/2020 d.B. sowie 10421/BR d.B.)


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Wir gelangen nun zum 1. Punkt der Tages­ordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Ing.in Judith Ringer. – Frau Bundesrätin, ich bitte um den Bericht.


10.21.53

Berichterstatterin Ing. Judith Ringer: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Aus­schusses für Wissenschaft und Forschung über den Bericht des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft und Forschung betreffend EU-Vorhaben – Jahresvorschau 2020.

Der Bericht liegt Ihnen schriftlich vor, daher komme ich gleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Wissenschaft und Forschung stellt nach Beratung der Vorlage am 6. Oktober 2020 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, den Bericht des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft und Forschung betreffend EU-Vorhaben – Jahresvor­schau 2020 zur Kenntnis zu nehmen. – Danke.


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Vielen Dank für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als erste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag.a Dr.in Doris Berger-Grabner. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.


10.23.00

Bundesrätin Mag. Dr. Doris Berger-Grabner (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Sehr geehrte Zuschauer, die zu Hause via Livestream zuschauen! Das Bundesminis­terium für Bildung, Wissenschaft und Forschung hat am 11. März – sprich noch vor der Coronakrise, deshalb bedarf es sicherlich einiger Ergänzungen, auf die ich dann auch noch zu sprechen kommen werde – eine Vorschau auf die EU-Vorhaben des Jahres 2020 vorgelegt.


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Gleich vorweg: Die EU besitzt zwar keine Regelungskompetenz im Bildungsbereich, aber die Mitgliedstaaten kooperieren auf EU-Ebene bei der Entwicklung gemeinsamer politischer Ziele und tauschen sich über ihre Erfahrungen in der Bildungspolitik aus. Der Bericht besteht im Wesentlichen aus zwei Bereichen: zum Ersten EU-Vorhaben im Bereich Bildung und Hochschulbildung und zum Zweiten EU-Vorhaben im Bereich Forschung.

Schwerpunkte, die ich dabei herausgelesen habe, sind zum Ersten die Vision eines Euro­päischen Bildungsraumes bis 2025, zum Zweiten Erasmus plus als integriertes Bildungs­programm, zum Dritten Horizon Europe, das neue Forschungsrahmenpro­gramm der Europäischen Union, Horizon 2020 nachfolgend, und zum Vierten die Zu­kunft des Europäischen Forschungsraumes, ein aus meiner Sicht sehr bedeutender Schwerpunkt.

Ich komme zunächst einmal zum Europäischen Bildungsraum bis 2025: Die Europäische Kommission will laut dem Bericht bis 2025 die Vision eines Europäischen Bildungsr­aumes verwirklichen. Im Arbeitsprogramm der EU-Kommission sind dazu auch einige Maßnahmen im Bereich Bildung enthalten.

Was die Berücksichtigung der aktuellen Situation betrifft, so hat die EU-Kommission mittlerweile auch Mitteilungen zum Bildungsraum und zum Aktionsplan für digitale Bildung herausgegeben, die den Beitrag der allgemeinen und beruflichen Bildung zur Erholung der EU nach der Coronakrise stärken und auch die Gestaltung eines grünen, digitalen Europas unterstützen werden. Die Kommission hat unter anderem einen neuen Aktionsplan für digitale Bildung angenommen, in welchem sie vor allem Lehren aus der derzeitigen Coronakrise zieht und einen Plan für ein leistungsfähiges, digitales Bildungs­ökosystem mit sehr ausgeprägten Kompetenzen für den digitalen Wandel skizziert.

Ich komme jetzt zu Erasmus plus: Dieses EU-Programm hat sich als äußerst wirksam für die Internationalisierung und die Innovation im europäischen Bildungssystem erwie­sen. Auch wenn es derzeit nötig ist, die Auslandsaufenthalte zu verschieben, ist dieses Programm bis jetzt sehr, sehr gut angenommen worden. Seit seinem Beginn haben 115 000 Studierende, 80 000 Schüler und Schülerinnen, 12 000 Lehrkräfte und 9 000 Lehr­linge aus Österreich diese Möglichkeit genutzt, Auslandserfahrungen zu sammeln. Wichtig erscheint mir, an dieser Stelle zu betonen, dass Erasmus plus auch einen enormen Mehrwert für Österreich hat. Es unterstützt auch die nationalen Priori­täten im Bildungs- und im Hochschulbildungsbereich und hat erkennbare positive Effekte auf die Wertschöpfung der teilnehmenden Länder. Ich selber habe im Rahmen der Leh­ren­denmobilität schon einige Male daran teilgenommen und weiß, wie wertvoll ein solcher Austausch mit Lehrenden und Studierenden ist.

Jetzt zum Bereich Forschung: Da ist es wichtig, dass Europa auf gesellschaftliche Heraus­forderungen reagiert. Die dominierenden Themen des Jahres 2020 sind die Neu­aus­richtung des Europäischen Forschungsraumes und die Vorbereitung für das neue For­schungsrahmenprogramm der EU, Horizon Europe, dem Nachfolger von Horizon 2020, das ja noch bis Jahresende läuft. Österreich ist bei der Einwerbung von Fördermitteln aus Horizon 2020 sehr erfolgreich. Nach Abschluss des Programms wird mit einem von Österreich lukrierten Fördervolumen von rund 1,85 Milliarden Euro gerechnet. Österreich gehört damit zu den Nettoempfängern von Horizon 2020, und das ist sehr erfreulich.

Innerhalb der EU liegt Österreich mit einer Forschungsquote von über 3 Prozent hinter Schweden auf Platz 2. 131 000 Personen sind im Bereich Forschung und Entwicklung tätig, und man sieht bereits aus diesen Zahlen, wie wichtig Forschung für Österreich ist.

Betreffend die europäische Kooperation im Forschungsbereich wird gerade ein Aktions­plan zur Koordinierung der Forschung zu Covid-19 erstellt. Nach einer kurzen Phase der nationalen Strategien gibt es nun ein klares Votum für die europäische Zusammenarbeit.


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Die Förderungen für die Entwicklung von Schlüsseltechnologien und die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen sollen in einer eigenen Säule zusammengefasst werden, für die die Kommission ein Budget von 52,7 Milliarden Euro vorschlägt. Europa soll in nachhaltige Technologien und Innovationen investieren, damit die europäische Wirtschaft in diesem Bereich wettbewerbsfähig bleibt oder sogar Marktführerschaft erlangt. (Vizepräsidentin Grossmann übernimmt den Vorsitz.)

Ich komme jetzt noch kurz zu den Forschungs- und Innovationsmissionen im Rahmen von Horizon Europe: Da soll eine Umsetzung von Forschungsergebnissen durch tech­nologische wie gesellschaftliche Innovationen erfolgen. Dabei sollen auch Stakeholder eine aktive Rolle spielen und die Bevölkerung eingebunden werden.

Die EU will Missionen vor allem in fünf Bereichen entwickeln: Krebs, Anpassung an den Klimawandel einschließlich gesellschaftliche Transformation, Gewässergesundheit, klimaneutrale und intelligente Städte sowie Bodengesundheit und Nahrungsmittel.

Zum Abschluss noch ein wichtiger Termin für potenzielle Teilnehmer und Teilnehme­rinnen an Horizon Europe: Der österreichische Auftakt zu Horizon Europe wurde auf das Frühjahr 2021 verschoben. Die ursprünglich für 12. Oktober 2020 geplante Veran­staltung: Join the Community: Horizon Europe startet, findet daher erst im kommenden Jahr statt. Wenn ich mir dafür etwas wünsche, dann ist das eine möglichst starke öster­reichische Beteiligung, um den Forschungsstandort Österreich auf europäischer Ebene noch stärker zu verankern. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

10.30


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag.a Bettina Anna Lancaster. – Bitte.


10.31.10

Bundesrätin Mag. Bettina Lancaster (SPÖ, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher via Livestream! Kollegin Berger-Grabner hat die Inhalte des Berichtes ja bereits im Detail vorgestellt. Der EU-Vorhabensbericht auf europäischer Ebene im Bereich Bildung sieht einen Europäischen Bildungsraum ab 2025 vor. Auf das wohl bekannteste Programm, das auch schon angesprochen wurde, das beliebte Erasmus-plus-Projekt, möchte ich doch noch etwas näher eingehen.

Erasmus plus, das „europäische Programm für Bildung, Jugend und Sport bis 2020“ steht im Rahmen der Verhandlungen des aktuellen EU-Budgets zur Diskussion; es wird über die neue Dotierung von Erasmus entschieden. Wie bekannt bietet Erasmus plus jungen Menschen die Chance, in einem anderen europäischen Land zu lernen, zu stu­dieren, zu lehren, ein Praktikum zu absolvieren oder grenzüberschreitend zusammen­zuarbeiten. Bis zu vier Millionen junge Menschen und Erwachsene in Europa nutzten dieses Erasmus-plus-Programm 2014 bis 2020.

Die Kommission hat in ihrem Vorschlag zum Mehrjährigen Finanzrahmen für Eras­mus plus 30 Milliarden Euro als Budget vorgeschlagen, also eine Verdoppelung der Mittel. Diese Verdoppelung hat meine Fraktion, die sozialdemokratische Fraktion, immer sehr begrüßt. Kollegin Holzleitner hat auch im EU-Hauptausschuss des Nationalrates einen Antrag gestellt und die Bundesregierung aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass die Verdoppelung im endgültigen EU-Budget so festgeschrieben bleibt und dass es da zu keiner Kürzung kommen darf. (Beifall bei der SPÖ.)

Man höre aber: Der Antrag wurde seitens der Regierungsfraktionen abgelehnt. Ich be­dauere dies! Noch mehr bedauere ich, dass es tatsächlich im Vergleich zum Kom­mis­sionsvorschlag in der Ratsposition zu einer Kürzung der Erasmus-plus-Mittel auf


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24 Milliar­den Euro kam. Wir können nur hoffen, dass das Europäische Parlament in den Trilogverhandlungen noch eine höhere Dotierung herausverhandeln kann.

Das Jahr 2020 wird im Forschungsbereich  das ist der andere Abschnitt des Berichtes  von zwei Prozessen bestimmt. Zum einen müssen die Legislativprozesse für das Horizon-Europe-Paket abgeschlossen und in der Folge muss die Implementierung der Programme vorbereitet werden. Auch da geht es insbesondere noch um die Fragen der Höhe des Gesamtbudgets, der Budgetverteilung innerhalb des Programms und der Regeln für die Beteiligung von Drittländern. Auch dieses Projekt hängt von der Einigung bei den Verhandlungen über den Mehrjährigen Finanzrahmen 2021–2027 ab.

In diesem Bereich haben wir in den letzten Monaten leider dasselbe Phänomen wie bei Erasmus plus erleben müssen. Das Forschungsprogramm Horizon wird in der nächsten im Vergleich zur laufenden Finanzperiode ein Plus verzeichnen, dennoch: Verglichen mit den Vorschlägen der Kommission, des Europäischen Parlaments und den ersten Vorschlägen des Ratspräsidenten kam es zu einer massiven Kürzung im Forschungs­bereich, insbesondere durch die Sparinitiative der sparsamen vier mit Sebastian Kurz an der Spitze. Da wäre insbesondere seitens der Kommission einfach viel mehr Geld vor­gesehen gewesen, als es nun letzten Endes gibt. Auch da kann man nur hoffen, dass das Europäische Parlament seine Ankündigungen wahr macht und sich für diese Bereiche einsetzt, und so eine höhere Dotierung erreichen wird als von den Staats- und Regierungschefs festgelegt.

Am 22.7. hat der Präsident des Europäischen Parlaments, David Sassoli, die geplanten Kürzungen im nächsten EU-Budget für Forschung und das Förderprogramm Erasmus im Vergleich zum Vorschlag der EU-Kommission auf einer Pressekonferenz kritisiert: „,Wir können das Budget für Forschung und junge Menschen und Erasmus nicht kürzen, das können wir nicht‘, sagte Sassoli bei einer Pressekonferenz in Brüssel.“

Nochmals: Eine höhere Dotierung des Horizon-Europe-Programms ist angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen unbedingt notwendig. Die Transformation der Wirtschaft, der Industrie ist voll im Gange. Schauen wir nach Steyr, schauen wir zu MAN! Investitionen in Technologie und Innovation sind unabdingbar, um wettbewerbsfähig zu bleiben und hochqualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern. (Beifall bei der SPÖ.)

Unterstützen wir die oberösterreichische Landesrätin Birgit Gerstorfer bei ihrer Forde­rung nach einem Industriegipfel für Arbeit! Arbeiten wir den Forschungsbedarf trans­disziplinär auf, gestalten wir Entscheidungsprozesse und Problemlösungsprozesse im gesellschaftspolitischen und wissenschaftlich-analytischen Kontext!

Den Bericht nehmen wir so zur Kenntnis – und im Übrigen frage ich mich: Wo bleibt die Finanztransaktionssteuer für die Finanzierung? – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

10.37


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Mag. Reinhard Pisec. – Bitte, Herr Kollege.


10.37.48

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA MA (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Ich möchte mich mit Teil zwei dieses Berichtes befassen, mit der Thematik der Forschung.

Im Bericht wird Forschung und Innovation als Einheit aufgefasst. Ich glaube aber doch, dass da eine Unterscheidung notwendig ist, weil Forschung eher eine Einzelleistung – auch im Team mit kleinen Clustern – ist, Innovation betriebswirtschaftlich aber eher in der unternehmerischen Organisation anzutreffen ist.


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Im Bericht wird auch über Innovationspolitik gesprochen, und Innovationspolitik ist unter anderem Standortpolitik. Ich möchte daher diesen Bericht auch um den fehlenden Öster­reichbezug ergänzen.

Auf Seite 17 steht geschrieben, dass Innovationspolitik ein Prozess zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Europas ist. – Das klingt nach einem Wettkampf der besten Köpfe aus unterschiedlichen Kontinenten. Das ist eine Metaebene, die für Österreich sicherlich zu hoch gegriffen ist. Für Österreichs Wirtschaft gelten andere Kriterien, es müssen andere Kriterien gelten, weil wir es hier gerade mit einer sogenannten Götterdämmerung zu tun haben.

Gerade in den letzten Tagen, Wochen und Monaten zeigt sich, wie es um Österreichs Wirtschaft bestellt ist. MAN in Steyr – das war einmal, es ist kaum zu glauben, der drittgrößte Industriebetrieb Österreichs mit über 17 000 Mitarbeitern – wurde unter SPÖ-Führung Ende der Achtzigerjahre in alle Himmelsrichtungen filetiert – bis nach China! MAN in Steyr ist der letzte Rest dieses einst stolzen österreichischen Betriebes, und auch dessen 2 000 Mitarbeiter werden vermutlich ihren Arbeitsplatz verlieren, weil der Standort nach Polen abwandern wird.

Vor wenigen Tagen und Wochen hat der niederländische Chemiekonzern Royal DSM ein österreichisches Chemieunternehmen mit über 1 000 Mitarbeitern aufgekauft, weil in den Niederlanden die Steuergesetzgebung eine wesentlich andere, eben wesentlich unternehmensfreundlichere als in Österreich ist. Bei Swarovski gibt es 1 000 weitere Entlassungen, und Opel Wien wird auch früher oder später vor der Schließung stehen.

Die Ursachen für diesen Torso der einst so stolzen österreichischen Industrielandschaft und damit auch für die Freisetzung unserer ganz wichtigen, genauso stolzen und tüch­tigen Mitarbeiter sind ein unternehmensfeindliches Steuersystem, viel zu hohe Lohn­nebenkosten, die den Mitarbeitern viel zu wenig Netto übrig lassen, und viel zu hohe Differenzbeträge durch die steuerlichen Kosten.

Der Lockdown war eine absolute Katastrophe, in Österreich einzigartig, war absolut nicht notwendig, und die Hinterlassenschaft dieses Giftcocktails ist der Torso der einst so stolzen österreichischen Industrieunternehmen. Covid wird irgendwann verschwinden. Irgendwann wird man von Covid nicht mehr reden, aber es wird noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, um diese Wirtschaft, die ausschließlich durch diesen Lockdown und die abgesagte Steuerreform ruiniert wurde – wobei es ja nicht einmal Hilfestellungen gibt –, wieder aufzubauen. (Beifall bei der FPÖ.)

Ich möchte jetzt zur Forschung kommen. Wie gesagt, ich möchte es getrennt betrachten, denn Forschung ist eine Einzelleistung, das darf man nicht vergessen. Das hat sich ja jetzt gerade bei der Verleihung der Nobelpreise in den vergangenen Tagen gezeigt, bei der eine Französin den Nobelpreis für Chemie erhalten hat  die exzellente Forscherin Charpentier, die ja viele Jahre an der Universität Wien geforscht hat. Darauf können wir mit unserer 650-jährigen Tradition der Universität Wien auch stolz sein. Sie ist aber weggegangen, das darf man nicht vergessen, weil sie hier für ihr Forschungsprojekt, für das sie jetzt den Nobelpreis gekriegt hat, zu wenig Unterstützung bekommen hat.

Da frage ich mich doch, ob es nicht eine Frage des Gehaltsschemas ist. Gute Wis­senschaftler kann man nur durch Sonderverträge halten. Diese müssen allen Ernstes zwischen dem Wissenschaftler oder der Wissenschaftlerin und der zuständigen Behörde oder im Rahmen der Autonomie der Universität extra ausverhandelt werden. Vielleicht kann man da die normalen Verträge anheben, wenn man eine solch tolle wissen­schaftliche Leistung in Österreich beforscht, damit der Award auch hier in Österreich geleistet und bezogen werden kann. Das möchte ich nur hinterfragen.


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Das Pendant zum weltweiten Nobelpreis in Österreich ist der Wittgenstein-Preis, und auch an ihm zeigt sich, dass jeder zweite Preisträger von unserer Universität Wien kommt. Auch das ist wirklich eine tolle Leistung, und es ist eben, wie gesagt, nicht die unternehmerische Organisation, die Innovation – das ist ja der zweite Aspekt von Forschung –, sondern es ist die Einzelleistung. Auch die Nobelpreisträger stammen weltweit alle von Eliteuniversitäten und nicht von Unternehmen. Das ist ein riesengroßer Unterschied, und diese Differenzierung wird in diesem Bericht nicht vorgenommen.

Ganz toll finde ich die Förderung der Nachwuchsforscher, denn es geht ja darum, öster­reichische Nachwuchsforscher zu fördern, und nicht, wie es beim IST Austria der Fall ist, sich diese Wissenschaftler international zusammenzukaufen. Das ist ja nicht Sinn und Zweck, es sollen ja die österreichischen Forscher und Forscherinnen gefördert werden. Da sind die neu errichteten Doktoratsschulen eine tolle Sache, das ist ein neues Kon­zept, das sicherlich eine interne Dynamik unter junge Forscher bringt, motivierend ist, Anreize schafft und für die Forschungsarbeit im Wettbewerb der besten Köpfe sicherlich förderlich wirkt.

Ich habe mir erlaubt, aus der historisch-kulturwissenschaftlichen Perspektive im Ver­gleich zu heute auch vier offene Forschungsfragen zu stellen, die nach Antworten suchen und noch beforscht werden müssen. Zum Beispiel: Ist es notwendig, dass heute die Steuerquote Österreichs 50 Prozent im Vergleich zur Belle Époque beträgt – das war um die Jahrhundertwende, 1910 –, als die Steuerquote 15 Prozent betragen hat (Bun­desrätin Schumann: Die Ziegelarbeiter!) – umsonst heißt es aber nicht Belle Époque! – und Wirtschaft und Gesellschaft die Gründerzeit geprägt haben, von der wir heute noch leben?

Oder: Hat das Bildungswissen dieser Bundesregierung so abgenommen, dass wir nicht wissen, wie man mit Seuchen, mit Pandemien umgeht? Wie war es im Fin de Siècle, wiederum einer Gründerzeit Österreichs für Wirtschaft und Gesellschaft? – Es gab die Tuberkulose, die war allgegenwärtig. Wurden Wirtschaft und Gesellschaft zugesperrt, wurden sie weggesperrt? – Nein! Warum war dies so? Warum hat man heute ganz anders reagiert? – Das ist eine interessante Forschungsfrage.

Oder zu Wien: Ist es notwendig, dermaßen viele Grünflächen zuzubetonieren? Wien hatte ja 1910 genauso viele Einwohner wie 2010/2020, wir haben aber zwei Drittel weniger Grünflächen. Heute steht jedes vierte Büro leer, Tausende Wohnungen in Wien sind leer, und die Hotelanlagen, wie wir wissen, brauchen gerade 10 Prozent der Auslas­tungskapazität. Es gibt falsche Widmungen, eine völlig falsche Baukultur, brachiale Architektur, von der wir noch lange, lange in Mitleidenschaft gezogen sein werden.

Oder: Eine weitere interessante Forschungsfrage zur SPÖ betrifft Karl Renner. War dies ein Staatsmann oder war er ein ideologischer Irrläufer? (Bundesrätin Schumann: Na geh!) Jede Postsendung, die ans Parlament gerichtet wird, hat die Adresse Dr.-Karl-Renner-Ring. (Bundesrat Spanring: Der Herr Karl!) Wer war Karl Renner?

Auf unserem Bundeswappen sehen wir Hammer und Sichel, das Symbol des Kom­munismus, heute nur mehr Staatssymbol in China und Nordkorea, offensichtlich aber auch hier in Österreich. Wer hat diese Hinterlassenschaft mitbegründet? – Karl Renner! (Bundesrätin Hahn: Zum Thema!)

1938 hat Karl Renner für den Anschluss Österreichs an das NS-Regime gestimmt. Hat er sich nach dem Zweiten Weltkrieg – nachher! – für die vertriebene Intelligenz im Sinne einer Rückkehr eingesetzt? – Nein, nicht wirklich! Eine Ausnahme hat er zugelassen, und zwar den Physiker, den Nobelpreisträger Erwin Schrödinger. Er schreibt in einer handschriftlichen Notiz, er, Schrödinger, sei Nobelpreisträger und Arier. Das heißt, nach dem Zweiten Weltkrieg hat offensichtlich ein Bundespräsident der SPÖ, Karl Renner, noch zwischen Ariern und Nichtariern unterschieden. (Heiterkeit des Bundesrates Steiner.)


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Da frage ich mich, ob es nicht besser und eine Forschungsfrage wäre, ob man den Karl-Renner-Ring in Parlamentsring rückbenennen soll, wie er bereits geheißen hatte. (Beifall bei der FPÖ.)

Fazit: „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“ – so steht es in Artikel 17 unseres Staatsgrundgesetzes. Forscher und Forscherinnen müssen immer unter Wahrung von Faktizität, Authentizität und Objektivität ihre Forschungserkenntnisse liefern dürfen und auch müssen. Manchmal sind es überraschende Antworten, die vielleicht der Political Correctness der Mächtigen nicht gefallen, für die Forschung und die Wissenschaft aber eminent wichtig sind. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

10.47

10.47.52*****


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Herr Kollege Pisec, für Ihre Bezeich­nung von Karl Renner als „Irrer“ erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Steiner: Na, geh!) – Ja, wir haben uns hier beraten und sind zu diesem Erkenntnis gekommen.

Ich darf nun den Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Herrn Bundesrat Marco Schreuder, zum Rednerpult bitten. (Bundesrat Pisec: Das stimmt ja nicht! Ich habe nicht „Irrer“ gesagt! „Irrläufer“! – Bundesrätin Mühlwerth: Nein, dann wollen wir aber, dass das Protokoll herangezogen wird! – Bundesrat Pisec: Für was habe ich den Ordnungsruf bekommen? – Bundesrätin Mühlwerth: Das hat er nicht gesagt!) – Als „Irrer“. (Bun­desrätin Mühlwerth: Dann lassen Sie das Protokoll heranziehen! – Weitere Zwischen­rufe bei der FPÖ.) – Ich habe mich mit den KollegInnen beraten, und wir haben das so verstanden. Es war insgesamt die Wortwahl sehr, sehr grenzwertig. Wir holen uns das Protokoll. (Bundesrat Pisec: Das lasse ich mir nicht gefallen! – Bundesrat Steiner: Das ist die freie Rede hier herinnen! Wir haben keine ...! Das ist eine parteiische Vorsitz­führung! Machen Sie sich nicht lächerlich da oben mit Ihrer parteiischen Vorsitz­führung! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

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Ich ersuche um Ruhe und Herrn Bundesrat Schreuder um seinen Redebeitrag. – Bitte, Herr Kollege. (Beifall bei BundesrätInnen der SPÖ.)


10.49.17

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Ich möchte, weil wir doch über die Forschung reden, auch wieder dorthin zurückführen. Ich glaube, es ist eine kluge Geschichte, wenn wir jetzt über Wissenschaft und Forschung und nicht über Befindlichkeiten sprechen.

Wenn wir einen Bericht besprechen, der die Zukunft der Forschung und Wissenschaft beleuchtet, der nämlich eine europäische Forschung und eigentlich die Zukunft Europas beinhaltet, dann müssen wir sagen, wie wichtig das auch gerade in Zeiten ist, in denen Fakten sehr oft falsch interpretiert und bewusst politisch instrumentalisiert werden.

Ich halte es für eine ganz essenzielle Basis einer demokratischen Ordnung, dass wir unsere Politik gemeinsam und auch auf Grundlage gemeinsamer Fakten gestalten, denn wir müssen uns natürlich auf die Wissenschaft und die Forschung verlassen können, die immer wieder Neues entdeckt, sich auch immer wieder neu erfindet, auch immer wieder Erforschtes neu hinterfragt und wieder auf etwas Neues draufkommt. Das gehört dazu. Ganz wichtig aber ist, dass Fakten die Basis unserer Verständigung sind und wir nicht in diese Falle der Fakenews geraten, oder dahin, dass man eine einzelne obskure


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Forschung herausnimmt, um einem Konsens zu widersprechen. Das ist gerade jetzt in Zeiten der Pandemie ganz wichtig.

Die Forschung ist für die Zukunft Europas auf so vielen Gebieten, auch auf der sozialen Ebene, eine ganz essenzielle Frage. Ich glaube, wir alle kennen Studenten und Stu­dentinnen oder auch Sportler und Sportlerinnen  es gibt das auch in der Lehre, es gibt das in vielen Bereichen , die am Erasmus-Programm teilgenommen haben und da­durch andere Städte, andere Sprachen, andere Länder kennengelernt haben. Ich glaube, es gibt in Wahrheit überhaupt kein integrativeres Instrument Europas als Eras­mus, bei dem sich wirklich ganz viele junge Leute kennenlernen, ihre Sprachen und neue Städte kennenlernen. Ich finde, das ist ein so tolles Programm – wenn es das nicht schon gäbe, müsste man es erfinden.

Es ist enorm wichtig, die Arbeit zwischen den ForscherInnen auch international, auf gesamteuropäischer Ebene zu intensivieren. Da muss ich auch meinem Vorredner, Herrn Pisec, ein bisschen widersprechen. Die Vorstellung, dass Forschung eine Einzel­leistung eines Individuums ist, das sozusagen in seinem Kammerl sitzt, in seiner Bibliothek, und dann ein Lamperl aufgeht und dieser Forscher die Entdeckung gemacht hat, ist nicht mehr richtig.

Im Gegenteil – weil wir gerade in der Zeit der Nobelpreise sind –, sogar das Nobel­preiskomitee weiß, dass die Statuten aus dem 19. Jahrhundert nicht mehr der Zeit entsprechen. Ich glaube, sie dürfen einen Nobelpreis ja nur an maximal drei Personen vergeben, und oft vergeben sie ihn an Projekte, an denen Hunderte gearbeitet haben, ganze Teams, ganze Cluster, international vernetzt. Das wird zunehmen und deswegen ist auch die Forschung so wichtig. So sehr ich mich darüber freue, dass der Chemie­nobelpreis jetzt an zwei Frauen vergeben worden ist  das ist auch etwas, was man stark fördern muss und kann – und Emmanuelle Charpentier ja tatsächlich in Wien geforscht hat: Sie ist aber weggegangen, was uns auch eine Lehre sein kann, dass wir sagen müssen: Ja, wir wollen kluge Köpfe behalten.

Dass die Forschung für Europa kulturell wichtig ist, habe ich schon gesagt, sie ist aber auch für die Wirtschaft wichtig. Das betrifft natürlich insbesondere die Technologien, die in Zukunft nicht nur für die Forschung, sondern auch für die wirtschaftliche Entwicklung Europas wichtig sind. Da müssen wir uns tatsächlich mehr anstrengen – das ist ja schon gesagt worden –, damit wir als Europa auch finanziell an die Niveaus von China und den USA herankommen, weil die Investition in Forschung natürlich in diesem internationalen Wettbewerb auch für die wirtschaftliche Entwicklung Europas ganz enorm wichtig sein wird.

Dabei sind die zwei Krisen, die wir derzeit zu bewältigen haben, natürlich ganz beson­ders zu beachten. Zur Coronakrise brauchen wir in ganz Europa und eigentlich auch global gesehen viel Forschung, und natürlich auch zur Klimakrise. Genau dort, in der Gesundheitsforschung und in der Klimaforschung, sind auch die wirtschaftlichen Chancen Europas in der Zukunft zu sehen, und dort brauchen auch wir als Politik die Lösungen, dort brauchen wir diese Grundlagen, um Politik gestalten zu können, wenn geforscht wird.

Zu Horizon Europe wurde inhaltlich eh schon viel gesagt, sodass ich jetzt gar nicht mehr so detailliert darauf eingehen möchte. Dass das Projekt ein gutes ist, zeigt sich daran, dass vor Kurzem Norwegen, ein Nicht-EU-Land, beigetreten ist. Das zeigt, dass wir uns als Gesamteuropa, sogar über die EU hinausdenkend, so sehen müssen, dass wir in einem gemeinsamen Wettbewerb mit China und den USA stehen und dement­sprechende Maßnahmen ergreifen müssen.

Erlauben Sie mir zum Schluss, auch noch kurz auf Erasmus zu sprechen zu kommen, weil wir vom Erasmus-Programm gesprochen haben und ich ja doch ein Halbrotterdamer


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bin! Er hat vor 500 Jahren ein sehr schönes Buch geschrieben, nämlich „Lob der Tor­heit“. Ich möchte hier nur ganz kurz – weil wir schon von Erasmus reden – die Narrheit hier im Parlament doch etwas hochleben lassen, denn das passiert ja nicht so oft. Erasmus selbst hat uns auf eine sehr satirisch-ironische Art und Weise gezeigt, dass Humor, auch körperliche Bejahung, auch ein entspannter Zugang zu Sexualität und zum Genuss, durchaus gute Waffen gegen Fundamentalismus und gegen Intoleranz sind. Das hat er vor 500 Jahren gesagt. Ich habe mich gerade wieder ein bisschen damit beschäftigt, ich finde, es ist so aktuell, dass man auch Erasmus in diesem Sinne noch einmal hochleben lassen kann.

In diesem Sinne danke ich für diesen Bericht. Wir werden ihn gerne zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

10.55


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Zu einer abschließenden Stellungnahme hat sich Herr Bundesminister Prof. Dr. Heinz Faßmann zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Minister.


10.56.01

Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung Dr. Heinz Faßmann: Darf ich vielleicht ein klein wenig auf die Vorredner eingehen? – Herr Mag. Pisec, Sie haben interessante offene Forschungsfragen genannt. Ich glaube, es würde wahrschein­lich mehr als die mir zustehenden 5 Minuten erfordern, um diese Forschungsfragen auch zu kommentieren. Sie haben aber zu Recht darauf hingewiesen, dass Forschung und Innovation zwei unterschiedliche Dinge sind. Es wird sehr viel mit vielen klugen Erkennt­nissen am Ende des Prozesses geforscht, aber davon gelangt – ich will es nicht quan­tifizieren – nur ein Teil in eine wirkliche Innovationskette hinein. Ich glaube, ganz zu Recht hat daher Horizon Europe ja auch mit dem European Innovation Council, dem Europäischen Innovationsrat, ein eigenes Instrument geschaffen, um Innovationen auch tatsächlich zur Marktreife zu führen.

Ich habe unlängst Toni Innauer getroffen, der, glaube ich, durchaus bekannt ist und an der Entwicklung von fühlenden Prothesen beteiligt ist. Das sind Prothesen, die an der Fußsohle Sensoren haben, und diese Sensoren melden elektrische Impulse an einen ganz bestimmten Nerv zurück, die dann im Gehirn gleichsam als normales Gehen interpretiert werden. Die Menschen verlieren ihre Phantomschmerzen, weil sie sozu­sa­gen eine sensorisch sensible Prothese haben. Großartig! Das basiert auf vielen kleinen Forschungsergebnissen, aber die Innovation macht es dann letztlich aus, um ein markt­reifes Produkt zu erstellen.

Herr Schreuder, ich bin auch ganz Ihrer Meinung: Erasmus ist ein großartiges Pro­gramm, Erasmus schafft so etwas wie europäische Identität, wenn man selbst einmal Europa erlebt und gespürt hat.

Erasmus, Frau Lancaster, ist zwar jetzt mit 24 Milliarden Euro angesetzt – wir werden sehen, was die Triloge mit dem Europäischen Parlament bringen –, aber verglichen zur Vorperiode, 14 Milliarden Euro, ist das eine ganz, ganz deutliche Steigerung.

Auf die Bedeutung von Horizon Europe haben meine Vorredner ebenfalls hingewiesen, auch Frau Dr. Berger. Horizon Europe ist, glaube ich, ein sehr gut gelungenes euro­päisches Forschungsprogramm. Es ist das größte Forschungsprogramm dieses Globus und hat viele neue Elemente gebracht, auch die Missionen – ich erwarte mir viel davon –, Krebsbekämpfung, Smart Cities, gesunde Ernährung, das sind viele kluge Ideen. Ich hoffe, dass aus den Forschungsergebnissen dann auch Innovationen entstehen.

Derzeit stehen die Verhandlungen bei 85 Milliarden Euro. Das ist zwar weniger, als die Kommission erwartet hat, aber Erwartungshaltungen sind kein guter Maßstab.


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 49

Verglichen zum früheren Forschungsrahmenprogramm ist es eine Steigerung von gut und gerne 23 Prozent, also wirklich bedeutsam.

Wir diskutieren derzeit im Europäischen Rat die schwierige Frage der Assoziierungen. Es gibt eine unterschiedliche Rangfolge der Assoziierungsstaaten, Nachbarschafts­staaten, in erster Linie Kandidatenstaaten. Staaten wie die Schweiz haben Schwierig­keiten, eine gute Assoziierung zu erreichen. Wir tun viel, um der Schweiz den Rücken zu stärken, denn die Schweiz ist nicht nur ein wichtiges Forschungsland, sondern auch ein österreichisches Nachbarland. Da gibt es noch eine Diskussion.

Es gibt auch eine interessante Diskussion über sogenannte Schutzklauseln: Wie weit sind beispielsweise chinesische oder russische Firmen berechtigt, an europäischen Calls teilzunehmen? Passiert da nicht so etwas wie ein Innovationsabfluss, den man schwer kontrollieren kann? Da, glaube ich, geht die Kommission klug vor und hat be­stimmte Schutzklauseln eingeführt.

Ich bin sehr froh, dass der Europäische Rat wieder nicht nur über Telekonferenzen, sondern über persönliche Treffen funktioniert. Für mich ist es immer ausgesprochen wertvoll – auch im Bildungsbereich –, zu sehen, wie Staaten mit der Bekämpfung der Pandemiesituation umgehen.

Soweit meine Nachträge zu einem schriftlichen Bericht, der eigentlich schon fast zeit­historisch ist. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei BundesrätInnen der FPÖ.)

11.00


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Es liegen weitere Wortmeldungen vor. – Frau Fraktionsvorsitzende Mühlwerth, bitte.


11.00.56

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich muss noch einmal auf die Rede meines Kollegen Pisec eingehen. Frau Vorsitzende, eines sage ich Ihnen gleich vorweg: Das letzte Mal habe ich eine derart parteiische Vorsitzführung von einer Ihrer Vorgän­gerinnen erlebt, übrigens auch von der SPÖ. Das war damals Frau Vizepräsidentin Haselbach. Sie hat eine ähnlich parteiische Vorsitzführung wie Sie ausgeübt.

Ich sage Ihnen, mein Kollege Pisec – ich und auch meine Kollegen haben es genau ge­hört – hat gesagt: Wer war Karl Renner: Staatsmann oder „ideologischer Irrläufer“? Was immer Sie da oben gehört haben wollen – da Sie das ja besprochen haben, haben offensichtlich Sie beide das Falsche gehört –, empfehle ich auch in Zeiten der Coronakrise einen Gang zum HNO-Arzt. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Ganz sicher kann es nicht sein, dass Sie sich allein aufs Hören berufen. Ich erwarte, dass das Protokoll zurate gezogen wird. Das ist übrigens auch der übliche Vorgang. So macht man das.

Wenn Sie, Frau Vorsitzende, dann auch noch nachschieben und sagen: Na ja, die ganze Wortwahl war nicht in Ordnung!, dann sage ich Ihnen: Hier im Parlament gilt noch immer die freie Rede, und wenn Sie weiter so Zensur üben, wie Sie es tun, dann haben wir den Metternich’schen Zensurstaat, den Sie ja normalerweise der ÖVP vorwerfen. Ja, das tun wir übrigens auch, aber ich sage Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren von der SPÖ: Daran sind Sie dann mitbeteiligt, und das nenne ich nicht lebendige Demokratie! (Beifall bei der FPÖ sowie Bravoruf der Bundesrätin Steiner-Wieser.)

11.03



BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 50

Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Frau Fraktionsvorsitzende, das Protokoll wird selbstverständlich geholt. Wir haben den Zusatz „Läufer“ hier nicht gehört. Wir werden uns das Protokoll anschauen, dann lässt sich das Problem sehr leicht lösen.

Gibt es nun weitere Wortmeldungen? – Frau Fraktionsvorsitzende Korinna Schumann, bitte.


11.03.43

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Lebendige Demokratie ist ein ganz wesentliches Element und wir alle leben lebendige Demokratie. Darum, glaube ich, ist es ganz wesentlich, auf die Inhalte der Rede von Herrn Bundesrat Pisec einzugehen.

Ich fasse zusammen: Die Botschaft war, man möge sich bitte Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus dem Ausland zukaufen – eine erstaunliche Äußerung gerade vonseiten der Fraktion der FPÖ. (Bundesrat Rösch: Das stimmt ja nicht! – Zwischenruf des Bundesrates Steiner.) – Ja, das war die Botschaft.

Die zweite Botschaft, und zwar zum wiederholten Male, war, dass Wien zubetoniert wird und dass in der Belle Époque und zur Zeit der Jahrhundertwende alles so wunderbar war. Ich darf Sie schon darauf hinweisen, dass die Geschichte etwas anders ausschaut, wenn man zu den Arbeitern und Arbeiterinnen gehört hat. Die Arbeiter und Arbeiterinnen haben unter furchtbaren Bedingungen in Wien gelebt, und es war der soziale Wohnbau durch die Sozialdemokratie, der diesen Menschen Würde und Rechte gegeben hat. Ich glaube, darauf ist hinzuweisen. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Belle Époque war schön für all jene, die die Möglichkeit hatten, Geld in ihren Taschen zu haben, sie war nicht schön für all jene, die 60 Stunden pro Woche gearbeitet haben. Ich glaube, die lebendige Debatte sollte man inhaltlich und nicht über Formalismen führen. (Ruf bei der FPÖ: Mehr war es nicht?) – Das war es. (Beifall bei der SPÖ.)

11.05

11.05.05


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Ich frage nun, ob es weitere Wortmel­dungen dazu gibt. – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Ich stelle die Stimmeneinhelligkeit fest. Der Antrag ist somit angenommen.

11.05.332. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 23. September 2020 betreffend ein Bundes­ge­setz, mit dem das Gesundheitstelematikgesetz 2012 geändert wird (232 d.B. und 291 d.B. sowie 10409/BR d.B. und 10418/BR d.B.)


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Wir gelangen nun zum 2. Punkt der Tages­ordnung.

Ich darf Herrn Gesundheitsminister Rudolf Anschober herzlich begrüßen. – Herzlich will­kommen! (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger. – Ich bitte um den Bericht.


11.06.21

Berichterstatterin Claudia Hauschildt-Buschberger: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf den Bericht über den Beschluss des Nationalrates vom 23. September 2020


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 51

betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Gesundheitstelematikgesetz 2012 geändert wird, zur Kenntnis bringen.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Gesundheitsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 6. Oktober 2020 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Ich danke für den Bericht.

Ich darf nun Herrn Bundesrat Christoph Steiner um seinen Redebeitrag bitten. – Bitte, Herr Kollege.


11.07.05

Bundesrat Christoph Steiner (FPÖ, Tirol): Frau Präsidentin! Herr Minister! Kollegen Bundesräte! Liebe Zuseher! Seit zwei Jahren, also seit 2018, wird am digitalen Impfpass gearbeitet. Der ja an und für sich gute Ansatz von Ministerin Beate Hartinger‑Klein, die Impfdaten elektronisch zu erfassen, damit man eine klare Struktur, eine klare Übersicht aller getätigten Impfungen hat, wurde nun von Anschober in ein Datenabspeicher-, ja ein Ausschnüffelungssystem umgewandelt, das weit über die benötigten Daten der Impf­registrierung hinausläuft.

Was will Anschober nun alles von den Impflingen wissen, was wird alles an Daten ge­sammelt? – Name, Geburtsdatum, Geschlecht, Wohnadresse, Angaben zur Erreich­barkeit, Telefon, Mail, Angaben zu einer allfälligen Vertretung, bereichsspezifische Per­sonendaten im Bereich Gesundheit, Titerwerte, Gemeindecode, Vorerkrankungen, Impf­raten und so weiter. Und was macht die SPÖ? – Sie stimmt wieder einmal zu. Da muss ich mich schon fragen, ob Sie dieses Gesetz wirklich gelesen haben. Wenn ihr das jetzt mit Ja beantwortet, seid ihr nicht besser als diese Regierung, der die Daten der Öster­reicher einfach wurscht sind. (Beifall bei der FPÖ.)

Diese Datensammlung ist einfach viel zu weitreichend, auch weil die Daten erst zehn Jahre nach dem Tod gelöscht werden. Somit ist dieses Gesetz aus freiheitlicher Sicht eindeutig und klar abzulehnen. Vor allem aber gab es auch unzählige Stellungnahmen – der Arbeiterkammer, der Ärztekammer und vieler anderer mehr –, die genau diese Datensammlungen auf das Schärfste kritisieren. Auch die praktischen Ärzte vor Ort sehen diese Hortung an Daten wohl sehr kritisch, denn derzeit beteiligen sich ja, wie wir wissen, österreichweit nur sehr wenige Ärzte. Anstatt derart viele Daten zu sammeln, würde es doch viel sinnvoller sein, schon getätigte Impfungen in den Impfpass eintragen zu lassen. Auf diese Vorgehensweise wurde allerdings komplett verzichtet – für uns völlig unverständlich.

Auch werden nun all jene Patienten, diese 270 000 Personen, die damals – wenn Sie sich noch erinnern – bei der Einführung von Elga die Opt-out-Lösung gewählt haben, durch diesen Minister zwangsbeglückt, weil es in diesem Gesetz ja keine Möglichkeit, kein Recht eines Widerspruchs gibt. Dies macht wieder einmal deutlich, wie sehr diese unsägliche Regierung auf das Beschneiden von Rechten der Bürger aus ist. Eigentlich unglaublich: Da werden die Daten all jener geschnappt, die damit nicht einverstanden sind und waren. Dieser Minister scheint ja völlig außer Kontrolle geraten zu sein, nicht nur, dass er über Monate hinweg versucht hat, die Österreicher wegzusperren, zu separieren, Kinder als Todesengel für Großeltern missbraucht hat, nein, dieser unfä­higste Minister aller Zeiten will auch noch über die Hintertür des elektronischen Impf­passes eine Datensammlung einführen, und das geht eindeutig zu weit. (Beifall bei der FPÖ.)


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 52

Denken wir diesen Impfpass einmal zu Ende! Sie beteuern immer, es wird keine Impfpflicht in Österreich geben. Herr Minister, Ihnen glaube ich kein Wort! Euer Plan ist mehr als durchschaubar: Ihr wollt eine Impfpflicht durch die Hintertür, bei der es dann plötzlich heißt: Wenn du diese Wundercoronaimpfung nicht hast, dann darfst du diese und jene Veranstaltung nicht besuchen (Zwischenruf des Bundesrates Novak), dann darfst du nicht mehr zu größeren Feiern! Es wird dir verboten, an gesellschaftlichen Anlässen teilzunehmen, auch Reisen ins Ausland sind nur noch mit Coronaimpfung möglich, dein Kind darf nur noch mit Impfung in die Schule und es geht bis dahin  wie es in manchen europäischen Ländern schon angedacht ist –, dass das Kindergeld ge­kürzt wird, wenn du dein Kind nicht impfen lässt. Jetzt frage ich euch: Ist das dann eine Impfpflicht? Ja oder nein? – Ja, das ist dann eine Impfpflicht, die Anschober hinterlistig durch die Hintertür einführt. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.)

Ich habe aber einen Vorschlag für euch, damit wir in Österreich keine Impfpflicht benötigen. Wir lassen, sobald der Coronawunderwirkstoffimpfstoff vorhanden ist, alle ÖVPler und alle Grünen sofort in ihren Parteizentralen impfen, dann warten wir ge­meinsam mit der restlichen Bevölkerung in Österreich zwei Jahre ab und beobachten einmal die Langzeitwirkungen. (Bundesrätin Zwazl: Na hallo!) Wahrscheinlich kann es aber bei einigen von euch ja gar nicht mehr schlimmer werden. (Bundesrätin Zwazl: Jetzt überschreitet er schon Grenzen!) Wenn ich mir die wöchentlichen Presse­kon­ferenzen so anschaue, beginnend mit dem Ankündigungsdienstag, dann folgt der Empfehlungsmittwoch, der geht in den sinnlosen Ampeldonnerstag über bis schließlich zum diktatorischen Maßnahmenfreitag: All dies beweist die überbordende Verordnungs- und Gesetzeswut, die dazu führt, dass sich mittlerweile niemand mehr auskennt und jeder nur noch den Kopf über diese unfähige Regierung schüttelt. Herr Minister, deshalb sagen wir klar: Bis hierhin und keinen Millimeter weiter!

Eines noch zum Schluss, weil es mir ein besonderes Anliegen ist: Herr Minister, Finger weg von unseren Kindern! Diese leiden schon genug unter Ihren Verordnungen, diese müssen nicht auch noch Masken in den Schulen tragen. Stoppen Sie diesen Wahnsinn zugunsten der Kindheit unserer Kinder, denn Ihre komische Coronaampelkommission, das sehen wir ja, bröckelt an allen Enden: Jeder, der noch vernünftig ist, tritt aus.

Bitte stoppen Sie diesen Wahnsinn, kommen Sie zurück zu einer Normalität, denn unsere Kinder haben sich so einen Minister nicht verdient! (Beifall bei der FPÖ.)

11.14


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger. – Bitte, Frau Kollegin. (Zwischenrufe bei der FPÖ.)


11.14.22

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Ich muss mich ja beim Kollegen Steiner bedanken. Wie wir wissen, wurde im Rheinland der Karneval abgesagt, aber die Büttenreden bekomme ich ja immer hier geliefert, also gibt es keinen Verlust des Karnevals. (Beifall bei Grünen und ÖVP. Bundesrat Steiner: Lass dir einmal was Neues einfallen, das hast du letztes Mal auch schon gesagt!)

Eine Frage, die mir in der Vergangenheit oft gestellt wurde: Welche Kinderkrankheiten haben Sie durchgemacht? Dann musste ich immer überlegen – Masern, Mumps, Röteln, Keuchhusten – und auf die Auskunft meiner Eltern vertrauen, denn die kindliche Erin­nerung kann ja oft trügerisch sein. Später dann, als Impfstoffe gegen diese Krankheiten verabreicht wurden, wurden diese Impfungen im besten Fall – und ich betone: im besten Fall – in Impfausweisen gemeinsam mit anderen notwendigen Impfungen dokumentiert.


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 53

Waren es in den 1990er-Jahren, als meine Kinder klein waren, gefühlte zehn Impfungen, die die Kinder im Laufe ihres Aufwachsens erhielten, sind es heute deutlich mehr.

Nun komme ich zur wichtigen Dokumentation dieser Impfungen: Auch da sollten wir mit der Zeit gehen. Ein elektronischer Impfpass ermöglicht uns das in vielerlei Hinsicht. Die Vorteile sind leicht erkennbar: Zuerst gibt es natürlich den persönlichen Nutzen, es gibt kein Verlieren der Daten, die Eintragung passiert automatisiert. Es gibt eine Erinne­rungsfunktion und somit im besten Fall auch kein Ablaufen des Impfschutzes mehr. Wer kennt ihn nicht, den Schreckmoment, nach einem Unfall nicht zu wissen, wann die letzte Tetanusimpfung war? Oder haben Sie bei einem Unfall Ihren Impfausweis dabei? Ich hatte das zumindest noch nie.

In Zukunft müssen wir uns darum nicht mehr kümmern, und noch weitere Vorteile liegen klar auf der Hand: Wir legen ein zentrales Impfregister an. Daten des Impfregisters dürfen zu statistischen Zwecken pseudonymisiert verwendet werden. Das lindert auch den Druck bei Ländern und Bund, denn dadurch wird es möglich, sich einen Überblick über etwaige Durchimpfungsraten zu machen, die bis jetzt leider immer noch anhand von Hochrechnungen in Simulation erstellt werden. Es wird in Zukunft ebenso möglich sein, Titerbestimmungen in den Impfpass einzutragen. (Bundesrat Steiner: Das brauchen wir alles nicht, derartig viele persönliche Daten zu sammeln!) Wir sehen, das ist ein zeitgemäßes Register mit weitreichendem Nutzen für alle.

In Bezug auf die Umsetzung werden nach Gesetzwerdung konkrete Pilotprojekte gestartet, die zum Ziel haben, nach und nach alle in Zukunft durchgeführten und auch in der Vergangenheit liegenden Impfungen zu erfassen. Auch da möchte ich Kollegen Steiner, dem Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses, widersprechen. Der Experte des Ministeriums hat ganz klar darüber gesprochen, dass es auch in Zukunft möglich sein wird, anhand valider Daten aus den Impfausweisen diese Daten ins elektronische Impfregister nachzutragen. (Bundesrat Steiner: Nein! Stimmt ja nicht!) Sehr wohl! Wir waren im selben Ausschuss. (Bundesrat Steiner: Nein! Was redest für einen Schwach­sinn! Oh-Rufe bei der SPÖ.) Begonnen wird nun entgegen des ursprünglichen Plans mit der Grippeimpfung. (Bundesrat Steiner: Tatsächliche Berichtigung!) Das wird auch die Erleichterung bringen, etwaige Covid-Erkrankungen selektieren zu können.

Zum Schluss noch ein paar Sätze zur Befürchtung, dass sich aufgrund des elektro­nischen Impfpasses etwaige Reisebeschränkungen ergeben könnten, die Kollege Steiner auch angesprochen hat. Auch da wurde im Ausschuss von Experten des Ministeriums ausdrücklich betont, dass es sich nur um eine Umstellung der Dokumentation von Papier auf digital handelt und dass in den bestehenden Rechtsbestand nicht eingegriffen wird. Kommt es zur Reisebeschränkung, braucht es dazu ein Gesetz, das hängt nicht vom elektronischen Impfausweis ab. (Beifall bei BundesrätInnen von Grünen und ÖVP. Bundesrat Steiner: Habe ich nie behauptet!) – Das haben Sie behauptet!

Sie sehen, der elektronische Impfpass ist auf jeden Fall zu begrüßen. Er wird eine erhebliche Erleichterung in vielen Bereichen bringen. Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

11.19


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Bundesrat Steiner zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Kollege.


11.19.13

Bundesrat Christoph Steiner (FPÖ, Tirol): Die Frau Kollegin von den Grünen sitzt mit mir im Gesundheitsausschuss. Dort sollte sie mitbekommen haben, dass der Experte gesagt hat, Impfungen, die in der Vergangenheit liegen, werden nicht nachgetragen.


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 54

Herr Kollege Kornhäusl, Sie nicken, auch Sie werden es so gehört haben. (Bundesrat Kornhäusl schüttelt verneinend den Kopf.) Natürlich werden die nicht nachgetragen.

Eines noch: Ich habe die Auslandsreisen nicht mit diesem Gesetz verglichen. Ich habe gesagt: Herr Minister, ich glaube Ihnen kein Wort und es wird dann noch kommen, dass wir auch das verbieten werden! Dazu braucht es nur ein Gesetz mit der Mehrheit von Schwarz-Grün. – Ganz einfach, Frau Kollegin. (Bundesrat Schennach: So einfach ist das nicht! – Zwischenruf der Bundesrätin Schumann. Bundesrat Steiner – das Rednerpult verlassend –: Komplizinnen und Komplizen! Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)

11.19


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Johanna Miesenberger. – Bitte, Frau Kollegin.


11.20.21

Bundesrätin Johanna Miesenberger (ÖVP, Oberösterreich): Geschätzte Frau Präsi­dentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich glaube, es ist Zeit, dass wir ein bisschen mehr zur Sachlichkeit zurückfinden. (Beifall bei der ÖVP.) Kollege Steiner, ich war auch im Gesundheitsausschuss und habe auch das gehört, was unsere Kollegin Hauschildt-Buschberger hier gesagt hat. (Bundesrat Steiner: Was steht im Gesetz?) – Kollege Steiner, Ihre theatralischen Ansagen gehören bestenfalls ins Theater. Diese beleidigenden Worte sind dieses Hauses nicht würdig. – Danke. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.  Bundesrat Steiner: Es steht ausdrücklich drin im Gesetz! Gesetz wieder einmal nicht gelesen!)

Die meisten von uns kennen die Situation von sich selbst oder von den Kindern, der Familie: Ad hoc wissen die wenigsten Bürgerinnen und Bürger, wo welcher Impfpass zu suchen ist. Ich selbst gehöre noch der Generation an, die bei der Geburt den grauen Impfpass ausgestellt bekommen hat. Bei späteren Auffrischungsimpfungen, wie zum Beispiel Tetanus, aufgrund akuter Verletzungen, ist meistens der Impfpass nicht dabei und der Zeitpunkt der letzten Impfung nicht mehr bekannt. Dann wird die Impfung auf Verdacht aufgefrischt und in den aktuellen kleinen gelben Impfpass eingetragen. Somit haben viele von uns zwei oder drei Impfpässe zu Hause. Man sieht also, es ist eine äußerst unübersichtliche Situation für die Betroffenen.

Wir wissen, dass die Dokumentation des Impfstatus einer Person häufig unvollständig und nicht durchgängig ist, besonders dann, wenn die Impfung von verschiedenen Ge­sundheitsdiensteanbietern vorgenommen wird. Es ist durchaus zeitgemäß, dass auch in diesem Bereich die Digitalisierung Platz greift und der papierbasierte Impfpass künftig durch den sogenannten E-Impfpass ersetzt wird.

Die Grundlage dazu soll heute durch den Beschluss der Novellierung des Gesundheits­telematikgesetzes geschaffen werden. Der papierbasierte Impfpass entspricht nicht mehr den heutigen Anforderungen eines modernen Gesundheitswesens. Wenn sich ein Patient in eine Gesundheitseinrichtung begibt oder begeben muss, dann ist es im Inter­esse des Patienten, der Patientin und des Arztes gleichermaßen, wenn umfangreiche Gesundheitsdaten auf Knopfdruck oder auf einen Klick zur Verfügung stehen, um eine schnelle und vor allem eine richtige Behandlung für den Patienten gewährleisten zu können.

Damit ein individueller E-Impfpass erstellt werden kann, ist es notwendig, ein zentrales Impfregister einzurichten. Die Umsetzung des E-Impfpasses sollte im Rahmen eines einjährigen Pilotprojekts erfolgen und nach einer Evaluierung und einer zweijährigen Rolloutphase spätestens 2023 in Vollbetrieb gehen.


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 55

Die Österreicherin, der Österreicher werden als eher impfmüde wahrgenommen. Viele lebensbedrohende Krankheiten haben ihren Schrecken verloren und treten kaum mehr auf. Das mag einerseits an einer hohen Durchimpfungsrate liegen, aber sicher auch an einer gesünderen, bewussteren Lebensweise der Menschen, an der Versorgung mit hochwertigen Lebensmitteln, humaneren Arbeitsbedingungen und dem medizinischen Fortschritt.

Die Coronapandemie hat die Impfdiskussion wieder entfacht, die Impfgegner wurden wieder auf den Plan gerufen. Eine Impfpflicht wird befürchtet und es ist ganz, ganz wesentlich, dass wir diese Ängste aus dem Weg räumen. Trotz alledem ist dieses neuartige und auf jeden Fall aggressivere Coronavirus ernst zu nehmen. Nicht alle Menschen verfügen über ein Immunsystem, das diese Krankheit abwehren kann, nicht bei allen nimmt sie einen milden Verlauf, für diese Menschen bedeutet sie einen größeren Schaden.

Dieses Virus wird uns in der Medizin noch vieles lehren, wesentlich ist, dass wir alle die Möglichkeiten von Wissenschaft und Forschung nutzen müssen, um uns vor größeren Schäden und negativen Auswirkungen in der Gesellschaft zu schützen. Dazu gehört auch das Miteinbeziehen ganzheitlicher und sanfter Heilmethoden, die in unseren Breiten in der Medizin sehr skeptisch betrachtet, und meiner Meinung nach viel zu wenig berücksichtigt werden.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Es geht um die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, um die physische und psychische Gesundheit und um die gesellschaftliche und wirtschaftliche Weiterentwicklung in unserer Gesellschaft. Eigen­verantwortung ist nicht nur in dieser Coronapandemie wichtig, sondern ganz wesentlich, wenn es um die Vorsorgemaßnahmen zugunsten unserer Gesundheit geht. Als Ent­scheidungsträger in diesem Land liegt es aber auch an uns, Rahmenbedingungen für das Gesundheitssystem zu schaffen und Informationen als Grundlage für das Krisen­management zur Verfügung zu haben. Der geplante E-Impfpass ist eine solche Maß­nahme.

Zum Schluss sei noch allen Datenschützerinnen und Datenschützern gesagt: Die im Rahmen dieser gesetzlich geregelten E-Health-Anwendung gesammelten Daten sind weniger bedenklich als jene, die wir alle täglich mit unseren Aktivitäten im Netz oder durch Verwendung diverser Apps, sogenannter Gesundheitsapps, als Datenspur hinter­lassen.

Hohes Haus! Ich ersuche um Zustimmung zu diesem Antrag. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

11.26


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Ingo Appé. – Bitte, Herr Kollege.


11.26.54

Bundesrat Ingo Appé (SPÖ, Kärnten): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren zu Hause vor den Bildschirmen! Mit der vorliegenden Novelle schaffen wir die rechtliche Grundlage für den E-Impfpass. Meine VorrednerInnen haben bereits zum Teil auf die Vorteile der Ein­füh­rung dieses elektronischen Impfpasses hingewiesen.

Mit der Umsetzung des elektronischen Impfpasses gehört der Papierimpfpass nun endgültig der Vergangenheit an. Wir alle können aus eigener Erfahrung erzählen, wie das Impfpassmanagement jedes Einzelnen vonstattengeht: der blaue Impfpass – ich bin 1957 geboren, da haben wir noch blaue gehabt – Impfpässe! (Heiterkeit bei


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BundesrätInnen der SPÖ) –, dann ist es weitergegangen mit gelben, grünen Karten für die FSME-Impfung und, und, und, und die kugeln irgendwo in einer Lade herum.

Wenn jemand das will – ich war auch im Gesundheitsausschuss und so hat es der Experte erklärt –, ist es natürlich möglich, dass man diese Daten nachtragen lässt. (Bundesrat Steiner: Nicht automatisch!) – Herr Kollege, hör mir zu! Mit dir tue ich mir echt schwer. Eines muss ich dir sagen: Mir kommt vor, du bist ein Experte für eh alles und der Bundesrat ist too little for you. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.) – Too little: Englisch (Bundesrat Steiner: Dann muss man es richtig aussprechen!), zu klein. (Heiterkeit und Beifall bei SPÖ und ÖVP.) Ich glaube, du würdest hervorragend in den Beraterstab von Präsident Trump in Amerika hineinpassen.

Glaube uns eines: Die anderen 60 Bundesräte hier sind auch nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen. (Bundesrat Steiner: Sage ich ja nicht!) – Das kommt uns nicht so vor! Wenn ich daran denke, wie du gestern Kollegen Novak, der 40 Jahre im Tourismus und im Management tätig war, gesagt hast, dass er von der Wirtschaft nichts versteht, dann kommt mir vor, dass du es anders siehst. (Bundesrat Steiner: Ja, sehe ich anders!) Ich bin seit 40 Jahren im Gesundheitswesen tätig, ich war 25 Jahre in leitender Funktion in einem bakteriologischen Labor des Gesundheitsministeriums, ich war in der Ages, ich war im Aufsichtsrat der Ages, ich war fast 25 Jahre in der Sanitätsdirektion bei den Ge­sunden Gemeinden. (Bundesrat Steiner: Aber nie am Patienten, interessanter­weise!) – Patient wo? (Bundesrat Steiner: Nie am Menschen!) – Am Menschen: nein, das nicht. Ich glaube aber, dass man genug Erfahrungen einbringen kann, dass man da mitreden kann und dass unsere Meinung auch gehört werden darf. (Beifall bei der SPÖ.)

Kommen wir aber zurück zum Impfpass! Dieser bietet eine Erleichterung für die Bürge­rinnen und Bürger, aber auch für die Ärzte. Die Ärzte begrüßen diese Einrichtung, es ist nicht so, dass die Ärztekammer da vehement dagegen ist. Das ist nicht der Fall. Eines muss auch klar sein: Impfungen sind für die gesamte Volksgesundheit und für die Volkswirtschaft enorm wichtig. Die WHO schätzt, dass jährlich circa zwei bis drei Millio­nen Menschen durch Schutzimpfungen das Leben gerettet wird. Ich glaube, das allein ist es schon wert, dass man mit Impfungen entsprechend umgeht.

Impfstoffe verhindern laut Statistik viele Todesfälle. Verringerung der durch Impfungen vermeidbaren Todesfälle nach Krankheiten weltweit von 2017 gegenüber 1990: Teta­nus: 87,9 Prozent weniger Todesfälle; Masern: minus 86,4 Prozent; Diphtherie: 79,2 Pro­zent; Gelbfieber: 59 Prozent; HIB: 52 Prozent (Bundesrätin Steiner-Wieser: Grippe?); Keuch­husten: 46 Prozent; Tuberkulose: 26 Prozent. Die Zahlen sprechen für sich, dass es sehr wohl Schutzimpfungen gibt, die uns allen nützen und helfen. Wichtig ist es, dass man die Bevölkerung aufklärt, die Wichtigkeit der Impfungen unterstreicht und transparent darstellt.

Fakt ist, wie meine Vorrednerin bereits festgestellt hat, dass die Zahl von Impfgegnern gerade in Zeiten der Pandemie massiv zunimmt. Ich glaube, dass auch das Gesund­heitsministerium gefordert ist, zukünftig ein bisschen mehr hervorzukehren, dass die Schutzimpfungen nicht Produkte der Pharmaindustrie, sondern ein wichtiger Faktor für die Volksgesundheit sind.

Es gibt zwei Arten von Nutzen durch die Schutzimpfungen, der eine ist der individuelle Nutzen: Schutz vor Erkrankungen, Krankheitskomplikationen und Langzeitfolgen, Schutz vor dem Tod, Schutz vor Krebs – wie die Hepatitis-B-Impfung oder die HPV-Impfung –, Schutz der vulnerablen Personen und dann der Gesundheitsschutz für Reisen – das Reisen ist zurzeit zwar nicht so möglich, wird aber zukünftig eine Rolle spielen und war in der Vergangenheit auch ein wichtiger Faktor. Der andere ist der gesellschaftliche Nutzen von Impfungen: die Reduktion von Antibiotikaresistenzen, die Kontrolle von Infektionserregern, die Verhinderung von Erregerreimporten – wenn zum Beispiel in Europa


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schon die Resistenz da ist, aber durch Reisen wieder Erreger hereinkommen –, die Re­duktion von sozialen Ungerechtigkeiten von Krankheitsrisiken – wie zum Beispiel durch Gratisimpfungen und keine Pflichtimpfungen –, der Schutzschild – auch nicht geimpfte Personen werden durch geimpfte Personen geschützt –, die ökonomischen Effekte, indem Krankheit und mögliche Langzeitfolgen verhindert und somit die Kosten für Pflege, Arbeitsausfall im Gesundheitssystem und in der Gesellschaft reduziert werden.

Was ist zu tun? Reden wir über die Umsetzung! Derzeit stecken wir in einer Pilotphase, Wien und die Steiermark beginnen bereits ab Ende Oktober mit 500 ausgesuchten Ärzten zu arbeiten es ist nicht so, dass zurzeit wenige mitmachen, sondern die sind zurzeit ausgesucht , Niederösterreich soll im November folgen. Die restlichen Bun­des­länder haben ihren Willen bereits bekundet. Laut Experten soll die Hardware des Elga-Systems administrativ zur Einführung des E-Impfpasses genutzt werden. Das heißt aber nicht, dass die Daten dann automatisch in Elga drinnen sind. Richtig ist, dass es – im Unterschied zu Elga – für den Bürger keine Option für das Streichen der Daten­speiche­rung gibt. Fakt ist auch, dass man auf die eingepflegten Daten europaweit zugreifen kann. Wie sich dies künftig auf Einreisemöglichkeiten in andere Länder auswirken kann, konnte uns der Experte im Gesundheitsausschuss vorerst nicht ausreichend beant­worten.

Damit komme ich schon zum Ende und möchte nur noch auf eine kleine Irritation hinweisen: Ich muss Kollegen Steiner teilweise recht geben. Liest man auf der Home­page elga.gv.at genau, steht da im letzten Satz, dass dieser elektronische Impfpass der Grundstein für eine umfassende Dokumentation einer möglichen Covid‑19‑Impfung ab 2021 ist. Unter den angeführten Aspekten, die ich bereits erwähnt habe, wird die SPÖ-Fraktion dieser Novelle aber die Zustimmung erteilen. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

11.35


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Wolfgang Beer. – Bitte sehr, Herr Kollege.


11.36.05

Bundesrat Wolfgang Beer (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Sehr geehrte Bundesräte! Sehr geehrte ZuseherInnen via Livestream! Ich muss leider aufstehen, denn ich traue mich nicht, das Pult hinunterzulassen, sonst kracht es wieder. (Bundesrätin Mühlwerth: Jetzt ist es ja stabil!) – Das werden wir sehen.

Zum Kollegen Steiner: Ich weiß, wir haben schon oft Diskussionen gehabt, aber heute hast du dich, glaube ich, ein bisschen verrannt. Es ist ganz wurscht, ob man jetzt einen Ausweis aus Papier oder einen elektronischen Ausweis hat, denn wenn man zum Bei­spiel nach Afrika fliegt (Bundesrätin Mühlwerth: Jetzt darfst du eh nirgends hin!), braucht man in einigen Staaten vorgeschriebene Impfungen. Du sagst, man darf dann vielleicht wo nicht einreisen. Wenn du es papiermäßig hast, dann sagen sie halt: Zeigen sie mir am Papier, ob Sie geimpft sind oder nicht! (Bundesrat Steiner: Um das geht es ja nicht!) – Dann ist aber nicht wirklich verständlich gewesen, was du gemeint hast.

Auf alle Fälle haben wir jetzt die Möglichkeit, das Ganze elektronisch zu erfassen. Wir haben die Möglichkeit, dass wir für statistische Zwecke die Durchimpfungsrate erfassen können, was nicht ganz unwichtig ist. Einige, die hier sitzen, erinnern sich sicherlich noch daran, dass sie eine Pockenimpfung bekommen haben. Das ist jetzt nicht mehr not­wendig, denn Pocken wurden ausgerottet, also haben wir damit kein Problem mehr.

Wir haben Probleme mit den Masern (Bundesrätin Mühlwerth: Sind ja viele Sachen wieder zurückgekommen!), weil doch sehr viele Menschen Masernimpfungen ablehnen. Ich habe Masern als Kind gehabt, ich kann mich noch erinnern, oder sagen wir so, die


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Eltern haben es mir erzählt, wissen tue ich es nicht. Im Impfpass steht es auch nicht drinnen, denn damals hat es keine Masernimpfung gegeben. So ist das mit den etwas älteren Herren; Damen werden nicht älter. (Bundesrätin Zwazl: Danke!)

Jetzt haben wir endlich das Ganze elektronisch erfasst und ich muss eines sagen, ich finde es ein bisschen hysterisch, dass wir alles auf Covid herunterbrechen, denn die Idee ist eigentlich entstanden, als wir noch nicht einmal gewusst haben, dass es so einen Virus überhaupt gibt. (Bundesrat Steiner: Hab ich eh gesagt, seit 2018!) – Ich sage ja, manchmal sind wir nicht anderer Meinung, aber ich tue mir in letzter Zeit schon schwer, mit dir zusammenzukommen. Das liegt aber wahrscheinlich daran, dass wir nicht eine Person sind, sondern unterschiedliche Ansichten haben, die wir ja ausdiskutieren sollen.

Eine Problematik, die ich noch sehe, ist, dass man den Personenkreis, der Einblick neh­men kann, wirklich sehr stark begrenzen muss. Bei Elga haben wir die Möglichkeit ge­habt, es abzulehnen. Die Menschen waren aber eigentlich recht froh, dass sie beim Arzt anrufen konnten und er ein Rezept ausstellen konnte. Man konnte direkt in die Apotheke fahren oder jemanden mit der E-Card hinschicken und hat das Medikament dann auf eher unkonventionellem Weg und sehr unproblematisch bekommen.

Was ich beim Impfpass nicht verstehe, ist, warum Apotheken Einblick nehmen können. Ich weiß nicht, warum, denn die hatten diese Möglichkeit bisher auch nicht. Sie haben nur beratende Funktion, zu erklären, wofür eine Impfung gut ist, und geben die Impfung her, wenn sie verschrieben worden ist beziehungsweise man sie sich selber kauft.

Ich finde es jedenfalls recht gut, dass wir das haben. Wir befürworten das, und es wird hier wahrscheinlich auch mehrheitlich Zustimmung finden. Im Bereich Datensicherheit muss man sicherlich aufpassen, dass es gute Absicherungen gibt, denn sonst bekom­men wir wieder ein Problem mit dem Europäischen Gerichtshof, der gerade wieder eine Feststellung getroffen hat. (Beifall bei der SPÖ.)

11.41


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundes­minister Rudolf Anschober. – Bitte, Herr Minister.


11.41.47

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht kurz zur Gesetzesvorlage: Wir haben in Österreich ein hervorragendes Gesundheits­system und merken in Zeiten der Covid-Krise die Vorteile eines starken Gesundheits­systems in allen Bereichen. Die Tatsache, dass wir auch im Vergleich unter den Indus­triestaaten wenige Todesfälle und wenig schwere Erkrankungen haben, hat sehr viel mit diesem starken Gesundheitssystem zu tun. Im Übrigen werden wir auch weiter besser: Die Zahl der Todesfälle von Menschen in intensivmedizinischer Pflege nimmt weiter ab; das ist eine gute Information, ein guter Schritt. Auch die Aufenthaltsdauer im Spital ist rückläufig. Das bedeutet, wir lernen innerhalb dieses starken Gesundheitssystems Schritt für Schritt immer besser, mit dieser durchaus heimtückischen Erkrankung umzugehen.

Dennoch haben wir Lücken, wir haben Lücken etwa bei der psychosozialen Versorgung in Österreich. Da ist es mein Ziel, diese Lücken gemeinsam mit vielen Partnerinnen und Partnern schrittweise zu schließen. Wir haben etwa gemeinsam mit der Gesundheits­kasse das Ziel, Clearingstellen in ganz Österreich aufzubauen und die derzeitige Praxis von Kontingentbildungen beim Zugang zur Psychotherapie schrittweise massiv abzu­bauen.

Stellen Sie sich mit mir gemeinsam vor, wir würden bei körperlichen Erkrankungen so vorgehen; ich breche mir den Fuß, und der Mediziner muss mir sagen: Hallo lieber Freund, das ist eine traurige Geschichte, aber die Kontingentierung für Gipsen und


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Operationen bedeutet, dass du erst in sechs Monaten drankommst! Unvorstellbar wäre das! Deswegen müssen wir in Österreich in der psychosozialen Versorgung denselben Standard wie betreffend den körperlichen Bereich schaffen, und das werden wir hin­bringen, da bin ich mir absolut sicher. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Ein dritter Bereich, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Impfung selbst. Da kann man skeptisch sein, ich kann das ja durchaus nachvollziehen, aber dann sollte man das auch ehrlich so sagen und die eigentliche Motivation für die Kritik an diesem elektronischen Impfpass auch so dokumentieren, wie sie ist. Man kann ja über alles miteinander diskutieren. Ich vertrete diese Meinung nicht, ich glaube, dass es sinnvoll ist, dass wir die Lücken in diesem Bereich schrittweise schließen. Derzeit gibt es in manchen Bereichen fehlende Informationen, in manchen Bereichen fehlendes Wissen. Wir haben in manchen Bereichen erschreckend geringe Impfquoten und wir haben – viertens – auch eine fehlende zentrale Beschaffung. Ich war in den vergangenen Monaten recht überrascht, dass beispielsweise die Beschaffung von Grippeimpfstoff dem Spiel des freien Marktes unterliegt. Wir müssen das ändern und in Zukunft eine zentrale Be­schaffung realisieren. Sobald wir tatsächlich die Covid-Impfdosen haben, die es braucht, ist es mein Ziel, eine zentrale Versorgung der Bevölkerung in Österreich zu erreichen.

Um all das zu schaffen, brauchen wir den elektronischen Impfpass. Herr Kollege Steiner, ein Impfregister braucht natürlich auch Informationen. Wie sollte ein Impfregister sonst Sinn machen, wenn man es nicht mit Informationen bestückt? Zum Zweiten, nur zur Korrektur: Lesen Sie bitte § 24 Z 4 dieses Gesetzes! Natürlich wird es im Routinebetrieb möglich sein, auch den Nachtrag von Impfungen durchzuführen. Das ist auch ein wich­tiger Schritt, denn nur das entspricht dann ja in der Gesamtheit der gegebenen Infor­mationsnotwendigkeit. Im Endausbau wollen wir auch eine Erinnerungsfunktion haben.

Das heißt, wenn bei Kollegen Schennach die Impffrist abgelaufen ist – jetzt nur fiktiv gesprochen - - (Bundesrat Schennach: Ah, Sie haben Einblick in meine Akte genom­men!) – Das wäre sonst schon ein Beweis dafür, dass Kollege Steiner recht hat. Nein, nein, nein, nein, das war jetzt nur ein fiktives Beispiel! Bei uns allen läuft irgend­wann einmal der Impfschutz aus. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich bin da relativ bequem, muss ich sagen. Ich wüsste im Augenblick nicht, wenn ihr mich fragen würdet, wo mein papierener Impfpass ist. Ich könnte es nicht sofort sagen. Bei euch ist das sicher anders, ihr seid da sorgsamer. Nein?

Der elektronische Impfpass hat den ganz großen Vorteil, dass man – in der Endaus­baustufe – erinnert wird. Das ist doch ein Superservice! Es ist ja nicht so, dass ich meiner Vorvorgängerin in allen Fällen recht geben würde, in dem Bereich hat sie aber recht gehabt. Von daher verstehe ich überhaupt nicht, dass gerade die FPÖ die Vorbereitung durch die damalige Ministerin hier jetzt so brüsk zurückweist und kritisiert. (Bundesrat Steiner: Das habe ich ja gesagt!) Ich finde das schade, Herr Kollege Steiner. (Bundesrat Steiner: Ich habe ja gesagt, dass wir das vorbereitet haben!)

Ein letzter Punkt noch: Natürlich ist es bei all den genannten Kritikpunkten völlig uner­heblich – und mein Vorredner hat das bereits gesagt –, ob das ein elektronischer Impfpass oder ein papierener ist. All diese Fragen stellen sich natürlich grundsätzlich, ob Nebenwirkungen, ob Einreisefragen et cetera – die stellen sich grundsätzlich und sind völlig unabhängig von der Form des Impfpasses.

Der elektronische Impfpass wird uns Schritt für Schritt eine spürbare Optimierung dadurch ermöglichen, dass wir eine Datenbasis für Statistiken haben. Auch das ist wich­tig, wenn man nicht nur hochrechnen will, abschätzen will. Wir brauchen im Gesundheits­system konkrete Daten für die Statistiken, um bewerten zu können, wo wir zum Beispiel regional Probleme haben, was die Impfquote betrifft, wo wir nachjustieren müssen, wo


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wir besser informieren müssen, wo wir vielleicht auch das Impfangebot verstärken müssen.

Die Frage der Apotheken haben wir auch diskutiert, weil das soeben angesprochen worden ist. Unser Ansatz ist, dass die Apotheken eine Ansprechfunktion und eine Infor­mationsfunktion im Gesundheitssystem haben und dass es von daher Sinn macht, ihnen diese Möglichkeit zu geben. Das war aber ein Diskussionspunkt, da stimme ich absolut zu.

Durch den elektronischen Impfpass lässt sich eine Verbesserung des Ausbruchs- und Krisenmanagements erzielen, und natürlich auch eine Vereinfachung der Administration und eine Erweiterung der Handlungsmöglichkeit des einzelnen Betroffen.

Danke dafür, dass es offensichtlich auch in diesem Haus eine breite Zustimmung geben wird und dass wir damit einen Schritt weiterkommen. Ich bitte allerdings um Vorsicht. Wir werden uns Schritt für Schritt dem Endausbau annähern, und es wird in der ersten Pilotphase, die wir jetzt schrittweise flächendeckend ausrollen wollen, noch nicht das Endprodukt geben. In einer Pilotphase passieren Fehler, es werden auch Mängel sichtbar werden. Deswegen machen wir ja eine Pilotphase.

Vielleicht zum Schluss noch eine Information zu Covid. Da schaut es bei den Ver­handlungen der Europäischen Union über den Covid-Impfstoff recht gut aus. Wir haben mittlerweile Abschlüsse mit drei großen Produzenten, dreien von sechs, mit denen wir verhandeln. Wir haben das sogenannte Portfolio – das klingt ein bisschen eigenartig, wenn man bei einem Impfstoff davon spricht – so aufgestellt, dass wir möglichst risiko­minimierend unterwegs sind. Ihr wisst, es gibt drei unterschiedliche Technologien bei der Erzeugung des Covid-Impfstoffes. Es sind jeweils zwei potenzielle Produzenten der jeweiligen Technologie in unserem Portfolio enthalten. Wir haben Vorsorge getrof­fen, falls es in einem Bereich keine Marktzulassung geben sollte – auch das kann man ja heute noch nicht ausschließen –, dass es auch dann ausreichend Impfstoff für die in Österreich lebenden Menschen geben wird. Wir sind mit 2 Prozent am Gesamtpaket der Europäischen Union beteiligt.

Aus meiner Sicht ist das eine Erfolgsgeschichte der Europäischen Union, wie sie im Buche steht. Stellt euch vor, wir als kleines Österreich hätten jetzt alleine am großen Weltmarkt verhandeln müssen, wo derzeit de facto alle einen Ressourcenkampf aus­fech­ten, wenn man ganz offen redet. Natürlich sind wir gemeinsam, als starker euro­päischer Markt, in einer viel, viel besseren Situation, diese Verhandlungen zu führen und damit zu erreichen, dass die Impfung, auf die viele hoffen – ich bin einer davon und werde mich, wenn die Möglichkeit vorhanden ist, selbstverständlich möglichst rasch impfen lassen –, in Österreich möglichst bald eingesetzt werden kann, denn das ist der Schritt, den wir brauchen, damit das Risiko in Sachen Covid-Pandemie schrittweise abnimmt. – Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei BundesrätInnen der SPÖ.)

11.51

11.51.07


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Damit ist die Debatte geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.


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11.51.403. Punkt

Sozialbericht 2019 der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz (III-698-BR/2019 d.B. sowie 10420/BR d.B.)


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Wir gelangen zum 3. Punkt der Tages­ordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Andreas Lackner. – Ich bitte um den Bericht.


11.52.05

Berichterstatter Andreas Lackner: Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Meine Damen und Herren! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Ich darf den Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über den Sozialbe­richt 2019 der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumenten­schutz zur Kenntnis bringen.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 6. Oktober 2020 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, den Sozialbericht der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz zur Kenntnis zu nehmen.


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist ebenfalls Herr Bundesrat Andreas Lackner. – Bitte bleiben Sie am Rednerpult.


11.53.05

Bundesrat Andreas Lackner (Grüne, Steiermark): Ich möchte auf einen Punkt des Berichtes eingehen, auf die Ausbildungspflicht bis 18 und die Ausbildungsgarantie bis 25. Beide werden im Bericht als wirksame Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit gesehen. Ein Großteil der Jugendlichen, die aus dem Ausbildungssystem gefallen sind, fand sich nach kurzer Zeit wieder in Ausbildung. Die Ausbildungsgarantie bis 25 durch das AMS hatte eine gute arbeitsmarktpolitische Integrationswirkung: Gut die Hälfte der TeilnehmerInnen hatte drei Monate nach Förderende eine Beschäftigung oder befand sich in einer Lehre.

Wir werden weiterhin einen Fokus auf diesen Bereich legen. So werden wir die Mittel für die Neba-Maßnahmen weiter erhöhen. Das sind Maßnahmen, die Jugendliche auf eine Ausbildung vorbereiten oder während einer Ausbildung begleiten und unterstützen, Maßnahmen wie zum Beispiel Jugendcoaching, AusbildungsFit, Berufsausbildungs­assistenz. Bei der überbetrieblichen Lehre werden wir die Anzahl der Plätze weiter aufstocken. Der Lehrlingsbonus fördert Betriebe zusätzlich. Eine Taskforce soll bessere Lösungsansätze für die Probleme an der Schnittstelle zwischen Schule und Beruf entwickeln.

Die Regierung nimmt dieses Thema sehr ernst und handelt entschieden. Mit der Aus­bildungsoffensive, mit der 700 Millionen Euro für Ausbildungen im Rahmen der Arbeits­stiftung zur Verfügung gestellt werden, bekommen auch viele Menschen unter 25 die Chance auf eine zukunftsfähige Ausbildung. 700 Millionen Euro – das ist eine nie da gewesene Dimension, das ist ein ganz neues Level. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)


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Eines noch in Richtung SPÖ: Die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 und die Folge­jahre ließen die Arbeitslosigkeit in Österreich von 260 000 Arbeitslosen im Jahr 2012 auf 360 000 im Jahr 2016 hochschnellen – übrigens auf ein ähnlich hohes Niveau wie derzeit. Was haben Sie und die von einem roten Bundeskanzler geführte Regierung da­mals getan? (Bundesrätin Schumann: Eine Menge!) – Einen Fiskalpakt mit einer Schul­denbremse präsentiert. Das waren verlorene Jahre, in denen die Arbeitslosigkeit auch durch eine falsche Politik in die Höhe getrieben wurde. Geerbt haben wir davon eine Sockelarbeitslosigkeit. (Bundesrätin Schumann: Na geh!) Sie haben weder das Arbeits­losengeld erhöht noch eine wirksame Beschäftigungspolitik oder Ausbildungs­offen­sive gemacht. Wir machen das jetzt. (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Wir starten eine Konjunkturoffensive, indem wir Investitionen fördern und Einkommen stabilisieren. Wir machen eine Ausbildungsoffensive in einem historischen Ausmaß. Wir setzen wirksame Maßnahmen gegen Armutsgefährdung, wirksame Maßnahmen wie Kurzarbeit, Erhöhung des Arbeitslosengeldes, Anhebung der Notstandshilfe, Bildungs­bonus, Erhöhung der Zuverdienstgrenze für Studierende, Erhöhung der Familienbeihilfe, Senkung des Eingangssteuersatzes (Bundesrat Schennach: Auf wie viel?), erhöhte Negativsteuer, Familienhärtefonds, Verlängerung des Härtefallfonds für EPU (Bundes­rätin Schumann: Ein Drittel nicht ausgezahlt!), Erhöhung des Ausgleichszulagenricht­satzes und damit Erhöhung der Mindestpensionen. (Bundesrätin Grimling: Glauben Sie das wirklich alles, was Sie da sagen?) Wir machen das, und es wirkt. (Bundesrätin Schumann: Nein, es wirkt nicht!)

Eine aktuelle Studie von Wifo, IHS und anderen stellt fest, dass die zahlreichen Maß­nahmen wirken: Die Zahl der Armutsgefährdeten ist nicht gestiegen und die soziale Krise ist derzeit glücklicherweise noch ausgeblieben. (Bundesrat Schennach: Zufällig Ö1 gehört heute? – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Und ja, es gibt noch einiges zu tun und es wird noch weitere Maßnahmen brauchen. Es ist vollkommen klar, es wird weitere Maßnahmen brauchen (Bundesrat Schennach: Ein Drittel wurde nicht ausbezahlt!), um gut aus dieser Gesundheits-, Arbeitsmarkt- und Wirtschaftskrise herauszukommen. Was wir dabei gut brauchen könnten, ist eine konstruktive Zusammenarbeit. – Danke. (Beifall bei BundesrätInnen der SPÖ.)

11.57


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Danke, Herr Kollege.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ernest Schwindsackl. – Bitte, Herr Kollege.


11.57.39

Bundesrat Ernest Schwindsackl (ÖVP, Steiermark): Geschätzte Frau Präsident! Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Damen und Herren vor den Bildschirmen, die via Livestream dabei sind! Der österreichische Sozialstaat funktioniert, das belegen regelmäßig internationale Vergleiche und auch der vorliegende Sozial­bericht 2019.

Österreich gehört zweifelsohne zu jenen Ländern weltweit, die für ihre Staatsbürgerin­nen und Staatsbürger und für alle, die sich rechtmäßig im Land aufhalten, eines der am breitesten aufgestellten Sozialsysteme geschaffen haben. Der Sozialstaat ist aber keine Selbstverständlichkeit. Die soziale Sicherheit musste Stück für Stück erarbeitet werden. Seit seinen Anfängen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben christlichsoziale, sozialdemokratische und auch liberale Kräfte um die Ausstattung des Sozialstaates ge­run­gen. Mit Geld- und Sachleistungen sorgt der Sozialstaat für eine Umverteilung und reduziert so auch die Armutsgefährdung. Damit trägt er zur Wahrung des Lebensstandards der


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breiten Masse der Bevölkerung und gleichzeitig zur Sicherung des sozialen Friedens bei.

Unser Sozialstaat kostet Geld, viel Geld. Die Finanzierung erfolgt zu fast zwei Dritteln aus Sozialversicherungsbeiträgen und zu einem Drittel aus allgemeinen Steuermitteln wie Lohn-, Einkommen-, Mehrwert- und Verbrauchsteuern, somit aus Mitteln, die zu großen Teilen oder überhaupt zum Großteil von den Beschäftigten und den Arbeitge­berinnen und Arbeitgebern aufgebracht werden.

Unser funktionierendes und krisenfestes Sozialsystem stellt sicher, dass jene Hilfe be­kommen, die dringend Hilfe brauchen, weil sie sich selbst nicht helfen können. Krisenfest heißt in diesem Zusammenhang natürlich auch, dass eben nur jene Hilfe bekommen, die sich selbst tatsächlich nicht helfen können, aber nicht, dass jene einen Anspruch haben, Sozialleistungen zu beziehen, die sich selbst helfen können.

Im vorliegenden Sozialbericht wird die Sozialhilfe im Besonderen auch im Zusam­men­hang der Bedarfsorientierten Mindestsicherung, wie wir sie genannt haben, behandelt. Ich möchte Ihnen nur die wichtigsten, aussagekräftigsten Zahlen vor Augen führen: Im Jahr 2019, also noch vor der Coronakrise, haben in Österreich insgesamt 268 000 Per­sonen Mindestsicherung bezogen, also etwa 3,2 Prozent der Gesamtbevölkerung, davon 156 000 allein in Wien. Die restlichen acht Bundesländer kommen auf 112 000 Min­destsicherungsbezieher. Da können wir als Ländervertreter nicht einfach zuschauen und so tun, als ob nichts wäre. Im Bundesland Wien gibt es unter der Führung von Bürger­meister Ludwig und Sozialstadtrat Hacker ein Willkommenssystem. (Bundesrätin Grimling: Na geh!) Letzterer sollte sich mehr um die steigende Zahl von Coronaerkrankungen in Wien kümmern, statt ständig neue Mindestsicherungsbezieher winkend zu begrüßen. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenruf der Bundesrätin Grimling.)

Da wird auf Kosten aller anderen Bundesländer (neuerlicher Zwischenruf der Bun­des­rätin Grimling), und die sind hier alle vertreten, großzügigst mit Steuergeldern umgegan­gen, nach dem bekannten sozialdemokratischen Motto: Um das Geld der anderen ist uns nichts zu teuer! (Zwischenrufe der Bundesrätinnen Grimling und Schumann.)

60 Prozent aller Mindestsicherungsbezieher Österreichs leben in Wien (neuerliche Zwischenrufe der Bundesrätinnen Grimling und Schumann) – ihr in Wien müsstet es ja besser wissen –; wenn man die Zahlen genauer studiert, erfährt man, dass davon etwa 50 000 Personen Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte sind. Möglicherweise ist da ein Zeichen fehlender Integration in der Stadt Wien auszumachen. (Vizepräsident Buchmann übernimmt den Vorsitz.)

Der Sozialstaat braucht in jeder seiner Facetten eine breite Akzeptanz, Akzeptanz natür­lich von jenen, die ihn brauchen, aber auch von jenen, die ihn ermöglichen, nämlich jenen vielen Millionen Österreicherinnen und Österreichern, die tagtäglich frühmorgens ihrer Arbeit nachgehen und in das System einzahlen, damit unser vorbildhafter Sozial­staat aufrechterhalten werden kann.

Zum frühmorgendlichen Aufstehen beziehungsweise In-die-Arbeit-Gehen: Ich habe es sehr bewundernswert gefunden, dass der Bürgermeister, der gleichzeitig Landeshaupt­mann von Wien ist, immerhin bei der MA 48 – das ist keine militärische Abkürzung des Jagd­kom­mandos –, der Müllabfuhr, mitgearbeitet und den Tag entsprechend verbracht hat. Ich finde das auch sehr ehrlich gegenüber allen Wählerinnen und Wählern am Sonntag, die jetzt wissen, was er nach seiner politischen Arbeit möglicherweise tun wird. Beim Lan­des­­rat und Sozialstadtrat Hacker wird das noch wahnsinnig schwierig werden, eine geeig­nete Stelle – Arbeiten im Zeitlupentempo – zu finden. (Bundesrätin Grimling: Sehr witzig!)

Zu einem weiteren Thema findet sich im Sozialbericht natürlich auch ein Kapitel, nämlich zur Frage, wie es den Menschen im letzten Lebensabschnitt, nämlich im Alter, geht. Es


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geht um Lebensqualität im Alter, es geht um die Schaffung eines positiven Altersbildes. Senioren sind nicht alle klapprig, und entsprechend sind auch nicht alle krank, worauf sie oft reduziert werden. Die Coronapandemie hat dieses Bemühen um das Image älterer Personen wieder um einige Jahre zurückgeworfen. Es geht um die Bekämpfung von Altersarmut und die wichtige Pflegevorsorge – Daheim statt Heim als Stichwort. Im betreffenden Abschnitt heißt es zum Beispiel, dass wir pflegende Angehörige unter­stützen müssen. Weiters heißt es, dass die Hospiz- und Palliativmedizin in die Regel­finan­zierung übernommen werden müssen – eine langjährige Forderung der ÖVP. Es geht um Seniorenpolitik, es geht vor allem um die ältere Generation.

Der Altersdiskriminierung wird im Bericht ein wichtiger Stellenwert eingeräumt. Es muss doch möglich sein, dass Personen, die sich in Pension befinden, vonseiten der Banken noch einen Kredit beziehungsweise die Möglichkeit einer Kontoüberziehung für wichtige Anschaffungen, die im sozialen Bereich das Leben erleichtern, gewährt bekommen. Gefährlich wird es, wenn es dabei um wichtige Medikamente geht oder gar anstehende Operationen verlegt, vertagt und verschoben werden.

Die großartigen sozialen Errungenschaften wurden vor allem durch die ältere Generation herbeigeführt. Der Dank dafür kann nicht sein, dass diese wichtige Bevölkerungsgruppe einfach an den Rand gedrängt wird. Unsere Bundesregierung ist ein Garant dafür, dass alle Berufs-, Sozial- und Altersgruppen jene Wertschätzung erfahren, die sie ver­dienen. – Ein herzliches steirisches Glückauf! (Beifall bei der ÖVP und bei BundesrätIn­nen der Grünen.)

12.05


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Korinna Schumann. – Bitte, Frau Bundesrätin.


12.06.05

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe ZuseherInnen und ZuhörerInnen! Der Sozialbericht 2019 ist ein Bericht aus einer versunkenen Zeit, nicht lange her, aber die Rahmenbedingungen waren gegenüber der heutigen Zeit so unterschiedlich, dass man nur sagen kann: Es wäre schön, wenn wir heute nur die Prob­leme hätten, die im Rückblick dieses Sozialberichts registriert sind.

Lassen Sie mich auf einige Punkte eingehen, vor allen Dingen auf den Arbeitsmarkt. 2018 hatten wir ein Rekordniveau der Beschäftigung, 2020 haben wir ein Rekordniveau der Arbeitslosigkeit. 409 000 Menschen sind arbeitslos, und Arbeitsministerin Aschbacher wollte in ihrer letzten Presseaussendung darin tatsächlich einen positiven Trend am Arbeitsmarkt erkannt haben, und das mit dem Wissen, dass die Arbeitslosigkeit im Herbst und Winter noch weiter steigen wird. Ganz ehrlich, dieses Schönreden hilft keinem und keiner, die jetzt die Arbeit verlieren. (Beifall bei der SPÖ.)

Es ist eine Erzählung der ÖVP, sie habe alles im Griff, es sei alles gut und sie wüsste, wie es funktioniert. Bei den Menschen funktioniert das nur leider nicht mehr. Die Realität der Menschen ist eine ganz andere, sie nehmen das Scheitern dieser Regierung und nicht den Erfolg wahr. Gerade für den Arbeitsmarkt gibt es keine wirksamen Konzepte. Auch das ist ganz klar. Es gibt keine Antworten auf die drängende Frage der Bekämp­fung der Arbeitslosigkeit. Sie haben sieben Monate Zeit gehabt, um Konzepte auf die Beine zu stellen. Was kam, das waren lediglich Ankündigungen. 700 Millionen Euro sind wunderbar, es ist aber einfach nur die Aufstockung der Arbeitsmarktmittel, es ist nur more of the same, das Gleiche wiederholt. Es wurde nichts Neues aufgesetzt. Um von Arbeitsmarktstiftungen zu reden, müsste man schon wissen, was eine Stiftung ist. Eine Stiftung ist nämlich etwas ganz anderes als eine ganz normale Arbeitsmarktmaßnahme,


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da braucht es wirklich ein Stiftungskonzept mit allem, was dazugehört, mit Zielgruppen, mit wirklichen Maßnahmen. Darum geht es! (Beifall bei der SPÖ.)

Bis heute ist unverständlich, warum man die Sozialpartner nicht in die Planung ein­ge­bunden hat. Die ungeheure Expertise der Gewerkschaft, die so viel Erfahrung mit Stiftun­gen hat, lässt man einfach links liegen. Es scheint so, als würde man Sozialpartnerschaft gerne à la carte leben: Dort, wo man sie brauchen kann – wie etwa bei der Kurzarbeit –, holt man sie. Da hat man sie dringend gebraucht. Wo man sie nicht brauchen kann, da macht man alleine weiter. So wird man nicht zum Erfolg kommen, schon gar nicht für die Men­schen, die ihre Arbeit verloren haben oder die Angst haben, die Arbeit zu verlieren.

Die Situation ist dramatisch und ganz schlimm. Wir haben gestern mitbekommen, wie Swarovski in Wattens Kündigungen ausgesprochen hat, nämlich in Form einer digitalen Eventshow mit einer großen Tafel, auf der grün hinterlegt die Namen jener Personen gestanden sind, die ihre Arbeit behalten, und rot hinterlegt die Namen jener, die ihre Arbeit verlieren. Also das ist wirklich keine arbeitnehmerfreundliche Art, mit Menschen umzugehen, das ist wirklich unwürdig. (Beifall bei der SPÖ.)

Ziel muss es sein, und das fordern wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, dass 2021 das Niveau der Arbeitslosigkeit wieder auf dem Stand von vor der Coronakrise ankommt – koste es, was es wolle.

Das Arbeitsrecht ist ein wesentlicher Teil dieses Sozialberichts, besonders deshalb, weil ja in der betreffenden Legislaturperiode eine Erhöhung der gesetzlich möglichen Arbeits­zeit beschlossen wurde, und zwar auf 12 Stunden am Tag und 60 Stunden in der Woche. Die türkis-grüne Regierung hat nicht daran gerüttelt, hat das nicht zurückgenommen. 

Wir haben damals schon gewarnt und gesagt: In guten Zeiten kann das klappen, doch es ist trotzdem schlecht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. – Aber wenn wir jetzt in einem so stark belasteten Arbeitsmarkt erleben, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 12 Stunden arbeiten müssen, weil sie sich gar nicht zu sagen trauen, dass sie nicht mehr können, weil sie Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, dann wissen wir, was Sie mit diesem Gesetz angerichtet haben. All jene, die damals zugestimmt haben, können sich die Auswirkungen jetzt live anschauen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Rösch: Im Sozialbericht ...!)

Die Frage der jungen Menschen ist für uns ganz essenziell, denn diese sind ganz stark betroffen. (Zwischenruf des Bundesrates Rösch.) – Natürlich steht es drinnen! (Bun­desrat Rösch: Was steht drin?) Ich kann zur Neugestaltung der Arbeitszeit, Seite 51, ganz einfach zitieren: „Auswirkungen in der Praxis

Von den Arbeitsinspektoraten werden seit der Ausweitung der zulässigen Grenzen der Höchstarbeitszeit wie zu erwarten deutlich weniger Überschreitungen der Höchstarbeits­zeiten festgestellt.“ – Na no na net! Wenn nämlich die Arbeitszeit gesetzlich erhöht wird, wie sollen dann Überschreitungen festgestellt werden? Das ist ja schon fast lachhaft! (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Rösch: Was ist mit den 12 Stunden?)

Für uns ist wichtig, wie es den jungen Menschen geht, und zwar all jenen, die jetzt die Arbeit verloren haben und Perspektiven brauchen. Wir wollen keine verlorene Gene­ration, und wir wollen auch nicht, dass ältere Menschen ihre Arbeit verlieren und keine Chance auf einen Arbeitsplatz haben. Da braucht es wirklich Stiftungen, und zwar besonders für jene älteren MitarbeiterInnen, die vor der Kündigung stehen oder bereits gekündigt sind. Sie haben keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. 409 000 Menschen sind ohne Beschäftigung, und es gibt 66 000 freie Stellen. Das kann nicht funktionieren! Da muss man eingreifen. Da muss man das Arbeitslosengeld erhöhen. Ich habe von Kolle­gen Lackner gehört, dass das geplant ist. Wir warten ganz dringend darauf und hoffen, es kommt ganz, ganz rasch. (Beifall bei der SPÖ.)


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Eine Gruppe liegt mir ganz besonders am Herzen und, wie ich glaube, allen Frauen, die jetzt hier im Saal sind: Die Situation der Frauen ist ganz, ganz schwierig. Sie sind be­sonders von der Arbeitslosigkeit betroffen. Die Rate arbeitsloser Frauen geht wesentlich weniger zurück als jene der Männer. Es geht etwa um die Betreuungsproblematik: Die Sonderbetreuungszeit wurde zwar ausgeweitet, aber es besteht noch immer kein Rechtsanspruch darauf. Ich kann gar nicht sagen, wie viele Frauen feststellen, dass die Situation für sie jetzt ganz schwierig ist. Sie fürchten sich enorm davor, aus dem Arbeits­markt gedrängt zu werden. In diesem Zusammenhang gilt es Maßnahmen zu setzen. Mindestens 50 Prozent der AMS-Mittel werden für Frauen benötigt, um die Frauen nicht in die Rollenbilder der Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts zurückzubeamen. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Bundesrätin Grimling.)

Herr Bundesminister, ich würde Sie ganz herzlich darum bitten, auf noch eine Gruppe zu achten, nämlich auf die Menschen mit Behinderung. Sie gehören oft zu den Risiko­gruppen und haben es auf dem Arbeitsmarkt ganz besonders schwer, besonders jetzt in der Coronazeit. Herr Bundesminister, geben Sie den Menschen mit Behinderung eine Stimme! Die Expertise in Ihrem Haus ist vorhanden, auch das ist ganz wesentlich. (Bei­fall bei der SPÖ.)

In dem Bericht ist natürlich auch die Strukturreform in der Sozialversicherung –bezie­hungs­weise, übersetzt: die Selbstverwaltung durch die Versicherten wurde zerstört – angeführt. Wir sehen jetzt, wie gut das Gesundheitssystem in Österreich ist, wie gut die Selbstverwaltung gearbeitet hat. Sie haben sich aber entschieden, diese Selbstver­wal­tung abzuschaffen und die Österreichische Gesundheitskasse in die Hand der Wirt­schafts­vertreter zu legen. Auch das wurde von Türkis-Grün nicht zurückgenommen. Es ist dies eines der größten Zentralisierungsprojekte, die wir kennen. Eigentlich war es Ihre Intention, zu dezentralisieren, um die Regionen zu stärken. Mit dieser Sozialversiche­rungsreform haben Sie allerdings zentralisiert, und zwar in ganz großem Ausmaß. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gilt: Beste Gesundheitsversorgung für alle Menschen und nicht nur für die, die viel Geld im Geldbörsel haben. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Armutsbekämpfung ist auch ein wichtiger Punkt. Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz war ein schlechtes Gesetz. Es wurde in weiten Teilen vom Verfassungsgerichtshof auf­gehoben und noch nicht repariert. Die Zahl der SozialhilfebezieherInnen ist groß und wird weiter steigen, das ist ganz selbstverständlich. Es trifft jetzt viele Gruppen, die niemals gedacht hatten, dass sie Sozialhilfe beziehen müssen. Wir müssen die Men­schen absichern, dass sie nicht ins Bodenlose fallen. Es braucht eine gute Versorgung all jener, die armutsgefährdet sind. Besonders die Langzeitarbeitslosen sind dies­bezüg­lich ganz stark gefährdet. 157 000 Menschen sind langzeitarbeitslos, und wir wissen, dass besonders die Kinder in Haushalten von Langzeitarbeitslosen die Härten der Armut spüren. Das wollen wir auf keinen Fall! Der Familienhärtefonds gestaltet sich jetzt so, dass ein Drittel der AntragstellerInnen ihre Leistung noch immer nicht erhalten hat. So hilft man nicht in dieser schweren Zeit! (Beifall bei der SPÖ.)

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wissen um die Bedeutung des Sozial­staates und des Sicherheitsnetzes für die Menschen, die keine Reichtümer besitzen. Jeder muss sich darauf verlassen können, dass dieses Netz hält und dass es nicht löchrig wird, wenn man krank wird, wenn man arbeitslos wird, wenn das Schicksal zuschlägt und wenn man alt wird. Darauf bestehen wir. Das wird die Zielrichtung sein: Den Sozialstaat ausbauen und stärken und den Menschen Sicherheit geben. (Beifall bei der SPÖ.)

12.16


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Herr Bundesrat Ing. Bernhard Rösch ist der nächste Redner. – Bitte, Herr Bundesrat.



BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 67

12.16.06

Bundesrat Ing. Bernhard Rösch (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Damen und Herren des Präsidiums! Werter Herr Minister! Hohes Haus! Ich möchte am Anfang feststellen – und das immer wieder tun –, dass der ORF heute wiederum nicht da ist und damit sein Desinteresse am öffentlich-rechtlichen Auftrag bekundet. Das ist ein Skandal, und daher darf man sich beim ORF nicht wundern, dass immer mehr Bürger darüber nachdenken, wofür sie überhaupt diese GIS-Gebühren zahlen – und in manchen Bundesländern in diesem Zusammenhang auch noch Steuern eingehoben werden –, wenn diesem Auftrag einfach hartnäckig nicht nachgekommen wird.

Nun zum Sozialbericht: Vielen Dank für die Zusammenfassung. Man sieht in Teilen auch die soziale Handschrift der freiheitlichen Regierungsbeteiligung, ich könnte jetzt viele Beispiele dafür aufzählen. Ich will aber den Ball von Korinna Schumann aufnehmen, das, was wir zuerst in der Bank diskutiert haben, aber auch das, was sie hier gesagt hat.

Es ist dies ein sehr interessanter Sozialbericht, und er ist auch alarmierend, vor allem die Zahlen und auch die Vergleiche sind alarmierend. Es wird immer wieder von Wien­bashing gesprochen. Ich rede jetzt nur von den Zahlen, die in diesem Sozialbericht ste­hen. Ja, Wien mag laut Mercer-Studie die lebenswerteste Stadt sein. (Zwischenruf der Bundesrätin Hahn.) Diese Studie betrifft allerdings Manager, die sich hier sehr wohl­fühlen, die hier ein kulturelles Angebot bekommen, die, wenn sie länger hier sind, ihre Kinder auf feine Schulen schicken können und die in den Bezirken, wo sie absteigen, auch relativ sicher sind, weil sie nie an die Peripherie kommen.

Ich komme jetzt aber zurück zum Sozialbericht: Wenn man diesen liest, Kolleginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten, dann stellt man fest, dass Wien ein zweites Gesicht hat: Gewaltdelikte sind vorne. (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.) Dann sieht man: Wien ist eine Stadt der Gegensätze. Wien ist eine Stadt der Analphabeten, Wien ist eine Stadt der Armut, jeweils im Absoluten und im Prozentuellen. (Zwischenruf der Bundesrätin Hahn.) – Stimmt das nicht, was da drinnen steht? Wir können uns das anschauen. All das kann man in absoluten Zahlen und in prozentuellen Zahlen able­sen. – Wien ist eine Stadt der Mindestsicherungsbezieher. – Stimmen die Daten etwa nicht? Ich höre von Ihnen nichts! (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.) Ich höre immer nur, dass Sie Wien und die Arbeit der SPÖ über alles loben, aber dabei wird immer wieder auf die einfache Bevölkerung vergessen. Sie gehen immer von Managern aus, von jenen, die es sich richten können. Sie gehen nie von denen aus, die wirklich einer Hilfe bedürfen. (Beifall bei der FPÖ.)

Ich schaue mir das weiter an: Wien ist eine Stadt der Langzeitarbeitslosen. – Stimmt die Studie nicht? Legen Sie mir andere Zahlen hin! – Wien hat es sich zur Aufgabe gemacht, über die Smart-City-Strategie eine Zweimillionenstadt zu werden. Ich frage die SPÖ: Warum muss Wien eine Zweimillionenstadt werden? Die Stadt hat eine alte Struktur, wo in den Straßen und so weiter wenig Platz ist, und wir wissen, dass mittlerweile durch Grün beziehungsweise Rot-Grün die Verkehrsteilnehmer praktisch gegeneinander aus­ge­spielt werden. (Zwischenruf der Bundesrätin Hahn.) Nicht, dass man etwas dagegen hätte, dass der eine oder andere Parkplatz wegkommt. Wenn dann aber mehrheitlich beschlossen wird, dass es stattdessen Garagen gibt, sodass man miteinander und nicht gegeneinander leben kann, dann sind sich Rot und Grün einig und schauen, dass Konflikt gesät wird. Das erleben wir ja täglich. (Bundesrätin Hahn: Auswandern!) – Auswandern: Diesen Gefallen tun wir der SPÖ sicherlich nicht. Vielmehr werden wir dagegenhalten, und Sie werden sehen, dass das immer stärker wird, auch wenn Sie jetzt vielleicht durch die Coronakrise eine Schonzeit bekommen und die Menschen innehalten, weil sie sich wirklich auch vor der Politik fürchten beziehungsweise aufgrund der Politik in einer Angst-frisst-Seele-auf-Situation sind. (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.)


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 68

Wir wissen aus dem Gesundheitssystem, dass viele jetzt nicht zur Krebsvorsorge gehen, und wir werden erst langfristig erfahren, was da herauskommt. Von Ärzten ist bestätigt worden, dass die Herzinfarktrate hinaufgegangen ist, weil die Leute ganz einfach nicht ins Krankenhaus gehen. Die Vorsorgemedizin wird nicht angenommen und, und, und. Es wird also durch die Maßnahmen ganz unverhältnismäßig mehr Schäden geben, das kann man jetzt schon absehen. (Zwischenruf des Bundesrates Beer.)

Ich möchte noch einmal zur SPÖ zurückkommen: Ich finde Ihre Aussagen auch insofern immer sehr interessant, als man glauben könnte, dass von zwei verschiedenen Welten gesprochen wird. Ich frage Sie, die Sie voll des Lobs und mit sich selber zufrieden sind: Wenn Sie sich schon einbilden, dass Wien wirklich Zweimillionenstadt werden muss, warum holen Sie dann die Armut nach Wien? Warum haben Sie nicht genug Wohnbau in petto? (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.)

Heute steht im „Standard“ – und der „Standard“ ist sicherlich nicht unbedingt derjenige, der für mich verdächtig wäre, weil das dort geschrieben steht –: „Schieflage beim Wohn­bau in Wien.“ Was glauben Sie: Warum schreiben die das? (Bundesrat Beer: Der „Stan­dard“ ist kein SPÖ-Zentralorgan!) – Das nicht, doch wenn man das da drinnen liest, dann braucht man gar kein SPÖ-Zentralorgan. Es wird einfach sachlich aufgeschrieben, dass es eine verfehlte Wohnbaupolitik gibt. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf der Bundes­rätin Schumann.)

Über diese verfehlte Wohnbaupolitik muss sich Bürgermeister Ludwig ganz einfach drüberschwindeln. Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir nämlich 500 Millionen bis 800 Millionen Euro aufgrund der Währungsspekulation der Stadträtin Brauner verloren. Damit hätten wirklich viele Wohnungen gebaut werden können, wir haben aber durch das Währungsrisiko sehr viel verloren. Wenn ich dann noch an alle anderen Bauten denke, etwa an das Krankenhaus Nord: Allein was der Esoteriker bekommen hat, das hätte jetzt in der Krise gerne jeder zur Verfügung, damit er über die Runden kommt. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Beer.)

Aber die Milliarden des Streikfonds der Gewerkschaft, die die SPÖ vernebelt hat - - (Bun­desrat Beer: Nicht die SPÖ!) – In der Gewerkschaft waren lauter SPÖler drinnen! Jetzt keine Kindesweglegung betreiben! Es waren eure Leute, die den Streikfonds vernebelt haben, und das werdet ihr auch nicht ganz einfach weglegen können. (Bundesrätin Hahn: Sie müssen eine solche Panik haben vor dem Wahltag, ...!) – Wir haben keine Panik.

Wir bringen deswegen nämlich auch einen Entschließungsantrag ein, der euch allen vorliegt, und wenn es euch wirklich ernst ist und ihr ihn unterstützen wollt, dann geht ihr da mit. Ich glaube nämlich kaum, dass man den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, den Österreicherinnen und Österreichern - - (Zwischenruf der Bundesrätin Hahn.) – Du hast keinen 12-Stunden-Tag, wahrscheinlich nicht einmal eine 12-Stunden-Woche! (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrätin Schumann: 60-Stunden-Woche: Danke, FPÖ! Danke, ÖVP!)

Mir kommen die Tränen, wenn du dich mit voller Gage dafür einsetzt, nicht einmal wis­send, wie das draußen ist, wenn man in Kurzarbeit oder arbeitslos ist, und hier herinnen immer so großzügig und sozial getan wird. In Wirklichkeit müsstet ihr hinausschauen und hinausgehen und mit den Leuten reden. Das wäre das Wichtigste für euch! (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.)

Deswegen – da das Lämpchen hier schon unaufhörlich blinkt (Ruf bei der SPÖ: Gott sei Dank!) – kann ich euch nur ans Herz legen, unserem Entschließungsantrag zuzustim­men, denn darin finden sich viele Punkte, die den Österreicherinnen und Österreichern das Leben in der Krise wirklich erleichtern würden. (Bundesrätin Mühlwerth: Du musst ihn einbringen, du musst ihn vorlesen! – Zwischenrufe bei der SPÖ.)


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 69

Muss ich den ganzen Antrag vorlesen? Wir haben doch ausgemacht, da er verteilt worden ist, dass ich auf das - - (Bundesrat Beer: Wir haben ausgemacht, dass wir Ent­schließungsanträge austeilen, und dann muss er den Entschließungsantrag vorlesen, sonst ist er nicht ordnungsgemäß eingebracht! – Bundesrätin Mühlwerth: Eigentlich war es ausgemacht, dass - -!) – Ich lese ihn gerne vor. Man kann sich mit der SPÖ nichts ausmachen, die haben das Blümel-Syndrom, die haben gleich wieder alles vergessen.

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Ing. Bernhard Rösch, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Frei­heitliches COVID-19-Maßnahmenpaket“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage zuzu­leiten, die folgende gesetzliche Regelungen umfasst:

Eine rechtlich verbindliche Grundlage, dass allen beim Arbeitsmarktservice als arbeitslos registrierten Personen, der Bezug der aktuellen Leistung um die Dauer der Krise, min­destens jedoch bis zum 31. Mai 2021 verlängert wird und zusätzlich ein ‚COVID-19-Ausgleich‘ für Arbeitslose in Form eines 30-prozentigen Zuschlages zu allen Arbeits­losen­versicherungsleistungen rückwirkend mit 15. März 2020 gewährt wird. Dieser Zuschlag soll über die Finanzämter, bei denen alle Daten der Erwerbstätigen vorhanden sind, automatisch – also ohne formale Antragstellung – ausgezahlt werden (70 Prozent Netto-Ersatzrate).“ – Das wird ja kein Problem sein, oder?

„Ein Maßnahmenpaket gegen die sektorale Arbeitslosigkeit in Österreich als Konsequenz der Covid-19-Krise. Dieses Maßnahmenpaket soll sektorale Zuzugsbeschränkungen auf dem Arbeitsmarkt für Nicht-EU-Bürger und EU-Bürger nach Maßgabe von Alter, Ausbildungsniveau, besonderen Bedürfnissen und gesundheitlichen Einschränkungen, bisheriger Berufstätigkeit, angestrebter Berufstätigkeit und branchenspezifischer kurz-, mittel- und langfristiger Konjunktur- und Arbeitsmarktprognose beinhalten. Insbesondere sollen im Zuge dieser Maßnahmen auch die negativen Auswirkungen der Covid-19-Krise für den Arbeitsmarkt nachhaltig korrigiert werden.

Den Ausschluss und damit die Verhinderung einer arbeitnehmerfeindlichen Homeoffice-Regelung im neuen Covid-19-Arbeitsrecht (Arbeitszeit, Arbeitnehmerschutz, Lohn und Gehalt usw.)

Eine Verdoppelung der Familienbeihilfe bis zum vollendeten 14. Lebensjahr des Kindes für jene Monate, in denen die Betreuungseinrichtungen wie Schulen, elementarpäda­gogische Einrichtungen und Horte wegen Covid-19 geschlossen waren bzw. sind. Die Auszahlung hat unverzüglich zu erfolgen.“

Kommt ihr noch mit? Soll ich langsamer lesen?

„Einen Rechtsanspruch auf die Gewährung von Sonderbetreuungszeiten für Eltern und Angehörige von Kindern und betreuungspflichten Personen durch den Arbeitgeber - -“

(Zwischenruf der Bundesrätin Gruber-Pruner.) – Braucht ihr etwas? (Zwischenruf der Bundesrätin Hahn.) Ach so, ich habe mir gedacht, ihr habt es nicht verstanden.

„- - und eine 100-prozentige Übernahme der Kosten durch die Republik Österreich für den Zeitraum der Covid-19-Krise.

Die Ausstellung von Österreich-Gutscheinen im Wert von insgesamt 1.000 Euro an jeden österreichischen Staatsbürger, die bis 31. Dezember 2020 nur bei heimischen und in Österreich steuerpflichtigen Betrieben eingelöst werden können.


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 70

Ein Maßnahmenpaket zu einem Preismonitoring und einem Inflationsstopp in Covid-19-Zeiten.

Die sofortige Umsetzung des § 10 des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes in allen nicht durch das VfGH-Erkenntnis (G 164/2019) behobenen Teilen auf Länderebene und die verfassungskonforme Regelung der degressiven Staffelung für Kinderzuschläge, des Arbeitsqualifizierungsbonus und der Sozialhilfe-Statistik zur Verhinderung des Zuzugs von Migranten in unseren Sozialstaat.

Die Einführung eines an die aktuelle Situation angepassten ‚Blum-Bonus‘, der einen monatlichen Zuschuss für die gesamte Lehrzeit für Lehrlinge garantiert.

Die Auflösung der Rücklagen der Wirtschaftskammern, um mit diesen Mitteln die heimi­schen Unternehmen zur Bewältigung der COVID-19-Krise unmittelbar zu unterstützen.

Die Einrichtung eines COVID-19-Unterstützungsfonds insbesondere für Arbeitnehmer mit Familien, die durch Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit in Folge von COVID-19 in Not geraten sind.

Die Auflösung von 11/12 der Rücklagen 2019 der Arbeiterkammer für die Dotierung dieses COVID-19 Unterstützungsfonds.

Die Abwicklung sämtlicher Fonds über die Finanzämter.

Ein voller Entschädigungsanspruch für alle Betriebe, die durch das Betretungsverbot betroffen sind oder waren, in der Höhe des Betrags, den diese erhalten hätten, wenn ihr Betrieb auf Grundlage des EpidemieG geschlossen worden wäre.

Eine sofortige antragslose Akontozahlung durch die Finanzämter an alle Unternehmer, die sämtliche in Folge der COVID-19-Maßnahmen entstandene Kosten, die laufenden Fixkosten zu 100 Prozent sowie die Einnahmenausfälle und einen entsprechenden Unter­nehmerlohn abdeckt mit anschließender Ex-post Prüfung und Kontrolle durch die Finanzämter.“

*****

Ich bitte nun, da Sie ja sicherlich aufgepasst haben und feststellen konnten, dass darin sehr viele gute Sachen für die Österreicherinnen und Österreicher in Krisenzeiten enthalten sind, diesem Entschließungsantrag zuzustimmen. (Beifall bei der FPÖ.)

12.32


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Aus aktuellem Anlass verweise ich auf die Eleganz der Geschäftsordnung des österreichischen Bundesrates im Allgemeinen und auf § 43 Abs. 4 im Speziellen, was die Einbringung von Anträgen betrifft.

Der von den Bundesräten Ing. Bernhard Rösch, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Freiheitliches COVID-19-Maßnahmenpaket“, der gemäß § 43 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Bundesrates ursprünglich in seinen Kern­punkten erläutert und jetzt detailliert verlesen wurde, ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Karlheinz Kornhäusl. – Bitte, Herr Bundesrat.


12.33.18

Bundesrat Dr. Karlheinz Kornhäusl (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Vizeprä­sident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, die via Livestream zugeschaltet sind!


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 71

Nach einiger Zeit wurde wieder ein sehr umfassender Sozialbericht seitens des Bundes­ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz vorgelegt.

Ich denke, dass jeder, der diesen Bericht durchstudiert hat – meine Vorredner werden das sicherlich getan haben –, mir recht geben wird, dass sich mehrere tiefe Blicke in diesen Bericht mehr als nur lohnen. Er erstreckt sich auf über 180 Seiten, spannt einen Bogen von Themen wie Arbeitsmarkt, Arbeitsrecht, Sozialpolitik, Sozialversicherung, Menschen mit Behinderung, Fragen der Pflege bis hin zum Konsumentenschutz und wurde um ein großes Zukunftsthema, nämlich das der Gesundheitsversorgung, erwei­tert. Meine Vorredner haben die einzelnen Punkte bereits ausreichend abgearbeitet. Aufgrund dieser Fülle werden Sie verstehen, dass ich natürlich nicht auf jeden Punkt eingehen kann, zwei, drei Themen sind mir aber schon besonders wichtig.

Es wird Sie, verehrte Damen und Herren, sicherlich nicht wundern, dass mir das große Thema Gesundheit besonders am Herzen liegt. Das sollte gerade uns als Bundesräten, als Vertreter unserer Bundesländer in Wien, besonders am Herzen liegen. In diesem Sozialbericht wird sehr eindringlich auf die Versorgung unserer Bevölkerung einge­gangen, und dieser Bericht liefert Visionen, wie die Zukunft dieser Versorgung aussehen muss. Man kommt darin zu demselben Schluss, den ich seit Jahren immer erwähne beziehungsweise seit Jahren fast predige: Die Zukunft der Versorgung unserer Österreicherinnen und Österreicher kann nur in der Vielfalt liegen.

Wir brauchen den Hausarzt, diesen müssen wir weiter stärken. Wir müssen die Aus­bildung attraktiver machen. Es ist im Bericht die Rede von Primärversorgungseinheiten, Netzwerken, Gruppenpraxen, Jobsharingmodellen bis hin zu unseren spezialisierten Spitälern, die wir in unseren Ländern haben. Es werden auch konkrete Zahlen genannt: Das Ziel in den nächsten Jahren ist es, 75 solcher Primärversorgungseinheiten zu errichten. In diesem Zusammenhang darf ich als Steirer stolz erwähnen, dass die Steier­mark mit bereits zwölf funktionierenden Primärversorgungseinheiten Vorreiter ist.

Weiters geht es um die Errichtung und den Ausbau von Telemedizin und E-Health-Services. Wir haben beim vorigen Tagesordnungspunkt den elektronischen Impfpass beschlossen. All das ist selbstredend ein Gebot der Stunde und muss weiter forciert werden.

Ein zweites Thema, das mir wichtig ist und das sich – wie ich fast sagen möchte – erfreu­licherweise wie ein roter Faden durch den Sozialbereich zieht, sind Fragen, die unsere älter werdende Bevölkerung betreffen. Es geht darum, wie es den Menschen in ihren letzten Lebensjahren geht. Es geht um die Möglichkeit, würdevoll zu altern, es geht um Sorgen hinsichtlich der Altersarmut, um die Frage der Pflegeversorgung, und es geht vor allem auch um Einsamkeit im Alter.

In diesem Zusammenhang darf ich Ihnen aus meiner ganz persönlichen Erfahrung erzählen, dass es immer häufiger dazu kommt, dass mich betagte Patientinnen und Patienten an dem Tag, an dem ich sie eigentlich nach Hause entlassen möchte, fragen: Herr Doktor, ist es nicht möglich, dass ich noch ein paar Tage bleibe? – Ich muss Ihnen sagen: Ich verstehe diese Menschen. Im Spital kommt mehrmals am Tag der nette Pfleger vorbei und erkundigt sich nach dem Befinden. Die junge Ärztin kommt zwei Mal am Tag zur Visite. Es gibt warmes Essen. Es ist immer ein bisschen etwas los. Zu Hause warten hingegen oft nur Stille und Einsamkeit.

Ich habe auch das immer betont, und ich werde nicht müde, das gebetsmühlenartig weiter zu erwähnen: Den Wert einer Gesellschaft erkennen wir unter anderem daran, wie sie mit den älteren Teilen der Bevölkerung, mit den alten Mitmenschen umgeht. Ich persönlich glaube fest an unsere humane Gesellschaft und denke, dass wir uns alle gemeinsam anstrengen müssen, um ein Altern in Würde zu ermöglichen. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 72

Ich möchte jetzt zu einem dritten Punkt kommen, der mir persönlich wichtig ist, den ich nicht unerwähnt lassen möchte, nämlich das große Themenfeld Arbeit, und zwar nicht nur, weil Arbeit und Soziales für mich untrennbar miteinander verbunden sind, sondern weil die Arbeit auch ganz wesentlich mit der Sinnerfüllung des Lebens zusammenhängt. Wenn wir uns jetzt den Sozialbericht 2019 vornehmen, dann muss man in zwei Bereiche trennen, nämlich in die Zeit davor und in die Zeit danach, sprich das Jahr 2020. Es ist heute schon erwähnt worden: Im Jahr 2018 hatten wir einen Rekord an unselbständig Beschäftigten. Im Vergleich dazu war die Arbeitslosenrate auf einem Tiefstand. Sehr geehrte Damen und Herren, ich glaube, viel eindrucksvoller kann man nicht beweisen, wie gut damals vonseiten der Regierung gearbeitet worden ist. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.)

Leider – jetzt kommt die Zeit danach – schauen die Zahlen mittlerweile anders aus. Die Zahlen im Bericht sind etwas überholt. Das hat mit einer völlig neuen Situation zu tun, mit einer weltweiten Pandemie, die uns fest im Griff hat. Egal, wohin man schaut, welche Staaten auf dem Kontinent und auf dem Erdball man betrachtet: Überall sucht man händeringend nach Lösungen, um aus dieser gesundheitlichen und wirtschaftlichen Krise zu kommen.

Dazu hat diese Regierung in einem Kraftakt eine Vielzahl an Maßnahmen auf den Weg gebracht, um den Menschen in diesem Land – den Familien, den Alten, den Jungen – unter die Arme zu greifen. Sie werden verstehen, dass es aufgrund der Fülle der Maß­nahmen, die wir getroffen haben, nicht möglich ist, alle aufzuzählen, aber exemplarisch soll die Nennung von ein paar möglich sein: Ich denke da zum Beispiel an den Neustartbonus, um Menschen aus der Arbeitslosigkeit wieder in die Beschäftigung zu holen, die vorgezogene Entlastung der Bezieher niedriger Einkommen, den Lehrlings­bonus, das Investitionspaket. Denken wir an die Milliarden für die Kurzarbeit – ein Erfolgs­modell in dieser schwierigen Zeit –, das Gemeindepaket, das es unseren Gemeinden und Städten ermöglicht, wesentliche Strukturreformen weiter voranzutreiben! (Bundes­rätin Schumann: Na! – Zwischenruf des Bundesrates Schennach. – Weitere Zwischen­rufe bei der SPÖ.) Reden Sie auch mit Ihren Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern! Wir können uns zusammensetzen, ja. Reden Sie mit Ihren SPÖ-Bürgermeistern! (Ruf: Die werden heute weniger, die werden heute weniger! – Bundesrat Schennach: Da sitzen ein paar hier, die wissen’s! – Bundesrätin Schumann: ... Arbeit ...! – Zwischenruf der Bundesrätin Hahn.)

Die Sonderbetreuungszeit wird verlängert, gleichzeitig wird mit der Coronaarbeitsstiftung das größte arbeitsmarktpolitische Aus- und Weiterbildungsprogramm der Zweiten Re­publik geschaffen. Der Kinderbonus ist ausbezahlt worden, die einmalige Arbeitslosen­unterstützung ist bereits ausgezahlt worden. (Bundesrätin Hahn: Ja, aber ...!) Mit Oktober kommt zusätzlich zum Arbeitslosengeld der Bildungsbonus zur Auszahlung.

Ich glaube, wir alle hier im Saal sehen: Diese Regierung unternimmt wirklich alles Men­schenmögliche, um einerseits wertvolle Arbeitsplätze zu sichern und andererseits den Menschen (Bundesrätin Hahn: Dann fehlt ihnen den halben Tag ...!) in der Arbeits­losigkeit Hoffnung und Perspektive zu geben. (Beifall bei der ÖVP.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPÖ, zu Ihnen komme ich jetzt noch, weil die Aufregung jetzt schon so groß ist: Umso erschrockener – und ich muss fast sagen: erschütterter – war ich, als ich die Zahlen von Bundesratskollegen Schwindsackl gehört habe. Wenn alleine im SPÖ-dominierten Wien 60 Prozent (Zwischenruf der Bundesrätin Hahn) der Mindestsicherungsbezieher Österreichs leben, dann haben wir eine gehörige Schieflage, beziehungsweise zeigt dieses Faktum, dass das System Ludwig-Hacker sehenden Auges an die Wand fährt. (Ruf bei der FPÖ: Waren aber die Grünen auch dabei! Waren die Grünen auch dabei! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) Wenn von diesen 166 000 Beziehern (Bundesrat Schennach: Wie viel Steirer sind da dabei, wie


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viel Burgenländer, wie viel Niederösterreicher? Ein bissl denken, ein bissl denken ...!) – ich habe mir gedacht, dass die Aufregung kommt; die Wahrheit tut manchmal weh (Beifall bei der ÖVP – Zwischenrufe bei SPÖ und FPÖ), sie lässt sich aber nicht verleugnen – alleine über 50 000 Asylwerber sind, dann zeigt das des Weiteren (Zwi­schenruf der Bundesrätin Hahn), dass die Ludwig-SPÖ in Fragen der Integra­tions­politik völlig versagt hat und keine richtigen Antworten findet. (Bundesrätin Schumann: ... die SPÖ besser! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) – Ich lasse Sie einmal kurz zur Ruhe kommen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ohne Zweifel braucht und verdient unser Sozial­system große Akzeptanz und wir können in den meisten Bereichen stolz darauf sein. (Ruf: ... Steiermark ...!) Ohne Zweifel dürfen wir nicht die Zahl jener übersehen, die den Euro jeden Tag zweimal umdrehen, bevor sie ihn ein halbes Mal ausgeben können, und das tun wir auch nicht. Auf diese Menschen schauen wir nämlich. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Steiner: Auf die Wahlen schaut ihr!) Ohne Zweifel ist es unsere Pflicht, für jene zu sorgen, die in eine Notlage geraten sind und die nicht für sich selbst sorgen können.

Genauso wenig Zweifel darf es aber daran geben, dass unser System von manchen in Anspruch genommen wird, die gar nicht für sich selbst sorgen wollen (Bundesrätin Schumann: ... Steiermark! – Zwischenruf des Bundesrates Zaggl) und für die das Modell Mindestsicherung zu einem dauerhaften Lebensstil geworden ist. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenrufe bei der SPÖ.) Wien, die Stadt der Langzeitarbeitslosigkeit – einfach deshalb, weil der Verbleib in der Mindestsicherung (Bundesrätin Hahn: ... viele Großunternehmer ...! – weitere Zwischenrufe bei der SPÖ) mittlerweile finanziell besser ist, als arbeiten zu gehen. (Ruf: Die können nicht arbeiten gehen, wenn ihnen niemand Arbeit gibt!) Das ist ein widersinniges Ergebnis, das hat mit einer Notlage nichts zu tun. (Bundesrat Seeber: Richtig, richtig, richtig!) Wir dürfen nicht zulassen, dass der der Dumme ist, der aufsteht, arbeiten geht, seine Familie ernährt und Steuern zahlt. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Zum Abschluss – ich komme zu meinem letzten Satz –: Ich kenne viele aufrichtige Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann – Heiterkeit des Bundesrates Novak), die SPÖ hat früher einmal den Ausgleich zwischen den fleißigen Arbeitenden und den Nichtarbeitenden gesucht. Warum die Sozial­demo­kratie nur mehr die Interessen der Empfänger vertritt (Zwischenrufe bei der SPÖ), ist mir persönlich unverständlich. Uns als Volkspartei wird das sicher nicht passieren. – Alles Gute und bleiben Sie gesund! (Beifall bei der ÖVP. – Ruf: Bravo, ja!)

12.45


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Bundes­rat Rudolf Kaske. – Bitte, Herr Bundesrat. (Ruf: Jetzt könnt ihr ein bisserl ... importieren!)


12.46.03

Bundesrat Rudolf Kaske (SPÖ, Wien): Sehr geschätzter Herr Präsident! Meine ge­schätzten Damen und Herren Bundesminister! Liebe Mitglieder des Bundesrates! Eigentlich geht es ja heute, glaube ich, um den Sozialbericht, doch einige können es anscheinend nicht lassen und versuchen, dies heute als Wahlkampfbühne zu nützen. (Bundesrätin Mühlwerth: Ja, das war immer schon so! Das machts ihr ja auch!) – Jaja. Ich denke, man muss daher natürlich auch einiges, was in dieser Debatte gesagt worden ist, zurechtrücken. Bevor ich das aber tue, zum Grundsätzlichen: Ich denke, dass mit Sonntag das Wienbashing vorbei ist, und ich gehe davon aus, dass sich bei einigen, die heute hier dieses Wienbashing betrieben haben, die Reihen bis zur Bundesratssitzung im November lichten werden. (Beifall bei der SPÖ.)


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Zum Ersten, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil Wien als unsichere Stadt ange­sprochen worden ist: Ich glaube, es ist nicht verborgen geblieben, dass Wien eine der sichersten Städte ist, und sie wäre wahrscheinlich noch sicherer, wenn zum Beispiel Innen­minister – einer kam seinerzeit aus der FPÖ – Wien noch mehr Polizisten gegeben hätten. (Bundesrat Steiner: Hat Herbert Kickl aber in Ausbildung geschickt alle, nur kann man sie halt nicht ausbilden von heute auf morgen!) – Jaja, die Polizeipferde hat Herbert Kickl ausgebildet. (Bundesrat Saurer: Dass s’ jetzt nimmer kommen, können wir nix dafür! – Bundesrat Steiner: Jetzt sind die Ausbildungen halt eingestellt worden vom Flex, Minister Flex!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der ehemalige Bürgermeister der Stadt Wien hat ja gesagt: Wahlkampfzeiten sind die Zeiten fokussierten Unsinns. – Das trifft auf die heutige Debatte sehr zu, deswegen möchte ich, wie gesagt, hier auch einiges zurecht­rücken. Es sind zum Beispiel Arbeitsplätze in Wien angesprochen worden, aber nicht nur heute, sondern auch schon in den letzten Sitzungen: Wien und die Betriebe in Wien sind hervorragende Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber für Tausende Menschen, nicht nur aus Wien, sondern auch aus den Umlandgemeinden. Das sollten Sie immer mit­denken, wenn Sie Wien angreifen. Wien verfügt, wie gesagt, über hervorragende Be­triebe, und Wien verfügt auch – und das möchte ich Ihnen auch bei dieser Gelegenheit noch sagen – über ein soziales Netz, das sich im Vergleich zu jenem von manch anderen Ländern sehen lassen kann. Das sei hier klar und deutlich gesagt.

Noch etwas, vor allen Dingen an die Kolleginnen und Kollegen, die aus dem Arbeit­geberlager kommen: Wien ist auch eine der Hauptstädte, in denen es Hunderte neue Betriebsansiedlungen pro Jahr gibt. Das muss uns einmal jemand nachmachen! Das möchte ich Ihnen auch mit auf den Weg geben. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Saurer.)

Des Weiteren wurde in der Debatte auch der Wohnungsmarkt des Öfteren ange­sprochen. Ich sage es sehr klar und deutlich, damit es für alle verständlich ist: Wien überlässt den Wohnungsmarkt nicht den Spekulanten. (Ruf bei der FPÖ: Aber den Zuge­wanderten, aber den Zuwanderern überlassts den Wohnbau! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) Wie Sie ja wissen, sind zwei Drittel aller Wohnungen in Wien Sozial­wohnungen zu sozial verträglichen Konditionen. Ich weiß natürlich schon, dass es einige, wie etwa Kollegen Pisec und andere, stört, dass, wie gesagt, nicht die Spekulanten das Sagen haben, sondern dass sehr klar und deutlich geregelt ist, wie der Wohnungsmarkt in Wien funktioniert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will es nicht zu lang machen, aber zum Schluss – mit Verlaub, und niemand soll es persönlich nehmen –: Was wäre Österreich ohne Wien? Das möchte ich Sie bitten, bei Ihren Ergüssen hier zu bedenken. (Bundesrat Steiner: Ja, aber Wien ist nicht sozial, sondern sozialistisch, das ist ja nicht, du bist ja nicht ...! – Bundesrätin Mühlwerth – erheitert –: Ja, aber nicht mit der SPÖ - -, ist nicht im Eigentum der SPÖ! – Bundesrat Steiner: Aber Wien gehört nicht der SPÖ! Wien gehört nicht der SPÖ! Wien gehört nicht der SPÖ!) – Mann von den Bergen, Mann von den Bergen, Kollege Steiner, im Unterschied zur FPÖ, die nicht einmal das Wort demo­kratisch in ihrem Namen hat, hat die Sozialdemokratie das in ihrem Namen, ganz klar. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrätin Mühlwerth: Ja, aber erst, seit sich die Kom­munisten Sozialisten nennen! Ruf: Ja, genau! – Bundesrätin Mühlwerth: Aber erst, seit die Kommunisten ...! – Bundesrat Steiner: Bei uns ist das in der DNA, das müssen wir nicht obligatorisch in den Namen schreiben, weißt du?!) – Jaja.

Ich würde alle Kolleginnen und Kollegen, die glauben, sich hier mit einer Debatte über Wien verwirklichen zu müssen, eher ersuchen (Bundesrat Steiner: Nicht Wien! Nehmts nicht immer Wien! Es gehört ja nicht euch!), den Ausgleich zu suchen – weil es um Wien


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und um Österreich, um die Republik geht. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

12.51


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bun­desrat Christoph Steiner. Ich erteile es ihm. (Bundesrat Steiner: Bitte? Nein, Rösch!) – Entschuldigung, dann habe ich da eine falsche Meldung. – Bitte, Kollege Rösch.


12.51.43

Bundesrat Ing. Bernhard Rösch (FPÖ, Wien): Die Dünnhäutigkeit der SPÖ, muss ich ganz ehrlich sagen, verwundert mich jetzt schon. Ihr eröffnet das Match und glaubt dann, dass alle schweigen und euch applaudieren werden?! – Das habt ihr doch wirklich nicht geglaubt. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf der Bundesrätin Grimling.)

Wenn ihr schon den schönen Vergleich mit dem Wort demokratisch im Namen nennt, dann erinnere ich euch daran, dass die größten Taten nach 1900 die Sozialisten voll­bracht haben, und seitdem die Sozialdemokraten in Österreich im Parlament sind, ist nichts So­ziales mehr gekommen (Zwischenruf der Bundesrätin Grimling), also dürftet ihr euch in Wirklichkeit gar nicht der Taten der Vorgänger rühmen. (Beifall bei der FPÖ. – Neuer­licher Zwischenruf der Bundesrätin Grimling. – Zwischenruf der Bundesrätin Hahn.)

Die Sache, die ihr zusammengebracht habt, ist – ich kann mich ja noch gut daran erinnern, es ist noch nicht so lange her – das Sale-and-lease-back – ich habe da nie hinter die SPÖ-Machenschaften geschaut –, bei dem man Kanalnetze und so weiter ganz einfach verschachert hat, dann teuer wieder zurückkaufen musste; und das Geld, das man dabei gemacht hat, hat man alles verloren, weil man spekuliert hat. (Anhaltende Zwischenrufe bei der SPÖ.) – Na ja, ihr habt das Match eröffnet und ihr kriegt es auch, das kann ich euch sagen.

In Linz, wo es um die Swaps gegangen ist, in Salzburg, wo es um die Spekulationen gegangen ist, hat es wenigstens Gerichtsverfahren gegeben. In Wien fehlen den Bürgern Hunderte Millionen, da fehlt es dem Wohnbau, und man schwindelt sich drüber, man tut immer so, als würde das Ganze sich nicht ausgehen, weil man den Sozialstaat so weit unterstützt. – Nix, verzockt habt ihr es – und deswegen hat Wien so viel Armut, Langzeitarbeitslosigkeit, arme Kinder und, und, und! Das ist der Sozialdemokratie ganz einfach anzuheften. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenrufe bei ÖVP und SPÖ.)

Rudi sagt: Wien ist so toll. – Sicher! Ich kann von einer bestimmten Situation berichten – man soll nie die eigenen Beispiele hernehmen, ja, aber mein Kind war betroffen –: Mein Kind ist in der U6 (Bundesrätin Grimling: Ja, ja, ja!) mit seinem Freund überfallen worden, hat das Handy und die Brieftasche abgeben müssen. Weil sein Freund nicht gleich reagiert hat – wie mein Sohn, der das Gott sei Dank gescheiterweise hergegeben hat –, haben sie ihn gegen das Knie getreten, dass die Bänder ab waren. Wenn das eine sichere Stadt ist, wenn das die wünschenswerte Stadt ist, die die Sozialdemokratie sich vorstellt (neuerlicher Zwischenruf der Bundesrätin Grimling), dann, muss ich ganz ehrlich sagen, wird es Zeit, dass Ludwig nicht mehr an die Macht kommt, sehr bald wegkommt, und ihr habt wirklich nur Glück, dass die Coronakrise alles überdeckt. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrätin Grimling: ... sozial du bist! Ja, aber angefangen hast du!)

12.54


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Rudolf Anschober. – Bitte, Herr Bundesminister.


12.54.46

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Rufe und


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Gegenrufe zwischen SPÖ und FPÖ.) – Ihr braucht mich offensichtlich eh nicht, weil ihr da einen sehr intensiven Diskurs miteinander pflegt. (Ruf: ... emotionalisiert!) – Ja, das wird sich wieder legen, denke ich, und das ist gut so.

In den letzten 48 Stunden hatte ich die Freude, viel im Parlament sein zu dürfen, und es war interessant, dass da das Wort Wien sehr häufig vorgekommen ist. Ich weiß ja nicht, warum das so ist, aber ich kann nur sagen: Ich habe jetzt seit 7. Jänner meinen Arbeitsplatz am Stubenring 1. Ich erlebe diese Stadt erstmals in meinem Leben intensiver und habe den Eindruck, das ist eine gute Stadt (Beifall bei Grünen und SPÖ), so wie wir in Österreich viele gute Städte (Zwischenruf des Bundesrates Saurer), viele kleine Gemeinden, die toll sind, haben. Wir sollten uns nicht gegenseitig madigmachen, weil es viel Arbeit ist, die dahintersteckt, dass wir Städte und Kommunen so entwickeln, wie das notwendig ist – und darauf sollten wir eigentlich gemeinsam stolz sein. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Zweiter Punkt: Das Thema des aktuellen Tagesordnungspunkts ist ja der Sozial­be­richt 2019 der Bundesministerin für Arbeit, Soziales et cetera. Jetzt fühle ich mich nicht so ganz angesprochen, wie ihr vielleicht verstehen werdet, aber ich möchte auf jeden Fall schon ein bisschen den Blick nach vorne richten, weil wir natürlich in einer extrem problematischen Situation sind, und bei vielen Rednerinnen und Rednern ist das ja auch herausgekommen.

Was haben wir? – Wir haben auf diesem Planeten die schwerste Pandemie seit 100 Jah­ren, wir haben die schwerste Rezession seit 90 Jahren. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner. – Heiterkeit der BundesrätInnen Mühlwerth und Steiner.) Wir haben auch bei uns in Österreich den größten Beschäftigungsrückgang seit den Fünfzigerjahren. Das ist eine gigantische Herausforderung, und uns da einfach gegenseitig Vorwürfe zu machen, bringt uns nicht weiter.

Wir stehen vor einer unfassbaren Herausforderung. Meiner Einschätzung nach wird es ganz stark darum gehen, dass die Menschen vor allem wieder in Beschäftigung kom­men; deswegen ist es gut, dass unsere Frau Arbeitsministerin, mit der ich gerne und gut zusammenarbeiten darf, heute auch schon bei dieser Debatte hier ist. Wir werden da noch viel Innovation brauchen, damit wir wieder die Beschäftigungszahlen bekommen, die erforderlich sind. Ich denke, dass gerade die Umqualifizierungsmaßnahmen, die wir ja in der Bundesregierung grundsätzlich schon beschlossen haben, auch eine Chance für Berufsgruppen sind, die eine besondere Zukunft und einen besonderen Bedarf haben.

Denken Sie mit mir etwa an die Fragen der grünen Technologien, für die wir viel Geld in die Hand nehmen! Erstmals werden in dieser Republik 2 Milliarden Euro in den Klima­schutz investiert. Das ist erstens höchst notwendig, um das Klima zu schützen, und im Übrigen auch, um für die nächsten Generationen eine lebenswerte Stadt zu erhalten – denn gerade in einer Großstadt heizen sich die Temperaturen noch einmal stärker auf, als dies in ländlichen Strukturen der Fall ist. Zweitens ist es eine ganz große be­schäftigungspolitische Chance, zukünftig in diesen Bereichen auch Jobs zu schaffen. – Das ist der eine Bereich, für den ich nicht unmittelbar zuständig sein darf.

Wofür ich aber unmittelbar zuständig sein darf, ist der zweite große Chancenbereich, und das sind die Berufe im Bereich der Pflege. Wir haben einen Bedarf von zusätzlich rund 100 000 neuen Pflegerinnen und Pflegern. Ich denke, die gegenwärtige Situation wäre doch wirklich prädestiniert, dass wir in dieser Phase, in der es viele Menschen gibt, die Arbeit suchen, Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze in einem Bereich zur Verfügung stellen, in dem der Bedarf groß ist und in dem gleichzeitig eine extrem sinnstiftende Tätigkeit realisiert werden kann – das wollen wir auch so verwirklichen. In der Krise gibt es also auch Hoffnungsschimmer, eine Perspektive und auch eine Chance.


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Wir wissen, dass wir ein ganz großes gemeinsames Ziel haben – und das wird uns ja in diesem Haus alle einen –, nämlich dass wir vermeiden wollen, dass die größte Gesund­heitskrise auch zu einer schweren Sozialkrise wird. Das wollen wir mit aller Kraft ver­meiden, und dazu braucht es ein paar wesentliche Weichenstellungen.

Die erste Grundvoraussetzung ist einmal, dass wir die Gesundheitskrise in den Griff kriegen, denn je kürzer die Gesundheitskrise ist, desto größer sind die Chancen, dass wir auch wirtschaftlich wieder gut aus dieser schwierigen Situation herauskommen. Es braucht daher auch alle Kraft für die Eindämmung der Pandemie. Die aktuellen Zahlen sind bei uns in Österreich nicht erfreulich, sie sind auch in ganz Europa nicht erfreulich. Bei unseren Nachbarn in Tschechien und in der Slowakei gehen die Zahlen dramatisch nach oben, aber auch bei uns steigen sie.

Wir sind heute bei rund 1 200 neu infizierten Personen bei rund 21 000 Testungen. Diese Zahlen sind nicht hundertprozentig mit den Zahlen des Frühlings vergleichbar, weil wir ein Vielfaches mehr an Testungen haben – aber dennoch steigen sie an. Das ist die negative Nachricht, die wir haben, und auch aus sozialpolitischer und wirtschafts­politi­scher Sicht müssen wir da mit aller Kraft dagegenhalten und die Pandemie eingrenzen.

Zweiter Punkt: Was die sozialen Auswirkungen betrifft, haben wir als Sozialministerium vor einigen Wochen eine große Studie über die soziale Lage in Österreich nach Beginn der Pandemie in Auftrag gegeben. Die ersten Ergebnisse liegen nun vor, sie sind, denke ich, doch sehr spannend, und sie zeigen, wie groß die Herausforderungen sind. Sie zeigen aber auch, dass es uns ganz gut gelungen ist, am Start dieser Krise und mitten in der Krise selbst die Auswirkungen im Sozialbereich zumindest massiv abzudämpfen und stark dagegenzuhalten. Wir haben den ersten Teil dieser großen Studie über die soziale Situation in Österreich in der vergangenen Woche, am vergangenen Donnerstag präsentiert, und da war die Grundaussage von renommierten Instituten wie dem Wifo und dem IHS, dass die Coronakrise massiv war und ist, dass sie aber durch die Sozial- und Wirtschaftspolitik der Regierung bisher ganz wesentlich abgefedert werden konnte. Durch Staatshilfen sei es gelungen, die Einkommensverluste in Grenzen zu halten. Das heißt, der erste Anspruch, das erste Ziel ist einmal ganz gut im Gelingen, aber wir sind bei Weitem noch nicht durch, da gebe ich allen Kritikerinnen und Kritikern, Warnerinnen und Warnern absolut recht.

Was bedeutet das, wenn es derzeit Beschäftigungsverluste gibt? Was bedeutet das alles für Menschen, die schon früher armutsgefährdet gewesen sind, etwa weil sie Alleinerzie­herInnen sind, weil sie anderswo geboren sind – auch das ist ein wissenschaftlich belegter Faktor für Armutsgefährdung – oder, drittens, weil sie langzeitarbeitslos sind? In all diesen Gruppen, die armutsgefährdet sind, verstärken sich natürlich in der jetzigen Situation das Risiko und der Druck. Genau deswegen haben wir die Studie in Auftrag gegeben, um spezifische Detailmaßnahmen für das Gegensteuern zu erarbeiten. Wir werden in der Bundesregierung ja einen nationalen Aktionsplan gegen Armut erar­bei­ten – und das sehe ich als den Kern meines Jobs als Sozialminister –, damit wir gerade für diese Gruppen aktiv gegensteuern können. Das ist, glaube ich, eine absolute Not­wendigkeit.

Wir haben heute den zweiten Teil der Studie vorgelegt, der Armutsgefährdung in dieser schwierigen Phase betrifft. Die Autoren waren unter anderem die Kollegen von der Armutskonferenz, die für uns in dieser Frage ein guter Partner mit enormem Know-how sind. Punkt eins: Auch da wurde davor gewarnt, dass es, aus dieser schwierigen Wirt­schaftslage herauskommend, gerade auch mittel- und langfristige Folgen geben kann, nämlich in zwei, drei Jahren. Punkt zwei: Genau da brauchen wir die Maßnahmen gegen zusätzliche Armutsgefährdung und gegen neue Armut. Zudem werden wir die Haupt­auswirkungen in zwei, drei Jahren gerade in den Bereichen der AlleinerzieherInnen und


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der Langzeitarbeitslosen sehen, wenn wir nicht rasch zusätzlich und spezifisch für diese drei genannten Gruppen noch einmal akuter gegensteuern.

Das ist eine Herausforderung, aber wir sind, glaube ich, auf einem guten Weg. Wir haben einen guten Start gehabt; wir haben sehr, sehr viel Geld in die Hand genommen, das muss man auch sagen. Ich glaube, dass es absolut richtig war und richtig ist, derzeit Geld in die Hand zu nehmen, um die Krise abzudämpfen und um zu vermeiden, dass daraus eine wirklich schwere soziale Krise entsteht.

Das ist im Wesentlichen das, was ich Ihnen im Moment an Informationen über die Studie und die aktuelle soziale Lage kommunizieren kann. Ich denke, wir werden die Studie nächste Woche dann final präsentieren und sie dann auch gerne jedem Abgeordneten und jeder Abgeordneten, jedem und jeder BundesrätIn zur Verfügung stellen.

Es sollte einfach ein gemeinsamer Grundkonsens sein, auf Basis der Aussagen der führenden WirtschaftswissenschaftlerInnen und SozialwissenschaftlerInnen gemeinsam diese Gegenmaßnahmen zu setzen, die es in Österreich noch braucht, damit wir auch durch diese schwerste Rezession seit 90 Jahren halbwegs gut durchkommen. Das muss, denke ich, der Grundkonsens in dieser Republik sein. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

13.04


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Zu Wort gemeldet hat sich auch Frau Bundesministerin Mag.a Christine Aschbacher. – Bitte, Frau Bundesministerin.


13.05.06

Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend Mag. (FH) Christine Aschbacher: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Lieber Herr Minister! Liebe Bundesrätinnen und Bun­desräte! Auch als Arbeitsministerin darf ich mich kurz bezüglich des aktuellen Berichtes zu Wort melden, der ja in die Vergangenheit blickt. Ich möchte aber gerne auf die Gegenwart und auf die letzten Monate, vor allem aber auch darauf, was das ab jetzt bedeutet, schauen.

Die Prognosen sind unterschiedlich. Wir rechnen mit einem Anstieg der Arbeitslosig­keit – auch aufgrund der saisonal bedingten Arbeitslosigkeit, die wir jedes Jahr ver­zeichnen; heuer befinden wir uns aber zusätzlich aufgrund der Coronapandemie in einem Ausnahmejahr. Dementsprechend ist die Lage am Arbeitsmarkt ernst: Laut den aktu­ellen Zahlen befinden sich zurzeit 405 000 Menschen auf Arbeitsuche oder in Schulung.

Zugleich geht es uns auch darum, dass die dritte Phase der Kurzarbeit nun mit Oktober gestartet hat, es sind noch rund 300 000 Menschen in Kurzarbeit. Im Vergleich zum Höchststand, als es 1,37 Millionen Menschen waren, konnten wir schon über eine Million Menschen wieder in Normalbeschäftigung bringen.

Die krisenbedingte Arbeitslosigkeit liegt bei circa 72 000 Personen – alles steht immer im Vergleich zu den Zahlen des Vorjahres um diese Zeit –, und zugleich war es möglich, in den letzten Monaten trotz der herausfordernden Zeit, in der wir uns nach wie vor befinden, über eine halbe Million Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen.

Ich möchte dazu noch kurz erwähnen, dass wir – natürlich in enger Abstimmung mit der gesamten Bundesregierung – auf den Herbst und Winter vorbereitet sind. Unser arbeits­marktpolitischer Instrumentenkoffer ist gefüllt, wie beispielsweise mit dem Neustart­bonus, der Eingliederungsbeihilfe, die zum Beispiel konkret auf die älteren Arbeitsuchen­den abzielt, aber auch mit den zwei großen Programmen: Einerseits ist das die Corona­kurzarbeit, um Menschen weiterhin in Beschäftigung zu halten und auch Unternehmen durch die Krise zu führen, damit sie eben, wenn wieder mehr und mehr Aufträge einlangen, dann auch wieder mit dem bewährten Team weiterarbeiten können. Das


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zweite große Programm ist die Joboffensive, in die auch ein Großteil der Arbeits­stif­tungen mit hineinfließt, die regional, vor Ort, dort, wo sie gezielt die Menschen unter­stützen können, eingesetzt werden, natürlich gemeinsam mit den Sozialpartnern über unser AMS. Wir investieren damit 700 Millionen Euro in Aus- und Weiterbildung, dort, wo es gebraucht wird, nämlich in die Menschen, damit sie auch fit für die Zukunft am Arbeitsmarkt sind.

Mir als Arbeitsministerin ist es wichtig, dass wir auch konkrete Schwerpunkte für all jene Zielgruppen haben, von denen wir jetzt schon wissen, dass sie vor besonderen Heraus­forderungen stehen. Dementsprechend ist es auch mit dem AMS so vereinbart, dass wir diese Zielgruppen besonders unterstützen – zum Beispiel mit einem Schwerpunkt auf Frauen, bei dem wir auch gezielt Wiedereinsteigerinnen, und das sind besonders Mütter, mit den Programmen, die schon gut laufen, aber auch mit neuen, unterstützen.

Bleiben wir also dementsprechend dran! Wichtig ist, dass wir jetzt auch gemeinsam durchhalten. Als ein Beispiel möchte ich auch noch die Jugendlichen erwähnen: Wir haben im Frühsommer gemeinsam mit dem Sozialminister, der Wirtschaftsministerin und dem Bildungsminister die Taskforce für Jugendbeschäftigung – federführend ist mein Ressort – eingerichtet. Uns ist es österreichweit gelungen, mit zahlreichen Maß­nah­men die Lehrstellenlücke wieder in einen Lehrstellenüberhang umzuwandeln. Aller­dings muss ich schon auch anmerken, dass wir da regionale Unterschiede haben: In zahlreichen Bundesländern haben wir wieder einen Lehrlingsmangel, aber in den Groß­städten, wie beispielsweise in Wien, verzeichnen wir, dass sieben Jugendliche sich auf eine Lehrstelle bewerben. Es ist also nach wie vor Bedarf gegeben.

Wir werden diesbezüglich sicher nicht lockerlassen und auch mit vereinten Kräften über die Ausbildungs- und Weiterbildungsschiene intensiv in die Menschen investieren, damit sie dann wieder für die Zukunftsjobs bereit sind, in denen wir sie auch brauchen. – Danke vielmals. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Zwischenruf der Bundesrätin Hahn.)

13.09

13.09.25


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Die Debatte ist damit geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Ing. Bernhard Rösch, Kolleginnen und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend „Freiheitliches COVID-19-Maßnahmenpaket“ vor. Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenminderheit. Der Antrag ist damit abgelehnt.

13.10.164. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 23. September 2020 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Kinderbetreuungsgeldgesetz geändert wird (368 d.B. sowie 10422/BR d.B.)



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Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Wir gelangen nun zum 4. Punkt der Tages­ordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Elisabeth Mattersberger. – Ich bitte um den Be­richt.


13.10.35

Berichterstatterin Elisabeth Mattersberger: Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Familie und Jugend über den Beschluss des Nationalrates vom 23. September 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Kinderbetreuungsgeldgesetz geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor.

Des Weiteren bringe ich folgende Druckfehlerberichtigung zum Bericht des Ausschusses für Familie und Jugend mit der Beilagennummer 10422 zur Kenntnis:

„Zur Korrektur eines technischen Versehens wird im gegenständlichen Ausschuss­an­trag“ an das Plenum „das Datum ‚25. September 2020‘ durch das Datum ‚6. Oktober 2020‘ ersetzt.“

Ich komme zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Familie und Jugend stellt nach Beratung der Vorlage am 6. Oktober 2020 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Na­tionalrates keinen Einspruch zu erheben.


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Danke für den Bericht.

Wir gehen damit in die Debatte ein.

Als Erste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ing.in Isabella Kaltenegger. – Bitte, Frau Bundesrätin.


13.12.10

Bundesrätin Ing. Isabella Kaltenegger (ÖVP, Steiermark): Herr Präsident! Geschätzte Frau Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte ZuseherInnen zu Hause! Ich möchte heute mit einem Zitat des großen katholischen Sozialreformers Adolph Kolping beginnen. Kolping erlernte das Handwerk des Schusters, wurde erst mit 31 Jahren zum Priester geweiht, und im Zuge der industriellen Revolution gründete er einen katholischen Gesellenverein, um der drohenden Verarmung der Arbeiterschaft entgegenzuwirken und den Jugendlichen eine Perspektive aufzuzeigen.

Zum Thema Familie sagte er: „Das Erste, das der Mensch im Leben vorfindet, das Letzte, wonach er die Hand ausstreckt, das Kostbarste, was der Mensch im Leben besitzt, ist die Familie.“ Ich beginne mit diesem Zitat, weil es auch heute in diesem Punkt um die Familie geht und wir auch heute darauf schauen müssen, welche Gruppen in unserer Gesellschaft von den aktuellen Entwicklungen besonders negativ betroffen sind.

Mit der hier vorliegenden Regelung sollen Familien, die vor Jahren einen Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld in Anspruch genommen haben, entlastet werden. Dieser Zu­schuss war als eine Art Familienkredit zu sehen, und von den Rückforderungen dieser Zuschüsse aus den Jahren 2015 und 2016 wird nun Abstand genommen. Bereits be­scheidmäßig festgesetzte Abgaben, die die Jahre 2015 und 2016 betreffen, werden auch wieder rückabgewickelt. Diese Bereinigung der alten Novelle umfasst circa 4 000 Fälle, und es handelt sich um einen Betrag von 4 Millionen Euro, also durchschnittlich 1 000 Euro pro Antragsfall.

Die Covid-19-Krise führt nicht nur bei den Unternehmen zu existenzbedrohenden Situ­ationen, sondern auch viele Familien stehen vor großen Herausforderungen. Die Bun­desregierung hat ein beachtliches Maßnahmenpaket in Gang gesetzt, das insbesondere


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Familien hilft, die Auswirkungen der Covid-Krise so weit wie möglich auszugleichen: die Auszahlung des Kinderbonus im September, die Aufstockung des Familienhärtefonds auf 100 Millionen Euro. Dazu haben wir bereits 111 775 Anträge, 93 Prozent sind bereits bearbeitet und 91 Millionen Euro zur Auszahlung freigegeben – nur damit man diese Dimension betrachtet. Die Anhebung der Zuverdienstgrenze für Studenten auf 15 000 Euro und die Verlängerung der Sonderbetreuungszeit für Eltern sind nur einige Beispiele. Diese Maßnahmen zeigen, dass nicht nur geredet wird, sondern sehr konkrete und zielgerichtete Maßnahmenbündel erarbeitet wurden, die dort ansetzen, wo es am dringendsten notwendig ist. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP und bei BundesrätInnen der Grünen.)

13.15


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Mag.a Sandra Gerdenitsch ist als Nächste zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Bundesrätin.


13.15.36

Bundesrätin Mag. Sandra Gerdenitsch (SPÖ, Burgenland): Hohes Präsidium! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe ZuschauerInnen zu Hause via Livestream! Die SPÖ begrüßt natürlich den Verzicht auf die Rückzahlungen der Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld. Natürlich kommt auch diese Maßnahme den Familien, die in Krisenzeiten unbeschreiblich viel zu stemmen haben, zugute. Die Rege­lung hat die Kollegin vor mir ja bereits erklärt: Es geht um die Zuschüsse zum Kinder­betreuungsgeld in den Jahren 2015 und 2016.

Viele Familien – und ganz besonders viele AlleinerzieherInnen – sehen sich durch die Coronakrise in ihrer finanziellen Existenz massiv bedroht und erfahren durch diese Anpassung jetzt eine Erleichterung, indem sie diesen sogenannten Familienkredit nicht zurückzahlen müssen. Gerade jetzt sind vielen Familien aufgrund der Coronakrise große Teile des Einkommens weggebrochen, und diese Rückzahlung hätte aus dem aktuellen Einkommen gezahlt werden müssen. Das ist sozial nicht vertretbar und würde die davon Betroffenen massiv belasten. Ein weiterer Anstieg von Kinderarmut wäre die Folge. Das ist ein guter und richtiger Schritt für die Familien in Österreich, den wir Sozialdemo­kratin­nen und Sozialdemokraten gerne unterstützen werden.

Sehr geehrte Frau Ministerin, wenn wir schon beim Thema Kinderbetreuungsgeldgesetz sind: Es ist auch an der Zeit, dass weitere Baustellen in diesem Gesetz in Angriff genommen werden. Wir von der SPÖ weisen insbesondere etwa auf die schwere Erfüll­barkeit der Voraussetzungen des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes gerade in diesen Zeiten der Arbeitsmarkt- und Gesundheitskrise hin.

Bitte unternehmen Sie diesbezüglich schleunigst etwas – wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind für Gespräche bereit!

Die Covid-19-Pandemie bringt nicht nur eine Gesundheitskrise mit sich, sondern be­deutet auch eine massive soziale und wirtschaftliche Notlage. Diese Faktoren werden uns noch viele Jahre beschäftigen. Unsere Aufgabe ist es nun, den Menschen im Land eine Perspektive zu geben. (Beifall bei der SPÖ.)

Politik in der Coronapandemie darf nicht nur Krisenbewältigung bedeuten, sondern muss auch die Zukunft gestalten. Gerade dabei muss gelten – ich zitiere Bundeskanzler Kurz –: „Koste es, was es wolle!“ Denn hinter all diesen Zahlen, die wir tagtäglich lesen, stehen Menschen, Einzelschicksale, Schicksale ganzer Familien. Es geht um Familien, es geht um die Frauen, es geht um viele Alleinerziehende, und es geht um Kinder. Die Menschen in diesem Land verdienen und brauchen diese Unterstützung. Es kann doch nicht in Ihrem Interesse sein, die Menschen jetzt zurückzulassen. Es sind doch auch sehr viele Wählerinnen und Wähler Ihrer Fraktionen darunter.


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Übersehen wir bitte nicht die außerordentlichen Leistungen von Familien! Viele davon sind Alleinerziehende, Ein-Eltern-Familien. 90 Prozent davon sind Frauen. Gerade für sie würde ein Rechtsanspruch auf Sonderbetreuungszeit, den Sie ja leider abgelehnt haben, für Planungssicherheit sorgen und den Eltern – insbesondere den Müttern, die den Löwenanteil der Betreuung stemmen – einen Teil der Ängste nehmen. Vielleicht überdenken Sie Ihre Einstellung diesbezüglich ja noch. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Schennach: Den Härtefallfonds endlich auszahlen!) – Genau, ich stimme dem Kollegen zu.

Die Probleme der Menschen müssen jetzt gelöst werden, die Lage am Arbeitsmarkt ist dramatisch. Wir erwarten im Winter eine Rekordarbeitslosigkeit: die höchste Arbeits­losigkeit seit 1946. Herr Kurz hat in seinen fast drei Jahren als Kanzler Langzeitarbeits­losen die Perspektive genommen, er hat beispielsweise die Aktion 20 000 abgeschafft und das AMS-Budget um über 600 Millionen Euro gekürzt. Es braucht auch eine spür­bare Steuersenkung um 1 000 Euro pro Jahr für kleinere und mittlere Einkommen sowie die Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent.

Als Landesfrauengeschäftsführende der SPÖ Frauen Burgenland gilt mein großes Interesse den Frauen und ihren Lebensrealitäten. Wir haben in Eisenstadt ein offenes Haus, ich führe sehr viele Gespräche mit den betroffenen Frauen. In der Krise benötigen sie unsere Unterstützung noch mehr. Es gibt Sorgen: Wie werde ich meine Heiz­rechnung bezahlen? Was gibt es zusätzlich zum Heizkostenzuschuss? Man weiß nicht, wie man die Schulkosten stemmen soll, wie man für einen gefüllten Kühlschrank sorgt. Es gibt wirklich solche Schicksale, auch wenn man es sich vielleicht nicht vorstellen kann.

Wir brauchen jetzt dringend ein Konjunkturpaket für die Frauen, denn Frauen dürfen nicht die Verliererinnen der Krise sein, so wie es sich im Moment abzeichnet. Die neuesten Zahlen belegen, dass die Arbeitslosigkeit bei Frauen langsamer als bei Männern sinkt. Frauen sind länger und öfter arbeitslos, und sie erhalten natürlich ein niedrigeres Arbeitslosengeld. Die Coronakrise verstärkt die soziale Ungleichheit in Österreich. Deshalb fordern wir von der SPÖ unter anderem, dass 50 Prozent der AMS-Mittel fix für Frauen gebunden werden, dass es einen Mindestlohn von 1 700 Euro netto gibt, und auch die Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen brauchen einen klaren frauen­politischen Fokus.

Ich darf Sie auch auf den bevorstehenden Equal-Pay-Day hinweisen, der leider am 22. Oktober stattfindet – Ziel wäre es, dass dieser am 31. Dezember stattfindet. Ab diesem Tag arbeiten Frauen statistisch gesehen gratis, oder anders ausgedrückt: An diesem Tag haben Männer bereits jenes Einkommen erreicht, für das Frauen bis Jah­resende noch arbeiten müssen. (Beifall bei der SPÖ.) In Zahlen bedeutet dies, dass Frauen in Österreich 71 Tage gratis arbeiten.

Deshalb nochmals meine Botschaft an Sie: Die Politik in der Coronapandemie darf nicht nur Krisenbewältigung bedeuten, sondern muss auch die Zukunft gestalten, und das Schließen der Lohnschere fällt ganz eindeutig hinein. Es gibt noch viel zu tun in diesem Land. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

13.21


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Bun­desrat Thomas Dim. – Bitte.


13.22.04

Bundesrat Thomas Dim (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Die Abstandnahme von Rückforderungen von Zuschüssen zum Kinderbetreuungsgeld für die Jahre 2015 und


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2016 gibt den Familien eine gewisse Rechts- und Planungssicherheit und nimmt ihnen damit das Damoklesschwert einer möglichen Rückzahlung. Wir Freiheitliche werden diesem Antrag natürlich zustimmen.

Gerade in diesen in finanzieller und auch arbeitsplatzmäßiger Hinsicht unsicheren Zeiten ist jede Unterstützung für Familien zu begrüßen. Leider fand ja gerade unser Antrag auf Verdoppelung der Familienbeihilfe für die Monate der coronabedingten Schulschließung keine Mehrheit, wie schon im Nationalrat. Viele Eltern haben in dieser Zeit neben Home­office oft auch die pädagogische Betreuung ihrer Kinder übernommen und mussten bei Kurzarbeit oder gar Kündigung auch noch auf einen Großteil ihres Familieneinkommens verzichten.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich anmerken, dass der kostenlose Bildungszugang an Pflichtschulen eigentlich nur auf dem Papier besteht. In der Realität sieht es leider anders aus. Es gibt zwar in öffentlichen Schulen kein Schulgeld zu bezahlen und ein Großteil der Schulbücher wird den Schülerinnen und Schülern gratis zur Verfügung gestellt, aber die jährlichen Beiträge für Lehrmittel, Sportwochen, Exkursionen und Workshops summieren sich, und auch die Kosten für Schulartikel und Laptops gehen in die Hunderte Euro. Wie gesagt: Schade, dass unser Vorschlag keine Mehrheit gefunden hat.

Ich darf dazu vielleicht noch zwei kleine Beispiele bringen: Bei den jährlichen Preis­vergleichen der Arbeiterkammer für Schulartikel werden aufgrund von Qualitätsunter­schieden oft Äpfel mit Birnen verglichen. Ein Schulheft ist aufgrund der Papierqualität nicht eins zu eins mit einem anderen zu vergleichen, auch wenn Größe und Blattanzahl gleich sind. Plakative Überschriften bei diesen Preisvergleichen – Preisunterschiede bis zu 180 Prozent bei Schulartikeln – sind meines Erachtens nicht zielführend. Preis­ver­gleiche bei identen Produkten wie Laptops oder Taschenrechnern, bei denen die Marken- und Typenbezeichnungen eindeutig sind und vorliegen, fehlen aber leider. Da wäre anzumerken – damit spreche ich vielleicht auch die Wirtschaftskammer als Interessen­vertretung an –: Schülersammelbestellungen für österreichische Schüler und Schülerin­nen für Taschenrechner werden sehr oft über Onlineplattformen in Deutschland durch­geführt, weil dort die Preise um bis zu 20 Prozent unter dem Einstandspreis unserer Lieferanten in Österreich liegen. Ein österreichischer Lieferant hat also gar nicht die Möglichkeit und Chance einer Angebotslegung, die preismäßig mithalten kann.

Als Elternvertreter an einer höheren Schule bin ich immer daran interessiert, dass Eltern und Schüler von der Jause bis zu den Lehrmitteln regional einkaufen. Es geht um unsere Produkte, es geht um unsere Betriebe und es geht auch um unsere Arbeitsplätze. Die Eltern müssen es sich aber auch leisten können. (Beifall bei der FPÖ sowie der Bundesrätin Zwazl.)

13.25


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Zu Wort gemeldet ist Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger. – Bitte, Frau Bundesrätin.


13.26.00

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne, Oberösterreich): Herr Präsi­dent! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Nicht nur die Familien sind von der Pandemie betroffen, aber manche Familien beson­ders hart. Wenn dazu noch große finanzielle Sorgen kommen, wird die Situation in vielen Fällen unerträglich.

Mit diesem heutigen Gesetz sind wir in der Lage, eine zusätzliche finanzielle Belas­tung von circa 4 000 Familien abzuwenden. BezieherInnen des Zuschusses zum Kin­derbe­treu­ungsgeld im Zeitraum 2015 und 2016 werden von der Rückzahlung dieses


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Zuschusses entbunden. Das bedeutet in der Praxis, dass es zu keiner Einhebung einer etwaigen Rückzahlung kommt beziehungsweise schon ausgestellte Festsetzungs­be­scheide aufgehoben werden. Die durchschnittliche Höhe der nun nicht zu leistenden Rückzahlung beträgt circa 1 000 Euro pro Familie oder Alleinerziehender, Alleinerzie­hendem. Somit helfen wir in der Krise ein weiteres Mal und setzen auch einen Schritt zur Linderung der Kinderarmut. Das sollte in unser aller Sinne sein. – Ich danke für die breite Zustimmung. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

13.27


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundes­rätin Mag.a Daniela Gruber-Pruner. – Bitte.


13.27.28

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Hohes Präsidium! Geschätzte Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte ZuseherInnen zu Hause! Meine Kollegin hat es bereits ausgeführt: Wir begrüßen natürlich, dass diese Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld in dieser Periode nicht zurückgefordert werden. Das ist ganz im Sinne dieser Zeit, im Sinne dieser Familien und eine wichtige und gute Maßnahme.

Es gibt rund um dieses Kinderbetreuungsgeld und die Förderungen, die Familien be­antragen können oder die ihnen zustehen, noch einige andere Baustellen, die es wert sind, dass wir hinschauen, und bei denen wir hoffen und fordern, dass es da auch Veränderungen gibt. Meine Kollegin hat ganz kurz das einkommensabhängige Kinder­betreuungsgeld gestreift. Ich möchte noch einmal kurz darauf eingehen, weil das ja eine jener Formen ist, von denen wir wissen, dass sie vor allem auch von Vätern gerne genutzt und beantragt werden. Es ist ja in unser beider Sinne, dass wir mehr Väter in die Familien- und Erziehungsarbeit bringen. Insofern wäre es sehr gut, wenn diese Mög­lichkeit weiter bestünde und vor allem leichter zugänglich wäre. (Präsidentin Eder-Gitschthaler übernimmt den Vorsitz.)

Aktuell gibt es zwei Hürden, wenn man dieses einkommensabhängige Kinderbetreu­ungsgeld in Anspruch nehmen möchte: Man muss zum Zeitpunkt der Geburt in einem aufrechten Arbeitsverhältnis sein, was in der jetzigen Situation wahrscheinlich viele Fa­milien noch einmal sehr kalt erwischt – die Väter –, und man darf vor der Geburt nicht mehr als 14 Tage Krankengeld bezogen haben. Auch das ist in der jetzigen Zeit, in diesem heurigen speziellen Jahr natürlich ein großes Thema. Wir fänden es daher sehr angebracht, darüber nachzudenken, ob man nicht für diese spezielle Form des Kinder­betreuungsgeldes diese Hürden reduzieren könnte, um zu garantieren, dass Väter nach wie vor genau diese Form – hoffentlich auch vermehrt – in Anspruch nehmen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ein weiteres Problemfeld tut sich aktuell aus unserer Sicht rund um den Familienbonus auf. Ja, ich weiß und Sie alle wissen, dass wir dieses Modell von vornherein schon kritisiert haben und von der Grundidee nicht überzeugt sind, weil genau jene Kinder nichts davon haben, die sowieso schon in einer schwierigeren Lebenssituation sind. Aktuell liegen uns Informationen vor, dass weit weniger Menschen diesen Bonus abholen, als berechtigt wären, weil es in der Beantragung entweder über die Arbeitgeber oder über den Lohnsteuerausgleich doch einige Stolperfallen gibt, die den Menschen offenbar zu schaffen machen. Nach aktuellem Stand – so hat es eine Anfrage­beant­wortung ergeben – haben nur 500 000 von insgesamt 1,6 Millionen potenziellen An­spruchsberechtigten dieses Geld abgeholt. Ich denke mir, dass es uns nicht zufrie­denstellen kann, wenn eine Maßnahme eventuell nur bei einem Drittel der Kinder an­kommt. Ich glaube, man muss da genau hinschauen und eventuell nachbessern. (Beifall bei der SPÖ.)


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Weil vorhin schon der Familienhärtefonds Thema war: Ja, es wurden schon einige Millionen an Geldern ausgeschüttet, aber es ist eine Tatsache, dass rund 20 000 An­träge nach wie vor unerledigt sind – aus welchem Grund auch immer. Es ist auch gar nicht so leicht, das zu beantragen. Das bedeutet auch, dass 20 000 Familien nicht sicher sind, ob sie etwas bekommen und wie viel sie bekommen. Es sind doch viele, viele Tausend Familien, die in Unsicherheit sind.

Was, glaube ich, nach wie vor nicht geklärt ist – zumindest ich habe diese Information nicht –: Es gab die Möglichkeit, für drei Monate anzusuchen. Wir wissen aber, dass diese Krise, diese Pandemie uns wahrscheinlich noch viele, viele Monate beschäftigen wird. Wird diese Möglichkeit, anzusuchen, noch einmal verlängert? Gibt es die Möglichkeit, erneut um Monate anzusuchen? – Ich wäre ganz froh über eine Information darüber, ob diese Familien noch einmal eine Möglichkeit haben, das zu beanspruchen.

Ich fände es auch dringend an der Zeit, dass Personen, die geringfügig beschäftigt sind, und vor allem auch jene, die arbeitslos sind oder geworden sind, den anderen Familien gleichgestellt werden. Genau diese Familien leben oft schon prekär, und für jene dieselben Möglichkeiten zu schaffen, um Mittel aus diesem Familienhärtefonds anzu­suchen, fände ich nur fair und richtig. Es ist auch eine Maßnahme, um der Armut gegen­zusteuern.

Generell ist es so, dass viele Töpfe aufgemacht wurden, um zumindest für eine kurze Zeit vielleicht ein paar Hundert, vielleicht sogar ein paar Tausend Euro zu bekommen, aber was Familien, die mit Arbeitslosigkeit konfrontiert sind, nachhaltig helfen würde, wäre eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes, weil sie über einen längeren Zeitraum Sicherheit schaffen würde und man sich nicht von einem Fonds, von einer Hilfeleistung zur nächsten hanteln müsste. Das wäre, glaube ich, eine nachhaltige Stabilisierung der Situation dieser Familien.

Weil wir schon bei arbeitslosen Menschen sind – auch vielen Vätern, die jetzt arbeitslos sind und eventuell Unterhaltszahlungen zu leisten haben –: Wir wissen, dass Unterhalt schon vor Corona ein großes Thema war, nämlich dass die Gelder wirklich bei den Kindern ankommen, in der Familiensituation, in der sie gebraucht werden. Viele Väter haben nun tatsächlich durch die Arbeitslosigkeit einen Grund, warum sie diesen Unter­haltszahlungen möglicherweise nicht nachkommen können. Das Thema des Unter­haltsvorschusses wäre aus unserer Sicht ein dringendes, um Familien abzusichern und Kinder vor Armut zu bewahren. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich glaube – das haben vorhin auch meine VorrednerInnen gesagt –, das Ziel aller Maßnahmen müsste sein, dass am Ende des Tages keine Familie in Armut leben muss. Sie haben selber öfter betont, Frau Ministerin – auch Minister Anschober vorhin –, dass die Covid-Pandemie das Problem der Armutsgefährdung natürlich drastisch verschärft, aber das heißt auch, dass wir drastisch handeln müssen, weil wir genau wissen, was es bedeutet, wenn betroffene Menschen in Armut leben, und welche Folgekosten das schlussendlich für die Volkswirtschaft hat. Alle Experten sagen uns: In Prävention und Absicherung gegen Armut zu investieren ist allemal günstiger und sinnvoller, als hinterher zu versuchen, die Armut wieder zu bekämpfen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Schennach: Und schneller handeln!)

Vielleicht noch ein letzter Gedanke: Das Leben in Armut – wir wissen das alle – führt auch zu einem permanenten Stress, weil man sich ständig damit auseinandersetzen muss, wie man die Grundbedürfnisse und die seiner Kinder befriedigen kann. Dieser Grundstress, den Menschen über Monate erleben müssen, ist ein Nährboden für eine höhere Gewaltbereitschaft – man muss das so benennen. Wir wissen von verschie­densten Hotlines und Krisenzentren, dass das Thema Gewalt in den Familien ein Thema ist, das uns aktuell sehr beschäftigt und wahrscheinlich noch lange beschäftigen wird. In


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diesem Bereich der Gewaltprävention braucht es jetzt ganz ambitionierte, ganz mutige und vielleicht auch kostenintensive Maßnahmen. Wir denken, die Menschen sind es wert, dass sie diese Krise in Sicherheit und wohlbehütet überstehen können. Es braucht großes, mutiges Engagement – nicht nur das Fortschreiben bestehender Gewaltpräven­tions­maßnahmen, sondern wirklich große Würfe, um dieses Thema abzufangen. – Herz­lichen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

13.36


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Zu einer Stellungnahme hat sich Frau Bundesministerin Mag.a Christine Aschbacher zu Wort gemeldet. – Bitte schön, Frau Bundesminister.


13.36.31

Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend Mag. (FH) Christine Aschbacher: Liebe Vorsitzende! Liebe Bundesrätinnen und Bundesräte! Ich bin sehr froh und dankbar, dass wir dieses wichtige Thema heute auf die Tagesordnung bringen konnten. Letztes Mal war es nicht möglich, aber zumindest heute – darüber freue ich mich sehr, und ich hoffe auf rege Zustimmung, damit wir diese 4 000 Familien unterstützen können.

Zugleich möchte ich eine kurze Aktualisierung geben, weil anscheinend bei den be­stehenden Instrumenten wie beispielsweise dem Familienhärtefonds Dinge immer wie­der vermischt und Äpfel mit Birnen verglichen werden. Ich kann Ihnen versichern: Wir haben in den letzten Monaten intensiv aufgestockt und weiterentwickelt – sei es in der IT, beim Personal oder bei den Prozessen –, damit wir die Familien bestmöglich unter­stützen können. Wir konnten von den 100 Millionen Euro, die wir aufgestockt haben, 81 Millionen Euro mit Beginn dieser Woche zur Auszahlung freigeben und dement­sprechend auch über 63 000 Familien mit einer durchschnittlichen Summe von 1 100 Euro unterstützen. Das ist nicht nichts, sondern das hilft den betroffenen Familien gerade in der jetzigen Situation.

Ich möchte auch noch aufklären: Die über 22 000 Antragsteller, bei denen noch Infor­mationen notwendig sind, um die Anträge weiterzubearbeiten, sind mit einem E-Mail, in dem oben ein Link ist, über den man direkt über das Handy sehr einfach die notwendigen Unterlagen nachreichen kann, aufgefordert worden, diese Unterlagen nachzureichen, und dann können die Anträge weiterbearbeitet werden. Derzeit befinden sich 7 600 Anträge in Bearbeitung, und davon sind 7 400 von Oktober und September. Das bedeutet also, dass wir eine Bearbeitungsquote von 93 Prozent haben.

Ich bitte Sie alle in diesen hoch sensiblen und für alle in Österreich lebenden Menschen besonders herausfordernden Zeiten, dass wir die Familien nicht noch mehr verun­sichern, sondern unsere Unterstützung gewährleisten und gemeinsam kommunizieren. Das tun wir mit vereinten Kräften – mit weiteren Maßnahmen wie der Auszahlung des Kinderbonus, wodurch wir 1,8 Millionen Kinder unterstützen konnten, und so weiter. Ich könnte noch zahlreiche Maßnahmen aufzählen, und ich möchte schon auch dazusagen: Es ist unser aller Anliegen, dass wir in diesen besonders herausfordernden Zeiten die Menschen sehen, die Herausragendes leisten: die Eltern, egal in welcher Konstellation, und vor allem auch die vielen Kinder, die jetzt zum Beispiel automatisch in der Früh mit dem Mund-Nasen-Schutz im Bus zur Schule fahren und in der Schule den Toilettengang nur mit Mund-Nasen-Schutz wagen. Wenn die Regeln klar sind, ist auch die Durch­führung kein Problem. Sie wissen, ich habe selbst drei Kinder und bin in vielen Ge­sprächen mit Familien in unterschiedlichen Konstellationen – Alleinerziehende, aber auch Patchwork-Familien und klassische Familien. Das ändert sich über all die Jahre hinweg, und wir können hier nicht in Schubladen und Kategorien denken.


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Dementsprechend gilt es, dass wir mit vereinten Kräften diese Menschen nach wie vor gemeinsam unterstützen, und das tun wir. Ich bin auch dabei, darauf zu schauen – und dazu führe ich auch Gespräche –, dass wir, wenn die Coronapandemie länger dauert, auch weiterhin unterstützen, so wie es auch bei allen anderen Instrumenten notwendig ist zu schauen, bis wann sie nach unserem gemeinsamen Beschluss gelten, bis wann sie für wen unterstützend sind und in welchen Bereichen die Menschen in dieser besonderen Situation unsere weitere Unterstützung brauchen.

Ich habe es vorhin schon kurz erwähnt, aber da Sie noch einmal auf den Arbeitsmarkt eingegangen sind: Es ist zurzeit so, dass die Arbeitslosigkeit bei den Männern höher ist als bei den Frauen. Nichtsdestotrotz ist es uns wichtig, dass wir in all unseren Maß­nahmen einen Frauenschwerpunkt haben, besonders auch in der Joboffensive, um die Frauen und speziell auch die Mütter als Wiedereinsteigerinnen zu unterstützen und die Vereinbarkeit auch in dieser Situation noch besser zu leben.

Was Ihre Anregung bezüglich des Genderpaygaps betrifft, darf ich Ihnen mitteilen, dass wir da in der Bundesregierung, insbesondere gemeinsam mit der Frauenministerin und der Wirtschaftsministerin, dahinter sind, damit sich diese Lücke Schritt für Schritt schließt.

Dementsprechend ist unsere Unterstützung gegeben, und ich bitte Sie, dass wir jetzt noch gemeinsam durchhalten, hier besonders unterstützen, aber auch Mut und Per­spektive geben, denn diese herausfordernde Zeit wird auch wieder vorbeigehen. Des­halb investieren wir und bitten die Menschen, dass sie mitanpacken und beispielsweise in der Aus- und Weiterbildung gemeinsam mit den Unternehmern voranschreiten. Das hilft unserem Land, das hilft hinsichtlich der Arbeitsplätze und das hilft unseren Familien und Jugendlichen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der ÖVP sowie der Bundesrätin Hauschildt-Buschberger.)

13.41

13.41.36


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Vielen Dank für Ihre Stellungnahme.

Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

13.42.105. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 23. September 2020 betreffend ein Bundes­ge­setz, mit dem das Berufsausbildungsgesetz geändert wird (832/A sowie 10424/BR d.B.)


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Wir gelangen nun zum 5. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Ing.in Isabella Kaltenegger. – Ich bitte um den Bericht, Frau Bundesrätin.


13.42.33

Berichterstatterin Ing. Isabella Kaltenegger: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Wirtschaftsausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 23. September 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Berufsausbildungsgesetz geändert wird.


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Der Bericht liegt Ihnen allen in schriftlicher Form vor, ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Wirtschaftsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 6. Oktober 2020 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben. – Danke schön.


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Vielen Dank, Frau Bundesrätin, für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Bernhard Hirczy. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.


13.43.29

Bundesrat Bernhard Hirczy (ÖVP, Burgenland): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Vor dem Sommer gab es Prognosen in Richtung Worst-Case-Szenario in puncto Lehre. Wir haben darüber diskutiert, sodass das Szenario durch das Bündeln von gemeinsamen Kräften verhindert werden konnte, durch Synergien zwischen Wirtschaft und Politik.

Für unsere Lehrlinge und auch für unsere Ausbildungsbetriebe gibt es viel Rückenwind, und ich sehe Positives. Egal, ob es sich um die Arbeiterkammer, um die Industriel­lenvereinigung oder auch die Wirtschaftskammer handelt, wir alle wollen das Beste für unsere Lehrlinge. In der Sache sind wir uns einig, im Detail darf geredet und diskutiert werden. Wir wollen Vorschläge gemeinsam erarbeiten. Ich habe heute auch den Redebeitrag von Kollegen Kaske sehr positiv aufgenommen, denn ich denke, dass der gemeinsame Schulterschluss über Parteigrenzen hinweg in der Sache der richtige Weg ist.

Bildung, Ausbildung und Qualifikation zählen zu den wertvollsten Standortvorteilen von Österreich. Bildung fördert aber nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch den sozialen Zusammenhalt und eine positive gesellschaftliche Entwicklung. Ich darf daher festhalten: Die Lehre, die duale Ausbildung, ist eine sehr wichtige Ausbildungsform in Österreich – eine Ausbildungsform, um die uns viele Länder beneiden, ein Erfolgs­modell, welches für ganz Europa Vorbild ist.

Faktum ist: Wir brauchen geeignete Fachkräfte, Österreich braucht Facharbeiter für seine Betriebe. Burgenlands AMS-Chefin Helene Sengstbratl hat dies bestätigt. Die Industrie benötigt Lehrlinge. Wir kämpfen mit einem Facharbeitermangel; speziell in der metallverarbeitenden Industrie werden Personen gesucht. Wir benötigen daher junge Menschen, die den Weg vom Lehrling zum Facharbeiter oder zum Meister gehen wollen, die den Weg vom Lehrling zum Unternehmer oder den Schritt in die Selbstständigkeit wagen wollen. Dem entwachsen in Zukunft wiederum Ausbildungsstätten und Ausbild­ner, und dadurch werden auch in Zukunft neue Arbeitsplätze geschaffen.

Dank unserer vielen Betriebe und wichtiger Maßnahmen der Bundesregierung konnte Schlimmeres verhindert werden. In Österreich sind derzeit circa 100 000 junge Men­schen in der dualen Ausbildung, rund ein Drittel davon im ersten Lehrjahr. Die Zahl der Betriebe, welche Lehrlinge ausbilden, und die Zahl der Lehrlinge sind grundsätzlich stabil. Ein minimaler Rückgang ist zu bemerken, und es gibt regionale Ausreißer, aber ich denke, im Sinne der Wienwahl wollen wir diese Zahlen nicht überstrapazieren.

Es ging in der Coronakrise um dezidierte Anreize für Betriebe. In dieser aktuell sehr schwierigen Zeit ist es wichtig, jungen Menschen eine Lehrstelle bieten zu können. Eine wichtige Maßnahme war daher der Lehrlingsbonus mit bis zu 3 000 Euro pro Lehrling. Dieser Bonus wurde bereits knapp 8 000 Mal von den Betrieben beantragt. Die


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Verlängerung der Kurzarbeit für Lehrlinge bis zum 31. März 2021 ist eine ebenso wich­tige Maßnahme und sorgt für mehr Planungssicherheit für viele junge Menschen.

Im Herbst gab es österreichweit circa 10 000 Lehrstellensuchende und circa 12 000 of­fene Lehrstellen, somit ein Delta von rund 2 000 Stellen.

Vielleicht ist gerade jetzt die Zeit für junge Menschen gekommen, die Chance beim Schopf zu packen. Vielleicht bedarf es auch eines Motivationsschubs in der Gesellschaft und in der Familie. Es geht um das Image und um den Stellenwert der Lehre. Es gibt großartige Chancen in puncto Ausbildung in unseren heimischen Betrieben. Wir be­nötigen entsprechende Facharbeiter, und auf diese Ausbildung kann man sein Leben lang stolz sein.

Ich persönlich bin stolz auf unsere vielen, vielen jungen Menschen, die den Weg vom Lehrling zum Facharbeiter gehen. Ich hoffe daher heute auf eine breite Zustimmung zu diesem Antrag. Setzen wir gemeinsam ein starkes Signal für unsere Lehrlinge, für unsere Facharbeiter von morgen! (Beifall bei der ÖVP.)

13.48


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Ich begrüße Frau Bundesministerin Dr. Margarete Schramböck sehr herzlich bei uns im Bundesrat. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Lackner.)

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Nicole Riepl. – Bitte, Frau Bundes­rätin, ich erteile es Ihnen.


13.48.22

Bundesrätin Nicole Riepl (SPÖ, Kärnten): Geschätzte Frau Präsidentin! Frau Minis­terin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Die SPÖ hat im Frühjahr dieses Jahres die Regierung darauf aufmerksam gemacht, auf die Lehrlinge und alle jungen Menschen in der Krise nicht zu vergessen. Was ist in diesem halben Jahr passiert? – Nichts und nochmal nichts, auf unsere jungen Menschen wurde vergessen!

Offenbar will diese Regierung nichts für die Perspektiven der Jungen unternehmen. Wir haben die höchste Arbeitslosigkeit seit dem Zweiten Weltkrieg, und davon sind ganz besonders junge Menschen und Lehrlinge betroffen. Fast 62 000 Menschen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren sind aktuell ohne Arbeit oder in Schulungen. Das sind 62 000 junge Menschen, die keine Perspektive, keine Lehrstelle haben. Das sind Zah­len, die uns alle aufrütteln müssen. Die Regierung ist ganz klar aufgefordert, ein echtes, treffsicheres Lehrlingspaket vorzulegen. (Beifall bei der SPÖ.)

Dafür braucht es aber verschiedene Verordnungen auf unterschiedlichen Ebenen. Die erste Ebene befindet sich auf dem freien Markt. Grundsätzlich müssen wir versuchen, Unternehmen in die Lage zu versetzen, auszubilden. Der Lehrlingsbonus der Regierung ist dazu leider nicht das beste Instrument. Wenn ein Unternehmen in Summe 2 000 Euro bekommt, um einen Lehrling auszubilden, dann ist das – und so deutlich muss man das sagen – ein Paket für große Betriebe. (Bundesrätin Zwazl: Na!) Jene, die viele junge Menschen ausbilden, bekommen ihre Millionenbeträge, aber der kleine Betrieb, der vielleicht nur die Ressourcen für einen einzigen Ausbildungsplatz hat, kann es sich aufgrund der allgemein angespannten Wirtschaftslage nicht leisten, mit einem Bonus von 2 000 Euro einen Lehrling auszubilden.

Die zweite Ebene ist jene der überbetrieblichen Lehre. Lehrlinge, die am freien Markt keinen Lehrplatz bekommen, müssen Chancen in überbetrieblichen Lehrwerkstätten oder direkt beim Bund bekommen. Die Lehrplätze müssen vom Bund, von den Ländern und den Gemeinden aufgestockt werden, aber dazu braucht es Geld. Am 28. August haben Bürgermeisterinnen und Bürgermeister einen offenen Brief an die Bundesregierung mit


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ihrer Forderung gerichtet – das Gleiche fordert auch die Daseinsgewerkschaft Younion –: Ausreichend Budget für die Gemeinden in unserem Land. Die Gemeinden würden es schaffen, 10 000 Lehrplätze direkt vor Ort zu schaffen, mit einer hochqualitativen Aus­bildung und einer Perspektive im Lebensumfeld der jungen Frauen und Männer. Allein, den Gemeinden fehlt aufgrund der Ausfälle bei Kommunalsteuer und Ertragsanteilen das dringend benötigte Geld. Auch darauf, sehr geehrte Ministerin, weisen wir hin; im Bundesrat haben wir das bereits im April getan.

10 000 Lehrstellen sind 10 000 Chancen, Perspektiven und Hoffnungen – das sollte für Sie als Arbeits- und Jugendministerin eigentlich Grund genug sein, in der Regierung endlich Druck zu machen. Wenn wir in den Bund schauen, der ja bereits Lehrlinge ausbildet, dann muss man feststellen: Es ist gut, dass der Bund auf vielen Ebenen ausbildet, es stellt sich aber die Frage nach der langfristigen Perspektive. Damit sind die Planstellen gemeint, die geschaffen werden müssten, um den jungen Menschen auf der Ebene der öffentlichen Verwaltung die notwendigen Chancen zu geben.

Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist bewusst, dass gerne davon ge­sprochen wird, im System zu sparen, aber ganz ehrlich: Ist ein System – aus dieser Sicht –, in dem die einen bis zum Umfallen arbeiten und die anderen keine Chance für ihre Zukunft sehen, wirklich zukunftsfit? (Beifall bei der SPÖ.)

Wollen wir den öffentlichen Dienst wirklich so aushöhlen, bis er in sich zusammen­bricht? – Ich denke nicht. Als SozialdemokratInnen fordern wir daher die Wiederein­führung der Ausbildungsgarantie bis 25, denn Menschen brauchen einen Rechtsan­spruch auf eine Ausbildung. (Bundesrätin Zwazl: Die Überbetrieblichen gehen zurück!) Nehmen Sie also jene Kürzungen, die unter Türkis-Blau passiert sind, im Sinne der jungen Menschen in unserem Land zurück! Geben wir den jungen Menschen, die sich in der Lehre befinden, die notwendige Wertschätzung, die sie auch verdienen! Nehmen Sie die Halbierung der Lehrlingsentschädigung für Volljährige in überbetrieblichen Lehr­werkstätten endlich zurück, damit das Einkommen der jungen Menschen auch zum Auskommen reicht! (Beifall bei der SPÖ. – Neuerlicher Zwischenruf der Bundesrätin Zwazl.)

Wir brauchen gut ausgebildete Lehrlinge, um den starken Facharbeitermangel zu stoppen. Da haben Sie als Bundesregierung – wohlgemerkt vor der Covid-Krise – mit der Erweiterung der Mangelberufslisten den falschen Schritt gesetzt. Der richtige Schritt wäre gewesen, die Lehre zu stärken, anstatt Mangelberufslisten zu erweitern. Nutzen Sie aber zumindest jetzt die Gelegenheit und machen Sie gut, was Sie damals versäumt haben! Stärken Sie alle Ebenen der Aus- und Weiterbildung! Ihr Motto sollte sein: Wenn nicht jetzt, wann dann!  In ein paar Jahren ist es zu spät, jetzt müssen wir handeln.

Es liegt jetzt an der Regierung und an den Bundesländern, aktive Politik für die Jugend in unserem Land zu betreiben. Was hat die Regierung Kurz gesagt? – „Koste es, was es wolle“. Lassen Sie endlich Taten folgen! Die jungen Menschen in Österreich brauchen jetzt unsere vollste Solidarität. Sie brauchen eine Perspektive. Sie brauchen tatkräftige Unterstützung durch den Staat. Was sie nicht mehr brauchen sind sal­bungsvolle Versprechen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele von euch haben Kinder oder Enkelkinder, die möglicherweise alle eine höhere Schule besuchen werden. Ist es euch aber nicht auch wichtig, ihnen sagen zu können, dass ihr alles dafür getan habt, damit sie eine Lehrstelle bekommen und ihre Zukunft gesichert ist?

Die Jugend ist die Zukunft. Die Jugend ist die Gegenwart. Junge Menschen sind ein wich­tiger Bestandteil unserer Gesellschaft, und genau so müssen wir sie auch behandeln: als einen der größten Schätze, die wir haben. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

13.55



BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 91

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Andrea Michaela Schartel. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.


13.55.18

Bundesrätin Andrea Michaela Schartel (FPÖ, Steiermark): Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Ich möchte Frau Kollegin Riepl antworten, die mit Engagement und Herz gefordert hat, man soll für jene Lehrlinge, die über 18 sind, also volljährig, in der Berufs­ausbildung wieder die Lehrlingsentschädigung erhöhen. – Es ist Ihnen aber schon klar, dass in sehr, sehr vielen Kollektivverträgen, die in erster Linie die Gewerkschaft mitver­handelt, diese Bestimmung nach wie vor noch immer nicht vorhanden ist? Es gibt ganz wenige Kollektivverträge, in denen extra drinnen steht, dass Personen, die das 18. Le­bensjahr überschritten haben, die Lehrlingsentschädigung auf Basis des niedrigsten Hilfsarbeiterlohnes bekommen müssen. (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.) Da gibt es ganz wenig Kollektivverträge. Die Gewerkschaft tut also auch einmal so und einmal so. – Das zu dieser Geschichte. (Beifall bei der FPÖ.)

Bei Tagesordnungspunkt 5 geht es an und für sich nur darum, dass man, da man die Kurzarbeit verlängern musste, analog auch im Berufsausbildungsgesetz die Verlänge­rung vorsieht, sodass eine Lehre – da wir ja ein duales Ausbildungssystem haben – dennoch als Lehre ihre Gültigkeit hat, auch wenn man die vorgeschriebene Aus­bildungs­zeit um bis zu 50 Prozent unterschreitet. Das ist natürlich wichtig, denn man hat einer­seits ein Gesetz, das einem vorschreibt, welche Ausbildungsmaßnahmen, welche Ausbildungszeiten man braucht. Andererseits ist das bedingt durch die Kurzarbeit momentan wahrscheinlich nicht möglich, und daher muss man das anpassen.

Viel wichtiger in diesem Zusammenhang ist es mir auch zu sagen, dass das duale Ausbildungssystem ein ausgezeichnetes ist. Wie schon erwähnt wurde gibt es sehr viele Länder, die uns darum beneiden. Vor allem die Unternehmen wissen, dass wir dadurch hervorragend qualifizierte Facharbeiter bekommen, und deswegen gibt es bei uns die Lehre.

Wenn man jetzt aber bis März verlängert, dann – davon gehen wir auch aus – wird es schon fast ein ganzes Lehrjahr nicht möglich gewesen sein, diese Ausbildung zuteil­werden zu lassen, wenn aufgrund der Auftragslage, aufgrund bestimmter Maßnahmen der Regierung diese Lehre eben nicht so möglich ist, wie sie möglich sein sollte.

Ich finde, es wäre schon sehr, sehr wichtig, dass man sich für die Zukunft überlegt, wie wir den jungen Menschen diese Qualifikation, die ihnen jetzt momentan nicht zuteil­werden kann, wieder zurückgeben. Es ist vor allem auch im Interesse der Unternehmer und der Wirtschaft, denn sie haben ja nichts davon, wenn sie jetzt zwar probieren, Lehrlinge auszubilden, es ihnen aber aufgrund der getroffenen Maßnahmen nicht ge­lingt, qualifizierte Facharbeiter auszubilden. Es wäre wirklich wichtig, dass man sich dazu jetzt wirklich etwas überlegt. (Beifall bei der FPÖ.)

Es bringt uns nämlich nichts, wenn wir im Feber womöglich wieder hier zu einer Son­dersitzung zusammenkommen, um noch einmal um ein halbes Jahr zu verlängern, weil das, was Herr Bundeskanzler Kurz bei den letzten Pressekonferenzen immer wieder beschworen hat – im Sommer ist eh wieder alles normal, dann geht sich das alles super aus –, nicht eintritt; anscheinend dürfte doch nicht wieder alles so normal sein.

Ich denke daher, man könnte sich jetzt schon zum Beispiel in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftskammer – die macht ja auch die Prüfungsvorbereitungskurse – überlegen, ob man diese Kurse nicht verlängert. Man könnte darüber nachdenken, ob es nicht Sinn machen würde, unter Umständen die Berufsschule zu verlängern, einfach um den jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, wirklich die beste Ausbildung, die sie sich verdienen, zu erlangen. Auch wir Österreicher benötigen diese beste Ausbildung, damit


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wir wissen: Wenn bei mir der Wasserhahn tropft, gibt es jemanden, wenn mein Auto etwas hat, gibt es jemanden. – Dazu gäbe es noch viele Beispiele. Das wäre wirklich ganz, ganz wichtig. (Beifall bei der FPÖ.)

13.59


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Marco Schreuder. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es ihnen.


13.59.35

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle­ginnen und Kollegen! Frau Ministerin! Völlig richtig, man könnte natürlich noch eine Grundsatzdebatte führen, aber es geht hier um die Kurzarbeit für Lehrlinge. Das ist das Wichtige und das, worum es jetzt geht.

Es tut mir deswegen auch irgendwie leid, denn man merkt an den Debattenbeiträgen, dass am Sonntag eine Wahl vor der Tür steht. Es wird so ein bisschen alles ausgespielt und gesagt: Die Regierung tut nichts! – Man kann ja sagen, was sie tut, man kann auch sagen, was man besser machen möchte. Das ist ja alles in Ordnung. Die einen sagen aber: Die tun nichts!, und die anderen sagen: Wir tun alles und Wien ist böse!, und: Die anderen sind böse!, und: Das ist gut! – Das ist, finde ich, eine Art und Weise einer Dis­kussionskultur, die der Bundesrat irgendwie nicht braucht.

Deswegen kann man auch sagen – das sage ich jetzt als Wiener –: Wenn es um die Lehrlinge geht, dann war diese Kurzarbeitsregelung, die wir eingeführt haben, genau das Richtige, was man tun konnte. Wir konnten damit 5 000 Lehrlingsplätze, die für die Kurzarbeit angemeldet wurden, retten. Darum ging es und darum geht es in diesem Gesetz. (Beifall bei den Grünen.)

Noch vor dem Sommer hat man uns als ein mögliches Szenario vorausgesagt: Das könnte über 10 000 Lehrlingsplätze kosten, die werden wir verlieren. Wir haben sie nicht verloren, und das ist gut für die Zukunft der Fachkräfte in diesem Land und eine gute Nachricht. Wir wissen aber nicht – keiner weiß es –, wie lange es noch dauern wird, und deswegen wird diese Kurzarbeitsregelung für Lehrlinge bis März 2021 verlängert. Darum geht es hier, das sollten wir begrüßen, und das tun wir doch alle, also stimmen wir dem zu! – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

14.01


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Wolfgang Beer. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.


14.02.01

Bundesrat Wolfgang Beer (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Bundesrätinnen und Bundesräte! Wir haben hier wieder über ein Gesetz abzustimmen, das in den Ansätzen recht gut ist, aber den jungen Men­schen eigentlich viel zu wenig bringt. In einem Arbeitszeugnis würde drinnen stehen: War stets bemüht. – Das bedeutet dann auf gut Deutsch: Hat zwar alles versucht, aber nicht wirklich etwas zusammengebracht.

Wir haben die Möglichkeit und wir sollten weiterhin – gerade auch in der Krise – unsere überbetrieblichen Lehrwerkstätten ausbauen. In der Krise eine Verlängerung der Kurzarbeit für Lehrlinge einzuführen ist zwar recht schön, bedeutet aber, dass sie nicht wirklich etwas lernen, weil ihnen dafür ganz einfach die Zeit fehlt.

Es wird von uns auch ein Entschließungsantrag eingebracht. Im Nationalrat wurde dieser Entschließungsantrag nicht unterstützt, und ich höre schon wieder die Doppelzüngig­keit vonseiten der ÖVP, wenn wir keine Fachkräfte haben: Wir brauchen unbedingt


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 93

Facharbeiter aus dem Ausland, denn wir selbst haben keine. (Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Dann höre ich aber von der FPÖ wieder – ihr habt ihn auch nicht unterstützt –: Wir haben schon wieder so viele Ausländer hier. (Bundesrat Steiner: Ja, keine Fachkräfte! – Ruf bei der FPÖ: Das stimmt ja! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Es ist ja keine Frage, ob das jetzt stimmt oder nicht, ihr wollt sie nicht. Unserem Entschließungsantrag, der besagt, dass wir unsere Lehrlinge, die da sind, auch weiterhin ausbilden, stimmt ihr aber nicht zu. (Bundesrätin Zwazl: Na, bilden wir!)

Ich ersuche Sie daher wirklich, das Ganze noch einmal zu überdenken und unserem Entschließungsantrag vielleicht doch eine Mehrheit zu geben.

Ich bringe den Entschließungsantrag hier und jetzt ein:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Wolfgang Beer, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Lehrlings­ga­rantie in Zeiten von Corona“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat und dem Bundesrat ein umfas­sendes Lehrlingspaket vorzulegen, das allen Jugendlichen, die in den nächsten Monaten eine Lehre starten möchten und in der Wirtschaft aufgrund der Corona-Krise keinen Platz finden, einen entsprechenden Lehrplatz – in Kooperation mit den Ländern – in über­betrieblichen Lehrwerkstätten bzw. direkt bei der öffentlichen Hand garantiert.“

*****

(Bundesrätin Zwazl: Die Überbetrieblichen sind aber zurückgegangen! – Ruf bei der FPÖ: Ja, weil sie Migranten bevorzugen! – Weitere Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.) – Ihr habt keinerlei Garantie abgegeben, weder die Regierung noch sonst jemand. (Beifall bei der SPÖ.)

14.05


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Der von den BundesrätInnen Wolfgang Beer, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Lehr­lingsgarantie in Zeiten von Corona“ ist ordnungsgemäß eingebracht, genügend unter­stützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Zu einer Stellungnahme hat sich Frau Bundesministerin Dr. Margarete Schramböck zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Bundesministerin.

14.06.23


Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort Dr. Margarete Schramböck: Frau Präsidentin! Werte Bundesrätinnen und Bundesräte! Ich freue mich, heute bei Ihnen zu sein und mit Ihnen das Thema Lehre und ganz konkret das Thema Verlängerung der Kurzarbeit für die Lehrlinge in Österreich zu diskutieren.

Das Thema Bildung ist mir ein wichtiges Anliegen. Sie wissen, dass es mir eine Herzens­angelegenheit ist – vor allem das Thema der Lehre, das ich schon in unserer ersten Regierungsbeteiligung und auch jetzt intensiv aufgegriffen habe. Ich freue mich, mit Ihnen gemeinsam zusammenzuarbeiten, um die Lehre in Österreich zu stärken und das in den unterschiedlichsten Themenbereichen entsprechend umfassend zu tun.


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 94

Dazu gehört natürlich, dass wir jetzt in dieser Covid-Krise unmittelbare Instrumente zur Verfügung stellen, die es ermöglichen, die Arbeitsplätze der Lehrlinge zu erhalten. Dazu ist die Kurzarbeit ein richtiger und wichtiger Schritt. Ich danke jedem, der das hier in diesem Hause unterstützt. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Schreuder.)

Wenn wir uns die momentane Situation der Lehrlinge anschauen, dann sehen wir: Es gibt zwei wichtige Instrumente. Das eine habe ich schon genannt, es ist das Instrument der Kurzarbeit, das viele Betriebe genutzt haben. Ich weiß auch, dass die Betriebe sehr achtsam damit umgehen, gerade, was ihre jungen Fachkräfte betrifft, denn sie inves­tieren ja auch viel in diese jungen Menschen. Es ist ja auch nicht kostenfrei für den Betrieb, sondern der Betrieb nimmt Geld in die Hand und er nimmt sich Zeit und Kraft, um die jungen Menschen auszubilden. Ich möchte heute all den Betrieben, die Lehr­stellen anbieten, die junge Menschen eingestellt haben, danken. Ich glaube, es ist an der Zeit, ein großes Dankeschön an die Betriebe zu richten. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Schreuder.)

Der Lehrlingsbonus wurde gemeinsam beschlossen – auch da ein Danke von meiner Seite an Sie –, und ich möchte noch einmal ganz kurz den Rahmen des Lehrlingsbonus abstecken: Der Lehrlingsbonus ist für Unternehmen von 16.3. bis 31.10. gültig. Wir haben also noch wenige Tage Zeit, und ich bin überzeugt davon, dass auch jetzt noch weitere neue Lehrverträge eingehen werden. Im Moment ist es eine große Anzahl von Lehrverträgen, die unterschrieben worden sind – über 8 000 –, die uns auch geholfen haben, neue Lehrplätze anzubieten. Kleinstunternehmen werden besonders unterstützt, ihnen stehen 3 000 Euro zur Verfügung, den mittleren Unternehmen 2 500 Euro und generell 2 000 Euro. Warum machen wir das so? – Weil uns jeder Lehrplatz wichtig ist, weil jeder Lehrplatz, egal, ob bei einem großen oder einem kleinen Unternehmen, die Zukunft eines jungen Menschen bedeutet. Natürlich wollen wir die Kleinstbetriebe besonders unterstützen, darum bekommen diese auch 3 000 Euro.

Wenn wir uns jetzt anschauen, ob es funktioniert hat oder nicht, so kann ich Ihnen berichten, dass die Wirtschaftsforscher einen Rückgang von 20 bis 30 Prozent pro­gnos­tiziert haben, und wir Ende September – wie gesagt, das ist nicht das Ende des Lehr­lingsbonus, der geht ja noch entsprechend weiter – einen Gap, eine Lücke von 9,5 Pro­zent sehen. Ich bin überzeugt, dass wir diesen in den letzten Tagen im Oktober noch schließen werden.

Dann möchte ich Sie, weil die überbetriebliche Lehrausbildung auch erwähnt worden ist, darauf hinweisen, dass diese Frist für die überbetriebliche Lehrausbildung bis Ende März gilt. Das heißt, wir werden Betriebe, die Lehrlinge im ersten Lehrjahr aus der überbe­trieblichen Lehrausbildung in den Betrieb übernehmen, bis Ende März unterstützen – wenn Sie in Ihrem Bundesland junge Menschen oder Betriebe kennen, die das betrifft, ist das sicher interessant. Für die direkte Übernahme geht die Frist bis Ende Oktober, und bis Ende März läuft die Frist für die Übernahme aus der überbetrieblichen Lehrausbildung. Ich glaube, es ist wichtig, dass die jungen Menschen so früh wie möglich in die Betriebe kommen, denn auch die Betriebe suchen jetzt. Das ist ein wichtiger Punkt, und ich bitte Sie, das auch in die Bundesländer mitzunehmen. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenruf der Bundesrätin Zwazl.)

Wie ist die Situation generell? – Ende September waren es 101 676 Lehrlinge in Österreich, das ist ein Rückgang von 0,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr; wir sind also relativ gut durch diese Krise gekommen. Ende September gab es außerdem 1 119 of­fene Lehrstellen. Ja, da gibt es einen Unterschied: Wir haben in den Bundesländern definitiv einen großen Bedarf an Lehrlingen. Es gibt auch weniger Schulabbrecher. Das signalisieren auch die Betriebe: Es gibt in diesem Jahr weniger Schulabbrecher als im vergangenen Jahr, das heißt, da fehlen auch junge Menschen, die in die Betriebe


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 95

kommen. Wir haben also einen großen Bedarf in den Bundesländern. In Oberösterreich zum Beispiel gibt es pro Suchendem zwei offene Lehrstellen, aber in Wien ist das anders – und ich bin da sehr unverdächtig, das zu sagen –: Da ist es gerade umgekehrt, da haben wir sehr viele Lehrstellensuchende pro Lehrstelle. Da müssen wir strukturell etwas tun. Wir brauchen auch mehr Lehrstellen in der Bundeshauptstadt. Das ist definitiv sehr, sehr wichtig.

Was mir noch wichtig ist: Wie gehen wir mit der Lehre weiter um? – Wir überarbeiten die Lehrberufe, das heißt, es werden auch immer wieder Pakete zum Beschluss zu Ihnen in den Bundesrat kommen, um die Inhalte der Lehrberufe zu überarbeiten, denn es gibt Aufgaben und Inhalte, die für alle Lehrberufe wichtig sind. Sie wissen es, das sind die digitalen Inhalte im Bereich Cybersicherheit, im Bereich künstliche Intelligenz: Wie geht man mit Daten um, wie verarbeitet man Daten? Das ist heute für jeden einzelnen Lehrberuf wichtig, wir bauen deshalb Module, die es uns ermöglichen sollen, diese zur Ausbildung in verschiedenen Lehrberufen hinzuzufügen.

Weiters braucht es ganz neue Lehrberufe in ganz neuen Themen, etwa Digitalisierung und Umweltschutz – diese beiden Themenbereiche sind mir ganz wichtig. Wir werden gemeinsam daran arbeiten, die jungen Menschen in Österreich bestmöglich zu unter­stützen; meine Unterstützung haben sie.

Ich danke jedem, der heute mitstimmt, auch das Instrument der Kurzarbeit für die Lehr­linge zu verlängern, für die Kooperation und die Zusammenarbeit, denn es ist jetzt not­wendig; aber natürlich müssen wir gemeinsam mit einem großen Paket weiter am Thema Lehre arbeiten. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Lackner.)

14.13


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Ich begrüße ganz herzlich Frau Bundes­ministerin Alma Zadić bei uns im Bundesrat. (Allgemeiner Beifall.)

Nächste Rednerin: Kollegin Zwazl. – Bitte.


14.13.42

Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP, Niederösterreich): Frau Präsident! Geschätzte Frauen Ministerinnen! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Es tut mir furchtbar leid, dass immer wieder die Lehrstellen und die Lehrlinge so hingestellt werden; gerade Österreich ist wirklich ein Land, auf das andere Länder schauen, um zu sehen, was wir machen.

Ich bedanke mich recht herzlich für die Unterstützung! Ich habe euch zugehört, ich habe die Zahlen, die heute genannt wurden, gehört, und ich kann nicht glauben, dass ihr nicht wisst, dass es bei uns wirklich anders ausschaut. Ich habe eine ganze Sammlung von Zahlen. Ich gebe sie euch, schaut sie euch an, und dann werdet ihr sehen, dass wir in Österreich wirklich gut unterwegs sind (Zwischenrufe der BundesrätInnen Schennach und Schumann), dass wir trotz Pandemie unseren jungen Leuten eine gute Ausbildung bieten und dass die Situation bedeutend besser ist, als wir überhaupt angenommen haben! – Ein herzliches Dankeschön an unsere Betriebe!

Ich denke, ihr vergesst immer wieder, dass gerade Lehrlinge in der Hand der Sozial­partner liegen; und, ich weiß nicht: Wer ist der Sozialpartner der Wirtschaft? (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Schreuder.)

14.14

14.14.49


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Liegen noch Wortmeldungen dazu vor? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 96

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Wolfgang Beer, Kolleginnen und Kollegen auf Fas­sung einer Entschließung betreffend „Lehrlingsgarantie in Zeiten von Corona“ vor. Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenminderheit. Der Antrag auf Fassung der gegen­ständlichen Entschließung ist daher abgelehnt.

14.16.006. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 23. September 2020 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das 2. Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz (2. COVID-19-Justiz-Begleitgesetz – 2. COVID-19-JuBG) geändert wird (831/A sowie 10423/BR d.B.)


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Wir gelangen zum 6. Punkt der Tages­ord­nung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Ernest Schwindsackl.

Ich darf mich von Frau Bundesminister Schramböck herzlich verabschieden. (Beifall bei der ÖVP.)

Bitte, Herr Bundesrat, ich ersuche um den Bericht.


14.16.20

Berichterstatter Ernest Schwindsackl: Geschätzte Frau Präsident! Werte Frauen Bundesministerinnen! Ich bringe den Bericht des Justizausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 23. September 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das 2. Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz geändert wird.

Aufgrund der andauernden wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Krise ist es notwendig, in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratene Kreditnehmer weiterhin zu entlasten.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher gleich zur Antrag­stel­lung.

Der Justizausschuss stellt den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des National­rates keinen Einspruch zu erheben.


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Vielen Dank für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.


14.17.51

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne, Oberösterreich): Frau Präsi­dentin! Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zu­seher! Im Sommer, am 24. Juni, haben wir hier im Haus bei sinkenden Infektionszahlen beschlossen, dass die Möglichkeit bestehen soll, Kredite zu stunden und das Stellen von Insolvenzanträgen auszusetzen, und das bis zum 31. Oktober 2020. Das hat sich in der Praxis sehr gut bewährt. Jetzt aber, da die Krise leider noch nicht überwunden ist, scheint es mehr als logisch, dieses taugliche Instrument noch einmal bis zum 31. Jänner


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 97

2021 zu verlängern. Damit helfen wir Menschen und Unternehmen, die in guten Zeiten Verbindlichkeiten eingegangen sind, die sie jetzt in dieser völlig unvorhersehbaren schwierigen wirtschaftlichen Situation nicht mehr bedienen können.

Mit der Verlängerung dieser Fristen nehmen wir aus zahlreichen Haushalten und Unter­nehmen den Druck der Ratenverpflichtungen und verhindern vorzeitige Insolvenz­ver­fahren, die nach einer Stabilisierung der Verhältnisse wohl nicht mehr notwendig sein werden.

Das Gute an dieser Maßnahme ist sicherlich auch, dass durch die Aussetzung der Rückzahlung von Kreditraten kein Rucksack an Ratenrückständen aufgebaut wird, sondern sich die Kreditlaufzeiten schlicht verlängern. Die Zinsen sind natürlich weiterhin an den Kreditgeber zu leisten.

Die heute zu beschließende Verlängerung ist gut und sinnvoll und schafft die Mög­lichkeit, finanzielle Engpässe zu überbrücken. Ich hoffe deshalb auf breite Zustim­mung. – Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

14.19


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag.a Christine Schwarz-Fuchs. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.


14.19.59

Bundesrätin Mag. Christine Schwarz-Fuchs (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zu­schauerinnen und Zuschauer vor den Bildschirmen! Die Coronakrise dauert weiterhin an und hat uns nach wie vor im Griff. Die Nebenwirkungen dieser Krise treffen uns alle. Wir unterliegen weiterhin Beschränkungen in unserem täglichen Leben, sei dies im Arbeits­leben, beim Einkaufen, bei der Sportausübung, der Vereinstätigkeit oder der Pflege unserer persönlichen Kontakte.

Die Coronakrise bringt auch schwerwiegende soziale und wirtschaftliche Probleme mit sich. Bundeskanzler Sebastian Kurz hat erst vor wenigen Tagen gesagt, wir führen einen „Dreikampf“: den „Kampf um jeden Covid-Patienten“, den „Kampf um jeden Betrieb“ und den „Kampf um jeden Arbeitsplatz“.

Viele Bürgerinnen und Bürger sind arbeitslos geworden (Zwischenruf des Bundesrates Schennach) und viele andere befinden sich weiterhin in Kurzarbeit und müssen sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen. Unternehmerinnen und Unternehmer kämpfen mit dem Rückgang des Wirtschaftswachstums und mit der schwierigen Auftragslage.

Diese Existenzsorgen sind real und werden uns noch länger begleiten. Wir müssen die vielen Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen, die unverschuldet in eine Notlage geraten sind, schützen und weiterhin unterstützen. Die gegenständliche Vorlage zielt darauf ab, Kreditstundungen weiterhin zu ermöglichen und Insolvenzanträge wegen Überschuldung zu verhindern. Sie wird daher schlicht den derzeitigen realen Verhält­nissen gerecht und nimmt den enormen Druck, der auf den Betroffenen lastet.

Nach dem derzeitigen Stand ist in naher Zukunft nicht mit einer Entspannung bei den wirtschaftlichen und sozialen Folgen zu rechnen. Gerade deshalb ist es wichtig, den Kreditnehmerinnen und Kreditnehmern Luft zum Atmen zu verschaffen. Durch die Rückzahlungsstundungen bis zum 31. Jänner 2021 wird der finanzielle Druck auf die Betroffenen etwas abgefedert. Eine drohende Überschuldung und somit Insolvenzen vieler Unternehmer – insbesondere von Kleinunternehmen – würde die derzeitige Situ­ation noch weiter verschärfen.


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 98

Die mit der gegenständlichen Gesetzesvorlage vorgeschlagenen Fristverlängerungen sind daher dringend notwendig, um den realen Problemen zu begegnen und den Be­troffenen, seien dies Private oder Unternehmen, in dieser schwierigen Zeit zur Seite zu stehen. Mit den geplanten Fristverlängerungen soll die Chance gegeben werden, diese schwierigen Zeiten durchzutauchen, bis sich die Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage wieder verbessert.

Wir haben schon zahlreiche Maßnahmen beschlossen, die auf eine Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Krise abzielen. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Ich möchte da beispielsweise den Fixkostenzuschuss nennen, die Kurzarbeits­rege­lungen sowie den Härtefallfonds. Diese Maßnahmen greifen und kommen an.

Um die Überlebenschancen unserer österreichischen Unternehmen und somit die Siche­rung vieler Arbeitsplätze zu unterstützen, ist aber ein umfassendes Maßnahmenbündel essenziell. Daher ist auch die Stundung der Kreditraten weiterhin sehr wichtig, um die gespannte Liquiditätssituation trotz Umsatzeinbrüchen etwas zu entschärfen. Natürlich stellt sich heute schon die Frage, was nach Ablauf dieser gesetzlichen Fristen passiert. Es ist aus heutiger Sicht nicht davon auszugehen, dass die durch die Coronakrise aus­gelöste Ausnahmesituation in wenigen Monaten vorüber sein wird, vielmehr ist davon auszugehen, dass uns die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Krise noch sehr viel länger begleiten und beschäftigen werden.

Wir werden hier sicher noch öfter über die Auswirkungen der Coronakrise und die Maß­nahmen, die zur Abfederung der dadurch entstehenden Härten notwendig sind, dis­kutieren. Wie die Entwicklungen hinsichtlich der Bekämpfung der Coronakrise sowie der Wirtschafts- und Arbeitsmarktsituation verlaufen werden, lässt sich heute nicht einmal annähernd abschließend beurteilen. Es ist daher durchaus sinnvoll, auf die heute schon absehbaren Entwicklungen zu reagieren und die gebotenen Maßnahmen für die nächsten drei Monate zu beschließen.

Wie bereits erwähnt, soll diese Maßnahme nicht nur unseren Unternehmen helfen, sondern auch den vielen Österreicherinnen und Österreichern, die, zum Beispiel um Wohnraum zu finanzieren, einen Kredit aufgenommen haben und unverschuldet arbeits­los geworden sind oder sich in Kurzarbeit befinden. Sie mussten erleben, wie sie von einem Tag auf den anderen plötzlich mit weniger Einkommen auskommen müssen, und niemand weiß aktuell, wie lange diese Situation andauern wird. Diese Personen sollen sich wirtschaftlich erholen können, ohne nun als weitere Folge der Arbeitslosigkeit oder der Kurzarbeit zum Beispiel auch ihre Wohnung zu verlieren.

Die Kreditstundungen verlängern übrigens die Laufzeiten automatisch, solange der Kreditnehmer mit seiner Bank nichts anderes vereinbart. Das heißt, die Höhe be­ziehungsweise die Beträge der jeweiligen Ratenzahlungen bleiben nach der Periode der Kreditstundungen in der gleichen Höhe wie vor dieser für alle unerwarteten Krise.

Aber auch die bereits erwähnte Verlängerung der Aussetzung der Insolvenz­antrags­pflicht ist von großer Bedeutung. Die gegenständliche Krise trifft zahlreiche Unterneh­men aus diversen Sparten. Aus Gesprächen mit verschiedensten Unternehmen weiß ich, dass viele aufgrund der Coronakrise mit Problemen zu kämpfen haben. Neben der schwierigen Auftragslage und den damit verbundenen Umsatzeinbußen gibt es die Sorge um die Mitarbeiter beziehungsweise um den Erhalt von Arbeitsplätzen.

Aktuellen Zahlen von dieser Woche zufolge haben bisher im Jahr 2020 bereits 13 300 Dienstnehmer aufgrund einer Insolvenz ihre Arbeit verloren. Im Vergleich dazu waren es im gesamten Jahr 2019 12 200 Dienstnehmer. Um möglichst viele Arbeits­plätze erhalten zu können, ist es daher von großer Bedeutung, jene Unternehmen zu unterstützen, die von dieser Krise besonders getroffen wurden. Es ist daher wichtig, dass die Frist erstreckt wird, damit die Unternehmen nicht wegen allfälliger Überschuldung in


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die Zwangslage kommen, Insolvenzanträge stellen zu müssen. Es geht darum, vor­zeitige Insolvenzverfahren zu verhindern, die nach einer Stabilisierung dieser aktuell sehr herausfordernden wirtschaftlichen Lage hoffentlich nicht mehr notwendig sein wer­den.

Aus all diesen Gründen unterstütze ich diesen Antrag für diese Fristverlängerungen. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Bundesrat Schennach: Super Rede! Super!)

14.27


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Vizepräsidentin Mag.a Elisabeth Grossmann. – Bitte schön.


14.27.26

Bundesrätin Mag. Elisabeth Grossmann (SPÖ, Steiermark): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Ministerin! Die Fristverlängerung zuguns­ten der Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer ist angesichts der aktuellen Situation natürlich ein Gebot der Stunde, und daher ist dem Antrag auch zuzustimmen. Das ist unumstritten.

Wie meine Vorrednerinnen schon ausgeführt haben, endet dadurch der Zeitraum, in dem der Fälligkeitstermin der betreffenden Ansprüche des Kreditgebers auf Rückzahlung, Zins- und Tilgungsleistung zu liegen hat, nicht mehr mit dem 31. Oktober 2020, sondern erst am 31. Jänner 2021. Das gibt etwas Luft, das gibt eine kurze Verschnaufpause, aber keineswegs eine Beruhigung – denn was ist ab Februar? Was droht dann?

Genaue Zahlen konnte man im Justizministerium nicht nennen, weil da einfach nicht eingemeldet wird – es ist schon gesagt worden, das ist eine Vereinbarung zwischen Kreditgebern und Kreditnehmern –, es ist aber abzusehen, dass uns eine Insolvenzwelle droht, begleitet von der entsprechenden Arbeitslosigkeit, wenn die Zahlungen dann fällig werden, wenn eben zurückzuzahlen ist. Woher sollen es denn die Betriebe nehmen, wenn sie Einnahmenrückgänge haben, wenn sie vielleicht nicht nur Rückgänge haben, sondern zwischenzeitlich teilweise überhaupt keine Einnahmen haben? Aufgeschoben ist eben nicht aufgehoben; dann droht uns wirklich eine Katastrophe.

Um das Schlimmste abzufedern, wurden von uns gemeinsam hier im Haus Hilfen beschlossen. Auf unser Drängen, auf Drängen der Zivilgesellschaft und aus guten Gründen wurden verschiedenste Abfederungsmaßnahmen beschlossen – die Kollegin hat sie auch aufgezählt. Wenn man sich nun aber ansieht, was aus diesen beschlos­senen Geldern tatsächlich geworden ist – dazu braucht man nur einen Blick auf den Bericht des Budgetdienstes zu werfen –, wird wirklich offensichtlich, wie säumig die Bundesregierung bei den Coronahilfsmaßnahmen dort und da ist.

Der Stand der Hilfen vom Ausbruch der Krise Anfang März bis zum 15. August, also etwa 6 Monate nicht ab Ausbruch, sondern ab Kenntnisnahme der Pandemie, ist da für uns alle nachzulesen, und wir sehen, dass die Hilfen viel zu langsam, viel zu schleppend fließen.

Frau Kollegin Schwarz-Fuchs, Sie haben den Fixkostenzuschuss für Unternehmen von 8 Milliarden Euro, den wir beschlossen haben, genannt. Davon wurden eben im be­sagten Berichtszeitraum, also bis Mitte August, lediglich 160 Millionen Euro ausbezahlt; nachzulesen im Bericht des Budgetdienstes. Das sind gerade einmal 2 Prozent, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Der Härtefallfonds wurde auch soeben angesprochen. 2 Milliarden Euro wurden be­schlossen, davon sind 30 Prozent bis Mitte August angekommen, das sind 600 Millionen Euro. 6 Monate sind bis dahin verstrichen. Bei der Beschaffung von Schutzausrüstungen


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und Tests gibt es ebenso große Säumigkeiten. 9 Millionen Euro wurden beschlossen, 4 Millionen eingesetzt, also 40 Prozent. Das ist keineswegs eine Erfolgsbilanz, das ist ein Nachweis wirklich grober Säumigkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich könnte jetzt noch vieles aufzählen. Bitte schauen Sie in den Bericht des Budget­dienstes, da ist eine ganze Liste. Alle Posten sind im Rückstand; nur bei den PR-Ausgaben, da liegt man voll im Plan: Von den 20 Millionen Euro für PR und Öffent­lichkeitsarbeit wurden bis Mitte August rund vier Fünftel der Mittel ausbezahlt. (Bun­desrat Schennach: Bravo!) Also da hat man nichts anbrennen lassen, da war schnell Geld zur Hand, da hat man nichts liegen lassen und wird auch sicherlich alles ver­brauchen, während alle anderen warten und auch zittern müssen, vor allem die kleineren Betriebe, die wirklich in größte Bedrängnis gekommen sind, und ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und, wie heute auf Ö1 zu hören war – vielleicht haben Sie in der Früh Zeit gehabt –, auch die Familien. (Neuerliche Zwischenrufe des Bundesrates Schennach.)

Der Grundsatz ist immer nur zu wiederholen: Wer rasch hilft, hilft doppelt!, und ich möchte hier wirklich an die Bundesregierung appellieren: Bitte helfen Sie rasch, lassen Sie diese Mittel auch tatsächlich bei jenen ankommen, für die sie gedacht sind, denn dafür sind diese Gelder da, und die Menschen brauchen sie ganz, ganz dringend.

Das Einzige, das wirklich gut funktioniert hat – das ist auch angesprochen worden –, war das Kurzarbeitsmodell, das von den Sozialpartnern mit der Bundesregierung ausver­handelt wurde, das hat wirklich gut geholfen. Das sollte auch eine Benchmark sein. Bitte nehmen Sie sich ein Herz: Wer rasch hilft, hilft doppelt! Lassen wir die Gelder auch bei jenen ankommen, für die sie gedacht sind! – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

14.33


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Andreas Arthur Spanring. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.


14.34.02

Bundesrat Andreas Arthur Spanring (FPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Werte Kollegen im Bundesrat und jene Damen und Herren, die via Livestream dabei sind! (Der Redner stellt eine Tafel auf das Rednerpult, auf der vier Kinder mit einer Maske abgebildet sind, versehen mit dem Text: „Das Ende des Lachens, das Ende des Kindhaften“.) Danke übrigens fürs Desinfizieren des Pultes, da möchte ich mich einmal ganz herzlich bei allen Bediensteten hier bedanken, die das immer für uns machen. Es ist auch notwendig, denn wenn ich sehe – und ich habe heute ganz bewusst den ganzen Tag zugeschaut –, wie die Kollegen von ÖVP, Grünen und auch SPÖ immer brav herauskommen mit der Maske, die sie dann da entweder ablegen oder mit der sie in der Hand herumspielen, also alles genau so machen, wie Experten sagen, dass man es nicht machen soll, dann ist es gut, dass immer wieder desinfiziert wird; denn das ist ein reines Schauspiel und hat mit dem, was man tatsächlich machen soll, nichts zu tun. (Beifall bei der FPÖ.)

Ich werde einen Mitarbeiter von uns bitten, dass er heute einmal ein 3‑minütiges Video zusammenschneidet, das kann man dann an den Schulen im Unterricht verwenden und den Kindern sagen: Schaut, liebe Kinder, so macht man es nicht! (Beifall bei der FPÖ.)

Wir haben bereits alles zu diesem Gesetz gehört, in beide Richtungen. Es geht in Wahr­heit um eine Fristverlängerung von Krediten beziehungsweise für die Eröffnung von Insolvenzverfahren. Diese Maßnahme ist natürlich begrüßenswert, darum werden wir sie logischerweise auch unterstützen. Die Frist geht bis 31. Jänner 2021. Wir haben es gehört von der Frau Kollegin: Aufgeschoben, meine Damen und Herren, ist nicht auf­gehoben. Genau da sehen auch wir das Problem, denn dieses Gesetz ist lediglich eine Behandlung der Symptome. Die Ursache wird damit nicht bekämpft, und eine mögliche


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Heilung, nämlich eine Zunahme der Wirtschaftsleistung, ist aufgrund der Corona­maß­nahmen dieser Regierung leider nicht möglich.

Bei den Insolvenzen verhält es sich ganz ähnlich, das Ableben der Firmen wird quasi nur hinausgezögert. Viele Firmen, viele Unternehmer, die jahrelang, jahrzehntelang, über Generationen hinweg ihr Herzblut, ihren Fleiß und alles, was man halt für eine Firma braucht, dort hineingesteckt haben, die stehen jetzt plötzlich vor dem Aus. Damit, meine Damen und Herren, gehen aber nicht nur Unternehmen zugrunde, in Wahrheit betrifft es unzählige Arbeitsplätze, es betrifft Existenzen, es betrifft Familien mit Kindern; und schuld am Tod dieser Unternehmen, meine Damen und Herren, ist nicht dieses Virus. Ja, das hätte die ÖVP gerne, dass das Virus jetzt an allem schuld ist! Nein, schuld sind die Maßnahmen dieser schwarz-grünen Regierung. (Beifall bei der FPÖ.)

Meine Damen und Herren! Ihr Missmanagement und Ihre Gier, diese zwei Dinge sind verantwortlich für den fatalen Wirtschaftseinbruch: Ihr Missmanagement deshalb, weil Sie absichtlich andere Meinungen, nämlich die Meinungen unzähliger Experten, ganz einfach vom Tisch gewischt und Letztere dann noch als dumm, als Verschwörungs­theoretiker oder als Covidioten hingestellt haben, obwohl die Fallzahlen eine ganz eindeutige Sprache sprechen; und Ihre Gier, weil Sie sogar in solch schwierigen Zeiten, wo viele andere ums nackte wirtschaftliche Überleben kämpfen, nichts anderes im Kopf haben, als Ihre ÖVP-Freunde gut zu versorgen und zu bereichern: die ÖVP-Freunde, die auf einmal Maskenproduzenten werden, die ÖVP-Freunde, die auf einmal Des­infektionsmittel produzieren und vertreiben und dann ganz zufällig total lukrative Aufträge von der öffentlichen Hand, Bund, Ländern und Gemeinden, bekommen, Ihre ÖVP-Freunde, die sich jetzt ein goldenes Naserl mit den Tausenden täglichen PCR-Tests verdienen, die Wirtschaftskammer, die ihre Rücklagen von mehr als 1,5 Milliarden Euro natürlich nicht verwenden muss, sondern sogar noch Unterstützung bekommt.

Meine Damen und Herren, der größte Clou, das ist ja hier herinnen zu sehen, das sind diese Legestall- -, Legebatterie- -, ich weiß gar nicht, wie ich das bezeichnen soll, diese Glaskobel um 90 000 Euro. Da würde ich auch gerne wissen, wer da gut verdient hat!

Meine Damen und Herren, Sie von der ÖVP mit dem grünen Anhängsel, Sie sind verantwortlich, dass ein solches Gesetz, wie wir es heute beschließen müssen, über­haupt erst notwendig geworden ist, denn Sie haben das Epidemiegesetz, das nämlich ein Schutz für alle Unternehmer gewesen wäre, ausgehebelt. Sie von der ÖVP, meine Damen und Herren, haben jene, die eigentlich anspruchsberechtigt gewesen wären, zu Bittstellern degradiert (Beifall bei der FPÖ) – Hauptsache, die ÖVP-Bonzen haben sich auf Kosten aller finanziell saniert. (Bundesrätin Zwazl: Halt! – Bundesrat Preineder: He! – Bundesrat Steiner: Was ist denn? Hat er den Nagel auf den Kopf getroffen?) – Wenn Sie sich aufregen, schauen Sie doch einmal nach, was unter „Bonze“ im Duden steht, da steht nichts anderes als: „jemand, der die Vorteile seiner Stellung genießt“, ohne dass er auf andere Rücksicht nimmt; na was trifft es denn besser? Was trifft es denn besser? (Beifall bei der FPÖ.)

Frau Justizminister, ich weiß, Sie sind keine ÖVPlerin. Die Grünen sind ja bekannt als die  ehemalige  angebliche Partei der moralischen Instanz oder der moralischen Über­legenheit, zumindest haben sie selber immer davon gesprochen. (Bundesrat Köck: Lauter Mutmaßungen! Schlechte Rede!) Da wundert es mich, wenn es so ist, dass Sie all das mittragen, was die ÖVP da so macht. Mindestens genauso schlimm wie die Tatsache, dass Sie hier für die ÖVP den Steigbügelhalter machen, ist die Tatsache, dass Sie in Ihrem Ressort leider genauso wenig zustande bringen wie Ministerin Tanner im Verteidigungsressort.

Ich vergesse Ihre Versprechungen nicht, Frau Minister Zadić. Sie haben eine Entlastung für die Justiz und für die Justizwache versprochen. Was ist passiert? – Die Personalaufnahmen


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sind ein Hohn. Es wird in Wahrheit nicht einmal eine so hohe Zahl aufgenommen, wie die nächsten Jahre an Abgängen zu verzeichnen sein wird. Die Besuche in den Justiz­anstalten laufen ganz munter weiter, das heißt, fremde Personen, Verwandte, Bekannte, Freunde gehen ungeprüft hinein – also vielleicht wird einmal Fieber gemessen, aber das ist ja keine Prüfung – und könnten das so gefährliche Covid-19 da hineintragen. Ich kann mich an die Medien und die Hysterie, die darum gemacht wird, erinnern – ja, dann dürfte das doch gar nicht sein.

Beim letzten Mal war es noch so, dass man die Justizwache dafür gelobt hat, dass man es geschafft hat, dass kein einziger Positiver im Gefängnis war, und bis vor zwei Tagen war es sogar noch so, dass alle Insassen uneingeschränkten Ausgang hatten. Erst vor zwei Tagen wurde er eingeschränkt, aber auch nur deshalb, weil die blaue Personal­vertretung darauf hingewiesen hat, dass auf der einen Seite die hysterische Bericht­erstattung und auf der anderen Seite die Maßnahmen, die im Gefängnis gesetzt werden, nicht zusammenpassen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FPÖ.)

Oder es ist so – ich glaube, dass es so ist; und Sie, Frau Minister, Sie wissen das eben ganz genau –, dass die Maßnahmen dieser Regierung vollkommen überzogen sind und dass dieses Virus bei Weitem nicht so gefährlich ist, wie man uns tagtäglich vonseiten der gekauften Medien versucht einzureden, und Sie deshalb keine Sicherheits­maß­nahmen in den Gefängnissen vorsehen, nämlich genau jene Maßnahmen, die zwar vielleicht in einem geschlossenen System, nämlich in einem Gefängnis, durchaus Sinn machen könnten, aber draußen die Wirtschaft zerstören, nämlich nachhaltig schädigen. Das ist auch so ein grünes Wort, Nachhaltigkeit, nur vielleicht falsch angewendet.

Sie als Justizministerin haben eine Verantwortung. Sie haben eine Verantwortung, und wenn schon der Herr Gesundheitsminister und der Herr Bundeskanzler von einer Pres­se­konferenz zur nächsten Pressekonferenz nichts anderes machen, als Märchen zu erzählen, nämlich Schauermärchen, und das Land in Angst und Unruhe zu versetzen, dann würde ich es mir von Ihnen erwarten, dass zumindest Sie ein bisschen zur Aufklärung beitragen; denn, meine Damen und Herren, ja, jeder Tote ist ein Toter zu viel, darüber brauchen wir überhaupt nicht zu sprechen, aber – und das ist das große Aber – man muss einmal ein bisschen mit den Unwahrheiten, die da herumgeistern, aufräumen.

Der durchschnittliche Coronatote ist kein 15-Jähriger, ist kein 30-Jähriger, der durch­schnittliche Coronatote ist 80 Jahre alt und hat schwere Vorerkrankungen. (Bundesrat Bader: Und sein Leben ist nichts wert?!) Wer etwas anderes behauptet, der ist falsch informiert oder er informiert falsch. (Zwischenruf bei der ÖVP.) PCR-positiv-Getestete müssen weder krank noch infektiös sein, und wer etwas anderes behauptet, meine Damen und Herren, der ist falsch informiert oder er informiert falsch. (Zwischenruf des Bundesrates Bader.)

Die Masken, die Sie alle hier herinnen tragen, meine Damen und Herren, die sind komplett wirkungslos und schützen nicht, und wer etwas anderes behauptet, meine Damen und Herren, der ist entweder falsch informiert oder er informiert falsch. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Buchmann.)

Das Schöne, das jetzt während der ganzen Pandemie zu sehen ist, ist, dass dieser Coronawahn nun endlich zu bröckeln beginnt, weil sich draußen immer mehr Mediziner, Epidemiologen, Virologen und andere Experten trauen, aufzustehen, und das, obwohl ihnen massiv gedroht wird: mit Jobverlust, mit Existenzverlust, mit Hausdurchsuchungen (Bundesrat Raggl: Ja genau! – Bundesrätin Zwazl: Geh bitte!), und sie stehen trotzdem auf und sagen ihre Meinung, weil sie es nicht mehr aushalten.

Apropos Jobverlust und Hausdurchsuchungen – das zählt ja auch zur Justiz, Frau Ministerin –, da fällt mir Voltaire ein, der gesagt hat – ich sage es jetzt in gekürzter Form –: It’s dangerous to be right when the government is wrong! – So ist es.


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Die gekauften Medien, meine Damen und Herren, prostituieren sich weiter für diese Re­gierung – ist ja klar, es gibt ja Millionen Euro an Förderungen, es gibt Millionen Euro an Inseraten. Trotz dieser Millionenförderungen wird es sogar schon den ersten Medien zu dumm, sie stehen auf und zeigen auf, dass diese Maßnahmen ein Irrsinn und ein Wahn­sinn sind, zuletzt vor drei Tagen: ARD.

Es gäbe noch sehr viel zu diesem Thema zu sagen, abschließend ist mir eines aber schon noch wichtig. Ich möchte etwas über dieses Social Distancing sagen, das der Psyche des Menschen einfach massiv schadet. Die Fallzahlen zeigen einmal mehr, dass die Maßnahmen dieser Regierung vollkommen überzogen sind. Dieses Virus ist definitiv kein Killervirus! Dafür kann ich Ihnen etwas anderes sagen: Eine gesunde Psyche in Verbindung mit einem guten Immunsystem, das killt den Virus! (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Raggl.)

Wie ich es mehrmals gesagt habe: Diese Masken helfen gar nichts. Ich habe hier ganz bewusst ein Schild mitgebracht (der Redner zeigt die Tafel, auf der vier Kinder mit einer Maske abgebildet sind, versehen mit dem Text: „Das Ende des Lachens, das Ende des Kindhaften“) und sage Ihnen eines: Diese Regierung ist jetzt zu weit gegangen! Dass sie jetzt über Direktoren und Lehrer unsere Kinder in den Schulen dazu verpflichtet, Masken zu tragen, ist ein absoluter Wahnsinn – ein absoluter Wahnsinn. Darum sage ich Ihnen: Hören Sie auf damit, unseren Kindern die Luft abzuschnüren und lassen Sie unsere Kinder wieder frei atmen! (Anhaltender Beifall bei der FPÖ.)

14.46


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Klara Neurauter. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.


14.46.44

Bundesrätin Klara Neurauter (ÖVP, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuhörer! Nach diesem Rundumschlag mit ungeprüften Anschuldigungen und Märchen möchte ich nun wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkommen und wieder zur Tagesordnung hinführen. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Schreuder.)

Der Gesetzesbeschluss auf Änderung des 2. COVID-19-Justiz-Begleitgesetzes zielt darauf ab, KreditnehmerInnen, die aufgrund der Coronakrise in wirtschaftliche Schwie­rigkeiten geraten sind, weiterhin zu entlasten. Wir haben es schon gehört: In diesem Sinn soll nun die Frist für die Leistungsverpflichtung um drei Monate erstreckt werden, konkret also auf den 31. Jänner 2021. Im gleichen Ausmaß erstreckt werden sollen auch die Fristen betreffend die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung sowie die Aussetzung betreffend Kredite nach dem Eigenkapitalersatz-Gesetz. Private Haushalte und Kleinunternehmen, die vor dem 15. März Kredite aufgenommen haben, werden aufgrund der Pandemie dadurch nicht in die Fälligkeitsfalle tappen.

Sehr viele rechtschaffene Menschen in Österreich sind aufgrund der Pandemie in Exis­tenznöte geraten. Viele haben ihre Arbeit verloren, und Unternehmerinnen und Unter­nehmer leiden unter Umsatzrückgängen oder mussten sogar ihren mit viel Engagement gegründeten Betrieb wieder zusperren. Daher ist diese gesetzliche Fristverlängerung dringend notwendig. Wir haben wahrlich schwierige Zeiten hinter uns und wahrscheinlich noch für einige Zeit vor uns. Wir haben in den letzten Monaten ein Bündel an Maß­nahmen mit dem Ziel verabschiedet, die Gesundheit zu schützen, die Wirtschaft zu stärken und Arbeitsplätze zu retten.

Die aktuelle Situation kennen Sie alle: Die Infektionszahlen steigen, die wirtschaftliche Situation ist nach wie vor schwierig, aber wir sehen auch, dass die Hilfsmaßnahmen wirken. Diese Kreditstundungen tragen dazu bei. Es werden die Laufzeiten automatisch


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verlängert, und klar ist auch, dass Verzugszinsen nicht anfallen. Um den Menschen und den Unternehmen zu helfen, die in guten Zeiten Verbindlichkeiten eingegangen sind, die sie jetzt in dieser unvorhersehbaren, schwierigen Situation nicht mehr bedienen können, haben wir ja ursprünglich gemeinsam diese Bestimmungen im COVID-19-Justiz-Begleit­gesetz geschaffen. Mit der Verlängerung dieser Fristen können wir vielen die enormen Sorgen nehmen und gleichzeitig vorzeitige Insolvenzverfahren verhindern, die nach einer Stabilisierung der Verhältnisse wahrscheinlich nicht mehr notwendig werden.

Diese Regelung gibt jenen Luft zum Atmen, denen jetzt unverschuldet das Wasser bis zum Hals steht. Sie hilft ihnen, weiter durchzutauchen, bis die wirtschaftlichen Verhält­nisse stabil sind, dann können sie auch die Rückzahlungen wieder aufnehmen.

Sehr geschätzte Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Redebeitrag verabschiede ich mich aus diesem Haus. Ich möchte Ihnen allen danken, die Sie sich auf welche Weise auch immer für unser Land und seine Bürger einsetzen. Mir waren Bereiche wie Se­niorenpolitik, Pflege, Föderalismus, Dezentralisierung, Kunst und Kultur ein Herzens­anliegen. Weiterhin werde ich mich besonders der Seniorenpolitik in Innsbruck widmen und auch den Kampf gegen die Einsamkeit, den ich dort schon intensiviert habe, noch verstärken. Gemeinsam geht alles besser, das wissen Sie.

Mit meinem Dank möchte ich aber auch eine Bitte aussprechen; gerade die heutige Sitzung bietet mir wieder Anlass dazu. Bitte verlieren wir in unseren Debatten nicht den Respekt voreinander! Jeder hat seine Meinung, die er auch sagen soll und sagen muss, aber vergessen wir nicht: Die Menschen draußen, die wir alle vertreten, sie wollen Fakten und Debatten, in denen man erkennt, wofür oder wogegen ein Mandatar steht. Respektlosigkeit, Anpatzen, primitive Zwischenrufe sollten im Hohen Haus nichts verloren haben. Freie Rede ja, Verunglimpfungen nein! (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei BundesrätInnen der SPÖ.)

Ich habe hier so viel Gutes erlebt, ich muss es sagen: hochinteressante Debatten, tief­gehende Diskussionen, Kollegialität, freundschaftliches Entgegenkommen. Bitte bewah­ren Sie das auch weiterhin! Die Wähler daheim danken es uns, denn sie wollen Lö­sungen der Probleme, aber keinen Streit. Den Ruf der Politiker bestimmen wir durch unser Verhalten auch selbst mit – und: Letztlich zählt immer der Mensch! Alles Gute Ihnen allen, und bleiben Sie bitte gesund! (Anhaltender allgemeiner Beifall.)

14.52


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Sehr geehrte Frau Bundesrätin, liebe Klara! Du hast die Würde dieses Hauses immer hochgehalten, du bist ein wertvolles und hoch angesehenes Mitglied dieses Bundesrates  noch, sage ich, du bist es ja Gott sei Dank noch bis November. Du warst und bist eine großartige Kollegin. Alles, alles Gute, du wirst uns sehr, sehr fehlen! (Allgemeiner Beifall. – Bundesrätin Neurauter erhebt sich von ihrem Sitz und verbeugt sich.)

Zu einer Stellungnahme hat sich nun Frau Bundesministerin Dr.in Alma Zadić zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Bundesministerin.


14.53.42

Bundesministerin für Justiz Dr. Alma Zadić, LL.M.: Frau Präsidentin! Geschätzte Bundesräte und Bundesrätinnen! Ich freue mich ganz besonders, dass wir heute über diesen vorliegenden Beschluss des Nationalrates zum vorliegenden Initiativantrag sprechen können.

Auf den ersten Blick wirkt es ja nur wie eine Fristverlängerung, aber diese Frist­ver­längerung hat für ganz viele Menschen ganz wichtige Konsequenzen. Wir haben es jetzt schon mehrfach gehört, auch in den unterschiedlichen Reden: Die Coronakrise hat einfach immer stärker und deutlicher werdende Auswirkungen, insbesondere wirtschaftliche


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Auswirkungen: wirtschaftliche Auswirkungen für Unternehmen, aber auch für viele, viele Menschen. Deswegen ist es notwendig, die notwendigen Maßnahmen zu setzen, um vielleicht hier und da eine gewisse Abhilfe zu schaffen.

So haben wir Kredite von privaten KreditnehmerInnen oder Kleinstunternehmen, deren Einkommensausfälle aufgrund der Coronakrise eine Zins- und Tilgungsleistung unmög­lich machen, gestundet, und zwar seit dem 1. April. Da diese Stundung jetzt auslaufen würde, haben wir uns überlegt, dass es notwendig wäre, das bis Ende Jänner zu verlän­gern, um den Menschen eine noch ein bisschen längere Verschnaufpause zu geben. Wir sehen, die Coronakrise ist nicht vorbei, wir sehen, die wirtschaftlichen Auswirkungen haben immer noch Folgen, und daher wird es notwendig sein, diese Fristverlängerung zu gewähren.

Aus denselben Gründen haben wir eine weitere Frist verlängert, nämlich jene für die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei einer Überschuldung. Viele haben es schon angesprochen und es war heute auch in den Medien immer wieder Thema, es ist deutlich spürbar und sichtbar: Viele UnternehmerInnen haben große Sorgen, haben Angst vor der Insolvenzwelle. Wenn einmal die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ausläuft, fürchten ganz viele Unternehmerinnen und Unternehmer, dass sie Insolvenz anmelden müssen.

Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass das Insol­venzrecht in Österreich insoweit reformiert wird, dass insbesondere auch die Restruktu­rierungsrichtlinie so rasch wie möglich umgesetzt wird. Wir haben da seitens der EU zwar die Vorgabe, erst Mitte, Ende nächsten Jahres fertig zu werden, wir möchten aber schauen, dass wir mit diesem Jahr mit der Umsetzung fertig sind, sodass diese Re­strukturierungsrichtlinie umgesetzt wird, wenn die Aussetzungsfrist ausläuft, und wir ein neues, modernes Insolvenzrecht haben, das vielen UnternehmerInnen auch eine zweite Chance bietet.

Wir wissen, Corona war ein Schlag gegen die Zahlungsfähigkeit vieler Menschen, und wir hoffen, mit diesen Maßnahmen eine gewisse Abhilfe zu ermöglichen.

Für die Arbeit möchte ich mich naturgemäß wieder bei den Beamtinnen und Beamten meines Hauses bedanken, denen es wieder gelungen ist, in kürzester Zeit Maßnahmen zu setzen und unter Hochdruck und in kurzer Zeit gewisse Maßnahmen und Gesetze zu erarbeiten.

Ich hoffe sehr, dieser Antrag findet bei Ihnen allen Zustimmung, und danke auch für Ihre Beiträge. – Danke schön. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei BundesrätInnen der SPÖ.)

14.57


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Karlheinz Kornhäusl. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.


14.57.40

Bundesrat Dr. Karlheinz Kornhäusl (ÖVP, Steiermark): Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrte Frau Bundesministerin! Es tut mir leid, da kann ich jetzt nicht schweigen oder so tun, als wäre nichts passiert. Zur Rede des Kollegen Spanring: Ich habe mir jetzt einmal nur auf die Schnelle die Mühe angetan, mir drei, vier Studien herauszusuchen, die alle belegen, allesamt  außer, Sie wissen es besser, wovon ich ausgehe , dass die Mas­ken a) nicht nur helfen, sondern b) sogar die Schwere der Erkrankung herabsetzen. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Geh bitte! Die 3er-Masken! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)  Natürlich, Spanring, Steiner, Mühlwerth haben ihre eigene Studienlage.


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Ich zitiere nur: Howard et al, University of San Francisco, Zhang et al, University of Texas, Cheng et al, University of Birmingham – die alle haben natürlich keine Ahnung davon –, und jetzt, ganz rezent publiziert, September 2020, „The New England Journal of Medicine“, eines der prominentesten Journals, in dem Ghandi et al sagen, dass die Maske nicht nur vor der Ansteckung schützt, sondern eben auch die Schwere der Erkrankung herabsetzen kann. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Nur die FFP3-Maske!)

Ich lasse Ihnen das über Ihren Klub zukommen, dann können Sie das verteilen. (Beifall der BundesrätInnen Hauschildt-Buschberger und Schreuder.  Rufe bei der FPÖ: Na, na, na!) Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Studium. Vielleicht können wir uns dann auch zusammensetzen und ein bisschen darüber austauschen. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

14.59


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Es liegt eine weitere Wortmeldung von Herrn Andreas Arthur Spanring vor. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.


14.59.35

Bundesrat Andreas Arthur Spanring (FPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrte Damen und Herren! Danke, dass ich noch einmal ans Rednerpult gehen darf. (Rufe bei der ÖVP: Na, na, na!) Folgendes: Ja, das mag sein, es gibt viele Studien zu vielem, da gebe ich Ihnen vollkommen recht, und es mag auch sein, dass es zu den Masken ist. Das sind aber sicher nicht die Masken, die Sie da aufhaben (Bundesrat Schreuder: Doch, auch die Stoffmasken!), denn eines kann ich Ihnen schon sagen: Das Virus hat eine Größe von 0,08 Mikrometern.

Die Masken, die Sie aufhaben, haben eine Durchlässigkeit von 20 bis 50 Mikrometern. Das ist ungefähr so, wie wenn Sie an der Grenze zu Ihrem Nachbargrundstück einen Maschendrahtzaun bauen, damit die Gelsen nicht herüberkommen. Genau diese Wirk­samkeit hat es. (Beifall bei der FPÖ.)

Natürlich schützt eine Maske vor Tröpfchenübertragung – das streite ich ja gar nicht ab –, aber so, wie die Masken verwendet werden – und das werden sie von 98 Prozent der Personen –, werden sie falsch verwendet (Zwischenruf des Bundesrates Kornhäusl), weil das keinen Sinn hat, so wie Sie sie auch verwendet haben.

Ich habe Ihnen beim Herausgehen genau zugeschaut – Sie haben sie übrigens hierher gelegt, wo ich gerade draufgreife. Vielleicht habe ich jetzt Glück und kriege Ihre Pilz­sporen und Bakterien ab, die Sie über den ganzen Tag angesammelt haben. (Beifall bei der FPÖ.)

15.00

15.00.59


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Weitere Wortmeldungen dazu liegen jetzt nicht mehr vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

15.01.297. Punkt

Bericht der Bundesministerin für Justiz betreffend Jahresvorschau des BMJ auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission


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für 2020 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des rumänischen, finnischen und kroatischen Ratsvorsitzes (III-700-BR/2020 d.B. sowie 10425/BR d.B.)


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Wir gelangen nun zum 7. Punkt der Tages­ordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Ernest Schwindsackl. – Ich bitte um den Bericht.


15.01.56

Berichterstatter Ernest Schwindsackl: Geschätzte Frau Präsidentin! Frau Bundes­ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Justizaus­schusses über den Bericht der Bundesministerin für Justiz betreffend Jahresvorschau des Bundesministeriums für Justiz auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeits­programms der Europäischen Kommission für 2020 sowie des Achtzehnmonats­pro­gramms des rumänischen, finnischen und kroatischen Ratsvorsitzes. (Vizepräsidentin Grossmann übernimmt den Vorsitz.)

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Justizausschuss hat den gegenständlichen Bericht in seiner Sitzung am 6. Oktober 2020 in Verhandlung genommen und stellt den Antrag, den Bericht der Bundesminis­terin für Justiz betreffend Jahresvorschau des BMJ auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2020 sowie des Acht­zehnmonatsprogramms des rumänischen, finnischen und kroatischen Ratsvorsitzes (III-700-BR/2020 d.B.) zur Kenntnis zu nehmen.


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Danke für den Bericht, Herr Kollege.

*****

Bevor wir in die Debatte eingehen, darf ich Sie in Kenntnis setzen, dass das Protokoll vom Vormittag eingetroffen ist. Wie Sie sich vielleicht erinnern, habe ich Herrn Bundesrat Pisec für den Ausdruck „Irrer“ einen Ordnungsruf erteilt. Wir am Podium haben den Wortteil „läuf“ überhört. Im Protokoll ist nachzulesen, dass der Begriff „Irrläufer“ tat­sächlich gefallen ist. Daher nehme ich den Ordnungsruf zurück und ersuche, den Hörfehler zu entschuldigen. (Beifall bei der FPÖ.)

Weiters möchte ich die Gelegenheit nützen, Frau Bundesrätin Klara Neurauter für ihr Wirken und auch für ihre berührenden Abschiedsworte, die hoffentlich bei allen auch angekommen sind und Wirkung zeigen, zu danken und ihr persönlich alles, alles Gute für ihre Zukunft wünschen. (Allgemeiner Beifall.)

*****

Wir gehen nun in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Dr. Michael Schilchegger. – Bitte, Herr Kol­lege.


15.04.27

Bundesrat MMag. Dr. Michael Schilchegger (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte die Jahresvorschau 2020 des Justizministeriums zum Anlass nehmen, einmal zurückzublicken und eine grundlegende Bilanz zu ziehen.

Im Jahr 2019, nach einem Jahr freiheitlicher Regierungsbeteiligung, wurden – natürlich in Abstimmung mit der ÖVP – zahlreiche Reformvorhaben im Justizbereich umgesetzt.


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Beispielhaft möchte ich Entlastungen für Unternehmen nennen, indem Vorschriften des EU-Rechts auf das erforderliche Mindestmaß zurückgenommen wurden, Stichwort Gold Plating, ein effektives Gewaltschutzpaket mit erhöhtem zivil- und strafrechtlichen Schutz für Verbrechensopfer, ein restriktives Fremdenrechtspaket und begleitend dazu auf europäischer Ebene auch eine Forcierung des Prinzips Haft in der Heimat, wonach ausländische Straftäter ihre Strafhaft nicht in Österreich, sondern in ihrem Heimatland verbringen sollen. Dazu braucht es natürlich auch entsprechende Überstellungsüber­einkommen.

Das und vieles mehr haben wir 2019 auch hier im Bundesrat mit Ihrem Amtsvorgänger, Frau Bundesminister, erörtert. All das war auch Teil der Bilanz einer freiheitlichen Re­gierungsbeteiligung mit Herbert Kickl im Innenressort, wo durch die tägliche Arbeit in der Sache und durch Bohren dicker Bretter auch gegen schwarze Reformverweigerer – so viel kann man heute sagen – dafür gesorgt wurde, dass das, was im schwarz-blauen Regierungsprogramm vereinbart wurde, auch tatsächlich einmal sukzessive in die legislative Umsetzung gelangt. (Beifall bei der FPÖ.)

Was ist seither geschehen? – 2019: Das tiefschwarze Imperium schlug zurück, und nun sind nicht mehr wir Freiheitliche, sondern seit 2020 sind die Grünen in Regierungs­verantwortung.

Was ist seither in der Justiz geschehen? Ich frage Sie, Frau Bundesminister. Sie selbst setzen ja die Akzente, die wir dann als Oppositionspartei zu bewerten haben. Viel mehr können wir an dieser Stelle nicht tun, auch zu diesem Bericht nicht. Daher möchte ich überleiten: Schauen wir uns einfach einmal die Presseaussendungen Ihres Ressort der letzten Monate an!

Da finden wir Berichte zur Entmachtung von Sektionschef Pilnacek und zur Bestellung einer neuen Sektionschefin, sodann zur Wiederbestellung von Sektionschef Pilnacek.

Wir finden personelle Besetzungen der Bundesbetreuungsagentur in Kollaboration mit grünen Vorfeldorganisationen, damit illegale Einwanderer, deren Asylantrag abgelehnt wurde, auch weiterhin aussichtslose Rechtsmittel einbringen können. (Ruf bei der FPÖ: Unglaublich!)

Wir finden Anmerkungen zu Covid-Begleitgesetzen und eine Bewerbung dieses Über­gangsrechts, das im Sinne einer fortwährenden Selbstbeschäftigung des türkis-grünen Coronawahnsinns natürlich auch laufend evaluiert und verändert werden muss. Vorhin haben wir wieder ein Beispiel dafür gesehen.

Sodann finden wir als aktuellste OTS-Presseaussendung von vor zwei Wochen endlich die bahnbrechende Nachricht „Zadić trifft mit deutschsprachigen Justizministerinnen zusammen“.

Sie verstehen also, meine Damen und Herren, dass wir bei einer solchen Leistungs­bilanz nach knapp einem Jahr nicht gerade geneigt sind, in Begeisterungsstürme aus­zubrechen.

Ja, meine Damen und Herren von der schwarz-grünen Regierungsfraktion – diese Fragen richte ich nicht nur an die Frau Justizminister –: Was tut sich eigentlich abseits Ihrer Interviews und Pressekonferenzen? Was reformieren Sie in der Sache? Wer trägt hierfür die Verantwortung? – Diese Fragen scheuen Sie wie der Teufel das Weihwasser. Da weichen Sie aus, da lenken Sie ab und senden schon wieder die nächste Ankün­digung aus.

Wo ist die elektronische Akteneinsicht im Strafverfahren? – Die wurde immer wieder versprochen, doch nichts ist passiert.


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 109

Haft in der Heimat? – Das ist übrigens heute noch Teil Ihres türkis-grünen Regierungs­programms im Justizbereich. Ich zitiere: „Haft in der Heimat weiter forcieren“, „Kon­se­quente und rasche Überstellung ausländischer Insassen in deren Heimatstaat“, „Forcie­rung bilateraler und multilateraler Überstellungsabkommen“. – Wo sind diese Überstel­lungs­abkommen?

Ich würde Sie, Frau Justizministerin, ja zum Abschluss nun gerne auffordern, endlich einmal vom Interview- und Ankündigungsmodus in den Umsetzungsmodus zu gelangen, aber ich tue es nicht, denn überall dort, wo grüne Verantwortungsträger einmal an­fangen, inhaltlich zu arbeiten und Reformen anzustoßen, ist das Ergebnis entweder eine weitere Förderung illegaler Einwanderung oder die Bevorzugung von Zuwanderern vor Österreichern bei der Vergabe von Wohnungen oder Arbeitsstellen, oder wir erleben ein Verkehrschaos oder eine unfassbare Verschleuderung von Steuergeld oder beides, wie zuletzt etwa durch die Aufstellung eines Pools am Wiener Gürtel, oder wir verdanken ihnen überhaupt das größte volkswirtschaftliche Desaster der Zweiten Republik: eine Rekordarbeitslosigkeit und die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten, die nicht wie Sie in der glücklichen Lage sind, im geschützten Bereich zu arbeiten, angesichts ihrer ebenso willkürlichen wie überzogenen Coronaregelungen, angesichts der fehlenden Planbarkeit für Arbeitnehmer und Unternehmer, garniert mit chaotischen Ampel­schal­tungen.

Solange Sie, Frau Bundesminister, im Justizwesen weiter in Ihrer Untätigkeit verharren, solange Sie sich auf Verlängerungen von Kreditstundungen und Treffen mit Ihren Amtskolleginnen beschränken, ist das als geringeres Übel zu akzeptieren. (Beifall bei der FPÖ.)

15.09


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger. – Bitte, Frau Kollegin.


15.09.34

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Die Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten in den Bereichen Justiz und Inneres hat eine lange Tradition.

Im Legislativ- und Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für 2020 werden wichtige Vorhaben zu aktuellen Herausforderungen im Ressort Justiz präsentiert, die während des rumänischen, finnischen und kroatischen Ratsvorsitzes weiter voran­getrieben werden. Ich möchte aus diesem Programm, das sowohl das Straf- als auch das Zivilrecht umfasst, vor allem drei Initiativen zur Digitalisierung herausgreifen, die aus österreichischer Sicht sehr positiv bewertet werden.

Es soll im Rahmen der Europäischen Zustellungsverordnung den großen technischen Fortschritten im Bereich der Digitalisierung Rechnung getragen werden und ein ver­stärkter Einsatz elektronischer Mittel bei der Übermittlung und Zustellung von Schrift­stücken in einen anderen Mitgliedstaat ermöglicht werden. Das bedeutet vor allem für grenzüberschreitende Gerichtsverfahren, dass diese einfacher, schneller und kosten­günstiger geführt werden können.

Ähnliches gilt für die Europäische Beweisaufnahmeverordnung, in der die grenzüber­schreitende mittelbare und unmittelbare Beweisaufnahme, wie zum Beispiel die Ver­nehmung von Zeugen oder die Prüfung von Urkunden, geregelt ist. Auch da sollen die Errungenschaften der Digitalisierung nutzbar gemacht werden. So soll die Kom­mu­ni­kation zwischen dem ersuchenden und dem ersuchten Gericht verpflichtend auf


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elektronischem Weg erfolgen. Auch die unmittelbare Beweisaufnahme soll primär per Videokonferenz erfolgen, vorausgesetzt, es erscheint im Einzelfall als geeignet.

Mit der Gesetzesinitiative Digital Services Act soll die E-Commerce-Richtlinie mit dem Ziel überarbeitet werden, dass die Rechte der von illegalen Inhalten betroffenen Per­sonen gestärkt werden. In diesem Licht ist auch das jüngste Gesetzespaket von Justiz­ministerin Zadić und Bundesministerin Edtstadler gegen Hass im Netz zu sehen. Das Löschen von Hasspostings soll so einfacher ermöglicht werden, und Plattformen wie Facebook sollen endlich stärker in die Verantwortung genommen werden. Für von Hass im Netz Betroffene soll es ein einfaches und kostengünstiges Verfahren geben. Sie können ein ausgefülltes Formular, das von der Website des Justizministeriums herun­tergeladen werden kann, an das Gericht schicken. Der Richter kann dann ohne münd­liche Verhandlung und Anhörung der Gegenseite einen Unterlassungsauftrag erteilen, wenn sich die Rechtsverletzung schlüssig aus den Angaben ableiten lässt. Der Auftrag richtet sich gegen die Täterin beziehungsweise den Täter und die Plattform. Sollten sie die Beleidigung nicht löschen, kann Exekution geführt werden.

Die Plattformen müssen ein Meldesystem errichten, wo Betroffene die Löschung von Postings beantragen können. Die Löschung muss innerhalb eines Tages erfolgen, wenn die Rechtswidrigkeit bereits für einen juristischen Laien offenkundig ist. Ist eine nähere Prüfung notwendig, beträgt die Frist sieben Tage. Zudem müssen die Plattformen in regelmäßigen Berichten festhalten, welche Anträge auf Löschung gestellt wurden und wie damit verfahren wurde.

Diese Beispiele zeigen vor allem eines: die bedeutende Rolle der Digitalisierung in unserer Gesellschaft. Es zeigt sich vor allen Dingen auch – weil ich meinem Vorredner gerne widersprechen möchte –, dass im Justizministerium sehr wohl gearbeitet wird, nämlich auch trotz der massiven Herausforderung, die diese Pandemie darstellt.

Um noch einmal auf die Digitalisierung zurückzukommen: Ich glaube, dass die auch in Zeiten von Corona in vielen Dingen eine wesentliche Hilfe war und dass sie weiter vorangetrieben werden muss, und ich glaube, dass wir auf einem sehr guten Weg sind. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der ÖVP.)

15.13


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Danke.

Ich darf nun Herrn Bundesrat Dr. Peter Raggl ans Rednerpult bitten. – Bitte.


15.14.05

Bundesrat Dr. Peter Raggl (ÖVP, Tirol): Hohes Präsidium! Geschätzte Frau Bun­desminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da Kollege Schilchegger, glaube ich, den Bericht, über den wir heute diskutieren, gar nicht gelesen hat, sondern eine Abrechnung mit den Geschehnissen oder Nichtgeschehnissen im Bundesministerium gemacht hat, erlaube auch ich mir, am Anfang meiner Rede kurz ein bisschen von dem mir vorgegebenen Thema abzuweichen.

Ich möchte nur kurz auf das Lächerlichmachen der Coronamaßnahmen der Bundes­regierung zurückkommen. Da darf ich jetzt als Tiroler vor allem meinen Kollegen Christoph Steiner ansprechen: Christoph, du kommst ja aus einer Tourismusregion, dem Zillertal, mit acht Millionen Nächtigungen. Ich komme aus dem Bezirk Landeck, Ischgl, mit ähnlich vielen Nächtigungen.

Es hat nicht die ÖVP die Reisewarnung über Tirol verhängt, sondern das war das renommierte Robert Koch-Institut (Bundesrat Steiner: Aber ihr habt eine super Sperr­stunde gemacht mit 22 Uhr! Sehr hilfreich!), das war das renommierte Robert Koch-Institut.


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Wenn wir nicht durch gemeinsame Anstrengungen – und das Maskentragen ist, glaube ich, eine relativ gelinde Maßnahme, durch die wir, glaube ich, vorwärtskommen werden – diese Reisewarnung wegbekommen, dann weißt du, was das für unsere Regionen heißt. Alles hängt bei uns am Tourismus, nicht nur die Gastronomie, es hängen sämtliche Handwerker, sämtliche Gewerbebetriebe daran. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.)

Wenn diese Sperrstunde hilft (Bundesrat Steiner: Die hilft! Ja! Die hilft sicher ...!), dass die Infektionszahlen sinken, dann sage ich: Das sind ganz erträgliche Maßnahmen, die uns vielleicht die Wintersaison retten können. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bun­desrates Schreuder.)

Ich darf jetzt doch noch kurz auf den Bericht betreffend Jahresvorschau des Bundes­ministeriums auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission eingehen. Kollegin Hauschildt-Buschberger hat dazu schon vieles gesagt. Es geht der EU-Kommission um die Stärkung der weiteren justiziellen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten. Es soll zu Verfahrensvereinfachungen und vor allem zu Verfahrensbeschleunigungen kommen.

Wenn man den Bericht genau angesehen hätte, dann wüsste man, dass der Bericht vom März des heurigen Jahres stammt, aus der Zeit noch vor Corona. Der Bericht listet als die größten Herausforderungen der EU den Brexit und die rechtsstaatlichen Defizite auf, die es in einigen EU-Mitgliedstaaten zu beseitigen gilt. Von Corona ist in diesem Bericht natürlich noch nichts zu lesen, weil es sich damals noch nicht als Problem dargestellt hat.

Zur Feststellung der rechtsstaatlichen Defizite: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, und es gilt – eine große Herausforderung für die EU –, diese Defizite zu beseitigen. Das ist wichtig für die EU, damit sie auch weiterhin den Bürgern den Mehrwert näherbringen kann, wegen dem es diese Gemeinschaft braucht. Dieser Erwartungshaltung – da muss ich jetzt die EU doch ein bisschen kritisieren – hat sie gerade bei Erfüllung ihrer Aufgabe des Eingreifens und des Moderierens im Zuge der Bekämpfung der Pandemie leider nicht zufriedenstellend entsprochen.

Als zentrale Herausforderung nennt der Bericht das Bekenntnis zu einer weiteren Stärkung der internationalen justiziellen Zusammenarbeit sowohl im Strafrechts- als auch im Zivilrechtsbereich. Da geht es vor allem um weitere Fortschritte bei der gegen­seitigen Anerkennung, aber auch bei der Vereinfachung der Rechtshilfe, beispielsweise beim Austausch elektronischer Beweismittel, immer mit dem Ziel, eine Verfahrens­vereinfachung, eine Verfahrensbeschleunigung zu erreichen.

Ich habe es angesprochen: die Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit in einigen EU-Mitgliedstaaten und damit eigentlich das Rütteln am Fundament des Funktionierens der EU – da gilt es die Defizite aufzuzeigen. Zu diesem Zweck hat die EU ein neues Evaluie­rungsinstrument eingeführt, nämlich den Jahresbericht über die Rechtsstaatlichkeit, der – aktuell – jetzt im September das erste Mal vorgestellt wurde. Da darf es jedoch aus Sicht der EU und aus Sicht der Mitgliedstaaten nicht nur beim Aufzeigen der Verfeh­lungen bleiben, sondern es müssen auch Taten und Aktionen gesetzt werden, um diese Verfehlungen abzustellen.

Besonders positiv ist mir beim Lesen des Berichtes das von der EU bei der Rechtsetzung zukünftig anzuwendende Prinzip „One In, One Out“ aufgefallen. Dies würde – ich sage es absichtlich im Konjunktiv: würde – in der Praxis bedeuten, dass jede neue Verwal­tungslast nur dann eingeführt wird, wenn gleichzeitig Menschen und Unternehmen auf EU-Ebene von einer gleichwertigen Verwaltungslast befreit werden. Nicht nur der Experte des Ministeriums im Ausschuss hat diese Absicht bezweifelt. Mir geht es irgendwie gleich, aber ich möchte sagen: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich vertraue darauf, dass man sehr in diese Richtung arbeitet.


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Zusammengefasst darf ich festhalten, dass die länderübergreifende Justizpolitik ein wesentlicher und wichtiger Grundstein für die Beschleunigung von Verfahren ist. Zudem kann die grenzübergreifende Zusammenarbeit der Justiz, vor allem die beschleunigte Zusammenarbeit, einen wichtigen Hebel zur Bekämpfung von Terrorismus und organi­sierter Kriminalität darstellen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei BundesrätInnen der Grünen.)

15.20


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Als vorerst letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist Herr Bundesrat Stefan Schennach zu Wort gemeldet. – Bitte.


15.20.21

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­schätzte Frau Justizministerin! Ich halte mich jetzt einmal an den Vorredner und tue dasselbe, ich gehe auf zwei Dinge aus vorherigen Debatten ein.

Zum Ersten richte ich mich einmal an Frau Zeidler-Beck: Ich habe letztes Mal bei meiner Rede hier mit dem ganzen Plastik Ihre Aufregung nicht verstanden. Ich habe jetzt im Protokoll nachgelesen; wahrscheinlich bin ich schon so integriert in Wien, dass ich das Z so schwach oder leise ausgesprochen habe, dass es tatsächlich, wie im Protokoll nachzulesen, wie Seidler-Beck klingt. Natürlich heißen Sie Frau Zeidler-Beck, und es tut mir leid, es war keine Verballhornung Ihres Namens.

Zweitens, weil sich vorhin zwei Tiroler hier ein paar Kämpfe geliefert haben: Ich wollte mich zur Gesundheitstelematik nicht melden, aber auf meinen Laptop habe ich jetzt in der Zwischenzeit wieder zwei E-Mails bekommen, in denen drinsteht: Zwangsimpfung ist Faschismus. Eltern, die ihre Kinder zum Impfen bringen, sind Mörder und Täter. – Wir müssen von dieser Debatte runterkommen, das ist schrecklich!

Kollege Steiner hat ja schon vieles zu diesem Social Web, in dem all diese Messages hin- und hergeschickt werden, gesagt. Aber ich kann ja umgekehrt eine Frage stellen, Kollege Steiner: Gab es deine Familie 1809 schon? – Die Frage stelle ich jetzt deswe­gen, weil ich einen anderen Zusammenhang herstellen will; Frau Neurauter weiß, was ich meine. Die zweite Bergiselschlacht in Tirol hatte folgenden Hintergrund: Die Fran­zosen fanden die Tiroler medizinisch dermaßen heruntergekommen und pockenver­seucht, dass sie eine allgemeine Pockenimpfung anordneten. Und was haben dann einige in Tirol geglaubt? – Man will ihnen den libertären Geist der Französischen Revolu­tion einimpfen, und so kam es zur zweiten Tiroler Bergiselschlacht.

Bleiben wir einmal auf dem Boden der Tatsachen! Impfen kann sinnvoll sein. Großteils ist es auch wichtig, dass es Freiwilligkeit gibt. Aber wenn ich zum Beispiel gestern in der Elefantenrunde einen Spitzenkandidaten gehört habe, der gesagt hat: Die Pandemie gibt es gar nicht, das ist eine Erfindung!, dann muss ich sagen: Wir haben eine Verantwor­tung; eine Million Coronatote in der Welt sind mehr als genug, und was immer an Maßnahmen notwendig sein wird, ist zu ergreifen. Wir werden nach dem freiheitlichen Prinzip, jetzt nicht nach eurer Partei (in Richtung FPÖ), sondern nach dem Bundes­prinzip (Bundesrat Rösch: Also doch nach unserer Partei!), natürlich schauen müssen, dass wir die größtmögliche Freiheit haben. (Beifall bei der SPÖ. – Neuerlicher Zwi­schenruf des Bundesrates Rösch.) – Nein, da waren ein bissel sehr krause Argumente dabei. Lest es nach! (Bundesrat Rösch: Aber deine Vergleiche hinken auch! Deine Pockenvergleiche von 1809 hinken auch!) Ich habe mir erlaubt, die Debatte wirklich genau zu verfolgen, aber ist okay, Kollege Rösch, passt.

Kommen wir zum eigentlichen Thema: Wir haben jetzt das Arbeitsprogramm der EU-Kommission und die österreichische Antwort darauf auf der Tagesordnung. Ganz viele dieser Materien haben wir über die letzten Jahre im EU-Ausschuss intensivst beraten,


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und ich möchte mit einer guten Nachricht beginnen: Unser Ausschuss war einer der wenigen EU-Ausschüsse in Europa, die von Anfang an hinter einer Europäischen Staatsanwaltschaft standen. Da gab es über 14, die dagegen waren, und wir haben im EU-Ausschuss des Bundesrates gesagt: Nein!

Wir haben aber auch immer klar Nein gesagt zum Versuch der rumänischen Regierung, die tolle Staatsanwältin Laura Codruţa Kövesi abzumontieren, weil diese Frau eine unglaublich couragierte Frau ist, die weiß, wie man Korruption bekämpft. Sie ist seit 1.11.2019 die europäische Staatsanwältin, und das ist eine großartige Sache, auch dass sich die EU hier nicht von Rumänien hat erpressen lassen.

Auch wir haben Glück gehabt, denn es gibt ja nicht nur eine einzige Staatsanwältin, es gibt ja eine ganze Staatsanwaltschaft – und siehe da: Österreich ist per Los gezogen worden, und ich hoffe, die Frau Bundesministerin wird auch eine geeignete Person für drei Jahre finden, die ähnlich couragiert ist wie deren Chefin.

Kommen wir zu etwas aus Konsumentensicht sehr Erfreulichem. Frau Präsidentin Zwazl wird mir jetzt zwar gleich etwas anderes sagen, aber es geht ja nicht nur darum, dass die Wirtschaft zusammenarbeitet, es geht auch darum, dass die Konsumenten und Konsumentinnen zusammen stark sind in einem geeinten Wirtschaftsraum. Und jetzt haben wir es geschafft: Es gibt die Verbandsklage. Es gibt eine Verbandsklage sowohl innerstaatlich als auch grenzüberschreitend. Das ist sehr, sehr erfreulich, und so hieß es in der EU auch New Deal for Consumers; darin geht es also um Verbraucherschutz, mehr Transparenz und Informationen für Verbraucher und Verbraucherinnen.

Dieses Thema werden wir, Frau Ministerin, ja bald hier auf dem Tisch haben. Ein Jahr ist jetzt schon vergangen, ein Jahr haben wir noch Zeit, dann muss klar sein, wie wir das in Österreich umsetzen, dann muss dazu die gesetzliche Grundlage auf dem Tisch liegen. Nach dem Inkrafttreten der Richtlinie sind also 24 Monate Zeit. Jetzt ist schon einige Zeit vergangen, aber es ist ein Grund zur Freude, das soll man einmal sagen. Es betrifft die Finanzdienstleister, die Reisen, den Tourismus, den Energiebereich, den Gesundheitsbereich, den Telekommunikationsbereich und den Datenschutz insge­samt – eine Stärkung der Konsumentinnen und Konsumenten in Europa und, weil es auch innerstaatlich ist, auch in Österreich! (Beifall bei der SPÖ.)

So, jetzt für Frau Zwazl etwas, wo wir wieder gemeinsam unterwegs sind (Bundesrätin Zwazl: Die Wirtschaft braucht auch Konsumenten!), wir haben dazu ja auch schon Stellungnahmen im EU-Ausschuss erarbeitet: Da geht es um den Bereich des E-Com­merce. Wir haben im EU-Ausschuss schon angeregt, dass man einmal diese Provider und deren Onlineplattformen hinterfragen soll, damit es hier nicht zu ganz krassen und bösen Wettbewerbsverzerrungen und Dumping kommt, gibt es doch viel zu viel Abfluss auf irgendwelchen anonymen Onlineplattformen. Diese Richtlinie, liebe Sonja, soll überarbeitet, weiterentwickelt werden, und Österreich ist dabei genau auf dem Kurs, den wir damals gemeinsam ausgelotet haben.

Nächster Punkt – ein kompliziertes Wort; wir haben ganz viel Datenschutz in diesem Paket –: Adäquanzentscheidungen. Wir haben ja die Datenschutzvereinbarung, und wir – jene, die damals schon im EU-Ausschuss waren – haben Österreich damals wirklich den Rücken gestärkt, dass wir mit Slowenien gemeinsam diese Datenschutz-Grundverordnung verzögert und verzögert haben, weil wir ja so gute Standards haben. Viele können sich erinnern, das Safe-Harbor-Abkommen mit den USA wurde gekappt, und es gilt, jetzt solche Entscheidungen zu treffen, wer in dieses Niveau des Daten­verkehrs hineindarf. Da gehört jetzt Kanada dazu, wieder die USA, schwierige Ver­handlungen, Schweiz und jetzt auch Japan.

Aber wir haben ein Problem, und das heißt Brexit. Was machen wir mit dem Vereinigten Königreich, weil wir ja im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit mit dem Vereinigten


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Königreich zusammenarbeiten? Da geht es jetzt zum Beispiel vor allem um Strafver­folgungen.

Kommen wir noch, weil wir schon bei der Datenschutz-Grundverordnung sind, zum letzten Punkt – da hat Österreich ja sehr lange gezögert –: Es hat eine Bewertung und eine Überprüfung gegeben, ob das funktioniert, und da sind wir draufgekommen, dass es zu Kollisionen kommt. Und jetzt wird es eine Sache des Justizministeriums sein, solche Kollisionsnormen auf europäischer Ebene zu erarbeiten.

Last, but not least – Kollege Raggl hat das schon angesprochen –: der Bericht über die Rechtsstaatlichkeit, ein Meilenstein innerhalb der Europäischen Union. Frau Bundes­ministerin, es geht ja hier um Rechtsstaatlichkeit und so weiter, alles, was uns so wichtig ist, aber dass Österreich keine Kontaktstelle eröffnen kann, weil keine Ressourcen für ein schnuckeliges Büro von zwei Räumen zur Verfügung stehen, das kann ich mir echt nicht vorstellen, und ich glaube, dass das auch nicht ganz Ihre Position sein kann. Es steht drinnen: Österreich kann keine Kontaktstellen zur Verfügung stellen.

Bitte, wir haben einen schwierigen Nachbarn, der heißt Ungarn. Wir haben einen ein bisschen weiter weg liegenden schwierigen Nachbarn, der heißt Polen. Die wehren sich gegen diese Rechtsstaatlichkeitsprüfung, weil diese Rechtsstaatlichkeitsprüfung später natürlich auch für Mittelzuweisungen ausschlaggebend sein wird. Man kann nicht in einem justiziellen Raum zusammenarbeiten, in dem die Rechtsstaatlichkeit, die Demo­kratie und so vieles anderes nicht funktionieren, und da muss es eine Überprüfung geben.

Danke an das Europäische Parlament, das die Zivilgesellschaft hier mit hineinge­nom­men hat, und als Mitglied des Europarates freue ich mich natürlich auch, dass die Expertisen der Venice Commission hier mit einfließen.

In diesem Sinne: Danke schön, wir werden den Bericht zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der SPÖ.)

15.31


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Zu einer Stellungnahme zu Wort ge­meldet hat sich nun Frau Bundesministerin Dr.in Alma Zadić. – Bitte sehr, Frau Ministerin.


15.31.53

Bundesministerin für Justiz Dr. Alma Zadić, LL.M.: Ich möchte noch kurz auf den letzten Punkt zu sprechen kommen. Es hat natürlich diesen Bericht der Europäischen Kommission gegeben, der vor Kurzem auch veröffentlicht wurde. Ich finde, den muss man sich ganz genau anschauen, nicht nur innerhalb Österreichs, sondern auch über unsere Grenzen hinaus, weil wir in Österreich doch eine zentrale Rolle spielen, wenn es darum geht, die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der Europäischen Union zu verbessern. Ich werde mich – das habe ich auch im letzten Justizausschuss erwähnt – jedenfalls mit meinen AmtskollegInnen sowohl in Ungarn als auch in Polen zusammensetzen und diesen Bericht ansprechen.

Vielleicht auch kurz zu Österreich: Österreich schneidet ja in diesem Rechtsstaatlich­keitsbericht sehr gut ab. Das ist sehr, sehr erfreulich. Es werden lediglich zwei Kritik­punkte genannt: das sind die Ernennung des Präsidenten der Verwaltungsgerichte sowie das Weisungsrecht der Bundesministerin für Justiz, in diesem Fall gegenüber den Staatsanwaltschaften.

Wir werden diesen Bericht analysieren, aber wir haben da bereits im Vorfeld gewisse Probleme entdeckt und diesbezüglich auch schon im Regierungsprogramm Maßnahmen verankert, die ich auch angehen und umsetzen werde. Da geht es nämlich auch um die Reduktion von Berichtspflichten bei der Staatsanwaltschaft. Es gibt einige Berichte, die


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nicht notwendig sind und die Staatsanwaltschaft lähmen, und da sind wir gerade dabei, das gemeinsam mit allen Staatsanwaltschaften zu analysieren und Berichtspflichten, die nicht notwendig sind, zu überdenken.

Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte: Herr Bundesrat Schilchegger von der Freiheitlichen Partei, Sie haben in Ihrer Rede die medialen Ankündigungen der Regie­rung immer wieder kritisiert, beziehen sich aber, was die Justizpolitik und die Umset­zungen der Justiz betrifft, lediglich auf OTS-Aussendungen des Justizministeriums. Ich würde Sie einladen, einen Blick auf die Parlamentshomepage zu werfen. Da werden Sie sehen, dass seitens des Justizministeriums derzeit vier Novellen in Begutachtung sind und weitere drei geplant sind. (Bundesrat Schilchegger: In Begutachtung, aber noch nicht umgesetzt!) Die sind in Begutachtung, das heißt, Sie sind herzlich eingeladen, Stellungnahmen einzumelden. Ich bitte Sie also, auf die Parlamentshomepage zu schauen, denn wir in der Justiz sind auch bekannt dafür, dass wir weniger Ankün­digun­gen machen, dafür aber mehr umsetzen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

15.34

15.34.52


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Debatte ge­schlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Ich stelle die Mehrheit fest. Der Antrag ist somit angenommen.

Ich darf Sie, Frau Bundesministerin Dr.in Alma Zadić, herzlich verabschieden und Ihnen und Ihrem Baby alles Gute wünschen. Bleiben Sie gesund! (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei BundesrätInnen von SPÖ und FPÖ.)

15.35.238. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 23. September 2020 betreffend ein Bundes­ge­setz, mit dem das Umweltförderungsgesetz geändert wird (342 d.B. und 356 d.B. sowie 10410/BR d.B. und 10419/BR d.B.)


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Wir gelangen zum 8. Punkt der Tages­ord­nung.

Inzwischen eingetroffen ist unser lieber ehemaliger Kollege, Herr Staatssekretär Dr. Magnus Brunner. Sei herzlich willkommen in deiner alten Heimat sozusagen! (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei BundesrätInnen von SPÖ und FPÖ.)

Nun darf ich Herrn Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross als Berichterstatter ans Rednerpult bitten. – Bitte.


15.36.24

Berichterstatter Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär! Ich bringe den Bericht über den Beschluss des Natio­nalrates vom 23. September dieses Jahres betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Umweltförderungsgesetz geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen vor, ich komme daher gleich zur Antragstellung.


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Der Umweltausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 6. Oktober mit Stimmen­einhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Danke für den Bericht. – Ich darf Sie bitten, gleich am Rednerpult zu bleiben und Ihren Redebeitrag zu bringen. Bitte.


15.37.17

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Wiewohl man mir das nicht ansieht – dessen bin ich mir bewusst –, dass ich jetzt schon rund 30 Jahre im Klima­schutz aktiv bin - - (Bundesrat Schennach: Das sieht man schon! – Allgemeine Heiter­keit. – Beifall bei Grünen und ÖVP.) – Danke. Die Männer sind eitel, ja! (Bundesrätin Eder-Gitschthaler: Gerade die Männer!)

Ich war in dieser Zeit in vielen Rollen aktiv, zum Beispiel als Energie- und Klimaschutz­beauftragter des Landes, und war die letzten 20 Jahre auch in die Entwicklung einer Reihe von nationalen Klima- und Energiestrategien eingebunden, habe viel erlebt, und ich sage Ihnen: So etwas Cooles, was Klimaschutzförderungen betrifft, habe ich in den ganzen Jahren und Jahrzehnten noch nicht erlebt. Immer gab es zu wenig Geld, die Planbarkeit hat gefehlt, oft waren Kontingente nach wenigen Monaten ausgeschöpft, es gab zu wenige Möglichkeiten, gegen Energiearmut vorzugehen. Das ist jetzt mit diesem Beschluss, den wir heute fassen, grundlegend anders. Der Bund tritt wirklich massiv in Vorlage, und ich gehe davon aus, dass das die Länder animiert, auch aktiv mitzutun.

Das ist eine neue Dimension, eine neue Dimension der Finanzierung der so dringend notwendigen Energiewende, ein extrem wichtiger Schritt in Richtung Klimaneutralität, ein extrem wichtiger Schritt, Tausende von Gebäuden thermisch zu sanieren, den Ener­gieverbrauch zu reduzieren, ein extrem wichtiger Schritt, um bis spätestens 2040 keine Öl- und auch keine Gasheizungen mehr in den Heizkellern stehen zu haben und die Häuser dann mit der Kraft der Sonne und damit auch kostengünstig zu beheizen. – Darauf komme ich noch zu sprechen.

Was sind die Eckpunkte? – Es gibt eine massive Anhebung der standardmäßigen UFI-Mittel, also „Umweltförderung im Inland“-Mittel. Allein heuer ist es gelungen, gegenüber 2019 mehr als eine Verdoppelung zu erreichen. Weiters: Für die thermische Sanierung von Gebäuden und für den Umstieg von fossilen Kesseln auf erneuerbare Technologien werden für die nächsten beiden Jahre 650 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. 650 Millionen – das hätte ich mir noch vor einem halben Jahr nicht träumen lassen, dass das je möglich ist!

Was mich persönlich wirklich sehr freut – eigentlich am meisten freut, und jetzt bitte wirklich aufpassen! –: 100 Millionen Euro stehen für thermische Sanierungen und den Umstieg auf erneuerbare Energieträger für einkommensschwache Haushalte zur Ver­fügung, und das ist jetzt wirklich ein absoluter Meilenstein! (Beifall bei Grünen und ÖVP.) Das ist wirklich ein Meilenstein in der Verbindung von Klimaschutz und Armutsbe­kämpfung. Damit können wir bei Abertausenden Haushalten einen Beitrag leisten, ihnen helfen, aus der Armut herauszukommen, indem sie ihre Energiekosten wirklich dauerhaft senken können. Wir können ihnen damit das Leben erleichtern, und sie können einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Die Arbeiten dazu laufen angestrengt und sind bereits seit Monaten in Umsetzung, in den letzten Wochen sehr intensiv.

Ziel ist es, mit einem Förderprogramm, das auf dieser UFG-Novelle aufbaut, die Kosten für betroffene einkommensschwache Haushalte weitgehend oder, wenn es geht, voll­ständig abzufangen. Meiner Meinung nach hat nämlich ein Haushalt mit einem Netto­einkommen von 1 000 Euro oder 1 100 Euro – damit zählt man zu den ungefähr 10 Pro­zent der Haushalte mit dem geringsten Einkommen – schlicht und einfach keine Chance,


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einen Heizungstausch vorzunehmen oder eine thermische Sanierung zu machen. Das geht nicht, das ist einfach unmöglich! (Ruf bei der SPÖ: Aber Wien macht es!) Das sind Menschen, die jeden Tag ganz unmittelbar existenzielle Herausforderungen zu meistern haben, das sind Menschen – und ich kenne auch selber solche Situationen –, die darüber nachdenken müssen, wie sie sich neue Schuhe kaufen können, wenn die alten kaputt sind. Wie gesagt, die Arbeiten zu dem Programm laufen, und ich hoffe, dass es gelingt, es möglichst bald mit einer Richtlinie dazu konkret in Kraft zu setzen.

Eine völlig neue Sache ist die Absicherung von Energiecontracting durch den Staat. Was ist die Idee dabei oder wie soll das funktionieren? – Nehmen wir ein Beispiel: Ein Bauunternehmer führt eine thermische Sanierung durch und finanziert diese, zumindest zum Teil, über einen längeren Zeitraum über die eingesparten Energiekosten. Wir möchten das Instrument verstärkt dazu nutzen, in Haushalten, die jetzt auch nicht so viel Geld haben und die vielleicht auch bei einer Bank Schwierigkeiten hätten, eine Boni­tätsprüfung zu überstehen, Sanierungsmaßnahmen setzen zu können. Genau da ist dieses Instrument einzusetzen, damit Kontraktoren keinen Stress haben müssen, denn der Staat steht für eventuelle Zahlungsausfälle gerade. Dieses Instrument einzusetzen soll jetzt wirklich ein Motor werden und gerade auch dieses Segment der Haushalte, wie angesprochen, zu unterstützen. Dabei geht es um ein Volumen von immerhin 1 Milliarde Euro, das gesichert wird, also damit kann man schon einige Gebäude sanieren und einige Kessel austauschen.

Quasi nebenbei ist das Paket ein riesiger Schub für die heimische Wirtschaft. Eigentlich alle Untersuchungen zeigen, es gibt fast nichts, das eine so hohe regionale Wert­schöpfung hat wie eine thermische Sanierung, wie ein Kesseltausch. Im Bau- und Baunebengewerbe ist es evident, das ist immer vor Ort, aber genauso ist es bei den Kesseln: Was Pelletkessel betrifft, was Wärmepumpen betrifft, haben wir in Österreich die namhaftesten Hersteller.

Wir finden, damit ist dieses Klimaschutzpaket gleichzeitig ein Paket für einen Weg aus der Coronakrise, es wird nicht Strukturen von gestern verlängern, sondern es investiert in Bedingungen für eine ökologische und sozial nachhaltige Zukunft. Zum Klimaschutz gehören Solidarität und soziale Gerechtigkeit, davon bin ich wirklich fest überzeugt – und dieses Paket zeigt, wie es gehen kann. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Bun­desrätInnen der ÖVP.)

15.44


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Nun ist Herr Bundesrat Silvester Gfrerer zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Kollege.


15.44.20

Bundesrat Silvester Gfrerer (ÖVP, Salzburg): Geschätzte Frau Präsidentin! Lieber Herr Staatssekretär, lieber Magnus! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute das Umweltförderungsgesetz abändern, dann, denke ich, gilt der Grundsatz: Heraus aus den fossilen Energieträgern, hin zu erneuerbaren Energieträgern!

Ich bedanke mich bei der Bundesregierung, dass dieses Gesetz auf den Weg gebracht und vorbereitet wurde. Ich denke, dieser Weg ist richtig und wichtig: Er stärkt die Wirt­schaft in den Regionen, schafft und sichert heimische Arbeitsplätze, ist nachhaltig und ganz wesentlich für den Klima- und Umweltschutz.

Dieser Beschluss geht in die richtige Richtung: in die einer ökosozialen Marktwirtschaft. Wir verwenden Energie aus erneuerbaren Energieträgern, die in der Region vorhanden sind oder zum großen Teil in den Regionen nachwachsen. Eine gesunde Kreislauf­wirtschaft mit regionalen Ressourcen kann dadurch wesentlich gestärkt und verbessert werden.


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Speziell in der Coronazeit reden wir von der Grundversorgung. Während dieser Zeit hat die Landwirtschaft die Versorgung Österreichs mit Lebensmitteln sehr gut bewerkstelligt, obwohl ihr das nicht einmal so sehr zugetraut wurde, wie die Hamsterkäufe, die es im Frühjahr gegeben hat, zeigen. Ich denke, auch beim Thema Klimaschutz und im Ener­gie­bereich könnte es ein Erfolgsmodell in Österreich werden, eine gewisse Grundver­sorgung innerhalb des Landes herzustellen. Damit schaffen wir Unabhängigkeit und Arbeitsplätze – das ist positiv sowohl für die Wirtschaft als auch für den Klimaschutz, denn diese müssen wir in Einklang bringen. Ökologie und Ökonomie müssen wir stärken, Regionalität und Nachhaltigkeit sicherstellen. – Ich denke, das ist gut für uns und auch für unsere Nachkommen.

Die Eckdaten hat mein Vorredner schon angesprochen. Ich möchte die 20 Millionen Euro für die Förderung der Nahwärmeversorgung erwähnen. Diese wäre ja ausgelaufen, wird aber für die Jahre 2021 und 2022 verlängert. Jeder Kubikmeter minderwertiges Holz, das in Form von Hackschnitzeln oder Pellets in neuen Heizungen verwendet wird, ent­lastet die Forstwirtschaft, die gerade jetzt eine sehr, sehr schwierige Zeit durchmacht. Wenn für die Sanierung von Gebäuden 250 Millionen Euro und für den Austausch von alten, umweltschädlichen Heizsystemen 400 Millionen Euro für die Jahre 2021 und 2022 bereitgestellt werden, ist dies sicher ein guter Anreiz für viele, in thermische Sanierung und in umweltfreundliche Heizsysteme zu investieren. Genau das soll das Ziel des neuen Umweltförderungsgesetzes sein.

Sehr positiv ist auch die soziale Komponente – diese hat auch mein Vorredner schon angesprochen –, wenn 100 Millionen Euro für jene, die es sich nicht oder nur schwer leisten können, diese Investitionen zu tätigen, die aber trotzdem einen guten Beitrag für die Umwelt leisten wollen, bereitgestellt werden.

Welche weiteren positiven Auswirkungen sollte dieses Umweltförderungsgesetz haben? – Natürlich Einsparungen im Verbrauch bei sanierten Objekten und natürlich auch bessere Energieeffizienz durch neue Techniken. Wir reden viel über Regionalität und Nachhaltig­keit: Ich bin überzeugt, dass diese 1 Milliarde Euro gerade im Bereich des Klimaschutzes gut angelegt und nachhaltig ist und auch einer volkswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnung auf lange Sicht standhält.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, das sollte der Beginn einer ökosozialen Marktwirtschaft sein, wie sie Joschi Riegler erfunden hat. Genau diese Politik müssen wir auch in Zukunft gemeinsam umsetzen, und zwar über Parteigrenzen hinweg, und genau die heutige Debatte zeigt mir, dass es uns nicht weiterbringt, eventuelle Verur­sacher des Klimawandels zu suchen beziehungsweise zu glauben, sie gefunden zu haben. Ich nenne da die Landwirtschaft: Alles zu schützen ist nicht der richtige Weg. Ich denke, eine nachhaltige Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Flächen trägt sehr, sehr viel zum Klimaschutz und zum Umweltschutz bei.

Das Thema Klimaschutz beziehungsweise Klimawandel wird uns in Zukunft politisch sehr stark fordern. Ich denke zum Beispiel an das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, das sich in Begutachtung befindet – Herr Staatssekretär Brunner, danke für deinen Einsatz und für diese Arbeit!

Auch die Herkunftskennzeichnung unserer Lebensmittel sollte ein Ziel sein – auch das ist ein Teil des Klimaschutzes. Ich denke, wir müssen wirklich kennzeichnen, woher unsere Lebensmittel kommen, damit sich der Konsument leichter tut und wir damit auch den Import von Lebensmitteln aus Übersee hintanhalten können.

Betreffend die Biodiversitätsstrategie gibt es, so glaube ich, in Zukunft noch sehr, sehr viel zu diskutieren. Die ist so, wie sie jetzt auf dem Weg ist, noch nicht ausgereift.

Alle diese Themen haben direkt oder indirekt mit Klima- und Umweltschutz zu tun.


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Noch ein Beispiel: Es wird von Tiertransporten geredet, und hier liegen Anträge vor, Tiertransporte zu verbieten. – Wir haben in Salzburg ein Projekt gestartet und einen Partner gefunden, der den Bauern Kälber zwischen 100 und 120 Kilo Lebendgewicht abnimmt, und so ist es heuer gelungen, 350 Kälbern den Tiertransport zu ersparen. Diese werden heimisch verwertet und kommen regional auf den Tisch. Das, glaube ich, müssen die Antworten sein auf die Dinge, die wir als Bauern selber nicht wollen. Wir müssen das Ausmaß der Tiertransporte vermindern, aber ganz ohne Tiertransport wird es auch in Zukunft nicht gehen.

Ich sehe gute Chancen, mit dem Grundsatz der ökosozialen Marktwirtschaft Österreich in der Umwelt- und Klimapolitik weiterhin gut zu entwickeln. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

15.52


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Als Nächster ist Herr Bundesrat Günther Novak zu Wort gemeldet. – Eine Frage: Um 16 Uhr müsste ich Sie für den Aufruf der Dringlichen Anfrage unterbrechen, oder geht es sich aus? (Bundesrat Novak: Das geht sich aus!) – Wunderbar, dann erteile ich Ihnen das Wort.


15.52.18

Bundesrat Günther Novak (SPÖ, Kärnten): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Werte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Vieles wurde gesagt, aber noch nicht alles. Tatsache ist, dass wir dieses Thema schon mehrere Sitzungen lang vor uns hertragen, und wir haben ja auch schon über vieles gesprochen. Ich muss wirklich sagen, dass es im Sinne der Umwelt und des Klimaschutzes positiv ist, dass diese Aktivitäten jetzt gesetzt werden und so viel Geld dafür eingesetzt wird. Ein großes Danke an alle, die das möglich gemacht haben!

Es ist die Frage aufgetaucht, was die Länder dazu tun. – In Kärnten ist es so, dass ein Paket geschnürt worden ist. Das heißt zum Beispiel, dass die Nationalparkgemeinde Mallnitz ölkesselfrei wird; Ingo Appé als Ferlacher Bürgermeister hat das schon vor einem Jahr gemacht. Die Haushalte werden mit 1 500 Euro unterstützt, und wenn es einen Kessel zu entfernen gibt, noch einmal mit 500 Euro, und dann kommt noch die Förderung des Bundes dazu. Ich glaube, wenn wir uns im ersten Jahr in etwa 110 000 Tonnen ersparen und in den Jahren 2021, 2022 in weiterer Folge 620 000 Tonnen, dann sind wir im Grunde genommen am richtigen Weg.

Zur wirtschaftlichen Situation: Durch die Covid-19-Krise und die tiefgreifenden konjunk­turellen Einschnitte in beinahe allen wirtschaftlichen Sektoren ist dieses Konjunktur­programm sicher von besonderer Wichtigkeit – das wurde heute auch schon festgestellt. Örtliche Handwerksbetriebe, die diese Heizsysteme einbauen beziehungsweise die Gebäude sanieren können, sind dann in weiterer Folge nicht nur von den Gemeinden, sondern schlussendlich von diesem Förderprogramm bevorteilt beziehungsweise können sie Umsätze machen.

Diese Sanierungsoffensive ist also ein doppelter Gewinn: einerseits durch die Stützung der Wirtschaft mit den positiven Effekten für den Arbeitsmarkt und andererseits durch die strukturellen Änderungen unseres Wirtschaftssystems in Richtung Klimaneutralität bei gleichzeitigem starken Anreiz zur Verminderung von Treibhausgasemissionen.

Ich möchte aber noch einmal zur Leistbarkeit zurückkommen. Es ist uns, der SPÖ, ein besonderes Anliegen, und das ist auch im Vorfeld immer wieder eingebracht worden, dass die Leistbarkeit sicherzustellen ist. Mit diesen 100 Millionen Euro für einkom­mens­schwache Haushalte, die schon erwähnt worden sind, sollte diese Sanierungsoffensive abgeschlossen werden. Wenn man sich aber vorstellt, dass es verwitwete Frauen gibt, die vielleicht ein Heizungssystem aufgrund dessen, was im Regierungsprogramm festgelegt


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worden ist, herausnehmen müssen, dann kann ich mir jetzt nicht hundertprozentig vor­stellen, dass das finanzierbar ist. Es ist aber auch gestern im Ausschuss bestätigt worden, dass für solche Familien beziehungsweise alleinstehende Frauen dann die Möglich­keit besteht, das Ganze unter Umständen dann auch zum Nulltarif durchzu­führen.

Etwas, was mich doch ein bisschen verwundert, ist Folgendes: Am 2.10. hat es eine Umweltausschusssitzung gegeben, bei der von den Oppositionsparteien sieben Anträge eingebracht wurden, unter anderem war auch einer betreffend die soziale Treffsicherheit bei thermischer Sanierung und Heizungstausch wieder mit dabei, und alle diese sieben Anträge wurden vertagt. Da frage ich mich dann schon: Ist das jetzt alles ernst gemeint, was in diesem Bereich beschlossen beziehungsweise nicht beschlossen wird? Dort sind nämlich keine eigenen Anträge eingebracht worden, sondern es sind nur diese sieben Anträge von der Opposition – seien es die NEOS, die Freiheitlichen oder die SPÖ – eingebracht worden.

Deshalb bringe ich heute noch einmal diesen Entschließungsantrag ein, der Ihnen auch schriftlich vorliegt:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Günther Novak, Kolleginnen und Kollegen betreffend „soziale Treff­sicherheit bei Thermischer Sanierung und Heizungstausch garantieren“

Die unterfertigten Bundesrätinnen und Bundesräte stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Tech­nologie wird aufgefordert, bei der Festlegung näherer Bedingungen für die Bereitstellung der Mittel gemäß § 6 Abs. 2f Z 1c des Umweltförderungsgesetzes jedenfalls eine klare und nachvollziehbare Definition ,einkommensschwacher Haushalte‘ vorzunehmen, einen transparenten Modus der Mittelzuteilung an die Länder zu schaffen, sowie für eine Evaluierung der Maßnahme nach dem ersten Jahr zu sorgen.“

*****

Danke noch einmal, dass wir in die richtige Richtung gehen. Wenn wir all das einhalten, was wir uns vorstellen, wofür wir als Sozialdemokraten auch gekämpft haben, dann glaube ich, dass die österreichische Umweltpolitik in der Zukunft auch an ihrer sozialen Treffsicherheit gemessen werden kann. (Beifall bei der SPÖ.)

15.57


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Danke, pünktlichst geendet, wunderbar!

Der von den Bundesräten Günther Novak, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Ent­schließungsantrag betreffend „soziale Treffsicherheit bei Thermischer Sanierung und Heizungstausch garantieren“ ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Nun, es ist kurz vor 16 Uhr, müsste ich die Sitzung unterbrechen, ich weiß aber noch nicht, ob der Herr Finanzminister schon im Hause ist. Weiß das der zuständige Klub­obmann? (Bundesrat Bader: Noch nicht!)


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Wenn Sie damit einverstanden sind, würde ich einfach den nächsten und damit letzten Redner zu diesem Tagesordnungspunkt aufrufen. (Rufe bei der ÖVP: Bitte! – Bundes­rätin Zwazl: Machen wir das!) Wir hätten nämlich noch einen Redner zu diesem Tagesordnungspunkt, und zwar Herrn Bundesrat Michael Bernard, und Ihre (in Richtung Staatssekretär Brunner, der ein Handzeichen gibt) Stellungnahme.

Wie gehen wir vor? Ich würde sonst, wenn der Minister noch nicht da ist, unterbrechen, denn wir müssen die Dringliche spätestens um 16 Uhr aufrufen. (Bundesrätin Zwazl: Weitermachen!) Ich hätte es lieber zeitökonomischer gestaltet. (Bundesrätin Zwazl: Machen wir weiter!)

Dann würde ich aus zeitökonomischen Gründen den letzten Redner, Herrn Bundesrat Michael Bernard, um seinen Beitrag bitten, und verzeihen Sie (in Richtung Bundesrat Bernard, der sich zum Rednerpult begibt), wenn ich Sie dann unterbreche, wenn der Herr Minister eintrifft. – Ich erteile Ihnen das Wort. Bitte sehr.


15.59.21

Bundesrat Michael Bernard (FPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Vizepräsi­dentin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Sehr geehrte Damen und Herren via Livestream! Als freiheitlicher Bundesrat begrüße ich den Beschluss des Nationalrates vom 23. September 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Umweltförderungsgesetz geändert wird. Intelligente Energiepolitik schafft neue Arbeitsplätze, belebt die Region und schützt unsere Umwelt.

Uns Freiheitlichen war es immer wichtig und wird es immer wichtig sein, im Sinne der Bevölkerung unser wunderschönes Heimatland zu erhalten, und wir sehen es als unsere Aufgabe, für die zukünftigen Generationen Umwelt- und Klimapolitik mit Hausverstand sozial verträglich umzusetzen.

Wie bereits in meiner Rede am 14. Jänner 2020 zum Thema Unzulässigkeit der Aufstel­lung und des Einbaus von Heizkesseln von Zentralheizungsanlagen für flüssige fossile oder für feste fossile Brennstoffe in Neubauten erwähnt, sind in Österreich nach wie vor rund 600 000 Ölkessel eingebaut, und jährlich werden mehrere Milliarden Euro an die Ölstaaten bezahlt, um diese Kessel befeuern zu können. Allein im vergangenen Winter wurden 1,3 Millionen Tonnen Heizöl verfeuert. Es war richtig, vor einiger Zeit den Raus-aus-dem-Öl-Bonus ins Leben zu rufen, getreu unserem Motto, Anreize zu schaffen. Es ist uns Freiheitlichen aber auch sehr wichtig, dass der Umstieg auf ein erneuerbares Energiesystem keine Einschränkung für die Versorgungssicherheit bedeutet und nicht auf die Wirtschaftlichkeit vergessen wird, unser Wirtschaftsstandort gestärkt wird und somit Arbeitsplätze gesichert und zusätzlich geschaffen werden.

Als noch verbesserungswürdig – auch darauf wurde meinerseits bereits im Ausschuss hingewiesen – finde ich, dass im vorliegenden Umweltförderungsgesetz leider nicht enthalten ist, dass kleinere, kostengünstige Umbauten, um bestehende Ölkesselanlagen mit alternativen Energiebetriebsstoffen betreiben zu können, gefördert werden. So könnten wir bestehende Anlagen schnellstmöglich auf Nullemissionsanlagen umbauen. Die alternativen Energiebetriebsstoffe basieren auf den Ressourcen der Region und binden die Landwirte und das Gewerbe bei der Anwendung sowie der Erzeugung mit ein.

Im ersten Schritt ist der Zusagerahmen im Umweltförderungsgesetz für die Sanie­rungsoffensive 2021 und 2022 mit 650 Millionen Euro festgesetzt. Dabei sollen 400 Mil­lionen Euro für die Förderung der Umstellung auf klimafreundliche Heizungssysteme sowie 250 Millionen Euro für die Förderung der klassischen Sanierungsmaßnahmen an Gebäuden eingesetzt werden.


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Zum Thema Unterstützungsvolumen für einkommensschwache Haushalte zur Abfe­de­rung von Mehrbelastungen: Es ist geplant, dass durch Finanzierungsformen des Ener­giecontracting erhebliche Investitionsimpulse gesetzt werden, wenn die öffentliche Hand das ganz oder teilweise abfedert. Für die öffentliche Hand kann mit relativ geringfügigem Budgetaufwand ein erheblicher Hebeleffekt bewirkt werden. Um das Potenzial dieser Förderungsform nutzen zu können, soll in den Jahren 2021 und 2022 jeweils ein Haftungsrahmen des Bundes in Höhe eines Barwertes von 50 Millionen Euro für die Förderung der Finanzierung des Contracting eingerichtet werden.

Den Entschließungsantrag der Bundesräte Günther Novak, Kolleginnen und Kollegen betreffend „soziale Treffsicherheit bei Thermischer Sanierung und Heizungstausch garantieren“, in dem jedenfalls eine klare und nachvollziehbare Definition einkommens­schwacher Haushalte, die Schaffung eines transparenten Modus der Mittelzuteilung an die Länder und eine Evaluierung der Maßnahme nach einem Jahr verlangt wird, werden wir Freiheitlichen, weil wir unser Herz am richtigen Fleck haben, als soziale Heimatpartei natürlich unterstützen. (Beifall bei der FPÖ sowie des Bundesrates Novak.)

Zusammengefasst sehen wir Freiheitlichen die Änderungsvorschläge für das Umwelt­förderungsgesetz überwiegend positiv, daher werden wir Freiheitlichen keinen Ein­spruch gegen den Beschluss des Nationalrates erheben. (Beifall bei der FPÖ.)

16.03


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Das ist sich jetzt wunderbar aus­ge­gangen.

Ich frage noch einmal, ob der Herr Minister schon eingetroffen ist, denn um 16 Uhr hätte eigentlich der Aufruf der Dringlichen Anfrage zu erfolgen. – Nein. Dann erteile ich Herrn Staatssekretär Dr. Magnus Brunner das Wort. – Bitte.

16.04.09


Staatssekretär im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen, ehemalige Kolleginnen und Kollegen Bundesrätinnen und Bundesräte! Ich werde die Zeit überbrücken, bis der Herr Finanzminister eintrifft. Inhaltlich wurde eigentlich alles gesagt. Vielen Dank für die Unterstützung, diese Klimamilliarde, die wir hier in Bewegung bringen, ist wirklich ein Riesenpaket.

Inhaltlich wurde es „Raus aus Öl“ genannt, und der soziale Aspekt ist natürlich auch ganz, ganz wichtig. Diese Novelle ist ein Signal in mehrfacher Hinsicht: Sie ist auf der einen Seite ein Signal an die Wirtschaft, an Wohnungsbesitzer, Hausbesitzer und -besitzerinnen und natürlich auch ein Signal an den Markt, dass in den kommenden Jahren diese Investitionen um ein Vielfaches stärker als bisher nachgefragt werden und es dafür auch entsprechende Kapazitäten braucht. Sie ist aber auch ein Signal – es wurde schon erwähnt – an einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen und ist daher – Kollege Gfrerer hat das richtigerweise gesagt – eigentlich die gelebte ökosoziale Marktwirtschaft, die wir mit diesem Paket umsetzen.

Was für die Länder und die Länderkammer, wie ich glaube, besonders wichtig ist, ist, dass wir bei diesem Förderpaket auch enger als bisher mit den Bundesländern zusam­menarbeiten werden, auch zusammenarbeiten müssen, da die Wärmestrategie, die in weiterer Folge natürlich auch kommt, nur funktioniert, wenn alle gemeinsam an einem Strang ziehen, der Bund gemeinsam mit den Bundesländern.

Das ist also aus unserer Sicht eine intelligente Klima- und Umweltpolitik, die auch Chancen für die Wirtschaft bringt. Ich glaube, dass das auch ganz, ganz wichtig und entscheidend ist. Mit dieser Klimamilliarde setzen wir Investitionen in Gang, schaffen


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Arbeitsplätze und beleben damit die Konjunktur, ein guter Tag also für den Klimaschutz, für die Wirtschaft und für die Bevölkerung insgesamt. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

16.06


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Danke.

Da der Herr Finanzminister immer noch nicht hier ist, rufe ich den vorerst letzten Redner dieser Debatte auf. – Nein, doch nicht, der Herr Finanzminister ist soeben eingetroffen. Herzlich willkommen, Herr Minister!

Ich unterbreche nunmehr die Verhandlungen zu Tagesordnungspunkt 8.

16.06.42Dringliche Anfrage

der BundesrätInnen Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen an den Bun­desminister für Finanzen betreffend „Gemeindefinanzen in der Krise: Sind die getroffenen Maßnahmen wirklich sinnvoll?“ (3803/J-BR/2020)


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über die Dringliche Anfrage der BundesrätInnen Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen an den Herrn Bundesminister für Finanzen.

Da die Dringliche Anfrage inzwischen allen Mitgliedern des Bundesrates zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch die Schriftführung.

Ich erteile Frau Bundesrätin Korinna Schumann als erster Anfragestellerin zur Begrün­dung der Anfrage das Wort. – Bitte, Frau Klubobfrau.


16.07.24

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werter Herr Bundesminister, vielen Dank, dass Sie zu uns gekommen sind! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Der Grund unserer heutigen Dring­lichen Anfrage ist, dass sich die finanzielle Situation der Gemeinden seit dem Sommer nicht verbessert, sondern noch einmal verschlechtert hat. Viele Gemeinden stehen am finanziellen Abgrund, und das nicht erst seit heute.

Unsere Dringliche Anfrage zu den Gemeindefinanzen stellen wir aus folgenden Grün­den: Die Covid-Krise trifft die Gemeinden durch Einnahmenausfälle in besonderem Maß. Es fehlen Milliarden, es gibt Rekordarbeitslosigkeit, Kurzarbeit, auch die Steuerreform hat ihre Spuren in den Gemeindebudgets hinterlassen.

Wir haben eine Vielzahl von parlamentarischen Initiativen gesetzt: Die SPÖ warnt seit April vor den großen Einnahmeausfällen, die den Gemeinden bevorstehen. Wir haben eine schriftliche Anfrage am 30. April 2020 eingebracht – keine ausreichende Antwort; eine Dringliche Anfrage am 24. Juni 2020 – keine Antworten des Finanzministers; eine Anfragebesprechung am 2. Juli 2020 – keine ergiebigen Antworten des Finanzministers; ein erneute schriftliche Anfrage am 30. Juli 2020 und Entschließungen am 4. April und 4. Juli 2020 – die bis heute nicht umgesetzt sind.

Den Gemeinden droht bereits jetzt teilweise die Insolvenz. Das kommunale Investitions­gesetz ist nicht treffsicher, denn es hilft den Gemeinden aufgrund der Tatsache, dass sie 50 Prozent selbst kofinanzieren müssen, bei Weitem nicht. Wie sollen sich das kleine und finanzschwache Gemeinden denn leisten können?

Die Gemeinden erledigen ganz wichtige und essenzielle Aufgaben für die Menschen, die in ihrem Bereich wohnen. Da gibt es das Stichwort der Daseinsvorsorge – das ist so ein sperriges Wort, aber da geht es ja um viel, viel mehr. Da geht es darum: Gibt es eine Kinderbetreuung, die zur Verfügung steht? Gibt es die Schulen, die gut ausgestattet


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sind? Funktioniert die Feuerwehr, die Rettung? Gibt es einen Spielplatz oder gibt es keinen Spielplatz? Wie schaut es mit dem Straßenbau oder der Straßensanierung aus, der Pflege älterer Menschen, der Wasserversorgung, der Abwasserentsorgung? Die Ge­meinden sind – und das darf man nicht vergessen – ein ganz wesentlicher Arbeitgeber.

Wir wissen von der großen Initiative der Gemeindegewerkschafter Younion. Unter dem Titel „Mehr Sparen können wir uns nicht leisten“ hat die Gewerkschaft ganz eindeutig darauf hingewiesen, welche Auswirkungen der Einnahmenentfall auch auf die Beschäfti­gten in den Gemeinden hat, die gerade in der Krisenzeit unglaublich tolle Arbeit geleistet haben. Jetzt muss man fürchten, dass es nicht zu Gehaltserhöhungen kommt, dass es zu keinen Boni kommt, dass es vielleicht sogar dazu kommt, dass Personen entlassen werden müssen. Das kann es doch nicht sein, gerade in Zeiten wie diesen, wo wir um jeden einzelnen Arbeitsplatz kämpfen müssen, denn jeder Arbeitsplatz, der verloren geht, ist nur sehr schwer und mit viel finanziellem Aufwand wiederzugewinnen. (Zwi­schenruf des Bundesrates Preineder.) Die Gemeinden sind ganz, ganz wichtige Ausbildner für die Jugend. Die Chance, jugendlichen Menschen in der Gemeinde eine Lehre zu ermöglichen, wäre sehr wichtig, aber das können sich nicht alle Gemeinden leisten, da das einfach finanziell nicht möglich ist.

Darauf muss man Antworten geben, denn das alles bedeutet laufende Kosten. Was immer man für die Gemeinden anbietet, das können sie teilweise jetzt schon nicht stem­men. Ich erinnere auch an die Aktion 20 000, die so wichtig für die älteren Arbeitneh­merInnen wäre, die auch in Gemeinden und Städten Beschäftigung finden könnten. In Wien funktioniert das, Wien hat mit der Aktion 20 000 Arbeitsplätze für die älteren ArbeitnehmerInnen ausgebaut und Lehrstellen zur Verfügung gestellt. Was ist aber in kleinen Gemeinden, um die es doch auch geht? Es geht um die Stärkung der Regionen und der Gemeinden, die so wichtig für alle Investitionen, für die Klein- und Mittelbetriebe sind. (Beifall bei der SPÖ.)

Es geht heute um die Antwort auf drängende Fragen, und die müssen jetzt beantwortet werden. Herr Finanzminister, wenn Sie schon parlamentarische Initiativen nicht aufneh­men wollen, dann beantworten Sie uns wenigstens unsere Fragen, die wir Ihnen heute stellen. Wir wollen unter anderem wissen: Wie viele Anträge auf Zweckzuschuss sind mit Stand 30.9.2020 in Ihrem Haus eingegangen? Wie hoch ist das Volumen der Zweckzuschüsse nach dem KIG, die 2020 zum Stand 30.9.2020 beantragt wurden? Kann die Krise damit überwunden werden? Wieso haben Sie Initiativen des Parlaments nicht aufgegriffen? Welche Maßnahmen zur Sicherung der Gemeindefinanzen werden Sie umsetzen? Wie hoch werden die Mittel dafür sein und wann werden sie verfügbar sein? Von welchen Gemeinden in welchen Bundesländern wurde bereits eingereicht?

Das und dergleichen mehr wollen wir in unseren 22 Fragen wissen. Beantworten Sie, Herr Finanzminister, diese Fragen zumindest unseren Bürgermeisterinnen und Bürger­meistern, die heute hier noch das Wort ergreifen werden! Die wissen nämlich, worum es geht, denn sie sind es, die dieses Land am Laufen halten und den Gemeinden zu ihrer Prosperität verhelfen. Helfen Sie ihnen dabei und lassen Sie sie bitte nicht allein, Herr Finanzminister! Wer schnell hilft, hilft doppelt, das war immer unsere Devise. Von schnell kann aber bei Ihnen in diesen Fragen wahrlich nicht die Rede sein.

Wir fordern Sie deshalb auf: Helfen Sie überhaupt, bevor es zu spät ist und es für die Gemeinden noch viel schwieriger wird! – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

16.13


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Zur Beantwortung der Anfrage hat sich Herr Bundesminister für Finanzen Mag. Gernot Blümel zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Minister.



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16.13.37

Bundesminister für Finanzen Mag. Gernot Blümel, MBA: Sehr geehrte Frau Präsi­dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor der Coronakrise war die Welt natür­lich eine andere, und von dieser Coronakrise sind nicht nur Menschen aller Bevölke­rungs­schichten betroffen, sondern natürlich auch alle Gebietskörperschaften. Daraus resultiert natürlich, dass es Mindereinnahmen in allen Bereichen gibt: bei Bund, Ländern und Gemeinden.

Um Österreich bestmöglich durch diese herausfordernde Zeit bringen zu können, folgen wir bei allen unseren Hilfsmaßnahmen denselben Grundsätzen: Priorität haben erstens die Rettung von Menschenleben, die Rettung von Arbeitsplätzen, die Sicherung von Unter­nehmen und die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger sowie darüber hinaus die Stärkung des Wirtschaftsstandortes Österreich. Genau das machen wir auch mit dem Gemeindepaket, das 1 Milliarde Euro umfasst und in dem der Bund bis zu 50 Prozent der Investitionen übernimmt, um vor Ort Direktinvestitionen und Wertschöpfungen zu sichern.

Die prognostizierte Reduktion der Ertragsanteile des Bundes für die Gemeinden wird genau in diesem Bereich sein, bisher sind es etwa 630 Millionen Euro. Da sehen Sie, dass wir mit dieser einen Milliarde fast zu 100 Prozent den errechneten Entfall der Ertragsanteile des Bundes für die Gemeinden kompensieren.

Dieses Paket ist in Anlehnung an das letzte kommunale Investitionsprogramm 2017 entstanden, das ja auch mit der SPÖ ausverhandelt worden ist. Gegenüber dem Vorgän­gerpaket haben wir aber massive Ausweitungen vorgenommen. Der Bund übernimmt bis zu 50 Prozent der Kosten für Projekte, die im Zeitraum von 1. Juni 2020 bis 31. De­zember 2021 begonnen wurden (Zwischenrufe bei der SPÖ) oder bereits ab 1. Juni 2019 begonnen wurden, wenn die Finanzierung aufgrund der Mindereinnahmen als Folge der Coronakrise nicht mehr möglich ist. Beim KIG 2017 gab es einen Finanzierungsanteil des Bundes von maximal 25 Prozent. – Das ist Ihre Dringliche Anfrage, ich beantworte sie gerne, ich würde Sie ersuchen, vielleicht auch zuzuhören. (Zwischenruf der Bun­desrätin Hahn.)

Die Gemeinde Wien beispielsweise erhält 238 Millionen Euro aus diesem Paket. Das ist wirklich nicht wenig, und ich bin froh, dass wir unserer Bundeshauptstadt entsprechend helfen können. Sie sehen also, dass dieses Modell wesentlich flexibler ist und mehr Gelder in kürzerer Zeit für die Gemeinden vorsieht. Die Regierung hat sowohl die recht­lichen als auch die budgetären Möglichkeiten geschaffen, um es Gemeinden in ganz Österreich zu ermöglichen, dieses Geld abzuholen. Nun liegt es natürlich daran, dass die Anträge auch eingebracht werden. Ich appelliere an alle, wo das noch nicht passiert ist, das bitte auch zu tun; die entsprechende Abwicklung passiert sehr rasch.

Ich komme nun zur Beantwortung der konkreten Fragen.

Zur Frage 1:

Die Summe aller Anträge inklusive Verbesserungsaufträge zum KIG 2020 beträgt zum Stichtag 30.9. 2 139.

Zur Frage 2:

Der beantragte Zweckzuschuss aller Anträge inklusive Verbesserungsaufträge zum KIG 2020 beträgt zum Stichtag 30.9. rund 256 Millionen Euro.

Zur Frage 3:

Dieses gesamte bis 30.9.2020 durch die Gemeinden beantragte Zweckzuschuss­volu­men beträgt auf Basis 2020 0,06 Prozent des BIP, auf Basis 2019 0,07 Prozent des BIP.


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Zu den Fragen 4 und 5:

Wie bereits ausgeführt, hat die Coronapandemie zum schwerwiegendsten Wirtschafts­einbruch in Österreich seit Bestehen der Zweiten Republik geführt. Die Bundesregierung hat eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, um die Bekämpfung des Einbruchs sicherzustellen, zur Stabilisierung der Situation und zum Durchstarten nach der Krise. Ein Teil dieses gesamten Maßnahmenpaketes ist das Kommunale Investitions­ge­setz 2020, mit dem speziell die Gemeinden und damit regionale Arbeitsplätze und die regionale Wirtschaft unterstützt werden. Gemeinsam mit den von der Bundesregierung beschlossenen weiteren Maßnahmen wird das KIG dazu beitragen, die Krise zu über­winden, und es den Gebietskörperschaften auch ermöglichen, danach wieder einen nach­haltigen, tragbaren Haushalt zu führen.

Zur Frage 6:

Bei den in den Monaten Juli bis September 2020 ausbezahlten Zuschüssen beträgt der Zuschuss im Schnitt je Projekt rund 119 000 Euro, beziehungsweise je Gemeinde, bei denen ein oder mehrere Zuschüsse gewährt wurden, rund 195 000 Euro.

Zur Frage 7:

Aufgrund der umfassenden tabellarischen Darstellung wird die Aufstellung schriftlich nachgereicht, was auch für die Frage 8 gilt.

Zur Frage 9:

Im Zeitraum Jänner 2020 bis September 2020 sind die Ertragsanteile der Gemeinden, inklusive Wien als Gemeinde, gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum um rund 653,8 Millionen Euro beziehungsweise 8,2 Prozent gesunken.

Zur Frage 10:

Nach einer Einschätzung des Bundesministeriums für Finanzen werden die Ertrags­anteile der Gemeinden, inklusive Wien als Gemeinde, im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr um 1,1 Milliarden Euro beziehungsweise 10 Prozent sinken.

Zu den Fragen 11 bis 13:

Da weder die Kommunalsteuer noch Tourismusabgaben Bundesabgaben sind, sind sie kein Teil des Bundesbudgets und daher von einer Steuerschätzung des Bundes­minis­teriums für Finanzen nicht umfasst.

Zur Frage 14:

Die statistische Auswertung der Gemeindefinanzen erfolgt nachjährig durch die Statistik Österreich, daher liegen derzeit noch keine Daten oder Schätzungen von Mehrausgaben vor.

Zur Frage 15:

Von den 2 095 Gemeinden in Österreich haben 1 408 noch keinen Antrag gestellt.

Zur Frage 16:

Bereits mit dem KIG 2017 wurden Gemeinden bei der Investitionstätigkeit unterstützt. Damals wurde ein Zuschuss von bis zu 25 Prozent geleistet. Angesichts der tiefgreifen­den Krise hat die Bundesregierung nun beschlossen, den Zweckzuschuss für die Ge­mein­den von 175 Millionen auf 1 Milliarde Euro zu erhöhen und gleichzeitig den För­dersatz auf 50 Prozent zu verdoppeln.

Durch diese Hilfsmaßnahmen wird die Unterstützungswirkung für die Gemeinden ent­scheidend erhöht und schnelle und entscheidende Hilfe bei den Investitionen geleistet.


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Zur Frage 17:

Gebarungsdaten der einzelnen Gemeinden für das Jahr 2019 stehen dem Bundes­ministerium für Finanzen noch nicht zur Verfügung.

Zu den Fragen 18 bis 21:

Wie bereits ausgeführt, hat die Coronapandemie zum schwerwiegendsten Wirtschafts­einbruch in Österreich seit Bestehen der Zweiten Republik geführt. Die Bundesregierung hat eine Reihe entschlossener Maßnahmen zur Bekämpfung des Einbruchs, zur Stabi­lisierung der Situation und zum Durchstarten nach der Krise gesetzt.

Die von den Bundesräten angesprochene Ausbildung von Lehrlingen kann für die Betrof­fenen einen wichtigen Beitrag zur Krisenbewältigung darstellen. Ihre Finanzierung erfolgt, wie generell die Aufgabenfinanzierung der Gemeinden, zu einem gewichtigen Teil aus den von der Bundesregierung zur Verfügung gestellten Ertragsanteilen an den gemein­schaftlichen Bundesabgaben. Gemeinsam mit den von den Ländern geplanten oder schon umgesetzten Hilfsmaßnahmen werden all diese Initiativen dazu beitragen, die Krise auch für die Gemeinden zu überwinden, und sie werden es den Gebietskör­per­schaften ermöglichen, danach wieder eine nachhaltige tragbare Budgetpolitik auch auf Basis eines gestiegenen Wirtschaftsniveaus und dadurch bedingt höherer Steuer­ein­nahmen zu führen.

Abschließend zur Frage 22:

Die Bundesregierung hat als Teil des Gesamtpaketes zur Bekämpfung der Auswir­kungen der Covid-19-Krise das KIG 2020 und die weiteren oben dargestellten Maßnah­men beschlossen. Das KIG wird dazu beitragen, die Krise zu überwinden und auch den Gemeinden ein neues Durchstarten zu ermöglichen. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

16.22


Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Ich mache darauf aufmerksam, dass gemäß § 61 Abs. 7 der Geschäftsordnung die Redezeit eines jeden Bundesrates mit insgesamt 20 Minuten begrenzt ist.

Zu Wort gelangt nun Herr Bundesrat Dominik Reisinger. – Bitte, Herr Kollege.


16.22.47

Bundesrat Dominik Reisinger (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geschätzte Frau Präsi­dentin! Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe ZuhörerInnen zu Hause! Herr Minister, jeder Mensch kann einmal zu einem Termin zu spät kommen. Es wäre Ihnen aber sehr gut angestanden, zumindest ein Wort darüber zu verlieren, schon alleine aus Gründen des Respektes vor dem Bundesrat. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ.)

Sehr geehrter Herr Minister, Sie können sich sicher erinnern: In einer der letzten Sitzun­gen habe ich Ihnen hier am Rednerpult versprochen, dass die SPÖ beim Thema Siche­rung der Gemeindefinanzen nicht locker lassen wird. Sie sehen, Sie können sich auf die SPÖ verlassen. Wir halten unsere Versprechen. (Beifall bei der SPÖ.)

Am 24. Juni – wir haben es schon gehört, also vor rund vier Monaten – habe ich Ihnen hier im Bundesrat in einer Dringlichen Anfrage mehrere Fragen zur prekären Finanz­situation der 2 095 Gemeinden in Österreich gestellt und Sie gefragt, was Sie dagegen zu tun gedenken. Es war eine ganze Reihe von spannenden und brennenden wie wich­tigen Fragen. Ihre Antworten waren – und da haben wir heute nichts anderes gehört – inhaltsleer. Sie haben sich eigentlich vor konkreten Antworten weggeduckt, Sie haben dazu nichts Substanzielles geäußert. Es war auch heute wieder sehr enttäuschend.


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 128

Nein, ganz im Gegenteil, Sie haben sich vor vier Monaten sogar in Ihrer Ehre gekränkt gefühlt und mimosenhaft Ihre schwere Situation in der Krise beklagt. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, das ist eines Finanzministers absolut unwürdig. Damit kommen Sie Ihrer Verantwortung in keiner Weise nach. Das ist summa summarum zu wenig und deshalb auch beschämend. Ich sage Ihnen ganz klar, Herr Minister: Nicht Sie stecken in dieser Krise, es sind die 2 100 Gemeinden Österreichs, die vor der Pleite stehen. Sie schauen zu! (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Ofner.)

Es ist mittlerweile so, dass die Gemeinden nicht einmal mehr genug Geld haben, um den Status quo der Daseinsvorsorge zu finanzieren. Betroffen sind unsere Kindergärten, die Schulen, Infrastrukturprojekte bei den Straßen, bei der Wasserversorgung, bei der Abwasserentsorgung, bei der Feuerwehr, bei den Vereinen und vieles mehr. Und bitte, kommen Sie nicht wieder mit Ihrem Kommunalinvestitionspaket! Es ist Tatsache, alle unsere Befürchtungen sind mittlerweile eingetreten. Wir sind bei diesem Thema nicht mehr in der Spekulation, wir sind längst in der Realität angekommen. Die Gemeinden schaffen es nicht, dieses Geld abzuholen, weil sie die notwendigen Eigenmittel dafür nicht aufbringen können; oder – das ist ein weiteres Beispiel – sie bekommen kein Geld, weil die Projekte nicht in Ihr enges Förderkorsett passen.

Jetzt ein konkretes Beispiel aus meiner Gemeinde, aus Haslach an der Mühl: Wir haben vor drei Jahren ein Primärversorgungszentrum umgesetzt, sind dabei Vorreiter, wir waren ein Politprojekt. Aus ganz Österreich kommen Delegationen und nehmen sich ein Bei­spiel. Aufgrund der Coronakrise – aber nicht nur – gibt es jetzt sprichwörtlich Engpässe im Kundenbereich, im Bereich der Patientenaufnahme. Die Maßnahme, eine kleine Erweiterung, würde rund 50 000 Euro in Anspruch nehmen. Unsere Gemeinde hat das Geld nicht. Wir bekommen vom Land Oberösterreich dafür keine Förderungen und dann bekommen wir obendrauf auch von Ihrem KIP keine Förderungen. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten, Sie dürfen sich eine aussuchen: Entweder das Thema Gesundheit ist für Sie kein Zukunftsthema und deshalb nicht förderwürdig oder Sie haben mangelhaft gearbeitet, ganz unter dem Motto: gut gemeint, aber schlecht gemacht.

Genau das alles haben wir Ihnen vor Monaten prophezeit, weil wir als Bürgermeister die Situation in den Gemeinden sehr, sehr gut kennen. Ich frage Sie hier und heute, Herr Bundesminister, Hand aufs Herz: Glauben Sie wirklich, dass Ihr Modell greift? (Bun­desrat Preineder: Glauben Sie wirklich, dass er das nicht glaubt?) Wir haben Ihnen gesagt, was in der Krise zu tun wäre. Vor einem Investitionspaket muss den Gemeinden der Einnahmenausfall zu 100 Prozent ohne Wenn und Aber ausgeglichen werden. Das sind rund 2,2 Milliarden Euro. Dann könnten wir wieder investieren, könnten die regio­nale Wirtschaft unterstützen und Arbeitsplätze sichern, wenn nicht sogar schaffen.

Die SPÖ hat 250 Euro pro Einwohner als Direktzahlung vorgeschlagen. Wenn Sie, Herr Bundesminister, den Gemeinden wirklich helfen wollen, lenken Sie bitte ein und nehmen Sie unseren Vorschlag an! Tun Sie das nicht in naher Zukunft, drohen den Bürgerinnen und Bürgern in unseren Gemeinden Gebührenerhöhungen. Wenn Sie das möchten, Herr Minister, dann bitte ich Sie, bringen Sie auch den Mut auf, das ganz offen und ehrlich auszusprechen. Sagen Sie es, wenn Sie diesen Weg gehen wollen! Wir wollen diesen Weg auf keinen Fall gehen, ganz im Gegenteil, wir lehnen das ganz, ganz ve­hement ab und unterstützen das auch nicht. (Beifall bei der SPÖ.)

Jetzt ein weiteres ganz kurioses Beispiel aus Oberösterreich: Wir bekamen als Gemein­den alle den Auftrag, bis Ende September Nachtragsvoranschläge zu erstellen. Die Zah­len weichen massiv ab, ein Nachtragsvoranschlag ist zu erstellen. Ich habe das in meiner Gemeinde vor gut einer Woche mit einer Zahl beschließen lassen, die unglaublich ist, mit Einbußen bei den Ertragsanteilen von 5,5 Prozent. Das ist die Zahl, die Ihr Ministerium und Sie uns im April mitgeteilt haben: 5,5 Prozent, jetzt im September.


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Die Tinte dieses Nachtragsvoranschlages war noch nicht trocken, da kam über Nacht eine neue Zahl. Jetzt sind es unglaubliche 11,64 Prozent Einbußen bei den Ertrags­anteilen. Die Arbeit – wir haben es gewusst – war völlig umsonst, wir müssen es noch einmal machen. Der Auftrag erging schon an uns, wir haben neuerlich einen Nach­tragsvoranschlag zu erstellen. (Vizepräsident Buchmann übernimmt den Vorsitz.)

Was ist der Grund? – Sie waren den ganzen Sommer lang nicht in der Lage, in Ihrem Ministerium aktuelle Prognosen zu berechnen und vorzulegen. Herr Minister, wieder eine Frage: Sehen so Ihre Beschäftigungsprogramme für uns als Gemeinden aus? Das Ganze ist ganz einfach unglaublich unprofessionell, was da passiert.

Zum Abschluss frische ich noch einmal auf: Es geht darum, die Gemeindefinanzen krisensicher zu machen, in der schwersten, durch das Coronavirus verursachten Wirt­schafts- und Arbeitsmarktkrise. Es sind neben den Betrieben und Menschen, die arbeits­los geworden sind, vor allem auch die Gemeinden in schwere Finanznöte gekommen.

Seit Anfang April weisen wir als SPÖ-Fraktion auf diesen Umstand und auf die ver­heerenden Auswirkungen bei den öffentlichen Leistungen in den Gemeinden hin, und seit April nutzen wir jedes parlamentarische Werkzeug, Sie und Ihre Ministerkollegen zum Handeln aufzufordern.

Es steht außer Frage, die Gemeinden sind der größte Investor dieser Republik. So könnten wir auch die Rolle des wichtigen Konjunkturmotors einnehmen. Das würde die Wirtschaft ankurbeln. Das wünschen Sie sich doch so sehr, aber dazu brauchen wir Geld. Die Regierung hat die Möglichkeit, am Finanzmarkt Geld zum Nulltarif aufzu­nehmen. Auch das können wir Gemeinden nicht, und Sie denken auch nicht an ge­setzliche Novellen, die das ermöglichen würden. Herr Finanzminister, stellen Sie den Gemeinden die so dringend notwendigen Geldmittel zur Verfügung! Herr Finanzminister, kümmern Sie sich um das Land!

Wir haben Ihnen auch heute wieder 22 wichtige Fragen gestellt. Leider sind Sie uns abermals Antworten schuldig geblieben. Unser Befund über Sie und Ihre Politik wird dadurch leider ein weiteres Mal bestätigt. – Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

16.33


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dipl.-Ing.in Andrea Holzner. – Bitte.


16.33.31

Bundesrätin Dipl.-Ing. Andrea Holzner (ÖVP, Oberösterreich): Hohes Präsidium! Geschätzter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Zuseher via Livestream! Nach dem, was wir heute schon gehört haben – das Stochern im Nebel, von Prophezeiungen und Befürchtungen, im Wahnsinn, unsere Jungen eine verlorene Generation, Giftcocktails mischen wir auch –, bin ich jetzt wirklich froh und dankbar, dass ich als Bürgermeisterin, die noch am Boden der Realität ist, hier stehen kann. (Beifall bei der ÖVP.)

Natürlich sind wir in unseren Gemeinden mit Schwierigkeiten konfrontiert, mit Schwierig­keiten der Menschen, mit Schwierigkeiten, die wir in der Gemeinde haben, aber es gibt auch in den Gemeinden und im Land Menschen, die gewillt sind, diese Krise zu meistern. Wir haben auch noch Lebensfreude in unserer Gemeinde, und unsere Kinder gehen auch noch gerne in die Schule. Ich kann Kollegen Spanring gerne einladen, unsere Ge­meinde, unsere Schule einmal zu besuchen. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Spanring.)


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Ja, unsere Gemeinde ist auch massiv betroffen, es gibt Ertragsanteileinbußen von 12 Pro­zent. Ich bin auch eine Oberösterreicherin. Wir beschließen nächste Woche einen Nachtragsvoranschlag. Ich habe mit der Nachtragsvoranschlagserstellung so lange gewartet, damit eine bessere Qualität der Daten gegeben ist, und das ist, je weiter die Zeit fortschreitet, umso deutlicher. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Ja, unser Überschuss, den wir im Voranschlag prognostiziert haben, ist leider auch dahingeschmolzen, aber zum Glück gibt es das Gemeindepaket. Ich möchte mich sehr für das kommunale Investitionspaket bedanken. Es ist eine Fülle von Möglichkeiten, eine Fülle von Projekten, die man damit verwirklichen kann. (Zwischenruf der Bundesrätin Grimling.) Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich eine Gemeinde findet, es eine Gemeinde gibt, die gar nichts findet, wofür sie das Geld hernehmen kann. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenruf der Bundesrätin Hahn.)

Wir gehören zu den Gemeinden, die bis jetzt noch nichts beantragt haben, nämlich aus dem Grund, weil wir uns halt einmal hinsetzen müssen. Das tun wir in der Gemeinde auch, alle Fraktionen miteinander, um zu schauen, was wir aus dem Paket verwirklichen, wie wir die Mittel klug einsetzen, wie das unser Land Oberösterreich ergänzt hat. Es sind ja Doppelförderungen möglich. Wo kriegt man zum Beispiel noch eine Förderung aus dem Dorfentwicklungsprogramm oder zur Verkehrssicherheit? Das sind alles Dinge, die wir dazu überlegen werden, und wir werden dann in der nächsten Gemeinderatssitzung die Projekte beschließen und entsprechend beantragen. Ich danke sowohl dem Bund als auch dem Land Oberösterreich für die Flexibilität.

Im Jahr 2021 werden wir einen massiven Einbruch beim finanziellen Spielraum haben. Die Schere klafft zwischen den sinkenden Einnahmen und unseren Ausgaben für die Daseinsvorsorge. Wie schon gesagt worden ist, sind wir für die Infrastruktur bis zur Bildung zuständig. Auf die Ausgabendynamik bei Krankenanstalten und Sozialhilfe­umlage bin ich gespannt, die hängt aber auch davon ab, wie sich die Gesundheitskrise weiterentwickelt. Ich befürchte, meine Damen und Herren von der FPÖ, Sie haben noch nicht realisiert, dass wir in einer Pandemie sind. (Zwischenrufe der BundesrätInnen Steiner-Wieser und Spanring.) Auch wenn für Sie das Virus nicht real ist, die Reisewarnungen sind es. Sie animieren zum Lockernehmen, ziehen Maßnahmen durch den Kakao, verbreiten krause Theorien, und anscheinend haben Sie nicht bemerkt, dass wir nicht alleine auf der Welt sind. (Beifall bei der ÖVP.)

Bei einem BIP-Anteil des Tourismus von 15 Prozent können Sie sich vorstellen, was ein nicht stattfindender Wintertourismus bedeuten würde. Auch das betrifft jede einzelne Gemeinde.

Geschätzte Taxifahrer - - Geschätzte SPÖ, aber auch geschätzte Taxifahrer! (Allge­meine Heiterkeit. – Beifall bei der ÖVP.) Mir ist es seit dem März nie passiert, aber seit September sagen die Taxifahrer, dass sie über die einheitlichen strengeren Maßnahmen der Bundesregierung erleichtert sind. Die Betroffenen haben nämlich durchaus realisiert und verstanden, dass Gesundheits- und Wirtschaftsdaten zusammenhängen. (Zwi­schenruf der Bundesrätin Hahn.)

Geschätzte SPÖ! Ich frage mich schon, ob Ihnen klar ist, dass ein Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden stattfindet, dass alle Ebenen ihren Aufgaben nachkommen müssen und dass es vor allem darum geht, wie dieses Mehr, nach dem Sie rufen und das wir auch alle brauchen könnten, erreichen.

Dass hier Arbeit und Beschäftigung eine zentrale Rolle spielen, versteht sich von selbst. Es wundert mich sehr, dass Sie im Ausschuss die Jahresvorschau im EU-Bericht 2020 abgelehnt haben, bietet doch gerade dieser Bericht Lösungsansätze, geht es doch dabei um nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit, soziale Gerechtigkeit und Resilienz (Bundesrätin


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Schumann: Sagen Sie das den Taxifahrern!), sozusagen um eine Krisenfestigkeit, um die Menschen und die Gesellschaft zu stärken.

Wir haben schon vor der Krise in einer Zeit des digitalen, ökologischen und demo­grafischen Wandels gelebt. Dieser Wandel wurde durch diese Krise beschleunigt. Es werden Berufe verschwinden und andere Berufsbilder entstehen, und wir müssen alles daran setzen, arbeitsplatzrelevante Kompetenzen zu stärken, damit die Arbeitslätze gehalten und Übergänge im Berufsleben besser gemeistert werden können.

Ich möchte da auf die Coronaarbeitsstiftung verweisen, das größte Aus- und Weiter­bil­dungsprogramm der Zweiten Republik, mit Fokus auf gesellschaftlich notwendige und personalintensive Zukunftsbranchen. (Bundesrätin Kahofer: Was hat das mit den Ge­meinden zu tun?)

Nun darf ich wieder auf das Kommunalinvestitionsgesetz zurückkommen. Auch da sind zukunftsorientiert 20 Prozent der Mittel für ökologische und digitale Projekte reserviert. Ja, es wird einen runden Tisch von Bund, Ländern und Gemeinden geben müssen, weil wir alle mehr brauchen, um aus der Krise herauszukommen. (Beifall und Bravorufe bei der SPÖ.) Das ist auch eine Forderung des Gemeindebundes. Es denken alle darüber nach, wie wir die Krise meistern können, aber ich habe Ihnen gesagt, dieses Mehr müs­sen wir zuerst erwirtschaften.

In erster Linie geht es auch einmal darum, sich darüber Gedanken zu machen – und da hat die Bundesregierung mit der Coronaarbeitsstiftung, mit diesem Weiterbildungs­pro­gramm, Maßnahmen ergriffen –, dass die Wirtschaft, wie es der Herr Bundesminister gesagt hat, wieder wachsen kann. Dann ist auch ein Mehr für uns alle möglich. (Beifall bei der ÖVP.)

Vor allem brauchen wir Menschen, die bereit sind, Neues zu lernen, Herausforderungen anzunehmen, die lösungsorientiert sind und sich für dieses Land auch in schwierigen Zeiten einsetzen. (Zwischenruf der Bundesrätin Kahofer. – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Dann wird es uns in den Gemeinden gut gehen und dann wird es uns im Land gut gehen. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP.)

16.40


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Josef Ofner. Ich erteile ihm dieses.


16.40.37

Bundesrat Josef Ofner (FPÖ, Kärnten): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzter Herr Minister! Verehrte Kollegen! Vor allem geschätzte Zuhörer zu Hause via Live­stream! Also Frau Kollegin Holzner, jetzt haben Sie einen flammenden Appell an uns und an die SPÖ gehalten. Da (in Richtung Bundesminister Blümel weisend) ist die Person, die am Handy spielt, an sie hätten Sie diesen Appell, was zu tun wäre, damit wir Wirtschaftswachstum erzeugen, richten müssen! Da, bei euren eigenen Ministern liegt die Verantwortung, dass die ganze Wirtschaft an die Wand gefahren ist. Da kann die Pandemie nichts dafür, das wart schon ihr ganz alleine. (Beifall bei FPÖ und SPÖ.)

Geschätzte Damen und Herren, als ich heute Früh diese Dringliche Anfrage der SPÖ in Händen gehalten habe, ist mir ein leichtes Schmunzeln über die Lippen gekommen, aber nicht deswegen, weil mir die prekäre finanzielle Situation der österreichischen Ge­meinden nicht ernst wäre – ganz im Gegenteil: Das Schmunzeln kam mir deshalb über die Lippen, weil die SPÖ an den Minister eingangs folgende Frage richtet: „Gemein­definanzen in der Krise: Sind die getroffenen Maßnahmen wirklich sinnvoll?“

Liebe SPÖ, dazu muss ich aber schon eines sagen: Diese Frage hätten Sie eigentlich nicht dem Finanzminister stellen sollen, diese Frage hätten Sie sich vor zwei Wochen


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 132

selbst stellen müssen, als Sie wiederholt als Steigbügelhalter der Nation für diese Bun­desregierung agiert haben und der Fortsetzung dieser unsäglichen Coronamaßnahmen Ihre Zustimmung gegeben haben. (Beifall bei der FPÖ. Zwischenrufe der Bundes­rätin­nen Grimling und Hahn.) Diese Zustimmung dürfte wohl einem Kuhhandel geschuldet sein – zuerst haben Sie ja Kritik geübt, dann aber zugestimmt –, das ist jedem gelernten Österreicher völlig klar, entschuldigt aber keineswegs diese Vorgehensweise. (Neuer­liche Zwischenrufe der Bundesrätinnen Grimling und Hahn.)

Ich muss Ihre Erwartungen und Hoffnungen in dieser Situation ein bisschen trüben, denn Sie haben übersehen, dass Sie diesen Kuhhandel mit der Amnesiepartei in Österreich, und zwar dieser ÖVP-Amnesiefraktion, eingegangen sind. Glauben Sie mir, spätestens, wenn es um die Einhaltung gehen wird, wird sich keiner an irgendetwas erinnern können, also das wird so die Fortsetzung finden, wie wir das vom Laptop des Herrn Finanz­ministers kennen (Heiterkeit des Bundesrates Spanring): Es hat keiner mehr eine Wahrnehmung dazu. Das ist dann schon schlimm, denn mit dieser Zustimmung haben Sie wirklich keinen Beitrag – weder wirtschaftlich noch finanziell – für unsere Gemeinden geleistet, sondern Sie haben eine weitere aktive Sterbehilfe für unsere Gemeinden und damit die gesamte Wirtschaft geleistet. (Beifall bei der FPÖ.)

Nunmehr aber zum Thema Gemeindefinanzen: Der Herr Finanzminister hat heute wie­der einmal unter Beweis gestellt, dass er im Produzieren von leeren Worthülsen und Wiederholungen kaum zu überbieten ist, wenn es aber darum geht, längst überfällige Lösungen zu präsentieren, so lässt er die Gemeinden weiterhin im finanziellen Regen stehen, nämlich jene Gemeinden, die nicht wissen, wie sie überhaupt ihre Liquidität sicherstellen und vor allem auch die Budgets für das kommende Jahr erstellen sollen. Jene Gemeinden, die durch die Maßnahmen dieser Regierung jeden Tag mehr und mehr in eine Schuldenspirale gestoßen werden – die werden das auch noch am sogenannten KIG festmachen –, sollten eigentlich den sozialen Motor und den Wirtschaftsmotor für unseren Staat bilden und hätten sich einen Finanzminister verdient, der sich mit vollem Einsatz dieser finanziellen Herausforderungen annimmt und nicht wahlkampftourend „Leistung für Wien“ fordert, selbst aber nicht bereit ist, als Regierungsmitglied diese Leistung zu erbringen. (Beifall bei der FPÖ.)

Meine Damen und Herren, was würden die Gemeinden brauchen? – Vor allem wäre es wichtig, eine Planbarkeit zu haben, um eine stabile finanzielle Situation schaffen zu können, die es eben auch erlaubt, Mehrbelastungen für unsere Bürger hintanzuhalten, aber die Gemeindeaufgaben, wie es heute bereits gesagt worden ist, in den Versor­gungsbereichen entsprechend weiterhin effektiv durchführen zu können. Um das sicherzustellen, Frau Kollegin Holzner, genügt es eben nicht – auch der Herr Finanz­minister sieht das noch immer falsch –, ein kommunales Investitionsprogramm zu instal­lieren, welches lediglich einen Förderzuschuss für Projekte vorsieht. Der Unterschied ist: Nicht ein Euro dieses kommunalen Investitionsprogramms fließt in die Kompensation der fehlenden Ertragsanteile, sondern das sind Zusatzmaßnahmen, die wir uns zu­sätzlich wünschen würden, wenn einmal diese fehlenden Ertragsanteile kompensiert werden würden.

Wichtig wäre es, dass nicht nur diese fehlenden Ertragsanteile, sondern auch die Min­dereinnahmen bei der Kommunalsteuer durch die Kurzarbeit und natürlich auch die Mindereinnahmen bei der Fremdenverkehrsabgabe berücksichtigt werden, sodass es da ganz klare Geldflüsse vom Bund gibt, denn der Bund und Sie als Finanzminister haben die Verantwortung für diesen Einnahmenausfall zu tragen, denn Sie haben auch diese Maßnahmen getroffen. (Beifall bei FPÖ und SPÖ.)

Heute hören wir wieder – das ist wirklich interessant –, dass Sie wieder von rund 10 Pro­zent geringeren Ertragsanteilen ausgehen. Schauen wir uns die Situation an, wenn man Wien einmal herausnimmt – auch der Gemeindebund hat das ganz klar formuliert –: Im


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Mai gibt es minus 13,1 Prozent, im Juni minus 31,5 Prozent, im Juli minus 22,2 Prozent, im August minus 25,9 Prozent, im September minus 10,3 Prozent – das war der einzige Monat, in dem wir das wirklich entsprechend gehabt haben –, und im Oktober sind wir wieder bei minus 15,7 Prozent. Alle Berechnungen, auch wenn ich zum Beispiel das Land Kärnten heranziehe, gehen in diese Richtung, dass es mindestens minus 15 Pro­zent sind.

Jetzt kommt es aber noch darauf an, ob es vielleicht einen weiteren Lockdown, den Sie vielleicht schon irgendwo im Ärmel haben, gibt. Dann würde sich das natürlich noch einmal nach unten revidieren. Ich kann als Beispiel auch unsere Gemeinde hernehmen, vielleicht verstehen Sie dann, was wir – SPÖ und FPÖ – meinen: Wir haben allein in unserer Gemeinde bei 1 400 Einwohnern bis dato ein Minus bei den Ertragsanteilen von 280 000 Euro. Wir haben aufgrund des Kommunalinvestitionsgesetzes für Projekte 146 000 Euro erhalten – für Projekte, wie gesagt –, wir haben aber nicht einen Euro für die fehlenden Ertragsanteile bekommen; es fehlen die Fremdenverkehrsabgaben und den Entfall der Kommunalsteuer habe ich da noch gar nicht hinzugerechnet. (Zwischen­ruf des Bundesrates Preineder.)

Dann bringen Sie ein Sahnehäubchen und sagen: Alle können ja Darlehen aufnehmen. – Ja, das ist ja besonders toll, denn wenn ich eh schon kein Geld, keine Liquidität habe, dann werde ich kein Darlehen aufnehmen, das ich dann nicht refinanzieren kann. Das heißt, Sie stoßen – genau so, wie ich es am Anfang gesagt habe – unsere Gemeinden in eine Schuldenspirale. (Beifall bei FPÖ und SPÖ.) Das stört Sie anscheinend relativ wenig, da Sie eben mit verantwortungsvollem finanziellen Handeln nicht sonderlich viel zu tun haben wollen, ansonsten würden Sie schon lange einen anderen Kurs vorgeben.

Wenn wir jetzt diese Wiederholungsdebatte führen – es waren ja die Fragen auch des­halb wiederholend, weil sie wiederholt nicht ausreichend beantwortet wurden –, so will ich auch kein Spielverderber sein und werde mich bei dieser Wiederholungsdebatte auch entsprechend repetieren und meine Worte vom Juli wiederholen, und zwar: Ich sage Ihnen noch einmal: Wegen Ihrer Handlungsunfähigkeit und Ihrer fehlenden Ver­antwor­tung werden schlussendlich die Gemeinden und damit die Bürger unseres Landes finan­ziell zu bluten haben, nicht zuletzt dann, wenn die wirtschaftlichen Aus­wirkungen dieser Maßnahmen mit voller Wucht aufschlagen werden.

Um in Ihrem Jargon zu bleiben: Herr Bundesminister, Sie sind ein Lebensgefährder für die österreichischen Gemeinden, Sie sind ein Lebensgefährder für die österreichische Bevölkerung. Ich würde Ihnen vorschlagen: Senken Sie das diesbezügliche Gefähr­dungs­potenzial, nehmen Sie Ihren Hut! Damit würden Sie Österreich und unseren Ge­meinden einen großen Dienst erweisen. (Beifall bei der FPÖ und bei BundesrätInnen der SPÖ. Zwischenruf des Bundesrates Rösch.)

16.49


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Andreas Lackner. – Bitte, Herr Bundesrat.


16.49.35

Bundesrat Andreas Lackner (Grüne, Steiermark): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Hohes Haus! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Sie stellen in der Dringlichen Anfrage die Frage: „Sind die getroffenen Maßnahmen wirklich sinnvoll?“ – Ja, natürlich ist das Kommunalinvestitionsgesetz 2020 sinnvoll, und das in mehrfacher Hinsicht. Zum einen werden die durch einen signifikanten Einnahmeentfall belasteten Gemeinde­haus­halte entlastet, zum anderen werden damit Investitionen ausgelöst, die die Konjunktur beleben und damit Arbeitsplätze schaffen beziehungsweise sichern. Zum Dritten wirkt


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das KIG in der Region. Es wird regional investiert und es gibt bei diesen Investitionen eine stärkere regionale Wertschöpfung.

Ja, es ist richtig, dass die KIG-Gelder ein Investitionszuschuss sind, zunächst einmal im Ausmaß von 50 Prozent. Es ist jedoch auch eine Förderung, die nicht auf andere För­derungen angerechnet wird, und daher ist es möglich, Projekte zu verwirklichen, die auch über andere Förderkanäle unterstützt werden; im Idealfall soll eine Förderquote von 100 Prozent erreicht werden. Da würde die Gemeinde dann keine Eigenanteile be­nötigen. Es ist nicht egal, wofür die KIG-Mittel eingesetzt werden, denn wird ein Projekt gewählt, für das es zum Beispiel eine zusätzliche Förderung von 30 Prozent gibt, löst man mit einem Einsatz von 200 000 Euro ein Investitionsvolumen von 1 Million Euro aus. Wenn die Gemeinde ein Projekt wählt, wofür es keine zusätzliche Förderung gibt, benötigt man für das gleiche Investitionsvolumen einen Einsatz von 500 000 Euro. Das KIG wird durchaus von den Gemeinden angenommen. Es ist aber auch sehr wahr­scheinlich, dass es Gemeinden gibt, die das KIG nicht nutzen.

Vizekanzler Werner Kogler hat sich bereits Anfang September anlässlich eines Besuchs in Bregenz ganz klar dazu bekannt, sich für eine Ausweitung der Unterstützung der Städte und Gemeinden einzusetzen. Ja, es zeichnet sich ab, dass es weitere Unter­stützung braucht. Diese wird auch kommen, denn ich bin mir sicher, dass wir die Ge­meinden nicht im Regen stehen lassen werden. Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP. Zwischenrufe bei der SPÖ.)

16.52


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Zu Wort gemeldet ist Bundesrat David Egger. Ich erteile es ihm.


16.52.26

Bundesrat David Egger (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher vor den Bildschirmen zu Hause! Frau Kollegin Holzner, ich muss Ihnen gra­tulieren, dass Sie bei Ihnen in der Gemeinde auf der Insel der Seligen leben. Das finde ich sehr, sehr schön, das freut mich.

Man muss aber auch die Scheuklappen ein bisschen öffnen und sich einmal überlegen, warum denn die Hälfte der Gemeinden das Geld nicht abholt. Weil sie es nicht abholen können, lieber Herr Bundesminister, denn es müssen 50 Prozent an Eigenmitteln inves­tiert werden! (Bundesrätin Zeidler-Beck: Warum ... keine Eigenmittel?) Es gibt genü­gend Gemeinden – ich kenne die persönlich aus Salzburg –, die diese Eigenmittel nicht haben, liebe Kollegin. (Bundesrätin Zeidler-Beck: Warum haben sie keine Eigenmittel? Warum?)

Zurück zu Ihrer Frage, ob wir Taxifahren oder nicht: Ich habe während der Schulzeit und während des Studiums schon viele Jobs gemacht, aber Taxifahren war nicht dabei.

Es gibt Ausgleichsgemeinden, die nicht so finanzstark sind und die keinen Kredit be­kommen. Es ist ganz einfach, wenn man sich in der Kommunalpolitik auskennt, dann hat man auch ganz schnell die Antworten darauf. (Zwischenruf des Bundesrates Preineder.)

Kollege Lackner, erklären Sie mir einfach einmal die regionale Wertschöpfungskette! Wenn die Gemeinden das Geld gar nicht abholen können, dann können sie es nämlich bei den regionalen Bauunternehmen, bei den Dachdeckern nicht investieren, wenn sie den Kindergarten oder die Krabbelstube bauen.

Nun aber zurück zum eigentlichen Thema: Was hört man aus den Gemeinden im ganzen Bundesland? – Bei mir zu Hause in Salzburg bin ich viel unterwegs im ländlichen Raum und rede nicht nur mit SPÖ-Bürgermeistern, ich rede auch mit ganz vielen ÖVP-


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Bürgermeistern. Meine sehr geehrten Damen und Herren, eines deckt sich, da sind wir uns alle einig: Die größte Einnahmequelle bricht weg. Auf der einen Seite haben die Gemeinden keine Planungssicherheit – das erzählen mir alle Ortschefs rundherum –, sie wissen auch nicht, mit welchen Einnahmen sie nächstes Jahr rechnen können. Sind es 8, sind es 10, sind es 16 Prozent der Einnahmen – aus Tourismusgemeinden hört man sogar, dass es beinahe 20 Prozent sind –, die ausfallen? Da stellt sich die Frage, mit welchen Zahlen schlussendlich kalkuliert werden soll. Das wird einem als Ortschef auch nicht so einfach gemacht.

Da stellt sich die Frage: Soll man neue Projekte starten? Wie soll man die finanzieren? Viele Projekte, wichtige Investitionen werden auf die lange Bank geschoben. Dann tut man so, als würden die Gemeinden das Geld unterm Kopfpolster horten. – Nein, die würden das ja in innovative Projekte oder in Gehsteige, in Schulen, in die Infrastruktur, in die Kanal- und Wasserversorgung reinstecken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, vor allem die kleinen Gemeinden – Frau Kollegin, ich habe mich in Salzburg persönlich davon überzeugt, denn ich bin viel draußen unterwegs –, die finanzschwachen Gemeinden tun sich extrem schwer. 50 Pro­zent der Kosten werden zugeschossen, wenn man 50 Prozent an Eigenmitteln zur Verfügung hat. Horchen Sie einmal in die Gemeinden rein, reden Sie einmal mit den Ortschefs, das würde ich Ihnen sehr, sehr ans Herz legen! 0,0 Prozent des BIP – da muss ich ehrlich fragen: Wo ist denn da wirklich die Krisenbewältigung durch das KIP? Das ist meine Frage an Sie, Herr Minister.

Eine Anekdote möchte ich nicht vergessen: Die Projekte müssen mindestens bis 2021 eingereicht werden, ansonsten bekommt die Gemeinde gar nichts von dem von Ihnen geschnürten Paket.

Ich würde dieses von Ihnen geschnürte Paket an der Stelle einfach einmal als Rohr­krepierer bezeichnen. (Beifall bei der SPÖ.) Sie verhindern nicht nur den Fortschritt in den Gemeinden, Sie verhindern auch die Wertschöpfungskette, von der wir heute schon gehört haben, denn wenn die Gemeinden das Geld nicht investieren können, ja, dann leiden auch alle Unternehmen und UnternehmerInnen in der Region darunter, die für die sicheren Arbeitsplätze unserer Leistungsträgerinnen und Leistungsträger in der Region, im ländlichen Raum draußen sorgen.

Ja, es wäre doch sinnvoller, ein wirklich klares, unkompliziertes Investitionspaket zu schnüren und nicht im Gießkannenprinzip drüberzugießen, Milliarden zu verschenken, die in irgendwelche Löcher versinken. Nur eine einzige Milliarde bekommen unsere Gemeinden. Die Kollegin hat es selber schon unterstrichen: Über 2 Milliarden Euro werden abgehen, und da kommt noch mehr dazu – nicht nur die Bundesertragsanteile, die Kommunalsteuer, die Steuern, die Gebühren, da kommt noch so ein Brocken auf die Gemeinden zu, und die haben echt schon alle den Gürtel enger geschnallt.

Da möchte ich ein Beispiel aus dem Krankenhaus Zell am See geben: Die haben corona­bedingt natürlich Betten freihalten müssen – selbstverständlich! –, um die Versorgungs­sicherheit zu garantieren. Jetzt bekommen sie von Ihnen nur 80 Prozent, auf 1 Million Euro bleibt das Krankenhaus Zell am See sitzen. Da ist wieder das Land gezwungen, einzuspringen, vielleicht geht da ja etwas, oder die Kommune selbst muss 1 Million Euro mehr aufbringen – 1 Million Euro mehr, die sie in Kinderbetreuung, in Projekte, in Kinder­gärten, in Betreuungsplätze, in den Ausbau von Schule hätte stecken können!

Ja, es sind die Gemeinden, da sind wir uns alle einig, die für die Lebensqualität vor Ort sorgen. Die Gemeinden sind die regionalen Wirtschaftsmotoren. Mit wem führt denn die Gemeinde das Projekt durch, wenn sie baut? Mit dem Baumeister, mit dem Dach­decker, mit dem Elektriker aus der Region, und dort sind die sicheren Arbeitsplätze der fleißigen Leistungsträgerinnen und Leistungsträger. Was aber ist jetzt passiert? – Sie


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zwingen die Gemeinden, wichtige Investitionen in die Infrastruktur, in Straßen, egal wohin, zu verschieben, aufzuschieben, abzubrechen. Ein Beispiel aus meiner Heimat­gemeinde: Auch wir haben eine wichtige Turnsaalsanierung verschieben müssen – am Ende des Jahres wird bei uns ein Minus von 1 Million Euro stehen –, davon hätten die Kinder, die Jugendlichen und auch die Vereine profitiert.

Sie zwingen die Gemeinden, die Last der verminderten Einnahmen auf den Schultern der Bürgerinnen und Bürger abzuladen. Wie wird das passieren? Eine Gebüh­ren­erhöhung wird kommen. Sie zwingen die Gemeinden dazu. Wen wird das denn beson­ders treffen, frage ich Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren? Genau die, die eh schon wenig verdienen, und die, die in einer der größten Wirtschaftskrisen unseres Landes vielleicht sogar ihren Job verloren haben. (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn Sie den Gemeinden das Geld nicht geben werden, steuern wir dieses Land noch tiefer in die Krise hinein, als es ohnehin schon ist. Gemeinden brauchen das, was die Familien brauchen, was die jungen Menschen brauchen, was die Unternehmen, die Unternehmer brauchen: Sie brauchen schnelle und rasche Hilfe.

Für Salzburg muss ich noch eines klarstellen: Die 50 Millionen Euro, von denen heute in den Salzburger Medien geschrieben wird, dieses Geld – das muss man korrekterweise auch dazusagen – wäre den Gemeinden ja so und so zugestanden, das sind GAF-Mittel, um das auch gleich zu berichtigen. (Zwischenruf der Bundesrätin Eder-Gitschthaler, die eine Zeitung in die Höhe hält.) Da brauchen wir frisches Geld, denn diese 50 Millio­nen Euro sind keine zusätzliche Finanzspritze, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Haben nicht alle Experten durch die Bank vor und während der Krise schon gesagt, dass eben 2,2 Milliarden Euro abgehen werden? Dann ist doch 1 Million Euro eine Verhöh­nung unserer Gemeinden. Wir vonseiten der SPÖ haben immer schon ein entsprechend großes Unterstützungspaket gefordert: 250 Euro pro Einwohnerin und pro Einwohner. Es macht mich persönlich sehr betroffen, dass die Bundesregierung das den Sommer über verschlafen zu haben scheint. Weil da vorhin gerade wieder Zeitungen hochge­hal­ten worden sind: Dazu kommen dann noch jeden Tag Schlagzeilen, wo wieder Jobs verloren gegangen sind, Schlagzeilen zur Jugendarbeitslosigkeit.

Liebe KollegInnen Lackner und Zwazl, in Salzburg, liegen wir zurzeit – ich habe es mir noch schnell schicken lassen – bei den unter 25-Jährigen bei über 2 000 Arbeitslosen, das sind über 36 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Damit die Gemeinden das Zepter direkt in die Hand nehmen können, um als Jobmotor in der Region zu agieren, müssen wir sie dabei unterstützen, zusätzliche Lehrstellen zu schaffen. Das geht nur mit einer richtigen Unterstützungsoffensive, wie sie die SPÖ-Bürgermeisterinnen und -Bürger­meister in einem offenen Brief an die Bundesregierung gefordert haben, für die vielen jungen Leute, die im Ort bleiben wollen, die nicht wegziehen wollen, die sich im Ort etwas aufbauen wollen, die zu Hause bleiben wollen. Dazu gehört aber auch günstiges Wohnen, denn man muss sich das Leben dort leisten können. Die geben das Geld dann auch in der Gemeinde wieder aus, beim Bäcker, im Gasthaus oder im Schuhgeschäft.

Gut und schön, dass die Salzburger Festspiele eine Finanzspritze bekommen; das kann ich als SPÖ-Chef in Salzburg nur unterstützen. Nur eines wünsche ich mir, und das möchte ich an dieser Stelle noch einmal deponieren: Man kann nur hoffen, dass viele regionale Betriebe zum Zug kommen, gerade um die Arbeitsplätze der fleißigen Leis­tungsträgerinnen und Leistungsträger in unserem schönen Bundesland abzusichern. Ich hoffe, dass es diese Arbeitsplätze dann beim Projektstart 2025 überhaupt noch geben wird. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

17.02


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Karl Bader. Ich erteile ihm dieses.



BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 137

17.02.14

Bundesrat Karl Bader (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Finanzminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren, die via Livestream zuschauen! Zunächst noch eine kurze Anmerkung zu den Ausführungen des Herrn Reisinger: Ich habe der Frau Vizepräsidentin, als sie den Vorsitz führte, bedeutet, dass sich der Herr Bundesminister etwas verspäten wird. Ich glaube, damit ist das so weit klargestellt.

Ich danke für die Beantwortung der Dringlichen Anfrage durch den Herrn Bundes­minister. Ich habe von meinen Vorrednern verschiedentlich gehört, dass es keine aus­reichenden Antworten gegeben hätte. Von zwei Antworten habe ich mitbekommen, dass der Herr Bundesminister gesagt hat, dass die Beantwortung aufgrund der umfang­reichen tabellarischen Darstellung schriftlich nachgereicht werden wird. Unterm Strich sind damit 20 Fragen beantwortet, zwei Antworten werden nachgereicht. Es gibt also Antworten. Die Frage ist, was man hören will und was da jetzt hineininterpretiert wird; da gibt es natürlich unterschiedliche Meinungen. (Beifall bei BundesrätInnen der ÖVP.)

Ich habe mir die Vorwürfe an den Herrn Bundesminister angehört und die Debatte ein wenig mitverfolgt – ein Schelm, der behauptet, dass es da kurz vor einer Wahl auf der einen Seite nur Wienbashing und auf der anderen Seite nichts gegeben hat. Das sei hier nur kurz angemerkt.

Man muss sich seiner Verantwortung stellen, und das tut der Herr Bundesminister hier auch. In der Diskussion werden wir darüber reden, welche Maßnahmen für die Kommu­nen in unserem Land gesetzt wurden. Davonlaufen als Reaktion, wie das heute im Krisenstab der Bundesregierung seitens der Vertreter aus Wien der Fall war, löst keine Probleme. Sich hierherzustellen und die Verantwortung zu übernehmen ist das, was diese Bundesregierung in der Bewältigung der Krise im Speziellen bei den Kommunen tut.

Es ist unbestritten, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns alle in einer extrem schwierigen Situation befinden und die Gemeinden natürlich in finanzieller Hinsicht eine sehr schwierige Zeit durchleben. Mit dem Kommunalinvestitionsgesetz 2020 liegt das größte Paket vor, das es jemals an Investitionsunterstützung für die Kommunen gegeben hat. Das Geld fließt direkt in die Wirtschaft. Eines ist klar: Wesentlich ist eine Stärkung der Wirtschaft und der Arbeitsplätze, weil die Unternehmen nur so wieder Steuern zahlen und damit auch die Ertragsanteile in den Gemeinden wieder steigen können und auch die Kommunalsteuer wieder steigen kann.

Es wurde sehr betont, dass das Ihr Paket ist, Herr Bundesminister. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass dieses Paket auf Bundesebene schon im Einvernehmen mit dem Gemeindebund und dem Städtebund erarbeitet wurde, genauso wie auch die Pakete auf Landesebene. Dass jetzt manche Kindesweglegung betreiben, die vorher noch bei der Pressekonferenz angesichts der Verkündung dieses Kommunalinvestitionsgesetzes und anderer kommunaler Unterstützungsmaßnahmen dabei waren, zeigt natürlich ein bezeichnendes Bild.

Ja, das ist ein gutes, ein wichtiges, ein ganz dringend notwendiges Paket. Im Finanz­ausgleich ist die Aufteilung der Finanzen zwischen Bund, Ländern und Kommunen geregelt. In einer Krisensituation kann das natürlich nicht nur eine Einbahnstraße sein. Das Paket auf Bundesebene mit einer Unterstützungssumme von insgesamt 1 Milliarde Euro löst dann mit den zweiten 50 Prozent insgesamt 2 Milliarden Euro an Investitionen aus. Das ist schon eine gewaltige Summe. (Beifall bei BundesrätInnen der ÖVP.)

Auch die nächsthöhere Gebietskörperschaft, die Länder, haben ihre Verantwortung sehr intensiv wahrgenommen. Mit den Unterstützungsleistungen für Kommunen, die es in den


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Ländern gibt und die dort entwickelt wurden, kommt man schon auf eine sehr beachtliche Summe, meine Damen und Herren. Das sind Leistungen von insgesamt über 1 Milliarde Euro: in der Steiermark 837 Millionen Euro, in Niederösterreich 344 Millionen Euro, in Oberösterreich 277 Millionen Euro, in Kärnten und in Tirol 150 Millionen Euro, in Salz­burg 30 Millionen Euro und so weiter. Einen Dank an die Bundesländer! Wien ist in dieser Aufstellung übrigens nicht drinnen, weil es eben diese besondere Stellung als Land und Gemeinde einnimmt. Das möchte ich natürlich klarstellen: Wien leistet auch etwas. Wenn man die Summen, die ich jetzt angesprochen habe - - (Zwischenrufe bei der SPÖ.) – Na ja, da zitiere ich Herrn Krainer: Wien ist ja die reichste Gemeinde, die es in Österreich gibt. – Gestern gab es ja auch eine Diskussion im Nationalrat, und Kollege Krainer von der SPÖ hat im Hinblick auf das Kommunalinvestitionsgesetz auf die Situ­ation der Gemeinden hingewiesen und gesagt: Da rede ich jetzt gegen meine eigene Heimatstadt; Wien ist stark genug, um weiter zu investieren, und stark genug, um För­derungen vom Bund abzuholen. – Wenn Wien in finanzieller Hinsicht so stark ist, frage ich mich, ob es diese Unterstützung überhaupt braucht, das könnte man da zynisch anmer­ken. (Beifall bei BundesrätInnen der ÖVP. – Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.)

Das heißt, die Verantwortung, die die Länder wahrnehmen – genauso wie sie der Bund wahrnimmt –, bedeutet in Summe eine große Unterstützung für die Gemeinden, die sie natürlich auch brauchen. Wir brauchen das, das möchte ich an dieser Stelle auf jeden Fall festhalten. Ich darf kurz aus meiner Gemeinde berichten, dass jetzt eine Nahwärmeversorgungsanlage im Bau ist. Das Geld dafür wird abgeholt und gerade das, was wir im Paket für ökologische Maßnahmen vorgesehen haben, ist da eine wertvolle Unterstützung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um noch einmal darauf zurückzukommen: 1 Milliarde Euro auf Bundesebene durch das Kommunalinvestitionsgesetz und 2,7 Milliarden Euro an Unterstützungspaketen für die Gemeinden durch die Bundesländer ergeben zusam­men 3,7 Milliarden Euro. Das ist also etwas, was sicher weiterhelfen wird. Wir müssen uns gemeinsam durch diese Krise bewegen und alle notwendigen Maßnahmen ergrei­fen.

Darüber hinaus ist natürlich klar, dass es das Kommunalinvestitionsgesetz und die Lan­desunterstützungen alleine nicht sind. Es sind die vielen, unzähligen Maßnahmen die Unterstützung geben, damit Arbeitsplätze abgesichert werden, ob das jetzt die Kurz­arbeitsregelung ist oder eine der vielen anderen Maßnahmen. Das ist Unterstützung, die den Betrieben gegeben wird, damit sie wieder in die Gänge kommen. Es sind zahllose Maßnahmen, und allesamt werden sie dazu beitragen, dass dadurch auch die Ertrags­anteile wieder steigen können, die Einnahmen der Gemeinden höher werden und die Kommunalsteuer entsprechend steigen kann.

In diesem Sinn ein herzliches Danke für die Unterstützungsmaßnahmen. Wir haben da natürlich noch einiges zu tun, und ich wünsche den Gemeinden dabei viel Erfolg. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Schreuder.)

17.10


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Mag.a Bettina Lancaster ist die nächste Rednerin. – Bitte, Frau Bundesrätin.


17.10.45

Bundesrätin Mag. Bettina Lancaster (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Vize­präsident! Herr Minister! Werte Bundesratskolleginnen und -kollegen! Sehr geehrte Zuseher vor Ort und via Livestream! Der Fallschutz bei der Schaukel am Spielplatz schaffte es nicht mehr durch den TÜV. Der Fußgängersteg zum Sportplatz braucht dringend zwei neue Verstrebungen. Der Kindergarten braucht einen Geschirrspüler. In


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der Volksschule wird dringend ein neuer PC inklusive Lizenzen für die Direktion benötigt. Die Feuerwehr braucht eine neue Bereifung für das KLF-A. Schauen wir etwas in die nahe Zukunft: Wie halten wir es mit dem Splitten, wenn das Geld fehlt? Ich spreche nicht von Investitionsprojekten, die ins große Geld gehen, ich spreche von den laufenden kleinen Reparaturen. Ich spreche von den kleinen Dingen, die wir normalerweise im laufenden Haushalt abdecken und die wir uns bald nicht mehr werden leisten können. (Beifall bei der SPÖ.)

Es fehlt an Liquidität für den laufenden Haushalt. Sperren wir künftig die Rutsche am Kinderspielplatz? Riegeln wir den Fußgängersteg ab? Gibt es kein Essen mehr im Kindergarten, da wir den Hygienevorschriften nicht gerecht werden können? Riskieren wir die Einsatzbereitschaft der Feuerwehr? Erhöhen wir die Gebühren bei der Trinkwas­serversorgung? Verordnen wir auf unseren Güterwegen im Winter Kettenpflicht? Ja?

Oder die Alternative: Beginnen wir, jede Kleinigkeit als Projekt im KIP zu formulieren, mit all dem nötigen Bürokratieaufwand? Letzteres ist bei der dünnen Personaldecke in den Gemeinden wohl nicht zielführend, und auch die Bearbeitung im Ministerium würde so schnell an ihre Grenzen stoßen. Außerdem ist damit noch immer nicht sichergestellt, dass die Gemeinden in der Lage sind, die restlichen 50 Prozent der Kosten aufzutreiben. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Ofner.)

Wo fangen wir an, wo hören wir auf beim Rückbau in den Gemeinden und den Belas­tungen der Gemeindebürgerinnen und -bürger? Was lassen wir bleiben und was ris­kieren wir als Bürgermeister und Bürgermeisterinnen? Was muten wir den Bürgerinnen und Bürgern zu? Was muten wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu? Wie lange können wir uns die Gehälter noch in vollem Umfang leisten?

Sehr geehrter Herr Minister, wir in den Gemeinden leisten Daseinsvorsorge für alle zu leistbaren Preisen und sorgen vor Ort für Lebensqualität. (Beifall bei der SPÖ.)

In wirtschaftlich schwierigen Zeiten treten die Angebote der Gemeinden viel mehr in den Vordergrund. Ein attraktiver Spielplatz, ein öffentliches Freibad, eine Bibliothek, ge­splittete Straßen im Winter und so weiter bedeuten Lebensqualität und geben Sicherheit, wenn private Haushalte jeden Cent umdrehen müssen.

Medienwirksam verkünden Sie eine Gemeindemilliarde, die in Summe 2 Milliarden Euro in den Konjunkturmotor Gemeinde spülen soll, und lassen sich feiern. Wie schon gesagt, die zweite Milliarde zahlen sich die Gemeinden ohnedies selbst, sofern sie es sich leisten können. Wenn nicht, dann kriegen sie es eben beim zweiten Verteildurchgang und gehen jetzt zunächst einmal leer aus. Das Geld gibt es außerdem nicht bedingungslos, sondern muss in klar definierte Projekte fließen, und es ist keinesfalls Geld für den laufenden Haushalt. Bei uns in Oberösterreich beteiligt sich auch das Land über die Gemeindefinanzierung Neu bei neuen Projekten indirekt noch am Genuss der anteiligen Gemeindemilliarde. Ich fordere Sie auf, darauf zu achten, dass in allen Bundesländern, auch im türkis-blauen Oberösterreich, die anteilige Gemeindemilliarde zu 100 Prozent bei den Gemeinden ankommt! (Beifall bei der SPÖ.)

Gemeinden brauchen gerade jetzt eine praxistaugliche, breit wirkende Unterstützung, um Lebensqualität vor Ort bieten zu können und den regionalen Konjunkturmotor anzuwerfen. Ihre Förderung ist allerdings eine Förderung der Starken. Das ist nicht fair gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern in den schwächeren Gemeinden und wider­spricht dem Gerechtigkeitsgebot. Wir brauchen ein tatsächliches Krisenbewälti­gungs­programm, das über unsere Gemeinden abgewickelt wird, eines, das durchgängig ist, denn das laufende Geschäft der Gemeinden muss abgesichert werden. Eines ist sicher: Weder die Qualität noch die Quantität unserer Gemeindeleistungen darf rückgebaut werden. Wir sind engagiert für die Bürgerinnen und Bürger unterwegs, wir gestalten den gemeinsam Lebensraum im Sinne von Lebensqualität.


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Ihre Milliarde ist unausgegoren. Es stellt sich die Frage, ob es bei der Formulierung des Kommunalinvestitionsgesetzes überhaupt prioritär um die Bedürfnisse der autonomen Gemeinden gegangen ist oder ob die Gemeinden als Vehikel für etwas anderes benutzt wurden. Wenn jemand tatsächlich Bürgermeister werden will, muss er wissen, wo seine Prioritäten liegen! Oder ist das alles ohnedies nicht so ernst für Sie in Wien? Ist es ohnedies nur Showprogramm, Inszenierung, türkises Marketingprogramm mit mangel­haf­ter bis keiner Umsetzung? (Beifall bei der SPÖ.)

Schauen Sie sich einmal die Vorschläge der SPÖ zur Gemeindeunterstützung an! Wir orientieren uns an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger in den Gemeinden und sind dabei geradlinig: 250 Euro pro EinwohnerIn als Direktzahlung, das ist praxistauglich und kommt an. Damit würde das Tagesgeschäft abgesichert und der Konjunkturmotor in Gang gesetzt werden.

Die Gemeindemilliarde relativiert sich im Übrigen zudem noch weiter, steht doch im Raum, dass sie sowieso großteils von der Steuerreform aufgefressen werden wird und den Gemeinden unterm Strich nicht viel mehr übrig bleibt als heiße Luft und hoher Verwaltungsaufwand, der noch dazu bezahlt werden muss. So wichtig sind Ihnen also die Gemeinden! (Beifall bei der SPÖ.)

Ich blicke mit bangen Augen auf den Rechnungsvoranschlag 2021, den wir in Kürze zu debattieren beginnen werden. – Danke. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Bader: Geh bitte!)

17.17


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Günter Kovacs. – Bitte, Herr Bundesrat.


17.17.54

Bundesrat Günter Kovacs (SPÖ, Burgenland): Herr Präsident! Herr Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde das unfassbar: Nicht nur, dass man als Minister zu spät in dieses Plenum kommt, sondern es muss sich dann auch noch Bun­desrat Bader für den Herrn Minister, der zu spät kommt, entschuldigen. So weit sind wir schon! Dann ist da noch die Arroganz des Herrn Ministers, der seit etwa 1 Stunde hier ist und 50 Minuten davon am Handy herumspielt.

Ich zitiere ihn mit einem Satz, der für mich eigentlich auch unfassbar ist. Der Herr Minister sagte vorhin in seiner Rede: Alle Bevölkerungsschichten sind betroffen. – Ich sage, das stimmt nicht. Es sind nicht alle Bevölkerungsschichten durch die Covid-Krise betroffen. Sie sicher nicht – oder haben Sie irgendwelche Einbußen, Herr Minister? Haben Sie irgendwelche Beträge, die Sie am Ende des Monats weniger im Säckel haben oder ist es bei Ihnen ohnedies immer gleich? – Deshalb war es notwendig, dass wir heute diese Dringliche Anfrage – für mich sehr dringliche Anfrage – eingebracht haben.

Es geht um die Gemeinden, um die Unterstützung der Gemeinden, und ich möchte in diesem Zusammenhang noch einige Anmerkungen zu den Ausführungen meiner Vor­redner machen. Bundesrat Bader und Bundesrätin Holzner sind alle beide eigentlich Pflichtverteidiger des Herrn Ministers, sonst gar nichts. Ich habe heute mit zehn Bür­germeistern gesprochen und wollte mir einen Überblick über den Status quo verschaffen, darüber, wie es momentan ausschaut. Alle sagten mir: Es schaut dramatisch aus. Es schaut sehr, sehr dramatisch aus, und das nicht nur heuer und im nächsten Jahr, sondern für die nächsten Jahre.

Warum sage ich das? – Weil es natürlich die Gemeinden betrifft, aber insbesondere auch – Bundesrat Dominik Reisinger hat es vorhin schon gesagt – viele Unternehmer und viele Mitarbeiter, die ihre Arbeit verlieren werden. Das kann wohl so nicht sein. Ich höre die Worte, die noch vor einigen Monaten gefallen sind: „Koste es, was es wolle“,


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wir werden alle finanziellen Mittel ausschöpfen! – Es schaut aber nicht so aus, als die Gemeinden über die Runden kommen können.

Ich möchte auch – und das hat Bundesrat Bader vorhin gemeint – den Österreichischen Gemeindebund zitieren. Was hat der Österreichische Gemeindebund gesagt? – „Sollte die aktuelle Corona-Politik des Bundes (‚Koste es, was es wolle‘) weitergeführt werden, wären diese entweder zur Gänze aus dem Bundesbudget (Förderungen, Zuschüsse etc.) zu finanzieren oder – falls Maßnahmen im Bereich der gemeinschaftlichen Bun­desabgaben erfolgen – den Gemeinden die Einnahmenausfälle aus Ertragsanteilen zu ersetzen.“ – Der Gemeindebund fordert praktisch das gleiche, das wir als Sozialdemo­kraten fordern, nur: Der Herr Minister macht es nicht.

Der Präsident des Gemeindevertreterverbandes des Burgenlandes Erich Trummer hat schon vor vielen Monaten versucht, den Minister darauf aufmerksam zu machen, dass es zwar wichtig ist, 1 Milliarde Euro als Finanzpaket für die Gemeinden zu schnüren, er hat aber auch gesagt – und das hat er richtig gesagt –, dass dies erst der dritte Schritt, nicht der erste sein kann. Der erste Schritt ist ganz klar die Sicherung der Liquidität der Gemeinden für den laufenden Betrieb, also das, was Personalkosten, Infrastruktur, Fuhrpark, Kinderbetreuung, Pflichtschule, Kanal, Wasser, Müllentsorgung betrifft. – Das muss einmal abgesichert sein, Herr Minister.

Das Zweite ist die „Kompensation des Entfalls der Ertragsanteile und der Kommunal­steuer nach dem Verursacherprinzip. Der Bund hat die COVID-19 Lockdown Maßnah­men angeordnet, also muss er für diesen Entfall aufkommen“ – zu 100 Prozent, auch für die Gemeinden. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Natürlich hat er auch gesagt, dass das kommunale Investitionspaket, wie vom Bund präsentiert, in Ordnung ist, aber 1 Milliarde Euro natürlich viel zu wenig sein wird. Das gehört aufgestockt.

Dann sagt er noch: „Finanzierung sowohl des neuen KIG-Pakets als auch der Kompen­sation der Einnahmenausfälle nicht durch neue Schulden des Bundes. Für die Finanzie­rung muss ‚frisches Geld‘ aus einer Millionärssteuer, Abgaben aus dem Onlinehandel und aus Finanztransaktionen aufgestellt werden, weil sonst unsere Jugend in Zukunft massiv davon belastet wird.“ – Das zu den Gemeinden.

Jetzt komme ich zu einem Punkt, der mich als Bundesrat des Burgenlandes massiv betrifft. Wir haben mit der Krise der Commerzialbank einen der größten Kriminalfälle bei uns in unserem Heimatbundesland. Dies hat verursacht, dass viele Menschen um ihre Sparguthaben umgefallen sind, viele Unternehmer ihre Unternehmungen wahrscheinlich nicht mehr weiterführen können. Es sind aber auch die Gemeinden betroffen. Ich erwähne das, weil es zu diesem Punkt sehr gut passt.

Die Gemeinden im Bezirk Mattersburg haben massive Probleme, und wir als Burgen­länder haben über den Gemeindevertreterverband und unseren Präsidenten Erich Trummer den Finanzminister und den Bundeskanzler bereits am 24.7. ersucht, die Gemeinden zu unterstützen. Was ist passiert? – Bis heute haben wir nicht einmal eine Antwort bekommen, obwohl wir zweimal urgiert haben. Ich sage es jetzt auch in aller Klarheit: Wenn man auf einer Seite Gemeindevertreter in der Bundeshauptstadt Wien werden möchte und auf der anderen Seite monatelang nicht einmal auf das Ansuchen von Gemeindevertretern reagiert, dann ist das einfach letztklassig und nicht in Ordnung. Spielen Sie weiter mit dem Handy, die Wahlen am Sonntag werden Ihnen zeigen, was in Wien los ist! (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Ich möchte noch anfügen, dass in diesem Kriminalfall die FMA – diese Behörde ist Ihnen immer noch unterstellt – das Kontrollorgan gewesen wäre. Der Anfangsverdacht betref­fend Commerzialbank liegt seit 2015 vor. Es wurde bis jetzt nichts vom Herrn Minister


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gesagt. Ich habe heute eine Zahl bekommen, die eigentlich unglaublich ist: Der Schaden beläuft sich momentan schon auf circa 870 Millionen Euro und es gibt immer noch keine Reaktion von unserem Finanzminister. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit, danke schön. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

17.24


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Bundes­rat Ingo Appé. Ich erteile ihm das Wort.


17.25.01

Bundesrat Ingo Appé (SPÖ, Kärnten): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Es haben schon einige Bürgermeister hier gesprochen. An­scheinend haben wir verschiedene Zugänge. Ich glaube, in normalen Zeiten wäre das kommunale Investitionspaket super gewesen, Herr Minister. So wie es Ihr Vorgänger, Herr Mitterlehner, gemacht hat: Damals hat es in den Gemeinden gegriffen und ist ange­kommen, damals waren die Gemeinden auch in der Lage, es umzusetzen. Heute haben wir andere Voraussetzungen.

Was Sie nicht sagen, ist, was die Ausfälle der Gemeinde wirklich ausmachen. Es sind Ausfälle durch die Steuerreform, Ausfälle der Ertragsanteile, Ausfälle der Kommunal­steuer, sowie Kosten, die der Lockdown verursacht hat und die wir als Gemeinde in Voll­ziehung aller Gesetze, die wir in Nationalrat und Bundesrat beschlossen haben, tragen müssen. Die Summe ist gewaltig, auch wenn so minimale Beträge im Raum stehen und es heißt, das könne ja nicht sein, dass sich eine Gemeinde diese 50 000 Euro, auf die sich das kommunale Investitionspaket beläuft, nicht leisten kann. Für kleine Gemeinden im ländlichen Raum sind 50 000 Euro eine gewaltige Summe. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Die Berechnungen der Kärntner Gemeindeaufsicht, des Städtebundes und des Gemein­debundes für heuer zeigen, dass wir in Kärnten einen Entfall der Ertragsanteile für die Kärntner Gemeinden in Höhe von 138 Millionen Euro einberechnen müssen. Wir reden von einem Entfall von 11 bis 14 Prozent, die derzeit in die Berechnung miteinbezogen werden. Das bedeutet für meine Gemeinde – damit es vielleicht ein bisschen greifbarer ist –: Wir haben heuer im Budget einen Entfall von 1 Million Euro fix einzurechnen. Das ist von der Gemeindeaufsicht bereits bestätigt.

Jetzt ist es zwar toll, wenn ich 750 000 Euro für das Kommunalpaket von Ihnen zur Verfügung gestellt bekomme, nur habe ich schon ein Minus von 1 Million Euro. Wenn ich jetzt auch noch an die 750 000 Euro aufnehmen muss, dann habe ich ja fast 2 Mil­lionen Euro Minus in der Gemeindekassa. Ja, da mache ich mich ja strafbar! (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Der Bürgermeister ist ein Politiker, der persönlich für die Maßnahmen, die im Gemein­derat beschlossen werden, haftet. Das ist ein bisschen anders als bei der Bundes­regierung.

Bürgermeister Riedl bestätigt als Präsident des Gemeindebundes eigentlich alles, was wir jetzt gesagt haben. Ich verstehe nicht, warum das auf so taube Ohren stößt. Ihre Aktion, Herr Bundesminister, kommt dem gleich, was ich abschließend sagen möchte: Es ist so, als ob ich beinahe verdurstend durch die Wüste gehe und einen Helfer finde, der mit einem leeren Wasserglas kommt und sagt: Da hast du es, suche dir dein Wasser, dann kannst du aus dem Glas trinken! – Genau so geht es uns Gemeinden.  Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

17.28



BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 143

Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Debatte geschlos­sen.

17.28.57Fortsetzung der Tagesordnung


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Wir setzen die Verhandlungen über den Tagesordnungspunkt 8 betreffend Umweltförderungsgesetz fort.

Ich verabschiede den Herrn Bundesminister.

Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Adi Gross. – Bitte, Herr Bundesrat.


17.29.11

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Herr Präsident! Liebe Kolle­ginnen und Kollegen! Herr Novak, ich möchte zu Ihrem Antrag noch etwas sagen. Ich kann Ihren Antrag in der Sache natürlich sehr gut nachvollziehen, möchte aber dazu sagen: Darin steht, die Ministerin soll nähere Bedingungen festlegen, was sie im Endeffekt natürlich tun wird.

Jetzt ist es nur wirklich ganz, ganz wichtig, die Bedingungen für die Ausschüttung der 100 Millionen Euro an die Länder nicht einfach festzulegen. Das muss mit den Ländern passieren. Es gibt dazu bereits eine Arbeitsgruppe, zu der auch die Länder eingeladen sind, und ein Treffen hat schon stattgefunden. Wir bemühen uns, diese Kriterien gemein­sam genau zu definieren, weil es letztlich auch die Länder sind, die das abwickeln müssen – denn ich sehe ja, die Einkommensprüfung und so weiter liegt an den Lan­desförderstellen. Ich kann Ihnen versichern, das läuft. Es läuft kooperativ, und erst, wenn wir einen Konsens gefunden haben – ich gehe davon aus, dass wir das schaffen –, wird dies auch mit einer Verschriftlichung und Festlegung seitens der Ministerin einhergehen.

Ich schätze Ihre Unterstützung in dieser Sache und biete Ihnen Folgendes an – und ich meine das wirklich ernst –: Wenn es Sie interessiert, dass wir uns zusammensetzen und darüber reden wollen, wie solche Bedingungen auch von Ihrer Seite her aussehen kön­nen, dann: sehr gerne. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der ÖVP.)

17.30

17.30.53


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Günther Novak, Kolleginnen und Kollegen auf Fas­sung einer Entschließung betreffend „soziale Treffsicherheit bei Thermischer Sanierung und Heizungstausch garantieren“ vor. Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen. (327/E-BR/2020)


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 144

17.31.469. Punkt

Bericht der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Inno­vation und Technologie über technische Unterwegskontrollen im Jahr 2019 (III-719-BR/2020 d.B. sowie 10426/BR d.B.)

10. Punkt

Verkehrstelematikbericht 2020, vorgelegt von der Bundesministerin für Klima­schutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (III-721-BR/2020 d.B. so­wie 10427/BR d.B.)


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Wir gelangen nun zu den Tagesordnungs­punkten 9 und 10, über welche die Debatten unter einem durchgeführt werden.

Berichterstatter zu beiden Punkten ist Herr Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross. – Ich ersuche um die Berichte.


17.32.14

Berichterstatter Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross: Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich darf den Bericht des Ausschusses für Verkehr über den Bericht der Bun­des­ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie über technische Unterwegskontrollen im Jahr 2019 zur Kenntnis bringen.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Verkehr stellt nach Beratung der Vorlage am 6. Oktober 2020 den Antrag, den Bericht der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie über technische Unterwegskontrollen im Jahr 2019 (III-719-BR/2020 d.B.) zur Kenntnis zu nehmen.

Weiters bringe ich den Bericht des Ausschusses für Verkehr über den Verkehrs­tele­matikbericht 2020, vorgelegt von der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Ener­gie, Mobilität, Innovationen und Technologie.

Auch dieser Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme sogleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für Verkehr stellt nach Beratung der Vorlage am 6. Oktober 2020 den Antrag, den Verkehrstelematikbericht 2020, vorgelegt von der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (III-721-BR/2020 d.B.), zur Kenntnis zu nehmen. – Danke.


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Wir gehen in die Debatte ein.

Ich darf Herrn Bundesrat Dr. Gross bitten, mit seinen Ausführungen zu beginnen. – Bitte.


17.33.45

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Zuerst zu den Unterwegs­kontrollen: Wie wichtig Unterwegskontrollen sind, zeigt die Statistik eindeutig. Es ist ja durchaus erschreckend, was da auf den Straßen alles rollt und in welchem Umfang Fahrer unter Druck stehen und Ruhebestimmungen nicht einhalten – ich sage dazu: nicht einhalten können.

Gerade heute übrigens findet man auf der Vorarlbergseite der Homepage des ORF unter Chronik solch einen Bericht: Ein Lkw wurde heute Vormittag auf der Rheintal-Autobahn aufgehalten, da schon Diesel ausgetreten ist. Es hat zehn Beanstandungsgründe gege­ben, und sechs, sieben davon waren schwere Mängel. Der Lkw durfte nicht weiterfahren, die Nummerntafel wurde abmontiert. – Man sieht also schon an diesem Beispiel, wie wichtig dieses Thema eigentlich ist.


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 145

Ein paar Fakten dazu aus diesem Bericht: 2019 wurden 211 000 Fahrzeuge – ich war von dieser Zahl selbst beeindruckt – „mit Verdacht auf technische Mängel“ einer sogenannten „anfänglichen technischen Unterwegskontrolle“ – das ist im Großen und Ganzen eine Sichtprüfung von geschultem Personal – unterzogen. Fast 22 000 Fahr­zeuge davon wurden dann einer gründlicheren technischen Kontrolle zugeführt, weil es einen Anfangsverdacht gegeben hat. Dabei wurden 13 000 Fahrzeuge ausfindig gemacht, die so schwere Mängel hatten, dass sie eigentlich nicht mehr verkehrs- und betriebssicher waren. Diese durften dann zwar weiterfahren, mussten aber umgehend in der nächsten Werkstätte repariert werden. Über 5 000 Fahrzeuge wiesen derart schwere Mängel auf, dass Gefahr im Verzug war. Diese Fahrzeuge durften nicht mehr weiter­fahren; die Nummerntafeln wurden abmontiert, die Zulassungsscheine eingezogen.

Das zeigt übrigens auch die hohe Effizienz der Kontrollen in Österreich, was im Bericht zu Recht hervorgehoben wird. Warum? – Also von diesen knapp 22 000 Fahrzeugen, die einer gründlicheren Kontrolle zugeführt wurden, hatten 13 000 schwere Mängel. Das sind 60 Prozent. Das zeigt ganz klar, dass die erste Kontrolle sehr professionell durch­geführt wird und diese Leute eine gute Einschätzung haben, denn der Durchschnittswert in Europa liegt bei 7,6 Prozent. Unsere Behörden schaffen da 60 Prozent.

Die Überwachung der Sozialvorschriften im Straßenverkehr ist ein weiterer wichtiger Bestandteil der Kontrollaktivitäten. So wurden 2019 bei 107 000 Fahrern 1,8 Millionen Arbeitstage kontrolliert. Dabei wurden knapp 160 000 Verstöße gegen die Sozialvor­schriften festgestellt. Dies betrifft Ruhezeiten, Lenkzeiten, Manipulationen und zeigt eindrücklich, finde ich, welche Bedeutung diese Kontrollen vor allem für die Sicherheit haben. Nach wie vor ist der Blutzoll auf Österreichs Straßen enorm: Jedes Jahr gibt es 400 Tote und 50 000 Verletzte auf Österreichs Straßen.

Diese Kontrollen sind wichtig für die Sicherheit, aber auch für den Umweltschutz, da auch die Emissionsrückhaltesysteme überprüft werden. Es zeigt sich darüber hinaus, wie wichtig die Kontrollen gerade für eine Gruppe, nämlich die Fahrerinnen und Fahrer sind, die ohnehin sehr harte Arbeitsbedingungen haben. Diese Kontrollen dienen ihrem Schutz. Wenn es auch für die Fahrerinnen und Fahrer vielleicht einmal unangenehm ist, sie dienen dem Schutz und der Sicherheit der Fahrzeuge, die sie lenken. Es dient der Unterstützung, dass sie ihre Ruhezeiten einhalten können. Eines ist dabei schon klar: Die Fahrerinnen und Fahrer dürfen nicht zum Buhmann gemacht werden. Es liegt schon an den Spediteuren und an den Marktbedingungen.

Abschließend zu diesem Bericht sage ich ein Danke an die Leute vor Ort. Sie haben einen guten Job gemacht, obwohl es sicher nicht immer so lustig ist, Fahrzeuge aufzu­halten und Nummerntafeln abzumontieren.

Zum Verkehrstelematikbericht, der in der Struktur ein bisschen komplexer ist: Wer hineingeschaut hat sieht, dass er sehr technisch gehalten ist, gleichwohl aber finde ich ihn spannend, weil er einen Blick in die Zukunft erlaubt. Wie kaum ein anderes Thema ist die Mobilität ein Feld der Digitalisierung. Es geht dabei maßgeblich um Verkehrs­steuerung, Verkehrslenkung, Kommunikation von Fahrzeugen untereinander sowie bei­spielsweise auch Ordnungssysteme, Navigationssysteme, Bezahlsysteme, Informa­tions­an­gebote für die Wegeplanung und so weiter.

Was so technisch klingt, kennen Sie alle, beispielsweise von der ÖBB-App bis hin zum Ö3-Verkehrsservice. Dahinter stecken eigentlich ganz beeindruckende Informations­systeme, um in Echtzeit Verkehrsinformationen weitergeben zu können.

Das berührt einen wichtigen Punkt, nämlich die Verknüpfung von Daten und Infor­mationssystemen, um damit einen insgesamt größeren Nutzen zu generieren. Dabei geht es ganz stark um das Thema Multimodalität, also die einfache Nutzung mehrerer


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Verkehrsmittel, wenn man einen Weg zurücklegt, um zum Beispiel Bus, Bahn, Leihrad oder Carsharing hintereinander zu nutzen.

Um das planen und buchen zu können braucht es Digitalisierung, und es ist gleichzeitig natürlich auch eine wichtige Voraussetzung für den Klimaschutz. Diese Entwicklungen halte ich für besonders wichtig, weil wir ein Umsteigen auf andere Verkehrsträger – auch auf das Fahrrad und auf ÖV – nur schaffen werden, wenn das einfach geht, wenn es leicht ist, Informationen zu kriegen, eine Reise zu planen, wenn es beispielsweise auch einfach ist, zu bezahlen – einfache Ticketzustellung, einfache Tarifgestaltung und so weiter.

Der Telematikbericht gibt einen breiten Überblick, was sich in Österreich tut, inklusive Rechtsgrundlagen. Plattformen, Schnittstellen und so weiter werden skizziert. Ein Beispiel: Die Verkehrsauskunft Österreich ist wirklich eine tolle Sache und auch im europäischen Umfeld herausragend. Schauen Sie einmal auf die Homepage! Das ist wirklich sehr beeindruckend, was die alles machen. Die Mobilitätsplattform Österreich – auch kaum bekannt – von Austria Tech sammelt und verknüpft wirklich sehr, sehr umfangreich Mobilitätsdaten. Da finden Sie Informationen über Fahrpläne, über Straßen­zustände, über Verkehrssituationen, über Verkehrsbeschränkungen. Da finden Lkw-Fahrer Infos, an welchem Rastplatz noch wie viele Stellplätze verfügbar sind. Da finden Sie Informationen, wo es in Österreich Ladestationen für E-Fahrzeuge gibt, welche ÖV-Güteklassen in welchem Raum anzutreffen sind und so weiter.

Ich möchte einige wenige sehr spannende Projekte, die da in diesem umfangreichen Bericht skizziert sind, ganz kurz anreißen – zum Beispiel das Projekt KoopHubs, also Cooperationhubs, ein Projekt in Wien. Da geht es darum, wie man Distributionssysteme auf das Fahrrad verlagern kann. Das Ziel ist, möglichst viel an Gütertransportsendungen über Lastenräder zu machen. Da zeigen uns eigentlich viele Studien, obwohl Lasten­räder natürlich weniger Kapazitäten haben als ein Lkw – no na –, dass sehr, sehr viel damit gemacht werden könnte. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt – das ist ja eine bekannte Forschungseinrichtung und hat ein Institut für Verkehrs­for­schung – schätzt zum Beispiel, dass 23 Prozent des gesamten Wirtschaftsverkehrs in Deutsch­land mit Lastenrädern bewerkstelligt werden könnte. Ich denke, das ist ein sehr, sehr großes Potenzial.

Ein Projekt widmet sich beispielsweise der Implementierung des sogenannten E-Calls. Da geht es um automatische Notrufdienste. Wenn Sie mit dem Auto einen Unfall haben, dann erkennt das dieser Dienst, und es wird sofort an die nächstgelegene Zentrale ein Notruf abgesetzt, er kann aber auch manuell ausgelöst werden, es werden Daten übermittelt, wo Sie genau sind, was das für ein Fahrzeug ist und so weiter, und es wird automatisch eine Sprachverbindung hergestellt – auch eine tolle Sache.

Ein weiteres Beispiel ist das Projekt My Corridor, bei dem es darum geht, Auto­fah­rerinnen, Autofahrer zu vernetzen und gemeinsame Mobilitätsdienstleistungen anzubie­ten, sodass man auf das eigene Auto als Besitz verzichten kann und die Autos gemein­sam nutzt. Sehr wichtig finde ich auch sogenannte Be-In/Be-Out-Ticketingsysteme, bei denen man keine Fahrkarte mehr kaufen muss, weder am Automaten noch über das Internet, sondern sie funktionieren mit dem Smartphone. Ein Beispiel aus Vorarlberg ist das sogenannte Fairtiq, das ist eine App und diese wird einmal eingerichtet. Sie steigen in ein Verkehrsmittel ein, drücken auf Start, und wenn Sie am Ziel sind, drücken Sie auf Stopp, und das war es. Die App rechnet das dann ab und Sie bekommen die Garantie, dass das zum günstigsten verfügbaren Tarif erfolgt.

Sehr spannend ist auch beispielsweise der Dienst Traffic Alert des ÖAMTC. Das ist ein Tool, bei dem Pendlerinnen und Pendler, sagen wir im Auto, ihre Strecke und auch den Zeitpunkt definieren können. Sie möchten zum Beispiel am selben Tag um 16 Uhr eine


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gewisse Strecke nach Hause fahren, die Strecke wird überwacht, analysiert und Sie bekommen eine Pushmeldung, wie lange Sie brauchen, ob es Stau oder keinen Stau gibt und so weiter. Das gibt es inzwischen auch für Öffi-Routen.

Ja, Mobilität ist mehr. Mobilität ist ein Grundbedürfnis und muss für alle frei, ökologisch und leistbar zur Verfügung stehen. Dazu gehören vor allem Veränderungen im Modal Split, weg vom motorisierten Individualverkehr hin zum ÖV, zum Fahrrad und so weiter, und dazu braucht es digital unterstützte Systeme. Sehr beeindruckend finde ich, zu lesen und zu sehen, was sich da in Österreich eigentlich alles tut. – Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

17.45


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Nächster Redner ist Bundesrat Dr. Peter Raggl. – Bitte, Herr Bundesrat.


17.45.19

Bundesrat Dr. Peter Raggl (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzter Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal vielen Dank für die Vorlage der sehr interessanten Berichte. Kollege Gross – ich glaube, das ist sein Metier – hat das sehr intensiv studiert und hat fast alle Dinge aus diesen zwei Berichten genannt, die auch mir interessant vorgekommen sind.

Ich darf doch aus der Sicht eines verkehrsgeplagten Tirolers die eine oder andere Anmerkung zu den Berichten machen, und da hätte ich mir zuerst auch den Verkehrs­telematikbericht vorgenommen. Es sind allerlei positive Aspekte der Verkehrstelematik, die ursprünglich in erster Linie der Beschleunigung des Verkehrs gedient hatte – es ging um das Erfassen, Übermitteln, Verarbeiten von verkehrsbezogenen Daten mit dem Ziel der Organisation, Information und Lenkung des Verkehrs und der Nutzung von Infor­mations- und Kommunikationstechnologien. Was ich sehr positiv finde, ist, dass sich die Verkehrstelematik in die Richtung entwickelt, dass es noch mehr um Effizienzsteigerung, um Ökologisierung und vor allem auch um die Steigerung der Sicherheit geht.

Es wird eben durch verschiedene Maßnahmen versucht, Staus zu vermeiden, die Ver­kehrs­infrastruktur effizienter zu nutzen, die unterschiedlichen Verkehrsträger – Straße, Schiene – besser zu vernetzen und besser miteinander zu nützen, die Verkehrs­sicher­heit zu erhöhen und damit Unfälle und Staugefahr zu vermeiden. Damit sollte das Ziel natürlich auch eine klare Verringerung der Verkehrsbelastung sein. Kollege Gross hat es angesprochen: Als Nutzer der Öffis sind solche offensichtlich für uns selbst­ver­ständlichen Dinge wie die ÖBB-App nicht mehr wegzudenken, wenn es darum geht, die Karte zu beziehen, oder wenn es darum geht, die aktuellen Abfahrtszeiten nachzu­schauen – also alles sehr, sehr positive Dinge.

Und trotzdem, trotz aller Verkehrstelematik, muss man feststellen, dass der Verkehr in manchen Bereichen Ausmaße annimmt, die auch die Telematik nicht löst. Jeder österreichische Autofahrer steht beispielsweise 25 Stunden im Jahr im Stau, die deutschen Autofahrer sogar 38 Stunden. Das sind die Schattenseiten, und noch eine Schattenseite – das sage ich als Tiroler – bringt die Verkehrstelematik im Bereich von vielbefahrenen Autobahnen. Gerade an Reisewochenenden ist es ja bei uns gang und gäbe, dass die Brenner-Autobahn durchwegs verstopft ist, und jeder nicht ortskundige Autofahrer, sei es aus Deutschland, Holland oder von wo auch immer er herkommt, der noch nie in Tirol war, bekommt von seinem Navi sofort die Anweisung: Es entsteht ein Stau, fahr von der Autobahn ab, fahr auf die Dorfstraße! Das reicht bis zu den nieder­rangigsten Straßen – und das führt natürlich zu unzumutbaren Belästigungen der Dorf­bewohner.


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Es ist eigentlich genau der umgekehrte Effekt dessen, was man durch den Bau von Autobahnen erreichen wollte, wenn der Straßenverkehr wieder auf das niederrangige Straßennetz zurückgeleitet wird. Bei uns führt das dazu, dass an den Reisewochen­enden regelmäßig – ich hoffe auf der anderen Seite, dass wir das nicht wieder haben werden, oder halt in gelenkten Maßen – entlang der Autobahnen die Abfahrten von der Polizei gesperrt werden müssen, damit der Verkehr für die anrainenden Verkehrs­teilneh­mer irgendwo zumutbar bleibt.

Ich darf auch noch kurz auf die Unterwegskontrollen eingehen. Es ist davon gesprochen worden, dass man eigentlich den Kontrollorganen für die Effizienz ihres Arbeitens dan­ken und auch gratulieren muss. Wenn bei den herausgefilterten Fahrzeugen bei 32 Pro­zent schwere Fahrzeugmängel und bei 20 Prozent sogar Mängel mit Gefahr im Verzug festgestellt werden, dann sieht man schon, dass die Kontrollorgane da Gott sei Dank ein gutes Auge haben, sodass solche Fahrzeuge, die ja wirklich eine Gefährdung für die anderen Verkehrsteilnehmer darstellen, auch rechtzeitig und möglichst vollzählig aus dem Verkehr gezogen werden können.

Ich darf abschließend noch ein Problem ansprechen, das wir vor allem auf unseren Verkehrsrouten in Tirol vermehrt beobachten müssen: Das sind die Klein-Lkw mit Gesamtnutzlasten von unter 3,5 Tonnen. Diese werden derzeit vermehrt vor allem von Unternehmen aus den Oststaaten eingesetzt, um Verkehrsbeschränkungen, die in der Regel nur für Lkw gelten, zu umgehen. Diese Fahrzeuge sind von den Beschränkungen der Fahrzeiten sowie von den Nacht- und Wochenendfahrverboten ausgenommen. Damit werden, wie auch Kollege Gross schon gesagt hat, wiederum die Menschen, die mit diesen Fahrzeugen unterwegs sein müssen, eigentlich ausgebeutet und wahr­schein­lich auch durchaus einer gesundheitlichen Gefährdung ausgesetzt.

Es wäre ein großes Anliegen, das ich auch gerne dem Staatssekretär mitgeben würde, dass man vor allem auch ein Auge auf diese Fahrzeuge wirft und diese Fahrzeuge einer besseren Reglementierung unterwirft. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

17.51


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dominik Reisinger. Ich erteile ihm dieses.


17.51.33

Bundesrat Dominik Reisinger (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geschätzter Herr Prä­sident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Nachdem meine Vorredner schon sehr ausführlich über dieses Thema referiert haben, darf ich mich hier bei diesem Punkt wirklich auf das Wesentliche beschränken und ein paar Gedanken zu den Unterwegskontrollen äußern. Ich schicke voraus, dass die SPÖ diesen Bericht mit Zustimmung zur Kenntnis nehmen wird.

Es geht, das wurde gesagt, um die Prüfung von Fahrzeugen an Ort und Stelle. Diese Fahrzeuge werden aus dem fließenden Verkehr herausgenommen, zum Teil augen­scheinlich überprüft und, wenn es notwendig ist, genauer unter die Lupe genommen. Wir wissen auch, wer diese Überprüfungen vornimmt, das sind die Polizei und unter Umständen auch technische Sachverständige der Länder und der Asfinag. Es ist erfreulich, dass die Vorgaben betreffend Kontrollintensität nicht nur eingehalten wur­den – nein, sie wurden weit überschritten. So stieg die Anzahl der überprüften Fahrzeuge im Vergleich zu den Referenzjahren davor wieder erheblich an. Bei dieser Gelegenheit danke ich jenen, die dafür verantwortlich sind: den Kolleginnen und Kollegen der Polizei und natürlich auch den Kolleginnen und Kollegen der Landesprüfstellen und der Asfinag. (Beifall bei der SPÖ.)


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Ganz wichtig ist, zu erwähnen, dass das natürlich eine Relevanz in puncto Verkehrs­sicherheit und auch in puncto Umweltschutz hat. Es werden ganz wichtige Fahrzeug- und technische Ausstattungen überprüft, wie Bremsen, Räder, Fahrgestell, die Abgas­anlage – da geht es natürlich um Ausstoßwerte. Im Prüfumfang enthalten ist auch die Ladungssicherung. Ein ganz wichtiger Prüfteil sind auch die Sozialvorschriften im Straßenverkehr, da geht es im Personen- und Güterverkehr darum, dass Lenkzeiten, Pausen und Ruhezeiten einzuhalten sind.

Abschließend merke ich an, dass im Bericht von AdBlue-Manipulationen die Rede ist. Da muss man offensichtlich Experte sein, diesem Themenbereich ist nicht zu entneh­men, woraus diese Manipulationen genau bestehen – es dürfte da auch um die Aus­stoßwerte gehen – und was man da eigentlich aufdecken kann beziehungsweise auf­decken konnte.

Auffallend war für mich auch, dass die Anzahl von Fahrzeugen aus Drittländern im Vergleich zur Gesamtkontrollzahl sehr gering ausgefallen ist. Es sind nur rund 5 Prozent vom Gesamtumfang, obwohl diese Fahrzeuge die höchste Mängelquote aufweisen: knapp 30 Prozent Gefahr im Verzug – das heißt, das Fahrzeug wird sofort aus dem Verkehr gezogen –, und 37 Prozent wiesen schwere Mängel auf. Das sind in Summe fast 70 Prozent. Man kann diesbezüglich durchaus von Problemfahrzeugen reden.

Deshalb mein Fazit: Für die Zukunft wünsche ich mir oder wünscht sich die SPÖ-Fraktion ein erhöhtes Augenmerk auf Fahrzeuge aus Drittländern, weil das wirklich Problem­fahrzeuge sind.

Und abschließend in eigener Sache: Die Polizei könnte auch mehr technische Hilfsmittel gebrauchen; da denke ich an Rollenprüfstände oder Lärmmessgeräte, dann könnte sie nämlich in der täglichen Außendienstpräsenz viele dieser Kontrollen im Kleinen schon vorwegnehmen. Das wäre für die Verkehrssicherheit extrem dienlich. Diesbezüglich ist natürlich auch das Einvernehmen mit dem Herrn Innenminister herzustellen. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

17.55


Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Als nächster Redner gelangt Herr Bun­desrat Markus Leinfellner zu Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.


17.55.52

Bundesrat Markus Leinfellner (FPÖ, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Österreicherinnen und Öster­reicher! Es wurde zu diesem Tagesordnungspunkt nun sehr vieles gesagt, und ich möchte das auch nur mehr ergänzen.

Vorausschicken darf ich: Wir werden sowohl dem Verkehrstelematikbericht als auch dem Bericht über die technischen Unterwegskontrollen zustimmen. Die Digitalisierung im Bereich der Mobilität, vernetzte Fahrzeuge – also Fahrzeuge, die untereinander kom­munizieren – und die digitale Verkehrsinfrastruktur sind auch uns wesentliche Anliegen. Ich bin sehr froh, dass im Bereich Graz eine Teststrecke für vernetzte Fahrzeuge eingerichtet wurde und da bereits große Fortschritte erzielt werden konnten.

Den Bericht über die technischen Unterwegskontrollen sehe ich jedoch etwas kritischer und möchte auch dazu noch einige Dinge anführen. Im Jahr 2019, wir haben es heute schon gehört, wurden 211 214 Fahrzeuge mit Verdacht auf technische Mängel aus dem fließenden Verkehr ausgeleitet und einer Kontrolle unterzogen. Neben den fahrzeug­technischen Aspekten wurden im Zuge der Kontrolle die Lenk- und Ruhezeiten von 107 773 Fahrern kontrolliert und 159 503 Verstöße festgestellt. Diese Verstöße umfas­sen Lenkzeiten, Ruhezeiten, Fahrtenunterbrechungen, Kontrollgerätemanipu­latio­nen und vieles mehr.


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Aus diesem Bericht geht aber leider nicht hervor, bei wie vielen Fahrern ein oder mehrere Verstöße festgestellt wurden. Es gibt in dem Bericht auch keine detaillierte Tabelle über die Verstöße, aus der diese Dinge hervorgehen würden. Was wir aber sehr wohl wissen, ist, dass der Anteil der österreichischen Fahrzeuge bei 19,27 Prozent liegt. Die restlichen Fahrzeuge stammen aus EU-Staaten und der größte Anteil aus Drittstaaten, meine sehr geehrten Damen und Herren! Was wir aber nicht wissen, ist, welche Maßnahmen gesetzt werden, damit diese Fahrzeuge unsere Verkehrssicherheit in Österreich nicht mehr gefährden.

Ich möchte aber auch noch auf die Verhältnismäßigkeit der Bußgelder eingehen und darf hierfür ein Beispiel nennen: Ein Lkw wird angehalten, weil ein Haarriss im Rücklicht festgestellt wird. Das wird als schwerer Mangel gewertet, obwohl es keinen Wasser­eintritt oder keine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Rücklichtes gibt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine Heckcellone kostet 29 Euro. Die Strafe für den Fahrer war 150 Euro, die Strafe für den Unternehmer auch 150 Euro. Das heißt, wir haben ein Bußgeld in der Höhe von 300 Euro, das einem Reparaturpreis von 29 Euro gegenübersteht, und das steht in keiner Verhältnismäßigkeit mehr zu den Kosten. Genau da, meine sehr geehrten Damen und Herren, bedarf es einer Änderung und einer Anpassung an die Lebenswirklichkeit.

Ebenso darf hinterfragt werden, wie es bei 107 773 kontrollierten Fahrern zu 159 000 Ver­stößen kommen konnte. Wenn man sich die Verstöße genauer anschaut, so kommt man rasch zu dem Schluss, dass es auch da eine Anpassung an die Lebenswirklichkeit braucht. Es handelt sich in vielen Fällen um geringfügige Überschreitungen von Lenk­zeiten, um Überschreitungen im Minutenbereich, und das im Nahverkehr.

Wodurch kommt es zu diesen Überschreitungen im Minutenbereich? – Durch unvor­hersehbare Staus, durch die es einfach länger dauert, durch die sie 1 Minute, 2 Minuten über der Lenkzeit sind. Kommt es aber zu einer Kontrolle, werden auch die 28 Tage davor mitkontrolliert, und so kommt man rasch auf 20 Delikte oder mehr.

Wenn man sich anschaut, dass das ein Bußgeld von in Summe 1 000, 2 000 Euro oder sogar mehr ausmacht, erkennt man, dass auch das in keiner Relation mehr zur Lebens­wirklichkeit steht – und vor allem in keiner Relation zu den Gehältern der Lkw-Fahrer, die tagtäglich wirklich großartige Arbeit verrichten und Großartiges leisten. Sie sind vielleicht 1 Minute oder 2 Minuten im Stau gestanden, haben die Lenkzeit – zum Beispiel in Wien auf der Tangente – geringfügig überschritten und bekommen dann ein Bußgeld aufgebrummt, das ihr Monatseinkommen um einiges übersteigt. Ich sage Ihnen, das sind keine Gefährder, und diese Kontrollen und diese Minutenreiterei tragen definitiv nicht zur Verkehrssicherheit bei. (Präsidentin Eder-Gitschthaler übernimmt den Vorsitz.)

Sehr wohl allerdings zu einer Gefährdung der Verkehrssicherheit tragen Lenker bei, die in einem durch verbotenen Suchtmittelkonsum beeinträchtigten Zustand unterwegs und deswegen fahruntauglich sind. In diesem Bereich wünschen wir uns wirklich die Sicherstellung eines effektiven Einschreitens, denn genau von diesen Drogenlenkern geht ein erhebliches Unfallrisiko aus. Eine Dunkelzifferstudie des Kuratoriums für Verkehrssicherheit geht davon aus, dass auf vier Alkolenker ein Drogenlenker kommt. Genau in diesem Bereich muss die Kontrolltätigkeit verbreitert werden.

Aus diesem Grund darf ich an dieser Stelle folgenden Entschließungsantrag einbringen:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Markus Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Sicher­stellung eines effektiven Einschreitens gegen Lenkerinnen und Lenker, die sich auf Grund von verbotenem Suchtgiftkonsum in einem fahruntauglichen Zustand befinden“


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Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Tech­nologie und der Bundesminister für Inneres werden ersucht, die im Ministerialentwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Straßenverkehrsordnung 1960 (32. StVO-Novelle) und das Führerscheingesetz geändert werden (144/ME), vorgeschlagenen Bestimmungen zur Sicherstellung eines effektiven Einschreitens gegen Lenkerinnen und Lenker, die sich auf Grund von verbotenem Suchtgiftkonsum in einem fahruntauglichen Zustand befinden, im Sinne der Entschließung vom 3.7.2019 zu adaptieren, und noch 2020 eine Regierungsvorlage dem Nationalrat zuzuleiten.“

*****

Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine Annahme und in weiterer Folge auch eine rasche Umsetzung dieses Entschließungsantrages würden die Verkehrssicherheit in Österreich tatsächlich erhöhen. Diese Sekkiererei und Minutenreiterei bei den Kontrollen unserer Lkw-Fahrer tun es mit Sicherheit nicht. (Beifall bei der FPÖ.)

18.03


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Der von den Bundesräten Markus Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Sicherstellung eines effektiven Einschreitens gegen Lenkerinnen und Lenker, die sich auf Grund von verbotenem Suchtgiftkonsum in einem fahruntauglichen Zustand befinden“ ist ordnungs­gemäß eingebracht, genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Otto Auer. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.


18.03.37

Bundesrat Otto Auer (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste via Livestream! Verkehr und Transport – das sind notwendige Dinge. Ihre Kontrolle macht das Ganze sicherer. Ich denke, dass 200 000 technische Kontrollen bei Fahrzeugen und 100 000 Len­ker­kontrollen im Jahr einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit leisten. Bei den Lenker­kontrollen werden nicht nur die Ruhezeiten kontrolliert, sondern auch Suchtgift- oder Alkoholkonsum. Ich denke, dass wir damit einen sehr guten und richtigen Beitrag zur allgemeinen Sicherheit leisten.

Fahrzeuge mit Mängeln werden natürlich aus dem Verkehr gezogen, Ruhezeiten der Fahrer müssen eingehalten werden. Es gibt aber immer wieder schwarze Schafe, die sogar die Technik manipulieren und unerlaubterweise unterwegs sind.

Die Kontrollen der Emissionsminderungssysteme sind notwendig. Wir müssen im Klima­schutz etwas weiterbringen. AdBlue ist ein Klassiker, und wie schon meine Vorredner gesagt haben, passieren auch dabei Dinge, die eigentlich nicht vorkommen sollten. Trotzdem ist es wichtig, dass die Zusammenarbeit zwischen EU, Bund und Ländern gelebt wird und es beim Kontrollsystem keine Grenzen gibt, damit wir schwarze Schafe leichter aus dem Verkehr ziehen können.

Als Hilfsmittel für die Kontrolle ist die Digitalisierung – die sogenannte Verkehrs­tele­matik – ein ganz wichtiges Mittel. Wir bekommen intelligente Leit- und Warnsysteme, die als Hilfsmittel für die funktionierende Mobilität dienen. Die Unterstützung umwelt­freund­licher Mobilität durch die Digitalisierung ist der nächste Schritt, der uns zeigen wird, dass Fahrzeuge Informationen untereinander austauschen und Informationen an Lenker weitergeben können und dass mit der Errichtung der notwendigen Infrastruktur auch eine Verteilung der Informationen auf schnellstem Wege funktionieren kann. Dafür gibt es


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verschiedene Plattformen, zum Beispiel die C-Roads-Plattform. Das sind Schnittstellen, die Infos und Daten weiterleiten, und das funktioniert schon. Es gibt in Graz eine Pilot­strecke, bei der man wesentliche Fortschritte gemacht hat und deren Ausstattung bis Ende des Jahres fertig sein soll. Weitere hochrangige Straßen sollten damit ausgestattet werden.

International ist in der Digitalisierung der Ausbau der Reisedienste ein Projekt. Es gibt das Projekt Linking Danube – das ist ein grenzüberschreitender Reiseinformations­dienst –, zusätzlich Linking Alps, das Straße und Bahn koordiniert. Ich denke, dass damit wesentliche Voraussetzungen für die Zukunft geschaffen werden, um Straße und Verkehr, Straße in Kombination mit anderen Verkehrsmitteln sicherer und einfacher zu machen. Arbeitsgruppen erarbeiten dazu laufend Konzepte, die mit der Digitalisierung die Steuerung der Mobilität der Zukunft übernehmen werden. Ich denke, dass wir hier ein Projekt der Zukunft mit unserer Zustimmung betrauen sollten. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP und bei BundesrätInnen der Grünen.)

18.06


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Günter Kovacs. – Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.


18.06.57

Bundesrat Günter Kovacs (SPÖ, Burgenland): Ich komme auch noch zum Verkehrs­telematikbericht 2020. Dieser Bericht erläutert für den Bereich der intelligenten Ver­kehrs­systeme die Entwicklungen im letzten Jahr auf nationaler und internationaler Ebene. Anzuführen ist dabei, dass – obwohl es nicht gelungen ist, gemeinsam EU-Spezifikationen zum Thema vernetzte Fahrzeuge zu beschließen – eine Marktein­füh­rung von intelligenten Verkehrssystemen in entsprechend ausgestatteten Serienfahr­zeu­gen und in Verkehrsinfrastrukturen bereits 2019 erfolgt ist.

Zur europaweit harmonisierten Implementierung entsprechender Anwendungen für ver­netzte Fahrzeuge dient eine von Österreich koordinierte Plattform, als konsolidierende Schnittstelle zwischen Pilotprojekten, der Europäischen Kommission und zu externen Stakeholdern. Vorhin wurde schon erwähnt, dass auch österreichische Pilotprojekte umgesetzt wurden. 2019 wurde eine Pilotstrecke bei Graz mit einer entsprechenden Infrastruktur ausgestattet. Eine Ausschreibung zum großflächigen Rollout auf der öster­reichischen Infrastruktur, den Bundesstraßen durch die Asfinag läuft und soll noch in diesem Jahr mit dem Ziel, die Umsetzung 2021 abgeschlossen zu haben, in Auftrag gegeben werden.

Die Umsetzung von EU-weiten multimodalen Reiseinformationsdiensten wird ebenso unterstützt – das Projekt Prio Austria. Weiters wurde 2019 das Projekt Linking Danube zur Umsetzung grenzüberschreitender Reiseinformationsdienste auf regionaler Ebene beschlossen, und 2019 startete auch das Projekt Linking Alps. Es dient dem Austausch von Reiseinformationen von Bahnbetreibern und öffentlichem Verkehr generell.

Die Arbeiten an der Graphenintegrationsplattform GIP wurden 2018 und 2019 sehr gut vorangetrieben. Weiters beschäftigen sich zwei Förderprojekte mit integrierten Mobi­litätslösungen im Rahmen des Bereichs Mobilität als Service.

Wir werden diesem Bericht natürlich wohlwollend zustimmen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

18.08


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Zu einer weiteren Stellungnahme hat sich Herr Staatssekretär Dr. Magnus Brunner zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Staatssekretär, ich erteile Ihnen das Wort.



BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 153

18.09.00

Staatssekretär im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren Bundesräte! Danke für die perfekte Darstellung der Inhalte der beiden Berichte! Diese technischen Unterwegskontrollen sind ein ganz entscheidendes Element, wenn es darum geht, ein beständig hohes Niveau der Verkehrs- und Betriebs­sicherheit während der gesamten Nutzungsdauer eines Nutzfahrzeuges erreichen zu können. Das ist, glaube ich, ganz, ganz entscheidend. Solche Kontrollen tragen nicht nur zur Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit und zur Verringerung von Fahrzeug­emissionen bei, sondern leisten auch einen Beitrag dazu, Wettbewerbsverzerrungen im Straßenverkehrssektor zu verhindern, weil ein eventueller wirtschaftlicher Vorteil, bei­spielsweise durch unzureichende Wartung oder Instandhaltung der Fahrzeuge auf Kosten der Umwelt und der Sicherheit, verhindert wird.

Bei diesen technischen Unterwegskontrollen liegt Österreich im europäischen Vergleich an der Spitze – das wurde bereits erwähnt –, vor allem was die Zahl und die Effizienz der Kontrollen betrifft, und leistet damit einen ganz, ganz entscheidenden und wertvollen Beitrag zum Schutz der Umwelt und zur Steigerung der Verkehrssicherheit.

Zum Verkehrstelematikbericht noch ganz kurz: Danke vor allem den Experten für die Erstellung dieses sehr umfangreichen und – wie auch schon erwähnt wurde – sehr technischen Berichts. Das ist sehr beeindruckend. Österreich hat bisher im Bereich der intelligenten Verkehrssysteme eine international anerkannte Vorreiterrolle eingenom­men, die von den europäischen Mitgliedstaaten auch entsprechend gewürdigt wird, indem große, europaweite Projekte mit fast allen Mitgliedstaaten von Österreich direkt gemanagt werden. Dadurch wird die Vorreiterrolle von den EU-Mitgliedstaaten ent­sprechend bestätigt. Auch im Bereich der nationalen Umsetzung dieser IVS-Projekte, die im gemeinsamen Interesse liegen, arbeiten unser Haus, die Bundesländer und die Infrastrukturbetreiber im gegenseitigen Vertrauen sehr eng zusammen.

Vielen Dank noch einmal den Expertinnen und Experten für das Erstellen dieser beiden beeindruckenden Berichte! – Danke. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei Bun­desrätInnen der FPÖ.)

18.11


18.11.47

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Die Abstimmung erfolgt getrennt.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Bericht der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie über technische Unterwegs­kon­trollen im Jahr 2019.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

Es liegt ein Entschließungsantrag der Bundesräte Markus Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Sicherstellung eines effektiven Einschreitens gegen Lenkerinnen und Lenker, die sich auf Grund von verbotenem Suchtgiftkonsum in einem fahr­un­taug­lichen Zustand befinden“ vor. Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenminderheit. Der Antrag auf Fassung der gegen­ständlichen Entschließung ist daher abgelehnt.


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 154

Wir gelangen zur Abstimmung über den Verkehrstelematikbericht 2020, vorgelegt von der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Tech­nologie.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

18.13.2611. Punkt

Tätigkeitsbericht der Schienen-Control GmbH 2019, vorgelegt von der Bundes­ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Tech­nolo­gie (III-722-BR/2020 d.B. sowie 10428/BR d.B.)

12. Punkt

Gemeinwirtschaftlicher Leistungsbericht 2018, vorgelegt von der Bundesminis­terin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (III-726-BR/2020 d.B. sowie 10429/BR d.B.)


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Wir gelangen nun zu den Tagesord­nungs­punkten 11 und 12, über welche die Debatten unter einem durchgeführt werden.

Berichterstatter zu beiden Punkten ist Herr Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross. – Ich bitte um die Berichte, Herr Bundesrat.


18.14.04

Berichterstatter Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross: Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Verkehr über den Tätigkeitsbericht der Schienen-Control GmbH 2019, vorgelegt von der Bundes­ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie.

Der Bericht liegt vor, ich komme zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Verkehr stellt nach Beratung der Vorlage am 6. Oktober 2020 den Antrag, den Tätigkeitsbericht zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bringe weiters den Bericht über die Verhandlungen des Ausschusses für Verkehr über den Gemeinwirtschaftlichen Leistungsbericht 2018, ebenfalls vorgelegt von der Bun­desministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Tech­nologie.

Der Bericht liegt vor, ich komme zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Verkehr stellt nach Beratung der Vorlage am 6. Oktober 2020 den Antrag, den Gemeinwirtschaftlichen Leistungsbericht 2018 zur Kenntnis zu nehmen.


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Vielen Dank für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Herr Bundesrat Gross, Sie sind gleich als erster Redner zu Wort gemeldet. – Ich erteile es Ihnen.


18.15.28

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Der Schienenverkehr ist das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs. Historisch hat der Schienenverkehr inklusive der gesamten Bahnhofsinfrastruktur beeindruckende Hochblüten erlebt. Er war über viele, viele Jahrzehnte der Motor der Modernisierung und natürlich auch der Industrialisierung. Sie alle kennen die beeindruckenden Bauwerke, seien es die Strecken, seien es die Bahnhöfe – praktisch aus vergangenen Zeiten.


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 155

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist der Schienenverkehr allerdings durch die rasend schnelle Zunahme des Autobesitzes massiv unter Druck geraten. Mit aller Kraft wurden – teilweise durchaus brachial – Autobahnen und Schnellstraßen gebaut. Das Bahnnetz geriet ins Hintertreffen, das Image litt sehr stark. Seit Jahren jedoch – das ist sehr erfreulich – hat ein Umdenken eingesetzt und setzt ein: Die Bahn rückt wieder ins Zentrum, Bahnhöfe werden zu Knotenpunkten und Haltestellen wieder zu sehr hoch­wertigen und leider auch zum Teil teuren Gegenden, in denen es wieder beliebt ist, zu wohnen.

Dennoch gibt es eine Reihe von Herausforderungen, noch mehr Menschen und Güter auf und in die Bahn zu bringen. Auch unter den Bahnbetreibern selbst nimmt der Kon­kurrenzkampf zu, besonders intensiv ist das im Güterverkehr, da werden in Österreich bereits rund 30 Prozent des gesamten Güterverkehrs von anderen Unternehmen als der ÖBB abgewickelt.

Der Bericht zeigt insgesamt eine durchwachsene Bilanz im Schienenverkehr – da muss man auch ehrlich sein. Im Güterverkehr kam es sowohl bei den beförderten Tonnen als auch bei den Transportkilometern – also der sogenannten Verkehrsleistung – zu einem zwar nicht großen, aber doch zu einem Rückgang. Das war leider auch im vorvorigen Jahr so, wiewohl das Transportvolumen gegenüber 2015 um 3,5 Prozent gestiegen ist. Allerdings war in der gleichen Zeit der Zuwachs auf der Straße wesentlich größer.

Um ein bisschen ein Bild zu geben: Von welchen Verhältnissen sprechen wir? – Wenn man alle Tonnen, die in Österreich auf der Schiene und auf der Straße transportiert werden, zusammenzählt, sieht man, dass drei Viertel aller Tonnen auf der Straße und nur ein Viertel auf der Schiene transportiert werden. Das ist natürlich nicht befriedigend, wiewohl Österreich und die ÖBB im europäischen Vergleich gar nicht schlecht dastehen – aber trotzdem. Warum ist das so? – Fakt ist, dass es die Kostenstruktur im Bahnsystem erschwert, gegenüber dem Lkw-Verkehr konkurrenzfähig anzubieten – es ist also eine teure Infrastruktur. Um diese Lücke etwas zu schließen beziehungsweise die Konkurrenzfähigkeit des Bahngüterverkehrs zu verbessern, werden im Rahmen der gemeinwirtschaftlichen Leistungserbringung Unterstützungen bezahlt. Es gibt ganz aktuell auch eine Notmaßnahme – Sie werden es gehört haben –: Die Ministerin hat Güterverkehr und Personenverkehr von der Schienenmaut befreit, zunächst mal befristet. 2018 wurden 111 Millionen Euro bezahlt, um den Güterverkehr auf der Schiene zu unterstützen – das ist wichtig, aber nicht ausreichend.

Was heißt das nun politisch? – Ich gehe davon aus, dass es – auch wenn wir in der Verkehrspolitik sehr unterschiedliche Auffassungen haben – zumindest Einigkeit darüber gibt, dass der Anteil der Schiene am Güterverkehr erhöht werden muss. (Zwi­schenruf des Bundesrates Schennach.) Man denke nur an die massiven Belastungen von Anrainern – Tirol kann ein Lied davon singen, wenn auch ein trauriges –, denken wir an die fatalen Auswirkungen der Verkehrsemissionen auf die Klimaerhitzung!

Die spezifischen Emissionen im Lkw-Güterverkehr, also pro Tonnenkilometer, sind auf der Straße um den Faktor 20 höher als auf der Bahn. Absolut gesehen haben die CO2-Emissionen im Güterverkehr seit 1990 um sage und schreibe 112 Prozent zuge­nom­men, sie haben sich also verdoppelt; eine Entwicklung, die wirklich mit aller Kraft ge­stoppt werden muss, nicht nur gestoppt: Sie muss zugunsten des Güterverkehrs auf der Bahn umgedreht werden, und das ist mit den erwähnten Unterstützungsbeiträgen nicht zu bewerkstelligen, auch wenn man die in die Höhe fährt.

Das geht nur, wenn wir endlich beginnen, dem motorisierten Personen- und Güter­verkehr die Kosten anzurechnen, die er auch verursacht. Das ist eigentlich ein simples Prinzip, denn die Wettbewerbsverzerrung entsteht nicht dadurch, dass die Bahn teurer


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 156

ist, wie manche annehmen, sondern dadurch, dass der Lkw-Verkehr massiv subven­tioniert wird, durch eine Verlagerung von verursachten Kosten auf die Allgemeinheit. Das ist viel Geld – dazu gibt es Studien –: In Österreich sind das jährlich 7 bis 10 Milliarden Euro; jedes Jahr 7 bis 10 Milliarden Euro! Das zahlen alle, das zahlen auch die, die es nicht verursachen, das zahlt die Allgemeinheit. Das ist übrigens sozialpolitisch be­sonders ungerecht: Menschen mit wenig Einkommen verursachen auch weniger Güterverkehr und haben in sehr vielen Fällen nicht einmal ein Auto, weil sie es sich nicht leisten können, zahlen aber mit.

Eine Sofortmaßnahme wäre, endlich mit dem nicht argumentierbaren Dieselprivileg aufzuhören. Ich sage das in aller Deutlichkeit: Dafür gibt es einfach überhaupt keine Rechtfertigung mehr. Ein weiterer ergänzender Schritt muss sein, im Rahmen einer ökologischen Steuerreform Kostenwahrheit herzustellen, genauso, wie es im Regie­rungsprogramm steht, und ich hoffe sehr, dass unser Koalitionspartner und der Herr Staatssekretär uns bei diesem Vorhaben unterstützen, damit wir mit der Verlagerung von der Straße auf die Schiene endlich weiterkommen, denn das wollen wir alle, nehme ich an.

Es wurde heute der ökosoziale Zugang genannt; ja, den unterstütze ich hundert­prozentig. Es war ja sogar ein ÖVPler, Herr Riegler, der in den Neunzigerjahren diese Grundidee einer ökosozialen Marktwirtschaft gut weiterentwickelt hat. Bei der öko­sozialen Marktwirtschaft geht es genau darum, das zu besteuern, zu belasten, was wir nicht wollen, was uns kaputt macht, und das zu entlasten, was wir wollen, nämlich Arbeit und den Haushalten aus der Armut heraushelfen.

Also ich hoffe, diese Transformation gelingt, und zwar in einem Ausmaß, dass sie wirk­sam wird, und ich appelliere an den Koalitionspartner, auch mit seinen Teilorgani­sa­tionen Kontakt aufzunehmen und diese dazu zu bewegen, dieses Vorhaben, das natürlich kontrovers, aber auch so wichtig ist, nicht zu behindern.

Ich möchte kurz einen Blick auf den Personenverkehr werfen. Da sieht es, was die Entwicklung der Bahn betrifft, viel erfreulicher aus. Sowohl die Anzahl der zurück­geleg­ten Kilometer als auch die der Reisenden ist gewachsen. Das hat mit dem erweiterten Angebot im Nahverkehr zu tun. Die meisten Erweiterungen in jüngster Vergangenheit gab es in der Ostregion, da sieht man auch die Zuwächse: Es gibt gegenüber 2015 immerhin 12 Prozent mehr Reisende. Das zeigt – und das finde ich auch noch wichtig – ein wichtiges Grundprinzip in der Verkehrspolitik, nämlich eine Angebotsorientierung. Es zeigt sich überall: Wenn man das Angebot spürbar ausweitet, wachsen – mit Zeitver­zöge­rung, aber doch – die Passagierzahlen. Da muss man budgetär in die Vorlage gehen, keine Frage, allerdings steigen in Folge die Erlöse.

Ein Beispiel: Vorarlberg ist ein Bundesland, das den öffentlichen Verkehr in den letzten 15 Jahren wirklich gut ausgebaut hat. Sie können heute in jeden Ort, in jedes Tal fahren, im schlechtesten Fall im Stundentakt. Das hat Geld gekostet, es kostet nach wie vor Geld, auch den Gemeinden; die Erlöse aus Fahrscheinverkäufen sind aber in diesen 15 Jahren um mehr als das Doppelte gestiegen.

Ein Meilenstein im Angebot wird das 1-2-3-Ticket sein, mit der dritten Stufe, also ganz Österreich mit einer Karte. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Die Erfahrungen aus Wien, Vorarlberg und Tirol zeigen, dass das der richtige Weg ist.

Oder schauen Sie in die Schweiz, da gehört das Generalabonnement, wie es dort heißt, zum guten Ton! 500 000 Abonnenten gibt es dort, obwohl es in der Schweiz 3 600 Euro kostet; das ist ein Batzen Geld. Bei uns wird es 1 095 Euro kosten. Ich denke, das ist eine wirklich coole Sache – um höflich zu untertreiben.


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Die Entwicklung des Personenverkehrs werden und wollen wir weiter vorantreiben. Dazu gehört die Ausweitung des Angebotes. Ein paar Sätze zu den Nachtzügen als Alternative zum Flugzeug: 27 Nightjet-Linien betreibt die ÖBB bereits, teilweise mit Partnern. Ein kräftiger Ausbau ist geplant. Bereits heute sind die ÖBB in Europa spitze in dieser Geschichte. Es gibt jetzt auch – ganz frisch – aktuelle Vereinbarungen mit der SBB, der Schweizer Bahn, in nächster Zeit Verbindungen von Zürich nach Amsterdam, nach Berlin, nach Hamburg, nach Rom, nach Barcelona zu installieren. Da muss man schon ein Lob aussprechen: Während andere Gesellschaften die Nachtzüge verschlafen haben, sind die ÖBB auch in der Nacht hellwach – ein Dank dafür.

Sehr interessant ist auch der europäische Vergleich. Da sieht man, dass Österreich in den meisten Kategorien gut positioniert ist: auf Platz eins im Personenverkehr, was die Personenkilometer betrifft, und auch die Pünktlichkeit ist sehr erfreulich, 95 Prozent der Züge sind pünktlich; da gibt es einen Rahmen, in dem sich das bewegen kann.

Zusammenfassend, wenn man aufs Angebot des Personenverkehrs auf der Schiene sieht: Lassen Sie das Auto zu Hause! Umsteigen und einsteigen! – Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

18.26


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ing.in Judith Ringer. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.


18.27.00

Bundesrätin Ing. Judith Ringer (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werter Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie legte uns den Tätigkeitsbericht der Schienen-Control GmbH für 2019 und den Gemeinwirtschaftlichen Leistungsbericht 2018 vor.

Die Schienen-Control GmbH wurde 1999 gegründet. Sie fungiert seitdem als Regu­lie­rungsbehörde für den Schienenverkehrsmarkt und sorgt für freien Zugang zu angemes­senen Preisen. In diesem Bericht finden wir einige erfreuliche Aussagen. Österreich ist vor Frankreich und Schweden weiterhin das Bahnland Nummer eins in der Euro­päischen Union. (Bundesrätin Mühlwerth: ... Schweiz!) – Im europaweiten Vergleich liegt nur die Schweiz vor uns, ganz richtig, Kollegin Mühlwerth.

Jede Einwohnerin, jeder Einwohner legte im Schnitt 1 502 Kilometer zurück. Der Per­sonenverkehr erreichte mit 316,4 Millionen Fahrgästen einen neuen Höchststand und liegt damit um 2,1 Prozent über dem bisherigen Höchstwert von 2018. Die Zahl der zurückgelegten Kilometer stieg um 0,8 Prozent. Als Grund wird das erweiterte Angebot im Nahverkehr, vor allem um die Ballungsgebiete in der Ostregion, angegeben.

Erfreulich ist auch die Pünktlichkeit der Züge: 95,2 Prozent der Züge waren pünktlich, im Nahverkehr waren es sogar 95,7 Prozent, dafür waren es natürlich im Fernverkehr etwas weniger. Die Verspätungen kamen laut der SCG in mehr als einem Drittel der Fälle durch einen starken Fahrgast- und Personalwechsel zustande.

Das Schienennetz der öffentlichen Eisenbahnen umfasste 2019 5 650 Kilometer; nicht eingerechnet sind die touristischen Bahnen, U-Bahnen und Straßenbahnen. Diese Strecken sind fast zur Gänze Normalspurstrecken, nur 304 Kilometer sind Schmalspur­strecken, und 73 Prozent sind elektrifiziert.

Der Ausbau des Höchstleistungsnetzes ging auch 2019 weiter, und auch das ist sehr erfreulich. Auch dass das Programm zum Ausbau der barrierefreien Bahnstationen fortgesetzt wird, ist erfreulich, aber, wenn Sie mir diese Bemerkung erlauben, wün­schens­wert wäre auch, dass die sanitären Anlagen bei den Bahnstationen nicht geschlossen


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werden. (Bundesrätin Mühlwerth: Das Klo im Zug funktioniert!) – Hoffentlich! Es gehört meiner Meinung nach zur Kundenfreundlichkeit dazu, dass sanitäre Anlagen auf dem Bahnhof zur Verfügung stehen. Speziell für Familien und ältere Menschen ist das sehr wichtig, und das sollte keinen Diskussionspunkt darstellen, so wie es in meiner Heimatstadt Steyr oder in Rohr im Kremstal der Fall ist.

Erfreulich ist auch, dass die ÖBB den Hauptteil der Verkehrstätigkeit der 29 im Per­sonenverkehr tätigen Eisenbahnunternehmen hatte. Auch dass da ein Anstieg von 1,8 Prozent zu verzeichnen war, ist positiv. Weniger positiv ist, wie schon erwähnt, die Situation im Güterverkehr. Da ist noch reichlich Luft nach oben.

Zum Gemeinwirtschaftlichen Leistungsbericht ist zu sagen, dass das BMK 2018 im Schienenpersonenverkehr 78,418 Millionen Fahrplankilometer bestellte. Auch das ist eine beeindruckende Zahl. Außerdem wendete es einen Abgeltungsbetrag von 767,6 Millionen Euro auf. Es kam zu sehr erfreulichen Streckenerweiterungen und die Bestellsysteme der Länder wurden fast vollständig harmonisiert – dazu wird mein Kol­lege weiter Stellung nehmen.

Lassen Sie mich als Steyrerin noch eines sagen: Eine schnellere Verbindung von Steyr nach Linz oder nach Wien wäre sehr wünschenswert, aber wir werden diesen Bericht natürlich zur Kenntnis nehmen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

18.31


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Günther Novak. – Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.


18.31.48

Bundesrat Günther Novak (SPÖ, Kärnten): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Werte Kolleginnen und Kollegen! Gar so prickelnd kann das Thema nicht sein, denn die Aufmerksamkeit hat, glaube ich, schon nachgelassen, deswegen werde ich mich auch kürzer halten. Herr Dr. Gross hat das Thema, glaube ich, schon perfekt präsentiert.

Wir wissen alle, dass wir noch immer Bahnland Nummer eins sind, wir wissen, dass wir eine gute und generell hohe Pünktlichkeit haben – damit ist das erste Blatt schon einmal erledigt. (Allgemeine Heiterkeit und allgemeiner Beifall.)

Wir befördern 266 Millionen Fahrgäste. Jetzt switche ich zum Gemeinwirtschaftlichen Leistungsbericht. Wenn wir das alles aufrechterhalten wollen, dann brauchen wir einen Ausbau des Fernreiseverkehrs – die Nachtzüge sind auch schon erwähnt worden – sowie auch das 1‑2‑3‑Ticket – lange angekündigt, bis jetzt haben wir es leider Gottes noch nicht umgesetzt.

Dann haben wir einen weiteren Trend, der gleich ist wie im Vorjahr, das ist der Güter­verkehr, der nach unten geht: schlecht. Darüber werden wir nachdenken müssen, nach­dem es schon in der EU notifiziert worden ist: das Förderprogramm, dass wir die rollende Landstraße ausbauen, den Einzelwagenverkehr und den kombinierten Verkehr. Dass die Rail Cargo die stärkste ist, ist, glaube ich, auch bekannt unter uns, die wir alle Eisenbahner sind.

Wir haben ja schon einmal eine Debatte zu einer Dringlichen Anfrage mit Herrn Hofer zum Thema Ausbau Semmering-Basistunnel und Koralmbahn gehabt. Der Semmering-Basistunnel hätte ja 2023 fertig werden sollen. Er wird wahrscheinlich bis 2026 brauchen, aber zusätzliche - - (Bundesrätin Mühlwerth: Ein österreichisches Schicksal!) – Bitte? (Bundesrätin Mühlwerth: Ein österreichisches Schicksal!) – Ein österreichisches Schick­sal. (Heiterkeit des Redners.) Auf jeden Fall wird das Schienennetz von 5 650 Kilo­meter Länge erweitert, und wir werden von Wien nach Klagenfurt einmal um ein Eck weniger


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brauchen als jetzt, und zum Beispiel von Graz nach Klagenfurt, glaube ich, eine Drei­viertelstunde, wo wir jetzt weiß Gott wie lange fahren.

Die Covid-19-Pandemie hat sich natürlich massiv auf das Jahr 2020 ausgewirkt. Ich glaube, das, was wir von 2019 und 2018 erzählen, ist Geschichte. Jetzt ist die Situation ganz anders.

Danke an jene, die diesen dicken Wälzer zusammengestellt haben. Wir wissen, dass wir beim Güterverkehr bei 70 Prozent liegen, beim Personenverkehr bei 60 Prozent, das heißt, von 107 000 Tonnen sind wir auf 102 000 Tonnen gekommen. Ja, no na, wir müs­sen von der Straße auf die Schiene, das haben wir alle schon gesagt, und dazu wird es Geld brauchen, Budgetmittel. Diese Nahverkehrsmilliarde und die Regionalverkehrs­milliarde sollen dafür vorgesehen sein. Es braucht ein klares Bekenntnis zur Bahn und zu entsprechenden Maßnahmen. Wir werden zustimmen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Schwindsackl.)

18.35


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Michael Bernard. – Bitte, Her Bundesrat, ich erteile es Ihnen.


18.35.12

Bundesrat Michael Bernard (FPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Aus dem ausführlichen Tätigkeitsbericht der Schienen-Control GmbH, vorgelegt von der Bundes­ministerin, geht, wie vorhin schon von den Kollegen gesagt wurde, hervor, dass es wieder gelungen ist, einen neuerlichen Zuwachs an Fahrgästen und Personenkilometern zu erreichen. Mit 360,4 Millionen Fahrgästen wurde der bisherige Höchstwert des Jah­res 2018 um 2,1 Prozent übertroffen. Auch die Zahl der zurückgelegten Personen­kilometer stieg leicht an, um 0,8 Prozent. Als Grund für das Wachstum nennt der Bericht primär das erweiterte Angebot im Nahverkehr, vor allem rund um die Ballungsgebiete in der Ostregion.

Ein wesentlicher Faktor für die große Beliebtheit der Schiene ist laut der Schienen-Control die generell hohe Pünktlichkeit der Züge. 2019 waren 95,2 Prozent aller Züge pünktlich. Im Nahverkehr waren es sogar 95,7 Prozent. Beim international vernetzten Fernverkehr ging die Pünktlichkeit 2019 allerdings um 2,3 Prozent auf 85,9 Prozent zurück. Dem Bericht der Schienen-Control zufolge kamen Verspätungen in mehr als einem Drittel aller Fälle durch einen starken Fahrgast- oder Personalwechsel in den Stationen zustande.

Leider muss ich aus meiner Heimatregion, dem Weinviertel, genau das Gegenteil berichten, aber wir hoffen, durch den Umbau der Nordbahntrasse und die Umsetzung der langjährigen Forderung des zweigleisigen Ausbaus der Laaer Ostbahn auch für diese Region die Werte des Berichtes zu erzielen.

Zum Thema Pünktlichkeit wurde mir nach meiner Frage im Verkehrsausschuss, wie diese errechnet wird, mitgeteilt, dass von Unpünktlichkeit bei Verspätungen von über 5 Minuten, 29 Sekunden gesprochen werden kann. Dieser Wert müsste meiner Meinung nach reduziert und mit den Anschlussverbindungen abgestimmt werden.

Wir haben vorhin schon ein paar wesentliche Zahlen und Fakten gehört: dass das Bahnhochleistungsnetz weiter ausgebaut wird, dass es 5 650 Kilometer umfasst, dazu kommen die touristischen Bahnen, die U‑Bahnen, die Straßenbahnen und so weiter. Einspurig werden von diesen Trassen 3 450 Kilometer geführt, zweigleisig 2 191. Ein wesentlicher Punkt ist, dass 73 Prozent der Bahnstrecken bis jetzt elektrifiziert sind und 2019 weitere Elektrifizierungsarbeiten an mehreren Abschnitten abgeschlossen werden konnten. Auf 59 Kilometern des Streckennetzes wird seit Mitte Dezember 2019 kein


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Personenverkehr mehr angeboten, die Leidtragenden sind zum Teil wieder im Wein­viertel.

Nicht sehr erfreulich – haben wir heute schon gehört – fällt die Bilanz des Schienen­güterverkehrs aus, bei dem ein zweites Jahr in Folge ein leichter Rückgang des Volumens zu verzeichnen war. Beim Aufkommen wurde im Vergleich mit 116,8 Millionen beförderten Nettotonnen ein Rückgang um 0,9 Prozent verzeichnet. Die Verkehrs­leistung ist mit 23,2 Milliarden Netto- und 46,3 Milliarden Bruttotonnenkilometern im Vergleich zum Vorjahr – Vergleichswerte 2018: 23,7 beziehungsweise 46,6 – um 2,1 Pro­zent beziehungsweise um 0,6 Prozent zurückgegangen.

Nun noch ein paar Worte zum Gemeinwirtschaftlichen Leistungsbericht 2018: Der Leis­tungsbericht über die im Jahr 2018 durch den Bund bei Eisenbahnverkehrsunternehmen bestellten gemeinwirtschaftlichen Leistungen teilt sich in drei Teile. Der erste umfasst den Personenverkehr, der zweite den Güterverkehr und Teil drei bietet eine tabellarische Übersicht über die Abgeltungsbeträge. Zusammengefasst gab es eine Steigerung der Abgeltungsbeträge beim Personenverkehr: ÖBB plus 23 972 000 Euro; Privatbahnen plus 929 550 Euro; und eine Senkung bei der Rail Cargo Austria von 5,013372 Millionen Euro.

Es wird weiters berichtet, dass sich seit 2018 im zuständigen Ressort einiges geändert hat. Das bisher duale Bestellsystem im Schienenpersonenverkehr von Bundesbestel­lungen für das Grundangebot und Landesbestellungen für Zusatzangebote wurde zur Nutzung von Synergien auch auf eine gemeinsame Bestellung eines Gesamtangebotes umgestellt. Zum Fahrplanwechsel 2018 konnten für die Länder Vorarlberg, Steiermark und Kärnten diesbezüglich neue Verkehrsdiensteverträge mit den ÖBB abgeschlossen werden.

Das Jahr 2019 war auch durch die Verhandlungen für die Vertragsabschlüsse für die übrigen Bundesländer geprägt. Rechtzeitig zum Fahrplanwechsel im Dezember 2019 konnten auch die Verträge für die Ostregion, für Oberösterreich, Salzburg und Tirol sowie für den überregionalen takttragenden Fernverkehr unter Dach und Fach gebracht werden.

Es soll sich zusätzlich noch einiges ändern. Auch mit den in Österreich gemein­wirt­schaftliche Leistungen erbringenden Privatbahnen wird das Bestellsystem bis spätes­tens Dezember 2020 auf eine gemeinsame Bundes- und Landesbestellung umgestellt. Der vorwiegend regionalen Bedeutung dieser Bahnen geschuldet, wird da in vielen Fällen die Projektführung bei den Ländern liegen, auch wenn von Bundesseite grund­sätzlich eine einheitliche Strategie vorgegeben ist.

Was soll es in Zukunft geben? – Einerseits wird der Bahnausbau mit dem Schwerpunkt der Elektrifizierung bisheriger Dieselstrecken weiter forciert. Darüber hinaus werden verstärkt moderne, barrierefreie und komfortable Fahrzeuge eingesetzt und auf den verbleibenden Strecken, auf denen eine Elektrifizierung wirtschaftlich nicht darstellbar ist, werden alternative Antriebe getestet, wie zum Beispiel beim Akkuzug Cityjet eco.

Für klimaschonende Mobilität wird auch das Nachtzugangebot ausgebaut. Im Nah­verkehr kommen Taktverdichtungen in den Hauptverkehrszeiten und eine Ausdehnung der Betriebszeiten in die Tagesrandlagen. Zusammen mit einem gut ausgebauten Bus­netz und der Einbeziehung alternativer Bedienformen wie Rufbussen, Anrufsammeltaxis und Mikro-ÖV soll so ein zumindest stündliches ganztägiges ÖV-Angebot sowohl im urbanen Raum als auch in ländlichen Gebieten möglich werden.

Derzeit arbeiten wir in meinem Heimatbezirk, in Mistelbach, an der Umsetzung des letztgenannten Punktes und hoffen, mit Jänner 2022 mit dem sogenannten Mistel­bach­mobil in Betrieb gehen zu können.


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 161

Was steht sonst noch im Bericht? – Im Gemeinwirtschaftlichen Leistungsbericht wird auch über Förderprogramme im Schienengüterverkehr informiert. Dabei handelt es sich um Förderungen im Einzelwagenverkehr, im unbegleiteten Kombinierten Verkehr und der Rollenden Landstraße. Diese Förderungen sollen mithelfen, den Schienengüter­verkehr im unmittelbaren Wettbewerb mit dem Straßengüterverkehr konkurrenzfähig zu halten. Sie werden in Form eines von der Europäischen Kommission als Beihilfe notifi­zierten Förderprogramms ausbezahlt. Damit soll der im europäischen Vergleich hohe Modal Split der Schiene im Güterverkehr, vor allem in umweltsensiblen Gebieten, bei­behalten werden können.

Wir Freiheitliche werden allen zwei ausführlichen Berichten die Zustimmung erteilen. (Beifall bei der FPÖ.)

18.42


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Bernhard Hirczy. – Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.


18.43.08

Bundesrat Bernhard Hirczy (ÖVP, Burgenland): Geschätzte Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Zum vorliegenden Tätigkeits­bericht der Schienen-Control GmbH und zum Leistungsbericht 2018 darf ich festhalten, dass wir diese zur Kenntnis nehmen.

Ich darf mich bei den Expertinnen und Experten für die Erstellung bedanken, möchte aber auch festhalten, dass ich mich ausdrücklich bei unserem Staatssekretär Magnus Brunner und bei unserer Ministerin Leonore Gewessler recht herzlich bedanke, da sie dann mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn wir Hilfe benötigen. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Aus dem Inhalt der Berichte sind die Passagier- oder Fahrgastzahlen positiv hervor­zuheben. Durchwachsen ist das Ergebnis im Cargobereich, sprich Güterverkehr. Ich darf da auf eine Chance aus meiner Heimatregion verweisen, aus dem Bezirk Jennersdorf. Dort wird gerade die S 7 gebaut und der Businesspark in Heiligenkreuz dement­sprechend aufgewertet. Auch die Elektrifizierung der Bahnstrecke von St. Gotthard über Jennersdorf nach Graz wird bis 2027 vorangetrieben. Es ist mein großer Wunsch, dort einen dementsprechenden Containerumschlagplatz verwirklichen zu können, mehr Güter vom Lkw auf die Schiene zu bringen, um dann dementsprechend regional zustel­len zu können.

In diesem Sinne: Wir werden die Berichte zur Kenntnis nehmen, und ich darf alle bitten, gemeinsam dementsprechend die Klimaziele zu verfolgen: mehr Güter auf die Bahn!, das ist ein gemeinsamer Appell. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie der Bundesrätin Mühlwerth.)

18.44


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Zu einer Stellungnahme hat sich Herr Staatssekretär Dr. Magnus Brunner zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Staatssekretär.


18.44.56

Staatssekretär im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Sehr geehrte Frau Prä­sidentin! Werte Bundesrätinnen und Bundesräte! Der Jahresbericht der Schienen-Control GmbH lässt eine ganz wesentliche Herausforderung für die Verkehrspolitik insgesamt erkennen: In vielen Bereichen, insbesondere auch auf den Hauptbahn­ver­bindungen, ist die Kapazität der Trassen eigentlich der Flaschenhals, der uns in den


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Bemühungen um einen weiteren Ausbau des Angebots für den Personenverkehr und um eine Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene einschränkt.

Österreich investiert zwar massiv und auch im europäischen Vergleich sehr, sehr stark in den Ausbau der Bahninfrastruktur, aber die langwierigen Ausbauvorhaben können großteils mit dem Tempo der Marktentwicklung nicht ganz mithalten. Wir brauchen daher zwei prioritäre Zielsetzungen in der Verkehrspolitik: Das ist auf der einen Seite eine verstärkte Schwerpunktsetzung auf die Steuerungstechnologie, auch mit den Chancen der Digitalisierung, und auf der zweiten Seite eine Schwerpunktsetzung auf Fortschritte in der grenzüberschreitenden Harmonisierung des Bahnverkehrs in Europa. Diese zwei Prioritäten, glaube ich, müssen wir setzen. Der Rahmenplan, der in den kommenden Wochen auch in den parlamentarischen Beschlussprozess kommt, setzt dabei schon die nötigen Schwerpunkte.

Ich darf mich bei den Kolleginnen und Kollegen der Schienen-Control GmbH nicht nur für die Erstellung des Berichts, sondern auch für die wertvolle Arbeit über das gesamte Jahr herzlich bedanken.

Zum Gemeinwirtschaftlichen Leistungsbericht noch ein, zwei Worte: Das BMK, eigent­lich das frühere BMVIT, hat in den letzten drei Jahren im Bereich der öffentlichen Verkehrsbestellungen im Bahnangebot grundlegende Reformen eingeleitet, also nicht erst jetzt, seit dieser Bundesregierung, sondern – das muss man ehrlicherweise sagen – schon vorher. Das bisherige duale Bestellsystem im Schienenpersonenverkehr, also Bundesbestellungen als Grundangebot und Landesbestellungen als Zusatzangebot, wurde durch gemeinsame Verkehrsdiensteverträge von Bund und Ländern abgelöst. Die Zusammenarbeit funktioniert da also einwandfrei.

Wir stellen aktuell gerade auch die Verträge mit den Privatbahnen auf gemeinsame Bestellungen mit den Ländern um. Das ist, glaube ich, auch ein wesentlicher Schritt. Das soll bis Ende des Jahres dann auch erfolgt sein.

Ziel unseres Hauses ist es natürlich, mit den Bestellungen auch weitere Qualitäts­ver­besserungen im Angebot für die Kunden im Bahnbereich vorzunehmen, auf der einen Seite natürlich durch Angebotsverdichtungen, auf der anderen Seite durch neues Fahr­zeug­material und – nicht zu vergessen – auch durch die Umstellung auf CO2-neutrale Technologien. Das wurde vorhin bereits angesprochen: In Abstimmung mit den ÖBB laufen momentan Tests mit dem Akkuzug Cityjet eco; aber auch der Wasserstoffzug wird eine wesentliche Rolle spielen. Auch beim Wasserstoff – und Adi Gross hat vorhin ein Wortspiel mit Bezug auf den Nachtzug verwendet, aber ich glaube, da ist ein Wortspiel auch angebracht, obwohl dir (in Richtung Bundesrat Gross) vielleicht das Wasser­stoffthema nicht so ganz am Herzen liegt – darf Österreich, glaube ich, technologisch zumindest, den sprichwörtlichen Zug nicht verpassen.

Danke auch an Klara Neurauter! Ich durfte sie als unglaublich engagierte und couragierte Kollegin kennenlernen. Ich wünsche ihr – leider ist sie jetzt schon weg – alles Gute. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihr das auszurichten: Alles Gute für den neuen Lebensabschnitt außerhalb der Politik! – Vielen Dank. (Allgemeiner Beifall.)

18.49

18.49.10


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Vielen Dank für die Stellungnahme, Herr Staatssekretär.

Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Die Abstimmungen erfolgen getrennt.


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 163

Wir gelangen zur Abstimmung über den Tätigkeitsbericht der Schienen-Control GmbH 2019, vorgelegt von der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Inno­vation und Technologie.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Gemeinwirtschaftlichen Leistungsbericht 2018, vorgelegt von der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Inno­vation und Technologie.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

18.50.1313. Punkt

Antrag der BundesrätInnen Dr. Andrea Eder-Gitschthaler, Korinna Schumann, Monika Mühlwerth, Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ab­haltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema „Eine neue Kultur des Miteinander. Änderung der nationalen und internationalen Rah­menbedingungen nach COVID-19“. (279/A-BR/2020)


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Wir gelangen nun zum 13. Punkt der Tagesordnung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Da keine Wortmeldungen vorliegen, frage ich, ob noch jemand das Wort wünscht. – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen daher gleich zur Abstimmung über den Antrag der BundesrätInnen Dr. Andrea Eder-Gitschthaler, Karl Bader, Korinna Schumann, Monika Mühlwerth, Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 der Geschäftsordnung des Bundesrates zum Thema „Eine neue Kultur des Miteinander. Änderung der nationalen und internationalen Rahmenbedin­gungen nach COVID-19.“.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag ihre Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Das ist Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag auf Abhaltung der gegenständlichen Enquete ist angenommen.

Hinsichtlich des Termins, der Tagesordnung und des Teilnehmerkreises für die soeben beschlossene Enquete darf ich auf den bereits allen Mitgliedern des Bundesrates zugegangenen Selbständigen Antrag 279/A-BR/2020 verweisen.

Die Tagesordnung ist erschöpft.

18.51.52Verlesung eines Teiles des Amtlichen Protokolls


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Es liegt mir das schriftliche Verlangen von fünf Mitgliedern des Bundesrates vor, das Amtliche Protokoll hinsichtlich der Tages­ordnungspunkte 4 und 5 zu verlesen, damit dieser Teil des Amtlichen Protokolls mit Schluss der Sitzung als genehmigt gilt.

Ich werde daher so vorgehen und verlese nunmehr diesen Teil des Amtlichen Protokolls:

„Tagesordnungspunkt 4:


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 164

Bundesrätin Elisabeth Mattersberger bringt eine Druckfehlerberichtigung Beilage 4/I ein.

Abstimmung:

Berichterstattung: Antrag, keinen Einspruch zu erheben, wird angenommen (mit Stim­meneinhelligkeit).

Tagesordnungspunkt 5:

Die Bundesräte Wolfgang Beer, Kolleginnen und Kollegen bringen den Entschließungs­antrag Beilage 5/1 EA ein.

Abstimmung:

Berichterstattung: Antrag, keinen Einspruch zu erheben, wird angenommen (mit Stim­meneinhelligkeit).

Der Entschließungsantrag Beilage 5/1 EA wird abgelehnt.“

*****

Erheben sich Einwendungen gegen die Fassung oder den Inhalt dieses verlesenen Teils des Amtlichen Protokolls? – Das ist nicht der Fall.

Das Amtliche Protokoll gilt daher hinsichtlich der Tagesordnungspunkte 4 und 5 gemäß § 64 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates mit Schluss dieser Sitzung als genehmigt.

18.53.10Einlauf und Zuweisungen


Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Ich gebe noch bekannt, dass seit der letzten beziehungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt fünf Anfragen, 3800/J-BR-2020 bis 3804/J-BR-2020, eingebracht wurden.

Eingelangt ist der Antrag 280/A(E)-BR/2020 der Bundesräte Günther Novak, Kollegin­nen und Kollegen betreffend „keine Abwälzung der EU-Plastikabgabe auf Steuerzah­lerInnen statt Plastikhersteller“, der dem Umweltausschuss zugewiesen wird.

Weiters eingelangt ist der Antrag 281/A(E)-BR/2020 der Bundesräte Mag. Dr. Michael Schilchegger, Kolleginnen und Kollegen betreffend „abschreckende Sanktionen in schweren Fällen absichtlicher Tierquälerei und Tierfolter“, der dem Justizausschuss zugewiesen wird.

*****

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Weg erfolgen. Als Sitzungstermin wird Donnerstag, der 5. November 2020, 9 Uhr, in Aussicht genommen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen insbesondere jene Beschlüsse in Betracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit diese dem Einspruchs­recht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Ausschussvorberatungen sind für Dienstag, den 3. November 2020, 14 Uhr, vorge­sehen.

Ich bedanke mich wieder bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundes­rats­kanzlei für die Vorbereitung und Unterstützung dieser Sitzung. (Allgemeiner Beifall.)


BundesratStenographisches Protokoll913. Sitzung, 913. Sitzung des Bundesrates am 8. Oktober 2020 / Seite 165

Ich wünsche Ihnen ein gutes Nachhausekommen – bleiben Sie gesund! – und freue mich, wenn wir uns am 5. November wiedersehen.

Diese Sitzung ist geschlossen.

18.55.05Schluss der Sitzung: 18.55 Uhr

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