Parlament Österreich

 

 

 

Stenographisches Protokoll

 

 

 

 

 

42. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

 

XXVI. Gesetzgebungsperiode

 

Freitag, 19. Oktober 2018

 


Stenographisches Protokoll

42. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

XXVI. Gesetzgebungsperiode                 Freitag, 19. Oktober 2018

Dauer der Sitzung

Freitag, 19. Oktober 2018:   9.00 –   9.02 Uhr

                                                                                                  12.03 – 14.55 Uhr

*****

Inhalt

Personalien

Verhinderungen ................................................................................................................ 4

Ordnungsruf ..................................................................................................................... 6

Geschäftsbehandlung

Unterbrechung der Sitzung ............................................................................................ 6

Verlangen des Abgeordneten Mag. Jörg Leichtfried auf Erteilung eines Ord­nungs­rufes                          63

Bundesregierung

Vertretungsschreiben ....................................................................................................... 4

Ausschüsse

Zuweisungen .................................................................................................................... 4

Dringliche Anfrage

der Abgeordneten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend „Mit Europa spielt man nicht: Das heimliche Verlängern der Grenzkontrollen durch die Bundesregierung Kurz kostet Freiheit und Zukunft für alle Bürger_innen.“ (2042/J)                         6

Begründung: Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES ......................................................... 14

Bundesminister Mag. Gernot Blümel, MBA .............................................................. 18

Debatte:

Dr. Nikolaus Scherak, MA ...................................................................................... ..... 24

Dr. Reinhold Lopatka ............................................................................................. ..... 29

Mag. Andreas Schieder .......................................................................................... ..... 31

Mag. Roman Haider ................................................................................................ ..... 33


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Dr. Peter Pilz ........................................................................................................... ..... 35

Josef Schellhorn ..................................................................................................... ..... 38

Eva-Maria Himmelbauer, BSc ................................................................................ ..... 39

Mag. Jörg Leichtfried ............................................................................................. ..... 41

Dr. Susanne Fürst ................................................................................................... ..... 42

Dr. Alma Zadić, LL.M. ................................................................................................... 45

Douglas Hoyos-Trauttmansdorff .......................................................................... ..... 46

Dipl.-Ing. Nikolaus Berlakovich ............................................................................. ..... 48

Josef Muchitsch ...................................................................................................... ..... 49

Josef A. Riemer ....................................................................................................... ..... 50

Dipl.-Ing. (FH) Martha Bißmann ............................................................................ ..... 52

Dr. Irmgard Griss .................................................................................................... ..... 53

Nurten Yılmaz .......................................................................................................... ..... 55

Mag. Johann Gudenus, M.A.I.S. ............................................................................ ..... 56

Doris Margreiter ...................................................................................................... ..... 57

Efgani Dönmez, PMM ............................................................................................. ..... 61

Karl Nehammer, MSc ................................................................................................... 63

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Rücknahme der unverhältnismäßig einge­setzten Kontrollen an der österreichischen Staatsgrenze“ – Ablehnung .....................................................................................  27, 65

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Andreas Schieder, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Untätigkeit der Bundesregierung bei der Wiederher­stel­lung von Reisefreiheit in Europa“ – Ablehnung  59, 65

Eingebracht wurden

Anfragen der Abgeordneten

Claudia Gamon, MSc (WU), Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Stärkung von Frontex (2032/J)

Doris Margreiter, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort betreffend Digitalisierungsagentur (2033/J)

Nurten Yılmaz, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Landes­vertei­digung betreffend Befragung der Grundwehrdiener zur inneren und sozialen Lage 2018 und daraus resultierende Rechtsfragen (2034/J)

Mag. Dr. Wolfgang Zinggl, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inne­res betreffend Rückforderungen illegal ausbezahlter Gelder (2035/J)

Mario Lindner, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betref­fend Personalsituation der Polizei im Bezirk Liezen (2036/J)

Douglas Hoyos-Trauttmansdorff, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung betreffend Unklarheiten im Rahmen der Sprachförderung an Schulen (2037/J)

Douglas Hoyos-Trauttmansdorff, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Landesverteidigung betreffend Maßnahmen des Verteidigungsministers im Bereich Cyberdefense (2038/J)


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Ing. Maurice Androsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Tiertransportkontrollen (2039/J)

Ing. Maurice Androsch, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Nach­haltigkeit und Tourismus betreffend Tiertransporte und unnötiges Tierleid (2040/J)

Ing. Maurice Androsch, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend Tiertransporte und unnötiges Tierleid (2041/J)

Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend „Mit Europa spielt man nicht: Das heimliche Verlängern der Grenzkontrollen durch die Bundesregierung Kurz kostet Freiheit und Zukunft für alle Bürger_innen.“ (2042/J)

Anfragebeantwortungen

der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz auf die Anfrage der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen (1515/AB zu 1531/J)

*****

des Präsidenten des Nationalrates auf die Anfrage der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen (14/ABPR zu 16/JPR)

 

 

 

 


 


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09.00.28Beginn der Sitzung: 9.00 Uhr

Vorsitzende: Präsident Mag. Wolfgang Sobotka, Dritte Präsidentin Anneliese Kitzmüller.

*****


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Meine sehr geehrten Damen und Herren Abge­ordnete, ich darf Sie recht herzlich begrüßen und eröffne die 42. Sitzung des Natio­nalrates, die aufgrund eines ausreichend unterstützten Verlangens gemäß § 46 Abs. 6 des Geschäftsordnungsgesetzes einberufen wurde.

Als verhindert gemeldet sind die Abgeordneten Tanja Graf, Nikolaus Prinz, Mag. Maria Smodics-Neumann, Mag. Peter Weidinger, Walter Bacher, Klaudia Friedl, Gabriele Heinisch-Hosek, Mag. Christian Kern, Hermann Krist, Birgit Silvia Sandler, Mag. (FH) Ma­xi­milian Unterrainer, Hans-Jörg Jenewein, MA, Dr. Brigitte Povysil, Ing. Mag. Volker Reifenberger, Peter Schmiedlechner, Mag. Philipp Schrangl und Claudia Gamon, MSc (WU).

09.01.07Vertretung von Mitgliedern der Bundesregierung


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Für den heutigen Sitzungstag hat das Bun­des­kanzleramt über die Vertretung von Mitgliedern der Bundesregierung folgende Mit­tei­lung gemacht:

Bundeskanzler Sebastian Kurz wird durch den Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien Mag. Gernot Blümel, MBA vertreten und der Bundesminister für Lan­desverteidigung Mario Kunasek durch die Bundesministerin für Europa, Integration und Äußeres Dr. Karin Kneissl.

09.01.24Einlauf und Zuweisungen


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Hinsichtlich der eingelangten Verhandlungs­ge­genstände und deren Zuweisungen verweise ich gemäß § 23 Abs. 4 der Geschäfts­ordnung auf die im Sitzungssaal verteilte Mitteilung.

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:

A. Eingelangte Verhandlungsgegenstände:

1. Schriftliche Anfragen: 2032/J bis 2042/J

2. Anfragebeantwortung: 1515/AB

Anfragebeantwortung (Präsident des Nationalrates):

14/ABPR

B. Zuweisungen in dieser Sitzung:

zur Vorberatung:

Ausschuss für Arbeit und Soziales:

Pensionsanpassungsgesetz 2019 – PAG 2019 (293 d.B.)


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Finanzausschuss:

Antrag 408/A der Abgeordneten Petra Bayr, MA MLS, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Umsatzsteuergesetz 1994 (UStG 1994) ge­ändert wird

Ausschuss für Forschung, Innovation und Digitalisierung:

Bundesgesetz, mit dem das Patentamtsgebührengesetz geändert wird (278 d.B.)

Bundesgesetz, mit dem das Markenschutzgesetz 1970 geändert wird (294 d.B.)

Gesundheitsausschuss:

Antrag 405/A der Abgeordneten Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc, Mag. Gerald Loacker, Daniela Holzinger-Vogtenhuber, BA, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Bundesgesetz über das Herstellen und Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen sowie die Werbung für Tabak­erzeugnisse und verwandte Erzeugnisse und den Nichtraucherinnen- bzw. Nicht­raucher­schutz (Tabak- und Nichtraucherinnen- bzw. Nichtraucherschutzgesetz - TNRSG) geändert wird

Kulturausschuss:

Antrag 407/A(E) der Abgeordneten Mag. Selma Yildirim, Kolleginnen und Kollegen betreffend Maßnahmen zur Verhinderung von Machtmissbrauch und sexueller Gewalt in Kulturinstitutionen

Ausschuss für Land- und Forstwirtschaft:

Bundesgesetz, mit dem das Bundesämtergesetz geändert wird (300 d.B.)

Antrag 406/A der Abgeordneten Erwin Preiner, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Bundesämter für Landwirt­schaft und die landwirtschaftlichen Bundesanstalten (Bundesämtergesetz) geändert wird

Verfassungsausschuss:

Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz, das Übergangsgesetz vom 1. Oktober 1920, in der Fassung des B. G. Bl. Nr. 368 vom Jahre 1925, das Bundesver­fassungsgesetz betreffend Grundsätze für die Einrichtung und Geschäftsführung der Ämter der Landesregierungen außer Wien, das Bundesforstegesetz 1996, das Daten­schutzgesetz, das Bundesgesetzblattgesetz, das Niederlassungs- und Aufenthalts­ge­setz und das Bundesgesetz über die Europäische Ermittlungsanordnung in Verwal­tungs­strafsachen geändert werden (301 d.B.)

*****


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf bekannt geben, dass die Sitzung von ORF 2 von 12 Uhr bis 13 Uhr übertragen wird. ORF III wird die Sitzung in voller Länge live übertragen.

09.01.41Ankündigung einer Dringlichen Anfrage


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Klub der NEOS hat gemäß § 93 Abs. 2 der Geschäftsordnung das Verlangen gestellt, die am Beginn der Sitzung eingebrachte schriftliche Anfrage 2042/J der Abgeordneten Mag. Meinl-Reisinger, MES, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend „Mit Europa spielt man nicht: Das heim-


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liche Verlängern der Grenzkontrollen durch die Bundesregierung Kurz kostet Freiheit und Zukunft für alle Bürger_innen.“ dringlich zu behandeln. (Abg. Höbart: Sie werden das heute klären, wo das so wichtig ist!)

Der Aufruf der Dringlichen Anfrage wird um 12 Uhr erfolgen.

*****

Ich darf darauf hinweisen, dass der Außenpolitische Ausschuss um 10 Uhr im Lokal 5 und der Finanzausschuss um 10 Uhr im Lokal 7 zusammentreten werden.

Ich darf die Sitzung bis 12 Uhr unterbrechen.

09.02.33*****

(Die Sitzung wird um 9.02 Uhr unterbrochen und um 12.03 Uhr wieder aufgenom­men.)

*****


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf und begrüße Sie alle recht herzlich, insbesondere auch die Gäste auf der Galerie und zu Hause vor den Fernsehgeräten.

12.03.33*****

Bevor wir zur Behandlung der Dringlichen Anfrage kommen, erteile ich aufgrund des Stenographischen Protokolls der gestrigen Sitzung Herrn Abgeordnetem Hafenecker für den Zwischenruf: „Die ist keine Jungfrau ...!“, einen Ordnungsruf.

12.03.45Dringliche Anfrage

der Abgeordneten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend „Mit Europa spielt man nicht: Das heimliche Verlängern der Grenzkontrollen durch die Bundesregierung Kurz kostet Freiheit und Zukunft für alle Bürger_innen.“ (2042/J)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir gelangen zur dringlichen Behandlung der schriftlichen Anfrage 2042/J.

Da diese inzwischen allen Abgeordneten zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch die Schriftführung.

Die Dringliche Anfrage hat folgenden Wortlaut:

Begründung

Die Bundesregierung Kurz plant, mit November 2018 ohne öffentliche Debatte und ohne Not erneut die „temporären“ Grenzkontrollen an der österreichischen Grenze zu verlängern. Das bedeutet, sie schränkt eine der vier Grundfreiheiten der Europäischen Union – den freien Personenverkehr – ohne jegliche öffentliche Diskussion darüber ein. Diese ist eine der augenscheinlichsten Errungenschaften der europäischen Einigung. Gleichzeitig werden freier Dienstleistungs- und freier Warenverkehr aus und nach Österreich durch die Entscheidungen der Bundesregierung eingeschränkt. Die Folgen


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dieses völlig unverhältnismäßigen Einschnitts in die Freiheit der Bürger_innen sind jedoch weitreichend für Wirtschaft, die Verwendung von Steuergeld und die Personen­freizügigkeit jedes einzelnen Österreichers und jeder einzelnen Österreicherin. ÖVP und FPÖ tragen Schritt für Schritt jene Freiheiten und Rechte ab, die durch jahr­zehntelange Bemühungen der Europäischen Union für die Bürgerinnen und Bürger erreicht wurden. Sie bauen eine Mauer um Österreich und schotten uns ab.

Europarechtswidrige und unverhältnismäßige Verlängerung der Grenzkontrollen

Der Schengenraum ist eigentlich ein Gebiet ohne Binnengrenzen und entsprechende Kontrollen an diesen. Gemäß dem Schengener Grenzkodex (Art. 25 ff. VO 2016/399) ist es den Schengen-Staaten in absoluten Ausnahmesituationen gestattet, temporär und nur bei ernsthafter Bedrohung der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung, Grenzkontrollen an den nationalen Grenzen einzuführen. Das Schengen-Abkommen macht klar, dass von dieser Möglichkeit nur in einer absoluten Notsituation als letztes Mittel Gebrauch gemacht werden darf, denn es geht dabei um die Ein­schränkung der Freiheit von Bürgerinnen und Bürgern. Der Text des Abkommens besagt: „Die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen darf in Umfang und Dauer nicht über das Maß hinausgehen, das zur Bewältigung der ernsthaften Bedrohung unbedingt erforderlich ist.“

Die Kontrollen an den österreichischen Binnengrenzen bestehen nun seit 2015. Sie wurden ursprünglich mit Verweis auf die Lage in Griechenland und Deutschland damit begründet, dass der Schutz der EU-Außengrenze nicht intakt sei und auf Empfehlung der Kommission und des Rates eingeführt. Ende 2017 war eine weitere Verlängerung der Kontrollen mit dieser Begründung nicht mehr möglich. Seitdem beruft sich die österreichische Bundesregierung auf die „Sicherheitslage in Europa“ und Sekundär­migration. Mit diesem Hinweis verlängerte Österreich die Kontrollen seither bereits zweimal um jeweils sechs Monate. Der Bundesminister für Inneres hat gegenüber Medien (APA, 13.9.18) und auch dem Parlament (Aktuelle Europastunde, 26.9.18) argumentiert, dass eine Aufhebung der 2015 eingeführten Grenzkontrollen erst erfolgen könne, wenn der Schutz der Außengrenzen tatsächlich funktioniere. Dies ist irritierend, da es sich weder mit der bisherigen offiziellen Begründung Österreichs deckt, noch mit Artikel 25 des Schengener Grenzkodexes vereinbar ist.

Walter Obwexer, Europarechtsexperte an der Universität Innsbruck, weist daraufhin, dass Mitgliedstaaten Kontrollen gemäß Schengener Grenzkodex nur vorübergehend und bis zu einer Dauer von zwei Jahren einführen dürfen und diese einmalig um 6 Monate verlängern dürfen (ORF Tirol,12.09.18). Diese Zeit ist für Österreich im Mai 2018 abgelaufen. Auch der Asyl- und Europarechtsexperte Jorrit Rijpma von der Uni­versität Leiden nannte die zeitgleich stattfindenden deutschen Kontrollen an der Grenze zu Österreich illegal, da die Fristen im Mai 2018 ausgeschöpft waren (SZ, 23.06.18). Experten zufolge ist also sowohl Österreichs Verlängerung der Kontrollen von Mai 2018 bis November 2018, als auch die im Raum stehende neuerliche Ver­längerung im November 2018 auf weitere sechs Monate, illegal.

Die Öffentlichkeit und das Parlament werden über die Vorgänge bezüglich der Verlän­gerung im Dunkeln gelassen. Abgesehen von einer Absichtserklärung des Innenminis­ters fand keine öffentliche oder parlamentarische Debatte über eine etwaige Verlän­gerung der Grenzkontrollen statt. Es ist nicht bekannt, wie sich die Bundesregierung untereinander und auf europäischer Ebene diesbezüglich abstimmt.

Fatale Folgen für die Wirtschaft

Ein Wiederaufziehen der nationalen Grenzen im Schengenraum wirkt sich auf direktem Wege negativ auf die Wirtschaft aus. Experten gehen von hohen Kosten aus, die durch Wartezeiten an den Grenzen verursacht werden: Pönalezahlungen bei Lieferverzöge-


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run­gen, ausbleibende Touristen und andere Hindernisse für Unternehmer, etwa die Notwendigkeit einer Personalverdoppelung z.B. bei Buschauffeuren und LKW-Fahrern, aufgrund geltender Arbeitszeitbeschränkungen. Kontrollen an den österreichischen Grenzen führen zu vermehrten Verkehrsstaus und großen Zeitverlusten für privat oder beruflich Reisende. Sie sind ein Hindernis für die Arbeitskräftemobilität und eine Behin­derung für jedes Unternehmen, das grenzüberschreitend Dienstleistungen anbietet. Die Bundesregierung verursacht diesen finanziellen Schaden entweder völlig bewusst oder mangels einer Folgenabschätzung der gesetzten Maßnahme.

Die Wirtschaftskammer bezifferte den Schaden für die Transportwirtschaft 2017 auf­grund der bisherigen Grenzkontrollen an einigen Grenzübergängen mit mindestens 3,2 Millionen Euro pro Stunde (WKÖ „Die Kosten von Nicht-Schengen“, Juli 2018). Mehr als die Hälfte des österreichischen Wohlstands wird im Ausland erwirtschaftet, mehr als die Hälfte der österreichischen Wertschöpfung basiert auf Export. Der Großteil der österreichischen Exporte entfällt auf EU-Staaten bzw. andere Schengen-Länder. Das deutsche ifo-Institut hat errechnet, dass Kontrollen an allen Schengengrenzen das Handelsvolumen um 4,25 Prozent schrumpfen lassen würden und das BIP um 790 Mio. bis 1,96 Mrd. niedriger wäre (ifo „Handelseffekte von Grenzkontrollen“, März 2016).

Negative Effekte der Grenzkontrollen und Wartezeiten an den österreichischen Gren­zen betreffen besonders den Tagestourismus. Mit 565 Staus im Sommerreiseverkehr, einem Plus von 12,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr, bilanzieren die ÖAMTC-Mobi­litätsinformationen den Sommerreiseverkehr 2018. Diesen Daten zufolge waren für beinahe 10 Prozent der Staus die Grenzkontrollen verantwortlich. Auch für den längs­ten Stau der Sommerreisesaison – 28 Kilometer vor der Grenze am Walserberg – waren Grenzkontrollen die Ursache. Von den 97 Millionen Übernachtungen, die Nicht-Österreicher jährlich hierzulande buchen, entfallen 82 Millionen auf andere Mitglied­staaten. Touristennächtigungen sind nach der Schengen-Erweiterung beträchtlich ange­stie­gen und werden nun zu einem Teil Opfer der Angstpolitik der Bundes­regierung. In Grenzregionen leidet besonders der Schitourismus unter Rückgängen. Schätzungen für Westösterreich gehen von einem Rückgang zwischen 10 und 30 Prozent aus, wobei nicht alle Gebiete gleich stark betroffen sind.

Der Salzburger ÖAMTC-Direktor Erich Lobensommer weist darauf hin, dass derart lange Wartezeiten nicht nur den Autofahrern Nerven koste, sondern auch zum Scha­den von Anrainern und der Umwelt allgemein seien. „Wir ersparen uns letzten Endes die gesamte Diskussion über Stickoxide, ob 80 oder 100 auf der Autobahn, denn im Stau wird ein Vielfaches davon emittiert“, sagte Lobensommer.

Unverhältnismäßiger Mehraufwand für Steuerzahler aufgrund von teurem Grenzeinsatz durch österreichische Sicherheitskräfte

Teuer und völlig unverhältnismäßig ist auch der 2015 als Konsequenz der beschlos­senen Grenzkontrollen gestartete Assistenzeinsatz des Österreichischen Bundes­heeres an der Süd- und Ostgrenze Österreichs. Dieser kostete laut einer Anfragebeantwortung des Verteidigungsministers bisher 125,6 Mio. Euro. Über 50 Bedienstete der Militär­kommandos erhielten seit Beginn des Assistenzeinsatzes Einsatzzulagen von jeweils mehr als 50.000 Euro brutto. Insgesamt sind über 800 Soldaten aus sechs Assistenz­kompanien das ganze Jahr über im Assistenzeinsatz tätig. Zusätzlich sind selbst­verständlich auch noch Sicherheitskräfte der Österreichischen Bundespolizei im Einsatz.

Der finanzielle Aufwand steht in keiner Relation zu den Zahlen der illegalen Grenz­über­tretungen aus Ungarn und Slowenien, wo die österreichischen Grenzkontrollen be­stehen. 2018 kommt auf einen im Assistenzeinsatz an der Grenze eingesetzten Soldaten nicht einmal ein aufgegriffener Flüchtling. Angesichts dieser Zahlen ist es


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völlig unglaubwürdig, von einer Bedrohung für die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit zu sprechen, die die Verlängerung von Grenzkontrollen rechtfertigen würde.

Schaden für das Ansehen Österreichs während der Ratspräsidentschaft und Spaltung der Gesellschaft

Mehr als die Hälfte der Ratspräsidentschaft Österreichs ist nun vorbei. Die österreichi­sche Bundesregierung fiel bisher vor allem durch Fototermine in Tracht und außen­politische Eklats, wie etwa der berühmte Knicks der Außenministerin vor dem russi­schen Präsidenten, auf. Der österreichische Politikwissenschaftler Anton Pelinka drückte es folgendermaßen aus: „Die Ratspräsidentschaft wird wie eine gewaltige PR-Veranstaltung für die Wiener Regierung aufgezogen (und ein wenig auch für die EU). Auf der einen Seite werden Bundeskanzler Sebastian Kurz, sein Vize Heinz-Christian Strache und ihre Ministerriege den Wählern zu demonstrieren versuchen, über welch beeindruckendes europapolitisches Gewicht sie verfügen. Europa höre ihnen zu – ihnen, den Wächtern über die Balkan- und andere Migrationsrouten“ (Die Zeit, 25.6.18).

Die EU-Kommission drängt bereits seit Anfang des Jahres auf ein möglichst baldiges Ende der Grenzkontrollen. Innenkommissar Dimitris Avramopoulos sagte bereits da­mals, er werde nationalen Grenzkontrollen „nicht für immer“ zustimmen und: „Wir müs­sen zügig zur normalen Funktionsweise des Schengen-Systems zurückkehren. Die Wiedereinführung dauerhafter Grenzkontrollen im Schengen-Raum wäre ein schwerer Rückschlag.“ Es gehe nicht nur um die Reisefreiheit, sondern auch das Gefühl der EU-Staaten, zusammenzugehören, statt von einander abgeschottet zu sein (APA, 19.4.18).

Die Aufgabe der österreichischen Bundesregierung während ihres Ratsvorsitzes wäre es, im Sinne des Zusammengehörigkeitsgefühls zu argumentieren, mit gutem Beispiel voranzugehen und die vier Grundfreiheiten der Union im Sinne aller EU-Bürger_innen zu verteidigen. Ihr einziger „Erfolg“ hingegen war bisher, die Freiheiten der Unions­bürger und Unionsbürgerinnen einzuschränken und einer Politik der Angstmache und der Exklusion in ganz Europa Tür und Tor zu öffnen und sie salonfähig zu machen. Statt Allianzen mit Kräften einzugehen, die ein starkes, zukunftsfittes und nach außen hin einiges Europa vorantreiben wollen, schließt man sich mit den Spaltern und Hin­derern der europäischen Einigung zusammen. Dieser Regierung liegt es nur daran, weiterhin eine innere Bedrohung zu suggerieren und damit die Einschränkung der Freiheit der Bürger_innen zu rechtfertigen. Die Spaltung der Gesellschaft ist die Luft, die diese Regierung zum Atmen braucht. Über die Folgen für die Österreicherinnen und Österreicher und deren Geldbörse macht man sich offenbar keine Gedanken.

Aus diesem Grund stellen die unterfertigenden Abgeordneten folgende

Dringliche Anfrage

Formeller Entscheidungsprozess

1. Auf welche Vorschriften der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parla­ments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) stützt die Bundesregierung die erneute Verlängerung der Grenzkontrollen an Binnengrenzen des Schengen-Raums im November 2018?

2. Laut Art 25 Abs 1 Schengener Grenzkodex können Kontrollen für höchstens 30 Tage angeordnet werden, nach Abs 3 können diese um weitere 30 Tage verlängert werden, nach Abs 4 können sie anschließend bis zu einem Maximum von sechs Mo-


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naten verlängert werden. Warum wird von der Bundesregierung eine Verlängerung direkt für sechs Monate angeordnet, obwohl dies nicht dem Unionsrecht entspricht?

3. Wie kommt die Bundesregierung zu Ihrer Ansicht, dass das erneute Anordnen der Grenzkontrollen alle sechs Monate (im November 2017, dann im Mai 2018, jetzt im November 2018) rechtskonform ist?

a. Namhafte Europarechtsexperten widersprechen dieser Ansicht (Obwexer et al., siehe Begründung). Worin unterscheidet sich die Analyse der Bundesregierung von der dieser Experten und welche Experten hat die Bundesregierung herangezogen, um zu einer Entscheidung zu kommen?

4. Wann, wie und in welcher Form hat die Bundesregierung darüber entschieden, ob über November 2018 hinausgehend Grenzkontrollen an Binnengrenzen des Schengen-Raumes durchzuführen sind?

a. Sehen Sie die Frage des freien Personenverkehrs als eine der "grundsätzliche[n] Angelegenheiten der Mitgliedschaft Österreichs bei der Europäischen Union", die laut Bundesministeriengesetz iVm den Erlässen des Bundespräsidenten zu Bundes­minis­ter_innen im BKA in den Verantwortungsbereich des Bundeskanzlers fällt? Wenn nein, warum nicht?

b. Waren Sie als Bundeskanzler in die Entscheidungsfindung involviert? Wenn ja, in welcher Form? Wenn nein, warum nicht?

c. Wann wurden Sie als Bundeskanzler vom Innenminister über seine Pläne, die Grenzkontrollen über November 2018 hinausgehend zu verlängern, informiert?

d. Wurde das Thema im Ministerrat besprochen? Wenn ja, wann und in welcher Form? Wenn nein, warum nicht?

e. Wenn es eine Abstimmung zwischen den relevanten Regierungsmitgliedern dazu gab, wurde im Rahmen dieser auch eine mögliche Beendigung der Grenzkontrollen besprochen? Wenn ja, welche Argumente gegen ein Ende der Kontrollen wurden Ihnen vorgebracht und welche dafür? Wie hat die Abwägung diesbezüglich stattgefunden?

5. Der zuständige EU-Kommissar Avramopoulos gab Anfang des Jahres an, mit all jenen Staaten in engem Kontakt zu sein, die Kontrollen an ihren Grenzen aufrecht­erhalten. Fanden im Vorfeld der Entscheidung Gespräche mit der Europäischen Kommission zum Thema statt?

a. Wie hat sich die Kommission Ihnen oder anderen Mitgliedern der Bundesregierung gegenüber über die beabsichtigte Verlängerung der Grenzkontrollen geäußert?

b. Wie gestaltete sich der Dialog mit der Kommission dieses Jahr bezüglich der Grenz­kontrollen bisher generell?

6. Ist diese Verlängerung der Grenzkontrollen vorerst die letzte, vorausgesetzt, es kommt nicht zu einer echten Notsituation?

a. Was muss sich konkret verändern, damit künftig auf Grenzkontrollen verzichtet wird? Welche Indikatoren sind dafür relevant und wer hat diese wie festgelegt?

Nachbarstaaten

7. Gemäß Artikel 27 Abs 5f findet mindestens zehn Tage vor Wiedereinführung der Grenzkontrollen eine „Konsultation, gegebenenfalls einschließlich gemeinsamer Sit­zungen zwischen dem Mitgliedstaat, der die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen beabsichtigt, den anderen Mitgliedstaaten, insbesondere jenen, die von der solchen Maßnahmen unmittelbar betroffen sind, und der Kommission“ statt. Gibt es


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bereits einen Termin für diese Konsultationen? Wenn ja, wann finden diese statt und wer nimmt an diesen teil? Wenn nein, warum nicht?

a. Wann fanden Konsultationen zur letzten Verlängerung der Kontrollen im Mai 2018 statt? Was wurde von wem besprochen und worauf wurde sich verständigt?

8. Das slowenische Innenministerium reagierte öffentlich äußerst irritiert auf die Ankündigung Österreichs, weiterhin Grenzkontrollen an der österreichisch-sloweni­schen Grenze durchführen zu wollen. Sie teilten mit: „Diese Maßnahme ist ungerecht­fertigt und unverhältnismäßig, was auch die Statistiken bestätigen. Diese zeigen, dass keine Gefahr von sekundärer Migration und erst recht keine Gefährdung der internen Sicherheit Österreichs besteht“ (APA/STA, 28.09.18). Inwiefern fließen die Bedenken der Nachbarstaaten (insbesondere Sloweniens) in die Überlegungen zur Verlängerung der Grenzkontrollen ein?

a. Wie beurteilen Sie diese Einschätzung der Situation vonseiten der Slowenen?

b. Gab es ein Gespräch mit Slowenien über die geplante Fortführung der Grenzkon­trollen? Wenn ja, wann und worauf wurde sich verständigt? Wenn nein, warum nicht?

c. Gab es solche Gespräche mit Ungarn? Wenn ja, wann und worauf wurde sich verständigt? Wenn nein, warum nicht?

d. Wird es zukünftig solche Gespräche geben? Wenn ja, von wem und wann? Wenn nein, warum nicht?

9. Wie stehen Sie als Bundeskanzler zu den Kontrollen Deutschlands an der deutsch-österreichischen Grenze?

a. Haben Sie mit Ihrer deutschen Amtskollegin Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel über die etwaige Verlängerung der Grenzkontrollen gesprochen? Wenn ja, wann und worauf wurde sich verständigt? Wenn nein, warum nicht?

b. Hat ein anderes Mitglied der Bundesregierung, insbesondere der Innenminister, Gespräche mit seinem/ihrer deutschen Amtskollegen/in diesbezüglich geführt? Wenn ja, wer, wann und worauf wurde sich verständigt? Wenn nein, warum nicht?

c. Wird es zukünftig solche Gespräche geben? Wenn ja, von wem und wann? Wenn nein, warum nicht?

Mitteilung sowie grundsätzliche Bedingungen

10. Wann und in welcher Form wurde der Europäischen Kommission und den anderen Mitgliedsstaaten mitgeteilt, dass Österreich im November 2018 wieder Grenzkontrollen an den Binnengrenzen durchführen wird?

11. Der Innenminister nennt in seinen öffentlichen Auftritten immer wieder den „fehlen­den Außengrenzschutz“ und das „Sicherheitsgefühl der österreichischen Bevölkerung“ (zuletzt APA, 12.10.18) als Gründe für die Verlängerung der Grenzkontrollen. Diese entsprechen nicht den Vorgaben nach Art 25 Schengener Grenzkodex. Sind die im Schreiben an Kommission und Mitgliedstaaten vorgebrachten, anderen Gründe ledig­lich vorgeschoben, um die Unrechtmäßigkeit der Grenzkontrollen zu verschleiern? Beruht die weitere Verlängerung der Grenzkontrollen in Wahrheit auf dem „Sicher­heitsgefühl der österreichischen Bevölkerung“ und nicht auf einer ernsthaften Bedro­hung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit iSd Art 25 (1)?

12. Das uns vorliegende Schreiben des Innenministers enthält „die Bezeichnungen der zugelassenen Grenzübergangsstellen“, wie in Art 27 Abs 1 lit c Schengener Grenz­kodex verlangt, nicht. Wie lauten diese?


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13. Nach welchen Gesichtspunkten wurde entschieden, an welchen Grenzen Kon­trollen stattfinden sollen und an welchen nicht? Welche Indikatoren wurden dabei ver­wendet und wer legte diese fest?

a. Warum wird an der Grenze zu Italien nicht kontrolliert?

14. Kontrollen werden nur als "letztes Mittel" wiedereingeführt. Welche weiteren Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um eine Wiedereinführung der Grenzkontrollen zu vermeiden?

a. Wie wurde diese evaluiert?

b. Warum waren bzw. sind diese nicht ausreichend?

15. Der Innenminister argumentiert in seinem Schreiben, dass nur Binnengrenz­kon­trollen „den österreichischen Grenzkontrollorganen das Instrument der Zurückweisung in den Nachbarstaat ermöglichen“. Warum können laut Ansicht der Bundesregierung polizeiliche Kontrollen in Grenznähe, die seit jeher auch im Schengenraum üblich sind und laut Art 23 Schengener Grenzkodex bzw. § 35 Abs 1 Z 6f SPG explizit vorgesehen sind, diesen Zweck nicht erfüllen?

16. Der Innenminister argumentiert in seinem Schreiben, dass „der Schmuggel von Tatmitteln (z.B. Waffen vom Westbalkan)“ ein „weiteres immanentes Sicherheitsrisiko“ darstellt und Grenzkontrollen hier einen Sicherheitsgewinn bringen. Wie viele und welche „Tatmittel“ wurden in der Zeit von (a) 12.11.17-11.5.18 und (b) seit 12.5.18 an der (i) österreichisch-slowenischen Grenze und (ii) österreichisch-ungarischen Grenze sichergestellt?

17. Art 26 Schengener Grenzkodexes erfordert eine Bewertung durch den Mitglieds­staat, inwieweit mit einer derartigen Maßnahme der Bedrohung der öffentlichen Ord­nung oder der inneren Sicherheit gegebenenfalls voraussichtlich angemessen begegnet werden kann und ob die Verhältnismäßigkeit zwischen der Maßnahme und der Bedrohung gewahrt ist. Der Innenminister gibt in seinem Schreiben dazu lediglich bekannt, Österreich werde „die Kontrollmodalitäten so gestalten, dass diese der Bedrohungslage gegenüber verhältnismäßig sind und den grenzüberschreitenden Reise- und Warenverkehr möglichst wenig nachteilig beeinträchtigen“.

a. Der genannte Artikel verlangt die Bewertung der voraussichtlichen Auswirkungen jeglicher Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit, ein­schließlich als Folge von terroristischen Zwischenfällen oder Bedrohungen sowie durch die organisierte Kriminalität. Wie wurde hierbei vorgegangen? Welche Indikatoren wurden dabei verwendet und wer legte diese fest? Und was war das Ergebnis?

b. Der genannte Artikel verlangt ebenfalls die Bewertung der voraussichtlichen Aus­wirkungen, die diese Maßnahme auf den freien Personenverkehr innerhalb des Raums ohne Kontrollen an den Binnengrenzen haben wird. Wie wurde hierbei vorgegangen? Welche Indikatoren wurden dabei verwendet und wer legte diese fest? Und was war das Ergebnis?

c. Wie wurde die Bewertung der Verhältnismäßigkeit zwischen Maßnahme und Bedrohung durchgeführt? Welche Indikatoren wurden dabei verwendet und wer legte diese fest? Und was war das Ergebnis?

d. Wie wurden die Auswirkungen auf Ordnung und Sicherheit und die Auswirkungen auf den freien Personenverkehr miteinander verglichen? Welche Indikatoren wurden dabei verwendet und wer legte diese fest? Und was war das Ergebnis?

Berichtspflicht


Nationalrat, XXVI.GPStenographisches Protokoll42. Sitzung, 19. Oktober 2018 / Seite 13

18. Gemäß Art 33 legt der Mitgliedstaat, der die Kontrollen an seinen Binnengrenzen durchgeführt hat, dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission innerhalb von vier Wochen nach Aufhebung der Kontrollen an den Binnengrenzen einen Bericht über die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen vor, in dem insbesondere die erste Bewertung und die Einhaltung der in den Artikeln 26, 28 und 30 genannten Kriterien, die Durchführung der Kontrollen, die praktische Zusam­menarbeit mit den benachbarten Mitgliedstaaten, die Auswirkungen auf den freien Personenverkehr und die Wirksamkeit der Wiedereinführung der Kontrollen an den Binnengrenzen, einschließlich einer Ex-post-Bewertung der Verhältnismäßigkeit der Wiedereinführung der Grenzkontrollen, dargestellt werden. Österreich hat seit 2016 in fünf konsekutiven Perioden Grenzkontrollen nach Artikel 25ff durchgeführt: (i) 12.11.16-12.02.17, (ii) 11.02.17-11.05.17, (iii) 11.05.17-11.11.2017, (iv) 12.11.17-12.05.18, (v) 12.05.18-11.11.18;

a. Wurde für die Perioden (i)-(iv) jeweils ein Bericht übermittelt? Wenn nein, warum nicht?

i. Wurden diese veröffentlicht? Wenn ja, wo? Bitte um Übermittlung. Wenn nein, warum nicht?

b. Wird für die Periode (v) ein Bericht erstellt? Wenn ja, wann wird dieser fertiggestellt? Wenn nein, warum nicht?

i. Wird dieser Bericht veröffentlicht? Wenn ja, wann und wo? Wenn nein, warum nicht?

Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft, insbesondere den Tourismus

19. Wie hoch schätzen Sie die Kosten für die österreichische Wirtschaft auf Grund der von Österreich durchgeführten Grenzkontrollen? Bitte um Aufschlüsselung nach Bundesland und Jahr.

a. Wie hoch schätzen Sie die Kosten für die österreichische Wirtschaft auf Grund der von Deutschland durchgeführten Grenzkontrollen? Bitte um Aufschlüsselung nach Bundesland und Jahr.

b. Welche Folgen haben die aktuellen Personenkontrollen Ihrer Information nach für das Handelsvolumen?

20. Gab bzw. gibt es eine insgesamte und alle relevanten Ressorts beinhaltende Folgenabschätzung für die Wirtschaft, insbesondere den Tourismus? Wenn ja, von welchen Folgen geht man für die nächsten sechs Monate für die einzelnen Bun­desländer (bitte um Aufschlüsselung) aus? Wenn nein, warum nicht?

21. Gab es im Vorfeld der Grenzkontrollenverlängerung einen Austausch mit Vertretern der Wirtschaft, um mögliche Auswirkungen zu diskutieren? Wenn ja, wann und mit wem? Wenn nein, warum nicht?

22. Welchen Umfang hat der Schaden, den die Wirtschaft durch die bisherigen Grenz­kontrollen seit 2015, nahm? Bitte um nach Bundesland und Jahr.

23. Wie groß ist der Rückgang der Übernachtungen sowie der Schaden am Tages­tourismus Ihrer Information nach? Bitte um nach Bundesland, Jahr und Volumen der dadurch entgangenen Einnahmen.

Auswirkungen auf die Umwelt

24. Durch vermehrte Staus, die durch die Grenzkontrollen verursacht werden, kommt es auch zu einer stärkeren Umweltbelastung. Gab es eine Erhebung der Folgen, die diese Grenzkontrollen auf die Umwelt haben? Wenn ja, zu welchem Schluss ist man


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gekommen? Wenn nein, warum nicht? Bitte um Aufschlüsselung nach Bundesland und Jahr.

25. Wie entwickelten sich Emissionen, v.a. Stickoxide, Feinstaub und CO2 an von den österreichischen oder deutschen Grenzkontrollen betroffenen Verkehrshotspots in Österreich seit 2015? Bitte um Aufschlüsselung nach Bundesland, Messstelle und Jahr.

26. Wurden seitens der Bundesregierung kompensatorische Maßnahmen gesetzt, um die zusätzliche Belastung auszugleichen? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? Bitte um Aufschlüsselung nach Bundesland und Jahr.

Verwaltungsaufwand, Personal und Kosten

27. Welcher zusätzliche Verwaltungsaufwand entstand durch die Einführung der nationalen Grenzkontrollen? Bitte um Aufschlüsselung nach Bundesland und Jahr.

28. Wie viele Bedienstete des Innenministeriums sowie anderer Ressorts sind mit der Abwickelung der Grenzkontrollen beschäftigt (inkl. Polizeibeamte, die überwiegend bei Grenzkontrollen eingesetzt sind)? Bitte um Aufschlüsselung nach Bundesland, Ressort und Jahr.

a. Welche Kosten verursacht dies? Bitte um Aufschlüsselung nach Bundesland, Res­sort und Jahr.

In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage im Sinne des § 93 Abs 2 GOG-NR zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu behandeln und dem Erstanfragesteller Gelegenheit zur mündlichen Begründung zu geben.

*****


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf Frau Abgeordneter Meinl-Reisinger als erster Fragestellerin zur Begründung der Anfrage, die gemäß § 93 Abs. 5 der Ge­schäftsordnung 20 Minuten nicht überschreiten darf, das Wort erteilen. – Bitte, Frau Abgeordnete.


12.04.12

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Ja, warum haben wir die heutige Sondersitzung verlangt und eine Dringliche Anfrage einge­bracht? (Abg. Wöginger: Eine gute Frage! – Abg. Winzig: Dass ihr medial auch vorkommt! – Abg. Neubauer: Warum eigentlich? – Weitere Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.) – Weil, wenn wir das nicht thematisiert hätten, tatsächlich ohne öffentliche Debatte und, wie ich auch ausführen werde, ohne Not ein Ausnahmezustand zum Normalzustand erhoben worden wäre und hier tatsächlich, wenn wir das nicht thematisiert hätten, still und heimlich diese Grenzkontrollen verlängert worden wären. Ja, tatsächlich still und heimlich, denn es gab eine kurze Debatte dazu im Ausschuss, öffentlich gab es nichts, und wenn wir nicht diese Sondersitzung verlangt hätten, hätte, davon bin ich überzeugt, Innenminister Kickl nicht den Schritt an die Öffentlichkeit gemacht und gesagt, dass er jetzt diesen Brief abschickt.

Ich bin aber überzeugt davon, dass das eine Entscheidung ist, die eine übergeordnete Tragweite hat, die nicht nur sozusagen eine kurze Mitteilung an die Kommission be­inhalten darf, sondern tatsächlich eine öffentliche Debatte in diesem Haus, in Öster­reich, ja in ganz Europa braucht.


Nationalrat, XXVI.GPStenographisches Protokoll42. Sitzung, 19. Oktober 2018 / Seite 15

Die Grenzkontrollen zu verlängern, ist eine sehr einschneidende Frage. Das ist eine einschneidende Frage für die Menschen, die tagtäglich im Stau stehen – Frau Abge­ordnete Steger, Sie kennen offensichtlich niemanden in einer Grenzregion oder Pend­lerinnen und Pendler, die tagtäglich im Stau stehen, da Sie den Kopf schütteln, die tun sich tatsächlich mit dem Pendeln schwer –, und es schränkt auch die Freiheit ein. Es ist eine entscheidende Frage für die Wirtschaft in der Grenzregion, die durch Warte­zeiten massiven Schaden erleidet und die mit Mehrkosten zu kämpfen hat – auf ge­naue Zahlen werde ich noch eingehen. (Abg. Rädler: ... völlig fremd!) Es ist aber auch eine entscheidende Frage für das vereinte Europa an sich, von dem wir überzeugt sind, dass es den Weg in die Herzen der Menschen finden muss.

Ich habe vor einiger Zeit mit meinem Vater über Europa gesprochen und darüber, wie wesentlich dieser Schritt Österreichs in das vereinte Europa für mich als jungen Menschen immer war. Ich habe gesagt, es fehlt ein Narrativ, das letztlich auch die Herzen der Menschen erreicht. Und er hat zu mir gesagt: Na ja, ich würde sagen: Ich bin Wiener im Herzen, ich bin Österreicher im Bauch und ich bin Europäer im Kopf. – Das mag zwar ganz vernünftig sein, aber es zeigt, dass wir tatsächlich Schwierigkeiten haben, mit diesem Projekt des vereinten Europas die Herzen der Menschen zu gewinnen.

Wenn Sie aber fragen, was es ist, was die Menschen an Europa schätzen, dann hören Sie einen Satz sehr oft: dass ich mich frei bewegen kann, dass ich nicht mehr an der Grenze stehe, dass ich in Europa dort leben, arbeiten, studieren kann, wo ich möchte, und dass ich nicht mehr aufgrund von Passkontrollen bei jedem Grenzübertritt so­zusagen stundenlange Wartezeiten in Kauf nehmen muss. (Abg. Wurm: Keine Sicherheitskontrollen am Flughafen mehr?)

Die offenen Binnengrenzen sind eine Errungenschaft: Die Menschen haben dadurch mehr Freiheit. Die Wirtschaft gerade in der Grenzregion hat begonnen zu florieren. Ich glaube, Sie können sich sicher noch an die geschlossenen Grenzen erinnern und daran, wie trostlos, würde ich einmal sagen, es durchaus in einigen dieser Regionen war. (Abg. Zanger: Respektvoll ...!) – Ich habe sehr viele gute Gespräche auch im Waldviertel geführt, und ich glaube, die Leute wünschen sich dort nicht mehr die geschlossenen Grenzen zurück, da bin ich mir ziemlich sicher. (Abg. Deimek: Aber zu Deutschland war auch eine Grenze ...!)

In Notsituationen, bei ernsthaften Bedrohungen kann man diese Grenzkontrollen wie gesagt wieder einführen. Ich zitiere hier Artikel 23 des Vertrages, in dem in Absatz 1 steht:

„(1) Im Falle einer schwerwiegenden Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit kann ein Mitgliedstaat ausnahmsweise nach dem in Artikel 24 festgelegten Verfahren oder in dringenden Fällen nach dem in Artikel 25 festgelegten Verfahren für einen begrenzten Zeitraum von höchstens 30 Tagen oder für die vorhersehbare Dauer der schwerwiegenden Bedrohung“ – bla, bla, bla – „wieder Grenzkontrollen einführen.“

Es muss also eine schwerwiegende Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit sein. Sie ernennen hier eine Notsituation – und das sagen alle Zahlen –, die nicht mehr gegeben ist, zur Norm. Sie erheben sozusagen die Krise zum Normalzustand, und es wird Sie nicht verwundern, dass namhafte Europarechts­expertinnen und -experten – um nur einen davon zu zitieren: Walter Obwexer von der Universität Innsbruck – darauf hinweisen, dass es rechtswidrig, eindeutig rechtswidrig ist, diese permanente Grenzkontrollverlängerung und diese Bedrohungsszenarien auf­rechtzuerhalten, obwohl die nüchternen Zahlen etwas ganz anderes sagen. Das heißt, Sie brechen hier bewusst europäisches Recht. – Das möchte ich nicht! (Beifall bei den NEOS.)


Nationalrat, XXVI.GPStenographisches Protokoll42. Sitzung, 19. Oktober 2018 / Seite 16

Sie stellen sich damit auch bewusst oder unbewusst gegen ein vereintes Europa als Raum der Freiheit (Abg. Rädler: Landeshauptmann Niessl!), der Sicherheit und des Rechts. All das setzen Sie aufs Spiel, weil Sie es zum Geschäftsmodell dieser Bun­desregierung erhoben haben (Abg. Hauser: So ein Blödsinn! Das ist so ein Blödsinn! Genieren Sie sich!), Bedrohungsszenarien zu suggerieren, Ängste zu schüren und so sozusagen immer auf dem einen Thema draufzubleiben.

Das erinnert mich ein bisschen an einen Sicherheitstürenverkäufer, der bunte Bilder von aufgebrochenen Türen, leer geräumten Wohnungen und verängstigten Opfern zeigt, um den Absatz sozusagen anzukurbeln. Das ist Ihr Geschäftsmodell. Seien Sie so ehrlich und geben Sie es wenigstens zu! (Zwischenruf des Abg. Deimek.)

Wer die Grundfreiheiten Europas infrage stellt, stellt damit ganz Europa infrage, die Basis des vereinten Europas, unseren Wohlstand, unseren Frieden, diesen Raum des Friedens, der Freiheit und auch der Sicherheit. Und ich möchte schon eines sagen: Diese Einschränkung der Grundfreiheiten oder dieses Immer-wieder-Verlangen, dass Grundfreiheiten eingeschränkt werden, das ist jetzt nicht etwas, was nur sympto­matisch für diese Bundesregierung oder für eine rechtskonservative nationalistische Regierung ist, das höre ich auch immer wieder von linker Seite. Ich erinnere daran, dass die SPÖ, dass Christian Kern in seinem Plan A die Einschränkung der Arbeit­nehmerfreizügigkeit auch als klaren Punkt gehabt hat. (Ruf: Aber zu Recht! – Beifall des Abg. Rädler.)

Das heißt, in diesem Fall sozusagen treffen sich Rechts wie Links in Populismus und Protektionismus und letztlich in der nationalen Abschottung. Da schließt sich der Kreis der Rückwärtsgewandten, könnte man sagen. Wer aber untertags den Populismus groß macht und in der Nacht von Protektionismus träumt, der wird mit Nationalismus aufwachen. (Beifall bei den NEOS.)

All diesen Leuten sage ich: Mit Europa spielt man nicht! Wehret den Anfängen! Was Sie da bewusst aufs Spiel setzen, ist unser gemeinsames Europa als Europa des Raumes – ich sage es noch einmal – der Freiheit, des Friedens, der Sicherheit und auch des Wohlstands. Wenn wir geschlossene Grenzen als Normalzustand akzep­tieren, droht uns der Verlust der Freiheit. (Abg. Hauser: Also den Verlust der Freiheit, das müssen Sie einmal erklären!) Das hat etwas mit Arbeitsplätzen zu tun, das hat etwas mit Wachstum zu tun, das hat mit der Freiheit zu tun – arbeiten zu können, wo man will, studieren zu können, wo man will, leben zu können, wo man will – und das hat mit den Lebensrealitäten ganz, ganz vieler Menschen zu tun.

Reden Sie eigentlich mit Tourismusbetrieben in der Grenzregion, wie die darunter leiden, dass es diese Kontrollen gibt, wie die Luft dort verpestet wird, wie dort wieder Lkw-Kolonnen stehen, wie es den Menschen geht, die am Weg in die Arbeit aufgrund der Grenzkontrollen stundenlang im Stau stehen? (Anhaltende Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.) Wenn alles, was Ihnen dazu einfällt, ein höhnisches Lachen ist, dann bitte ich, das den betroffenen Pendlerinnen und Pendlern persönlich zu übermitteln, denn die werden Sie dann wenigstens auch ordentlich etwas heißen. (Abg. Wurm: Der Kollege Strolz war besser!) Das muss man wirklich einmal sagen. (Abg. Belakowitsch: Ziemlich schwach, die Rede!)

Es gibt eine Studie der Wirtschaftskammer, die sagt, dass schon jetzt 2,5 Millionen Euro am Tag – am Tag, hören Sie gut zu, Wirtschaftskompetenz ÖVP! –, 2,5 Millionen Euro am Tag vernichtet werden, Kosten durch diese Grenzkontrollen entstehen. (Abg. Hauser: ... weltfremd! – Weitere Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.) Laut dieser Studie der Wirtschaftskammer Österreich – und das ist wirklich kein Hort des Liberalismus oder der NEOS, das muss man sagen – könnten diese Kosten auf bis zu 8,5 Millionen Euro ansteigen. Das sind in einem Jahr 2,1 Milliarden Euro, die Sie da vernichten.


Nationalrat, XXVI.GPStenographisches Protokoll42. Sitzung, 19. Oktober 2018 / Seite 17

(Zwischenrufe der Abgeordneten Rädler und Deimek.) – Wo ist da jetzt Ihre Wirt­schafts­freundlichkeit? Wie schaut es mit Ihrem Bekenntnis zum Wirtschaftsstandort aus? – Ich höre nichts. (Abg. Rädler: Absturz! – Weitere Rufe: Absturz! – Abg. Loacker – in Richtung ÖVP und FPÖ –: Das brüllen Sie schon fünf Jahre lang!) Ich höre nichts!

Das Argument, solange die Außengrenzen nicht ausreichend geschützt sind oder kon­trolliert werden, müssen wir die Grenzen schließen, ist keines. Erstens sprechen die Zahlen eine andere Sprache, nämlich dass Maßnahmen sehr wohl Früchte zeigen, und zweitens stelle ich die Frage: Wer ist denn eigentlich im Moment Ratsvorsitzender? Wer hat denn eigentlich die Aufgabe, entschlossen für eine gemeinsame europäische solidarische Lösung und auch für ein gemeinsames Vorgehen in puncto Kontrolle der Außengrenzen einzutreten? – Das ist Österreich, das ist diese Bundesregierung, das ist Ihre Verantwortung.

Ich weiß, es ist nicht nur Österreich, das Grenzkontrollen einführt, aber auch da hätte ich mir eine ganz andere Haltung erwartet, nämlich eine klare proeuropäische Haltung, eine entschlossene Haltung, ein Aufeinander-Zugehen im Bilateralen wie auch am europäischen Verhandlungstisch. Genau diese Frage, ob wir nicht längst die Zeit der aktuellen Bedrohung überwunden haben und es wieder Zeit ist, Europa zurück in die Herzen zu bringen und die Grenzen zu öffnen (Abg. Deimek: Wenn Sie uns erklären können ...!), das wäre Ihre Verantwortung als angeblich proeuropäische Partei gewesen! (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

Es sind aber Marketingaktionen, die Sie setzen, übrigens Marketingaktionen genauso wie die Grenzkontrollen selbst. Ich weiß nicht, Sie lachen immer so höhnisch (in Richtung ÖVP und FPÖ), aber haben Sie mit Menschen aus den Regionen ge­sprochen? (Abg. Rädler: Sie nicht! Zwischenrufe der Abgeordneten Schwarz, Winzig und Wöginger sowie bei Abgeordneten der FPÖ.) Sie wissen, wie das dort abläuft? (Weitere anhaltende Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.) Ja, Sie wissen, wie das abläuft? Das heißt, das ist so: Die Hauptroute wird kontrolliert und die Neben­straßen nicht, und so weichen Pendlerinnen und Pendler – Gott sei Dank, das ist ein Segen sozusagen für Pendlerinnen und Pendler – aus, außer es passiert etwas, es gibt einen Unfall oder es bleibt ein Lkw hängen oder Ähnliches, dann ist nämlich auch die Nebenroute zu. (Zwischenruf des Abg. Wöginger.)

Die Leute fühlen sich gefrotzelt, im wahrsten Sinne des Wortes gefrotzelt. (Zwischenruf der Abg. Schwarz.) Das können Sie Aussagen entnehmen wie zum Beispiel: Ja glaubt denn eigentlich wirklich irgendeiner, dass hier etwaige Schlepper in Kastenwägen über die Autobahn kommen? (Zwischenruf des Abg. Amon.) – Das ist doch völlig illusorisch, und es zeigt, dass das ein Schmäh ist, was Sie da machen (Abg. Rosenkranz: Wo leben Sie denn! weitere anhaltende Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ), ein Schmäh, der nur Sicherheit suggerieren will und in Wahrheit nichts anderes tut, als die Menschen und die Wirtschaft zu belasten. (Abg. Wöginger: Österreich ist größer wie der 1. Bezirk, ja!) Ich wohne eh nicht im Ersten.

Warum ist dieser Angriff auf die Personenfreizügigkeit so dramatisch? Was Sie tun, ist nicht nur die Wiedereinführung von Grenzkontrollen, Sie schließen damit nicht nur Grenzen – Sie geben Freiheiten auf, Sie stellen Freizügigkeiten infrage, Sie nehmen den Menschen Freiheit, Sie nehmen der Wirtschaft Freiheit! Sie treffen sie – und das sage ich noch einmal – mitten ins Herz, denn wenn Sie fragen: Was ist positiv an der Europäischen Union?, dann hören Sie: dass ich mich frei bewegen kann, dass ich nicht an der Grenze warten muss! (Abg. Deimek: ... Unkenntnis der Lage ...!) Es gibt ganz wenige Momente, in denen man als Mensch spürt, was eigentlich sozusagen der Mehrwert ist, in denen es nicht nur graue Theorie und Zahlen sind.


Nationalrat, XXVI.GPStenographisches Protokoll42. Sitzung, 19. Oktober 2018 / Seite 18

Das alles setzen Sie aufs Spiel und spielen damit das Spiel der Nationalisten, der Rechtspopulisten, auch der Rechtsextremen, die das alles zerstören wollen. Sie schaffen damit eine Stimmung, die antieuropäisch ist. (Beifall bei NEOS und SPÖ.) Sie schaffen damit eine Stimmung, die sagt: Schaut her, dieses Europa ist nicht handlungsfähig, und weil es nicht handlungsfähig ist – wir setzen uns auch gar nicht dafür ein –, müssen wir jetzt auf nationaler Ebene in Notsituationen Maßnahmen treffen! – Das ist wirklich unverantwortliche Politik. Das ist keine Politik in Richtung einer zukunftsgewandten positiven europäischen offenen Politik und schon gar keine für die nächste Generation. (Abg. Winzig: Ein Wahnsinn! – Zwischenruf des Abg. Rädler.)

Ich bin tatsächlich in einer Zeit aufgewachsen, in der Politiker es als etwas Tolles empfunden haben, Grenzen zu öffnen, Grenzzäune zu zerschneiden, auch dass die Balken aufgehen. Da gab es sogar ÖVP-Wahlplakate. Lange, lange ist es her. (Abg. Neubauer: Da waren Sie noch selber bei der ÖVP. Weitere Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.) – Jetzt feiern Sie sich dafür ab, dass Sie Grenzen schließen, dass Sie kontrollieren, dass Sie Abschottungen vornehmen, dass Sie nationalistische Allein­gänge machen; und das Ganze – und das sage ich noch einmal – ohne triftigen Grund.

Statt wirklich eine Allianz mit Pro-Europäern zu schmieden (Abg. Rädler: Pro-Euro­päer! Schade um den Strolz!), die sagen, wir schaffen es, eine positive Stimmung für Europa und ein handlungsfähiges Europa in den wesentlichen Zukunftsfragen zu schaffen (Ruf: Die Schuhe sind Ihnen zu groß, vom Strolz!) – denn das ist in Wahrheit das Entscheidende für uns und für die nächste Generation –, sind Sie hier in einer Allianz mit nationalistischen rechtspopulistischen Kräften, die an diesem gemeinsamen europäischen Weg nicht interessiert sind, und das wissen Sie (Abg. Hauser: Das glauben Sie selber nicht! Schlechte Rede!), die Feindbilder schüren, die vor zwei Jahren gegen die EU kampagnisiert haben, die vor einem Jahr gegen die UNO kampagnisiert haben und jetzt gegen Vielfalt in der Gesellschaft kampagnisieren (Abg. Belakowitsch: Und jetzt gegen die NEOS!), weil es das ist, was diese Kräfte nicht aushalten: Vielfalt, Meinungsvielfalt, Internationalität, offene Gesellschaft. (Abg. Deimek: Wir haben im Salzkammergut ...!)

Das alles ist die Politik, der Sie hier Vorschub leisten, und das will ich nicht! (Beifall bei den NEOS.)

Wir NEOS kämpfen für die Grundfreiheiten in Europa als tragende Säulen unseres gemeinsamen Europas (Ruf bei der FPÖ: Können wir den Strolz wiederhaben?), wir NEOS kämpfen für eine Politik der Lösungen, der Chancen und auch der Hoffnung statt der Angst und der Angstmache und der Panikmache und der Bedrohungs­sze­narien. Wir kämpfen für ein handlungsfähiges, ein solidarisches, ein wirklich solida­risches Europa, das sich den großen Zukunftsfragen gemeinsam stellt und keine nationalen Alleingänge macht. Wir kämpfen um ein starkes Österreich in einem vereinten Europa, denn wer Österreich liebt, muss europäisch denken. Vielen Dank. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

12.19


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf die Schüler der HTL Fürstenfeld, die auf Einladung des Herrn Abgeordneten Schandor hier sind, recht herzlich in unserem Hohen Haus begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)

Zu Wort gemeldet ist Bundesminister Blümel. – Bitte.


12.19.35

Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien im Bundeskanzleramt Mag. Gernot Blümel, MBA: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen


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und Herren Abgeordneten! Hohes Haus! Liebe Frau Klubobfrau, liebe Beate Meinl-Reisinger! Wir kennen uns ja jetzt schon eine Zeit lang und haben auch eine Zeit lang gemeinsam im Wiener Rathaus Politik gemacht. So groß die Differenzen inhaltlich auch manchmal waren, habe ich dich im Normalfall doch als relativ sachorientierte Politikerin kennengelernt. (Abg. Meinl-Reisinger: Aber heute?) Wenn ich mir den Titel dieser Dringlichen Anfrage ansehe, dann ist diese Sachlichkeit irgendwo am Weg vom Rathaus ins Parlament verloren gegangen, denn man kann gar nicht anders, als diesen Titel als polemisch, linkspopulistisch und zutiefst antieuropäisch zu definieren. (Beifall bei ÖVP und FPÖ. – Abg. Meinl-Reisinger: Linkspopulistisch – das hat mir noch niemand gesagt!) Ich kann auch gerne ausführen, warum, das ist nämlich wirklich augenscheinlich.

In diesem Titel wird eine heimliche Verlängerung der Grenzkontrollen attestiert. Also zunächst einmal ist spätestens seit 2015 in der Migrationsdebatte nichts mehr heimlich, und das ist auch gut so. Im Übrigen beklagt sich die Opposition regelmäßig darüber – so wie du auch gerade in deiner Rede –, dass dieses Thema allgegenwärtig im Handeln der Bundesregierung sei, und insofern widerspricht das schon dem Aspekt der Heimlichkeit. (Abg. Loacker: ... Intellektualität ist bescheiden!)

Drittens: Offizieller und transparenter als die Bundesregierung diese Kontrollen an­gekündigt hat, kann man es auch gar nicht machen: Diesen Sommer hat der Innen­minister der Kommission in mehreren Schreiben mitgeteilt, dass Österreich genau das intendieren wird. Man sieht das, wenn man sich die Medienberichte der letzten Monate – „Standard“ und andere – ansieht, und rund um den Innenministerrat in Österreich hat der Innenminister ganz klar gesagt, dass die Grenzkontrollen natürlich aufrecht bleiben müssen, bis es einen effektiven Außengrenzschutz in Europa gibt – das ist vollkommen klar.

Am 10.10.2018 ist die offizielle Ankündigung von Österreich an Brüssel gegangen – das ist im Übrigen zum 13. Mal passiert –, und wir haben das genauso getan wie zum Beispiel Deutschland, die das am 12.10. zum wiederholten Mal gemacht haben, wie Schweden, die das am 14.10. gemacht haben, wie Dänemark, die das am 12.10. nach Brüssel gemeldet haben, wie Frankreich, die das am 2.10. nach Brüssel gemeldet haben, und wie Norwegen, die das am 12.10. nach Brüssel gemeldet haben. (Zwischenruf des Abg. Neubauer.) Darin einen Akt der Heimlichkeit zu sehen, kann man nur dann, wenn man die letzten Monate geschlafen hat, sehr geehrte Frau Klubobfrau! (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

„Mit Europa spielt man nicht“ kommt auch im Titel dieser Dringlichen Anfrage vor. – Ja, aber das tun Sie mit dieser Dringlichen Anfrage. Denn spätestens, wenn man die Zustände an der Grenze 2015 gesehen hat, die Bilder von Tausenden Menschen, die über die Grenze kommen, und vom Polizisten, der daneben steht und de facto nichts tun kann, dann ist das Signal, das davon ausgegangen ist: Masse schlägt Rechtsstaat. Das war die Selbstaufgabe des liberalen Rechtsstaates, der liberalen Rechtsordnung, wie wir sie erkämpft haben.

Jetzt zu sagen, wenn man Grenzkontrollen macht, wäre das antieuropäisch, ist ein absoluter Widerspruch in sich. Die größte Errungenschaft des grenzfreien Europas ist ja, dass diese auch akzeptiert werden. Sie kann nur aufrechterhalten werden, wenn die Menschen Vertrauen in die Europäische Union und in diese Institutionen haben. Spätestens seit diesem Zeitpunkt ist klar, dass es Grenzkontrollen geben muss; wenn nicht außerhalb Europas, dann müssen diese zu einem Teil innerhalb Europas passieren. Wir sind dafür, innerhalb von Europa keine Grenzen zu haben, deswegen arbeiten wir intensiv am Aufbau des europäischen Außengrenzschutzes, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei ÖVP und FPÖ.) Solange es diesen aber nicht in effizienter und effektiver Weise gibt, ist es geradezu unsere Pflicht und unsere


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Verantwortung, in Österreich Vorsorge zu treffen. Alles andere wäre verantwortungslos und würden Sie als Opposition uns natürlich, auch zu Recht, vorhalten. Aber wir tun das eben nicht, wir sorgen vor, falls es wieder schlimmer wird.

Wenn ich Ihnen noch einen Aspekt dazu sagen darf: Es ist notwendig, diese Vorsorge zu treffen, denn die größte Gefährdung des europäischen Projekts ist, wenn die Menschen die Akzeptanz dieses europäischen Projekts und das Vertrauen darin ver­lieren. Das wäre ein großes Problem. (Abg. Meinl-Reisinger: Dann schauen Sie, dass es europäische Lösungen gibt!) – In der Flüchtlingskrise 2015 haben die Menschen das Vertrauen verloren, und deswegen sagen wir: Wehret den Anfängen! Wir brauchen das grenzfreie Europa nach innen, deswegen brauchen wir Außengrenzschutz nach außen! (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Ich habe auch manchmal den Eindruck, dass manche europäische Politiker die Meinung der Menschen, der Bevölkerung in ganz Europa fast ein bisschen ignorieren und vom Tisch wischen, und sagen: Conditio sine qua non – das europäische Projekt muss, egal ob die Menschen es akzeptieren oder nicht, weitergehen. Ich sage Ihnen: Wenn Europa zu einem Projekt der Eliten wird und das Vertrauen und die Akzeptanz in der Bevölkerung verliert, dann wird auch Europa in Zukunft verlieren, und deswegen müssen wir auf die Menschen hören. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Das ist für mich eine der großen Lehren aus dem Brexit. Damals ist etwas Schreck­liches passiert: Großbritannien hat sich dazu entschieden, die Union zu verlassen, und das, obwohl es aus meiner Sicht, aus meiner Lebensgeschichte mit Europa eigentlich eine ständige, lineare Weiterentwicklung gegeben hat und es jeder für unmöglich empfunden hat, dass ein Land die Europäische Union wirklich verlassen würde. Es gibt viele Vorteile – das größte Friedensprojekt et cetera –, und trotzdem ist es passiert.

Die Frage ist: Welche Schlüsse ziehen wir jetzt daraus? Ich kann mich erinnern, am 24. Juni 2016, am Tag nach dem Brexit-Referendum, haben ganz, ganz viele österreichische Politiker gefragt, warum David Cameron hat abstimmen lassen. Warum hat er das getan? – Ich halte allein diese Frage schon für eine Katastrophe, weil sie eine Abgehobenheit von Eliten zeigt, die einfach nicht am Tapet stehen sollte. (Beifall bei ÖVP und FPÖ. – Abg. Meinl-Reisinger: Was reden Sie da? – Abg. Leichtfried: Was ist mit der Abgehobenheit bei ...? – Abg. Erasim: Wie ist das mit dem Nichtraucher­schutz? – Abg. Kuntzl: Wie ist das mit dem Rauchen?) Die wesentlich wichtigere Frage, die zu stellen wäre, ist: Warum haben denn die Menschen dafür abgestimmt, zu gehen?

Wenn wir uns das ansehen und nachfragen, dann sehen wir eindeutig, dass der Aspekt der Migration ein wesentlicher Grund war, warum leider Gottes viele Britinnen und Briten gesagt haben, dass sie gehen wollen. Jetzt auch noch so zu tun, als ob man das europäische Projekt infrage stellen würde, weil man gegen illegale Migration kämpft, ist zutiefst polemisch und antieuropäisch, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Im Übrigen sollten Sie Ihre Lehren aus der jüngsten Geschichte der Europäischen Union gezogen haben. Die letzten drei Jahre sind immer nach einem bestimmten Muster abgelaufen: Vor drei Jahren hat Bundeskanzler Sebastian Kurz, damals noch nicht Bundeskanzler, gesagt, dass es die Notwendigkeit gibt, die Westbalkanroute zu schließen. Er ist dafür vielfach kritisiert worden, auch von Ihnen allen. Und was ist passiert? – Im Nachhinein hat es sich als richtig herausgestellt. (Abg. Loacker: Wenn sie eh geschlossen ist, wozu braucht es dann Grenzkontrollen? – Zwischenruf der Abg. Erasim.)

Kurze Zeit später hat er gesagt, auch die Mittelmeerroute muss geschlossen werden. Damals haben viele: Vollholler, geht nicht, et cetera gesagt, jetzt ist es Common Sense


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in der Europäischen Union, dass man natürlich retten und zurückstellen muss, denn nur so kann man die Migrationsherausforderungen nachhaltig in den Griff bekommen.

Ich rate Ihnen, wenn Sie nicht auch im nächsten Jahr erst im Nachhinein wieder auf die Linie der Bundesregierung umschwenken wollen, das jetzt gleich zu tun. Es würde Ihnen besser anstehen, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei ÖVP und FPÖ. – Ruf bei der SPÖ: Sehr schlechte Rede!)

Wir haben genau aus diesen Gründen den Kampf gegen illegale Migration als eine der Prioritäten des österreichischen Ratsvorsitzes gewählt. Ich bin froh, sagen zu können, dass wir es mit vereinten Kräften geschafft haben, eine Trendwende in der Migra­tionspolitik in ganz Europa zu erwirken. Mittlerweile ist es absolut akzeptiert, dass man natürlich einen guten Außengrenzschutz braucht, mittlerweile ist es absolut akzeptiert, dass ein Retten und Zurückbringen die einzige nachhaltige Lösung ist, und mittlerweile ist auch allgemein akzeptiert, dass man das nur gemeinsam mit den Drittstaaten, mit den Ländern in Nordafrika erreichen kann. (Abg. Leichtfried: Wann kommen Sie eigentlich zu den Fragen?) Diesen Weg werden wir weiter gehen, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei ÖVP und FPÖ. – Abg. Leichtfried: Ein zögerlicher Applaus war das!)

Ich darf nun zur Beantwortung Ihrer Fragen kommen und darf einleitend dazu fest­stellen, dass diese in weiten Teilen den Vollzugsbereich des Bundesministeriums für Inneres betreffen. (Abg. Leichtfried: Ja, und wo ist er? – Abg. Schieder: Im BVT ist er!) Wir werden sie trotzdem so weit wie möglich beantworten.

Zu den Fragen 1 und 2:

Nach dem Schengener Grenzkodex, Artikel 25 Abs. 1 erster Satz, ist einem „Mitglied­staat unter außergewöhnlichen Umständen die Wiedereinführung von Kontrollen [...] für einen begrenzten Zeitraum von höchstens 30 Tagen oder für die vorhersehbare Dauer der ernsthaften Bedrohung, wenn ihre Dauer den Zeitraum von 30 Tagen über­schreitet, gestattet“.

Zur Frage 3:

Die Rechtsmeinung der Bundesregierung deckt sich mit jener von anderen Schengen-Mitgliedstaaten, die ihrerseits Grenzkontrollen wieder einführen. Diese sind Deutsch­land, Dänemark, Norwegen, Schweden und Frankreich.

Zu den Fragen 4, 4d, 4e und 10:

Wie immer hat der zuständige Bundesminister für Inneres die entsprechende Entschei­dung unter Einbindung der anderen betroffenen Mitglieder der Bundesregierung unter Abwägung der rechtlichen und faktischen Optionen vorbereitet und am 10.10. 2018 gemäß Artikel 25 in Verbindung mit Artikel 27 die Wiedereinführung der Grenzkon­trollen an die Europäische Kommission und die anderen Mitgliedstaaten notifiziert.

Zur Frage 4a:

Nein, die Frage des freien Personenverkehrs ressortiert nach dem Bundesministerien­gesetz zum Bundesministerium für Inneres.

Zu den Fragen 4b und 4c:

Ja, der Briefentwurf lag vor und der Bundeskanzler wurde Anfang Oktober informiert.

Zu den Fragen 5, 5a und 5b:

Nach Auskunft des zuständigen Bundesministers für Inneres erfolgen laufend kons­truktive Gespräche mit der Europäischen Kommission. Dazu erfolgte weder gegenüber


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dem BMI noch gegenüber dem Bundeskanzler eine schriftliche Äußerung der Kom­mission.

Zu den Fragen 6 und 6a:

Die Beantwortung dieser Frage ist abhängig von den zukünftigen Entwicklungen. Grundvoraussetzung ist ein funktionierender Außengrenzschutz. Wesentliche Parame­ter liegen im Bereich der irregulären Migration, der terroristischen Bedrohungen sowie der grenzüberschreitenden Kriminalität.

Zu den Fragen 7 und 8c:

Konsultationen mit Ungarn fanden am 12.10. auf Ebene der Grenzpolizei­verant­wort­lichen statt. Slowenien wurde Ende September brieflich zur Terminvereinbarung einge­laden, hat darauf aber noch nicht geantwortet.

Zu den Fragen 7a, 8, 8a und 8b:

Konsultationen mit Ungarn und Slowenien fanden Anfang April 2018 auf Ebene der Grenzpolizeiverantwortlichen im Wege von Videokonferenzen statt. Themen waren die beabsichtigte Wiedereinführung von Grenzkontrollen sowie die Vereinbarung von Maßnahmen zur Schonung des freien Personen- und Warenverkehrs sowie zur Ver­mei­dung von unnötigen Staus.

Die Situation wird von Slowenien politisch anders eingeschätzt. Die Aufhaltezentren auf der griechischen Insel sind überfüllt. Es erfolgen laufend Transporte auf das griechische Festland. Das Schlepperunwesen in der gesamten Westbalkanregion ist weiterhin hochaktiv. Die Westbalkanstaaten sind weiterhin einer hohen Belastung ausgesetzt. Dies manifestiert sich in den Aufgriffszahlen und überfüllten Einrich­tun­gen – zum Vergleich: in Bosnien plus 1 400 Prozent Aufgriffe im Vergleich zu 2017. Auch die Anzahl der Zurückweisungen durch die deutsche Bundespolizei an der öster­reichischen Grenze ist nach wie vor auf einem hohen Niveau.

Zur Frage 8d:

Ja, Gespräche wurden und werden laufend, insbesondere auf Ebene der Grenz­polizeiverantwortlichen, durchgeführt.

Zur Frage 9:

Nationale Grenzkontrollen sollen in einer geeinten Europäischen Union keine dauer­hafte Lösung sein. Grundvoraussetzung ist aber ein effektiver Schutz der EU-Außen­grenzen. Selbstredend werden Gespräche geführt, um die Auswirkungen auf den Personen- und Warenverkehr so gering wie möglich zu halten.

Zur Frage 9a:

Bilaterale Gespräche wurden seitens des Bundeskanzlers mit der deutschen Bundes­kanzlerin geführt. Eine voraussichtliche Verlängerung der Grenzkontrollen seitens Deutschlands wurde damals in Aussicht gestellt. Mittlerweile ist das ja auch erfolgt.

Zu den Fragen 9b und 9c:

Am 4.9.2018 wurde dieses Thema nach Auskunft des zuständigen Bundesministe­riums für Inneres zwischen den Innenministern besprochen.


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Generell stehen die Grenzpolizeiverantwortlichen Deutschlands und Österreichs in per­manentem Austausch, so auch hinsichtlich der bevorstehenden Wiedereinführung der Grenzkontrollen ab 12.11. und auch in Zukunft.

Zur Frage 11:

Die neuerliche Wiedereinführung der Grenzkontrollen ab 12.11.2018 beruht auf einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit im Sinne des Artikels 25 SGK. Grundlage dafür sind Analysen im Bereich der Migration, der Terroris­muslage und der grenzüberschreitenden Kriminalität. Zu ähnlichen Beurteilungen und Schlüssen kamen und kommen auch andere europäische Staaten, die ihrerseits Grenz­kontrollen wiederholt eingeführt haben, wie insbesondere Frankreich, Deutsch­land, Dänemark, Schweden und Norwegen.

Die zugelassenen Grenzkontrollstellen sind der Europäischen Kommission als An­hang IV zum Schengener Grenzkodex notifiziert worden.

Zu den Fragen 13 und 13a:

Aufgrund von laufenden Risikoeinschätzungen und der Rückgänge der Anlandungen in Italien. Als Indikatoren wurden die bereits unter 6a genannten Punkte herangezogen.

Zu den Fragen 14 und 14a:

Es erfolgen verstärkte Polizeikontrollen, wie von der Europäischen Kommission gefor­dert, im grenznahen Raum und an den Transitstrecken. Es erfolgen laufende Risikoein­schätzungen.

Zur Frage 14b:

Aufgrund eines noch nicht hinreichend funktionierenden EU-Außengrenzschutzes.

Zur Frage 15:

Weil eine Einreiseverweigerung nur im Zuge einer Grenzkontrolle erfolgen kann. Zudem wendet Ungarn das Rückübernahmeabkommen mit Österreich seit Beginn der Migrationskrise nicht an. Das heißt Personen, die innerhalb Österreichs aufgegriffen werden, können im Rahmen des Rückübernahmeabkommens nicht mehr an Ungarn übergeben werden.

Zur Frage 16:

Nach Auskunft des zuständigen Bundesministeriums für Inneres kann eine Beant­wor­tung dieser Frage in Anbetracht des dafür erforderlichen hohen Verwaltungsaufwandes und der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit (Ruf bei der SPÖ: Was, ernsthaft?) für die spezifisch genannten Zeiträume nicht erfolgen.

Darüber hinaus verweise ich auf die entsprechenden Risikobeurteilungen durch Europol.

Zu den Fragen 17a und 17d:

Die Indikatoren wurden bereits bei der Beantwortung der Frage 6a angeführt. Das Ergebnis der Risikoeinschätzung war eine Empfehlung zur Wiedereinführung der Bin­nengrenzkontrollen ab 12. November 2018.

Zu den Fragen 18a und 18b:

Seit der ersten Wiedereinführung der Binnengrenzkontrollen im September 2015 wurde monatlich ein Bericht über die Maßnahmen und Fakten zur Wiedereinführung der Bin­nengrenzkontrollen an die Europäische Kommission, an den Rat und an die Mitglied­staaten übermittelt.


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Dies ist weiterhin vorgesehen. Eine Veröffentlichung ist nicht vorgesehen.

Zu den Fragen 19 bis 26:

Nach Auskunft des zuständigen BMDW ist eine detaillierte Aufstellung der Effekte von Grenzkontrollen auf den heimischen Tourismus nicht möglich. Studien kommen aber zu dem Ergebnis, dass geringe Wartezeiten bei gut organisierten Grenzkontrollen zu keiner Beeinträchtigung des Tourismusaufkommens führen. Überdies geht es um eine gesamthafte Bewertung aus Sicht des Staates im Sinne einer Abwägung zwischen der Notwendigkeit der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie anderen Bereichen. Gespräche mit der Wirtschaft werden laufend geführt.

Zur Frage 27:

Der zusätzliche Verwaltungsaufwand ist laut Auskunft des zuständigen Bundesminis­teriums für Inneres geringfügig, da die eingesetzten Polizeibediensteten anstelle von Ausgleichsmaßnahmen schwerpunktmäßig zur Durchführung von Grenzkontrollen herangezogen werden. Es handelt sich daher im Wesentlichen nur um eine inhaltliche und örtliche Aufgabenverschiebung. Eine Aufschlüsselung nach Bundesländern ist in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich gewesen.

Schließlich zur Frage 28:

Laut Auskunft des zuständigen Ressorts werden lagebedingt zur Durchführung der Grenzkontrollen und Grenzüberwachung an den Grenzen zu Ungarn und Slowenien bis zu 600 Polizeibedienstete und bis zu 900 Grenzsoldaten eingesetzt. Eine Auf­schlüs­selung nach Bundesland ist in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich gewesen. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

12.37


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir gehen nun in die Debatte ein.

Ich darf Sie an die Usancen erinnern: 10 Minuten Redezeit, insgesamt 25 Minuten pro Fraktion.

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Scherak. Ich darf ihm das Wort erteilen. (Abg. Hammer: ... zu retten, was zu retten ist!)


12.37.57

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Herr Staatssekretär! Danke, Herr Bundesminister Blümel, für die Antworten oder zumindest den Versuch von Antworten. Mein persönliches Highlight haben Sie jetzt nur sehr leise von sich gegeben: Auf die Frage, inwiefern der Innen­minister nachweisen kann, dass es einen Schmuggel von Tatmitteln, zum Beispiel Waffen, vom Westbalkan gibt und dass das ein weiteres immanentes Sicherheitsrisiko ist, haben Sie gerade gesagt, dass das Innenministerium gar nicht weiß, wie viele Waffen raufgeschmuggelt werden.

Also ich gratuliere dieser Bundesregierung dazu, dass sie Dinge vorschiebt, von denen sie selbst nicht weiß, ob das eigentlich der Fall ist. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Herr Bundesminister, Sie haben gestern im Rahmen einer Veranstaltung gesagt, Sie freuen sich schon auf das Ende der Ratspräsidentschaft. Ich war am Anfang etwas irritiert, denn an und für sich ist die Ratspräsidentschaft – da sind wir uns ja sicher einig – eine Möglichkeit, etwas zu gestalten. Sie haben, und das verstehe ich schon, auch gemeint, dass es um den Arbeitsaufwand geht, dass das anstrengend ist  das ist nachvollziehbar, aber ich sage Ihnen ganz ehrlich: Nach Ihrem Europabekenntnis jetzt bin auch ich froh, dass die österreichische Ratspräsidentschaft bald vorbei ist,


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denn so machen wir uns auf europäischer Ebene lächerlich. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und Liste Pilz.)

Was neu ist – und das ist wirklich neu für eine Ratspräsidentschaft –, ist, dass Sie sich – obwohl Sie ja eigentlich gerade während der Ratspräsidentschaft ein Vorbild für ein gemeinsames Europa sein und federführend daran beteiligt sein sollten, dass wir dieses Europa weiterentwickeln – federführend, in vorderster Reihe daran beteiligen, dass wir unser gemeinsames Europa Schritt für Schritt abbauen und zerstören. Das tun Sie dadurch, dass Sie die Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger konsequent abbauen, und Sie tun es auch noch, ohne irgendeine entsprechende gesetzliche Grundlage zu haben – und das ist auch das, was Sie uns jetzt in der Beantwortung hier gesagt haben.

Ich weiß schon, dass sich die Europäische Kommission momentan schlichtweg nicht traut, die Einhaltung der rechtlichen Gegebenheiten einzufordern. Das ist genau das Gleiche wie das, was wir im Zusammenhang mit den Maastrichtkriterien gehabt haben. Wir haben Ewigkeiten zugeschaut, ein Land nach dem anderen verletzt die Maastricht­kriterien – Bundeskanzler Kurz hat übrigens gestern im Zusammenhang mit Italien zu Recht eingefordert, dass das so nicht weitergehen kann –, aber was die Kommission jetzt leider verabsäumt, ist, dass sie das im Zusammenhang mit den Grenzkontrollen entsprechend einfordert. Ihr Hauptargument, wieso Sie sich an dieser kollektiven Rechtsverletzung beteiligen, war: Die anderen machen es ja auch! (Beifall bei den NEOS.)

Herr Bundesminister, das erinnert mich an diese Geschichte – ich weiß nicht, ob Ihre Mutter Ihnen diese Geschichte auch immer erzählt hat, aber zu mir hat meine gesagt –: Wenn der eine aus dem Fenster springt, dann machen es alle anderen auch?! – Gratuliere der österreichischen Bundesregierung! Die einen verletzen europäisches Recht, ja dann machen wir es einfach auch, denn es ist ja vollkommen egal, ob es rechtskonform ist oder nicht! (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Das ist ja im Übrigen so ein Merkmal der schwarz-blauen Bundesregierung, dass sie grundsätzlich europäische Regeln, europäisches Regelwerk eher nur als Handlungs­empfehlung sieht und das nicht sonderlich ernst nimmt. Wir kennen das Beispiel der Indexierung der Familienbeihilfe: Die Stellungnahme der Kommission ist eindeutig, man müsste sie halt nur lesen. Ich weiß, es gibt dieses Gefälligkeitsgutachten von Professor Mazal (Abg. Rosenkranz: Das ist unerhört!), bei dem ich immer noch nicht verstehe, wieso er sich dafür hergegeben hat. Fakt ist, dass die Kommission hier sehr klar ist.

Herr Professor Rosenkranz – „Herr Professor Rosenkranz“ sage ich schon (Heiterkeit bei NEOS und SPÖ) –, Herr Kollege Rosenkranz, Sie haben ja die Möglichkeit, das politisch zu fordern, das ist ja auch total legitim, das kann man fordern, aber Sie wissen, dass man es auf europäischer Ebene umsetzen muss. Fakt ist aber - - (Abg. Rosenkranz: Bei einem anerkannten Wissenschaftler ein Gefälligkeitsgutachten zu unterstellen ist schon unerhört!) – Na ja, schauen Sie, Herr Kollege Rosenkranz, ich kann nichts dafür, dass die Europäische Kommission, die ja an und für sich als Hüterin der Verträge tätig ist, ganz klar die entsprechende Auslegung macht. (Abg. Rosenkranz: Bleiben Sie beim Herrn Mazal und seinem Gefälligkeitsgutachten!) – Ja, ich finde es traurig, dass Professor Mazal dieses Gutachten geschrieben hat, es ist schlichtweg nichts - - (Abg. Rosenkranz: „Gefälligkeitsgutachten“ haben Sie gesagt!) – Ich habe „Gefälligkeitsgutachten“ gesagt. (Abg. Rosenkranz: Das ist das Unerhörte! Das ist unerhört!) – Na ja, anders kann ich es mir von einem anerkannten Wissenschaftler nicht erklären, es tut mir leid. (Beifall bei NEOS und SPÖ. – Abg. Rosenkranz: Die Reputation eines österreichischen Wissenschaftlers so zu ...!)


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Also, Herr Kollege Rosenkranz, das ist jetzt lustig, dass sich genau Ihre Fraktion jetzt vor die Wissenschaftler wirft (Zwischenruf des Abg. Schellhorn) und sagt: Es ist unglaublich, dass - - (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Ich gebe Ihnen recht, es ist die Formulierung von mir nicht sonderlich nett gewählt, ich entschuldige mich auch hier bei Herrn Professor Mazal für diese Formulierung. Das ändert aber nichts daran, dass das Gutachten meiner Meinung nach absolut nicht haltbar ist. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Rosenkranz: Genügt schon! Passt schon!) Dass sich aber gerade Ihre Fraktion jetzt hierherstellt und die Wissenschaft verteidigt – es sind normalerweise eher bei Ihnen die Leute, die das nicht machen. (Beifall bei NEOS und SPÖ. – Abg. Rosenkranz: Da sind Sie falsch aufgelegt!)

Fakt ist, dass die Europäische Union ein Rechtssystem hat und auch der Schengener Grenzkodex ein entsprechendes Rechtssystem hat, auf das wir uns geeinigt haben. (Rufe und Gegenrufe zwischen Abgeordneten der FPÖ und Abg. Schellhorn.) Ich weiß jetzt nicht, Herr Bundesminister, welches Europarechtsbuch Sie gelegentlich zur Hand nehmen oder ob Sie eines zur Hand nehmen oder wer Sie berät, aber Fakt ist, dass die konsequente Weiterverlängerung der Grenzkontrollen schlichtweg europa­rechtswidrig ist und auch das, was Sie angeführt haben, das dementsprechend bestätigt.

Wenn Sie diese Rechtsgrundlagen – und Sie haben ja zumindest eine oder zwei angeführt – genau lesen, dann wissen Sie, dass es zwei Möglichkeiten gibt. Es gibt den Artikel 25 und den Artikel 29 des Schengener Grenzkodex. Der eine sagt, dass es ein außergewöhnlicher Umstand ist, wenn der Schutz der EU-Außengrenzen – das ist das, worauf wir uns 2015 berufen haben – nicht intakt ist, und deswegen Grenz­kontrollen für maximal zwei Jahre eingeführt werden können. Wenn wir 2015 damit begonnen haben, das ist eine einfache Rechnung, dann sind wir 2017 damit fertig, dann sind zwei Jahre vorbei.

Dann gibt es noch die andere Möglichkeit, nämlich dass nach Artikel 25 Grenz­kontrollen eingeführt werden. Das ist dann der Fall, wenn die innere Sicherheit gefähr­det ist, wenn eine terroristische Bedrohung da ist. Das kann man machen, maximal 30 Tage, und dann insgesamt auf maximal sechs Monate ausweiten. Abgesehen davon, dass der Innenminister die falsche Begründung geliefert hat, wieso er es jetzt weiter ausweiten will, ist es doch Faktum, dass es, wenn man es maximal sechs Monate machen kann und wir 2017 begonnen haben, jetzt nicht mehr möglich sein kann.

Das heißt, es ist ganz klar geregelt, dass wir das nur einmal machen dürfen, mit einer einmaligen Verlängerung – und nicht zweimalig und auch nicht dreimalig, so wie Sie es jetzt vorhaben. Das heißt, Sie nehmen hier ganz bewusst den Rechtsbruch in Kauf, und Ihre einzige Argumentation ist: Die anderen machen es ja auch! – Gratuliere der österreichischen Bundesregierung, das ist eine Argumentation, die mehr als peinlich ist. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Was Sie machen, Herr Bundesminister, und das ist das, was mich so irritiert, ist, dass Sie das ja sehr bewusst machen und dass Sie sehr bewusst in Kauf nehmen, dass die Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger in Europa eingeschränkt werden. Wir halten das für falsch, deswegen bringe ich noch folgenden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES, Kolleginnen und Kollegen betref­fend „Rücknahme der unverhältnismäßig eingesetzten Kontrollen an der österreichi­schen Staatsgrenze“


Nationalrat, XXVI.GPStenographisches Protokoll42. Sitzung, 19. Oktober 2018 / Seite 27

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler und der Bundesminister für Inneres, wird aufgefordert, die angekündigte Verlängerung der Kontrollen an den öster­reichischen Staatsgrenzen sofort zurückzunehmen. Die österreichische Ratspräsident­schaft soll außerdem ihre Verantwortung wahrnehmen, auf eine europäische Einigung zur Rückkehr zum Normalzustand im Schengenraum und damit ein Ende der Binnen­grenzkontrollen hinzuwirken.“

*****

Herr Bundesminister, Sie haben gestern gesagt, als Sie nach dem Brexitreferendum am 24. Juni aufgewacht sind, sind Sie in einer völlig anderen Welt aufgewacht. Ich sage Ihnen etwas: Wenn Sie so weitermachen und weiterhin die Grenzkontrollen verlängern, dann werden Sie irgendwann einmal in einer wirklich völlig anderen Welt aufwachen; dann werden Sie in einem Europa aufwachen, das von Grenzen, von dauerhaften Grenzen und von Unfreiheit dominiert ist. – Wenn Sie das wollen, dann machen Sie genau so weiter! Das ist nicht meine Vision von einem gemeinsamen Europa! (Beifall bei NEOS und SPÖ sowie bei Abgeordneten der Liste Pilz. – Abg. Wittmann: „Gefälligkeitsgutachten“ war nicht so schlimm wie „Professor Rosenkranz“!)

12.45

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES, Dr. Nikolaus Scherak‚ MA, Kolle­ginnen und Kollegen

betreffend Rücknahme der unverhältnismäßig eingesetzten Kontrollen an der öster­reichischen Staatsgrenze

eingebracht im Zuge der Debatte in der 42. Sitzung des Nationalrats über die Dring­liche Anfrage der Abg. Mag. Meinl-Reisinger, MES, Kolleginnen und Kollegen

Durch ein Schreiben an die Europäische Kommission teilte der österreichische Innen­minister im Oktober 2018 mit, dass Österreich die 2015 eingesetzten Kontrollen an der Staatsgrenze Österreichs um weitere sechs Monate verlängern wird. Als Gründe dafür nannte er "nicht ausreichende Stabilität" der Lage bezüglich Sekundärmigration und innerer Sicherheit.

Der Schengenraum ist eigentlich ein Gebiet ohne Binnengrenzen und entsprechende Kontrollen an diesen. Gemäß dem Schengener Grenzkodex (Art. 25 ff. VO 2016/399) ist es den Schengen-Staaten in absoluten Ausnahmesituationen gestattet, temporär und nur bei ernsthafter Bedrohung der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ord­nung, Grenzkontrollen an den nationalen Grenzen einzuführen. Das Schengen-Abkom­men macht klar, dass von dieser Möglichkeit nur in einer absoluten Notsituation als letztes Mittel Gebrauch gemacht werden darf, denn es geht dabei um die Ein­schränkung der Freiheit von Bürgerinnen und Bürgern. Der Text des Abkommens besagt: "Die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen darf in Umfang und Dauer nicht über das Maß hinausgehen, das zur Bewältigung der ernsthaften Bedrohung unbedingt erforderlich ist."

Die von der Bundesregierung vorgebrachten Gründe für die Verlängerung der Grenz­kontrollen konstituieren keine solche Ausnahmesituation. Seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 sind die illegalen Grenzgänge um 95% gesunken. Gleichsam ist


Nationalrat, XXVI.GPStenographisches Protokoll42. Sitzung, 19. Oktober 2018 / Seite 28

die Zahl der Asylanträge in Österreich zuletzt stark zurückgegangen: Von Jänner bis August gab es 9.337 Anträge - nur halb so viele wie in den ersten acht Monaten 2017. Eingeführt wurden die Grenzkontrollen 2015. Damals registrierte Österreich von Jänner bis August noch 46.144 Asylanträge - also fünfmal so viele wie heuer.

Walter Obwexer, Europarechtsexperte an der Universität Innsbruck, weist daraufhin, dass Mitgliedstaaten Kontrollen gemäß Schengener Grenzkodex nur vorübergehend und bis zu einer Dauer von zwei Jahren einführen dürfen und diese einmalig um 6 Monate verlängern dürfen (ORF Tirol,12.09.18). Diese Zeit ist für Österreich im Mai 2018 abgelaufen. Auch der Asyl- und Europarechtsexperte Jorrit Rijpma von der Universität Leiden nannte die zeitgleich stattfindenden deutschen Kontrollen an der Grenze zu Österreich illegal, da die Fristen im Mai 2018 ausgeschöpft waren (SZ, 23.06.18). Experten zufolge ist also sowohl Österreichs Verlängerung der Kontrollen von Mai 2018 bis November 2018, als auch die im Raum stehende neuerliche Verlängerung im November 2018 auf weitere sechs Monate, illegal.

Ein Wiederaufziehen der nationalen Grenzen im Schengenraum wirkt sich auf direktem Wege negativ auf die Wirtschaft aus. Experten gehen von hohen Kosten aus, die durch Wartezeiten an den Grenzen verursacht werden: Pönalezahlungen bei Lieferverzöge­rungen, ausbleibende Touristen und andere Hindernisse für Unternehmer, etwa die Notwendigkeit einer Personalverdoppelung z.B. bei Buschauffeuren und LKW-Fahrern, aufgrund geltender Arbeitszeitbeschränkungen. Kontrollen an den österreichischen Grenzen führen zu vermehrten Verkehrsstaus und großen Zeitverlusten für privat oder beruflich Reisende. Sie sind ein Hindernis für die Arbeitskräftemobilität und eine Behin­derung für jedes Unternehmen, das grenzüberschreitend Dienstleistungen anbietet. Die Bundesregierung verursacht diesen finanziellen Schaden entweder völlig bewusst oder mangels einer Folgenabschätzung der gesetzten Maßnahme.

Die Wirtschaftskammer bezifferte den Schaden für die Transportwirtschaft 2017 auf­grund der bisherigen Grenzkontrollen an einigen Grenzübergängen mit mindestens 3,2 Millionen Euro pro Stunde. Mehr als die Hälfte des österreichischen Wohlstands wird im Ausland erwirtschaftet, mehr als die Hälfte der österreichischen Wertschöpfung basiert auf Export. Der Großteil der österreichischen Exporte entfällt auf EU-Staaten bzw. andere Schengen-Länder. Das deutsche ifo-Institut hat er-rechnet, dass Kon­trollen an allen Schengengrenzen das Handelsvolumen um 4,25 Prozent schrumpfen lassen würden und das BIP um 790 Mio. bis 1,96 Mrd. niedriger wäre.

Negative Effekte der Grenzkontrollen und Wartezeiten an den österreichischen Gren­zen betreffen besonders den Tagestourismus. Mit 565 Staus im Sommerreiseverkehr, einem Plus von 12,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr, bilanzieren die ÖAMTC-Mobi­litätsinformationen den Sommerreiseverkehr 2018. Diesen Daten zufolge waren für beinahe 10 Prozent der Staus die Grenzkontrollen verantwortlich. Von den 97 Millionen Übernachtungen, die Nicht-Österreicher jährlich hierzulande buchen, entfallen 82 Millionen auf andere Mitgliedstaaten. Touristennächtigungen sind nach der Schengen-Erweiterung beträchtlich angestiegen und werden nun zu einem Teil Opfer der Angst­politik der Bundesregierung. In Grenzregionen leidet besonders der Schitourismus unter Rückgängen. Schätzungen für Westösterreich gehen von einem Rückgang zwi­schen 10 und 30 Prozent aus, wobei nicht alle Gebiete gleich stark betroffen sind.

Insgesamt ist durch diese neuerlich verlängerten Kontrollen an den nationalen Grenzen von einem nennenswerten Schaden für die Wirtschaft, Verkehrsbehinderungen, Schä­den an der Umwelt und einer völlig unverhältnismäßigen Einschränkung der Perso­nenfrei­zügigkeit, also einem Schaden für Österreich in vielerlei Hinsicht, auszugehen.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden


Nationalrat, XXVI.GPStenographisches Protokoll42. Sitzung, 19. Oktober 2018 / Seite 29

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler und der Bundesminister für Inne­res, wird aufgefordert, die angekündigte Verlängerung der Kontrollen an den öster­reichischen Staatsgrenzen sofort zurückzunehmen. Die österreichische Ratspräsident­schaft soll außerdem ihre Verantwortung wahrnehmen, auf eine europäische Einigung zur Rückkehr zum Normalzustand im Schengenraum und damit ein Ende der Binnen­grenzkontrollen hinzuwirken."

*****


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ausreichend begründet und unter­stützt und steht mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Lopatka. – Bitte.


12.45.22

Abgeordneter Dr. Reinhold Lopatka (ÖVP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Oberlehrerhaft, weit weg vom Lebensgefühl der Menschen – das ist die neue Doppelspitze der NEOS, so haben Sie sich heute präsentiert, Frau Kolle­gin Meinl-Reisinger und Herr Kollege Scherak! (Beifall bei ÖVP und FPÖ. – Zwischen­rufe der Abgeordneten Meinl-Reisinger und Schieder.)

In einem gebe ich Ihnen recht: Mit Europa spielt man nicht! Da haben Sie recht, wir sehen das genauso. Aber, Kollege Schieder, man spielt auch nicht mit der Sicherheit der Österreicherinnen und Österreicher! Das ist für uns genauso wichtig. (Beifall bei ÖVP und FPÖ. – Abg. Leichtfried: Das glauben ... euch nicht!)

Ja, wir wollen ein Europa, das schützt! Und wenn es die Europäische Union nicht schafft, die Außengrenzen entsprechend zu schützen, dann ist unsere Bundesregie­rung gefordert. Es wäre fatal, würde die Bundesregierung nichts machen. 2015, das darf es nie mehr geben in Österreich! Das ist unser Ansatz! (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Diese Bundesregierung handelt im Interesse der Österreicherinnen und Österreicher, davon bin ich fest überzeugt, wenn sie zurzeit auf Grenzkontrollen gegenüber Ungarn – gegenüber Ungarn ist es notwendig, meine Damen und Herren –, gegenüber Slowenien – das sage ich Ihnen als Steirer – nicht verzichtet (Zwischenruf des Abg. Wittmann), denn der, der das Lebensgefühl und die Sorgen der Menschen nicht ernst nimmt, der handelt nicht nur gegen die eigene Bevölkerung, sondern der richtet auch für die EU einen großen Schaden an. Das ist meine feste Überzeugung.

Ich bin ein überzeugter Europäer, das können Sie mir glauben, und nichts ist wichtiger als das Vertrauen der Menschen in dieses europäische Projekt. Das hat Minister Blümel sehr, sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Uns geht es um eine positive Weiterentwicklung der Europäischen Union, nach schweren Krisen, die diese Union durchzumachen hatte. Natürlich war die Finanzkrise eine schwere Krise, danach kam die Flüchtlingskrise, eine schwere Krise, der Brexit ist auch eine krisenhafte Erschei­nung. (Abg. Schieder: Und jetzt ...!) Wir wollen, dass sich dieses Projekt positiv weiterentwickeln kann. Das Wichtigste dabei ist das Vertrauen der Menschen. (Abg. Scherak: Das Wichtigste ist schon der Rechtsstaat auch, oder?)

Vielleicht sind Sie weiter weg von den Menschen als manche Landeshauptleute. Ich sage Ihnen, Kollege Schieder (Rufe bei der SPÖ sowie der Abg. Meinl-Reisinger: Der


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Schieder hat noch gar nichts gesagt!), was vor wenigen Tagen Landeshauptmann Niessl zu diesem Thema gesagt hat: „Es geht nicht nur darum, der Bevölkerung ein Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten“, sagt Niessl, „sondern auch darum, das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung, das der realen Sicherheitslage deutlich hinterherhinkt, zu heben“. – Ich teile die Ansicht Ihres Landeshauptmannes. Ich weiß nicht, wie Sie das sehen. Er ist ein erfahrener Politiker, der Grenzen kennt, denn lange hatte er eine tote Grenze zu Ungarn. Nehmen Sie seitens der SPÖ solche Worte ernst! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Ja, natürlich ist es unser Ziel, dass wir keine Grenzkontrollen mehr haben, na selbst­verständlich (Abg. Leichtfried: Das glaube ich nicht! Das ist nicht Ihr Ziel! Ihr wollt das auf Dauer! Ihr tut nichts dergleichen ...!), aber der Schlüssel ist ein effizienter Schutz der Außengrenzen, und diesen Schlüssel haben wir noch nicht gefunden. (Zwischenruf des Abg. Wittmann.) Wir sind erst bei der Entwicklung, dabei, Frontex eben besser aufzubauen. Für uns war und ist Europa natürlich immer ein Herzstück, und daher kämpfen wir auch so dafür, dass diese einzigartige Errungenschaft, dieser grenzenfreie Schengenraum bald wieder Wirklichkeit wird; aber das kann erst dann passieren, wenn Frontex tatsächlich funktioniert.

Wir sind der Auffassung, dass wir gemeinsam alles tun müssen, damit das Vertrauen der Menschen in diese Europäische Union ja nicht durch einen Rückfall – Stichwort 2015 – geschwächt wird. Frau Kollegin Meinl-Reisinger, vielleicht wollten Sie heute einen bewussten Punkt setzen, um sich auch von Ihrem Vorgänger abzunabeln, wenn ich das so sagen darf. Ich darf Ihnen Matthias Strolz ins Gedächtnis rufen. Strolz erklärte am 29. August 2017 gegenüber der „Tiroler Tageszeitung“: „Wenn die Kon­trolle an den EU-Außengrenzen nicht funktioniert, bin ich für Kontrollen [...]“. Das hat er auch beim „Sommergespräch“ und auch in der Tageszeitung „Die Presse“ wiederholt. (Zwischenruf des Abg. Martin Graf.) Ich gebe Ihnen gerne die Zitate.

Genauso interessant wäre für mich aber auch – nach mir kommt ja Kollege Schieder zu Wort –, ob für die SPÖ das, was ihr Klubobmann Kern vor nicht einmal zwei Monaten gesagt hat, noch gilt. (Abg. Belakowitsch: Nein, das gilt nicht mehr! Den Kern gibt’s ja nicht mehr! – Abg. Rosenkranz: Wer ist Kern? Wenn es wir nicht wissen, wie soll es die SPÖ wissen?) Kern hat am 20. August – ja, das tut Ihnen vielleicht weh – in einem „Profil“-Interview gesagt: „Ja, wir wollen die Kontrolle“ an Österreichs „Grenzen [...]“. – Gilt das zwei Monate später unter der neuen Klubobfrau noch? – Sie werden mir darauf hoffentlich Antwort geben. (Abg. Belakowitsch: Nein, das glaube ich nicht!) Wir werden sehen.

Schauen Sie, wir wollen offene Grenzen im Schengenraum, aber wir müssen die Realität sehen – diese aber haben Sie verschwiegen: In Griechenland sind heuer bis Oktober 38 597 Menschen neu angekommen, in Italien 21 313 Menschen und in Spanien 44 419. Wenn mehr als 100 000 neu in Europa ankommen, dann heißt es, wachsam zu bleiben, meine Damen und Herren! (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Wir sehen den Schutz der EU-Außengrenzen als eine Grundvoraussetzung, um dieses Jahrhundertprojekt – da haben Sie hundertprozentig recht – eines grenzenfreien Schengenraums wieder mit Leben erfüllen zu können. Und wir sind nicht die Einzigen – das darf ich Ihnen auch noch sagen –, die das so sehen. Wir sind da auf einer Linie mit Frankreich – und Macron ist ja nicht so weit weg von Ihnen; die Franzosen waren am 2. Oktober die Ersten, vor uns, die das der Kommission bekannt gegeben haben (Abg. Scherak: Alles, was die Franzosen sagen, ist per se gut?); ich brauche das nicht zu wiederholen, Bundesminister Blümel hat es sehr deutlich gesagt –, mit Deutschland, mit den Dänen, den Schweden – die eine sozialdemokratisch geführte Regierung haben! (Abg. Meinl-Reisinger: Das ist keine Begründung!) – Doch, das ist eine Begründung (Ruf: Wieso? – Abg. Meinl-Reisinger: ... die anderen auch?), weil wir, die


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Deutschen, die Schweden mehr Last zu tragen haben als alle anderen in der Euro­päischen Union (Beifall bei ÖVP und FPÖ) und weil wir genau wissen, dass uns niemand den Vorwurf machen kann, dass wir nicht solidarisch sind. Es sind genau jene Staaten, die die größte Last tragen, die zu diesem Schluss kommen, dass momentan die Binnengrenzen zu schützen sind. (Abg. Meinl-Reisinger: Warum kontrollieren wir nicht die italienische? Warum nicht die italienische?)

Meine Damen und Herren! Unsere Grundhaltung ist ganz eindeutig: Dort, wo ein Mehrwert gegeben ist, wollen wir europäische Lösungen und kämpfen dafür. Es gibt aber auch Bereiche, wo Nationalstaaten, wo Regionen zu besseren Ergebnissen kommen. – Das ist unser Verständnis von der Europäischen Union, so wie es die Gründerväter hatten. Ganz wichtig ist dabei das Subsidiaritätsprinzip. Ja, wir wollen eine starke Europäische Union dort, wo wir sie brauchen – und dazu gehört der Schutz der EU-Außengrenzen. Wir sind da ganz klar in unserer Haltung: klar proeuropäisch, aber auch klar für die österreichische Bevölkerung und deren Interessen! (Beifall und Bravoruf bei der ÖVP sowie Beifall bei der FPÖ.)

12.52


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Andreas Schieder. (Abg. Wurm: Der Spitzenkandidat!) – Bitte.


12.53.09

Abgeordneter Mag. Andreas Schieder (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister! Lieber Reinhold Lopatka, ich werte dein dauerndes Erwähnen meiner Person einfach schon als frühzeitigen Abschiedsschmerz (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPÖ), daher möchte ich dir wegen dieser häufigen Erwähnung gar nicht böse sein, denn im Kern steckt da ja, wie du weißt, auch ein Stück Mensch­lichkeit und Nähe drinnen. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Aber zur Sachfrage – damit ich da gar nicht herumdrücke –, weil erwähnt worden ist, wie nahe man beim Menschen sein kann: Na, wie nahe kann man beim Menschen sein, wenn fast eine Million Leute ein Volksbegehren für ein Rauchverbot in der Gastronomie unterschreiben, und dann redet man hier als Regierung nicht einmal darüber und wischt das einfach vom Tisch? (Beifall bei SPÖ und NEOS.) Wie volksnah ist es, wenn man das Frauenvolksbegehren von vorne bis hinten ignoriert, obwohl es da große Missstände gibt, die ja auch von ÖVP-Frauen oft angesprochen wurden? – Das ist nicht volksnah, lieber Reinhold Lopatka. (Beifall bei der SPÖ.)

Und um auch über die Grenzen in aller Klarheit zu sprechen: Ja, es ist eine Maß­nahme, die Sie da setzen können, nur versteht eigentlich niemand ganz, wie Sie diese setzen. Man muss einmal erklären: Warum an einzelnen Grenzen, aber an anderen nicht? Das müssen Sie erklären. Das ist ein System, löchrig wie ein Schweizer Käse. (Abg. Deimek: Aus der Schweiz kommt relativ wenig herüber, und aus der Tschechei kommt auch relativ wenig! Ein bisschen was aus Deutschland, aber ...!) Wenn Sie es ernst meinen, dann müssen Sie zusätzlich noch ganz andere Maßnahmen setzen, denn ganz ehrlich – das ist auch das, was in unserem Antrag, den wir einbringen, steht –: Wann wird diese Bundesregierung, neben Symbolakten, endlich einmal in dieser Frage aktiv?

Gehen wir einmal zurück in das Jahr 2015, und versuchen Sie, dabei auch einmal ein bisschen an das Jahr 2014 zu denken! Was ist denn da passiert? – Die Weltge­meinschaft hat die Unterstützung für die Flüchtlingslager im Nahen Osten drastisch zusammengekürzt, und auf einmal waren die Millionen Menschen, die dort infolge des syrischen Bürgerkriegs in Flüchtlingslagern gesessen sind, von Hunger und schlechter Versorgung bedroht. Was haben diese Menschen dann gemacht? – Sie haben sich


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nach Europa aufgemacht. Seither haben wir hier das Problem! Und ehrlich gesagt, wenn wir einmal eine Sekunde nachdenken, dann müssten wir doch endlich einmal eine österreichische Außenpolitik machen, die auch vor Ort hilft, die den Menschen hilft, damit sie sich nicht auf die Flucht begeben müssen, sondern damit sie dort, wohin sie geflüchtet sind, bleiben können und sich nicht in kaputten Booten auf das Mittelmeer begeben müssen, weil sie dort ebenso eine Perspektive haben. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.) – Aber Sie machen es nicht.

Das Zweite ist das große Wort vom europäischen Grenzschutz. Was hat die Bundes­regierung unternommen? – Nichts! Nichts für den europäischen Grenzschutz und den Aufbau eines vernünftigen Systems!

Der nächste Punkt: Marshallplan für Afrika. – Nichts ist passiert! Österreich ist immer das Land, das am meisten bremst, wenn irgendjemand anfängt, über diese Dinge nach­zudenken. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Doppelbauer. – Zwischenruf der Abg. Winzig.)

Sie sind groß beim Reden, Herr Minister, wenn es heißt, Österreich hat so eine große Last getragen. Wenn es aber darum geht, dass man die Zahl der Flüchtlinge in Europa auf alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufteilt, dann taucht Bundeskanzler Kurz ab und sagt: Das wollte ich auch nicht! (Abg. Deimek: Wer will das?) – Das ist kein ernster Umgang mit dem Thema. Wenn wir die Frage der Migrationskrise lösen wollen, müssen wir vor Ort helfen und müssen wir europaweite Systeme schaffen, damit wir diese Frage auch in den Griff bekommen. Grenzkontrollen allein werden nicht weiterhelfen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Scherak.)

Mit Europa spielt man nicht! Oder, um es mit anderen Worten zu sagen, wie es der Schriftsteller Köhlmeier auf einer Veranstaltung, zu der Herr Präsident Sobotka eingeladen hat, quasi auf seine Einladung hin dort auch gesagt hat: „Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem Schritt, nie, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung.“ – Das ist auch so ein Punkt: Wenn wir über Europa reden, dann dürfen uns auch die kleinen Menschenrechts­ver­letzungen, die kleinen Einschränkungen der Pressefreiheit, die kleinen Schritte des Abbaus der sozialen Sicherheit auf unserem Kontinent nicht zu klein sein, um uns zu empören. Nein, die sind so groß, dass wir uns empören! Und Sie sind die, die immer mitmachen, bei Sozialabbau und wenn Pressefreiheit und Demokratie in Europa und in Österreich eingeschränkt werden! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Stefan: ... Wutbürger!)

Jetzt schauen wir noch einmal eine Sekunde – wenn es heißt, mit Europa spielt man nicht – auf die Bilanz der österreichischen Präsidentschaft, die Sie ja mit so stolzer Brust vor sich hertragen – nach dem Motto: Wir sind jetzt Präsidenten der Euro­päischen Union! –: Vier Monate sind vorüber – geschehen ist nichts! Herr Minister, nichts, gar nichts ist geschehen, weder bei der Bewältigung der Migrationskrise noch bei den anderen europäischen Problemen! Was ist denn mit den Steuerschlupflöchern, die es in Europa gibt? Was ist denn mit der Besteuerung digitaler Konzerne? Was ist denn damit? Der Finanzminister war zwei Minuten da, aber in diesen Fragen hat er nichts unternommen. Das ist eine Schande, und das ist auch eine Präsidentschaft, die diese Bezeichnung nicht wert ist, Herr Minister. (Beifall bei der SPÖ und bei Abge­ordneten der NEOS.)

Und dann – das schlägt ja dem Fass den Boden aus – sagen Sie noch den Sozial­ministerrat ab. Österreich, jenes Land, das in seiner Geschichte das Land der Sozialpartnerschaft und des sozialen Ausgleichs war, sagt im Rahmen seiner EU-Ratspräsidentschaft den EU-Sozialministerrat ab, weil es dafür Ihrer Meinung nach keine Themen gibt. Was ist denn mit dem Sozialdumping? Was ist denn mit der Jugendarbeitslosigkeit? Was ist denn mit dem Aufbau einer Arbeitsbehörde in Eu-


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ropa? – Es interessiert Sie nicht, weil Sie so wie daheim auch in Europa den Sozial­staat zerstören wollen. Wir werden dagegen antreten! (Beifall bei der SPÖ.)

Jetzt sage ich Ihnen – weil Sie immer sagen: ein Europa, das schützt – zum Abschluss noch eines: Wir müssen uns fragen: Wer schützt Europa vor Ihrer Politik? Wir müssen eines auch ganz klar sagen: Ihrem Sozialabbau, dem werden wir Grenzen setzen, denn das ist zum Nachteil der Menschen in unserem Land. (Beifall und Bravorufe bei der SPÖ. – Abg. Rosenkranz: Bei uns heißt das eher: sozialistischer Abbau bei den Wahlen!)

12.59


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Roman Haider. – Bitte.


13.00.01

Abgeordneter Mag. Roman Haider (FPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Herr Staatssekretär! Ja, es ist schon frappant, Herr Kollege Schieder, dass die Jugend­arbeitslosigkeit gerade in den Ländern am höchsten ist, in denen die Sozialisten an der Regierung sind – nur so viel dazu. (Beifall bei FPÖ und ÖVP. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Frau Klubobfrau Meinl-Reisinger, Sie haben zu Beginn Ihrer Begründung die Frage gestellt: Wozu brauchen wir diese Sondersitzung? – Diese Frage, Frau Klubobfrau, stellt sich wirklich!

Heute haben wir den 19. Oktober. Wissen Sie, was in den letzten Tagen in Österreich los war? – Ich werde es Ihnen sagen, ich lese Ihnen einfach ein paar Schlagzeilen vor:

Gestern, 18. Oktober, Wien: Gambier randaliert in seiner Zelle – Einsatz der Sonder­ein­satz­gruppe Wega erforderlich.

17. Oktober, Wiener Neustadt: Tschetschene droht Frau mit Tod, weil sie keine islamische Ehe mit ihm eingeht.

Korneuburg: Türke, der Frau schwer misshandelte, wandert vom Gerichtssaal gleich in die Haft. Anklagepunkte: Freiheitsentzug, Nötigung, Körperverletzung, Kindesentzie­hung.

Linz: Kosovare als übler Frauenschläger angeklagt. (Zwischenruf der Abg. Meinl-Reisinger. – Abg. Rosenkranz – in Richtung Abg. Meinl-Reisinger –: Jetzt nicht ablenken!) Anklagepunkte: fortgesetzte Gewaltausübung, schwere Nötigung, Freiheits­ent­ziehung, versuchte schwere Körperverletzung und Menschenhandel.

15. Oktober, Wien: Bulgare stach Kurden mit Gabel in Rücken und Hand. (Abg. Scherak: „Bulgare“? Im Ernst? – Abg. Schellhorn: Bulgarien gehört zur EU! – Zwischen­rufe bei der SPÖ.)

Marchegg: Asylwerber ohne Fahrschein schlug zuerst Schaffner k. o. und verletzt dann zwei Polizisten. (Ruf: Zur Sache!)

14. Oktober, Wien-Hernals: Algerier auf frischer Tat ertappt – Einbruch verhindert.

Linz: Verfolgungsjagd endet für afghanischen Asylwerber mit Festnahme. Im Auto werden Marihuana und Einbruchswerkzeuge gefunden. (Abg. Zanger: Einzelfall!)

13. Oktober, Feldkirch in Vorarlberg: Afghane sticht Bahnreisendem mit Messer in den Rücken.

11. Oktober, Wien: Serbe soll 91-Jährige mit Hammer erschlagen haben – zwölf Jahre Haft.


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Wien: Junger Türke wegen versuchter Vergewaltigung ausgeforscht. (Abg. Meinl-Reisinger: Und das gibt es jetzt alles nicht mehr mit den Grenzkontrollen?)

St. Pölten: Bei Aufnahmetest wiederholt durchgefallen – Afghane dreht völlig durch.

Reicht es Ihnen schon? Reicht es Ihnen? – Das war eine Woche! Das war die vergangene Woche! (Neuerlicher Zwischenruf der Abg. Meinl-Reisinger.) Ich habe das ganze Monat, wenn Sie es hören wollen! Ich kann für das ganze Monat so weitermachen! (Der Redner hält eine Seite seines Manuskripts in die Höhe.) So geht das weiter! (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.) Das ist nur ein ganz, ganz kleiner Ausschnitt von dem, was sich in Österreich an kriminellen Aktivitäten durch Ausländer in diesem Monat getan hat – und wir haben erst den 19. Oktober! Da ist noch Luft nach oben! Da geht noch was, gell?

Unerträglich, sagen Sie? (Abg. Meinl-Reisinger: Ich habe nichts gesagt!) – Ja, ge­nauso ist es: Unerträglich! Unerträglich, diese Auswirkungen Ihrer Politik der offenen Grenzen, sage ich Ihnen! Das ist unerträglich! (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeord­neten der ÖVP.)

Sie sagen: „Mit Europa spielt man nicht!“ Wissen Sie, was ich Ihnen sage: Mit der Sicherheit der Österreicher spielt man nicht – und darum gibt es die Grenzkontrollen! (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Mir ist das aber eh klar, mir ist das ja völlig klar: Beim Proseccoschlürfen im 7. Wiener Gemeindebezirk kriegt man nicht so mit, was sich in Österreich abspielt. (Abg. Meinl-Reisinger: Ich trinke keinen Alkohol! – Zwischenruf des Abg. Scherak.) Ich kann Ihnen sagen, Österreich hat sich in den letzten Jahren verändert. Frau Meinl-Reisinger, Sie sollten vielleicht wirklich einmal aus Ihrer schönen Boboblase rauskommen und mit den Menschen reden, um zu hören, was sich getan hat. Sie sollten vielleicht einmal mit Polizisten reden, damit Sie wissen, wie sich Österreich verändert hat. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.) Sie sollten vielleicht einmal mit Anwohnern aus Problembezirken in Ihrer Heimatstadt reden, damit Sie erfahren, was sich getan hat. Sie sollten vielleicht auch einmal mit Lehrern in Wiener Schulen reden, damit Sie erfahren, was sich in diesem Land getan hat. (Abg. Meinl-Reisinger: Keine Sorge, ich war in mehr Wiener Schulen als Sie!) Das tun Sie aber nicht, weil Sie ja Ihre Boboblase nicht verlassen.

Ich sage Ihnen, Frau Meinl-Reisinger: Mit der Sicherheit der Österreicher spielt man nicht! (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Auch wenn Ihnen diese dramatischen Entwicklungen im Inland offensichtlich völlig egal sind und diese an Ihnen vorübergehen, sage ich Ihnen jetzt, was sich am Balkan abspielt. Kollege Lopatka hat schon die Zahl betreffend Griechenland genannt: 38 597 Personen mehr als im Vorjahr; das sind allein auf dem Landweg 252 Prozent mehr. Auch in den anderen Balkanstaaten schaut es nicht besser aus: 11 000 Aufgriffe in Mazedonien, 7 200 Aufgriffe in Serbien, 5 300 Aufgriffe in Albanien, 17 000 Aufgriffe in Bosnien – das sind 1 400 Prozent mehr, 1 400 Prozent mehr gegenüber dem Vorjahr –, 2 300 Aufgriffe in Kroatien; und jetzt wird es besonders interessant: in unserem Nachbarland Slowenien 6 000 Aufgriffe.

Das sind also knapp 50 000 aufgegriffene Personen am Balkan (Abg. Loacker: Das müsste ja heißen, die Balkanroute ist gar nicht geschlossen!), und – das wissen Sie selber ganz genau – das sind nur die aufgegriffenen! Ja, Kollege Loacker, das sind nur die aufgegriffenen! Das heißt, die Dunkelziffer ist ja noch viel höher. Da gibt es vor­sichtige – vorsichtige! – Schätzungen, die von 150 000 allein am Balkan sprechen; und dann nicht zu vergessen die 100 000, die trotz der Bemühungen der neuen Regierung, die Grenzen in Italien sicher zu machen, im letzten Jahr noch nach Italien gekommen


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sind. Das heißt, es warten über 200 000 Menschen an unseren Grenzen – und da wollen Sie in Ihrer Boboblase die Grenzen aufmachen?! Ihnen wünsche ich wirklich, dass die zu Ihnen in den 7. Bezirk kommen. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Die Menschen bleiben nämlich nicht in Italien, die bleiben auch nicht am Balkan, die wollen natürlich zu uns, die wollen nach Deutschland, nach Schweden, nach Öster­reich. Und genau deswegen machen wir die Grenzen dicht, damit nicht das Gleiche passiert wie im Jahr 2015, damit sich die Menschen in Österreich wieder sicher fühlen, denn: Mit der Sicherheit der Österreicher spielt man nicht! (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

13.05


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Pilz. – Ich darf Ihnen das Wort erteilen. (Abg. Höbart: Die Messerfachkräfte, auf die können wir stolz sein! – Weiterer Ruf bei der FPÖ: Öffnung der Grenzen!)


13.06.06

Abgeordneter Dr. Peter Pilz (PILZ): Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich setze einfach dort fort, wo mein Vorredner aufgehört hat: Spielautomatenbetrug, schwerer gewerbsmäßiger - - (Abg. Neubauer: Glawischnig! – Heiterkeit bei ÖVP und FPÖ.) – Das kann ich nicht beurteilen; hat offensichtlich nichts mit Ihrer Fraktion zu tun, aber wenn Sie mehr darüber wissen, informieren Sie bitte die zuständigen Behörden! – Also nochmals: schwerer gewerbsmäßiger Betrug, falsche Beweisaussage, Steuerhinter­ziehung, schwere Körperverletzung. Auch das sind von Personen begangene Straf­taten, gegen die sich die Republik Österreich mit ihrem Rechtsstaat zur Wehr setzt. Dazu haben wir eine Strafjustiz, dazu haben wir unser Rechtssystem.

Das Problem ist nur, da können wir nichts an der Grenze unternehmen, weil diese Personen schon da sind. Die sind alle einer Liste, einer unvollständigen Liste, von 51 verurteilten freiheitlichen Straftätern entnommen. Da hilft kein Grenzschutz, sondern da hilft nur ein funktionierender Rechtsstaat. (Beifall bei der Liste Pilz und bei Abgeord­neten der SPÖ.)

Ich würde einmal Folgendes zu überlegen geben, aber ich möchte das Ergebnis nicht vorwegnehmen: Was glauben Sie, wo die durchschnittliche Kriminalität höher ist – bei freiheitlichen Funktionären oder bei Asylwerbern? Ich würde es gerne wissen (Abg. Höbart: Er flüchtet jeden Tag in seine Gemeindewohnung, der Mister Alpbach!), und ich halte das für eine Frage, die wir nicht nur in diesem Haus klären sollten. (Abg. Höbart: Er hat sich in der Gemeindewohnung versteckt, im sozialen Wohnbau! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

So, und jetzt lese ich Ihnen noch etwas vor, damit man einmal sieht, wie es auf der anderen Seite ausschaut. Der Text lautet:

„Wir sind sprachlos!

Wir sind Schüler der Landesberufsschule Bad Gleichenberg in der 1. Klasse Gastro­nomiefachfrau/mann. Seit heute sind wir nur mehr 13 Schüler_innen der 1aGA, weil seit letzter Woche ist unser Mitschüler Popal aus Afghanistan abgeschoben worden. Er war ein super Mitschüler, ein guter Freund und ein toller warmherziger Kollege.“ (Abg. Höbart: Er ist aber trotzdem illegal!) „Er hatte eine Lehrstelle als Koch/Kellner!

Er hatte den Willen gehabt zu lernen und sich weiter fortzubilden.

Er war schon im zweiten Lehrjahr und wir verstehen nicht warum er gehen musste und andere die Zuhause sind, keine Arbeit haben und sich nicht bemühen da bleiben


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dürfen?! Nicht das wir gegen diese Leute etwas haben, nur wir verstehen nicht, wieso es so gekommen ist.

Was ist das für ein Land in dem wir leben?

Wie kommt jemand dazu das man Menschen abschiebt, die sich um einen Arbeits­platz, um eine neue Existenz, um Freunde und um Integration“ bemühen?

„Denn ohne Grund verlässt niemand seine Heimat und seine Familie!

Wir sind erschüttert da wir einen guten Freund und Klassenkamerad verloren haben. Wir konnten uns nicht einmal verabschieden! Die schockierte 1aGA“, Landesberufs­schule Bad Gleichenberg.

So schaut’s aus! So schaut’s aus! Und das passt nicht in Ihre Linie. Das sind genau die Leute, die wir brauchen. (Abg. Zanger: Selbstverständlich brauchen wir die alle!) Das sind genau die Leute, die sich bemühen. Das sind genau die Leute, auf die unsere Wirtschaft gewartet hat und auf die unsere Wirtschaft setzt (Heiterkeit des Abg. Gudenus), die genauso tüchtig sind wie Inländerinnen und Inländer, die lernen, arbeiten und schauen, dass es ihnen in unserer Republik besser geht. Darum geht es.

Dann reden wir einmal drüber, was Ihnen am Herzen liegt: nicht die Integration dieser Menschen, nicht die Integration in die Wirtschaft, dass sie etwas lernen, dass sie Steuern zahlen, dass sie hier ankommen, dass sie hier ihre Beiträge leisten, sondern Sie sagen: Wir brauchen Grenzschutz!

Jetzt kommt niemand! Jetzt kommt ja niemand: Schauen Sie sich die Fallzahlen an! Wir haben das im Innenausschuss mit dem Innenminister besprochen. (Abg. Deimek: ..., dass der mit Ihnen redet!) Zahlen aus dem letzten Innenausschuss: Aufgriffe bei Assistenzeinsätzen 2018: Burgenland 62 (Abg. Rosenkranz: Das ist keiner?); dafür eingesetzt: drei Assistenzkompanien mit 419 Soldaten. Auf einen Aufgegriffenen an der burgenländischen Grenze kommen sieben Soldatinnen und Soldaten. (Ruf bei der FPÖ: Schon etwas von Prävention gehört?) In Kärnten: 64 aufgegriffen; 120 Soldaten im Einsatz – zwei Soldaten oder Soldatinnen pro Aufge­griffenem. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Und bei mir zu Hause in der Steiermark (Abg. Rosenkranz: Ich habe geglaubt, Sie wohnen in Wien im Gemeindebau!): zehn aufgegriffen mit einer Assistenzkompanie mit 158 Soldaten. Fast 16 Soldaten und Sol­da­tinnen werden eingesetzt, um einen einzigen Asylwerber an der Grenze aufzu­greifen. (Abg. Rosenkranz: Ah, Asylwerber? Woher wissen Sie das?)

Das Einzige, das noch fehlt, ist, dass jedem dieser sinnlos herumstehenden und bean­spruchten Präsenzdiener noch ein Polizeipferd dazugestellt wird – das ist das Einzige, das wirklich noch fehlt. (Abg. Neubauer: ... Terrorist ist?) Und dann kommt sicher wieder ein Freiheitlicher und sagt: Aber ein Panzer gehört auch noch hingestellt, wir brauchen dringend einen Panzer! – Auf der anderen Seite der Grenze ist niemand mehr! Gehen Sie nach Spielberg zu uns in die Steiermark, fragen Sie dort die Leute: Es kommt ja niemand mehr! (Abg. Rosenkranz: Also wo sind Sie zu Hause: im Gemeindebau oder in der Steiermark?) Die Präsenzdiener stehen herum und die Militärkommandanten beziehen doppelte Gage. (Abg. Rosenkranz: Wo sind Sie zu Hause: in der Steiermark oder im Wiener Gemeindebau?)

Herr Kollege Rosenkranz, ich bin ein Bürger dieser Republik, der als Abgeordneter versucht, Ihnen eines klarzumachen (Abg. Rosenkranz: Sie sagen, dass 62 keiner sind! Ihre ... sind eine Katastrophe!): erstens, dass wir ausländische Rechtsbrecher nach genau den gleichen Gesetzen behandeln wie freiheitliche Rechtsbrecher – das sollten Sie als Anwalt auch zur Kenntnis nehmen (Abg. Rosenkranz: Ja, ja!) –, und zweitens - - (Abg. Rosenkranz: Aber bei Ihnen fehlt halt immer die Immunität! Sie sind halt wieder die längste ...! – Abg. Haider: Der grüne Rechtsbrecher ist sakrosankt! –


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Abg. Rosenkranz: Der grüne Rechtsbrecher ist halt immun! – Abg. Haider: Der grüne Rechtsbrecher! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ. – Präsident Sobotka gibt das Glockenzeichen.)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich ersuche, die Stimmung wieder etwas herunterzufahren. (Abg. Rosenkranz: Der Kollege Pilz hat immer Magengrippe, wenn er bei Gericht sein soll!) Ich würde bitten, dass wir wieder zu einer gesitteten Dis­kussion gelangen. (Ruf: Komisch, ihn darf man ...!)


Abgeordneter Dr. Peter Pilz (fortsetzend): Ich werde jetzt ein erstes Mal, Herr Kollege Rosenkranz, Ihnen gegenüber wirklich persönlich werden und etwas sagen, was fast jeder Mensch in dieser Republik mit Empörung zurückweisen würde: Sie freiheitlicher Abgeordneter! (Heiterkeit bei der SPÖ. – Abg. Deimek: Das war jetzt witzig! – Abg. Rosenkranz: Bumsti! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) – So, und jetzt weiter zum Thema. Ich bitte um Verständnis, dass ich mich jetzt nicht mehr weiter mit der freiheitlichen Fraktion, die sich in großer Aufregung befindet, beschäftige.

Herr Bundesminister, ein entscheidender Punkt ist schon vorhin in der Debatte ange­sprochen worden, und es wäre einfach gut, wenn Sie etwas dazu sagen, und noch besser, wenn Sie etwas tun. Es ist zu Recht angesprochen worden – ich kenne das Lager persönlich, weil ich es mir einmal selber angeschaut habe; dort sind im Schnitt 80 000 Flüchtlinge, hauptsächlich Frauen mit kleinen Kindern (Abg. Deimek: ... froh sein, dass Sie nicht dabei sind!) aus Syrien –, nämlich ein Lager in Jordanien: Zaatari. (Zwischenruf des Abg. Stefan.) Die sitzen dort fest und haben ein ganz einfaches Problem: die Nahrungsmittelhilfe bricht regelmäßig zusammen, weil das Geld ausgeht.

Jetzt gibt es einzelne Staaten der Europäischen Union wie Deutschland, die da im Jahr mit 500, 600 Millionen Euro, oder Länder wie etwa die Schweiz und die Niederlande, die mit 40 Millionen einsteigen und schauen, dass das System nicht zusammenbricht. Wir wollen, dass möglichst viele Flüchtlinge vor Ort bleiben können. Dazu brauchen sie Lebensmittel, Schulen und Unterkünfte. Österreich hat heuer fast nichts überwiesen. Wir liegen im Bereich UNHCR und World Food Programme bei unter 1 Million. Wir schicken denen einen Bettel; die rechnen gar nicht mehr mit Hilfe aus Österreich.

Wenn Sie durch das Lager Zaatari gehen, dann können Sie immer große Spender­tafeln sehen, da sind die Fahnen der einzelnen Spenderländer drauf. Ich bin durchs Lager gegangen, und es hat keine einzige österreichische Fahne gegeben: weder bei der Schule noch bei der Ausgabe von Nahrungsmitteln noch bei der Errichtung von Wohnungen, noch, noch, noch, noch – nichts! Dort gibt es kein Österreich, und (in Richtung Bundesminister Blümel) Ihr Bundeskanzler tritt immer wieder ans Rednerpult und sagt, das Allerwichtigste ist die Hilfe vor Ort. – Reden Sie nicht immer, tun Sie endlich etwas! (Beifall bei Liste Pilz und SPÖ.)

Gehen Sie heute einmal ans Rednerpult und erklären Sie uns, was die Bundesre­gierung jetzt gerade für die Lebensmittelhilfe vor Ort zur Verfügung zu stellen be­schlossen hat! 5 Millionen Euro sind zu wenig, 10 Millionen Euro sind zu wenig, mindestens 20 Millionen Euro müssen es vom reichen Österreich sein, sonst sind wir immer noch weit unter dem europäischen Schnitt. – Darum geht es!

Ich bin nicht bereit, über sinnlose Grenzzäune im Süden meiner steirischen Heimat und über den Missbrauch und Fehleinsatz von Angehörigen des Bundesheeres zu reden, wenn Sie nicht bereit sind, dort zu helfen, wo die Flucht beginnt und wo eine Chance besteht, die Flucht vor Ort zu stoppen. Ich halte das, was Sie tun, für doppelbödig; das ist jederzeit an den Fakten überprüfbar. Sie lassen die Menschen im Stich und Sie gefährden die Republik Österreich, indem Sie einfach zuschauen, wie Menschen unorganisiert und auf desaströse Art zur Flucht gezwungen werden.


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Sie haben als Mitglied dieser Bundesregierung die Möglichkeit, da etwas zu tun. Hören Sie endlich auf herumzureden, tun Sie endlich etwas! (Beifall bei Liste Pilz und SPÖ.)

13.16


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Abgeordneter Pilz, ich mache Sie darauf aufmerksam, dass ich die pauschale Gleichsetzung von Straftätern mit einer Partei in der Situation für sehr, sehr bedenklich halte. (Abg. Pilz: Ich halte die Partei für sehr bedenklich! – Beifall bei der Liste Pilz. – Abg. Haider: Ich halte den Herrn Pilz für sehr bedenklich!)

Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Schellhorn. – Bitte.


13.16.54

Abgeordneter Josef Schellhorn (NEOS): Herr Präsident! Geschätzter Herr Minister! Auch Sie waren vorgestern beim Hauptausschuss dabei, das muss man auch klar sagen und anerkennen und vorweg einmal klar feststellen: Ich glaube, der Großteil hier herinnen – auch wir – bekennt sich zum Schutz der Außengrenzen. (Beifall des Abg. Stefan.)

Bundeskanzler Kurz hat auch gesagt, welche Fortschritte er beim Schutz der Außen­grenzen macht, sozusagen welche Erfolge ihm mit den Verhandlungen in Ägypten et cetera gelungen sind. Das wurde nie infrage gestellt, das haben wir auch lobend ange­führt.

Jetzt ist auch erwähnt worden, dass Mittelmeer und Westbalkan Erfolge sind. – Kollege Haider von der FPÖ sieht das nicht so: Er hat jetzt eine wahnsinnige Zahl genannt, was da in unsere Richtung marschiert. Erstaunt hat mich dann wirklich eines: Er hat von 100 000 Menschen in Italien gesprochen (Abg. Haider: Die noch immer da sind!), und jetzt frage ich Sie: Mit welcher Symbolpolitik arbeiten Sie? (Abg. Haider: Die noch immer da sind!) Denn nach dieser Logik müssten Sie den Brenner schon längst geschlossen haben; das tun Sie nicht – oder Herr Platter ist ein Linker, wie Sie uns beschimpft haben, das könnte auch sein. (Abg. Leichtfried: Linkslinker!) – Ein Links­linker, Verzeihung! Oder Sie trauen sich einfach nicht und betreiben nur Symbolpolitik.

Ich gebe Herrn Lopatka schon recht, er hat wahrscheinlich nicht aufgepasst das letzte Mal: Mit Europa spielt man nicht – aber man zündelt auch nicht mit Europa! (Beifall bei NEOS und SPÖ.) Das ist einer der wichtigsten Punkte.

In diesem Zusammenhang möchte ich schon auch noch eines sagen: Wie das Leben eine Mischkalkulation ist, ist auch EU-Politik keine Einbahnpolitik. Wir sagen nämlich schon, die Außengrenzen da unten in Kärnten und in der Steiermark sollen möglichst streng kontrolliert werden, vor allem auch im Burgenland, aber wenn sich dann Lan­deshauptmann Haslauer darüber beschwert, dass der Tourismus so darunter leidet, dass Deutschland die Grenzen kontrolliert, schreit keiner von Ihnen auf. – Das ist diese Einbahnpolitik, die ich meine. (Zwischenruf der Abg. Schwarz.)

Kollege Eßl von der ÖVP ist leider nicht hier, aber ich möchte gerade ihn als Salz­burger fragen, wie er das einem Touristiker erklärt, wenn die Tourismusindustrie in Salzburg aufgrund der deutschen Grenzkontrollen leidet. Was sagt Kollege Kopf dazu, dass die Wirtschaftskammer selbst errechnet hat, dass die Grenzkontrollen den österreichischen Unternehmen 2,5 Millionen Euro täglich kosten? Was sagt Kollegin Niss von der ÖVP, die darunter leidet, weil die Exportwirtschaft darunter leidet, dass wir diese Grenzkontrollen haben? (Abg. Stefan: Das ist auch kein ..., das wissen eh alle!) Was sagt zum Beispiel auch Kollege Hörl, der mit der Seilbahnwirtschaft in Tirol massiv darunter leidet? Wir haben massive Einbußen, weil Deutschland die Grenz­kontrollen betreibt, und beklagen uns darüber. Selbst Landeshauptmann Platter be­klagt sich darüber, Landeshauptmann Haslauer beklagt sich darüber, aber selber


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wollen wir das einführen, nur damit wir Symbolpolitik betreiben. Das ist das falsche Zeichen. Mit Europa zündelt man nicht! (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Diese Regierung ist leider schon so weit, dass sie bei der Umsetzung von Reformen relativ klein, hier aber relativ groß ist. Sie akzeptieren das, obwohl sich Haslauer und Platter beschweren, selbst der Landeshauptmann von Vorarlberg beschwert sich darüber, dass es diese Grenzkontrollen gibt. Sie schauen hier weg, Sie machen sich blind, wie sich damals Schüssel bei Haider blind gemacht hat. Sie ducken sich einfach, weil Sie Folgendes im Sinn haben: Sie sagen, okay, die sollen das mit den Grenz­kontrollen machen, die sollen bei ihrem Klientel beweisen, dass sie die harte Hand haben, und wir teilen uns auf der anderen Seite die Medienpolitik oder die Republik anderwärtig auf. – Das, glaube ich, ist Ihr großes Ansinnen. Sie agieren hier nicht zum Wohle der Österreicher und der Europäer, und das ist zu verurteilen.

Genauso zu verurteilen ist es, dass Sie in dieser Hinsicht keine Handlungen setzen, dass Ihnen der Tischler in Unken wurscht ist, wenn er nach Salzburg fahren muss, dass Ihnen der Transporteur in Elixhausen egal ist, wenn er nach Deutschland transportieren muss, dass Ihnen große Unternehmen wie Palfinger völlig egal sind, wenn sie täglich Einbußen haben. Hauptsache, Sie befriedigen Ihren kleinen Koali­tions­partner, der einfach nur beweisen will, dass er irgendwie noch in der Regierung ist und Handschlagqualität hat. (Zwischenruf der Abg. Schimanek.) Das ist in dieser Art und Weise verurteilenswert und es ist nicht zum Wohle von - - (Zwischenruf der Abg. Steger.) – Bei der FPÖ fällt mir leider außer ein paar Burschenschafter keiner ein. (Ruf bei der FPÖ: Noch kleiner seid ihr!)

Herr Minister Blümel, ich glaube, Sie sind im Herzen ein glühender Europäer, aber Sie können es nicht offen nach außen spielen. Sie sind im Herzen ein glühender Europäer, Sie müssen alles zusammenzwicken, nur damit Sie mit der FPÖ auf der Regierungs­bank sitzen, und das ist verantwortungslos für Europa. Welche Schande, wenn ich an Mock denke, welche Schande, selbst wenn ich an den großen Schüssel denke, liefert diese ÖVP in der jetzigen Regierungspolitik ab! (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und Liste Pilz. – Ruf bei der ÖVP: Unsinn!)

13.22


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Eva-Maria Himmelbauer. – Bitte.


13.23.06

Abgeordnete Eva-Maria Himmelbauer, BSc (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Eine der zentralen Aufgaben eines Staates ist es, den Schutz des Staatsgebiets sicherzustellen, den Schutz der Bür­gerinnen und Bürger des Heimatlandes vor äußeren und inneren Gefahren zu sichern und zu wahren. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union haben wir aber auch Teile in die Hände der Gemeinschaft gegeben, um innereuropäisch ein Mehr an Freiheiten zu schaffen. Diese Freiheiten sind unbestritten. Frau Abgeordnete Meinl-Reisinger, keiner von uns hier im Nationalrat, glaube ich, stellt die Grundfreiheiten in Frage oder möchte sie abschaffen. (Abg. Leichtfried: Na, da wäre ich mir nicht so sicher!) Ich als junge Person in der Politik, die diese Freiheiten selbst auch immer wieder genießen durfte, stehe zu 100 Prozent dahinter. Es ist etwas Schützenswertes, auf das wir innerhalb der Europäischen Union auch stolz sein können.

Kollege Schellhorn hat zuvor die Bundesregierung und ihren europäischen Kurs ange­sprochen. Gerade diese Bundesregierung hat sich zu einem klaren europäischen Kurs


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verpflichtet und das nicht nur im Regierungsprogramm verankert, sondern sie zeigt das durch ihr tagtägliches Handeln und Wirken, gerade jetzt im Halbjahr der europäischen Ratspräsidentschaft (Abg. Loacker: Sie glauben, was Sie da erzählen?) – ja, ich glaube das absolut –, jetzt insbesondere, aber auch darüber hinaus! (Zwischenruf des Abg. Scherak.) Das werden wir natürlich auch in den kommenden vor uns liegenden Jahren immer wieder nach vorne tragen.

Gerade in diesem halben Jahr der Ratspräsidentschaft ist es uns aber wichtiger denn je. Wir haben diese Ratspräsidentschaft unter das Motto „Ein Europa, das schützt“ gestellt (Abg. Meinl-Reisinger: Ja, leider!), weil wir wissen, dass wir grundlegende Fragen und Aufgaben der Europäischen Union weiter vorantreiben müssen, weiter daran arbeiten müssen. Das betrifft auch die Stabilität in unseren Nachbarländern, das betrifft die Sicherung des Wohlstands und auch die Wettbewerbsfähigkeit der Euro­päischen Union, und es betrifft auch die Sicherheit und den Kampf gegen illegale Migration.

2015 hat uns eine gewisse Ohnmacht aufgezeigt. Wir haben Schwächen gesehen, wenn es um die Sicherheit der Gemeinschaft und insbesondere auch um den Außen­grenzschutz geht. Wir wollen nicht, dass sich diese Situation wiederholt. Gerade des­wegen ist Österreich, allen voran Bundeskanzler Kurz und die gesamte Bundes­regierung, nicht müde geworden, diese Probleme aufzuzeigen, gleichzeitig aber auch an Lösungen zu arbeiten – im Sinne einer gemeinsamen europäischen Lösung.

Österreich hat aktiv die Zusammenarbeit gefördert, mit Ungarn, mit Slowenien, der Slowakei, aber auch mit Serbien. Wir haben Wissen ausgetauscht und auch personelle Ressourcen für den Grenzschutz zur Verfügung gestellt. Das Schengener Infor­mations­system wurde in der Zwischenzeit weiter ausgebaut, um auch entsprechend genutzt zu werden. Es gibt laufend Gespräche mit Drittländern, vor allem mit den nordafrikanischen Staaten, und man sieht auch, dass das Früchte trägt, vor allem beispielsweise in der Zusammenarbeit mit Ägypten.

Eine weitere Errungenschaft ist, dass Frontex weiterentwickelt wird, dass es finanziell und personell von 600 auf 10 000 Einsatzkräfte aufgestockt wird. Wir wissen, dass das nicht von heute auf morgen geht, aber es ist trotzdem auch ein Erfolg gerade des Salzburger Gipfels.

Wir sind noch nicht am Ende des Weges angekommen, immer noch kommen tag­täglich Menschen an unseren Grenzen, an den Grenzen Europas an, und sie ver­suchen natürlich auch weiterzureisen. Auch Schlepper verdienen mit der Hoffnung und mit dem Leid dieser Menschen immer noch sehr viel Geld. Auch der Terror stellt eine ernsthafte Bedrohung innerhalb Europas dar. Es wäre grob fahrlässig, sehenden Auges nichts zu tun. Dieser Meinung – und das kann ich nur wiederholen – sind nicht nur wir, sondern genauso auch andere Länder wie Deutschland, Frankreich, Däne­mark, Schweden und Norwegen.

Ja, die Verlängerung der Grenzkontrollen hat Auswirkungen auf bereits so selbstver­ständlich gewordene Grundfreiheiten und natürlich auch auf die Wirtschaft. Aber gerade als Politiker müssen wir selbst auch immer abwägen – Güter abwägen –, worauf wir einen Fokus setzen müssen. Was wären die Alternativen, solange kein effektiver Außengrenzschutz garantiert werden kann? Den Frieden und die Sicherheit der Europäischen Union, der EU-Bürger oder der Österreicherinnen und Österreicher werden wir sicher nicht aufs Spiel setzen. Dazu muss ich ein klares Nein aussprechen. Wir müssen halt in der Zwischenzeit selbst die Verantwortung für unsere Grenzen übernehmen. (Präsidentin Kitzmüller übernimmt den Vorsitz.)

Sie schreiben auch, und das ist heute schon oft zitiert worden: „Mit Europa spielt man nicht“. Das kann ich nur unterschreiben. Es darf das Erfolgsprojekt EU aber genauso


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wenig aufs Spiel gesetzt werden. Wir müssen uns den Herausforderungen stellen. Als Europapartei ist es daher für uns eine Selbstverständlichkeit, an Europa weiterzu­arbeiten und dieses Projekt für die Bürgerinnen und Bürger in eine gute Zukunft zu bringen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der FPÖ.)

13.28


Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abge­ordneter Leichtfried. – Bitte, Herr Abgeordneter.


13.28.50

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin­nen und Kollegen! Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren! Ich habe jetzt am Anfang eine ungewöhnliche Aufgabe vor mir, ich muss Herrn Blümel gegenüber Herrn Schellhorn in Schutz nehmen. (Abg. Zarits: Minister Blümel! Das sind Sie nicht mehr!) Wenn er sagt, jemand wäre links, so ist das als Kompliment gemeint, Herr Schellhorn, das ist keine Beschimpfung. (Beifall bei der SPÖ.)

Geschätzte Damen und Herren! Als Robert Schuman am 9. Mai 1950 gesagt hat: „Es geht nicht mehr um leere Worte, sondern um eine mutige Tat [...] Damit der Frieden eine echte Chance hat, muss es zuerst ein Europa geben“, begannen Frauen und Männer, die von dem erlebten Grauen geprägt waren, mit Mut und Visionen etwas Neues aufzubauen. Sie begannen, faktische Grenzen und Grenzen im Kopf nieder­zureißen. Im Gegensatz zu diesen Frauen und Männern in den Fünfzigerjahren ent­steht bei mir der feste Eindruck, dass diese Bundesregierung ausschließlich eine einzige europapolitische Vision hat, nämlich die Vision, echte Grenzen und Grenzen im Kopf wieder zu errichten. Das ist Ihr Ziel während dieser Ratspräsidentschaft, geschätzte Damen und Herren, und nichts anderes! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von NEOS und Liste Pilz.)

Wenn die Herren Kurz, Kickl und Blümel damals am Werk gewesen wären, geschätzte Damen und Herren, können Sie davon ausgehen, dass Nationalismus und Klein­staa­terei nicht zurückgedrängt worden wären und dass die nächste europäische Ka­tastro­phe binnen Kurzem wieder eingetreten wäre. Das wäre das Ergebnis gewesen, wenn Sie damals am Werk gewesen wären. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz.)

Aber das ist zum Glück hypothetisch, das haben wir uns erspart. Wir müssen darüber reden, was Sie machen und was Sie vielleicht auch nicht machen. Jetzt kann man über temporäre Grenzkontrollen unterschiedlicher Meinung sein und das unterschiedlich beurteilen. Das gestehe ich zu. (Ruf bei der ÖVP: In der SPÖ!) Aber dann machen Sie wenigstens in diesem Fall das gescheit, was Sie machen. Ich kenne mich ja nicht mehr aus! Kollege Lopatka erzählt, dass die Balkanroute geschlossen ist, das Mittelmeer geschlossen ist und auch sonst alles geschlossen ist, und Kollege Haider erzählt gleichzeitig, wer alles daherkommt. Also, wer von Ihnen hat jetzt recht? Wenn Sie schon etwas machen, dann machen Sie es gescheit! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz. – Abg. Haider: Das war wegen Italien!)

Oder die Grenzkontrollen: Herr Kollege Pilz hat Spielfeld in der Steiermark ange­sprochen. Ich habe dort vor Kurzem eine Radtour gemacht. Ja, in Spielfeld steht ein Polizist, der die Autos durchwinkt. Wen er da erwischt, weiß ich nicht. Gleich neben Spielfeld, geschätzte Damen und Herren, gibt es einen zweiten Grenzübergang, der 3,8 Kilometer entfernt ist. Das ist nicht die Welt. Wissen Sie, wer dort ist? – Niemand! Also, wenn Sie etwas machen, machen Sie es gescheit und machen keine Symbol­politik, geschätzte Damen und Herren, denn das ist das Einzige, was Sie tun! (Beifall


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bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz. – Abg. Stefan: Die SPÖ fordert verstärkte Überwachung!)

Dazu kommt noch, was Sie nicht tun. Vor lauter Grenzenaufstellen vergessen Sie die wahren Probleme in Europa. Wenn Sie vorgeben wollen, den Menschen zu helfen und Sie zu schützen, dann tun Sie etwas gegen Lohn- und Sozialdumping, denn das trifft die Menschen bei uns mehr, insbesondere in den Grenzregionen! (Neuerlicher Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz.)

Dann kämpfen Sie gegen die Arbeitslosigkeit! Aber was ist mit dem Kampf für Rechts­staatlichkeit und Demokratie in Europa? Sie biedern sich den Orbáns und Kaczyńskis an und verhindern, dass wir bei uns im Außenpolitischen Ausschuss überhaupt darü­ber diskutieren können, dass Demokratie in Europa abgebaut wird. Das tun Sie ja auch nicht, das Gegenteil ist der Fall! (Beifall bei der SPÖ.)

Was ist mit dem Kampf gegen Steuervermeidung und Steuerdumping? – Nein, Sie schütten nicht nur die heimischen Großkonzerne mit Milliarden zu, Sie schauen, dass das in Europa auch geschieht, geschätzte Damen und Herren. (Zwischenruf der Abg. Jachs.) Das ist Ihre Politik und nichts anderes! (Neuerlicher Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Rädler.)

Diese und andere Versäumnisse muss man Ihnen zu Recht vorwerfen. Die Dominanz der Grenzen in Ihrem Kopf hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Sie diese große Chance der Ratspräsidentschaft ganz einfach versemmelt haben, geschätzte Damen und Herren. Versemmelt haben Sie sie! (Neuerlicher Beifall bei der SPÖ.)

Ihre Antwort auf die Probleme, die es gibt, ist die falsche Antwort. Ihre Antwort ist nicht „mehr Europa“, wie es sein müsste, und zwar um die Stärke Europas zielgerichtet einzusetzen und diese Dinge zu bekämpfen, Ihre Antwort ist, Grenzen aufzubauen. (Abg. Rädler: Widerstand leisten!) Geschätzte Damen und Herren, Ihr europa­politi­scher Weg ist ein Weg mit einem Schritt nach vorne und drei Schritten zurück, und es ist noch dazu die falsche Richtung. Das ist Ihre Europapolitik! (Neuerlicher Beifall bei der SPÖ.)

Herr Abgeordneter Haider, ich habe Ihren Debattenbeitrag sehr (Abg. Haider: Genos­sen!) intensiv verfolgt, noch eine Anmerkung zum Schluss: Wer im Champagnerhaus sitzt, soll nicht mit Prosecco um sich schmeißen, Herr Haider! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von NEOS und Liste Pilz. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

13.34


Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeord­nete Fürst. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.


13.34.22

Abgeordnete Dr. Susanne Fürst (FPÖ): Frau Präsidentin! Herr Minister! Herr Abge­ordneter Pilz! Eine Politik, die sich von Emotionen leiten lässt, ist irrational und daher völlig untauglich. Wir wissen ohnehin, dass Sie sich gerne von Ihren Emotionen leiten lassen. Das ist aber Ihr persönliches Problem, mit dem sollen sich die Gerichte be­schäftigen. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

Es ist auch klar, dass es in Afghanistan und in all den anderen Ländern, von wo Migranten herkommen, auch unglaublich viele anständige, fleißige Leute gibt, aber gerade die werden ja dort und nicht hier gebraucht. (Neuerlicher Beifall von FPÖ und ÖVP.)

Schengen ist das Synonym für die Reisefreiheit ohne Grenzkontrollen im Binnenraum. Ja, es war einmal ein Traum, der schon 1985 im ursprünglichen Schengener Überein­kommen festgelegt wurde. Die Reisefreiheit war aber nur die eine Seite der Medaille.


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Damals war man ja noch sehr vernünftig, und natürlich hat man damals in der ursprünglichen Version in Artikel 17 des Schengener Abkommens auch festgehalten, dass der Ausgleich für das Niederfahren der innerstaatlichen Grenzen die Verstärkung des Außengrenzschutzes sein muss. Das ist zwingend erforderlich: Die Außengrenzen müssen zu sein. Das war die zweite Seite der Medaille. Man hat gesagt: gut, keine Grenzkontrollen im Inneren, Verlegung an die Außengrenzen. Wortwörtlich wurden „ergänzende Maßnahmen zum Schutz der inneren Sicherheit“ in den einzelnen Staaten und die „Verhinderung der unerlaubten Einreise von Personen“ aus Dritt­staaten verpflichtend festgelegt. Das war der Deal, um mit Donald Trump zu sprechen, und der hat nicht lange gegolten. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Es ist aber nach wie vor geltendes Recht, dass die nationalen Grenzkontrollen nur dann nicht bestehen sollen, wenn die Außengrenzen dicht sind. Das ist ja auch klar, man hat ja damals auch schon das Bewusstsein gehabt, dass nicht nur der durch­schnittliche EU-Bürger von der Reisefreiheit Gebrauch machen wird, sondern dass es eben auch für Illegale oder Verbrecher ein Traum ist, sich völlig ohne Identifizie­rungs­verpflichtung in den Mitgliedstaaten frei zu bewegen.

Gut, dann kam Dublin, es kam die Verpflichtung, in den Ländern Asylverfahren durchzuführen, in denen die Menschen ankommen. Berlusconi, der ja als Premier von Italien wirklich hauptsächlich davon betroffen war, hatte zum Beispiel einen sehr gut funktionierenden Deal mit Libyen abgeschlossen. Er gab Gaddafi Geld, und dieser hat von Libyen keine Schiffe und keine Boote abfahren lassen. Das hat so lange funk­tioniert, bis man draufkam, dass man Libyen vielleicht im Namen der Menschenrechte bombardieren und den Staat zerstören soll.

Nun kam es dann, wie es kommen musste. Die Geister, die wir riefen, sind gekommen, und sie sind zu Hunderttausenden gekommen, weil der Arabische Frühling eben im Chaos endete – und wir haben unseren Beitrag dazu geleistet. Die Staaten dort haben nämlich keine Lust, eine Demokratie nach unserem Geschmack aufzubauen.

Die alte Seenotregel – Frauen und Kinder und übrige Schwache zuerst – gilt nicht mehr. Es sind zu einer ganz großen Mehrheit junge starke Männer gekommen – zu einem guten Teil mit erheblichem Aggressionspotenzial uns gegenüber. Die Stärksten mit Ellbogen, die auch das Geld für die Schlepper haben, sind gekommen. Es ist im August 2015 zu einem Kontrollverlust gekommen. Es war die erste Staatskrise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Immer in Krisen zeigt es sich, wie gut ein Politiker wirklich ist, denn in guten, friedlichen Zeiten ein guter Politiker zu sein und ein bisschen Steuergeld zu verteilen, Hände zu schütteln, überallhin zu rennen, ist ganz leicht, aber in Krisenzeiten ist es sehr schwierig. (Abg. Meinl-Reisinger: Sprechen Sie da von Haider?)

Wie war es nun im August 2015? – Auf der einen Seite stand das glückliche Ungarn mit Viktor Orbán, der seine Bevölkerung geschützt hat, und auf der anderen Seite das unglückliche Deutschland, Österreich und Schweden. Da hat es geheißen: Wir nehmen alle! (Abg. Höbart: Die Willkommensklatscher!) Es gibt keinen Widerspruch, es dürfen nicht einmal Bedenken oder Beschwerden geäußert werden, sonst ist man ein Spalter, das Wort ist dann modern geworden, man hält die Rechtsstaatlichkeit nicht ein, man baut die Demokratie ab – wirklich eine zwingende Logik. Viktor Orbán hat sich ans Gesetz gehalten, wir aber nicht. Es sind die Grenzen rechtswidrig aufgemacht worden, trotzdem sind wir, Deutschland und Österreich, sozusagen die Guten gewesen. Es ist nicht wahr, es war gesetz- und rechtswidrig, und dieses Versagen war traumatisch. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Die Bundesregierung ist nun angetreten, die Folgen von August 2015 wieder zu redu­zieren – zu beseitigen, wird leider nicht so leicht gehen –, und vor allem, um solche


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Vor­fälle wie im August 2015 nicht mehr zuzulassen. Das heißt, es ist auch eine Präventivmaßnahme.

Wenn die NEOS fragen: Wo ist 2018 der Notfall?, und behaupten, die Bundes­regie­rung ignoriere Fakten, dann kann ich Ihnen nur sagen – es sind ohnehin schon so viele Fakten genannt worden –: In der Türkei warten Millionen von Migranten und Flücht­lingen. Erdoğan kann jeden Tag die Grenzen aufmachen. Es sickern natürlich immer wieder Tausende Leute nach Griechenland durch. Es sitzen Tausende in Bosnien-Herze­gowina. Glauben Sie, die wollen dort bleiben? (Abg. Meinl-Reisinger: Dann kann man die Grenzkontrollen ja wieder einführen!) Die wollen alle nach Deutschland, Österreich, Schweden. Afrika ist ein einziges Pulverfass – derzeit 1,2 Milliarden Men­schen. Die Bevölkerungsexplosion nimmt erst richtig Fahrt auf. Sie werden wohl nicht glauben, dass der Migrationsdruck da nachlassen wird!

Sie reden von Staus, Belastung der Umwelt, Kosten für Einsatzkräfte. Ja, natürlich, Grenzkontrollen kosten Geld, aber bitte: Was haben Sie für Prioritäten? Ich meine, Sie stellen Ihren höchstpersönlichen Komfort über die Verbrechen, die passieren, über die Auswirkungen, die eine unkontrollierte Einwanderung hat. Sie reden hier von 565 Staus. Ich kann die Liste vom Kollegen Roman Haider fortsetzen: Wir können Ihnen locker 565 Verbrechen von Migranten an Einheimischen aufzählen und viele, viele mehr. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Scherak: Toll!)

Die Bürger erwarten sich, dass das Geld für ihre Sicherheit ausgegeben wird. Das ist eine sinnvolle Verwendung von Steuergeld. Das Steuergeld zum Beispiel für die Mindestsicherung von Asylwerbern zu verwenden, wie das das rot-grüne Wien macht – und zwar in einem unglaublichen Ausmaß –, das ist Steuergeldverschwendung und ‑verschleuderung! (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Das Prinzip des freien Europas – das Sie vernichten wollen, mit dem, was Sie da von sich gegeben haben – wollen wir erhalten und schützen: dieses freie Europa, dem wir beim EU-Beitritt zugestimmt haben, unsere liberale, demokratische, freiheitliche Ge­sell­schaft, unsere Werte wie Menschlichkeit, Individualität, die Freiheit des Einzelnen, die offene Kultur, die schöpferische Leistungen anerkennt, und das Ideal von einer vernunftbasierten Leistungsgesellschaft.

Freiheit braucht Ordnung! Ohne Ordnung und Regeln und Gesetze geht die Freiheit des Einzelnen unter. Schauen Sie einmal nach Belgien und in die Niederlande! Warum bezeichnen Sie die nicht als Wackelstaaten? – Hören Sie auf, Österreich so zu bezeichnen! In Belgien und den Niederlanden sind schon islamische Parteien in den jeweiligen Parlamenten, die die Einführung der Scharia ganz offen verlangen. Das Parteiprogramm der belgischen Islam-Partei besteht aus einem Satz: Einführung der Scharia und Errichtung des Islamischen Staates. (Abg. Meinl-Reisinger: Wir sind die Ersten, die das ablehnen! – Abg. Gudenus: Ihr fördert es ja!) Warum ist das nicht ein Wackelstaat? Warum gefährden die nicht das freie Europa? Warum sind das nicht die Spalter? Warum sind es die, die sich an die Gesetze halten und die uns beschützen wollen? (Beifall bei FPÖ und ÖVP. – Zwischenruf der Abg. Meinl-Reisinger.)

Diese Länder kosten Freiheit und Zukunft aller EU-Bürger. Das Motto haben Sie schon richtig gewählt, nur vollkommen falsch angewendet. Und die nationalen Grenzkon­trollen gibt es so lange, bis die Außengrenzen dicht sind! – Danke. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

13.42


Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Zadić. – Bitte schön.



Nationalrat, XXVI.GPStenographisches Protokoll42. Sitzung, 19. Oktober 2018 / Seite 45

13.43.00

Abgeordnete Dr. Alma Zadić, LL.M. (PILZ): Frau Präsidentin! Hohes Haus! Ge­schätzte Mitglieder der Bundesregierung! Was ist letzte Woche passiert? – Rechtskon­servative Minister in Österreich, Deutschland und Dänemark haben die Verlängerung der Binnengrenzkontrollen bekanntgegeben. (Abg. Gudenus: Sapperlot!) Der deut­sche Innenminister Seehofer von der ÖVP-Schwesterpartei CSU hat gemeint, die Voraus­set­zungen für eine Verlängerung des Grenzschutzes an den Binnengrenzen sind gegeben. Was sind denn die Voraussetzungen für die Verlängerung oder für die Kon­trollen an Binnengrenzen? Artikel 23 des Schengener Grenzkodex legt es ganz genau fest, da steht nämlich, wir brauchen „eine [...] schwerwiegende [...] Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit“. Schauen wir uns doch die Zahlen an. Können wir denn tatsächlich von einer schwerwiegenden Bedrohung sprechen? Mein Klubkollege Peter Pilz hat die Zahlen heute ganz genau erklärt. (Abg. Deimek: Der Pilz ist eine schwerwiegende Bedrohung!)

An der Grenze zwischen Steiermark und Slowenien wurden dieses Jahr ganze zehn Per­sonen aufgegriffen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich nehme keine schwerwie­gende Bedrohung der inneren Sicherheit wahr.

Am Rande des Innenministerrates erklärte Bundesminister Kickl, dass er die Aufgabe habe, dem Sicherheitsgefühl der österreichischen Bevölkerung gerecht zu werden. (Abg. Leichtfried: Der Herr Kickl ist schon eine Bedrohung für das innere Sicher­heitsgefühl!) Dafür seien Grenzkontrollen ein gutes Mittel, meinte er. Ich finde das deswegen so interessant, weil es dem Innenminister offensichtlich nicht darum geht, seine Politik an Zahlen, Daten und Fakten zu orientieren, sondern er orientiert seine Politik an Gefühlen. Anstatt das Sicherheitsgefühl tatsächlich zu verbessern, setzt er auf Symbolpolitik. Er hetzt gegen alles, was fremd ist. Er hetzt gegen Minderheiten und spaltet die Gesellschaft in Österreich. (Beifall bei der Liste Pilz und bei Abgeordneten der SPÖ.) Wenn hingegen das Sicherheitsgefühl in Österreich tatsächlich besser zu werden scheint – und das belegen die Zahlen eindeutig –, dann nimmt er Geld in die Hand, um die Menschen wieder zu verunsichern. An der Grenze zwischen Österreich und Slowenien werden teure Grenzschutzübungen durchgeführt, die über eine halbe Million Euro gekostet haben. (Abg. Leichtfried: Das ist ja unerhört! – Zwischenruf des Abg. Gudenus.) Er hat mit dieser halben Million Euro sicherlich einiges dazu beige­tragen, den zehn aufgegriffenen Personen einen ordentlichen Schrecken einzujagen. Des Weiteren hat unsere Bundesregierung 49 Millionen Euro investiert, um die Gren­zen Österreichs vor 600 Flüchtlingen zu schützen. Ist das Geld wirklich gut investiert? (Abg. Leichtfried: Ich glaube nicht! – Abg. Belakowitsch: Ich glaube schon! – Abg. Deimek: Die Mehrheit der Österreicher sagt Ja! Aber ihr seid ja nicht die Mehrheit!)

Wäre es nicht sinnvoller, dort zu investieren, wo die Sicherheit der Österreicherinnen und Österreicher tatsächlich gefährdet ist? Wissen Sie, was das größte Sicher­heitsrisiko in Österreich ist? Das ist die häusliche Gewalt. Hier müsste der Innenminis­ter viel mehr tun, um gegen häusliche Gewalt anzutreten. (Abg. Gudenus: Was wollen Sie denn? Kameras zu Hause?) – Er müsste viel mehr Geld in die Hand nehmen, um Gewalt vorzubeugen, um in Opferschutz zu investieren. Stattdessen kürzt er wichtige Schulungen in der Polizeiausbildung, die von den Frauenhäusern zur Verfügung ge­stellt werden. (Abg. Leichtfried: Sehr gute Logik!)

Aber in einem Punkt gebe ich Ihnen allen recht: Der Grenzschutz ist wichtig. Es ist wichtig, einen ordentlichen und gut funktionierenden Grenzschutz zu haben, der dafür sorgt, dass Migration gelenkt und gesteuert wird (Beifall bei der Liste Pilz), der dafür sorgt, dass diejenigen, die flüchten, registriert und versorgt werden und auch rasch eine Entscheidung bekommen, ob sie hierbleiben dürfen oder nicht. Ja, das alles brauchen wir, aber wir brauchen das an der Außengrenze – an der europäischen


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Außengrenze! Da muss jeder einzelne EU-Staat die Solidarität leben und diesen Grenz­schutz ordentlich ausstatten. (Beifall bei der Liste Pilz und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Auch wenn vernünftige Maßnahmen nicht sofort sichtbar sind, sind sie dennoch richtig. Wenn wir endlich erkennen, dass wir in einer großen europäischen Familie leben, die gemeinsam ihr Haus – also die EU – absperrt (Abg. Gudenus: Tut sie das?), dann brauchen wir auch nicht jedes einzelne Zimmer der Wohnung abzusperren. Wir brauchen es auch nicht zu versiegeln und mit teuren Alarmanlagen auszustatten, denn das Haus ist ja abgesperrt.

Um es frei nach Churchill zu sagen: Wir können Europa nur dann vom endlosen Elend und von internen Konflikten und vom Nationalismus befreien, wenn wir auf die euro­päische Familie vertrauen. Und das ist heute aktueller denn je. (Beifall bei Liste Pilz, SPÖ und NEOS.)

Dieses gemeinsame Vertrauen brauchen wir, um uns globalen Herausforderungen erfolgreich zu stellen. Zu diesen Herausforderungen zählt aber nicht nur die Migration. Dazu gehört auch die nächste Finanzkrise, die Steuerflucht, aber auch die Heraus­forderung der Digitalisierung und generell der Globalisierung, denn jeder soll von der Digitalisierung und von der Globalisierung profitieren können. (Beifall bei der Liste Pilz und bei Abgeordneten der SPÖ.) Statt uns abzuschotten, unsere eigenen Grenzen hochzuziehen und den engen Horizont der nationalen Interessen zu verfolgen, ver­folgen wir doch wieder ein gemeinsames Projekt! Dieses Projekt hat bewiesen, dass es funktioniert. Es hat uns den Frieden und den Wohlstand gebracht. In den letzten Jahrzehnten haben wir gekämpft, damit wir alle, die europäische Familie, zusammen­wachsen. Wir haben eine Gemeinschaft der Werte aufgebaut. Wir haben eine Ge­meinschaft der Grundrechte, eine Gemeinschaft der Freiheit und der gemeinsamen Soli­darität. In diesem Europa haben wir gefeiert, wenn Grenzen abgebaut wurden. Wir haben gefeiert, als Mauern eingerissen wurden. Wir haben gefeiert, dass Brücken gebaut werden. Auf dieses Europa bin ich stolz, und dieses Europa werden wir uns nicht zerstören lassen. (Beifall bei Liste Pilz, SPÖ und NEOS.)

Wir können uns nun gemeinsam entscheiden, in welche Richtung es gehen soll. Aber für mich gibt es nur einen Weg, und der liegt in einer solidarischen Europäischen Union, in der es zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten keine Binnengrenzen gibt. Daher, liebe Regierung: Überwinden Sie Ihre eigenen inneren Grenzen, denn wir brauchen ein starkes und ein gemeinsames Europa! – Vielen Dank. (Beifall bei Liste Pilz, SPÖ und NEOS.)

13.50


Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeord­neter Hoyos-Trauttmansdorff. – Bitte, Herr Abgeordneter.


13.50.35

Abgeordneter Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS): Frau Präsidentin! Herr Minister! Hohes Haus! Liebe Besucherinnen und Besucher auf der Galerie! Kurz bevor ich zum eigentlichen Inhalt komme, will ich noch Folgendes sagen: Kollegin Eva-Maria Himmelbauer – ich weiß nicht, ich glaube, sie ist gerade nicht im Raum – hat davon gesprochen, dass die ÖVP die Europapartei ist. Ich sehe durchaus eine europäische Tradition, die die ÖVP hat. Nur ganz ehrlich: Davon habt ihr euch in den letzten Jahren weit, weit entfernt. (Beifall bei NEOS und SPÖ. – Abg. Berlakovich und Abg. Lopatka: Das ist aber großzügig!) – Ich bin ein großzügiger Mensch, Herr Kollege.

Herr Minister, was uns, unseren aktuellen Bundeskanzler und auch viele Kolleginnen und Kollegen quer durch die Bank eint, ist, dass wir Kinder der Neunzigerjahre sind.


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(Bundesminister Blümel: Achtziger!) – Ja, aber wir haben die Neunzigerjahre erlebt – sehr intensiv –, das waren prägende Jahre für uns. Wir haben viele tolle Dinge tech­ni­scher Natur erleben können, tolle Entwicklungen. Sie werden sich wahrscheinlich auch an Ihr erstes Handy mit Farbdisplay erinnern können. Sie werden sich auch erinnern können, wie Sie in jungen Jahren noch an Grenzen im Stau gestanden sind – sehr oft mit der Familie. (Bundesminister Blümel nickt.) Währenddessen haben Sie Micky-Maus-Hefte gelesen oder vielleicht mit einem Game Boy gespielt. (Heiterkeit des Bundesministers Blümel und bei Abgeordneten der SPÖ.) – Ich weiß nicht, was es bei Ihnen war. Das sind die Dinge, die wir erlebt haben.

Wir haben dann auch die Jahre darauf erlebt, als die Grenzen weg waren, als wir studiert haben und plötzlich Erasmussemester machen haben können, als wir unseren Rucksack haben packen können, einfach drauflosfahren haben können – Interrail oder mit dem Auto – und die Grenzen überschreiten haben können. (Abg. Deimek: ... Schärding und Deutschland! Nein! ... immer diese einseitige Darstellung ...!) Dabei haben wir wahnsinnig viel gelernt, davon haben wir wahnsinnig viel mitgenommen. Ich behaupte, wahrscheinlich wären wir beide heute nicht die Menschen und hätten nicht dieses Weltbild, das wir haben, wenn es diese Zeit nicht gegeben hätte. (Abg. Gudenus: Schrecklich war das damals!)

Gerade für Kinder der Neunzigerjahre, die all das erlebt haben, die genau diesen Schritt der europäischen Öffnung erlebt haben, die diese Generation Europa erlebt haben, tut es mir umso mehr weh, wenn ich sehe, wie Sie als Europaminister und der Herr Bundeskanzler Grenzen schließen und genau das für weitere Generationen zunichtemachen. (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

Ich glaube, das ist absolut nicht notwendig, insbesondere deswegen, weil es aus meiner Perspektive Angstmache ist. Es ist Populismus. Es ist ein ähnlicher Populis­mus – Sie haben vorher den Brexit angesprochen –, wie wir ihn auch in Großbritannien erlebt haben. UKIP hat über Jahre hinweg immer wieder mit kleinen Maßnahmen die Europäische Union schlechtgemacht, sie haben immer wieder draufgehaut. In dem Moment, als der Brexit da war – wo übrigens wir, die junge Generation, klar überstimmt wurden; ich glaube, 75 Prozent der unter 30-Jährigen waren fürs Bleiben in der Europäischen Union, weil es eben so wichtig für unsere Generation ist –, in dem Moment, als Großbritannien entschieden hat auszutreten, in dem Moment ist UKIP nach hinten gegangen und hat gesagt: Wir haben damit nichts mehr zu tun. Das ist klassisch. Wir fahren mit einem Auto gegen eine Wand und dann geben wir den Schlüssel ab. Nichts anderes machen Sie jetzt auch. Sie fahren unsere europäische Identität, unsere europäische Perspektive, die wir Jungen brauchen, die wir Jungen gelebt und erlebt haben, gegen die Wand, schmeißen nachher den Schlüssel einfach in die Donau und warten, was damit passiert. (Beifall bei NEOS und SPÖ sowie des Abg. Noll.)

Um noch einmal zum Punkt zu kommen: Wir wissen alle, dass diese Grenzkontrollen nicht notwendig sind. Ich habe mir das selber vor Ort angeschaut. Wir kennen die Zahlen, Sie kennen sie genauso gut wie ich. Seit 2015 gibt es 95 Prozent weniger illegale Grenzübertritte. (Abg. Belakowitsch: Weil es Grenzkontrollen gibt! – Ruf bei der FPÖ: ... bis zu 10 000 pro Jahr!) Wir haben 800 Soldatinnen und Soldaten an der Grenze und weit weniger illegale Migranten als diese Zahl werden in Österreich aufgegriffen. Die, die aufgegriffen werden, werden nicht an der Grenze aufgegriffen. Fahren Sie an die Grenzen und schauen Sie es sich an! Ich war in Kärnten, ich war in Tirol und habe es mir vor Ort angeschaut. Jeder dort – Soldatinnen und Soldaten, Polizistinnen und Polizisten – sagt einem: Wir greifen an der Grenze niemanden auf. Wenn wir Leute aufgreifen, dann ist es im Hinterland. (Abg. Gudenus: Grenznahe


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Kontrollen gibt es ja auch!) Dementsprechend bringen dieses Grenzkontrollen einfach nichts. (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

Ich und meine Generation haben Europa als großartiges Projekt des Friedens, des Wohlstands und der Freiheit kennengelernt. Ein ganz wichtiger Begriff dabei ist auch unsere liberale Demokratie. All das bringen Sie mit solchen Maßnahmen – und da gibt es unzählige, die Sie immer wieder mit sich bringen – immer wieder in Gefahr. Das ist etwas, was uns extrem schaden wird und was wir nachher teuer bezahlen werden müssen. – Danke schön. (Beifall bei NEOS, SPÖ und Liste Pilz.)

13.55


Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeord­neter Berlakovich. – Bitte, Herr Abgeordneter.


13.55.38

Abgeordneter Dipl.-Ing. Nikolaus Berlakovich (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsi­dentin! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Das Burgenland hat eine Partnerschaft mit dem Saarland. Vor einiger Zeit waren wir dort und die saarländischen Freunde haben uns an die deutsch-französische Grenze geführt, wo damals schon Schengen I – das Abkommen zwischen den Beneluxländern, Deutschland und Frankreich zum Abbau der Grenzkontrollen innerhalb dieses Raumes – gewirkt hat. Wir sind damals vor die­sem Grenzübergang, der leer war und wo die Grenzbalken oben waren, gestanden. Für mich wurde dort der Traum dieses gemeinsamen, geeinten Europas manifest, denn zu der Zeit hat es im Burgenland noch den Eisernen Vorhang gegeben, mit schwersten Grenzkontrollen Richtung Ungarn.

Natürlich ist es so, dass wir uns dazu bekennen, dass es keine Grenzkontrollen an den Binnengrenzen gibt. Herr Kollege Hoyos-Trauttmansdorff, Sie können sich Ihren Hoch­mut sparen, uns zu attestieren, dass wir irgendwann einmal eine Europapartei waren. Faktum ist, dass die Flüchtlingswelle 2015 eindeutig gezeigt hat, dass offene Binnen­grenzen nur dann funktionieren können, wenn es einen effektiven EU-Außengrenz­schutz gibt. (Abg. Yılmaz: Dann macht was! – Zwischenruf der Abg. Meinl-Reisinger.)

Als überzeugter Europäer – seinerzeit wie heute – finde ich, dass Europa in Wahrheit nicht gerüstet war, dass Europa nie eine Antwort darauf gegeben hat, wie denn ein effektiver EU-Außengrenzschutz funktionieren soll. Natürlich hat niemand mit einer derartigen Flüchtlings- und Migrationswelle gerechnet. Tatsache ist, dass diese Migra­tions- und Flüchtlingswelle gezeigt hat, dass eben die EU-Außengrenze nicht geschützt werden kann, und dass das Asylrecht auch nicht dem Stand der Notwendigkeit entspricht. Daher ist es gut, dass Österreich die Ratspräsidentschaft nutzt, um Schritte zu setzen und das zu verbessern. Im Jahr 2015 sind rund 600 000 Menschen durch Österreich durchgereist, in andere Länder geflüchtet oder hiergeblieben. Alleine das Burgenland – wir haben eine Außengrenze von etwa 397 Kilometern zur Slowakei, zu Ungarn und zu Slowenien – war ein Hotspot. Damals sind in etwa 300 000 Menschen über die Grenze gekommen.

Gerade die Menschen im Burgenland haben eine lange Tradition, zu helfen: 1956 beim Ungarnaufstand, 1968 während der Tschechienkrise, als die DDR-Flüchtlinge über die Grenze kamen, in den Zeiten des Jugoslawienkrieges wurde viel, viel geholfen und viele sind dageblieben. Im Jahr 2015 hat es aber eine gewaltige Beunruhigung im Burgenland und in den anderen Grenzregionen gegeben. Fahren Sie raus! Hätten Sie mit den Menschen dort gesprochen, wüssten Sie, dass die Menschen beunruhigende Bilder gesehen und gefragt haben: Was sollen wir tun? Was passiert da? – Sie haben große Sorge, teilweise auch Ängste gehabt. Natürlich muss die Politik darauf Ant-


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worten finden. Eine war eben, zu sagen, dass illegale Grenzübertritte, unkontrollierte Grenzübertritte nicht stattfinden können.

Kollege Schellhorn hat hier die gewaltigen Kosten für die Wirtschaft angesprochen. Wissen Sie, was dieser Grenzeinsatz tatsächlich kostet? – 20 Cent pro Einwohner und Monat. (Abg. Yılmaz: Rechnen Sie das hoch, bitte!) Ich bin der festen Überzeugung, dass die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher sagt, 20 Cent pro Einwohner und Monat – gesamt gerechnet – sind gerechtfertigt, um die Grenzen zu schützen. (Beifall bei ÖVP und FPÖ. – Zwischenruf des Abg. Schellhorn.)

Wichtig ist aber natürlich auch, dass es einen Schutz für die Flüchtlinge selbst gibt und auch eine Bekämpfung der Schlepper. Erinnern Sie sich an den August 2015, als an der Ostautobahn dieser Lkw vorgefunden wurde, in dem 71 Menschen qualvoll zugrun­de gegangen sind. Wir dürfen kein Signal an Schlepper senden, dass sie wieder unge­hindert die Grenzen passieren können und Flüchtlinge somit in kriminelle Hände geraten. Daher ist es wichtig, dass temporäre Grenzkontrollen gemacht werden, damit sich Vorfälle wie 2015 nicht wiederholen.

Ihnen von der SPÖ, die Sie sich hier entsprechend aufregen und das so kritisieren, möchte ich Folgendes sagen: Der burgenländische Landeshauptmann Niessl sieht sich bestätigt, ich zitiere ihn: „Solange die Schengen-Außengrenze nicht jene Standards hat, die notwendig sind, muss es nationale Grenzkontrollen geben.“ Doskozil sieht das genauso. (Zwischenruf des Abg. Loacker.)

Doskozil stand 2015 als Landespolizeidirektor noch an der ungarischen Grenze. Damals sind 300 000 Menschen unkontrolliert über die Grenze gekommen. Heute hat er Lehren daraus gezogen und fordert sogar zukünftige Grenzkontrollen an der öster­reichisch-italienischen Grenze.

Der Punkt ist, dass die Grenzkontrollen selbst ja nicht so sind, dass es unendliche Staus gibt. An der österreichisch-ungarischen Grenze wird es sehr vernünftig gemacht und nur auf das Notwendigste beschränkt, sodass es nicht zu gewaltigen Behin­derun­gen kommt.

Abschließend: Es ist einfach sinnvoll und richtig, dass Österreich im Rahmen der Rats­präsidentschaft – ein Europa, das schützt – Initiativen wie die Stärkung von Frontex an­geht, um einen effektiven EU-Außengrenzschutz zu erreichen, damit ein freies Europa innerhalb unserer Staaten, ein freier Warenverkehr, aber insbesondere auch Perso­nen­­verkehr möglich und gewährleistet ist. – Herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

14.01


Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Als Nächster ist Herr Abgeordneter Muchitsch zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Abgeordneter.


14.01.11

Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Ich darf mich heute auch zu diesem Thema zu Wort melden. (Der Redner stellt eine Tafel auf das Pult, auf der zu lesen ist: „Polnische Firma in Graz“ – „4 Arbeitnehmer bei Schalungsarbeiten“ – „Neubau Geschäftsräume“ – „Unterentlohnung 82 Prozent“ – „Insgesamt wurde eine Strafe von 24.000 Euro beantragt!“ – „Strafe ist nicht voll­streckbar! Strafbescheid endet an der Staatsgrenze!“) Ich bin Frau Klubobfrau Meinl-Reisinger sehr dankbar, dass sie dieses Thema gewählt hat, weil es auch eine Chance ist, aufzuzeigen, wo Europa und wo Österreich nicht funktionieren.

Meine sehr geschätzten Damen und Herren, mit einer Verlängerung der Grenzkon­trollen lösen wir die Probleme, die wir am österreichischen Arbeitsmarkt haben, nicht. Ich versuche nun, das wirklich sehr sachlich auszuführen.


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Sie alle kennen die Fakten: Die Fakten sind, dass dubiose Firmen aus Österreich und aus dem Ausland billige Arbeitnehmer in den ehemaligen Oststaaten und in den süd­lichen Ländern anwerben, damit sie als Leiharbeiter in Österreich angeboten werden können. Sie wissen, es gibt österreichische Großkonzerne, die hinter der Grenze eine Niederlassung, eine Firma, gründen, um diese Arbeitnehmer zu billigeren Lohnneben­kosten wieder nach Österreich zu entsenden. Sie wissen auch – das dritte Beispiel –, dass es österreichische Firmengeflechte, Anbieter und Drahtzieher gibt, die mit billigen Subunternehmen aus dem Ausland hier in Österreich am Markt tätig sind und diese den österreichischen Firmen Subaufträge anbieten.

Es geht dabei aber immer um die Menschen, die da zum Einsatz kommen. Diese Menschen werden überwiegend ausgebeutet, unterentlohnt und bekommen nicht das, was ihnen zusteht. Grenzkontrollen, die Sie jetzt wieder verlängern, lösen diese Prob­leme nicht. All diese Menschen, ob Entsandte oder Leiharbeitskräfte oder ob eigene Arbeitnehmer österreichischer Konzerne, die über der Grenze angeworben werden, kommen mit einem Reisepass nach Österreich. Sie alle haben einen Reisepass und kommen nach Österreich, der österreichische Arbeitsmarkt aber funktioniert nicht.

Ich komme aus Spielfeld – Spielfeld war einmal meine Jugend mit Blasmusik und so weiter –, natürlich hat sich da etwas abgespielt, keine Frage. Natürlich wissen wir, wer damals Innenministerin war, wer damals Außenminister war, es waren nämlich eine ÖVP-Ministerin beziehungsweise ein ÖVP-Minister.

Was mich wirklich schmerzt, ist, dass wir während der EU-Ratspräsidentschaft keine Lösungen finden, Herr Bundesminister, wobei ich in einem persönlichen Gespräch, in einem Gespräch mit deinem Kabinett, wirklich angeboten habe: Machen wir doch gemeinsame Lösungen, setzen wir gemeinsam Maßnahmen gegen so ein Beispiel (auf die Tafel zeigend), wie es unzählige in ganz Österreich gibt! Solche Beispiele wie dieses hier, wo Arbeitnehmer aus Polen auf einer Baustelle in Graz eingesetzt worden sind, gibt es mittlerweile in allen Bundesländern.

Wir kontrollieren mehr denn je mit unseren österreichischen Behörden. Wir stellen Straf­bescheide aus – mehr denn je –, nur diese Strafbescheide enden jenseits der Grenze in den Papierkübeln dieser ausländischen Unternehmen. Herr Bundesminister, genau deshalb wäre es so wichtig gewesen, diese Arbeitsbehörde zu unterstützen und aus österreichischer Sicht zu sagen, was sie alles anbieten und was sie leisten soll. Wir müssen die Probleme der Entsendungen endlich auch europäisch lösen, weil die natio­nale Gesetzgebung nicht ausreicht. Sie reicht dazu nicht aus. (Beifall bei der SPÖ.)

Deshalb: Hören Sie bitte mit Ihrer Populismuspolitik auf! Hören Sie mit Ihrer Klien­tel­politik für die Großkonzerne auf! Machen Sie etwas gegen das steigende Lohn- und Sozial­dumping in Österreich und in Europa und schützen Sie damit endlich auch un­sere österreichischen Betriebe mit Ihren vielen Millionen Beschäftigten, die es kaum mehr schaffen, mit ehrlichen Preisen zu einem Auftrag zu kommen! – Auch das ist eine wich­tige Botschaft. Nutzen Sie noch die letzten zwei Monate der Ratspräsidentschaft! Schrei­ben wir dieses Thema nicht ab! Wir stehen dazu gerne für Gespräche zur Ver­fügung, wenn es darum geht, an einem Europa, das nicht nur schützt, sondern auch wirklich allen nützt, mitzuarbeiten. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Gudenus: Gut gereimt!)

14.06


Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Als Nächster ist Herr Abgeordneter Riemer zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Abgeordneter.


14.06.10

Abgeordneter Josef A. Riemer (FPÖ): Geschätzte Frau Präsident! Herr Bundes­minister! Lieber Beppo Muchitsch, jetzt hast du dich aber mit den Seiten und der Zeit


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vertan. Das, was du erzählst, gibt es an der Grenze Spielfeld seit 20 Jahren, dass die Leute raufgehen, mit Billigstarbeitskräften arbeiten. Dass die Gewerkschaft – das haben wir schon oft angesprochen – das erst jetzt überrissen hat, wundert mich aber sehr (Zwischenruf des Abg. Muchitsch), denn es besteht schon immer und ewig. (Beifall bei der FPÖ.)

Zweitens: Wir reden immer von Europa. Ja, auch ich mag Europa, aber im geo­grafischen Sinn, nicht nur EU-Europa. Europa ist größer als die EU. Ich liebe aber Österreich. (Beifall bei der FPÖ.) Ich bin ein südsteirischer Abgeordneter, der für die Belange der dortigen Bevölkerung einzutreten hat. Wenn das Jahr 2015 immer in Nebensätzen behandelt wird, dann muss ich ganz offen sagen – Verzeihung, hoffentlich ist das nun kein böses Wort –: Dabei geht mir das Geimpfte auf! (Ruf bei der SPÖ: Na das darf ja net wahr sein!)

Was war denn 2015? – Von den Politikern hier im Parlament, von der Landesregierung habe ich im September, Oktober, November, als es gebrannt hat, als die Leute gerufen haben: Kommt doch bitte, redet mit uns!, keinen gesehen.

Zuerst waren es 30, 50, 100, dann plötzlich 200, dann 5 000 Leute, die diese Grenze beiseitegeschoben haben. Jemand hat geschrieben: „Kapitulation! Österreich ist kein souveräner Staat mehr [...] Heute ist der schwärzeste Tag in meinem Leben.“ 5 000 durchwegs junge durchtrainierte Männer haben die österreichische Grenze bei Spielfeld völlig ungehindert und unkontrolliert durchbrochen. Österreich hat seine Souveränität zum Schutze der österreichischen Bevölkerung und so weiter. – Das hat kein einfacher Mensch geschrieben, sondern ein Magister, Doktor und Major. Den Namen sage ich Ihnen gerne, denn er hat noch andere Dinge angeführt, die sich da abgespielt haben.

Bis Wildon war alles gesperrt, die Leute haben ihre Notdurft verrichtet, haben die Dinge, die sie von den Helfern bekommen haben, ab- und weggeworfen, haben Nah­rungsmittel weggeworfen, sind in die Lokalitäten eingebrochen. Der ORF ist dann runter­gefahren und hat niemanden gefunden, da war alles wunderschön. (Zwischenruf bei der SPÖ.)

Bitte, wir brauchen nicht darüber zu reden. Frau Kollegin Fürst hat richtig gesagt, wir haben da nicht nur die Guten bekommen, sondern haben das, was unsere Kinder und Kindeskinder in den nächsten 20, 30 Jahren in Österreich ausbaden müssen, auch mitbekommen.

Warum? – Hunderte Autobusse sind dort gestanden, Hunderte Taxis, jeden Tag 50, 50, 50 abgeschoben. (Abg. Yılmaz: So ein Blödsinn!) Die Taxifahrer oder die Auto­buslenker haben erzählt, bei jeder kleinen Raststation war der Autobus zu einem Drittel leer. Wo sind die Leute hin? Die sind weggesprungen. Das sind die Illegalen, die wir noch heute im Lande haben und ignorieren. (Beifall bei der FPÖ.)

114 000 Überstunden hat es im September, Oktober, November gegeben – 9 000 im September, 38 000 im Oktober, 66 989 im November –, die die österreichische Polizei, die steirische Polizei, abwickeln musste. Die Anfragebeantwortung der Frau Innen­minister war aber sehr dürftig, denn sie hat danach noch gesagt, ja, sie weiß nicht, wie viele Migranten mittels Bussen und Taxis weitergeführt worden sind. Sie weiß auch keine Kosten. (Ruf bei der ÖVP: Wann?!) – Anfrage Innenministerium, Riemer – bitte, ist nachzulesen.

Ende November hat es eine tolle Geschichte mit dem verdienten Brigadier außer Dienst Puntigam und dem heutigen Verteidigungsminister, damals Klubobmann und Landtagsabgeordneter, Mario Kunasek gegeben. Sie haben ein Grenzmanagement


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entworfen, das in den Medien viel beachtet worden ist, aber SPÖ, ÖVP, KPÖ, Grüne sagten Njet.

Gehen wir aber bitte ins Jahr 2018: Pro Borders, die Aktion Puma – danke, Herr Kickl, danke, Herr Kunasek! –, eine tolle Veranstaltung! Es war ein tolles Übungsszenario, damit so etwas wie 2015 nie wieder passiert. Danke, Mario Kunasek! (Beifall bei der FPÖ sowie des Abg. Rädler.)

Wenn Herr Leichtfried mit dem Radl von einer Buschenschank zur anderen fährt, dann soll er bitte genau den Grenzweg fahren: 100 Kilometer, St. Anna am Aigen bis Soboth, 160 Soldaten und Soldatinnen. Wenn wir hergehen und es verächtlich machen, im Sinne von, die stehen herum, dann sage ich: Ich habe die Leute dort besucht, es sind anständige junge Leute, die sich ihrer Aufgabe im Sinne dieser Republik sehr wohl bewusst sind, anders als manche Damen und Herren in diesem Parlament. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Danke, Herbert Kickl, für die Verlängerung bis Mai: Wenn sie durchgeht, freuen sich die Südsteirer. Wir haben damals touristische Einbußen gehabt. Die Tourismusbetriebe und Geschäftsleute haben materielle Verluste gehabt. Diese Schäden, die damals ent­standen sind, hat die Republik bis heute nicht entschädigt. Wollen wir das wieder, unvorbereitet? Danke, Herbert Kickl!

Ich schließe mit Friedrich Hölderlin: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Diese türkis-blaue Bundesregierung hat tolle Maßnahmen gesetzt. Es ist ihr weiterhin alles Gute zu wünschen. Das sage ich als Abgeordneter, als Südsteirer und als be­geisterter Österreicher. Schauen wir, dass Österreich weiter selbstbestimmt die nächs­ten 100 Jahre begehen kann! – Danke. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

14.12


Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeord­nete Bißmann. – Bitte, Frau Abgeordnete.


14.12.11

Abgeordnete Dipl.-Ing. (FH) Martha Bißmann (ohne Klubzugehörigkeit): Frau Prä­sidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Bürgerinnen und Bürger! Herr Bundes­minister! Danke an die NEOS, dass sie dieses Thema aufgreifen und wir es in dieser Sondersitzung gemeinsam behandeln können. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, überraschenderweise sind Sie nicht hier; deshalb: Sehr geehrter Herr Bundesminister Blümel! Kollege Schellhorn hat ja vorhin davon gesprochen, dass sich ein Großteil der Anwesenden im Raum für EU-Außengrenzschutz ausspricht. Ja, auch ich bekenne mich dazu. Heute aber geht es um den völlig nutzlosen, teuren und EU-rechtswidrigen Grenzschutz im Schengenraum.

Europa stehen schwere Zeiten bevor. Der Klimawandel, Brexit, die soziale Ungleichheit und nicht zuletzt die massive Spaltung der Bevölkerung bezüglich des Umgangs mit Neue-Heimat-Suchenden, all das sind Themen, die in den nächsten Jahren zur Zufriedenheit aller behandelt werden müssen, um das Projekt Europa in eine stabile, friedliche und erfolgreiche Zukunft führen zu können. Nur gemeinsam schaffen wir es, all diese Herausforderungen zu meistern.

Unsere Regierung sollte danach streben, Europa zu einen – vereint in seiner Vielfalt – und den Geist der Kooperation zu stärken. Stattdessen werden weiter Ängste geschürt, wird die unsägliche und gefährliche Spaltung unserer Gesellschaft verschärft und be­wusst vorangetrieben. Es werden Hilfsorganisationen, deren Mitarbeiter Menschen­leben im Mittelmeer retten, kriminalisiert und die Grenzen innerhalb der Europäischen Union kontrolliert – und das auch noch europarechtswidrig. All das geschieht laut Regierung


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aus Gründen der Sicherheit, in Wirklichkeit aber ist es Symbolpolitik, die hier betrieben wird.

Welche Sicherheit soll hier verkauft werden? Was tun Sie gegen die realen Bedro­hun­gen, geschätzte Regierung? – Weder der Klimawandel noch die daraus resultierenden zukünftigen Flüchtlingswellen wird man mit Grenzschutz und Überwachung aufhalten können. Es werden weiterhin Symptome bekämpft und nicht die Ursachen. Es wird kurzsichtig und populistisch agiert. Wen interessiert ein Nulldefizit, wenn der soziale Friede im Land gefährdet ist? (Abg. Neubauer: Na geh!)

Laut dem Leiter des EU-Büros der Wirtschaftskammer Markus Stock kostet uns die Abschottungstendenz der Regierung geschätzt 1 Milliarde Euro pro Jahr. (Zwischenruf des Abg. Neubauer.) Diese Milliarde wäre doch in den Bereichen Bildung, Klima­schutz, Arbeitslosigkeit besser investiert.

Doch was sagt eigentlich die Bevölkerung dazu? – Zu Wort gemeldet hat sich Bürger Rafael B. Bohlen, Soziologe aus Wien: Sehr geehrter Herr Blümel! Der Grenzschutz des souveränen Nationalstaats Österreich ist klarerweise jedem Staatsbürger ein Anlie­gen. Grenzkontrollen im Schengenraum und nationalstaatliche Alleingänge behin­dern den Weg einer geeinten und handlungsfähigen EU. Aber genau diese Europä­ische Union, welche zugegebenermaßen auch ihre Schwächen hat, ist der einzige friedliche Weg durch das 21. Jahrhundert. Seit Jahrzehnten schützt uns diese EU vor dem Terror des Krieges. Diese EU kann unter der österreichischen Ratspräsident­schaft entweder Wege finden, gemeinsam neue Herausforderungen zu meistern, oder sie zurück ins alte, zum Scheitern verurteilte Muster Europas führen. Angst führt zu Gewalt, Gewalt zu Hass und Hass zu Krieg. Im Sinne aller ÖsterreicherInnen, welchen das höchste Anliegen Frieden ist und Sicherheit im Staat, ersuche ich Sie, von den Verlockungen einfacher Antworten auf komplexe Situationen Abstand zu nehmen und anstatt über Pullfaktoren von Schleppern endlich über die Pushfaktoren von globalen Migrationsbewegungen zu sprechen. Eine geeinte EU kann diese Themen in Angriff nehmen. Gerade weil ich diese Republik so liebe, behandeln Sie sie bitte gut, solange Sie den Auftrag dazu haben! – Zitatende.

Ja, Herr Kollege Riemer, Heimatliebe ist nicht nur der FPÖ und ihren Anhängern vor­behalten. Einfache Antworten auf komplexe Situationen zu geben ist in der Politik leider in Mode gekommen. Diese soeben zitierte, beeindruckende Bürgerstimme steht stellvertretend für einen großen Teil der Bevölkerung, der keine einfachen Antworten mehr hören möchte, weil sie keinen nachhaltigen Nutzen mit sich bringen, sondern sinnvolle und nachhaltige Lösungen verlangt.

Eine derart kostenintensive, europarechtswidrige und unnötige Verlängerung von Grenz­kontrollen innerhalb der Europäischen Union stellt aber wohl in keinster Weise eine sinnvolle und nachhaltige Lösung dar. Ich beschließe meinen Redebeitrag mit einer Frage von Timo Lehmann, KFZ-Elektronikmeister aus Innsbruck: Geschätzte Regie­rung! Ist Schengen jetzt tot? – Danke schön. (Rufe bei der FPÖ: Kein Applaus!)

14.18


Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Als Nächste ist Frau Abgeordnete Griss zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Abgeordnete.


14.18.05

Abgeordnete Dr. Irmgard Griss (NEOS): Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Als letzte Rednerin meiner Fraktion möchte ich versuchen (Abg. Hammer: Retten, was zu retten ist!), kurz zusammenzufassen, worum es eigentlich geht, warum diese Sondersitzung beantragt wurde.


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Es geht darum, dass die Bundesregierung der Europäischen Kommission bekannt gegeben hat, die Grenzkontrollen um sechs Monate zu verlängern. Sie hat dieses An­suchen mit drei wesentlichen Argumenten begründet: Es kommen wieder mehr illegale Migranten, daher müssen wir kontrollieren. Wir müssen verhindern, dass IS-Kämpfer und Waffen nach Österreich kommen und Terrorakte begangen werden. Das Dritte: Nie wieder 2015! – Das sind die drei wesentlichen Gründe. (Abg. Hammer: Dazu stehen wir!)

Wie schaut es nun damit aus, und wie weit sind die Grenzkontrollen an der unga­rischen und an der slowenischen Grenze dazu geeignet, diese Ziele – weniger oder keine illegale Migration, keine Waffen und keine Terroristen und nie wieder 2015 – zu erreichen? – Wir haben ja eine Situation, die mit 2015 schon deshalb überhaupt nicht vergleichbar ist, weil Ungarn – und das ist immer wieder gerade von der FPÖ sehr lobend erwähnt worden – die Außengrenze hermetisch abriegelt und kontrolliert. Also das hat sich grundlegend geändert, und als ich das gehört habe, habe ich mir gedacht, das ist ja eigentlich eine Art Misstrauensausdruck gegenüber Orbán, den man immer so gelobt hat.

Bei Slowenien habe ich mich gewundert, weil ich gedacht habe, die Balkanroute ist geschlossen. Ich wusste nicht, dass das nur temporär ist. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und Liste Pilz.)

Zum Zweiten: keine Waffen und keine Terroristen, die nach Österreich kommen. Na ja, da genügt ein Blick auf die Landkarte, und da sieht man, dass Österreich nicht nur an Ungarn und an Slowenien grenzt, sondern auch an Italien, an Liechtenstein, die Schweiz, an Deutschland, an die Tschechische Republik und an die Slowakische Republik. Das muss man ja den potenziellen Terroristen zutrauen, dass sie sich über­legen, wo sie am besten nach Österreich kommen können und was erfolgversprechend ist. Außerdem wird man bei einer Kontrolle an der Grenze nicht immer gleich sehen: Das ist ein potenzieller Terrorist. Anschlagspläne, die man nachlesen kann, haben die selten im Auto liegen. (Abg. Rädler: Da brauchen wir also keine Kontrollen!) Also das wird nicht helfen.

Und jetzt das Dritte: Nie wieder 2015! Also ich kenne niemanden – und ich kenne einige Leute –, der sagt: 2015, das hätten wir gerne wieder. (Beifall bei den NEOS.) Jeder weiß, damals ist aus den verschiedensten Gründen viel schiefgelaufen. Das ist heute schon erwähnt worden: keine Unterstützung für die Flüchtlingslager, die Krise in Syrien, all das zusammengenommen. Um dem vorzubeugen, werden ja die paar Kon­trolleure an der Grenze zu Ungarn und Slowenien nicht helfen. Das kann ja nie diesen Erfolg bringen, also das ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Warum machen Sie das? Was ist der Grund dafür? Eigentlich ist es nicht notwendig, und es ist sinnlos. (Beifall bei NEOS und Liste Pilz sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Für Sie nicht! Für Ihre Partei ist es nicht sinnlos, denn Sie bewirtschaften damit ein Problem, das Sie an die Macht gebracht hat. Und das muss man ganz deutlich aussprechen: Sie schüren die Ängste der Menschen (Abg. Hauser: Ein so ein Blöd­sinn!) und berufen sich dann auf diese Ängste als Rechtfertigung dafür, dass Sie das machen. (Beifall bei NEOS und Liste Pilz sowie bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Angerer: Wir nehmen die Ängste der Menschen ernst!)

Die Frau Rechnungshofpräsidentin hat gestern in einer sehr bemerkenswerten und sehr begrüßenswerten Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Zusammenlegung der Sozialversicherungen gesagt: Man spielt hier mit Zahlen, und damit muss man auf­hören. (Abg. Höbart: Nein, wir spielen nicht, wir handeln endlich, wir tun!) Was Sie tun,


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ist ein Spiel mit den Ängsten der Menschen. Hören Sie damit auf, bitte! (Beifall bei NEOS, SPÖ und Liste Pilz.)

14.23


Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeord­nete Yılmaz. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.


14.23.20

Abgeordnete Nurten Yılmaz (SPÖ): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundes­minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für Ihre Rede, Frau Griss, die war sehr erfrischend. Jedes Wort! Danke schön. (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde es wirklich unverschämt, dass sich eine Abgeordnete der FPÖ hierherstellt und sagt: 2015 hatten wir die größte Staatskrise der Zweiten Republik. (Ruf bei der FPÖ: Richtig! – Abg. Höbart: Das ist ein Wahnsinn, was da abgelaufen ist!) Das ist wirklich unverschämt!

2015 waren Wien und Berlin die Kommandozentralen der Humanität in Europa. (Beifall bei der SPÖ. – Heftiger Widerspruch bei der FPÖ. – Abg. Gudenus: Das war unter einem roten Bundeskanzler!) Wenn der damalige Bundeskanzler Faymann und Bun­deskanzlerin Merkel sich nicht abgesprochen und die Grenzbalken geöffnet hätten, hätte es Tote gegeben, und Sie hätten dabei gerne zugeschaut. (Abg. Höbart: Millio­nen haben sich unkontrolliert durch Europa bewegt!) Ihnen nehme ich das wirklich ab. Ich bin sehr froh, dass damals gehandelt wurde. (Abg. Höbart: Migrationstourismus! Von Griechenland kommend, Montenegro, Serbien, Kroatien, Ungarn! – Weitere Zwi­schenrufe bei der FPÖ.) Und ich lasse mir die PolizistInnen, den Samariterbund, die Caritas, die Diakonie und die Kirchengemeinden wirklich nicht diffamieren. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz.)

Tausende von Menschen sind gekommen und haben geholfen. (Abg. Höbart: Die Will­kommensklatscher!) Ja, der Staat war überfordert. Wir wollen es nicht mehr so machen, wir müssen darauf schauen, aber wir hätten damals nicht verhindern können, dass es Tote gegeben hätte. Ich bin stolz auf jede einzelne Österreicherin und jeden einzelnen Österreicher, auf all die Menschen, die dort an der Grenze und auf den Bahnhöfen geholfen haben. (Ruf bei der FPÖ: Großer Applaus!) Vielen Dank! Und hören Sie bitte nicht auf diese Menschen, die nur Verachtung verbreiten! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz. – Abg. Höbart: ... Wirtschaftsmigranten! Durch sechs, sieben EU-Staaten haben sie sich durchgeschlängelt!)

Jetzt wurden sehr, sehr viele Gründe genannt, warum es eigentlich Binnengrenzen geben soll. Ich habe einen Verdacht, den darf ich Ihnen jetzt verraten: Sie wollen von vielen, vielen Maßnahmen, die Sie für Österreicherinnen und Österreicher setzen, ab­lenken. Es soll wieder mehr von Kriminalität, Verhinderung von Kriminalität und von Illegalen gesprochen werden, aber der 12-Stunden-Tag, Kürzung in der Bildungspolitik, in der Gesundheitspolitik, Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen - - (Abg. Winzig: Ist da jetzt was gekürzt? – Weitere Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.) – Lesen Sie den Rechnungshofbericht! Vielleicht erfahren Sie es dort, wenn Sie es mir schon nicht glauben! (Beifall bei der SPÖ.)

Es ist ein Ablenkungsmanöver. Bei der Integration wird gekürzt, in der Frauenpolitik, beim Gewaltschutz wird gekürzt. (Abg. Schimanek: Nein, das ist nicht wahr!) Worüber soll Österreich reden? – Über die Verhinderung von Kriminalität, indem wir die Bin­nengrenzen in Europa wieder hochziehen. Das glaubt Ihnen nicht einmal Ihr Friseur, und der muss sich solche Sachen anhören! Hören Sie auf damit, und halten Sie bitte


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die Menschen nicht für dumm. – Danke. (Beifall bei der SPÖ. – Ruf bei der FPÖ: Das sind die Antisozialdemokraten!)

14.26


Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeord­neter Gudenus. – Bitte, Herr Abgeordneter.


14.27.07

Abgeordneter Mag. Johann Gudenus, M.A.I.S. (FPÖ): Frau Präsidentin! Sehr geehr­ter Herr Minister! Werte Damen und Herren hier im Plenum! Ja, zuerst einmal ein herzliches Dankeschön an die NEOS für die heutige Dringliche, für die Sondersitzung; nicht weil der Titel Sinn macht, sondern weil sich in dieser kurzen Zeit der Reden mehrere Dinge herausgestellt haben. Erstens einmal: Die NEOS, aber nicht nur die NEOS, auch die SPÖ und die Liste Pilz sind die Parteien, der Block für die illegale Massenzuwanderung. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

Das merken die Menschen, das sehen die Menschen, und es ist auch gut so, dass das die Menschen sehen.

Das Zweite ist: Genau dafür wurden Sie auch die letzten Jahre abgewählt, genau dafür wurde und wird bei jeder Wahl die Sozialdemokratie abgewählt, genau wegen dieses Verhaltens, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Ein zweites Dankeschön, weil die Menschen vor den Bildschirmen genau sehen, dass es eine neue Regierung gibt, Blau-Türkis, Türkis-Blau, die eines in den Vordergrund stellt, gestellt hat und weiterhin stellen wird: die Sicherheit der Menschen, Kontrolle, Recht und Ordnung, Fairness, Gerechtigkeit, Vernunft und wirklich eine Politik für die Menschen und nicht für Leute aus Afrika, sondern für die Österreicher, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das sollte Priorität haben. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Und das Dritte ist auch sehr interessant: Die NEOS, die SPÖ und die Liste Pilz sind offensichtlich für die Selbstauflösung Österreichs, weil sie für einen Bundesstaat EU eintreten. Wir feiern ja dieser Tage 100 Jahre Republik, und da ist es eine besondere Schande, meine sehr geehrten Damen und Herren, für die Selbstauflösung Österreichs einzutreten (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP), obwohl wir jetzt, dieser Tage, 100 Jahre feiern, wir am Sonntag einen Festakt begehen und gemeinsam auch andere Festakte begehen.

An meiner Vorrednerin Frau Yılmaz merkt man: Die Lernkurve der SPÖ ist gleich null, da geht nichts weiter. Die Lernfähigkeit der SPÖ ist null. Man merkt auch, dass Frau Yılmaz aus der SPÖ Wien kommt, weil genau die SPÖ Wien ja noch immer Hort dieser Naivität ist, zu glauben, dass die Grenzen offenbleiben sollen, wir alle unterbringen, versorgen können und der Steuerzahler in Österreich dafür aufkommen kann. – Nein, damit werden wir auch in Wien Schluss machen, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Jetzt aber kurz zum Titel dieser Dringlichen: „Mit Europa spielt man nicht: Das heim­liche Verlängern der Grenzkontrollen durch die Bundesregierung Kurz kostet Freiheit und Zukunft für alle Bürger_innen“. Meine sehr geehrten Damen und Herren, man gewinnt den Eindruck, Sie sind eigentlich die Nachfolgepartei der Grünen. Auch die Grünen wurden abgewählt, und mit so einer Politik, die Sie verfolgen, werden Sie bei der nächsten Wahl den Grünen in die außerparlamentarische Opposition folgen, meine sehr geehrten Damen und Herren.


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Und zweitens betreffend heimlich: Was ist daran heimlich, meine sehr geehrten Damen und Herren? Wo werden heimlich die Grenzkontrollen verlängert? – Ja, die Binnen­grenz­kontrollen werden verlängert. Ja, wir haben mit der Grenzschutzeinheit Puma dafür Sorge getragen, dass sich eben die Zustände von 2015 nicht mehr wiederholen. Ja, wir machen die Politik, für die wir gewählt worden sind, nämlich für Sicherheit und Kontrolle zu sorgen, und da ist nichts heimlich, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das sind die Signale, die von Österreich ausgehen sollen, damit sich in Zu­kunft nicht noch mehr Menschen aus Afrika oder Asien auf den Weg nach Mitteleuropa machen, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

Das ist ein klares Signal, und das soll nicht heimlich sein. Das ist unsere Botschaft. Das ist die türkis-blaue Botschaft, die wir auch ganz klar im Regierungsprogramm fest­geschrieben haben. Illegale Migration nach Österreich wünschen wir nicht, illegale Migration nach Europa wünschen wir nicht, und deswegen gewinnen auch solche Kräfte wie wir in der gesamten Europäischen Union weiter an Oberhand, wenn es darum geht, den Außengrenzschutz sicherzustellen, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei der FPÖ. – Abg. Meinl-Reisinger: Oberhand?)

Von Frau Kollegin Alma Zadić zum Beispiel habe ich oft gehört: Es ist wichtig, die Grenzen und die Außengrenzen zu schützen. – Ja, das sagen wir auch. Daran arbeiten wir gemeinsam im EU-Ratsvorsitz und auch danach. Da sind wir auf einem guten Weg, wenn Frontex gestärkt wird, aber bis dahin muss und soll und darf es das Recht der Einzelstaaten sein, die eigenen Grenzen zu schützen. Alles andere wäre verantwortungslos. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Frau Kollegin Zadić! Sie haben gesagt, die Maßnahmen des Bundesministers Kickl sind reine Symbolpolitik. (Abg. Leichtfried: Recht hat sie!) Ich weiß nicht, was daran Symbolpolitik ist, wenn man dafür sorgt, dass es in den nächsten Jahren mehr als 4 000 Polizisten mehr in Österreich geben wird. Das ist keine Symbolpolitik, das ist eine gute Politik. Ich weiß nicht, was daran Symbolpolitik sein soll, wenn Bundes­minister Kickl eine Grenzschutzeinheit Puma auf die Beine gestellt hat. (Präsidentin Kitzmüller gibt das Glockenzeichen.)

Ich komme schon zum Schlusssatz; hier (der Redner wendet sich an die Präsidentin und weist auf das Display am Rednerpult) sieht man die Zeit nicht laufen, Frau Prä­sidentin. – Ich weiß nicht, was daran Symbolpolitik sein soll.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir kommen dem Wählerauftrag weiter nach: Wir sorgen für Sicherheit an den Grenzen, wir sorgen für Abschiebungen, wir sorgen dafür, dass illegale Migration nach Österreich in Zukunft keinen Platz hat. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

14.32


Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeord­nete Margreiter. – Bitte, Frau Abgeordnete.


14.32.59

Abgeordnete Doris Margreiter (SPÖ): Herr Gudenus, Sie kennen aber schon das Ergebnis der letzten Nationalratswahl, der vom Oktober 2017? Da war nämlich die SPÖ vor der FPÖ, und da kann von Abwählen keine Rede sein, aber keine Rede! – So viel dazu. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Grenzkontrollen sollen uns also laut dieser Bundesregierung in Sicherheit wiegen, aber was ist Sicherheit? Für die FPÖ und die ÖVP scheint es ausschließlich der Schutz vor Flüchtlingen, vor Terror und vor Menschen, die sie hier nicht wollen, zu sein, sowie die Schließung von teils gar nicht existierenden Routen. Aber, wissen Sie, Sicherheit ist sehr viel mehr.


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Wie steht es zum Beispiel um Arbeitsplatzsicherheit in diesem Land? Wie steht es um Frauen, die Arbeit haben und auch im Sommer einen Kinderbetreuungsplatz haben möchten? Wie steht es mit dem Schutz vor Kinderarmut? Wie steht es eben auch um die Sicherheit des Patienten, zeitgerecht notwendige Behandlungen zu erhalten? Wie steht es etwa um die Sicherheit, dass wir im Alter einen Pflegeplatz zur Verfügung haben? Wie steht es um den globalen Kampf gegen Cyberkriminalität? Da kennt man nämlich keine räumlichen Grenzen. – Das alles wird von Ihrer Politik der Ausgrenzung und Hetze überlagert. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Hauser: Wer war bis vor einem Jahr Bundeskanzler?)

Hören Sie zu und passen Sie gut auf! – Es ist eine Politik, die fern jeden Anstands und jeder Logik agiert. (Abg. Hauser: Selbstanklage!) Das sieht man auch daran, dass Sie Asylwerber, die hier in Beschäftigung sind, die für sich selbst sorgen, abschieben möchten. Sie möchten keine Gesetze ändern, denn das wäre wirklich ein Leichtes, und das kritisieren eben auch viele Unternehmen, vor allem in Oberösterreich. Die werfen der Wirtschaftskammer, ihrer Vertretung, zu Recht Interessenpolitik und Parteipolitik vor. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz.)

Als Unternehmerin frage ich mich auch, wie es angesichts solch wirtschaftlicher Un­fähigk­eit und Absurdität darum steht, dass ich geeignete Arbeitskräfte bekomme – wir hören immer wieder vom Fachkräftemangel –, dass meine Investitionen in Österreich gut angelegt sind und auch alles dafür getan wird, dass wir nicht wieder eine Finanz- und Wirtschaftskrise, die ich als eine der größten Krisen in Österreich bezeichnen möchte, bekommen.

Wir müssen doch alle Aspekte von Sicherheit sehen. (Ruf bei der FPÖ: Wollen Sie nicht vielleicht zum Thema was sagen?) Sie sind in vielen Bereichen offenbar blind, nämlich vor allem dann, wenn es um Steuerflüchtlinge geht. Davon wollen Sie nichts hören, aber da braucht es Grenzen, damit es auch einen fairen Wettbewerb der Unternehmen gibt. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten von NEOS und Liste Pilz.)

Während wir hier im Parlament etwa über Freihandelsabkommen sprechen und Sie den grenzenlosen und ungezügelten Handel fordern, möglichst ohne jedwede Ein­schrän­kung, während wir all das tun und diskutieren, müssen wir auch feststellen, dass die Wiedereinführung der Grenzkontrollen – und wir haben es heute schon mehrfach gehört – den Betrieben viele Millionen Euro kostet. (Abg. Hauser: Selbstanklage!)

So hat zum Beispiel der Obmann der Bundessparte Transport und Verkehr in der WKO gemeint, es geht um eine immense Vernichtung von Kapital und Zeit und damit tag­täglich um einen enormen Produktivitätsverlust. (Abg. Gudenus: Denken Sie einmal an die Vergewaltigungsopfer, bitte!) Die Erfolge im Kampf gegen die organi­sierte Schlepperkriminalität waren im Gegenzug dazu allerdings bescheiden, würde ich sagen, und der Kampf gegen Schlepper, und das wissen Sie auch, wäre ganz woan­ders zu führen. Sie als schwarz-blaue Bundesregierung diskreditieren vielmehr zahl­reiche NGOs, wie zum Beispiel die Organisation Ärzte ohne Grenzen, denen Sie Zu­sam­menarbeit mit Schleppern vorwerfen (Abg. Hauser: Wir sind gegen Schlepper!), und das ist meines Erachtens wirklich unglaublich und unpackbar! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen mit einer solchen Abschottungspolitik die europäische Idee nicht aufs Spiel setzen. Ich bin nicht bereit, für ein paar billige Schlagzeilen Nachteile, wie ich sie vorhin erwähnt habe, hinzunehmen. Wir vertrauen nämlich auf Europa, und deshalb bringe ich folgenden Entschließungsantrag ein:


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Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Andreas Schieder, Kolleginnen und Kollegen

betreffend „Untätigkeit der Bundesregierung bei der Wiederherstellung von Reise­frei­heit in Europa“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundeskanzler sowie der Bundesminister für Inneres bzw. der/die jeweils zustän­dige BundesministerIn werden aufgefordert, insbesondere die folgenden Maßnahmen ent­schlossen voranzutreiben und dadurch die Grundlage für die rasche Wiederherstel­lung der Reisefreiheit innerhalb der Europäischen Union zu schaffen:

·          Bekämpfung der Fluchtursachen;

·          Erhöhung der EZA-Mittel auf 0,7 Prozent des BNE;

·          Schaffung sicherer Lebensräume in der Nähe von Konfliktregionen in Zusam­menarbeit mit internationalen Organisationen;

·          Europäischer ,Marshallplan‘ für Afrika sowie LLDC-Länder und gerechte Han­delspolitik gegenüber den Partnerländern;

·          Errichtung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems mit einheitlichen Asylverfahren, fairer Verteilung und standardisierten Leistungen;

·          Gründung einer gemeinsamen europäischen Mission zur Kontrolle der Außen­grenzen (Europäische Grenz- und Küstenwache);

·          Verstärkte Anstrengungen bei der Aushandlung von Rückführungsabkommen.“

*****

Danke schön. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von NEOS und Liste Pilz.)

14.38

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Andreas Schieder, Mag. Jörg Leichtfried, Angela Lueger, Ge­nossInnen

betreffend Untätigkeit der Bundesregierung bei der Wiederherstellung von Reisefreiheit in Europa

eingebracht im Zuge der Debatte zur Dringliche Anfrage der Abgeordneten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend „Mit Europa spielt man nicht: Das heimliche Verlängern der Grenzkontrollen durch die Bundesregierung Kurz kostet Freiheit und Zukunft für alle Bürger_innen“ in der 42. Sitzung des Nationalrates an 19.10.2018

Begründung

Österreich hat vor rund einer Woche bei der Europäischen Kommission um Verlän­gerung der Ausnahmegenehmigung zur Durchführung von Grenzkontrollen an den österreichischen Binnengrenzen zu Slowenien und Ungarn ersucht. Kontrollen an den Binnengrenzen der EU widersprechen dem Gedanken eines geeinten Europas und lassen eine der offensichtlichsten Errungenschaften der europäischen Einigung in Luft aufgehen. Das Ziel verantwortungsvoller Politik müsste es daher sein, möglichst rasch


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die notwendigen Grundlagen zu schaffen, um Kontrollen an den Binnengrenzen wieder abzuschaffen.

Grenzkontrollen verursachen einen enormen wirtschaftlichen Schaden, kosten vor allem PendlerInnen viel Zeit und Nerven und die mit ihnen zusammenhängende Staubildung sorgt für eine deutliche Erhöhung der lokalen Umweltbelastung und gleichzeitig für enorme Belastung von AnrainerInnen auf Ausweichrouten. Schätzungen besagen, dass allein durch die Grenzkontrollen ein Schaden in der Höhe von einer Milliarde Euro pro Jahr für Österreichs Wirtschaft entsteht.

Es ist unbestritten wichtig, staatliche Handlungsfähigkeit beim Grenzschutz sicherzu­stellen. Insbesondere sollten Maßnahmen in enger Abstimmung mit anderen betrof­fenen EU-Mitgliedstaaten erfolgen, da einseitige Maßnahmen fast ausschließlich zu negativen Folgen führen. Der EU-Rat wird sich - nachdem die Kommission eine Ein­schätzung abgegeben hat - mit dem österreichischen Antrag befassen. Die österreichi­sche Regierung sollte als Ratspräsidentschaft der gesamteuropäischen Dimension die­ser Entscheidungen entsprechende Bedeutung zumessen. Die Entscheidung über die Binnengrenzkontrollen ist untrennbar verbunden mit Fortschritten in anderen Bereichen der europäischen Migrationspolitik und kann auch nur gemeinsam gelöst werden.

Die Bundesregierung verabsäumt bislang jedoch, im Rahmen der EU-Ratspräsident­schaft die notwendigen Fortschritte zu erzielen, um die Handlungsfähigkeit an den europäischen Außengrenzen zu stärken. Beim Grenzschutz und dem Aufbau von Frontex werden nur zögerliche Fortschritte erzielt, die Zusammenarbeit mit den Part­ner­ländern stockt, neue Rückführungsabkommen sind nicht in Aussicht, die men­schen­rechtliche Situation in den griechischen Aufnahmezentren bleibt im Argen, eine ver­pflich­tende Verteilungsquote im Rahmen eines gemeinsamen europäischen Asylsys­tems wurde von der Bundesregierung aufgegeben, die Mittel zur Bekämpfung von Fluchtursachen deutlich gekürzt, die Zahl der Ertrunkenen im Mittelmeer erreicht neue Höchstwerte, u.v.m.

Innenminister Kickl begründet die Verlängerung der Grenzkontrollen mit der allge­meinen Sicherheitslage. Dies entspricht jedoch nicht den Fakten, sondern entspricht seiner Strategie der Verunsicherung und Angstmache, die in seiner Amtszeit allzu alltäglich geworden ist. Am anschaulichsten wird das dort, wo Kickl von „nach wie vor zu hoher Zahlen von Aufgriffen illegal eingereister“ Personen spricht: Während zum Höhepunkt der Flüchtlingsbewegung im Jahr 2015 mehrere tausend Personen pro Tag die Grenze zu Slowenien überquerten, wurden im gesamten Jahr 2017 laut Medien­berichten 24, im heurigen Jahr bis inkl. Juli lediglich 17 Personen nach Slowenien zurückgewiesen. Ähnlich niedrig sind die Zahlen des Bundesheeres: im Jahr 2018 wurden bislang im Burgenland 62, in Kärnten 64, in der Steiermark zehn Flüchtlinge aufgegriffen.

Von der Politik der Bundesregierung übrig bleibt somit schön verpackte Rhetorik und Kritik an NGOs, die Leben retten – aber keine sinnvollen Taten. Im Gegenteil nützt die Bundesregierung Ängste aus, um von ihrer Politik des Sozialabbaus abzulenken.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundeskanzler sowie der Bundesminister für Inneres bzw. der/die jeweils zustän­dige BundesministerIn werden aufgefordert, insbesondere die folgenden Maßnahmen


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entschlossen voranzutreiben und dadurch die Grundlage für die rasche Wiederher­stel­lung der Reisefreiheit innerhalb der Europäischen Union zu schaffen:

·          Bekämpfung der Fluchtursachen;

·          Erhöhung der EZA-Mittel auf 0,7 Prozent des BNE;

·          Schaffung sicherer Lebensräume in der Nähe von Konfliktregionen in Zusam­menarbeit mit internationalen Organisationen;

·          Europäischer „Marshallplan“ für Afrika sowie LLDC-Länder und gerechte Han­delspolitik gegenüber den Partnerländern;

·          Errichtung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems mit einheitlichen Asyl­verfahren, fairer Verteilung und standardisierten Leistungen;

·          Gründung einer gemeinsamen europäischen Mission zur Kontrolle der Außen­grenzen (Europäische Grenz- und Küstenwache);

·          Verstärkte Anstrengungen bei der Aushandlung von Rückführungsabkommen.“

*****


Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Der soeben eingebrachte Antrag wurde ordnungs­gemäß unterstützt und steht mit in Verhandlung.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dönmez. – Bitte.


14.38.42

Abgeordneter Efgani Dönmez, PMM (ohne Klubzugehörigkeit): Hohes Präsidium! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseher auf der Galerie und zu Hause vor den Bildschirmen! Was sind die Merkmale eines Nationalstaates? – Es sind Sym­bole wie unsere Fahne, unser Adler, Institutionen, gewählte Volksvertreter wie wir, die Staatsbürger, die dann auch einen Reisepass haben (der Redner holt einen Reise­pass aus der Brusttasche seines Sakkos und hält ihn in die Höhe), und es sind die Staats­grenzen. Und es ist die Aufgabe und die Verpflichtung eines Staates und seiner Institu­tionen und Behörden, diese Staatsgrenzen auch zu schützen. Wenn wir Frontex damit beauftragen, die europäischen Außengrenzen zu schützen, und ein vollständiger Schutz erst in einigen Jahren absehbar ist, dann ist es für mich schon nachvollziehbar und verständlich, dass wir, solange die Außengrenzen nicht geschützt werden, unsere Grenzen auch kontrollieren und schützen. – Das ist der eine Punkt.

Der andere Punkt: Viele, fast alle Vorredner und Vorrednerinnen haben das Jahr 2015 zur Sprache gebracht – vollkommen zu Recht. Was ist 2015 passiert? Die „sprechende Raute“ hat, ohne sich mit den angrenzenden Ländern abzusprechen, ein Signal in die Welt gesetzt. Sie hat Selfies mit Flüchtlingen gemacht, und dann erst sind die Massen in Bewegung gekommen und Richtung Europa und Deutschland gegangen. (Rufe und Gegenrufe zwischen Abgeordneten von FPÖ und SPÖ.)

Wenn man sich nämlich den Krieg, die kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien genauer ansieht, sehr geehrte Damen und Herren, dann erkennt man eines: 2014, 2015 war zweifelsohne der Höhepunkt der kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien, aber nicht zeitgleich überall, an allen Orten. (Zwischenrufe der Abgeordneten Greiner und Yιlmaz.) Viele dieser Menschen aus Syrien, aus Libyen, die sich dann auf den Weg gemacht haben, waren zu diesem Zeitpunkt schon in türkischen Flüchtlings­camps. Erst als die deutsche Bundeskanzlerin diese Signale ausgesendet hat, hat sich das geändert.

Wenn man derartige Bilder einer Bundeskanzlerin in die Welt setzt – der Herr Innen­minister hat das vollkommen zu Recht gesagt, und das möchte ich hier auch unter­streichen, dass Migrationspolitik auch etwas mit Kommunikation zu tun hat –, braucht


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man sich nicht darüber zu wundern (Zwischenruf des Abg. Wittmann), dass sich Men­schen, selbst wenn sie in Flüchtlingslagern in der Türkei in Sicherheit sind, auf den Weg Richtung Europa machen, obwohl wir der Türkei für die Flüchtlingshilfe über 3 Mil­liarden Euro und noch mehr zugesagt haben. (Zwischenruf der Abg. Duzdar.)

Was war die Aussage der deutschen Bundeskanzlerin? – „Wir schaffen das!“, hat sie gesagt. (Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Was hat sie geschafft? Nicht: Wir schaffen das!“, sondern: Ihr schafft das! – Das ist die präzise Formulierung! Wer hat nämlich die Folgen zu tragen? – Es sind nicht die Eliten, die das zu verantworten haben, die im Berliner Regierungsviertel wohnen und ihre Kinder in die Privatkinder­gärten und in die Privatschulen schicken! (Bravoruf bei der FPÖ. – Ruf bei der SPÖ: Was soll das?) Dort sind nicht die Flüchtlingskinder anzutreffen, sondern in den Stadt­teilen außerhalb und so weiter.

Die NGOs haben massiv dazu beigetragen, dass wir das alle gemeinsam im Jahr 2015 – gemeinsam mit unseren Behörden, die auch alle sehr engagiert waren – halbwegs gut über die Bühne gebracht haben. Es ist vollkommen richtig und wichtig zu betonen, dass sich 2015 nicht mehr wiederholen darf. Alleine die Diskussion heute und die Sondersitzung, die Sie zu Recht beantragt haben, das, worüber wir diskutiert haben, sind Folgeerscheinungen von 2015. Das hat, wenn wir einen Verantwortlichen in Europa suchen, einzig und allein die deutsche Bundeskanzlerin zu verantworten, und wir müssen jetzt Jahre danach über die Folgewirkungen diskutieren und auch die nächsten Jahre und Jahrzehnte mit den Auswirkungen leben.

Ja, diese Menschen sind hier bei uns. Ich habe mit sehr vielen syrischen Flüchtlingen gesprochen. Viele von ihnen sind mittlerweile meine Freunde geworden, und ich möchte keinen von ihnen missen. Das sind wertvolle Bürger und Bürgerinnen dieses Landes. Sie sind froh – jene, die die Freiheiten der Demokratie und den Rechtsstaat zu schätzen wissen –, dass sie jetzt in Sicherheit sind und dass sie Teil dieser Gesell­schaft sein können. Diesen, die aufgeklärt sind, die eine säkulare Haltung haben, müssen wir die Hand reichen, die müssen wir Teil unserer Gesellschaft werden lassen. Sie werden aber zurzeit alleine gelassen. Darum ist es wichtig, dass wir eine Politik betreiben, die differenziert ist, die diese Menschen hereinholt, sie anhört, damit wir nicht die Fehler machen, die wir bei den Tschetschenen gemacht haben. Das ist für sich eine komplett isolierte Gruppe, die wir kaum erreichen, in der sich eigene Gesetze entwickelt haben. Heute wissen wir, dass es eine der schwierigsten Gruppen ist, was die Betreuung und auch das Zusammenleben betrifft.

Daher ist es wichtig, dass wir in der Politik nicht alle über einen Kamm scheren, son­dern dass wir differenzieren, dass wir den Menschen Hilfe und Unterstützung geben. Auch ich war einer der Kritiker davon und habe bis heute nicht verstanden, warum man Menschen, die arbeitswillig sind, die ihren Beitrag leisten und in einem laufenden Asylverfahren sind, dennoch abschiebt und da Härte an den Tag legt (Abg. Scherak: Sie haben aber mitgestimmt damals!), während sich Straftäter hier frei bewegen können. Leistung durch Integration ist wichtig, ist richtig, aber in diesem Punkt wurden meiner Meinung nach Fehler begangen, denn die österreichische Wirtschaft, unsere Gastronomen brauchen diese Leute, und vor allem ist es eine überschaubare Anzahl. (Zwischenruf des Abg. Schellhorn.) 850 Leuten, die hier als Asylwerber eine Lehre machen, die volle Härte zu zeigen – da wäre ich einen anderen Weg gegangen.

Wenn andererseits am Brunnenmarkt eine Putzfrau auf dem Weg zur Arbeit ist und diese Leute, obwohl sie schon mehrmals verhaftet worden sind, sie zusammen­schlagen und sie dann verstirbt, dann ist das nicht verantwortbar. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Darum ist es wichtig, dass wir differenzieren: Leuten, die Teil unserer Ge­sell­schaft werden wollen, sollten wir die Hand reichen. Bei denen aber, die unseren Rechtsstaat missbrauchen, die unsere Gutmütigkeit missbrauchen, die diese Toleranz


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missbrauchen, die wir ihnen entgegenbringen, müssen wir volle Härte zeigen, und da darf es auch kein Pardon geben. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei Ab­ge­ord­neten von ÖVP und FPÖ.)

14.45


Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Herr Abgeordneter Leichtfried hat sich zur Ge­schäfts­behandlung zu Wort gemeldet. – Bitte.

*****


14.45.54

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ) (zur Geschäftsbehandlung): Frau Prä­si­dentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Herr Abgeordneter Dönmez hat soeben in seiner Rede die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland als „sprechende Raute“ bezeichnet. Das ist meines Erachtens erstens absolut inakzeptabel, zweitens dieses Hauses unwürdig. Ich beantrage daher einen Ordnungsruf. (Beifall bei SPÖ und Liste Pilz. – Zwischenruf des Abg. Dönmez.)

14.46

*****


Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Herr Abgeordneter! Ich habe es nicht gehört, tut mir leid. Ich werde mir das Protokoll kommen lassen, mir den Zusammenhang anschau­en und in der nächsten Sitzung, wenn ich wieder den Vorsitz habe, eventuell von der Möglichkeit Gebrauch machen, da einen Ordnungsruf zu erteilen. (Abg. Schieder: Das geht ja nimmer! – Abg. Hafenecker: Ist ja bei mir auch gegangen! – Abg. Rosenkranz: Das ist ja heute schon einmal gegangen!) – Das geht, Herr Abgeordneter! Nach § 103 Abs. 2 GOG ist es möglich, am Beginn der nächsten Sitzung.

Als Nächster gelangt Herr Abgeordneter Nehammer zu Wort. – Bitte, Herr Abgeord­neter. (Abg. Gudenus: Das Beste kommt zum Schluss!)


14.47.22

Abgeordneter Karl Nehammer, MSc (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ge­schätzte Kolleginnen und Kollegen hier im Hohen Haus! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Galerie und vor den Fernsehgeräten! Die jetzige Diskussion zeigt, dass die Bundesregierung mit ihrer Politik auf dem völlig richtigen Weg ist. Die Grenzen nach außen schützen zu müssen, ist hier im Plenarsaal unbestritten. Solange das nicht gewährleistet ist, ist es umso notwendiger, die Grenzen auch nach innen zu sichern, ein kontrolliertes Einwandern in dieses Land sicherzustellen. Da haben wir ja Konsens erzeugt. In Wahrheit müssen wir diese Sondersitzung als Beweis dafür nehmen, dass auch die Opposition unserer Regierungslinie und unserer Politik zustimmt: Sichere Grenzen nach außen, aber auch nach innen! (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Es darf nicht der Fall sein, dass man, wenn man ein Boot an der Nordküste Afrikas be­steigt, ein sicheres Ticket nach Europa hat. (Abg. Hafenecker: So ist es!) Es ist wichtig, die Menschen zu retten, aber es ist falsch, sie nach Europa zu bringen. (Beifall und Bravorufe bei ÖVP und FPÖ.) Das sind wir, meine sehr geehrten Damen und Herren, den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes schuldig.

Man darf auch nicht verharmlosen oder so tun, als würde es jetzt illegale Migration nicht geben. Wir haben über 100 000 Menschen, die derzeit, 2018, über Spanien, über die Albanien-Route bereits das europäische Festland erreicht haben. Umso wichtiger ist es, dass wir Frontex stärken, aber genauso wichtig ist es, das Innenministerium, das


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Verteidigungsministerium und die Soldatinnen und Soldaten sowie Polizistinnen und Polizisten bei ihrer Arbeit zu unterstützen, denn sie sorgen für Sicherheit in unserem Land! (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Ja, es ist auch eine Ungerechtigkeit der Geschichte, da haben Sie recht in der Kritik, dass Menschen, die sich bemühen, Menschenleben zu retten, gleichzeitig von der organisierten Kriminalität missbraucht werden – ich spreche hier von den NGOs im Mittelmeer –, um illegale Migration zu ermöglichen. Das passiert! Die NGOs vollenden das unsägliche Geschäft der Schlepper, die das Leid der Menschen ausnutzen. Das ist unser Problem. Deswegen müssen wir darauf einwirken, dass die NGOs dieses Tun beenden und wir Sicherheit im Mittelmeerraum schaffen! (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Der Herr Bundeskanzler hat das angesprochen – und was passiert? Der SPÖ-Lan­deshauptmann Kaiser kritisiert ihn dafür, beschuldigt ihn der Unterstellungen. Es ist der gleiche SPÖ-Landeshauptmann, der dafür sorgt, dass sein Sohn bei der EU-Wahl antreten soll, und der Sohn wiederum bezeichnet Österreich als „Nazion“ – als „Nazion“! (Abg. Belakowitsch: Aber er darf eh antreten! – Abg. Rosenkranz: Das dürfte kein Auswuchs sozialistischer Bildungspolitik sein! – Abg. Hauser: Da gehört eine Entschuldigung her! – Ruf: Unfassbar!) Jetzt wird der junge Mann dafür so halb bestraft innerhalb der SPÖ. Sie reihen ihn nämlich nicht mehr nach vorne, sondern auf den nur neunten Platz. Aber auf der Liste steht er trotzdem! Das ist das falsche Verständnis von politischer Kritik und Auseinandersetzung, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Zusammengefasst: Bleiben wir unserer Linie treu: Sicherheit für die Menschen im Land, Sicherheit für Europa, das sichert die Zukunft für Europa und Österreich! (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Gestatten Sie mir noch eine persönliche Anmerkung zur letzten Plenarsitzung, ich habe nämlich Post bekommen, vom Rechtsvertreter des Abgeordneten Pilz, das ist der geschätzte Kollege Noll. Er hat ein sehr freundliches Schreiben verfasst und gemeint, wenn ich mich nicht entschuldigen sollte, dann wird der Rechtsweg beschritten und ich werde wegen meiner Äußerung in der letzten Plenarsitzung strafrechtlich verfolgt.

Ich habe behauptet, dass der Kollege Pilz sexuelle Übergriffe begangen hat. (Ruf: Das wissen eh alle!) Mir wird der Tatbestand der Verleumdung unterstellt. Nun, wenn so ein Strafverfahren passiert, werden die, die es betrifft, nämlich die Frauen, auch wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gezogen, und das will ich nicht.

Herr Kollege Pilz! Ich entschuldige mich daher dafür, dass ich Ihnen das vorgeworfen habe, und ich nehme zur Kenntnis, dass Sie strafrechtlich schuldlos sind, aber mora­lisch schwere Schuld auf sich geladen haben. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Gestatten Sie mir noch ganz kurz, als Beleg für die moralische Verantwortung des Kollegen Pilz ihn selbst zu zitieren. Dieser Text wurde am 7. November 2017 auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht und ist auch mit einem Video unterlegt: „Deshalb möchte ich mich hiermit in aller Form öffentlich bei allen Frauen entschuldigen, die ich durch mein Verhalten gekränkt und verletzt habe. Es geht nicht um mich, es geht um sie.“ (Oh-Ruf bei der FPÖ.) – Nachzulesen auf der Facebook-Seite vom 7.11.2017.

Das ist übrigens auch jenes Video, in dem Kollege Pilz mit den Worten beginnt: „Ich bin einer dieser älteren, mächtigen Männer“ (Heiterkeit bei Abgeordneten der FPÖ), „die zum Teil noch aus anderen politischen Kulturen kommen.“ (Ruf: Da schau her! – Zwi­schenrufe bei ÖVP und FPÖ.) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Moralisch: schuld, strafrechtlich: schuldlos! (Anhaltender Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

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Nationalrat, XXVI.GPStenographisches Protokoll42. Sitzung, 19. Oktober 2018 / Seite 65

Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Da mir keine Wortmeldung mehr vorliegt, schließe ich die Debatte.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abge­ord­neten Mag. Meinl-Reisinger, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Rücknahme der unverhältnismäßig eingesetzten Kontrollen an der österreichischen Staatsgrenze“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die hiefür ein Zeichen der Zustimmung setzen wollen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abge­ord­neten Mag. Schieder, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Untätigkeit der Bun­desregierung bei der Wiederherstellung von Reisefreiheit in Europa“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dafür eintreten, um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.

*****

Meine Damen und Herren! Die nächste Sitzung des Nationalrates, die für Mittwoch, den 24. Oktober, 9 Uhr, in Aussicht genommen wurde, wird auf schriftlichem Weg einberufen.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.

Diese Sitzung ist geschlossen.

14.55.10Schluss der Sitzung: 14.55 Uhr

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Parlamentsdirektion

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Titelbild: ©Parlamentsdirektion/Johannes Zinner