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Stenographisches Protokoll

 

 

 

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852. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

 

Donnerstag, 31. März 2016

 

 


Stenographisches Protokoll

852. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 31. März 2016

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 31. März 2016: 9.02 – 18.19 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Punkt: Bericht betreffend Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission und zu Vorhaben des Rates für das Jahr 2015

2. Punkt: Bericht betreffend Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission und zu Vorhaben des Rates für das Jahr 2016

3. Punkt: Bundesgesetz über die Rückgabe unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter (Kulturgüterrückgabegesetz – KGRG)

4. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bundesmuseen-Gesetz 2002 geändert wird

5. Punkt: Bericht an das Parlament zum Arbeitsprogramm der Kommission für 2016 und zum 18-Monatsprogramm des Rates für 2016/17 gemäß Art. 23f Abs. 2 B-VG iVm § 7 EU-InfoG

6. Punkt: Tätigkeitsberichte des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungs­ge­richtshofes für das Jahr 2014

7. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wird

8. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen betreffend Neuregelung des § 311(5) ASVG

9. Punkt: Jahresbericht 2016 gemäß Art. 23f Abs. 2 B-VG und § 7 EU-InfoG auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2016 und des niederländischen Arbeitsprogramms für das 1. Halbjahr 2016 sowie des Acht­zehnmonatsprogramms des niederländischen, slowakischen und maltesischen Rats­vorsitzes

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Inhalt

Bundesrat

Verlangen auf Durchführung einer namentlichen Abstimmung ..................  52, 118, 144


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 2

Unterbrechung der Sitzung .........................................................................  53, 119, 145

Personalien

Verhinderungen ................................................................................................................ 7

Aktuelle Stunde (41.)

Thema: „Anpassung der Strukturen des Verteidigungsressorts an die Heraus­forderungen der Zukunft: Schnellere Abläufe – Erhöhung der Reak­tionsfähigkeit der Truppe“                        7

Redner/Rednerinnen:

Martin Weber ........................................................................................................... ....... 7

Edgar Mayer ............................................................................................................ ....... 9

Christoph Längle .................................................................................................... ..... 12

Mag. Nicole Schreyer ............................................................................................. ..... 14

Bundesminister Mag. Hans Peter Doskozil .......................................................  16, 25

Wolfgang Beer ........................................................................................................ ..... 20

Armin Forstner, MPA ............................................................................................. ..... 22

Gerhard Dörfler ....................................................................................................... ..... 23

Bundesregierung

Vertretungsschreiben ..................................................................................................... 26

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse ............................................................................ 26

Ausschüsse

Zuweisungen .........................................................................................................  26, 146

Dringliche Anfragen

der Bundesräte Ing. Bernhard Rösch, Kolleginnen und Kollegen an den Bun­des­minister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend Massenar­beits­losigkeit in Österreich durch die verfehlte Arbeitsmarktpolitik der SPÖ-Sozialminister Rudolf Hundstorfer und Alois Stöger (3138/J-BR/2016)      ............................................................................................................................... 90

Begründung: Ing. Bernhard Rösch .............................................................................. 90

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ..................................................................... 95

Debatte:

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ..... 98

Sonja Zwazl ............................................................................................................. ... 101

Rene Pfister ............................................................................................................. ... 105

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ........................................................................................... ... 108

Peter Samt ............................................................................................................... ... 109

Edgar Mayer ............................................................................................................ ... 113

Hans-Jörg Jenewein ............................................................................................... ... 115

Entschließungsantrag der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen betreffend Vorrang für österreichische Arbeitnehmer (Burgenländisches Modell) – Ablehnung (namentliche Abstimmung)  112, 118

Verzeichnis des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung ..................................... 119


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 3

Entschließungsantrag der Bundesräte Peter Samt, Kolleginnen und Kollegen betreffend Einführung des Blum-Bonus Neu – Ablehnung ............................................................................  112, 120

der Bundesräte Mag. Dr. Ewa Dziedzic, Mag. Gerald Zelina, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend bundeseinheitliche Bedarfsorientierte Mindestsicherung (3139/J-BR/2016) ........................................................................... 120

Begründung: Mag. Dr. Ewa Dziedzic ......................................................................... 120

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ................................................................... 121

Debatte:

David Stögmüller .................................................................................................... ... 126

Mag. Klaus Fürlinger .............................................................................................. ... 129

Mag. Michael Lindner ............................................................................................. ... 132

Mag. Michael Raml .................................................................................................. ... 134

Mag. Ernst Gödl ...................................................................................................... ... 139

Günther Novak ........................................................................................................ ... 142

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ........................................................................................... ... 143

Entschließungsantrag der Bundesräte David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen betreffend bundeseinheitliche Bedarfsorientierte Mindestsicherung – Ablehnung (namentliche Abstimmung)            129, 144

Verzeichnis des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung ..................................... 145

Verhandlungen

Gemeinsame Beratung über

1. Punkt: Bericht des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport be­treffend Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission und zu Vorhaben des Rates für das Jahr 2015 (III-548-BR/2015 d.B. sowie 9546/BR d.B.) ................................................................................................................. 27

Berichterstatter: Hubert Koller ...................................................................................... 28

2. Punkt: Bericht des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport be­treffend Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission und zu Vorhaben des Rates für das Jahr 2016 (III-582-BR/2016 d.B. sowie 9547/BR d.B.) ................................................................................................................. 27

Berichterstatter: Hubert Koller ...................................................................................... 28

Redner/Rednerinnen:

Günther Novak ........................................................................................................ ..... 28

Ing. Andreas Pum ................................................................................................... ..... 31

Thomas Schererbauer ............................................................................................ ..... 33

David Stögmüller .................................................................................................... ..... 35

Wolfgang Beer ........................................................................................................ ..... 36

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 1, den Bericht III-548-BR/2015 d.B. zur Kenntnis zu nehmen ........................................................................................................................... 38

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 2, den Bericht III-582-BR/2016 d.B. zur Kenntnis zu nehmen ........................................................................................................................... 38

3. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 17. März 2016 betreffend ein Bun­des­gesetz über die Rückgabe unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter (Kulturgüter­rück­gabegesetz – KGRG) (880 d.B. und 1015 d.B. sowie 9550/BR d.B.) ................................................................................................................. 38


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 4

Berichterstatterin: Mag. Daniela Gruber-Pruner ......................................................... 38

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 38

4. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 17. März 2016 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Bundesmuseen-Gesetz 2002 geändert wird (1011 d.B. und 1016 d.B. sowie 9551/BR d.B.)                       38

Berichterstatterin: Ana Blatnik ...................................................................................... 39

Redner/Rednerinnen:

Mag. Reinhard Pisec, BA ....................................................................................... ..... 39

Elisabeth Grimling .................................................................................................. ..... 41

David Stögmüller .................................................................................................... ..... 42

Sandra Kern ............................................................................................................ ..... 44

Hans-Jörg Jenewein ............................................................................................... ..... 45

Bundesminister Dr. Josef Ostermayer ................................................................ ..... 47

Mag. Daniela Gruber-Pruner ................................................................................. ..... 50

Antrag der Bundesräte Mag. Reinhard Pisec, BA, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 43 Abs. 1 GO-BR, gegen den Beschluss des Nationalrates vom 17. März 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesmuseen-Ge­setz 2002 geändert wird (1011 d.B. und 1016 d.B. sowie 9551/BR d.B.), Ein­spruch zu erheben – Ablehnung (namentliche Abstimmung) ..................................................  46, 52

Verzeichnis des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung ....................................... 53

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 54

5. Punkt: Bericht des Bundeskanzlers und des Bundesministers für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien an das Parlament zum Arbeitsprogramm der Kommission für 2016 und zum 18-Monatsprogramm des Rates für 2016/17 gemäß Art. 23f Abs. 2 B-VG iVm § 7 EU-InfoG (III-571-BR/2016 d.B. sowie 9552/BR d.B.)             ............................................................................................................................... 54

Berichterstatter: Mag. Klaus Fürlinger ......................................................................... 54

Redner/Rednerinnen:

Werner Herbert ....................................................................................................... ..... 54

Stefan Schennach ................................................................................................... ..... 56

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ..... 58

Anneliese Junker .................................................................................................... ..... 60

Staatssekretärin Mag. Sonja Steßl ........................................................................ ..... 62

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-571-BR/2016 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................... 65

6. Punkt: Tätigkeitsberichte des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungs­gerichtshofes für das Jahr 2014 (III-569-BR/2015 d.B. sowie 9553/BR d.B.) .................................................. 65

Berichterstatter: Mag. Klaus Fürlinger ......................................................................... 65

Redner/Rednerinnen:

Adelheid Ebner ....................................................................................................... ..... 65

Dr. Andreas Köll ........................................................................................................... 67

Mag. Michael Raml .................................................................................................. ..... 68

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ..... 69


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 5

Gottfried Kneifel ..................................................................................................... ..... 70

Bundesminister Dr. Josef Ostermayer ................................................................ ..... 71

Annahme des Antrages des Berichterstatters, die Tätigkeitsberichte (III-569-BR/2015 d.B.) zur Kenntnis zu nehmen ........................................................................................................................... 71

Gemeinsame Beratung über

7. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 16. März 2016 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wird (1027 d.B. und 1039 d.B. sowie 9545/BR d.B. und 9548/BR d.B.) ................................................................................................................. 72

Berichterstatterin: Inge Posch-Gruska ......................................................................... 72

8. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, Kollegin­nen und Kollegen betreffend Neuregelung des § 311(5) ASVG (218/A(E)-BR/2016 sowie 9554/BR d.B.) ................ 72

Berichterstatterin: Inge Posch-Gruska ......................................................................... 72

Redner/Rednerinnen:

Rene Pfister ............................................................................................................. ..... 72

Mag. Klaus Fürlinger .............................................................................................. ..... 74

Hans-Jörg Jenewein ............................................................................................... ..... 74

David Stögmüller .................................................................................................... ..... 77

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ................................................................ ..... 78

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 7, gegen den vorlie­genden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................... 78

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 8, dem gegenständlichen Entschließungsantrag 218/A(E)-BR/2016 keine Zustimmung zu erteilen ..................... 78

9. Punkt: Jahresbericht 2016 des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Kon­sumentenschutz gemäß Art. 23f Abs. 2 B-VG und § 7 EU-InfoG auf der Grund­lage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2016 und des niederländischen Arbeitsprogramms für das 1. Halbjahr 2016 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des niederländischen, slowakischen und maltesischen Ratsvorsitzes (III-570-BR/2016 d.B. sowie 9549/BR d.B.) ................................................................... 79

Berichterstatterin: Inge Posch-Gruska ......................................................................... 79

Redner/Rednerinnen:

Peter Samt ............................................................................................................... ..... 79

Stefan Schennach ................................................................................................... ..... 82

Gregor Hammerl ..................................................................................................... ..... 84

Mag. Nicole Schreyer ............................................................................................. ..... 85

Ana Blatnik .............................................................................................................. ..... 87

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ................................................................ ..... 87

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-570-BR/2016 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................... 90

Eingebracht wurden

Antrag der Bundesräte

Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen betreffend Vorrang für österreichi­sche Arbeitnehmer („Burgenländisches Modell“) (219/A(E)-BR/2016)


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 6

Anfragen der Bundesräte

Arnd Meißl, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend geplante Sanierung des Bahnhofs Wartberg, Lärmschutz Wartberg und Barrierefreiheit des Bahnhofs Mitterdorf (3136/J-BR/2016)

Arnd Meißl, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend die Personalfehlstände bei der Polizei, Dienstzuteilungen zu Sonderbetreuungsstellen (SBS) und Betreuungsstellen (BS) des Bundes für Asylwerber und die mögliche Errichtung von SBS und BS im Bezirk Bruck-Mürzzuschlag (3137/J-BR/2016)

Ing. Bernhard Rösch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend Massenarbeitslosigkeit in Österreich durch die verfehlte Arbeitsmarktpolitik der SPÖ-Sozialminister Rudolf Hundstorfer und Alois Stöger (3138/J-BR/2016)

Mag. Dr. Ewa Dziedzic, Mag. Gerald Zelina, Kolleginnen und Kollegen an den Bun­desminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend bundeseinheitliche Bedarfsorientierte Mindestsicherung (3139/J-BR/2016)

Christoph Längle, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Steuerleistungen der Vorarlberger Wirtschaft (3140/J-BR/2016)

Anfragebeantwortung

der Bundesministerin für Bildung und Frauen auf die Anfrage der Bundesräte Ana Blatnik, Kolleginnen und Kollegen betreffend die genaue Höhe der Förderungen der einzelnen Organisationen der anerkannten österreichischen Volksgruppen durch das Bundesministerium für Bildung und Frauen in den Jahren 2010, 2011, 2012, 2013, 2014 und 2015 (2882/AB-BR/2016 zu 3108/J-BR/2016)

 


 


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 7

09.02.05Beginn der Sitzung: 9.02 Uhr

 


Präsident Josef Saller: Ich eröffne die 852. Sitzung des Bundesrates.

Das Amtliche Protokoll der 851. Sitzung des Bundesrates vom 10. März 2016 ist aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gilt daher als genehmigt.

Als verhindert gemeldet sind die Mitglieder des Bundesrates Rosa Ecker, Mag. Su­sanne Kurz, Arnd Meißl und Christian Poglitsch.

Ich darf bei uns sehr herzlich Herrn Bundesminister Mag. Hans Peter Doskozil be­grüßen. – Herzlich willkommen im Bundesrat! (Allgemeiner Beifall.)

Ich begrüße weiters eine Abordnung aus meiner Heimatgemeinde vom Skiclub Bischofshofen unter Präsident Schütter und Geschäftsführer Hans Pichler. – Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Ebenfalls begrüße ich eine der beiden Künstlerinnen, die gestern die Vernissage hatten, Frau Gerti Spreitz. – Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

09.03.22Aktuelle Stunde

 


Präsident Josef Saller: Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Zuhörer zu Hause! Wir gelangen nun zur Aktuellen Stunde zum Thema

„Anpassung der Strukturen des Verteidigungsressorts an die Herausforderungen der Zukunft: Schnellere Abläufe – Erhöhung der Reaktionsfähigkeit der Truppe“

mit dem Herrn Bundesminister für Landesverteidigung und Sport Mag. Hans Peter Doskozil, den ich, wie gesagt, noch einmal herzlich willkommen heißen darf. (Allge­meiner Beifall.)

In der Präsidialkonferenz wurde Einvernehmen über folgenden Ablauf erzielt: Zunächst kommt je eine Rednerin/ein Redner pro Fraktion zu Wort, deren/dessen Redezeit jeweils 10 Minuten beträgt. Sodann folgt die Stellungnahme des Herrn Bundesminis­ters, die ebenfalls 10 Minuten nicht überschreiten sollte. Danach folgt wiederum eine Rednerin/ein Redner der Fraktionen sowie anschließend je eine Wortmeldung der Bundesräte ohne Fraktion mit einer jeweils 5-minütigen Redezeit. Zuletzt kann noch eine abschließende Stellungnahme des Herrn Bundesministers erfolgen, die nach Möglichkeit auch nicht 5 Minuten überschreiten soll.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Weber. Ich erteile ihm hiermit das Wort und mache noch einmal darauf aufmerksam, dass die Redezeit 10 Minuten beträgt. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


9.04.49

Bundesrat Martin Weber (SPÖ, Steiermark): Werter Herr Präsident! Herr Vorsitzen­der! Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer heute! Noch einmal einen recht schönen guten Morgen! Ich meine, dass der 26. November 2015 eigentlich ein denkwürdiger Tag hier in diesem Hohen Hause war, zumindest was das österreichische Bundesheer und seine Wertigkeit und seine Wichtigkeit betrifft, die unterstrichen wurde, wurde doch in der 104. Nationalratssitzung dieser Entschließungsantrag von allen sechs im Nationalrat vertretenen Parteien einstimmig beschlossen.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 8

In dem Antrag heißt es: „Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung, insbe­sondere der Bundesminister für Landesverteidigung und Sport, werden ersucht, dem Nationalrat einen akkordierten Bericht zuzuleiten, inwiefern die Auswirkungen der in der Begründung dargestellten Entwicklungen Änderungen oder Ergänzungen des Strukturpaketes ÖBH-2018 notwendig machen.“

Die erklärte Entwicklung beinhaltet die zunehmende Destabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas, die Konflikte an der unmittelbaren, direkten EU-Außengrenze, Stichwort Ukraine – wenn man bedenkt, dass Wien näher an der ukrainischen Grenze ist als zum Beispiel Bregenz, was die Luftlinie betrifft –, es beinhaltet auch die Terroranschläge in Frankreich mit mindestens 130 Toten. Es be­inhaltet die Terroranschläge zuletzt in Belgien mit mindestens 34 Toten. Es be­inhaltet die Flüchtlingsströme nach Europa. Und so weiter und so fort.

Dieser Allparteienantrag zeigt schon einen Kulturwandel – vielleicht ein bisschen über­trieben formuliert. Aber wenn ich mir die Diskussionen in den letzten Jahren ansehe – was die Wehrpflicht betrifft, Volksbefragungstermine, was die Militärmusikfrage betrifft, wo Themen der Sicherheit mit Themen der Volkskultur vermischt worden sind –, ist es schon gut, dass alle im Nationalrat vertretenen Parteien diesen Entschließungsantrag mit unterstützt und auch ihre Unterstützung für das österreichische Bundesheer damit dokumentiert haben.

Warum ist das so? – Die Bedrohungslage hat sich geändert, demnach muss auch die Strategie darauf Rücksicht nehmen und sich ebenso anpassen.

Stichwort Flüchtlingsströme: Die Grenzsicherungsfrage kann nie und nimmer die Polizei alleine lösen und bewältigen. Der sicherheitspolitische Assistenzeinsatz ist ein wesentlicher Beitrag zur Grenzsicherheit. Gemeinsam konnten wir uns am 16. Februar des heurigen Jahres, gemeinsam mit der Frau Bundesministerin für Inneres, in meiner südoststeirischen Heimat, in Spielfeld, davon überzeugen und vergewissern, wie wich­tig die Dienste des Bundesheers sind. Man kann, was den Grenzeinsatz, den Grenz­schutz betrifft, nur betonen: Der Staat muss wissen, wer woher kommt, wer wohin geht! Es gehört zu den Grundaufgaben des Staates, die Grenze zu schützen und auch zu sichern.

Ich persönlich war 1991 an der grünen Grenze zu Ungarn im Assistenzeinsatz in Klingenbach stationiert. Ende 1991, als die ersten Schüsse in Gornja Radgona, der geteilten Stadt von Bad Radkersburg, gefallen sind, war ich ebenso als Präsenzdiener, als ganz kleines Rädchen dabei und konnte mich damals versichern, dass die Bevöl­kerung mehr denn je hinter dem österreichischen Bundesheer steht. Und auch der Staat, auch wir, die Politik, sollen hinter dem Bundesheer stehen, denn kein Privater würde die Feuerversicherung von seinem Haus kündigen, nur weil es die letzten drei Jahre nicht gebrannt hat.

Man kann schon sagen, dass das österreichische Bundesheer in den letzten Jahren, was den Teil der Bundesfinanzen betrifft, nicht sonderlich bevorteilt wurde. Da geht es gar nicht um Schuldzuweisungen, denn es waren mindestens drei, wenn nicht dreiein­halb, vier, wenn ich das BZÖ dazurechne, in den letzten Jahren ressortverantwortlich.

Die Spitze des Eisberges war, dass ein schon ein wenig fragwürdiger Geräteankauf dem Bundesheer noch einmal umgehängt wurde. Was die Finanzierung betrifft, wurde von Gegengeschäften gesprochen, dass das ja noch einen Gewinn bringt. Damals habe ich mir gedacht, na ja, ich stelle mir auch so einen Flieger in meinen Garten, wenn das so ein Gewinn ist, was die Gegengeschäfte betrifft. Heute wissen wir, dass das nicht der Fall war.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 9

Wir haben das österreichische Bundesheer schon ein wenig nur an Schönwettertagen betrachtet: Wie kann sich das Bundesheer bewegen, wie kann das Bundesheer agieren – in Schönwetterzeiten? Ich nehme jetzt als Beispiel die Zentralküche: in Frie­denszeiten ja, durchaus machbar, wahrscheinlich auch günstiger, aber in einer schwierigen Gesamtsituation, was die Versorgung betrifft, natürlich auch mit Gefahren verbunden.

Wenn ich mir den Entschließungsantrag genauer ansehe, steht drinnen: „die zustän­digen Mitglieder der Bundesregierung“. – Wir sind sehr froh, dass wir einen Bun­desminister haben, der in seiner Vorfunktion an der burgenländischen Grenze schon bewiesen hat, wie er organisieren kann, wie er die Stäbe einteilen kann, und wir sind froh, dass so ein Profi nun vor dem österreichischen Bundesheer steht. Aber nicht nur der Bundesminister für Landesverteidigung hat da eine entscheidende Rolle, sondern eben, wie es drinsteht, die zuständigen Minister. Damit meine ich auch den Finanz­minister. Salopp formuliert heißt es, ohne Geld gibt’s ka Musi, und ohne höhere Budgetmittel und Finanzmittel für das österreichische Bundesheer gibt es auch nicht die Sicherheit, die wir uns wünschen, die Sicherheit, die wir auch brauchen. Das österreichische Bundesheer braucht mehr Budgetmittel in dieser so herausfordernden Zeit.

Wir wissen, dass es viele politische Bereiche, viele Themen gibt, ob das Bildung, Soziales, Gesundheit, Beschäftigung, Arbeit ist, wo es eine große Verantwortung und große Gefahrenlagen gibt, jedoch ist die Sicherheit die Grundlage für alle anderen Themen. Ich weiß schon, gewisse Medien neigen zu fetten Schlagzeilen, aber es geht dabei nicht ums Aufrüsten. Es geht dabei um eine vernünftige und wirksame Aus­rüstung und Ausstattung der Verbände und der Soldatinnen und Soldaten und vor allem auch der Miliz, die wir so dringend brauchen.

Schnellere Abläufe, straffere Strukturen: Auch in den Dienststellen wird wirksam ge­spart, um in andere Bereiche des österreichischen Bundesheeres Finanzmittel ver­schieben zu können. Auch der Herr Bundesminister geht in seinem eigenen Ressort mit gutem Beispiel voran. Es wird weniger Sektionen geben als zuvor.

Alles in allem kann man sagen, die Naturkatastrophen nehmen zu, wenn man die letzten Jahre Revue passieren lässt, die Flüchtlingsströme, die Grenzsicherung ist ein wichtiger Aufgabenteil des österreichischen Bundesheeres. Auch im Ausland gilt es bei friedensschaffenden und friedenserhaltenden Maßnahmen mit dabei zu sein – das alles lastet sozusagen neu auf unserem Bundesheer, und deshalb muss es dafür auch mehr Budgetmittel geben.

Wir können stolz sein auf unser österreichisches Bundesheer. Es kann mehr leisten, als so manche glauben mögen, aber handeln wir auch so, dass das österreichische Bundesheer auch auf uns stolz sein kann! – Danke. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

9.14


Präsident Josef Saller: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mayer. Ich erteile es ihm.

 


9.14.26

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ehrengäste aus Salzburg! Zum heutigen Thema der Aktuellen Stunde „Anpassung der Strukturen des Verteidi­gungs­ressorts an die Herausforderungen der Zukunft: Schnellere Abläufe – Erhöhung der Reaktionsfähigkeit der Truppe“ hat der Kollege Weber schon einiges ausgeführt.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 10

Man muss dazu grundsätzlich erwähnen, dass wir mit dem derzeitigen Strukturpaket seit Dezember 2014 unterwegs sind. Das wurde damals auch in der Regierung entsprechend vorgestellt und sollte dann hinsichtlich der Aufgaben des Bundesheeres im Zuge der nächsten Jahre bis 2018 adaptiert werden. Kollege Weber hat auch schon ausgeführt, worum es dabei geht, hat auch angedeutet, dass der Konflikt in der Ukraine ja gar nicht so weit weg von uns ist, und den Vergleich zu Bregenz gesucht. – Es geht uns in Bregenz tatsächlich viel besser als den Menschen in der Ukraine, das kann man an dieser Stelle ganz kurz anmerken.

Auch die terroristischen Situationen fordern uns stark, nicht nur in Frankreich, sondern auch in Belgien, das hat ja Europa mitten ins Herz getroffen, weil viele von uns aufgrund ihrer Aufgaben auch des Öfteren in Brüssel unterwegs sind. Es geht also nicht nur um den Terrorismus, sondern auch um die Koordinierung der Flüchtlings­ströme, und das ergibt auch für das Bundesheer zusätzliche sicherheitspolizeiliche oder sicherheitstechnische Assistenzaufgaben. Es geht da um die österreichische Sicherheitspolitik im Allgemeinen.

Das hat natürlich mit diesem Strukturpaket 2018 auch seine großen Probleme ge­bracht, man denke an die Inlandsaufgaben: militärische Landesverteidigung, Aufrecht-erhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, Schutz kritischer Infrastruktur, Katastrophenhilfe. Bei der Katastrophenhilfe sage ich dazu, dass Sicherheitspolitik auch an regionale Strukturen denken muss. Wir haben ja in den Ländern zur Kenntnis nehmen müssen, dass an der örtlichen Sicherheit auch oft gerüttelt wird. Und dann geht es nicht nur um die regionalen Strukturen, sondern, wenn man an die EU denkt, auch um Beistands-, Solidaritätsaufgaben und so weiter, Krisenmanagement.

Das stellt uns auch vor größere Probleme, und deshalb ist aufgrund dieser Einspa-rungsmaßnahmen das Bundesheer derzeit nicht in der Lage, die grundlegende Ein­satzstärke, die einmal mit 12 500 Mann definiert wurde, für Inlandsaufgaben zur Ver-fügung zu stellen. Dem österreichischen Bundesheer fehlen, wie man so hört, in etwa 2 000 Unteroffiziersplanstellen, die wohl systemisch vorhanden, aber nicht ausgefüllt sind.

Die Verbände des österreichischen Bundesheers sind aufgrund der Einsparungen bei den Fahrzeugen auch nicht mehr so mobil, wie sie sein sollten. Auch bei der Miliz gibt es gewaltige Probleme. Die selbständigen Milizbataillone werden nicht aufgestellt, der Unteroffiziersnachwuchs, wie man gehört hat, ist also nicht gewährleistet.

Sie haben, Herr Minister, vorgestern in den Medien erklärt, dass Sie sofort bereit sind, 1 000 zusätzliche Soldaten aufzunehmen. Das ist durchaus eine sehr gute und bemer-kenswerte Botschaft. Es wird nicht einfach, aber da sind Sie, glaube ich, auf dem richtigen Weg.

Wir sind oder wir waren mit diesem sogenannten Strukturpaket 2014 am Beginn, und es ist auch sicher, dass mit der budgetären Unterdotierung ein eklatanter Leistungs-verlust einhergeht. Wenn das Strukturpaket 2018 voll umgesetzt würde, dann wären wir wirklich mit gröberen Leistungseinbußen konfrontiert.

Sie haben ja angekündigt, Herr Minister, und das ist durchaus auch löblich, dass das Strukturpaket gestoppt werden soll, und das haben Sie auch mit dem Vorsitzenden der Landeshauptleutekonferenz, dem Salzburger Landeshauptmann Haslauer, besprochen, der das auch in seiner Antrittsrede in der vorletzten Sitzung des Bundesrates hier entsprechend dargestellt hat.

Zu dieser Entschließung des Nationalrates, die der Kollege Weber erwähnt hat, gibt es nichts hinzuzufügen, das kann ich in vollem Umfang unterstreichen. Sie haben sich


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 11

auch zu diesem Entschließungsantrag bekannt, Herr Minister, das möchte ich durch­aus auch erwähnt haben, das können wir, glaube ich, abhaken.

Es gibt aber einige ganz konkrete Maßnahmen, die man wirklich nicht unerwähnt lassen sollte, auch aus Sicht meiner Partei. Meine Partei hat sich ganz klar für das Bundesheer, für den Grundwehrdienst ausgesprochen, damit auch – ich komme nochmals auf das zurück – für die Sicherung von regionalen Strukturen. Sie haben, wie gesagt, angekündigt, dass Sie die Strukturreduktion stoppen werden. Da sind wir auf gutem Wege.

Wir haben aus den Ländern auch gefordert, dass man die Kasernenschließungen, auch Veräußerungen, stoppen soll. Da geht es zum Beispiel um Kasernen in Horn, Freistadt, Bleiburg, Tamsweg und Lienz. Das wurde ja zurückgenommen.

Auch das Veräußern – das Verscherbeln, hätte ich beinahe gesagt – von schweren Waffen soll gestoppt werden, weil Kampfpanzer und Artilleriegeschütze für die Rekonstruktion im Sinne der Landesverteidigung weiter erforderlich sind. Das Ein­lagern von einem Leopard-2A4-Panzer kostet zum Beispiel pro Stück 4 000 € per anno. Die Neubeschaffung kostet etwa 12 Millionen pro Stück, und wenn man einen verkaufen würde, bekommt man zirka 100 000 € dafür. Da kann man sich leicht ausrechnen, was in kaufmännischer Hinsicht der bessere Weg ist. Auch wenn man die Geräte zehn Jahre in irgendeiner Form einlagert, sind sie nach wie vor auf einem internationalen Standard.

Auch sollten wir die Personalreduktion stoppen. – Da gibt es von Ihnen eine klare Botschaft. Sie möchten mehr Soldaten. Sie haben hier von 1 000 zusätzlichen Solda­ten gesprochen. Das ist ein guter Schritt in die richtige Richtung.

Zum Stoppen der Zentralstellenreform: Da wäre eher eine Durchforstung und Kürzung von Verwaltungsabläufen sowie die Vorgabe einer diesbezüglichen Zielstruktur für das Jahr 2025 angebracht.

Auch bei der Dienstgradreform gibt es einigen Widerstand auch seitens der Personal-vertretung und des Kaderpersonals.

Kollege Weber hat schon das Thema Militärmusik versus Kulturgut des Landes ange­sprochen. Ja, das kann man schon auf eine Ebene bringen, aber die Militärmusik­kapellen sind auch Teil der Identität eines einzelnen Bundeslandes, und sie sind auch eine Ausbildungsstätte nicht nur für Grundwehrdiener, sondern auch für gute Musikan­ten, die im Blasmusikverband dann dringend gebraucht werden. Das ist nicht un­bedingt eine Kernaufgabe des Bundesheeres, aber ein ganz wesentliches Merkmal der Identität eines Bundeslandes.

Die Sparziele kann man sicher durch Reduktion der Kaderteile und dann durch Auffüllen mit Grundwehrdienern erreichen.

Zum Assistenzeinsatz, zu dem Sie auch eine klare Meinung haben, Herr Minister: Da geht es auch um klar definierte Aufgaben, dass dieser Einsatz durch Rekruten ab dem vierten Ausbildungsmonat bewältigbar ist. Die Kosten an der Grenze mit dem Einsatz von Berufssoldaten, wenn man es so betrachtet, sind derzeit mit in etwa 170 000 € pro Tag zu veranschlagen. Das könnte auf etwa 25 000 € gesenkt werden. Darüber hinaus ist dieser Einsatz vor allem auch für die Grundwehrdiener sinnstiftend, was auch im sogenannten Wehrdienstbericht gefordert wird.

Wie gesagt, Herr Minister Doskozil, da gibt es Ihrerseits eine klare Aussage, die ich unterstreichen kann. Für mich ist auch klar: Ein ausgebildeter Grundwehrdiener kann den Staat Österreich mit der Waffe verteidigen. Daher kann er auch sinngemäß (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller) – Herr Kollege Stögmüller, deswegen geht


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ein Grundwehrdiener zum Bundesheer, damit er auch das lernt, und nicht nur, damit er irgendwo herumhängt – dazu verwendet werden, die Grenze zu überwachen oder zu schützen, wenn Sie das so wollen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

Auch was den Assistenzeinsatz im Burgenland anbelangt, den Sie schon erwähnt haben, Herr Minister, kann man das unterstützen. Das war ja schon einmal so. Kollege Weber hat das erwähnt, weil er selber dort war. Das würde auch in großen Teilen der Bevölkerung sehr gut ankommen.

Zur budgetären Situation: Da sind Sie auch auf dem Weg, Verhandlungen mit dem Finanzminister zu führen. Das wird sich in den nächsten Wochen und Monaten hof-fentlich auch klären. Dafür und für diese Maßnahmen haben Sie die Unterstützung auch meiner Partei und meiner Fraktion, Herr Minister!

Abschließend: Jacques Tati hat einmal gesagt: Das Militär ist eine Pflanze, die man sorgfältig pflegen muss, damit sie keine Früchte trägt. Das lasse ich jetzt einmal so stehen. – Ich danke. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten von SPÖ und Grünen.)

9.24


Präsident Josef Saller: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Längle. – Bitte.

 


9.24.24

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Geschätzte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Da ich heute Erstredner meiner Fraktion bin, spreche ich den Angehörigen der Opfer der Anschläge in Belgien unser tiefstes Beileid aus. Diese verbrecherischen Akte der Zerstörung und Gewalt werden von uns Freiheitlichen auf das Schärfste verurteilt. Viel Kraft und Energie an dieser Stelle für die Polizei und die Sicherheitskräfte, um eine lückenlose Aufklärung zu gewährleisten!

Die Sicherheitslage ist momentan sicherlich sehr angespannt. Wir sehen das in Europa tagtäglich. Der Flughafen von Brüssel ist immer noch gesperrt. Hoffen wir, dass die Situation dort in Zukunft besser wird und es wieder in Richtung Normalität geht.

Zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang sicherlich auch die geplante Novellierung der Regelungen hinsichtlich des Strafregisterinformationssystems. Diese stand ja auch auf der Tagesordnung der gestrigen Sitzung des EU-Ausschusses.

Auch sehr passend ist das Thema der heutigen Aktuellen Stunde, in der es um Struk­turen des Verteidigungsressorts und eine schnellere Reaktionsfähigkeit der Truppe geht.

Gerade auch in den letzten drei, vier Tagen haben wir im Fernsehen und diversen anderen Medien wieder Aussagen von Sicherheitsexperten gehört, die gemeint haben, dass auch Österreich nicht mehr so sicher ist, wie es war. Ich darf auf die „Zeit im Bild“ von vor zwei Tagen verweisen, in der gesagt wurde, dass in Graz und auch in anderen Städten in Österreich die Sicherheit durchaus auch gefährdet ist und es dort auch zu Anschlägen kommen kann. Um das zu verhindern oder darauf relativ gut reagieren zu können, ist natürlich die Struktur unserer österreichischen Sicherheitskräfte und gerade auch die Struktur unseres Bundesheeres sehr wichtig.

Leider war es in der Vergangenheit aber so, dass seitens der zuständigen Minister von ÖVP und SPÖ den Worten keine Taten folgten, denn Papier ist ja geduldig und schönreden kann man viel. Schön wäre es, wenn jetzt endlich auch einmal Taten folgen würden.

Sie, Herr Minister, haben zu Beginn Ihrer Amtszeit recht eindeutige Aussagen getätigt. Das möchte ich jetzt schon auch betonen, dass das auch von mir und von uns


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Freiheitlichen sehr positiv aufgenommen wurde. Ich hoffe aber schon, dass es nicht bei diesen Worten bleibt, sondern dass auch Taten folgen.

Ihre Vorgänger haben das Ganze leider mehr oder minder schlecht gemacht, wobei der Ausdruck schlecht zu milde ist; ich denke, das war doch sehr miserabel. Es waren zwar immer wieder gute Ansätze vorhanden, welche dann aber kläglich scheiterten, Stichwort Attraktivierung des Grundwehrdienstes, Dienstgradreform, Fahrzeuge und so weiter. Das Ergebnis war, dass das Bundesheer seine Einsatzfähigkeit zum Großteil verlor und viele, viele einsatztechnische Geräte wie Fahrzeuge und Ausrüstung stetig abgebaut wurden. Als Beispiel möchte ich die Kampfhelme nennen. Wir haben nicht einmal genügend Kampfhelme, um jedem Soldaten einen Kampfhelm geben zu können. Wenn man sich das jetzt im Detail anschaut, dann ist das schon ein Wahn­sinn: Man hat vor gut 15 bis 16 Jahren rund 30 000 Stück dieser Kevlarhelme gekauft. In diesen Jahren sind schon viele kaputtgegangen. Sollte es wirklich so weit kommen und wir auch die Miliz mit diesem Gerät ausstatten müssen, dann haben wir für unsere Soldaten nicht einmal genügend Helme. Das finde ich schon sehr bedenklich.

Herr Minister, sehr interessant ist auch, dass Ihr Vorgänger eigentlich die ganze Infrastruktur des Bundesheeres zerstört hat und dass dieser jetzt aber für die Infrastruktur in Österreich verantwortlich ist. Wenigstens haben Sie, Herr Minister, verlautbart, dass die Reform Ihres Vorgängers ÖBH 2018 einmal auf Eis gelegt wird. Ich möchte auch auf die Abstimmung im Nationalrat verweisen; Herr Kollege Mayer und Herr Kollege Weber haben es vorhin ebenso erwähnt. Ich darf hier aber auch noch einmal deponieren, dass es sicherlich nicht sein kann, dass immer nur angekündigt wird und keine Taten folgen. Ich appelliere an Sie an dieser Stelle sehr eingehend. Für Ende April werden ja die Ergebnisse erwartet, dann gibt es wieder einen Ausschuss im Nationalrat, und ich hoffe, dass wir da etwas Klarheit in die Sache bekommen.

Erwähnt wurde von Ihnen auch, dass die Kasernen in Horn, Freistadt, Bleiburg, Tamsweg und Lienz erhalten bleiben sollen. Ich frage Sie jetzt direkt, ob das stimmt oder nicht. Das wäre für die Regionen sicherlich von Vorteil, und vor allem wäre es auch etwas, was den dort stationierten Soldaten Sicherheit und Stabilität gibt.

Ebenso ist zu betonen, dass wir Freiheitliche selbstverständlich auch einen Antrag in diese Richtung gestellt haben und dass ein anderer freiheitlicher Antrag immer noch auf Halde liegt, und zwar zum Erhalt der Strucker-Kaserne. Es ist schon interessant, dass dieser Antrag von SPÖ und ÖVP vertagt wurde und daher die Behandlung dieses Themas mit den Stimmen der Regierungsparteien auf unbestimmte Zeit verschoben wurde.

Ich muss da wirklich ehrlich sagen, Herr Minister: Es tut mir leid, aber es ist halt sehr unlogisch, was Sie da machen. Sie – speziell auch Ihre Vorgänger – haben da ständig einen Zickzackkurs an den Tag gelegt, und das Ganze ist sicherlich nicht schlüssig beziehungsweise stringent.

Der nächste Punkt, den ich ansprechen möchte – meine Vorredner haben dazu ja auch schon kurz etwas gesagt –, ist die Militärmusik. Vorweg: Auch zu diesem Bereich liegt von uns Freiheitlichen selbstverständlich ein Antrag vor, der auch auf unbestimmte Zeit vertagt wurde. Sie haben gesagt, Herr Minister Doskozil, dass die Militärmusik wieder in ihre alte Struktur zurückgeführt werden soll. Da frage ich Sie jetzt auch direkt an dieser Stelle: Stimmt das oder stimmt das nicht?

Als Nächstes darf ich zum Thema Mannstärke des österreichischen Bundesheeres überleiten. Da ist natürlich auch gleich anzumerken, dass zu diesem Bereich vonseiten der Freiheitlichen ebenfalls ein Antrag gestellt wurde; auch dieser Antrag wurde mit den Stimmen von ÖVP und SPÖ auf unbestimmte Zeit vertagt. Da hätte ich die Frage, ob Sie uns einmal erklären können, warum von Ihrer Seite Anträge immer vertagt und


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nicht bearbeitet werden und so über sehr lange Zeit liegen bleiben. (Bundesrat Mayer: Da kann ja der Herr Minister nichts dafür!) – Ja, das ist interessant, dass Sie das sagen, Herr Mayer, dass der Herr Minister nichts dafürkann, aber dennoch ist er Mit­glied der Regierung, und von den Abgeordneten der Regierungsparteien werden eben immer die Oppositionsanträge vertagt.

Direkt fragen möchte ich Sie auch, wie es mit den Bataillonen tatsächlich ausschaut. Werden die Kompanien nun stillgelegt oder nicht? Die Gründe für die Beibehaltung der Kompanien liegen auf der Hand; das haben Sie auch selbst gesagt.

Eine weitere Frage meinerseits ist: Was passiert mit den kürzlich aufgenommenen Soldaten? Gibt es für diese Soldaten Planstellen oder nicht? Können die längere Zeit im Bundesheer bleiben oder nicht?

Betrachtet man nun die Vorschläge im Detail, dann ist eindeutig und klar festzustellen, dass all die neuen Konzepte, die angekündigt wurden, eine eindeutige und klare freiheitliche Handschrift tragen. Wir Freiheitliche haben ja diese Punkte schon lange aufgezeigt und auch mittels unserer Anträge unterstrichen.

Recht erstaunlich ist auch, dass sich die ÖVP in diesem Bereich immer sehr bedeckt hält, denn die ÖVP hat sehr wohl etwas mit den Sparmaßnahmen im Bundesheer zu tun. Das kann nicht immer auf die SPÖ geschoben werden. Es muss nämlich auch gesagt werden, dass das Bundesheer nur mit den nötigen Geldmitteln seine Aufgaben erfüllen kann. Da möchte ich Sie wieder direkt fragen: Wie schauen die Verhandlungen mit dem Finanzminister aus? Gibt es da bereits konkrete Vorschläge, wie die Budgetmittel aufgestockt werden? Was sagt dazu die ÖVP?

Bezüglich Einleitung des Unterganges des Bundesheeres ist ebenfalls direkt die ÖVP anzusprechen, denn euer Minister war es, der diese Zerstörung der Strukturen eingeleitet hat. Es wurde nicht nur der Grundwehrdienst von acht auf sechs Monate herabgesetzt, sondern damit auch die Miliz zerstört.

Zwei, drei Worte abschließend noch in Richtung des Kollegen Stögmüller: Es war damals Usus, dass auch Grundwehrdiener die Grenze geschützt haben. Ich selbst war sieben Mal auf Grenzeinsatz mit Grundwehrdienern, und es hat immer sehr gut funktioniert. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.) Wenn die Personen aus­reichend ausgebildet werden und die nötigen Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden, dann ist das auch durchaus möglich. (Neuerlicher Zwischenruf des Bundes­rates Stögmüller.) – Sie könnten uns aber auch einmal Ihre praktischen Erfahrungen erklären und nicht immer nur aus der zweiten Reihe billig herausrufen.

Abschließend halte ich fest, dass ein gut funktionierendes Bundesheer für die Sicher­heit und das Wohlbefinden der Österreicherinnen und Österreicher unerlässlich ist. Ich hoffe, dass diese Ankündigungspolitik einmal aufhört und wir Taten sehen.

Das Bundesheer hat sich gerade in den heutigen schwierigen Zeiten, in denen es barbarische Anschläge, Kriege und Zerstörung mitten in Europa gibt – Stichwort Ukraine –, eine gute und starke Struktur verdient. Mit der Sicherheit ist sicherlich nicht zu spaßen. Die sollte niemals vergessen werden.

Zum Schluss bedanke ich mich bei allen Soldatinnen und Soldaten für ihren enga­gierten Einsatz für unsere Heimat. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

9.35


Präsident Josef Saller: Nächste Rednerin: Frau Bundesrätin Mag. Schreyer. – Bitte.

 


9.35.18

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Minister! Wir hatten Ende 2014 schon eine Aktuelle Stunde hier im Bundesrat zum


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Thema Auswirkungen der Bundesheerreform auf die Bundesländer mit dem damaligen Verteidigungsminister Klug. Ich habe mich damals ein bisschen schwer damit getan, die Auswirkungen zu beschreiben, weil es damals einfach noch keine Reform gegeben hat. Es sind dann kurz darauf – das ist auch noch nicht lange her, ein Jahr und drei Monate – Einsparungsvorschläge im Rahmen eines Strukturpakets herausgegeben worden. Die Verhandlungen mit der ÖVP haben sich damals ziemlich verzögert und sehr in die Länge gezogen, obwohl auch damals schon von allen Seiten ein höheres Tempo und straffere Verhandlungen eingefordert wurden.

Was uns Grünen damals gefehlt hat, war eine weitreichende Reform anstelle des Bündels an Einzelmaßnahmen auf beiden Seiten – auf der Ein- und auf der Ausgaben­seite –, das damals vorlag. Das war Ende 2014, und 2015 war, wie wir wissen, ein Jahr, auf das niemand in dieser Form vorbereitet war. Es hat uns vor riesige Herausforderungen gestellt, vor allem auch an den Grenzen im Osten und Süden des Landes. Es haben die Anschläge von Paris schon vor den Ereignissen der letzten Woche das direkte Gefahrenpotenzial in Europa vor Augen geführt und auch die sicherheitspolitischen Herausforderungen, die wir auch in Europa und in Österreich haben, und natürlich auch die diesbezüglichen Defizite aufgezeigt.

Es hat dann – das ist auch schon erwähnt worden – Ende 2015 einen Entschließungs­antrag im Nationalrat gegeben, den auch wir Grüne mitgetragen haben, der eben schon erwähnt wurde und der im Wortlaut heißt: „Die zuständigen Mitglieder der Bun­desregierung, insbesondere der Bundesminister für Landesverteidigung und Sport, werden ersucht, dem Nationalrat einen akkordierten Bericht zuzuleiten, inwiefern die Auswirkungen der in der Begründung dargestellten Entwicklungen Änderungen oder Ergänzungen des Strukturpaketes ÖBH-2018 notwendig machen.“

Ich habe jetzt bei meinen Vorrednern herausgehört, dass das die meisten Fraktionen als eine sehr große Budgetzusicherung verstehen. Wir verstehen das nicht so, sondern einfach einmal als einen Bericht darüber, was wirklich geschehen soll – und dann überlegt man sich, ob und wie das Budget daran angepasst werden soll. Wir haben das sicher nicht als Freibrief unterschrieben.

Seit Kurzem gibt es nun einen neuen Verteidigungsminister, und es sind auch schon viele Änderungen und Ergänzungen zu diesem Strukturpaket 2018 vorgeschlagen worden. Auf den ersten Blick, wie es auch auf der Homepage des Ministeriums nachzulesen ist, schaut es diesmal – und da muss ich jetzt schon einmal ein kleines Vorablob aussprechen – nach einer echten Reform aus, mit einer Verschlankung des Verwaltungsapparats – es ist schon lang und breit erklärt worden, was ungefähr geplant ist , mit großen Umstrukturierungen, mit Neuverteilungen von Kompetenzen. Das ist im Moment noch sehr schlagwortartig. Um das genauer beurteilen zu können, möchte ich noch auf die Details und eben auf diesen Bericht, der in dem Ent­schließungs­antrag im Nationalrat gefordert worden ist, warten, sodass wir uns wirklich die Details und nicht nur die Schlagworte dazu anschauen können.

Im Zuge dessen  und da bin ich auch schon gespannt, was dann drinnen steht und was genau vorgeschlagen wird – wäre es auch ganz wichtig, endlich auch vermehrt Vorschläge der Bundesheerreformkommission umzusetzen. Diese Vorschläge sind mittlerweile auch schon über zehn Jahre alt, und es sind immer noch sehr große Teile davon unangetastet.

Der Vollständigkeit halber – es ist das Thema Grundwehrdiener heute in der Dis­kussion schon sehr oft gefallen – möchte ich erwähnen, dass wir Grüne nach wie vor für eine Abschaffung der Wehrpflicht und eine Entwicklung hin zu einem stehenden Heer mit gut ausgebildeten Soldaten und Soldatinnen sind, und mit dieser Meinung sind wir europaweit in der Mehrheit. Massenheere sind europaweit längst überholt. Es


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haben schon fast alle Staaten in Europa die Wehrpflicht abgeschafft, nur noch Estland, Finnland, Zypern und Griechenland haben außer Österreich noch eine Wehrpflicht – um das nur der Vollständigkeit halber hier noch zu erwähnen. Aber wenn es schon ein Bundesheer in dieser Form, mit Wehrpflicht, gibt, dann mit gescheiten Reformen – und wir sind, wie gesagt, sehr gespannt auf die Details.

Ich komme natürlich auch nicht umhin, auf die Neuigkeiten von gestern einzugehen. Nach Ihrer ersten Amtshandlung, die Hercules-Maschinen des Bundesheers für Ab­schiebungen bereitzustellen, nach den Obergrenzen-Präsentationen, nach der Präsen­tation, dass die grüne Grenze wieder gesichert werden soll, kommt gestern diese Hiobsbotschaft mit dem Notfallmechanismus.

Da kommt diese Hiobsbotschaft mit dem Notfallmechanismus, dass es so gut wie gar nicht mehr möglich ist, in Österreich überhaupt Asylanträge zu stellen, was Sie gestern gemeinsam mit der Frau Innenministerin präsentiert haben – ohne Antworten, wie das durchgeführt werden soll, wo die abgewiesenen Menschen an der Grenze dann hin sollen, welche Regelungen es mit den Nachbarländern geben soll, wie das aus­schauen soll. Wissen die Nachbarländer überhaupt schon etwas von ihrem Glück?

Ich bin ganz der Meinung aller meiner Vorredner, es braucht Sicherheit. Die Öster­reicherinnen und Österreicher wollen Sicherheit, aber ich glaube, dass Sicherheit vor allem auch bedeutet, dass sich die Österreicherinnen und Österreicher sicher sein können, dass die Verantwortlichen die Lage in Österreich und in Europa im Griff haben, dass souverän an einer nachhaltigen, langfristigen Lösung für Österreich und für Europa gearbeitet wird. Und diese Lösung kann nicht so ausschauen, dass die Probleme dorthin weggeschoben werden, wo man sie nicht sieht, nämlich in ein Flüchtlingslager an der Außengrenze. Die Lösung kann auch nicht sein, dass die von der Frau Innenministerin vermehrt geforderte Festung Europa mit einer Festung Öster­reich begonnen wird. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

9.41


Präsident Josef Saller: Zu einer einleitenden Stellungnahme zu Wort gemeldet hat sich der Herr Bundesminister für Landesverteidigung und Sport. Auch seine Redezeit soll 10 Minuten nicht überschreiten. – Bitte, Herr Bundesminister.

 


9.41.23

Bundesminister für Landesverteidigung und Sport Mag. Hans Peter Doskozil: Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Mitglieder des Bundesrates! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist in diesem Moment sehr wichtig – auch im letzten Rede­beitrag wurden die aktuellen Entwicklungen in Österreich thematisiert –, dieses Thema nicht nur, was die beabsichtigte Bundesheerreform, die beabsichtigte Strukturreform unseres Ministeriums betrifft, zu behandeln, sondern die Situation vielleicht grund­sätzlich auch in diesem Licht zu beurteilen: Wie beurteilen wir, aus unserer Sicht, aus der Sicht des Ministeriums, die geopolitische Lage, wie beurteilen wir die Migrations­entwicklung, wie beurteilen wir die Lage im Bereich des Terrorismus? Wie beurteilen wir die Lage heruntergebrochen auf Österreich? Welche Maßnahmen sollten und wol­len wir in diesem Zusammenhang nicht nur, was die Strukturreform des Heeres konkret betrifft, sondern generell daraus ableiten?

Wenn man die Situation in Europa und global darüber hinaus betrachtet, so sehen wir eine Entwicklung entstehen, wo jetzt zwar vordergründig und für uns unmittelbar die Balkanroute, wie sie auch schon oft dargestellt worden ist, „geschlossen“ – unter An­führungszeichen – worden ist. Wir verzeichnen derzeit entlang der Balkanroute keine Migrationsbewegungen. Wir verzeichnen derzeit, was Österreich betrifft, in Spielfeld, in der Steiermark keine Asylanträge, wir verzeichnen aber dennoch täglich aus anderen


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Quellen, aus anderen Situationen heraus Asylantragstellungen in Österreich in einer Größenordnung von 100 bis 120, plus/minus schwankend.

Das hat verschiedene Ursachen, weil sich natürlich die Situation in Griechenland bis dato nicht entspannt hat, weil die Situation in Libyen zunehmend dramatischer wird, weil sich auch die Fluchtrouten neu definieren, weil neue Migrationsrouten, neue Schlepperrouten entstehen. Schlepperrouten entstehen aktuell auch wieder über Serbien und Ungarn, trotz des Zauns gibt es dort durchaus Aufgriffe in einer Größen­ordnung von 200 bis 250 pro Tag, die Dunkelziffer wird wahrscheinlich höher sein.

Die Situation in Libyen muss ganz intensiv beobachtet werden. Da wird es durchaus Initiativen in den nächsten Wochen und Monaten dahin gehend geben, auf europä­ischer Ebene verstärkt die Mission „SOPHIA“ in Anspruch zu nehmen, um möglicher­weise auch dort in eine Beruhigungsphase eintreten zu können, aber das wird eine sehr schwierige Situation. Wir verzeichnen jedenfalls Zahlen, dass in der letzten Woche beispielsweise ungefähr 5 000 Menschen in Sizilien angekommen sind. Unsere Prognosen für die Entwicklung auf der Mittelmeer-Migrationsroute sind dramatisch. Dort werden die Zahlen kurzfristig, wenn sich die Wetterlage entsprechend entwickelt, dramatisch im Steigen begriffen sein.

Wir haben weiters eine Situation, dass, wenn man sich Europa anschaut, an den ver­schiedensten Grenzen, hauptsächlich an den verschiedensten Außengrenzen, Zaun­bauten entstehen. Ich habe heute früh wahrgenommen, dass auch Lettland zu Russland plötzlich ganz intensiv, natürlich mit Unterstützung der Europäischen Union, natürlich mit Geldern der Europäischen Union, seine Außengrenze mit einem Zaunbau schützt, weil auch dort die Gefahr besteht – wir haben Informationen, dass in Russland 16 Millionen Flüchtlinge aufhältig sind –, dass sich Migrationsströme entwickeln. Das heißt, gesamteuropäisch betrachtet – da bin ich schon ganz bei Ihnen –, fordern und wünschen auch wir uns eine europäische Lösung der Situation. Aber die europäische Lösung ist nicht in Griffweite, die europäische Lösung würde bedeuten, dass wir an der Außengrenze nach europäischen Maßstäben definieren, wer bekommt Asyl und wer nicht.

Eine europäische Lösung würde bedeuten, dass wir in weiterer Abfolge und infolge dieser Entscheidung dann auch definieren: Wie wird ein Asylwerber verteilt, welchem Land wird er zugewiesen? Eine europäische Lösung bedeutet aber auch in weiterer Folge, dass jene Menschen, die nach einer entsprechenden Entscheidung einen nega­tiven Asylbescheid bekommen, auch wieder in ihren Heimatstaat rückgeführt werden müssen.

Eine europäische Lösung bedeutet aber auch, dass es eine Sicherung der Außen­grenzen gibt. In all diesen Facetten, in all diesen Punkten gibt es keinen Horizont, wo eine europäische Lösung erkennbar ist. Ich sehe diesen Horizont nicht, wir alle sehen diesen Horizont nicht. Daher sind wir ganz einfach in der Situation, dass wir letztes Jahr 90 000 Asylanträge in Österreich hatten, dass wir im Verhältnis zu Deutschland, im Verhältnis zu Italien, die auch an der Fluchtroute liegen, im Verhältnis zu anderen europäischen Staaten die meisten Menschen aufgenommen haben. Wir sind in einer Situation, wo wir uns auch künftig für die nächsten vier Jahre darauf verständig haben, sehr viele Menschen aufzunehmen.

Wenn das alle europäischen Staaten so machen würden, dann hätten wir keine Problemstellungen in dieser Art und in dieser Dimension, wie wir sie jetzt diskutieren, nur: Sie machen es nicht.

Daher sind wir in einer Situation, dass wir national gefordert sind, Maßnahmen zu setzen, die es uns ermöglichen, diese Zahlen und diese Belastungen zu minimieren. – So viel zur Ausgangssituation.


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Es wurde heute schon mehrfach angesprochen: Darüber hinaus bin ich durchaus froh, dass es diesen Entschließungsantrag im November des vorigen Jahres, was die Situ­ation des österreichischen Bundesheeres betrifft, gegeben hat, denn die Situation des österreichischen Bundesheeres ist keine leichte, ist keine einfache. Ich könnte hier verschiedenste Beispiele nennen, ich nenne nur ein Beispiel im Bereich der Miliz. Wir haben zehn Milizbataillone und tatsächlich ist nur ein Milizbataillon ausrüstungsfähig und einsatzfähig.

Wir haben aber die Systematik, dass wir kritische Infrastruktur in Österreich auch gemeinsam in der Assistenz und in der Verantwortung mit dem Innenministerium als schutzwürdiges Interesse beurteilt haben. Zu deren Schutz haben wir die Miliz eingeteilt. Ich bin heute nicht sicher, ob wir das, was wir uns vorgenommen haben, nämlich einen umfassenden Schutz, auch unmittelbar leisten können. Ich glaube, dass wir derzeit, wenn es um Ausrüstungsstand, wenn es um Beweglichkeit, wenn es um solche Dinge geht, fahrlässig unterwegs sind.

Unter diesem Aspekt war es richtig und angebracht, eine Strukturreform anzudis­kutieren und auch sehr stringent einzuleiten, sehr rasch einzuleiten, nicht bis 2025 zu warten – ich weiß nicht, wer das gesagt hat –, sondern unser Ziel ist, dass diese Strukturreform mit 1. Jänner 2017 umgesetzt ist und in Kraft tritt. Daher auch ein relativ stringentes Programm: Wir haben uns genau vorgenommen, wann welche Schritte erledigt sein sollen. Wir haben jetzt begonnen, einen Anstoß zu liefern, auch inhaltlich einen Anstoß zu liefern, weil ich nicht davon überzeugt bin – natürlich muss man Ziele und Richtungen vorgeben –, aber ich will einen internen Diskussionsprozess haben: Was bedeutet das für das österreichische Bundesheer? Was sind gescheite Struk­turen? – Das soll vom Ministerium, von den Experten beurteilt werden.

Die Zielvorgaben sind klar, die Zielvorgaben bedeuten, dass wir einerseits in der Zentrale, wo wir keine Unterdotierungen haben – das sage ich auch ganz klar –, wo wir keine Unterbesetzungen haben – ganz in Gegenteil, mitunter auch Überbesetzungen, Überstände verzeichnen –, verschlanken müssen. Wir müssen verschlanken, wir müs­sen eine Sektion einsparen, wir können uns das in diesem Bereich auch insofern leisten, weil wir hier Strukturen im Generalstab haben, die diese Sektion auffangen.

Wir wollen im Bereich der Nachordnung, im Bereich der Kommanden, wo wir derzeit bei den großen Kommanden 16, wenn man es genauer definiert, möglicherweise sogar 19 oder 20 Kommandostrukturen haben, inhaltlich, fachlich die Kommanden zusam­menführen und wollen dadurch diese gewonnenen Planstellen, diese gewonnenen Arbeitsplätze in die Basis, in die Truppe bringen, weil wir gesehen haben, dass wir im Bereich des Einsatzes in Spielfeld nur bis zu einem gewissen Grad handlungsfähig sind. Wir sind nur bis zu einem gewissen Grad durchhaltefähig.

Wir hatten in Spielfeld, in Kärnten, in Salzburg in der Situation der letzten Wochen und Monate insgesamt 1 600 Soldatinnen und Soldaten eingesetzt. Wir hätten diese Situation nicht mehr mit Kaderpersonal bewältigen können, wenn nicht auch ein entsprechender Anteil an Miliz vorhanden gewesen wäre – an Miliz, die sich freiwillig gemeldet hat und in den Einsatz gegangen ist. Es waren ständig zwischen 200 und 300 Milizsoldatinnen und -soldaten im Einsatz.

Wenn man weiterdenkt, wenn wir die Aufgabenstellungen hinkünftig definieren, dann müssen wir diskutieren: Was passiert wirklich bei einem Terrorangriff? Dann müssen wir möglicherweise auch diskutieren: Wo liegt die Zuständigkeit des österreichischen Bundesheeres auch über einen Assistenzeinsatz hinaus? Was passiert in einem Katastrophenfall, bei Naturkatastrophenfällen?

Wir sollen auch die Auslandseinsätze aufrechterhalten. Wenn wir dieses ganze Kon­glo­merat und diese Aufgabenstellungen beurteilen, dann, so glaube ich, war es einer-


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seits richtig und fast schon zu spät, diese Strukturreformen anzudenken, einzuleiten und so schnell wie möglich auch umzusetzen. Andererseits hängen – ich sage es auch ganz konkret – diese Maßnahmen natürlich auch sehr stark davon ab, wie es gelingt, die entsprechenden Mittel zur Verfügung zu stellen.

Ich weiß – einer dieser Punkte wurde hier angesprochen –, es gibt aktuell, es gab schon mehrfach Gespräche auf Beamtenebene, auch auf Ministerebene mit dem Finanzministerium. Ich gehe schon davon aus, dass wir in den nächsten Tagen, vielleicht auch in den nächsten Wochen, relativ zeitnah eine Lösung präsentieren können, aber das ist ein ganz wesentlicher Faktor, um hinkünftig diese Reform umsetzen zu können und hinkünftig auch die Einsatzfähigkeit des österreichischen Bundesheeres zur Verfügung zu stellen.

Wenn ich kurz noch einmal auf den Entschließungsantrag und auf dessen Aufga­benstellung replizieren darf, dann ist es so, dass wir natürlich dem Nationalrat einen Bericht auf Basis dieses Entschließungsantrages liefern wollen, aber ich muss seriöserweise auch sagen, wir können diesen Bericht, der nachhaltig, der auch vorausblickend in die nahe und mittlere Zukunft sein soll, nur dann liefern, wenn ich heute weiß, welche Budgetmittel zur Verfügung stehen.

Wir können uns in diesem Bericht des Ressorts natürlich sehr viel wünschen. Wie wäre es, wenn in weiterer Folge die entsprechende Budgetdotierung nicht vorhanden ist? Dann ist dieser Bericht wiederum wertlos. Daher bin ich der Meinung und der Über­zeugung, dass wir die nächsten Tage und Wochen – das wird sich relativ rasch entscheiden – diese Budgetverhandlungen zu Ende führen, dass wir die Ergebnisse unserer Strukturüberlegungen auch schon ganz detailliert einfließen lassen wollen und dann den Bericht so übermitteln, dass er auch standhält und nachhaltig standhalten kann.

Wenn ich noch zu weiteren Punkten, zur Kasernendiskussion, im Speziellen zur Strucker-Kaserne Bezug nehmen darf, dann ist es so, dass wir auch diese Infrastrukturthemen wie Schließungen von Kasernen ausgesetzt haben. Es wäre ja unseriös, wenn wir jetzt eine Strukturreform diskutieren, ein Aufwachsen der Truppe diskutieren, die Erhöhung der Kaderpräsenzeinheiten diskutieren, aber am Ende dieser Diskussion möglicherweise sehen, dass wir zu wenige Ressourcen, zu wenig Infrastruktur, zu wenige Kasernen haben. Daher zuerst die Aufgabenstellungen definieren, die Strukturen definieren, was wir dafür brauchen, und dann werden wir auch – als Ziel haben wir uns als spätesten Zeitpunkt den 10. Juni vorgenommen – die Struktur ganz im Detail präsentieren. Dann werden wir auch ganz genau sagen, welche Kaserne erhalten bleibt und welche Kaserne möglicherweise nicht. Auf Basis dieser neuen Struktur werden wir diese Entscheidungen treffen.

Nächstes Thema: Es wurde auch die Militärmusik angesprochen. Ich sage da auch ganz klar, obwohl das natürlich vielfach belächelt wird, sehr oft gesagt wird, berech­tigterweise auch gesagt wird, die Militärmusik ist nicht die Causa prima für militärische Aspekte, aber – und dessen bin ich mir schon bewusst – eine derartige Institution wie das österreichische Bundesheer hat auch Traditionen. Das ist sehr stark ein traditionsbehaftetes Thema. Ich bin durchaus bereit, darüber zu diskutieren – aber das müssen wir uns erst anschauen –, dass wir die Militärmusik wieder in ähnliche Formen zurückführen, wie sie es früher und voriges Jahr noch gegeben hat. Aber es muss kosten­neutral und aufkommensneutral sein; dafür gibt es schon Modelle. Ich glaube, diese Überlegungen können wir anstellen, in diese Richtung könnten wir in weiterer Folge auch gehen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie des Bundesrates Zelina.)

Wenn ich weitere Punkte ansprechen darf: Kompanien in den Bataillonen. Natürlich hat das auch mit diesen Reformüberlegungen zu tun. Wenn wir aber in Bezug auch auf die


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Landbrigaden klar definiert haben, dass wir bei den Kaderpräsenzeinheiten von ungefähr 2 200 auf 6 000 aufwachsen und gleichzeitig auch die Militärkommanden stärken wollen, dass wir die Grundwehrdienerausbildung zu einen Großteil wieder in die Militärkommanden zurückführen wollen, dass wir die Katastrophenschutz­kompo­nente, die Pionierkomponente in die Militärkommanden zurückführen wollen, dann zeigt das auch klar, dass es am Ende vice versa nicht sein kann, dass hier Kompanien gestrichen werden. Das wäre ja unlogisch und stünde mit den Strukturvorgaben nicht im Einklang.

Wenn angesprochen wird, dass diese Reform eine blaue Handschrift trägt, dann sage ich auch ganz klar, mir ist es egal, welche Handschrift diese Reform trägt. Für mich trägt diese Reform die Handschrift der Vernunft und die Handschrift dessen, was zum jetzigen Zeitpunkt geboten ist. (Bundesrat Dörfler: Das ist blau! – Weitere Zwischen­rufe.)

Als letzten Punkt darf ich noch kurz die Vorschläge der Bundesheerreformkommission ansprechen. Natürlich sind die Vorschläge der Bundesheerreformkommission wichtig, sie sind ernst zu nehmen, aber man darf auch nicht vergessen, dass deren Vorschläge zu einem Zeitpunkt gemacht wurden, als das österreichische Bundesheer ganz anders strukturiert war, als das österreichische Bundesheer von anderen Voraussetzungen ausgegangen ist.

Ich bringe nur einen Vergleich: Im Jahr 2000 hat das österreichische Bundesheer noch über 33 000 Vollbeschäftigungsäquivalente verzeichnet, hatte über 33 000 Mitarbeiter. Wir haben derzeit ungefähr 21 400 Vollbeschäftigungsäquivalente. Wir gehen von ganz anderen Rahmenbedingungen aus, wir gehen aber auch international und global von anderen Rahmenbedingungen aus.

Abschließend bedanke ich mich noch einmal hier in diesem Rahmen für den Dis­kussionsprozess. Ich habe auch bei uns im Haus unsere Reform betreffend einen offenen Diskussionsprozess eingeleitet. Viele Dinge werden in Klausuren diskutiert, es darf – und das ist mein Ansatz – keine Vorgaben geben, die apodiktisch vorgegeben werden, es muss über alles diskutiert werden. Und zu diesem Diskussionsprozess lade ich Sie auch recht herzlich ein. – Danke schön. (Allgemeiner Beifall.)

9.57


Präsident Josef Saller: Ich danke dem Herrn Bundesminister.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minu­ten nicht überschreiten darf.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Beer. – Bitte.

 


9.57.59

Bundesrat Wolfgang Beer (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Bundesräte! Das Thema lautet „Anpassung der Strukturen des Verteidigungs­ressorts an die Herausforderungen der Zukunft“. Die Zukunft unseres Bundesheeres kann nicht nur eine Strukturanpassung sein. Wir haben heute schon des Öfteren gehört, dass nicht nur die Veränderung der Struktur notwendig ist, sondern eben auch die Ausrüstung unseres Bundesheeres, denn es kann nicht sein, dass terroristische Gruppen teilweise besser ausgerüstet sind als unser Bundesheer.

Wir haben heute schon sehr viel gehört, wir haben auch über die Bundesheer­reform­kommission, über deren Ergebnisse gehört, dass man diese endlich umsetzen sollte. Möglicherweise sollte man sie nicht mehr umsetzen, denn sie sind zu einer Zeit entstanden, in der man von ganz anderen Bedrohungslagen und ganz anderen Vor­aussetzungen ausgegangen ist.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 21

Wenn wir uns erinnern, so haben wir in der Vergangenheit auch des Öfteren über die neuen Bedrohungen im Internet gesprochen. Da wurde auch einiges getan, aber die Bedrohungslage hat sich dramatisch verändert.

Es ist auch schon gesagt worden, dass Österreich nicht mehr so sicher ist wie früher. Das ist gar keine Frage. Wir sollten uns aber nicht panisch machen lassen, denn es gibt in allen Städten, in allen Ländern das gleiche Problem. Es ist ganz einfach Terror, Terrorismus, der uns alle bedroht. Der Zweck dieser Anschläge und dieser Terrorakte ist es, uns in unserem Leben zu stören und genau auf das zu reagieren, was die Terroristen vorhaben. Das dürfen wir ganz einfach nicht zulassen.

Ich verweise darauf, welche Antwort die Bewohnerinnen und Bewohner Frankreichs und Belgiens geben. Sie sagen, es ist eben so, aber wir lassen uns unser Leben nicht nehmen.

Zur Wehrpflicht, die hier auch schon angesprochen wurde: Die Österreicherinnen und Österreicher haben mit Mehrheit entschieden, dass die Wehrpflicht in Österreich beibehalten werden soll. Wenn hier darauf hingewiesen wird, dass viele Länder keine Wehrpflicht mehr haben, dann muss ich sagen, das kratzt mich als Bundesrat sehr wenig, denn unsere Bürgerinnen und Bürger haben anders entschieden.

Wenn man hier auch davon spricht, dass in der Flüchtlingsfrage einiges nicht so läuft, wie man es sich vorstellt, und hier immer nur kritisiert, dann kann ich nur die Frage stellen: Warum läuft es eigentlich in den Bereichen, wo die Grünen Landesräte stellen, nicht besser? Es geht einfach nach dem Motto Wasser predigen und Wein trinken. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und FPÖ.)

Wir haben auch bei der Anpassung der Strukturen einige Maßnahmen und Ziele vorgestellt bekommen. Mich persönlich freut sehr, dass in diesen Bereichen der Ausbildung unseres Militärs wieder größere Beachtung geschenkt wird. Geplant ist zum Beispiel die Schaffung einer Militärhochschule aus der Landesverteidigungs­akademie, Theresianischen Militärakademie und der Heeresunteroffiziersakademie. Ich finde es eigentlich großartig, wenn wir so etwas wieder andenken, weil wir da wirklich genau für Österreich abgestimmtes Personal ausbilden.

Wir haben gehört, dass auch die Miliz wieder gestärkt werden soll und dass uns eine Miliz alleine nicht wirklich etwas bringt, wenn die Miliz keine Ausrüstung hat. Die Zeit ist vorgeschritten, und wir haben sehr großen Nachholbedarf, was die Ausrüstung unserer Miliz, unserer Soldaten und unseres Stammpersonals betrifft, was eine Menge Geld kosten wird. Wenn ich hier immer höre, dass auch die ÖVP ein Bekenntnis zum Grundwehrdienst ablegt, dann freut mich das, denn ich war immer ein Befürworter des Grundwehrdienstes. Wenn aber die ÖVP sagt, wir bekennen uns dazu, wir wollen das, es ist notwendig, wir brauchen es, dann aber der Finanzminister von der Volkspartei dem Bundesheer kein Geld gibt, dann sind diese Bekenntnisse eigentlich sinnlos. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

Wir haben also sehr viel vor mit unserem Bundesheer. Unser Bundesminister wird das auf die Reihe kriegen. Ich kann allen, die beim Bundesheer beschäftigt sind, und allen übrigen Österreicherinnen und Österreichern nur alles Gute wünschen, dass diese Vorhaben gelingen, denn wir brauchen diese Sicherung für Österreich. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 22

10.03


Präsident Josef Saller: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Forstner. Ich erteile es ihm.

 


10.03.48

Bundesrat Armin Forstner, MPA (ÖVP, Steiermark): Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Vor einigen Tagen ist Ihr Strategiepapier in den Medien herumgegeistert. Schwer bewaffnetes und bestens ausgerüstetes Per­sonal für den Schutz der Infrastruktur, also von Flughäfen, Bahnhöfen, U-Bahnen, Kraft­werken und Umspannwerken, wird benötigt. Die Einsatzkräfte sollen so schnell wie möglich auf dem Landweg oder in der Luft verlegt werden können. Weiters ist der Bedarf an Spezialisten wie Sprengstoffexperten, ABC-Kräften und dergleichen sehr groß. Anschaffung von drei Black Hawk-Hubschraubern, derzeit haben wir neun. Wei­ters zusätzlich gepanzerte Fahrzeuge, Ankauf moderner Schutzwesten, Kampfhelme und Nachsichtgeräte, Erwerb von Drohnen und Investitionen in die Drohnenabwehr, Ausbau der ABC-Einheiten sowie Modernisierung der Sanitätseinheiten und personelle Aufstockung des Jagdkommandos. Dies ist ein kräftiges Lebenszeichen unseres Bundesheers, Herr Minister!

Sehr geehrter Herr Minister! Weiters würde ich Sie bitten, nicht auf die wesentlichen Aufgaben des Bundesheers im Inland zu vergessen, wie Menschenrettung und Katastrophenhilfe. Dabei würde ich gerne das Beispiel Fliegerhorst Aigen im Ennstal ansprechen. Aufgrund massiver Bestrebungen des Kommandos Luftunterstützung droht den im Fliegerhorst Aigen im Ennstal stationierten Hubschraubern „Alouette“ III ein vorzeitiges Ende. Trotz der aktuellen Planungsweisungen, die „Alouette“ III durch einen neuen Mehrzweckhubschrauber ersetzen zu wollen, wird geplant, den Mehr­zweckhubschrauber „Alouette“ III durch circa acht Stück Agusta Bell 212 aus dem Bestand Hörsching zu ersetzen.

Der Grund dafür, diese Type nach Aigen im Ennstal zu geben, dürfte weniger im Ein­satzspektrum des mitten im Upgrade befindlichen Hubschraubertyps, sondern vielmehr in der personellen Notlage hinsichtlich des Wartungspersonal am Fliegerhorst in Hörsching liegen. So ist aufgrund der enormen Gewichtssteigerung der Agusta Bell 212 und der damit verbundenen Einschränkungen in der Flugeigenschaft der erfolg­reiche Einsatz im Gebirge zur Rettung von Personen beziehungsweise bei Katastro­phenfällen höchst fraglich.

Beim Luftgipfel im Jahr 2011 wurde festgelegt, dass das Auslaufen der „Alouette“ III in Abhängigkeit von der Einsatzbereitschaft der modifizierten Agusta Bell 212 erfolgt. Damit wurde mit 2016 ein funktionierendes System 212 angenommen und damit das Ende der „Alouette“ III mit 2020 besiegelt.

Nunmehr gibt es massive Probleme bei den Technikern und Piloten. Vorausgesetzt, dass unverzüglich Personalaufnahmen durchgeführt werden, wie wir heute schon gehört haben, verschiebt sich die volle Verfügbarkeit des Systems 212 sicherlich um fünf Jahre nach hinten.

Gleichzeitig beginnt das Upgrade des Black Hawk S-70 in Langenlebarn. Während der nächsten ein bis zwei Jahre wird daher auch dieses System nicht zur Verfügung stehen.

Unverständlich ist auch, dass anscheinend geplant ist, den noch mindestens 15 Jahre flugfähigen bewaffneten Mehrzweckhubschrauber OH-58 Kiowa durch einen neuen Hubschrauber vorzeitig zu ersetzen.

Sehr geehrter Herr Minister, mit dieser Vorgangsweise fährt man die Transport­hubschrauberfähigkeit, aber vor allem die Menschenrettung und die Katastrophenhilfe durch das österreichische Bundesheer kurzfristig an die Wand.

Um die sicherheitspolitischen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft meistern zu können, könnte man das erfolgreiche System „Alouette“ III als „Backup“


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 23

noch bis 2025 in vollem Ausmaß betreiben, die nächsten fünf bis zehn Jahre für die Kadergewinnung von Piloten und Technikern nutzen, das System OH-58 Kiowa die nächsten 15 Jahre nutzen und danach in aller Ruhe die Neubeschaffung oder die Nach­beschaffung eines Mehrzweckhubschraubers einleiten, dessen Type von der nachvollziehbaren Notwendigkeit und Einsatzwahrscheinlichkeit abhängig gemacht werden sollte.

Abschließend, Herr Minister: Lassen Sie sich nicht von Ihrem Reformweg abbringen! – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

10.08


Präsident Josef Saller: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dörfler. Ich erteile es ihm.

 


10.08.15

Bundesrat Gerhard Dörfler (FPÖ, Kärnten): Geschätzter Herr Präsident! Sehr geehr­ter Herr Verteidigungsminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst hätte ich eine dringende Buchempfehlung an Sie alle, denn schon 1973 hat der Franzose Jean Raspail das Buch „Das Heerlager der Heiligen“ geschrieben. Wer das liest, kann die heutige Situation aus meiner Sicht wesentlich besser einschätzen, denn auch damals ging es um Ignoranz, um Wegschauen, darum, die Probleme und Schwierigkeiten, die auf uns in Europa zukommen, zu ignorieren. Das ist ja leider heute aktueller denn je.

Ein Land ohne Sicherheit ist wie ein Auto ohne Bremsen, noch viel schlimmer, ein Land ohne Sicherheit ist wie ein Krankenhaus ohne Ärzte.

Wir haben ein ausgezeichnetes internationales Ansehen. Ich war vor Kurzem mit einer Parlamentsdelegation im Kosovo, die KFOR-Einheiten, die Österreich seit Jahren stellt, sind hoch geschätzt und angesehen, nicht nur auf internationaler militärischer und politischer Ebene, sondern auch in der Bevölkerung im Kosovo.

Herr Bundesminister! Sie waren ja vor Kurzem im Camp Butmir in Bosnien-Herze­gowina. Seit vielen Jahren leistet das österreichische Bundesheer auch dort großartige Friedensarbeit.

Ein Vergleich mit der Schweiz: Die Schweiz hat an keinen zwei Weltkriegen teilge­nommen, die Schweiz hat aber trotzdem ein vitales, starkes Militär.

Das, was wir heute an Problemen haben, ist nicht gestern Vormittag entstanden, sondern mit dieser Situation befasste man sich auf internationaler Ebene schon seit Jahren. Schon 2004 hat Otto Schily, Grün-Rot, wie wir wissen, aus Deutschland gesagt, man braucht Aufnahmelager an den EU-Außengrenzen. 2004!

Am 10. März 2010 sagte der Schweizer Armeechef André Blattmann: „Auch in Europa können Situationen entstehen, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. … Auch große Migrationsströme könnten einen Einsatz nötig machen.“ – Offensichtlich hat er das Buch „Das Heerlager der Heiligen“ damals schon gelesen.

Und nun zu Österreich. Wozu brauchen wir ein Bundesheer?, das war jahrelang die allgemeine, durchaus auch politische These. Da freut es mich, dass es endlich einen dringend notwendigen Meinungswechsel gegeben hat. Die ÖVP war lange für die Abschaffung der Wehrpflicht, die SPÖ leidenschaftlich für deren Beibehaltung. Dann hat „Oberbefehlshaber“ Häupl den Befehl ausgegeben, und der Herr „Un-Vertei­digungsminister“ Darabos hat diesen, ohne zu zögern, begeistert aufgenommen, dass wir die Wehrpflicht zur Disposition zu stellen haben. Die Bevölkerung hat in diesem Fall Schiedsgericht gespielt, und diesen Schiedsspruch haben wir auf Dauer zur Kenntnis zu nehmen.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 24

Europa ist die Region des Friedens. Der Eiserne Vorhang ist gefallen, die Berliner Mauer ist gefallen. Die NATO wird ohnehin alles Militärische für Europa erledigen. Der Weltpolizist USA ist sowieso der Oberschutzheilige, und für uns in Österreich besteht überhaupt keine Notwendigkeit, ein starkes und einsatztaugliches Heer zu haben.

Militärische Sicherheit in der Qualität, dass wir ein Sicherheitskrankenhaus mit Ärzten und den entsprechenden Operationssälen haben, das ist für mich die moderne Ausrüstung, die ein schlagkräftiges Bundesheer braucht.

Herr Verteidigungsminister, Sie sind wirklich ein Mann der Taten und klaren Worte. Sie haben selbst in Ihren Ausführungen gesagt, dass das Bundesheer de facto bis zur Untauglichkeit abgerüstet wurde und dass Sie jetzt Reparaturmaßnahmen setzen müssen. Das ehrt Sie, dass Sie nicht wegreden, schönreden, zudecken, sondern dass Sie nach zwei Un-Verteidigungsministern nun der erste echte Verteidigungsminister seit vielen Jahren sind. Das schätzen die Österreicher. Ich darf Ihnen auch mein Dankeschön und durchaus auch die Anerkennung unserer Fraktion aussprechen.

Wir haben ein Bundesheer, das keinen Treibstoff mehr hat, ein Bundesheer, das eine Hubschrauberflotte hat, die, wie man feststellen muss, nicht voll einsatztauglich ist. Man denke noch an das Lawinenunglück in Galtür. Damals mussten sogar Bettelbriefe an das Ausland geschrieben werden, damit man im betroffenen Gebiet überhaupt in der Lage war, eine Hubschrauberflotte zum Ausfliegen der Opfer und Touristen zu haben. Das war ein erstes Alarmzeichen. Auch da hat es vorher ein großes Unglück gebraucht, dass man nachher eine leistungsfähigere Hubschrauberflotte für unser Bundesheer installiert hat.

Sicherheit ist ein Dauerauftrag! Der Nahe Osten wird noch länger ein Brandherd bleiben. Der Krisenherd Ukraine vor der Haustür, Libyen, 800 000 Flüchtlinge warten dort. Auch hier ist zu sagen, dass die Großmächte vorher den Arabischen Frühling unterstützt haben, dort die politischen Strukturen zerstört und Herrn Gaddafi das Leben genommen haben. Gaddafi hatte nicht so viele Menschen am Gewissen, wie im Mittelmeer in der Zwischenzeit ertrunken sind. Das heißt, diese Probleme, die die Weltpolitik macht, sind letztendlich die Beschleuniger der Flüchtlingsströme. (Bun­desrat Todt: Das wissen wir!) 800 000, Herr Kollege, warten schon wieder in Libyen. Ich bin kein Freund des Herrschers Gaddafi gewesen, aber es ist unglaublich, wenn dort der ach so friedliebende Westen politische Systeme zerstört und somit erst recht Abertausende Menschen Opfer von neuem Krieg und Terror werden.

Zur Türkei: Dieser Deal mit der Türkei, was heißt denn das letztendlich? Schauen wir uns doch die Kurdenproblematik an! Das ist ja die nächste Flüchtlingswelle im Entstehen. Jetzt wird die EU die Visa-Pflicht für die Türken abschaffen. Dann kann der Machthaber Erdoğan mit seinem Regime gleich die ganze kurdische Community von Hunderttausenden Menschen nach Europa entlassen, beziehungsweise vertreiben. Das ist ja wohl sein Ziel.

Herr Verteidigungsminister, Sie haben unsere volle Unterstützung. Ich hoffe auch, dass das keine Goodwill-Erklärungen sind und dass dieser doch einstimmige historische Beschluss im Parlament dazu führen wird, dass Sie die nötigen Mittel auch bekommen. Da kann sich die ÖVP nicht wegducken. Es ist eine Nagelprobe für die gesamte Regierung. Wir haben jetzt einen Verteidigungsminister, der erstmals seit Jahren un­missverständlich klarstellt, wo die Probleme liegen, der klar aufzeigt, was zu tun ist. Und dieser ist auch klar zu unterstützen, damit Österreich die Sicherheit hat, die dieses Land auch verdient. (Beifall bei FPÖ und ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

10.13


Präsident Josef Saller: Zu einer abschließenden Stellungnahme hat sich nochmals der Herr Bundesminister für Landesverteidigung und Sport zu Wort gemeldet. Ich


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 25

erteile es ihm und darf ihn bitten, die Redezeit von 5 Minuten nach Möglichkeit einzuhalten.

 


10.14.07

Bundesminister für Landesverteidigung und Sport Mag. Hans Peter Doskozil: Herr Präsident! Ich möchte noch auf zwei, drei Punkte replizieren und antworten, Fragen, die in den Raum gestellt wurden.

Zunächst zur Frage nach der Situation in Aigen im Ennstal beziehungsweise generell zur Frage des Kommandos Luftstreitkräfte. Wir haben ja beginnend mit der Struktur­reform vorgegeben, dass wir das Streitkräfteführungskommando, das derzeit das Kommando Luft und das Kommando Land beinhaltet, wiederum splitten werden, weil das eben eine derart große Führungsspanne ist, dass sie aus meiner Sicht im Einsatzfall, in der täglichen Führungssituation zu groß ist. Wir haben vorgegeben, dass da zwei Kommanden zu bilden sind, auf der einen Seite das Kommando Luft und auf der anderen Seite das Kommando Land. Damit wollen wir aber auch signalisieren, wie bedeutend die einzelnen Institutionen sind, weil gerade das, was Sie angesprochen haben, im Bereich Kommando Luft derzeit natürlich schon eine große Herausforderung ist.

Es ist richtig, dass wir möglicherweise auch eigene Versäumnisse der Vergangenheit zu vertreten haben, dass wir den Hubschrauberpiloten, dem Fachpersonal, das wir dort benötigen, während ihrer Dienstzeit im österreichischen Bundesheer nicht eine klare Perspektive in ihrer Laufbahn oder in ihren Möglichkeiten aufgezeigt haben, auch nicht hinsichtlich ihrer Arbeitszeit. Wir haben ihnen keine Perspektive geboten und auch nicht aufgezeigt, wann Verträge verlängert und wann Verträge abgeschlossen werden. Ich glaube, wenn in diesem speziellen Segment Menschen eine gute Ausbildung machen, sich engagieren, muss man diesen in fairer Weise auch von Dienstgeberseite eine Perspektive aufzeigen, dass ihnen auf Dauer, im Normalfall bis zur Pensionierung, eine Arbeitsmöglichkeit, ein Arbeitsplatz beim österreichischen Bundesheer zur Verfügung steht. – Das ist die eine Seite.

Aber die andere Seite ist auch, dass natürlich die Restriktionen, die im Bereich des Kommandos Luft vorgenommen worden sind und da speziell im Bereich der Flug­stunden, schon auch einen klaren budgetären Hintergrund hatten. Da geht aber die Reform in die gleiche Richtung. Es ist ja ein Zusammenwirken, es ist ja eine kom­munizierende Situation: Finanzmittel und Reform.

Wir wollen einerseits relativ rasch die Vertragssituationen ändern und für die Mitar­beiter die Perspektiven klar aufzeigen. Andererseits haben wir auch, was Aigen betrifft, was möglicherweise auch Tirol und andere Standorte betrifft, die Entschei­dungen betreffend Hubschrauber und gleichlautend auch für alle anderen Infrastruk­turthemen gestoppt. Diese werden wir nochmals überdenken, auch unter dem Aspekt – und das sage ich auch ganz offensiv –, inwieweit wir genau diese Dinge, die Sie angesprochen haben: Rettung von Menschenleben, Rettung und Einsatz in Katastro­phenfällen, im staatlichen Bereich haben wollen und inwieweit wir solche Aspekte in private Hand geben wollen. Auch das muss man mitdiskutieren. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Zu einem Punkt, den ich in der ersten Runde eigentlich nicht absichtlich vergessen habe zu beantworten, aber zu einem doch sensiblen Punkt: Das ist der neue Vor­schlag, den die Frau Innenminister und ich gestern im Hinblick auf die Vorgehensweise in der Asylsituation präsentiert haben, weil hier in den Raum gestellt worden ist, wir schlagen etwas vor und wissen nicht, was dann geschehen wird. Wir wissen sehr konkret, was geschehen wird.

Wenn unsere Sozialsysteme, wenn unsere Schulsysteme, wenn unsere Gesamt­situ­ation drohen überbelastet zu werden, dann schlagen wir ein Regime vor, ich habe es


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 26

eingangs schon erwähnt, wenn im europäischen Gesamtkontext – ich will das jetzt nicht alles wiederholen – Lösungsansätze nicht gegeben sind. Wir haben im euro­päischen Gesamtkontext sehr viel geleistet, und zwar mehr geleistet als die meisten anderen europäischen Staaten. Wir werden, wenn Menschen anlässlich der Grenz­kontrolle in Österreich aufgegriffen werden und wir die rein fremdenpolizeiliche Mög­lich­keit hätten, eine Zurückweisung, eine Zurückschiebung vorzunehmen, diese Zurückweisung und diese Zurückschiebung auch dann vornehmen, wenn ein Asyl­antrag gestellt wird, aber aufgrund der Menschenrechtskonvention nach einem gewissen Maß an Vorprüfung. Das wurde gestern ganz klar auch dokumentiert: Artikel 2, 3, 8, Familienzusammengehörigkeit et cetera. Sie kennen diese Themen.

Aber die Zurückweisung – und das war, glaube ich, auch Ihre Frage – und Zurück­schiebung sind ganz klar nur in einen Nachbarstaat Österreichs zulässig, eine Zurückweisung anlässlich der Grenzkontrolle ohnehin nur in einen Nachbarstaat und eine Zurückschiebung in einen europäischen Staat, mit dem ein entsprechendes Zurückschiebungsabkommen besteht und umgesetzt werden kann. – Danke. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen sowie bei Bundesräten der FPÖ.)

10.19


Präsident Josef Saller: Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.

10.19.43Einlauf und Zuweisungen

 


Präsident Josef Saller: Hinsichtlich der eingelangten, vervielfältigten und verteilten Anfragebeantwortung 2882/AB verweise ich auf die im Sitzungssaal verteilte Mitteilung gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates, die dem Stenogra­phischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen wird.

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Inhalt:

(Anfragebeantwortung siehe S. 6)

*****

10.20.10 Vertretung von Mitgliedern der Bundesregierung

 


Präsident Josef Saller: Eingelangt ist ein Schreiben des Ministerratsdienstes des Bundeskanzleramtes betreffend den Aufenthalt des Bundesministers für Finanzen Dr. Johann Georg Schelling von 31. März bis 2. April 2016 in Russland. Er hat für den 31. März den Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Sebastian Kurz und für den 1. und 2. April 2016 den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter mit seiner Vertretung beauftragt.

10.20.35*****

Eingelangt ist weiters das Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungs­politik 2016 bis 2018, das dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten zugewiesen wurde.

Weiters eingelangt sind und den zuständigen Ausschüssen zugewiesen wurden jene Be­schlüsse des Nationalrates beziehungsweise jene Berichte sowie jener Entschließungs­­antrag 218/A(E)-BR/2016, die beziehungsweise der jeweils Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind beziehungsweise ist.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 27

Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen abgeschlossen und schriftliche Ausschuss­berichte erstattet.

*****

Ich habe die zuvor genannten Verhandlungsgegenstände auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Behandlung der Tagesordnung

 


Präsident Josef Saller: Aufgrund eines mir zugekommenen Vorschlages beabsichtige ich, die Debatte über die Tagesordnungspunkte 1 und 2 sowie 7 und 8 jeweils unter einem durchzuführen.

Erhebt sich dagegen ein Einwand? – Das ist nicht der Fall.

Ankündigung von Dringlichen Anfragen

Präsident Josef Saller: Bevor wir in die Tagesordnung eingehen, gebe ich bekannt, dass mir ein Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundes­rates auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundesräte Ing. Bernhard Rösch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Massenarbeitslosigkeit in Österreich durch die verfehlte Arbeitsmarktpolitik der SPÖ-Sozialminister Rudolf Hundstorfer und Alois Stöger an den Herrn Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vorliegt.

Im Sinne des § 61 Abs. 4 der Geschäftsordnung verlege ich die Behandlung an den Schluss der Sitzung, aber nicht über 16 Uhr hinaus.

Weiters gebe ich bekannt, dass mir ein Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Ge­schäftsordnung des Bundesrates auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundesräte Dr. Ewa Dziedzic und Mag. Gerald Zelina, Kolleginnen und Kollegen betreffend bundeseinheitliche Bedarfsorientierte Mindestsicherung an den Bundes­minis­ter für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vorliegt.

Die Verhandlung dieser Dringlichen Anfrage wird im Anschluss an die von Herrn Bundesrat Ing. Bernhard Rösch ebenfalls an den Herrn Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz gerichtete Anfrage erfolgen.

10.23.231. Punkt

Bericht des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport betreffend Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission und zu Vorhaben des Rates für das Jahr 2015 (III-548-BR/2015 d.B. sowie 9546/BR d.B.)

2. Punkt

Bericht des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport betreffend Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission und zu Vorhaben des Rates für das Jahr 2016 (III-582-BR/2016 d.B. sowie 9547/BR d.B.)

 


Präsident Josef Saller: Wir gehen nun in die Tagesordnung ein und gelangen zu den Punkten 1 und 2 der Tagesordnung.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 28

Berichterstatter zu beiden Punkten ist Herr Bundesrat Koller. – Bitte um die Berichte.

 


10.23.57

Berichterstatter Hubert Koller: Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Damen und Herren hier im Saal und auch zu Hause! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Sportangelegenheiten über den Bericht des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport betreffend Arbeitspro­gramm der Europäischen Kommission und zu Vorhaben des Rates für das Jahr 2015 und anschließend auch für 2016.

Gemäß Art. 23f Abs. 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes in Verbindung mit § 7 EU-Informationsgesetz hat der Bundesminister für Landesverteidigung und Sport den Bericht betreffend das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission und zu Vorhaben des Rates für das Jahr 2015 vorgelegt.

Die Schwerpunkte darin waren Sport und Gesellschaft, Wirtschaftliche Dimension des Sports und Integrität des Sports. Es wurden im Bericht 2015 Prioritäten im Bereich des Sports unter das Motto „Wettbewerbsfähigkeit, Digitalität, Engagement“ gesetzt.

Wir haben den gegenständlichen Bericht im Ausschuss behandelt und mit Stimmen­einhelligkeit beschlossen, dem Bundesrat die Kenntnisnahme zu empfehlen.

Der Ausschuss für Sportangelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 29. März 2016 den Antrag, den Bericht des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport betreffend Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission und zu Vorhaben des Rates für das Jahr 2015 zur Kenntnis zu nehmen.

Das Gleiche gilt nun auch für den Bericht für das Jahr 2016. Hier haben sich nur die Schwerpunkte geändert; die Berichte liegen ja auf. Die Schwerpunkte liegen auf den Bereichen Dopingprävention, Verhinderung der Manipulation von Sportergebnissen und der Gewalt im Breitensport.

Auch hier wurde mit Stimmeneinhelligkeit beschlossen, dem Bundesrat die Kennt­nisnahme des gegenständlichen Berichtes zu empfehlen.

Der Ausschuss für Sportangelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 28. März 2016 den Antrag, den Bericht des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport betreffend das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission und zu Vorhaben des Rates für das Jahr 2016 zur Kenntnis zu nehmen. – Danke schön.

 


Präsident Josef Saller: Danke für die Berichte.

Wir gehen nun in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Novak. Ich erteile es ihm.

 


10.26.23

Bundesrat Günther Novak (SPÖ, Kärnten): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Werte Abgeordnete und Abgeordnetinnen! „-innen“ ist gut, gell? Liebe Damen und Herren, die Sie so zahlreich heute hier sind! Wenn wir jetzt das Arbeitspro­gramm der Europäischen Kommission und die Vorhaben des Rates im Bereich des Sportes für die Jahre 2015 und 2016 behandeln, lassen Sie mich einleitend dazu ein paar Worte sagen.

Als ich den Bericht gelesen habe, habe ich mir gedacht: Na ja, wenn du jetzt als Abgeordneter zum Rednerpult gehst und über 2015 redest, dann ist das eigentlich schon Geschichte. Ich wurde dann doch eines Besseren belehrt. Ich glaube, das soll­ten Sie auch wissen, dass diese Ratsarbeitsgruppe, die dafür verantwortlich ist, dieses Programm auf drei Jahre ausgelegt hat, und zwar von 2014 bis 2017.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 29

Ich möchte den Herrn Bundesminister nur bitten, dass wir dann das Programm für 2017 ein bissel früher vorgelegt bekommen, und unseren Ausschussvorsitzenden, den Herrn Dörfler, dass wir im nächsten Jahr dann doch eine Sitzung zum Thema Sportan­gelegenheiten machen und nicht keine Sitzung. Ich weiß, dass du nicht dafür ver­antwortlich bist, hoffe aber, dass du das anregen wirst. (Bundesrat Dörfler: Wir machen zwei!) Es ist eher eine unsportliche Aktion; das haben wir auch festgestellt. Ich denke, gerade wenn man sich den Bericht anschaut, dass eigentlich mehr Aufmerk­samkeit erforderlich wäre, das Ganze entsprechend zu betrachten.

Das Arbeitsprogramm 2016 der Europäischen Kommission wurde angesichts von noch nie dagewesenen Herausforderungen wie Flüchtlingskrise – die ja bei jeder unserer Sitzungen hier Thema ist –, Arbeitslosigkeit, Beschäftigungs-, Wachstums- und Inves­titionslücke mit folgendem Titel versehen: „Jetzt ist nicht die Zeit für Business as usual“. – Okay, meiner Meinung nach ist der Titel jetzt nicht so originell für diese Zeit, aber abgesehen davon ist alles, was in diesem Programm drinsteht, doch nicht so erfüllt worden oder ist die Aussicht nicht so, wie wir uns das selbst vorstellen.

Aber man muss auch dazusagen, dass uns die Ereignisse, die auf uns zugekommen sind, die wir nicht vorhergesehen haben, überrollt haben. Deswegen fehlt mir beispiels­weise ein konkreter Bezug beziehungsweise konkrete Maßnahmen zu einem Thema, das uns in den nächsten Jahren noch massiv beschäftigen wird: das ist die Integration. Gerade der Sport kann eine ganz bedeutende Rolle bei der Integration von Migranten und Migrantinnen übernehmen und tut dies zum Teil ja auch bereits. Wenn wir nur allein an die Fußballer denken, an David Alaba, an Zlatko Junuzović, der ja über Kroatien nach Kärnten gekommen ist und jetzt in der weiten Welt Fußball spielt, oder an Mirna Jukić, dann sehen wir, dass Role Models in Österreich in diesem Bereich absolut eine Rolle spielen.

Aber wie sieht es jetzt mit dem Breitensport insgesamt aus? Werden hier die Migran­tinnen und Migranten, vor allem jene aus anderen Kulturkreisen, im gewünschten Ausmaß erreicht? Wenn ich da an den Wintersport und viele andere Sportarten, etwa den Schwimmsport, denke, so meine ich, wir hätten da doch einige Möglichkeiten, etwas zu tun.

Was aber besonders hervorzuheben ist – das zu diskutieren, hat auch bei uns im Ausschuss, der ja normal nicht so lang gedauert hätte, einer Überzeit bedurft; und ich glaube, man hätte noch länger darüber diskutieren können, deshalb auch mein Ein­wand, warum es keine Sitzung dazu gegeben hat –: Im vergangenen Jahr war der Arbeitsplan für die Jahre 2014–2017, der in drei Schwerpunkte aufgegliedert worden ist, und zwar: „Sport und Gesellschaft“, „Wirtschaftliche Dimension des Sports“ und „Integrität des Sports“. Ich habe nur ein paar Teilbereiche herausgenommen, aber die möchte ich schon versuchen ein bisschen zu beleuchten. (Vizepräsidentin Winkler übernimmt den Vorsitz.)

Zum einen sind das die gesundheitsfördernden körperlichen Aktivitäten, die dort niedergeschrieben sind. Also es geht um den Bewegungsmangel, dem man versucht Herr zu werden. Weiters: die allgemeine und berufliche Bildung im Sport. Ich verweise hier gerade auf dieses Erasmus-Programm, das aufgelegt worden ist, dieses EU-Förderprogramm, das länderübergreifend wirksam ist und ab 2014 eine rege Beteiligung zu verzeichnen hat. Das betrifft gerade auch Österreich, sind doch von 40 Projektvorschlägen allein von Österreich drei Projektvorschläge genommen worden. Ich denke, dass mit diesem transnationalen Partnerschaftsabkommen ein sehr wichtiger Beitrag von Österreich geleistet worden ist.

Ein weiterer Punkt betreffend allgemeine und berufliche Bildung im Sport sind die dua­len Karrieremodelle, durch die Österreich wirklich an die Spitze gepusht worden ist,


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 30

denn das gibt es in keinem anderen EU-Land. Wir haben auch noch versucht, Zahlen dazu vom Sportministerium nachgeliefert zu bekommen, was innerhalb eines Tages erledigt worden ist – danke dafür! Wir sehen, dass im Jahr 2015 592 Athletinnen und Athleten von 17 der aktiven KADA-Laufbahnberaterinnen und -berater ausgebildet beziehungsweise in durchschnittlich 3,5 Stunden betreut worden sind. KADA steht für „Karriere danach“. Im Jahr 2016 waren dann 442 Personen in aktiver Betreuung, darunter: Laufbahnentwicklung: rund 383 aktive Hochleistungssportler; Berufsreifeprü­fung im Leistungssport: 37; Studierende: 185.

Das könnte man jetzt weiter ausführen. Hier wird eine hervorragende Arbeit für jene Sportler geleistet, die zum einen irgendwann einmal mit dem Spitzensport aufhören, zum anderen aber unter Umständen auch scheitern und in die Berufs- und Arbeitswelt eingegliedert werden sollten.

Der dritte Punkt ist die ehrenamtliche Tätigkeit im Sport. Auch hier wurde sehr viel weiterentwickelt, das muss man jetzt in Bezug zur Situation 2014/2017 bringen. An dieser Stelle sollte man auch einmal ein Danke an all jene sagen, die in Österreich freiwillige Tätigkeiten verrichten. 46 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher sind freiwillig in irgendwelchen Sportvereinen tätig, ohne vielleicht eine Funktion auszu­üben. Wir haben 475 000 Österreicher, die in 24 000 Sportvereinen auch noch mit tätig sind. Das heißt, das ist der zweitgrößte Bereich. Nur im Kultur- und Kunstbereich liegt man noch darüber. Das kann man auf jeden Fall hervorheben, und da können auch einige EU-Länder von uns lernen.

Was ich noch sagen wollte: Der bleibende Nutzen von Sportgroßveranstaltungen ist auch genau beleuchtet worden. Da gibt es auch ein Konzept bis 2020, das für Beschäf­ti­gung und nachhaltiges integratives Wachstum sorgen soll. Das, glaube ich, ist auch eine der wichtigen Funktionen, die Sport für uns hat. Ebenso sind in diesem Zusam­menhang die Ökologie, die wirtschaftliche Dimension und auch die Menschenrechte hervorzuheben.

Eines möchte ich noch dazusagen, und das betrifft auch einen Bereich, der sich weiter­entwickelt hat, nämlich die Geschlechtergleichstellung im Sport. Auch dazu gibt es einen Aktionsplan bis 2020. Es geht dabei um ausgewogene Besetzungen in Sport­gre­mien und vor allem darum, dass gegen sexuelle Gewalt im Sport etwas unternommen wird, was ja teilweise auch schon geschehen ist.

Die Europäische Union ist an einem entscheidenden Punkt angekommen. Wir stehen vor nie dagewesenen Herausforderungen: der Flüchtlingskrise, der Arbeitslosigkeit, einer Beschäftigungs- und Wachstumslücke, der Notwendigkeit einer Vertiefung unse­rer Wirtschafts- und Währungsunion, dem Klimawandel, der instabilen Lage in unserer östlichen und südlichen Nachbarschaft und einem fairen Deal für das Vereinigte Königreich innerhalb einer Europäischen Union, die sich auf die vier Binnenmarkt­freiheiten und die Werte, die alle 28 Mitgliedstaaten teilen, verpflichtet hat.

Ich denke, dass schon vieles im Sportbereich gemacht worden ist und wir mit unserem Arbeitsprogramm 2014 bis 2017 da auf einem sehr guten Weg sind. Ich hoffe, dass im integrativen Bereich noch Möglichkeiten bestehen, einiges nachzuholen – das müssen wir wahrscheinlich alle in Europa –, bin aber auch davon überzeugt, dass wir mit unserem Bundesminister in Brüssel hier in Zukunft auch eine Vorreiterrolle spielen werden. (Beifall bei der SPÖ.)

10.35


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bevor wir zur nächsten Wortmeldung kommen, sei mir gestattet, eine Delegation des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes aus Niederösterreich recht herzlich bei uns im Bundesrat zu begrüßen. (Allgemeiner Bei­fall.)


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 31

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Ing. Pum. Ich erteile es ihm.

 


10.36.29

Bundesrat Ing. Andreas Pum (ÖVP, Niederösterreich): Geschätzte Frau Präsidentin! Werter Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Geschätzte BesucherInnen! Das Arbeitsprogramm ist sehr umfangreich. Ich möchte auch einige detaillierte Punkte davon herausgreifen und nicht nur in die Vergangenheit blicken, sondern auch Aktuelles dazu hervorheben.

Vor allem die großen wirtschaftlichen Herausforderungen, die sozialen Herausforde­run­gen sind es, mit denen sich dieser Bericht respektive die Europäische Union sehr intensiv beschäftigt. Es geht natürlich besonders um die Bekämpfung von Arbeitslosig­keit sowie die Steigerung des Wachstums und der Wettbewerbsfähigkeit. All das sind ja Themen, die uns in vielen Bereichen immer wieder vor Augen geführt werden.

Die Arbeitsschwerpunkte in diesem Programm beginnen damit, dass die erste „Europäische Woche des Sports“ bereits im September 2015 stattgefunden hat. Orga­ni­siert und vorangetrieben werden diese Initiativen von der Koordinierungsstelle in den einzelnen Mitgliedstaaten. Die Koordination in Österreich liegt beim Sportministerium.

Bereits seit 14 Jahren wird der „Tag des Sports“ am Heldenplatz in Wien veranstaltet. Ziel dieser Aktion ist es, gesundheitsfördernde körperliche Aktivitäten in allen Alters­gruppen zu forcieren. Und dass diese Aktion auch zu einem Erfolg wurde, beweist alleine im letzten Jahr der Besucherrekord von über 528 000 Sportbegeisterten und -interessierten, die daran teilnahmen.

Ein Thema im Arbeitsprogramm setzt sehr stark auf die wirtschaftliche Dimension des Sports. Faktengrundlage sind hier zum einen die Erstellung eines Satellitenkontos, zum anderen nachhaltige Finanzierungen, bis hin zur Ausrichtung von Megasport­veranstaltungen. Zu diesen Themenbereichen gibt es verschiedene Schwerpunkte.

Die nachhaltige Finanzierung des Sports und vor allem den bleibenden Nutzen von Großveranstaltungen und die wirtschaftliche Bedeutung in den Mittelpunkt zu stellen ist auch ein großes Thema, weil es auch immer wieder um die Frage der Notwendigkeit dieser Veranstaltungen geht. Hier wird gerade auch aufgezeigt, welche vielseitigen Notwendigkeiten bei diesen Veranstaltungen in den Mittelpunkt gestellt werden.

Ein Schwerpunkt ist mit Sicherheit auch die Frage der gesellschaftlichen Aufgabe von Sport. Hier geht es um die Vermittlung von Werten, hier geht es auch um die Bildung und Entwicklung von grundlegenden Werten bei Jugendlichen. Werte wie Chancen­gleichheit, Fairness und nicht zuletzt Solidarität wie auch das Thema der Antidiskri­minie­rung sind hier in den Mittelpunkt zu stellen. Auch die soziale Inklusion hat eine große Bedeutung, und auch das Thema HEPA oder besser gesagt gesundheits­för­dernde körperliche Aktivitäten sind ein Schwerpunkt dieses Arbeitsprogrammes.

Wenn man bedenkt, dass 43 Prozent der Bevölkerung sagen, niemals Sport betrieben zu haben oder keinen Sport zu betreiben, dann sieht man daran schon auch die Wichtigkeit und Notwendigkeit einer gesundheitsfördernden Strategie im Bereich des Sports.

Auch in Österreich ist dieser Schwerpunkt ja in der Diskussion immer wieder zu finden – ich denke nur an das Thema der täglichen Turnstunde, aber vor allem auch an das Thema, um das es dabei ja letztlich geht, nämlich Bewegung im Alltag und Bewegung vor allem bei unseren Jüngsten mit Spaß und mit Freude umzusetzen. Das ist tatsächlich ein Thema, denn die Bekämpfung von Bewegungsmangel ist eines der großen sozialen Anliegen, die wir umzusetzen haben. Es gilt, diesem entgegen­zuwir­ken, und gerade im Arbeitsprogramm 2014 bis 2017 ist etwa die Förderung des Sport-


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 32

unterrichts und die Schaffung von Wechselwirkungen zwischen Sport, Behörden und Privatsektor mit angeführt.

Das Arbeitsprogramm des Rates für das Jahr 2016 beinhaltet ähnliche Schwerpunkte, wenngleich hier – ich schließe da an den Vorredner an – natürlich vor allem die aktuelle Situation breiten Raum in der politischen Diskussion eingenommen hat. Die Flüchtlingskrise, die Arbeitslosigkeit, vor allem das fehlende Wachstum – all das sind derzeit die großen Themen, die uns auf europäischer Ebene bewegen und daher auch das Thema des Sports ein wenig in den Hintergrund gerückt haben. Aber trotz alledem sind mit Sicherheit gerade sportliche Ansätze auch Strategien, die der Zielsetzung dienen können, der aktuellen Situation im Bereich dieser Themen Herr zu werden. So ist sicherlich Sport auch ein Teil eines Ansatzes, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Sport ist aber auch als Wirtschaftsfaktor, gerade im Hinblick auf die Ankurbelung von Wirtschaftswachstum, zu sehen.

Sport und Gesellschaft ist auch 2016 wiederum auch seitens des Rates und der Euro­päischen Kommission natürlich ein Thema, das im Rahmen vieler Strategien verfolgt wird. Es wurde Europa 2020 angesprochen – ich möchte das nicht wiederholen, es wurde bereits im Vorfeld erwähnt.

Ein zentrales Thema ist aber auch die Frage der Spielmanipulation, der Spielab­sprachen. Hier geht es insbesondere um die Ausrichtung von Großveranstaltungen, und im Zusammenhang mit solchen hat es ja aktuelle Fälle gegeben, die gezeigt haben, dass Präventionsmaßnahmen gerade im Hinblick auf die Vermeidung solcher Missstände umgesetzt werden müssen. Ziel kann es nur sein, dass ein Austausch von Verfahren für die Bekämpfung von Spielabsprachen erfolgt. Es kann ganz klar nur in die Richtung gehen, dass der Manipulation ein Riegel vorgeschoben wird. Angedacht wird der Beitritt der EU zur Europaratskonvention gegen die Manipulation von Sport­wett­bewerben. Österreich tritt sehr stark dafür ein, die Manipulation von Sportergeb­nissen zu verhindern. Wir können das nur dreimal unterstreichen.

In Bezug auf die menschenrechtskonforme Austragung von Großsportveranstaltungen befindet sich eine Liste mit Empfehlungen beziehungsweise Leitprinzipien zu den Themen Demokratie, Menschenrechte, Arbeitsrechte in Ausarbeitung. Auch das, glaube ich, sind Schwerpunkte, die gerade aktuell mit dem Thema der Integration sehr stark in Zusammenhang zu bringen sind, denn letztlich ist Sport auch eine sehr, sehr gute Integrationsmaßnahme. Ich glaube, viele, die da sozial tätig sind und auch im Bereich der Asylwerber mithelfen, wissen, dass die Einbindung in Vereine, die Ein­bindung gerade auf örtlicher Ebene in Sozialstrukturen sehr stark auch über diese Schiene erfolgt. Daher, glaube ich, ist dieser Schritt ein ganz, ganz wesentlicher in Richtung einer weiteren Entwicklung.

Anti-Doping ist natürlich ein Schwerpunkt, den wir alle mit unterstützen. Hier geht es ganz einfach um das Betreiben von fairem Sport, um das Miteinander letztlich auch in der Fairness und im Vergleich von Leistungen, die auf körperlicher Basis erbracht werden und nicht auf medizinischer Arbeit basieren. Und ich glaube, hier ist Anti-Doping sicherlich gefordert, dem Schutz des fairen und des gesunden Sports Rech­nung zu tragen. Der Schutz von Minderjährigen ist auch ein Thema, das in dem Zusam­menhang angesprochen wird.

Dieser Bericht zeigt auch immer wieder eine Vorreiterrolle Österreichs auf. Als Beispiel sei das Sportsatellitenkonto genannt – da ist Österreich, das den Vorsitz in der Exper­tengruppe von 2014 bis 2017 innehat, EU-weit anerkannt und damit auch Vorreiter.

In diesem Sinne: Dieser Sportbericht und dieses Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission zeigen viele notwendige Schwerpunktsetzungen. Der nächste Sportminis-


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 33

ter­rat wird am 31. Mai tagen, und da sollen natürlich auch weitere Schlussfolgerungen umgesetzt werden.

Daher können wir nur sagen: Dieser Bericht ist auch im Detail ernst zu nehmen, und es ist in dieser Form auch weiter an diesen Themen zu arbeiten. – Danke. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

10.45


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Herr Bundesrat Schererbauer hat sich zu Wort ge­meldet. Ich erteile es ihm.

 


10.46.01

Bundesrat Thomas Schererbauer (FPÖ, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Die Berichte des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport betreffend Arbeitsprogramm der Europäischen Kom­mission und zu Vorhaben des Rates für die Jahre 2015 und 2016 liegen nun vor.

Mit dem Vertrag von Lissabon wurden wichtige Maßnahmen gesetzt, um die Fairness im Sport zu fördern, Sportler, insbesondere die jüngere Generation, vor körperlichen und seelischen Schäden zu schützen und die gute Zusammenarbeit aller verantwor­tlichen Organisationen zu garantieren. Sorgen, Ängsten, Perspektivlosigkeit, Proble­men bei der Integration, Aggression – all dem kann der Sport entgegenwirken.

Im Arbeitsplan der Europäischen Kommission 2014 bis 2017 wurden folgende drei Schwerpunkte gesetzt: „Sport und Gesellschaft“, „Wirtschaftliche Dimension des Sports“, „Integrität des Sports“.

Zu „Sport und Gesellschaft“ ist anzumerken, dass es ein prioritäres Anliegen der Europäischen Union ist, dem vorhandenen Bewegungsmangel entschieden entgegen­zuwirken. In Österreich gibt es die Initiative „Kinder gesund bewegen“. Dies ist auch dringend notwendig, da laut einer Studie 10 Prozent der Volksschulkinder überge­wichtig sind und motorisch starke Mängel aufweisen. So können zirka fünf von zehn Kindern keine 30 Sekunden auf einem Bein stehen. Es wäre natürlich in dieser Hinsicht interessant, wie es um die Motorik des Bundesrates steht. Ich würde alle bitten, jetzt aufzustehen, … – Nein, das war natürlich nur ein Scherz. (Allgemeine Heiterkeit. – Bundesrat Beer: Hätten Sie es gemacht!) Aber es wäre natürlich interessant, wie viele von uns das zustande bringen würden.

Schulkinder, die nur ein paar Hundert Meter vom Schulgebäude entfernt wohnen, werden von den Eltern zum Unterricht gebracht, oftmals aus Bequemlichkeit und nur selten wegen der Gefahr im Straßenverkehr. Ausbau und mehr Förderung von Motorik­parks am Schulgebäude oder in der Nähe von Schulgebäuden wären der Sache sicher sehr dienlich. Ab März 2016 wird an der Bundessportakademie die Ausbildung zum Bewegungscoach angeboten.

Es sei in diesem Zusammenhang auch das EU-Förderprogramm Erasmus+ erwähnt, in dem länderübergreifende sportbezogene EU-Projekte unterstützt werden. Österreich hat für drei Sportprojekte den Zuschlag erhalten: „Bewegung für Kinder“, „Kampf gegen Gewalt, Rassismus und Intoleranz im Sport“ und „,Duale Karriere‘ – Verbindung von Berufsausbildung und Sportlicher Karriere“, worauf ich noch etwas näher eingehen möchte.

Kampf dem Doping – einem Phänomen, das nicht nur im Spitzensport, sondern auch im Breitensport immer mehr zu beobachten ist und nicht nur in Fitnessstudios, sondern auch bei kleineren Sportveranstaltungen ein großes Problem darstellt –: Da könnte man präventive Maßnahmen ergreifen, und zwar schon vonseiten der Lehrer, Eltern und auch der Funktionäre und Trainer in den Vereinen. Damit kann dieser Entwicklung entgegengewirkt werden.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 34

Um auf das duale Karrieremodell noch kurz einzugehen: Österreich verfügt mit der Einrichtung KADA – „Karriere danach“ – über ein eigenes Modell, das in enger Zusammenarbeit mit dem Heeresleistungssportzentrum und einer Erweiterung des akademischen Support-Netzwerkes in Kooperation mit der JKU Linz, der Uni Innsbruck und, als internationalem Kooperationspartner, der University Newcastle angeboten wird. Somit kann aktiven Leistungssportlern und Athleten beim Übergang in ein regu­läres Berufsleben geholfen werden. Fällen wie jenen, die in vielen Negativbeispielen aus der Vergangenheit sichtbar wurden, in denen Berufssportler nach ihrer aktiven Karriere aufgrund schlechter oder kaum vorhandener Ausbildung in die Bedeutungs- und Perspektivlosigkeit abgestürzt sind, kann somit sinnvoll entgegengewirkt werden.

Es wurde schon angesprochen: Österreich ist ein Land der Ehrenamtlichkeit, und dies natürlich auch im Sport. Zirka 450 000 Österreicherinnen und Österreicher sind in über 24 000 Sportvereinen und bei Sportveranstaltungen im ganzen Land freiwillig im Einsatz. Auch Funktionäre, wie zum Beispiel Sektionsleiter eines Fußballvereins, seien hiermit erwähnt.

Einzugehen wäre auch auf die EWS, die Europäische Woche des Sports. Der Hinter­grund ist das Ziel einer aktiven, gesunden und zufriedenen integrativen Gesellschaft. Das Ausmaß der sportlichen Betätigung und Bewegung unserer Bevölkerung befindet sich in einem Allzeittief – das ist ja hinreichend bekannt. Es sind 59 Prozent der Europäer, die keinen Sport betreiben – das ist eine große Herausforderung. Als Reak­tion auf diese Herausforderung hat die Europäische Kommission die jährliche Woche des Sports lanciert. Die Bevölkerung soll damit zu mehr körperlicher Betätigung motiviert werden. Entscheidungsträger, Lehrer, Eltern, Arbeitgeber, junge Leute und Stadtplaner können besonders viel dazu beitragen.

Anzusprechen ist auch die wirtschaftliche Bedeutung des Sports. So findet zum Bei­spiel am kommenden Sonntag in Linz der Linz Marathon statt, und allein aus dieser Veranstaltung wird eine Bruttowertschöpfung von 5 Millionen € lukriert. 7,38 Millio­nen Menschen üben Berufe mit Sportbezug aus. Die vier Topsektoren, die zur Sport­wirtschaft beitragen, sind Tourismus, Fitness, Medien und Bildung.

Sport macht Kinder fit. Die heutige Jugend ist im gesamteuropäischen Kontext deutlich weniger aktiv als die frühere Generation; daher „Kinder gesund bewegen“ – 7 Millio­nen € stehen dafür von der Bundesregierung zur Verfügung.

Sport als Schlüssel zum Erfolg für Mitarbeiter und Unternehmen: 74 Prozent der österreichischen Unternehmen bieten bereits freiwillige Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit der Mitarbeiter an. Handlungsbedarf besteht in diesem Bereich sehr stark bei eher kleineren Betrieben. Gesunde Bewegung und Sport im Betrieb führen zu einer Gewinnsituation für alle: für die Mitarbeiter, den Betrieb, aber auch für unser gesamtes Gesundheitssystem. Die Siemens AG Österreich zum Beispiel ist Vorreiter und Aushängeschild, was den Betriebssport anbelangt.

Zum Schluss kommend: Man kann diesen beiden Berichten viel Positives abgewinnen, jedoch würde ich mir in puncto Umweltschutzmaßnahmen bei Großveranstaltungen eine klare und strenge Richtlinie wünschen. Weiters wäre die Errichtung von Motorik­parks zu forcieren, um Bewegungsmangel vor allem bei Kindern früh genug entgegen­wirken zu können.

Wir haben es ja am Dienstag gesehen, als wir eine Sitzung des Sportausschusses gehabt haben: Sport als wichtigste Nebensache der Welt ist doch auch in der Politik mehr zu forcieren. Ich würde mir eine Enquete des Bundesrats zum Thema Sport wünschen. Das wäre sicher eine tolle und angebrachte Sache. (Beifall bei der FPÖ.)


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 35

Zum Abschluss möchte ich noch sagen: Der Mensch bewegt sich nicht weniger, weil er alt wird, sondern er wird schneller alt, weil er sich weniger bewegt. (Bundesrat Mayer: Der war gut!) – Wir werden diesen beiden Berichten unsere Zustimmung geben. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

10.52


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Herr Bundesrat Stögmüller hat sich zu Wort ge­meldet. Ich erteile es ihm.

 


10.53.01

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Wir haben jetzt ja schon sehr viel über diese Berichte 2015, 2016 gehört. Wir Grüne werden diese Berichte natürlich auch heute zur Kenntnis nehmen.

Ich möchte vorweg gleich einmal etwas Positives im Bereich der Integrität hervor­heben: Die Republik Österreich und, ich glaube, weitere zwölf EU-Mitgliedstaaten haben sich entschlossen, die Konvention des Europarates gegen Spielmanipulationen bei Sportbewerben zu unterzeichnen. Ich glaube, das ist ein sehr gutes Zeichen und zeigt, dass Österreich gegen jede Art der Spiel- und Sportmanipulation vorgeht – und das auch auf europäischer Ebene. Dazu möchte ich Ihnen auch gratulieren, dass das unterzeichnet wurde. (Beifall bei Bundesräten von Grünen und SPÖ sowie des Bundesrates Mayer.)

Ein weiterer Punkt ist, und da hat mir Ihr Ministerium – dafür möchte ich dem Beamten noch einmal Danke sagen – gestern noch auf eine im Sportausschuss gestellte Frage einen kleinen Satz zugeschickt. Es geht um den Bewegungscoach. Dafür muss man dann eine zweisemestrige Ausbildung machen, und zwar an der Pädagogischen Hoch­schule. Das finde ich prinzipiell sehr gut, dass es um den Einsatz dieser Bewegungs­coachs in den ganztägigen Schulen geht, dass die Schülerinnen und Schüler dort jeden Tag sozusagen mit Sport unterstützt werden und auch Sport betreiben.

Es bringt einerseits auch eine Vernetzung zwischen den Vereinen und den Schulen. Das ist natürlich auch wieder ein Vorteil, nämlich eine Win-win-Situation, für die Schulen und natürlich auch für die Vereine, weil diese dann neue Mitglieder bekom­men. Das ist natürlich eine ganz, ganz tolle Sache.

Eines werden wir aber trotzdem noch ein bisschen beobachten, nämlich was die Kosten angeht, nämlich die Kosten für die Eltern an den Schulen, die dann Karate­unterricht geben. Wir werden das ein bisschen beobachten, ob das vielleicht etwas günstiger wird. Das sei aber nur am Rande angemerkt.

Was zu diesem Punkt gut passen würde und mir auch ein großes Anliegen ist, ist die Öffnung der schulischen Sportinfrastruktur für Jugendliche auch in den Ferien und am Wochenende. Ein gutes Beispiel dafür ist Wien. Da betreuen Jugendsozialar­bei­terInnen die Plätze und machen diese so für Jugendliche zugänglich. Diese Aufsicht ist ja wichtig, bezüglich der Unfallverhütung und damit es zu keinem Randalieren, zu keinem Vandalismus oder sonst etwas auf diesen Plätzen kommt. Aber in vielen anderen Bundesländern sind die Sportanlagen an den Schulen meistens im Sommer und an den Wochenenden verschlossen. Das ist ganz besonders an den Bundes­schulen, an den AHS und an den BMHS der Fall. Würde man diese Schulsport­anlagen, diese Mehrzweckhallen öffnen, so würde dies natürlich auch eine nieder­schwellige Möglichkeit bieten, Sport zu betreiben, ohne dass man eine Vereins­mit­gliedschaft benötigt. Das wäre in dieser Hinsicht eine ganz wichtige Initiative.

Abschließend noch ein Punkt zum dualen Karrieremodell, zu KADA. Diese halte ich für eine sehr gute Initiative. Ich war selbst in einer Sporttourismusschule, und da waren


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 36

einige in meiner Klasse, die beim ÖSV waren, die neben der Schule Hochleistungs­sport betrieben und die Matura gemeistert haben. Gerade für junge Athletinnen und junge Athleten ist das ein ganz wichtiger Punkt für die Zukunft, weil es fast immer ein Leben nach dem Sport und nach der Sportkarriere gibt, und im Hinblick darauf muss man natürlich Unterstützung bieten. Das ist meiner Meinung nach sehr, sehr wichtig.

Ich mache es kurz und bündig: Wir werden diesem Bericht heute zustimmen. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

10.56


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Beer. Ich erteile es ihm.

 


10.56.59

Bundesrat Wolfgang Beer (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bun­desminister! Sehr geehrte Bundesrätinnen und Bundesräte! Diese Berichte des Minis­teriums zum Arbeitsprogramm der Kommission für die Jahre 2015 und 2016 – als Vorschau, wobei auch jener für 2015 als Vorschau gedacht war – liegen uns heute vor. Es ist fast ein Glücksfall, dass wir diese beiden gemeinsam behandeln können.

Wir haben hier die Möglichkeit, direkt zu sehen: Was ist passiert? Was waren die Vorhaben? Was wurde eigentlich von den Vorhaben umgesetzt? Was ist versandet? Und was sind nur Absichtserklärungen, die eigentlich schon viel länger bestehen, aber noch immer nicht umgesetzt wurden?

Es ist hier einiges, oder sehr vieles, über den Sportbereich referiert worden. Ich möchte nur sagen, dass mir dieses Programm Erasmus+ sehr gut gefällt. Es bringt die euro­päischen Sportlerinnen und Sportler aus ihrer nationalen Isolierung heraus und dient auch dazu, Verbindungen zu knüpfen.

Da in diesem Vorhabenprogramm aber nicht nur über Sport, sondern auch über andere Dinge geschrieben wird, habe ich mir erlaubt, drei Punkte herauszunehmen, und zwar „Ein vernetzter digitaler Binnenmarkt“, „Ein vernünftiges und ausgewogenes Freihan­delsabkommen mit den Vereinigten Staaten“ – kurz TTIP – und „Hin zu einer neuen Migrationspolitik“.

Was war da im Jahr 2015? – Zum Thema vernetzter digitaler Binnenmarkt steht einmal da: „e-Gesellschaft“, Investitionen, Kommunikationstechnologien fördern, Datenschutz­reform, Verordnung über einen vernetzten Kontinent – also eine ganz Menge – und Vereinfachung der Verbraucherbestimmungen im Online- und digitalen Handel, Stärkung der Cybersicherheit und die Verankerung der Digitalisierungsaspekte in anderen Politikbereichen. – Das war im Jahr 2015.

Im Jahr 2016 haben wir in diesem Bereich ähnliche Vorhaben: Initiativen zum freien Datenverkehr, zur Cloud und zu Mehrwertbesteuerung im elektronischen Handel.

Wir haben schon im EU-Ausschuss über diese Dinge Schreiben, Vorhaben, Vor­schläge und Entwürfe bekommen, aber so richtig ausgegoren beziehungsweise mit den 28 EU-Mitgliedstaaten ausverhandelt ist das nicht wirklich. Es gereicht auch nicht unbedingt zum Vorteil der Konsumentinnen und Konsumenten. Die EU hat sich auch in diesen Bereichen vorgenommen, einen Zugang für alle Menschen in der EU zum vernetzten digitalen Binnenmarkt zu schaffen, aber es gibt keine Programme, die die Förderung der Ausbildung der Bürgerinnen und Bürger vorsehen. Offen ist nach wie vor die Frage: Wie schaut es mit den Kosten aus, die auf die Bürgerinnen und Bürger zukommen? Man muss sich nämlich ein Gerät kaufen, man muss sich bei einem Provider anmelden, und man muss dieses Gerät bedienen können. Die dafür not­wendigen Programme gibt es aber nicht. Die Firmen und Konzerne bilden ihre Mitar-


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 37

beiterinnen und Mitarbeiter aus, aber die Bevölkerung beziehungsweise die Bürge­rinnen und Bürger bleiben möglicherweise auf der Strecke.

Im Bericht ist auch noch folgender Punkt enthalten: „Hin zu einer neuen Migrations­politik“. (Bundesrat Dörfler: Herr Kollege, reden wir über den Sportbericht oder über etwas anderes?) – Das steht in diesem Bericht auch drinnen, daher habe ich mir gedacht, über den Sport ist schon sehr viel geredet worden. Außerdem haben wir beim Kollegen Dörfler auch schon einige Themenverfehlungen erlebt, also gestatten Sie mir auch eine. (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Dörfler.)

Wann reden wir darüber? (Bundesrat Dörfler: Aber so weit ist es mir noch nie gelun­gen!) – Wir reden nie darüber, aber das steht auch in diesem Bericht drinnen. Oder haben Sie den Bericht nicht gelesen? Haben Sie ihn nur bis zum Kapitel „Sport“ gelesen, und dann war es zu mühsam?

Es stehen viele Sachen im Bericht, die wir eigentlich auch behandeln sollten, und es steht auch einiges über die Migrationspolitik im Bericht. Die Migrationspolitik ist ein nicht unwesentlicher Teil in diesem Bericht. Was die Migrationspolitik betrifft, hat die EU eigentlich ihre Vorhaben nicht ganz geschafft. Es ist in diesem Bericht von der Aufteilung der 160 000 Flüchtlinge die Rede, aber die Mitgliedstaaten zeigen da keine wirkliche Bereitschaft zur Solidarität.

Jetzt komme ich zu einem wirklich sehr wichtigen Punkt, und zwar zu TTIP. Dazu steht nämlich auch einiges in diesem Bericht drinnen, ein bisschen weiter hinten, nicht vorne, wo der Sportteil ist.

TTIP bereitet mir doch ein wenig Sorge, denn im Teil über die Freihandelsabkommen stehen unter anderem so kurze Sätze drinnen wie dieser: „Für das Jahr 2016 strebt die Kommission die vorläufige Anwendung mehrerer neuer Abkommen an, unter anderem der Abkommen mit Kanada und mit mehreren Regionen in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean.“

Es bereitet mir schon ein bisschen Sorge, dass da vorläufige Anwendungen von der Kommission angedacht sind, wie zum Beispiel über CETA. Vorläufige Anwendungen sind in diesem Bereich fast eine Umgehung des Europäischen Parlaments.

Es wird in diesem Bericht auch noch Folgendes geschrieben: „Gleichzeitig werden wir unser besonderes Augenmerk auf die KMU und die Unterstützung der Arbeitskräfte bei der Anpassung an den Wandel richten.“

Richtig ist aber: Alles, was in diesen Bereichen verhandelt wird, dient in keiner Weise unseren KMUs und auch nicht den Arbeitskräften.

Es liegt uns also hier ein Bericht vor, der in Bezug auf den Bereich des Sports aus­gezeichnet ist, das muss ich schon sagen, es sind darin viele Möglichkeiten enthalten, die uns nutzen, die den Menschen einen Nutzen bringen – ich sage das noch einmal, weil heute unser Verteidigungs- und Sportminister hier anwesend ist –, aber es sind in diesem Bericht auch andere Bereiche enthalten, die ihn nicht oder kaum betreffen, die aber auch einmal angesprochen werden sollten. Wir dürfen diese nicht aus den Augen verlieren und müssen bei der Kommission sehr wachsam sein. (Beifall bei der SPÖ.)

11.04

11.05.01

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir dürfen Herrn Bundesminister Dr. Ostermayer bei uns im Bundesrat herzlich begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)

Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Die Abstimmung erfolgt getrennt.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 38

Wir gelangen zuerst zur Abstimmung über den Bericht des Bundesministers für Lan­desverteidigung und Sport betreffend Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission und zu Vorhaben des Rates für das Jahr 2015.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

Wir gelangen weiters zur Abstimmung über den Bericht des Bundesministers für Lan­desverteidigung und Sport betreffend Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission und zu Vorhaben des Rates für das Jahr 2016.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

11.06.313. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 17. März 2016 betreffend ein Bundesgesetz über die Rückgabe unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter (Kulturgüterrück­gabe­gesetz – KGRG) (880 d.B. und 1015 d.B. sowie 9550/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nun zum 3. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Mag. Gruber-Pruner. Ich bitte um die Bericht­erstattung.

 


11.06.52

Berichterstatterin Mag. Daniela Gruber-Pruner: Hohes Präsidium! Herr Minister! Geschätzte KollegInnen! Ich erstatte den Bericht des Ausschusses für Unterricht, Kunst und Kultur über den Beschluss des Nationalrates vom 17. März 2016 betreffend ein Bundesgesetz über die Rückgabe unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter (Kultur­güterrückgabegesetz – KGRG).

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher sogleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für Unterricht, Kunst und Kultur stellt nach Beratung der Vorlage am 29. März 2016 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

11.07.50

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Wir kommen daher sogleich zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

11.08.174. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 17. März 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesmuseen-Gesetz 2002 geändert wird (1011 d.B. und 1016 d.B. sowie 9551/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen zum 4. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Blatnik. Ich bitte um den


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 39

Bericht.

 


11.08.42

Berichterstatterin Ana Blatnik: Frau Präsidentin! Gospa president! Herr Bundes­minis­ter! Gospod savezni minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drage kolegice in kolegi! Ich erstatte den Bericht des Ausschusses für Unterricht, Kunst und Kultur über den Beschluss des Nationalrates vom 17. März 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesmuseen-Gesetz 2002 geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; daher komme ich sogleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für Unterricht, Kunst und Kultur stellt nach Beratung der Vorlage am 29. März 2016 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mag. Pisec. Ich erteile es ihm.

 


11.09.47

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, dieser Tagesordnungspunkt – ein kulturhistorischer – ist sehr interessant. Es handelt sich dabei um das „Haus der Geschichte“, so steht es im Gesetzestext, ein Museum in der Hofburg, in der Neuen Burg, genau gesagt: im Haupttrakt. Dass ein Pathos sich dahin­ter befindet, könnte man meinen, könnte man glauben, doch wenn man sich näher damit beschäftigt, wird das Ganze ziemlich rasch entkleidet. Es werden hier nämlich falsche Erwartungshaltungen geweckt, verbunden mit drei Begriffen, mit denen ich mich jetzt auseinandersetzen möchte, und zwar mit dem Wort „Geschichte“, mit dem Wort „Museum“ und mit dem Begriff „Architektur habsburgischer Monumentalbauten – die Hofburg“.

Warum? – Erstens: Es handelt sich dabei nicht, wie im Gesetzestext angeführt, um ein „Haus der Geschichte“, sondern um ein „Haus der Zeitgeschichte“, also um die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Es handelt sich – zweitens – um kein Museum, denn es ist keine Sammlung, keine Aufbewahrung von Dingen, kein Ort der Verwahrung. Und es ist drittens eine falsch gewählte Architektur, weil ein habsburgischer Monumen­talbau aus der goldenen Gründerzeit Österreichs, dem Fin de Siècle, dem Ende des 19. Jahrhunderts, einfach nicht passt zur Gegenwartsgeschichte, wie die Deutschen es sagen, oder zur Zeitgeschichte, wie es bei uns gesagt wird.

Ein Geschichtsbegriff der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät besagt – ich zitiere –: „Geschichte beschäftigt sich mit allen Epochen der Menschheitsgeschichte, in denen sich Kultur materialisiert, vom Faustpfand über das Geld bis zum Internet.“

Es geht da also um materielle Dinge, um ein „Reich der Dinge“, wie der französisch-polnische Philosoph Krzysztof Pomian den Ursprung des Museums nennt. Das „Reich der Dinge“ ist in diesem „Haus der Geschichte“ nicht vorhanden.

Was erwarten Besucher, wenn man mit dem Begriff „Geschichte Österreichs“ operiert, philosophiert, im Ausland damit Werbung macht? – Sie erwarten die Geschichte über 500 Jahre Habsburger als römische Könige und Kaiser in Wien oder 650 Jahre Wis­sen­schaftsgeschichte, wie sie das letzte Jahr an der Universität Wien gefeiert wurden, oder einen Überblick über 150 Jahre Prachtbauten, Prachtboulevard, Ringstraße in Wien als ehemaliges Zentrum des römischen Kaiserreiches. Stattdessen wird die Geschichte des 20. Jahrhunderts dokumentiert. – Das ist eine falsche Begriffswahl!

Der zweite falsche Begriff ist „Museum“, wie schon kurz angeführt. Ein Museum ist eine Sammlung, eine Bewahrung, ein Ort, wo Verdinglichung stattfindet, damit es den Besuchern, den Touristen gezeigt werden kann. Die UNESCO hat sich auch mit dem


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Begriff „Museum“ auseinandergesetzt, und zwar im International Council of Museums. Da heißt es – ich zitiere –: „Bewahrung von Kulturgütern, die sich aus vergangenen Generationen herleiten.“

So stellt sich auch die Wiener beziehungsweise die österreichische Museumsland­schaft dar: das Naturhistorische Museum, die Sammlung von Baillou, oder das Ethno­logische Museum, die Sammlung des großartigen britischen Seefahrers James Cook, oder international das British Museum, die Sammlung von Sloane. – All das beinhaltet das „Haus der Geschichte“ nicht! Es hat keine Sammlung. Sie bauen ein Haus ohne Sammlung, Herr Minister!

Die dritte falsche Erwartungshaltung betrifft vor allem die Architektur. Ein Museum ist eine Einheit von Innen und Außen. Zeitgeschichte gehört in einen zeitgenössischen Bau und nicht in eine Architektur aus der Habsburgerzeit. Dass das die Neue Burg ist, wissen alle Touristen, weil das der meistbegangene Pfad von Österreich ist: vom Michaelerplatz zur Hofburg über den Heldenplatz zum Maria-Theresien-Platz, wo rechts das Naturhistorische Museum und links das Kunsthistorische Museum ist. Das war Teil des Kaiserforums, der österreichischen Museumslandschaft, wo man die Sammlungen der Habsburger präsentieren wollte und auch präsentiert hat. Zum Teil wurde das umgesetzt, zum Teil ist das Kaiserforum ein Fragment geblieben.

Aber an diesem Ort ein Museum des 20. Jahrhunderts zu installieren, ist der falsche Weg, sehr geehrter Herr Minister!

Was entsteht in diesem „Haus der Geschichte“ wirklich? Beschäftigen wir uns einmal damit genau! – Es ist Historiographie, es ist Geschichtsschreibung. Das ist aber kein Museum! Es ist das Narrative, das Erzählende, und dafür eignet sich das Medium Internet heutzutage wesentlich besser. Deshalb gibt es ja die interaktive Plattform, ein Produkt der sogenannten „Industrie 3.0“ oder „Industrie 4.0“. Das ist das Internet!

Ein Beispiel gibt es ja auch schon, das an der Universität für Geschichtsforschung produziert wurde: „Die Welt der Habsburger“. Das ist eine perfekte Darstellung von habsburgischer Geschichte im Internet, eines der meistgelesenen historischen Web­sites weltweit – wesentlich billiger, wesentlich leichter abrufbar, wesentlich leichter verän­derbar, auch die Perspektiven können da verschieden loziert werden. Das ist in einem Museum nicht möglich, weil es viel zu teuer ist. Vor allem in diesem „Haus der Geschichte“ ist das nicht möglich.

Und was noch dazukommt bei dieser Darstellung des 20. Jahrhunderts, das in einem Habsburgerbau angesiedelt wird, ist viel zu viel Negativgeschichte. In der Forschung werden der Erste und der Zweite Weltkrieg und die Zwischenkriegszeit in Österreich auch als 30-jähriger Krieg zusammengefasst. Viel Negativgeschichte wird nicht viele Besucher bringen, die wollen sich mit Positivgeschichte auseinandersetzen, mit der Gründerzeit, die mit diesem Habsburgerbau assoziiert wird – vor allem bei den Besuchern, aber nicht bei der Bundesregierung, nicht bei österreichischen Politikern! Die Zielgruppe sind Besucher, sind Touristen, und die wollen das sehen, was man mit Österreichs Geschichte assoziiert.

Sie, sehr geehrter Herr Minister, bauen kein Museum, Sie bauen Ausstellungen, wobei noch nicht einmal der Beirat bekannt ist, wie wir im Ausschuss gehört haben. Es fehlt an allen Ecken und Enden. Sie benötigen Experten für museologische Einrichtungen, und die müssen permanent finanziert werden. Sie müssen die Ausstellungsräume jedes Jahr neu adaptieren, umändern und neu darstellen, weil Sie eben keine Samm­lung präsentieren können oder keine präsentieren wollen.

Fazit: Sie bauen ein Museum ohne Sammlung! Das heißt: Sie zäumen das Pferd von hinten auf. Sie schüren falsche Erwartungshaltungen beim Besucher durch falsche


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Begriffswahl, durch falsch gewählte Begrifflichkeit von Geschichte, Museum und Archi­tektur. Und, was noch dazukommt: Sie beauftragen eine einzelne Person damit, ohne dass der Beirat, ohne dass die Experten überhaupt schon bekannt sind, statt eine Institution, ein Kollektiv zu nehmen. Es gibt über 100 Universitätsprofessoren 500 Meter von hier entfernt. Ein Beispiel ist das Institut für Österreichische Geschichtsforschung. Warum nützen Sie nicht das Institut für Österreichische Geschichtsforschung, das seit Jahrzehnten nichts anderes macht, als sich mit österreichischer Geschichte zu befassen? Es ist eine Institution, und ein Geschichtsbild darzustellen ist auch eine Art Brainstorming – das kommt auch noch dazu –, und das kann, weil ein Institut auch eine Wissensgemeinschaft ist, ein Kollektiv sicher wesentlich besser als eine einzelne Person.

Aus diesen Gründen sagen wir ganz klar, Herr Minister: Nein danke zu diesem Projekt in jeder Hinsicht!

Zum Abschluss darf ich noch eine kurze Anmerkung machen, und meiner Meinung nach ist das ein gutes Beispiel dafür, wie die österreichische Bundesregierung zur Geschichte überhaupt steht: Vor Kurzem wurde der Prachtbau am Börseplatz, auch ein Juwel aus der österreichischen Gründerzeit, nämlich die K.K. Telegrafen Centrale – und das, was heute das Internet ist, war vor 150 Jahren die Telegraphie –, an Bau­spekulanten verscherbelt, anstatt diesen Bau aus der goldenen Gründerzeit, dem Fin de Siècle, für Lernzwecke zu adaptieren, herzurichten und der Bevölkerung zugänglich zu machen.

Noch einmal: Nein zum „Haus der Geschichte“ in jeder Hinsicht! Das ist ein falscher Weg, wir lehnen es daher ab. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

11.17


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet hat sich als Nächste Frau Bundesrätin Grimling. Ich erteile es ihr.

 


11.17.54

Bundesrätin Elisabeth Grimling (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Das Bundesmuseen-Gesetz regelt die Einrichtung jener wissenschaftlichen Anstalten öffentlichen Rechts des Bundes, denen unbewegliche und bewegliche Denkmale im Besitz des Bundes zur Erfüllung ihres kulturpolitischen und wissenschaftlichen Auftrags anvertraut sind. Diese Bundesmuseen sind taxativ aufgezählt.

Das durch viele Jahre diskutierte Projekt „Haus der Geschichte Österreich“ wurde in seiner nunmehr vorliegenden Form nach umfangreicher wissenschaftlicher Vorbe­reitung unter Einbeziehung eines Beirates aus nationalen und internationalen Wissen­schaftlerInnen, darunter HistorikerInnen, MuseologInnen sowie ArchivarInnen, reali­siert. Die Forschungsschwerpunkte der Beiratsmitglieder umfassen Zeitgeschichte, Frauen- und Geschlechtergeschichte, Anthropologie, Kultur-, Migrations-, Politik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie die Bereiche Ausstellungsgestaltung, Medien sowie Geschichtsvermittlung.

Dieser internationale wissenschaftliche Beirat empfiehlt die Errichtung eines Museums, welches die Geschichte Österreichs ab der Mitte des 19. Jahrhunderts – mit einem besonderen Schwerpunkt auf die Zeit von 1918 bis in die Gegenwart – in ihrem europäischen und internationalen Kontext einem möglichst breiten Publikum vermittelt und eine objektive historische Auseinandersetzung ermöglicht.

Dieses „Haus der Geschichte Österreich“ soll auch ein aktives und offenes Diskus­sionsforum für historische Fragestellungen und Themen der Gegenwart sein.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 42

Die Österreichische Nationalbibliothek als herausragende Gedächtnisinstitution Öster­reichs ist die geeignete Einrichtung, das „Haus der Geschichte“ zu beherbergen. Um das „Haus der Geschichte“ organisatorisch an die Österreichische Nationalbibliothek anzubinden, ist eine entsprechende Anpassung des Bundesmuseen-Gesetzes erfor­derlich. Die vorliegende Änderung des Bundesmuseen-Gesetzes gibt dem Projekt einen organisatorischen und budgetären Rahmen und klärt damit seinen rechtlichen Status innerhalb des Verbandes der Bundeskultureinrichtungen. Vor allem werden aber das Verhältnis von Nationalbibliothek, „Haus der Geschichte“ und Staatsarchiv zueinander und auch der Rahmen für die Kooperation mit den Ländern festgelegt.

Für die dreijährige Errichtungsphase ab 2016 sind für das Projekt rund 53 Millionen € vorgesehen.

Ergänzend zu dieser Gesetzesnovelle sieht ein Entschließungsantrag die rasche Vorlage einer Studie zu den Finanzierungsdetails vor.

Meine Fraktion wird dem vorliegenden Gesetzentwurf und dem Entschließungsantrag zustimmen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

11.21


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Herr Bundesrat Stögmüller hat sich zu Wort ge­meldet. Ich erteile ihm dieses.

 


11.21.52

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehr­ter Herr Minister! Mit der heutigen Gesetzesvorlage soll die Grundlage für die Errichtung des „Hauses der Geschichte Österreich“ geschaffen werden. Wir haben bei dieser Gesetzesvorlage einige Zweifel, nämlich bei der inhaltlichen Ausrichtung, bei der Organisation und den finanziellen Auswirkungen, die dieses Gesetz, dieses „Haus der Geschichte“ mit sich bringt.

Ich möchte auf diese Punkte kurz eingehen und komme zunächst zu den Bedenken, die wir in organisatorischer Hinsicht haben. Ein großer Dorn im Auge ist uns der wis­senschaftliche Beirat, der hier geschaffen werden soll. Dieser wissenschaftliche Beirat wirkt mit bei der Bestellung der Direktorin/des Direktors, bei der fachlichen Ausrichtung des „Hauses der Geschichte“, zum Beispiel durch Beratung der DirektorIn, wie der Kollege von der FPÖ schon erwähnt hat, erstattet nach öffentlicher Ausschreibung einen ungereihten Vorschlag an die Geschäftsführung der Österreichischen National­bibliothek für die Direktorenposten. Diese sechs MitgliederInnen werden für drei Jahre bestellt, zwei vom Bundeskanzleramt, zwei vom Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, eines von den Bundesländern, und eines ist der General­direktor des Staatsarchivs. – Gut, das einmal zum Überblick.

In den Erläuterungen heißt es zur Bestellung der MitgliederInnen des Beirates – ich zitiere –: „Ein besonders Naheverhältnis zu politischen Parteien oder deren Organisa­tionen, sollte vermieden werden.“ – Ja, das ist uns Grünen ein wirkliches Anliegen, dass es hier zu keinen parteipolitischen Besetzungen kommt. Ich spreche hier schon den von Ihnen bereits ernannten Leiter des HGÖ an, Dr. Oliver Rathkolb.

Ich zitiere Armin Thurnher vom „Falter“, der über Rathkolb sagte, er ist ein in der Kreisky-Ära geprägter Sozialdemokrat. (Bundesrat Todt: Ist das eine Schlechtig­keit?) – Ich erinnere noch einmal: Ein Naheverhältnis sollte ja vermieden werden, aber eben nur „sollte“.

Also man sieht schon wieder ein bestimmtes Naheverhältnis zu Parteien. Ich glaube, dass das unbestreitbar ist, dass es nicht möglich ist, Rathkolb, SPÖ, die Verhältnisse hier auseinanderzudividieren. (Bundesrätin Posch-Gruska: Aber nicht mit Schlechtem


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gleichzusetzen!) Parteipolitische Besetzung sollte vermieden werden, aber man sieht da schon wieder das Naheverhältnis, das wir sehr massiv kritisieren.

Kommen wir kurz zum Publikumsforum. Dieses Forum besteht aus 36 Mitgliedern. (Zwischenruf des Bundesrates Mayer. – Bundesminister Ostermayer: Aber wer darf es dann sein? Muss das ein grünes Mitglied sein?) – Nein, es muss kein grünes Mitglied sein. Ich habe ja gesagt … (Bundesminister Ostermayer: Wenn Sie die Liste der Experten anschauen …! Aber ich sage dann eh etwas dazu!)

Gut, kommen wir zum Publikumsforum. Dieses Forum besteht, wie gesagt, aus 36 MitgliederInnen, die von 30 aufgelisteten Institutionen, Organisationen nominiert werden. Was können die machen? (Zwischenruf.)  Über Herrn Van der Bellen sprechen wir vielleicht später (Zwischenrufe bei ÖVP und SPÖ), jetzt kommen wir aber wieder zurück zu diesem Kulturbereich.

Also: 36 Mitglieder, 30 Organisationen, die diese wählen können. Was können die machen? – Die geben Anregungen in fachlicher Hinsicht an den wissenschaftlichen Beirat, an die Direktorin/an den Direktor und verfassen alle zwei wieder einen Bericht. Das ist alles, was die machen können. Daran sieht man, dass hier wieder ein zahn­loses Publikumsforum geschaffen wurde.

Aber jetzt kommen wir auch zu einem Knackpunkt, nämlich zu den Finanzen; das ist ganz interessant. Insgesamt sind bis zur Fertigstellung 2018 52,75 Millionen € budgetiert worden. Ab 2019 gibt es dann 3,6 Millionen € Basisabgeltung.

So, jetzt sollte man wissen, dass es ein Konzept von Frau Dr. Claudia Haas gab – ich glaube, das war ARGE Haas & Lordeurop. Diese Firma hat 43 Millionen € für die Small-Variante budgetiert und 113 Millionen € für die Big-Variante. Was kommt jetzt in die Neue Burg? – Eine um 1 300 Quadratmeter kleinere Variante als die Small-Variante, die von Claudia Haas sozusagen konzipiert wurde. Das heißt, dass man jetzt eine kleinere Variante umsetzen möchte als die, die vorher schon veranschlagt wurde. Aber das Problem ist, jetzt kostet das Ganze 10 Millionen € mehr. Also man hat jetzt eine kleinere Variante und 10 Millionen € mehr an Kosten!

Aber nicht nur die Errichtungskosten, sondern auch die längerfristige Finanzierung sind uns ein Dorn im Auge. Laut Bundesfinanzrahmengesetz steigt das gesamte Kultur­budget 2016 bis 2019 um 4 Millionen €. Dieses Geld soll ja eigentlich als Basis­abgeltung in Bundesmuseen, Theater und so weiter fließen, aber jetzt verschlingt schon allein das „Haus der Geschichte“ 3,6 Millionen € an Basisabgeltung. Da werden meiner Meinung nach die restlichen Kultureinrichtungen mit den von der Erhöhung verbleibenden 400 000 € auf der Strecke bleiben müssen.

Ich finde dazu weder etwas im Strategiebericht des BFRG noch in den Budgetzielen und Maßnahmen des Bundesvoranschlages 2016. Laut einer Budgetantwort soll das „Haus der Geschichte“ aus § 5, den Investitionsmitteln und Rücklagen finanziert werden. Aber laut BVA 2016 stehen den Bundesmuseen dafür 13,456 Millionen € zur Verfügung. Das heißt, alles Geld fließt ins HGÖ, für andere Museen bleibt da meiner Meinung nach kein Spielraum mehr.

Selbst das Finanzministerium hat das ganze Projekt ohne endgültige Klärung der finanziellen Bedeckung „nicht für sachgerecht und sinnvoll“ erachtet. Was das dann für andere Projekte, zum Beispiel das Projekt „Weltmuseum Wien“ – ich glaube, Staats­sekretär Mahrer träumt von einem „Haus der Zukunft“ –, für das Gesamtvorhaben beziehungsweise die Konzipierung am Wiener Heldenplatz bedeutet, ist damit unklar.

Wir hätten uns ein politisch unabhängiges Haus an einem kostengünstigen Standort mit einem durchdachten Finanzplan gewünscht, der keine Unklarheiten schafft. Ich kann nur hoffen, dass nicht andere Kultureinrichtungen darunter leiden müssen. Wir


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 44

werden dieser Regierungsvorlage mit diesen Rahmenbedingungen im Bundesrat jedenfalls nicht zustimmen. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

11.28


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Kern. Ich erteile ihr dieses.

 


11.28.33

Bundesrätin Sandra Kern (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt ist es so weit: Nach 70-jähriger Diskussion geht das Projekt „Haus der Geschichte Österreich“ in die Zielgerade.

In mehreren Regierungsübereinkommen in der Vergangenheit war das „Haus der Geschichte“ bereits Thema, und nun soll es endlich verwirklicht werden. Wir stehen aber erst am Anfang, bis zur Eröffnung ist es noch ein weiter Weg.

Worum geht es heute? – Meine Vorredner haben es schon angesprochen: Wir stimmen über rechtliche Rahmenbedingungen für das „Haus der Geschichte“ ab. Wir ändern das Bundesmuseen-Gesetz und erweitern den Aufgabenbereich der National­bibliothek um das „Haus der Geschichte“.

Die Vermittlung von Geschichtswissen, von Vergangenheit ist der Nährboden für eine erfolgreiche Zukunft. Sie kennen das: Nur wer die Vergangenheit kennt, versteht die Gegenwart, und nur wer die Gegenwart versteht, kann die Zukunft gestalten! – Der Blick zurück gibt Orientierung und der Blick zurück gibt Sicherheit auf dem Weg nach vorne.

Unsere Schülerinnen und Schüler mögen über die Vermittlung von historischem Wis­sen manchmal ein bisschen jammern, aber ich bin davon überzeugt, historische Bildung entwickelt die Menschen weiter. Historische Bildung macht aus jungen Men­schen kritisch denkende und hinterfragende Menschen. Historische Bildung ist auch eine wichtige Säule in unserer Demokratie. Und Schülerinnen und Schüler und auch Erwachsene sollen durch Geschichtsvermittlung angeregt werden, Ereignisse der Vergangenheit zu reflektieren, mit der eigenen Gegenwart, mit den eigenen Werten und mit der Zukunft in Verbindung zu setzen.

Da es wichtig ist, Geschichte nicht nur in der Schule zu vermitteln, braucht es auch ein „Haus der Geschichte Österreich“. Aber wir brauchen nicht nur ein Museum, das ist schon angesprochen worden, wir brauchen ein Kompetenzzentrum für die Vermittlung von Geschichte. Wir brauchen leidenschaftliche Menschen, die für Geschichte begeis­tern. Wir brauchen eine Diskussionsplattform, wo sich jeder einbringen kann. Und wir brauchen eine zentrale Schnittstelle zwischen Forschung und Öffentlichkeit.

Ich darf daran erinnern, bereits unter Wolfang Schüssel wurde eine Machbarkeitsstudie zum „Haus der Geschichte Österreich“ erarbeitet. Bis 2015 hat es gedauert, und nun haben international anerkannte Expertinnen und Experten das erste Konzept für das „Haus der Geschichte“ erstellt. Jetzt geht es um die organisatorischen Rahmenbedin­gungen und darum, diese umzusetzen.

Positiv herausheben möchte ich schon, dass Personen aus der Zivilgesellschaft, dass ein Bürgerforum in die Konzeption eingebunden wurde und eingebunden wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Im „Haus der Ge­schichte“ darf auf unsere Bundesländer nicht vergessen werden. Gerade uns als Länderkammer muss der Aspekt des Föderalismus im „Haus der Geschichte“ ein wichtiger Wert sein. Gleichzeitig dürfen wir natürlich internationale Entwicklungen in der Zeitgeschichte nicht ausklammern.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 45

Ich bitte Sie, Herr Minister, diese Punkte auch an den wissenschaftlichen Beirat zu übermitteln und in die weitere Konzeption mit einzuplanen. Wir werden darauf achten, dass das „Haus der Geschichte“ nicht auf die Bundesländer vergisst.

Wir setzen heute einen ersten, aber wichtigen Schritt, und jetzt geht es in die Detail­planung. Ich hoffe, dass wir auch in Zukunft im Bundesrat über die Detailstudie und über das Ausstellungskonzept diskutieren werden, denn es gibt noch einiges zu diskutieren, das wurde angesprochen: Wie schaut es mit den finanziellen Grundlagen aus? Wie schaut es mit dem Kostenrahmen aus? Wie schaut es mit dem Beirat aus? Welche Kooperationen wird es geben? Da gibt es schon noch viel zu diskutieren, aber wir versichern Ihnen, Herr Minister, wir stehen hinter diesem Projekt. Wir werden es auch begleiten, und wir werden immer wieder darüber diskutieren und schauen, wie dieses Projekt läuft. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

11.32


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Jenewein. Ich erteile ihm dieses.

 


11.32.36

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein (FPÖ, Wien): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wurde schon sehr viel gesagt, vor allem, was die Kritikpunkte betrifft. Ich möchte jetzt gar nicht so sehr auf Herrn Rathkolb eingehen, den ich im Übrigen als Historiker durchaus schätze, das möchte ich auch einmal sagen. Es geht darum – und da hat Herr Stögmüller in seiner prinzipiellen Kritik selbstverständlich recht –, dass man sich da, wenn man danach trachtet, da parteipolitische Unabhängigkeit zu implemen­tieren, dann zielgerichtet jemanden nimmt, der halt doch relativ klar punziert ist. Ich bin davon überzeugt, die SPÖ hätte das auch eleganter lösen können. Es gäbe in eurem Kielwasser sicher Historiker, die nicht so sehr diese parteipolitische Punze oben haben.

Ich möchte aber vielmehr auf andere Punkte eingehen, die mich auch interessieren. Da gibt es zum Beispiel einen relativ lauten Kritikpunkt des Rechnungshofes, der die Gesamtkosten betrifft. Der Rechnungshof sagt: Die derzeit prognostizierten Gesamt­kos­ten erscheinen nicht plausibel.

In dasselbe Horn stößt ja auch die Rektorin der Akademie der bildenden Künste, Frau Eva Blimlinger. Diese Kostenrechnung ist „unrichtig und fehlerhaft“, sagt sie wörtlich. Zu den veranschlagten 46,7 Millionen € fehlen noch rund 40 Millionen.

Das heißt, es gibt hier schon auch ernst zu nehmende Kritik außerhalb der Oppo­sitions­parteien, die man nicht so einfach vom Tisch wischen sollte. Und was Frau Blimlinger auch kritisiert – das ist natürlich schon ein Thema – und sagt, ist, bei einem „Haus der Geschichte“, das ehrlicherweise „Haus der Zeitgeschichte“ heißen müsste, ist halt schon ein bisschen im Hintergrund und schwingt mit dieser „Möchte-gern-parteipolitische-Einfluss“.

Die Ausführungen meiner Vorrednerin, von Frau Kern aus Niederösterreich, sind ja schon auch ein Symbol dafür, in welche Richtung das wirklich geht. Ursprünglich hat Wolfgang Schüssel diese Idee vom „Haus der Geschichte“ gehabt, daraus ist nie etwas geworden, und jetzt macht der Herr Kulturminister das „Haus der Geschichte“. Und was macht die ÖVP Niederösterreich, sprich das Land Niederösterreich? – Es macht auch ein „Haus der Geschichte“, nämlich in Niederösterreich.

Das führt dann natürlich schon zu der Situation, dass jedes Bundesland sein „Haus der Geschichte“ macht, jedes Bundesland dann selbst seine Geschichte schreibt. Ich warte ja nur mehr darauf, dass sich Niki Lauda, der Fachmann für alles, zu Wort meldet und


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 46

sagt: Aber im „Haus der Geschichte“ möchte ich, bitte schön, auch einen Raum haben, denn ich bin immerhin dreifacher Formel-1-Weltmeister! Und dann kommt Franz Klammer und sagt: Ja bitte, ich bin Olympiasieger! (Bundesrat Dörfler: Ja, da bin ich auch dafür!) – Das ist ja alles skurril. Man hat halt schon den Eindruck, dass es da schon eher darum geht, dass sich der eine oder andere, nennen wir es einmal vorsichtig, ein Denkmal setzen möchte.

Ich finde es interessant, dass die ÖVP da jetzt einfach mitstimmt. Es wäre interessant, den Side Letter zu kennen, was das politische Tauschgeschäft dafür war, dass die ÖVP da jetzt mitgeht, aber Sie werden natürlich sagen, es hat keines gegeben. Natürlich hat es keines gegeben, das ist mir klar. (Zwischenruf des Bundesrates Mayer.)

Interessant an der Geschichte ist natürlich auch – das haben wir erst vorgestern im Ausschuss gehabt – der wissenschaftliche Beirat. Auf die Fragen: Wie schaut denn der wissenschaftliche Beirat aus?, Wie wird der zusammengesetzt?, haben wir im Ausschuss die Auskunft bekommen: Na ja, den haben wir noch nicht bestellt, denn wir wollten ja dem Beschluss des bundesrätlichen Kulturausschusses nicht vorgreifen! – Ganz ehrlich, es gibt auch da eine elegantere Form mitzuteilen, dass man es nicht sagen möchte. Das ist halt alles schon sehr im Dunklen. Man versucht, das Ganze schnell über die Bühne zu bringen, die Kritikpunkte werden vom Tisch gewischt.

Es gibt durchaus kritische Stellungnahmen der Bundesländer Tirol, Kärnten, im Übrigen auch aus Niederösterreich, so ist das nicht. Die waren ursprünglich auch nicht so begeistert von dieser Geschichte. Und es schwingt halt sehr mit, dass es da darum geht, ideologische Duftmarken zu setzen. Und wenn man uns schon im Ausschuss nicht sagen möchte, wie dieser Beirat bestellt wird, dann stellt sich halt die Frage, ob das dann über das Renner Institut direkt vermittelt wird.

Vielleicht wäre es doch sinnvoller gewesen, die Bestellung und die Mitarbeit ein bisschen transparenter zu gestalten, auch im Ausschuss ein bisschen transparenter zu gestalten, dann wären wir alle klüger und würden sich vielleicht die einen oder anderen Kritikpunkte von Haus aus in Luft auflösen. Aber wenn man es nicht sagen möchte, gibt man natürlich der Spekulation durchaus Raum.

Da wir gegen diese Form der Geschichtsschreibung durch ein „Haus der Geschichte“ sind, wo man nicht weiß, wer im wissenschaftlichen Beirat vertreten sein wird, wo wir mit der Kostenplanung nicht 100-prozentig einverstanden sind, bringe ich folgenden Antrag ein:

Antrag

der Bundesräte Pisec, Jenewein und Kollegen betreffend Einspruch gem. Art. 42 B-VG

Der Bundesrat möge beschließen:

Gegen den Beschluss des Nationalrates vom 17. März 2016 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Bundesmuseen-Gesetz 2002 geändert wird (1011 d.B. und 1016 d.B.), wird gemäß Art. 42 B-VG mit folgender Begründung Einspruch erhoben:

„Mit der gegenständlichen Novelle soll ein ,Haus der Geschichte‘ in der Hofburg ein­gerichtet werden, an dessen Konzeption sowohl in inhaltlicher als auch organisato­rischer Hinsicht massive Zweifel bzw. Kritik sowohl seitens der Fachwelt als auch der Politik und insbesondere des Finanzressorts bestehen und zu dessen Gunsten andere Museen von Weltgeltung, insbesondere die Sammlung alter Musikinstrumente massiv beeinträchtigt würden. Das Vorhaben ist daher abzulehnen.“


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 47

In formeller Hinsicht wird gemäß § 54 (3) GO-BR eine namentliche Abstimmung über diesen Antrag verlangt.

*****

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FPÖ.)

11.38


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Der von den Bundesräten Mag. Pisec, Jenewein, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Antrag gemäß § 43 Abs. 1 der Geschäftsord­nung, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates mit den beigegebenen Begründungen Einspruch zu erheben, ist genügend unterstützt und steht demnach in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister Dr. Ostermayer. – Bitte, Herr Minister.

 


11.39.12

Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien Dr. Josef Ostermayer: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Bundesrätinnen und Bundesräte! Ich danke für die Gelegenheit, dass ich vielleicht ein paar Punkte aufklären kann, die im Raum schweben oder wo es vielleicht auch Missverständnisse gegeben hat.

Zum Ersten: Es gibt seit Jahrzehnten eine Diskussion in Österreich, nämlich beginnend nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ob ein Haus der Geschichte, gemeint war in diesem Konnex übrigens immer ein Haus der Zeitgeschichte, errichtet werden soll. In den letzten Regierungserklärungen kam immer wieder dieses Bestreben zum Aus­druck. Leon Zelman hatte die Idee, im Palais Epstein so etwas zu errichten; das ist dann ans Parlament gegangen und wird jetzt auch vom Parlament genutzt. Es war in Regierungserklärungen enthalten, und es wurde eine Studie in Auftrag gegeben – Lord Europe/Claudia Haas, das ist schon erwähnt worden –, da gab es die Idee eines Neubaus. 2008 kam dann die Finanzkrise, in der Folge auch budgetäre Maßnahmen, die eben nicht ermöglicht haben, dieses Haus der Geschichte – gemeint war immer ein Haus der Zeitgeschichte, um es noch einmal zu betonen – zu errichten.

Ich war dann, weil es auch in der Regierungserklärung für diese Legislaturperiode enthalten war, in der Situation, dass ich überlegt habe, wie wir es realisieren könnten, nämlich das, was wir uns gemeinsam in der Koalition vorgenommen haben. Im November 2014 haben wir dann über das Thema Weltmuseum, Nutzung Neue Burg und so weiter geredet. Ich habe gesehen, dass es da auch Raummöglichkeiten gibt, und habe dann gemeinsam mit der Österreichischen Nationalbibliothek und dem Kunsthistorischen Museum überlegt, wie wir das zuwege bringen könnten.

Es hat dann vom Kunsthistorischen Museum verschiedene Varianten/Vorschläge gegeben, weil wir immer davon ausgegangen sind, dass wir in der Kleinstversion ungefähr 3 000 Quadratmeter brauchen, um eine sinnvolle Lösung zustande zu bringen. Wir haben uns auch international Beispiele angeschaut, auch in Deutschland. Da gibt es die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Ich habe mir zuletzt übrigens auch in München ein Zeitgeschichtemuseum angeschaut. Wir haben dann versucht, eine Lösung zu finden, die möglichst viele Interessen berück­sichtigt, die Raumressourcen in der Neuen Burg mitberücksichtigt; wir haben versucht, gemeinsam mit den Institutionen und natürlich auch gemeinsam mit dem Koalitions­partner eine Lösung zu finden.

Um ein Konzept für diese Basis, nämlich auch diese Flächenbasis, zu erarbeiten, wurde ein wissenschaftlicher Beirat eingesetzt, und Sie, Herr Bundesrat Stögmüller, meinen, dieser sei parteipolitisch gefärbt; das war ja offenbar der Vorwurf. Der Gegen-


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schluss von dem, was Sie sagen, hieße übrigens, dass zum Beispiel ein Professor Van der Bellen nie einen Auftrag hätte bekommen dürfen, denn es ist auch klar, wie er politisch einzuordnen ist. (Bundesrat Stögmüller: Welchen Auftrag? – Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Er wird vermutlich im Rahmen seiner Forschung, seiner Professur auch Drittmittel eingeworben haben (neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller); es wäre erstaunlich, wenn er das nicht getan hätte. Es ist ein gefähr­liches Argument, das Sie gebracht haben.

Ich frage Sie aber Folgendes, damit ich es gleich entkräfte: Welcher Partei gehört Frau Professorin Dr. Dr. h.c. Aleida Assmann an oder Dekan Professor Dr. John Boyer von der University of Chicago (Bundesrat Stögmüller: … international!) oder Herr Pro­fessor Dr. Hacohen von der Duke University, und so weiter? (Bundesrat Stögmüller: Warum schreiben Sie es dann …?) Diese Gruppe hatte den Auftrag bekommen, ein Konzept für ein Haus der Geschichte zu erarbeiten.

Die Liste ist übrigens auch im Internet einsehbar, für jedermann zugänglich, weil ich das Konzept, das von diesem internationalen wissenschaftlichen Beirat einstimmig erarbeitet wurde, sofort veröffentlicht habe, sodass jeder Zugang hat. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Dort sind übrigens auch Themen wie das folgende diskutiert worden: Wenn es zu bestimmten Ereignissen der Geschichte noch keine ab­schließende wissenschaftliche Beurteilung gibt, man in der Wissenschaft unterschied­liche Auffassungen hat, dann stellt man die unterschiedlichen Positionen dar, sodass die Menschen, die dort hingehen, die Schüler, die Erwachsenen, die Möglichkeit haben, diese Differenzen, diese Differenzierung, diesen Diskurs nachzuvollziehen. (Bundesrat Pisec: Es ist aber kein Museum!)

Es ist also nicht eine Person, sondern eine Gruppe von 31 Personen aus Österreich, aus Europa und aus den USA, hoch renommierte Wissenschafter, beauftragt worden, und sie hat diese Studie erarbeitet. (Bundesrätin Mühlwerth: Warum haben wir diese Liste nicht bekommen? Warum müssen wir uns die erst auf Ihrer Internetseite suchen?) – Entschuldigen Sie, ich habe das öffentlich gemacht, und es ist auch öffent­lich darüber berichtet worden, als dieses Ergebnis vorgelegen ist, dass ich das Ergebnis veröffentliche. Ich kann Ihnen die Studie aber gerne zuschicken; da sind auch die Namen der Menschen aufgelistet, die daran mitgewirkt haben. – Das ist der eine Punkt.

Der zweite Punkt ist folgender: Es gab dann dieses Ergebnis. Diese Gruppe hat den Namen „Haus der Geschichte Österreich“ vorgeschlagen. Ich weiß, dass es auch eine Diskussion betreffend Genitiv gegeben hat. Ich hätte es als etwas – ich sage so – überheblich empfunden, wenn ich, nachdem diese Gruppe renommierter Personen daran gearbeitet und diesen Vorschlag gemacht hat, gesagt hätte: Ich will einen anderen Namen haben! Das hätte man machen können, und im Marketing wird es vielleicht auch noch anders sein. – Das ist der zweite Punkt.

Aufbauend auf dem haben wir, die Regierung, dann die nächsten Schritte gesetzt, haben auf Basis des Regierungsbeschlusses in Krems eine Gruppe eingesetzt, die sich generell mit dem Thema Neue Burg und Heldenplatz auseinandersetzt, weil es ja mehrere Projekte gibt, die miteinander zu tun haben.

Wenn wir zum Beispiel dieses Projekt realisieren, ist es genauso wie beim Welt­museum, das jetzt schon in Bau ist; es ist sozusagen eine Koproduktion zwischen dem Wirtschaftsressort und meinem Ressort, sowohl in der Finanzierung als auch in der Abwicklung, denn der Hausherr ist die Burghauptmannschaft, die auch die Arbeiten hinsichtlich Substanz beauftragt, Brandschutz et cetera. Das ist ein Miteinander, genauso wie wir beim Thema Tiefspeicher für die Österreichische Nationalbibliothek gesagt haben: Wir haben auch in anderen Bereichen einen Bedarf an Depots für


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Bücher, bei der Universität Wien zum Beispiel – wenn wir es machen, machen wir es doch gemeinsam!

Jetzt ist der nächste Schritt der Umsetzung, die gesetzliche Basis zu schaffen, denn die Idee war, dass wir nicht eine eigenständige Struktur mit allen Overheads schaffen, sondern dass wir das an eine bestehende Institution andocken, die zufälligerweise auch noch dort im Haus ist, nämlich an die Österreichische Nationalbibliothek, und das quasi als Tochter der Österreichischen Nationalbibliothek, allerdings wissenschaftlich eigenständig, einrichten wollen. Damit wir das tun können, damit wir die nächsten Schritte machen können – Beauftragung der Vorstudie, Bestellung und Besetzung des wissenschaftlichen Beirats auf Basis dieses Gesetzes, Einladung zur Nominierung für das Publikumsforum, letztendlich dann Erlassung von Geschäftsordnungen, Ausschrei­bung der Stelle des Direktors, der Direktorin und so weiter –, brauchen wir eine ge­setz­liche Basis. Das ist genau das, worüber jetzt diskutiert wird. (Das Licht im Sitzungssaal geht aus. – Ruf bei der SPÖ: Angenehm! – Heiterkeit bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.) – Selbst wenn das Licht hier ausgeht: Dank der Oberlichte sehen wir einander noch gut. (Bundesrätin Mühlwerth: Das hat Symbol!)

Sie haben auch das Thema Kritik, die es gibt, erwähnt: Ich möchte jetzt ein Zitat ver­lesen, das lautet:

„Zur Errichtung eines Hauses der Geschichte der Republik Österreich darf man Regierung, Parlament, Museumsexperten und Historiker herzlich gratulieren. Was lange währt wird gut!“ – Er meint, weil es eine so lange Diskussion gegeben hat. – „Angebote zu unterbreiten, sich seiner Vergangenheit gerade 100 Jahre nach der Er­richtung der Republik zu vergewissern, stellt eine große Herausforderung dar. Anders als es die Nationalmuseen des 19. Jahrhunderts getan haben, wird in moder­nen Geschichtsmuseen heute die Vergangenheit nicht mehr als Goldenes Zeitalter ver­mittelt, sondern Multiperspektivität macht den Besuchern deutlich, dass es nicht nur ein Geschichtsbild gibt.“ Und so weiter.

Sie haben ICOM erwähnt. – Das Zitat stammt von Professor Dr. Hans-Martin Hinz, Präsident des Weltmuseumsverbandes ICOM. (Zwischenruf des Bundesrates Pisec.) Also er unterstützt das, ICOM unterstützt das – so wie viele andere, von Hugo Portisch bis Franz Fischler et cetera; ich könnte viele Personen aufzählen, die sich dazu bekannt haben, dass wir das machen.

Vorletzter Punkt: Kosten. Natürlich hat man am Beginn eines Projekts immer nur Kostenschätzungen. Es gibt eine Institution, die besonders intensive Erfahrungen mit Umbauten unserer historischen Bausubstanz hat; das ist die Burghauptmannschaft, schlicht und einfach deswegen, weil sie das seit Jahrzehnten tut. Die Kostenermitt­lungen, insbesondere im Hinblick auf die Investitionen, die in die Bausubstanz erfolgen, kommen von der Burghauptmannschaft. Da geht es etwa um folgende Fragen: Welche Kosten fallen für den Brandschutz an? Was müssen wir in der Substanz tun? Es gibt niemanden, glaube ich, der in diesen Bereichen mehr Erfahrung hat als die Burghaupt­mannschaft.

Der zweite Teil, die Einrichtung des Museums, ist Teil unseres Bereichs, da haben Kunsthistorisches Museum, Nationalbibliothek und so weiter auch entsprechende Erfahrung. Das sind die Grundlagen für die Zahlen, die wir haben.

Der Betrag, der genannt wurde, die 53 Millionen €, betrifft übrigens zu einem beträcht­lichen Teil Brandschutzkosten, wir haben 25 Prozent für Unvorhergesehenes vorge­sehen; er beinhaltet zum Teil die Basisabgeltung für den Betrieb, und er beinhaltet neben dem Haus der Geschichte noch einen zweiten Teil: die Neuaufstellung der Sammlung alter Musikinstrumente.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 50

Um gleich alle Fragen, die es immer wieder gegeben hat, zu beantworten: Es geht nicht und ging nie darum, dass die Sammlung alter Musikinstrumente aus der Neuen Burg wegkommt, sondern es geht darum, dass die Sammlung alter Musikinstrumente neu, zeitgemäß aufgestellt wird. (Das Licht im Sitzungssaal geht wieder an, nach wenigen Sekunden wieder aus und dann wieder an.)

Die jetzige Aufstellung ist 25, 26 Jahre alt. Die Diskussion, über die ich durchaus dankbar war, hat übrigens auch dazu geführt, dass viele Menschen erfahren haben, dass es in der Neuen Burg auch die Sammlung alter Musikinstrumente gibt; diese war ja den meisten Menschen in Wirklichkeit nicht bekannt, jetzt ist sie bekannter gewor­den. Ich habe auch mit dem mittlerweile leider verstorbenen Nikolaus Harnoncourt ein langes Gespräch darüber geführt, was aus seiner Sicht notwendig wäre, um das einerseits für die Spezialisten, aber andererseits auch für die Bevölkerung interes­santer zu machen und mehr Interesse zu wecken.

Zum Weltmuseum, weil das auch kurz erwähnt wurde: Das Weltmuseum hat eine sehr wertvolle Sammlung, damit für diese mehr Fläche zur Verfügung steht als bisher, haben wir eine Neukonzeption vorgenommen. Es ist übrigens schon in Bau, wir wer­den mit dem Umbau und der Neuaufstellung im Weltmuseum 2017 fertig sein.

Zu den Finanzen: Der Rechnungshof – wenn man es präzise diskutieren will – hat beim ersten Entwurf bemängelt, dass die Kosten nicht detailliert genug aufgegliedert sind und das daher für ihn nicht nachvollziehbar ist. Wir haben das bei dem Entwurf, der dann tatsächlich beschlossen wurde, entsprechend ergänzt, und das Gleiche gilt auch für die Hinweise des Finanzministeriums.

Die nächsten Schritte sind – vorausgesetzt, es wird beschlossen, das Gesetz wird wirksam –, dass wir, wie gesagt, die Vorstudie in Auftrag geben, der wissenschaftliche Beirat nominiert wird, die Institutionen eingeladen werden, die Personen für das Publi­kumsforum zu nominieren. (Zwischenruf bei der FPÖ.) Der wichtigste Punkt, damit tatsächlich mit dem Bau begonnen werden kann – die Vorstudien und so weiter sind alle budgetär bedeckt –, ist, dass im Bundesfinanzrahmen und natürlich im Budget die budgetäre Bedeckung sowohl in meinem Ressort als auch bei der Burghaupt­mann­schaft, also im Wirtschaftsressort, gegeben ist. Das wird dann im Bundesfinanz­rahmen zu sehen sein, ob uns das gelungen ist oder nicht.

Wenn es uns gelingt, dann ist es der nächste Schritt, mit der Hoffnung, dass wir es im November 2018 – 100 Jahre Republik – auch tatsächlich eröffnen können. Ich danke Ihnen, wenn Sie zustimmen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie der Bundesrätin Schreyer.)

11.54


Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Wir begrüßen Frau Staatssekretärin Steßl hier in unserer Mitte. (Allgemeiner Beifall.)

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Gruber-Pruner. – Bitte.

 


11.54.50

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Frau Staatssekretärin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Es ist einigermaßen undankbar, als letzte Rednerin, sogar noch nach dem Herrn Minister zu sprechen (Bundesminister Ostermayer: Entschuldigung!), aber es ist mir trotzdem ein Anliegen, die Sinnhaftigkeit dieses Vorhabens zu unterstreichen und noch ein paar weitere Aspekte in die Debatte einzubringen.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 51

Das gegenständliche Projekt, nämlich das Haus der Geschichte Österreich, im Rah­men dieses Bundesmuseen-Gesetzes hat ja wirklich einen langen Bart, möchte man fast sagen, einen langen Vorlauf. Seit Jahrzehnten taucht diese Idee eines Hauses der Zeitgeschichte immer wieder auf, und viele Regierungen vor der derzeit im Amt befind­lichen haben bereits die Notwendigkeit einer solchen Institution erkannt. Wir haben heute die Chance – da stimme ich Kollegin Kern zu –, den Startschuss für dieses Projekt zu geben, um das endlich zu verwirklichen.

Wer nicht weiß, woher er kommt, weiß nicht, wohin er geht, lautet ein Sprichwort von Darius Romanelli. Der Sukkus aus diesem Zitat ist, aus der Geschichte zu lernen, und mir fallen zurzeit gerade unzählige Beispiele ein, dass es uns Menschen offensichtlich extrem schwerfällt, aus der Geschichte zu lernen. Beispielsweise wurde gestern von der oberösterreichischen Landesregierung angekündigt, dass es Menschen erster und zweiter Klasse geben soll, dass es Arme und noch Ärmere geben soll, dass die Mindestsicherung für verschiedene Gruppen unterschiedlich niedrig sein soll. (Bundesrat Kneifel: … Bundesmuseen-Gesetz! – Zwischenruf der Bundesrätin Posch-Gruska.)

Da denke ich mir, das ist wohl ein Beispiel dafür, dass sich die Geschichte und eben auch Diskriminierung und das Ausspielen von Bevölkerungsgruppen gegeneinander offensichtlich immer wieder wiederholen (Beifall bei SPÖ und Grünen), dass man willentlich den sozialen Frieden gefährdet und riskiert, dass die Gesellschaft auseinan­der­driftet und vor allem Kinder um ihre Zukunftschancen gebracht werden. Das macht mir Angst, und die Geschichte hat uns bereits gezeigt, wohin das führen kann. Indira Gandhi hat das so formuliert: „Die Geschichte ist der beste Lehrer mit den unaufmerk­samsten Schülern.“

Aber nun zurück zum Haus der Geschichte: Im Kulturausschuss vergangenen Diens­tag sagte der geladene Experte des Ministeriums im Zusammenhang mit diesem Gesetz sinngemäß, es gebe in Österreich keinen Mangel an Forschung und Arbeiten zur Zeitgeschichte. Das Wissen ist da, aber dieses Wissen existiert eben im Wesent­lichen bei ExpertInnen und bei Insidern. Der Mangel, sagte er, bestehe in der Vermittlung dieses Wissens.

Ich teile die Einschätzung von Kollegen Pisec nicht; für eine solch komplexe Materie wie Geschichte reicht das Zurverfügungstellen einer Homepage alleine nicht. Man weiß in der Pädagogik und im Speziellen in der Museumspädagogik, dass die Auseinan­dersetzung mit der Geschichte des Volkes (Bundesrat Pisec: Ja, aber da muss ich etwas ausstellen! Das stimmt schon, aber da muss ich etwas ausstellen! Es gibt aber nichts …! – Zwischenbemerkung von Bundesminister Ostermayer), also letztendlich mit der eigenen Vergangenheit und damit der eigenen Identität, weniger über Vorträge oder Texte erfolgt. Dafür braucht es eine Auseinandersetzung auf mehreren Ebenen mit verschiedenen sensorischen Zugängen, und moderne Museumspädagogik bietet genau das. Sie ermöglicht die Auseinandersetzung mit historischen Gegebenheiten über unterschiedlichste Kanäle, und sie kann so guten Geschichtsunterricht ergänzen beziehungsweise bereichern.

Vom „Haus der Geschichte Österreich“ erhoffe ich mir aber nicht nur Geschichts­ver­mittlung, sondern auch politische Bildung. Ein Bereich, in dem in unserem Bildungs­system noch Nachholbedarf besteht, und da kommt dem Haus der Geschichte Österreich eine bedeutende Rolle zu. Kinder und Jugendliche sind explizit als Ziel­gruppe genannt, und ich bin überzeugt davon, dass es PädagogInnen und LehrerInnen dabei unterstützen wird, die oft komplexen Sachverhalte begreifbar, erlebbar zu machen, wie es beispielsweise in der Demokratiewerkstatt schon ausgezeichnet


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 52

gelingt, aber eben ohne den historischen, zeitgeschichtlichen Kontext. Da haben wir jetzt eine neue Chance, und das Haus der Geschichte schließt da tatsächlich eine Lücke. (Vizepräsident Gödl übernimmt den Vorsitz.)

Die Angst um die Habsburger Monumentalbauten verstehe ich nicht so ganz. His­torische Gebäude mit heutiger Architektur zu kombinieren ist eine Herausforderung, entspricht aber gerade dem Geist eines solchen Hauses der Geschichte. Das kann durchaus reizvoll sein. Dass es auch gelingt, zeigen wunderbare Beispiele wie unser Museumsquartier oder hoffentlich auch der Umbau unseres Parlamentes.

Auf der Homepage des Hauses der Geschichte wird mehrfach betont, dass der Austausch mit der Bevölkerung aktiv gesucht werden wird. Die Bevölkerung wird sogar eingeladen, sich aktiv in die Gestaltung dieses Hauses einzubringen. Ich sehe darin eine sehr große Chance, das Interesse der Bevölkerung an dieser Einrichtung zu steigern und vor allem auch Schätze aller Art, die in der Bevölkerung vorhanden sind, zu heben. Ich meine damit natürlich nicht nur materielle Schätze.

Im Jahr 2018 begehen wir das 100-Jahr-Jubiläum unserer Republik. Das wäre doch ein hervorragender Anlass, der Öffentlichkeit dieses Haus zugänglich zu machen. Ich weiß, dass das vielleicht ein zu ambitioniertes Ziel ist, aber es wäre schön. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

12.01

12.01.10

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Dem ist nicht so. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen nun zur Abstimmung.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Mag. Pisec, Kolleginnen und Kollegen vor, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates mit der beigegebenen Begründung Ein­spruch zu erheben.

Es ist hiezu eine namentliche Abstimmung verlangt worden.

Da dieses Verlangen von fünf Bundesräten gestellt wurde, ist gemäß § 54 Abs. 3 der Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung durchzuführen. Ich gehe daher so vor.

Im Sinne des § 55 Abs. 5 der Geschäftsordnung erfolgt die Stimmabgabe nach Aufruf durch die Schriftführung in alphabetischer Reihenfolge mündlich mit „Ja“, das bedeu­tet Einspruch, oder „Nein“, kein Einspruch. Ich bitte um deutliche Äußerung.

Ich ersuche nun die Schriftführung um den Aufruf der Bundesrätinnen und Bundesräte in alphabetischer Reihenfolge.

*****

(Über Namensaufruf durch Schriftführerin Blatnik geben die Bundesrätinnen und Bundesräte ihr Stimmverhalten mündlich bekannt.)

*****

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich mache von meinem Stimmrecht Gebrauch und stimme mit „Nein“.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 53

Die Stimmabgabe ist beendet.

Ich unterbreche zur Auszählung der Stimmen kurz die Sitzung.

*****

(Die zuständigen Bediensteten nehmen die Stimmenzählung vor. – Die Sitzung wird um 12.05 Uhr unterbrochen und um 12.07 Uhr wieder aufgenommen.)

*****

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf und gebe das Abstimmungsergebnis bekannt:

Demnach entfallen auf den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des National­rates mit der beigegebenen Begründung Einspruch zu erheben, bei 53 abgegebenen Stimmen 15 „Ja“- und 38 „Nein“-Stimmen. Der Antrag auf Erhebung eines Ein­spruches ist somit abgelehnt.

Mit „Ja“ stimmten die Bundesrätinnen und Bundesräte:

Dziedzic;

Herbert;

Jenewein;

Krusche;

Längle;

Mühlwerth;

Pisec;

Raml, Reiter, Rösch;

Samt, Schererbauer, Schreyer, Stögmüller;

Zelina.

Mit „Nein“ stimmten die Bundesrätinnen und Bundesräte:

Anderl;

Beer, Blatnik;

Ebner;

Forstner, Fürlinger;

Gödl, Grimling, Gruber-Pruner;

Hackl, Hammerl, Heger;

Junker;

Kern, Kneifel, Köck, Köll, Koller;

Ledl-Rossmann, Lindinger, Lindner Mario, Lindner Michael;

Mayer;

Novak;

Oberlehner;


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 54

Pfister, Posch-Gruska, Preineder, Pum;

Saller, Schennach, Schödinger, Stöckl;

Tiefnig, Todt;

Weber, Winkler;

Zwazl.

*****

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen nun zur Abstimmung über den Aus­schussantrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag ihre Zustimmung erteilen, um ein Handzeichen. – Dieser Antrag hat die Stimmenmehrheit und ist somit angenommen.

12.07.495. Punkt

Bericht des Bundeskanzlers und des Bundesministers für Kunst und Kultur, Ver­fassung und Medien an das Parlament zum Arbeitsprogramm der Kommission für 2016 und zum 18-Monatsprogramm des Rates für 2016/17 gemäß Art. 23f Abs. 2 B-VG iVm § 7 EU-InfoG (III-571-BR/2016 d.B. sowie 9552/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nun gelangen wir zu Punkt 5 der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Mag. Fürlinger. Bitte um den Bericht.

 


12.08.08

Berichterstatter Mag. Klaus Fürlinger: Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minis-ter! Ich bringe den Bericht über den Bericht des Bundeskanzlers und des Bundes­minis­ters für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien an das Parlament zum Arbeitspro­gramm der Kommission für 2016 und zum 18-Monatsprogramm des Rates für 2016/17 gemäß Art. 23f Abs. 2 B-VG in Verbindung mit § 7 EU-Informationsgesetz.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 29. März 2016 den Antrag, den Bericht des Bundeskanzlers und des Bundesministers für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien an das Parlament zum Arbeitsprogramm der Kommission für 2016 und zum 18-Monatsprogramm des Rates für 2016/17 zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Herbert. – Bitte.

 


12.09.15

Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Frau Staats­sekretärin! Herr Bundesminister, ich werde Sie sicherlich nicht überraschen, wenn ich Ihnen mitteile, dass wir diesen Berichten zur EU-Kommission und zum Rat schon in der Vergangenheit höchst differenziert gegenübergestanden sind. Diese grundsätzliche Haltung wird sich auch bei diesem Bericht fortsetzen.


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Ich darf aber schon feststellen, dass es die wohlwollend aufgenommene Tendenz gibt, dass sich die Bundesregierung seit Kurzem aufgerafft hat und in diesen Berichten auch kritische Stellungnahmen abgibt. Damit entfernt sie sich von ihrer gebückten, devoten Haltung gegenüber der allmächtigen EU und präsentiert sich etwas aufrechter im Sinne der österreichischen Bevölkerung.

So ist es auch in diesem Bericht. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass es doch einige kritische Anmerkungen gibt: Seitens der österreichischen Bundesregierung wird der Mehrwert der Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion nicht erkannt. Bei der Einführung der Europäischen Einheitlichen Eigenerklärung wird eine erwartbare Erhöhung des Verwaltungsaufwands erkannt, deren Umfang nicht abzusehen ist.

Besonders positiv möchte ich die Haltung der Bundesregierung in Bezug auf den Datenschutz hervorheben. Es gab nicht nur eine Gegenstimme und eine Stimm­enthaltung bei der Annahme der Datenschutz-Grundverordnung und der Daten-schutzrichtlinie. Auch die kritische Haltung zum Umbrella Agreement und zum Privacy Shield – das ist die Nachfolgeregelung von Safe Harbor – ist positiv hervorzuheben. Dabei geht es hauptsächlich um die beiden offenen Punkte, nämlich den Zugriff auf Daten seitens amerikanischer Geheimdienste und die Frage der Klagemöglichkeiten für Nicht-Amerikaner. Das ist noch offen und bildet auch den Kern der Verhandlungen. Das Engagement in diesen Bereichen sei hier positiv angemerkt.

Das Negative ist, dass diese seitens der Kommission und des Rates in Aussicht genommenen Vorhaben trotz der Einwendungen Österreichs wohl doch umgesetzt werden. Das heißt, Österreich wird sich unterwerfen müssen, weil – wie man sieht – dem Grundsatz der allgemeinen Beschlusslagen mittlerweile ein mehrheitliches Ab-stimmungsergebnis gefolgt ist. Daher wird das wohl eine interessante Geschichte werden.

Die inhaltlich verschiedenen Positionen sind nicht immer unbedingt im Sinne der österreichischen Bevölkerung und der österreichischen Verwaltung – Stichwort Euro­päische Einheitliche Eigenerklärung. Das wurde von Ihnen, Frau Staatssekretärin, und von der Bundesregierung in kritischer Weise angemerkt. Das wird aber trotzdem kom­men und die Ressourcen der Republik und die österreichische Bevölkerung belasten.

Besonders interessant ist die Haltung der EU bei den Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich. Dabei gibt es höchst differenzierte Zugänge zwischen der EU und Großbritannien, wobei, wie ich dem Bericht entnehmen kann, nicht alles eitel Wonne und Waschtrog ist. Insbesondere geht es dabei um die Vergünstigungen für aus der EU zugewanderte Arbeitnehmer, die in Großbritannien erwerbstätig sind. Für sie wird es diesen vierjährigen Nichtzugang geben, Sozialleistungen werden also nicht zugänglich sein, wenn nicht Beiträge für vier Jahre Erwerbstätigkeit bezahlt werden.

An und für sich ist das ein interessanter Ansatz, sowohl für die Zukunft Österreichs als auch für die Zukunft der EU. Egal, wie diese Diskussion einschließlich der Abstimmung der britischen Bevölkerung endet, also ob die Vereinbarungen zwischen der EU und Großbritannien angenommen werden oder nicht, sind die Auswirkungen entsprechend interessant für die gesamte Union. Sollte dieses Paket für das Vereinigte Königreich angenommen werden, stellt sich natürlich die Frage, warum nur Großbritannien Ver­günstigungen zugesprochen werden und nicht auch dem Rest der von Arbeitsmigration negativ betroffenen Mitgliedstaaten.

Ich darf dabei an Österreich erinnern: Wir haben Rekordarbeitslosigkeit, die es in Österreich noch nicht gegeben hat. Es gibt auch das Problem, dass auf dem Arbeits­markt dadurch ein enormer Verdrängungswettbewerb entsteht, der besonders zu Nachteilen für die Jugendlichen und die Generation über 50 führt.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 56

Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass es im Sinne einer Ent­schärfung dieser Situation für die österreichische Bevölkerung einen Antrag der FPÖ im EU-Hauptausschuss gegeben hat, der die Freizügigkeit der Arbeitsmigration einschränken sollte, damit für die österreichischen Arbeitslosen zumindest ein Start­vorteil ermöglicht werden kann. Dieser Antrag wurde leider von Ihnen, meine Damen und Herren, den Angehörigen der Regierungsparteien, abgelehnt. Das ist sehr beda­uerlich, wischt aber nicht das Grundproblem, das die EU und somit auch Öster­reich hat, vom Tisch.

Das Grundproblem ist: Sollte die Vereinbarung zwischen der EU und Großbritannien angenommen werden, stellt sich die Frage, warum es das nur für dieses Land gibt und für andere nicht. Sollte sie nicht angenommen werden, dann ist die Frage, wie man mit einem der größten Wirtschaftsmärkte umgeht, wenn das Land nicht mehr Mitglied der Europäischen Union ist. Wie verhält es sich mit den ihnen dann wohl erst recht eingeräumten Sonderkonditionen? Solche Sonderregelungen im Verhältnis zu den noch verbleibenden EU-Staaten müssen dann ja wohl erst recht erfolgen.

Alles in allem zeigt sich, dass die EU zerrissener denn je ist. Sie ist eine nicht nur in der Flüchtlingsproblematik überforderte Union. Was den Zusammenhalt der Mitglied­staaten anbelangt, ist sie wohl mehr eine auseinanderdriftende als eine zusammen­wachsende Vereinigung. Dieser Widerspruch spiegelt sich zum Teil auch in diesem Bericht wider. Ich darf daher anmerken, dass wir diesen Bericht nicht zur Kenntnis nehmen werden.

Ich wünsche mir, dass man den kritischen Kurs, der von der Bundesregierung schon in der Vergangenheit und auch in diesem Bericht angedeutet wurde, in positiver Weise für die Republik Österreich und für die österreichische Bevölkerung fortsetzen möge. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

12.18


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als nächster Redner ist Herr Bundesrat Schennach zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


12.18.20

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geschätzter Herr Minister! Frau Staatssekretärin! Würden wir dem folgen, was Herr Herbert sagt, dann gibt es zwei Konsequenzen: Einerseits werden die Hunderttausen­den Österreicher und Österreicherinnen, die im EU-Ausland arbeiten, dabei geflissent­lich übersehen. Zum anderen: Ich kritisiere oft unseren deutschen Nachbarstaat, aber dass wir jetzt anfangen, die größte Gruppe der EU-Bürger und EU-Bürgerinnen, die in Österreich Arbeit sucht, nach dieser Vorrede nach Deutschland zurückzuschicken, ist vielleicht doch ein bisschen überzogen. Um diese Gruppe geht es, weil sie auch die größte Gruppe ist, die Sozialleistungen in Anspruch nimmt.

Die österreichische Bevölkerung hat aber wenig Verständnis für den vom Vorredner bewunderten Weg der Briten. Die Mehrheit der Österreicher und Österreicherinnen ist dafür, dass das Vereinigte Königreich bei der Europäischen Union verbleibt. Eine unglaub­lich große Mehrheit der Österreicher und Österreicherinnen ist aber gegen jegliche Zugeständnisse an Großbritannien.

Der vorliegende Vorhabensbericht umfasst im Grunde – da es ja das Bundes­kanz­leramt betrifft – alle großen Fragen der Europäischen Union. Da kommt schon einmal der Hauptpunkt hinein, all das, was Juncker unter der Agenda für Jobs, Wachstum, Fairness und demokratischen Wandel vorgelegt hat. Da geht es um die Maßnahmen für Arbeitsplätze, den digitalen Binnenmarkt, die Energieunion, die Klimaschutzpolitik, den vertieften Binnenmarkt und die Stärkung des Industriestandorts Europa, aber auch


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 57

um die vertiefte Wirtschafts- und Währungsunion, intelligentes und nachhaltiges Wachstum, die Bewältigung all der Flüchtlingsfragen, die die EU etwas in Atemlosigkeit verharren lässt, und all die Fragen der EU-Außen- und Sicherheitspolitik.

Eine Reihe von Dingen haben wir in der EU-Ausschusssitzung – nicht wahr, lieber Kollege Edgar Mayer – behandelt. Wir haben diesbezüglich klarerweise einige negative Stellungnahmen abgegeben, etwa dass wir bei der Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion die Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit schlichtweg als entbehrlich erachten.

Wir haben gestern zum Online-Warenhandel und zur digitalen Agenda eine negative, ablehnende Stellungnahme abgegeben, vor allem, weil das in der Wirtschaft und bei den Verbrauchern und Verbraucherinnen mehr Unsicherheit schafft. Das ist die glatte Umgehung dessen, was der Bundesrat ja schon einmal einstimmig in einer begrün­deten Stellungnahme betreffend das Kaufrecht abgelehnt hat – wir brauchen kein zusätzliches Kaufrecht. Der Online-Warenhandel ist eigentlich nur eine Umgehung dieser ursprünglichen Ablehnung.

Wir haben in diesem Bericht das Europäische Semester mit dem Frühwarnbericht für die Vermeidung makroökonomischer Ungleichgewichte. Da Österreich ja Kandidat für die Tiefenanalyse war, sind wir schon sehr gespannt, was da herauskommt. Wichtig ist natürlich, dass ein verstärkter Fokus – das ist aus unserer Sicht äußerst positiv – auf den beschäftigungs- und sozialpolitischen Themen liegt und – wir werden das im Zusammenhang mit den Finanzen noch besprechen – was die Währungsunion betrifft.

Eine heikle Frage, die sich in diesem Bericht befindet – wir haben das gestern lange diskutiert –, ist der Beitritt oder Nichtbeitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Das ist sicher eine ganz schwierige Sache. Als Europarat-Mitglied muss ich das hervorheben: Es gefällt nämlich vielen nicht, dass es dann erstmals möglich ist, über den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – das ist eine der Errungenschaften; Papst Franziskus hat bei seinem Besuch gesagt, der Euro­päische Gerichtshof für Menschenrechte sei das Gewissen Europas, wobei ich interessant finde, wo ein Kirchenmann in Europa das Gewissen ansetzt – eine Individu­albeschwerde gegen die Union einzubringen.

Das ist die Stärke, dass jeder Mensch in Europa mittels eines Zettels, einer Serviette oder eines anwaltlichen Schreibens dort eine Individualbeschwerde einbringen kann. (Bundesrat Mayer: Bierdeckel!) – Bierdeckel, Klopapierrollen: Wir haben alles schon gesehen. Das ist der einzige Gerichtshof der Welt, der jeden Tag 24 Stunden offen ist.

Das ist schwierig. Der Europäische Gerichtshof hat ja diesbezüglich gesagt, dass das mit dem primären Unionsrecht nicht vereinbar ist. Gleichzeitig besteht aber die unions­rechtliche Verpflichtung der Europäischen Union, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beizutreten. Das wird mit Sicherheit eine interessante Frage.

Wichtig in diesem Vorhabensbericht – vor allem für mich als Vertreter der Bundes­haupt­stadt – ist, dass die Europäische Union endlich den Wert der Städte für die Entwicklung in Europa erkennt, mit der Urban Agenda, der Urban Policy ein ganz eigenes Instrument hat, das über Regionen beziehungsweise über Mitgliedstaaten hinausgeht, und sieht, dass beim Trend zu den Städten und zum urbanen Ballungs­raum ganz neue Fragen kommen. Deshalb kann ich das nur unterstreichen.

Vor wenigen Wochen gab es in Wien eine große Konferenz, bei der man am Beispiel von Barcelona, Oslo, Wien und Paris die Entwicklung urbaner Räume betrachtet hat. Man sieht, welche ganz andere Dynamik da hineinkommt. Für unsere kleinen Städte in Österreich ist es aber auch wichtig – da gibt es die Riga-Deklaration –, dass man sie nicht vergisst und nicht deren Bedeutung übersieht.


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Datenschutz-Programm – das hat mein Vorredner schon gesagt –: Wir haben eine Grundverordnung und eine Richtlinie. Er hat auch richtig gesagt, dass Österreich und Slowenien Widerstand geleistet haben und dass bei der Grundverordnung Österreich als einziges Land dagegengestimmt hat. Es ist richtig, dass ein Land, das dagegen­stimmt, zu wenig ist, aber man muss schon dazusagen: Das war dann schon der Kom­promiss, das heißt, dass zwei Staaten da so nachhaltig Widerstand geleistet haben, hat das bereits verändert. Wir werden sehen, wie das noch weitergeht.

Was den digitalen Binnenmarkt betrifft, liebe Frau Staatssekretärin, ist eine Bitte, die auch am Dienstag in einer Ausschusssitzung gerade bezüglich dieses Berichts ausge­sprochen wurde: Der Bundesrat hat einstimmig mit seinem Grünbuch zur digitalen Agenda eine Stellungnahme abgegeben, und wir wünschen uns einfach, dass das bei der Digital Roadmap des Bundes auch eine entsprechende Platzierung bekommt, was wir derzeit auf der Homepage nicht erkennen können. Immerhin hat der Bundesrat ein halbes Jahr intensiv daran gearbeitet und zudem einen einstimmigen Beschluss gefasst. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Einen allerletzten Satz noch, weil unser Kulturminister, glaube ich, noch da ist: Wir hoffen sehr, lieber Herr Kulturminister, dass Europeana – ein wirklich wichtiges Projekt, die digitale Dokumentierung unserer europäischen Kultur als ein Gegenprojekt zu Google – nicht nur den Niederländern umgehängt bleibt. 48 Millionen Objekte sind bereits digitalisiert, Österreich ist mit 2 Millionen dabei. Wir hoffen sehr, dass es eine gemeinsame Trägerschaft und einen gemeinsamen Willen gibt, die Europeana zu tragen. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

12.28


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als nächste Rednerin gelangt Frau Bundesrätin Dr. Reiter zu Wort. – Bitte.

 


12.28.22

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Hohes Präsidium! Werte Kolle­gen und Kolleginnen! Das Arbeitsprogramm 2016 der Kommission und die Stellung­nahmen des Ministeriums dazu sind also das Thema. Das ist ein sehr umfangreiches Thema, das von meinem Vorredner auch schon sehr umfassend dargestellt worden ist.

An einem Vorhabensbericht können wir ja nichts verändern, daher kann man eigentlich auch nicht wirklich dagegenstimmen. Er ist auch in vielen Bereichen sehr allgemein gehalten. Zum Beispiel ist die Priorität der niederländischen Präsidentschaft im ersten Halbjahr eine „umfassende Herangehensweise an Migration und internationale Sicher­heit“. – Ich weiß nicht, was man sich darunter wirklich vorstellen soll. Es wird „einen überarbeiteten Vorschlag betreffend intelligente Grenzen“ geben. – Ich weiß nicht, was man sich unter intelligenten Grenzen wirklich vorstellen soll.

Interessant aber ist – worauf ich mein Augenmerk gerichtet habe – der darauf auf­bau­ende oder, besser gesagt, fundierende Bericht aus den Ministerien. Da gibt es doch einige kritische Anmerkungen.

Die Kommission hat – wie auch schon erwähnt – mit Ende Februar eine Tiefenanalyse für Österreich veröffentlicht. Nicht alle Länder werden nach dem Europäischen Semes­ter, den entsprechenden Benchmarks tiefenanalysiert, aber dieses Mal war Österreich dabei. Wie schaut es bezüglich Wachstum, Beschäftigung, Investitionstätigkeit und so weiter aus? Dieser Bericht ist bereits im Netz verfügbar, liegt also vor. Die Bun­desregierung ist auch aufgefordert, diesbezüglich sehr schnell zu handeln, denn der Kommission sind schon bis Ende April entsprechende Maßnahmen und Konzepte, die auf dieser Tiefenanalyse basieren, vorzulegen.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 59

Im Bericht wird vor allem angemerkt, dass Österreich schon den Empfehlungen der Kommission aus dem Jahr 2015 nicht gefolgt ist. Die Kommission formuliert das etwas höflicher, sie spricht von „limited progress“. Der Diskussion in der Ausschusssitzung war zu entnehmen, dass das wohl auch so bleiben wird. Das heißt, die Beziehungen zwischen den verschiedenen Regierungsebenen werden kompliziert und ineffizient bleiben. Das Föderalismusproblem, das Problem mit dem Finanzausgleich und die damit verbundenen Probleme im Gesundheitsbereich, im Bildungsbereich et cetera werden bleiben. Ich denke, das ist auch kein Ruhmesblatt für dieses Gremium.

Der Gender Gap zum Beispiel, also die ungleiche Bezahlung von Frauen und Män­nern – wir liegen damit ja weit über dem europäischen Durchschnitt –, wird bleiben, er wird nicht ambitioniert angegangen. Das Gleiche gilt für das Pensionsproblem, für die hohe Besteuerung der Arbeit und für die Tatsache, dass es in Österreich praktisch keine Umweltsteuern oder Vermögenssteuern gibt – also null Bewegung.

Das sind alles Punkte, die in der Tiefenanalyse ganz klar angesprochen werden, wo es aber keine erkennbaren ambitionierten Reformbewegungen vonseiten der österreichi­schen Bundesregierung gibt. Das ist einer der Gründe, warum wir diesen Bericht ablehnen.

Es gibt im Bericht das Kapitel „Dialog über Rechtsstaatlichkeit“. Das ist ein Vorhaben der EU, über die vollständige Umsetzung des EU-Rechts in den Mitgliedstaaten ent­sprechend zu wachen. Da gibt es auch einige Probleme in Österreich. Nach wie vor können NGOs nicht an der Durchsetzung von Umweltrechten im Sinne der Aarhus-Konvention mitwirken. Wie ist das aus Niederösterreich gekommen? (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Wenn es eben zum Beispiel zu trinkwasserschädigenden Verordnungs­novellen kommt – zum Beispiel Massentierhaltung in Niederösterreich –, kann das von NGOs nicht einem Gericht zur Überprüfung vorgelegt werden.

Es gibt seit 2014 ein Vertragsverletzungsverfahren im Rahmen der Aarhus-Konvention gegen Österreich. Es wäre an der Zeit, dass das ambitioniert angegangen wird, entsprechende Regelungen zu schaffen. Es gibt eigentlich keine Umweltrichtlinie der EU, die in Österreich wirklich komplett umgesetzt und eingehalten wird. Ich erinnere an das Mahnschreiben bezüglich der Verletzung der NEC-Richtlinie und der Stick­stoff­dioxid-Richtlinie aus der letzten Zeit.

Unserer Meinung nach müssten ja endlich die Bürger gestärkt werden, damit die Umwelt wirklich auch mehr Gewicht bekommt und beschlossene Gesetze und Richt­linien entsprechend korrekt angewendet werden. Das ist ein uns sehr wichtiger Kritikpunkt und einer der Gründe, warum wir diesen Bericht ablehnen.

Zu Datenschutzrichtlinie, Datenschutz-Grundverordnung sowie Datenschutz-Rahmen­ab­kommen zwischen der EU und den USA möchte ich hier nicht viel sagen, weil das auch schon meine Vorredner getan haben. Diesbezüglich sind noch viele Fragen offen, die teilweise auch von der Bundesregierung ähnlich kritisch wie von uns gesehen werden.

Ein Punkt, der auch schon erwähnt worden ist – erlauben Sie mir trotzdem, noch darauf einzugehen –, ist der barrierefreie Zugang zum Internet. Da gab es einen Richtlinienvorschlag der Kommission von 2012. Lobend zu erwähnen ist, dass bereits seit 2004 dieses Thema auch in Österreich gesetzlich adressiert wird. Darüber hinaus gibt es eben das schon erwähnte Grünbuch des Bundesrates. Wir erwarten uns – unabhängig davon, wie schnell und gut auf EU-Ebene dazu gearbeitet wird –, dass in Österreich ambitioniert und vorbildlich an dieser Umsetzung weitergearbeitet wird.

Das betrifft im Besonderen natürlich den ganzen E-Government-Bereich. Im Bericht steht, Österreich begrüße, dass der E-Government-Aktionsplan weitergeführt werden


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soll, man ist aber der Meinung, der Zeitplan sei ambitioniert und man werde die nähe­ren Details im Aktionsplan erst abwarten. – Unserer Meinung nach ist das die falsche Vorgehensweise. Ich glaube, wir sollten dabei bleiben, Maßstäbe zu setzen und ambitioniert und vorbildlich in diese Richtung weiterzugehen.

Ich möchte die Chance ergreifen, dazu noch eine Anregung vom Rednerpult aus zu deponieren: das Programm Leichter Lesen. Das Programm Leichter Lesen ist eine Methode, die ursprünglich für Menschen mit Demenz und Lernschwierigkeiten ent­wickelt wurde, um verständliche Texte für diese Menschen zu verfassen. Wenn es stimmt, dass tatsächlich 20 Prozent der Schulabgänger nicht sinnerfassend lesen können, dann, glaube ich, ist das eine sehr große Gruppe, die solche Angebote auch tatsächlich braucht.

Es gibt inzwischen ein umfassendes Regelwerk zu Leichter Lesen. Es sollte unser Ziel sein, dass es im ganzen staatlichen Bereich Texte in einer Leichter-Lesen-Fassung gibt und dass das angeboten wird. Wir haben in Salzburg damit begonnen – von offizieller Seite gibt es eben eine sehr reservierte Haltung dazu –, eine Landtags­abgeordnete der Grünen, Frau Kimbie Humer-Vogl, hat begonnen, auf der Homepage des Landes solche Texte über Ausschussberichte, Anträge und Landtagsbeschlüsse zur Verfügung zu stellen. Es ist dies die meistbesuchte Information, die wir zur Verfügung stellen.

Es ist also ein großer Bedarf vorhanden. Ich glaube, wir sollten uns alle bewusst sein, dass wir vermutlich längst eine Geheimsprache sprechen, die kaum noch jemand versteht. Wenn es uns nicht gelingt, entsprechende Übersetzungen zu machen, beziehungsweise wenn wir diese Übersetzung nur dem Boulevard überlassen, werden wir damit das Projekt Demokratie gefährden.

Demokratie heißt Partizipation, heißt Ermächtigung der Menschen, um ihre Eman­zipation entsprechend zu unterstützen – so wie Luther, der, indem er die Bibel in eine Sprache übersetzt hat, die die Menschen verstanden haben, eine große Reformation und Veränderung ausgelöst hat.

Wir sollten alles dafür tun, dass uns die Menschen verstehen, dass sie das verstehen, was hier geschieht und beschlossen wird. Leichter Lesen wäre ein Schlüssel dafür, den Menschen das entsprechend zu vermitteln; deshalb mein dringender Appell an Sie alle, aber insbesondere an Sie, Frau Staatssekretärin: Die digitalen Inhalte, die wir produzieren, die im Rahmen von E-Government entwickelt und eingesetzt werden, müssen barrierefrei und leichter lesbar sein! (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Das sollten wir nicht so zögerlich angehen, wie es im Bericht durchscheint. Das heißt, wir sollten nicht abwarten, wozu uns die EU vielleicht zwingt, sondern proaktiv diesen Weg weitergehen. – Danke. (Beifall bei Grünen und SPÖ sowie des Bundesrates Mayer.)

12.39


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nächste Rednerin: Frau Bundesrätin Junker. – Bitte.

 


12.39.18

Bundesrätin Anneliese Junker (ÖVP, Tirol): Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Arbeitsprogramm der Kommission und des Rates wurde im Grunde genommen schon Punkt für Punkt durchgearbeitet. Kollege Schen­nach hat im wahrsten Sinne des Wortes nichts ausgelassen. Ich darf vielleicht ein paar Sachen noch einmal verstärkt darlegen, und zwar wurde das Arbeitsprogramm für 2016 schon im Oktober 2015 von der Kommission beschlossen, und ich glaube, es beinhaltet wirklich ganz wichtige Punkte, die auch Nachhaltigkeit implementieren: „Neue Impulse für Arbeitsplätze, Wachstum und Investitionen; ein vernetzter digitaler


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 61

Binnenmarkt; eine robuste Energieunion mit einer zukunftsorientierten Klimaschutz­politik; ein vertiefter und fairerer Binnenmarkt mit gestärkter industrieller Basis;“

Was für mich auch noch ganz wichtig ist, ist ein Satz, der drinnen vorkommt: „ein auf gegenseitigem Vertrauen fußender Raum des Rechts und der Grundrechte; hin zu einer neuen Migrationspolitik; mehr Gewicht auf der internationalen Bühne; eine Union des demokratischen Wandels.“

Ich glaube, das sind ganz wichtige Sätze, die sich in unserem nationalen Regie­rungs­programm und auch in vielen Programmen der Bundesländer wiederfinden. Hiermit ist also schon eine Nachhaltigkeit gegeben, die aufbauend auf die EU-Ebene über unseren Bundesstaat und die Bundesländer, bis auf die Gemeinden herunterge­brochen ist. Was brauchen wir mehr als Wachstum, Arbeitsplätze und Sicherheit?

Das 18-Monatsprogramm des Rates zielt auf die gleichen Bereiche ab. Das Arbeits­programm des Rates gliedert sich in fünf Bereiche: „eine Union der Arbeitsplätze, des Wachstums und der Wettbewerbsfähigkeit; eine Union, die jeden ihrer Bürger befähigt und schützt; auf dem Weg zu einer Energieunion mit einer zukunftsorientierten Klimapolitik; eine Union der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts; Die Union als starker globaler Akteur.“

Ich glaube, das ist schon etwas, das ganz, ganz wichtig ist. Was vor allem auch ganz wichtig ist, das sind die Sitzungen, die die Union für die Bewältigung der Flüchtlings­krise ansetzt, nur im Grunde genommen geht auf EU-Ebene alles viel langsamer. Da muss ich einfach auch feststellen, dass Gott sei Dank die zwei Ministerien mit Doskozil und Mikl-Leitner an der Spitze, jetzt besser zusammenarbeiten, jetzt schneller reagie­ren, um damit auch besser agieren zu können, denn am Anfang waren die Flüchtlings­ströme nach und durch Österreich unkoordiniert und auch für die Schutzsuchenden nicht optimal und ihnen vor allem menschenrechtlich nicht zumutbar.

Jetzt, in der jetzigen Phase sind wir, glaube ich, einen wesentlichen Schritt voraus: Wenn ich jetzt an Tirol denke – Südtirol und Trentino, die Europaregion –, da wurde gemeinsam mit der Bundesregierung und den zwei Ministerien jetzt schon ein Szenario entwickelt, um sicherzustellen, was gemacht werden muss oder worauf man achtgeben muss, damit am Brenner nicht das Chaos ausbricht, wenn sich die Flüchtlingsströme ändern. Wir haben das Chaos schon gehabt, wir müssen es nicht wieder haben. Da ist die österreichische Bundesregierung wesentlich schneller, viel effizienter und besser.

Walter Obwexer von der Universität Innsbruck hat ja ein Gutachten erstellt, da ja Österreich an den Pranger gestellt wurde aufgrund der Einführung einer Obergrenze von 37.500 Flüchtlingen, die Österreich im Jahr 2016 noch aufnehmen will. Obwexer sagt, der Begriff „Obergrenze“ ist problematisch, „Richtwert“ wäre der bessere Aus­druck. Den Richtwert von 37 500 Flüchtlinge begründet er damit, dass Österreich ja im Jahr 2015 90 000 schutzsuchende Menschen aufgenommen hat und die einem Asylverfahren unterzogen wurden.

Österreich hat aber auch Verantwortung: für sein Sozialsystem und sein Schulsystem und dass seine Fähigkeit, Menschen integrieren zu können – wie Österreich mit den Menschen umgeht – weiterhin gegeben ist. Das liegt auch in der Verantwortung von Österreich, und somit muss es auch legitim sein, einen Richtwert einzuziehen. Ich glaube, es ist auch für die, die bei uns Schutz suchen, bei uns um Asyl ansuchen, wichtig, dass sie auch die Möglichkeit haben, ein lebenswertes Leben bei uns zu führen, dass sie integriert sind, dass ihre Kinder eine Ausbildung bekommen. Im Gegenzug ist es auch wichtig, dass unser Schulsystem damit nicht überfordert ist, dass auch unsere Kinder nicht unter die Räder kommen, sondern dass alle gemeinsam ein gutes Schulsystem vorfinden.


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Ich glaube, das wäre auch ein wichtiger Beitrag, den die EU leisten kann, nur ist die EU in der Zwischenzeit schon so groß und etwas schwerfällig und kann wesentlich weniger schnell agieren, als Österreich es kann. (Bundesrat Herbert: Wahre Worte, wahre Worte! Schwerfällig und behäbig!) Gott sei Dank macht sie es trotzdem.

Die EU hat ja während des Jahres nicht nur die Flüchtlingsthematik zu bewältigen, sondern vielfältige andere Themen, die vom Kollegen Schennach schon angesprochen wurden. Das ist einerseits der urbane Raum, und vor allem auch, dass unsere Klein- und Mittelbetriebe, ich sage nicht geschützt werden, aber besser an der Wirtschaft teilnehmen können. Wir haben beim Vergaberecht in Tirol den Schwellenwert, der schon einen Teil abdeckt, mit dem die Kommunen, die Städte und auch das Land bei Vergaben ein bisschen besser agieren können. Es sollte auch auf EU-Ebene darauf besser eingegangen werden.

Beim Datenschutz sind wir ja im Bundesrat schon Vorreiter gewesen: Bevor die Europäische Union darauf aufgesprungen ist, hat der österreichische Bundesrat dieses Thema schon behandelt und seine Wichtigkeit und die Bedeutung des Datenschutzes thematisiert.

Dass es schwierige Verhandlungen für die Menschenrechtskonvention gibt – der ja Österreich oder die Europäische Union beitreten muss –, ist bekannt, auch, dass die Verhandlungen nicht ganz einfach zu führen sind, aber ich denke doch, dass sie konstruktiv weitergeführt werden müssen, um auch die Zusammenhänge, das hohe Niveau und den Schutz auch wirklich gewährleisten zu können. Die Kultur, das Künstlerische im Arbeitsplan wurde auch schon behandelt: Ich denke dass auch Kultur und Flüchtlinge ein Thema in der EU, auch in Österreich sein soll (Bundesrat Schennach: Da gibt es eine Arbeitsgruppe!), denn wir müssen uns einfach mit diesem Thema auseinandersetzen, um die Zusammenhänge besser zu verstehen.

Stimmen wir alle diesem Bericht zu! – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

12.47


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste und Letzte in dieser Debatte ist Frau Staatssekretärin Mag. Steßl zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Staatssekretärin.

 


12.47.40

Staatssekretärin im Bundeskanzleramt Mag. Sonja Steßl: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat, ich bedanke mich herzlich für die äußerst sachlich geführte Debatte zu diesem Bericht. Solche Berichte „gut“ – unter Anführungs­zeichen – zu diskutieren, ist ja sehr schwierig, weil wirklich sehr, sehr viele Themen­bereiche von Ihnen angesprochen worden sind, meine geschätzten Damen und Herren. Natürlich findet man auch im Bericht selbst ein Konvolut an Themen vor, wobei natürlich jedes einzelne Thema eigentlich eine noch intensivere Debatte benötigen würde. Daher bitte ich um Verständnis, dass ich nur auf einige Dinge eingehen werde, weil es sonst den Rahmen dieser Debatte sprengen würde.

Die Europäische Union ist ja heuer unter der niederländischen und slowakischen Ratspräsidentschaft vor weitere große Herausforderungen gestellt. Blickt man auf die letzten Tage zurück und erinnert man sich an die mörderischen, terroristischen An­schläge in Brüssel, so weiß man, es bedarf natürlich besonderer, gemeinsamer An­stren­gungen auf europäischer Ebene zur Bekämpfung von Terrorismus auf nationaler und europäischer Ebene.

Auch eine andere Herausforderung in der Intensität ist noch nicht gelöst, das ist die Herausforderung rund um das Thema Migration, rund um das Thema Flüchtlinge. Da sind europäische Antworten nötig, aber es ist, wie wir wissen, die Findung aufgrund der aktuellen Situation und aufgrund der aktuellen Diskussionen noch sehr schwierig. Es


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ist auch eine Bewährungsprobe für den Zusammenhalt der Europäischen Union, da es auf der einen Seite nicht sein kann, dass drei Länder die gesamte Last der Euro­päischen Union rund um das Thema Flüchtlinge tragen. Auf der anderen Seite ist hier wirklich fehlende Solidarität nicht nur zu erkennen, sondern wirklich auch sehr, sehr spürbar und wahrnehmbar. Wir kommen in den Diskussionen leider nicht voran.

Was bei diesen ganzen Krisenwörtern immer wieder vergessen wird – und da bin ich ja dankbar, dass das in der Debatte hochrangig angeführt wurde –, ist das Thema Beschäf­tigung und Wachstum. Egal, worüber wir sprechen – ob das jetzt in Österreich ist oder innerhalb der Europäischen Union –, wenn wir über die Finanzierung der Sozialsysteme reden, wenn wir über andere Dinge reden, ist es wichtig, auf Wachstum und Beschäftigung zu achten.

Auch in der Europäischen Union hinken wir da nach wie vor hinterher, daher muss es eine der obersten Prioritäten sein, innerhalb der Europäischen Union auf Investitionen, auf Wachstum, auf die Fortsetzung von Strukturreformen und natürlich – das dürfen wir nicht außer Acht lassen – auf eine schonende Haushaltskonsolidierung zu achten, die uns aber nicht im Wachstum hemmen darf. Man sieht das in anderen Märkten, und daher ist es natürlich in diesem Zusammenhang wichtig, darauf zu achten, wie wir weiter in der Diskussion mit der Golden Rule umgehen werden.

Eine nächste Schlüsselfrage ist natürlich auch der Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union. Am 23. Juni findet ein Referendum statt, und es wird natürlich dann auch eine Bewährungsprobe für die Europäische Union insgesamt werden.

Angesprochen wurde auch die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion und auch die kritischen Anmerkungen, die Österreich zu diesem Thema gemacht hat. Grundsätzlich sind wir nicht dagegen, aber große Vertragsänderungen sollten wir, wie wir glauben, wenn geplant, in einem Konvent diskutieren. Wir haben jetzt auch ein vor­handenes Regelwerk, das wir ausnützen sollten und das wir natürlich auch prüfen sollten.

Zum Thema Migrationsdruck. – Es wurde der Aktionsplan mit der Türkei ange­sprochen und die Maßnahmen, die wir als Österreich jetzt setzen. Wir gehen nach wie vor davon aus – und wir arbeiten hart daran, und der Herr Bundeskanzler arbeitet hart daran –, eine europäische Lösung herbeiführen zu können. Aber so lange diese europäische Lösung nicht da ist, ist es notwendig, dass wir in Österreich Maßnahmen setzen, den Richtwert betreffend und den Druck auf die anderen europäischen Länder betreffend, damit man weiß, drei Länder allein können nicht die gesamte europäische Last tragen.

Zu den drei Ländern gehören noch 25 andere dazu, daher ist es natürlich ungemein wichtig, einerseits das Abkommen mit der Türkei schnellstmöglich umzusetzen, zweitens die Hotspots einzurichten, drittens die Außengrenzen zu sichern, denn wir und der Schengen Raum und der wirtschaftliche Austausch innerhalb der Euro­päischen Union – der Brenner wurde hier genannt; das sind ja Lebensadern, die wir haben – leben davon, dass wir die Außengrenzen sichern, damit wir innerhalb Europas selbstverständlich nicht so rigorose Grenzkontrollen machen müssen. Aber in der Situation, in der wir uns jetzt befinden, ist es natürlich notwendig, verschärfte Grenz­kon­trollen zu machen und weitere Maßnahmen zu setzen. Ich bin der festen Über­zeugung, dass unser Herr Verteidigungsminister die Maßnahmen sehr, sehr gut setzen wird und vor allem sehr vorausschauend und sehr durchdacht.

Da wir uns im Bundesrat befinden, darf ich kurz auf die Kohäsions- und Regionalpolitik eingehen und mich gleichzeitig bei Ihnen bedanken. Gerade bei EU-Förderungen und beim ganzen Regelwerk rund um EU-Förderungen ist die Abwicklung natürlich immer sehr, sehr kompliziert. Mit den Bundesländern konnte eine Vereinheitlichung bezie-


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 64

hungs­weise eine Reform der EFRE-Reformagenda erzielt werden. Daher herzlichen Dank! Wir werden uns auf europäischer Ebene weiterhin dafür einsetzen, dass die Förderprogramme einfacher werden und für den Fördernehmer und die Verwaltung natürlich effizienter werden.

Die Urban Agenda wurde auch angesprochen. Da ist es insbesondere für uns als Österreich wichtig, dass wir gerade die Fragen der Stadt-Umland-Kooperation kleinerer und mittelgroßer Regionen intensiv diskutieren, weil viele Städte davon betroffen sind, alle Infrastruktureinrichtungen sozusagen bewerkstelligen zu müssen – nicht nur was das Budget betrifft, sondern auch was andere Maßnahmen betrifft –, und die Umland­gemeinden davon profitieren. Es ist wichtig, dass wir da eine sehr, sehr intensive Kooperation auch vornehmen können.

Cyber-Sicherheit ist nach wie vor nicht nur ein europäisches Thema, sondern auch ein österreichisches Thema. Ich darf Ihnen auch berichten, dass das Bundes­kanzleramt mit dem BMI, mit dem BMLVS, mit der Wissenschaft und mit der Wirtschaft bereits eine Arbeitsgruppe koordiniert, damit wir die verstärkten Cyber-Attacken, nicht nur auf öffentliche, kritische Infrastruktur, sondern auch auf Unternehmerinnen und Unternehmer, die wir einfach nicht nur bemerken, sondern die es gibt – Cyber-Sicherheit ist ja mittlerweile ein aufstrebender Wirtschaftszweig –, abwehren können, dass wir fortschrittlich agieren können, dass wir hier eine bessere Zusammenarbeit und Vernetzung zustande bringen.

Das Gleiche gilt für die eIDAS-Verordnung: Das bedeutet, dass wir das, was wir in Österreich unter Handysignatur verstehen, auf die europäische Ebene ausdehnen, damit rechtsgültige, elektronische Unterschriften im europäischen Raum gelten. Es wurde der eGovernment-Aktionsplan angesprochen, und ich bedanke mich herzlich, Frau Kollegin, dass Sie die Barrierefreiheit des Internets angesprochen haben, das ist ja auch ein wichtiges Ziel, aber ich bitte Sie, nicht außer Acht zu lassen, dass gerade Österreich im eGovernment-Bereich sehr, sehr viele Initiativen und sehr viele Aktionen setzt. Natürlich kann man sich nicht auf Lorbeeren ausruhen, und selbstverständlich muss man immer daran arbeiten, dass man europäischer Spitzenreiter bleibt, aber ich bin der festen Überzeugung, dass uns das gelingen wird, wenn wir alle zusammen­arbeiten.

Zum Projekt „Digital Roadmap“ und Grünbuch: Herr Kollege Schennach, auf der einen Seite darf ich mich bedanken, dass ich bei dieser Enquete des Bundesrates sehr gut mitdiskutieren konnte. Auf der anderen Seite darf ich festhalten, dass der ehemalige Präsident des Bundesrates, Gottfried Kneifel, dieses Grünbuch initiiert hat. Ich darf festhalten, dass wir das Grünbuch explizit in den Ministerratsvortrag mitaufgenommen haben. Wir haben im Ministerratsvortrag zur „Digital Roadmap“ festgehalten, dass zur Erarbeitung vorhandene Strukturen, Kontakte und Aktivitäten genutzt werden, so werden beispielsweise auch die Ergebnisse der Bundesrats-Enquete einfließen und diese auch weiterentwickelt.

Beim gesamten Projekt „Digital Roadmap“ – daher bin ich auch dankbar, dass Sie das angesprochen haben – endet heute die Online-Konsultation. Bundesregierung, Länder, Gemeinden, Sozialpartner, Ministerien haben ja ein gemeinsames Projekt gestartet, bei dem wir alles gesammelt haben, dann hatten wir eine Auftaktveranstaltung zur Diskussion dieses Papiers, wo wir Sie natürlich auch eingeladen haben, mitzumachen. Wir haben mittlerweile auf unserer Konsultationshomepage sehr, sehr viele Kommen­tare bekommen. Es ist wichtig, dass die Zivilgesellschaft am Projekt mitmachen kann, ihre Kommentare abgeben kann, wenn wir schon über Digitalisierung reden.

Heute endet die Online-Konsultation, und ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn jeder Einzelne oder jede Einzelne noch ihre beziehungsweise seine Kommentare


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 65

abgibt beziehungsweise auch das Grünbuch hochladen würde. Ich denke mir, das tut der ganzen Diskussion tut. Aber ich darf hier noch einmal festhalten: Wir haben nicht darauf vergessen, sondern das ist eine wertvolle Arbeit, die der Bundesrat da geleistet hat, die wir nicht nur zu würdigen wissen, sondern selbstverständlich in unsere Ergeb­nisse einfließen lassen werden. In diesem Sinne danke vielmals für die Zusam­menarbeit. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

12.57

12.57.30

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen hiezu nicht vor.

Gibt es noch welche? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

12.58.326. Punkt

Tätigkeitsberichte des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichts­hofes für das Jahr 2014 (III-569-BR/2015 d.B. sowie 9553/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen nun zu Punkt 6 der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Mag. Fürlinger. Ich bitte um die Berichterstattung.

 


12.58.49

Berichterstatter Mag. Klaus Fürlinger: Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundes­minister! Ich erstatte den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über die Tätigkeitsberichte des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungs­ge­richts­hofes für das Jahr 2014.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 29. März 2016 den Antrag, die Tätigkeitsberichte des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes für das Jahr 2014 zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erste zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Ebner. Ich erteile es ihr.

 


12.59.32

Bundesrätin Adelheid Ebner (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es befremdet doch ein klein wenig, dass wir die Jahresberichte vom Verwaltungsgerichtshof und Verfassungs­gerichtshof für das Jahr 2014 erst heute im Bundesrat behandeln dürfen. Dies ist umso verwunderlicher, als der Jahresbericht 2014 vom Verfassungsgerichtshof laut Infor­mation auf der Homepage bereits am 16. April 2015 vorlag und jener vom Verwal­tungsgerichtshof in dessen Vollversammlung am 7. September 2015 beschlossen wurde. Ich erwähne das, da ich zutiefst davon überzeugt bin, dass es auch Ziel des Bundesrates sein muss, immer möglichst zeitnah und aktuell zu sein, da wir ja sonst jenen Leuten etwas zuspielen, für die der Bundesrat entbehrlich sein könnte. Wir sollten die Diskussionen aktuell führen.

Der Jahresbericht 2014 ist trotz der verspäteten Behandlung hier im Plenum von Bedeu­tung, und dies auch deshalb, weil am 1. Jänner 2014 die Verwaltungs­gerichts­barkeitsnovelle 2012 in Kraft getreten ist. Das Erfreuliche vielleicht zu Beginn: Der


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 66

Übergang zum neuen Verwaltungsgerichtssystem ist völlig problemlos verlaufen, und – dies ist aus dem Bericht auch ersichtlich – es konnte das mit der Novelle verfolgte Ziel einer Verfahrensbeschleunigung und der Entlastung des Verwaltungsgerichtshofes aus dessen Sicht im Jahr 2014 auch erreicht werden.

Der Anfall an neuen Fällen betrug etwa 4 000, davon waren mehr als 1 000 Fälle in Asylverfahren. Dass der Anfall da nicht höher ausgefallen ist, dürfte darauf zurückzu­führen sein, dass die Entscheidungen der neuen Verwaltungsgerichte eine stärkere und befriedendere Wirkung aufweisen als die Berufungsentscheidungen von den einzelnen Verwaltungsbehörden. So konnte auch die durchschnittliche Verfahrens­dauer der im Jahre 2014 abgeschlossenen Verfahren auf 10,6 Monate verkürzt werden.

Die Novelle hat aber auch die Rolle des Verwaltungsgerichtshofes wesentlich verän­dert. Einerseits wurde die bis dahin bestehende Sonderlösung des Asylgerichtshofes beseitigt, der im neuen Bundesverwaltungsgericht aufgegangen ist. Damit wurde die Ausnahme der Asylangelegenheiten von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts­hofes beseitigt. Auch in einer Reihe weiterer Verhandlungs- und Verwaltungsmaterien, die bisher von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgenommen waren, sind nunmehr die Verwaltungsgerichte zuständig, und es steht somit auch der Rechts­zug an den Verwaltungsgerichtshof offen.

Damit besteht im Bereich des Verwaltungsrechtes – sieht man von den Fällen ab, in denen die ordentlichen Gerichte nach Artikel 94 Abs. 2 B-VG angerufen werden kön­nen – eine einheitliche und umfassende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof als höchste und letzte Instanz im Bereich dieser Gerichtsbarkeit. Rechtsfragen, die durch das zum Teil lückenhafte Übergangsregime aufgeworfen wurden, konnten durch die Rechtsprechung gelöst werden. Es erscheint mir auch sehr wichtig, dass der Rechtsschutzsuchende keine Nachteile daraus hat.

Probleme, die durch das Zusammenspiel der Verwaltungsgerichte und des Verwal­tungs­gerichtshofes im Zusammenhang mit der Einbringung von Revisionen und Fristsetzungsanträgen sowie der damit  zusammenhängenden Aktenvorlage durch die Verwaltungsgerichte auftreten können, wurden frühzeitig erkannt und auch effektiv gelöst.

Der Neuanfall an Rechtssachen beim Verwaltungsgerichthof dürfte auf die Dauer aber nicht auf dem Niveau des Jahres 2014 verbleiben. Während der ersten Monate des Jahres 2015 ist bereits ein Anstieg von neuen Rechtssachen zu verzeichnen. Dies gilt insbesondere auch in den Verfahren der Asylangelegenheiten.

Auch der Verfassungsgerichtshof hält in seinem Jahresbericht 2014 fest, dass im Berichtsjahr neuerlich ein überdurchschnittlich hoher Prozentsatz auf Verfahren in Asylrechtssachen entfallen ist. Betrachtet man dann den Zugang an Fällen im Jahr 2014, so sei laut Jahresbericht des Verfassungsgerichtshofes auch festzustellen, dass Beschwerden in Asylrechtsangelegenheiten nach wie vor rund 50 Prozent des Neuanfalles ausmachen.

Asylrechtsangelegenheiten konnten vom Verfassungsgerichtshof im Jahr 2014 durch­schnittlich in 82 Tagen erledigt werden. Die durchschnittliche Dauer bei den übrigen Verfahren betrug weniger als sieben Monate. Hier kann man vielleicht auch erwähnen, dass gegenüber den Vorjahren eine kürzere Verfahrensdauer zu erkennen ist.

Zum Schluss möchte ich nochmals zum Ausdruck bringen, dass es aus Sicht des Bundesrates wünschenswert wäre, wenn die Berichte vom Verwaltungs- und Ver­fassungsgerichtshof rechtzeitig im Bundesrat vorliegen würden. Dann nämlich könn­ten die Jahresberichte in Hinkunft zeitnah und noch aktueller behandelt werden. Trotzdem


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 67

ein herzliches Dankeschön an all jene Personen, die hier mitgewirkt haben. Unsere Fraktion wird diese Berichte zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der SPÖ.)

13.05


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Dr. Köll. – Bitte.

 


13.05.52

Bundesrat Dr. Andreas Köll (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da Kollegin Adelheid Ebner schon sehr viel Detailliertes aus den beiden Berichten des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes gebracht hat, darf ich mir vielleicht noch ein paar grundsätzliche Feststellungen dazu erlauben. Es ist durch diese Reform zu einer deutlichen Verbesserung für unsere Hilfesuchenden in rechtlichen Angelegenheiten gekommen. Der Rechtsschutz konnte ausgeweitet werden, und es haben sowohl Verfassungsgerichtshof als auch Verwaltungsgerichtshof eine wesentlich kürzere Verfahrensdauer zu verzeichnen gehabt, als das in den Vorjahren der Fall war. Man kann hier absolut davon sprechen, dass der Rechtsstaat in Österreich weiter an Qualität gewonnen hat.

Wir haben gehört, dass es eine Vielzahl an Verfahren im Bereich der Asylrechts­verfahren geben wird. Die Prognose aus dem Jahre 2013 betrug für 2014 rund 10 000 Fälle. Das bedeutet – und darauf hat ja auch der Präsident des Verwaltungsgerichts­hofes, Dr. Rudolf Thienel, hingewiesen –, dass man hier mit personellen Veränderun­gen noch etwas vorsichtig sein sollte. Man sollte also hier nicht personelle Ressourcen einsparen, sondern vorsichtig damit umgehen.

Auch der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Dr. Gerhart Holzinger, hat darauf hingewiesen, dass es durch die neuen Aufgaben des Verfassungsgerichtshofes sogar ein Mehr an personellen Ressourcen brauchen wird, beispielsweise durch die Einfüh­rung der neuen Instrumentarien der Gesetzesbeschwerden. Ich darf hier exemplarisch nur zwei Bereiche herausheben. Uns allen ist die Erkenntnis der Verfassungswidrigkeit der früheren Regelung der Vorratsdatenspeicherung oder die Feststellung der Verfas­sungskonformität im Bereich der bevorzugten Vergabe von Kassenstellen für Ärztinnen im Bereich des Frauenarztberufes in Erinnerung. Das sind nur zwei Beispiele.

Interessant im politischen Bereich ist natürlich auch die Tätigkeit des Verfassungs­gerichtshofes als Schlichtungsinstanz, was die parlamentarischen Untersuchungsaus­schüsse betrifft.

Grundsätzlich muss man feststellen – und wir hatten da ja im zuständigen Ausschuss schon einmal eine spannende Diskussion mit dem Präsidenten Dr. Holzinger –, dass es seit 2012 ja bekanntlich auch dem Verwaltungsgerichtshof möglich ist, die Behandlung von Beschwerden oder Revisionen mit dem Verweis darauf abzulehnen, dass es sich dabei nicht um eine grundsätzliche Rechtsfrage handelt. Das war vorher nicht möglich. Da müssen wir uns selbst in beiden Kammern des Parlaments bei der Nase nehmen, denn hier gibt es natürlich noch gewisse Unschärfen und vielleicht auch Probleme für Rechtssuchende. Es wird hier beispielsweise nicht immer möglich sein, ganz von der Einzelfallgerechtigkeit abzugehen, und ich übe hier natürlich bewusst keine Kritik an höchstgerichtlichen Entscheidungen, das steht mir nicht zu. Aber es geht darum, ob unsere Höchstgerichte die Behandlung einer Rechtsfrage einfach grundsätzlich ablehnen können.

Das kann man im Bereich der steirischen Zwangszusammenlegungen von Gemeinden dann vielleicht genauso erörtern und diskutieren, wie beispielsweise im Falle der Agrargemeinschaftsfragen in Tirol, wo es auch noch Fälle aus der Zeit des Dritten


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Reiches gibt, wo es zu scheinbaren Hauptteilungen gekommen ist, wo Gemeinden enteignet wurden, aber dann eben unter Verweis auf diese neue Möglichkeit, die das Parlament auch dem Verwaltungsgerichtshof eingeräumt hat, hier eine Prüfung dieser Frage mit dem lapidaren Verweis daraufhin unterbleibt, dass es sich eben um keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handeln würde. In diesen Bereichen kann man sicherlich noch diskutieren, vielleicht auch nachjustieren.

Aber generell kann man feststellen, dass die Qualität des Rechtsstaates deutlich ge­stiegen ist. Ein Kompliment an das Bundeskanzleramt natürlich und an die für die Verfassung dieser beiden Berichte Zuständigen. Unsere Fraktion erlaubt sich, in diesem Falle eine zustimmende Kenntnisnahme beider Berichte zu empfehlen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

13.10


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Mag. Raml. – Bitte.

 


13.10.43

Bundesrat Mag. Michael Raml (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte mich an dieser Stelle für meine Fraktion auch noch einmal herzlich bei den beiden Präsidentinnen des VfGH und des VwGH bedanken, erstens für den Bericht, den wir leider – wie die Frau Kollegin schon richtig erwähnt hat – hier heute etwas spät behandeln. Aber ich denke, es ist wirklich nicht die Schuld der Gerichtshöfe, dass wir erst heute dazu kommen. Und ich wollte mich vor allem auch dafür bedanken, dass wir auch am Dienstag noch eine ganz interessante Diskussion im Ausschuss haben durften, weil es nämlich wirklich interessant war, am Ende des ersten Quartals des Jahres 2016 auch schon ein bisschen eine Rückschau auf 2015 zu bekommen. Denn 2015 war ja ein sehr, sehr spannendes Jahr.

Was lässt sich aus den vorliegenden Berichten herauslesen? Was kann man vielleicht auch für die Gegenwart und für die Zukunft interpretieren? – Lobenswert ist – auch das möchte ich nicht mehr ewig verbreitern –, dass es bei beiden Gerichtshöfen im inter­nationalen Vergleich eine sehr kurze Bearbeitungsdauer gegeben hat. Aber – und das möchte ich hier noch einmal im Plenum anmerken – uns wurde von den beiden Vize­präsidentinnen doch auch ganz eindeutig vermittelt, dass eine kurze Bearbeitungs­dauer natürlich auch das entsprechende Personal erfordert. Und ich denke, das sollten wir unterstützen und vor allem auch in unsere Klubs weitertragen, dass für das Personal natürlich auch das entsprechende Budget zur Verfügung gestellt werden muss.

Beim VwGH hat sich herausgestellt: Diese Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle scheint zu greifen. Viele Altfälle konnten aufgearbeitet werden. Man findet jetzt auch viel bes­ser im RIS, im Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes, die Entscheidun­gen der einzelnen Landesverwaltungsgerichte, des Bundesverwaltungsgerichts und so weiter.

Zum VfGH: Ja, die Tätigkeit des VfGH stand und steht – das muss man ganz ehrlich festhalten – im Zeichen der Völkerwanderung oder auch Flüchtlingskrise. Hier ist schon teilweise der Eindruck da – und ich denke, da habe ich nicht unrecht –, dass doch eine große Anzahl an NGOs Asylwerber geradezu dazu ermutigen, jedes Mal den vollen Rechtsweg einzuschlagen. Das ist grundsätzlich ein gutes Recht. Ich finde es aber nicht ganz fair, wenn man Menschen etwas vormacht, obwohl es eine teilweise sehr deutliche Rechtsprechung gibt und diese Verfahren eigentlich im Vorhinein schon mit großer Aussichtslosigkeit sozusagen überschattet sind. Das zeigen dann auch die Statistiken bei den Abweisungen und bei den Zurückweisungen.


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Und dies wirkt sich ja dann auch in weiterer Folge wieder auf die Verfahrensdauer aller Verfahren aus, weil hier natürlich ein sehr großer Arbeitsaufwand anfällt, und auch auf die Verwaltungs- und vor allem auf die Gerichtskosten, die der Republik entstehen.

Dieses Faktum ist zuerst auch schon angesprochen worden, auch im Jahr 2015 hat es schon einen massiven Anstieg der Zahl der Verfahren in Asylangelegenheiten beim VfGH gegeben. Insgesamt gab es, wie uns die Frau Präsidentin Bierlein informiert hat, letztes Jahr 3 550 Fälle, und davon waren allein 1 560 Fälle in Asylverfahren. Man merkt also schon, dass der VfGH hier sehr eingedeckt ist.

Einen kurzen Ausblick möchte ich auch noch auf die weitere Tätigkeit des VfGH geben. 2014 hat der VfGH die sogenannte Vorratsdatenspeicherung wegen Verfassungs­widrig­keit aufgehoben. 2016 hat der Nationalrat das sogenannte Staatsschutzgesetz beschlossen, der Bundesrat hat es mit Mehrheit durchgewinkt. Wir haben schon gemeinsam mit den Grünen angekündigt, dass wir auch hier den Weg zum VfGH suchen werden, da wir der Überzeugung sind, dass wir in diversen Aspekten, die wir hier schon debattiert haben, auch hier möglicherweise eine Verfassungswidrigkeit erleben müssen.

Dann heute ganz brandaktuell: Im Wiener Landtag wurde nach 9 Uhr eine Novelle zur Wiener Bauordnung beschlossen, die aus unserer Sicht in gleichheitswidriger Art und Weise die Einrichtung und den Betrieb von Asylwerberquartieren erleichtert. Da werden Nachbarrechte teilweise mit Füßen getreten. Wir haben auch diesbezüglich schon angekündigt, dass wir im Rahmen einer Drittelbeschwerde das auch an den VfGH herantragen werden.

Ein Kapitel im VfGH-Bericht hat geheißen: Der VfGH in den Medien. – Ja, auch die Medienarbeit funktioniert einmal besser, einmal schlechter. Grundsätzlich gibt es eine sehr, sehr gute Homepage, es gibt auch sehr gute Pressekonferenzen, wo in wichtigen und besonders interessanten Fällen dann die Entscheidung im Nachhinein brand­aktuell kommentiert und vor allem auch erklärt wird. Leider gab es heuer auch schon das Gegenteil – und da dürfte ich auch im Sinne des ÖVP-Verfassungs­sprechers Gerstl sprechen, nämlich mit seinen Worten –, wo der VfGH-Präsident Holzinger eindeutig zu weit gegangen ist, weil er, obwohl es noch gar kein konkretes Papier gegeben hat, als VfGH-Präsident bereits im Vorhinein zu der Obergrenze gesagt hat: Das ist sowieso verfassungswidrig!

Da würden wir uns schon wünschen, dass der VfGH seinen Aufgaben so nachkommt, dass er erst konkrete Sachverhalte und konkrete Gesetze, Verordnungen und der­gleichen beurteilt und nicht im Vorhinein schon sozusagen eine Rechtsberatung anbietet, denn sonst könnte man sich ja auch in anderen Bereichen dann öfter einmal wünschen, dass der VfGH eine Stellungnahme abgibt, und die gibt es ja logischer­weise auch nicht. Aber vielleicht wurde er auch nur von den Medien falsch oder stark unvollständig zitiert, das mag ja auch manchmal vorkommen.

Also abschließend kann man, von 2014 bis jetzt und in die Zukunft gesehen, sagen: Es wird sicher nicht ruhiger, aber sicherlich spannender werden. Wir wünschen natürlich den Richterinnen und Richtern der Höchstgerichte alles Gute bei ihrer Tätigkeit. (Beifall bei der FPÖ.)

13.17


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Dr. Reiter. – Bitte.

 


13.17.24

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Hohes Präsidium! Werte Kollegen und Kolleginnen! Es ist immer wieder das Thema angeschnitten worden, dass


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 70

wir mit dieser Debatte über die Tätigkeitsberichte 2014 sehr spät dran sind. Mich würde eigentlich schon interessieren, woran das jetzt wirklich liegt. Ich hatte nämlich den Ein­druck, dass es am Bundesrat liegt, dass es nicht bei Eintreffen auf die Tagesordnung gekommen ist, denn die Tätigkeitsberichte 2015 sind kurz vor dem Fertigwerden oder sind von den Gerichten bereits fertiggestellt. Es ist bei diesen Debatten ja auch sehr interessant, diese Informationen einfließen zu lassen. Wenn es also tatsächlich am Bundesrat liegt, dann habe ich wirklich die dringende Bitte, das zeitnah auf die Tagesordnung zu bringen.

Beide Berichte sind ausgezeichnet, und vielen Dank auch dafür! Es rechtfertigen diese Berichte wirklich ein breites Vertrauen in unser Rechtssystem.

Zum Bericht aus dem Verfassungsgerichtshof: Schon beim letzten Tagesordnungs­punkt habe ich zu E-Government und unseren Ansprüchen daran gesprochen. Ich möchte das hier noch einmal verstärken. Der Verfassungsgerichtshof hat auch eine Präsenz auf Twitter, er twittert also inzwischen. Die Reaktionen darauf sind durchwegs positiv. Die Website des Verfassungsgerichtshofs zählte im Jahr 2014 immerhin 400 000 Visits. Sie ist aber leider nicht barrierefrei, also da ist noch einiges zu verbessern. Ich hoffe, dass gerade auch auf dieser Website dann Informationen in „Leichter Lesen“ zu finden sind, weil ja viele der von den Urteilen Betroffenen zum Beispiel Asylfälle sind, das heißt, Menschen mit oft schlechten oder mangelhaften Deutschkenntnissen, die dann ebenfalls davon profitieren würden.

Zum Verwaltungsgerichtshof: Es ist ja eigentlich wirklich erstaunlich und erfreulich, mit welcher Unaufgeregtheit oder – sollte man eher sagen – Souveränität und Effizienz die größte Reform des österreichischen Rechtsschutzsystems da über die Bühne gegangen ist. 2014 war das erste Jahr, in dem das neue System zur Anwendung kam, womit erste Erfahrungen vorliegen.

Die Zahl der offenen Verfahren ist gesunken. Die durchschnittliche Verfahrensdauer ist gut – auch im internationalen Vergleich. Es gibt bezüglich Budget und personeller Ausstattung entsprechende Wünsche, um dieses Niveau zu halten. Ich glaube, diese sind wohlwollend angekommen.

Wir werden beide Berichte gerne zur Kenntnis nehmen. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

13.20


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Kneifel. Ich erteile es ihm.

 


13.20.58

Bundesrat Gottfried Kneifel (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Erlauben Sie mir einige Anmerkungen in meiner Eigenschaft als Vorsitzender des Verfassungsaus­schus­ses, nachdem nun drei Mitglieder des Bundesrates eine Selbstbeschuldigung ausgesprochen haben, und zwar in dem Sinn, dass der Bundesrat so spät diesen Bericht beraten und darüber Beschluss fassen konnte.

Ich möchte diesbezüglich auf die bisherigen Usancen in diesem Haus hinweisen. Der Bericht wurde vom Herrn Bundeskanzler am 27. November diesem Hause zugeleitet. (Bundesrat Mayer: 2016!) – Ja, 2016 war es. – Aber bleiben wir beim bloßen Ablauf: Am 27. November wurden uns diese Berichte vom Herrn Bundeskanzler zugeleitet. Am 15. Dezember fand zwar eine Sitzung des Verfassungsausschusses statt, bei der es


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 71

jedoch ausschließlich um Materien ging, für die Frau Staatssekretärin Steßl zuständig war, zum Beispiel um die Dienstrechts-Novelle.

Wenn wir von den Gepflogenheiten in diesem Hause abgehen wollen, dann bitte ich nun, einen Beschluss zu fassen, dass diese Berichte immer den Regierungsmitgliedern zugeordnet werden, die in der gleichen Sitzung mit einer anderen Gesetzesmaterie befasst werden. Die erste Möglichkeit, mit dem zuständigen Bundesminister, Herrn Bundesminister Dr. Ostermayer, darüber zu diskutieren, war eben die heutige Sitzung. Dem vorangegangen ist die Ausschusssitzung, bei der wir ausführlich über diese Berichte diskutiert haben.

Ich bitte daher alle jene, die sich heute hier kritisch geäußert oder es bedauert haben, dass die Zeitnähe nicht gegeben ist, mit der wir diese Materie in der Länderkammer behandeln, den Zeitablauf zu berücksichtigen und die bisherigen Usancen in diesem Haus zu reflektieren. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

13.23


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesminister Dr. Ostermayer. – Bitte.

 


13.23.41

Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien Dr. Josef Ostermayer: Ich mache es ganz kurz. Die inhaltliche Diskussion wäre ja tatsächlich – analog zu den Debatten zur Budgeterstellung und anderen – mit den Präsidenten des Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshofes zu führen. Sie sind, wie wir wissen und wie es in einem Rechtsstaat gehört, unabhängig. Wir können auch relativ schwer beeinflussen, wann die Berichte vorgelegt werden. Üblicherweise werden sie jeweils im ersten Halbjahr vorgelegt, also zum Beispiel im ersten Halbjahr 2015 für das Jahr 2014.

Es hat Umstellungen gegeben, das wurde auch von mehreren Seiten lobend erwähnt: die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Es war – das muss man ganz ehrlicher­weise sagen – ein Großprojekt, über das mehr als ein Vierteljahrhundert diskutiert wurde, wo wir es dann geschafft haben, dass es tatsächlich einstimmig beschlossen wurde. Dieses Projekt hat vermutlich dazu geführt, dass der Bericht des Verwaltungs­gerichtshofes erst im Herbst vorgelegt wurde und gemäß der Usance, beide Berichte gemeinsam vorzulegen, auch mit entsprechender Verzögerung der Regierung und anderen zugeleitet wurde.

Ich gehe davon aus, dass die Berichte für das Jahr 2015 entsprechend früher vorgelegt werden und daher auch früher hier im Bundesrat diskutiert werden können. Vielen herzlichen Dank allen, die die positive Entwicklung des Großprojektes Verwaltungsge­richtsbarkeit, also Bundesverwaltungsgerichtsbarkeit und Landesverwaltungsgerichts­barkeit, entsprechend angemerkt haben. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

13.25

13.25.10

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, die gegenständlichen Berichte zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist einstimmig. Der Antrag ist somit angenommen.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 72

13.26.047. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 16. März 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wird (1027 d.B. und 1039 d.B. sowie 9545/BR d.B. und 9548/BR d.B.)

8. Punkt

Entschließungsantrag der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen betreffend Neuregelung des § 311(5) ASVG (218/A(E)-BR/2016 sowie 9554/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen zu den Punkten 7 und 8 der Tagesord­nung.

Berichterstatterin zu den beiden Punkten ist Frau Bundesrätin Posch-Gruska. Ich bitte um die Berichterstattung.

 


13.26.35

Berichterstatterin Inge Posch-Gruska: Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! Ich erstatte den Bericht zum Tagesordnungspunkt 7: Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über den Beschluss des Nationalrates vom 16. März 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Zum Tagesordnungspunkt 8 erstatte ich den Bericht des Ausschusses für Arbeit, So­ziales und Konsumentenschutz über den Entschließungsantrag der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen betreffend Neuregelung des § 311(5) ASVG.

Dieser Bericht liegt Ihnen ebenfalls in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung am 29. März 2016 mit Stimmenmehrheit den Antrag, dem Entschließungsantrag 218/A(E)-BR/2016 keine Zustimmung zu erteilen.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Pfister. – Bitte.

 


13.27.54

Bundesrat Rene Pfister (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Stöger ist leider noch nicht da, aber er wird hoffentlich jeden Moment eintreffen. Unser Herr Minister hat am ersten Tag seines Antritts eines sofort gesagt: Ich möchte, dass die Versicherten in Österreich in der Pension alle gleich behandelt werden, und ich möchte, dass jedes Unternehmen, das Pensionsbeiträge zahlt, gleich behandelt wird. Diesen Standpunkt habe ich in der vorletzten und letzten Sitzung ebenfalls vertreten.

Es bestand für die Bank Austria eine Ausnahme im Gesetz, und sie hat Schritte gesetzt, um von dieser Ausnahme wegzukommen. Sie wollte mit einem Abschlags­betrag von 7 Prozent jene Leistungen bekommen, für die andere 22,8 Prozent zu zah­len haben.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 73

Dazu haben wir sehr klar gesagt: Das machen wir nicht! Das wird sich die österreichi­sche Bundesregierung nicht gefallen lassen! (Bundesminister Stöger nimmt auf der Regierungsbank Platz.)

Wir sahen keine Möglichkeit, einen solchen Weg weiterzugehen. Damit Rechtssicher­heit eintreten kann – schönen guten Tag, Herr Minister! –, ist es notwendig, dies gesetzlich klar zu regeln, was wir heute tun.

Ich möchte mich auch bei Herrn Bundesminister Stöger recht herzlich dafür bedanken, dass es Klarheit gibt. Ich bedanke mich dafür, dass du auch öffentlich klar signalisiert hast, dass es nicht angeht, dass sich manche Sonderrechte zulasten der Allgemeinheit herausnehmen. Ich sage hier ebenfalls ganz klar: Es darf nicht sein, dass sich jemand so ein Recht herausnimmt! Mir ist es wichtig, dass hier Gleichheit hergestellt wird!

Die Beschäftigten der Bank Austria haben keine leichten Tage hinter sich. Sie wurden verunsichert und sind teilweise noch immer verunsichert. Ich glaube nicht, dass wir Politikerinnen und Politiker zu dieser Verunsicherung zusätzlich beitragen sollen. Da gibt es viele, die ihre unterschiedlichen Rechtsauffassungen äußern, auch wenn diese nicht immer klar sind, wodurch der Druck auf die Beschäftigten natürlich auch immens steigt. Mit der Rechtssicherheit, die wir ihnen heute geben, haben sie jedenfalls in einem Punkt Sicherheit bekommen: Sie wissen, sie werden in Zukunft die staatliche Pension haben, so wie alle anderen auch.

Wenn man glaubt, man könne mit einem kapitalgedeckten Pensionssystem Pensionen sichern, dann ist das einer der Beweise dafür, dass dies zum Beispiel in einer Krise, wie sie am Bankensektor derzeit überall in Europa herrscht, gerade nicht geht. Ich erinnere euch nur: In den vergangenen Wochen hat es dazu viele hitzige Debatten gegeben. Es wurden auch viele Unwahrheiten verbreitet und Verdächtigungen ausge­sprochen. Daher: Allen Österreicherinnen und Österreicher das staatliche Pensions­system mit unserer Umlagefinanzierung! Das ist das einzige Pensionssystem, das auch in der Krise die Chance bietet, Armut im Alter zu verhindern. Es ist eigentlich ein schöner Beweis, liebe Kolleginnen und Kollegen, für das Funktionieren unseres öster­reichischen Pensionssystems.

Nun sind wir an jenem Punkt angelangt, an dem wir heute im Bundesrat einen Beschluss fassen werden, nämlich die Novelle zum ASVG laut der Regierungsvorlage. Sie wird den fairen Wechsel von über 3 000 Beschäftigten der Bank Austria in das staatliche ASVG-System noch sicherer und besser gestalten.

Wir schaffen mit der heutigen Beschlussfassung jenen Teil, den der Herr Sozialminister von der ersten Minute an vertreten hat: eine Überführung der Beschäftigten aus dem firmeneigenen Pensionssystem in das staatliche Pensionssystem. Mit dieser Gesetzes­änderung kann sie nun so gestaltet werden, dass die Beitragshöhe der Bank Austria – nämlich die tatsächlichen 22,8 Prozent vom Letztgehalt – auch per Gesetz geregelt wird. (Präsident Saller übernimmt wieder den Vorsitz.)

Wir schaffen es mit der Beschlussfassung auch, dass eine Überleitung in das staat­liche Pensionssystem ohne Kündigung oder Auflösung der Dienstverhältnisse erfolgen kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sozialminister Stöger hat bei seinem Amtsantritt gesagt, dass es kein Herumschummeln und kein Herumschieben geben wird. Und nun, nicht einmal einen Monat später, ist das Angekündigte auch umgesetzt.

Lieber Herr Bundesminister, du arbeitest genauso, wie man es von dir gewohnt ist: Stellung beziehen, verhandeln und umsetzen. – Herzlichen Dank dafür. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Mayer.)

13.32



BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 74

Präsident Josef Saller: Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mag. Fürlinger. Ich erteile es ihm.

 


13.32.25

Bundesrat Mag. Klaus Fürlinger (ÖVP, Oberösterreich): Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Bundesminister, es ist ein Déjà-vu-Erlebnis: Wie schon vor drei Wochen sitzen Sie hier, ich stehe hier, ich komme nach dem Kollegen Pfister zu Wort, der alles gesagt hat und dessen Ausführungen ich mich vollinhaltlich anschließen kann.

Wir haben ein Gesetz geändert, das aus dem Jahr 1956 stammt. Ihr Vorgänger, Herr Minister, ist bei einer Pensionsdebatte vor einem Jahr oder eineinhalb Jahren – glaube ich – hier gestanden und hat gesagt: Das war ein Zeitpunkt, als die durchschnittliche Dauer des Erlebens der Pensionen sieben Jahre betrug! – Inwieweit das mit den 7 Prozent äquivalent ist, will ich jetzt nicht mutmaßen, aber logischerweise tut es das nicht mehr.

Wir brauchen Einzahlungen in das Pensionssystem, und wir brauchen 22,8 Prozent und nicht 7 Prozent.  Wir stellen damit jetzt, wo die Luft aus dieser Debatte heraus ist, etwas klar – wobei ich sage: Mag schon sein, dass wir einen Anlass dafür haben, aber es ist überhaupt höchste Zeit, dass das getan wird! –: nämlich, dass wir eine Gleich­stellung für alle schaffen.

Ich werde mich hier keinesfalls zu Äußerungen gegen Banken hinreißen lassen, deren Notwendigkeit in der Realwirtschaft unbestritten ist. Aber ich sage trotzdem dazu: Wir haben auch keine Veranlassung, einer Bank oder irgendeinem anderen Unternehmen, sei es ein inländisches oder ein ausländisches, irgendwelche Geschenke zu machen. Das kann sich das System nicht leisten, es ist nicht notwendig, es wäre nicht fair und auch nicht gerecht.

Daher ist dieser Gesetzesbeschluss – und das möchte ich auch sagen: Ich finde das ganz gut, dass sich letztlich alle maßgeblichen politischen Kräfte des Hohen Hauses dieser Einsicht unterworfen haben! – ein richtiger, und wir stimmen demnach gerne zu. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.34


Präsident Josef Saller: Herr Bundesrat Jenewein ist als Nächster zu Wort ge­meldet. – Bitte.

 


13.34.23

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein (FPÖ, Wien): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Jetzt könnte ich es mir leicht machen und sagen: Ich habe es euch von Anfang an gesagt! – Das mache ich nicht. Nein, diesen Gefallen tue ich Ihnen nicht, den tue ich mir nicht.

Ich freue mich jetzt nur einmal prinzipiell, dass ich Nachredner nach meinem lieben Vorredner bin, der das letzte Mal ebenfalls gesprochen hat. Er war der Meinung, er wolle jetzt gar nicht politisch werten, und hat nur erklärt: Die Regierungsvorlage – die zum damaligen Zeitpunkt im Ministerrat beschlossen wurde – ist gut und richtig.

Was alle meine Vorredner bisher nicht erwähnt haben, ist, dass sich von der Vorlage aus dem Ministerrat bis zum heutigen Beschluss, dem wir sehr gerne zustimmen werden, ja doch ein wenig geändert hat. Was ihr nämlich alle wohlweislich verschweigt, ist, dass im Ministerrat der § 311 Abs. 5 mit 7 Prozent drinnen war. (Bundesrat Stögmüller: Wenn wir etwas gesagt haben, da haben Sie immer geschimpft!)

Herr Kollege Stögmüller, ich bin heute freundlich, ich sage jetzt nichts dazu. Ich werde gleich darauf eingehen, denn wir handeln ja hier auch den Tagesordnungspunkt 8 ab. Und wenn du meinen Antrag gelesen hättest, lieber Kollege Stögmüller, dann würdest


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 75

du wissen, dass ich nicht darüber geschimpft habe, denn dies ist nämlich genau mein Antrag, gegen den du heute stimmen wirst.

Der Punkt ist der, dass sich der § 311 Abs. 5 erst am Tag des Nationalratsplenums von den 7 Prozent auf die 22,8 Prozent verändert hat. – Hier (der Redner zeigt auf die Lampe am Pult) blinkt das Lamperl; das kann nicht stimmen!

Erst die Nachverhandlung hat gezeigt, dass die Vernunft so weit Einzug gehalten hatte und man sagte: Ja, selbstverständlich, dieses Gesetz aus dem Jahr 1956 muss man auch ändern. Die Auskunft im Ausschuss lautete ja auch, man wolle hier nicht den Anschein der Anlassgesetzgebung erwecken. Wie auch immer die Begründung ist, es ist gut und richtig, dass das jetzt geändert wird.

Damit sind wir auch gleich beim Tagesordnungspunkt 8, zu dem ich ebenfalls ein paar Worte sagen möchte. Ich möchte deshalb einige Worte dazu sagen, weil die Situation symptomatisch dafür ist, wie in diesem Haus mit Anträgen der Opposition und wie in diesem Haus mit der Opposition insgesamt umgegangen wird. Ich habe nicht erwartet, dass meine Vorredner herausgehen und sagen: Gott sei Dank, wir haben zwei Dringliche Anfragen an den Sozialminister abgehandelt, und jetzt kommt es zu einem gemeinsamen Beschluss – das erwarte ich nicht –, aber was ich mir schon sehr erwarten würde, ist eine bedachte Vorgangsweise.

Nur um die Geschichte dieses § 311 Absatz 5 ASVG ein klein wenig zeitgeschichtlich zu betrachten: Ich habe im Februar einen Antrag betreffend Änderung gestellt, den wir hier heute beschließen werden, der zweimal im Sozialausschuss war, vorgestern und vor einem Monat. Vor einem Monat war die erste Wortmeldung der SPÖ dazu: Antrag auf Vertagung.

Die ÖVP hat sich überhaupt nicht zu Wort gemeldet. Der ÖVP war es nur wichtig zu klären, ob im Ausschuss nach dem Antrag auf Vertagung überhaupt noch eine Wort­meldung zulässig ist. Inhaltlich hat sich dazu überhaupt niemand geäußert. – Das muss man schon einmal dazu sagen.

Und vorgestern im Ausschuss wird uns dann dazu erklärt: Na ja, jetzt könnten wir den Antrag eigentlich zurückziehen, denn jetzt wird es ohnedies gemacht. – Ja, um Him­mels willen! – Es geht mir jetzt auch nicht darum, recht zu haben. Das habe ich oft genug in meinem Leben, das muss ich jetzt nicht hier am Rednerpult einfordern. (Allgemeine Heiterkeit. – Bundesrat Mayer: In aller Bescheidenheit!) – In aller Beschei­denheit. Ich habe so meine Momente!

Und einer dieser Momente ist auch, wenn Kollege Stögmüller im Ausschuss sagt: Aha, ihr wollt das auf der Tagesordnung haben. Na, machen wir eine Therapiesitzung daraus! – Was soll denn das bitte schön bedeuten, die Arbeit eines Abgeordneten hier in diesem Haus als Therapiesitzung zu bezeichnen? Das mag lustig sein, aber genau diese Aussagen führen dazu, dass Parlamentarismus in Österreich und in Europa nicht mehr ernst genommen wird. Das ist genau der Grund, warum wir uns heute mit postdemokratischen Phänomenen in diesem Land herumschlagen müssen: weil man ihn einfach nicht mehr ernst nimmt. Das ist etwas, worüber man durchaus nachdenken sollte!

Und man sollte auch darüber nachdenken, ob es wirklich eine sinnvolle Vorgehens­weise ist, dass man, wenn in dieser zweiten Kammer des Hauses – die oft genug medial unter Beschuss und in der Kritik steht – egal welches Mitglied einen Initiativ­antrag einbringt, der dann im Endeffekt in ein Gesetz mündet, sagt: Das nehmen wir von der Tagesordnung herunter, das kann man zurückziehen, weil es der Minister ohne­dies macht.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 76

Man muss sich dann schon die Frage stellen: Nehmen wir uns selbst noch ernst als Mitglieder dieser zweiten Kammer? Wollen wir überhaupt gestalterisch tätig sein in diesem Land oder wollen wir die zweite Kammer wirklich als reines Abnick-Gremium haben? Wenn Herr Kollege Stögmüller gleich am Beginn meines heutigen Beitrages sagt: Da habt ihr ja immer dagegen gestimmt!, dann zeigt mir das, dass er sich mit der Materie überhaupt nie auseinandergesetzt hat, sonst würde er wissen, was in meinem Antrag steht. 

Da steht nämlich drinnen, dass wir diesen § 311 Abs. 5 genau so geändert haben wollen, wie er eben im Endeffekt beschlossen wird, und er würde sich nicht entblö­den – Entschuldigung, das nehme ich zurück, sonst bekomme ich wieder einen Ordnungsruf (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller) –, und er würde sich nicht erdreisten herauszurufen: Da wart ihr immer dagegen!

Ja um Himmels willen, Herr Kollege! Haben Sie die letzten zwei Sitzungen hier überhaupt mitbekommen, in denen wir Dringliche Anfragen an den Minister gestellt haben? Haben Sie überhaupt mitbekommen, worum es da geht, oder sind Sie eigent­lich nur da, um zu versuchen, die viel zu großen Schuhe, die Ihre Vorgänger hier hinterlassen haben, auszufüllen? (Bundesrätin Schreyer: Aber hallo!) Ich bin mir nicht sicher. (Beifall bei der FPÖ.)

Faktum ist: Wir haben die vergangenen beiden Bundesratssitzungen auch damit zuge­bracht, uns über dieses Problem und dieses Gesetz den Kopf zu zerbrechen. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.) Auch das ist Aufgabe dieses Hauses, und auch das ist Aufgabe dieser Kammer. Ich stehe nicht an, mich beim Bundesminister auch dafür zu bedanken, dass das jetzt passiert. Er ist ja im Endeffekt derjenige, der wie die Jungfrau zum Kind kommt. Das muss man auch dazusagen, denn passiert ist das Ganze unter der Vorgängerägide, und ab dem Zeitpunkt, ab dem er Minister war, hat er diese Geschichte natürlich geerbt. (Zwischenruf der Bundesrätin Zwazl.)

Ich frage mich allerdings, warum wir uns bis zum 31. März Zeit lassen müssen, obwohl dieses Thema in diesem Haus erstmals schon am 21. Dezember im Nationalrats­plenum aufgepoppt ist. Ich frage mich ernsthaft, warum wir uns als Gesetzgeber wirklich so lange Zeit lassen müssen, bis wir hier ein rückwirkend geltendes Gesetz beschließen, denn das hätte man sich ersparen können, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das hätte man sich ersparen können, denn das ist schon problematisch. Ich bin kein Jurist, aber mir werden die Juristen dieses Hauses, dieser Kammer recht geben: ein Gesetz, das rückwirkend etwas ändert – na ja. Natürlich kommt es vor, das ist ganz klar, aber sauber ist anders und schön ist auch anders. Das hätte man sich ersparen können.

Unabhängig davon steht jetzt im Endeffekt dieser Beschluss. Wir stehen nicht an, hier gerne zuzustimmen, weil es ein sauberer Beschluss ist, weil es ein zeitgemäßer Beschluss ist, weil es sinnvoll ist, aber ich möchte noch einmal abschließend darauf hinweisen, dass man sich sehr viel hätte ersparen können, hätte man nicht zuerst einmal gleich einen Antrag im Ausschuss vertagt, hätte man uns nicht von Haus aus erklärt: Na, was sollen wir denn sonst tun? Das ist jetzt eh gut!

Ein Zwischenruf aus der letzten Sitzung lautete: Was wollt denn ihr? Von euch kommt ja nie etwas! – Natürlich, der Antrag liegt im Ausschuss und wird von der Regie­rungsfraktion vertagt! (Bundesrat Mayer: Ja, aber wir müssen das fertig verhandeln! – Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.) – Das ist schon richtig, dass man fertig verhandeln muss, nur, bitte schön, Herr Kollege: Ich gehe davon aus, dass das schon fertig verhandelt war, als das im Ministerrat beschlossen wurde.

Aber es ist gut, dass das Stichwort vonseiten der ÖVP kommt, da fällt mir gleich noch etwas dazu ein: Warum geht man denn dann her und ändert auf 22,8 Prozent bis


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 77

maximal zur Höchstbeitragsgrundlage? Wer wollte denn … (Bundesrat Stögmüller: Weil wir es gesagt haben!) – Nein, nicht, weil wir es gesagt haben! (Zwischenruf des Bundesrates Mayer.) Wer wollte das denn noch in letzter Konsequenz verhindern? – Da würde ich einmal gerade in diese Richtung sagen: Fragt einmal nach beim Bauernbund, warum denn der Druck auf einmal da war, dass wir gesagt haben, die SPÖ will ändern, die Grünen wollen ändern, die FPÖ will ändern – die NEOS nicht, die lassen wir jetzt einmal außen vor –, aber die ÖVP bremst! Warum denn? Wer hat denn da Interesse?

Man muss schon einmal davon ausgehen: Wir sind hier Gesetzgeber für alle Öster­reicher, nicht nur für Interessengruppen. Es ist mir schon klar, dass es Interessen­gruppen gibt, die verschiedene Interessen haben. Das ist mir schon klar. Es ist mir auch klar, dass diese ihren Hintergrund in verschiedenen Fraktionen haben. Allerdings: Wenn man sich dazu bekennt, als Volksvertreter in diesem Haus zu arbeiten, dann, bitte schön, muss diese Interessenvertretung schon in den Hintergrund treten. Das ist, glaube ich, etwas, auf das man sich einigen sollte, denn wenn das nicht mehr gegeben ist, dann, würde ich sagen, wird es schwierig, denn dann arbeiten wir hin zu einem Lobbyistenverein, und das will keiner und das kann keiner wollen in diesem Land. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

13.44


Präsident Josef Saller: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Stögmüller. Ich erteile es ihm.

 


13.44.32

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Herzlich willkommen! Ich sage jetzt gar nicht viel zum Kollegen Jenewein, ich glaube, das hat sich erübrigt.

Als vierter Redner zu diesem Punkt, den wir schon dreimal im Bundesrat behandelt haben, gibt es ohnehin nicht mehr viel zu sagen. Wir haben schon von Anfang an immer ganz straight unsere Meinung zum ASVG, zu diesem Gesetz gesagt. Wir sind heute betreffend diese Regierungsvorlage, soweit man bei so einer Thematik über­haupt irgendwie zufrieden sein kann, doch sehr positiv gestimmt. Wir haben unsere Position hineingebracht und sehen hier eine Vorlage, bei der der Gesetzgeber im Zuge der – ich sage einmal – Erpressung der Bank Austria das gemacht hat, was er machen konnte, und das können wir Grüne heute auch unterstützen.

Ich bin froh darüber, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bank Austria ihren Job behalten konnten, dass es zu keinen Belastungen der SteuerzahlerInnen kam und dass endlich – und das war schon immer eine Anfangsforderung von mir und von uns Grünen, und das habe ich Ihnen dazumal auch schon gesagt – der § 311 von 7 Pro­zent auf diese 22,8 Prozent angehoben werden soll und muss. Das wurde heute durchgeführt.

Das rote Lamperl leuchtet auch schon, und damit bin ich schon wieder … (Bundesrätin Zwazl: Nein, das ist nicht …!) – Ich weiß schon, ich weiß schon! (Heiterkeit des Redners.)

Damit bin ich schon am Ende. Ich gratuliere Ihnen, Herr Minister Stöger, dass Sie das alles durchgesetzt haben. Wir unterstützen diesen Antrag. – Danke schön. (Beifall bei Grünen und SPÖ sowie bei Bundesräten der ÖVP.)


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 78

13.46


Präsident Josef Saller: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Stöger. – Bitte, Herr Minister.

 


13.46.12

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé|: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Bundesräte! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich habe hier in diesem Haus sehr klar angekündigt, dass ich für eine gleiche Haltung allen gegenüber in der Sozialversicherung eintrete. Es geht um Gerechtigkeit. Es geht darum, keinem Unternehmen Wettbewerbsvorteile einzuräu­men, und es geht auch darum, eine saubere Lösung für den Steuerzahler und für die Steuerzahlerin zu haben. Ich bedanke mich bei allen Fraktionen im gesamten Haus, im Nationalrat wie auch im Bundesrat.

Es ist immer schwierig, mit Unternehmen, die börsennotiert sind, demokratische Pro­zes­se einer Entwicklung zu führen. Das ist für die dort Handelnden schwierig, weil immer alles reagiert, es ist aber auf der anderen Seite auch schwierig, die notwendige Transparenz, die eine Voraussetzung für Demokratie ist, umzusetzen. Das ist manchmal schwierig, aber es ist in diesem Gesetz gelungen.

Ich war sehr froh, dass es auch nach der Behandlung im Nationalrat und im Ausschuss möglich geworden ist, doch großes Einvernehmen zu erzielen, und ich denke, dass das auch ein wichtiger Schritt ist auf einem Weg, den wir weitergehen können. Ich bedanke mich wirklich ausdrücklich dafür.

Ich sage es noch einmal sehr deutlich: Die Beschäftigten der Bank Austria haben eine schwere Zeit hinter sich. Sie werden auch in der Zukunft noch viele Diskussionen haben, aber sie haben eines ganz deutlich bekommen: Sie haben die Sicherheit, in einem staatlichen Pensionssystem in Pension gehen zu können, und es ist auch sehr deutlich geworden – das sieht man an diesem Prozess –, dass private Pensionsformen immer dann, wenn eine Krise auftritt, nicht die Sicherheit bieten wie unser österreichi­sches Pensionssystem.

Das Zweite, das wir mit dieser Regelung – und ich gebe gerne zu, es ist auch der Diskussionsprozess, den wir zustande gebracht haben, gut gewesen – erreicht haben, ist, dass wir generell bei den Beitragszahlungen den Schritt von den Pauschalen zu Direkt­zahlungen geschafft haben. Ich denke, dass es richtig ist, dass alle die gleichen Beiträge von 22,8 Prozent zahlen. Das ist gelungen. Das hat auch mehr Transparenz in der Sozialversicherung gebracht. Auch das ist ein wichtiger Punkt. – Herzlichen Dank dafür. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

13.49


Präsident Josef Saller: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Die Abstimmung erfolgt getrennt.

Wir gelangen nun zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 16. März 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wird.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

Wir kommen zur nächsten Abstimmung.

Da der Ausschuss für Soziales und Konsumentenschutz mit Stimmenmehrheit be­schlossen hat, dem Antrag keine Zustimmung zu erteilen, ersuche ich jene Bundes­rä­tinnen und Bundesräte, die dem Antrag auf Annahme des gegenständlichen Antrages keine Zustimmung erteilen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 79

Antrag auf Nichtannahme des gegenständlichen Entschließungsantrages ist somit ange­nommen.

13.50.329. Punkt

Jahresbericht 2016 des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumenten­schutz gemäß Art. 23f Abs. 2 B-VG und § 7 EU-InfoG auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2016 und des niederländischen Arbeitsprogramms für das 1. Halbjahr 2016 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des niederländischen, slowakischen und maltesi­schen Ratsvorsitzes (III-570-BR/2016 d.B. sowie 9549/BR d.B.)

 


Präsident Josef Saller: Wir gelangen nun zum 9. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Posch-Gruska. Ich bitte um den Bericht.

 


13.51.10

Berichterstatterin Inge Posch-Gruska: Herr Präsident! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über den Jahresbe­richt 2016 des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz.

Der Bericht liegt Ihnen schriftlich vor.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 29. März 2016 den Antrag, den Jahresbericht 2016 des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz gemäß Art. 23f Abs. 2 B-VG und § 7 EU-InfoG auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2016 und des niederländischen Arbeitsprogramms für das 1. Halb­jahr 2016 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des niederländischen, slowakischen und maltesischen Ratsvorsitzes zur Kenntnis zu nehmen.

 


Präsident Josef Saller: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Samt. Ich erteile es ihm.

 


13.51.47

Bundesrat Peter Samt (FPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Dem durchaus ambitionierten Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission mit Vorausblick auf 2016 stehen wir – ich glaube, das wird niemanden wundern – traditionell kritisch gegenüber, aber ich möchte es nicht verabsäumen, doch einige Punkte aus diesem Programm herauszugreifen, obwohl das in der gebotenen Kürze doch ziemlich schwierig ist.

Grundlage dieses Arbeitsprogrammes sind ja auch – und so ist es angeführt – die zehn Prioritäten, die politischen Leitlinien des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker. Diese möchte ich Ihnen jetzt kurz in Stichworten nahebringen.

Punkt 1 betrifft „Neue Impulse für Arbeitsplätze, Wachstum und Investitionen“ – nach all dem, was wir heute noch bezüglich Arbeitslosigkeit hören werden, eine sehr span­nende Thematik. Mir fällt dazu momentan die ÖVP mit einem ehemaligen Vorsitzenden und Vizekanzler Spindelegger ein, der die Wirtschaft entfesseln wollte.

Punkt 2 bezieht sich auf den vernetzten digitalen Binnenmarkt. Das ist ein sogenannter No-na-Punkt, ohne diesen wird es nicht mehr gehen. Was den Punkt „robuste Energie­union mit einer zukunftsorientierten Klimaschutzpolitik“ betrifft: Da ich mich auch ein wenig mit Klimaschutz in zukunftsorientierten Bereichen beschäftige, aber auch mit dem, was bisher passiert ist, bin ich ziemlich skeptisch.


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Dann wird es immer spannender, was die Schlagworte betrifft: „vertiefter und fairerer Binnenmarkt mit gestärkter industrieller Basis“. Da frage ich mich: Wer wird da wie gestärkt? Oder „vertiefte und fairere Wirtschafts- und Währungsunion“ – dazu fällt mir in Wirklichkeit nur Griechenland ein, das geht in dieser Richtung also auch nicht ganz so gut – und ein „vernünftiges und ausgewogenes Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten“, also „TTIP light“ oder was auch immer uns da noch ins Haus stehen wird. Das sind wesentliche Punkte.

Auch den Punkt 8, „Hin zu einer neuen Migrationspolitik“, finde ich nach dem monate­langen Zuschauen der EU bei der im Süden und Südosten stattfindenden oder auch stattgefundenen Flüchtlingskatastrophe sehr spannend.

Einige Themen betreffen geplante Initiativen, zum Teil unter der Federführung des Sozialministeriums. Da möchte ich einiges herausgreifen. Unter „Neue Initiativen“ lesen wir da: „Neuer Start für erwerbstätige Eltern: Legislative und nicht-legislative Maßnah­men zur Förderung der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben für erwerbstätige Eltern“.

Geschätzte Damen und Herren! Unser Ansatz dazu: Würde sich Arbeit in diesem Staat wieder lohnen, könnte man vernünftige Ansätze finden, aber das ist mit der derzeitigen Regierung nicht in Sicht. In Wirklichkeit gibt es keine Steuersenkungen, keine Senkung der Lohnnebenkosten für die Unternehmen, das Gegenteil ist Realität. Wir erleben Unternehmer unter Generalverdacht der Finanz, wir erleben immer noch ungleiche Lohnverhältnisse zwischen Mann und Frau, obwohl diese Paradigmen von einzelnen Parteien immer wieder aufgegriffen werden und gesagt wird: Da müssen wir anset­zen! – Aber das gelingt euch seit Jahrzehnten nicht. Da ist keine Glaubwürdigkeit vorhanden.

Wir erleben, dass mittlerweile alle Familienmitglieder wirklich hackeln müssen, damit nicht nur der Standard gehalten werden kann, sondern damit man als Familie nicht untergeht. Das ist kein Renommee für einen sozialen Staat.

Weitere Bereiche, die mir aufgefallen und sehr spannend sind und unter „vorrangige anhängige Vorschläge“ laufen, betreffen Richtlinien für Frauen in Aufsichtsräten und Richtlinien für Antidiskriminierung. Ich erspare es mir, näher darauf einzugehen, denn die Wertigkeit, ob Frauen in einem Aufsichtsrat anteilsmäßig richtig vertreten sind oder nicht, wird den Mittelstand und die normalen Menschen in diesem Land, die arbeiten müssen, nicht wirklich interessieren. Es wird auch keiner Frau einen Job verschaffen – oder nicht leichter einen Job verschaffen –, zum Beispiel nach einer Karenzpause. Da sehe ich die vorrangige Relevanz nicht wirklich.

Und was die Antidiskriminierung betrifft, meine Damen und Herren, die sich nicht nur bei uns in Österreich, sondern auch in anderen EU-Staaten mittlerweile durch den allgegenwärtigen Gender-Wahn äußert, der sich einerseits in Richtung Sprachfeind­lichkeit und andererseits absolut undemokratische Verhaltensmuster entwickelt: Das hat bis jetzt zum Beispiel auch keiner Frau einen Arbeitsplatz in Österreich gebracht, aber das sehen Sie wahrscheinlich naturgemäß anders.

Natürlich müssen wir Menschen mit Behinderung vor Diskriminierung schützen. Das ist auch eines der Themen, denen wir uns widmen und die wir nicht ablehnen werden, aber die Decke der Diskriminierung, geschätzte Damen und Herren, über alles drüber­zuziehen, wird zunehmend unerträglich, vor allem dann, wenn es dazu benützt wird, demokratiepolitische Entwicklungen nicht nur in Österreich, sondern auch anderswo in Europa verhindern zu wollen.

Bei den geplanten Initiativen, bei denen das Sozialministerium mitbetroffen ist, möchte ich auch zwei Punkte herausgreifen, und zwar erstens die „Europäische Agenda für


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neue Kompetenzen“ – das ist der Bereich, in dem das zuletzt bei uns verhandelte NQR-Gesetz enthalten sein wird. Wir rufen uns in Erinnerung: Das ist ein NQR-Gesetz, in dem Österreich zumindest im ersten Ansatz den HTL-Ingenieur unserer Meinung nach nicht richtig qualifiziert. Der EQR, der Europäische Qualifikationsrahmen, ist, wie wir bereits gehört haben und wissen, noch in der Warteschleife. Da sehe ich zurzeit keine Priorität, auch nicht seitens der EU.

Der zweite Punkt, der für uns ganz wichtig ist: „Bessere Steuerung der Migration: Legislative und nicht-legislative Maßnahmen“ – so steht es hier – „im Bereich legaler Migration sowie Asyl“. Es ist unglaublich, aber leider wahr, dass sich die Kommission jetzt mit Asyl beschäftigt, nachdem die EU in Wirklichkeit praktisch ein Dreivierteljahr lang südliche und südöstliche Mitgliedstaaten alleingelassen, nicht reagiert und gesagt hat: Das wird sich schon irgendwie von selbst regeln – vielleicht, oder auch nicht.

Die Frage, die sich für mich stellt, ist: Wir reden hier von legaler Migration und Asyl – was ist mit illegaler Migration? Was ist mit Asylanten ohne Asylstatus, mit Wirt­schaftsflüchtlingen, die wir ja zuhauf und zu einem hohen Prozentsatz erleben? – Da gibt es keine – dringend nötigen – Lösungen der EU, da gibt es noch nicht einmal Ansätze.

Noch ein Bereich zum Schluss, der mir besonders aufgefallen ist: der „Vorschlag für eine Konsumentenproduktesicherheitsverordnung“ – ein sehr spannendes Wort –, „Teil des Marktüberwachungs- und Produktsicherheitspakets“, ein Bereich, dem Österreich, wie wir heute schon einmal gehört haben, kritisch gegenübersteht, indem Sie diese Positionen bislang auch abgelehnt haben, nämlich die verpflichtende Angabe des Ursprungslandes eines Produktes. 

Sehr spannend ist, dass Österreich offensichtlich Argumente findet, dagegen aufzu­treten. Der erste Punkt: Die Angabe des Ursprungslandes ist für die Bewertung der Sicherheit eines Produktes – laut Anschauung Österreichs – irrelevant. Vergleicht man das mit der CE-Kennzeichnung: Das ist eine ähnliche Vorgangsweise, und die ist, glaube ich, nicht irrelevant.

Die Rückverfolgbarkeit von Produkten verbessert sich nicht durch die Angabe des Ursprungslandes.  Ich kann mir nicht erklären, wie man das meint, denn wenn man das Ursprungsland kennt, kann man Produkte zurückverfolgen, wenn man es nicht kennt, kann man sie klarerweise nicht zurückverfolgen. Warum das aber sozusagen ein Negativpunkt ist, ist für mich unklar.

Der letzte und für mich wichtigste Punkt, den ich überhaupt nicht verstehe, ist: „Auch für Verbraucher und Verbraucherinnen ist die Angabe des Ursprungslandes im Hinblick auf die Sicherheitsaspekte unerheblich und birgt allenfalls die Gefahr einer Diskrimi­nierung von Produkten aus bestimmten Herstellungsländern.“

Diesen Punkt, geschätzte Damen und Herren, den finde ich an den Haaren herbeige­zogen, denn ich persönlich – aber vielleicht bekomme ich dazu vom Herrn Bundes­minis­ter noch eine Aufklärung – kenne niemanden, der ein gutes Produkt, egal ob es sich um eine Ware oder ein Lebensmittel handelt, deshalb nicht kauft, weil es aus einem bestimmten Herkunftsland kommt. Das – und das ist meine Überzeugung – ist eindeutig gegen die freie Entscheidung jedes Konsumenten.

Wenn wir jetzt wieder beim Punkt Diskriminierung sind: Es als Diskriminierung zu bezeichnen, dass jemand eine bestimmte Ware oder ein Produkt deshalb nicht kauft, weil es von einem ihm nicht angenehmen Herkunftsland kommt, finde ich schon ziemlich weit hergeholt.


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Weitere Punkte, die uns unter den zahlreich vorhandenen noch aufgefallen sind:  „In einer globalisierten Zulieferkette“ – so, wie es da steht – ist angeblich „das Ursprungs­land nur schwer zu bestimmen.“

Ich ziehe noch einmal den Vergleich zur CE-Kennzeichnung. In Wirklichkeit kann ein Konsument aufgrund einer CE-Kennzeichnung zum Beispiel auch nicht feststellen, ob diese Ware tatsächlich den Normen – den Bundesnormen oder den Normen der Europäischen Union  entspricht. Ich kann also nicht sagen, dass es aufgrund der Konformitätserklärung eines Produktes hundertprozentige Sicherheit gibt, dass es auch tatsächlich funktioniert.

Ich glaube, dieses Argument ist nicht zielführend bei der Ablehnung bezüglich der Angabe des Herkunftslandes, denn auch und jedenfalls im Schadensfall – wobei ich noch nicht einmal an die Produkthaftung denke, wenn tatsächlich etwas passiert – wird man über gerichtliche Maßnahmen feststellen können, woher dieses Produkt kommt.

Alles in allem ist dieser Bericht unserer Auffassung nach – wie ich schon eingangs erwähnt habe – äußerst kritisch zu sehen, wir werden ihm daher unsere Zustimmung nicht geben. Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

14.03


Präsident Josef Saller: Als Nächster gelangt Herr Schennach zur Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.03.14

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geschätzter Herr Bundesminister! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Der geschätzte Vorredner beklagt die Nicht-Kompetenz der EU in Sozialfragen. Das ist ein Faktum. Ein Tisch sollte vier Haxen haben, dann steht er stabil, die Europäische Union ist allerdings aufgrund ihrer bisherigen Konstruktion am vierten Bein blind, und das ist der Sozial­bereich.

Nichtsdestotrotz, Herr Kollege, hat die EU in den letzten Jahren versucht, im Bereich der Beschäftigung, im Bereich sozialer Ausgleiche Kompetenzen zu gewinnen. Natür­lich ist ein Bericht über die soziale Dimension der EU nicht das, was wir uns vorstellen, und letztlich reden Sie der Vertiefung der Europäischen Union das Wort, aus dem Mund eines Freiheitlichen finde ich das interessant.

Gehen wir in die Bereiche hinein, in denen sich die EU tatsächlich weiterentwickelt hat: Wir haben in der Europäischen Union ein Beschäftigungsproblem. Dafür haben wir vor eineinhalb Stunden das Juncker-Paket über Konjunktur, Beschäftigung und so weiter diskutiert, aus dem eine ganze Reihe von Impulsen kommen. Wir haben die Kohäsions­politik diskutiert, aus der eine ganze Reihe von beschäftigungswirksamen, sozialwirksamen Projekten herauskommen, die immerhin 35 Prozent des gesamten EU-Haushaltes ausmachen.

Aber wir haben nun auch einen Fonds zur Bekämpfung der Armut, wir haben einen Solidaritätsfonds. Im EU-Ausschuss hat man mich verwundert gefragt, warum ich die Arbeitslosigkeit einer finnischen Werft auf die Tagesordnung nehmen lasse. Ich sage es ganz einfach: Um einmal klarzumachen, dass auch Österreich diesen Solidaritäts­fonds in zwei Fällen – betreffend die Steiermark und betreffend Oberösterreich – angerufen hat und daraus umfangreiche Mittel bekommen hat.

Die Gesundheit und die Sicherheit am Arbeitsplatz sind ganz wichtige Fragen, die in das Ressort unseres Sozialministers fallen und in denen die EU natürlich eine Kom­petenz hat.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 83

Ganz wichtig sind auch – unsere Jugend erlebt es – die Mobilität in Europa und das Recht, Herr Kollege, auf angemessene Arbeit. Da gehört natürlich auch das Thema Gender, die Geschlechter-Gleichheit dazu. Sie haben das Thema Frauen in den Auf­sichtsräten angeschnitten. Also ich gehe jetzt einmal eine Wette ein: Wären in den Jahren 2008 und 2009 mehr Frauen in führenden Positionen in der Wirtschaft gewesen, wären mehr Frauen in führenden Positionen in den Banken gewesen, hätten die Wirtschaftskrise und die Finanzkrise Europa nie so erwischt. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.) Es ist eine andere Form des Wirtschaftens und auch eine andere Form des Erfolgs und der sozialen Verantwortung von Unternehmen, wenn Frauen führende Positionen bekleiden.

Ich hasse Quoten, aber ich liebe die Ergebnisse, die sie zeigen. – Zitatende. Seit Juliane Reding diesen berühmten Satz gesprochen hat, ist etwas Neues in Europa passiert. In 23 Mitgliedstaaten ist der Anteil der Frauen in verantwortlichen Funktionen in der Wirtschaft gestiegen, zum Beispiel in Frankreich um 20 Prozent, in Italien fast um 30 Prozent, in Dänemark um 11,8 Prozent, im Vereinigten Königreich – das ja von Kritikern der EU immer wieder als Paradebeispiel hergenommen wird – über 10 Pro­zent. Auch Österreich hat mit 8,5 Prozent nachgezogen.

Aber, Herr Kollege, wir schauen auch gerne in die Liste der absoluten Wahrheit, und da müssen wir dann feststellen, dass derzeit nur in vier Mitgliedstaaten mehr als 25 Prozent Frauen in führenden Positionen sind. Das heißt, wir haben hier massiv zu tun. Diese Gleichbehandlung ist eine Kompetenz aufgrund der Beitritte der Europäi­schen Union. Da gehört die Antidiskriminierung genauso dazu wie die Gleichbehand­lung, unabhängig von der Weltanschauung, der Behinderung, des Alters – Alter ist ein wichtiger Aspekt –, aber auch etwa der Religion.

Die EU hat 2010 als Europäische Union die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Das heißt, die Europäische Union hat sich dieser Konvention unterworfen und hat nun natürlich einiges herzustellen, nämlich die Barrierefreiheit von Produkten und die Barrierefreiheit von Dienstleistungen, und muss dadurch auch die Zugänglichkeit schaffen. Das sind auch alles Jobs. Das ist nicht nur, wie Sie das vorher bezeichnet haben, Literatur oder Sozialromantik, sondern da liegt ganz viel Innovation und Investition drinnen, und das schafft gleichzeitig aber auch Jobs. Dazu gibt es auch ein Stichwort: gleichberechtigte Teilhabe – nämlich die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen im Rahmen der Europäischen Union.

Eine wichtige Kompetenz ist natürlich der Konsumenten- und Konsumentinnenschutz, denn wir haben einen Wirtschaftsraum, der Waren und Dienstleistungen anbietet und den freien Verkehr möglich macht. Dabei gibt es wiederum klare Kompetenzen der Europäischen Union, und ergo findet sich das auch in diesem Programm wieder: Marktüberwachung, Produktsicherheit.

Sie haben vorhin dieses Beispiel etwas strapaziert: Wir haben eine globalisierte Zuliefererkette. – Ich mache es einmal im Food-Bereich: Wenn Sie eine Toblerone kaufen, woher kommt sie? (Zwischenruf des Bundesrates Pisec.  Bundesrat Längle: Schweiz!) Aus der Schweiz. Aber woher kommen denn die Bestandteile für eine große Stange Toblerone? Sie kommen aus insgesamt acht Staaten. Was bezeichne ich jetzt als Ursprungsland? Soll ich für die Nüsse Rumänien draufschreiben? Soll ich für die Milch Deutschland draufschreiben? Das ist interessant, ich habe immer ge­dacht, die Schweizer haben genug Kühe. Soll ich für den Honig die Türkei nehmen? Aber der Herr Pisec ist sich sicher: Seine Toblerone kommt aus der Schweiz! (Bundesrat Pisec: Made in Schweiz!) Der Anteil der Schweiz liegt vielleicht bei 10 Prozent, 15 Prozent. Und da haben wir schon das Problem!


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 84

Das andere: Wir haben heute über das „Haus der Geschichte“ gesprochen. Wir können aus der Geschichte auch lernen. Wir wissen, dass man Produkte ganz schnell dis­kriminieren kann. Wir wollen dieser Diskriminierung: Kauft nicht dieses Produkt! – aus welchen Gründen auch immer, das möchte ich jetzt gar nicht ansprechen  nicht Tür und Tor öffnen. Das ist einer der Gründe, warum man sagen muss: Diese Ursprungs­land­kennzeichnung ist problematisch, sie ist irrrelevant für die Sicherheit des Produktes. Herr Pisec ist nach wie vor glücklich, wenn er seine „Toblerone“ hat und er ist sich sicher, dass er etwas Schweizerisches isst. (Allgemeine Heiterkeit. Bundesrat Pisec: … nichts dagegen!) Und er fühlt sich mit diesem Produkt komplett sicher.

Denken wir aber auch – Frau Präsidentin Zwazl ist gerade draußen – ein bisschen an die KMUs! Für die ist das alles ein viel größeres Problem. Wichtig ist auch, dass es gerade in diesem Bereich eine Weiterentwicklung gibt, deshalb haben wir gestern zum Beispiel im EU-Ausschuss beim Online-Warenhandel auch im Interesse der Ver­braucher und Verbraucherinnen Einspruch erhoben. Es geht alles in diese Richtung.

In diesem Sinne wünsche ich, dass die Agenda für unseren Sozialminister – was die Europäische Union betrifft  wächst und wächst und wächst, denn viele Probleme, die wir heute in Europa haben, zum Beispiel die Sicherung des Industriestandortes, müs­sen gemeinsam gelöst werden. Das ist eine gemeinsame Aufgabe. Das hat Jobs zur Folge. Die Schaffung eines digitalen Binnenmarktes, die Schaffung einer Energie­union: Das sind Dinge, woher die neuen Jobs kommen.

Wenn wir es schaffen, einmal so etwas wie ein europäisches Arbeitsamt zustande zu bringen, dann hoffe ich, dass wir mit viel, viel Kraft der Jugend die Vision zurückgeben, dass Europa ihnen die Arbeitsplätze gibt. Aber dafür brauchen wir Frauen in Verantwortung! – Danke. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

14.13


Präsident Josef Saller: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Hammerl. – Bitte.

 


14.14.07

Bundesrat Gregor Hammerl (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren! Der Jahresbericht ist ein wichtiger Bericht, aber ich glaube, es ist auch wichtig, dass wir ab und zu auch ein bisschen kritisch sein können, das muss man ehrlich sagen.

Meine Damen und Herren! Informationen über das Arbeitsvorhaben der Länder, die den jeweiligen Ratsvorsitz haben, sind für den demokratischen Prozess notwendig, treffen sie doch wesentlich die Gesetzgebung der jeweiligen Ressorts und ihre Handlungsmöglichkeiten. Wie oft wurde schon von einer Überregulierung aufgrund der Profilierungswünsche der Länder, die den Ratsvorsitz haben, gesprochen. So bedarf es der rechtzeitigen Information und der Entwicklung einer Strategie, wie mit diesem Vorhaben umgegangen wird. Das muss in Zukunft öfter passieren, meine Damen und Herren!

Auf der einen Seite bedarf es der Vereinheitlichung im Hinblick auf Soziales, Arbeit und Konsumentenschutz, sodass nicht manchen Ländern Vorteile verschafft werden, die man etwa durch Unterbieten der Standards der übrigen Länder erreichen kann. Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, kann eine starke Regelung zu einer bremsenden und lähmenden Bürokratisierung führen, die gerade die Ziele, die man zu erreichen versucht, verfehlen lässt.

Eine besondere Gefahr sehe ich etwa beim Vorschlag – es ist heute schon erwähnt worden – für eine Konsumentenproduktesicherheitsverordnung. Meine Damen und Herren, dieses Wort ist ein Unding! In Bezug auf die österreichische Position heißt es


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 85

im Bericht auf Seite 15 zu Recht, „Österreich lehnte bis dato jede Form einer verpflich­tenden Ursprungslandkennzeichnung ab. Ö. hat jedoch“ – Gott sei Dank – „Kompro­miss­vorschläge vorgelegt, zB für die spätere Evaluierung einer Ursprungslandkenn­zeichnung auf Grundlage der bis dahin gewonnenen Erfahrungen, also eine Abwägung der Vorteile für Konsumentinnen und den Aufwand an Dokumentation und Über­wachung für Marktteilnehmer und Behörden, aber auch für die Erarbeitung von Kriterien für eine freiwillige Ursprungslandkennzeichnung.“

Dieser Erwägung wird es immer wieder bedürfen, meine Damen und Herren, um die Unterstützung von Richtlinien gewährleisten zu können und so dem Ziel der Verord­nungen gerecht werden zu können. Verordnungen helfen nicht, wenn sie nicht umge­setzt werden können oder das Ziel, dem sie folgen, nicht erreichen.

Das gilt gerade – wie heute schon erwähnt wurde für den sehr sensiblen Bereich des Sozialen, wie etwa die im Bericht angesprochenen Punkte der Diskriminierung, der Gleichbehandlung, ungeachtet der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder auch der sexuellen Ausrichtung.

Um diese Ziele erreichen zu können, wird es über die Bemühungen der einzelnen Ministerien hinaus auch der Abstimmung mit anderen Ministerien bedürfen, wie es sich etwa angesichts eines Vorschlages für eine Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Barrierefreiheitsanforderung für Produkte und Dienstleistungen zeigt.

Meine Damen und Herren, die Zusammenarbeit verschiedener Institutionen wird da notwendig sein. Das gilt auch in Bezug auf das von der niederländischen Präsident­schaft im Bericht angekündigte Mobilitätspaket, das eine Revision der Systeme der sozialen Sicherheit und eine gezielte Überprüfung der Entsendungsrichtlinie beinhalten soll.

Um zu integrativen Arbeitsmärkten zu kommen, die – wie der Bericht vorschlägt  auf dem Grundsatz Arbeit/Lohn beruhen, wird es einer gemeinsamen Anstrengung bedür­fen. Gerade für Österreich, wo teilweise unfaire Maßnahmen in Bezug auf Konkurrenz und Arbeitsangebot aufgrund einer nicht eindeutigen Regelung oder nicht vorhandenen Regelungen die das Unterbieten von sozialen Standards erlauben bestehen, sind solche Richtlinien ganz, ganz wichtig.

Es ist auch eine bessere Steuerung der Migration wichtig – das steht auf Seite 3 –, um den aktuellen Herausforderungen, der Durchsetzung der Anliegen von Migrantinnen und Migranten, gerecht zu werden. Um eine größere Gerechtigkeit unter Mitglied­staaten, aber auch im jeweiligen Land, und einen Zusammenhalt in der Europäischen Union zu erreichen, bedarf es einer Koordination verschiedener Maßnahmen, und dafür kann der vorliegende Bericht eine gute Grundlage sein. Es muss dabei aber besonders auf die Übersichtlichkeit in Bezug auf Maßnahmen geachtet werden.

Meine Damen und Herren, Übersichtlichkeit ist eine Grundlage für gezieltes Handeln. In diesem Zusammenhang, Herr Bundesminister Stöger: Das ist ein guter Jahres­bericht, den man aber inhaltlich genau betrachten muss. Und in Zukunft muss man diese Berichte wirklich genau durchdiskutieren. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

14.19


Präsident Josef Saller: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Mag. Schreyer. – Bitte.

 


14.19.17

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Minister! Es wurde jetzt schon sehr, sehr viel zu dem Bericht gesagt, daher beschränke ich mich hier auf einige wenige Punkte, die wir kritisch sehen.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 86

Zur Entsenderichtlinie: Die Vorschläge, die Sie, Herr Minister, machen – beide Vor­schläge sind allerdings nicht in der derzeitigen Revision der Entsenderichtlinie enthal­ten – sind folgende: Der erste Vorschlag von Ihnen ist, die Dauer der Entsendungen zu begrenzen. Das, finden wir, löst das Problem nicht. Wir finden, dass dann die Kontrollmöglichkeiten sehr eingeschränkt sind, und befürchten, dass vor allem die Gefahr von Kettenentsendungen sehr zunehmen wird, dass einfach statt einer Entsen­dung mit einer verkürzten Entsendungsdauer mehrere Entsendungen hintereinander als Kettenentsendungen durchgeführt werden.

Der zweite Vorschlag ist die Sozialversicherungspflicht für das Aufnahmeland, und das ist einfach eins zu eins die gewerkschaftliche Position. Da sind wir auch sehr skeptisch, weil es ja nicht nur Incoming betrifft, sondern im Umkehrschluss auch die Österreiche­rinnen, die kurz ins Ausland entsendet und dann zum Beispiel in einem anderen Land der EU sozialversichert werden, wo die Standards ganz anders sind als bei uns. Ich finde, das kann man den ÖsterreicherInnen so nicht zumuten. Unser Zugang ist hier vielmehr so, dass das österreichische Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz bereits einen sehr, sehr guten Rahmen setzt. Allerdings muss die Wirksamkeit erhöht werden. Es braucht mehr Personal bei der Finanzpolizei, um die Entsendungen kontrollieren zu können, und es braucht mehr Zusammenarbeit mit den ausländischen Behörden.

Diese Zusammenarbeit mit den ausländischen Behörden ist derzeit aber ohnehin in der Begutachtungsphase in der Novelle des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsge­setzes drinnen. – So viel kurz- bis mittelfristig. Langfristig – das ist auch schon ange­sprochen worden – braucht es einen europäischen Ausgleich, damit es nicht wie es derzeit einen Wettbewerb zwischen den Sozialversicherungssystemen innerhalb der EU-Länder gibt. Aus Arbeitnehmerperspektive heißt das, dass es eine Weiterent­wick­lung der Sozialversicherungssysteme braucht. Menschen, die im EU-Ausland ar­beiten, dürfen dadurch einfach keine Nachteile erfahren. Da braucht es eine An­gleichung, eine Gegenrechnung, wie auch immer sich dafür eine europäische Lösung finden lässt.

Die jetzt geltende Immer-ein-Land-ist-zuständig-Logik stößt da einfach an ihre Gren­zen, denn die Freizügigkeit von Personen und von Dienstleistungen darf nicht zu einer Konkurrenzspirale der billigeren Sozialleistungen innerhalb der EU führen, sondern es braucht einfach schrittweise, wie Kollege Schennach auch gesagt hat, dieses vierte Standbein in der EU, nämlich die soziale Absicherung.

Zur REFIT-Evaluierung gibt es noch keine Ergebnisse, in welche Richtung die Vor­schläge dann im Endeffekt gehen. Denkbar ist eine Harmonisierung, eine Überarbei­tung oder eine Ergänzung der verschiedenen ArbeitnehmerInnen-Schutzrichtlinien, wobei natürlich der wichtigste Punkt ist, dass die richtige Richtung in dieser Entwick­lung eingehalten wird. Das Schutzniveau soll natürlich nicht abgesenkt, sondern womöglich den österreichischen Standards angepasst werden. Der österreichi­sche ArbeitnehmerInnenschutz ist im Vergleich zu anderen europäischen Mitgliedstaaten sehr gut aufgestellt. Dieses Schutzniveau muss daher einfach generell insgesamt angehoben werden.

Sonst steht in der Jahresvorschau relativ wenig Neues drinnen. Kollege Schennach, ich kann dir natürlich nur zustimmen, was die Wichtigkeit der Quotenrichtlinie betrifft. Die Quotenrichtlinie ist allerdings jedes Jahr in diesen Jahresvorschauen enthalten, und es gibt auf EU-Ebene keine Einigung dazu. Also, es tut sich relativ wenig. Alle Vorschläge, die dort in Verhandlungsrunden kommen, zielen eher in Richtung Verwässerung ab, und eine endgültige Richtlinie ist eigentlich noch relativ lange nicht in Sicht. Auch die Antidiskriminierungsrichtlinie auf EU-Ebene ist sehr, sehr komplex, und da ist eine Umsetzung auf EU-Ebene in nächster Zeit nicht wirklich absehbar.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 87

Alles in allem können wir hier aber sehr, sehr gerne zustimmen. – Danke schön. (Bei­fall bei Grünen und SPÖ.)

14.23


Präsident Josef Saller: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Blatnik. Ich erteile es ihr.

 


14.23.58

Bundesrätin Ana Blatnik (SPÖ, Kärnten): Herr Präsident! Gospod president! Herr Bundesminister! Gospod zvezni minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drage kolegice in kolegi! Ich möchte zwei Punkte aufgreifen.

Der erste Punkt ist der Begriff „Genderwahn“. Es ist kein „Genderwahn“, wenn wir – und das müssen wir – Benachteiligungen von Frauen aufzeigen. Fakt ist, dass Aufsichtsräte und Führungspositionen männerdominiert sind. Fakt ist, dass Frauen noch immer Heldinnen der Gratisarbeit sind, wenn man von unbezahlter Arbeit spricht, sowohl in der Erziehungsarbeit als auch in der Hausarbeit. Und Fakt ist auch, dass sehr viele Frauen, und zwar nicht freiwillig – nicht freiwillig, bitte! –, in der Teilzeit festsitzen. Das ist kein „Genderwahn“, sondern das ist pure Realität. Deswegen kann ich einfach nicht akzeptieren, wenn man da von Genderwahn spricht. Es ist eine Benachteiligung. Und das ist Fakt! (Zwischenrufe der Bundesräte Mayer und Samt.) Und da müssen wir sehr viel verändern. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich weiß nicht, ob ich das richtig aufgenommen habe, dass es darum gegangen ist, dass Frauen demokratiepolitische Entwicklung hemmen würden. (Bundesrat Samt: Es geht um die Diskriminierung, Frau Kollegin!) Wenn ich das so verstanden habe, dann muss ich mich auch ganz vehement gegen diese Aussage wehren, denn Frauen und Männer können sehr viel für demokratiepolitische Entwicklung tun. Eine Demokratie ohne uns Frauen ist aber nicht möglich, denn: Wir verhindern nicht eine demokratie­politische Entwicklung, sondern wir fördern gemeinsam – Frauen und Männer – die demokratiepolitische Entwicklung! – Danke. Hvala lepa. (Beifall bei der SPÖ.)

14.26


Präsident Josef Saller: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Stöger. – Bitte, Herr Bundesminister.

 


14.26.24

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé|: Herr Präsident! Hohes Haus! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, dass dieser Bericht, der schriftlich vorliegt, zeigt, wohin sich die Europäische Union bewegen soll. (Bundesrat Krusche: Das ist ja das Traurige!) Ich denke, dass das eine wichtige Auseinandersetzung in Österreich ist: Wohin bewegt sich die Europäische Union?

Diese Auseinandersetzung gehört gefördert, gestärkt und ist dringend notwendig. Warum? – Sie ist notwendig, weil die wirtschaftlichen Beziehungen derartig über die Grenzen eines Landes gehen, dass die Europäische Union die wichtige Funktion hat, da politisch richtig steuernd einzugreifen. Wir haben das Riesenproblem in der Europäischen Union, dass es dort keine Kompetenz und auch keine praktische Politik zur Verhinderung von Arbeitslosigkeit gibt. Ich werde das heute noch deutlicher ausführen. Es ist ein Riesenproblem, dass man in der Europäischen Union zwar darüber diskutiert, wie hoch die Staatsverschuldung ist, wozu es Kriterien und was weiß ich alles gibt, dass aber nicht diskutiert wird, wie es möglich sein kann, dass man akzeptiert, dass eine Jugendarbeitslosigkeit von über 25 Prozent herrscht.

Diese Auseinandersetzung muss in der Europäischen Union eingehend geführt wer­den. Insofern bin ich sehr froh darüber, dass es gelungen ist, auch bei der ersten


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Sitzung, bei der ich anwesend war, mit der Kommissarin zu diskutieren: Was können wir tun, um im Mobilitätspaket einige Grundsätze zu verändern, die die Rolle des Arbeitsmarktes stärken? Da war es mir sehr wichtig, dass die Position eingenommen worden ist: gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Arbeitsort! Das schützt unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, das schützt aber auch unsere Betriebe. Die können bei staatlichen Aufträgen Angebote abliefern, wo die kollektivvertraglichen, die arbeitsrechtlichen Grundlagen die Basis sind, die sie als Bedingungen vor Ort vor­finden. Da kann es zu keiner Schmutzkonkurrenz kommen.

Aus meiner Sicht ist es auch wichtig, dass wir eine Festlegung einer Höchstdauer von Entsendungen vornehmen. Das hängt damit zusammen, dass wir das auch kontrollie-ren können, und es geht mir auch um die Gewährleistung der Sozialversicherungs­beiträge auf Grundlage des im Aufnahmemitgliedstaat zu zahlenden Entgeltes. Ich glaube auch, dass es darum geht, dass wir da die gleichen Bedingungen haben, und aus meiner Sicht ist es auch wichtig, klarzustellen, dass die Entsenderichtlinie nur Mindeststandards feststellt und dass darüber hinaus die Mitgliedstaaten zusätzliche Festlegungen treffen dürfen. Für mich war es auch wichtig, die Entsenderichtlinie nicht nur im Baubereich zu haben, sondern dass sie in allen Branchen Anwendung findet, auch insbesondere im Transportsektor.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mir sind einige Fragen gestellt worden. Ich möchte kurz versuchen, diese zu beantworten. Herr Bundesrat Samt, ich sage das jetzt dazu zum digitalen Binnenmarkt, das ist nicht „no na“, das ist ganz wichtig, da kann man viel tun. (Bundesrat Schennach: 4 Millionen Arbeitsplätze! – Bundesrätin Mühlwerth: … Arbeitsplätze versprochen … nicht gehalten!)

Also, das ist für Österreich auch ganz wichtig. Aber ich will nicht von meinem alten Geschäft reden. Ich glaube, dass diese Frage für Europa ganz zentral wird. Die Frage ist, glaube ich: Wie gehen wir mit … (Bundesrat Samt: Entschuldigung, ich habe nicht kritisiert!) – Nein, nein, eh nicht, ich wollte es nur verstärken, also, ich wollte nur darauf hinweisen, dass das ein wichtiges Thema ist, nicht „no na“, sondern eigentlich ganz wichtig. Es ist mir ein Anliegen, das zu sagen.

Herr Bundesrat Schennach hat, glaube ich, am Beispiel „Toblerone“ ausgeführt, wie schwierig es ist, eine Kennzeichnung nach nationalen Gegebenheiten darzulegen. Eine Kennzeichnung, eine Herkunftskennzeichnung sagt nichts über die Qualität aus. Sie bestärkt Vorteile oder nicht, aber sie sagt nichts über die Qualität aus.

Meiner Überzeugung nach ist es wichtig, Qualität zu definieren. Die Konsumentinnen und Konsumenten wollen gute Qualität haben, und es gibt gute Qualität in diesem Land. Es gibt auch gute Qualität in anderen Ländern. Bei globaler Produktion wird es zunehmend schwieriger, festzulegen: Was ist tatsächlich diese Qualität? Ich kenne das noch aus dem Lebensmittelbereich. Ganz schwierig: Wo kommen irgendwelche Stoffe her? Kollege Schennach hat das, glaube ich, angesprochen.

Ich glaube auch, das Recht auf Arbeit und wie wir damit umgehen, wird eine zentrale Frage des Bestandes der europäischen Gesellschaften sein. Und für mich ist auch wichtig, was Kollege Stefan Schennach angesprochen hat: die Sicherung des Industriestandortes. – Ich glaube, diese Fragen sind ganz wichtig.

Herr Bundesrat Hammerl, zur Konsumentenproduktesicherheitsverordnung: Manchmal muss man sich schon fragen, welche Worte man verwendet. Jetzt ist die Frage: Wie gehen wir mit dieser Verordnung um? Wir haben diskutiert, ob es möglich ist, eine freiwillige Herkunftskennzeichnung zu machen. Eine verpflichtende ist schwierig, kostet auch eine Menge Geld. Arbeit muss sich lohnen, haben Sie gesagt. Ich glaube, das ist ein wichtiger Aspekt, den man deutlichgemacht hat, und die Kommission war bereit, einen Schritt in diese Richtung zu gehen. Ich verhehle nicht, dass da mit der Kom-


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mission noch viel zu diskutieren sein wird und dass es viele Mitgliedstaaten gibt, die leider von neoliberalen Denkweisen geprägt sind, und das ist derzeit aus meiner Sicht eher eine Gefährdung des europäischen Standortes. (Bundesrat Pisec: Das Gegenteil!) Das schafft Verunsicherung, und ich denke, das ist ein richtiges Problem.

Frau Bundesrätin Schreyer hat das Lohn- und Sozialdumpinggesetz angesprochen. Ich glaube, es ist derzeit in Begutachtung. Da wollen wir die nächsten Schritte setzen. Es kommt in den nächsten Sitzungen zur Behandlung. Auch hier im Bundesrat wird das zum Thema.

Es geht darum, eben nicht die billigere Sozialleistung, die Nivellierung nach unten zu erreichen, sondern es muss darum gehen, mit europäischen Instrumenten die Nivellie­rung auf einem hohen Niveau zustande zu bringen. Sie haben es richtig angesprochen: Was passiert bei REFIT? – Wir sind da sehr kritisch. Wir werden genau hinschauen. Wir werden aber durchaus bereit sein, Überreglementierung zu reduzieren, aber trotzdem die Inhalte zu halten. Das wird ein spannendes Ergebnis.

Zu den Ausführungen der Bundesrätin Blatnik möchte ich Folgendes sagen: Ich bin im Jahre 2004 in den Vorstand der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse gekom­men. Wir haben dort ausgemacht, wir schauen uns an: Wie ist das Verhältnis von Männern und Frauen? Immer in der Sitzung im Juni haben wir den Bericht machen müssen und schauen müssen: Wie ist denn die Lage? Wer hat denn Leitungs­funktionen von den Männern und wer von den Frauen? Und bei jedem Mal hinschauen und bei jeder Personalentscheidung, die ich zu treffen hatte, habe ich immer darauf geschaut: Wo sind wir denn gut und wo sind wir nicht gut?

Ich habe vor Kurzem, und zwar in meiner vorherigen Funktion, eines der innovativsten Unternehmen Oberösterreichs besucht. Und siehe da, in diesem Unternehmen ist auf dem Chefposten eine Frau. Ich habe mir das Unternehmen angeschaut und stellte fest: Weil den Chefposten eine Frau innehat, hat man im Betrieb überlegt, ob es nicht einen Betriebskindergarten geben könnte, ob es nicht eine Ecke geben könnte, wo Kinder im Betrieb sein können. Das war keine SPÖ-lerin, gar nicht, das braucht ihr nicht zu glauben. (Heiterkeit.) Diese Frau hat eine Leitungsfunktion wahrgenommen und hat, weil sie selber betroffen war, ermöglicht, dass andere auch haben mitmachen können. Insofern ist es so wichtig, dass wir in Europa schauen: Wie sind denn da die Verteilungen in der Gesellschaft?

Wer meinen Lebenslauf kennt und wer sich ansieht, wo ich Verantwortung wahrge­nommen habe, wird bemerken: Ich habe mich immer um diese Frage gekümmert, weil es nicht egal ist, ob im obersten Sanitätsrat lauter Männer oder auch zur Hälfte Frauen drinnen sind. Übrigens: Unter den PatientInnen sind auch Frauen; das wollte ich nur dazusagen. Und in der Wirtschaftspolitik ist es auch so, dass die Lebenswelt der Frauen wichtig ist. Insofern ist es notwendig, dass wir diesen kritischen Blick haben und darauf schauen, was man da tut.

Ich denke, dass es notwendig sein wird, dass es bei jedem Unternehmen, das auch öffentlich präsentiert, wie seine inneren Entscheidungsstrukturen sind, zu seinem Selbst­verständnis gehören muss, dass auch Frauen in den entscheidenden Gremien zur Verfügung stehen. Das wird nicht einfach sein. Aber ich kann Ihnen eines bestä­tigen: Überall, wo wir das gemacht haben, ist es nicht zum Nachteil dieser Unterneh­men gewesen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

14.37

14.37.10

 


Präsident Josef Saller: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 90

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Die Tagesordnung ist erschöpft.

14.38.02 Dringliche Anfrage

der Bundesräte Ing. Bernhard Rösch, Kolleginnen und Kollegen an den Bun­desminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend Massen­arbeitslosigkeit in Österreich durch die verfehlte Arbeitsmarktpolitik der SPÖ-Sozialminister Rudolf Hundstorfer und Alois Stöger (3138/J-BR/2016)

 


Präsident Josef Saller: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über die Dringliche Anfrage der Bundesräte Ing. Bernhard Rösch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz.

Da die Dringliche Anfrage inzwischen allen Mitgliedern des Bundesrates zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch die Schriftführung.

Ich erteile Herrn Bundesrat Ing. Rösch als erstem Anfragesteller zur Begründung der Anfrage das Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.38.30

Bundesrat Ing. Bernhard Rösch (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Das Thema der heutigen Dringlichen Anfrage ist Massenarbeitslosigkeit in Österreich und verfehlte Arbeitsmarktpolitik. Eine Großbaustelle, die viel Leid und Unsicherheit mit sich gebracht hat. Und ich gebe meiner Vorrednerin recht, die gesagt hat, dass wir auch mehr auf Frauen schauen sollen. Ja, denn in Österreich kann man sehen: Armut ist weiblich. Armut ist eine Wienerin. (Bundesrat Beer: Was, was, was? Armut ist eine Wienerin?!) Teilzeit ist weiblich, Armut in der Pension ist weiblich und viele, viele solche Baustellen, die wir sehen können unter einem Ministerium für Soziales, Arbeits­markt und Konsumentenschutz, das unter Rudi Hundstorfer eben so ausgestaltet wurde, wie er es hinterlassen hat, und das jetzt durch unseren Herrn Bundesminister Stöger in seiner Nachfolge hoffentlich eine Besserung erfahren wird.

Minister Hundstorfer hat die Gelegenheit genutzt, diese Baustelle zu verlassen, die Flucht nach vorne zu ergreifen und sich anderwärtig zu engagieren, damit er wieder einmal nicht Bilanz legen muss. Rudi Hundstorfer ist ja über den öffentlichen Dienst in Wien in den Gemeinderat eingezogen und Gewerkschafter gewesen oder ist er immer noch. Und wenn man so schaut und seine Weggefährten befragt, dann sieht man eigentlich, was Rudi Hundstorfer im Arrangement mit der SPÖ in Wien alles ange­richtet hat, wie der öffentliche Dienst miterfahren musste, dass das Dienstrecht stetig schlechter wurde, dass die Pflichten mehr wurden und dass es den Menschen dort immer schlechter gegangen ist.

Wenn wir heute in der Privatwirtschaft sehen, dass Evaluierung des Arbeitsplatzes gang und gäbe ist, dass man an Evaluierungen gar nicht vorbeikommen kann, dass es psychische Evaluierungen am Arbeitsplatz gibt, so ist das im öffentlichen Dienst – das kann ich sagen, und wenn ich das hinterfrage, wird mir das auch bestätigt – eine Mangelware.

Im öffentlichen Dienst ist es so, dass den Mitarbeitern, die nicht bei der Stange sind, die nicht parteibuchnahe sind, einfach immer gesagt wird: Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt. Wenn ihr das und das nicht wählt, dann werdet ihr ganz einfach den Arbeitsplatz verlieren, weil es morgen dann diese Stelle nicht mehr gibt, weil sie


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aufgelassen wird. (Bundesrat Beer: Aber man sollte mit den Behauptungen schon ein bisschen vorsichtiger sein!)

Schön, dass es diese Zwischenrufe gibt, denn vielleicht schauen über den Livestream einige von den Betroffenen zu, die uns dann recht geben werden, und die dann das auch hinaustragen werden, dass ganz einfach da immer wieder draufgehalten wird. (Bundesrat Beer: Ja, so wie mit der armen Wienerin! Das ist doch ungeheuerlich!)

Wir sehen es ja auch in der Sozialpartnerschaft. Die Sozialpartnerschaft wurde an und für sich auch dafür gegründet, dass Rot und Schwarz sich mit einer Nebenregierung immer wieder die Macht erhalten können. Rot und Schwarz ist in der Sozialpart­nerschaft, ob in der Arbeiterkammer, in der Gewerkschaft oder auch in den anderen Kammern, doch so abgesichert, dass in die Vorstände und so weiter Minderheiten überhaupt nicht hineinkommen!

Das muss man einmal wirklich sagen: Es gibt keine demokratischen Züge in den Strukturen, weil das eben absichtlich so angelegt ist, dass man die Macht nicht aus der Hand gibt. Das Volk spürt ja, dass die Macht ständig am Schwinden ist. Jetzt haben wir gerade wieder gelesen, dass die Gewerkschaft wieder geschrumpft ist. Ja, warum schrumpft denn die Gewerkschaft? – Nicht, weil die Leute keine Gewerkschaft wollen. Ja, sie wollen Arbeitnehmervertretung, wenn man jetzt die Arbeitnehmer sieht. Und die Arbeitgeber wollen auch eine ordentliche Vertretung haben.

Aber warum gehen sie denn da weg? – Weil sie es einfach satt haben, dass eine Fraktion alles bestimmt, sich die Gelder so einteilt, dass sie nur ihre Leute damit bedient. Die Leute wollen ganz einfach nicht mehr die Dummen sein.

Und wenn man sich das demokratische Verhältnis anschaut, … (Zwischenruf des Bun­desrates Preineder.) – Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich bin seit über 20 Jahren im Betriebsrat, ich bin über 30 Jahre in der Gewerkschaft und kämpfe dagegen an. Und ich weiß, wie viele harte Bretter es zu bohren gibt, bis man einmal einen Schritt weiterkommt. Und wir werden es in dieser Republik auch noch schaffen, demokra­tischer zu werden. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Mayer: Massenarbeitslosigkeit!)

Ja, Massenarbeitslosigkeit. Wir kommen ja dazu, warum es gerade in Österreich diese Massenarbeitslosigkeit gibt: Weil die Arbeitnehmervertretungen in Wirklichkeit nicht mehr repräsentativ sind. (Zwischenruf der Bundesrätin Zwazl.) Wenn ich mir an­schaue, dass nicht einmal jeder fünfte Arbeitnehmer bei der Gewerkschaft ist, aber trotzdem dafür verhandelt wird, dann sehe ich, dass die Leute in Wirklichkeit etwas anderes haben wollen. Die Leute wollen die Freiheit am Arbeitsmarkt haben, sie wollen sich am Arbeitsmarkt frei entscheiden dürfen und nicht bevormundet werden. Das ist Fakt.

Ich spreche, um nicht missverstanden zu werden (Heiterkeit bei der SPÖ), nicht den Arbeitnehmervertretungen das Recht ab, eine Vertretung zu sein, sondern ich möchte ein Spiegelbild aufzeigen. Ich möchte aufzeigen, woher Rudi Hundstorfer gekommen ist und welches Selbstverständnis er hat, um erklären zu können, warum es zu dieser Massenarbeitslosigkeit und zu der verfehlten Arbeitsmarktpolitik in Österreich gekommen ist – zu dem, was er hinterlassen hat.

Wenn man dann den Kopf schüttelt, muss ich ganz ehrlich sagen: Man hat sich anscheinend die Zahlen noch nicht verinnerlicht. Wir haben fast 500 000 Arbeitslose. Wir hatten in den 1930er Jahren 600 000. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Schauen Sie doch, was damals los war und was heute los ist!

Ich erinnere mich auch noch an Rudi Kaske vor ungefähr 15 Jahren, der gesagt hat, bei 250 000 brennt die Republik. Und er wird da vorne gehen, und er wird mit den


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250 000 dann für Gerechtigkeit kämpfen. Wo ist er denn bei 500 000? Hat er dem Rudi Hundstorfer irgendwann einmal gesagt: So geht das nicht!?

Wir müssen endlich einmal auf unsere Leute schauen. In der Schweiz ist das selbstverständlich. Man kann zu den Schweizern und zu ihrer Demokratie stehen, wie man will; aber in der Schweiz ist es ganz selbstverständlich, dass, wenn man einen Betrieb hat und Ausländer dabei sind, die eben Gastarbeiter sind und dort arbeiten, und es ganz einfach vonnöten ist, dass man Personal einspart, die Ausländer dann als erste gehen. Denn für die Schweizer ist es ganz normal, dass die Regierung Politik für ihr eigenes Volk, von dem sie gewählt wurde, macht.

Rudi Hundstorfer hat immer wieder gezeigt, dass er entweder untätig oder ein Welt­meister in Fehleinschätzungen war. Ich kann mich noch daran erinnern, wie er 2013, 2014 gesagt hat: 2015 wird alles viel besser werden, denn dann wird die Wirtschaft anspringen und dann werden wir weniger Arbeitslosigkeit haben. Vielleicht hat er dann auf irgendeinen Kollegen in der Schweiz gehört, die ja das riesige Problem haben, dass sie einen Budgetüberschuss haben und nicht wissen, was sie mit den 2,9 Milliar­den tun sollen. Das hätten wir auch gerne, haben wir aber nicht. Wir haben leider Gottes wahrscheinlich das im Budget überschritten, was wir kalkuliert haben.

Da muss man dann schon sagen, dass sich das durchzieht, es ist eine ganz lange Linie. Das ist nicht erst seit gestern, sondern das hat schon mit den Nadelstreifbankern im Sozialismus angefangen, wo für die einen viel da war und für die anderen ganz einfach zugeteilt wurde.

Das hat sich in einer schwierigen Zeit in der Bankenkrise zugespitzt. Da hat man ja mitbekommen müssen, dass es für die Sozialdemokratie – die muss ich da mehr in die Pflicht nehmen – ganz selbstverständlich war, dass man die Aktionäre schützt. Aber wo die Arbeitnehmer geblieben sind, das hat uns nie jemand beantwortet. Und Rudi Hundstorfer ist als Sozialminister gesessen, hat gewartet und immer auf das AMS verwiesen. Auch das AMS hat erfahren, dass sie statt 200 000 Arbeitslosen plötzlich 500 000 gehabt haben: 180 Leute wurden daraufhin mehr eingestellt, nur 180!

Dann sind zum AMS noch gekommen: die Schlüsselkräfte, die Verarbeitung, die Rot-Weiß-Rot-Karte, die Mindestsicherung, 260 000 Mindestsicherungsbezieher. Das muss alles von den Mitarbeitern des AMS bewältigt werden. Das ist eine Aufgabe, die nicht lösbar ist. Das geht nur im Sekundentakt. Man kann nicht einmal richtig den Namen vorlesen oder registrieren, und dann braucht man schon den Nächsten, weil es einfach so vieler Registrierungen bedarf. So ist das AMS kein Service mehr. Es ist eine Arbeitsmarktverwaltung wie früher, aber sicher kein Arbeitsmarktservice.

Zu Rudi Hundstorfer muss man Bilanz ziehen, und das wollen wir eigentlich auch mit der Dringlichen Anfrage machen. Er wird nämlich als Armutsminister in die Geschichte eingehen wird. 1,3 Millionen Menschen leben in Österreich in Armut, davon 300 000 Kin­der, 400 000 trotz Vollzeitbeschäftigung, 270 000 Mindestsicherungs­bezie­her; nicht dazu gezählt: sozialökonomische Berufe, prekäre Arbeitsverhältnisse, 240 000 Aus­gleichs­zulagenbezieher, all die unfreiwillig geringfügig und Teilzeitbeschäftigten und viele, viele mehr.

Bei der Arbeitslosigkeit kann man sehen, dass in den letzten Jahren immer mehr Arbeitslose Bildungsmängel aufweisen. Bei Pflichtschulabsolventen liegt die Arbeits­losenrate übrigens bei 39 Prozent. Dabei kann ich mich noch erinnern, wie Darabos, aber auch Minister Kurz gesagt haben: Die, die daherkommen, sind im Durchschnitt viel gebildeter als unsere Leute. Heute wissen wir, dass 50 Prozent so gut wie keine Ausbildung haben, aber wir wollen natürlich daran festhalten, egal wie alt, wir werden sie alle ausbilden.


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Da sehen wir auch, wie das AMS jetzt aufgeteilt wird: Für die eigene Bevölkerung, für die eigenen arbeitslosen Österreicher, haben wir die Ausgaben ordentlich reduziert, aber dafür haben wir für den Zuzug ordentlich aufgestockt und investieren dort. Da wird man eben erklären müssen, ob man das auch weiterhin so machen möchte und weiterhin so vorhat und wie man vor allen Dingen das dann den Österreicherinnen und Österreichern erklären möchte.

Ich möchte nicht ganz unfair sein. Wenn ich in diese Richtung schaue, muss ich sagen, natürlich, es gibt Vorarlberg und Tirol, wo man sehen kann: Wenn nicht der Sozialis­mus in der Regierung ist oder in der Arbeiterkammer oder versucht, riesige Umver­teilungen zu machen, kann es auch sein, dass die Löhne plötzlich nach oben gehen und Arbeitslosigkeit zurückgeht. Da muss man sagen, hoffentlich nehmen wir uns ein Vorbild daran, denn es wird höchste Zeit, dass wir auch das können, was Deutschland kann, dass endlich unsere Wirtschaft ein bisschen stärker wird, die Insolvenzen zurückgehen.

Momentan sind die Insolvenzen ja im Steigen und leider Gottes auch die damit verbundene Arbeitslosigkeit. Wir haben ja gerade im Bereich Klein- und Mittelbetriebe 80 Prozent unserer Arbeitsplätze. Daher sollte man schauen – und wir sitzen alle in einem Boot –, dass es uns wirtschaftlich insgesamt gut geht, sodass wir auch Öster­reich mit den Steuern finanzieren können und eventuell – was heißt eventuell?, es ist ein Gebot der Stunde! –, dass die Steuern endlich einmal wirklich gesenkt werden und nicht so eine Mogelpackung um 4,5 Milliarden € von rechts nach links geschoben wird, wobei die ganzen Abgaben, Gebühren und so weiter weit hinauf­gegangen sind, sodass, wenn man schaut, was übergeblieben ist, bei der Kaufkraft wieder ein Minus dort steht.

Das ist nicht redlich, das ist nicht gut. Die Besteuerung von Arbeit ist in Österreich noch immer rekordverdächtig. Das nützt weder Arbeitgebern noch Arbeitnehmern. Sie wollen endlich selber auch in den Markt hineingehen und die Kaufkraft anspringen lassen. Das ist aber nur dann möglich, wenn man eben auch genug im Börsel hat, nicht nur nominal irgendetwas draufbekommt, sondern auch in der Kaufkraft, tat­sächlich, über der Inflation.

Da wir gerade beim Thema Inflation sind und das ja auch hineinpasst: Es ist natürlich auffallend, dass wir jetzt null Zinsen haben, die Staaten in Europa sich relativ günstig mit ihren Schulden refinanzieren können, aber das in Wirklichkeit auch wieder diejenigen zahlen, die brav sparen, die fürs Alter sparen, um eben im Alter mobil sein zu können, um Pensionen zu haben.

Und wenn man ungefähr rechnet: Wenn wir von den 1,6 Billionen € an Guthaben, die wir in Österreich haben, nur ein Delta von einem Prozent nehmen – ich nehme gar nicht 2 Prozent, die Inflation der letzten zehn Jahre, zu dem, was es an Zinsen am Markt gibt, nehme ich nur 1 Prozent –, so sind es 16 Milliarden €. Es sind also praktisch jedes Jahr 16 Milliarden €, die jedes Jahr an Kaufkraft verloren gehen. Das geht verloren für die, die vorsorgen, die nicht dem Staat zur Last fallen wollen, die immer brav arbeiten, und das kann auch kein richtiges Signal sein. (Beifall bei der FPÖ.)

Man hört auch immer wieder, wir haben zu wenig Arbeit. Da kann man mit Fug und Recht sagen: Das ist ein Unsinn. Es ist nur die Frage, wie wir die Arbeit verteilen wollen, wie wir Leute in Beschäftigung bringen. Und denken wir nur kurz darüber nach, dass die Erziehung unserer Kinder ja nicht in den Schulen stattfinden kann, weil auch die Lehrer dahin gehend nicht ausgebildet sind, sie sind ja keine Erzieher, sie sind Pädagogen.


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Aber in immer mehr Familien müssen beide Elternteile arbeiten, können sich das nicht aussuchen, ob sie zu Hause bleiben oder nicht zu Hause bleiben, ob Frau oder Mann zu Hause bleibt. Aber selbst wenn einer von beiden zu Hause bleibt, stellt sich immer die Frage: Wie schaut es dann einmal mit der Pension aus?

Da haben wir Freiheitliche ja schon vor langer Zeit mit dem Familiensteuersplitting gezeigt, wie es gehen kann, dass beide sich aussuchen können, zu Hause zu bleiben, aber beide dann auch eine Pension bekommen, dass man Familien gemeinsam besteuert. Das ist ein Ansatz für Frauen und Männer, von denen einer sagt: Mir ist es einfach wert, bei meinem Kind zu sein, ich habe mein Kind so lieb, ich möchte es begleiten. Dann kann man das mit diesem Splitting machen. Nur wird den meisten Müttern und Vätern die Möglichkeit genommen.

Wenn wir uns die Elternteilzeitkarenz anschauen, so ist das nicht das Gleiche. Wenn wir uns den Papamonat anschauen, so ist das noch nicht das Gleiche; und bei vielen geht es darum, dass sie es sich noch immer nicht leisten können. (Bundesrat Mayer: Massenarbeitslosigkeit!)

Ja, darum kommt ja die Massenarbeitslosigkeit. Denn wenn wir es schaffen, dass in Familien nicht mehr beide Elternteile arbeiten müssen und sich oft beide mit dem 13. und 14. hinüberretten müssen, um ihre Konsumschulden zahlen zu können – wir sehen das bei 400 000 Vollzeitbeschäftigten –, dann brauchen wir das nicht so abzutun. Wir haben eine Massenarbeitslosigkeit. (Bundesrat Mayer: Aber der Papa­monat hat mit der Massenarbeitslosigkeit nichts zu tun!) – Aber das sind Entlastungen am Markt.

Angesichts der Herausforderungen der heutigen Zeit können wir uns Lethargie einfach nicht mehr leisten. Politische Lethargie bringt uns nicht weiter. Es gibt ja viele, viele Modelle. (Zwischenrufe der Bundesräte Mayer und Zwazl.) – Ich bin ja die ganze Zeit am Reden, aber ihr unterbrecht, weil ihr an dem Ganzen einfach nicht interessiert seid.

Es geht dann auch so weit, dass wir in den Bereichen Pflege, Gesundheitsvorsorge, Prävention, Sicherheit, Instandhaltung, Recycling, Energiesparmaßnahmen, Studien, Forschung und so weiter genügend Arbeit hätten. Nur ist das schlecht verteilt und wir lassen es einfach nicht zu. Denn überall ist eine Klientel dahinter, die das nicht auf­macht.

Wir werden anfangen müssen! Wir hören „Industrie 4.0“, wir hören „digitales Zeitalter“. Wir merken, dass dadurch immer weniger Menschen immer mehr in ihren Betrieben schaffen, aber dass sie ausbrennen. Vor 20 Jahren hätten wir geglaubt, dass Burnout etwas Unredliches ist, da will irgendjemand nicht arbeiten und ist auf gut Deutsch ein „Obezahrer“. Heute wissen wir, das ist ein ernsthaftes Krankheitsbild.

Immer weniger Menschen leisten immer mehr. Wir müssen endlich einmal aufmachen! Aber das ist nicht der Ruf nach einer 30 Stunden-Woche, denn bei einer 30 Stunden-Woche passiert uns dann das Gleiche, wie es uns mit Familien passiert, in denen Vater und Mutter arbeiten und an der Armutsgrenze sind. So kann man dann vielleicht zweimal 30 Stunden in der Woche arbeiten und dann auch an der Armutsgrenze sein.

Nein, wir müssen intelligent handeln: lebenslanges Lernen dazwischen! Wir müssen die Pausen einführen. Wir müssen schauen, dass den Leuten Zeit gegeben wird, um auf die Gesundheit und auf die Familie zu schauen. Es ist gesellschaftspolitisch so vieles zu machen, das in den gesellschaftlichen Arbeitsprozess einzugliedern ist. Da sollten wir uns mehr anstrengen, und da kommt an und für sich viel zu wenig.

Wir haben im Dezember zwar etwas über das digitale Zeitalter und Industrie 4.0 gehört, aber in den Entscheidungsträgerlinien ist es ganz einfach nicht angekommen. Deswegen werden wir weiter dahinter sein. Auch wenn man sich die Überstunden


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anschaut: 20 000 Arbeitsplätze ist das Äquivalent für die Überstunden, die jetzt ge­macht werden. Da gibt es viel, viel zu tun. (Vizepräsidentin Winkler übernimmt den Vorsitz.)

Wir sehen natürlich, dass man nie etwas alleine erreichen kann. Daher haben wir in der Dringlichen Anfrage Bezug auf das genommen, was momentan unter der rot-blauen Regierung im Burgenland passiert, wo es tatsächlich gute Maßnahmen und Vorschläge gibt.

Wir haben dazu einige Fragen an den Minister, die er uns hoffentlich ausführlich beantworten wird. Ich hoffe, dass wir dann auch dementsprechende Unterstützung bekommen. (Beifall bei der FPÖ.)

15.00


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zur Beantwortung hat sich der Herr Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Minister.

 


15.00.35

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé|: Frau Präsidentin! Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Bundesrat Rösch! Zur Begründung: Da war nichts da. Wenn ich die Beantwortung genauso mache, wie Sie es „begründet“ haben, dann brauche ich gar nichts zu sagen. (Bundesrätin Mühlwerth: Überraschen wird uns das nicht!)

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann haben Sie drei Sachen gesagt: Erstens, wir wollen nicht über die Arbeitslosigkeit reden, sondern über Rudi Hundstorfer. – Das können wir tun, ist aber nicht das Thema.

Zweitens, Sie haben darüber geredet, dass man die Arbeit anders verteilen soll. Ja, da bin ich Ihrer Meinung. Aber ich bin nicht dafür, es so zu tun, wie Sie es vorgeschlagen haben. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann haben Sie gesagt: Die Frauen sollen nicht arbeiten, sondern bei den Kindern bleiben. (Zwischenruf des Bundesrates Rösch.)

Und drittens haben Sie gesagt: Überstunden, wir machen zu viele Überstunden. Das kann man sagen. Heißt das aus Ihrer Sicht, dass wir die Überstunden abschaffen sollten und keiner mehr Überstunden machen darf? Ich will es nur hören, falls das die Begründung für die Arbeitslosigkeit ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir uns ernsthaft damit auseinan­dersetzen – und ich sage das schon so und sehr deutlich –, dann sehen wir, die Frage der Arbeitslosigkeit ist in Österreich ein Riesenproblem. Und es braucht nicht nur der gesamten Anstrengung der Bundesregierung, sondern der gesamten Gesellschaft, um Arbeitslosigkeit zu verhindern.

Wie sind die Rahmenbedingungen, die dazu führen, dass in Europa die Arbeitslosigkeit ein hohes Ausmaß annimmt? – Die Rahmenbedingungen in Europa sind deshalb so, weil wir eine Wirtschaftskrise haben und diese Wirtschaftskrise die größte Wirtschafts­krise seit 1929 ist. Und diese Wirtschaftskrise ist auch dadurch ausgelöst worden, dass Europa eine falsche Investitionspolitik betreibt. Dieser Druck, die öffentlichen Inves­titionen zu reduzieren, führt in zweiter Linie dazu, dass auch die privaten Investitionen nicht wirken. Und das ist die große Schwierigkeit. Ich denke, dass diese europäische neoliberale Wirtschaftspolitik immer darin endet, dass der Staat keine Ausgaben tätigen kann, dass wir uns zu Tode sparen und am Ende Arbeitsplätze verloren gehen. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Wie hat die österreichische Bundesregierung darauf reagiert? – Wir haben darauf reagiert, indem wir das größte Investitionsprogramm in der Geschichte dieser Republik


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gemacht haben, insbesondere im Bereich der Infrastruktur. Wir haben darauf reagiert, indem wir vernünftige Wirtschaftspolitik betreiben und Arbeitsplätze stärken. Und wir haben in wirtschaftlichen Bereichen gute Bedingungen, wir haben Innovationskraft. Aber ich sage dazu, die Anstrengungen dürfen durchaus erhöht werden.

Wir haben auch einen wichtigen Schritt im Bereich der Steuerreform gesetzt. Durch die Umverteilung in der Steuerreform ist es möglich geworden, die Inlandsnachfrage zu erhöhen. Viele Menschen spüren jetzt, dass sie mehr Geld in der Tasche haben, und das wird auch die Wirtschaft insgesamt stärken.

Ich denke, die Steuerreform war ein richtiger Schritt. Ich vertraue auch der gesamten Bundesregierung hinsichtlich der nächsten Schritte. Auch der Wirtschaftsminister bringt einige Beiträge. Wir haben mit der Steuerreform einiges gemacht. Wir müssen in der Qualifizierung einiges tun. Und wenn ich mir ansehe, wie viele Unternehmen in Öster-reich innovative Unternehmen sind, dann denke ich, dass sich auch einiges weiterentwickeln lassen wird.

Damit habe ich die Frage 1, worauf reagiere ich zum Thema Arbeitslosigkeit, beant-wortet. Ich sage aber trotzdem, es ist eine wichtige Voraussetzung, in Österreich zum Thema der Arbeitslosigkeit mehr zu tun.

Zur Frage 2:

Die letzten verfügbaren Daten zeigen auch wieder ein geringfügiges Wachstum bei den Vollzeitbeschäftigungsverhältnissen. Das Arbeitsverhältnis oder das Arbeitsvolumen ist höher als im Jahr 2008. Und ich will nicht alle Ihre Zahlen, die Sie genannt haben und die in sich nicht schlüssig waren, besprechen, sondern ich möchte nur eine Zahl richtigstellen, und zwar ist das die Arbeitslosenzahl von gestern. Wir hatten gestern 366 291 Arbeitslose. Ich sage ganz trocken dazu: Das ist viel zu viel.

Und zur Frage 2 hätte ich auch angemerkt: Wir hatten gestern 70 967 Menschen in Schulungen, und daran erkennen Sie, dass die österreichische Arbeitsmarktpolitik die Menschen qualifiziert. Wir qualifizieren eine große Gruppe von Menschen, damit sie in Zukunft auch Arbeitsplätze einnehmen können und wir in der Wirtschaft die richtigen Arbeitsplätze zur Verfügung haben. Und wir geben sehr, sehr viel Geld dafür aus, und das auch im Einvernehmen mit den Sozialpartnern. Ich bedanke mich auch dafür, dass wir hierbei die richtigen Impulse setzen.

Zu den Fragen 3 bis 6:

Es geht um die Frage der Arbeitslosigkeit von Ausländerinnen und Ausländern. Ich sage ganz deutlich dazu: Ausländerinnen und Ausländer arbeiten häufiger in Saison­betrieben. In Saisonbetrieben gibt es eine höhere Arbeitslosigkeit an sich, nämlich dann, wenn die Saison endet. Insgesamt sind davon Personen im Baubereich, aber auch im Bereich der Gastronomie betroffen. Die Dauer ihrer Arbeitslosigkeit ist im Schnitt kürzer. Und ich sage auch ganz trocken dazu: Das österreichische AMS stellt nicht die Frage nach der Nationalität, sondern das österreichische AMS schult arbei­tende Menschen oder Arbeitslose nach dem Bedarf der österreichischen Wirtschaft und der Betriebe.

Zur Frage 7:

Das Facharbeiter-Stipendium wurde nicht abgeschafft. Ganz im Gegenteil, der Neuzugang ist aus Budgetgründen vorübergehend reduziert worden. Ich setze mich ganz massiv dafür ein, dass es zu einer Wiederaufnahme kommen kann.


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Zu den Fragen 8 bis 17:

Einschränkungen der Freizügigkeit in Europa sind rechtlich nicht möglich. Einschrän­kungen vonseiten der Bundesregierung würden dazu führen, dass es Strafzahlungen gegen Österreich geben würde. Ich kann Strafzahlungen gegen Österreich in dem Sinne keinesfalls verantworten. Wir müssen aber auch darauf hinweisen, dass es viele Österreicherinnen und Österreicher gibt, die tatsächlich nicht in Österreich arbeiten, sondern die zum Beispiel in der Bundesrepublik Deutschland oder in anderen Ländern der Europäischen Union ihre Tätigkeit vollbringen.

Für mich ist ganz wichtig, ich habe es heute auch schon angekündigt: Wir werden bei dem Lohn- und Sozialdumpinggesetz sehr viel tun müssen, um Verschärfungen im Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping zu stärken. Dazu habe ich einen Gesetz­entwurf in Begutachtung versendet, der noch in Begutachtung ist. Wir werden uns in den nächsten Wochen intensiv damit auseinandersetzen – auch in diesem Haus –, wie wir Instrumente schaffen können, die die österreichische Wirtschaftsposition insgesamt stärken. Das ist aus meiner Sicht ein ganz zentraler Punkt.

Zu den Fragen 18 und 19:

Sie wissen, mir ist der Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping ein großes Anliegen, und ich setze mich, wo es erforderlich und möglich ist, auch dafür ein, dass wir Nach­schärfungen und vor allem auch eine lückenlose Kontrolle der gesetzlichen Vorgaben umsetzen. Dafür werde ich immer ein Ansprechpartner sein, und wir werden dazu auch alle Mittel ausnutzen.

Zu den Fragen 20 und 21:

Ich sage Ihnen ganz deutlich, einen Sozialabbau wird es mit mir nicht geben.

Zur Frage 22:

Die Novelle zum Lohn- und Sozialdumpinggesetz ist gerade in Begutachtung. Ich habe es schon angekündigt, diese wird in den nächsten Wochen auch das Parlament berühren, wir werden sie hier diskutieren. Mir ist wichtig, in diesem Feld einiges zu tun.

Zur Frage 24:

Ja, die Aufstockung der Finanzpolizei ist sinnvoll und würde eine noch effektivere Kontrolle ermöglichen.

Zur Frage 25:

Ja, selbstverständlich ist es mir ein Anliegen, primär arbeitslose Menschen wieder und möglichst nachhaltig in Beschäftigung zu bringen.

Zur Frage 27:

Ja, ich werde auch diese Forderung unterstützen.

Zu den Fragen 28 und 29:

Ich beantworte diese Frage mit Ja. Auch diese Forderung, die Lehrlingsausbildung zu stärken, werde ich unterstützen, weil ich zutiefst davon überzeugt und selber ein Beispiel dafür bin, dass eine Lehrlingsausbildung eine wichtige Grundlage für eine weitere Berufstätigkeit ist; und das ist mir wichtig.

Und da Sie es so gewollt und auch in der Begründung gesagt haben: Ja, reden wir über Rudi Hundstorfer. Das mache ich gerne. Rudi Hundstorfer ist ein Vertreter dieses Landes. (Unruhe im Sitzungssaal.)

Ich hatte im letzten Jahr mehrere internationale Kontakte, ich habe eine Vielzahl von Ländern mit Wirtschaftsdelegationen besucht. Und mir ist dabei aufgefallen, dass das


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Besondere, was andere Länder an Österreich schätzen, die Sozialpolitik ist, die Öster­reich betrieben hat.

Wir sind Weltmarktführer in der Sozialpolitik, und wenn uns ein Land und viele Men­schen in der Welt als Land erkennen, das eine gute Sozialpolitik macht, dann halte ich es für sehr wichtig, dass auch jemand an der Spitze dieses Landes steht, der diese Sozialpolitik repräsentiert, und das kann Rudi Hundstorfer sehr gut. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

15.13


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Ich mache darauf aufmerksam, dass gemäß § 61 Abs. 7 der Geschäftsordnung die Redezeit eines jeden Bundesrates mit insgesamt 20 Minuten begrenzt ist.

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte, Frau Kollegin.

 


15.13.26

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Besucher hier im Saal und vielleicht auch Zuhause am Live Stream! Was ich schon bemerkens­wert finde – und das möchte ich an den Anfang meiner Rede stellen –, ist, dass während der Debatte, die bei fast 500 000 Arbeitslosen eine ernsthafte ist, wobei jeder Einzelne ein Schicksal hat, sich offensichtlich Personen – vor allem von der ÖVP – hier königlich amüsieren, zum Teil wahrscheinlich über die Rede meines Kollegen Rösch – wobei ich nicht weiß, warum, schließlich hat er ja durchaus richtige Dinge gesagt, aber das haben Sie offensichtlich sehr lustig gefunden.

Ich kann Ihnen nur eines sagen: Jeder Einzelne dieser Arbeitslosen, dieser Arbeits­suchen­den, findet es überhaupt nicht so lustig, zumal sie immer länger brauchen, um einen neuen Job zu bekommen. Ich finde das auch wirklich der Würde dieses Hauses absolut nicht zuträglich, eine Debatte zur Arbeitslosigkeit, einer so massiven Arbeits­losigkeit, wie die Tschauner-Bühne zu behandeln. (Beifall bei der FPÖ. – Bun­desrat Mayer: Das betraf etwas ganz anderes, wir haben nicht über Arbeitslosigkeit geredet! Es ist eine Frechheit, uns so etwas zu unterstellen!) Es ist mir völlig egal, was der Anlass war! Tatsache ist, dass Sie hier sitzen und sich köstlich amüsieren! (Zwischen­rufe bei der ÖVP.) Und das darf ich hier falsch finden! Sie kommen, glaube ich, noch zu Wort, oder einer Ihrer Kollegen. Sie können das ja gerne noch einmal beantworten.

Herr Minister, die Wirtschaftskrise ist schuld, sagen Sie. – Na, das hören wir aber schon seit Jahren! Die Wirtschaftskrise ist in vielen anderen europäischen Ländern, zum Beispiel in Deutschland, nicht schuld. Die Deutschen haben einen Budgetüber­schuss und die Deutschen haben ihre Arbeitslosigkeit im Griff.

Bei uns ist das – das sage ich Ihnen – hausgemacht. Da zitiere ich Ihren Ex-Kollegen, den ehemaligen Landeshauptmann der Steiermark Voves, der, als er hier im Bundes­rat als Landeshauptmann gesprochen hat, gesagt hat: Zu 30 Prozent ist an der Finanz­lage Österreichs die Finanzkrise schuld und zu 70 Prozent ist sie hausgemacht. – Da gebe ich ausnahmsweise einmal einem sozialistischen Kollegen durchaus Recht. Das ist eine hausgemachte Geschichte. (Beifall bei der FPÖ.)

Sich immer nur auf die Finanzkrise auszureden, wird auf Dauer nicht haltbar sein. Sie machen es genauso wie Ihr Vorgänger, Sie kommen dann immer mit den allerneues­ten Zahlen aus dem Sozialministerium, die wir natürlich nicht kennen können, die nur Sie als Ressortverantwortlicher kennen.

Aber noch unter Ihrem Vorgänger hieß es am 4. Jänner 2016: 465 435 Menschen sind ohne Job. Bei den Zahlen, die Sie genannt haben, müsste die Arbeitslosigkeit abge-


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nom­men haben. Das hat sie aber nicht, ganz im Gegenteil: Sie steigt weiter. Diese Zahlen sind überall nachzulesen und basieren auf den Vorlagen des AMS. Also das, was mein Kollege Rösch gesagt hat, ist alles vom AMS. Da kann man jetzt also nicht hergehen und sagen: Die Zahlen stimmen alle nicht, die hat er sich wahrscheinlich irgendwie aus dem Finger gesogen.

Am stärksten, wie immer, wie seit Jahren, ist die Arbeitslosigkeit in Wien. Sie ist doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Dank der ach so grandiosen Rot-Grün-Regierung in Wien hat sich die Arbeitslosigkeit von 2010 bis 2016 mehr als verdoppelt. Das passiert also, wenn die Grünen mitregieren, dann ist es für die Arbeitslosen wirklich eine ganz tolle Sache, die Arbeitslosigkeit wird doppelt so hoch. – Danke schön, Rot-Grün! Danke, Grüne in einer Regierung! (Beifall bei der FPÖ.)

Genauso ist es bei der Mindestsicherung. Die Mindestsicherung ist von 129 000, also die Bezieher … (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.) – Herr Kollege Stögmüller, wenn Sie etwas zu sagen haben, gehen Sie hier heraus, sagen Sie etwas! Aber Sie knallen immer so raus! Ich sage Ihnen jetzt wirklich, ich habe schon einmal darüber nachgedacht: Ich habe echte Sorge, denn das, was Sie da immer machen, könnte zu einem Tourette-Syndrom führen. Also passen Sie ein bisschen auf! (Zwischenrufe bei den Grünen.)

Im Jahre 2014 gab es 160 152 Mindestsicherungsbezieher, und all das bei einer ach so tollen rot-grünen Regierung, und 65 Prozent der Mindestsicherungsbezieher österreichweit sind Wiener. Das sind Ihre Wiener Genossen mit den Grünen im Schlepp­tau.

420 000, wie mein Kollege schon ausgeführt hat, sind an der Armutsgrenze. Das ist natürlich ein Drama. Das wissen wir. Und diese Zahl verschiebt sich seit Jahren nicht nach unten, sondern eher nach oben, und österreichweit sind auch laut AMS Aus­länder und Ältere am stärksten betroffen. Zunahme der Arbeitslosigkeit bei Ausländern: plus 12,6 Prozent. Damit gehört mehr als ein Viertel der Gruppe der Arbeitslosen an.

Arbeitslose über 50 Jahre: Jahr auf, Jahr ab, jahraus, jahrein habe ich von Ihrem Vorgänger gehört, welche tollen Programme Sie machen, damit die älteren Arbeitneh­mer in Lohn und Brot stehen bleiben können. Ja, genau das Gegenteil passiert, es gibt eine Zunahme der Arbeitslosigkeit von plus 9,9 Prozent, also fast 10 Prozent.

Menschen mit Behinderung: eine Zunahme von 9,3 Prozent; Lehrstellensuchende: plus 3,4 Prozent. Dagegen haben die offenen Lehrstellen abgenommen. Wir haben 6 600 Lehr­stellensuchende und nur 2 600 Lehrstellen zur Verfügung.

Da hat es erst vor zwei oder drei Wochen eine Befragung von Unternehmern gege­ben – da kann dann die Frau Wirtschaftskammerpräsidentin noch etwas dazu sagen (Bundesrätin Zwazl: Danke schön, Frau Kollegin!) –, in der Unternehmer gesagt haben, warum sie keine Lehrlinge ausbilden können. Wollen würden sie ja – können! Sie finden nämlich keine qualifizierten Lehrlinge mehr. Sie finden keine Lehrlinge, die ausreichend lesen, schreiben und rechnen können und sich zu benehmen wissen. Der Faktor Benehmen wird immer wichtiger und steht bei manchen Unternehmern noch vor Lesen, Schreiben und Rechnen. Das muss man sich einmal vorstellen, dass wir schon so weit sind, dass gesagt wird, dass sie sich zuerst einmal benehmen können müssen. Da versagt die Bildungspolitik ja von A bis Z.

Die Menschen brauchen immer länger, um einen Job zu finden. Man braucht jetzt um 13 Tage länger als noch vor einem Jahr, um überhaupt Arbeit zu finden. Ich weiß ja nicht, wer von Ihnen schon einmal in der Situation war, Bewerbungen schreiben zu müssen. Am schlimmsten ist es, überhaupt keine Antwort zu bekommen, denn das ist so, als ob man gar nicht existierte. Für den Arbeitsmarkt existiert man eigentlich nicht.


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Der Rest sind Absagen, Absagen, Absagen, Absagen. Ich habe schon mit einigen Leuten gesprochen, die diese Erfahrungen wirklich dutzendfach gemacht haben, die hundert Bewerbungen geschrieben haben, 85 Absagen bekommen haben, und der Rest war Schweigen. Das geht einem an die Psyche, da fühlt man sich minderwertig, wertlos und nicht gebraucht. Das muss man einmal durchstehen, und da muss man einmal 103 Tage überstehen und dann immer noch motiviert sein und sagen: Ich gebe bei der Jobsuche nicht auf. Das sollten Sie alle im Hinterkopf speichern, wie entsetzlich das für Leute ist, die keine Arbeit haben.

Welche Branchen leiden am meisten? – Gesundheit und Sozialwesen, plus 9 Prozent. Da bin ich am meisten überrascht. Ich denke, im Gesundheits- und Sozialwesen brauchen wir doch mehr Leute. Wie gibt es das, dass dort 9 Prozent mehr arbeitslos sind? – Da stimmt etwas im System nicht, und das wird auch durch Schönreden und das Präsentieren von Zahlen, die keiner nachvollziehen kann, nicht besser. Dann kommt der Tourismus, dann kommt der Handel.

Selbstverständlich haben wir auch ein Problem mit den Zuwanderern, wobei AMS-Chef Kopf sagt, dass die sogenannten Flüchtlinge in diesen Arbeitslosenzahlen ja noch gar nicht angekommen sind. Derzeit gibt es 21 000 arbeitslose Flüchtlinge, das sind um 7 000 mehr als im Vorjahr. Dieses Jahr rechnet man mit 30 000 bis 35 000 mehr. Und Sie wollen immer noch an Ihrer Willkommenskultur festhalten! 30 000 bis 35 000 ange­sichts einer derart angespannten Lage am Arbeitsmarkt, und Sie sagen immer noch, dass wir schon alle aufnehmen sollen, weil alles andere unmenschlich wäre. Ich sage Ihnen – und das hat übrigens auch Ihr Vorgänger, Herr Minister Hundstorfer, in einer FPÖ-Anfragebeantwortung zugeben müssen –, dass das Drängen der Flüchtlinge und Zuwanderer auf den Arbeitsmarkt natürlich mit einer der Gründe ist, warum wir heute dort stehen, wo wir stehen. Also tun Sie nicht immer so, als ob das überhaupt keine Auswirkungen hätte!

Dann möchte ich Ihnen noch mitgeben, was Ihr Kanzlerberater und Arbeiterkam­merdirektor Werner Muhm von der SPÖ sagt: Österreich hat in der Europäischen Union den dritthöchsten Anteil an ausländischen Beschäftigten inklusive Arbeitslosen. Das hat also nicht die FPÖ erfunden, sondern das sagt der Kanzlerberater Werner Muhm.

Natürlich sind gute Kollektivverträge und attraktive Löhne ein Anreiz, aber auch unser Sozialsystem, und wir werden uns dann bei der Dringlichen Anfrage der Grünen noch über die Mindestsicherung unterhalten. Wenn Sie den Leuten das alles beim Grenz­übertritt anbieten, dann kommen die natürlich. Jeden Einzelnen kann ich verstehen, dass er das macht, aber die anderen müssen auch uns verstehen, dass wir nicht jeden hereinlassen können und nicht jedem bei Grenzübertritt eine Mindestsicherung geben können, und gleichzeitig sagen wir dem Mindestpensionisten, der 40 Jahre lang gear­beitet hat: Für dich gibt es leider nicht mehr Geld – was ja landauf, landab gesagt wird. Wir haben ja für die eigenen Leute überhaupt kein Geld mehr, weil sich die Regierung ausschließlich auf die Zuwanderer stürzt und konzentriert. Das kann es nicht sein! Das ist eine Politik, gegen die die FPÖ immer zu Felde ziehen wird. Da werden Sie in uns keinen Partner haben. (Beifall bei der FPÖ.)

Die SPÖ-Burgenland – das ist also nicht die SPÖ-FPÖ-Koalition im Burgenland, sondern die SPÖ-Burgenland – hat Herrn Direktor Muhm zu sich eingeladen und eine Resolution daraus entwickelt, die besagt, dass die Ostöffnung des Arbeitsmarkts, vor der wir so gewarnt haben, zumindest einmal teilweise eingeschränkt werden muss. Sie haben uns damals dafür so geprügelt, und der Vorgänger von Minister Stöger hat uns vorgeworfen, dass wir da schon wieder Panik machen, es kommen 5 000 bis 6 000. Wir wissen, dass ein Dreifaches davon gekommen ist, wenn nicht mehr, soweit wir die


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Zahlen dazu bekommen. Wir haben damals vor dieser Entwicklung gewarnt, und jetzt kommt die SPÖ-Burgenland und sagt genau das Gleiche.

Wir haben leider – leider muss ich sagen – einmal mehr recht gehabt. Ich wünschte mir bei vielen Dingen, wir hätten nicht recht, weil es ja Entwicklungen sind, die wir alle nicht haben wollen. Leider ist es immer wieder so, dass wir warnen, dann überschütten uns alle mit Spott und Häme und sagen: Das ist alles nicht wahr, und das haben wir gerade erfunden. Und dann kommen wir drauf, dass es natürlich schon leider so ist, wie wir das gesagt haben.

Rot-Weiß-Rot-Card – ein Rohrkrepierer erster Klasse: An qualifizierten Leuten sind 2015 gerade einmal 182 Facharbeiter in Mangelberufen gekommen, 57 Hochqualifi­zierte, 36 Studienabsolventen und 28 Selbständige.

Ich sage Ihnen etwas: Das, was wir brauchen, ist eine Offensive für das Unternehmer­tum. Wir haben sehr viele, sehr innovative Unternehmer, wir haben Unternehmer, die weltweit exportieren, weil sie Dinge entwickelt haben, die weltweit führend sind. (Beifall bei der FPÖ.)

Hut ab vor allen Unternehmern, die trotz Ihrer Regierungspolitik noch immer weiter­machen, innovativ und kreativ sind! Sie machen es künftigen Unternehmern, die sich selbständig machen wollen, die mit dem Gedanken spielen, verdammt schwer, durch viel Bürokratie, durch viele Fallstricke, durch viele Restriktionen, die Sie mit den letzten Gesetzen geschaffen haben. Es sind aber die Unternehmer, die die Arbeitsplätze schaffen.

Wenn die Politik, und das ist Ihre Regierungspolitik, nicht die Rahmenbedingungen dafür schafft, dass wir mehr Unternehmensgründungen haben, dann werden wir auch keine Arbeitsplätze haben. Die Lehrlingsstiftungen, in denen dann die Lehrlinge in irgendeiner Stiftung der Republik eine Lehre machen, sind nicht zu vergleichen mit dem dualen System, in der Lehre die Praxis und in der Berufsschule die Theorie. Daran müssen Sie arbeiten, da fordern wir Sie auf, endlich einmal tätig zu werden. Da werden Sie in uns immer einen Partner haben, aber wenn Sie so weiterwurschteln wie bisher, dann nicht. (Beifall bei der FPÖ.)

15.27


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Zwazl. – Bitte.

 


15.27.49

Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass zum Schluss etwas gekom­men ist, das ich nur unterstreichen kann: Es sind die Unternehmen, die die Arbeits­plätze schaffen. (Bundesrat Dörfler: Die Politik schafft die Rahmenbedingun­gen!) Und es ist so – und ich möchte nicht despektierlich sein, Herr Minister –, dass kein Minister die Stärke hat, Arbeitsplätze zu schaffen. Die Politik, und das sind wir alle, muss die Rahmenbedingungen und die Betriebsinfrastruktur schaffen, damit unsere Betriebe arbeiten können. (Bundesrätin Mühlwerth: Macht das einmal!)

Mit dem Klima, das wir haben, werden wir es nicht schaffen, denn für die Wirtschaft ist auch wichtig, dass wir eine gute Stimmung haben und nicht skandalisieren. Von einer Massenarbeitslosigkeit zu sprechen, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist schon maßlos. Wenn ich mir das anschaue – und ich habe nicht die Zahlen des Herrn Minister, so gut bin ich nicht, ich muss mich auf das verlassen, was ich lese und was im Internet steht –, haben wir im Februar 2016 10,4 Prozent Arbeitslose gehabt; 2015 haben wir 9,1 Prozent gehabt. Bei 10,4 Prozent


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von Massenarbeitslosigkeit zu sprechen, das ist maßlos, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Heuer im Februar hatten wir in Österreich 405 722 Arbeitslose. Das ist sehr viel. Wir bemühen uns, und wir machen auch sehr viel. (Bundesrat Krusche: Es ist offenbar zu wenig!) Ich möchte daran erinnern, Monika, dass wir für die Jugend etwas gemacht haben, dass wir eine Zukunftskonferenz gemacht haben, dass wir eine Enquete gehabt haben. (Bundesrat Krusche: Es reicht nicht, zu reden, man muss auch etwas tun!)

Es sind nicht alle Jugendlichen so, dass sie nicht lesen und schreiben können. Woher kommen denn die vielen guten Arbeitskräfte, die dann bei den EuroSkills und bei den WorldSkills die Medaillen machen? Wieso sind wir dreimal hintereinander Europa­meister? – Nur weil unsere Jugend nichts kann? Nicht böse sein! Das finde ich ganz arg, und damit torpedierst du die Arbeit, die wir gemacht haben, denn das war die Arbeit des Bundesrates.

Bitte, bringen wir nicht immer ein Bild in die Bevölkerung, dass wir lauter junge Leute haben, die nicht lesen und schreiben können! Ein paar haben wir immer schon gehabt. (Beifall bei ÖVP und SPÖ. – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Machen wir einmal weiter mit den Zahlen, die Herr Rösch genannt hat und die wir heute da und dort dann vielleicht anders gesehen haben. Du hast uns heute aber behandelt, als ob wir in der Schule sitzen würden. Vielleicht kannst du deinen Beruf nicht verleugnen, aber dort sind wir nicht. (Bundesrätin Mühlwerth: Ich bin aber gar keine Lehrerin!)

Ich möchte dazu sagen, dass es auch offene Stellen gibt, meine sehr geehrten Damen und Herren, und zwar haben wir – ihr (in Richtung FPÖ) könntet einmal aufpassen, dann wisst ihr es und dann braucht ihr nicht von Massenarbeitslosigkeit zu sprechen – 35 851 offene Stellen, die wir derzeit nicht besetzen können. Das muss man auch sagen.

Weil du die Lehrlinge erwähnt hast: Im Februar 2016 haben wir 5 767 Lehrstellen­suchende und 3 383 offene Lehrstellen gehabt, das ist ein Plus von 13,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr, und nicht sofort verfügbare offene Lehrstellen waren es 16 432. So schaut es aus, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Auf der anderen Seite dürfen wir auch nicht vergessen, dass wir eine positive Be­schäfti­gungsentwicklung haben. Wir haben eine Gesamtbevölkerung von 8,5 Millionen Menschen, wir haben über 4 Millionen Erwerbstätige, davon sind 3,5 Millionen unselbst­ständig Erwerbstätige, und wir haben in den letzten 15 Jahren eine Beschäftigungs­zunahme von 12 Prozent gehabt. Das soll man auch sagen.

Es gibt die Situation, in der wir sind. Noch einmal: Die wirtschaftliche Situation ist nicht einfach, und ich weiß, wovon ich spreche. Euer Herz schlägt immer für die kleinen und mittleren Betriebe. Ich komme aus so einem Unternehmen, ich habe es aufgebaut. Und ich weiß, was es heißt, Löhne zu zahlen. Ich weiß, was es heißt, Steuern zu zahlen. Ich weiß, was es heißt, Gesetze, Verordnungen zu haben. Ich rede nicht vom Hören­sagen, und deshalb stehe ich da und rühre mich auch. Ich lasse aber nicht unter­stellen, dass der Wirtschaftsstandort Österreich ein schlechter ist. Ich bin froh, dass ich in Niederösterreich und in Österreich lebe. Macht die Augen auf, und schaut euch um! Und verunsichert nicht unsere Leute! (Beifall bei ÖVP und SPÖ. – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Da von Herrn Kollegem Rösch angesprochen wurde – du (in Richtung Bundesrätin Mühlwerth) hast vorhin gesagt, dass man nicht dreinreden soll, du kannst dich dann auch gleich da herausstellen (Beifall bei ÖVP und SPÖ) –, dass wir so viele Insolven­zen haben: Es sind 5 126 Firmen im Jahr 2015 insolvent geworden. Das waren um


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5,5 Prozent weniger als 2014. Ich will überhaupt nichts schönreden, aber es ist eine Tatsache, dass unsere Unternehmen, unsere Unternehmerinnen und Unternehmer mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gut unterwegs sind. Und beiden gehört ein großes Lob ausgesprochen. Das sollen wir auch aussprechen, und man soll den Leuten, die in Arbeit stehen, den Dank und die Anerkennung für ihre Leistung auch zukom­men lassen. Wir haben in Österreich eine ungemein gute Unternehmenskultur. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Wenn wir uns anschauen, wie es mit den Arbeitslosen ausschaut, dann tut mir wirklich ein jeder leid. Man sieht aber auch, dass es ganz einfach wichtig ist, die Leute zu unterstützen. Es ist in unserem Interesse, dass wir sie wieder in die Arbeit hineinbekommen. Wie funktioniert das? – Wir müssen schauen, dass wir sie aus- und weiterbilden. (Bundesrätin Mühlwerth: Das höre ich jetzt schon seit Jahren! Wann macht ihr denn endlich etwas?)

Und du, Monika, redest nur und kritisierst alles. Ich kenne überhaupt kein einziges Konzept, das ihr gemacht hättet. (Beifall bei ÖVP und SPÖ. – Bundesrat Krusche: Wir sind auch nicht in der Regierung! Das kommt schon noch!) – Ich glaube, ich kann da lang schauen, denn wenn du etwas hättest, wärst du stolz darauf. Und ich bin auch stolz auf das, was wir machen. Wir machen viel für Lehrlinge, wir machen viel für die Unternehmer, wir machen viel für die Lehrlingsausbildung. Wir machen (Zwischenruf des Bundesrates Rösch) – geh, gib Ruhe! – tiergestützte Therapie. Das ist etwas! Wir gehen neue Wege. Zeigt einmal etwas auf! (Bundesrat Jenewein: Wir zeigen immer wieder etwas auf!)

Wir waren alle einig, als es darum gegangen ist, die jungen Leute zu unterstützen. Wir haben das auch gesagt. Wir haben zum Beispiel auf der Pädagogischen Hochschule jetzt einen Lehrgang eingerichtet, damit man den jungen Leuten das zukommen lassen kann, was sie brauchen: Berufsorientierung. Wir haben sie gefragt. Wir haben Geld in die Hand genommen. Wir haben die jungen Leute auf der Straße, auf den Bahnhöfen gefragt. Wir haben sie fragen lassen: Was wollt ihr eigentlich? Wie können wir euch unterstützen?

Da ist rausgekommen: Sie brauchen eine gute Berufsorientierung. Was haben wir gemacht? – Wir und auch die Arbeiterkammer haben Geld in die Hand genommen, und wir haben auf der Pädagogischen Hochschule einen Lehrgang entwickelt, damit wir die Jugendlichen unterstützen können.

Setzen wir uns doch hin und schauen uns doch an, was wir gemeinsam Gutes tun können! Stellen wir uns doch nicht immer nur hin und erklären, was alles schlecht ist, ein Schmarrn ist. Bitte schön, das stimmt doch gar nicht!

Es gibt genug, was man verändern kann. Da bin ich ganz eurer Meinung, dass man einiges verändern kann, und ich habe auch Wünsche aus der Wirtschaft. Auch ich sage: Was können wir denn tun? Wie können wir die Wirtschaft unterstützen? Ich verhehle auch nicht, dass ich mit der sechsten Urlaubswoche keine Freude habe. Ich verhehle nicht, dass ich mit dem Strafeuro auf Überstunden keine Freude habe.

Um die Wirtschaft anzukurbeln, möchte ich ganz einfach Investitionsprämien haben. Ich möchte beraten statt strafen, nicht, dass man wegen jedem Fehler, den man macht, eine Strafe bekommt. Sagt zuerst einmal, was falsch gemacht wurde, und dann erst die Strafe. Das ist etwas!

Wir machen auch etwas, um unsere Betriebe vor der Konkurrenz zu schützen. Wir wissen auf der einen Seite, dass wir Migranten brauchen, weil wir ganz einfach die demographische Lücke auffüllen müssen. Mir ist auch eingefallen: Vielleicht könntet ihr euch in dem Zusammenhang irgendwie besser mit der Migration anfreunden. Wenn ich


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mir zum Beispiel unsere österreichische Fußballnationalmannschaft anschaue – wir könnten uns gar keine leisten, wenn wir die Migranten nicht hätten. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

Noch etwas: Wenn man ein Problem erkennt, dann muss man etwas dagegen tun. Und ich bin sehr froh, dass wir jetzt das Bestbieterprinzip haben, damit unsere Betriebe, die reell arbeiten, auch eine Chance haben, die Aufträge zu bekommen.

Lohn- und Sozialdumpinggesetz – Herr Minister, da habe ich noch eine Bitte –: Man muss aufpassen, denn die Wirtschaft ist nicht aus einem Guss. Es gibt verschiedene Branchen, und für jede Branche wirkt es anders. Der Bau allein ist nicht die Wirtschaft. Bitte aufpassen! Da gibt es auch eine Stellungnahme.

Wenn ich ein Problem erkenne, wenn es unlauteren Wettbewerb gibt, dann habe ich ja nichts davon, wenn ich mich hinsetze und mich ständig bedaure. Das heißt, ich muss etwas tun. Und wir tun auch etwas. Wir haben uns mit der Finanzpolizei zusammen­getan, und ich war gestern von fünf bis acht Uhr früh in Drasenhofen an der Grenze und habe einmal geschaut, wie denn die Kontrolle der Finanzpolizei funktioniert. Sind sie wirklich so gut, wie sie mir erzählen, oder ist es ein zahnloses Instrument?

Wir haben in Niederösterreich 85 Finanzpolizisten, und die Kontrollen sind sehr effek­tiv, da wird genau geschaut. Ihr wisst ja, die müssen einen Nachweis der Anmeldung bei der zentralen Koordinierungsstelle, wann die Entsendung beginnt, welcher Dienst­nehmer wo eingesetzt ist, mitnehmen. Sie brauchen das A1-Formular, das ist eine Bestätigung, dass sie in ihrem Heimatland beim SV-Träger angemeldet sind, und Lohn­unterlagen als Nachweis dafür, dass die Mindestlohnvorschriften auch eingehalten werden.

Im Vorjahr haben wir ja auch immer darauf bestanden und davor gewarnt, dass Kon­trollen zahnlos sind, wenn sie kein Geld einheben können. So ist es nicht, denn jetzt ist es so, dass sie Sicherheitsleistungen verlangen. 2015 hat es zum Beispiel Geldstrafen von insgesamt 1 566 582 € und einen Zahlungsstopp von 476 990 € gegeben. Was heißt Zahlungsstopp? – Das heißt: Wenn sie bei Kontrollen kein Auto mithaben, das der Firma gehört, wenn sie kein Werkzeug haben, das der Firma gehört, man das Equipment also nicht beschlagnahmen kann und wenn sie kein Geld mithaben, dann darf der österreichische Auftraggeber an die Firma kein Geld überweisen. Daran sieht man, dass diese Kontrollen sehr wohl etwas nützen und bewirken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen uns aber alle auch selbst an der Nase nehmen, denn derzeit regiert ja die Einstellung: Geiz ist geil. Jeder will nur billig kaufen und überlegt sich gar nicht, dass er damit seinen eigenen Arbeitsplatz, sein eigenes Einkommen aufs Spiel setzt. Ich als Unternehmerin wünsche mir eine Auftraggeberhaftung, denn damit könnte das eine oder andere viel effektiver bekämpft werden.

Deshalb möchte ich an die Kollegen von der FPÖ wirklich die Bitte richten: Setzen wir uns doch zusammen! Überlegen wir uns, wie wir diese Situationen verbessern können und wie wir die Betriebe und die Unternehmer unterstützen können und bekämpfen und beschuldigen wir uns nicht gegenseitig.

Folgendes, Herr Kollege Rösch, muss ich schon sagen: Ich kenne mich in der Gewerkschaft nicht aus, aber ich kenne mich in meiner Organisation aus, und wir sind eine demokratische Organisation, da lasse ich mir nicht am Zeug flicken. (Bundesrat Rösch: Das glaubst aber nicht echt!) Wir werden gewählt, meine Herrschaften. (Bun­desrat Rösch: Von wem?) – Von den Mitgliedern, ich bin von den Mitgliedern gewählt, aber von unten rauf. Ich habe mich noch jeder Wahl gestellt, ob in der Kammer oder im Wirtschaftsbund, und da bekommt man die Stimmen nicht nachgeworfen. Wenn ich


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mich aber 20 Jahre irgendwo stelle und keine Stimmen bekomme, dann überlege ich mir auch etwas. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

15.40


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster ist Herr Bundesrat Pfister zu Wort ge­meldet. – Bitte.

 


15.41.11

Bundesrat Rene Pfister (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Bundesminister! Das ist die dritte Bundesratssitzung mit dem neuen Sozialminister, die dritte Bundesratssitzung mit Alois Stöger. (Zwischenruf des Bundesrates Mayer.) – Die dritte jetzt, seit er das Amt bekleidet.

Es macht den Anschein, dass der Herr Sozialminister gute Arbeit leistet, wenn die Opposition nur kritisieren kann, aber keine besseren Vorschläge hat. Also die Arbeits­marktpolitik des Sozialministers funktioniert hervorragend.

Arbeitsmarktpolitik allein kann keine Beschäftigung schaffen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Meine Vorrednerin hat schon angesprochen, dass andere Dinge auch noch dazugehören. Zu einer raschen Konjunkturbelebung gehört eine entsprechende Be­schäfti­gungs- und Konjunkturpolitik. Das ist nicht allein die Aufgabe des Sozialminis­ters, sondern da arbeiten auch noch ganz, ganz andere Kolleginnen und Kollegen in der Bundesregierung und ganz andere Minister mit.

Von unserem Sozialminister wurden hervorragende Schritte gesetzt. Es geht aber auch darum, die Finanzierung solcher Maßnahmen zu sichern, und das ist – meines Wis­sens, und so wie ihr es alle wisst – auch die Aufgabe des Finanzministers, gemeinsam mit dem Wirtschaftsminister. Es gibt Herausforderungen, die wir nur gemeinsam lösen können, und man darf den Schwarzen Peter nicht immer nur einer Person zuschieben.

Es sei hier auch erwähnt, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass summa summarum allein durch Änderungen im Pensionssystem in den Jahren 2009 bis 2015 7,5 Milliar­den € Überschuss erwirtschaftet oder nicht zur Auszahlung gebracht wurden. Es geht darum, dieses Geld auch effektiv einzusetzen. Um eine rasche Trendwende am Arbeitsmarkt herbeizuführen, brauchen wir in Österreich und in Europa spürbare konjunkturelle Impulse. Nur wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage angekurbelt wird, verbessern sich die Absatzchancen der Unternehmungen, und in Folge werden daraus – wie es bereits angesprochen wurde – wieder Arbeitsplätze geschaffen und es wird verstärkt investiert.

Neben Programmen auf europäischer Ebene gilt es auch in Österreich gezielte Maßnahmen zur Steigerung der Inlandsnachfrage zu setzen. Die Konsumnachfrage ist in Österreich seit 2010 durchschnittlich real nur um ein halbes Prozent gewachsen.

Es sei hier erwähnt, dass die Steuerreform, die mit Jänner 2016 in Kraft getreten ist – und das wird nicht nur prognostiziert, sondern man merkt es auch – eine Kaufkraft­stärkung und eine Konsumsteigerung bewirkt.

Wenn der Staat zudem Investitionen für die soziale und öffentliche Infrastruktur tätigt –für Kinderbetreuung, Schulen, Pflege, den öffentlichen Verkehr, Telekommunikation, Energie und so weiter – kann die Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung wieder in Schwung kommen, was sich in weiterer Folge auch positiv auf die Staatsfinanzen auswirken würde. Die Lohnsteuerreform geht daher in die richtige Richtung. Generell belegen aber die Studien, wie zuletzt vom Wirtschaftsforschungsinstitut, dass Arbeit nach wie vor zu hoch besteuert wird, aber diese Reform eine deutliche Entlastung bringen wird. Herr Kollege Rösch hat das schon ausgeführt.


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Wir wünschen uns aber, dass über die erreichte Lohnsteuerreform hinaus der Faktor Arbeit noch stärker entlastet wird, und dazu sollen auch rasch Maßnahmen zu einer Neuverteilung der Steuerlast unter der Heranziehung einer nicht-arbeitsbasierten Wertschöpfung erarbeitet werden. Ich freue mich, dass dann alle gemeinsam daran arbeiten werden, aber wie ich weiß, gibt es da immer wieder die Vertreter des kleinen Mannes, die dann, wenn es um die Entlastung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht, nicht dabei sind, lieber Bernhard Rösch. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Mayer.)

Wir Sozialdemokraten stehen für einen starken, zukunftsfähigen Sozialstaat. Für nachhaltig erfolgreiches Wirtschaften und für eine nachhaltige Konsolidierung des öffentlichen Haushaltes ist ein starker Sozialstaat ein unverzichtbares Element. Er garantiert die soziale Absicherung und faire Teilhabechancen aller Bevölkerungs­gruppen. Durch gezielte Investitionen in den Sozialstaat können strukturelle Probleme gelöst und Arbeitsplätze geschaffen werden. Gesellschaftlich gesehen sind das Inves­titionen in die Zukunftsfähigkeit Österreichs. Auf individueller Ebene nutzt der Sozial­staat allen, indem er zum Beispiel bei Risiken in bestimmten Lebenssituationen, wie zum Beispiel bei Krankheit und Arbeitslosigkeit, absichert, und er stärkt natürlich auch den friedlichen Zusammenhalt der Gesellschaft.

Die ökonomischen Fakten belegen, dass der österreichische Sozialstaat die wirt­schaftliche Entwicklung wesentlich und positiv beeinflusst hat. Aktuell zeigt sich das ganz klar bei der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise. Österreich ist vor allem deshalb verhältnismäßig gut durch die Krise gekommen, weil der Sozialstaat den kon­junk­turellen Abschwung abgefedert hat. Diese ökonomischen Fakten sprechen für sich. Trotz eines massiven Rückgangs der realen Wirtschaftsleistung um minus 3,5 Prozent im Jahr 2009, trotz zweistelliger Einbrüche bei den Exporten sowie sinkender Inves­titionen der Unternehmungen konnten die privaten Konsumausgaben stabil gehalten und gegenüber dem Jahr 2008 sogar fast um ein halbes Prozent gesteigert werden.

Das war, liebe Kolleginnen und Kollegen, in hohem Maße der Sicherheit der staat­lichen Pensionen und der Wirkung der anderen Sozialleistungen zu verdanken. Die konsum- und somit konjunkturunterstützende Wirkung dieser automatischen Stabili­sation erweist sich als tragfähiges Fundament für die Maßnahmen der aktiven Krisen­bewältigung. Damit wurden die realwirtschaftlichen Kosten der Finanz- und Wirt­schaftskrise deutlich abgefedert. Die Sozialleistungen haben wesentlich dazu beigetra­gen, die Einkommen zu stabilisieren und Panikreaktionen in Form von Konsumverzicht oder übermäßigem kollektiven und damit unmittelbar konjunkturschädlichem Sparen zu vermeiden.

Wir werden daher mit unserem Sozialminister den Sozialstaat für die Zukunft nicht nur krisenfest erhalten, sondern auch ausbauen, um den Menschen ein stabiles System der Absicherung gegen die Risiken von Krankheit, Arbeitslosigkeit und Altersarmut zu bieten.

Maßnahmen, um Migrations- und Integrationsherausforderungen zu meistern: Die Gründe für Menschen nach Österreich zu kommen, sind – in einer globalisierten Welt wie heute – sehr vielfältig. Derzeit reißt vor allem der Zustrom von Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen aufgrund der prekären geopolitischen Verhältnisse und neu entstehenden Krisenherde nicht ab. Er verstärkt sich sogar.

Eine nachhaltige Lösung kann hier nur eine Befriedung der Krisenherde sein. Der Großteil der Zugewanderten nach Österreich kommt jedoch – man sollte es nicht glauben  aus der Europäischen Union. Die Mobilität, vor allem jüngerer Menschen, steigt. Darüber hinaus sorgen auch global agierende Unternehmen dafür, dass mehr Menschen unterschiedlichster Herkunft zumindest temporär ihre Arbeitsplätze in Öster-


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reich haben. Der Zuzug von Menschen bedingt, dass die Bevölkerung und der Arbeits­markt in unserem Bundesgebiet wachsen. Es gilt, die Herausforderung der Migration rechtzeitig zu erkennen und die Integration auch aktiv zu gestalten.

Ein wesentliches Merkmal einer funktionierenden Gesellschaft und einer fairen Arbeits­welt ist die Gleichwertigkeit und die Chancengleichheit aller Beteiligten. Für uns gilt daher, dass die Herkunft der Menschen, ihre ethnische Zugehörigkeit oder ihre Religion keine Gründe für Diskriminierung in der Arbeitswelt sein dürfen.

Der Arbeitsmarkt in Österreich darf nicht aufgespalten werden. Die Menschen dürfen aufgrund sprachlicher Defizite oder Unkenntnis des österreichischen Arbeitsrechts nicht benachteiligt werden. Ein solches Sozialdumping gefährdet alle Arbeitsplätze, unter­läuft die Einkommensstabilität und muss daher vehement bekämpft werden. Dement­sprechend beraten und vertreten die Arbeiterkammer und andere Institutionen, natür­lich auch die Wirtschaftskammer (in Richtung Bundesrätin Zwazl blickend) – damit ich da nicht ge­maßregelt werde, dass ich die Wirtschaftskammer nicht auch als stabilen Partner in der Sozialpartnerschaft erwähne (Bundesrätin Zwazl nickt) –, sie in allen Fragen des Ar­beits- und Sozialrechts, des Konsumentenschutzes und der beruf­lichen Aus- und Weiter­bildung, der Chancengleichheit, der Gesundheit am Arbeitsplatz und vieles mehr.

In der wirtschaftspolitischen Debatte wird die Beschäftigungspolitik häufig mit dem Begriff Arbeitsmarktpolitik gleichgesetzt, welche aber nur einen Teilbereich trifft. Beschäftigungspolitik fasst aber alle wirtschaftspolitischen Aktivitäten zusammen, die der Beeinflussung der Beschäftigungslage, des Produktionsfaktors Arbeit dienen. Da­bei wird grundsätzlich auf die abhängigen Erwerbspersonen abgestellt. Unter Arbeits­marktpolitik hingegen werden Maßnahmen verstanden, die Angebot und Nach­frage auf dem Arbeitsmarkt und die Beziehungen zwischen ihnen direkt zu beein­flussen ver­suchen. Folglich umfasst die Beschäftigungspolitik ein größeres Feld als nur die Arbeits­­marktpolitik alleine. Darüber hinaus beinhaltet die Beschäftigungs­politik be­schäfti­gungs­fördernde Maßnahmen, die der Konjunktur-, Wachstums- und Struktur­politik zugeordnet sind.

Die Aussage des Herrn Rösch, dass die Schulungen für Inländer zurückgefahren wurden und für Ausländer erhöht wurden, ist falsch. Denn beim AMS gibt es arbeits­lose Personen, denen Schulungen angeboten werden, egal ob sie eine österreichische Staatsbürgerschaft oder eine andere haben. Dass generell Schulungen gekürzt wurden, ist ebenso nicht richtig. (Bundesrat Rösch: 6,7 Prozent!) Durch die Budget­restrik­tionen des Finanzministeriums wurde das umgeschichtet. Dass nun vermehrt Deutschkurse angeboten werden, ist richtig, das betrifft aber Personen mit Asylstatus und keine – wie Frau Kollegin Mühlwerth immer sagt – Flüchtlinge, die gerade ange­kommen sind, und das ist bekanntlich ein Beschluss der Bundesregierung und nicht allein des Sozialministers.

Wir unterstützen eine aktive Friedenspolitik. Wir werden sehr genau darauf schauen, dass für die ArbeitnehmerInnen der Grundsatz verwirklicht wird: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Es liegt natürlich nicht nur am Sozialminister, sondern an verschiedenen Ministerien – nämlich dem Wirtschaftsminister und auch dem Finanz­minister – genau darauf zu schauen. Hier vertrauen wir auf unseren Sozialminis­ter, der diese Arbeit nicht nur aufnimmt, sondern, wie bereits bewiesen – und das habe ich auch beim letzten Tagesordnungspunkt schon angesprochen –, Probleme erkennt, Lösungen verhandelt und dann auch gesetzlich umsetzt.

Lieber Herr Bundesminister! Herzlichen Dank für dein Engagement und auch für deinen Einsatz für die sozialen Agenden am Arbeitsmarkt in Österreich. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesräte Zwazl und Stögmüller.)

15.52



BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 108

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste ist Frau Bundesrätin Dr. Dziedzic zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


15.52.15

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrtes Präsidium! Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Die Situation am Arbeitsmarkt ist tatsächlich schlimm. Das wissen wir, und es steht außer Frage, dass es hier Maßnahmen braucht.

Was wir schon infrage stellen, sind die Lösungen der FPÖ, von denen hört man nämlich äußerst wenig. (Bundesrat Jenewein: Was sind denn eure Lösungen?) Tatsache ist jedenfalls, dass weder die Ausländer und die Ausländerinnen noch die offenen Grenzen die Situation am Arbeitsmarkt beeinflussen. Auch wenn Sie das nicht hören wollen, hängt das schon mit der Wirtschaftskrise zusammen, genauso wie mit den fehlenden Investitionen seitens des Bundes und auch der Länder oder mit der Tatsache, dass Österreich noch immer wenige – quasi monokulturelle – Branchen fördert, anstatt eine Modernisierung und eine Diversifizierung der österreichischen Wirtschaftsstruktur anzugehen. Die Probleme sind also tatsächlich größtenteils hausgemacht und solche – ich nenne es bewusst so – Scheinaktionen wie jene der FPÖ mögen zwar im derzeitigen Hetzdiskurs vielleicht Stimmen bringen, aber Prob­leme lösen sie keine.

Ich würde gerne auf eine aktuelle Studie des WIFO verweisen, es gibt nämlich vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung Beschäftigungsmultiplikatoren, die berechnet wurden: Darin findet man zum Beispiel, dass eine Erhöhung des öffentlichen Konsums um 1 Million € pro Jahr kurzfristig eine Auslastung von 22 Arbeitsplätzen be­wirkt, von denen 17 neu geschaffen werden. Es wäre vielleicht einmal spannend, sich das näher anzuschauen, weil die Ost-Erweiterung selbst werden Sie wahrscheinlich nicht rückgängig machen.

Ich finde es auch bezeichnend, dass Sie in Ihre Anfrage die Resolution der SPÖ Burgenland hineinkopiert haben und möchte deshalb auf die paar Punkte eingehen.

Zu Punkt eins muss Ihnen klar sein: Wer Schutzklauseln für den österreichischen Arbeitsmarkt verlangt, vergisst, dass diese auch in weiterer Folge zu Schutzklauseln gegenüber Österreichern und Österreicherinnen führen werden. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Ich frage mich schon, was zum Beispiel die SPÖ Burgenland oder auch Sie den Familien sagen – 26 000 sind Grenzgänger und Grenzgängerinnen in den anderen Bundesländern –, was Sie den ÖsterreicherInnen sagen, die im Ausland arbeiten oder auch zukünftig sozusagen von diesem Erwerbsregime, wie Sie sich das vorstellen, betroffen wären. (Bundesrätin Mühlwerth: Die Österreicher, die im Ausland arbeiten …!) Das sind nämlich 415 000 allein in Europa.

Zu Punkt zwei kann ich sagen: Gleichstellung der Arbeitnehmer und Arbeitneh­me­rinnen zu fordern, ist auf jeden Fall berechtigt und begrüßenswert. Nur niemand von Ihnen konnte bisher erklären, wie man das denn konkret umsetzen würde. Ich weiß nicht, ob Sie dann automatisch alle in Österreich anmelden würden, beziehungsweise wenn ja, ob dann die Leistungen exportierbar wären. Tatsache ist, dass wir keine Beiträge kassieren können, wenn zum Beispiel dann den Leuten im Bedarfsfall auch die Leistungen verwehrt werden. Das muss, glaube ich, auch klar sein.

Zu Punkt drei: Die Familienbeihilfe kommt auch immer wieder zur Sprache. Da muss Ihnen auch klar sein, dass es, wenn man die Familienbeihilfe für Kinder im Ausland reduziert, vor allem österreichische Familien trifft (Bundesrätin Mühlwerth: Wieso?), und außerdem zahlen diese Menschen Beiträge ein, also wäre es auch verfas­sungswidrig, ihnen diese Leistungen vorzuenthalten. (Bundesrätin Mühlwerth: Das stimmt ja so nicht!)


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Zu Punkt vier, ein besseres Vergaberecht: Ja, dafür wären wir auch. Das Problem ist aber bei der Auftragsweitervergabe, zum Beispiel im Bau, dass sich das durchaus mit der Bindung an Kriterien lösen lassen würde. Aber dafür setzen Sie sich wiederum nicht ein.

Zu Punkt fünf, die Aufstockung der Finanzpolizei: Das liegt als Forderung der Grünen seit Monaten im Nationalrat, und auch die Abgeordneten der SPÖ Burgenland genauso wie die der FPÖ haben sich beim Verzögern dieser Behandlung sehr rege beteiligt.

Zu Punkt sechs, zur moralischen Verantwortung: Da steht, dass man die in Österreich arbeitslos gemeldeten Menschen anstellen soll – natürlich sicher nicht die in Tschechien arbeitslos gemeldeten, insofern ergibt das hier ein wenig wenig Sinn.

Zu Punkt sieben wäre auch noch – weil wir diese Veränderung selbst als Grüne seit 2011 vorschlagen – zu sagen, dass sowohl die ÖVP als auch die FPÖ dagegen gestimmt haben. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Das sollten Sie sich vielleicht das nächste Mal genauer anschauen, wenn Sie Resolutionen in Ihre Papiere übernehmen.

Bezüglich fehlender Lösungen: Weil die einzige Lösung, die ich bis jetzt Ihrerseits vernommen habe, eigentlich die Verdrängung ausländischer Arbeitskräfte vom öster­reichi­schen Arbeitsmarkt wäre, habe ich Ihnen einen Ausdruck mitgebracht. (Die Rednerin hält ein Schriftstück in die Höhe.) Das bezieht sich auf Wien, basiert aber auf Datenquellen der Statistik Austria und wurde vom Institut für Soziologie analysiert. (Die Bundesräte Mühlwerth und Jenewein: Oje!)

Daraus geht nämlich hervor, dass Wien beispielsweise nicht nur hungriger, einsamer, älter und weniger vielfältig – das ist Ihnen wahrscheinlich eher egal –, aber auch weni­ger gebildet und weniger leistungsfähig wäre ohne Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund. (Zwischenruf des Bundesrates Jenewein.)

Zum Thema leistungsfähig ein paar Zahlen: Allein in der Gastronomie sind in der Führungsebene knapp 50 Prozent Migranten und Migrantinnen beschäftigt. Bei den Reinigungsfirmen hätten wir ein kleines Problem, da sind nämlich 94 Prozent Migran­ten und Migrantinnen beschäftigt, aber auch in sozialen Berufen würden uns zwei Drittel der Personen fehlen (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth), weil nämlich 65,5 Prozent der Personen dort einen sogenannten Migrationshintergrund haben. In der Verwaltung sind es knapp 30 Prozent, und – das wird Sie vielleicht über­raschen – im Bereich Schutz und Sicherheit sind 61,2 Prozent Menschen mit Migra­tions­hinter­grund beschäftigt.

Ich gebe Ihnen das gerne zum Nachschauen und würde mir wünschen, dass Sie, wenn Ihnen der Arbeitsmarkt und die Arbeitslosen wirklich derart am Herzen liegen, das nächste Mal mit konkreten Vorschlägen hier auftauchen. – Danke. (Beifall bei Grünen und SPÖ sowie der Bundesräte Zwazl und Mayer.)

15.59


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster ist Herr Bundesrat Samt zu Wort ge­meldet. – Bitte. (Bundesrätin Dziedzic begibt sich zu Bundesrätin Mühlwerth und über­reicht dieser ein Schriftstück.)

 


16.00.01

Bundesrat Peter Samt (FPÖ, Steiermark): Frau Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Das Thema, mit dem ich mich jetzt beschäftigen werde, ist im Rahmen dieser Debatte die Jugendarbeitslosigkeit. Ich möchte aber schon vorher auf ein paar Dinge eingehen, die hier zwischenzeitlich erwähnt wurden.


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Ich bin den Grünen sehr dankbar dafür, dass sie unseren Antrag hier sehr ausführlich besprochen haben. Das erspart mir dann in weiterer Folge Arbeit, wenn ich unseren Entschließungsantrag einbringe. Wir sind aber nicht wirklich verwundert; wir kennen Ihre Haltung. Ich weiß nicht, ob Sie den Begriff „qualifizierte Zuwanderung“ schon einmal gehört haben. Bei euch ist es grundsätzlich so, dass es wurscht ist, wer von wo kommt. Er ist in jedem Fall in Österreich qualifiziert. Da können wir uns nicht auf gleiche Ebene begeben, weil wir einfach wissen – und die Zahlen belegen es –, dass es zurzeit diese qualifizierte Zuwanderung in Österreich nicht gibt. – Das ist das Erste.

Das Zweite ist Folgendes: Liebe Frau Kollegin Zwazl (Bundesrätin Zwazl: Lieber Herr Kollege Samt!), wenn Sie von der Wirtschaft reden (Bundesrat Mayer: Da habt ihr eh schon einen!), dann rufe ich mir, da ich ein bisschen ein Elefantengedächtnis habe, eine Aussage eures Präsidenten, des Herrn Leitl, in Erinnerung, der im Oktober 2013 mitgeteilt hat, dass Österreich „abgesandelt“ ist. Wenn Sie uns jetzt vorwerfen (Bun­desrätin Zwazl: Was hat das mit Massenarbeitslosigkeit zu tun?!), dass wir hier in Österreich – hören Sie ein bisschen zu! (Bundesrätin Zwazl: Ich höre Ihnen zu!) – den österreichischen Wirtschaftsstandort schlechtmachen oder schlechtmachen wollen, dann ist das grundsätzlich einmal falsch. Entweder haben Sie nicht aufgepasst oder Sie hören zu wenig zu. (Zwischenruf des Bundesrates Mayer.) Nein, wirklich. Das, wobei Sie zum Beispiel schon schiefliegen … (Zwischenrufe der Bundesräte Mayer und Zwazl.) Das war doch kein Untergriff – hören Sie! –, das war doch kein Untergriff, das war die Wahrheit. (Rufe und Gegenrufe zwischen Bundesräten von ÖVP und FPÖ.)

Aber wenn Sie so wollen, dann sage ich Ihnen jetzt – weil Sie vorhin davon ge­sprochen haben, dass es endlich das Bestbieterprinzip gibt – Folgendes: Seitdem das Bundesvergabegesetz vorhanden ist, gibt es im Rahmen dieses Gesetzes die Möglich­keit des Bestbieterprinzips. Jede öffentliche Institution hat seit Jahren die Möglichkeit, nach dem Bestbieterprinzip vorzugehen. Jetzt also daherzukommen und zu sagen, dass es endlich das Bestbieterprinzip gibt, zeugt auch nicht gerade von großer wirtschaftlicher Kompetenz. Entschuldigung, aber man muss die Dinge beim Namen nennen.

Der Grund, warum ich jetzt hier stehe, ist ein anderer. In Wirklichkeit sind wir jetzt wieder bei der Begrifflichkeit. Wenn Ihnen das Wort „Massenarbeitslosigkeit“ nicht gefällt, dann gebe ich Ihnen vielleicht eine andere Möglichkeit, nämlich das Wort „Rekord­arbeitslosigkeit“ – genau die haben wir. Es hat eine Zeit lang gedauert und es waren einige Redner dran, bis gefallen ist, dass wir momentan eigentlich eine Rekord­beschäftigung haben. Wir haben in Österreich im Vergleich zu den vergangenen Jahrzehnten sehr viele Menschen mehr, und es ist natürlich klar, dass viele Menschen mehr in Österreich zu haben dazu führt, dass wir mehr Arbeit und mehr Beschäftigte haben. Wir können aber damit doch nicht die Rekordarbeitslosigkeit, die wir trotzdem haben, schönreden. Das kann man so sicher nicht stehen lassen.

In diesem Bereich geht es nicht nur um die allgemeine Arbeitslosigkeit, sondern um ein wirklich sehr, sehr schwieriges Kapitel, und dieses schwierige Kapitel heißt Jugend­arbeitslosigkeit. Wir haben österreichweit zurzeit eine Jugendarbeitslosigkeit von 12,4 Prozent. Umgelegt auf das Land Steiermark heißt das – da heute Ex-Landes­haupt­mann Voves schon in Rede gestanden ist, der als Steirer sehr oft und sehr kernig die Wahrheit verbreitet hat, auch innerhalb der SPÖ, wo er zum Teil nicht immer sehr geschätzt worden ist, aber trotzdem –, dass in der Steiermark mit Februar 2016 454 offene Lehrstellen gemeldet sind. 944 Lehrstellensuchende sind dagegen aufzu­rechnen. Das heißt, dass zurzeit 450 junge Steirer keine Möglichkeit und keine Chance auf einen Ausbildungsplatz haben.


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Österreichweit haben wir die Zahlen schon gehört. Annähernd 6 000 Lehrstellen­suchen­den stehen 3 300 offene Lehrstellen gegenüber. Auch da haben annähernd 2 700 österreichische Lehrstellensuchende keine Chance auf eine Lehrstelle. Dem muss man gegenüberstellen – auch wenn es wehtut –, dass in den letzten Jahren die Zahl der Betriebe, die Lehrlinge ausbilden, um rund 18 Prozent zurückgegangen ist. Diese Entwicklung, geschätzte Damen und Herren, ist eigentlich eine wirklich beängsti­gende.

Der Herr Minister hat es in seiner Beantwortung bereits erwähnt. Er ist tief überzeugt von der Lehrlingsausbildung – das rührt vielleicht daher, dass er selbst einmal gelernt hat, so wie ich auch; ich habe auch eine Lehre hinter mir und bin den zweiten Bildungs­weg gegangen –, aber wir müssen dafür natürlich Maßnahmen ergreifen und die Betriebe, die möglicherweise Lehrlinge ausbilden können, wirklich unterstützen.

Das ist der Handlungsbedarf, den wir akut haben, weil – und das ist auch ein Faktum – es aus unserer Sicht so ausschaut, dass da in den letzten Jahren eine völlig falsche Prioritätensetzung bei der Lehrlingsförderung stattgefunden hat. Überbetriebliche Maßnahmen sind natürlich auch wichtig, aber sie können bestenfalls eine Begleitung sein – eine Begleitung einer Maßnahme oder einer Förderungsaktion, die in Wirklich­keit folgendermaßen heißen muss: Betriebliche Lehrstellen sind prioritär zu behandeln. Das heißt, dass wir dort ansetzen müssen.

Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass Egon Blum vor Kurzem in der Steiermark bei einer Pressekonferenz die Bedeutung des dualen Ausbildungssystems hervorgehoben und auch davor gewarnt hat – und da sehen wir uns auch wieder in unserer Behaup­tung, dass wir aufpassen müssen, bestätigt –, dass dieses duale Ausbildungssystem in die Bedeutungslosigkeit abrutscht. Es ist so – und das kritisieren auch wir –, dass die Politik zurzeit in der Facharbeiterausbildung keine wirklichen Akzente setzt.

Geschätzte Damen und Herren, wenn wir in Zukunft keine erfolgreiche Fachkräfte- und Lehrlingspolitik in Österreich haben – oder jetzt akut einrichten werden –, dann werden wir auch in Zukunft Österreich als Produktions- und Dienstleistungsstandort im inter­nationalen Vergleich deutlich schwächen. Das wird dann nicht mehr so schön sein, wie Frau Kollegin Zwazl es behauptet oder gesagt hat – Entschuldigung, es war keine Behauptung –, nämlich dass wir zurzeit bei der Ausbildung noch auf vielen Ebenen internationale Spitze sind. Ich sage nur Europameister und so weiter; da sind einige Leute auch aus der Steiermark gekommen. Wir hätten jedoch gerne, dass das auch wirklich so bleibt. Die Zeichen stehen nicht so gut dafür.

Das steht im Gegensatz zu dem, dass Österreich mit seinen Wirtschaftstreibenden und Wirtschaftsbetrieben junge Menschen durchaus optimal auf den Arbeitsmarkt vor­bereiten kann. Deswegen müssen wir meiner Ansicht und der Ansicht meiner Partei nach vor allem die KMUs unterstützen, um da weitere Akzente zu setzen und diesem Lehrstellenmangel und dieser Jugendarbeitslosigkeit ein wirksames Mittel entgegen­zusetzen.

Natürlich spielt da auch die Bildungspolitik eine Rolle. Das ist so, und das ist ein Faktum. Auch in der Steiermark kenne ich selbst sehr viele Kollegen – auch aus dem Lager der ÖVP –, die das nicht nur behauptet, sondern bewiesen haben, dass sie Aufnahmeprüfungen in den Betrieben machen, bei denen erschreckende Ergebnisse herauskommen. Nicht rechnen zu können – die Grundrechnungsarten –, keinen vernünftigen deutschen Satz schreiben zu können, nicht lesen und nicht schreiben zu können, das und andere eingeschränkte Kenntnisse sind dort wirklich an der Tages­ordnung. Davor können wir uns nicht verschließen; das heißt, wir müssen auch und insbesondere im Pflichtschulbereich ansetzen, um da sozusagen unsere Jugend fit für die Arbeitswelt zu machen.


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Die FPÖ fordert schon zum wiederholten Male – und das ist nichts Neues, auch wenn die Grünen das nicht wahrhaben wollen – die Wiedereinführung des Blum-Bonus, weil diese Maßnahme in der Zeit zwischen 2004 und 2008 eine sehr, sehr erfolgver­sprechende war. Es hat sich gezeigt, dass damit ein Erfolg zu erzielen war und auch zu erzielen ist. Es ist auch und insbesondere ein Anliegen, dass wir die Einsetzung eines überparteilichen Lehrlingsbeauftragten sowohl auf Bundes- als logischerweise auch parallel auf Landesebene mit weiteren Maßnahmen fordern, die zum Beispiel die Übernahme der Berufsschulkosten durch die öffentliche Hand beziehungsweise Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst sein könnten, um hier weitere Lehrlingsstellen zu bekommen und Jugendliche auszubilden.

Ich möchte auch nicht verabsäumen, zu sagen – es klingt zwar wie ein Stehsatz, ist aber Realität –, dass Lehrlinge die Facharbeiter von morgen sind, die unser Land drin­gend benötigt. In dem Zusammenhang möchte ich schon auch erwähnen, dass wir in diesem Rahmen keine völlig verfehlte und unkontrollierte Zuwanderungspolitik brauchen, sondern – wie ich anfangs bereits gesagt habe – qualifizierte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, die uns nützt und den österreichischen Jugendarbeitsmarkt nicht noch mehr unter Druck setzt, so wie es sich derzeit auch zu entwickeln scheint.

Aus diesem Grund darf ich jetzt auch insgesamt zwei Entschließungsanträge einbrin­gen, und zwar zunächst den einen, den Ihnen schon die Kollegin von den Grünen rezitiert hat:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen betreffend Vorrang für österreichische Arbeitnehmer (Burgenländisches Modell)

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Kon­sumentenschutz wird ersucht, dem Parlament eine Gesetzesvorlage zuzuleiten, die jene Punkte im Arbeitsmarkt- und Sozialrecht umsetzt, die im sogenannten Burgen­ländischen Modell, auf der Grundlage des dazu beschlossenen SPÖ-Resolutions­antrags beinhaltet sind.

In formeller Hinsicht wird gemäß § 54 (3) GO-BR die Durchführung einer namentlichen Abstimmung über diesen Antrag verlangt.“

*****

Ich stelle den zweiten Antrag, der auch sehr sinnvoll ist:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Peter Samt, Kolleginnen und Kollegen betreffend Einführung des Blum-Bonus Neu

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich mit Nachdruck für die Einführung eines Blum-Bonus Neu einzusetzen.“

*****

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FPÖ.)

16.11



BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 113

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Der von den Bundesräten Jenewein und Samt, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend Vorrang für österreichische Arbeitnehmer (Burgenländisches Modell) und der von Bundesrat Samt, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend Einführung des Blum-Bonus Neu sind genügend unterstützt und stehen demnach mit in Ver­handlung.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mayer. Ich erteile ihm dieses.

 


16.12.42

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Nun, es gibt auch einiges richtigzustellen, das sich im Rahmen der Diskussion ergeben hat.

Kollege Bernhard Rösch hat uns am Anfang einen Querschnitt darüber gebracht, was er in letzter Zeit alles über Soziales gehört hat. Mir ist es irgendwie so vorgekommen wie eine soziale Wanderung durch den Wienerwald mit Bernhard Rösch. Das hatte aber mit einer Diskussion über Massenarbeitslosigkeit am Anfang überhaupt nichts zu tun – also wenn ich daran denke, was da gesagt wurde: Papamonat, Pensionssplitting oder meinetwegen Bashing der Sozialpartner, der Gewerkschaft oder Arbeiterkammer. Du bist selbst Arbeiterkämmerer und im erweiterten Bundesvorstand. Was das mit Massenarbeitslosigkeit per se zu tun hat, das ist mir aber jetzt wirklich schleierhaft.

Du nimmst den Rudi Hundstorfer da mit hinein: Ja, er war Sozialminister, ist aber jetzt eigentlich seit zwei Monaten nicht mehr im Amt. Weil du ihm da vorwirfst, was er in Wien sozusagen alles angestellt hat, sage ich dir eines: Viele im öffentlichen Dienst, lieber Bernhard, wären froh, hätten sie ein derartiges Dienstrecht wie die Wiener Gemein­debediensteten. Da wären viele, viele froh, ich sage dir das. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Frau Kollegin Mühlwerth, der ÖVP hier zu unterstellen, wir würden uns in der Diskus­sion über Arbeitslosigkeit praktisch über Arbeitslose lustig machen, das ist nicht nur eine Unterstellung, sondern einfach eine Gemeinheit, denn für uns ist jeder Arbeitslose ein Arbeitsloser zu viel. Unsere Unternehmerinnen und Unternehmer sind wirklich bemüht, die Arbeitslosigkeit nach Möglichkeit niedrig zu halten. – Und dass man uns hier sozusagen unterstellt, dass wir uns über Arbeitslose lustig machen, das ist ehrlich gesagt eine Gemeinheit, Frau Kollegin Mühlwerth. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Ja, man kann das auch verdrehen, und das ist eine verdrehte Tatsache. Liefert doch endlich einmal Konzepte, anstatt immer alles nur schlechtzureden. (Neuerlicher Zwi­schenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Uns fehlen eure Konzepte, Massenarbeits­losigkeit oder Arbeitslosigkeit sinnvoll zu bekämpfen. Diese Konzepte fehlen uns, Frau Kollegin Mühlwerth. (Beifall bei ÖVP und SPÖ. – Weiterer Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Herr Kollege Samt, in Ihre Richtung nur noch eine Bemerkung: Wenn man jemanden schlechtmachen oder schlechtreden will, soll man ihm zumindest keine körperlichen Gebrechen vorwerfen. In deiner Aussage über die Präsidentin hast du folgenden Satz erwähnt: Dann hören Sie nicht gut.

Auch wenn sie nicht gut hören würde, hat dieser Vorwurf in einer Diskussion im Bundesrat nichts zu suchen, Herr Kollege Samt, überhaupt nichts zu suchen. (Bundesrat Krusche: Wie oft haben wir ihn schon gehört?! Wir hören den laufend!) Das möchte ich jetzt einfach einmal mit Hinblick auf den Diskussionsbeitrag, den er hier eingebracht hat, ganz kurz erwähnen.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 114

In eurer Anfrage – und ich musste wirklich noch einmal nachlesen, nachdem Kollege Rösch hier gesprochen hat, ob es da wirklich um Massenarbeitslosigkeit geht – geht es vorwiegend auch um die Ausländerthematik. Wenn man sich die hinteren Fragen noch einmal zu Gemüte führt, dann sieht man, dass sich praktisch von 30 Fragen mehr oder weniger 26 um Ausländer drehen. Dazu muss ich dann einfach schon sagen, dass ihr das dann einfach thematisch auch ein bisschen anders hättet fassen können, denn es geht da auch um eine EU-Entsendungsrichtlinie. Den österreichischen Markt abzu­schotten, das geht nun einmal einfach nicht. Die Freizügigkeit, das wissen wir alle, ist eines der Grundrechte der EU, und das hat sich auch entsprechend darzustellen. Das muss auch erhalten werden. Da führt auch kein Weg daran vorbei.

Eine Abschottung des österreichischen Arbeitsmarktes kann einfach nicht stattfinden. Dies könnte, wie Frau Kollegin Dr. Dziedzic schon erwähnt hat, auch zu einem Pflege- und Betreuungsnotstand führen. Schauen wir uns an, wie das ausgeht, wenn wir die ganzen ausländischen Betreuerinnen und Pflegerinnen nicht mehr hereinlassen! Das ist dann ein massives Problem. (Bundesrätin Mühlwerth: Warum haben wir 9 Prozent mehr Arbeitslose in dem Sektor?!) Ja, aber wer macht uns dann bitte die Pflegearbeit, Frau Kollegin Mühlwerth? (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) – Du weißt doch ganz genau, dass Tausende von Leuten in der 24-Stunden-Betreuung sind. Die haben wir im Sozialbereich so notwendig wie einen Bissen Brot. Ohne die geht es einfach gar nicht. Das ist die Problematik. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

Darüber hinaus sind natürlich auch viele Österreicherinnen und Österreicher in der EU, im EU-Ausland tätig, insbesondere in exportorientierten Unternehmen. Die würden dann, wenn wir diese Entsendungsrichtlinie entsprechend adaptieren, auch wegfallen. Da schädigen wir zusätzlich auch noch Leute, die höchst qualifiziert sind und für Österreich im Ausland eine tolle und großartige Reputation darstellen, weil es Fach­kräfte sind. Das brauchen wir ganz dringend. Deshalb ist es nicht möglich, dass wir uns da abschotten, Frau Kollegin Mühlwerth. Das ist die Problematik an dieser Sache.

Ein nationaler Alleingang ist deshalb auch nicht möglich. Wo würde das hinführen, bei jeder Entsendung gleichzeitig auch einen Wechsel im Sozialversicherungssystem mitzu­machen? – Das ist administrativ auch gar nicht zu bewältigen. Das würde bedeuten, wenn man das so, in dieser Dramatik sieht, dass etwa ein Österreicher, der von seinem Unternehmen immer wieder für kurze Zeiträume in diverse Länder ent­sandt wird, neben seiner österreichischen Sozialversicherung noch etliche weitere Beitragszeiten in anderen Ländern sozusagen zur Kenntnis zu nehmen, zu bezahlen und zu sammeln hat. Das ist also eine Problematik, bei der man nicht einfach so über einen Kamm scheren kann.

Das, was die Strategie anbelangt – wie ich gehört habe, Herr Minister –, was Lohn- und Sozialdumping anbelangt, kann man nur vollkommen unterstützen. Dann müssten wir, was die Gesetzgebung anbelangt, wirklich nachschärfen, und die Strategie ist wirklich wesentlich und wichtig. Das kann man nur sagen.

Es gilt aber auch noch ein Problem anzusprechen, und das ist beim internationalen Einsatz von Arbeitskräften nicht nur die Entsendungsrichtlinie, sondern auch die unzu­reichende Zusammenarbeit der Behörden der EU-Mitgliedstaaten. Solange die Exekution zum Beispiel von Strafbescheiden im EU-Ausland nicht funktioniert und wir zum Beispiel noch Strafe zahlen müssen – also wenn eine allfällige Bestrafung für Unter­entlohnung in einem Land, im Herkunftsland nicht durchgesetzt wird –, dann kommt es einfach zu wettbewerbsverzerrenden Geschichten. Da muss man auch schauen, dass man das unterbinden kann.

Ich weiß schon, Herr Minister, dass Österreich da sehr bemüht ist, aber ich denke, auf EU-Ebene muss man da wirklich nachschärfen und schauen, dass es zu einer bes-


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seren Behördenkooperation kommt. Das wollte ich von meiner Seite aus zu dieser Thematik sagen, und ich würde einfach alle ersuchen: Wenn wir Dringliche Anfragen haben, dann sollte man sich auch dem Thema, das man aufgeworfen hat, ent­sprechend widmen, damit wir nicht an der Thematik vorbeireden und uns sozusagen gegenseitig mit Reden aufhalten. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

16.20


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Bitte, Herr Bundesrat Jenewein.

 


16.20.38

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein (FPÖ, Wien): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Herr Minister! Hätte mich Kollege Edgar Mayer in seiner Rede nicht quasi aufgefordert, dann hätte ich mich jetzt nicht zu Wort gemeldet. (Ruf bei der SPÖ: Oje!) – Ja, tut mir leid, das ist quasi eine Aufforderung gewesen. (Bun­desrat Mayer: Das gibt es immer! Das gibt es immer!)

Ich möchte jedoch schon ein paar Dinge klarstellen, denn man tut sich natürlich schon sehr leicht, zu sagen: Ja, diese Opposition, die bringt ja keine Vorschläge ein!

Direkt vor dem Kollegen Edgar Mayer war mein Bundesratskollege Peter Samt am Rednerpult und hat einen Entschließungsantrag zur Wiedereinführung des Blum-Bonus für die Steiermark eingebracht. Dieser Antrag liegt am Tisch, wurde verteilt, ist Gegen­stand der Debatte, und in der nächsten Wortmeldung höre ich: Na, ihr bringt ja keine Vorschläge ein!

Das erinnert mich jetzt ein bisschen an die Debatte, die wir heute bei den Tagesord­nungspunkten 7 und 8 geführt haben. Vielleicht solltet ihr euch einmal unsere Anträge durchlesen – statt sie von Haus aus zu vertagen oder abzulehnen –, euch ein bisschen mit der Thematik auseinandersetzen, dann würde sich euch vielleicht auch er­schließen, was wir wollen.

Weiß irgendjemand hier im Raum, wie viele Arbeitsrechtsbestimmungen es in Öster­reich gibt? Frau Präsidentin Zwazl weiß es vielleicht. (Bundesrätin Zwazl: 1 209!) Laut Präsident Leitl vom 9. Oktober 2014 sind es 110 000 arbeitsrechtliche Vorschriften (Bundesrätin Zwazl: Nein! 1 209!), und zwar sowohl nationale als auch EU-Vor­schrif­ten.

Ich habe mir dabei beispielhaft nur eine herausgesucht, die Arbeitsplatzevaluierung, und möchte das anhand eines Installateurs veranschaulichen. Das ist eine ganz tolle Geschichte, das kostet einen ganzen Arbeitstag, den natürlich der Installateur für seinen Techniker zahlen muss. Ich habe mir das selbst angeschaut, weiß das jetzt also nicht nur aus der Theorie, sondern auch aus der Praxis (Zwischenruf der Bundesrätin Zwazl), weil ein lieber Freund von mir eine Haustechnikfirma in Wien betreibt und auch Arbeitsplätze schafft. Jedenfalls sind da dann ganz tolle Einschulungen dabei, bei denen man erklärt: Diese Leiter hat sieben Sprossen, und wenn man versucht, auf die achte Sprosse zu steigen, dann fällt man auf der anderen Seite wieder herunter.

Das sind natürlich ganz tolle Geschichten. (Bundesrat Beer: Ja, ja!) – Ich weiß schon, natürlich ist es eine Polemik, aber im Endeffekt frage ich mich: Ist das wirklich not­wendig? Es stellt sich auch die Frage: Wer finanziert das, wer zahlt das? Wenn Sie heute sagen: Das hat nichts damit zu tun, dass wir in diesem Land eine massiv steigende Arbeitslosigkeit haben!, dann sage ich Ihnen: Genau das hat etwas damit zu tun, genau das hat etwas damit zu tun, weil das ja nur ein Baustein des großen Ganzen ist!


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Es hat schon einen Grund gehabt, warum der ehemalige ÖVP-Chef im Jahr 2013 gesagt hat, er möchte die Wirtschaft entfesseln. Die Frage ist nur: Was ist seitdem geschehen? Wo sind die Entfesselungen? Also bei den arbeitsrechtlichen Vorschriften kann diese Entfesselung, wenn man sich die Zahlen anschaut, nicht unbedingt statt­gefunden haben.

Was ist mit dem Eingangssteuersatz bisher geschehen? Die FPÖ fordert seit Jahren, diesen schrittweise in Richtung 25 Prozent zu senken. Wo sind wir derzeit? (Bundes­minister Stöger: 25 Prozent!) Noch immer bei 30 Prozent, bei nahezu 30 Prozent (Bundesminister Stöger: 25 Prozent!) – jetzt höre ich gerade, wir sind jetzt bei 28 Pro­zent. Wir müssen versuchen, diesbezüglich unsere Attraktivität zu steigern!

Und wenn ich mir Staatsquoten in der Wirtschaft von über 50 Prozent anschaue: Das ist natürlich für einen Wirtschaftstreibenden, der ja die Arbeitsplätze schafft, ein Wahnsinn. Ich stehe da nicht an, zu sagen: Na ja, wir sind dafür da, die Rahmen­bedingungen zu schaffen! Das ist ja ein typischer Politsprechallgemeinplatz. Man sagt: Die Wirtschaft schafft die Arbeitsplätze und die Politik macht die Rahmenbedingungen! Das ist so, als ob einer sagte: Eins und eins ist zwei. – Ja, das stimmt, nur: Wie geht es dann weiter?

Wir konnten bis zum Jahr 2007 – von unseren Zahlen, von der Statistik her – mit den Besten in Europa mithalten: Sowohl was das Wachstum betrifft, aber auch in Bezug auf die Arbeitslosenentwicklung waren wir auf einer Ebene mit den Schweden, wir waren mit dabei bei den Schweizern.

Da stelle ich mir dann natürlich schon die Frage: Was ist seitdem geschehen? Jetzt sagen Sie, Herr Minister Stöger: Es war die Wirtschaftskrise, Auslöser Lehman im Sep­tember 2008! – Ja, schon, aber bitte schön: Das ist acht Jahre her, und wenn man sich die Wachstumszahlen in Europa anschaut und mit den österreichischen vergleicht, dann muss man ganz einfach feststellen, dass auch vergleichbare Volkswirtschaften ein höheres Wachstum haben, und ich vergleiche Österreich da nicht immer mit der Bundesrepublik Deutschland – auch wenn wir den Faktor 1 : 10 rechnen könnten. Nehmen wir vergleichbare Volkswirtschaften her, auch von der Größe! Nehmen wir zum Beispiel Länder wie Schweden oder Dänemark, mit ähnlichen Einwohnerzahlen: Warum schaffen es die, ein höheres Wirtschaftswachstum zu erarbeiten als Öster­reich?

Da muss man sich eben die Frage stellen, ob nicht auch in der eigenen Verwaltung, ob nicht auch in der eigenen Politik das eine oder andere schiefläuft. Auch wenn der Kollege Edgar Mayer sagt: Ja, der Kollege Rösch hat so viele Dinge gesagt, es war ein Spaziergang durch den Wienerwald (Bundesrat Mayer: … sozialer …!) – wobei das zu dieser Jahreszeit sehr zu empfehlen ist, Herr Kollege Edgar Mayer, einem Freund aus dem Ländle kann man das durchaus einmal mitteilen, dass der Wienerwald um diese Jahreszeit sehr zu empfehlen ist! –: Natürlich, das Dienstrecht in Wien ist, ebenso wie das Pensionsrecht in Wien, eine tolle Sache, leisten muss man es sich halt können (Zwischenruf des Bundesrates Mayer), und das ist der Punkt!

Wenn ich mir dann auf der anderen Seite anschaue, wie sich die Budgets in diesem Bundesland entwickeln, dann sage ich ganz einfach: Na ja, wirklich leisten kann man sich das nicht mehr (Zwischenrufe der Bundesräte Dörfler und Mayer), das leistet man sich auf Pump. Da lebt man ganz einfach auf Pump, und da ist sehr wohl die Politik gefordert, und zwar – es tut mir leid – natürlich die Regierungsparteien, weil das sind diejenigen, die das im Endeffekt umzusetzen haben.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 117

Wir haben natürlich in der Verwaltung irrsinnig viel Potenzial, Dinge, an denen man arbeiten könnte. – Weil Sie gerade das Dienstrecht in Wien angesprochen haben: Das sind natürlich Dinge, wo es Einschnitte geben muss, aber das traut sich keine Regie­rung zu machen, und ich nehme da gar niemanden aus, weil das natürlich wehtut, weil es dort, wo man ins Fleisch schneidet, heikel wird, das weiß ohnehin jeder. Daher schreit dann jeder – jede Landesregierung, jeder Landeshauptmann –, denn keiner möchte auf seine wohlerworbenen Rechte verzichten.

Um aber auf Ihren Vorwurf am Schluss zurückzukommen, dass es bei den meisten Fragen unserer Dringlichen Anfrage nur um Ausländer geht (Bundesrat Mayer deutet auf seine Unterlagen) und um das Problem der arbeitslosen Ausländer. Ich habe da vom AMS – das sind also keine FPÖ-Zahlen, ich lasse mir da ja nichts vorwerfen – einen schönen bunten Ausdruck. (Der Redner hält eine Grafik in die Höhe.) Darauf kann man sich ansehen, wie sich das in den letzten Jahren entwickelt hat, und zwar auch die Arbeitslosenquoten nach Staatszugehörigkeit.

Ich darf dabei auch daran erinnern, wie wir dafür gescholten wurden, dass wir gesagt haben: Wir sollten die Übergangsregelungen für osteuropäische Arbeitnehmer verlän­gern und den Arbeitsmarkt nicht freigeben! Dafür sind wir gescholten worden. Ich kann mich noch an eine meiner ersten Bundesratssitzungen – die ich damals in der letzten Reihe verfolgt habe – erinnern, wie da mit der Zeitung gewachelt wurde und gesagt wurde: Das, was von den Freiheitlichen propagiert wurde, dass da jetzt der große Ansturm aus dem Osten kommt, das stimmt ja gar nicht!

Wenn wir uns auf diesem Ausdruck vom AMS die aktuellen Zahlen anschauen – und das ist da so schön farbig aufgelistet, ich kann es nur jedem empfehlen, das bekommt man auch auf der Homepage, und wir haben heute ja bereits gehört: Politiker bekom­men alles nur mehr auf Homepages, wir bekommen keine Unterlagen mehr, sondern alles nur noch digital, alles nur mehr auf der Homepage –, dann sind die Zahlen der Arbeitslosigkeit nach Staatszugehörigkeit natürlich schon bemerkenswert.

Es mag schon stimmen, dass wir bei den Unselbständigen einen massiven Zuzug aus der Bundesrepublik Deutschland mit 14,8 Prozent haben, das ist schon richtig, aber – auch das ist heute irgendwann gefallen – es ist bei Weitem nicht so, dass das die größte ausländische Arbeitnehmergruppe ist, das sind vielmehr mit 28,8 Prozent die Arbeitnehmer aus dem ehemaligen Jugoslawien. Da ist also schon ein deutlicher Unterschied von über 10 Prozent gegeben.

Jedenfalls: Wenn man sich da den Jahresdurchschnitt der Arbeitslosigkeit im Jahr 2015 nach Staatszugehörigkeit ansieht, dann sollten eigentlich schon alle Alarm­glocken läuten, denn damit importiert man sich natürlich auch Armut in dieses Land.

Wenn nun der Herr Sozialminister in der Beantwortung der Anfrage sagt: Ganz Europa beneidet uns um unser Sozialsystem, weil es so gut ist und weil es nachahmenswert ist!, dann sage ich: Ja, das mag schon sein, die Frage ist nur: Wie lange noch? Wie lange können wir uns das leisten, auch unter der Prämisse, dass wir ja mittlerweile schon den höchsten Steuersatz der Geschichte haben! Auch das darf man bitte nicht vergessen: Dieses Sozialsystem, das wir haben, ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern wird von den Staatsbürgern finanziert – und zwar von denen, die netto noch Steuern zahlen, von denen, die jedes Monat in dieses System einzahlen.

Das heißt, man muss sich die Frage stellen, wie lange wir uns das noch leisten kön­nen, und wenn es schon als Vorzeigesozialsystem in Europa gilt, dann stelle ich mir auch die Frage, ob nicht vielleicht auch das der Grund ist, warum wir seit vielen Jahren


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 118

damit zu leben haben, dass jedes Monat immer mehr Menschen in dieses Land kom­men.

Kommen die nicht vielleicht auch gerade wegen unseres Sozialsystems, weil sie es probieren: Sie kommen her, und wenn sie eine Arbeit kriegen, ist es gut, kriegen sie keine, wird ihnen nicht viel passieren, denn das soziale Netz in diesem Land ist – Gott sei Dank, sage ich dazu, Gott sei Dank – engmaschig genug, damit niemand oder fast niemand durchfällt.

Diese Frage muss man sich schon stellen, und wenn man das nicht tut, dann ist es einfach, der Opposition vorzuwerfen, sie bringt keine Vorschläge, was a) nicht stimmt, wie gerade mit zwei eingebrachten Anträgen bewiesen, und b): Bitte behandeln wir auf der anderen Seite einmal die Anträge in den Ausschüssen nicht derart, dass wir mit der ersten Wortmeldung gleich vertagen, sondern setzen wir uns damit inhaltlich auseinan­der. Da haben wir die Zeit, da ist jeder darauf vorbereitet, und da könnte man ja auch durchaus nicht nur die rhetorische, sondern vielleicht einmal die intellektuelle Klinge kreuzen. Das wäre für viele durchaus ein Spaß, dass man seinen Nachmittag in einer besseren Atmosphäre verbringt. Es ist nämlich auch nicht notwendig, dass ein Ausschuss nur 10 Minuten dauert. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

16.31

16.31.10

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wünscht dazu noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen nun zur Abstimmung.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Jenewein, Samt, Kolleginnen und Kollegen auf Fas­sung einer Entschließung betreffend Vorrang für österreichische Arbeitnehmer (Bur­gen­ländisches Modell) vor.

Es ist hiezu namentliche Abstimmung verlangt worden.

Da dieses Verlangen von fünf Bundesräten gestellt wurde, ist gemäß § 54 Abs. 3 der Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung durchzuführen. Ich gehe daher so vor.

Im Sinne des § 55 Abs. 5 der Geschäftsordnung erfolgt die Stimmabgabe nach Aufruf durch die Schriftführung in alphabetischer Reihenfolge mündlich mit „Ja“ oder „Nein“. Ich bitte um deutliche Äußerung.

Ich ersuche nun die Schriftführung um den Aufruf der Bundesrätinnen und Bundesräte in alphabetischer Reihenfolge.

*****

(Über Namensaufruf durch Schriftführerin Junker geben die Bundesrätinnen und Bundesräte ihr Stimmverhalten mündlich bekannt.)

*****

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich mache von meinem Stimmrecht Gebrauch und stimme mit „Nein“.

Die Stimmabgabe ist beendet.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 119

Ich unterbreche zur Auszählung der Stimmen kurz die Sitzung.

*****

(Die zuständigen Bediensteten nehmen die Stimmenzählung vor. – Die Sitzung wird um 16.35 Uhr unterbrochen und um 16.36 Uhr wieder aufgenommen.)

*****

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf und gebe nunmehr das Abstimmungsergebnis bekannt.

Demnach entfallen auf den Antrag auf Fassung der eingebrachten Entschließung bei 51 abgegebenen Stimmen 10 „Ja“- und 41 „Nein“-Stimmen. Der Antrag auf Fassung der eingebrachten Entschließung ist somit abgelehnt.

Mit „Ja“ stimmten die Bundesrätinnen und Bundesräte:

Dörfler;

Herbert;

Jenewein;

Krusche;

Längle;

Mühlwerth;

Pisec;

Raml, Rösch;

Samt.

Mit „Nein“ stimmten die Bundesrätinnen und Bundesräte:

Anderl;

Beer, Blatnik, Bock, Brunner;

Ebner;

Dziedzic;

Forstner, Fürlinger;

Gödl, Grimling, Gruber-Pruner;

Hackl, Heger;

Junker;

Kern, Kneifel, Köck, Koller;

Ledl-Rossmann, Lindinger, Lindner Mario, Lindner Michael;

Mayer;

Novak;

Oberlehner;

Pfister, Posch-Gruska, Preineder, Pum;

Reiter;


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 120

Saller, Schennach, Schödinger, Schreyer, Stöckl, Stögmüller;

Todt;

Weber, Winkler;

Zwazl.

*****

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Es liegt ein Antrag der Bundesräte Samt, Kolleginnen und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Einführung des Blum-Bonus Neu vor. Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmenminderheit. Der Antrag auf Fassung der gegenständlichen Entschließung ist daher abgelehnt.

16.37.40 Dringliche Anfrage

der Bundesräte Mag. Dr. Ewa Dziedzic, Mag. Gerald Zelina, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz be­treffend bundeseinheitliche Bedarfsorientierte Mindestsicherung (3139/J-BR/2016)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über die Dringliche Anfrage der Bundesräte Mag. Dr. Ewa Dziedzic, Heidi Reiter, Nicole Schreyer, David Stögmüller, Gerald Zelina an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz.

Da die Dringliche Anfrage inzwischen allen Mitgliedern des Bundesrates zugegangen ist, erübrigt sich die Verlesung durch die Schriftführung.

Ich erteile Frau Bundesrätin Mag. Dr. Dziedzic als Antragstellerin zur Begründung der Anfrage das Wort. – Bitte.

 


16.38.35

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrte Präsidentin! Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Selten war eine Dringliche Anfrage aus unserer Sicht so dringlich, wir haben heute jedenfalls keine Themenverfehlung. Die Mindestsicherung ist nämlich in aller Munde, und mehr noch: Seit gestern liegt der Bundesregierung ein Gutachten vor, zu dem es aber unterschiedliche Interpretationen der Regierungsparteien gibt. Umso mehr wollen wir Klarheit haben.

Ungeachtet dessen, dass die Mindestsicherung weniger als 1 Prozent des gesamten Sozialbudgets ausmacht, präsentierte gestern in Oberösterreich die schwarz-blaue Landesregierung ihre Kürzungspläne für anerkannte Asylwerber, Asylwerberinnen und subsidiär Schutzberechtigte. Sie sollen künftig nur mehr 365 € plus einen an Auflagen gebundenen Integrationsbonus von 155 € , in Summe also 520 € statt wie bisher 914 €, an Mindestsicherung erhalten. Wir wissen zum einen alle, dass eine unzu­reichende Existenzsicherung noch mehr soziale Probleme schafft und auch weniger soziale Sicherheit bedeutet. Sie kennen vielleicht das Gutachten, das gestern vorgelegt wor­den ist, wo klargestellt wird – und Sie haben auch selber auf genau diesen Passus verwiesen –, dass die Status-Richtlinie der EU in Bezug auf Sozialhilfe und medizi­nische Versorgung bei Flüchtlingen die Gleichbehandlung im Verhältnis zu Staats­bürgern fordert und in Bezug auf den Zugang zu Wohnraum und die Freizügigkeit im


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 121

Aufnahmeland jene im Verhältnis zu Drittstaatsangehörigen. (Vizepräsident Gödl übernimmt den Vorsitz.)

Heute haben im Übrigen im oberösterreichischen Unterausschuss Experten und Expertinnen die Kürzungspläne als rechtswidrig verurteilt. (Ruf bei der ÖVP: Das stimmt nicht, das ist einfach falsch! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Gut, Sie können das dann gerne richtigstellen, falls Sie andere Informationen als wir haben. Wir haben genau diese.

Weiters sollte jedenfalls – und da werden Sie mir recht geben – gerade dem Bundesrat bekannt sein, dass es sogenannte Ziele aus der Bund-Länder-Vereinbarung aus dem Jahr 2006 gibt – da geht es um einheitliche Mindeststandards in allen Bundesländern, und zwar im praktischen, alltäglichen Vollzug – sowie auch die damals vereinbarte harmonisierte landesgesetzliche Regelung, was die Sozialhilfe anbelangt. Das wurde nicht nur nicht erreicht, sondern das wird aktuell von einzelnen Bundesländern bewusst untergraben. Kurz: Weder existiert eine bundeseinheitliche soziale Absicherung für Menschen in Problemlagen, noch wurden bundesweit einheitliche Vorgehensweisen und Standards etabliert.

Aufgrund der aktuellen Vorkommnisse erscheint es uns deshalb sehr dringend, dass der Bund zur Verbesserung der Lage der Betroffenen und zur Erreichung der selbst­gewählten Ziele von seinem im Artikel 12 Bundes-Verfassungsgesetz festgelegten Recht auf Erlass eines Grundsatzgesetzes zur Mindestsicherung Gebrauch macht. Wir haben 18 Fragen formuliert, auf die wir gerne Antworten von Ihnen hören würden. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

16.42


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Zu Wort gemeldet ist nun Herr Bundesminister Stöger. – Bitte.

 


16.42.26

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé|: Herr Präsident! Hohes Präsidium! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es dürfte ja eine Besonderheit sein, in drei Sitzungen vier Anfragen zu beantworten. Aber das freut mich insbesondere, weil ich ein Anhänger auch davon bin, die Stellung und die Rolle des Bundesrates insgesamt zu stärken.

Ich glaube, dass gerade das Thema Mindestsicherung ein Thema ist, mit dem sich der Bundesrat ganz intensiv auseinandersetzen muss, und zwar, wo es darum geht, in Österreich einheitliche Regelungen zustande zu bringen, wo aber insgesamt die Gesetz­gebung Ländersache ist. Da geht es darum, dieses Land Österreich in der Verwaltung regional zu gestalten. Da geht es aber auch darum, in den Rechts­ansprüchen und in den Zugängen der Menschen gemeinsame Rechte und Bedürfnisse der Menschen in Österreich zu beschreiben.

Ich möchte auf etwas hinweisen, was mir auch persönlich sehr wichtig ist. Wenn wir über Mindestsicherung reden, dann reden wir über Menschen, die es in dieser Gesellschaft aus unterschiedlichsten Gründen nicht leicht haben. Wir reden von Menschen, die auf Hilfe anderer angewiesen sind. Wir reden von Menschen, die manchmal auch schlichtweg Pech gehabt haben; und das ist nicht aus ihrem eigenen Verschulden oder sonst wie entstanden. Und: Wir reden über Haltungen! Wir reden über Haltungen, wie wir mit anderen umgehen. Ich glaube, das ist auch wichtig.

Gestatten Sie mir als Minister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, die Funk­tionen der Mindestsicherung zu beschreiben. Wir haben – und ich halte das für einen sozialpolitisch wichtigen Schritt –, wir haben es geschafft, mit dem Instrument einer Artikel-15a-Vereinbarung freiwillig in Österreich gemeinsame Positionen einzunehmen.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 122

Die Länder und der Bund haben sich auf eine gemeinsame Mindestsicherung auf freiwillige Art und Weise politisch verständigt.

Dieses gemeinsame Commitment, diese gemeinsame Position war von Folgendem geprägt. Sie war geprägt davon, dass alle Österreicherinnen und Österreicher wollen, dass es in Österreich keine Obdachlosigkeit gibt. Ich glaube, das ist ein wichtiger Wert. Ich kenne keine Menschen, die wollen, dass es in Österreich Obdachlose gibt.

Das zweite wichtige Kriterium ist, dass alle in Österreich wollen, dass Menschen, die hier leben, auch Nahrung haben. Auch das wollen alle Österreicherinnen und Öster­reicher; die wollen, dass alle Nahrung haben, insbesondere die Kinder. Manche reden da immer von hohen Einkommen; die, die davon reden, haben wahrscheinlich gar keine Ahnung – und wahrscheinlich sind da herinnen auch nicht mehr viele, die das verstehen –, was es heißt, mit 837 € monatlich Nahrung für die eigene Familie aufzutreiben. Also das ist eine wichtige Funktion, die wir haben.

Die dritte wichtige Funktion dieser Mindestsicherung war und ist, dass wir zu Men­schen, die es nicht leicht haben, die auch am Arbeitsmarkt Probleme haben – wo auch wir alle uns schwertun, für diese die adäquate Arbeit zu finden –, sagen: Liebe Freunde, ihr müsst in die Mitte der Gesellschaft kommen! Wir laden euch ein, wir haben ein Angebot für Arbeit, ihr müsst dieses aber auch annehmen. Und wenn ihr Personen seid, die integriert werden müssen, dann haben wir Angebote der Integration, aber diese müsst ihr auch annehmen. Wenn ihr sie nicht annehmt, dann ist es wie bei allen anderen: Es wird die entsprechenden Konsequenzen und auch die entsprechenden Kürzungen geben! – Auch dazu haben wir uns bekannt.

Ich sage, die vierte für mich sehr wichtige Funktion der Mindestsicherung ist – und da, glaube ich, bin ich mit allen Österreicherinnen und Österreichern einig –: Wir wollen nicht, dass es in den Städten in Österreich Slums gibt.

Ich glaube, das wollen die Österreicherinnen und Österreicher, das ist der Punkt. So, und jetzt können wir darüber streiten: Wo ist der Level, wo wir Mindestsicherung gewähren müssen, wenn wir diese vier Funktionen erfüllen wollen? – Da kann man über 2,12 € streiten, das mag sein. Aber wir können nicht über 100 € streiten!

Und ich sage es noch einmal: Es war eine soziale Wohltat, das alte Modell der Sozialhilfe, das in den Bundesländern eine unterschiedliche Entwicklung genommen hatte, unter diesen vier Gesichtspunkten neu zu gestalten, und das in einem gemein­samen Prozess des Bundes und der Landessozialreferenten, die diesen Namen auch verdienen. Das ist ein Erfolg!

Ich bin mit diesen Landessozialreferenten zusammengesessen, über alle Fraktionen hinweg – ich sage das auch sehr deutlich –, und ich habe sie gefragt: Wollt ihr diese Funktionen aufrechterhalten? – Da haben zu mir alle ja gesagt. Ich sage das so deutlich da herinnen: Sie haben alle ja gesagt! Daher halte ich die Fortführung der Artikel-15a-Vereinbarung als freiwillige Vereinbarung zu diesem Thema für ein geeignetes Instrument, und mir haben die Landessozialreferenten ohne Widerspruch erklärt, sie wollen diese Artikel-15a-Vereinbarung auch fortführen.

Ich halte das für einen guten und wichtigen Schritt und möchte Sie auch um Folgendes bitten. Ich glaube, dass Sie da eine wichtige Funktion haben als Mitglieder des öster­reichi­schen Bundesrates. Sie haben hier die Aufgabe, diese gemeinsame Linie der Länder unter Achtung der österreichischen Bundesverfassung im Interesse der öster­reichischen Bevölkerung auch umzusetzen. Da bitte ich Sie, in den Diskussionspro­zessen in Ihren Landtagen – ich sage es so, wie man es bei mir daheim sagen würde – die Kirche im Dorf zu lassen. Tun wir da nicht polemisieren! An den Ärmsten kann man sich immer groß aufreiben. Nein! Schauen wir, dass wir die Kirche im Dorf lassen und


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diese vier Funktionen erreichen, nämlich die vier Funktionen, den Menschen Obdach zu geben, ihnen Nahrung zu geben, ihnen Arbeits- oder Integrationsmaßnahmen zu geben und Slums in Österreich zu verhindern.

Wenn wir das wollen und wenn das ein gemeinsamer Konsens der österreichischen Politik ist, dann halte ich dieses Instrument der Artikel-15a-Vereinbarung für ein sehr, sehr gutes. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich versuche, diese Ihre Fragen zu beantworten, und bedanke mich ausdrücklich für diese Dringliche Anfrage, weil es, glaube ich, wichtig ist, diesen Diskurs zu führen.

Zur Frage 1:

Da geht es darum, wie ich das Ergebnis aus Oberösterreich beurteile. Mein Informa­tionsstand ist der, dass diese Diskussion heute im Landtagsausschuss vertagt worden ist oder dass darüber diskutiert wurde und dann vertagt worden ist. Das ist schon ein gutes Zeichen, und ich danke dafür, weil auch die oberösterreichischen Abgeord­neten – ich sage das bewusst, das ist mein Bundesland – nachdenklich geworden sind. Das ist gut so, und ich möchte sie auch dazu aufrufen, bei dieser emotionalisierten Diskussion nicht mitzumachen.

Ich lade, bitte, auch hier die Bundesrätinnen und Bundesräte dazu ein, daran mitzu­wirken, dass das in den Parteien auch geht. Es braucht Menschen, die Vernunft haben, damit das auch geht und dass man hier die richtigen Schritte setzt.

Aus meiner Sicht – ich muss das so sagen aufgrund des Gutachtens, aber auch aufgrund internationaler, europäischer sowie österreichischer Rechtslagen – würde die vorgeschlagene Regelung in Oberösterreich nicht möglich sein, wenn man nicht das gesamte Schutzniveau aller Menschen in Oberösterreich reduzieren würde. Eine Trennung zwischen Inländern und Asylberechtigten ist an sich nicht zulässig und würde eigentlich die Status-Richtlinie, aber auch völkerrechtliche Grundlagen nicht akzeptieren.

Bei der Frage, ob man bei subsidiär Schutzberechtigten auf eine Kernleistung reduzie­ren kann, haben wir auch sehr deutlich gesagt: Die Mindestsicherung ist diese Kern­leistung! Ich sage es noch einmal deutlich für alle: Wir haben als Mindestnorm den Ausgleichszulagenrichtsatz. In der Artikel-15a-Vereinbarung ist geregelt, dass um ein Sechstel reduziert, nämlich um das 13. und 14. Gehalt beim Ausgleichszulagen­richt­satz reduziert, dies der Basisbetrag für die Mindestsicherung ist. Das heißt, das ist jene Kernleistung, mit der wir es schaffen, diese vier Funktionen zu erreichen.

Zu den Fragen 2, 3 und 7:

Sie kennen die Bundesverfassung so gut wie ich. Es kann der Verfassungsgerichtshof über Antrag der Bundesregierung gemäß § 138a nur feststellen, ob eine Verpflichtung nach Artikel 15a eingehalten worden ist oder nicht. Aber diese Feststellung kann nicht exekutiert werden, weil Gesetzgebungskompetenz in Fragen der Mindestsicherung Ländersache ist. Das heißt, insofern wäre das eine politische Festlegung eines Ge­richtes, und es liegt in der Natur von Artikel-15a-Vereinbarungen, dass diese politische Vereinbarungen sind. Die brauchen auch die politische Entscheidung in den gesetz­gebenden Körperschaften.

Daher sehe ich es so, dass in Hinblick auf eine mögliche Beschlussfassung – ich glaube ja nicht, dass das beschlossen wird, ich vertraue da den vernünftigen Men­schen in der Landesregierung, dass das nicht getan wird – es nicht sinnvoll ist, eine solche Maßnahme zum Verfassungsgerichtshof zu bringen, sondern es wäre sinnvoll, hier politisch die Auseinandersetzung zu führen. Sonstige Rechtsinstrumente stehen dazu nicht zur Verfügung.


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Zur Frage 4:

Derzeit – ich habe es schon angesprochen – wird die Artikel-15a-Vereinbarung neu verhandelt. Diese soll weiterhin vorsehen, dass die Bundesländer als Vertragspartner an völker- und europarechtskonforme Grundlagen gebunden sind. Auch in der neuen Artikel-15a-Vereinbarung sind bundeseinheitliche Mindeststandards vorzusehen.

Zu den Fragen 5 und 6:

Der Bedarfsorientierte-Mindestsicherungs-Versorgungsgrad ist ein Indikator für die Ab­deckung armutsgefährdeter Personen durch die Bedarfsorientierte Mindestsicherung. So stellt sich der BMS-Versorgungsgrad bei einer Armutsgefährdungsschwelle von 60 Prozent des Medianeinkommens – das ist die EUROSTAT-Definition – dar.

Im Österreich-Schnitt beträgt der Versorgungsgrad armutsgefährdeter Personen durch die BMS 22 Prozent. Das bedeutet, dass 22 Prozent aller armutsgefährdeten Personen einen BMS-Bezug haben. Der Versorgungsgrad ist am höchsten in Wien mit 36 Pro­zent und am geringsten in Kärnten mit 8 Prozent. Ich kann Ihnen diese Tabelle gerne auch zur Verfügung stellen, wenn Sie das wollen; sie ist nur nicht erklärbar.

Ich denke, dass durch die Einführung der Artikel-15a-Vereinbarung zur Mindestsiche­rung auch eine aktive Informationspolitik stattgefunden hat. Es ist in den letzten Jahren auch möglich geworden, dass die Non-take-up-Rate – da geht es um Menschen, die einen Rechtsanspruch haben und diesen nicht nachgefragt haben – beträchtlich gesenkt werden konnte und dass diese unterschiedlichen Regelungen dadurch, dass wir sie vereinheitlicht haben, auch leichter erklärbar und deutlich gemacht worden sind und damit auch umsetzbar sind.

Zu den Fragen 8 und 9:

Die Umsetzung erfolgt in Vollziehung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Landeskompetenz. Damit ist die Vollziehung durch die Bezirksverwaltungsbehörden oder Sozialämter vorgesehen. In arbeitsmarktpolitischen Angelegenheiten erfolgt die Beratung durch das AMS in Kooperation mit den Sozialbehörden.

Zur Frage 10:

Die Zuständigkeit für die Gesetzgebung und Vollziehung liegt in den Bereichen der Sozialhilfe bundesverfassungsrechtlich nach wie vor bei den Ländern. Inwieweit die Länder in ihren Leistungsspektren über die Mindeststandards der Artikel-15a-Verein­barung hinausgehen, bleibt ihre alleinige Zuständigkeit, und sie können das natürlich jederzeit machen.

Zu den Fragen 11, 12, 16 und 17:

Der Fokus liegt darauf, jungen Menschen eine gute Ausbildung zu ermöglichen, damit sie den Start ins Berufsleben schaffen und nicht aus der Arbeitslosigkeit heraus keine Chance mehr haben. Es geht darum, den Menschen Chancen zu eröffnen, gerade den jungen. Aus genau diesem Grund sollen in der neuen Artikel-15a-Vereinbarung folgen­de Maßnahmen verankert werden.

Ermöglichung von Erstabschlüssen durch Weitergewährung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung bei über 18-Jährigen: Da geht es um Qualifizierung statt Hilfs­arbeitertätigkeit. Flankierend dazu bereiten wir gerade die Ausbildungspflicht bis 18 vor, und das unterstützt auch diese Position.

Wir wollen den EinsteigerInnenbonus-Neu zur Erhöhung eines Arbeitsanreizes er­höhen, und zwar in der Zielrichtung 25 Prozent statt 15 Prozent, wie er bis jetzt vorge­sehen war.


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Die Ermöglichung der Teilnahme von BMS-BezieherInnen am Integrationsjahr: Da geht es wieder um Qualifizierung von Menschen. Es geht darum, die Verankerung der Hilfe zur Arbeit in der Artikel-15a-Vereinbarung noch zu stärken. Es geht um die Subven­tionierung von Beschäftigungsverhältnissen und darum, dass die Länder gemeinsam mit dem AMS zielgruppenspezifische Vereinbarungen zur Hilfe zur Arbeit tätigen.

Zur Frage 13:

Da es sich bei der Vollziehung der BMS um eine Länderkompetenz handelt, ist hinsichtlich dieser Fragestellung auf die Länder zu verweisen.

Zu den Fragen 14 und 15:

Die gewünschte stärkere Vereinheitlichung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung kann durch die Erlassung eines Grundsatzgesetzes nach Artikel 12 B-VG nicht erreicht werden. Über die Ausführungsgesetzgebung bliebe den Ländern nach wie vor Spiel­raum für bundesländerweise unterschiedliche Regelungen. Nach der Versteinerungs­theorie erfasst das Armenwesen nur kleine Teile dessen, was mit der Mindest­sicherung abgedeckt wird. Darüber hinaus wäre im Rahmen eines Grundsatzgesetzes nur das Ausgeben von Zielrichtungen möglich. Der Determinierungsgrad wäre sehr gering, sodass durch ein Grundsatzgesetz weitere Rechtszersplitterung drohe. Das eigentliche Ziel der Vereinheitlichung der Mindestsicherung würde daher weiter konterkariert.

Die Begrifflichkeit ist dem Entstehungszeitpunkt der österreichischen Verfassung geschuldet. Es geht darum, ob man den Begriff „Armenwesen“ noch zeitgemäß findet. Ich persönlich halte das nicht für zeitgemäß. Ich persönlich halte auch die Frage, ob es Grundsatzgesetzgebung und Ausführungsgesetzgebung geben soll, in einem Zeitalter, in dem man eine Europäische Union hat, ehrlich gesagt nicht für die idealste Form der Gesetzgebung – freundlich formuliert. Ich denke, es wäre an der Zeit, dass der Verfas­sungsgesetzgeber andere Regelungen trifft. Das betrifft nicht nur den Sozialbereich, sondern auch die Krankenanstaltenfinanzierung. Grundsatzgesetzgebung und Ausfüh­rungs­gesetzgebung halte ich für überreglementiert, das passt in das heutige Leben nicht mehr hinein.

Zur Frage 18:

Vorausgeschickt muss werden, dass die von der Statistik Austria festgelegte Armuts­gefährdungsschwelle auf Befragungs- und Verwaltungsdaten beruht, während ich die BMS-Höhe am Ausgleichszulagenrichtsatz orientiert habe. Wenn auch der Satz der BMS unter der Armutsgefährdungsschwelle liegt, gibt es, je nach Bundesland unter­schiedlich, weitere Geld- und Sachleistungen, mit denen BMS-BezieherInnen zusätz­liche Unterstützung gewährt wird, beispielsweise: Rezeptgebührenbefreiung, Rund­funk­gebührenbefreiung, Schulstartpaket, Schulstartgeld, Kinderabsetzbetrag. Es gibt diverse länder- und gemeindespezifische Unterstützungen wie zum Beispiel Mobilpass, Kulturpass, Wohn- und Mietbeihilfen. Bei Sachleistungen wie Kindergärten oder ambu­lanter stationärer Gesundheitsversorgung profitieren BMS-BezieherInnen ebenso wie andere Bevölkerungsgruppen.

Abschließend, meine sehr verehrten Damen und Herren, bitte ich Sie eindringlich: Machen Sie nicht mit, wenn es in schwierigen Situationen, in denen die Menschen Angst haben, darum geht, Druck auf die Ärmsten in dieser Gesellschaft auszuüben! Helfen Sie mit, den sozialen Frieden in Österreich zu erhalten! Dazu braucht es Menschen, die bereit sind, sich mit den Lebensbedingungen von Menschen, die es schwer haben, auseinanderzusetzen und ihnen zu helfen, anstatt andere Gruppen in der Gesellschaft gegen sie aufzubringen. Das ist eine wichtige Funktion. Wenn Sie sich hier im Bundesrat selbst stärken wollen, so ist das ein Feld, in dem jeder Bundesrat,


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jede Bundesrätin eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hat. Ich ersuche Sie darum. Ich helfe gerne mit. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller.)

17.04


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Stögmüller zu Wort. – Bitte.

 


17.04.24

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrter Herr Sozialminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort. Ich denke, sie war sehr zufriedenstellend. Danke auch für Ihre unterstützenden Worte, dass wir als Bundesrat dranbleiben sollen.

Es gibt noch einige Dinge, auf die ich eingehen möchte. Die Frage 11 lautete: „In welcher Weise soll in Zukunft Menschen, die auf Mindestsicherung angewiesen sind, ein Rechtsanspruch auf Ausbildung und Qualifikation eingeräumt werden?“

Ich verweise in diesem Zusammenhang auf ein Projekt, das wir gerade vorantreiben, nämlich das Projekt Back to the Future. Es geht dabei um Bildung statt Dauerschleife in der Mindestsicherung. Ich denke, das ist eine ganz tolle Initiative, bei der BMS-BezieherInnen unter 25 Jahren einen Rechtsanspruch auf Absolvierung einer Schul­ausbildung beziehungsweise einer einsetzbaren Berufsausbildung erhalten. Das soll nur erwähnt werden.

Noch einmal danke für das Armenwesen: Das werde ich dann auch weitergeben, das ist für uns sehr unterstützend.

Wieder zurück zur Debatte: In meinem Bundesland Oberösterreich finden Ereignisse statt, die uns fordern. Man hat davon aus den Zeitungen erfahren. Es fordert uns, dass eine schwarz-blaue Armutsfalle – ich korrigiere –, eine blau-schwarze Armutsfalle initiiert oder eingesetzt wird.

In Oberösterreich hat heute der Unterausschuss getagt. Meine Kollegin hat das schon angesprochen: Im Unterausschuss wurde dieser Wahnsinnsarmutsfallenantrag von Blau-Schwarz zum Glück – das muss ich wirklich so sagen – auf Eis gelegt und ist einmal vom Tisch. (Bundesrat Krusche: Die Mindestsicherung ist die Armutsfalle!)

Expertinnen und Experten haben uns Grünen recht gegeben, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben nämlich gesagt, dass die Höhe, die die oberösterreichische Landesregierung unter Blau-Schwarz vorgesehen hat, nicht rechtskonform und EU-rechtswidrig ist. (Zwischenruf des Bundesrates Fürlinger.) Das war die Aussage der Expertinnen und Experten. Fragen Sie bei Ihren KollegInnen nach! Kürzungen sind jetzt schon erlaubt. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Nennen Sie mich jetzt Lügner? – Kürzungen der Mindestsicherung sind jetzt schon erlaubt.

Es ist eine Armutsfalle, was Blau-Schwarz da beschließen möchte. Da wir gerade beim Unterausschuss sind: Es ist absolut nicht okay, dass eine Landesregierung die Oppositionsparteien so übergeht und gleich an die Medien weitergibt, dass es ein Oberösterreich-Modell gibt, ohne dass der Unterausschuss noch einmal getagt hat, obwohl das versprochen worden ist. Das ist die politische Ehrlichkeit einer blau-schwarzen Regierung – die existiert nämlich nicht.

Wieder zurück zu dieser Armutsfalle: Das betrifft Menschen, die anerkannte Flucht­vertriebene sind. Das muss unterstrichen werden: Sie sind anerkannte Fluchtvertrie­bene, das Asylverfahren ist bereits positiv verlaufen, weil nachgewiesen worden ist, dass diese Menschen in ihrem Heimatland verfolgt oder vertrieben wurden oder vor Krieg fliehen mussten. (Ruf bei der FPÖ: Oder Wirtschaftsflüchtlinge sind!) Das Asylverfahren ist positiv entschieden worden. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Sie


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werden ja jetzt nicht die Gesetzgebung in Österreich … (Neuerliche Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Man muss sich vorstellen, dass diese Menschen für 150 € eine Wohnung finden müssen. Sie dürfen maximal 215 € für Essen, Getränke und Hygieneartikel aufbringen. Sie müssen vielleicht auch noch eine ÖBB-Karte finanzieren, weil sie zu den Deutsch­kursen fahren müssen, damit sie wieder 155 € zusätzlich kriegen. Das sind die Förderungen, die von der oberösterreichischen Landesregierung angeboten werden.

Man kürzt also die Mindestsicherung fast um die Hälfte. Das muss man sich auch einmal auf der Zunge zergehen lassen: In dem Wort „Mindestsicherung“ steckt ja schon drinnen, dass das das Mindeste ist, von dem eine Bürgerin, ein Bürger in Öster­reich leben kann. Das ist eigentlich unglaublich.

Ich habe mir das einmal ausgerechnet. Heute habe ich mir in den „Oberösterreichi­schen Nachrichten“ die Wohnungsanzeigen angeschaut. Die billigste Wohnung in Linz kostet 270 €, ohne Strom, Betriebskosten sind dabei. 270 € Miete für 15 Quadratmeter, ohne Küche. Das lassen wir jetzt beiseite, aber es sind trotzdem 270 €. Zu den 270 € rechnen wir noch 15 € Strom im Monat. Zieht man das von den 520 € ab, dann bleiben noch 235 € zum Leben übrig.

Die Arbeiterkammer hat in einer Studie berechnet, wie viel Menschen in Österreich brauchen, um sich halbwegs über der Kaloriengrenze ernähren zu können. Menschen in Österreich benötigen dazu um die 326 €. Das heißt, das sind schon wieder um 90 € mehr als in Oberösterreich angedacht. Ich habe noch keine Körperhygieneartikel, keine Glühbirnen oder sonst etwas dazugerechnet. Es sind 90 € weniger als der Betrag, um den sich ein Österreicher ernähren kann.

Die Spitze ist, dass bei den 155 € keine Förderung dabei ist. Die Deutschkurse werden ja nicht gratis angeboten. Fragen Sie in der Volkshochschule nach! Die Kurse kosten etwas, und das muss man von diesem Beitrag auch wieder bezahlen.

In Oberösterreich wurde im Wahlkampf immer mit dem Hausverstand geworben – und ich schaue da jetzt wieder auf die rechte Seite (in Richtung ÖVP). Das ist keine menschliche Lösung, das ist keine christliche Verantwortung gegenüber den Mit­menschen in Oberösterreich oder in anderen Bundesländern. Das ist ganz klar.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eines, das auch der Herr Sozialminister schon erwähnt hat, steht fest, und das möchte ich unterstreichen: Soziale Sicherheit ist ein wesentlicher Teil der öffentlichen Sicherheit. Das ist kein Zitat von mir, sondern ein Zitat des Landespolizeidirektors aus Oberösterreich. Der ist sicher nicht grün. Das will ich unterstreichen. Er ist sicher nicht grün und hat das gesagt. Das sollte Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen aus Oberösterreich von der ÖVP, einmal zu denken geben – und natürlich den Kollegen von der FPÖ, aber das nehme ich jetzt nicht … (Ruf bei der FPÖ: Ja genau, ist eh besser so!)

Was geschieht, wenn Schwarz-Blau oder Blau-Schwarz den Betroffenen die soziale Sicherheit nimmt? – Die Menschen sind gezwungen, sich andere Wege zu suchen. Das führt nicht nur zu Obdachlosigkeit, sondern auch zu Kriminalität, Drogenhandel und Prostitution, meine sehr geehrten Damen und Herren. Vielen werden keine anderen Optionen bleiben, ihren Lebensunterhalt anders zu verdienen als auf diesen Wegen. Das gilt es zu verhindern, und unser Sozialsystem rigoros zu kürzen ist ganz sicher der falsche Weg.

Das zeigt sich auch bei dem Vorschlag, der heute vielleicht wieder auftauchen wird, Geld durch Sachleistungen zu ersetzen. Da gibt es große Kritikpunkte, denn ein Ausgleich mit Sachleistungen ist teuer, und die Umsetzung ist nicht praktikabel. Das


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bestätigen auch Expertinnen und Experten ganz klar. Wenn man das System billiger machen möchte, ist das definitiv der falsche Weg.

Ich möchte noch einmal Oberösterreich kurz ansprechen: Gestern wurde von Ihnen, Herr Sozialminister, ein Gutachten des Sozialrechtlers Robert Rebhahn veröffentlicht, das ganz klar aufzeigt, dass das Ministerium mit der Ablehnung der Kürzung der Mindestsicherung für AsylwerberInnen recht hat. Auch der ÖGB hat gestern in der Nacht oder am Nachmittag noch eine Resolution geschrieben, auf die wir uns bezie­hen. Laut Gutachten verlangt die Statusrichtlinie der Europäischen Union in Bezug auf Sozialhilfe und medizinische Versorgung bei Flüchtlingen die Gleichbehandlung im Verhältnis zu österreichischen StaatsbürgerInnen.

Ich zitiere Sie, Herr Minister, sinngemäß aus der Tageszeitung „Die Presse“ von gestern Mittag: Sie bezeichnen die Pläne der oberösterreichischen Landesregierung persönlich als rechtswidrig – das nur so als Unterstreichung.

Wir Grüne geben Ihnen ganz klar recht. Was die oberösterreichische Landesregierung vorgehabt hat, ist ein Rechtsbruch. Dieses Umsägen von Sozialleistungen wird in jedem Bundesland weitergeführt, dessen müssen wir uns auch bewusst sein. Ober­österreich ist der erste Meilenstein auf diesem Weg. Fällt Oberösterreich, kommen andere Landesregierungen drauf: Wir müssen auch kürzen, weil es in Oberösterreich geht. (Ruf bei der FPÖ: Was ist das für ein Terminus, Herr Kollege – Oberösterreich „fällt“?) Das ist nämlich der Punkt.

Es ist mir wichtig zu sagen, dass das immer unter dem Deckmantel geschieht, dass jede Sozialleistung von Migranten und Migrantinnen ausgenützt würde und deshalb verschärft und nachgebessert werden müsste. Eines muss uns allen bewusst sein: Es trifft auch Österreicherinnen und Österreicher, es trifft die ärmsten Menschen dieses Landes. Das ist der erste Schritt dahin, wohin ÖVP-Lopatka mit FPÖ-Strache will, nämlich Sozialleistung für alle zu deckeln und zu kürzen. Das ist der Plan, nichts anderes.

Ich bin stolz auf unsere sozialen Errungenschaften, die maßgeblich zur Stabilität Österreichs und zum sozialen Frieden in unserem Land beigetragen haben. Das müssen wir uns bewahren, denn die Alternativen, die drohen, sind Obdachlosigkeit, Kriminalität, verheerende Armut und Perspektivlosigkeit. Das darf uns nicht egal sein.

Daher bringen wir heute einen Entschließungsantrag ein, damit genau dieses Level, das der Herr Minister angesprochen hat, gehalten wird, damit es einen Mindest­grundsatz gibt, den man nicht unterschreiten darf. Die Bundesregierung wird aufge­fordert, ehest eine Vorlage für ein Grundsatzgesetz zu erstellen, das sicherstellt, dass die Leistungshöhe der Bedarfsorientierten Mindestsicherung für davon abhängige Menschen nicht armutsgefährdend ist.

Ich denke, es wäre gut, wenn mehr KollegInnen von der SPÖ heute da wären, denn wir haben auch ein Verlangen auf namentliche Abstimmung eingebracht; das möchte ich auch unterstreichen. Warum? – Ich erwarte mir heute von Ihnen, sehr geehrte SPÖ, schon eine breite Unterstützung. Wir haben in diesem Antrag viel von den Forderungen des ÖGB eingebracht. Ihr ÖGB-Vertreter verratet euch selbst, wenn ihr einen Antrag nicht unterstützt, der genau das will, was in eurer Resolution eingebracht wurde. (Bundesrat Mayer: Als Ländervertreter eine Zentralisierung! Das wirst du ja nicht wirklich glauben!) – Ich will ja in das Bundes-Verfassungsgesetz … (Bundesrat Mayer: Eine Zentralisierung …!) – Es ist die einzige Lösung, die uns übrig bleibt. Ich hoffe auf breite Unterstützung. (Beifall bei den Grünen.)

Daher bringe ich folgenden Antrag ein:


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Entschließungsantrag

der Bundesräte David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen betreffend bundesein­heitliche Bedarfsorientierte Mindestsicherung

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird ersucht, ehestens eine Vorlage für ein Grundsatzgesetz betreffend die Bedarfsorientierte Mindestsicherung nach Art. 12 Abs. 1 B-VG dem Parlament zur Beschlussfassung zuzuleiten.

Dabei ist sicherzustellen, dass die Leistungshöhe armutsverhindernd ist und die von der BMS abhängigen Menschen einen Rechtsanspruch auf notwendige Beratung und Betreuung zur Überwindung der – den BMS-Bezug auslösenden – Problemlagen erhalten.“

*****

Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

17.17


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Der von Bundesrat Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend bundeseinheitliche Bedarfs­orien­tierte Mindestsicherung ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Ver­handlung.

Als Nächster ist Herr Bundesrat Mag. Fürlinger zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm. Du hast 20 Minuten Zeit. (Zwischenrufe bei der FPÖ.)

 


17.17.30

Bundesrat Mag. Klaus Fürlinger (ÖVP, Oberösterreich): Ein berühmter deutscher Dichter hat einmal gesagt: Man soll jeden Tag ein gutes Buch lesen, ein schönes Bild anschauen und – wenn es geht – auch nur einen einzigen vernünftigen Satz sagen. Das hat mir in der Rede gefehlt, Herr Kollege Stögmüller. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Ich möchte zu Beginn für all jene, die angeblich die Genesis des heutigen Unter­suchungsausschusses in Linz (Bundesrat Stögmüller: Unterausschuss! Unter­suchungs­ausschuss kommt erst!) – Unterausschusses – so gut gekannt haben, die Regie des Unterausschusses darstellen. Der Ausschuss ist nicht vertagt worden, weil sich irgend­jemand etwas überlegt oder weil das alles rechtswidrig ist.

Heute, 14 Tage nach der Konstituierung dieses Unterausschusses, fand die zweite Sitzung statt. Beigezogen waren namhafte Experten: Univ.-Prof. Mazal, Univ.-Prof. Janko und Univ.-Prof. Leidenmühler. Von den Grünen war interessanterweise kein Experte dabei. Keiner dieser Herren hat auch nur mit einem Satz gesagt, dass das rechtswidrig sei. Im Gegenteil: Die Ausführungen lauteten dahin gehend, dass solche Dinge in Sondersituationen möglich sind. Eine Einschränkung von Prof. Leidenmühler gab es, nämlich dass man nicht weiß, ob es vor allen Höchstgerichten so hält. Sonst gab es gar nichts.

Die nächste Sitzung wird turnusmäßig am 21. April stattfinden. Geplant ist dies­bezüglich ein Gesetzesbeschluss im Mai oder Juni des heurigen Jahres. So viel sei einmal zum Auftakt und vielleicht auch zur Richtigstellung all jener Dinge, die hier so behauptet worden sind, gesagt.

Zur Dringlichen Anfrage selbst, die für mich ein kleines Highlight war: Herr Kollege Zelina, wenn Sie uns das nächste Mal in Anwesenheit des Finanzministers oder des Wirtschaftsministers einen langen Vortrag zur Realwirtschaft halten, werde ich Ihnen


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dieses Papier hinhalten. Es ist interessant, Ihre Unterschrift in Anbetracht Ihrer sonsti­gen Ausführungen bei dieser Dringlichen Anfrage zu finden. (Bundesrat Stögmüller: … die Anfrage!) Diese Anfrage, würde ich sagen, war doch leicht tendenziös, Herr Kollege Stögmüller. Sie intendiert, dass alle, die nicht Ihrer Meinung sind, sowieso pure Sozialabbauer und furchtbar kalte Menschen sind.

Zur Kälte, die Sie da so hervorbringen: Ich darf Ihnen sagen, Oberösterreich hat im letzten Jahr 10 000 Neuzugänge in das System gehabt, und es sind 70 Prozent Steige­rung für das heurige Jahr prognostiziert worden. Wir sind in einer Situation, in der in Oberösterreich das System, das grundsätzlich schon eine hohe Mindestsicherung hat, sehr gefordert ist.

Was tun wir? – Wir tun eigentlich nichts anderes als zu sagen, dass jene, die Ein­wanderer sind, die Asylstatus bekommen, zunächst einmal im Grundversorgungsstatus bleiben. Mehr passiert überhaupt nicht. Eigentlich wundert es mich: Sie kritisieren die Grundversorgung, die Sie selbst zuletzt gelobt haben, weil sie angehoben worden ist. Sie kritisieren an dieser Stelle die Grundversorgung, die wir sogar noch mit einem Integrationsbonus Leistung für Leistung um 155 € auftoppen.

Ich werde Ihnen jetzt einmal kurz  ohne Sie langweilen zu wollen – auch Fakten und Zahlen vorlesen, damit Sie wissen, was bisher war und was dann kommt:

914 € war die Bedarfsorientierte Mindestsicherung in Oberösterreich bisher. Wenn einer diesen Bonus in Anspruch nimmt, dann bekommt die Einzelperson jetzt 520 € zuzüglich vieler anderer Sozialleistungen, die ich Ihnen noch nennen werde. Zwei Einzelpersonen kamen bisher auf 1 287 €, zu zweit kommen sie nun auf 1 040 €. Ein Erwachsener und ein Kind kamen bisher auf 1 124 €, nun kommen sie auf 890 €, und zwei Erwachsene und zwei Kinder kamen bisher auf 1 708 €, neu kommen sie auf 1 493 €. So viel zu diesem fabulösen … (Bundesrat Stögmüller: Da kommen Sie …!) – Warten Sie ein bisschen, Herr Kollege Stögmüller, denn dazu kommt die Familienbeihilfe, dazu kommt der beitragsfreie Kindergarten, die Krankenversicherung, die Rezeptgebührenbefreiung, die Pflegegeldversicherung, der Zugang zu Sozialmärkten und Ermäßigungen von Gemeinden und Städten.

Ich frage mich, wer das bezahlen soll, Herr Kollege Stögmüller. Das ist die Frage, die ich Ihnen stelle. Wer soll das bezahlen? – Dieser Linkspopulismus, der da aufzieht und sagt, dass alle nur Sozialabbau wollen … (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.) – Nein, das ist euer Problem! Ihr müsst endlich einmal von dieser Wolke herunter­kommen. Ihr schwebt in einem Parallelorbit, in dem ihr der Menschheit vormacht, dass jeder Anspruch auf alles hat, ganz egal, was er zu dieser Gesellschaft beiträgt. Ihr müsst einmal von dieser Wolke herunterkommen, zu uns ins reale Leben (neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller), denn wenn ihr irgendwann einmal im Wahlkampf zu den Leuten geht – und nicht nur in euren Geschützten Werkstätten eure Ideologiediskussionen führt –, dann werden euch die schon sagen, was da los ist. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Die werden euch nämlich sagen, dass eure realsozialistischen Ideen auch nicht funk­tionieren, und die Mindestpensionistin mit 850 € sieht nicht ein, warum der, der gerade drei Wochen da ist, 940 € kriegt. (Bundesrat Stögmüller: Dann machen wir etwas dagegen!)

Kollege Stögmüller, ich fordere ein wenig Respekt. Weißt du, die Geschichte ist ja die: Ich bin einer von denen, die gelegentlich einzahlen, und ich bin ein Nettozahler. Ich habe nur einen kleinen Betrieb. Mich fragt keiner, wie viele Stunden ich in der Woche arbeite. Meine Mittagspause ist nicht Arbeitszeit. Ich und viele andere, die Leistungs­träger in dieser Gesellschaft sind, sehen es absolut nicht ein, dass es so ist, dass wir


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jedem, der hier vorbeikommt, 1 000, 1 500 , 2 000 € hineinschieben und sagen: zur Bekämpfung der Armut.

Das funktioniert nicht, weil a) das Geld nicht da ist und b) … (Bundesrat Stögmüller: … und die Kriminalität?) – Bitte? (Bundesrat Stögmüller: … Kriminalität … Drogen­handel …!) – Wenn automatisch jeder, den wir nicht mit Geld zupflastern, kriminell wird, dann soll er bitte ganz einfach bleiben, wo der Pfeffer wächst, und nicht herkommen fertig. (Beifall bei ÖVP und FPÖ. – Bundesrat Stögmüller: Wir reden von 0,7 Prozent!) – Ja, ja, das ist doch alles ein Blabla, weil du nicht aufrechnest, was da alles an Sonderbeihilfen, die ich gerade verlesen habe, noch dazukommt.

Ihr müsst das einmal mit der Krankenversicherung und allem rechnen, einmal ein bisschen Global Budgeting machen und nicht immer nur sagen: Der kostet ohnehin nur 0,7 Prozent. Das ist einfach nicht wahr! Ich bin für jedes Bekenntnis, in Not geratenen Menschen Hilfe zu leisten, aber bitte kein Bekenntnis, die auf ewig zuzupflastern, wurscht, ob sie vorher in das System einbezahlt haben oder nicht.

Ich sage das auch am Ende der Debatte, die hier über die Mindestsicherung geführt wird: Es sieht keiner von denen, die arbeiten gehen, ein. Ich habe ein Papier von einem Grazer Universitätsinstitut namens JOANNEUM RESEARCH gelesen, in dem ausgerechnet wurde, dass ein Familienvater mit zwei Kindern, der allein verdient, 4 000 € brutto braucht, damit er auf die gleichen 2 200 € netto kommt, die der andere ohne Arbeit bekommt. (Bundesrat Krusche: Ja!) Da haben wir hier heute eine Arbeitsmarktdiskussion geführt, da müssen wir irgendwann einmal fragen: Wo bleibt der Anreiz, und wer, bitte, soll das bezahlen? (Zwischenrufe der Bundesräte Krusche und Stögmüller.)

Ihr stellt euch her und fordert: Es muss ein jeder 2 000, 2 500 € bekommen, und ja nicht deckeln, und bis zum Gehtnichtmehr. Leute, es wird nicht funktionieren, und wir sollten uns der Realität stellen und nicht glauben, dass wir da die großen Geber und das reichste Land sind und uns alles leisten können. (Bundesrätin Mühlwerth: Das Geld wächst nicht auf den Bäumen!)

Dieses Anspruchsdenken, meine Damen und Herren – das ist vor allem an die Grünen gerichtet –, müssen wir bekämpfen, denn es ist den Mindestpensionisten, die 40 Jahre lang eingezahlt haben, mit ihrem Pensionsbescheid mit 850 € nicht zu erklären, dass einer, der hereinkommt, 914 € oder 1 500 € kriegt, obwohl er nie etwas einbezahlt hat. Wo sind denn da Gerechtigkeit und Fairness? Wo sind die? – Ich frage! Sie sind nicht vorhanden.

Euer Problem ist, dass ihr glaubt, dass der Staat ein Bankomat ist, bei dem ohne Limit abgehoben werden kann. Aber das Problem ist, dass ihr mit dieser Einstellung dann Teil des Problems und nicht der Lösung seid. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Ich lasse da weder die oberösterreichische FPÖ noch die oberösterreichische ÖVP von irgendjemandem in das unsoziale Eck drängen, nur weil man sich richtigerweise Gedanken macht, wo das Geld gut aufgehoben ist und wie man Menschen hilft. (Bundesrat Stögmüller: Die Reichen sollen immer mehr aufsteigen!) – Ja, ja, ich weiß, natürlich ist Ihrer Ansicht nach ein Unternehmer, der Gewinn macht, ein grund­sätzlicher Feind, denn der leistet ja nichts und ist quasi von der Sonne des Schicksals geküsst worden, und ohne etwas zu arbeiten, verdient er etwas.

Leute, ihr müsst einmal hinaus, es hilft nichts. Es gibt Leute, die nicht in Geschützten Werkstätten sind, die nicht nur staatliche Bezüge haben, die selbst arbeiten, 40, 50, 60 Stunden, und dafür Geld verdienen. Ihr kommt und sagt: Dir nehme ich das weg, denn da drüben sind gerade wieder zehn Syrer gekommen, die es brauchen. (Zwi­schenruf des Bundesrates Stögmüller.)


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Ihr diskutiert eure realsozialistischen Fantasien in irgendwelchen Klubs, die jedenfalls mit der realen Welt nichts zu tun haben, und aus der müsst ihr endlich herauskommen. (Bundesrat Stögmüller: … Neoliberalismus!) Das, was die oberösterreichische Landes­regierung hier plant, ist – ohne dass irgendjemand in Armutsfallen getrieben wird – ohne Wenn und Aber richtig. Eure Ansicht ist falsch. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

17.27


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Lindner. – Bitte.

 


17.27.24

Bundesrat Mag. Michael Lindner (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Prä­sident! Geschätzter Herr Bundesminister Stöger! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin grundsätzlich den AnfragestellerInnen sehr dankbar, weil ich gehofft hatte, dass man fundiert über dieses Thema diskutieren kann, weil es mich in der öffentlichen Debatte und auch hier nach dem Redebeitrag des Kollegen Fürlinger irrsinnig stört, dass hier nicht auf der Basis von Fakten, sondern auf der Basis von geworfenen Nebelgranaten diskutiert wird. Kollege Fürlinger, ihr Redebeitrag war ein lebendiges Beispiel für so eine Nebelgranate. Es werden hier diese ärmsten Menschen gegen die Armen ausgespielt. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Deswegen möchte ich ganz bewusst einige wichtige Zahlen und Daten aus Ober­österreich noch einmal hier hereinbringen, damit dann hoffentlich alle hier zu der Über­zeugung kommen, dass die Mindestsicherung eben keine soziale Hängematte, sondern das letzte soziale Sicherungsnetz in Österreich ist. (Bundesrat Pisec: … für Österreich!)

Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung ist 2010 in einer Zeit beschlossen worden, in der andere europäische Länder Sozialleistungen gekürzt haben und damit auch Konjunktur und Kaufkraft geschwächt haben. Mit der Bedarfsorientierten Mindestsiche­rung haben wir in Österreich den Ärmsten einen Rest an Kaufkraft zur Verfügung gestellt, weil dieses Geld sofort wieder ausgegeben wird.

Aber klar ist, und das muss auch das politisches Ziel sein, dass möglichst wenige Menschen es notwendig haben sollen, auf Mindestsicherung angewiesen zu sein. Und als Oberösterreicher – und man merkt, dass das eine oberösterreichisch geprägte Diskussion ist – muss ich natürlich auf die diesbezügliche Situation in unserem Bun­desland eingehen. Sie war ja der Auslöser für die Anfrage.

Ich halte die vorgeschlagene Kürzung in Oberösterreich für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte für einen zynischen Angriff auf hilfsbedürftige Menschen und einen ersten Schritt einer Landesregierung, die Mindestsicherung insgesamt infrage zu stellen. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Kollege Fürlinger, aber kurz auch noch zu Ihrer Nebelgranate und deswegen auch noch zu einigen oberösterreichischen Fakten: In Oberösterreich haben im Jahr 2015 insgesamt 14 000 Menschen Mindestsicherung bezogen, also 1 Prozent der Bevölke­rung. 55 Prozent davon waren Frauen, 23 Prozent anerkannte Flüchtlinge, 33 Prozent davon waren sogenannte Aufstocker, das heißt Menschen, die so wenig verdient haben oder einen so niedrigen AMS-Bezug bekommen haben, dass sie noch Mindest­siche­rung erhalten haben. Die Gesamtkosten für die Bedarfsorientierte Mindestsiche­rung in Oberösterreich machen exakt 0,9 Prozent des Landesbudgets aus.

Die Ausgaben für Mindestsicherung für anerkannte Flüchtlinge betragen 0,19 Prozent des Landesbudgets. Und seien Sie mir nicht böse, mir ist auch klar, dass durch die Flüchtlingssituation natürlich mehr Menschen in die Mindestsicherung kommen wer­den, und natürlich auch in Oberösterreich. Aber wenn wir uns in Oberösterreich alle


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zwei Jahre eine prunkvolle Landesgartenschau leisten können oder wenn wir uns seit 2012 Inserate für über 1 Million € im „Neuen Volksblatt“ leisten können, dann bin ich mir sicher, dass wir auch die Bedarfsorientierte Mindestsicherung in Oberösterreich schaffen. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Und Sie sind offensichtlich auch gut informiert über den Unterausschuss des ober­öster­reichischen Landtages, und da müsste Ihnen auch zugetragen worden sein, dass alle ExpertInnen oder eher alle Experten – es waren ja nur Männer – durchaus recht­liche Bedenken zu diesem Vorschlag geäußert haben, nämlich vor allem auch zu dieser 355-€- und 155-€-Teilung. Die Juristen waren sich einig, dass sich das Kürzungsmodell auf rechtlich dünnem Eis bewegt, weil die Kürzung der Mindest­sicherung für einzelne Personengruppen dem Grundsatz der Gleichbehandlung widerspricht und auch dem Prinzip der Inländergleichbehandlungspflicht. Das heißt, es ist europa- und völkerrechtlich nicht haltbar. Das haben wir schon diskutiert. (Präsident Saller übernimmt wieder den Vorsitz.)

Auch wenn man das Argument des Vorliegens der Notsituation bemüht, wie Sie es gemacht haben, muss man aus Sicht der Experten sagen, dass das wahrscheinlich nicht haltbar ist, denn für die Notsituation wäre es notwendig, dass vom Europäischen Rat dieser notwendige „Massenzustrom“ – unter Anführungszeichen – mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden muss, damit das überhaupt möglich wird. Also das wird rechtlich nichts werden. Und auch sozialpolitisch ist das aus meiner Sicht Wahnsinn, anerkannte Flüchtlinge in Wahrheit in Armut und Kriminalität zu treiben.

Es muss mir schon einmal einer hier herinnen erklären, wie ein erwachsener Mensch von 520 € leben, sich eine Wohnung suchen und sich einen Monat lang versorgen soll. (Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.)

Die Verantwortlichen in Oberösterreich wissen ganz genau, dass ein anerkannter Flüchtling aus der Grundversorgung herausfällt, dass er aus dem Quartier heraus muss und dass er auf sich alleine gestellt ist. Und die Verantwortlichen wissen auch ganz genau, dass man sich mit 520 € kein Leben leisten kann. Man nimmt offenbar bewusst in Kauf, dass Substandardwohnungen, Zimmer oder Abbruchhäuser überteu­ert vermietet werden. Offensichtlich wird in Kauf genommen, dass hier manche mit der Armut ihr Geschäft machen.

Aber neben der Situation in Oberösterreich sei noch einmal allgemein darauf hinge­wie­sen, dass wir auch anhand der Zahlen auf Bundesebene sehen, dass die Mindest­siche­rung keine soziale Hängematte ist. Im Jahr 2014 haben insgesamt 256 405 Per­sonen oder 152 839 Bedarfsgemeinschaften Mindestsicherung bezogen. Durchschnittlich wurden pro Bedarfsgemeinschaft – also Bedarfsgemeinschaft heißt eine Familie, die gemeinsam Mindestsicherung bezieht – 603 € ausgegeben. 64 Prozent der Bezie­herInnen hatten eine Bezugsdauer von sieben bis zwölf Monaten, weitere 20 Prozent maximal drei Monate. Diese Zahlen zeigen schon sehr deutlich, dass es mit diesem Modell der Mindestsicherung sehr gut gelingt, auf der einen Seite Armut zu verhindern, auf der anderen Seite die Menschen wieder rasch in Beschäftigung zu bringen.

Wir sollten uns, glaube ich, auch anschauen, wer denn diese Menschen sind, die auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung angewiesen sind. Eine Studie aus dem Jahr 2014 hat gezeigt, dass es vor allem Menschen mit niedrigem Bildungsniveau sind, die darauf angewiesen sind. 2012 hatten 81 Prozent der MindestsicherungsbezieherInnen keinen Bildungsabschluss oder nur den Pflichtschulabschluss. 18 Prozent der BezieherInnen hatten sogenannte Hilfsberufe. Das heißt, es sind die Menschen mit den schlechtesten Arbeitsmarkt- und Einkommenschancen, die Mindestsicherung beziehen. Und der Ansatz zur Verbesserung dieser Situation kann mit Sicherheit nicht sein, den Betrof­fenen auch noch die Leistungen zu kürzen.


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Bundesminister Stöger hat in seiner Beantwortung ja schon sehr gut angekündigt, dass bei der Neuverhandlung der Artikel-15a-Vereinbarung auch Qualifizierungsmaßnah­men gerade für junge Menschen und für AsylwerberInnen wichtig sind. Und um Mindestsicherung zu vermeiden, müssen wir eben diese Menschen viel besser qualifizieren.

Das Problem beim Abstand zwischen Mindestsicherung und den Löhnen ist ja nicht die Höhe der Mindestsicherung, sondern das Problem liegt bei den Höhen der Löhne. Das heißt: Rauf mit dem Mindestlöhnen!, dann haben wir dieses Problem auch nicht.

Wenn Kollege Fürlinger das Beispiel mit den MindestpensionistInnen erwähnt, dann muss ihm, meine ich, auch klar sein, dass die Mindestsicherung zwölfmal ausgezahlt wird und der Rest 14 Mal. Und dann erübrigt sich diese Debatte. In den kommenden Jahren muss es aus meiner Sicht also darum gehen, dass wir die Mindestsicherung in der aktuellen Höhe aufrechterhalten.

Es braucht natürlich auch eine stärkere Vereinheitlichung, wie in der Anfrage ange­deutet. Wir glauben nur, dass es mit dieser Neuverhandlung der Artikel-15a-Verein­barung, die derzeit stattfindet, wesentlich besser gelingen wird, bundeseinheitliche Richtlinien zu schaffen. Deswegen können wir diesem Entschließungsantrag nicht unsere Zustimmung erteilen. (Beifall bei der SPÖ.)

17.35


Präsident Josef Saller: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Raml. Ich erteile ihm das Wort.

 


17.35.31

Bundesrat Mag. Michael Raml (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren im Bundesrat! Zunächst einmal ein Kompliment dem Kollegen Fürlinger. Du weißt, wir sind nicht immer einer Meinung. Wir tragen das auch manchmal hier aus. Aber es war selten, dass wir Freiheitliche dir so oft applaudieren konnten bei einer Rede, weil einfach alles gestimmt hat. Und es war einfach einmal schön zu sehen – das muss ich auch sagen –, dass von der ÖVP endlich einmal Worte aus dem Herzen kommen, denn diese Worte, die du gesagt hast, betreffen einfach die Mehrheit der Österreicher.

Folgendes möchte ich auch gleich sagen – Kollege Stögmüller hat es gesagt, Kollege Schennach wäre während dieser Rede übrigens fast eingeschlafen, das verstehe ich –, nämlich dass ich auf etwas auch stolz bin: Ja, Oberösterreich ist hier beispielgebend. Und das ist auch gut so. Und ich bin überzeugt, dass auch andere Bundesländer, in denen die Freiheitlichen in der Landesregierung nicht so stark vertreten sind, unserem Beispiel folgen.

Und wenn wir heute hier debattieren, dann müssen wir uns schon einmal einge­stehen – und ich versuche diese emotionale Diskussion, da es ja auch für mich nicht leicht ist, auf Fakten basierend zu führen –, dass die österreichischen Sozialleistungen für Asylberechtigte im EU-Spitzenfeld liegen. (Zwischenbemerkung von Bundes­minis­ter Stöger.)

Seien wir doch ganz ehrlich: Warum haben wir denn dieses Problem? Warum? Warum wollen die Flüchtlinge, die Wirtschaftsmigranten fast alle nach Österreich, nach Deutschland und früher auch in die Schweiz? Warum? Weil es bei uns so schön ist? – Ja, Österreich ist ein schönes Land. Aber man muss auch als stolzer Patriot fairer­weise sagen, auch die südlichen europäische Staaten sind schöne Länder, haben angenehme Temperaturen, die noch besser zu den aus den Herkunftsländern der Herrschaften gewohnten Temperaturen passen. Also wegen des schönen Wetters kann es ja wohl nicht sein, dass die Leute zu uns kommen. Seien wir doch ganz


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ehrlich: Die Leute kommen zu uns, weil sie sich den besten Sozialstaat aussuchen. (Bundesrätin Posch-Gruska: Weil in ihrer Heimat Krieg herrscht! – Beifall bei der SPÖ.)

Frau Kollegin Posch-Gruska, darf ich Ihnen eine Frage stellen: Warum bleiben die Menschen denn nicht in Mazedonien? Sagen Sie es mir: Warum bleiben sie nicht dort? Herrscht dort Krieg? – Nein! Warum bleiben die Leute nicht in Griechenland? Warum bleiben die Leute nicht in Slowenien? Warum? Warum kommen die Leute alle zu uns? Warum fangen die Leute zu laufen an, wenn sie an der südlichen Grenze Deutsch­landsberg lesen? Warum? – Ja weil sie glauben, in 20 Kilometern sind sie in der deutschen Republik! Das sind die Gründe. Das sind die Gründe, warum die Menschen zu uns kommen. Und damit – und es freut mich, dass das in Oberösterreich auch die ÖVP ganz klar so sieht, das ist schön so – muss endlich Schluss sein!

Wir müssen ehrlich sein und sagen, wir können nicht das Sozialamt der ganzen Welt sein. Und die Maßnahmen, die wir in Oberösterreich gerade sehr intensiv diskutieren – da kann ich auch aus erster Hand berichten –, werden natürlich noch feingeschraubt. Das ist momentan ein laufender Prozess, wo eben auch die Experten eingebunden werden. (Bundesrat Stögmüller: Warum geht ihr nicht an die Presse? Das Ober­österreich-Modell!) – Weil wir die Presse selbstverständlich informieren! Ja selbstver­ständlich informieren wir die Öffentlichkeit über unser Vorhaben!

Auch das gehört zu einer Diskussion dazu, dass man auch die Öffentlichkeit einbindet, und dann kommen genauso Rückmeldungen wie von euch. Und wenn sie realistisch sind, dann kann man sie auch gerne einbauen. Aber, wenn diese halt so weit von der Realität entfernt sind, dann kann man sie sehr schwer einbinden. Das ist nun einmal so. Und was soll das Ganze bringen? – Diese Maßnahme bringt auf der einen Seite für Oberösterreich einmal eine Kostendämpfung von rund 4 Millionen bis 5 Millionen €.

Wir haben auch in Oberösterreich massive Finanzprobleme. Das muss man sich, auch wenn man ein stolzes Bundesland ist, einmal eingestehen und sagen: Freunde, es geht so nicht; wir können nicht das Geld mit beiden Händen ausgeben! Das geht einfach nicht.

Sich das einzugestehen, fällt manchmal schwer, das gebe ich ja auch zu. Es wäre mir als christlichem Menschen auch lieber, wenn ich alles hergeben könnte, alles verteilen könnte. Nur, ich brauche irgendetwas zum Verteilen, etwas, das ich weitergeben kann. Und das ist einfach nicht mehr so, das ist vielleicht vor ein paar Jahrzehnten gegan­gen, jetzt nicht mehr. Das ist das Erste, was es bringt: Es bringt eine Kostendämpfung. Und das Zweite: Es bringt ein ganz wichtiges Signal, das wir in andere Länder ausstrahlen, nämlich, dass gesagt wird, bei uns bekommt nicht jeder, der zu uns kommt, die volle Sozialhilfe.

Vielleicht ist das dann auch ein Anreiz, dass man sich Mazedonien anschaut? Ein schönes Land! Oder auch Rumänien oder Bulgarien – dort war ich auch schon, dort gibt es wirklich nette Menschen! (Bundesrat Stögmüller: Bitte nicht so zynisch!) – Was heißt zynisch? Ist doch war. Warum denn nicht? Herrscht dort Krieg? – Nein. Ein schönes Land! Ich habe dort auch schon Urlaub gemacht. – Also warum kommen die Menschen alle zu uns herauf?

Herr Minister Stöger hat es schön formuliert: Lassen wir die Kirche auch einmal im Dorf! – Herr Minister, ich gebe Ihnen völlig recht. Schauen wir uns wirklich einmal an, was das Ganze bedeutet, und seien wir vor allem auch ehrlich und vergleichen wir die Zahlen auch mit den Zahlen, mit denen Österreicherinnen und Österreicher leider auskommen müssen. Und da würde nach dem neuen Rechnungsmodell in Ober­österreich bei positiver Integration eine vierköpfige Familie 1 493 € bekommen. Und


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jetzt gestehe ich auch eines ein: Davon wird man nicht reich, das ist mir völlig klar. Es wäre verlogen, jetzt zu sagen: So viel Geld, damit kann er sich ein Haus bauen!

Es stimmt, dass es nicht viel Geld ist, aber bitte seien wir auch so ehrlich und schauen wir einmal, mit wie wenig Geld viele, viele Familien und Mindestpensionsbezieher auskommen müssen. Diese Menschen – und seien Sie mir nicht böse – müssen wir schon auch vertreten, und aus unserer Sicht hauptsächlich. Diese Menschen sagen, ich fühle mich ungerecht behandelt, wenn jemand, der noch nie etwas ins Sozial­system eingezahlt hat, dasselbe – wenige, von mir aus – bekommt wie ich. Das gefällt den Menschen einfach nicht.

Herr Minister Stöger hat auch gesagt, wir sollen hier in diesem Haus einem Arbeits­auftrag nachkommen. – Ja, das sollen wir. Und ich sage Ihnen auch, Herr Minister Stöger – Sie als Oberösterreicher wissen es –: In Oberösterreich hat der schwarz-blaue Teil der Landesregierung einen Zweidrittelarbeitsauftrag. Das heißt, die ÖVP hat schon im letzten Wahlkampf ganz klar gesagt, dass sie mit einigen FPÖ-Ideen, unter anderem mit dieser, d’accord geht. Das war kein Geheimnis. Und zwei Drittel der Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher haben uns einen ganz klaren Arbeits­auftrag in diese Richtung gegeben. Deshalb ersuche ich Sie – ich weiß, Demokratie tut manchmal weh, auch ich muss mich manchmal oder wir müssen uns manchmal Entscheidungen beugen, die uns nicht gefallen, heute aktuell in Wien –, meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPÖ, akzeptieren Sie bitte auch diesen ganz klaren Zweidrittelauftrag in Oberösterreich, auch wenn Sie in Oberösterreich in die politische Bedeutungslosigkeit verschwunden sind. Das gehört einfach auch dazu, es hilft halt nichts. (Beifall bei der FPÖ.)

Kollege Fürlinger hat es richtig gesagt, daher erspare ich Ihnen das: Bei diesen Beträgen, die wir hier nennen, muss man ja auch eine Gesamtbetrachtung anstellen. Da kommen ja viele, viele Sozialleistungen noch dazu! Noch einmal: Ich will nicht sagen, dass das alles überbezahlt ist, aber vergleichen wir immer mit Österreicherin­nen und Österreichern, und ziehen wir dann einen ganz fairen Vergleich.

Und auch, bitte, kann man nichts dagegen haben, dass wir Leistungen an einen Integrationsvertrag knüpfen, an eine Verpflichtung. (Bundesrat Stögmüller: Das gibt es jetzt schon!) Das gibt es bereits. (Bundesrat Stögmüller: Das ist jetzt schon möglich!) – Stimmt, aber sehr abgeschwächt. (Bundesrat Stögmüller: Na ja, das liegt an der Bezirkshauptmannschaft! Sie sind in der Landesregierung!) Bis jetzt gab es halt nur eine Bemühungspflicht. Jetzt verschärft man das, jetzt dreht man hier einfach den Spieß um. Also wenn es das schon gegeben hat, dann wird es jetzt einfach schärfer kontrolliert. Ist ja schön, wenn man einen Weg findet, wie man etwas besser vollziehen kann. Passt ja, wenn es das eh schon gibt – dann belassen wir es dabei und kon­trollieren es halt mit dem neuen Modell noch viel, viel effizienter.

Und eines muss ich an dieser Stelle auch einmal festhalten – ich weiß manchmal nicht recht, ob das allen hier herinnen klar ist –: Recht ist nicht in Stein gemeißelt, jedes Recht kann verändert werden, und manchmal muss man Recht halt auch verändern. Leider fehlt sehr oft der politische Gestaltungswille. Ich werde Ihnen nachher auch ein Beispiel nennen, bei dem Sie sehr wohl gewillt waren, dass man etwas dreht. Hier auf einmal nicht. Das ist sehr oft auch eine Frage des Wollens. Und wir wollen hier etwas ändern für die Österreicherinnen und Österreicher!

Und jetzt zur rechtlichen Komponente, weil es heute auch schon geheißen hat, heute in diesem Unterausschuss im oberösterreichischen Landtag wäre rechtlich heraus­gekommen, dass das alles nicht geht. (Bundesrat Stögmüller: Bitte aufpassen, was ich gesagt habe!) – Kollege Stögmüller, das hast du gesagt. Frag die Kolleginnen und Kollegen! Das hast du so gesagt. Das hast du gesagt, vielleicht nicht exakt mit diesen


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Worten, aber sinngemäß. (Bundesrat Stögmüller: In der angegebenen Höhe ist es nicht rechtskonform beziehungsweise EU-rechtswidrig!)

Meine Information aus dem Ausschuss ist folgende – wir hatten heute mehrere Exper­ten dort, unter anderem Vizerektor Janko von der JKU und von der Universität Wien Professor Mazal, und da ist folgender Sukkus herausgekommen: Erstens, die Ausnahmesituation im Flüchtlingsbereich rechtfertigt beziehungsweise erfordert ein Handeln bei der Bedarfsorientierten Mindestsicherung. – Da haben wir noch keine detaillierte Aussage. Das ist vielleicht auch etwas, das ich Ihnen mit auf den Weg geben möchte: Nur weil ein konkreter Vorschlag nicht explizit genau in dieser Form möglich ist, heißt das nicht, dass alles andere unmöglich ist. Man muss halt in so einem schwierigen System – und das ist ein schwieriges System und eine schwierige Materie –, wenn man den Willen dazu hat, und den haben zwei Drittel der Oberösterreicher, diese Schrauben entsprechend fein drehen.

Zweiter Punkt: Gesetzesspielräume müssen ausgenützt werden.

Drittens: Zu überlegen ist eine zeitliche Befristung der Reform – man merkt also auf einmal nichts mehr von „es geht nicht“, aber man kann es ja zeitlich befristen, das ist ja auch eine Möglichkeit –, da die Situation eine sehr dynamische ist. Ein gleichzeitiges Monitoring wäre sinnvoll, um auf allfällige Änderungen wieder reagieren zu können. – Na ja, da sind wir weit weg von „es geht nicht“.

Punkt vier: Etwaige Härtefälle können mittels der bereits im Mindestsicherungsgesetz enthaltenen Klausel abgefedert werden. – Also auf einmal geht es doch, dass man noch etwas macht.

Punkt fünf: Es sollte auf Bedarfsgemeinschaften abgezielt werden.

Also man hat heute durchaus gesagt, da geht etwas, man solle sich das Ganze nur sehr genau anschauen. Und nicht mehr und nicht weniger machen wir.

Zum Rebhahn-Gutachten: Ja, Kanzler Faymann hat, glaube ich, gestern oder heute in den Medien gesagt, jeder liest das Gutachten so, wie er gerne möchte. Ich bin der Überzeugung und lese das schon auch so, dass er davon gesprochen hat – und ich glaube, darüber herrscht sogar Einhelligkeit –, dass Sondersituationen gewisse Maß­nahmen erlauben.

Und jetzt können wir in einem zweiten Punkt darüber streiten: Liegt momentan eine solche Sondersituation vor? Und seien Sie mir bitte nicht böse, aber wenn das jetzt keine Sondersituation ist, was muss denn dann noch passieren? Also das ist ja momentan wirklich keine lustige Situation, weder für die Menschen, die zu uns herkom­men, noch für die ganzen Beamten, für die Sozialarbeiter, aber vor allem auch für die betroffenen Anrainer nicht. Das ist für alle nicht lustig!

Da frage ich mich schon: Wenn das keine Sondersituation ist, was wäre es denn dann? Also somit, glaube ich, kann man durchaus auch davon ausgehen, dass Profes­sor Rebhahn gesagt hat, unter gewissen Voraussetzungen geht das. Und diese Voraussetzungen sind mehr als gegeben. Wir befinden uns ganz klar in einer Sonderlage, auch das muss man einmal ganz ehrlich festhalten.

Und nun zum Abschluss noch ein paar Dinge, die ich den Grünen mit auf den Weg geben möchte. Kollege Fürlinger hat es eh gesagt: Kommt zuerst einmal herunter von dieser Wolke! Und vor allem merkt man ja auch, und das hat heute sogar die SPÖ festgestellt – ich meine, das ist ja wirklich fast schon bewegend, möchte ich sagen, wenn das sogar die SPÖ feststellt –, dort, wo die Grünen für Asylangelegenheiten zuständig sind, da bringen sie nichts zusammen. (Bundesrat Stögmüller: Dort funktioniert es, weil sich die FPÖ davor drückt!) Da bringen sie nichts zusammen! Das


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sagen die Roten! Das sagen Roten, bitte, die ja in dieser Frage nicht unbedingt weit von euch weg sind.

Und eure ganzen Forderungen – Sozialamt der Welt –: Ihr seid gegen Bettelverbote, obwohl sogar der rote Bürgermeister Luger in Linz jetzt endlich einsieht, dass hier Bedarf gegeben ist. Sogar Bürgermeister Luger, der aus dem kommunistischen Eck kommt (Bundesrat Lindinger: Das ist eine Zumutung!), sieht Bettelverbote ein, weil er sieht, die Bewohner von Linz und die Geschäftsleute, die leiden einfach schon! – Nein, für die Grünen gibt es diesbezüglich wieder nichts.

Dann geht es weiter: Kriminalität. Die wird entweder überhaupt kleingeredet, bezie­hungsweise man will auch gar nicht, dass dargestellt wird, woher denn Kriminalität überhaupt kommt. (Zwischenrufe der Bundesräte Stögmüller, Pfister und Novak.)

Das sollte man schon auch analysieren. Da empfehle ich ein Rechtspraktikum an einem Gericht, da bekommt man auch einen Einblick in die Gefangenenzusam­men­setzung. Na, da kommt man dann auf Sachen drauf. Da habe ich manche Kolleginnen und Kollegen erlebt, die mir gesagt haben: Also ich bin wirklich zuerst einmal als – na ja, „Gutmensch“ haben sie nicht gesagt – weltoffener Mensch aufs Gericht gekommen, aber seit dem Zeitpunkt, als ich dann nach den paar Monaten herausgekommen bin, wähle ich FPÖ. Das waren oft gar keine kleinen Sprünge.

Zum Argument, wenn man den Leuten weniger Geld gibt, dann kommen sie in die Kriminalität – und dann ist auch das Stichwort „Drogen“ gefallen –: Bitte seid mir nicht böse, aber ich kann doch nicht jedem mutmaßlichen Drogendealer einen Tausender im Monat geben, damit er nicht Drogen dealt! (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.) – Bitte, wenn man deine Idee weiterdenkt, dann kommt genau das raus – denn was soll man denn sonst machen? (Zwischenrufe der Bundesräte Dziedzic und Preineder.) Du hast das selbst gesagt: Wenn man den Leuten weniger Geld gibt, dann drängt man sie in die Kriminalität. – Nun, dann muss man jedem mehr Geld geben. Vielleicht auch 500 € im Monat, vielleicht reicht das auch. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)

Ein letzter Fakt, den ich schon auch noch hier erwähnen muss, weil es mich nämlich traurig stimmt. Ich habe immer geglaubt, dass die Grünen eine Partei sind, die für Frauenrechte eintritt. Ja, darüber hat man sehr, sehr viel gelesen. Über eines hat man wenig bis nichts gelesen: Als diese Übergriffe passiert sind – Köln, und dann ist auch in Österreich einiges aufgeploppt –, Schweigen im Walde, Schweigen im Walde von den Grünen! (Bundesrat Schennach: Na jetzt aber wirklich!) Das heißt, sie sind in eine Zwickmühle gekommen, weil viele dieser Menschen – viele, nicht alle –, die hierher gekommen sind, von Frauenrechten – geschweige denn, dass sie darüber lesen oder schreiben könnten – nichts verstehen, und sie wollen es auch gar nicht verstehen. (Bundesrätin Posch-Gruska: Ein Frauenrechtler mit Schmiss im Gesicht!) Auch das müssen die Grünen einfach einmal einsehen.

Und letztlich führt das wieder darauf zurück, dass irgendwann irgendwer alles bezahlen muss. Die mangelnde Sicherheit muss man teilweise mit der körperlichen Unversehrt­heit bezahlen, und auch diese ganzen Sozialideen müssen finanziell bezahlt werden.

Und da frage ich mich abschließend schon auch noch eines: Ich bin keinem hier in diesem Hause, auch nicht dem Herrn Minister, keinem hohen Politiker, das Salär neidig – wir verdienen alle nicht schlecht, passt –, aber es ist doch bitte auch verlogen zu sagen, den Menschen gehört geholfen und es gehören mehr von ihnen hier aufgenommen.

Ich frage mich, wie viele Flüchtlinge die Frau Glawischnig daheim aufgenommen hat, wie viele der Herr Van der Bellen, wie viele hast du (in Richtung des Bundesrates Stögmüller) daheim aufgenommen, wie viele hat der Herr Minister aufgenommen?


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Oder habt ihr euch bis aufs Existenzminimum runterpfänden lassen? – Das wäre ehrlich! Das wäre ehrlich! (Bundesrätin Grimling: Was hast du gemacht? Wie viele hast du aufgenommen?) – Ich fordere das ja auch nicht! Ich gestehe mir ja ein, dass ich ein gutes Leben führen will, wie ich es anderen Menschen auch zugestehe, aber es ist doch verlogen, für alle ein gutes Leben zu fordern, aber das dann im Endeffekt nicht bezahlen zu wollen.

Dieses Messen mit zweierlei Maß zieht sich halt leider gerade bei der grünen Fraktion immer wieder durch. Das erinnert mich auch noch an die Grenzkontrollen, die es ja de facto bis heute nicht ordentlich gibt. Als die Grenzkontrollen aufgekommen sind, wurden sie ja von Anfang an schlampig durchgeführt, und da hat man gesagt, na ja, man kann die Grenzen jetzt nicht so kontrollieren, wenn da Hunderte Flüchtlinge drüberrennen, wir befinden uns in einer Notsituation. (Bundesrätin Grimling: Das halte ich nicht mehr aus!)

Ein Professor hat den Umstand, dass die Grenzen nicht kontrolliert werden, mit einem Notstand begründet, einem entschuldigenden Notstand. Da ist rechtlich alles möglich gewesen! – Jetzt hingegen, wo man hergeht und die Notbremse zieht, die dringende Notbremse bei Sozialleistungen, muss auf einmal alles mehr als gesetzeskonform sein. Das, was hier geplant ist, ist gesetzeskonform! Nein, aus Ihrer Sicht ist das jetzt auch noch zu wenig.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die oberösterreichische Landesregierung ist eine gute Landesregierung, weil sie ordentlich geführt wird. Und die oberösterreichi­sche Landesregierung sieht es auch als eine wichtige Aufgabe, für alle Menschen in diesem Land die sozialen Sicherheitsnetze vor einer Überlastung zu schützen – denn wenn dieses Netz reißt, können wir irgendwann gar keinem mehr helfen, und daher haben wir diese Maßnahmen jetzt in die Wege geleitet.

Ich bin überzeugt, dass diese Maßnahmen auch greifen werden, und freue mich schon, wenn dann andere Bundesländer in ein paar Monaten auch umschwenken werden und wir gemeinsam hier herinnen sagen, es ist doch nicht so schlecht, was die Ober­öster­reicher vorgemacht haben. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ sowie des Bundesrates Forstner.)

17.53


Präsident Josef Saller: Herr Bundesrat Mag. Gödl ist als Nächster zu Wort ge­meldet. – Bitte.

 


17.53.55

Bundesrat Mag. Ernst Gödl (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen und alle, die noch via Internet zuhören! Eigentlich meldet man sich als Präsident oder Vizepräsident eher selten zu Wort, aber mir ist es, obwohl ich gerade Vorsitzführender wäre, ein Anliegen, etwas dazu zu sagen, vielleicht auch um einen sachlichen Beitrag zu leisten, weil ich persönlich in dieser Frage insofern aktiv bin, als ich Vorsitzender eines Sozialhilfever­bandes bin, nämlich von Graz-Umgebung.

Da sehe ich sehr genau, wie sich Dinge entwickeln, und natürlich sehe ich auch, wo wir ein Auge hinwerfen müssen und genau hinsehen müssen. Ich bin daher mit Ihnen, sehr geehrter Herr Minister, nicht überall einer Meinung, dass man das System einfach ohne viel Diskussion so lassen soll, wie es ist, und zwar einerseits was die Flücht­lingsfrage betrifft, andererseits was das Mindestsicherungssystem an sich betrifft.

Vorweg möchte ich aber noch auf das Gutachten zu sprechen kommen. Wie man den heutigen Kommentaren der Zeitungen entnehmen kann, kann das Gutachten, sage ich einmal, unterschiedlich gesehen und interpretiert werden, nämlich auch so, dass eben


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in einer Sondersituation – mein Vorredner hat es angesprochen – sehr wohl auch Maßnahmen zulässig sind, die differenzieren. Die Frage ist: Wer definiert die Sonder­situation? Das ist dann eine wichtige Frage. Aber es steht im Gutachten wörtlich:

Das Einführen einer für alle Berechtigten geltenden Höchstgrenze für die Bedarfs­orientierte Mindestsicherung (BMS) ist aus Sicht der Statusrichtlinie zulässig, sofern der Höchstbetrag das Mindestniveau sichert.“

„Die Obliegenheit“ und so weiter „zu zumutbaren Erwerbs- und Integrationsbe­mü­hungen“ ist zulässig.

Also es ist sehr wohl denkbar, Differenzierungen vorzunehmen; natürlich muss es rechtlich richtig ausgestaltet sein. Das würde ich einmal vorwegstellen.

Dann auch die Frage, die auch heftig diskutiert wurde: Na ja, warum ist das so, dass eben – relativ, in Relation zu anderen europäischen Ländern – so viele Asylwerber gerade in Österreich, Deutschland und Schweden und eingeschränkt in der Schweiz, der Kollege hat auch die Schweiz genannt, ansuchen?

Ja natürlich hat das auch mit der Zugkraft des Sozialsystems zu tun! Das soll man bitte nicht wegleugnen, das ist ja Faktum. In der letzten Debatte mit Sebastian Kurz, mit dem Herrn Außenminister, haben wir das ja auch durchdiskutiert. Es ist zum Beispiel Faktum – ich habe es letztes Mal erzählt, ich wiederhole es heute –, dass die bul­ga­rische Regierung 15 000 Plätze für Asylwerber zur Verfügung gestellt hat. Es sind nur 750, zirka 15 Prozent, besetzt, obwohl Bulgarien ein Nachbarland der Türkei ist und man meinen könnte, viele, die Sicherheit suchen, könnten ja nach Bulgarien gehen.

Ja warum gehen sie verständlicherweise nicht dorthin? – Weil sie dort 1 € Sozialleis­tung pro Tag kriegen, also kein Sozialsystem haben, das sie so auffängt wie unseres hier. Das ist ja verständlich! Aber es ist eine völlige Negierung der Fakten, zu sagen, das habe nichts mit dem Sozialsystem zu tun. Ja, sehr wohl hat das mit dem Sozialsystem zu tun! Oder warum haben in Slowenien nicht einmal 1 000, ich glaube, nicht einmal 300 um Asyl angefragt? Asyl heißt, dass ich sicher bin vor Krieg und Verfolgung. Sie sind aber noch über die Grenze weiter zu uns, und 90 000 haben bei uns im Vorjahr angesucht. Das hat natürlich mit der Zugkraft des Sozialsystems zu tun. Das ist ja nichts Schlechtes! Das ist ja so, wie Sie gesagt haben, Herr Bundesminister: Wir werden europaweit oder vielleicht weltweit dafür beachtet, dass wir so ein gutes Sozialsystem haben. – Ja, das haben wir.

Was aber auch nicht stimmt, Herr Minister, ist das, was Sie heute in der Debatte zum vorigen Tagesordnungspunkt gesagt haben: Ja, dazwischen war so quasi eine neolibe­rale Periode. – Ich kann es jetzt nicht mehr genau zitieren, aber das Wort „neoliberal“ haben Sie in den Mund genommen und ein bisschen so gemeint, das sei die Zeit von Schwarz-Blau gewesen – so habe ich es interpretiert. (Bundesminister Stöger: Europaweit!) Ich muss nur sagen, ich sehe das in den Zahlen unseres Sozialhilfe­verbandes: Im Jahr 2000 haben die damals 57 – jetzt sind es nur mehr 36 – Gemein­den in Graz-Umgebung 7 Millionen € in den Sozialhilfeverband einbezahlt. Wissen Sie, wie viel wir heuer einzahlen? 26 Millionen! Innerhalb von 16 Jahren von 7 auf 26 Millionen! Ich weiß schon, die Inflation muss man dazurechnen, ein bisschen Bevölkerungswachstum, aber trotzdem ist das eine sehr, sehr starke Zunahme.

Und bei der Mindestsicherung haben wir jetzt extreme Sprünge, wir haben tatsächlich extreme Sprünge, auch in meinem Bezirk Graz-Umgebung. Mit 30 Prozent haben wir den Posten der Mindestsicherung heuer überzogen, und wir erwarten eine Steigerung von 50 bis 70 Prozent in diesem Jahr. Warum? – Natürlich deswegen, weil ein Teil der Asylwerber asylberechtigt wird und dann natürlich ein Fall für die Mindestsicherung wird. Und wenn jetzt noch diese Wohnsitzpflicht – was man aus Indikationsgründen


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durchaus wirklich überlegen muss, was Sie auch angestoßen haben, glaube ich – kommt, dann wird sich das auf diese ländlichen Bezirke natürlich noch viel mehr aus­wirken. Jetzt ziehen ja sehr viele, sobald sie den Asylbescheid haben, weg in Städte, oftmals nach Graz oder auch nach Wien, das haben wir ganz genau gesehen.

Was aber so wichtig ist, und da würde ich Sie wirklich bitten, Herr Sozialminister, und auch die ganze Fraktion der SPÖ – die Grünen sind keine Regierungspartei, deswegen haben sie ein bisschen einen freieren Lauf beim Diskutieren –: Betonieren Sie sich da jetzt bitte nicht ein! Machen Sie nicht noch einmal den Fehler wie bei der gesamten Grenzfrage, wo Sie sich bis Weihnachten einbetoniert haben, um dann über Weih­nachten eine komplette 180-Grad-Drehung zu machen. Tun Sie das bitte nicht noch einmal, das kommt nicht gut an.

Diskutieren wir sachlich darüber, wie wir unsere Sozialsysteme ändern müssen, damit sie gesichert werden. Eines darf man nämlich auch nicht außer Acht lassen: Sozial­systeme sind dann sicher, wenn sie finanzierbar sind – das sowieso –, aber auch von der Solidargemeinschaft getragen werden. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

Zum Thema „von der Solidargemeinschaft getragen“ – ich habe leider nicht gewusst, dass das heute Thema ist, sonst hätte ich mehr Unterlagen mitgebracht – habe ich mir jetzt nur etwas auf das iPad schicken lassen.

Mich hat – vor zirka zwei Monaten war das – der Amtsleiter einer Gemeinde angerufen, der hat gesagt: Lieber Sozialhilfeverbandsobmann, du bist noch dazu auch Politiker, komm jetzt zu mir ins Büro, ich möchte dir etwas zeigen, das kann so nicht wahr sein! Dieser Amtsleiter hat mir dann einen Bescheid eines Mindestsicherungsbeziehers gezeigt. In dem Fall war es auch ein Asylberechtigter, aber das sei jetzt dahingestellt, das würde für einen Österreicher ganz gleich gelten. Er hat gesagt: Wie kann es sein, dass eine Familie mit drei Kindern in diesem Fall im Monat März die Höhe der Mindestsicherung von 2 020 € bekommt, dazu kommt die Wohnbeihilfe von 273 € und noch einmal die Kinderbeihilfe von etwa 400 €? Also diese Familie in einer ländlichen Gemeinde kommt jetzt netto auf 2 600 bis 2 700 €.

Ich weiß nicht, wo Sie leben, aber ich lebe in einer Siedlung, in einem kleinen Dorf, und fast alle in meinem Dorf sind ganz gewöhnliche Arbeiter – der eine ist Lastwagen­fahrer, die andere ist Friseurin, der andere ist Arbeiter bei einer Brunnenbaufirma und dergleichen. Und die liegen im Erwerbseinkommen auch in diesem Bereich.

Das ist auch ein springender Punkt: Die Solidargemeinschaft und damit das gesamte System funktioniert nur, wenn das Gefühl vorherrscht, dass es gerecht ist. Aber es wird nicht als gerecht empfunden, wenn der, der in der Früh aufsteht, arbeiten geht, mit dem Auto noch wohin fährt, vielleicht Gewand braucht … (Bundesminister Stöger: Darum müssen sie arbeiten gehen!) – Das ist ja unbestritten. Aber wenn Sie jetzt kommen und sagen: Ja, wir müssen die Löhne anheben!, dann wäre mir das ja alles recht, aber: Wer setzt die Löhne fest? (Ruf bei der SPÖ: Die Wirtschaft!) – Das sind ja die Sozialpartner. Die Löhne setzen ja nicht wir in der Regierung fest.

Das heißt, unser System muss auf Sicht so aufgebaut sein – nur dann wird es solidarisch sein –, dass es einen Unterschied geben muss zwischen dem, der normal arbeiten geht, und dem, der die Nettoleistung aus dem Sozialtopf bezieht. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der FPÖ.)

Das, Herr Minister und liebe KollegInnen unserer Regierungsfreunde, ist so wichtig, dass wir das auch wirklich gut diskutieren sollten. Und ich würde euch wirklich bitten: Betoniert euch da nicht ein! (Bundesrat Schennach: Wer sich einbetoniert, das seid ihr!) – Also bei allen heutigen Redebeiträgen, vom Kollegen Lindner bis zum Herrn


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Minister, war die Grundaussage eindeutig: Es ist ein tolles System, es soll so bleiben, es darf sich nichts ändern, und das Gutachten würde das auch bestätigen. (Bundesrat Weber: Es ist ein gutes System!) – Betoniert euch nicht ein, ihr habt hoffentlich schon gelernt. Ich meine, wenn ich Kollegen Weber sehe: Der hat vor drei, vier Monaten hier noch ganz etwas anderes zur Außengrenzensicherung gesagt, und dann ist er mit dem Herrn Bundesminister in der ersten Reihe gestanden, als es um das Sichern der Grenzen gegangen ist.

Bleiben wir offen und diskutieren wir wirklich sachlich, wie wir die Systeme ändern müssen – Niessl und Darabos pfeifen auch in eurer Fraktion schon einen anderen Ton –, damit sie eben nicht nur finanzierbar bleiben, sondern auch in einer Solidar­gemeinschaft Platz finden! Nur dann nämlich können wir sie dauerhaft auch wirklich sichern.

Und deswegen gilt wie in allen Politikfeldern hier ganz besonders – ich darf jetzt ausnahmsweise einmal als alter Lateiner auch einen lateinischen Spruch zitieren: Quidquid agis, prudenter agas et respice finem. Was immer du tust, mache es klug und behalte das Ende im Auge. – Das ist oft sehr schwer, aber auch in dieser Frage müssen wir das Ende im Auge behalten, weil wir eben am Schluss noch einen funktionierenden Sozialstaat haben müssen. (Bundesminister Stöger: Klug zu sein, ist nie schlecht!) Und da müssen wir sicher an der einen oder anderen Schraube drehen, gerade auch bei der Mindestsicherung. Das wäre auch im Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage unser großes Anliegen. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der FPÖ.)

18.03


Präsident Josef Saller: Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Novak. – Bitte.

 


18.03.45

Bundesrat Günther Novak (SPÖ, Kärnten): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe Frau Mühlwerth zugehört: Sie hat sich zu Recht darüber aufgeregt, dass … (Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Darf ich bitte ausreden? Wenn ich mich zurückerinnere, was Frau Mühlwerth gesagt hat, wie sie sich bei der von mir aus gesehen rechten Seite berechtigterweise beschwert hat, und dass jeder einzelne Arbeitslose ihr Mitgefühl hat – und das hat sie gesagt, also unterbrechen Sie mich bitte nicht, bevor ich ausgesprochen habe, das tue ich auch nicht –, und wenn ich Herrn Mag. Raml höre, der von Worten aus dem Herzen spricht, und wenn ich mir den neoliberalen Ansatz von Herrn Mag. Gödl anhöre, der versucht, diese Mindest­sicherung abzuschaffen, dann frage ich mich schon, wo wir uns befinden. (Bundesrat Mayer: Das ist nicht neoliberal!)

Ich gestehe das dir, Frau Mühlwerth, auch hundertprozentig zu. Man muss uns Sozialdemokraten auch zugestehen, dass wir einfach diese Mindestsicherung in ihrer Art und Weise verteidigen, weil die Gruppe der Mindestsicherungsbezieher, auf die sich jetzt alle so konzentrieren, verteilungspolitisch zu den untersten 3 Prozent der Ein­kommensbezieher gehört – zu den untersten 3 Prozent der Einkommensbezieher gehört! In der Vorstellung vieler sind diese Almosenempfänger, gescheiterte und hilf­lose Menschen.

Was ist denn die Realität hinter diesen Bildern? – Im Grunde genommen beziehen 20 Prozent dieser Mindestsicherungsbezieher diese Mindestsicherung über acht Monate und kommen dann Gott sei Dank wieder ins Erwerbsleben zurück. Und wir reden in Österreich von 700 Millionen €, das sind 0,7 Prozent, die wir dafür aufwenden.

Denken Sie selbst einmal darüber nach, wie oft im Leben Sie Geld aus den sozialen Bereichen bezogen haben. Sie haben es bei der Geburt bezogen, Sie haben es bei der


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Ausbildung bezogen, Sie haben es bei Krankheit bezogen, Sie haben es bei der Babykarenz bezogen, Sie haben es bei einem Jobverlust bezogen und Sie haben es in der Pension bezogen. (Bundesrat Herbert: Da haben wir dafür auch eingezahlt!) Da haben Sie auch sehr gerne vom Sozialstaat Geld genommen, und jetzt wollen Sie die wirklich Hilflosen, die Letzten in unserer Kette, nicht mit dieser Mindestsicherung bedenken!

Meine Damen und Herren, eine Redakteurin hat in ihrem Leitartikel in „NEWS“ ge­schrieben: „Wollen wir ein anderes Österreich? Wer die Mindestsicherung kürzen will, möchte eine andere Gesellschaft“.

Mittlerweile bin ich auch schon der Meinung, dass es in diese Richtung geht. Damit möchte ich im Grunde genommen auch schließen. Am Ende muss uns dann wirklich klar sein: Wer die Mindestsicherung kürzen will, möchte eine andere Gesellschaft, und zwar eine, die in jene mit Geld und jene ohne Geld gespalten ist. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)

18.07


Präsident Josef Saller: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Bitte, Frau Bundesrätin Mag. Dr. Dziedzic.

 


18.08.02

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Keine Angst, ich halte jetzt keine lange polemische Rede, sondern fasse zusammen, was ich aus der heutigen Debatte mitnehme.

Unter 1 Prozent liegen die Ausgaben des Sozialbudgets in Österreich, das wurde heute schon erwähnt. Wir wissen, dass die Ausgaben für viele andere Dinge weit höher sind, und da stellt sich auch die Frage, inwiefern die sogenannte Solidargesell­schaft diese mittragen möchte. Als Stichwort nenne ich beispielsweise die Hypo. Wir haben auch gehört, dass in Oberösterreich die Sozialausgaben 0,9 Prozent des Lan­desbudgets ausmachen. Also allein das Budget ist, glaube ich, jetzt kein stichhaltiges Argument.

Ich glaube, dass sehr oft die Polemik das logische Denken ein bisschen vernebelt, denn wenn Sie nämlich sagen, dass das, was Oberösterreich an Kürzungen plant, für Flüchtlinge, die sich gerade irgendwo auf einer Route befinden und das gar nicht mitbe­kommen, abschreckend wirkt, dann kann das nicht stimmen, sondern ist einfach nur den anderen Bundesländern gegenüber unsolidarisch. Genauso ist es, wenn Sie sagen, dass wir jetzt diesen Sozialabbau eigentlich forcieren müssen, damit Men­schen, die nach Österreich kommen wollen, das weniger gerne tun. Das ist für mich auch keine logische Schlussfolgerung, denn die werden so und so kommen, weil sie flüchten.

Und Sie haben schon recht: Es sind nicht nur Kriegsflüchtlinge, es sind auch Wirt­schaftsflüchtlinge. Aber wir werden es mit einer Kürzung nicht schaffen, dass diese Menschen sich nicht auf den Weg in andere Länder machen, wo sie sich ein besseres Leben erhoffen. Das wird bei einer Kürzung in Oberösterreich nicht aufhören, das wird mit einem Sozialabbau in ganz Österreich nicht aufhören. Und das wird auch nicht aufhören, wenn wir diesen Menschen jegliche Grundlage nehmen, damit sie ein neues Leben aufbauen können.

Zur „sozialen Hängematte“ noch ganz kurz: 72 Prozent der österreichischen Bevöl­kerung betrachten die Mindestsicherung nicht als eine solche, sondern als eine Art Armutsprävention.


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Was logisch ist und auf der Hand liegt: Das ist für Menschen, die in Armut leben, das sind Menschen, die keine Mittel zum Leben haben. Diese sollen doch nicht abdriften, womöglich kriminell werden, weil sie andere Möglichkeiten suchen, zu Geld zu kom­men, um durchzukommen. So viel zu polemischer Unlogik … (Bundesrat Samt: Das ist Polemik, Frau Kollegin!) – Nein, das ist keine Polemik! Wenn Menschen kein Geld zum Leben haben, dann suchen sie nach Möglichkeiten, zu Geld zu kommen. (Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ sowie des Bundesrates Gödl.)

Ja, deswegen sage ich, 72 Prozent der Bevölkerung in Österreich betrachten die Mindestsicherung nicht als „soziale Hängematte“, sondern als Armutsprävention.

55 Prozent der österreichischen Bevölkerung sagen, dass Mindestsicherung unab­hängig vom Aufenthaltsstatus und gleich sein sollte für alle – und dass es da keine Differenzierung geben sollte.

Ich glaube, diese Debatte wird uns noch länger beschäftigen – und ich appelliere daher jetzt auch an die Logik, die Ihnen vielleicht mit der Zeit sichtbar machen wird, dass es, wenn wir da nicht eingreifen, wenn wir diesen Menschen nicht helfen, viel mehr soziale Probleme geben wird, und zwar Probleme öffentlicher und sozialer Natur. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

In diesem Sinne diskutieren wir gerne weiter. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

18.11

18.11.10

 


Präsident Josef Saller: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend bundeseinheitliche Bedarfsorientierte Mindestsiche­rung vor.

Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Es ist eine namentliche Abstimmung verlangt worden. Da dieses Verlangen von fünf Bundesräten gestellt wurde, ist gemäß § 54 Abs. 3 der Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung durchzuführen. Ich gehe daher so vor.

Im Sinne des § 55 Absatz 5 der Geschäftsordnung erfolgt die Stimmabgabe nach Aufruf durch die Schriftführung in alphabetischer Reihenfolge mündlich mit „Ja“ oder „Nein“. Ich bitte um eine deutliche Äußerung.

Ich ersuche nunmehr die Schriftführung um den Aufruf der Bundesräte in alpha­betischer Reihenfolge.

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(Über Namensaufruf durch Schriftführerin Stöckl geben die Bundesrätinnen und Bundesräte ihr Stimmverhalten mündlich bekannt.)

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Präsident Josef Saller: Ich mache von meinem Stimmrecht Gebrauch und stimme mit „Nein“.

Die Stimmabgabe ist beendet.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 145

Ich unterbreche zur Auszählung der Stimmen kurz die Sitzung.

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(Die zuständigen Bediensteten nehmen die Stimmenzählung vor. – Die Sitzung wird um 18.16 Uhr unterbrochen und um 18.17 Uhr wieder aufgenommen.)

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Präsident Josef Saller: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf und gebe das Abstimmungsergebnis bekannt.

Demnach entfallen auf den Antrag auf Fassung der gegenständlichen Entschließung bei 50 abgegebenen Stimmen 4 „Ja“-Stimmen und 46 „Nein“-Stimmen. Der Antrag auf Fassung der gegenständlichen Entschließung ist somit abgelehnt.

Mit „Ja“ stimmten die Bundesrätinnen und Bundesräte:

Dziedzic;

Reiter;

Schreyer, Stögmüller.

Mit „Nein“ stimmten die Bundesrätinnen und Bundesräte:

Beer, Blatnik, Bock, Brunner;

Ebner;

Forstner, Fürlinger;

Gödl, Grimling, Gruber-Pruner;

Hackl, Hammerl, Heger, Herbert Werner;

Jenewein, Junker;

Kern, Kneifel, Köck, Köll, Koller, Krusche;

Längle, Ledl-Rossmann, Lindinger, Lindner Mario, Lindner Michael;

Mayer, Mühlwerth;

Oberlehner;

Pfister, Pisec, Posch-Gruska, Preineder;

Raml, Rösch;

Saller, Samt, Schennach, Schmittner, Schödinger, Stöckl;

Todt;

Weber, Winkler;

Zwazl.

18.17.51Einlauf und Zuweisung

Präsident Josef Saller: Ich gebe noch bekannt, dass seit der letzten beziehungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt fünf Anfragen, 3136/J-BR/2016 bis 3140/J-BR/2016, eingebracht wurden.


BundesratStenographisches Protokoll852. Sitzung / Seite 146

Eingelangt ist der Antrag 219/A(E)-BR/2016 der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen, der dem Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumen­tenschutz zugewiesen wird.

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Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Wege erfolgen. Als Sitzungstermin ist Donnerstag, der 12. Mai, 9 Uhr, in Aussicht genom­men.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen insbesondere jene Beschlüsse in Betracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit diese dem Ein­spruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unter­liegen.

Die Ausschussvorberatungen sind für Dienstag, den 10. Mai 2016, 14 Uhr, vorge­sehen.

Ich wünsche allen einen guten Nachhauseweg!

Diese Sitzung ist geschlossen.

18.18.57Schluss der Sitzung: 18.19 Uhr

 

 

 

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