Parlament Österreich

 

 

 

 

Stenographisches Protokoll

 

 

 

Bild des Parlamentsgebäudes

 

 

869. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

 

Donnerstag, 22. Juni 2017

 

 


Stenographisches Protokoll

869. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 22. Juni 2017

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 22. Juni 2017: 9.03 – 14.54 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das EU-Qualitätsregelungen-Durchführungsgesetz ge­ändert wird

2. Punkt: Jahresvorschau des BMGF 2017 auf der Grundlage des Legislativ- und Ar­beitsprogramms der europäischen Kommission für 2017 und des Programms des Ra­tes (Malta)

3. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Studienförderungsgesetz 1992 geändert wird

4. Punkt: Mittelstandsbericht 2016

5. Punkt: Bericht über die Lage der Tourismus- und Freizeitwirtschaft in Öster­reich 2016

6. Punkt: Wahl der beiden Vizepräsidenten/innen, der Schriftführer/innen und der Ord­ner/innen für das 2. Halbjahr 2017

*****

Inhalt

Bundesrat

Schlussansprache der Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann ....................................... 6

Schreiben des Präsidenten des Vorarlberger Landtages betreffend Wahl eines Er­satzmitgliedes in den Bundesrat ....................................................................................................................... 31

Schreiben des Generalsekretärs für auswärtige Angelegenheiten gemäß Art. 50 Abs. 5 Bundes-Verfassungsgesetz betreffend Erteilung der Vollmacht zur Aufnah­me von Verhandlungen über ein Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft bezüglich der Zusammenarbeit im Be­reich der Sicherung des Luftraums gegen nichtmilitärische Bedrohungen aus der Luft durch den Herrn Bundespräsidenten ............................................................................. 32

Schreiben des Generalsekretärs für auswärtige Angelegenheiten gemäß Art. 50 Abs. 5 Bundes-Verfassungsgesetz betreffend Erteilung der Vollmacht zur Aufnah-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 2

me von Verhandlungen über den Vertrag zwischen der Republik Österreich und Un­garn über Änderungen und Ergänzungen des Vertrages zwischen der Republik Ös­terreich und der Ungarischen Volksrepublik zur Sichtbarerhaltung der gemeinsa­men Staatsgrenze und Regelung der damit im Zusammenhang stehenden Fra­gen vom 31. Oktober 1964 in der Fassung des Vertrages über Änderungen und Er­gänzungen vom 8. April 2002 durch den Herrn Bundespräsidenten ......................................................................................................... 36

Wortmeldung zur Geschäftsbehandlung:

Mario Lindner ................................................................................................................ 90

6. Punkt: Wahl der beiden Vizepräsidenten/innen, der Schriftführer/innen und der Ordner/innen für das 2. Halbjahr 2017 ............................................................................................................. 98

Personalien

Verhinderungen ................................................................................................................ 6

Ordnungsruf ................................................................................................................... 26

Aktuelle Stunde (53.)

Thema: „Terror in Europa: Herausforderung für Österreichs Staatsschutz“                          11

Redner/Rednerinnen:

Gerhard Schödinger .................................................................................................... 11

Reinhard Todt ............................................................................................................... 13

Werner Herbert ............................................................................................................. 15

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ................................................................................................. 18

Bundesminister Mag. Wolfgang Sobotka .................................................................. 19

Edgar Mayer .................................................................................................................. 22

Stefan Schennach ........................................................................................................ 24

Hans-Jörg Jenewein, MA ............................................................................................ 25

Mag. Nicole Schreyer ................................................................................................... 27

Mag. Gerald Zelina ....................................................................................................... 28

Bundesregierung

Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Aufenthalt von Mitgliedern
der Bundesregierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Uni-
on .......................................................................................................................  40, 41, 42

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse ............................................................................ 44

Ausschüsse

Zuweisungen .................................................................................................................. 29

Dringliche Anfrage

der Bundesräte Dr. Heidelinde Reiter, Kolleginnen und Kollegen an die Bun­desministerin für Familien und Jugend betreffend Art. 15a B-VG Vereinbarungen zur Kinderbetreuung (3249/J-BR/2017)                        100

Begründung: Dr. Heidelinde Reiter ............................................................................ 100

Bundesministerin MMag. Dr. Sophie Karmasin ..................................................... 101


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 3

Debatte:

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................. 103

Edgar Mayer ................................................................................................................ 103

Inge Posch-Gruska .................................................................................................... 105

Thomas Schererbauer ............................................................................................... 106

Entschließungsantrag der Bundesräte Dr. Heidelinde Reiter, Kolleginnen und Kollegen betreffend Art. 15a B-VG Vereinbarung zur Kinderbetreuung – Ableh­nung ......................................  103, 107

Verhandlungen

1. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 7. Juni 2017 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das EU-Qualitätsregelungen-Durchführungsgesetz geändert wird (1643 d.B. und 1653 d.B. sowie 9812/BR d.B.)           ............................................................................................................................... 44

Berichterstatterin: Inge Posch-Gruska ......................................................................... 44

Redner/Rednerinnen:

Thomas Schererbauer ................................................................................................. 44

Ana Blatnik .................................................................................................................... 47

Ing. Eduard Köck .......................................................................................................... 48

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................... 50

Bundesministerin Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc ................................................. 51

Entschließungsantrag der Bundesräte Thomas Schererbauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Streichung der Bezeichnung „g.g.A.“ wegen Irreführung der Konsumenten – Ablehnung ..........  46, 52

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 51

2. Punkt: Jahresvorschau des BMGF 2017 auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der europäischen Kommission für 2017 und des Programms des Rates (Malta) (III-605-BR/2017 d.B. sowie 9813/BR d.B.) ................................................................................................................. 52

Berichterstatterin: Inge Posch-Gruska ......................................................................... 52

Redner/Rednerinnen:

Gerd Krusche ............................................................................................................... 52

Stefan Schennach ........................................................................................................ 54

Ferdinand Tiefnig ......................................................................................................... 56

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................... 58

Bundesministerin Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc ................................................. 60

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-605-BR/2017 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................... 60

3. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 7. Juni 2017 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Studienförderungsgesetz 1992 geändert wird (2171/A und 1655 d.B. sowie 9814/BR d.B.)                         61

Berichterstatter: Ing. Andreas Pum .............................................................................. 61

Redner/Rednerinnen:

Josef Saller ................................................................................................................... 61

Mag. Daniela Gruber-Pruner ....................................................................................... 62

Mag. Michael Raml ....................................................................................................... 63

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................... 64

Bundesminister Mag. Dr. Harald Mahrer ................................................................... 65


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 4

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 67

4. Punkt: Mittelstandsbericht 2016 (III-601-BR/2016 d.B. sowie 9815/BR d.B.)              67

Berichterstatterin: Marianne Hackl ................................................................................ 67

Redner/Rednerinnen:

Mag. Reinhard Pisec, BA ............................................................................................. 67

Gregor Hammerl ........................................................................................................... 71

Mag. Gerald Zelina ....................................................................................................... 73

René Pfister .................................................................................................................. 76

Bundesminister Mag. Dr. Harald Mahrer ................................................................... 78

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................... 80

Edgar Mayer .................................................................................................................. 82

Entschließungsantrag der Bundesräte Mag. Reinhard Pisec, BA, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abschaffung der kalten Progression zur Stärkung des Mit­telstandes – Ablehnung  68, 83

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-601-BR/2016 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................... 83

5. Punkt: Bericht über die Lage der Tourismus- und Freizeitwirtschaft in Öster­reich 2016 (III-623-BR/2017 d.B. sowie 9816/BR d.B.) ................................................................................ 83

Berichterstatterin: Marianne Hackl ................................................................................ 83

Redner/Rednerinnen:

Christoph Längle .......................................................................................................... 83

Christian Poglitsch ...............................................................................................  85, 98

Günther Novak ............................................................................................................. 87

Mag. Nicole Schreyer ................................................................................................... 91

Hubert Koller, MA ......................................................................................................... 93

Bundesminister Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter ......................................................... 95

Hans-Jörg Jenewein, MA ............................................................................................ 96

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-623-BR/2017 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................... 98

Eingebracht wurden

Anfragen der Bundesräte

Hans-Jörg Jenewein, MA, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inne­res betreffend Polizeieinsätze im Umfeld der Wiener U-Bahnstation „Margareten Gür­tel“ 2016 (3248/J-BR/2017)

Dr. Heidelinde Reiter, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Familien und Jugend betreffend Artikel 15a B-VG Vereinbarungen zur Kinderbetreuung (3249/J-BR/2017)

Anfragebeantwortungen

der Bundesministerin für Bildung auf die Anfrage der Bundesräte Christoph Längle, Dr. Magnus Brunner, LL.M, Kolleginnen und Kollegen betreffend Investitionen in Vor­arlberger Schulen (2992/AB-BR/2017 zu 3229/J-BR/2017)

der Bundesministerin für Bildung auf die Anfrage der Bundesräte Peter Samt, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend Schulbuch „Lesen mit Sinn“ über Mehmet und die Mo­schee (2993/AB-BR/2017 zu 3231/J-BR/2017)


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 5

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Arnd Meißl, Kollegin­nen und Kollegen betreffend PKK-nahe Veranstaltung in der Arbeiterkammer Steier­mark (2994/AB-BR/2017 zu 3230/J-BR/2017)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Martin Weber, Kol­leginnen und Kollegen betreffend AGM-Planstellen in Halbenrain (2995/AB-BR/2017 zu 3232/J-BR/2017)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend Polizeieinsätze im Asylheim St. Andrä-Wördern (2996/AB-BR/2017 zu 3233/J-BR/2017)


 


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 6

09.03.12Beginn der Sitzung: 9.03 Uhr

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Ich eröffne die 869. Sitzung des Bundesrates.

Das Amtliche Protokoll der 868. Sitzung des Bundesrates vom 1. Juni 2017 ist aufge­legen, unbeanstandet geblieben und gilt daher als genehmigt.

Ich begrüße sehr herzlich bei uns im Bundesrat Herrn Bundesminister für Inneres Mag. Wolfgang Sobotka. Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Als verhindert gemeldet sind die Mitglieder des Bundesrates Renate Anderl, Ing. Hans-Peter Bock, Ing. Bernhard Rösch und Monika Mühlwerth.

09.03.46Schlussansprache der Präsidentin

 


9.04.01

Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Ich darf mich beim ORF dafür bedanken, dass die heutige Bundesratssitzung live im ORF übertragen wird.

Wahrscheinlich geht es mir heute so wie vielen, die die Präsidentschaft innegehabt ha­ben: dass ein Tag erreicht ist, an dem man selbst überrascht feststellt, wie schnell doch ein halbes Jahr vergeht. Man ist bei der Abschiedsrede angelangt und hat in Wirklichkeit das Gefühl, dass seit der Antrittsrede erst ein paar Tage vergangen sind.

Hinter uns allen liegt ein bewegtes halbes Jahr, geprägt durch die innenpolitischen The­men, aber auch durch die internationalen: das Flüchtlingsthema, das uns nach wie vor begleitet, aber immer wieder auch Meldungen von Terroranschlägen, die uns errei­chen, die für uns alle unbegreiflich sind, aber wir wissen leider auch, dass uns dieses Thema auch in Zukunft begleiten wird, worüber wir im Anschluss in der Aktuellen Stun­de noch diskutieren werden.

Es war auch ein halbes Jahr, in dem wir leider von politischen Persönlichkeiten Ab­schied nehmen mussten. Bundesministerin Dr. Sabine Oberhauser und auch unser ehe­maliger Vizekanzler Dr. Alois Mock waren für mich Menschen und Persönlichkeiten, die ihre Themen und ihre Ziele voller Leidenschaft und mit großem Einsatz verfolgt haben und für mich deshalb zweifelsohne auch als Vorbilder gelten.

Es waren für mich aber auch sechs Monate, in denen ich sehr viele besondere Mo­mente erleben durfte, beginnend im Jänner mit der Angelobung unseres Herrn Bun­despräsidenten, einem Tag, der mir natürlich persönlich in Erinnerung bleiben wird, und es hat mich auch mit Stolz erfüllt, dass ich als Vorsitzende der Bundesversammlung am 26. Jänner 2017 den gesamten Bundesrat nicht nur vertreten, sondern auch reprä­sentieren durfte.

Kurz darauf fand auch die Tiroler Übergabefeier im Parlament statt, ein Bundeslän­derabend mit einem landesüblichen Empfang vor dem Parlament. Ich glaube, es war für all jene, die aus meinem Heimatbundesland und auch im Rahmen der Abordnungen aus meinem Bezirk hier im Parlament anwesend waren, ein wirklich unvergesslicher Abend.

Die Bundesländerabende haben schon eine gewisse Tradition, und ebenso, dass wir die Gelegenheit nützen, heimischen Künstlern eine Bühne zu geben und somit auch mit der Vernissage der Tiroler Künstlerin Margret Schiestl, der „Tiroler Adlerin“, die Gele­genheit, Werke aus meinem Heimatbundesland zu präsentieren.

Für uns alle ist es schön, wenn wir viele junge Menschen hier bei uns im Hohen Haus begrüßen können sowie viele Gästegruppen, und stellvertretend dafür möchte ich das


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 7

Jugendparlament erwähnen, das Anfang März stattgefunden hat, diesmal gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern aus der Steiermark und aus Tirol.

Nach der Bundesversammlung hatte ich ein zweites Mal die Möglichkeit, gemeinsam mit der Präsidentin des Nationalrates eine Veranstaltung im historischen Sitzungssaal abzuhalten: den Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Für mich ist das jedes Jahr ein sehr wichtiger Tag, aber ge­rade heuer hatten wir mit Professorin Gertrude Schneider und Professor Walter Arlen zwei ganz besondere Menschen zu Gast, die uns mit ihren Worten und auch musika­lisch ihre Geschichte nähergebracht haben.

Ein sehr bereichernder Teil jeder Präsidentschaft ist sicher die Möglichkeit, besondere Menschen kennenzulernen, Kontakte und weitere Netzwerke zu knüpfen. So war dies insbesondere durch die zahlreichen Treffen mit Botschaftern der Fall, im bilateralen Aus­tausch, aber auch bei Auslandsbesuchen, beginnend mit einem gemeinsamen Besuch mit dem Zweiten Nationalratspräsidenten Karlheinz Kopf in Brüssel, Treffen mit dem Prä­sidenten und Vizepräsidenten des Ausschusses der Regionen, Gesprächen mit allen österreichischen Mitgliedern des Europäischen Parlaments bis hin zum Besuch bei der belgischen Senatspräsidentin. Weitere und sehr zahlreiche Kontakte konnte ich knüpfen bei der EU-ParlamentspräsidentInnenkonferenz in Bratislava mit einem sehr wichtigen Schwerpunktthema, nämlich: Wie gelingt es uns, das Thema EU auch in Zukunft näher an die Bürgerinnen und Bürger zu bringen?

Es hat mich sehr gefreut, dass vor wenigen Tagen auch ein Brief von der deutschen Bundesratspräsidentin Malu Dreyer eingetroffen ist, in dem sie insbesondere auch un­ser Lehrlingsparlament als Vorzeigeprojekt hervorgehoben hat.

Aber nicht nur sie, sondern viele mehr konnte ich kennenlernen. Es war für mich auch sehr schön, die niederländische Senatspräsidentin nicht nur in Bratislava kennenzuler­nen, sondern sie auch in Den Haag bei unserem gemeinsamen Aufenthalt, dem zwei­tägigen Aufenthalt der Präsidialkonferenz in den Niederlanden, zu treffen. Ich denke, ich darf für uns alle in der Präsidialkonferenz sprechen und sagen, dass diese zwei Ta­ge wirklich sehr interessant waren und auch von meinem Schwerpunktthema her, der Pflege, sehr wichtig, hatten wir doch auch Gelegenheit, besondere Vorzeigeprojekte, Wohnprojekte, zu besuchen und uns dadurch sicher auch Ideen für die Zukunft mitzu­nehmen.

Der letzte Auslandsbesuch fand vor rund einem Monat in Rom statt. Gemeinsam mit Landeshauptmann Günther Platter hatten wir Termine mit dem Verkehrsminister und ge­meinsam im Beisein des Landeshauptmanns von Südtirol, Arno Kompatscher, mit dem Außenminister, und im Zuge dessen wurde das Flüchtlingsthema sehr intensiv bespro­chen, denn gerade auch in diesem Themenbereich ist die gute Zusammenarbeit zwi­schen Italien und Österreich ausschlaggebend. Abgerundet wurde dieser Besuch na­türlich mit einem besonderen Moment für mich, nämlich dem persönlichen Zusammen­treffen mit Seiner Heiligkeit, dem Papst.

Nicht im Ausland, dafür aber im Vorsitzland Tirol hat heuer eine Premiere stattgefun­den: Zum ersten Mal ist der Kinderrechteausschuss des Bundesrates in ein Bundes­land gefahren, um dort vor Ort die Themen für Kinder und Jugendliche zu besprechen und zu diskutieren: beim Jugendparlament der Alpenkonvention, das an diesem Tag im Landhaus getagt hat, in Gesprächen mit den Kinder- und JugendsprecherInnen aller Landtagsparteien sowie beim Besuch der Kinder- und Jugendanwaltschaft. Ich glaube, es war für uns alle ein sehr aufschlussreicher und wichtiger Aufenthalt und eine be­sondere Erfahrung. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

Gerade deshalb wünsche ich mir, dass es auch in Zukunft gelingt, solch überparteiliche Besuche des Kinderrechteausschusses in den Bundesländern fortzuführen.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 8

Überparteilichkeit war und ist mir vor allem in einem Bereich wichtig, nämlich bei mei­nem Schwerpunktthema Pflege, denn neben all dem, was ich jetzt aufgezählt habe und was in Wirklichkeit auch nur ein Auszug aus vielen Momenten ist, und unseren zahl­reichen Sitzungen habe ich natürlich mit aller Kraft und mit allen Möglichkeiten ver­sucht, dieses Thema von Anfang an zu vertreten und vor allem für jene, die das Thema Pflege betrifft, ein Sprachrohr zu sein.

Mit dem Motto „Die Zukunft der Pflege: Schaffbar, sichtbar, leistbar“ habe ich am 1. Jän­ner 2017 meine Präsidentschaft begonnen. Bei meiner Antrittsrede habe ich schon fest­gehalten, dass es mir ein Anliegen ist, dieses so wichtige Thema in die Präsenz zu ho­len, weil es so viele Menschen betrifft und uns bewusst sein muss, dass es jeden von uns treffen kann. Wir wissen, dass wir auf große Herausforderungen zusteuern und dass wir uns jetzt überlegen müssen, wie wir die Pflege der Zukunft gestalten. Und ich habe festgehalten, dass ich gerade bei diesem Thema eine große Chance sehe, im politischen Einklang echte Verbesserungen und Erleichterungen für die Menschen in un­serem Land zu erzielen.

Mit genau dieser Einstellung war ich auch die vergangenen Monate unterwegs. Es hat mich zu Beginn der Präsidentschaft wirklich sehr gefreut, wie viele Menschen mich da­rin bestärkt haben, das Thema Pflege in den Mittelpunkt zu stellen, auch von Einrich­tungen und Institutionen, die dies unterstützt haben. Gerade deswegen war es mir auch wichtig, bei unserer Pflege-Enquete am 5. April all jene einzubinden, die mit diesem The­ma zu tun haben, angefangen von unseren Ministern bis zum diplomierten Gesund­heits- und Krankenpfleger, von Menschen mit Behinderung bis hin zu pflegenden An­gehörigen. Ich denke, an diesem Tag haben alle Referentinnen und Referenten, aber auch die zahlreich teilnehmenden Personen die Breite dieses Themas widergespiegelt. Sie haben die Istsituation der Pflege klar aufgezeigt, aber auch festgehalten, dass wir dringend Überlegungen für die Zukunft brauchen.

Diese Pflege-Enquete war für mich zweifelsohne ein sehr wichtiger Impuls zu diesem Thema, und damit hat auch der Bundesrat einen wichtigen Beitrag geleistet. Dafür, dass diese Pflege-Enquete auf einem Allparteienantrag basierte, danke ich sehr herzlich.

Neben diesem Tag war mir auch immer der direkte Kontakt mit Einrichtungen und Ver­treterinnen und Vertretern der Pflege wichtig. Sehr viele Gespräche haben hier im Par­lament stattgefunden, aber sehr viele auch außerhalb bei meiner Tour durch ganz Ös­terreich. Und auch wenn es zeitlich wirklich nicht immer ganz einfach war, war es mir von Anfang an ein großes Anliegen, mit dem Thema Pflege wirklich alle Bundesländer zu besuchen. Es kam zu Treffen mit den Präsidentinnen und Präsidenten der Landta­ge, im Anschluss zu Besprechungen mit den Sozialsprechern aller Parteien, oft im Bei­sein der zuständigen Sozialreferenten – das war für mich ein sehr besonderer und wert­voller Teil –, und zu sehr guten Diskussionen, in denen man sich auch wichtige Inputs holen konnte, indem Problemfelder klar aufgezeigt wurden, aber ebenso, welche Beson­derheiten oder auch Vorzeigeprojekte jedes Bundesland hat.

Was ich als absolut positiv festhalten will, ist, dass es in jedem Bundesland gelungen ist, diese Diskussion sachlich und thematisch zu führen. Ich möchte die Gelegenheit nut­zen – auch wenn ich es erst kürzlich bei der LandtagspräsidentInnenkonferenz in Vor­arlberg schon persönlich gemacht habe – und mich an dieser Stelle noch einmal bei al­len Präsidentinnen und Präsidenten der Landtage in ganz Österreich dafür bedanken, dass sie mir diese Besuche ermöglicht und diese Gespräche organisiert haben. (Allge­meiner Beifall.)

Dies war sicher ein sehr wesentlicher Teil, um die Pflege mehr in die Präsenz zu holen, aber es hat für mich vor allem auch eines gezeigt: Es hat die Themen und das Ergeb­nis unserer Pflege-Enquete absolut verstärkt.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 9

Die Sicherung des Pflegesystems in Österreich zählt zu einer der größten künftigen und gesellschaftlichen Herausforderungen Österreichs. Rechtzeitig vor dem Auslaufen des Pflegefonds 2021 müssen wir uns Varianten für die Zukunft überlegen. Wir müssen mög­liche Effizienzpotenziale prüfen, ohne aber dabei in der Qualität der Betreuung für die Menschen Abstriche zu machen. Die Dienstleistung an den Menschen in der Pflege und Betreuung muss in bestmöglicher Qualität stattfinden. Der Zugang zu den Pflegeleis­tungen auch in ländlichen Regionen muss gewährleistet und so aufgebaut sein, dass aber trotzdem jeder, der diese Unterstützung braucht, die Wahlmöglichkeit hat, wie und von wem er betreut wird.

Pflegende Angehörige übernehmen einen sehr wichtigen und großartigen Teil dieser Arbeit, und gerade das muss auch für die Zukunft ein absolut wichtiges Thema sein: sie weiterhin mit aller Kraft zu unterstützen, Angebote auszubauen, aber ihnen auch weiterhin Mut zu machen, sich wirklich diese Unterstützung und diese Hilfe zu holen. Wir wissen, dass der Pflegebereich größer werden und der Pflegebedarf steigen wird und wir in Zukunft mehr Pflegepersonal brauchen werden. Mit dem neuen Ausbildungs­gesetz wurde auch ein klares Zeichen für eine gute Qualität in der Pflegeausbildung gesetzt, aber wir müssen auch dafür Sorge tragen, dass es genug Ausbildungsplätze gibt, und schauen, wie wir den Beruf der Pflege noch attraktiver gestalten können, so­dass in Zukunft hoffentlich viele Menschen diesen besonderen Beruf wählen werden.

Für mich liegen die Fakten klar auf dem Tisch, und daher ist es nicht nur für mich, son­dern auch für viele andere eindeutig, dass wir jetzt an Lösungen für die Zukunft arbei­ten müssen.

Natürlich war es mir auch ein Anliegen, meine Präsidentschaft unter dem Motto „Die Zukunft der Pflege: Schaffbar, sichtbar, leistbar“ mit einem klaren Zeichen, mit einem klaren Signal aus dem Bundesrat abzuschließen, mit einem Antrag abzuschließen, in dem die Bundesregierung ersucht wird, in ihrem Verantwortungsbereich und unter Ein­beziehung der Länder eine Expertenkommission einzusetzen, um an diesen großen Themen und Herausforderungen der Zukunft zu arbeiten, und zu unterstützen, dass in der nächsten Legislaturperiode des Nationalrates eine Enquete-Kommission zu diesem besonderen Thema gemacht wird. Doch leider haben die Wellen des Nationalratswahl­kampfes nun auch den Bundesrat erreicht, und damit ist einmal mehr eine Situation entstanden, in der bedauerlicherweise nicht mehr die Sachpolitik, sondern die Partei­politik im Vordergrund steht. Für mich ist das umso mehr enttäuschend, als ich die letz­ten fünfeinhalb Monate das Thema Pflege sachlich, überparteilich und offen vertreten habe, weil es mir wirklich ein Herzensanliegen ist. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Schererbauer.)

Daher ist es für mich nicht nachvollziehbar, dass man diesen konstruktiven Weg nicht mitgehen kann, denn all jene Menschen, die Pflege und Betreuung brauchen, all jene, die das selbst leben, haben es sich verdient, dass wir endlich an diesem Thema ar­beiten. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie bei Bundesräten der FPÖ.)

Es ist natürlich für mich schmerzhaft, dass dieser Antrag nicht zustande gekommen ist, aber ich möchte mich trotzdem bei all jenen bedanken, die in ihrem Problembewusst­sein die Herausforderungen für die Zukunft erkannt haben und diesen Antrag als einen Teil der Lösung sicher gerne unterstützt hätten. Auch wenn es hier keinen gemeinsa­men Weg gibt, ist für mich eines klar: Ich werde mich auch in Zukunft mit aller Kraft und aus ganzem Herzen für die Pflege einsetzen und mit Nachdruck vertreten, dass an die­sen Zukunftsmodellen gearbeitet werden muss. Auch wenn es nicht auf dem von mir gewünschten Weg möglich war, darf ich jetzt hier noch einmal ganz klar und deutlich sagen: Für mich ist es höchst an der Zeit, dass eine Expertenkommission eingerichtet wird, die an der Zukunft der Pflege arbeitet. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie bei Bun­desräten von FPÖ und Grünen.)


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 10

Eines kann ich aber sicher mit Fug und Recht sagen: Ich habe zu Beginn der Prä­sidentschaft gesagt, mir ist es ein Anliegen, die Pflege in die Präsenz zu holen, ein The­ma, das wirklich ein Schattendasein geführt hat und in der Tagespolitik nicht vorge­kommen ist. Wenn ich mir jetzt die Berichte der letzten Wochen anschaue, kann ich festhalten: Ich habe anscheinend mein Ziel erreicht. Was ich aber hoffe und was ich mir wünsche, ist, dass dies nachhaltig ist, dass nicht nur die nächsten Monate von der Pflege geredet wird, sondern weit darüber hinaus.

Abschließend möchte ich es aber nicht verabsäumen, mich auch bei den Fraktionsvor­sitzenden Reinhard Todt, Monika Mühlwerth – sie ist leider heute nicht hier – und Ni­cole Schreyer für die sehr gute Zusammenarbeit in der Präsidiale in den letzten Mo­naten zu bedanken, aber speziell auch bei meinem Fraktionsobmann Edgar Mayer mit dem Team des ÖVP-Klubs, der meine Präsidentschaft immer voll unterstützt und auch mitgetragen hat.

Bei dieser Gelegenheit wünsche ich dir, lieber Edgar, jetzt schon alles Gute für deine Präsidentschaft, und ich freue mich, wenn ich in zwei Wochen den Parlamentsschlüs­sel symbolisch an einen sehr erfahrenen Präsidenten übergeben darf. Ich bin der Über­zeugung, dass du deine Präsidentschaft in der gewohnten Professionalität und enga­giert mit deinen Schwerpunktthemen leben wirst, und dafür wünsche ich dir von Herzen alles Gute. (Allgemeiner Beifall.)

Ein Dank aber auch an Vizepräsidentin Ingrid Winkler und Vizepräsidenten Ernst Gödl. Danke auch für die Vertretungen, die oft kurzfristig entstanden sind, sei es im Ausland oder sei es auch dafür, dass es uns gelungen ist, unsere gemeinsame Vorsitzführung je nach Herausforderungen und Terminen oft sehr situationselastisch zu gestalten. (Hei­terkeit.) Es hat mir wirklich Freude gemacht, mit euch beiden zusammenzuarbeiten. Vie­len Dank. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie der Bundesrätin Schreyer.)

Ein großes Dankeschön aber auch an alle Kolleginnen und Kollegen, an alle Bundes­rätinnen und Bundesräte für die wirklich sehr kollegiale und gute Zusammenarbeit auf allen Ebenen, die wir gemeinsam im Bundesrat leben.

Damit während einer Präsidentschaft im Bundesrat, in den Ausschüssen und bei den Veranstaltungen alles reibungslos funktioniert, braucht es wirklich sehr viele Men­schen, die unsere Arbeit tagtäglich unterstützen, sei es in der Kanzlei, in der Veranstal­tungsabteilung, im Bundesratsdienst, einfach all jene, die für uns tätig sind. Es ist mir leider nicht möglich, sie alle anzuführen, deswegen sei es mir erlaubt, dass ich mich stellvertretend für das gesamte Team bei der Bundesratsdirektorin Susanne Bachmann und ihrer Vizedirektorin Alice Alsch-Harant, bei euch von ganzem Herzen für eure tat­kräftige Unterstützung bedanke. (Allgemeiner Beifall.)

Eine Person aus diesem Team zu erwähnen ist mir aber besonders wichtig, sie ist nämlich jene, die am engsten mit uns Präsidentinnen und Präsidenten zusammenar­beitet: Monika Schweitzer-Wünsch hat die Herausforderung zu bewältigen, sich alle sechs Monate auf eine neue Präsidentschaft und immer wieder auf neue Persönlichkeiten ein­zustellen, aber sie macht das hervorragend. Daher darf ich dir, liebe Monika, für deine Unterstützung, für dein Mitleben danken, es war mir wirklich eine sehr große Freude, mit dir zusammenzuarbeiten. (Allgemeiner Beifall.)

Man würde ja nicht glauben, wie viel Zeit man während einer Präsidentschaft im Auto verbringt, und daher möchte ich unseren Wolfgang Magyar und auch Tina Steinbauer besonders erwähnen. Sie beide waren verantwortlich dafür, mich quer durch Öster­reich zu fahren, und haben mich auch immer wieder sicher heimgebracht. Dafür auch mein großes Dankeschön. (Allgemeiner Beifall.)

Bedanken möchte ich mich aber auch bei dir, lieber Markus Gorfer, und bei deinem Kollegen Jürgen Beilein. Ihr habt mich hautnah durch die ganze Präsidentschaft mit be-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 11

gleitet. Auch wenn du schon viel Erfahrung mit dem Parlament gehabt hast, warst auch du, glaube ich, immer wieder überrascht, wie vielfältig die Themen einer Präsidentschaft, gerade auch, wenn es um Reden gegangen ist, sein können. Vielen Dank für eure wirk­lich großartige Unterstützung. (Allgemeiner Beifall.)

Und nicht zuletzt – und das sei mir erlaubt – ist es mir wirklich ein großes Anliegen, mich bei meiner Familie zu bedanken. Ihr alle könnt es bestätigen: In solchen Funk­tionen braucht es immer auch den Rückhalt der eigenen Familie. Und während einer Präsidentschaft muss sie besonders viel Verständnis aufbringen. Dafür ein herzliches Dankeschön, dass auch sie mir diese Funktion mit ermöglicht hat. (Allgemeiner Beifall.)

Zum Abschluss darf ich noch festhalten: Ich bin wirklich sehr dankbar, dass ich diese Funktion leben durfte. Ich bin dankbar für jeden Moment, für jede Begegnung, die statt­gefunden hat, die ich erleben konnte. Zusammengefasst kann ich einfach nur sagen: Es war für mich etwas Besonderes, die letzten sechs Monate eure Präsidentin zu sein. – Vie­len Dank. (Allgemeiner Beifall.)

9.25

09.25.52Aktuelle Stunde

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wir gelangen nun zur Aktuellen Stunde zum Thema:

„Terror in Europa: Herausforderung für Österreichs Staatsschutz“

mit dem Herrn Bundesminister für Inneres Mag. Wolfgang Sobotka, den ich hiermit noch einmal willkommen heißen darf. (Allgemeiner Beifall.)

In der Präsidialkonferenz wurde Einvernehmen über folgenden Ablauf erzielt: Zunächst kommt je eine Rednerin/ein Redner pro Fraktion zu Wort, dessen beziehungsweise de­ren Redezeit jeweils 10 Minuten beträgt. Sodann folgt die Stellungnahme des Herrn Bun­desministers, die ebenfalls 10 Minuten nicht überschreiten soll. Danach folgt wiederum je eine Rednerin/ein Redner jeder Fraktion sowie anschließend je eine Wortmeldung der Bundesräte ohne Fraktionszugehörigkeit mit jeweils einer 5-minütigen Redezeit. Zu­letzt kann noch eine abschließende Stellungnahme des Herrn Bundesministers erfol­gen, die nach Möglichkeit 5 Minuten nicht überschreiten soll.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schödinger. Ich erteile es ihm und ma­che darauf aufmerksam, dass entsprechend der Vereinbarung in der Präsidialkonfe­renz die Redezeit 10 Minuten beträgt.

 


9.27.06

Bundesrat Gerhard Schödinger (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsi­dentin! Sehr geehrter Herr Minister! Thema der heutigen Aktuellen Stunde ist: „Terror in Europa: Herausforderung für Österreichs Staatsschutz“. Unser Land, unsere Bürger, aber vor allem unsere Polizei hatten es in den letzten drei Jahren mit einer nie dage­wesenen Herausforderung die Terrorgefahr betreffend zu tun, die unser aller tägliches Leben stark beeinflusst. Ich möchte versuchen, die Terrorbedrohung in Zahlen und vor allem die geplanten und bereits umgesetzten Präventionsmaßnahmen zu beleuchten.

Flughafen Brüssel, Nizza, Berlin, Istanbul, Manchester – das sind nur einige Schau­plätze von Terroranschlägen seit dem Jänner 2016. In dieser Zeit gab es in Europa 26 Attentate, bei denen weit über 200 Opfer und eine noch viel höhere Zahl an Verletz­ten zu beklagen waren.

Bis jetzt scheint in dieser Statistik des Grauens kein österreichischer Anschlagsort auf, aber es gibt keine Garantie, dass das auch so bleibt. Auch wenn wir glücklicherweise bis heute von Terroranschlägen verschont geblieben sind, gibt es doch eine Fülle von


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 12

Straftaten im Zusammenhang mit dem Terrorismus. Seit 2014 gab es insgesamt 1 052 An­zeigen, davon 74 Verurteilungen und 149 Festnahmen. Weiters gehen wir von einer er­höhten Gefährdungslage in Österreich aus, der Grund dafür ist die Etablierung islamis­tisch-extremistischer Strukturen.

Eine große Gefahr geht von den sogenannten Dschihadreisenden aus. Es handelt sich dabei um aus Österreich stammende Personen, die beabsichtigten, daran gehindert wurden oder es geschafft haben, nach Syrien einzureisen, um den IS zu unterstützen. Die Entwicklung von 2012 bis 2017: Von insgesamt 304 Dschihadreisenden sind 94 zurückgekehrt, 53 sind verstorben, 104 noch im Krisengebiet und 53 wurden an der Ausreise gehindert. Bemerkenswert dabei ist, dass die größte Gruppe der Dschihadrei­senden ethnische Tschetschenen sind, nämlich 125, gefolgt von Staatsangehörigen der Türkei, von Bosnien-Herzegowina und von Afghanistan.

Ich möchte an dieser Stelle auch die Altersstruktur hervorheben, weil ich glaube, dass das ein ganz wichtiges Argument bei den noch zu setzenden und schon gesetzten Maß­nahmen ist. Wir haben festgestellt, dass die Radikalisierung in einem Alter von 13, 14 Jah­ren beginnt und mit 25 Jahren die Gefährdungslage am größten ist; danach sinkt die Gefahr, sinkt das Risiko von terroristischen Aktivitäten. Ich sage das deswegen so ein­dringlich, weil wir da auch bei den minderjährigen Asylwerbern sehr, sehr vorsichtig sein müssen, da in diesem Bereich ein sehr hohes Potenzial besteht, in diese Kreise abzu­driften.

Aktuell sind 26 Dschihadisten in Haft, von denen zehn bei der Ausreise angehalten wur­den und 16 aus dem Krisengebiet zurückgekehrt sind. Es handelt sich dabei um 13 Rus­sen, neun Österreicher, zwei Türken, einen Serben und einen bulgarischen Staatsbür­ger. Zu der Zahl der russischen Staatsangehörigen ist zu sagen, dass es sich dabei aus­nahmslos um Tschetschenen handelt.

Derzeit steht die Zahl der Ausreisen nach Syrien und in den Irak praktisch auf null. Eine Verringerung der Gefahr bedeutet das aber auf keinen Fall, weil die Gefahr von Anschlägen im Inland dadurch steigt. Um dieser Gefahr wirksam entgegentreten zu kön­nen, ist es unbedingt notwendig, Maßnahmen gegen diese Gefährder zu setzen: Aus­forschung von Radikalisierungs- und Rekrutierungseinrichtungen, Überwachungsmaß­nahmen zur Risikokontrolle und -minimierung, konsequente strafrechtliche Verfolgung aller Akteure, Schulungen und Sensibilisierung von Exekutivbeamten im Rahmen von Seminaren und – als letzten Punkt – Kontakt mit den relevanten Glaubensgemein­schaften.

Die Maßnahmen gegen die Radikalisierung sind ausgearbeitet und stehen kurz vor der Umsetzung, und auf diese will ich auch etwas genauer eingehen.

Erstens: bundesweites Netzwerk zur Extremismusprävention und Deradikalisierung ab Juli 2017. Es handelt sich dabei um ein ressortübergreifendes Projekt unter Einbindung der NGOs mit Bündelung aller Maßnahmen, unter der federführenden Leitung des BVT.

Zweitens: Programm zum Ausstieg aus dem gewaltbereiten Extremismus ab Herbst 2017. Dieses wird vom bundesweiten Netzwerk koordiniert und von Experten aus der Zivilge­sellschaft, wie zum Beispiel Verein Neustart, Verein Derad, Beratungsstelle Extremis­mus, umgesetzt.

Drittens: Beratungsstelle Extremismus beim Bundesministerium für Justiz, zentrale An­laufstelle für radikalisierte Jugendliche oder deren Angehörige. Seit 2014 gab es dort 2 300 Anrufe und 108 persönliche Beratungen.

Viertens: Schulungsoffensive „Radikalisierung und Rekrutierung“ für Präventionsbeam­te. Bislang wurden 250 Beamte geschult.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 13

Fünftens: Ausbildung von Staatsschutzsensoren; das sind Einsatzbeamte in den Be­zirken, die über staatspolizeiliche Kenntnisse verfügen.

Sechstens: Kontaktbeamte in den Justizanstalten – direkte Reaktionsmöglichkeit bei Verdachtsfällen, laufende Sensibilisierungsveranstaltungen, auch bei den Staatsanwalt­schaften.

Siebentens: Schulungen für Lehrpersonal an den Pädagogischen Hochschulen und För­derung gemeinsamer Projekte.

Achtens: Sensibilisierung der Sicherheitsbehörden, des Bundesamtes für Asyl und an Grenzkontrollstellen; da geht es um das Erkennen radikaler Tendenzen bei der Erstbe­fragung.

Neuntens: Förderung wissenschaftlicher Forschungsvorhaben und inhaltliche Unterstüt­zung.

Und zehntens: Teilnahme am europäischen Bündnis RAN, Radicalisation Awareness Network. Dabei geht es um einen laufenden Informationsaustausch durch nachrichten­dienstliche Kooperation, vor allem mit Transitländern in Dschihadgebieten und den West­balkanstaaten.

Das sind jene Maßnahmen, die sich bereits in Umsetzung befinden. Das kann nicht allein durch Polizeiarbeit bewältigt werden, sondern wenn wir dieses Problem wirklich an der Wurzel anpacken wollen, dann bedarf es einer breiten Basis in der politischen Struktur und in der Verwaltungsstruktur unseres Landes.

Wenn ich all diese Maßnahmen zur Deradikalisierung und Prävention zusammenneh­me, dann denke ich, dass wir gut aufgestellt sind und damit auch in der Zukunft un­serer Bevölkerung ein entsprechendes Angebot liefern können, bei dem sich die Bevöl­kerung unseres Landes sicher sein kann, dass wir alles Menschenmögliche daranset­zen, die Sicherheit in diesem Land zu gewährleisten. Wir können zwar nicht garantie­ren, dass hier kein Terroranschlag stattfindet, aber wir können schon garantieren, dass alle unsere Bemühungen in diese Richtung gehen und auch entsprechende Maßnah­men umgesetzt werden.

Diese Leistungen und diese Maßnahmen tragen den Namen eines dafür Verantwortli­chen, nämlich jenen unseres Innenministers Wolfgang Sobotka, der der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Ich möchte mich auch im Namen vieler, vieler Ös­terreicher und Österreicherinnen für diese hervorragende Leistung recht herzlich bedan­ken. (Beifall und Bravoruf bei der ÖVP.)

9.35


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bevor wir in der Rednerliste fortsetzen, begrüße ich sehr herzlich die Mentoring-Gruppe des Wirtschaftsbundes Niederösterreich bei uns hier im Bundesrat. (Allgemeiner Beifall.)

Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Todt. – Bitte.

 


9.35.48

Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle­gen! Ich darf zunächst festhalten, dass das ausgewählte Thema tatsächlich eines der aktuellsten und wichtigsten Themen gegenwärtig in Europa, aber auch in Österreich ist. Mit menschenverachtenden Terroranschlägen in Europa sollen die europäische Gesell­schaft destabilisiert und die europäischen Grundwerte infrage gestellt werden.

Auch der aktuelle Verfassungsschutzbericht 2016 sieht im religiös motivierten islamis­tischen Extremismus und Terrorismus nach wie vor die größte Bedrohung für die in-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 14

nere Sicherheit Österreichs. Der Direktor des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung hat vor allem die Dschihadrückkehrer sowie jene Personen, die an einer diesbezüglichen Ausreise gehindert wurden, als größte Gefahrenquelle be­zeichnet. Zu Jahresende 2016 waren 296 sogenannte Foreign Fighters aus Österreich bekannt. In Österreich stellen davon 141 Personen ein Gefährdungspotenzial dar; 90 von ihnen sind Rückkehrer, 51 Personen wurden an der Ausreise in den Dschihad gehin­dert. Weitere 45 den Behörden bekannte Kämpfer aus Österreich wurden im Ausland getötet, die übrigen 110 Betroffenen dürften sich nach wie vor außerhalb des Landes be­finden.

Nicht übersehen werden darf dabei, dass parallel dazu auch die Zahl rechtsextremis­tisch motivierter Straftaten in Österreich ansteigt. Im Jahr 2016 gab es 1 313 Tathand­lungen mit rechtem Hintergrund – ein Anstieg um 13 Prozent gegenüber dem Jahr 2015, wobei sich die Zahl der Tathandlungen von 2014 auf 2015 verdoppelt hat. Österreich sieht sich daher hinsichtlich der terroristischen Bedrohung sowohl vonseiten des Dschi­hadismus als auch vonseiten des Rechtsextremismus bedroht. Diese beiden Aspekte sind zur Kenntnis zu nehmen und nicht zu schönen, da es sich dabei um statistisches Datenmaterial handelt.

Bei den terroristischen Anschlägen in Europa, die eine hohe Anzahl von Menschenle­ben vernichteten und Hunderte Menschen psychisch und physisch schwer verletzten, fiel auf, dass ein Großteil der Attentäter den Sicherheitsbehörden bereits bekannt war; dennoch konnten die Anschläge nicht verhindert werden. Dieser Umstand macht auch den Titel der Aktuellen Stunde klar: Der Staatsschutz hat eine sensible Aufgabe zu er­füllen, er muss den Grad der Gefährdung von potenziellen Attentätern feststellen, bevor diese konkrete Taten gesetzt haben.

Nach zweijähriger intensiver Beratung ist es im Vorjahr gelungen, das Polizeiliche Staats­schutzgesetz zu verabschieden, welches am 1. Juli dieses Jahres ein Jahr in Geltung ist. Die Regierungsparteien haben ihre Verantwortung wahrgenommen und ein moder­nes, effizientes Gesetz für den polizeilichen Staatsschutz geschaffen. Die Opposition wurde am zweijährigen Verhandlungsprozess intensiv beteiligt, nahm jedoch am Schluss der Verhandlungen ihre Verantwortung weder im Nationalrat noch im Bundesrat wahr.

Ich erinnere an die Bundesratssitzung vom 11. Februar 2016, in welcher der Bundesrat mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP dem Polizeilichen Staatsschutzgesetz zustimmte. Seitens der FPÖ kritisierte damals Bundesrat Michael Raml die vorgesehenen Eingriffe in Bürgerrechte und fürchtete, dass V-Leute in Stammtische eingeschleust werden, um Regierungskritiker zu verfolgen. Herr Bundesminister, ich frage Sie jetzt: Waren diese Befürchtungen vonseiten der FPÖ real oder doch einfach nur Stimmungsmache? Von­seiten der Grünen ortete Bundesrätin Ewa Dziedzic zahlreiche Mängel im Gesetz, etwa im Bereich des Rechtsschutzes, des Anwendungsbereichs und der Datenweitergabe.

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die beiden Oppositionsparteien ge­meinsam dieses Gesetz, welches als Grundlage zur Bekämpfung des Terrors in Öster­reich dient, beim Verfassungsgerichtshof bekämpfen. Die Entscheidung ist noch nicht er­gangen. Allerdings spricht dies eine sehr deutliche Sprache dahin gehend, welche Par­teien für den Schutz der Bevölkerung vor dem Terror eintreten (Zwischenrufe bei der FPÖ) und welche bloß in Sonntagsreden für Sicherheit eintreten, in Wirklichkeit aber die Grundlage der Sicherheit sowohl politisch als auch rechtlich bekämpfen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP. – Zwischenruf bei der FPÖ.)

Ich finde es daher äußerst gelungen, dass quasi am ersten Jahrestag dieses Gesetzes hier im Bundesrat im Rahmen einer Aktuellen Stunde eine erste Evaluierung vorgenom­men werden kann, um die Erfahrungen des Staatsschutzes mit den neuen rechtlichen Grundlagen in der Öffentlichkeit zu diskutieren.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 15

Vonseiten der sozialdemokratischen Bundesrätinnen und Bundesräte möchte ich in die­sem Zusammenhang und zu diesem Thema grundsätzlich Folgendes festhalten:

Erstens: Die Sozialdemokratie verurteilt die feigen terroristischen Attacken, gleichgültig, ob sie mit dschihadistischen oder rechtsextremistischen Motiven begründet werden.

Zweitens: Die Sozialdemokratie bekennt sich zu einer aktiven Bekämpfung von terro­ristischen Potenzialen bereits auf präventiver Basis und steht hinter dem geltenden Poli­zeilichen Staatsschutzgesetz. Die Sicherheitsbehörden sollen mit den notwendigen Ins­trumenten ausgestattet werden, terroristische Gefahren zu bekämpfen, wobei jedoch für den Einzelnen die europäischen Grundrechte zu wahren sind. Das Verhältnismä­ßigkeitsprinzip ist daher die Grundlage für die Genehmigung von Eingriffen in Grund­rechte.

Die Sozialdemokratie bekennt sich zu einer Förderung der Integration und der Dera­dikalisierung sowie zur Wahrung der sozialen Sicherheit als Grundlage der inneren Si­cherheit. Die österreichische Gesellschaft muss so gestaltet sein, dass jeder, der sich zu den europäischen Grundwerten bekennt, seinen Platz in ihr findet und sozialer Auf­stieg möglich ist. Für die Sozialdemokratie ist Bildung für alle eine Grundlage dafür. (Bei­fall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

9.43


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Herbert. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


9.43.44

Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Herr Bundes­minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Das Thema der heutigen Aktuellen Stun­de ist wahrlich nicht nur ein aktuelles, sondern auch ein sehr wichtiges, das der Bevöl­kerung in zunehmendem Maße unangenehm ist, um nicht zu sagen, in tiefster Betrof­fenheit unter die Haut geht.

Es ist tatsächlich so, und das haben meine Vorredner auch richtigerweise angeführt, dass es eine extremistisch-islamistische Bedrohungslage gibt, die nicht nur uns hier in Österreich betrifft, sondern ein internationales Phänomen ist, das es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt, weil der Schutz unserer Staatsbürger, der Schutz unserer staatli­chen Einrichtungen, aber auch das Gefühl unserer Bevölkerung, in einem sicheren Land zu leben, ein wichtiger Faktor ist. Dafür lohnt es sich durchaus, taugliche und entschei­dende Maßnahmen zu setzen.

Das allerdings, was ich von meinen Vorrednern gehört habe, fällt nicht in diese Kate­gorie der tauglichen und auch nicht in die der mutigen, entscheidenden Maßnahmen. Kollege Schödinger hat statistische Zahlen präsentiert, die zwar inhaltlich die Gefähr­lichkeit der Situation belegen, zu Recht belegen, aber für ihn ergibt sich als Conclusio dieser Zahlen, dass er dem Minister lobhudelt und ihm für seinen Einsatz dankt. Für welchen Einsatz?, frage ich jetzt einmal überspitzt. Das ist wohl kein tauglicher Ansatz zur Gestaltung, zur Verbesserung der Sicherheitslage in Österreich.

Kollege Todt zieht sich auf polemische Ergüsse seiner Fraktion über die Haltung der FPÖ zurück (Bundesrat Todt: Das hat der Kollege gesagt, das können Sie nachlesen!) und bietet genauso wenig faktische Lösungsansätze an. Stattdessen gibt er hier Sätze aus dem sozialdemokratischen Grundverständnis zum Besten, die zwar grundsätzlich nicht falsch sind, aber für einen faktischen Lösungsansatz eigentlich genauso untaug­lich sind wie das, was in den vergangenen Jahren seitens der Bundesregierung da ge­leistet wurde. Ich frage mich angesichts dessen schon, welchen Sinn diese heutige Ak­tuelle Stunde haben soll, außer den, dass wir wieder einmal Reden zu einem Thema, das der Bevölkerung in negativer Weise wirklich ans Herz geht, zum Besten geben. (Bun-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 16

desrat Todt: Aktuell!) Einmal mehr lässt man die Zuschauer, die die heutige Sitzung verfolgen, mit der Erkenntnis zurück: Na ja, jetzt haben sie wieder gescheit geredet, aber was geschieht, was ist der Ansatz? (Beifall bei der FPÖ.)

Da muss man wohl ein bisschen zurückblicken, damit man einmal mehr klar erkennen kann, warum wir überhaupt in einer Situation wie der heutigen leben. Ich darf Sie an das Jahr 2015 erinnern: Flüchtlingsströme quer durch Europa, Willkommenspolitik auf allen Ebenen. Die Kritik, die damals wegen sicherheitspolitischer Bedenken und der fi­nanziellen Auswirkungen geäußert wurde – ich darf in diesem Zusammenhang an den ak­tuellen Bericht des Fiskalrates erinnern, der Ihnen vielleicht auch nicht verborgen ge­blieben ist, geschätzte Kolleginnen und Kollegen –, wurde damals leger mit einer Hand­bewegung weggewischt. Die Innenministerin hat das unkontrollierte Einströmen der Flüchtlinge, die heute teilweise Grundlage des Problems des islamistischen Terrors sind, nicht nur zugelassen, sondern auch aktiv unterstützt, dass diese Flüchtlinge quer durch Europa transportiert werden können. Und heute stehen wir vor der Erkenntnis, dass den kritischen Geistern von damals, und da darf ich wohl meine Fraktion an erster Stelle nen­nen, recht gegeben werden muss und dass man zugibt, dass wir jetzt wirklich ein Pro­blem haben.

Und die Lösung des Problems wird faktisch nicht angegangen, mit der einzigen logi­schen Konsequenz, die es tatsächlich noch gibt, so nach dem Motto: Ziehen wir die Reißleine – es ist wahrscheinlich nicht die optimale Lösung, aber es ist zumindest ein Lösungsansatz –, machen wir die Grenzen dicht! Damit könnte man der Bevölkerung vermitteln: Freunde, liebe Bevölkerung, liebe Männer und Frauen in unserem Bundes­gebiet, wir lassen euch nicht allein! Machen wir die Grenzen dicht, damit wir uns zu­mindest auf eine Basis zurückziehen können. Wir ziehen einen Status quo ein und kön­nen auf Basis dieses Status quo für die Zukunft eine gute sicherheitspolizeiliche Grund­lage schaffen. (Bundesrat Schödinger: Das stimmt ja nicht! Die drei größten Anschlä­ge haben mit der Flüchtlingswelle nichts zu tun gehabt!)

Kollege Schödinger, sei nicht aufgeregt! Du hast deine Chance schon gehabt; du darfst nachher vielleicht, wenn du willst, noch einmal etwas dazu sagen, aber jetzt bin ich ein­mal am Wort. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Kollege Mayer, für dich gilt übrigens das Gleiche. Für dich gilt das Gleiche, Kollege Mayer!

Ein Grund dafür, dass wir heute sicherheitspolizeilich so schlecht dastehen, ist der Um­stand, dass uns die Polizistinnen und Polizisten ausgehen, die eigentlich für die Sicher­heit der Bevölkerung zur Verfügung stehen sollten. Ich weiß nicht, Herr Minister, ob Sie das kennen (ein Schriftstück in die Höhe haltend): „Die Altersstruktur des Bundesper­sonals. Implikationen und Vorschau bis 2020“. Das ist ein Bericht, nicht von der FPÖ, aus dem Bundeskanzleramt aus dem Jahr 2007, genau Oktober 2007. Damals wurde die Altersstruktur im Hinblick auf die Pensionsabgänge bis zum Jahr 2020 dargestellt – eine Expertise, die, wenn man das rückblickend betrachtet, voll zutrifft; ich sage ein­mal: gefühlte 95 Prozent.

Da wurde im Jahr 2007 festgestellt, dass zwischen 2014 und 2020 auf die Polizei ein besonderes Personalproblem zukommt: Wegen Überalterung geht in diesem Zeitraum ein Drittel des Personals aus dem exekutiven Dienst in Pension. Ein Drittel! Das sind von der damaligen Ausgangslage – knapp über 24 000 Bedienstete – aus gerechnet 8 500.

Was hat die Bundesregierung gemacht, um da gegenzusteuern? – Bis vor zwei Jah­ren, bis 2015 nichts. Im Gegenteil: Man hat zusätzliche Planstellen eingespart, bei Aus­bildungsstätten und Ressourcen gekürzt und ist dann voriges Jahr draufgekommen: Jetzt haben wir ein Problem! Und anstatt Maßnahmen zu setzen, damit man das möglichst rasch ausgleicht, was ohnedies schon schwierig ist, weil die Ausbildung eines Polizei­beamten zwei Jahre dauert, kam nichts. Wir haben circa 1 000 Ausbildungsplätze in Ös­terreich; da kann man sich ausrechnen, wie lange man braucht, um 8 500 Bedienstete


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 17

in Ausbildung zu bringen. Es geht sich gar nicht aus, bis 2020 allein den Abgang zu kompensieren. Da haben wir noch keinen Mehrwert, da haben wir keinen personellen Mehrwert für die Bedrohungsszenarien, die Sie, Kolleginnen und Kollegen von SPÖ und ÖVP, hier dargelegt haben, wo Sie zugegeben haben: Ja, das ist es, da muss etwas geschehen! – Untätigkeit, Untätigkeit!

Da haben Sie, Herr Bundesminister, persönlich vielleicht nicht die Schuld, da ist Ihre Vorgängerin, Frau Landeshauptfrau Mikl-Leitner, die sich in der Flüchtlingsfrage eher ne­gativ ausgezeichnet hat, wohl auch in dieser entscheidenden Personalfrage säumig ge­wesen.

Dazu kommt der eklatante Problemstand, dass wir in der Ausstattung und Ausrüstung unserer Polizisten Defizite haben, obwohl wir eigentlich auf Grundlage dieser von Ih­nen ja zugestandenen Bedrohungslage sofort Schutzmaßnahmen setzen sollten. Es ist nicht möglich, eine personenbezogene, persönliche Schutzweste gegen Schuss- und Stichverletzungen zu organisieren.

Was hat das Innenministerium gemacht? – Es hat 20 – ich korrigiere –, eine Anzahl von Schutzwesten angekauft, allerdings nur für die Sondereinheiten. Jetzt sage ich Ih­nen: Es ist gut und wichtig, dass wir Sondereinheiten haben und dass diese auch gut ausgestattet sind, aber vom Falschparker bis zum Bankräuber, der normale Streifen­polizist ist immer der Erste am Tatort, und diesen gilt es in besonderer Weise zu schüt­zen.

Von der Ausstattungsmisere in den Polizeidienststellen will ich gar nicht reden. Es gibt zwar den durchaus positiven Ansatz, dass wir laufend neue Dienststellen übergeben bekommen, aber damit bewegen wir uns momentan bei einem Prozentsatz von 15 bis 20 Prozent, und wir haben 80 Prozent alte, verkommene, heruntergekommene Dienst­stellen mit schwersten Mängeln. Wenn das Arbeitsinspektorat bei der Polizei etwas zu sagen hätte, dann würde es wahrscheinlich alles in der Sekunde zusperren, von der mangelhaften EDV- und Technikausrüstung ganz zu schweigen.

Ein kleines Bonmotscherl am Rande (Ruf bei der ÖVP: ... und keine Terroristen! – Bun­desrat Mayer: Ja, ja! Das ist weit weg vom Thema!): In Wien bauen sie einen neuen Arbeitsraum mit 60 Quadratmetern, und es ist – ohne Intervention der Personalvertre­tung – Monate lang nicht möglich gewesen, dass wir dort auch EDV-Geräte bekommen. Gibt es einfach nicht, ist zu teuer, nicht verfügbar! So sieht die Realität bei der Polizei aus.

Ich darf an dieser Stelle einmal mehr unseren Polizistinnen und Polizisten auch na­mens meiner Fraktion meinen besonderen Dank und meine besondere Anerkennung aus­sprechen für das, was sie unter diesen widrigen Umständen, die das Innenministerium, aber auch die Bundesregierung insgesamt ihnen als Vorlage geben, leisten. In der Be­völkerung müssen sie sich ständig rechtfertigen, warum ein Inspektor immer zu spät kommt, warum kein Inspektor da ist, warum in einer unglücklichen Darstellung in einem Video in den sozialen Medien vielleicht einmal mehr Öl ins Feuer gegossen wurde, ob­wohl das nicht notwendig war. Auf der Strecke bleibt einmal mehr der kleine Inspektor.

Ich darf Sie daher ersuchen, Herr Bundesminister, und darf damit dann auch zum Schluss kommen: Schauen Sie auf unsere Polizisten! Sie sind Ihre Bediensteten vor Ort, an der Front, sie sind auch Ihre Botschafter. Und trachten Sie danach, dass diese Kolleginnen und Kollegen ihren hohen Arbeitseinsatz, ihr großes Engagement und ih­ren Arbeitswillen auch weiterhin behalten, denn die Drop-out-Rate, das kann ich als Per­sonalvertreter Ihnen sagen, ist momentan extrem hoch. Und auch der innere Kündi­gungsfaktor ist mittlerweile in einem Ausmaß gegeben, wie ich das schon lange nicht mehr erlebt habe.

Das heißt: Schauen Sie auf unsere Polizistinnen und Polizisten, denn sie sind nicht nur der Faktor, der in der Bevölkerung das subjektive persönliche Sicherheitsgefühl sicher-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 18

stellt, sondern auch jene, die in den Bedrohungslagen (Präsidentin Ledl-Rossmann gibt das Glockenzeichen) – ich komme schon zum Schluss –, die heute Thema sind, eine gu­te Präventionsarbeit, für die wir momentan leider kein Personal haben, ermöglichen.

Das würde ich mir wünschen, nicht nur als Mitglied des Bundesrates, sondern auch als Personalvertreter für unsere Polizistinnen und Polizisten. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

9.55


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundes­rätin Dr. Dziedzic. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


9.55.21

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Minister! Wer­te Präsidentin! Werte Kollegen und Kolleginnen! Ich glaube, in einem sind wir uns par­teiübergreifend einig: dass Terror tatsächlich eine Gefahr ist, und zwar nicht nur eine ak­tuelle politische, sondern womöglich tatsächlich eine der größten Herausforderungen, vor denen wir heute stehen. Nicht erst seit dem Anschlag in London wissen wir, dass es nicht nur eine Maßnahme braucht und dass reine Überwachung nicht ausreicht, son­dern dass es ein Bündel an Maßnahmen braucht und ein ganzes Präventionspaket.

Dass mehr Überwachungsstaat, weil der heute schon ein paar Mal angesprochen wor­den ist, nicht mehr Sicherheit bringt, lässt sich am Beispiel Frankreich sehr gut dar­stel­len. Wir wissen, dass es dort in den letzten Jahren sehr massive Maßnahmen gegeben hat, um die Überwachung auszubauen. Wir wissen, dass Frankreich eine Vorratsdaten­speicherung hat genauso wie ein weitgehendes Antiterrorgesetz. Wir wissen, dass das französische Innenministerium ohne richterliche Genehmigung Internetseiten sperren oder Geräte durchsuchen darf, dass der französische Auslandsdienst mit Telekomanbietern zusammenarbeiten darf und kann, um Internetdaten abzufangen.

Tatsache ist, und das ist eine unerfreuliche Tatsache, dass diese Attentate durch die Überwachung, durch genau diese Maßnahmen nicht verhindert werden konnten. (Bun­desrat Mayer: Das stimmt schon!) Wir wissen, dass weder die kleinen Zellen noch Einzeltäter, die konspirativ handeln, so ausgeforscht werden konnten; und wenn sie im Visier waren oder ausgeforscht waren, so hat diese Überwachung auch nicht dazu ge­führt, dass die Terrorangriffe vermieden werden konnten. Das müssen wir uns vor Au­gen halten. (Bundesrat Mayer: Und was schlagen Sie vor?)

Was können wir jetzt tun? Wir müssen etwas tun, darin sind wir uns wie eingangs erwähnt einig. Was können wir jetzt tun, außer alle zu überwachen und den Überwa­chungsstaat auszubauen, um trotzdem für die Sicherheit zu sorgen? – Wir alle wissen, dass Radikalisierung und Terrorismus natürlich unterschiedliche Ursachen haben. Krie­ge zu vermeiden ist für uns alle sehr erstrebenswert, es wird uns aber womöglich nicht gelingen. Nicht nur die Beteiligung an Kriegen führt zu mehr Terror, sondern beispiels­weise auch die Unterstützung von Waffenhandel oder Kooperationen mit Staaten, die diesen betreiben.

Genauso müssen wir uns in Österreich auch anschauen, wie wir mit Integrationspolitik umgehen, was hiebei Versäumnisse waren, wieso Integration sehr oft gescheitert ist, wieso – Tschetschenen wurden heute erwähnt – es Gruppen in Österreich gibt, die wir nicht erreichen, die wir nicht deradikalisieren können, die hierzulande sozusagen zu den Gefährdern gehören.

Der Zugang zu Waffen ist auch im neutralen Österreich ein wichtiges Thema. Immer wieder sind wir mit Forderungen konfrontiert, den Zugang zu Waffen für Menschen zu öffnen, zu ermöglichen, als eine mögliche Sicherheitsmaßnahme oder um deren Sicher­heitsgefühl zu erhöhen. Wir wissen, dass das genau das Gegenteil bewirkt.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 19

Das heißt, wir haben ein Bündel an Ursachen, und wir brauchen deshalb auch ein Bündel an Maßnahmen, die denen entgegenwirken. Dazu gehören natürlich die Aus­rüstung der einzelnen Beamten genauso wie die verstärkte internationale Zusammen­arbeit; aber, auch das wurde schon erwähnt, die Versäumnisse in der Integrations­politik dürfen nicht nur als der Vergangenheit angehörig abgetan werden, als etwas, das wir in den Sechziger-, Siebzigerjahren verabsäumt haben, sondern müssen auch als ak­tuelle Herausforderung gesehen werden.

Das heißt, anstelle von Betroffenheit und sehr oft auch ohnmächtiger Wut, wo dann nur mehr reine Überwachung als Antwort kommt, bräuchte es auch in Österreich ein um­fassendes Terrorpräventionsprogramm. Und da Sie das vorhin erwähnt haben: Flücht­linge flüchten selbst vor Terror und Krieg, sind betroffen davon, und ich würde wirklich bitten, dass wir das hier in dieser Kammer auseinanderhalten und nicht in einen Topf werfen.

Gezielte polizeiliche Zusammenarbeit ist etwas, das auch wir Grüne fordern und immer gefordert haben. Wir wissen, dass Terror in Europa keine nationale Angelegenheit ist, wenn es darum geht, ihn zu beseitigen, sondern dass wir einen schnellen Informations­austausch brauchen, um über Verdachtsmomente, Risikoanlässe informiert zu sein, und zwar in ganz Europa und nicht nur in einzelnen Staaten, um auch entsprechend reagie­ren zu können.

Was wir auch brauchen, ist auf jeden Fall eine Gebrauchtwaffenabrüstung auch in Ös­terreich, ein Waffenembargo und natürlich auch Handelssanktionen beispielsweise ge­gen den IS. Wir alle wissen, dass das nur halbherzig betrieben wird. Wir alle wissen, dass wir zwar klare Forderungen haben, aber nicht wirklich dahinterstehen, wenn es um genau diese Handelssanktionen geht.

Das heißt, unsere Antwort ist nach wie vor, dass es da auf internationaler Ebene mehr Zusammenarbeit bräuchte, dass es Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen bräuch­te. Das Staatsschutzgesetz – und da komme ich zu unserer Kritik, die schon erwähnt wor­den ist – greift für uns zu kurz.

Die reine Überwachung, und das wissen wir aus Erfahrung, führt nicht dazu, dass wir genau diese Terrorangriffe vermeiden können, sondern – da gebe ich Kollegen Schö­dinger schon recht – es geht um Prävention, es geht um Investition, es geht um Zusam­menarbeit, um Schulungen und Sensibilisierung und auch und vor allem um das Abho­len von Jugendlichen in einem sehr sensiblen Alter, in dem sie auch für genau das, was wir in letzter Konsequenz bekämpfen wollen, abholbar sind.

Dass Kollege Herbert in Richtung Polizeistaat plädiert, wird von uns klarerweise nur wenig Unterstützung finden. (Bundesrat Herbert: Wo habe ich das gesagt? – Bundes­rat Samt: Nicht aufgepasst!) Und ja, wir sind nach wie vor der Meinung, dass die reine Überwachung nicht ausreicht und dass dieses Staatsschutzgesetz, dem Datenschutz und Rechtsschutz geopfert wurden, aus unserer Sicht nicht dazu führen wird, dass Ös­terreich sicher wird. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen.)

10.02


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Für eine Stellungnahme zu Wort gemeldet hat sich der Herr Bundesminister für Inneres; auch seine Redezeit soll 10 Minuten nicht über­schreiten. – Bitte, Herr Minister.

 


10.02.42

Bundesminister für Inneres Mag. Wolfgang Sobotka: Sehr geehrte Frau Präsiden­tin! Hohes Haus! Werte Mitglieder des Bundesrates! Es ist schon sehr viel an Fakten­lage referiert worden. Ich denke, es stimmt das Wort des Philosophen und auch Psy­chiaters Karl Jaspers, der gemeint hat: Es gibt keine Freiheit, um die Freiheit zu zer­stören. Wir haben, was die Frage der Radikalisierung betrifft, Gefährder sehr stark im


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 20

Fokus, egal welchen Ursprungs sie sind; in der derzeitigen Lage sind es im überwie­genden Maße Strömungen, die aus dem salafistischen, islamistischen Terrorbereich kommen, es gibt auch vereinzelte Beispiele des rechtsgerichteten oder des linksgerich­teten Terrors, die aber derzeit in der Auswirkung nicht jene Bedeutung haben. Das heißt, wenn es darum geht, ein Gesamtbild zu zeichnen, dann ist die Analyse, die heu­te auf einer Zahlenbasis gegeben wurde, natürlich eine richtige, die insbesondere von den Foreign Terrorist Fighters ausgeht. Wir wissen aber heute bereits, dass sich ge­rade der Aufruf zum Dschihad jetzt nicht mehr darauf richtet, nach Syrien oder in an­dere Regionen in den Dschihad zu ziehen, sondern vor allem auch vor Ort seinen Kampf aufzunehmen, um die Ungläubigen zu vernichten. Das zeichnet natürlich ein ganz an­deres Lagebild.

Daher ist es für das Innenministerium wesentlich, die Arbeit im Bereich der Bekämp­fung des Terrorismus auf drei Säulen aufzubauen. Das ist nicht erst heute geschehen, das ist auch nicht vor wenigen Monaten geschehen, sondern das steht auf einer guten Grundlage, die auch international Beachtung findet, nämlich die Erfolge, die sich in Ös­terreich aufgrund von Anzeigen und schlussendlich auch von rechtzeitigen Verhaftun­gen ergeben haben. Wie viele Attentate wir wo verhindert haben, kann niemand nach­weisen. Daher führen mich die Anmerkungen, die immer gemacht werden, durch wel­che Maßnahme man etwas nicht verhindern könne, auch immer wieder zu der Frage: Na, und wie legen Sie die Fakten dar? Können Sie nachweisen, was schlussendlich wozu geführt hat?

Diese drei Säulen der polizeilichen Arbeit darf ich vielleicht an Beispielen klarmachen. Die Präventionsarbeit ist eine unserer wesentlichsten Arbeiten. Nicht die Integrations­arbeit, denn bei Integrationsarbeit ist klar der Beitrag von denen gefordert, die zu uns kommen. Wenn wir uns die Struktur der Foreign Terrorist Fighters anschauen, ist un­zweifelhaft festzustellen, dass darunter zwar 109 Österreicher sind, die aber ihrer eth­nischen Herkunft nach zumeist entweder aus Tschetschenien oder aus Bosnien kom­men, und darunter wirklich nur zehn oder zwölf Österreicher sind, die sich schon länger hier aufgehalten haben, die sich radikalisiert haben. Das heißt, für uns geht es um die Frage, wie die ankommenden Gesellschaften sind, und das geht zurück in die Neun­zigerjahre und zurück in die Nullerjahre. Wie weit sind die Menschen, die zu uns ge­kommen sind, bereit gewesen, den Beitrag, den sie zu leisten haben, zu leisten, sich zu integrieren, beziehungsweise in welcher Form haben sie eigentlich diesem religiö­sen Fanatismus dann die Möglichkeit gegeben, sie in ihrem eigenen Leben so quasi auf die schiefe Bahn zu führen?

Daher ist die Deradikalisierung ganz entscheidend, und darum begrüße ich auch sehr, dass die Imame vor etwa einer Woche eine Erklärung abgegeben haben, dass die Re­ligion, die islamische Religion nicht dazu benutzt werden kann, im Namen Gottes Ter­roranschläge auszuüben. Ich halte es für einen ganz entscheidenden Beitrag, dass die islamische Gemeinschaft selbst sehr stark gegen solche Tendenzen auftritt, damit der politische Salafismus in weiterer Folge nicht auch dazu führt, Leute zu radikalisieren, die zumeist sehr religionsdistant gewesen sind, die zumeist mit dem Koran gar nichts zu schaffen hatten. In dieser Situation ist es eine ganz große Aufgabenstellung dieser Glaubensgemeinschaft, wirksame Präventionsmaßnahmen zu setzen.

Die Präventionsmaßnahmen hat Kollege Schödinger schon alle aufgezählt. Ich halte sie dort für sehr, sehr erfolgreich, wo wir Leute auch wieder deradikalisieren konnten, im Gefängnis in Zusammenarbeit mit DERAD, wo wir Erfolg beim aus den Medien be­kannten Zwölfjährigen hatten. Da läuft jetzt ein Programm an, denn in diesem Fall wäre eine polizeiliche Maßnahme völlig unpassend, weil er nicht einmal strafmündig ist. Es geht um das Elternhaus, es geht um die Schule, es geht auch um die Sozialarbeit in den Ländern und in den Gemeinden.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 21

Ein schönes Beispiel dieser Präventionsarbeit ist wohl der 14-jährige St. Pöltner, der ei­nen Anschlag auf den Wiener Westbahnhof geplant hatte und aufgrund einer Schulung von Lehrern, die das schon erkennen konnten, entdeckt und der Polizei gemeldet wurde. Damit konnten wir diesen Anschlag verhindern.

Das zweite Element neben dieser Präventionsarbeit – und da gehört Österreich inter­national zu den führenden Nationen, das dürfen wir mit großer Genugtuung sagen – ist die internationale Vernetzung. Meine Damen und Herren! Österreich ist seit Jahren – das ist nicht das Verdienst des derzeitigen Innenministers – sehr, sehr stark an einer internationalen Vernetzung interessiert. Österreich war es, das zum Beispiel das Fo­rum Salzburg gegründet hat, 2003, damaliger Innenminister: Strasser. In dieser Situa­tion hat es ganz intensiv auch die Nachbarländer in diesen gemeinsamen Informations­austausch mit einbezogen. Österreich war ein Gründungsmitglied bei Prüm, um Daten auszutauschen, insbesondere im Schengen-Informationssystem, insbesondere was bio­metrische Daten anlangt. Und nur dadurch – das nächste Beispiel – konnte verhindert werden, dass ein 17-jähriger Österreicher kosovarischen Ursprungs einen Anschlag aus­führen konnte. Aufgrund der internationalen Datenvernetzung, der Hinweise von ande­ren Diensten war es möglich, ihn zu detektieren. Oder denken Sie an den deutschen radikalen Soldaten, der in Schwechat eine Waffe deponiert hat: Nur aufgrund der in­ternationalen Vernetzung konnte man auch das dahinter liegende Netzwerk aufdecken. Das heißt, die wirksame internationale Vernetzung ist eine ganz wesentliche Zielset­zung der österreichischen Polizei.

Ich sage nur eines: Das Joint Operation Office, das wir vor einem Jahr gegründet ha­ben, hat mittlerweile auf einem anderen Feld, aber natürlich auch in dieser Frage, weil diese Kriminalitätsformen ja alle in irgendeiner Form miteinander zusammenhängen, näm­lich in der Frage der Schlepperbekämpfung hervorragende Arbeit geleistet und 136 Leu­te aus dem Verkehr gezogen, zusätzlich zu den nationalen Maßnahmen.

Und schlussendlich die Repression: Dazu muss ich sagen, das Staatsschutzgesetz hat uns die erste Möglichkeit gegeben, verbunden mit Änderungen des Sicherheitspolizei­gesetzes mit Gefährderansprache und vielem mehr. Was war der Erfolg des Staats­schutzgesetzes? – Die „Operation Josta“ hätten wir nie durchführen können ohne die­ses Staatsschutzgesetz, welches ermöglicht, wirklich zu ermitteln, frei zu ermitteln und dann auch entsprechend zuzuschlagen – acht Festnahmen in Graz, acht in Wien, die Leute hatten 77 nicht gemeldete Wertkartenhandys. Jetzt werden Sie verstehen – es ist bei allen zur Anklage gekommen –, warum wir weitergehende Instrumente für die Poli­zei brauchen, um noch erfolgreicher sein zu können.

Ich möchte mit der Mär aufräumen, dass die Videoüberwachung nichts verhindert. Ge­rade am Beispiel des letzten Terroranschlages in London: Die Polizei konnte aufgrund der Videoüberwachung ein exaktes Lagebild liefern, hat damit auch für den Eigenschutz Wesentliches geleistet – und mir ist der Eigenschutz der Leute auch ein ganz großes An­liegen – und konnte damit sehr schnell am Einsatzort sein; trotzdem sind noch immer acht Todesopfer zu beklagen. Wie viele mehr wären es gewesen, wenn sie 10, 20, 30 Mi­nuten weiterwüten hätten können? Wer kann sich heute mit Überzeugung herstellen und sagen, dass das nichts bringt?

Meine Damen und Herren! Orientieren wir uns an den Fakten! Bezüglich der Videoüber­wachung auf öffentlichen Plätzen wollen wir, dass die Aufnahmen nicht 36 Stunden, sondern auch während der Verfolgung der Täter einen Monat gespeichert werden, nur anlassbezogen. Es spricht niemand vom Blick in das Wohnzimmer des Österreichers. Es geht darum, dass wir in der Verfolgung der Täter, auch in der Prävention weiterer Terroranschläge oder Verbrechen schneller in der Ermittlung sind.

Mir ist völlig unerklärlich, da die Durchführung letzten Endes mit Kontrolle des Rechts­schutzbeauftragten erfolgt, wo damit ein Menschenrecht in irgendeiner Form inkrimi-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 22

niert wird, das hat sich mir noch nicht erschlossen. Aber vielleicht habe ich noch nicht alle Argumente miteinbeziehen können. Warum soll etwas, was in anderen Ländern Usus ist und schlussendlich auch zu Erfolgen geführt hat, bei uns nicht möglich sein?

Man kann Gott sei Dank sagen, dass wir die Jahre hindurch nicht im Fokus der Dschi­hadisten gestanden sind. Wir wissen, dass der nächste Terroranschlag kommt, wir wis­sen allerdings nicht, wann und wo. Denn das, was 2017 schon passiert ist, hat die Re­korde des Jahres 2016 bereits jetzt eingestellt: 2016 hatten wir 17 Anschläge, im Jah­re 2017 waren es bereits 16 nur im ersten Halbjahr. Das sollte uns mehr denn je zu der Überzeugung bringen, dass der Initiativantrag für das Sicherheitspolizeigesetz, darum bitte ich die Kollegen – ich bin mit Kollegen Doskozil eines Sinnes, einer Meinung, schließ­lich haben wir gemeinsam die Autokennzeichenerfassung vorgeschlagen –, auch wirk­lich durchzubringen ist. Wir brauchen endlich die registrierten Wertkartenhandys. Und wir brauchen natürlich auch die Möglichkeit, verschlüsselte Kommunikationen auf WhatsApp – Terroristen nutzen mittlerweile alles, auch PlayStation wird bereits als Kommunikations­mittel verwendet – zu beobachten.

Meine Damen und Herren! Wenn wir der Polizei nicht jene Instrumente in die Hand ge­ben, die zumindest auf minimaler Augenhöhe mit den Verbrechern und Terroristen sind, dann ist das fahrlässig im Sinne der Sicherheit Österreichs. Da nützt es nichts, heute eine Diskussion über polizeiliche Ausrüstungen beziehungsweise über polizeiliche Mann­schaften zu führen, auch wenn ich sie gerne führe: Das BVT mit den Landesämtern hat im heurigen Jahr 150 Beamte dazubekommen, und diese personelle Intensivierung wer­den wir auch in Zukunft fortsetzen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der ÖVP.)

10.13


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Vielen Dank, Herr Bundesminister.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmerinnen und Teil­nehmer an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minuten nicht übersteigen darf.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mayer. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


10.14.22

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Mi­nister! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ja, Herr Minister, wir sind auch für die ra­sche Umsetzung des vorliegenden Sicherheitspaketes mit all den Maßnahmen, die von dir jetzt angesprochen worden sind, weil es der logische nächste Schritt ist. Diesen Schritt müssen wir unbedingt machen, und zwar relativ rasch, zumal die Terrorgefahr kei­nen Aufschub duldet. Die duldet wirklich keinen Aufschub!

Kollege Schödinger hat heute schon die Statistik zitiert und uns erklärt, und auch der Herr Minister hat dargestellt, welches Gefährdungspotenzial insgesamt in Europa exis­tiert, wie gut wir uns als kleines Land Österreich in diesem Konnex bewegen und wie beispielgebend wir sind. Demnach ist dieses Sicherheitspaket etwas, das wir unbe­dingt, relativ rasch und noch in diesen Wochen umsetzen müssen; so wie andere Pa­kete, denen unsere Partei auch jetzt zugestimmt hat. Das ist ein Gebot der Stunde und soll auch nicht unbedingt zum Wahlkampfthema werden. Diese Geschichte soll aus dem Wahlkampf herausgehalten werden. Auch wenn Kollege Jenewein sich jetzt in­nerlich bereits darüber freut, dass das zum Wahlkampfthema werden könnte, aber das soll es eben nicht werden, weil wir aufgerufen sind, intensiv an diesem Gesetz zu ar­beiten. (Beifall bei der ÖVP.)

Lieber Kollege Werner Herbert! Wenn man das auf einen Computer auf einer bestimm­ten Dienststelle herunterbricht, dann sind wir schon sehr, sehr bescheiden regional un­terwegs, denn das heutige Thema war schon ein globales Thema, ein europaweites Thema. (Bundesrat Herbert: Das ist ein wichtiges Thema für die Betroffenen!) Und in


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 23

diesem europaweiten Konnex muss man eben sagen: Man muss sich auch entspre­chend mit einbringen und nicht nur immer allem etwas entgegensetzen, alle Gesetze ne­gativ beurteilen und nicht mitstimmen, zum Beispiel beim Staatsschutzgesetz, das wir auch dringend gebraucht haben, und dieses vor den Verfassungsgerichtshof bringen. Man muss sich einmal offensiv in die Geschichte einbringen und sagen: Ja, wir sind für Si­cherheit! Und wenn im Sicherheitsbereich Anpassungen, Adaptierungen erforderlich sind, dann müssen wir hier auch einmal mitstimmen! – Herr Kollege Werner Herbert, genau darum geht es. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenruf des Bundesrates Herbert.)

Es geht insbesondere um Terrorismus, und dieser hat sich auch in den letzten Mona­ten und Jahren extrem gewandelt. Die Anschläge wurden ja bereits von Kollegen Schö­dinger und vom Herrn Minister erwähnt, auch wo sie überall passiert sind. Gab es frü­her noch hierarchische Strukturen bei der Planung der Anschläge auf symbolische An­schlagsziele, so geht es heute darum, dass Radikalisierte mit relativ geringen Mitteln maximalen Schaden anrichten. Hunderte Menschen wurden 2016 ermordet, 142 waren es insgesamt, und es gab viele Verletzte. Diese Anschläge wurden auch mit Mitteln wie zum Beispiel Lkws, Lieferwägen und so weiter durchgeführt, was ganz neue Formen des Terrorismus sind, die relativ einfach umzusetzen sind. Das ist eine große Heraus­forderung für uns im Sicherheitsbereich, und da gehört auch die Videoüberwachung da­zu, weil uns die Videoüberwachung Möglichkeiten bietet, im Extremfall nicht nur rasch zu handeln, sondern auch im präventiven Bereich entsprechende Maßnahmen zu setzen.

Ja, man kann auch sagen, Österreich ist vielleicht noch eine Insel der Seligen. Das sind wir noch. Ich sage bewusst, „das sind wir noch“, denn im Hintergrund gibt es doch gewaltiges Gefährdungspotenzial. Wir unterschätzen das, denn auch in Österreich kann durch sogenannte Gefährder oder Psychopathen rasch eine derartige Handlung durchgeführt werden, wie es in England geschehen ist. Und dann wird wieder jeder von genau denjenigen, die diese Gesetze verhindern wollen, über den Innenminister oder über die Polizei herfallen und sich hinter dem Datenschutz in irgendeiner Form verste­cken. Aber das wollen wir nicht, denn wir wollen im Vorhinein darauf schauen und ach­ten, dass mit entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen nach Möglichkeit solchen Geschehnissen ein Riegel vorgeschoben wird. (Beifall bei der ÖVP.)

Zur Videoüberwachung: Nehmen wir nur einmal das Beispiel des rumänischen Lkw-Fahrers her, der nur durch intensive Prüfungen von vielen Videodaten der deutschen Polizei mit einer Sonderkommission überführt werden konnte, indem wirklich Tausende Daten abgeglichen wurden. Er hat zwei Frauen erschlagen und vergewaltigt. Man hat dadurch, dass diese Videodaten ausgewertet wurden, aufgrund seines Handys fest­stellen können, dass er in Tatortnähe war, weil er dort eingeloggt war. Das ist eben nur durch eine intensive Videoüberwachung möglich – und so weit sind wir im Staate Ös­terreich noch nicht. Es muss für uns schon auch möglich sein, dass wir derartige Vo­raussetzungen schaffen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der ÖVP.)

Es ist deshalb höchst an der Zeit, im Sicherheitsbereich Adaptierungen vorzunehmen, und ich sage das auch bewusst in Richtung unseres Regierungspartners, ich sage das auch bewusst und insbesondere an die Grünen gerichtet, denn eure Argumente gegen diese Gesetze sind einfach nur hanebüchen, das sage ich jetzt einmal in aller Deutlich­keit. Wenn ich mich immer hinter dem Datenschutz verkrieche, dann muss ich auch fra­gen: Wer ist in Österreich der größte – unter Anführungszeichen – „Datenschutzdieb“? Wer hat am meisten Daten, die er praktisch durch die Gegend postet, durch die Ge­gend schreibt? – Das ist euer Kollege Pilz! Dann sagt ihm einmal, was Datenschutz be­deutet, denn jeder andere österreichische Bürger, der irgendwo so viele geschützte Da­ten präsentieren würde, wäre schon längst als Wiederholungstäter eingesperrt worden, Frau Kollegin! (Beifall bei der ÖVP.)

Herzlichen Dank, Herr Minister, für dein Engagement! Sicherheit ist ein zentrales Be­dürfnis, wir haben große Fortschritte gemacht, auch in Zusammenarbeit mit Herrn Ver-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 24

teidigungsminister Doskozil, das möchte ich hier explizit erwähnen. Noch einmal: Durch die Bereitstellung der nötigen Mittel für Polizei und Bundesheer können wir die Heraus­forderungen meistern, aber dazu braucht es auch gesetzliche Möglichkeiten und Vo­raussetzungen. – Ich danke. (Beifall bei der ÖVP.)

10.20


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Schennach zu Wort. – Bitte.

 


10.21.07

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Fernsehgeräten! Haben Sie die Rede von Herrn Herbert von der FPÖ gehört? Österreich ist ein sicheres Land, und im Gegensatz zu Herrn Herbert bin ich der Meinung, dass unsere Polizisten und Polizistinnen eine hervorragende Arbeit machen (Bundesrat Herbert: Meine Re­de! Haben Sie nicht aufgepasst?!), denn nur dadurch ist es möglich, dass bisher die Prävention in Österreich auch Wirkung gezeigt hat und es in den letzten Jahren zu kei­nen Anschlägen in Österreich gekommen ist. Da war ihre Arbeit hervorragend.

Aber wir geben keinen Millimeter Weg frei, erstens für Xenophobie – Ausländerfeind­lichkeit –, die Flüchtlinge und Terrorismus in einem Atemzug nennt, wie es Herr Kolle­ge Herbert getan hat. Von einer Million hatten vier oder fünf Einzelpersonen einen Kon­text. Vier oder fünf von einer Million! Betreiben Sie nicht dieses üble, böse Spiel, indem Sie Flüchtlinge und Terrorismus in einem Atemzug nennen! (Ruf bei der FPÖ: Vom Rest wissen wir es nicht!)

Zum Zweiten: Herr Bundesminister – auch an Ihre Adresse gerichtet –, so, wie wir lei­denschaftlich für die Sicherheit des Landes, seiner Bürgerinnen und Bürger einzutreten haben, haben wir auch leidenschaftlich dafür einzutreten, dass die Ziele von Attentä­tern – das ist die Zerstörung unserer liberalen Gesellschaftsordnung – niemals indirekt umgesetzt werden. Deshalb müssen wir alles tun, um die bürgerlichen Grund- und Frei­heitsrechte im selben Atemzug zu schützen und zu verteidigen und nicht Stück für Stück auszuhöhlen. (Beifall bei der SPÖ.)

Natürlich sind wir alle entsetzt darüber, was sich in den letzten Jahren und Monaten tut – Herr Herbert, hören Sie vielleicht auch zu! (Bundesrat Herbert: Ich passe immer auf!) –, aber bei der Hysterie sollte man auch an die Geschichte denken, und wenn man Zahlen nennt, sollte man auch nur ein bisschen in die jüngere Geschichte schauen. Vor zehn Jahren hatten wir 500 terroristische Vorfälle im Jahr, das ist mehr als einer pro Tag. Wir hatten – und jetzt geht es wieder in die Gartenzwergrepublik der FPÖ – die Grenzen geschlossen. Die siebziger Jahre waren die blutigen Jahre in Europa – da­mals waren die Grenzen zu, das sollte man nicht vergessen –: 1972 starben nur in zwei Staaten, in Deutschland, München, und in Großbritannien, 405 Menschen durch Anschlä­ge, 1974 starben 411 durch Anschläge in Italien. (Bundesrat Jenewein: Das war eure fa­schistische RAF, die gebombt hat!) – Reden Sie keinen Blödsinn! Wissen Sie, was die Anschläge in München waren? Lernen Sie Geschichte! (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Jenewein.) – 1975/76 waren es 423 Tote. Attentat von Bologna und Mün­chen 1980: 418 Tote.

Ich will damit sagen, dass Europa immer wieder von Wellen des Terrorismus heimge­sucht wird und dass sich unser Staat in all diesen Jahrzehnten in seiner Abwehr von Gefahren für seine Bürger und Bürgerinnen weiterentwickelt hat, und deshalb wirkt auch die Prävention und deshalb ist auch Österreich in dieser Situation. Die Sicherheitspoli­tik muss aber von zwei Dingen parallel unterstützt werden: von einer klugen Außenpoli­tik und von einer klugen Integrations- und Bildungspolitik! Diese zwei Dinge gehören zu­sammen, das ist das A und O, das zur Sicherheitspolitik gehört, um diese Herausfor­derungen zu bewältigen.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 25

Ich bin aber keineswegs jemand, der, wenn sich ein Anschlag, ein krimineller Vorfall er­eignet, sofort sagt: Mein Gott, was haben wir denn in der Integration falsch gemacht!? Nein, man muss Taten als Taten sehen und auch als Taten verfolgen. Gleichzeitig aber ist es die Aufgabe der Politik und der Gesellschaft, sich langfristig Perspektiven zu über­legen, wie man es schafft, mit Menschen, die von Desintegration, einer fehlentwickelten Persönlichkeit, Persönlichkeitsstörung, von ihrem religiösen Umfeld gekennzeichnet sind, umzugehen.

Da heute der Tiroler Vorsitz zu Ende geht, sollte man daran erinnern, dass vor der Auf­klärung zum Beispiel unter Ferdinand II, der ein extrem religiöser Eiferer war, Biblio­theken zu Hause staatspolizeilich überprüft wurden, und zu Ostern musste man sich für die Beichte eine Bestätigung geben lassen, die überprüft wurde, und hatte man nicht ge­beichtet, wurde man bestraft und ins Gefängnis geschmissen.

Auch wir kennen Perioden religiöser Eiferer, das sind fehlgeleitete Perioden, und die kann man nur durch ein Bündel von kluger Bildungspolitik, kluger Außenpolitik und ei­ner klugen, die Menschenrechte und Grund- und Freiheitsrechte beachtenden Sicherheits­politik gemeinsam bewältigen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

10.27


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Jenewein zu Wort. – Bitte.

 


10.27.15

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein, MA (FPÖ, Wien): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister! Ich habe selten so einen pseudoliberalen Vollhol­ler gehört wie jetzt von meinem Vorredner, das muss ich echt einmal sagen. Es ist ja wirklich unglaublich: ... (Zwischenruf bei der SPÖ.) – Ich kann natürlich auch den Kolle­gen zitieren und sagen, das war ein Topfen, aber ich bleibe lieber beim Vollholler. – Es ist ja wirklich unglaublich: Die 130 Toten, die zum Beispiel bei den Anschlägen in Paris von fünf – unter Anführungszeichen – „Flüchtlingen“ getötet wurden, welche über die Bal­kanroute gekommen sind, haben diejenigen mitzuverantworten, die die Grenzen geöff­net haben und diese Leute ohne Kontrolle durchs Land geschleust und geschleppt ha­ben. (Beifall bei der FPÖ.)

Und falls Sie der Meinung sind, Herr Kollege, dass das einzig und allein böse freiheit­liche Rhetorik ist: Es schreibt die „NZZ“ – die „Neue Zürcher Zeitung“, für die, die sie nicht kennen – am 20.11.: „Wenn Terroristen Flüchtlingsrouten nützen“. „Die Welt“ schreibt am 29.6.: „IS schleust Kämpfer nach Europa“. Und die österreichische Tageszeitung „Die Presse“ schreibt am 20.12.2016: Es sind viele der Terroristen in den vergangenen Jahren über die Balkanroute eingereist.

Und dann stellt sich ein Vertreter der SPÖ hierher und erklärt das alles für nichtig, das ist alles egal, das stimmt alles nicht, man darf doch diese armen Menschen, die da flüchten, nicht über einen Kamm scheren. Wissen Sie, es sollte sich schon bei den Dümmsten herumgesprochen haben, dass es sich bei der Mehrheit dieser Leute nicht um Flüchtlinge handelt, sondern um Migranten, die einfach versuchen, als Goldgräber in den goldenen Westen zu kommen, um ein besseres Leben zu haben. Ich mache es ihnen nicht zum Vorwurf, ich mache es allerdings jenen zum Vorwurf, die mit einer grenzenlosen Naivität diesem Treiben zuschauen und im Endeffekt nichts anderes tun, als diesem Terror, der seit eineinhalb, zwei Jahren massiv passiert, das Wort zu reden. Nichts anderes haben Sie getan, Herr Kollege! Nichts anderes haben Sie getan! (Bei­fall bei der FPÖ.)

Ich möchte jetzt aber auch zum Herrn Minister sprechen: Wir haben von Herrn Kolle­gen Schödinger am Anfang eine Vielzahl an Zahlen gehört: wie viele islamistische Ge­fährder es gibt, dass das hauptsächlich Tschetschenen sind, die da in den Dschihad zie-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 26

hen. Die Frage, die ich mir allerdings dabei schon stelle, Herr Minister, ist: Warum sind die eigentlich noch in Österreich?

Es gab im Jahr 2011 eine Mission des Innenministeriums nach Tschetschenien, wo fest­gestellt wurde, dass Tschetschenien ein sicheres Land ist. Warum werden diese Leute nicht konsequent abgeschoben? Da möchte ich schon aus einer Anfragebeantwortung zitieren, die am 8. Mai 2017 aus Ihrem Ressort gekommen ist. Da wurde abgefragt, wie es denn mit den freiwilligen Ausreisen im Jänner 2017 aussieht, und das wird dann al­les in Bausch und Bogen in einer Tabelle dargelegt. Da sprechen Sie davon, dass es insgesamt im Jahr 2017 441 Außerlandesbringungen gab, und dann gab es freiwillige Ausreisen: 8,91 Prozent nach Rumänien, 5,81 Prozent nach Ungarn, 4,26 Prozent wa­ren Mazedonier. Das sind, bitte, die Nationalitäten, die ich da verlesen habe, das sind nicht die Leute, die im Zuge vom Dublin-Verfahren abgeschoben wurden.

Kann mir vielleicht irgendjemand erklären, was es für einen Grund haben kann, dass Rumänen in einer offiziellen Asyl-Statistik auftauchen? Kann mir irgendwer erklären, was es damit auf sich hat, dass Ungarn in einer offiziellen Asyl-Statistik auftauchen? Kann mir das irgendjemand erklären?

Insgesamt gab es im Jänner 2017 sechs Charterflüge, mit diesen sechs Charterflügen wurden zwölf Serben, neun Mazedonier, 13 Georgier, ein Armenier und sechs Kosova­ren abgeschoben. Ich lese hier nichts von Afghanen, ich lese hier nichts von Irakern, ich lese hier überhaupt nichts von Tschetschenen. Da sagen Sie uns immer, wir ma­chen eh so viel, es ist eh super, wir schieben ja eh ab – und dann verkaufen Sie uns die Rückführung von Mazedoniern, Armeniern und Kosovaren als die große Prävention, als die große Abschiebung!

Ich sage Ihnen, Herr Kollege, das ist ebenfalls keine seriöse Form der Arbeit. So gese­hen bin ich wirklich froh, dass wir im Oktober endlich Wahlen haben, denn es ist wirk­lich an der Zeit, dass das endlich einmal abgestellt wird, diese Unehrlichkeit in der ös­terreichischen Politik. Der eine Minister fordert die Schließung der Grenze, der andere Minister sagt, nein, das stimmt gar nicht. Der eine reklamiert sich die Schließung der Balkanroute auf seine Fahnen, obwohl das der Viktor Orbán im Jahr 2015 war. (Zwi­schenrufe bei der SPÖ.) Ja, jener Viktor Orbán, den euer Bundeskanzler deshalb be­schimpft hat. Ich habe bis heute keine Entschuldigung gehört deswegen. (Zwischen­rufe bei der ÖVP.) Ja, selbstverständlich! Ich weiß schon, das reklamiert sich nun der auf seine Fahnen, im Endeffekt war es aber Orbán, der dafür ganz massiv gescholten wurde! Nichts anderes ist die Wahrheit! Mit euren Schmähs und euren Märchen könnt ihr abfahren. (Zwischenruf des Bundesrates Gödl.) – Ich habe das Mikrofon, Herr Kol­lege, nicht Sie!

Ich sage Ihnen, es wird dringend notwendig sein, dass es hier zu einer Bereinigung kommt: auf der einen Seite jene mit irgendwelchen linksliberalen Vorstellungen: Alle Men­schen sind lieb, wir haben uns alle lieb und jetzt stellen wir uns in den Sesselkreis und singen Kumbaya!, und auf der anderen Seite jene, die kurzzeitig vor Wahlen erkennen: Jetzt können wir Muskeln zeigen, jetzt zeigen wir, wie wir Rückführungen organisieren, jetzt zeigen wir, wie wir Abschiebungen organisieren! Und dann reklamieren Sie im Endeffekt Rumänen, Ungarn und Mazedonier in die offizielle Statistik hinein, damit die Zahlen besser ausschauen.

Das, Herr Bundesminister, ist nicht die Arbeit, wie wir sie uns vorstellen! (Beifall bei der FPÖ.)

10.33

*****

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Herr Bundesrat Hans-Jörg Jenewein, für den ein­gangs Ihrer Rede verwendeten Ausdruck kardinaler Vollholler erteile ich einen Ord-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 27

nungsruf. (Rufe bei der FPÖ: Das ist eine Frechheit! Was der Bundeskanzler öffent­lich von sich geben darf, ist in diesem Haus verboten?!)

*****

Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Schreyer zu Wort. – Bitte.

 


10.33.40

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Mi­nister! Sehr geehrte Damen und Herren hier und zu Hause! Jetzt wische ich einmal ganz kurz den Geifer weg, und dann fange ich an.

Ich bin jetzt die Letztrednerin zu diesem hochbrisanten Thema, und es ist schon sehr, sehr viel gesagt worden. Ich möchte ein bisschen noch auf ein paar vorhin gesagte Punkte eingehen, vom Kollegen Todt und von anderen VorrednerInnen. Die Einwände zum Staatsschutzgesetz, die die Grünen haben, sind unserer Meinung nach wirklich sehr fundiert. Ich werde ein paar Punkte im Staatsschutzgesetz aufzählen, von denen wir fin­den, dass sie eindeutig verbesserungswürdig sind, wie zum Beispiel der vorbeugende Schutz vor Einzelpersonen schon im Vorfeld einer strafbaren Handlung. Dieser greift viel zu weit. Ab wann genau hier gehandelt werden darf, wird weder gesetzlich geklärt noch muss es im Einzelfall irgendwie detailliert begründet werden.

Zum Beispiel können auch Kontaktpersonen ins Visier von Überwachungen gelangen. Wenn man davon ausgeht, dass jeder Mensch an die 100, 120 Kontakte hat, sind wir bei 5 000 Zielpersonen gleich einmal bei 500 000 Personen, die irgendwo ins Visier des Ver­fassungsschutzes gelangen. Das Gesetz sieht extrem weitreichende Ermittlungsbefug­nisse im Internet und in den Daten aller öffentlichen Behörden vor, die unter Umstän­den auch automatisiert ausgeübt werden können. Es kommt in der Intensität einer Ras­terfahndung gleich, die bisher im Strafverfahren wirklich nur nach ganz strengen Krite­rien und mit richterlicher Kontrolle möglich gewesen ist. Meine Vorrednerin hat es schon gesagt, in Frankreich gibt es genau das schon seit vielen Jahren und hat sehr, sehr vie­les trotz dieser intensiven Überwachung nicht verhindert werden können.

Die Analysedatenbank weist massive Regelungslücken hinsichtlich der erfassten Da­ten auf, auch was die Löschung von Daten und den Rechtsschutz betrifft. Auch die Über­mittlung von Daten aus dieser Analysedatenbank ins Ausland erfolgt ohne klare Krite­rien und ohne Rechtsschutz.

Nur noch ganz kurz dazu ein paar Punkte, damit Sie sehen, dass wir nicht unfundiert dagegen vorgehen.

Zur Videoüberwachung; Kollege Mayer hat es vorhin angesprochen: Die Videoüberwa­chung ist gerade an öffentlichen Plätzen immer mehr angesagt, und ich möchte dazu sagen, das war vielleicht noch vor ein paar Jahren ein gängiges Mittel, aber bei den At­tentätern oder Psychopathen, wie sie Herr Kollege Mayer genannt hat, und dem möch­te ich mich auch anschließen, hat sich das ganze Täterprofil geändert, die suchen ja direkt die Öffentlichkeit. Es werden ja die Plätze auch nach dieser Videoüberwachung ausgesucht.

Ich möchte einen Bogen spannen und noch ganz kurz ein paar meiner Meinung nach grundlegende Dinge ansprechen. Meine Kollegin Ewa Dziedzic hat die Hauptursachen für Radikalisierung und Terrorismus schon angeschnitten: Beteiligung an Kriegen in den Herkunftsstaaten, die gescheiterte Integration, und ich muss sagen, im Vergleich zu Frank­reich, wo es teilweise wirklich zu richtigen Ghetto-Bildungen kommt, steht Österreich da doch um einiges besser da. Es ist auch der Zugang zu Waffen, wo unserer Meinung nach zwar noch einiges nachgeschärft gehört, aber auch in diesem Punkt steht Österreich im Europa-Vergleich besser da.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 28

Aus diesen Gründen sehen wir eben die Gefahr von Terroranschlägen in Österreich, Gott sei Dank, deutlich niedriger als zum Beispiel in Frankreich oder Großbritannien, aber natürlich muss sich auch Österreich auf mögliche Anschläge vorbereiten; das se­hen wir ebenso. Wir sehen diese Thematik auch im Innenministerium angesiedelt, weil der Terror in Europa in allererster Linie mit polizeilichen Mitteln zu bekämpfen ist.

Wir hatten im letzten Plenum die Aktuelle Stunde mit dem Verteidigungsminister, in der das Kompetenzen-Gerangel zwischen Innenministerium und Verteidigungsministerium ganz stark herausgekommen ist. Es braucht aber eine gute Zusammenarbeit für eine gemeinsame Terrorismusbekämpfung und keinen Streit zwischen Militär und Polizei be­ziehungsweise den dafür zuständigen Parteien. (Bundesminister Sobotka: Wo sehen Sie da einen Streit, Frau Kollegin?) – Das würde jetzt zu weit führen. – Wenn das näm­lich schon in Österreich nicht so funktioniert, wie es sollte, wie soll das dann auf euro­päischer Ebene funktionieren? (Vizepräsidentin Winkler übernimmt den Vorsitz.)

Das Licht leuchtet schon, ich muss ein bisschen zusammenkürzen und möchte ganz kurz noch einmal die Maßnahmen aufzählen, die wir als dringend notwendig erachten: Und zwar braucht es dringend einen noch genaueren Plan des Innenministeriums, der dann dem Parlament vorgelegt wird, eben zur Aufstellung und Ausrüstung, Spezialaus­rüstung einzelner Beamter und auch für die verstärkte internationale Zusammenarbeit der österreichischen Polizei und anderen Behörden, und zwar echte Polizeikooperation und nicht nur eine bloße Verschränkung von Datenbanken. Da wird man sich wirklich etwas Gescheites überlegen müssen, denn: Sicherheit und Datenaustausch darf es nicht zum Preis des totalen Überwachungsstaates geben. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

10.39


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Mag. Zelina zu Wort. – Bitte.

 


10.39.06

Bundesrat Mag. Gerald Zelina (STRONACH, Niederösterreich): Danke, Frau Präsi­dentin, für das Wort! – Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Mitglieder des Bundesrates! Eigentlich wollte ich mich zu diesem Tagesordnungspunkt nicht melden, aber ich muss doch einiges anmerken.

Terror ist eigentlich immer ein Freiheitskampf. Man sollte sich die Frage stellen: Woge­gen kämpfen die Terroristen und was sind die Ursachen der Terroranschläge? Wir ha­ben bei der Polizei sehr viel zu tun in Richtung Terrorverhinderung, in Richtung Über­wachungsstaat, aber was sind die Ursachen des Terrors?

Da sollten wir doch auch unsere westlichen europäischen Länder und auch die aggres­sive US-Außenpolitik durchdiskutieren. (Bundesrat Pfister: Du warst in Dubai auf Urlaub?)

Was ist da los im Irak und in Syrien? Welche ausländischen Truppen sind im Irak und in Syrien? Es sind US-Truppen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als US-Außen­minister Colin Powell 2003 bei der UNO-Generalversammlung geschildert hat, warum man in den Irak einmarschieren muss: Man muss einmarschieren, weil Massenvernich­tungswaffen im Irak vorhanden sind – die dann nicht vorhanden waren.

Warum ist man in Libyen gegen Gaddafi vorgegangen und hat das ganze Land desta­bilisiert, mit den ganzen Problematiken, die wir jetzt haben, mit den Flüchtlingen? Wa­rum sind NATO-Truppen in Afghanistan stationiert?

Erinnern wir uns auch an den Ukraine-Konflikt: Auch dort kam es, nachdem das As­soziierungsabkommen mit der EU nicht geschlossen wurde, zum Umsturz, und es wur­de versucht, ein neues Regime, eines mit freundlicher US-Politik, einzurichten. Die Rus­sen haben das verhindert, und es kam zum Konflikt. Die Europäer sind dann draufge-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 29

kommen: Wir sind ja abhängig vom russischen Öl und Gas und brauchen eine europäi­sche Energieunion, die sich unabhängig macht von einzelnen Lieferanten und einzel­nen Ländern. Man wollte Gaspipelines bauen, von Katar durch Saudi-Arabien, durch Sy­rien nach Europa, um sich unabhängig zu machen. Das Assad-Regime hat gesagt, nein, machen wir nicht, und dann ging der Krieg auch in Syrien los.

Das heißt, der westliche Staatenbereich ist mitverantwortlich für diese ganze Terrorge­schichte und die Anschläge, die nun in Europa stattfinden. Es geht um Öl, es geht um Gas, es geht um beinharte wirtschaftliche Interessen, es geht um Waffenlieferungen und um die Sicherung von Handelswegen. Das sollten wir auch bewusst ansprechen, und das gehört auch zur Terrorprävention.

Auch wenn der Herr Innenminister sehr gute Arbeit leistet: Solange wir die Kriege dort nicht beenden und solange wir immer wieder unsere eigenen Truppen in ausländischen Ländern haben, wird es den Freiheitskampf geben, wird es Terror geben.

Ein letztes Wort zu den Außengrenzen: Wenn wir in Europa einen Binnenmarkt haben wollen mit freiem Personenverkehr, mit freien Schengengrenzen, dann müssen wir un­sere EU-Außengrenzen sichern. Die Balkanroute gehört geschlossen, die Mittelmeer­route gehört geschlossen. Und schicken Sie die Rechnung an den US-Kongress! Die westlichen Mächte, auch die NATO, haben eine Mitverantwortung für die Terroranschlä­ge, und das gehört auch gesagt. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

10.43


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.

10.43.37Einlauf und Zuweisungen

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Hinsichtlich der eingelangten, verteilten und verviel­fältigten Anfragebeantwortungen,

eines Schreibens des Vorarlberger Landtages betreffend Wahl eines Ersatzmitgliedes des Bundesrates,

der Bekanntgabe von Schreiben betreffend den Aufenthalt von Mitgliedern der Bundes­regierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union sowie

der Unterrichtungen gemäß Art. 50 Abs. 5 B-VG

verweise ich gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäftsordnung auf die im Sitzungssaal verteil­ten Mitteilungen, die dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Ebenso verweise ich hinsichtlich der eingelangten Verhandlungsgegenstände und de­ren Zuweisungen im Sinne des § 19 Abs. 1 der Geschäftsordnung auf die gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäftsordnung im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen, die dem Steno­graphischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Die schriftlichen Mitteilungen haben folgenden Wortlaut:

A. Eingelangt sind:

1. Anfragebeantwortungen:

2992/AB-BR bis 2996/AB-BR (siehe S. 4)

2. Schreiben der Landtage:

Schreiben des Präsidenten des Vorarlberger Landtages betreffend Wahl eines Ersatzmit­glieds des Bundesrates (Anlage 1)


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 30

3. Aufenthalt eines Mitgliedes/Aufenthalte von Mitgliedern der Bundesregierung in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union:

Schreiben des Ministerratsdienstes des Bundeskanzleramtes betreffend den Auslands­aufenthalt von Bundeskanzler Mag. Christian Kern am 22. und 23. Juni 2017 in Brüssel bzw. vom 15. bis 22. Juli 2017 in Spanien (Anlage 4) und betreffend den Auslands­aufenthalt von Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Sebastian Kurz am 22. Juni 2017 in Brüssel (Anlage 5) sowie betreffend den Auslandsaufenthalt von Bun­desminister für Verkehr, Innovation und Technologie Mag. Jörg Leichtfried am 22. Juni 2017 in Brüssel (Anlage 6)

4. Unterrichtung gemäß Art. 50 Abs. 5 B-VG:

Schreiben des Generalsekretärs des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres betreffend

Aufnahme von Verhandlungen über ein Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft bezüglich der Zusammenarbeit im Be­reich der Sicherung des Luftraums gegen nichtmilitärische Bedrohungen aus der Luft (Anlage 2)

und

Aufnahme von Verhandlungen über den Vertrag zwischen der Republik Österreich und Ungarn über Änderungen und Ergänzungen des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Ungarischen Volksrepublik zur Sichtbarerhaltung der gemeinsamen Staatsgrenze und Regelung der damit im Zusammenhang stehenden Fragen vom
31. Oktober 1964 in der Fassung des Vertrages über Änderungen und Ergänzungen vom 8. April 2002 (Anlage 3)

B. Zuweisungen

1. Gesetzesbeschlüsse (Beschlüsse) des Nationalrates sowie EU-Vorhaben ge­mäß Art. 23e B-VG:

(siehe Tagesordnung)

2. Selbständige Anträge:

3. Vorlagen der Bundesregierung oder ihrer Mitglieder sowie Berichte der Volks­anwaltschaft:

(siehe Tagesordnung)

Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes für das Jahr 2016 (III-624-BR/2017 d.B.)

zugewiesen dem Ausschuss für Verfassung und Föderalismus

4. Petitionen:

Petition betreffend "Die Sonderschule soll bleiben", überreicht von Bundesrätin Sandra Kern (36/PET-BR/2017)

zugewiesen dem Ausschuss für BürgerInnenrechte und Petitionen

*****


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 31

*****


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 32


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 33


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 34


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 35

*****


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 36


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 37


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 38


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 39

*****


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 40

*****


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 41

*****


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 42


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 43

*****

 



BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 44

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Eingelangt sind und den zuständigen Ausschüssen zu­gewiesen wurden jene Beschlüsse des Nationalrates beziehungsweise jene Berichte, die jeweils Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind.

Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen abgeschlossen und schriftliche Ausschuss­berichte erstattet.

Ich habe die zuvor genannten Verhandlungsgegenstände sowie die Wahl der beiden Vizepräsident/innen, der Schriftführer/innen und der Ordner/innen für das zweite Halb­jahr 2017 auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

10.45.25Ankündigung einer Dringlichen Anfrage

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bevor wir in die Tagesordnung eingehen, gebe ich be­kannt, dass mir ein Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bun­desrates auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundesrätin Reiter, Kol­leginnen und Kollegen betreffend Art. 15a B-VG Vereinbarungen zur Kinderbetreuung an die Bundesministerin für Familien und Jugend vorliegt.

Im Sinne des § 61 Abs. 4 der Geschäftsordnung verlege ich die Behandlung an den Schluss der Sitzung, aber nicht über 16 Uhr hinaus.

10.46.021. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 7. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das EU-Qualitätsregelungen-Durchführungsgesetz geändert wird (1643 d.B. und 1653 d.B. sowie 9812/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Tagesordnung ein und gelangen zu deren 1. Punkt.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Posch-Gruska. Ich bitte um den Bericht.

 


10.46.33

Berichterstatterin Inge Posch-Gruska: Frau Präsidentin! Ich bringe den Bericht des Gesundheitsausschusses über den Beschluss des Nationalrates betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das EU-Qualitätsregelungen-Durchführungsgesetz geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Gesundheitsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 20. Juni 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates kei­nen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schererbauer. – Bitte.

 


10.47.05

Bundesrat Thomas Schererbauer (FPÖ, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Frau Mi­nisterin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Bei diesem Tagesordnungspunkt geht es um ein Bundesgesetz, mit dem das EU-Qualitätsregelungen-Durchführungsgesetz ge­ändert werden soll. Bei dieser Regierungsvorlage geht es darum, eine Kontrollstelle be­ziehungsweise eine Kompetenzverteilung im Kontrollbereich für Bio-Produkte aus Dritt­staaten einzuführen und hier eine strengere und genauere Regelung vorzunehmen. Ei­nige Gründe dafür, warum wir diesem Gesetz nicht zustimmen können, möchte ich Ih­nen anhand von ein paar Beispielen darlegen.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 45

Es geht zum einen um die Herkunftskennzeichnung, die unserer Meinung nach viel kla­rer geregelt werden muss, denn dieses Gesetz regelt auch in den §§ 14 bis 16 im Gro­ßen und Ganzen die geschützte geografische Angabe und die Kontrolle dieser Maß­nahmen. Bei der geschützten geografischen Angabe wird dem Konsumenten sugge­riert, wenn er ins Geschäft geht, dass das Produkt aus der jeweiligen Region kommt.

Ein Beispiel dazu ist der Tiroler Speck der Firma Handl. Dieser Tiroler Speck hat die Kennzeichnung „geschützte geografische Angabe“, Faktum ist aber, dass es in Tirol gar keine relevante Fleisch- beziehungsweise Speckproduktion gibt. Trotzdem darf die Firma Handl, gesetzlich völlig korrekt und zulässig, ein Etikett anbringen, das dem Kon­sumenten geschützte geografische Angabe vermittelt. Genau das stört uns aber, denn der Tiroler Speck, den der Konsument zu kaufen glaubt, kommt aus Dänemark, Deutsch­land und aus anderen Ländern, nur nicht aus Tirol. Trotzdem darf man hier das Etikett „g.g.A.“, geschützte geografische Angabe, anbringen. Dagegen wehren wir uns, denn es soll in diesem Gesetz klar geregelt werden, dass auch wirklich das drinnen ist, was draufsteht.

Es ist schon eigenartig, als was man Produkte in Österreich alles bezeichnen kann, be­vor man gegen ein Gesetz verstößt. Als weiteres Beispiel der Hartberger Bauernquar­gel. „Käse aus Österreich“ stand zwischen der Abbildung einer rot-weiß-roten Fahne und dem Hinweis „Hergestellt nach alter österreichischer Tradition“. Wer glaubt, dass die Milch für den Käse daher aus Österreich stammt und hierzulande zu Quargel verar­beitet wurde, liegt grundfalsch: Die Milch stammt aus Holland, wurde in Deutschland zu Topfen verarbeitet und in Hartberg nur weiterverarbeitet und verpackt. Das genügt schon, um diesen Aufdruck zu rechtfertigen.

Oder das Kürbiskernöl: Die Kerne für steirisches Kürbiskernöl können aus Slowenien sein, solange sie nur in der Steiermark verarbeitet werden. Für Kernöl, das mit Steier­mark-Bezug verkauft wird, sind 18 000 Tonnen Kürbiskerne nötig, die jährliche Ernte in Österreich beträgt jedoch nur circa 9 000 bis 10 000 Tonnen. (Zwischenruf der Bun­desrätin Blatnik.)

Bezeichnungen von Lebensmitteln kann man willkürlich Attribute wie „Alpen-“, „Berg-“ oder „Bauern-“ voranstellen: Bergkäse etwa, Bauernquargel oder Bauernbutter. Diese Begriffe sind nicht geschützt. Weder der Berg noch der Bauer müssen da involviert sein. Genauso gut könnte man Zimmererkäse draufschreiben, nur würde sich der Käse dann wahrscheinlich nicht so gut verkaufen.

Einzige Hürde für solche Fantasiebezeichnungen ist der Täuschungsparagraph im Le­bensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz. Darin heißt es, man dürfe Le­bensmittel nicht mit irreführenden Angaben, was die Herkunft und Herstellung betrifft, be­werben oder in Verkehr bringen.

Lassen Sie mich auf eine weitere wesentliche Kennzeichnung eingehen, nämlich das AMA-Gütesiegel! Die zuständigen Behörden wie die AMA Marketing und auch das Mi­nisterium sollen wissen, dass wir mit dieser Kennzeichnung nicht wirklich zufrieden sind. Das AMA-Gütesiegel garantiert dem Konsumenten höchste österreichische Qualität. Das heißt aber nicht gentechnikfrei. Wenn Sie bei einem Produkt dieses Kennzeichen se­hen, kann es gentechnikfrei sein, muss es aber nicht. Das Gleiche gilt auch für das Palmöl. Produkte mit dem AMA-Gütesiegel müssen meiner Meinung nach zu 100 Prozent gen­technik- und palmölfrei sein.

Das kennt jeder: „Soletti – immer dabei!“ (Der Redner hält eine Abbildung einer Salzstan­gen-Packung der von ihm genannten Marke in die Höhe.) Leider Gottes ist da auch das Palmöl immer dabei. Hier ist das AMA-Gütesiegel, und darunter sind die Inhalts­stoffe aufgelistet, auch das Palmöl.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 46

Ebenso die Drittel-Regelung: Diese Regelung erlaubt es dem Produzenten, wenn das Produkt in Österreich nicht verfügbar ist, trotz AMA-Gütesiegels Inhaltsstoffe ausländi­scher Herkunft zu verwenden, solange diese aus dem Ausland stammenden Inhalts­stoffe nicht mehr als ein Drittel des Produkts ausmachen. Da wollen wir eine klare Re­gelung haben. (Bundesrätin Blatnik: Es ist eine klare Regelung!) Dieses Gütesiegel muss das halten, was es den Konsumenten verspricht.

Derzeit sind beide Gütezeichen gesetzlich klar geregelt, jedoch täuschen sie unserer An­sicht nach in vielen Fällen den Konsumenten. In Summe gibt es beinahe 150 Gütezei­chen, die auf Lebensmitteln im heimischen Handel prangen oder auf eine besondere Qualität hinweisen. Oft sind sie nicht mehr als ein willkürlicher Namenszusatz.

Abschließend zum AMA-Gütesiegel: Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, weil es eben nicht wurst ist, was in der Wurst ist, hat der Verein für Konsumenteninformation eine Untersuchung betreffend Extrawurst durchgeführt. Es wurden 16 Sorten Extrawurst un­tersucht. Unter den besten neun Sorten war das AMA-Gütesiegel magere drei Mal zu finden, unter den fünf am schlechtesten bewerteten Sorten gleich vier Mal. Also ich bin der Meinung, das ist sicher keine Referenz für ein Gütesiegel, das höchste österreichi­sche Qualität verspricht. – Nachzulesen in der Zeitschrift Konsument“ vom Mai 2017. (Der Redner hält die Kopie eines Artikels aus der genannten Zeitschrift in die Höhe.)

Werte Frau Ministerin, ich möchte Sie hiermit ersuchen, die Bezeichnung geschützte geografische Angabe“ so zu gestalten, dass sie für die Konsumenten nachvollziehbarer und verständlicher wird. Wo „Österreich“ draufsteht, soll auch Österreich drinnen sein. (Bundesrätin Blatnik: Ist ja!) Daher, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, möchte ich einen Entschließungsantrag des Bundesrates Schererbauer und weiterer Bundesräte dazu einbringen:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Thomas Schererbauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Streichung der Bezeichnung „g.g.A.“ wegen Irreführung der Konsumenten

Entschließungsantrag

Der Bundesrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung – insbesondere die Bundesministerin für Gesundheit gemein­sam mit dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirt­schaft – wird aufgefordert, sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass die Bezeich­nung g.g.A.‘ gestrichen wird und national alle nötigen Schritte zu setzen, dass in Ös­terreich Produkte nicht mehr mit der irreführenden Bezeichnung g.g.A.‘ gekennzeichnet bzw. beworben werden dürfen.

*****

Herzlichen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

10.53


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Der von den Bundesräten Schererbauer, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend Streichung der Bezeich­nung „g.g.A.“ wegen Irreführung der Konsumenten ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 47

Bevor wir in der Rednerliste fortschreiten, sei es mir gestattet, unsere Bundesministerin Dr. Rendi-Wagner recht herzlich in unserer Mitte zu begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)

Als nächste Debattenrednerin wurde mir Frau Bundesrätin Blatnik genannt. – Bitte.

 


10.53.56

Bundesrätin Ana Blatnik (SPÖ, Kärnten): Frau Präsidentin! Gospa president! Frau Bundesministerin! Gospa zvezna ministrica! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drage kolegice in kolegi! Dieses EU-Qualitätsregelungen-Durchführungsgesetz wird geändert, und zwar wird es verbessert. Die Novelle dient vordringlich der verbesserten techni­schen Durchführung der EU-Bio-Verordnung aus dem Jahre 2009.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich von Verbesserung rede, meine ich, dass die­ses Gesetz Maßnahmen und Klarstellungen sowie Verbesserungen in puncto amtlicher Kontrolle, wenn es um Bio-Produkte aus Drittländern geht, enthält.

Worum geht es? Es geht in erster Linie um eine Anpassung an das EU-Recht, um eine klare Definition einer Kontrollzuständigkeit, um einen Informationsfluss zwischen Be­hörde und Unternehmen, um neue, verbesserte, sehr wichtige Sanktionsmechanismen, die sich an der Verhältnismäßigkeit orientieren. Es geht um mehr Entbürokratisierung, um Vereinfachung und im Grunde genommen auch um mehr Praxisbezug.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass die Importregelung von Bio-Produk­ten selbstverständlich sehr, sehr wichtig ist. Wir wissen auch, dass Bio-Produkte nicht nur bei uns in Österreich erzeugt werden können, weil sie so beliebt sind, sodass wir auch aus Drittländern Bio-Produkte einführen müssen, und das gehört wirklich ganz ge­nau kontrolliert. Die Zuständigkeit für die amtliche Kontrolle obliegt dem Herrn Landes­hauptmann. Da werden zusätzlich Fachkräfte, Experten und Expertinnen von der Land­wirtschaftskammer und von dem Verband Bio Austria aufgenommen, um dieses Wis­sen, das die Fachkräfte besitzen, in diese Kontrolle miteinbringen zu können. Das ist posi­tiv, denn das ist wirklich ein neuer Praxisbezug, der gerade bei diesem Thema sehr, sehr wichtig ist.

Zweiter Punkt: Sanktionsmechanismen, die jetzt neu geregelt werden und sich – es sei noch einmal betont – an der Verhältnismäßigkeit orientieren. Auch das ist wichtig. Ich bin wirklich für Sanktionen, für strenge Strafen, wenn es um Fahrlässigkeit oder betrü­gerische Absicht geht, die den Konsumenten und die Konsumentin negativ beeinflus­sen. Da gehört ohne Rücksicht sanktioniert und gestraft. Wenn aber jemand Formfeh­ler macht und die Strafe dafür genauso hoch, genauso hart ist wie bei dem, der das betrügerisch, mit Absicht macht, dann ist das einfach nicht gerecht. Auch das wird im neuen Gesetz geregelt, nämlich: Bei Formfehlern, bei kleineren Fehlern wird eine Er­mahnung erfolgen und nicht eine Strafe vollzogen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt komme ich zum vorhin eingebrachten Entschlie­ßungsantrag. Lieber Thomas, auch ich bin dafür, dass Transparenz, Klarheit und Si­cherheit gegeben sind, ich bin voll dafür, aber machen wir bitte unsere Konsumenten und Konsumentinnen nicht unsicher! Auch ich bin dafür, dass man ganz klar definiert, was vegan ist und was vegetarisch ist. Ich bin auch dafür und sehe es positiv, dass man endlich ein Qualitätsgütesiegel realisiert, was ja auch im Regierungsprogramm ent­halten ist.

Ich war vor 14 Tagen im Gailtal und ich kann dir sagen: Ein Gailtaler Speck ist ein Gail­taler Speck! Und wenn diese geschützte geografische Angabe gestrichen wird, was du ja verlangst, dann habe ich keinen Gailtaler Speck, und das werde ich nicht zulassen! (Allgemeine Heiterkeit.)

Wir haben nicht genug Ferkel. Der Gailtaler Speck ist so gut und so beliebt. (Bundes­rätin Ecker: … aus Österreich!) Wir brauchen mehr Ferkel (allgemeine Heiterkeit), des-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 48

wegen müssen wir diese zukaufen, aber im Gailtal werden sie gefüttert und geschlach­tet. Ich frage dich: Was ist da bitte falsch dran? Wir haben nicht genug Ferkel! Deswe­gen kann ich nicht für diesen Entschließungsantrag sein.

Wenn du die geschützte Ursprungsbezeichnung ansprichst, muss ich sagen: Wir ha­ben im Grunde genommen zehn Produkte, die diese Ursprungsbezeichnung haben. Die­se geschützte Ursprungsbezeichnung garantiert mir zum Beispiel bei der Wachauer Ma­rille, dass sie dort produziert wird, dass sie dort geerntet und vermarktet wird. Beim Gail­taler Speck ist das nicht möglich, weil wir zu wenig Ferkel haben. (Neuerliche allge­meine Heiterkeit.) Also bitte, was kann man da machen? Wird man den Gailtaler Speck einfach streichen? – Ich bin dagegen! (Bundesrat Mayer: Wir wollen Kostproben!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war ein bisschen Gailtal; ich bin ja Kärntnerin. Ich stehe mit viel Elan und Emotion zum Gailtal und lasse mir das nicht nehmen! (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

(Die Rednerin setzt ihre Ausführungen in slowenischer Sprache fort.) – Danke. Hvala lepa. (Beifall bei SPÖ und ÖVP. – Bundesrat Mayer: Hvala lepa!)

11.00


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster ist Herr Bundesrat Ing. Köck zu Wort ge­meldet. – Bitte.

 


11.01.07

Bundesrat Ing. Eduard Köck (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsident! Frau Ministerin Dr. Rendi-Wagner! Sehr geehrte Kollegen! Sehr geehrte Zuseher an den Fernsehschirmen und hier im Haus! Wir haben in diesem Haus schon sehr oft Ge­setze beschlossen, die den österreichischen Bauern höhere Produktionsauflagen be­scherten als ihren Kollegen in der EU, aber vor allem auch als ihren Kollegen auf der ganzen Welt. Daher sind wir verpflichtet, die Produktion unserer Bauern vor Vermi­schung und Täuschung zu schützen, damit sie die Kostennachteile, die sie in der Pro­duktion durch diese höheren Auflagen haben, eventuell durch einen höheren Erlös auf dem Markt kompensieren können.

Da gibt es durchaus noch viel zu tun, aber diese vorliegende Gesetzesänderung ist auch ein Schritt zu einer Verbesserung. Es ist schon vieles ausgeführt worden. Diese Durchführungsverordnung bietet bessere Kontrollen bei Bioprodukten aus Drittstaaten. Das schützt unsere Bauern. Es inkludiert in diese Kontrollen Vertreter der Biobauern und der Bauernkammer. Das führt zu besserer Praxistauglichkeit, Verhältnismäßigkeit und letzten Endes auch Transparenz.

Für geringfügige Verstöße, die vielleicht Formalfehler sind, gibt es jetzt die Möglichkeit der Verwarnungen und der niedrigen Verwaltungsstrafen. Die Zuständigkeit für all die­ses liegt bei den Landeshauptleuten. Ich finde, das erhöht das Augenmaß und die Bür­gernähe. Deshalb ist diese Gesetzesänderung gut und wir werden sie unterstützen.

Natürlich gibt es noch sehr viel zu tun. Ich möchte ein paar Bereiche ansprechen, wo es wirklich etwas zu tun gibt; auf die Ausführungen der FPÖ komme ich dann auch noch zu sprechen. Der erste Bereich ist der Außer-Haus-Verzehr. All diese Regelungen be­treffen ja meistens nur den Handel, beim Außer-Haus-Verzehr hingegen haben wir lei­der sehr wenige Möglichkeiten. Wenn ein Gast in ein Restaurant geht, kann er fragen, woher der Wirt seine Produkte hat, und er wird auch die entsprechenden Angaben be­kommen, aber bei den großen Systemküchen wie zum Beispiel hier bei uns im Parla­ment, wo wir einen Systemlieferanten haben, fragen Sie da einmal den Kellner, ob er weiß, woher das Fleisch kommt! Er kann Ihnen keine Angaben machen.

Wir in Niederösterreich haben die freiwillige Initiative „Gut zu wissen, wo unser Essen herkommt“ gestartet, an der große Systemküchen freiwillig mitmachen können. Unser


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 49

Landeshauptfrau-Stellvertreter Dr. Pernkopf spricht die großen Küchen selbst an, kommt mit ihnen ins Gespräch und kann schon sehr viele Erfolge vorweisen.

Über die Plattform können auch Konsumenten teilnehmen. Da springt immer mehr Gastronomie auf, da haben wir einen Schulterschluss zwischen Bauern, Produzenten, der Gastronomie und den Konsumenten. Damit liefern wir ein wirklich tolles Beispiel da­für, was man vielleicht in Zukunft zu einem Gesetz machen kann.

Der zweite Bereich, den ich ansprechen will, ist eine verpflichtende Kennzeichnung bei Eigenmarken des Handels. Eines muss uns nämlich klar werden: Da betreibt der Han­del das Spiel, dass er bei den Eigenmarken immer wieder mit österreichischen Pro­dukten in die Werbung geht, diese einige Zeit verwendet, und die Produkte später aus­wechselt, oft gegen ausländische. Der Konsument kann das fast nicht erkennen. Mit dieser Maßnahme unterläuft der Handel eigentlich alle Regelungen, die wir hier für Pro­duktdeklarierung oder Herkunftsbezeichnung beschließen. Dazu sollte uns vielleicht in Zukunft noch einiges einfallen.

Zum Kollegen Schererbauer und seinem Antrag muss ich sagen: Zum einen ist jetzt klar, wer jetzt offensichtlich Landwirtschaftssprecher ist. Vorher war das immer Dörfler, der gesagt hat, er war einmal Holzfäller, aber jetzt ist er selbst ein bisschen umgefallen und abhandengekommen. Hier ist es wieder einmal der Fall, dass man Dinge, die über­haupt nicht zusammenpassen, in eine Mischmaschine schmeißt, das Ganze durch­mischt und dann etwas anprangert, das zum Teil unrichtig ist, falsch zusammengestellt ist und ganz einfach nicht stimmt.

Das AMA-Gütesiegel sagt nicht, dass es gentechnikfreie Produkte bewirbt – dafür gibt es das Kennzeichen der ARGE Gentechnik-frei. Wenn das AMA-Gütesiegel die Gen­technikfreiheit als Grundlage hätte, müssten alle Produkte gentechnikfrei sein, so weit sind wir aber noch nicht. Das sagt das AMA-Gütesiegel nicht, es ist aber deshalb nicht schlecht. Das AMA-Gütesiegel sagt, dass die Hauptbestandteile der Produkte, bei ei­ner Wurst beispielswese das Fleisch, aus Österreich kommen. Nur dann, wenn Zutaten in Österreich nicht in ausreichender Form zu bekommen sind, sind Beimengungen mög­lich.

Dieses AMA-Gütezeichen sollte man nicht schlechtmachen. Es ist das Einzige, das die österreichischen Konsumenten kennen, ein Zeichen, das ihnen hilft, die österreichischen Produkte auf dem Markt zu differenzieren. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Bei der geschützten geografischen Angabe geht es eben nur um die Herstellung des Le­bensmittels und nicht um den Ursprung. Deswegen gibt es diese Differenzierung zum geschützten geografischen Ursprung. Für den geschützten geografischen Ursprung müs­sen Vereine gegründet werden, in die alle Vertreter der Region einbezogen werden müs­sen, wobei in den Vereinen nach dem Mehrheitsprinzip abgestimmt wird, ob ein Pro­dukt die Bezeichnung des geschützten regionalen Ursprungs tragen darf.

Wenn es hier Missstände gibt, dann muss man das aufzeigen und eingreifen, das ist gar keine Frage, aber man kann doch nicht alles durcheinandermischen und dann ir­gendeinen Antrag konstruieren, der eigentlich zu nichts – zu gar nichts! – führt, was Ver­besserungen bringt.

Wir müssen hier Schritt für Schritt weiterarbeiten. Das AMA-Gütesiegel ist gut, das sol­len wir weiterentwickeln. Die geschützte regionale Ursprungskennzeichnung ist gut, auch das können wir weiterentwickeln; beide Dinge, die ich angesprochen habe, können und sollten wir auch noch weiterentwickeln.

Es gibt noch viel zu tun. In der Verantwortung für die österreichischen Bauern, für die Lebensmittelproduzenten, aber auch für die Arbeitskräfte, die in diesem Bereich in Ös­terreich tätig sind, müssen wir alles in unserer Macht Stehende unternehmen, damit man


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 50

die österreichischen Lebensmittel gut differenzieren kann von allen anderen, die nach Österreich hereinkommen. Dieses Gesetz ist ein Schritt dazu, deshalb werden wir es unterstützen. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

11.07


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste ist Frau Bundesrätin Dr. Reiter zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Kollegin.

 


11.08.00

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Frau Präsidentin! Frau Ministe­rin! Werte Kollegen und Kolleginnen! Auch wir stimmen dem vorliegenden Gesetz zu, weil erstens die Beratungsmöglichkeit und die Beteiligung der Landwirtschaftskammer und von Bio Austria, immerhin einer NGO, aber eben der wichtigsten Vertretung der Biobauern und -bäuerinnen in Österreich, im Kontrollausschuss sichergestellt wurde. Wir halten das für einen wesentlichen Fortschritt und eine neue Qualität.

Wir stimmen zu, weil bei geringfügigen Verstößen keine Anzeigen mehr gemacht wer­den müssen. Das ist verhältnismäßig und führt auch zu einer Entbürokratisierung.

Wir stimmen zu, weil Importregelungen wichtig sind. Die Basis für dieses Gesetz ist ja ein entsprechendes EU-Gesetz, und da ist es doch zu deutlichen Klarstellungen und Er­gänzungen gekommen.

Klar ist aber auch, dass eine große Wunschliste noch offen bleibt, wie von meinen Vor­rednern ja schon angeführt wurde. Wir würden uns ein österreichisches Gütesiegelge­setz wünschen, um diesen Wildwuchs und Wirrwarr von Qualitätsregelungen abzustel­len oder effektiver zu bekämpfen, damit eben das Konsumentenvertrauen gestärkt wird. Das haben sich unsere Bauern und Produzenten verdient.

Das AMA-Gütesiegel leistet das eben nur sehr bedingt. Dass in diesem Bereich Gen­technikfuttermittel eingesetzt werden dürfen, halten wir nicht für vertretbar. Oder den­ken wir nur an die fehlende Kennzeichnungspflicht für verarbeitete Eier: Wir haben ganz strenge gesetzliche Bestimmungen, was die Eierproduktion betrifft, aber wenn das Ei im Kanister daherkommt, fehlt das alles, und beim fertigen Nudelprodukt oder bei den Mehlspeisen kann man nicht mehr sagen, woher diese Flüssigeier tatsächlich gekom­men sind. Das ist ein großer Bereich, der unserer Meinung nach unbedingt geregelt ge­hört. Derzeit läuft es nämlich eher nach dem Motto: Who cares?

Ich finde auch, dass das mit den Herkunftsbezeichnungen ein Jammer ist, weil sich kein Konsument dabei auskennt – ob das jetzt g.U. ist, also die geschützte Ursprungs­bezeichnung, oder g.g.A.. Diese Bezeichnung hat auch ihre Berechtigung, denn sie schützt zum Beispiel geistiges Eigentum in großem Maß, also sozusagen die Fähigkeit, die in dieser Region oder von diesen Produzenten entwickelt wurde: zum Beispiel ei­nen Speck auf eine bestimmte Weise herzustellen oder einen Schnaps in einer be­stimmten Art zu brennen und so weiter. Das ist meiner Meinung nach schützenswert. Und nicht jede Region hat die Möglichkeit, alle Teile dieses Endproduktes unmittelbar zu produzieren, fügt dem Endprodukt aber doch Qualität hinzu.

Diese beiden Bezeichnungen fußen auf EU-Regelungen. Die geschützte Ursprungsbe­zeichnung ist bis jetzt in Österreich zehnmal verliehen worden und g.g.A. sechsmal. Ja, wir würden uns da auch eine bessere Klärung wünschen, um das entsprechend ver­markten zu können, damit es eben nicht dazu kommt, dass der Konsument dann das Vertrauen verliert und meint: Ich kann dem eh nicht vertrauen, denn da wird importiert, dort nicht! Da wäre eine Klärung natürlich schon sehr hilfreich.

Auch wüsste ich gern, was jetzt eigentlich vegetarisch und vegan ist, also was diesen beiden Begriffen zugrunde liegt, wenn sie auf dem Produkt draufstehen. Auch das ge­hört geregelt. Und auch diesbezüglich ist, denke ich, Arbeit erforderlich.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 51

Ich finde es ganz bedauerlich, dass die Verhandlungen zu einer europäischen Biover­ordnung derzeit derartig feststecken. Auch das ist eigentlich unerträglich, weil es natür­lich, gerade auch was Importgüter und so weiter betrifft, das alles sehr schwer hand­habbar macht, wenn es keine vertrauenswürdige gemeinsame Basis gibt, was Bio ist und was nicht.

Ganz bedauerlich finde ich ja auch, dass sich Österreich, dieses Vorreiterland im Bio­landbau, trotz dieser wirklichen Erfolgsgeschichte, die wir da hingelegt haben, noch im­mer nicht dazu durchringen konnte, das als Leitbild für unsere Landwirtschaft voranzu­stellen, denn: Biolandbau ist klimaschonend, gut für Mensch und Tier, für unsere Bö­den. (Bundesrat Schennach: Na ja, die Landwirtschaftskammer ist da nicht so dafür, oder? An die Adresse der Landwirtschaftskammer!) Und das wichtigste Gut, das es zu erhalten gilt, sind unsere Böden. Dass Biolandwirtschaft außerdem wirtschaftlich gut ist, zeigt sich auch immer wieder, daher verstehen wir das nicht. Wir werden aber nicht müde werden, immer wieder darauf hinzuweisen und das auch immer wieder einzufor­dern, ebenso wie wir natürlich an einer Weiterentwicklung all dieser Bestimmungen, die hier angeführt werden, gerne mitarbeiten werden. – Danke. (Beifall bei Grünen und SPÖ sowie des Bundesrates Tiefnig.)

11.13


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesmi­nister Dr. Rendi-Wagner. – Bitte, Frau Minister.

 


11.13.33

Bundesministerin für Gesundheit und Frauen Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Bundesrätinnen und Bundesräte! Viel wurde schon gesagt, ich werde daher nur kurz zusammenfassen und meine Ausführungen kurz halten.

Aus unserer Sicht ist die vorliegende Gesetzesnovelle absolut sinnhaft und zweckmä­ßig, weil sie vor allem einer verbesserten technischen Durchführbarkeit der EU-Bio-Ver­ordnung aus dem Jahre 2009 dient und damit vielerlei Zwecken dient. Sie zielt vor al­lem darauf ab, wichtige Maßnahmen zur amtlichen Kontrolle festzulegen und notwendi­ge Klarstellungen zu treffen, zum Beispiel wenn es um die Einfuhr von Bioprodukten aus Drittländern geht. Schließlich müssen sich die Österreicherinnen und Österreicher da­rauf verlassen können, dass Bio drin ist, wenn Bio draufsteht. Und genau darauf zielt die verbesserte Durchführbarkeit der Kontrollmaßnahmen ab.

Es geht um die Klärung der Zuständigkeiten, es geht um die technische Klärung der Kon­trollverfahren per se und, wie schon erwähnt, auch um die Sanktionsmechanismen in die­sem Zusammenhang.

Wenn wir die Durchführbarkeit klären, erleichtern und die Praxistauglichkeit dieser Kon­trollen verbessern, so ist natürlich auch besser gewährleistet, dass die Produkte, die wir hier in Österreich verfügbar haben, am Ende auch das sind, was sie zu sein ver­spre­chen. Und das schulden wir den Konsumentinnen und Konsumenten in diesem Land. – Vielen Dank. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie des Bundesrates Tiefnig.)

11.15


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist ge­schlossen.

11.15.23

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 52

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Schererbauer, Kolleginnen und Kollegen auf Fas­sung einer Entschließung betreffend Streichung der Bezeichnung „g.g.A.“ wegen Irre­führung der Konsumenten vor.

Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag die Zustimmung ge­ben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenminderheit. Der Antrag ist somit ab­gelehnt.

11.16.152. Punkt

Jahresvorschau des BMGF 2017 auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeits­programms der europäischen Kommission für 2017 und des Programms des Ra­tes (Malta) (III-605-BR/2017 d.B. sowie 9813/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Nun gelangen wir zum 2. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Posch-Gruska. Ich bitte um die Berichterstat­tung.

 


11.16.43

Berichterstatterin Inge Posch-Gruska: Frau Präsidentin! Ich erstatte den Bericht des Gesundheitsausschusses über die Jahresvorschau des Bundesministeriums für Ge­sundheit und Frauen 2017 auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der europäischen Kommission für 2017 und des Programms des Rates (Malta).

Bei der Abstimmung wurde mit Stimmenmehrheit beschlossen, dem Bundesrat die Kennt­nisnahme des gegenständlichen Berichtes zu empfehlen.

Der Gesundheitsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 20. Juni 2017 den An­trag, die Jahresvorschau des BMGF 2017 auf der Grundlage des Legislativ- und Ar­beitsprogramms der europäischen Kommission für 2017 und des Programms des Ra­tes (Malta) (III-605-BR/2017 d.B.) zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Krusche. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


11.17.18

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Hohes Präsidium! Sehr geehrte Frau Bun­desminister! Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuhörer und Zuseher zu Hause an den Bild­schirmen! Der erste und einer der wichtigsten Punkte dieses Berichtes über die EU-Vor­haben ist die geplante Trinkwasser-Richtlinie. Dabei wird vonseiten der EU ein Mehr­wert behauptet mit der Begründung, dass die menschliche Gesundheit in der gesamten EU im gleichen Maße vor nachteiligen Einflüssen aus der Verunreinigung von Trinkwas­ser geschützt werden muss. Die Bürger, die Mitgliedstaaten und die Unternehmen sol­len sich darauf verlassen können, dass sich die EU dieser Dinge quasi annimmt. Und damit wird der Bedarf gerechtfertigt und die Forderung, diese Maßnahmen auf europäi­scher Ebene zu treffen und zu regeln, erhoben.

Meine Damen und Herren, bei meinem Trinkwasser verlasse ich mich auf die Stadt­werke Leoben. Das ist mein Trinkwasserversorger – und nicht die Europäische Union. Und wenn ich glaube, dass mein Wasser verunreinigt ist, dann rufe ich Herrn Schindler in Leoben an, das ist der Direktor der Stadtwerke, und nicht Herrn Juncker in Brüssel! (Heiterkeit bei ÖVP, SPÖ und Grünen. – Bundesrat Schennach: Die Vorwahl müssen wir wissen!) Und diese Argumentationskette, die da von der EU aufgebaut wird, meine Damen und Herren, nämlich dass die Verantwortung für das Trinkwasser faktisch auf


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 53

EU-Ebene liegen muss, verheißt dem gelernten Europäer ja nichts besonders Gutes! (Beifall bei der FPÖ.)

Da steckt eine Strategie dahinter. In weiterer Folge wird es dann wahrscheinlich hei­ßen: In der Region XY, irgendwo in Europa, schaffen sie es nicht, sauberes Wasser zur Verfügung zu stellen, aber die Österreicher, die haben ja genug davon! – Und was ist dann der logische Schritt aufgrund dieser Verantwortung? (Bundesrat Schennach: Sie zapfen es ab!) – Es wird so wie bei den Flüchtlingen sein – die EU verteilt ja gerne um, sie verteilt die Flüchtlinge um (Bundesrätin Blatnik: Bitte nicht!) –, es wird dann wahr­scheinlich auch das Trinkwasser innerhalb der EU umverteilt werden! (Ruf bei der SPÖ: ... trinken Bier!)

Nicht umsonst heißt es sehr lapidar bei der österreichischen Stellungnahme, man sieht dem mit Interesse entgegen.

Wir wehren uns entschieden gegen alle Zugriffe und Begehrlichkeiten auf unser gutes österreichisches Trinkwasser, meine Damen und Herren! (Beifall bei der FPÖ.)

Der nächste Punkt beschäftigt sich mit der Verordnung über ökologisch-biologische Pro­dukte, landwirtschaftliche Produkte, Lebensmittel – eine unendliche Geschichte. Frau Kol­legin Reiter hat bedauert, dass die seit 2014 feststeckt. Wir, muss ich sagen, begrüßen es eher, dass sie feststeckt, denn da sind teilweise Ziele und Maßnahmen aufgelistet, die schwer nachvollziehbar sind, beispielsweise die Forderung, dass die meisten Pro­duktionsmittel in Erzeugung und Verarbeitung biologischen Ursprungs sein sollen. Mit dieser Forderung kann ich nicht wirklich etwas anfangen. Heißt das dann: der biologi­sche Traktor oder wieder der Ochsenkarren oder die Pflugschar aus biologisch herge­stelltem Stahl? Das ist also äußerst kryptisch.

In der Stellungnahme wird auch vor einem weiteren Bürokratieschub gewarnt, der auf uns zukommen würde, auf unsere Landwirtschaft, auf unsere Bauern und unsere Le­bensmittelproduzenten, wenn diese Verordnung in Kraft treten sollte. Wir sehen das eher als Gefahr für den hohen Standard, den wir in Österreich auf dem Gebiet der biologi­schen Landwirtschaft haben, und viel weniger als Chance.

Zu berücksichtigen ist auch, dass es sich hiebei um eine Verordnung und nicht um eine Richtlinie handeln soll, das heißt, diese wird unmittelbar in Österreich rechtswirksam, oh­ne eigenen Gestaltungsspielraum.

Und so geht es weiter, mit bedenklichen Punkten. Auch die geplante Änderung der Gen­technikverordnung täuscht in Wirklichkeit nur eine Scheinsubsidiarität vor. In Wirklich­keit ist es so, dass die Rechtfertigungsmöglichkeiten der einzelnen Mitgliedstaaten zum Verbot solcher gentechnisch veränderten Produkte massiv eingeschränkt werden sol­len. Gottlob steckt diese Verordnung bereits seit 2015 fest, ohne dass besonders viel pas­siert wäre.

Und so geht es eigentlich munter weiter. Auch bei den Regelungen zur Verwendung psy­choaktiver Substanzen wird davor gewarnt, dass die bisher legitime Verwendung von gewissen wichtigen Substanzen, psychoaktiven Substanzen, beispielsweise in der Arz­neimittelproduktion kriminalisiert werden könnte. Auch bei den Tierarzneimitteln gibt es ganz massive Bedenken, dass nämlich, wenn die Verordnung in Kraft tritt, die strengen österreichischen Vorschriften bei den Tierarzneimitteln auf EU-Ebene faktisch ausgehe­belt werden.

In Wirklichkeit muss man also als Fazit bei den meisten Punkten dieses Vorhabenbe­richtes der EU und vor allem bei den wichtigen Punkten hoffen, dass es zu keiner Ei­nigung auf europäischer Ebene kommt, denn für Österreich kann es dadurch eigentlich nur schlechter werden statt besser.

Und auch wenn in der Einleitung zu diesem Bericht auf aktuelle Gefahren hingewiesen wird, beispielsweise durch die Immigrationsströme, so geht man bei den Maßnahmen


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 54

jedoch in keiner Weise auf diese Gefahren ein, denn nirgends ist die Rede davon, wie wir mit dem Gefahrenpotenzial, das etwa durch Einschleppen von Krankheiten durch zahlreiche ungeimpfte Kinder an unseren Schulen entsteht, umgehen sollen.

Als Fazit kann man daher nur sagen: Einen Bericht, der sich überwiegend mit Vorha­ben beschäftigt, bei denen man eigentlich nur wünschen kann, dass sie nie in Kraft tre­ten, kann man nicht zustimmend zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der FPÖ.)

11.24


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schennach. – Bitte, Herr Kollege.

 


11.25.05

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­schätzte Frau Bundesministerin! Ich gestehe, ich liebe den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“, das ist wirklich ein hervorragender Film. Nur die Aufführung, die wir bei je­der EU-Jahresvorschau durch den Kollegen Kruschke (Bundesrat Krusche: Krusche! – Bundesrat Jenewein: Krusche, nicht Kruschke!) hier erleben, ist ein bisschen hart. Wahrscheinlich ist Bill Murray einfach der bessere Darsteller.

Noch einmal: Wir haben hier eine Jahresvorschau aus zwei Bereichen, in der wir die ös­terreichische Position zu Vorhaben, die in der EU in Arbeit sind, erhalten. Ob Sie das zur Kenntnis nehmen oder nicht, ändert daran nichts, das ist die Jahresvorschau. (Bun­desrat Krusche: Deine Antwort ist aber auch „Murmeltier“!) Ich darf daran erinnern: Din­ge, die in dieser Jahresvorschau angeführt sind, sind zum Teil sehr intensiv im EU-Aus­schuss diskutiert worden. Ich nehme befriedigt zur Kenntnis, dass die Richtlinie über neu­artige Lebensmittel zurückgezogen wurde.

Die Richtlinie zum Trinkwasser haben wir intensiv diskutiert – ich sehe ein starkes Ni­cken beim Kollegen Tiefnig, intensiv diskutiert –; und, lieber Kollege, es ist halt so, dass nicht jeder Mensch das Stammesgebiet von Leoben nicht verlässt, sondern dass Millio­nen von Österreichern und Österreicherinnen sich zum Beispiel urlaubsmäßig in Euro­pa aufhalten, das kann dann vielleicht gefährlich werden, wenn das Trinkwasser woan­ders nicht jene Qualität hat wie in Ihrem Stammesgebiet Leoben.

Deshalb ist es wichtig, dass wir gemeinsame Mindestrichtlinien in Europa erarbeiten, auch deswegen, weil die gesamte Agenda Gesundheit nicht der Kommission untersteht. Für uns hier ist es ganz besonders wichtig, genau zu schauen, wie viele delegierte Rechts­akte in all diesen Vorhaben versteckt sind, zum Beispiel bei Tierarzneimitteln oder beim Saatgut. Bei den Tierarzneimitteln hat man, glaube ich, an die 150 versteckte – „versteck­te“ klingt vielleicht böse –, also delegierte Rechtsakte unterzubringen versucht.

Deshalb ist das wichtig, Herr Kollege, deshalb diskutieren wir. Mit Ihrer Nicht-Kenntnis­nahme des Berichts, meine Damen und Herren, nehmen Sie nicht zur Kenntnis, dass Österreich eine Scheinsubsidiarität im Bereich der gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermittel ablehnt. Das ist ja interessant, das muss man sich auf der Zunge zer­gehen lassen. (Bundesrat Jenewein: Was hat das für eine Rechtsfolge? Sie können das nicht beantworten!) – Das hat die Rechtsfolge, dass einige Staaten derzeit beinhart Widerstand in der EU dagegen leisten, dass das kommt – das ist noch nicht durch –, weil jeder Staat für sich den Ausschluss von gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln rechtfertigen muss. Und diese Rechtfertigung im rechtlichen Rahmen ist in der Weise de facto nicht möglich, außer man riskiert millionenschwere Prozesse. Und da gibt es acht Staaten, die sich in einer Blockminorität befinden. Würden diese acht Staaten umfallen, dann käme es zu dieser Scheinsubsidiarität, und dann hätten wir kei­ne Chance – das werden Sie aus der Landwirtschaft mir bestätigen –, das à la longue zu verhindern. (Bundesrat Krusche: Dem stimmen wir zu, wenn wir dem Bericht zu­stimmen? Das ist Logik!) – Horchen Sie einfach einmal zu! Aber Sie nehmen nicht positiv


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 55

zur Kenntnis, dass das Ministerium diese … (Bundesrat Jenewein: Es gibt keine Rechts­folgen! Sie verstehen es einfach nicht!) – Natürlich: Würde Österreich den Weg freige­ben, wäre das eine Katastrophe.

Ich meine, das ist ja interessant, Kollege Tiefnig aus dem Landwirtschaftsbereich ist ex­tra hier geblieben bei dieser Debatte, weil ja das Gesundheitsministerium quasi ein Flü­gel der Landwirtschaftspolitik ist, nämlich in all den Bereichen, die mit Chemie, mit Grenz­werten und so weiter zu tun haben. Aber auch die ganze Frage der Inverkehrbringung von Lebensmitteln aus Klontieren, aus Klonen von Schafen, Schweinen, Ziegen oder Rindern, die wir übrigens auch im EU-Ausschuss abgelehnt haben, sogar, glaube ich, mit einer begründeten Stellungnahme.

Weiters haben wir über die Kennzeichnung von Spirituosen diskutiert. Auch dazu ha­ben wir eine entsprechende Stellungnahme abgegeben.

Nun kommen wir zu einem Bereich, in dem Österreich ebenfalls blockiert, weil wir kei­ne Ausweitung krimineller Rechtsakte wollen, nämlich im eigenstaatlichen Bereich: Zum einen ist die alte Richtlinie über psychoaktive Substanzen gefallen. Eine neue ist der­zeit in Arbeit. Wie diese abgefasst sein soll, darüber wird derzeit gestritten. Den derzei­tigen Vorschlag lehnt Österreich ab. Irgendwann wird uns die Richtlinie auch im EU-Aus­schuss erreichen, und wir werden mit Sicherheit dazu auch eine Stellungnahme abge­ben.

Kommen wir zu einem ganz spannenden Thema, zur Errichtung der Europäischen Arz­neimittel-Agentur. Das betrifft sowohl die Humanmedizin als auch die Tiermedizin, et­was, was ganz, ganz wichtig ist; gerade im Bereich der Arzneimittel und auch der Schäd­lingsbekämpfung. Kollege Tiefnig, Sie erinnern sich, was wir im Bereich der Schädlings­bekämpfung dazu gesagt haben: Was in Portugal ein Schädling ist, muss hierzulande kein Schädling sein. Man muss nicht in ganz Europa die gleiche Meinung dazu haben und kann das nicht über einen Kamm scheren.

Das betrifft natürlich auch die Entwicklung entsprechender Arzneimittel in beiden Be­reichen. Deshalb ist das ein solch sensibles Thema. Und im Übrigen hoffe ich, dass die Agentur für Arzneimittel irgendwann doch einen Amtssitz in Wien erhält. Ich glaube, dass das ein ganz wichtiges Ziel Österreichs ist, denn der Themenbereich Arzneimittel, Phar­mazie und so weiter ist etwas, wo wir auf europäischer Ebene großen Harmonisierungs­bedarf haben, wo wir ganz viel für die Sicherheit sowohl der Menschen als auch für die Landwirtschaft tun können und damit auch für die Sicherheit der Lebensmittel, die wir zu uns nehmen.

Insofern nehmen wir natürlich zur Kenntnis, dass auch in dieser Jahresvorschau – da­für danke, Frau Bundesministerin – die österreichische Position sehr ausführlich darge­stellt ist.

Kommen wir aber noch zu einem ganz wichtigen Thema, eigentlich sollte das ja immer an erster Stelle stehen, nämlich: Es geht ja auch um das Frauenministerium und die Fra­­gen der Gleichstellung – ein ganz, ganz wichtiges Ziel seit Viviane Reding. Ich möchte nur ein Zitat, das mir gerade blitzartig eingefallen ist, bringen. Sie hat gesagt: Ich mag keine Quoten, aber ich liebe ihre Ergebnisse. – Diese Richtung schlägt derzeit die euro­päische Politik ein. In der Erklärung über die europäische Säule sozialer Rechte und de­ren Diskussion ist bereits über eine Richtlinie über pflegende Personen, Vaterschafts­urlaub und Elternkarenz gesprochen worden.

Wir haben das gestern intensiv und mit großer Sympathie diskutiert, denn es soll ein europäisches Ziel sein, dass die Väter erkennen, dass sie eine Verpflichtung haben, an der Kindererziehung in gleicher Weise beteiligt zu sein wie die Mütter. Aber gleichzeitig öffnet das auch für die Frauen eine De-facto-Gleichstellung, eine Gleichstellung und ei­ne Lastenverteilung. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 56

Liebe Heidi Reiter, du hast das ja gestern alles im positiven Licht gesehen – auch wenn wir da noch Regulationsbedarf haben. Ich möchte noch einmal unterstreichen, dass wir hier keine Verpflichtung haben, dass wir hier in Österreich den Vaterschaftsmonat nur im Bereich des öffentlichen Dienstes haben, nicht im Privatsektor. Das heißt, es gibt wahnsinnig viel zu tun. Und das soll nicht nur für die Väter in Österreich gelten, son­dern wir sollten eine europäische Politik machen, die den Frauen diese Gleichstellung bringt.

Ich bin sehr froh, dass das weitergeht, und ich glaube, das ist auch bei Ihnen, Frau Mi­nisterin, in besten Händen. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesra­tes Stögmüller.)

11.35


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Tiefnig. – Bitte, Herr Bundesrat. (Bundesrat Schennach: Ah, jetzt kommt die Landwirt­schaft doch!)

 


11.35.13

Bundesrat Ferdinand Tiefnig (ÖVP, Oberösterreich): Geschätzte Frau Minister! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Werte Zuseher zu Hause! Ja, es ist interessant: Wenn EU-Vorhaben oder -Vorschläge im Bundesrat zur Abstim­mung vorliegen, sind die Freiheitlichen meistens dagegen.

Es sind heute wirklich sehr interessante Punkte, weil insbesondere die EU-Bio-Verord­nung nicht daran scheitert, dass sie österreichische Forderungen unterschreitet, son­dern teilweise höhere Standards als bestehende österreichische Standards fordert, und das teilweise bei Futtermitteln und bei Saatgut, wo die Toleranzgrenze bei null Prozent wäre. Wir alle haben natürlich ein Problem bei der Ausbringung von solchem Saatgut, aber auch beim Futtermitteleinsatz, denn es ist zurzeit nicht möglich, diese Standards hundertprozentig zu garantieren, denn es gibt immer wieder Verunreinigungen. Da gibt es eine gute Lösung, eine österreichische Lösung.

Ein weiterer Punkt ist das Thema der Glashäuser, wo Österreich weniger betroffen ist, dafür aber die skandinavischen Länder: Sind Produkte, die aus Glashäusern kommen, biologischer Herkunft oder nicht? An diesem Punkt hakt es, aber eine Annäherung ist in Sicht, vielleicht sogar ein Ende dieser Blockade, sodass die EU-Bio-Verordnung über die Bühne gehen kann. Bei den Futtermitteln und dementsprechend auch bei der Gen­technik war Oberösterreich unter dem damaligen Landesrat Ferdl Stockinger Vorreiter mit Rudi Anschober, denn wir haben es erreicht, dass europaweit die Gentechnikfreiheit im Saatgut und bei Futtermitteln vorangetrieben wird, es gibt entsprechende Regionen. Auch im EU-Ausschuss haben wir immer wieder diese Gentechnikfreiheit gefordert.

Ich habe heute einige Richtlinien und Stellungnahmen, auch begründete Stellungnah­men, mitgenommen. Es sind fast alle Punkte, bis zu Punkt 9 herunter, im EU-Ausschuss behandelt worden. Wir haben Stellungnahmen oder begründete Stellungnahmen nach Brüssel gesendet, weil es für uns wichtig ist, die Standards Österreichs zu erhalten und sicherzustellen.

Ein weiteres Thema ist der Arzneimitteleinsatz im Tierbereich, wo die EU weitaus ge­ringere Standards fordert, als Österreich sie hat. Bei uns ist Arzneimitteleinsatz nur im Beisein von Tierärzten möglich. Der Bauer kann nicht selbst Arzneimittel anwenden, außer er ist über den Tiergesundheitsdienst geschult. Und auch dann darf er nur über die Anweisung eines Tierarztes Arzneimittel anwenden. In anderen EU-Ländern ist das viel kritischer, dort können Arzneimittel ohne diese Maßnahmen eingesetzt werden. Ins­besondere im Geflügelbereich wird das in anderen EU-Ländern ziemlich stark betrie­ben, wo teilweise auch noch Käfighaltung herrscht, obwohl europaweit die Käfighaltung schon längst verboten ist.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 57

Auch der Internethandel von Arzneimitteln ist ein Thema, das uns alle beschäftigt, denn man kann heute schon fast alles über das Internet kaufen. Es ist wichtig, dass sich die­se Agentur auch mit dem Thema Internethandel von Arzneimitteln beschäftigt.

Zum Thema Klonen hat auch Kollege Schennach schon etwas gesagt. Das Thema Klo­nen ist bei uns ein No-Go, auch in der nächsten Generation. Das haben wir nicht nur im EU-Ausschuss besprochen, sondern das war auch bei den Handelsabkommen TTIP und CETA immer wieder ein Thema, wo wir gesagt haben: Diese Produkte dürfen auch nicht nach Europa importiert werden, auch nicht in der nächsten Generation, und das ist auch niedergeschrieben worden. Wir haben sehr viel dazu beigetragen, insbesonde­re der EU-Ausschuss des Bundesrates, dass wirklich auch die begründeten Stellung­nahmen nach Brüssel geschickt worden sind.

Zum Thema Lebensmittelkennzeichnung, Lebensmittelsicherheit gibt es seit 2009 im­mer wieder Bestrebungen zu einer klaren Kennzeichnung. 2009 habe ich mit einer Kol­legin der SPÖ im Bundesrat eine entsprechende Petition eingebracht, aber zurzeit ist das immer noch nicht umgesetzt. Und es wird auch wichtig sein, auf europäischer Ebe­ne die Lebensmittelkennzeichnung so zu etablieren, dass sie auch für die Menschen ver­ständlich ist, nicht in Zahlen und in Strichcodes. Das einzige Lebensmittel, bei dem man sich darauf verlassen kann, dass es zu 100 Prozent in Österreich gezüchtet, gefüttert und auch geschlachtet worden ist, ist das Lebensmittel, das mit dem AMA-Gütesiegel gekenn­zeichnet ist. Alles andere sind nur regionale Kennzeichnungen.

Ich komme jetzt zu einem Thema, das Kollege Schennach auch schon angeschnitten hat, es findet sich in den Punkten X. und XI. des Berichtes. Die Vereinbarung von Fa­milie und Beruf ist ein Thema, das uns alle auch im Zeitalter der Digitalisierung be­schäftigen wird. Wir müssen wissen, dass in Zukunft viel mehr Homework möglich sein wird, weshalb der Ausbau des Breitbandes genauso unter den Begriff der Vereinbarkeit fallen muss, damit Frauen auch die Arbeit von zu Hause aus verrichten können. Dies gilt auch für Männer und die Kindererziehung. Als LEADER-Obmann sehe ich das als einen wichtigen Punkt, da im LEADER 40 Prozent Frauen und 60 Prozent Männer be­schäftigt sind; es sind keine Quotenfrauen. Der Einfluss der Frauen bereichert diese LEADER-Region sehr, weil sie einfach eine andere Sichtweise haben. (Beifall der Bun­desräte Mayer und Stögmüller.)

Es ist auch wichtig, dass Frauen in Führungspositionen eingebunden sind, nämlich we­gen ihrer Sichtweise. Man muss gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen, damit auch Frauen wieder ins Berufsleben einsteigen können und Kinder nicht als eine Bestrafung, sondern als Bereicherung empfunden werden. Mit ein wenig Schulung ist es vielleicht möglich, dass sie wieder den Posten bekommen, den sie vor der Karenzzeit hatten. In diesem Punkt wird auch die Europäische Union gefordert sein.

Ein weiterer Punkt, der mir auch noch sehr am Herzen liegt, ist das Trinkwasser, bei dem wir vorsichtig sein müssen. Willi Molterer hat es auf europäischer Ebene geschafft, das Trinkwasser analog zur Atomenergie auf den Bereich der nationalen Hoheit zu he­ben. Wir dürfen die nationale Hoheit über das Trinkwasser nicht verlieren.

Wir wissen, Nestlé ist derjenige, der weltweit die Hand auf dem Trinkwasser hat. In un­serer Region, wo wir wahrscheinlich die beste Qualität von allen Regionen Österreichs haben (Heiterkeit und Zwischenrufe bei ÖVP und SPÖ), bekommen wir vielleicht in ab­sehbarer Zeit ein Natura-2000-Gebiet genau in den Gebieten des Trinkwassers. Schon jetzt ist bei uns Wasserverkauf nach Deutschland im Gange, für den Leitungen gebaut werden. Der Transport von Wasser ist beschränkt möglich, weil die Aufbereitung güns­tiger kommt, das heißt, wenn in den Nationalstaaten, ob Portugal oder Spanien, eine Wasseraufbereitungsanlage gebaut wird.

Wir müssen schauen, dass das Wasser in nationalen Händen bleibt und nicht interna­tionalen Konzernen zufließt. Die Trinkwasserrichtlinie gibt die Möglichkeiten, dass wir


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 58

uns einbringen. Der EU-Ausschuss des Bundesrates wird sicherlich genauestens da­rüber berichten und beobachten, dass hier keine Strömungen entstehen, die uns in Ös­terreich schaden könnten.

In diesem Sinne nehmen wir den Bericht zur Kenntnis und sagen danke schön, dass dieser Bericht mit wenigen Seiten so eine umfangreiche Dokumentation enthält. In die­sem Sinne ein herzliches Dankeschön, Frau Minister! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grü­nen.)

11.42


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Reiter. – Bitte, Frau Kollegin.

 


11.42.47

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Frau Präsidentin! Frau Ministe­rin! Werte Kollegen und Kolleginnen! Werte Zuseher! Es ist schon viel gesagt worden, aber noch nicht von jedem; ich werde aber viele dieser Kapitel nicht wiederholen. Es handelt sich, wie gesagt, um eine Jahresvorschau. Ich danke für den Bericht, der sehr klar ist. Wir werden ihn zur Kenntnis nehmen, auch weil sich die Positionen, die hier von österreichischer Seite vertreten werden, in weiten Bereichen mit unseren Positio­nen decken. Das heißt, ihn nicht zur Kenntnis zu nehmen würde ich nicht über mich bringen.

An den vorhergehenden Tagesordnungspunkt anschließend: Was immer wir über un­sere Regelungen denken, dass es aber keine entsprechende EU-Öko-Verordnung gibt und sie feststeckt, das halte ich für nicht günstig, weil wir erstens in den EU-Raum ver­kaufen und exportieren und zweitens aus diesem Raum importieren. Dafür sollte es ei­ne gemeinsame verlässliche und gute Grundlage geben, das halte ich für wichtig.

Für wichtig halte ich es aber auch, dass sie durchführbar ist, das heißt, dass der Nach­weis von Pestiziden, Rückständen und so weiter mit all den damit verbundenen Kosten nicht beim Produzenten hängen bleibt. Das ist für die Produzenten sicherlich sehr wich­tig. Daran muss, glaube ich, doch intensiv weitergearbeitet werden.

Ein für uns wichtiger Punkt ist die Verwendung von GVOs für Futter- und Lebensmittel. Die Gentechnikfreiheit erschöpft sich ja nicht nur im Anbau, zu dem, glaube ich, Öster­reich einen wirklich wesentlichen Beitrag in der Debatte und zur Entwicklung geleistet hat. Es hängt natürlich auch davon ab, zu wissen, wie akzeptiert GVOs sind, wie gut sie im Futter- und Lebensmittelbereich vermarktet werden können und wie sehr man sich als Land gegen eine solche Vermarktung wehren kann. – Es wird uns einfach nichts nützen, selbst nicht anzubauen oder selbst aus der Produktion auszusteigen, wenn es weiterhin in diesem großen Ausmaß von außen hereinkommt und der Druck bestehen bleibt. Das ist ebenfalls ein sehr wichtiger Bereich, wobei ich glaube, dass es auch von unserer Seite her notwendig ist, sich immer wieder entsprechend einzubringen.

Tierarzneimittel: Das ist natürlich ein ungeheuer komplexer Bereich. Da gibt es schon einiges an Kritik. Das ist zum Beispiel der Wegfall des Renewal, das heißt der Zulas­sungsverlängerung nach fünf Jahren. Der Zulassungsinhaber ist dann nicht mehr zu ei­ner entsprechenden Revision verpflichtet. Das hielten wir für negativ.

Ähnliches gilt für den Wegfall der Sunset-Klausel, der Verfallsklausel. Damit bleiben Zu­lassungen auch ohne Inverkehrbringen des Arzneimittels über längere Zeit bestehen, das heißt, sie bleiben ungeprüft aufrecht. Auch Generika sind nicht ausreichend gere­gelt.

Es ist so, dass die zentralisierten Verfahren immer weiter ausgeweitet werden. Die Ar­beitslast bekommen die EMA, die Europäische Arzneimittel-Agentur, und die Agentu­ren der Mitgliedstaaten. Das bedeutet, dass sich diese Aufgaben von den Herstellern


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 59

zu den Behörden hin verschieben werden, was ich eigentlich kritisch sehe, weil das mit sehr viel Geld und Aufwand von Behördenseite verbunden ist.

Die Drittlandimporte sind zu lasch geregelt. Es soll der Importeur die Beweislast haben und nicht die Behörden. Auch beim Zulassungsverfahren besteht vielfach diese Be­weislastumkehr, die Beweislast liegt bei den Behörden und nicht beim Antragsteller. Das sehen wir problematisch, weil es von den Produzenten die Last des Nachweises in vielen Fällen wegnimmt und sie den Empfängern aufbürdet. Da kommen wir teilweise in amerikanische Verhältnisse, wo erst der Schaden nachgewiesen werden muss, um gegen ein Produkt einzuschreiten und dies nicht im Vorfeld geregelt werden kann. Das halten wir für eine gefährliche Entwicklung für den ganzen Bereich.

Der Bereich Fütterungsarzneimittel ist ebenfalls kritisch zu sehen, da Dinge, die derzeit als Arzneimittel gelten, in den Bereich Futtermittel verschoben werden, wodurch die strengeren Regelungen des Arzneimittelrechtes in vielen Fällen nicht mehr gelten, ins­besondere wenn es um die Einfuhr von Fütterungsarzneimitteln geht. Das ist ein sen­sibler Bereich, gerade was Antibiotika und so weiter betrifft. Es braucht da, glaube ich, strengere Regelungen und nicht ein Aufschnüren dieser Regelungen.

Es gibt in diesem Zusammenhang schon sehr viele Punkte, bei welchen es, glaube ich, nach wie vor notwendig ist, sehr kritisch hinzusehen und sich auch entsprechend ein­zubringen.

Einen weiteren Bereich möchte ich noch kurz anschneiden: die Richtlinien über das Klonen von Tieren. Ich glaube, es als großen Erfolg bewerten zu können, dass es die­ses Moratorium im landwirtschaftlichen Bereich gibt – also nicht in der Forschung, aber im landwirtschaftlichen Bereich. Warum? – Weil wir einfach entsprechendes Tierleid ver­hindern wollen. Es ist nach wie vor so, dass es zu vielen Ausfällen und Ähnlichem kommt. Dieses Tierleid gilt es zu verhindern, denn gerade im landwirtschaftlichen Bereich be­steht die Gefahr, dass das doch in größerem Ausmaß geschieht. Das ist unsere Kritik an dieser Erzeugungstechnik, und das hat sich bis jetzt auch durchgesetzt.

Die Richtlinie über das Inverkehrbringen von Klontieren sieht ein Verbot vor. Da geht es noch um die Ausdehnung des Einfuhrverbots und Kennzeichnungs- und Rückver­folgbarkeitsregelungen. Es muss ja auch machbar sein, aber man darf und sollte sich nicht dahinter verstecken. Ich glaube, es ist gut, wenn wir uns mit dieser sehr kritischen Haltung gegenüber dieser Technik und ihrem Einsatz in der Lebensmittelproduktion und in der Landwirtschaft wehren.

Zum Trinkwasser: Über die Qualität des Wassers, die wir haben, können wir uns in ganz Österreich und nicht nur in Leoben und in Regionen Oberösterreichs glücklich schät­zen. Das betrifft, Gott sei Dank, weite Gebiete. Wir haben auch Problemgebiete, auch das soll nicht verschwiegen werden. Es gibt schon Gebiete, in denen wir mit den Grenz­werten Probleme haben, im Marchfeld und so weiter, solche Gebiete gibt es.

Das Wasser verlässt aber Österreich zu 98 Prozent wieder so, wie es gekommen ist. Wie gering die Verwertung unseres Wassers oder die Nutzung unseres Wassers ist, muss man sich, glaube ich, auch vor Augen halten. Keiner hat etwas dagegen, wenn es in Fla­schen abgefüllt von A nach B gefahren wird und wieder zurück. (Allgemeine Heiterkeit.) Diese Trinkwasserexporte, die quer durch Europa gehen, sind ja teilweise wirklich ab­surd, auch ökologisch absurd, etwa Wasser von Frankreich hierher zu importieren und dann welches von uns dorthin zu exportieren.

Ich glaube, was die Vermarktung von Trinkwasser betrifft, können wir die Kirche im Dorf lassen. Ich halte es für gut und richtig, dass es innerhalb der EU gemeinsame Vor­schriften über Mindeststandards gibt, was das Trinkwasser betrifft.

Wir stimmen dem Bericht gerne zu. – Danke schön. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

11.51



BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 60

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesminister Dr. Rendi-Wagner. – Bitte.

 


11.51.31

Bundesministerin für Gesundheit und Frauen Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank zunächst für die wirklich sehr konstruktiven, inhaltlichen Stellungnahmen und die zum größten Teil sehr konstruktiv ver­laufende Debatte.

Wie kommt es zu dieser Vorschau? – Sie basiert auf dem Arbeits- und Legislativpro­gramm der Europäischen Kommission und des Rates, das alle 18 Monate den euro­päischen Mitgliedstaaten vorgelegt wird. Derzeit ist der Rat unter maltesischem Vorsitz, das heißt, das, was wir hier als Vorschau präsentieren, basiert auch auf der Grundlage des derzeit unter maltesischem Vorsitz stehenden Rates.

Es freut mich, dass wir hier wie jedes Jahr diese Vorschau – Sie wissen das, und es war auch aus der Diskussion schon ablesbar – in einem sehr breiten inhaltlichen Spek­trum vorlegen können. Es sind jene Punkte des Legislativprogramms, die mein Ressort betreffen, dessen Palette, wie Sie sehen, sehr breit ist.

Der Fokus oder die meisten Themen, die angesprochen sind, fallen in das Veterinär- und Lebensmittelrecht, aus dem einfachen Grund, weil das Veterinär- und Lebensmit­telrecht voll harmonisiertes Recht ist, das heißt, es wird auf EU-Ebene rechtlich geklärt. Daher haben wir die Durchführung inne und legen dazu natürlich entsprechende Be­richte vor.

Die Palette der Inhalte reicht – ich werde nun auf keine inhaltlichen Details eingehen – von der Trinkwasserrichtlinie über Gentechnik und Tierarzneimittel bis hin zum Bereich der Frauengleichstellung.

Ich möchte zum Abschluss nur auf ein Thema hinweisen, das auch zum Tagesord­nungspunkt 1 passt, weil es für uns sehr wichtig ist: nämlich auf die bereits angespro­chene EU-Bio-Verordnung und die Diskussion zur Novellierung der alten, die aus dem Jahr 2009 stammt. Als Mitgliedstaat setzen wir uns auf der europäischen Ebene für die höchsten Qualitätsstandards ein und sind hier in voller Linie mit BIO AUSTRIA. Es ist daher sehr wichtig, die Diskussionen darüber, wo sie auf EU-Ebene gerade stehen, zu erwähnen. Es gibt leider viele offene Knackpunkte, und Sie haben es in Ihrer ersten Stellungnahme erwähnt, dass Sie sich wünschen, dass hier sehr schnell eine klare No­vellierung auf dem Tisch liegt.

Wir wünschen es uns auch, aber ich glaube, man muss dabei auf die qualitativ wich­tigen Punkte bestehen, bevor man einem Schnellschuss bezüglich der Neufassung die­ser EU-Bio-Verordnung zustimmt.

In diesem Sinne vielen Dank für Ihre Beiträge! – Ich danke für Ihre Kenntnisnahme. (Bei­fall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

11.54

11.54.33

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist ge­schlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 61

11.54.473. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 7. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Studienförderungsgesetz 1992 geändert wird (2171/A und 1655 d.B. so­wie 9814/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nunmehr zum 3. Punkt der Tagesord­nung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Ing. Pum. Ich bitte um den Bericht.

 


11.55.25

Berichterstatter Ing. Andreas Pum: Geschätzte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung über den Beschluss des Nationalrates vom 7. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Studienförderungsge­setz 1992 geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor. Ich komme daher zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Wissenschaft und Forschung stellt nach Beratung der Vorlage am 20. Juni 2017 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Danke für den Bericht.

Bevor wir in die Debatte eingehen, dürfen wir in unserer Mitte recht herzlich unseren Herrn Bundesminister Dr. Mahrer begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Saller. – Bitte, Herr Kollege.

 


11.56.32

Bundesrat Josef Saller (ÖVP, Salzburg): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bun­desminister! Sehr geehrte Bundesrätinnen und Bundesräte! Meine Damen und Herren! Es ist bereits vor Jahren unter Minister Töchterle eine Arbeitsgruppe zur Verbesserung der Studienförderung eingesetzt worden. – Gut Ding braucht Weile! Unter Einbindung auch der Österreichischen Hochschülerschaft wurden Empfehlungen für eine Weiterent­wicklung ausgearbeitet.

Beim vorliegenden Gesetz geht es um eine deutliche Verbesserung der sozialen Situa­tion für Studierende. Die Eckpunkte sind bekannt: Es geht um die Anhebung der Sätze um insgesamt 60 Millionen €. Das mag vielleicht momentan viel erscheinen, ich darf aber doch darauf hinweisen, dass es schon lange keine Valorisierung mehr gegeben hat. Weiters trifft das einen erweiterten, größeren Bezieherkreis, ebenso ist eine höhe­re Dotation für ältere Studierende und allgemein ein Ansteigen der gesamten Geldmit­tel vorgesehen. Die Lebenssituation für circa 50 000 Studierende wird damit wesentlich erleichtert. Das mag vielleicht da oder dort Motivation für ein schnelleres Weiterkom­men beim Studium sein oder helfen, die Abhängigkeit von den Eltern, von den Geldmit­teln der Eltern, zu verringern.

Universitäten stehen ständig vor großen Herausforderungen. Das geht nicht zu Ende, es geht ja schließlich auch um die internationalen Standards und den Stellenwert. Die Hochschule muss nachhaltig auf sicheren Beinen stehen. Planbarkeit für Infrastruktur sowie die Chancengleichheit für alle Studierenden müssen sichergestellt werden. Es geht um mehr Qualität und um mehr Transparenz. Das bisher Erreichte ist weiter aus­zubauen und Rahmenbedingungen sind kontinuierlich zu verbessern. Der nächste Schritt muss die Universitätsförderung Neu sein, die auch zu wesentlich besserer Planbarkeit führt. Wichtig ist, sich mit der Studienplatzfinanzierung zu befassen, die Sache drin­gend anzugehen, um für die nächste Leistungsvereinbarungsperiode gerüstet zu sein.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 62

Alles in allem ist es ein gutes Gesetz. Ich danke allen, die da mitgeholfen haben. – Dan­ke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

11.59


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Gruber-Pruner. – Bitte, Frau Kollegin.

 


11.59.48

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrter Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste im hei­ßen Österreich, wie man heute sagen kann, denn es hat draußen hohe Temperaturen! Wir beschließen heute hoffentlich das Studienförderungsgesetz, und ich möchte kurz auf die Ausgangslage eingehen, darauf, warum es notwendig war, diese Förderung der Studierenden neu zu regeln.

Die letzten Erhebungen haben ergeben, dass in Österreich etwa 300 000 ordentlich Stu­dierende an österreichischen Hochschulen inskribiert sind. Davon sind 78 Prozent an öf­fentlichen Hochschulen und Universitäten, 14 Prozent an Fachhochschulen, etwa 5 Pro­zent an Pädagogischen Hochschulen und etwa 2 Prozent an Privatuniversitäten inskri­biert. Seit ungefähr 2009/2010 beginnen pro Studienjahr etwas mehr als 50 000 Perso­nen ein Bachelor- oder Diplomstudium in Österreich. Die Tendenz ist seither etwa gleich­bleibend beziehungsweise sogar steigend.

Ein Blick auf die Altersstruktur unserer Studierenden: Im Studienjahr 2014/2015 sind die StudienanfängerInnen an österreichischen Hochschulen bei Studienbeginn etwa 22 Jah­re alt. Mehr als die Hälfte beginnt ihr Studium vor dem 21. Geburtstag, aber es gibt auch sogenannte Spätberufene. Es sind ungefähr 13 Prozent, die ihr Studium mit dem 26. Le­bensjahr oder älter beginnen, 6 Prozent sogar nach dem 30. Lebensjahr.

Nun noch ein Blick auf die soziale Herkunft unserer Studierenden: Von den Studienan­fängerInnen haben etwa 28 Prozent, also ungefähr ein Drittel, zumindest einen Eltern­teil, der eine Hochschule abgeschlossen hat. Ungefähr ein weiteres Drittel hat Eltern, deren höchste Schulausbildung eine Matura ist, und bei 39 Prozent liegt die höchste Schulbildung der Eltern unter dem Maturaniveau.

Kinder von AkademikerInnen sind also die kleinste Gruppe unter den Studienanfänge­rInnen, im Vergleich zur Bevölkerung sind sie jedoch überrepräsentiert. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, ein Universitäts- oder Fachhochschulstudium aufzunehmen, ist für Personen aus bildungsnahen Schichten etwa 2,6-mal so hoch wie für jene, die bildungs­fernen Schichten entstammen. Das ist schon bedeutsam.

Was man aber kaum glauben würde: Armut ist unter den Studierenden weit verbreitet. Die sogenannte soziale Deprivation betrifft rund ein Viertel aller Studierenden. Wahr­scheinlich sind deshalb ungefähr 61 Prozent unserer Studierenden nebenbei auch er­werbstätig, wobei 54 Prozent, also die Hälfte von ihnen, angeben, dass das Probleme mit der Vereinbarkeit von Studium und Beruf macht, was sich wiederum auf die Stu­diendauer auswirkt.

Alle diese Zahlen, Daten und Fakten habe ich übrigens aus einem sehr interessanten und empfehlenswerten Bericht, dem Bericht: Materialien zur sozialen Lage der Studie­renden 2016. Er ist tatsächlich sehr aufschlussreich. Der Dank für diesen Bericht gilt dem Wissenschaftsministerium.

Das heißt, das, was wir hier beschließen, ist ehrlicherweise schon längst überfällig. Diese Maßnahmen sind dringend notwendig, wie mein Kollege Saller bereits ausge­führt hat, insbesondere die Valorisierung der Studienbeihilfe, also ihre Anpassung an die Inflation der letzten Jahre. Seit 2008 macht das immerhin 18 Prozent aus, und da­von sind aktuell 40 000 Studierende in Österreich betroffen. Diese Nicht-Valorisierung


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 63

war nachvollziehbarerweise mit ein Grund dafür, dass die schleichende Entwicklung ei­ner sozialen Zugangsbarriere zu den Hochschulen möglich war.

Wie gesagt, auch der Kreis der BezieherInnen wird jetzt ausgeweitet. Das bedeutet, dass weitere 10 000 Studierende unter die neuen Förderkriterien fallen, speziell auch ältere Studierende. Man geht also davon aus, dass insgesamt 50 000 Studierende von diesen Maßnahmen profitieren. Mein Kollege hat es erwähnt: Mindestens 60 Millionen € werden dafür in die Hand genommen. Dieses Fördersystem gilt ab dem kommenden Win­tersemester 2017/2018. (Vizepräsident Gödl übernimmt den Vorsitz.)

Mit diesem Initiativantrag verfolgen wir das Ziel, die Beihilfenhöhe und die Zahl der Be­zieherinnen und Bezieher der Studienbeihilfe zu erhöhen. Damit gelingt uns bestimmt ein wichtiger Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit und gegen die Armutsgefährdung der Studierenden. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

12.05


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Raml. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


12.05.06

Bundesrat Mag. Michael Raml (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzter Herr Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren hier im Saal und auch zu Hause an den Fernsehbildschirmen! Die Freiheitliche Partei unterstützt selbst­verständlich sehr gerne fleißige – und ich betone: fleißige – Studierende. (Bundesrat Schennach: Ja, die Fleißigen und Tüchtigen!) Natürlich unterstützen wir daher auch den vorliegenden Gesetzesantrag, wie er dem Bundesrat übermittelt worden ist. (Rufe und Ge­genrufe zwischen Bundesräten von SPÖ und FPÖ.) – Ich weiß nicht, was da so ein Ge­schrei hervorruft, wenn man Geld, das von Steuerzahlern kommt, auf fleißige Studieren­de beschränkt. Ich orte dieses Gemurre – dies für das Protokoll – vor allem bei der SPÖ drüben. Möglicherweise liegt das auch an euren Studierendenvertretern, auf die ich noch zu sprechen komme, denn da liegt ja manches im Argen.

Ich kann das kurz halten: Wir unterstützen gerne den vorliegenden Gesetzesvorschlag.

Herr Minister, ich hätte aber noch einen Vorschlag, wie man den Studierenden beim Spa­ren helfen könnte. Wir hatten vor einem Monat die ÖH-Wahl, die Wahl der österreichi­schen Studierendenvertreter. Wissen Sie, wie hoch die Wahlbeteiligung war? – 25 Pro­zent. 25 Prozent der Studierenden haben an insgesamt drei ganzen Wahltagen ihr In­teresse an der Österreichischen Hochschülerschaft bekundet, aber 100 Prozent der Stu­dierenden müssen jedes Semester rund 20 € ÖH-Beitrag, ÖH-Zwangsbeitrag bezahlen.

Sehr geehrter Herr Minister, sollten Sie in der nächsten Regierung noch einmal vertre­ten sein, dann hätten Sie wirklich die Gelegenheit, auch den Studenten sparen zu hel­fen, daher: Schaffen Sie, bitte, diese unselige ÖH-Zwangsmitgliedschaft ab! Die ÖH ist grundsätzlich eine sinnvolle Einrichtung, nur wird sie sehr oft für falsche Zwecke miss­braucht. – Das sage ich wieder in Richtung der SPÖ und auch der Grünen. (Beifall bei der FPÖ.)

Die ÖH betreibt sehr oft eine Politik, die nicht im Interesse der Studierenden liegt. Die ÖH finanziert aus Mitgliedsbeiträgen der Studierenden Demonstrationsfahrten, bei de­nen gewalttätige Umtriebe gegen einen Wiener Akademikerball stattfinden. Das ist nicht im Interesse der Studierenden (Zwischenruf der Bundesrätin Grimling), und dafür sind auch 20 € pro Semester 20 € zu viel. So etwas brauchen wir nicht! (Beifall bei der FPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren von SPÖ und ÖVP, es ist mir heute schon mehrfach auf der Zunge gelegen, und wenn ich schon hier am Rednerpult stehe, kann ich es gleich äußern. Es ist ja immer spannend, wenn man vonseiten der Regierungs­parteien hört, wie dringend eine Gesetzesänderung oder eine Indexanpassung not-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 64

wendig ist. Es ist interessant, wenn man jetzt nach jahrzehntelanger fast durchgehen­der schwarz-roter oder rot-schwarzer Regierung draufkommt, dass jetzt alles so wichtig ist. Jetzt, im letzten Moment! (Bundesrat Schennach: Jahrzehntelanger! – Anhaltende Zwischenrufe und Heiterkeit bei der SPÖ.) Man sagt auch, am Abend wird der Faule fleißig. (Rufe bei der SPÖ: Wart ihr da nicht dabei? Ihr wart doch dabei!) – Ich habe ge­sagt: fast durchgehend. Ihr müsst mir ein wenig zuhören und euch nicht so viel aufre­gen, besser zuhören, wie auf der Universität! Damit sind wir wieder beim Thema.

Meine sehr geehrten Damen und Herren an den Bildschirmen, lassen Sie sich nicht täu­schen! Am Abend wird der Faule fleißig. Rot und Schwarz hätten in sehr vielen Berei­chen jahrzehntelang Zeit gehabt zu handeln. Damit soll jetzt Schluss sein. Am 15. Ok­tober gibt es die Gelegenheit, dass wir die Weichen neu stellen. (Ah-Rufe bei ÖVP und SPÖ.) Dafür wünschen wir uns alles Gute und vor allem Ihr Vertrauen.

Wir stimmen – um es noch einmal zu sagen – dem vorliegenden Gesetzesbeschluss zu. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

12.08


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Reiter. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


12.09.05

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Herr Präsident! Herr Minister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Es geht um die Änderung des Studienförderungsge­setzes, der wir gerne zustimmen, aber – natürlich kommt auch ein Aber – wenn man be­denkt, dass die Studienbeihilfe 2008 das letzte Mal valorisiert wurde, dass die Berech­nungsgrenzen für den Anspruch, also die Elterneinnahmen, 1999 – das war vor 18 Jah­ren – das letzte Mal angepasst wurden, ist klar, dass die vorliegende Regelung wirklich überfällig ist. Leider bleibt es aber so, wie es bereits erwähnt wurde, dass Stipendien bei uns nach wie vor zum Sterben zu viel und zum Leben eigentlich zu wenig sind – mit all den damit verbundenen Problemen für ein konzentriertes und effektives Studium.

Eine Systemänderung war ursprünglich angedacht. Daraus ist aber leider nichts ge­worden, und daher ist das Ganze im Wesentlichen leider auch mit dem Faktum fortge­schrieben worden, dass es wieder keine Valorisierung gibt und das vielleicht jetzt wie­der auf weitere 18 Jahre oder mehr eingefroren wird.

Fortgeschrieben wird auch die Tatsache, dass Studierende gegen einen Unterhaltsver­pflichteten, der nicht zahlungswillig ist – meist sind es Väter –, zu Gericht ziehen müs­sen, um einen Anspruch geltend zu machen, was natürlich in vielen Fällen auch sehr schwierig ist. Wenn es in solchen Fällen zu einer Art Vorleistung zumindest in Form ei­nes Stipendiums käme, wobei sich das der Staat dann eventuell beim Unterhaltspflich­tigen holt, wäre das sicherlich eine große Erleichterung!

Es ist ja noch nicht abzuschätzen, um wie viel mehr Anträge und Berechtigte es geben wird. Aber es ist klar, dass es für einen entsprechenden Vollzug, nämlich ohne unzu­mutbare Wartezeiten, zu Personalaufstockungen, Umstrukturierungen und so weiter bei den Beihilfestellen kommen muss, dass es also auch dafür Geld braucht. Ich hoffe, dass das auch tatsächlich geschehen wird.

Noch viel wichtiger ist aber: Es braucht insgesamt mehr Geld für die Universitäten, da­mit die Studierenden letztlich tatsächlich Bedingungen vorfinden, durch welche das für Stipendienbezieher noch immer entbehrungsreiche Leben lohnenswert gemacht wird, damit deren Anstrengungen nicht in überfüllten Hörsälen mit mangelnder Betreuung et cetera sozusagen zerschellen und aufgerieben werden.

Noch kurz zur FPÖ und den ÖH-Wahlen: Ich glaube, da hängen die sauren Trauben et­was zu hoch! (Zwischenruf des Bundesrates Jenewein.) Es gibt eigentlich kein Hinder-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 65

nis, dass auch Studenten mit anderen Vorstellungen hineingewählt werden, wenn halt mehr zur Wahl gehen würden! Wie gesagt: Ich sehe da schon einige saure Trauben hängen, die nicht erreichbar sind!

Die Wahlbeteiligung selbst ist, wie ich meine, generell eine demokratische Entwicklung, vor der wir stehen. Wenn man sich anschaut, mit welchen Beteiligungen jetzt in Frank­reich gewählt wurde, dann muss man feststellen, dass das eine kritische Entwicklung für das demokratische System auf den verschiedenen Ebenen ist, und das betrifft auch die ÖH.

Wie gesagt: Wir stimmen gerne zu. Eine Systemänderung wäre uns lieber gewesen, aber es ist dies ein notwendiger und längst überfälliger Schritt. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

12.12


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesmi­nister Dr. Mahrer. – Bitte, Herr Minister.

 


12.13.05

Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft Mag. Dr. Harald Mahrer: Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Die „Nationale Strategie zur sozialen Dimension in der Hochschulbildung“ wurde ja bereits angesprochen. Es han­delt sich dabei um eine sehr umfangreiche, mit der gesamten Hochschulkonferenz er­arbeitete Strategie unseres Hauses, und das bedeutet, dass sich alle betroffenen Stake­holder-Gruppen, also Vertreterinnen und Vertreter der Universitäten, der Hochschüler­schaft und Expertinnen und Experten, hier eingebracht haben, um mehr Durchlässig­keit und mehr – wenn Sie es so bezeichnen wollen – soziale Integration im gesamten Hochschulbereich zu schaffen, und zwar vor dem strategischen Hintergrund, dass wir immer sagen: Die, die können, und die, die wollen, sollen auch die Möglichkeit haben, eine Hochschulbildung absolvieren zu können.

Wir haben aufgrund der Situation, dass wir einen relativ freien Hochschulzugang ha­ben, eine durchaus spezielle Belastungssituation an den Universitäten, und wir werden in den internationalen Rankings zum Teil auch deswegen schlecht gerankt, weil unser System nicht eins zu eins mit anderen Systemen, die eine andere Zugangssystematik oder Finanzierungssystematik haben, verglichen werden kann.

Österreich zählt zu den Ländern mit einem erstaunlich hohen öffentlichen Finanzie­rungsanteil. Historisch betrachtet ist das halt so. In Österreich hat sich die öffentliche Hand immer dazu bekannt, den Hochschulbereich massiv zu finanzieren, während sich das, historisch betrachtet, in anderen Ländern anders entwickelt hat. Dort gibt es zum Teil Studiengebühren, oder es gibt viel mehr private Zuwendungen aus der Industrie. Ge­rade im angloamerikanischen Bereich haben sich die berühmten großen gemeinnützi­gen Stiftungen an den Universitäten selber entwickelt, und diese haben über Jahrzehn­te hinweg einen Kapitalstock aufgebaut, und man hat aus den Zinserträgen heraus Zu­satzfinanzierungen.

Man muss also immer berücksichtigen: Man kann die Systeme nicht eins zu eins mit­einander vergleichen. Was man aber vergleichen kann, ist, wie sich die soziale Lage und die Qualifizierungssituation im Bereich des Bildungswesens bis zu den Universitäten hin entwickelt und was das dann beim Eintritt ins Hochschulsystem bedeutet.

Vor diesem Hintergrund haben wir uns zwei Dinge vorgenommen: Wir würden gerne die Finanzierungssystematik der Hochschulen auf einen anderen, soliden Grund stel­len, Stichwort Studienplatzfinanzierung neu. Gleichzeitig wissen wir, dass wir trotz ei­ner deutlichen Verbesserung der Betreuungssituation – die Frau Bundesrätin hat es ge­rade angesprochen – in manchen Massenfächern nach wie vor eine durchaus schlech­te Betreuungssituation haben. Es müsste viel kleinere Gruppen und viel bessere Be-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 66

treuungsverhältnisse zwischen Professorinnen und Professoren und den jeweiligen Stu­dierenden geben. Zum Teil gibt es Fächer, in denen das Betreuungsverhältnis 1 zu 100 beträgt. Es kann sich wohl kaum jemand vorstellen, dass es in einer gemeinsamen Übung mit einem Professor oder einer Professorin und 100 Studierenden in eineinhalb Stunden noch zu einer vernünftigen Interaktion kommen kann! Daher müssten wir auf ein international übliches Durchschnittsniveau von wenigstens 1 zu 40 kommen.

Zur Erzielung einer strategisch begleitenden Verbesserung im Bereich der sozialen Si­tuation dient die jetzige Maßnahme, die Ihnen in Form dieser Gesetzesvorlage nun zum Beschluss vorliegt. Es geht dabei um die Idee, für all diejenigen, die eine bessere fi­nanzielle Unterstützung brauchen, begleitend einiges zu tun. Das betrifft einerseits die Ausweitung des Bezieherkreises an sich und in einer zweiten Komponente natürlich auch die Anhebung der Beiträge.

Trotzdem sollte man sich vor Augen halten, dass Studieren nach wie vor bedeutet, dass man eben im Bildungssystem steht. Wenn immer wieder der Wunsch geäußert wird, dass wir dort eine Situation schaffen mögen, in der für die Studierenden sozusagen Milch und Honig fließen, dann sage ich: Das ist natürlich nicht möglich! Vielmehr haben wir im Bereich der öffentlichen Hand die Aufgabe, die Rahmenbedingungen derart zu ge­stalten, dass die Personen in diesem Bereich ihrer Tätigkeit idealtypisch nachkommen können.

Es kann, glaube ich, nicht Aufgabe der öffentlichen Hand sein, im Vergleich mit den Ar­beitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die sich hart dafür anstrengen müssen, dass sie am Monatsende ihre Euros nach Hause tragen können, was detto für die Unternehme­rinnen und Unternehmer im Bereich der Klein‑ und Mittelbetriebe gilt, im Hochschulbe­reich irgendwelche besonderen, unverhältnismäßigen Situationen zu schaffen. – Ich glau­be, man muss da immer die Kirche im Dorf lassen und sagen: Es geht um eine Opti­mierung der sozialen Rahmenbedingungen, damit die, die qualifiziert sind und wollen, auch studieren können, man darf aber nicht sozusagen irgendwelche überbordenden Si­tuationen entstehen lassen, in denen man sich zurücklehnen kann. Das ist nicht Sinn und Zweck der Übung in unserem Ausbildungssystem.

Noch ein zusätzlicher Gedanke zur Frage der gesetzlichen Interessenvertretung der Stu­dierenden: Es steht natürlich in einer Demokratie jedem das Recht zu, zu verschiede­nen Themen unterschiedlicher Meinung zu sein. Sie wissen, dass ich in diesem Haus und auch hier im Bundesrat schon einmal aus meiner Meinung keinen Hehl gemacht habe. Ich war selber sozusagen in der gesetzlichen Interessenvertretung aktiv. Es hängt immer von den Personen ab, was die dort jeweils tun, gar keine Frage. Sie haben das angesprochen, und ich sage: Es ist immer eine hochnotpersönliche Frage, wie man das auslegt, was man im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten tun kann.

Die große Mehrheit in Österreich – das kann ich auch als zuständiger Ressortminister sagen – betreibt ein ausgezeichnetes Serviceangebot und kümmert sich wirklich gut und vernünftig um die Interessen der Studierenden, egal ob auf Studienrichtungsver­tretungsebene, auf universitärer Ebene oder österreichweit. Das ist auch die Aufgabe, und ich glaube, das geht auch über alle Fraktionsgrenzen hinweg. Dass es stets einige AktivistInnen gibt, die dann etwas anderes machen, das kennen wir auch sonst aus je­dem Bereich der Zivilgesellschaft. So ist das eben in einer Demokratie. Es muss einem nicht alles gefallen, es kann jeder dazu seine persönliche Meinung haben, aber auch die­se Buntheit gehört zum Wesen der Demokratie.

Deswegen darf man die dortige Interessenvertretung an sich nicht infrage stellen, und ich glaube, es ist gut, dass diese gesetzlich legitimiert ist, weil sie so eine andere Le­gitimation und ein anderes Mitspracherecht hat. Sie ist auch im Gremium Hochschulkon­ferenz vertreten. Wir hatten gestern eine Tagung mit der Hochschulkonferenz, in der über zentrale Fragen gemeinschaftlich gesprochen wurde. Dieses Ihnen nun vorliegende Kon-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 67

zept wurde gemeinschaftlich mit den Studierenden entwickelt, und im Übrigen hat die Hochschulkonferenz auch gemeinsam mit der ÖH vorgeschlagen, eine 25-Millionen-€-Erhöhung vorzunehmen. Mit diesem Beschluss wird weit darüber hinausgegangen, und daher finde ich, dass das eine gute Geschichte ist.

Ja, es muss einem nicht alles gefallen, was die dort tun, aber ich halte die Grundinsti­tution, wie sie vorhanden ist, für sehr wichtig und für gut konstruiert. Man muss beden­ken, wie das entstanden ist: Aus einer in der Zeit der Spätsechziger sehr professoral dominierten, nicht durch demokratiepolitische Mitsprache gekennzeichneten Universität ist eine weitgehend selbstverwaltete und jetzt nach dem Universitätsgesetz 2002 sehr autonom agierende Universität entstanden, in der es trotzdem die Repräsentativität der unterschiedlichen Gruppen gibt. – Das ist für eine Demokratie wirklich etwas Feines!

Es sei allen Fraktionen gestattet, dort im Wettbewerb der besten Ideen anzutreten, wie es eben in einer Demokratie der Fall ist, und das demokratiepolitische Ergebnis ist dann zu respektieren und zu akzeptieren. Es könnte auch einmal anders sein. Aber wir wol­len ja den Wettbewerb der besten Ideen und besten Konzepte. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

12.19


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Dem ist nicht so. Die Debatte ist geschlossen.

12.19.44

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

12.20.024. Punkt

Mittelstandsbericht 2016 (III-601-BR/2016 d.B. sowie 9815/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen nun zu Punkt 4 der Tagesordnung.

Berichterstatterin zu diesem Punkt ist Frau Bundesrätin Marianne Hackl. – Ich bitte um den Bericht.

 


12.20.17

Berichterstatterin Marianne Hackl: Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzter Minis­ter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Wirtschaftsausschus­ses über den Mittelstandsbericht 2016. Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor. Ich komme daher gleich zur Antragstellung.

Der Wirtschaftsausschuss hat mit Stimmenmehrheit am 20. Juni 2017 den Antrag ge­stellt, den vorliegenden Bericht des Nationalrates zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Pisec. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


12.21.03

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Geschätztes Fernsehpublikum! Die Tatsache, dass der Bericht ein halbes Jahr nach Fertigstellung in den Bundesrat kommt, ist sicherlich verbesserungswürdig – um es einmal positiv, optimistisch zu for­mulieren – und zeugt nicht gerade von der Wertschätzung der österreichischen Wirt­schaft.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 68

Der Bericht bezieht sich auf die marktorientierte Wirtschaft und ist deswegen auch von Interesse. Er ist besser als die vorangegangenen, weil er kürzer und kompakter gehal­ten ist. – Herr Minister, ein Kompliment an dein Ministerium. Es gibt noch immer Re­dundanzen, also Wiederholungen, das kann man noch verbessern. Ein essenzieller Wi­derspruch ist mir aber aufgefallen, und zwar bei der Begriffsdefinition eines EPUs, ei­nes Ein-Personen-Unternehmens: Ein Drittel aller 330 000 österreichischen KMU-Be­triebe, also mehr als 100 000 Betriebe, sind Ein-Personen-Unternehmen. Auf der einen Seite wird im Bericht ein EPU mit über 10 000 € Umsatz definiert, im Text wird diese Um­satzschwelle dann aber überhaupt negiert. Es stellt sich also die Frage: Was ist nach dieser Begrifflichkeit tatsächlich ein EPU?

Das sind aber nur Randerscheinungen, nun jedoch zum Essenziellen: Ein Ein-Perso­nen-Unternehmen lebt – das richte ich jetzt sehr wohl an die SPÖ – von seiner eigenen Leistung und seinem eigenen Fleiß. Ja, das wollen wir von der FPÖ; die Fleißigen und Tüchtigen sind unsere Klienten, das ist unser Interesse, und in diesem Sinne fordern wir auch, dass die Steuern in diesem Zusammenhang endlich gesenkt werden! Die ÖVP hat einen neuen Bundesparteiobmann bekommen, der großartig Steuersenkungen verspro­chen hat. Wir kennen diese Versprechungen. Wir wollen aber, dass diese auch endlich umgesetzt werden. Was hindert euch daran, dies zu tun?

In diesem Sinne möchte ich gleich zu Beginn einen Entschließungsantrag einbringen, der sich klar mit der kalten Progression beschäftigt, denn die kalte Progression ist jene preisgetriebene Nichtanpassung, die jedem Betreiber eines EPU, der in die Einkommen­steuerpflicht genommen wird, den Nettolohn reduziert. Die kalte Progression, also die Nichtanpassung der Bemessungsgrundlage für die Lohn- und Einkommensteuer, bringt dem Finanzministerium jährlich, und das wohlgemerkt ohne Parlamentsbeschluss, über 500 Millionen €.

Wenn man sich damit beschäftigt, dann kann man feststellen, dass es in der Schweiz eine rein freiheitliche Wirtschaft gibt. Das wird auch als „freiheitliche Struktur“ bezeich­net, das muss man sich einmal im Mund zergehen lassen. Die Gesetze sind prägnan­ter, kürzer und auf den Punkt gebracht. In der Schweiz wurde die kalte Progression im Art. 128 Abs. 3 BV abgeschafft. – Ich zitiere: „Bei der Steuer auf dem Einkommen der natürlichen Personen werden die Folgen der kalten Progression periodisch ausgeglichen.“

Wir wollen diesen Satz auch in Österreich fest verankert haben. Daher bringen wir fol­genden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

des Bundesrates Mag. Reinhard Pisec, BA, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ab­schaffung der kalten Progression zur Stärkung des Mittelstandes

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, wird aufgefordert dem Nationalrat zur Abschaffung der kalten Pro­gression eine Regierungsvorlage, analog der Schweizer Bundesverfassung, ehestmög­lich vorzulegen.“

*****

Ich ersuche um Zustimmung. Da wird sich zeigen, wer jetzt wirklich die Steuersenkungs­partei ist, die ÖVP, die SPÖ oder vielleicht doch, sehr geehrte Zuschauer, die FPÖ! (Bei­fall bei der FPÖ.)

Im Bericht selbst steht, wie gesagt, Essenzielles und auch Interessantes, das möchte ich auch unterstreichen. 97,7 Prozent aller österreichischen Betriebe sind KMU-Unter-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 69

nehmen, und 0,3 Prozent sind sogenannte Großbetriebe, die Leistungsbetriebe, wobei die Vernetzung zwischen Kleinstbetrieben, EPUs, Mittel- und Großbetrieben viel enger ist, als wir alle glauben. Ein Drittel aller österreichischen Investitionen wird nämlich von diesen 0,3 Prozent, also von diesem Promillebereich, praktisch festgelegt. Daher ist für uns von der FPÖ die Betrachtung der gesamten Unternehmenslandschaft wichtig. Wir wollen, dass nicht punktuell ein Partikularismus herausgearbeitet, sondern dass die ge­samte Unternehmenslandschaft beleuchtet wird, insbesondere die Kostenstruktur für alle Unternehmen, denn die Kosten gehören gesenkt.

Interessant ist auch – das wurde im Ministerium zu Recht festgehalten – die Konzen­tration auf die wachstumsorientierten Unternehmen. Diese werden in Summe mit 3 400 spezifiziert, zur marktorientierten Wirtschaft gehören aber nur 3 000. – Jetzt würde mich interessieren: Wohin gehören diese 400 Unternehmen eigentlich? Als Wiener muss ich schon fragen: Wem gehören diese 400? Das sind ja auch Konzerne!

Bundeskanzler Kern sagt, dass er gegen Konzerne ist. Wie sieht es aber mit seinen eigenen SPÖ-Konzernen aus? Mich würde interessieren – ich hätte gerne, dass diese Fußnote gesetzt wird –, wem diese 400 im Bericht angeführten Unternehmen gehören. Ich nehme an, das es sich dabei um die Wiener Stadtwerke Holding, um die Wien Holding oder andere SPÖ-nahe Betriebe hier in Wien handelt. In den von der ÖVP regierten Bun­desländern wird sich das dann wahrscheinlich vice versa, spiegelbildlich auf der ÖVP-Seite darstellen.

Noch ein wichtiger Punkt: Ich weiß, lieber Herr Minister, wenn ich so sagen darf, dass du dich sehr mit den Gründungen beschäftigst, und die Start-ups sind dabei ein essen­zieller Punkt, um eine Gründungsoffensive implementieren zu können. Aber der zweite Schritt ist das Wachstum. Im Anhang zum Bericht ist der Unternehmenszyklus sehr schön analysiert, also die Perioden eines Unternehmens: Beginn, Gründung, Start-up, Wachstum, Reifephase und entsprechende Konjunkturwellen. Aber gerade am Wachs­tum hapert es in Österreich! Wie können sich Unternehmen im internationalen und im nationalen Wettbewerb wachstumsmäßig behaupten? – Dabei ist das Thema der Fi­nanzierung ein essenzieller Punkt.

Ich darf in diesem Zusammenhang ein Beispiel nennen: Die Delivery Hero AG, ein Start-up, gegründet 2011 in Deutschland, hatte im zweiten Jahr unglaubliche 250 Millionen € Verlust, im dritten Jahr noch einmal 119 Millionen €. Dieses Unternehmen wäre in Ös­terreich längst sang- und klanglos in Konkurs gegangen, in Deutschland war das aber nicht der Fall. Dort hat sich nämlich eine Investmentbank dieses Unternehmens ange­nommen, weil man wusste, dass in diesem junge, pfiffige Leute agieren, die innovative Ideen haben, die man unterstützen wollte. Daher hat die Bank diesen Leuten einen Kre­dit von unglaublichen 300 Millionen € gegeben. Diesen konnten sie bisher noch nicht zu­rückzahlen, in den letzten Tagen ist ihnen das aber sehr wohl gelungen, weil sie an die Börse gegangen sind. – Dieser Begriff fehlt mir im vorliegenden Bericht vollkommen! Im ganzen Mittelstandsbericht finde ich den Terminus der jahrhundertealten Wiener Börse nicht.

Das genannte Unternehmen hat in Deutschland in den vergangenen zwei Wochen in­nerhalb von wenigen Tagen eine Milliarde Euro lukriert, und das ist Eigenkapital und kein Fremdkapital à la Bankkredit, und daher konnten sie den Investmentbankern in we­nigen Stunden diese gesamten 300 Millionen € auf den Tisch legen. Somit ist die Delivery Hero AG ein nationales, deutsches, wachstumsorientiertes Unternehmen. Sie haben üb­rigens über 6 000 Mitarbeiter, das darf man auch nicht unterschätzen. Es gibt also auch digitale, technisch orientierte Unternehmen, die sehr wohl eine entsprechende Mitarbei­terzahl haben.

Ein solches Reüssieren eines Unternehmens wäre in Österreich unmöglich gewesen! Wir haben kaum einen Kapitalmarkt; das wurde im Bericht ohnehin verifiziert. Wir ha-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 70

ben wenige Beteiligungsgesellschaften, kaum Business Angels, kaum Fonds, die sich hier in Österreich breitmachen. – Mit Bankkrediten in erster Linie und infolge mit Bank­garantien wird das aber sicherlich möglich sein.

Wie gesagt: Die Wachstumsphase ist eine der größten Schwächen hier in Österreich, denn: Kaum ist ein Unternehmen groß und hat Substanz gewonnen, wird es entweder in Konkurs geschickt oder wird das Unternehmen übernommen oder wird der Unter­nehmer selbst, mit seinem Wissensstand, vom Ausland herausgekauft. Auch das darf man nicht vergessen. Der Braindrain aus Österreich ist größer als man überhaupt an­nimmt.

Überrascht hat mich – das muss ich schon sagen, und das zeigen auch die Rahmen­bedingungen hier in Österreich auf –, dass ein Drittel aller Unternehmen laut KMU For­schung Austria, die ja die Substanz dieses Berichts geliefert hat, mit dem Ranking-Be­griff BB, Double B, notifiziert worden sind, denn dieser Terminus technicus bedeutet in der Finanzsprache eigentlich Ramschniveau. Das heißt, ein Drittel aller österreichischen KMU-Betriebe weist als Qualität des Ratings eine Bonität auf Ramschniveau auf. Und ein weiteres Drittel hat Triple B und wird gerade noch als Investment Grade bezeichnet.

Da sieht man, wie sehr es den Unternehmen an Finanzstruktur, an Finanzkraft und an Eigenmitteln fehlt. Daher ist es mir vollkommen unverständlich, dass es diese extrem hohe Steuerbelastung hier in Österreich gibt und es die Bundesregierung diesen jun­gen, tüchtigen, fleißigen österreichischen Unternehmen nicht gönnt, endlich ihr Eigenka­pital zu thesaurieren.

Deswegen fordern wir von der FPÖ auch die Abschaffung der Körperschaftsteuer, die Steuerfreiheit für den nicht entnommenen Gewinn, endlich eine klare Honorierung der Leistungsträger in jeder Hinsicht und auf jeden Fall die Abschaffung dieser kalten Pro­gression.

Zuletzt komme ich noch zu einem anderen Bestandteil, der es mir und der FPÖ nicht schwer gemacht hat, diesen Bericht abzulehnen: Im Fortlauf des Textes wird nämlich angeführt, dass die Wettbewerbsfähigkeit beyond GDP, also jenseits des Wachstums, angesiedelt wird. Das heißt, das Wachstum ist offensichtlich für das Wirtschaftsminis­terium gar nicht so wichtig. Beyond GDP, also eine Abkehr von der reinen Kostensen­kungsstrategie: Ja, was ist denn für einen Unternehmer wichtig, wenn er mit seinem Produkt international reüssieren will? – Natürlich die Kosten, denn man kann doch nicht allen Ernstes glauben, dass ein österreichischer Betrieb allein auf der Welt oder allein in Europa ist! Es gibt immer Mitbewerber und Konkurrenten, die sich nicht nur um die Qualität herum definieren, sondern die sich bei gleichbleibender Qualität sehr wohl durch die Kostenstruktur definieren. – Dass also das Wirtschaftsministerium die Wett­bewerbsfähigkeit da beyond GDP ansiedelt, das lehnen wir von der FPÖ in jeder Hin­sicht ab!

Mich würde interessieren, wie diese Bundesregierung Arbeitsplätze schaffen will, die nicht mit dem Wachstum zusammenhängen. Wir von der FPÖ bekennen uns nämlich zur unternehmerischen Leistung und sagen: Arbeitsplätze werden in erster Linie von der Privatwirtschaft geschaffen. (Beifall bei der FPÖ.)

Ganz zuletzt noch eine Bemerkung zur innovativen Tätigkeit in Österreich: Die Patent­anmeldungen sind ein weiterer Indikator, der richtigerweise neben den Lohnstückkos­ten und Abgabenquoten als Indikator für den Wohlstand eines Landes genannt wird, und zwar im Unterschied zu dieser Kostensenkungsstrategie, auf welche in der Folge hingewiesen wurde. Wenn wir uns das genau anschauen, dann stellen wir fest, dass es im Rahmen der Patentanmeldungen in Österreich jährlich 15 000 Registrierungen gibt. In Schweden sind es hingegen 25 000 und in der Schweiz sage und schreibe 45 000 Re­gistrierungen! Das ist Forschung und Entwicklung, das ist Zukunftsdenken, das schafft


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 71

Wohlstand, und das schafft vor allem Wettbewerbsfähigkeit, denn darin werden sehr wohl die Kostenstruktur, die Innovationsstruktur und die Leistungsfähigkeit unserer Betriebe widergespiegelt. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

12.32


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich darf festhalten, dass der von Bundesrat Pisec und seinen Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend Abschaf­fung der kalten Progression zur Stärkung des Mittelstandes genügend unterstützt ist und demnach mit in Verhandlung steht.

Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Hammerl. – Bitte.

 


12.32.29

Bundesrat Gregor Hammerl (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Herr Präsident! Meine geschätzten Damen und Herren! Der heute zu debattierende Mit­telstandsbericht 2016, ist meines Erachtens ein ausgezeichneter Bericht, er wurde aber im Nationalrat noch nicht diskutiert. Kollege Mag. Reinhard Pisec, Sie haben den Be­richt, glaube ich, trotzdem halbwegs positiv beurteilt, wofür ich danke. Es hat nicht im­mer alles gepasst, aber es war doch zumindest halbwegs positiv, so schlimm war es wohl nicht.

Meine geschätzten Damen und Herren! Der Mittelstand ist die Säule der Wirtschaft. Warum habe ich mich gemeldet? – Ich selber führe einen Betrieb, ehrenamtlich, eine GesmbH, das Hilfswerk Steiermark mit knapp 1 500 Mitarbeitern und Angestellten. Wir kommen sehr oft in den verschiedenen Teilen unseres Landes herum, meine Damen und Herren, und es ist erstaunlich zu sehen, wie sehr unser Land von klein- und mittel­ständischen Unternehmen geprägt ist. Vielen Orten und Stadtteilen geben diese Unter­nehmen ihre Identität, aber den Menschen auch ihr tägliches Brot.

Es gibt 330 000 klein- und mittelständische Unternehmen, zwei Drittel der Erwerbstäti­gen arbeiten in solchen, und die Lehrlingsausbildung – ich wiederhole: die Lehrlings­ausbildung – wird zu einem großen Teil von diesen Unternehmen getragen. Unser welt­weit anerkanntes duales Ausbildungssystem wird von diesen Betrieben wesentlich mit­gestaltet.

Seit 2008 konnten laut Mittelstandsbericht, der zur Diskussion vorliegt, 130 000 zusätz­liche Arbeitsplätze geschaffen werden. 2014 gaben diese Unternehmen 1,9 Millionen Menschen Beschäftigung, und 456 Milliarden € Umsatz konnten erwirtschaftet werden.

Es weisen aber nicht nur diese imponierenden Zahlen auf die Bedeutung dieser Un­ternehmen hin, sondern es ist darüber hinaus die Prägung der Wirtschaft unseres Lan­des durch diese Unternehmen relevant. Meine Damen und Herren! Wir brauchen si­cherlich Großbetriebe und Leitunternehmen, ebenso brauchen wir für diese aber auch die Basis, die durch diese Klein- und Mittelunternehmen gebildet wird. In solchen Be­trieben gibt es Innovation, in den meisten Fällen gibt es aber auch eine Rückbindung an die örtliche Gesellschaft, die eine spezifische Wirtschaftskultur ausbildet. Eine sol­che Wirtschaftskultur ist geprägt von gegenseitiger Verantwortlichkeit in der Entwick­lung der Regionen.

Wir merken das besonders dann, wenn es zu einer Absiedelung von Menschen aus strukturschwachen Gebieten kommt. Wo Unternehmen vorhanden sind, die in regiona­ler Verantwortung das Gebiet mitgestalten, kann dieser menschliche Aderlass hintan­gehalten werden, besonders wenn Klein- und Mittelbetriebe jungen Menschen Entwick­lungs- und Entfaltungsmöglichkeiten anbieten können.

Trotzdem habe ich auch eine ein bisschen kritische Anmerkung, wenn das anderer­seits auch positiv ist: In der Steiermark werden für das Magna-Werk circa 3 000 Frauen und Männer gesucht, die dort arbeiten sollten. 1 000 haben wir gefunden, aber es ist


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 72

schwierig. Immerhin wird dort die BMW-6er-Serie gebaut. Wir wissen nicht, wie lange, und wir spüren jetzt schon in der Steiermark, dass junge Menschen aus den Regionen abgewandert sind und sich in Graz ansässig gemacht haben. Diese Arbeitskräfte ge­hen jetzt draußen in den Regionen ab.

Meine Damen und Herren! Damit die Klein- und Mittelbetriebe weiterhin ihre Aufgabe er­füllen und ihrer Verantwortung gerecht werden können, sind die Rahmenbedingungen zu überdenken und die Beengungen aufzulösen. Dazu sollen nun einige ausgewählte Punkte von mir angesprochen werden.

Mehr als ein Drittel der Klein- und Mittelunternehmen sind Ein-Personen-Unternehmen, also Unternehmen, die nur von einer Person gebildet werden. Das signalisiert einer­seits das unternehmerische Potenzial einzelner Personen, andererseits muss man be­denken, dass bei vielen dieser Ein-Personen-Unternehmen nicht von Unabhängigkeit gesprochen werden kann. Vielmehr sind manche dieser Betriebe anderen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, von Innovationsmöglichkeiten und Gestaltungsspielraum kann nicht gesprochen werden. Außerdem ist der wirtschaftliche Druck sehr hoch. Viele die­ser Menschen können froh sein, wenn sie – das weiß ich – ein Einkommen in der Höhe eines Mindestlohnes erreichen. Zudem müssen sie laufend um die Existenz ihrer soge­nannten Unternehmungen bangen. Da bedarf es einer Unterstützung der Wirtschaft durch die Politik, weil soziale Absicherung für diese Menschen notwendig ist.

In diesem Zusammenhang ein zweiter Punkt: Die Grenzen zwischen selbständiger und unselbständiger Tätigkeit verschwimmen immer mehr und mehr. Deswegen ist es nicht nur ungerecht, sondern auch den Entwicklungen widersprechend, wenn von manchen Seiten zu einem Klassenkampf gegen die Unternehmer aufgerufen wird. Dies führt da­zu, dass die sozialen Probleme auf der Seite der Klein- und Kleinstunternehmen über­sehen werden. Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass es viele Mischformen zwi­schen abhängiger Erwerbstätigkeit und unabhängiger Unternehmungstätigkeit gibt. Vor allem, meine Damen und Herren, müssen wir auch erkennen, dass es der unternehme­rischen Initiative auch bei den abhängig Erwerbstätigen bedarf.

Klein- und Mittelbetriebe sind ein wichtiger Hinweis darauf, dass unternehmerisches Handeln mehr als nur wirtschaftliches Rechnen, mehr als nur Geschäft ist. Es geht nämlich um die vielfache Einbeziehung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Be­reiches. Mittelstandsunternehmungen verweisen in vieler Hinsicht auf die Tatsache, dass Wirtschaft die Verantwortung für regionale Entwicklung, für ein ganzheitliches Aus­bauen von Regionen mitträgt. Das gilt nicht nur in der Hinsicht, dass regionale Unter­nehmen wesentlich die Kultur oder den Sport in den Regionen mittragen, sondern auch insofern, als sie Arbeitsplätze schaffen und mit diesen Arbeitsplätzen findet eine Veran­kerung der Menschen in der Region statt.

Deswegen bedarf es aber sehr wohl der Förderung von Start-ups mit der Risikokapital­prämie, die im Bericht angesprochen wird. Es geht aber auch um entsprechende För­derungsmöglichkeiten von traditionellen Klein- und Mittelbetrieben, die wesentliche Fak­toren einer Region sind.

Die angesprochene Mittelstandsfinanzierungsgesellschaft könnte hier, meine Damen und Herren, Initiativen schaffen. Die Unternehmer, die als gute Bürger agieren und die Gesellschaft verantwortlich stützen, sollen ihrerseits eine Förderung erfahren. Dies kann etwa auch durch eine lange geforderte Senkung der Lohnnebenkosten geschehen.

Noch einmal: Die Senkung der Lohnnebenkosten bedeutet nicht nur eine finanzielle Entlastung der Unternehmer, sondern auch eine Erhöhung der Chancen, besonders für handwerkliche Unternehmen. Wenn Arbeit billiger wird, tun sich viele Möglichkeiten für kleine regionale Unternehmungen auf.

Wenn man bedenkt, wie viele Beauftragte ein Unternehmen für Umwelt, für Nachhal­tigkeit, für Brandschutz und so weiter haben soll, dann erkennt man die Hürden, die für


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 73

solche Unternehmungen bestehen. Wenn sich auch die gute Verfügbarkeit von Online­behördendiensten positiv im europäischen Vergleich zeigt, so liegt Österreich bei der öf­fentlichen Verwaltung im Rahmen der Umsetzung des Small Business Act der Europäi­schen Union nur im Durchschnitt. Hier wird gemessen, wie gut die Behörden auf die Be­dürfnisse der Klein- und Mittelbetriebe eingehen.

Meine Damen und Herren! Digitalisierung, so wichtig sie ist, ersetzt direkte Ansprech­partner, die effizient und einfühlsam auf die Bedürfnisse der Unternehmungen eingehen können, nicht.

Einen weiteren Kritikpunkt im Bericht stellen die ständigen Anforderungen von Regu­lierungen und Gesetzen im Zusammenhang mit den Betrieben dar. Diese Veränderung ist nicht durch die dynamische Entwicklung bedingt, sondern eben durch die Bürokratie­lastigkeit. Es braucht weniger Regulierungen, aber die müssen halten. Also es warten noch ganz wichtige Aufgaben auf uns.

Im Vorwort zum Mittelstandsbericht 2016 schreibt der zurückgetretene Vizekanzler und Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft Dr. Reinhold Mitterlehner, dem nicht nur für den Bericht, sondern auch für die vielen Initiativen, die er im Zusam­menhang mit den Klein- und Mittelunternehmungen gesetzt hat, herzlich gedankt sei: „Der heimische Mittelstand hat sich in gesamtwirtschaftlich herausfordernden Zeiten er­neut als wichtige Säule der österreichischen Wirtschaft erwiesen. Unsere kleinen und mittleren Unternehmen – vom traditionellen Handwerksbetrieb bis hin zum High-Tech-Un­ternehmen – sind im internationalen Vergleich überdurchschnittlich innovativ. Sie stehen für Internationalisierung ebenso wie für regionale Verbundenheit und solide Werte.“

Mein Abschluss: Damit hat er einen wesentlichen Punkt angesprochen. Die mittelstän­dischen Betriebe haben die Wurzeln, die notwendig sind, um wachsen zu können. Die­se Wurzeln bedürfen aber der Pflege.

Meine Damen und Herren! Wir sollten in der Politik alles dafür tun, um diese Wurzeln nicht abzuschneiden, denn gerade in Krisenzeiten haben sich diese Unternehmungen als jene Elemente der Bewältigung von krisenhaften Entwicklungen erwiesen, die in der regionalen Nähe, aber auch in Ausrichtung auf die Globalisierung innovativ tätig waren.

Die Bundesregierung und der Herr Bundesminister Mitterlehner haben sich ein großes Ziel gesetzt: Bis 2020 soll Österreich zum gründerfreundlichsten Land Europas werden. Die Zeichen stehen gut. Arbeiten wir alle hier im Haus zusammen! Danke schön. (Bei­fall bei ÖVP und SPÖ.)

12.42


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Mag. Ze­lina. – Bitte.

 


12.42.39

Bundesrat Mag. Gerald Zelina (STRONACH, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Wirtschaftsminister! Herr Präsident! Liebe Mitglieder des Bundesrates! 99 Prozent aller österreichischen Betriebe sind Klein- und Mittelbetriebe. Zwei Drittel aller Beschäftigten arbeiten in Klein- und Mittelbetrieben, und damit sind die Klein- und Mittelbetriebe der wesentliche Erfolgsfaktor für Österreich.

Mit den Steuern und Abgaben, die diese Klein- und Mittelbetriebe leisten, finanzieren wir eigentlich alles. Wir finanzieren damit unser Pensionssystem, wir finanzieren damit unser Gesundheitssystem, wir finanzieren damit das Arbeitslosengeld, wir finanzieren da­mit die Familienbeihilfen. Wir finanzieren auch über die Kommunalabgaben der Betrie­be unsere Gemeinden, auch die Wohnbauförderung, und wir finanzieren auch die Wirt­schaftskammer und die Arbeiterkammer durch die Leistungen und Umsätze unserer Be­triebe.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 74

Warum können unsere Betriebe das leisten? Weil sie wettbewerbsfähige Produkte ha­ben, und wettbewerbsfähige Produkte sind das Wesentliche. Großartige Unternehmen entstehen nur dadurch, dass sie großartige Produkte haben. Wettbewerbsfähige Pro­dukte hat man dadurch am Markt, indem man Qualität anbietet und auf der Kostenseite im preislichen Wettbewerb mithält, das heißt: Preisführerschaft und Qualitätsführerschaft. Zusätzlich sollte man sich noch in Nischen positionieren, wo man quasi Monopolanbie­ter ist. Und das alles leisten unsere Mittelbetriebe.

Ich möchte jetzt auf die Qualität eingehen und dann auch auf die Kostenseite und auf das, was der Staat machen kann, nämlich entsprechende Rahmenbedingungen zu schaf­fen, ein wettbewerbsfähiges Umfeld für unsere Klein- und Mittelbetriebe zu gestalten.

Bei der Qualität geht es nicht nur um Produktqualität, langlebige Produkte mit Techno­logieführerschaft oder auch mit tollem Design, sondern es geht auch um Mitarbeiter­qualität. Wenn sich Betriebe entscheiden, den einen oder den anderen Standort zu wäh­len, dann suchen sie oft den Standort Österreich deswegen auf, weil wir hier gut aus­gebildete, qualifizierte Mitarbeiter haben – oder sie bevorzugen Billiglohnländer.

Das Wesentliche in diesem Bereich ist Bildung, und da spreche ich auch von der Aus­bildung der Jungen, der Lehrlinge, wo unsere Klein- und Mittelbetriebe hervorragende Ar­beit leisten. Da geht es nicht nur um fachliche Kompetenz, es geht auch um Kompe­tenz im kreativen Bereich, denn wir brauchen innovative Produkte, wir brauchen inno­vative Mitarbeiter, die mitdenken, die selbst eigene Ideen einbringen, die quasi Erfinder sind. Und wir brauchen auch soziale Kompetenz. Es ist ganz wesentlich, dass die Lehr­linge, spätestens wenn sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben, die einfachsten Dinge beherrschen, wie etwa Grundhöflichkeit, den Kunden zu grüßen, Grüß Gott, danke und bitte zu sagen, das ist ganz wichtig. Auch Kritikfähigkeit, Teamfähigkeit und Konfliktfä­higkeit im Umgang mit Kunden sind wesentlich, etwa bei der Behandlung von Kunden­beschwerden.

Was im Qualitätsbereich noch wesentlich ist, sind der Service und die Dienstleistungs­qualität für den Kunden. Um das Produkt herum baut man Service und Dienstleistun­gen, und dadurch werden die Produkte gekauft. Da geht es um Schnelligkeit, da geht es um Lieferzuverlässigkeit, aber es geht auch um Öffnungszeiten, gerade im Handel. Die Leute kaufen im Internet ein, das Internet ist sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag geöffnet, da müssen wir mithalten. Deswegen ist die Arbeitszeitflexibilisierung so wich­tig, nicht nur für die Betriebe, auch für die Mitarbeiter selbst.

Wenn ein Mitarbeiter entscheidet, an einem Tag länger zu arbeiten und dafür am nächs­ten freizuhaben, dann kommt man in der Praxis sehr leicht in den Konflikt mit den Ar­beitszeitgesetzen. Da müssen wir flexibler werden. Auch eine Viertagewoche, bei der Freitag, Samstag, Sonntag frei sind, soll möglich sein. Es kann ja nicht so schwierig sein, da flexibler vorzugehen. Eine einfache Regelung: maximale Wochenarbeitszeit 60 Stun­den, Überstundenabbau mit Durchrechnungszeiten über ein Jahr statt 10 Wochen, das wäre schon einmal ein Ansatz.

Zur Kostenseite: Die wesentliche Kostenstruktur bei den Klein- und Mittelbetrieben setzt sich aus Materialkosten, aus Personalkosten, aus Finanzierungskosten und aus Steu­erkosten zusammen. Überall dort kann der Staat Rahmenbedingungen schaffen, die un­sere Betriebe noch wettbewerbsfähiger machen. Bei den Materialkosten kann man am wenigsten tun, die Rohstoffmärkte werden beherrscht von den internationalen Märkten, obwohl da auch einige Investmentbanken tricksen. Bei den Energieimporten können wir auf jeden Fall besser werden, insbesondere Energieunabhängigkeit durch die Nutzung erneuerbarer Energiequellen im eigenen Land ist sehr wichtig.

Der Hauptkostenblock sind die Personalkosten. Da ist es ganz wesentlich, dass wir bei den Lohnnebenkosten wirklich Nägel mit Köpfen machen. Ich weiß, Herr Minister Mah-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 75

rer, es wurde einiges getan, besonders im Start-up-Bereich gibt es eine Senkung: im ersten Jahr keine Lohnnebenkosten, im zweiten Jahr zwei Drittel, im dritten Jahr ein Drittel Einsparung, das ist ein Ansatz. Auch mit dem Beschäftigungsbonus für neu ein­gestellte Mitarbeiter tut sich einiges, aber in Summe müssen wir mit den Lohnneben­kosten herunterkommen. Wir berechnen derzeit in den Betrieben 32 Prozent vom Brut­tolohn an Lohnnebenkosten. Da müssen wir um 7 Prozent auf 25 Prozent Lohnneben­kosten herunterkommen. (Bundesrat Pisec: Lohnzusatzkosten sind 100 Prozent!) – Die Lohnnebenkosten kann man bei den Angestelltenkosten noch dazurechnen, muss man, ja.

Lohnnebenkosten runter heißt aber Reformen bei Pensionen, heißt Reformen im Ge­sundheitssystem, heißt auch Reformen bei der Kammer, denn all das, was den Unter­nehmen verrechnet wird oder was sie ausgeben müssen, verhindert weitere Investitio­nen der Unternehmen.

Wichtig sind auch Mitarbeiterbeteiligungen am Gewinn, als Teil der Löhne. Die Mitar­beiter haben ein moralisches Recht auf 10 Prozent vom Gewinn, den das Unternehmen erwirtschaftet. Das sollten wir umsetzen: Mitarbeiterbeteiligungen am Gewinn. Da­mit fällt auch der Zielkonflikt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern weg. Die Mitarbeiter den­ken mit, weil sie selbst überlegen, wo sie effizienter sein können, und haben dann selbst mehr in der Tasche.

Ein wesentlicher Punkt sind die Steuerkosten: Die Körperschaftsteuer bei den Klein- und Mittelbetrieben muss gesenkt werden, auch hinsichtlich des internationalen Steu­erwettbewerbs. Zur Verhinderung von Gewinnverschiebungen in Richtung Steueroasen, müssen wir mit der Körperschaftsteuer runter auf 15 Prozent, und das am besten in Ver­bindung mit Steuerwettbewerb der Bundesländer.

Auch die nicht ausgeschütteten Gewinne sind ein großes Thema. Wir besteuern die Ge­winne, obwohl sie noch nicht ausgeschüttet sind, und verhindern dadurch die Investi­tionsmöglichkeiten der Betriebe. Das heißt, nicht ausgeschüttete Gewinne sollen nicht sofort, sondern erst bei Ausschüttung versteuert werden.

Auch die Mindest-KöSt sollte meiner Meinung nach abgeschafft werden, ohne Gewinn braucht man keine Steuer zu zahlen. Für Klein- und Mittelbetriebe könnten wir auch noch eine Vereinfachung machen, indem wir die Steuer nicht am Gewinn, sondern am Umsatz bemessen, da würden sich die Klein- und Mittelbetriebe viel an Buchhaltungs­aufwand ersparen. (Zwischenruf des Bundesrates Saller. – Bundesrätin Zwazl schüt­telt verneinend den Kopf.) – Der Gewinn ist eine direkte Funktion vom Umsatz, dazwi­schen steht nur der Kostenblock. Für kleine Betriebe wäre das möglich, es wäre sogar für ganz große Konzerne möglich, sie direkt am Umsatz zu besteuern, damit würden die Gewinnverschiebungen aufhören.

Zu den Finanzierungskosten: Die Eigenkapitalquote der Klein- und Mittelbetriebe liegt bei circa 30 Prozent. Das heißt, 70 Prozent der Finanzierung der Klein- und Mittelbe­triebe läuft über Fremdkapital, und das in erster Linie über Bankenverschuldung. Das heißt, wir sollten den Kapitalmarkt forcieren, damit wir mehr Eigenkapital hereinbekom­men, um auch GmbH-Anteile kaufen und verkaufen zu können; auch Klein-AGs kann ich mir vorstellen.

Noch ein wichtiger Punkt ist die steuerliche Diskriminierung von Eigenkapital gegen­über Fremdkapital. Finanziert man sein Unternehmen mit Fremdkapital, kann man die Fremdkapitalzinsen steuerlich als Aufwand absetzen, finanziert man sein Unternehmen mit Eigenkapital, kann man den Finanzierungsaufwand, den das Unternehmen hin­sichtlich Gewinnausschüttungen oder Dividenden hat, steuerlich nicht absetzen. Des­wegen sind wir so fremdkapitallastig. Also die steuerliche Diskriminierung von Eigenka­pital sollte abgeschafft werden. – Herr Mahrer, auf der Wirtschaftsuniversität haben wir


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 76

das mit kalkulatorischen Eigenkapitalzinsen berechnet, Sie wissen, wie das geht. (Zwi­schenruf der Bundesrätin Zwazl.) Oder wir lassen zu, dass die Dividendenausschüttun­gen und Gewinnausschüttungen als Aufwand behandelt werden.

Ein letzter Punkt sind die Bürokratie- und Überregulierungskosten für die Unterneh­men. Wir müssen die Überregulierung abbauen, die Gewerbeordnung darf auf keinen Fall Konkurrenzschutz sein. Leib und Leben zu schützen, das ist alles in Ordnung, auch Gesundheit soll geschützt werden, keine Frage. Ein Gewerbeschein für alle freien Ge­werbe muss möglich sein, da muss auch die Wirtschaftskammer eine Lösung finden.

Betreffend Regulierungswut gibt es gute Ansätze, wie etwa die automatischen Ablauf­daten von Regulierungen mit der Sunset-Klausel oder eine neue Regulierung im Aus­tausch gegen zwei alte. Eine große bürokratische Belastung für die Klein- und Mittelbe­triebe ist auch noch die Lohnverrechnung. Wir haben 321 Sozialversicherungsbeitrags­gruppen und 236 Lohnsteuergruppen, das ist Wahnsinn, das muss vereinfacht werden, denn das erzeugt Bürokratiekosten, und das ist ja letzten Endes Personalaufwand, der uns nicht wettbewerbsfähiger macht. (Bundesrat Pisec: Der Staat kennt sich selber nicht aus!) Der Staat kennt sich selbst nicht mehr aus, sehr richtig, es ist zu komplex. Der Trend ist überall der gleiche, ob das bei der Telekom, Post oder ÖBB ist: Man geht auf einfache Tarife, auf wenige Tarife zurück, und das muss auch bei der Sozialversiche­rung und bei den Lohnsteuergruppen gemacht werden. Das ist ganz wesentlich.

Zu den Investitionsförderungen: Auch die sind natürlich eine Kostenreduktion. Ich un­terstütze auf jeden Fall die Erhöhung der Forschungsprämie für innovative Technolo­gien von 12 auf 14 Prozent. (Vizepräsident Gödl gibt das Glockenzeichen.) Ich kom­me schon zum Schluss.  Vorzeitige Abschreibungen wären auch eine gute Sache, das heißt, die Wiedereinführung des Investitionsfreibetrages oder auch bei geringwertigen Wirtschaftsgütern die Freibetragsgrenze von 400 auf 1 000 zu erhöhen, das wäre auch ein Ansatz für mehr Investitionen.

Also zusammengefasst: Was kann der Staat leisten? Der Staat kann Rahmenbedin­gungen schaffen, dass wir ein wettbewerbsfähiges Österreich haben, dass wir wettbe­werbsfähige Betriebe haben. Das Wichtigste sind niedrige Unternehmenssteuern, die Lohnnebenkosten müssen gesenkt, die Bürokratie und die Überregulierung verringert werden, und wir brauchen Arbeitszeitflexibilisierung. Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

12.55


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Pfis­ter. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


12.55.57

Bundesrat René Pfister (SPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Herr Minister Mah­rer! Liebe Kolleginnen und Kollegen! – Ja, die Frau Präsidentin in der ersten Reihe lacht schon, ich habe mir das Lachen jetzt bei Gerald Zelina auch nicht verkneifen können, den ich übrigens als Person sehr schätze, der aber bei seinen Ausführungen da manches Mal nicht auf diesem Kontinent zu Hause zu sein scheint, sondern, wie ich glaube, ir­gendwo in Amerika oder in Kanada in einem Ausbildungslager bei Frank Stronach ste­ckengeblieben ist.

Er möchte, dass alle Gewinne privatisiert werden. Wenn es dann aber um Verluste von Unternehmungen geht, die irgendwelche Probleme haben, die nachweislich nicht durch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verursacht wurden, wenn es den Unterneh­men schlecht geht, weil sie globale Weltwirtschaftskrisen oder Finanzkrisen treffen, wenn dadurch Aufträge verschwinden und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über Nacht arbeitslos werden und vor dem Nichts stehen, kann es in Österreich nicht im Sin­ne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und schon gar nicht im Sinne von uns Poli­tikerinnen und Politikern sein, dass wir den freien Wettbewerb oder den Markt ganz ein-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 77

fach dem Kapitalismus, den Kapitalisten überlassen, die sich dann nur das Positive raus­picken.

Wir alle sind zufrieden, wenn wir auf gut ausgebauten Straßen fahren können, wenn wir eine Infrastruktur haben, die hervorragend funktioniert, die wir alle nutzen, auf die wir sehr, sehr stolz sind. Daher kann ich mir nicht vorstellen, dass wir alle gemeinsam die Forderung unterstützen: Die Unternehmenssteuern müssen runter! Der Faktor Ar­beit ist noch zu hoch belastet. Das sagen natürlich nicht nur die Gewerkschaften und die Arbeiterkammer, der Faktor Arbeit trägt über 80 Prozent zur Steuerleistung in Ös­terreich bei. Da sind unsere Klein- und Mittelbetriebe in Österreich genau diejenigen, die Arbeit schaffen.

Wie du schon richtig angesprochen hast: Wenn es um Ausbildung, um Lehrlingsausbil­dung geht – auch das ist ein Thema, mit dem wir uns nicht nur tagtäglich beschäftigen, sondern das mir auch ein Herzensanliegen ist, für alle, die es vielleicht noch nicht wis­sen –, sind die Klein- und Mittelbetriebe genau die, die Qualität schaffen, die auch für die großen Industriebetriebe ausbilden.

Gregor Hammerl hat es schon ausgeführt: So viele Lehrlinge bilden die Industriebetriebe in Österreich nicht aus. Auch im Ausschuss habe ich am Dienstag das Thema mit der Frau Präsidentin diskutiert: Die Lehrlingsausbildung, über 60 000 Plätze, passiert in den Klein- und Mittelbetrieben. Die große Industrie, die dann fordert, Gewinne zu privatisie­ren und Verluste zu sozialisieren, ist nicht die, die ausbildet, sondern die Großbetriebe ziehen aus dem Klein- und Mittelbetriebssektor Fachkräfte ab, um die Beschäftigung in ihren Unternehmen zu erhalten. Ich sage jetzt aber nicht, dass die Großbetriebe die Mög­lichkeit nicht nützen sollen.

Wir sind stolz auf diese Qualität, die wir in der Lehrlingsausbildung in Österreich ha­ben. Wir sind Europameister, Weltmeister, jährlich dürfen wir Lehrlinge zu den Bewer­ben entsenden und sie am Ende ehren, und unsere Betriebe bieten eine qualitativ gu­te Ausbildung, worum uns die halbe oder eigentlich die ganze Welt beneidet, insbeson­dere wenn man sieht, welch großartige Möglichkeiten unsere Jugendlichen nach dieser Ausbildungszeit haben. Die qualitativ hochwertige Ausbildung erfolgt vor allem im Zu­sammenspiel der öffentlichen Hand, nämlich wenn es um Schulen und Berufsschulen geht, mit den Betrieben, die vor Ort den Praxisbezug herstellen, den die Lehrlinge in der Ausbildung brauchen.

Ich wünsche mir, lieber Herr Minister, dass wir schon darauf schauen, dass unsere Klein- und Mittelbetriebe qualitativ hochwertig ausbilden, aber dass Sie auch Ihre Posi­tion nützen und den Industriebetrieben sagen, dass auch sie ihre Verantwortung wahr­nehmen müssen, indem sie entsprechend viele Lehrlingsausbildungsplätze anbieten.

Sieht man sich die Statistik an, weiß man, dass genau im großen Bereich der Industrie die Lehrlingszahlen zurückgegangen sind. Das wird auch vonseiten der Lehrlingsstel­len bestätigt werden, das ist Fakt, dass die Lehrstellen in diesem Bereich zurückgehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gregor Hammerl hat hier den Mittelstandsbericht schon sehr, sehr ausführlich besprochen, viele Dinge sind da auch sehr, sehr positiv. Das heißt aber auch – das haben wir im Ausschuss am Dienstag auch diskutiert , dass wir auch sehr, sehr genau schauen müssen, was es bedeutet, wenn wir von den berühmten Hy­bridunternehmen sprechen, nämlich von Unternehmern, die nicht vollkommen selbstän­dig, aber auch nicht in einem Angestellten- oder in einem anderen Beschäftigungsver­hältnis sind, sondern wo diese Grenzen verschwimmen.

Zur Diskussion, in der wir uns befinden: Ich glaube, es hat auch sehr, sehr starke Ver­änderungen bei den Menschen gegeben. Früher hat man gesagt, man lebt, um zu ar­beiten. Heute ist es so, dass die Menschen arbeiten, um zu leben. Das hat sich umge­kehrt. Die Grenze zwischen Selbständigkeit und Erwerbstätigkeit in einem Beschäfti-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 78

gungsverhältnis verschwimmt. Es sind aber Herausforderungen damit verbunden, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn 190 000 Österreicherinnen und Österreicher in genau solchen Unternehmungen sind; Herausforderungen für unsere Sozialversicherungssys­teme, Herausforderungen für unsere Steuersysteme und Herausforderungen auch hin­sichtlich Arbeitszeit und -verteilung. Nutzt man die Möglichkeit, auf der einen Seite ei­nen vollen Erwerbsjob zu haben und dann auch noch selbständig zu sein, nehmen ar­beitsbedingte Krankheiten Burnout und wie sie alle heißen – zu. Das zeigen auch die Statistiken aus der Sozialversicherung. Ich glaube, diese Herausforderungen gibt die­ser Bericht ganz schön wieder; es ist das erste Mal, dass diese Zahlen darin vorkom­men.

Lieber Herr Minister, es ist das ein sehr, sehr umfangreicher Bericht, es gibt eine posi­tive Entwicklung für unsere Klein- und Mittelbetriebe, aber das heißt für uns auch, die­se Herausforderungen betreffend Ausbildung, Forschung und Entwicklung zu erkennen, vor allem auch, wenn es um Möglichkeiten geht, Impulse zu setzen. Die Bundesregie­rung hat in den letzten Wochen sehr, sehr positive Impulse im Bereich Beschäftigungs­initiativen gesetzt, denn genau das passiert in den Klein- und Mittelbetrieben.

Lieber Herr Minister, wir nehmen diesen Bericht sehr, sehr gerne zur Kenntnis und hof­fen, dass in den Bereichen Ausbildung und Weiterbildung in den nächsten Jahren die Initiativen noch mehr forciert werden. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

13.03


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesminister Dr. Mahrer. – Bitte, Herr Minister.

 


13.03.28

Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft Mag. Dr. Harald Mahrer: Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Es tut mir leid, ich muss dann in den Wirtschaftsausschuss, Herr Minister Rupprechter wird mich dann vertreten, da­her habe ich mich jetzt schon zu Wort gemeldet. Vielleicht ein paar grundsätzliche Punkte zum Mittelstand, die mir einfach wichtig sind.

Ich bedanke mich für die Anerkenntnis, dass der sehr umfangreiche Bericht nach der Kritik im letzten Jahr ein bisschen besser und kompakter formuliert wurde. Es dauert immer eine Zeit lang, bis das fertiggestellt ist und layoutiert wird. Es ist, glaube ich, so­lide Arbeit, die das Haus gemacht hat, und ich bedanke mich da auch bei meinem Haus.

Nun aber zum Mittelstand grundsätzlich: Der Mittelstand trägt das Land, er müsste von uns allen eigentlich auf Händen getragen statt mit Füßen getreten werden. Es ist die breite Mitte, die in diesem Land die Steuerleistung erbringt und, wenn man so will, die gesamte Party zahlt. Daher müssten wir uns gemeinschaftlich viel mehr anstrengen, um diese breite Mitte auch mit einer breiten Politik der Mitte zu unterstützen.

Es ist nicht immer so leicht, weil es da unterschiedliche Güterabwägungen gibt. Man kann sich natürlich sehr leicht hinstellen und sagen, wir sollen die Steuer abschaffen, die Steuer abschaffen, die Steuer abschaffen. Das ist zwar eine gute Idee, nur fehlen auf der anderen Seite dann natürlich auch Einnahmenströme, um unser gesamtes Staats­gefüge zu finanzieren. Man muss sich immer ziemlich genau anschauen, was man macht. Das muss durchdacht sein, Konzeptlosigkeit bringt da natürlich nichts. Das heißt, es muss ein vernünftiges, durchdachtes System sein.

Entscheidend sind die Grundwerte, die dahinterstehen, und die kann man natürlich, wenn man sich diesen Bericht im Detail ansieht, schon herauslesen. Man erkennt, wie motiviert eigentlich die Unternehmer und Unternehmerinnen sind, egal ob das ganz, ganz kleine Ein-Personen-Unternehmen sind – ein EPU ist etwas, wo jemand ganz allein ist und in eigener Freiheit und Verantwortung sagt: Ja, ich will das machen, ich will unter­nehmerisch tätig sein!, er verdient in dieser Republik von uns allen höchste Anerken-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 79

nung –, die klassischen KMUs, egal welcher Größe, bis hin zu den Industrie- und Leit­betrieben, die Tausenden Menschen Beschäftigung bieten und die mit den anderen Un­ternehmen engstens vernetzt sind, egal ob die kleineren in der Region Zulieferer sind oder ob sie schon in bestehenden Produktions- und Dienstleistungskooperationen sind, die weit über die österreichischen Grenzen hinaus vernetzt und erfolgreich sind.

Es ist der Mittelstand, der in vielen, vielen Branchenbereichen Exporteuropameister oder in manchen Nischen sogar Exportweltmeister ist. Wir haben es in diesem Raum schon mehrfach gesagt: Wir verdienen mehr als 6 von 10 € der Bruttowertschöpfung auf den Weltmärkten. Also: Inselideen, Abschottung, nur lokal ein bisschen Geschäft zu ma­chen, das funktioniert nicht. Egal, ob das unsere Landwirtschaft ist, die erfolgreich im­mer mehr exportiert, ob das im Dienstleistungsbereich ist, im Gewerbe, im Handel, in der hochindustriellen Technologieproduktion: Wir sind international erfolgreich.

Es wird nur weitergehen – und jetzt sind wir bei den entscheidenden Punkten –, wenn wir mit den richtigen Grundwerten jene Rahmenbedingungen schaffen, die die Unter­nehmerinnen und Unternehmer – egal, ob sie allein, in einem Kleinbetrieb oder gemein­schaftlich tätig sind oder ob es ein börsennotiertes Unternehmen im großen Stil ist – brau­chen, damit sie erfolgreich sein können, denn der Wettbewerb wird immer härter.

Wichtig sind die Grundwerte wie unternehmerische Freiheit, Eigenverantwortung, so­ziale Verantwortung, auch die gegenüber der Ökologie, das Stichwort der ökosozialen Marktwirtschaft als ordnungspolitischer Rahmen, Leistungsbereitschaft und Fleiß, Au­genmaß, Maßhalten gehört da auch dazu, und natürlich ein klares Bekenntnis zu Ei­gentum. Das ist wichtig. Das sind die Grundwerte, von denen wir sprechen, die wir alle gemeinschaftlich fördern müssen, darüber kann es keine große Debatte geben.

Wenn es dazu ein Bekenntnis gibt, kann man sich auf Basis dessen dann anschauen, wie man die Rahmenbedingungen gestaltet. Ja, es sind einige sehr wichtige Punkte ge­fallen. Die Finanzierung ist richtigerweise ein schwieriges Thema, die Frage dabei ist: Wie machen wir das richtig? Wir haben in Österreich halt leider keine etablierte Kultur, viel über den Kapitalmarkt zu finanzieren. Für EPUs würde sich das auch nicht ausge­hen, da braucht man andere Instrumente, aber ab einer bestimmten Betriebsgröße und unternehmerischen Erfahrung – wenn man so will, den berühmten Track Records: Was kann das Unternehmen hinsichtlich Entwicklung schon aufweisen? – kann das aber Sinn machen.

Wir haben dazu eine eigene Strategie vorgelegt. Ich freue mich, wenn wir nachdem der Wahlkampf wieder vorbei ist und die Emotionen wieder heruntergefahren sind  sachpolitisch darüber debattieren können, wie wir in Österreich eine Mittelstandsbörse etablieren können. Das fände ich sehr gut; das ist eine Debatte, die wir führen sollten.

Nachdem sich das Hohe Haus und der Bundesrat zum Beispiel in einer eigenen En­quete mit dem Thema Digitalisierung beschäftigt haben, ist das Thema Unternehmens­finanzierung ein Thema, das zukünftig, in den nächsten ein, zwei Jahren, in den Mittel­punkt gestellt werden könnte. Da hapert es, weil wir in der Zwischenzeit auf europäi­scher Ebene zu strenge regulatorische Vorschriften haben. Unsere braven regionalen Banken werden geknechtet, sind nicht mehr in der Lage, vernünftig die kleinen Betrie­be zu finanzieren. Da ist wieder ein bisschen mehr Freiraum notwendig, da wurde in den letzten fünf bis sieben Jahren aus unterschiedlichen Überlegungen heraus sicher zu viel reguliert, das sage ich ganz offen. Da bräuchten wir wieder eine Balance, damit wir de­nen, die sich bewegen müssen, nicht die Luft zum Atmen nehmen.

Das ist ganz simpel, ich stelle da immer mit einem einfach Bild dar: Für alle Betriebe, egal, ob das kleine oder große Strukturen sind, egal wie viele Personen in dem Betrieb sind: In Zeiten wie diesen, in Zeiten des wirtschaftlichen Wandels ist der Weg zum Gip­fel eine verdammt schwierige Wanderung, der Gipfelsieg ist nicht einfach.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 80

Mit dem Bild des Bergsteigers: Wir wissen, mit einem engen Korsett, einem Biedermei­erkorsett, das schwierig anzuziehen ist, das keine Luft zum Atmen lässt, und mit einem Rucksack voller Steine wird man den Gipfelsieg vermutlich eher nicht schaffen. Das heißt also: Steine aus dem Rucksack heraus, weg mit den bürokratischen Aufwendun­gen. Notwendig ist ein intelligenter Deregulierungsansatz, bei dem wir unsere Grund­werte der ökosozialen Marktwirtschaft nicht vergessen – da haben wir Verpflichtungen, Stichwort Umweltschutz, Stichwort sozialer Zusammenhalt –, aber intelligent und maß­voll die Dinge in Balance bringen, und natürlich – das ist die Frage des Korsetts, das betrifft das Geld – Freiheit zum Atmen, Bewegungsfreiheit. Das erfordert neue Finan­zierungszugänge.

Alle Fraktionen sind dazu eingeladen, partnerschaftlich zu agieren, denn es geht am Ende des Tages um die breite Mitte, den Mittelstand. Es ist heute bereits ein paar Mal gefallen: Der Mittelstand finanziert in Wirklichkeit unser Gesamtsystem.

Eine nationale Allianz, ein Schulterschluss für den Mittelstand, das würde ich mir wün­schen. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.09


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich darf nun Herrn Bundesminister Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter herzlich bei uns begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)

Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Dr. Reiter. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


13.10.01

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Gut, es ist schwierig, nach die­sem flammenden Appell an die Gemeinsamkeit und den Mittelstand anzuschließen. Es ist ja zweifelsohne so, dass die KMUs die tragende Säule unserer Wirtschaft sind, dass sie Arbeitsplätze schaffen und sichern, und das selbst in Zeiten der Krise. In der Phase von 2009 bis 2014 haben sie im Saldo 130 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Sie tragen zwei Drittel der dualen Ausbildung – das nur als Zahl –, und das ist natürlich ein wesentlicher Faktor im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit und den Facharbei­termangel. Sie stehen aber auch – und das zeigt der Bericht natürlich auch – vor nicht kleinen Herausforderungen.

Das Thema Finanzierung ist hier bereits angesprochen worden. Das Kreditvolumen im klein- und mittelständischen Bereich ist derzeit das niedrigste seit 2009. Daraus lässt sich natürlich ableiten, was das für die Investitionen heißt. Es wird nach wie vor zu we­nig investiert, es fehlt an Dynamik in diesem Bereich. Das ist zwar auch, aber nicht nur den verschiedenen Regulierungen im Bankenbereich und so weiter geschuldet, sondern ist auch eine Sache der allgemeinen Stimmung, die von verschiedensten Komponen­ten beeinflusst wird. Es gibt hier Handlungsbedarf, um zu einem besseren Investitions­klima zu kommen und die entsprechenden Finanzierungen sicherzustellen.

Erlauben Sie mir einen kleinen Sidestep zum Thema Ökostromnovelle. Die Tatsache, dass es keine neue Ökostromnovelle gibt, bedeutet, dass zahlreiche Biogasanlagen über den Jordan geschickt werden und damit eine sehr mühsame Aufbauarbeit in diesem Be­reich schlicht und einfach vernichtet wird und das ganze gesammelte Know-how verlo­ren geht.

Ich war selbst vor über 20 Jahren an den ersten Entwicklungen in diesem Bereich be­teiligt. Die Tatsache, dass Projekte im Windbereich, die fertig geplant sind – in denen al­so schon viel an Know-how und Eifer auf dem Weg in Richtung Gipfel drinnen steckt –, jetzt nicht realisiert werden können, halte ich nicht nur für ökologisch fatal, sondern auch, ganz nüchtern betrachtet, für wirtschaftlich fatal. Was das Vertrauen der Wirtschaft in die Rahmenbedingungen, in die politischen Rahmenbedingungen und so weiter betrifft, wird sehr viel zerstört. Das ist eine mutwillige Zerstörung von Arbeitsplätzen und nicht wenigen KMUs.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 81

Die zweite große Herausforderung betrifft die qualifizierten Arbeitskräfte. Die Lehrlings­ausbildung und ihre Bedeutung sind hier schon gewürdigt worden, aber sie ist seit 2008 kontinuierlich zurückgegangen – um 20,5 Prozent. Das ist nicht wenig! Es gibt natürlich jetzt weniger Jugendliche als früher, aber es fehlt auch an Wertschätzung für diesen Aus­bildungsweg. Hierbei spielen viele Komponenten eine Rolle. Kommentare von Lehrern zu Schülern, die diesen Weg einschlagen wollen, sind hier schon öfter ein Thema ge­wesen. Der Rückgang hängt aber teilweise auch mit der Attraktivität der Arbeitsplätze zusammen, auch das sollte man nicht verschweigen, und das sollte man sich in man­chen Branchen einmal ganz nüchtern anschauen.

Der dritte Bereich betrifft die Steuern. Auch dieser Bereich ist hier schon erwähnt wor­den, es gibt auch einen diesbezüglichen Antrag. Ja, wir brauchen ein gerechteres, ein faires Steuersystem. Wir brauchen eine Lohnnebenkostensenkung. Wir brauchen eine Vereinfachung – das ist für die Betriebe dringend notwendig. Und die Bevorzugung von Konzernen und Großunternehmen muss beendet werden. Die KMUs sind unsere Steu­ermulis. Und ein schwer beladenes Muli kann nicht wirklich schnell und elegant laufen. Diese beiden Dinge schließen einander aus, und daher ist es dringend notwendig, in die­sem Bereich Maßnahmen zu setzen.

Zum Antrag der FPÖ: Ja, wir möchten auch, dass bei der kalten Progression etwas un­ternommen wird. Allerdings ist uns zu wenig bekannt, was die Analogie zur Schweiz be­trifft und wie dort die Ausgestaltung ist. Nachdem das expressis verbis verlangt wird, den­ke ich, muss man sich das genauer anschauen.

Der vierte wichtige Bereich ist der digitale Wandel. Große Unternehmen wie die voest, Infineon oder STIWA sind gut aufgestellt, die haben auch entsprechende Forschungs­kapazitäten. Es ist notwendig, hier die KMUs in den Fokus zu stellen – mit einer ent­sprechenden Strategie, mit einer digitalen Agenda gerade für den Mittelstand und mit einer Offensive in diesem Bereich. Da müssen die Infrastruktur und die Qualifikationen passen.

Noch ein Wort zu den EPUs: Sie sind natürlich keine KMUs – das stimmt schon –, aber immerhin stellen sie mehr als 50 Prozent der Wirtschaftskammermitglieder, und in vie­len Fällen sind sie eine Vorstufe von KMUs. Sie stehen für Innovation. (Bundesrat Pi­sec: Sie sind KMUs!) Ja, aber ihre größere Berücksichtigung oder das Erstellen eines EPU-Berichtes ist mit dem Argument abgelehnt worden, dass die durchschnittlichen Umsatzzahlen, die hier erreicht werden, das nicht rechtfertigen. (Bundesrat Pisec: Dann kennt sich das Ministerium nicht aus!) Wie gesagt, sie stellen in jedem Fall einen wich­tigen Innovationspool dar, schließlich beginnen ja viele Start-ups so.

Die EPUs sind im Mittelstandsbericht enthalten, die Zahl der ihnen gewidmeten Seiten ist aber geschrumpft – von 14 Seiten im letzten Bericht auf sieben Seiten im aktuellen Bericht. Das ist eine stiefmütterliche Behandlung dieses Bereichs und der Bedeutung dieses Bereichs nicht angemessen, ebenso wenig wie der Problematik, die es zweifels­ohne in diesem Bereich gibt.

Wenig bis gar nicht aussagekräftig ist der Bericht leider im Hinblick auf das Wirtschafts- und Investitionspaket. Es ist nicht wirklich ersichtlich, wie viel Geld in den diversen Pro­grammen eingesetzt wurde und mit welchem Effekt. Das heißt, für viele dieser Pro­gramme fehlen einfach die entsprechenden Zieldefinitionen, an denen dann auch ge­messen werden könnte, ob diese Ziele erreicht wurden. Die Vielfalt an Programmen und Maßnahmen, die es zum Beispiel im Bereich Arbeitsmarkt gibt – Fachkräftestipendium, arbeitsplatznahe Qualifizierung, FacharbeiterInnen-Intensivausbildung, KMU-Investitions­zuwachsprämie, Mitarbeiterkapitalbeteiligungsstiftungen, Forschungsprämie, Mittelstands­finanzierung, kommunales Investitionsprogramm, Kommunalfinanzierung –, wird zwar auf­gezeigt, es ist aber nicht wirklich ersichtlich, was effektiv ist, was diese Gelder wirklich bewirkt haben.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 82

Bedenklich ist schon, dass die Zahl der Gründungen sinkt. Auf der anderen Seite sinkt aber auch die Zahl der Schließungen. Es wird ja immer argumentiert, man hätte lieber weniger Gründungen, dafür aber weniger Schließungen. Trotzdem haben sich die bei­den Zahlen angenähert. Fakt ist: Die Zahl der Gründungen ist stärker gesunken als je­ne der Schließungen. Es gibt aber auch Länder in Europa mit hohen Gründerzahlen und trotzdem niedrigen Schließungszahlen, zum Beispiel die Niederlande. Vielleicht sollte man sich trotzdem noch einmal die Seite 9 des Regierungsprogramms durchlesen, auf der „Neue Gründerwelle auslösen“ als Überschrift steht, und sich anschauen, was davon verwirklicht worden ist – bedauerlicherweise sehr, sehr wenig. (Bundesrat Pisec: Die Steuern!)

Ich möchte mit einem sehr positiven Fall schließen – es sind in Österreich nach wie vor großartige Dinge möglich, und wir haben ein großartiges Potenzial an Menschen und auch an Unternehmungen –: 1983 wurde in Scharnstein ein Erfolgsunternehmen gegründet, nämlich die Grüne Erde – Scharnstein liegt ja bekanntlich mitten in der Pampa, also wirklich im ländlichen Gebiet –, das naturnahe Möbel, Textilien und Kosmetika erzeugt. Das Unternehmen erzielt inzwischen einen Jahresumsatz von 45 Millionen € und baut jetzt weiter aus: Auf 9 000 Quadratmetern wird ein neuer Produktionsstandort gebaut. Ak­tuell beschäftigt die Grüne Erde 420 Mitarbeiter und ist vielfach ausgezeichnet worden. Jetzt soll auch eine Besucherwelt errichtet werden, mit der 100 000 Menschen ins Alm­tal gelockt werden sollen.

Klaus Loenhart, der gleiche Architekt, der den tollen Österreichpavillon – den Breathe.Aus­tria – für die Expo in Mailand gebaut hat, wird auch für die Architektur der neuen Erleb­niswelt verantwortlich sein. Der Betrieb will bis 2019 CO2-neutral sein, es ist also ein sehr konsequenter Ökobetrieb – das geht so weit, dass dort zum Beispiel Parkplatzflä­chen nicht versiegelt werden.

Man sieht, es sind auch unter diesen Rahmenbedingungen großartige Dinge möglich, auf die wir, glaube ich, alle stolz sein können. Ich sage das, um jenen Menschen Mut zu machen, die investieren wollen, die etwas erreichen wollen und die sich weiterentwi­ckeln wollen. Es liegt aber natürlich an uns, ständig an den Rahmenbedingungen für die Unternehmen und die KMUs in diesem Land weiterzuarbeiten und zu feilen. – Dan­ke. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der ÖVP.)

13.19


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als vorläufig Letzter dazu ist Herr Bundesrat Mayer zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


13.19.35

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehr­ter Herr Präsident! Ich möchte ganz kurz etwas zum Entschließungsantrag der freiheit­lichen Kollegen sagen – Kollege Pisec und auch Frau Kollegin Reiter haben das The­ma schon angesprochen –: Selbstverständlich sind auch wir für die Abschaffung der kal­ten Progression, das ist ja ausreichend bekannt. Herr Bundesminister Schelling hat 2015 bereits ein diesbezügliches Programm und Modell vorgelegt. Auch im neu adaptierten Regierungsprogramm gibt es eine entsprechende Zuordnung, einen entsprechen­den Pas­sus. (Zwischenruf des Bunderates Längle.)

Wir sind uns schon im Klaren, dass das Wirtschaftsministerium nicht unbedingt das rich­tige Ministerium ist; das ist also eine falsche Zuordnung. Aber das Thema passt zum Steu­erbereich, da gebe ich meinen Vorrednern schon recht, die das bereits angesprochen haben. (Bundesrat Samt: Danke!)

Wie gesagt, wir sind auch für die Beseitigung der kalten Progression. Es gibt hiezu in der Regierung auch weitere Verhandlungen. Es ist auch so, dass im Schweizer Modell vorgesehen ist, dass es sich um eine periodische Anpassung handelt beziehungsweise periodisch ausgeglichen wird. Das bedeutet in weiterer Folge, dass sich das Parlament


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 83

auch immer wieder damit zu befassen hat. Deshalb ist für uns das Schweizer Modell nicht unbedingt das, das wir haben möchten, sondern wir sind für eine automatische In­flationsanpassung. (Bundesrat Pisec: ... den Plan, das umzusetzen!) Das ist zu bevor­zugen (neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Pisec), weil dann eine Anpassung auch rascher umsetzbar ist und somit die einhergehende Entlastung auch dauerhaft ist. (Zwi­schenrufe bei der FPÖ.) Das Schweizer Modell geht von einer periodischen Anpassung aus. Wir wollen ein österreichisches Modell und nicht das Schweizer Modell. (Zwischen­ruf des Bundesrates Pisec.) Wir hoffen, dass dies auch noch in dieser Legislaturpe­riode nach den Vorschlägen des Herrn Bundesministers Schelling beschlossen wird. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

13.21

13.21.46

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stim­menmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Pisec, Kolleginnen und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Abschaffung der kalten Progression zur Stärkung des Mittel­standes vor.

Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenminderheit. Der Antrag auf Fassung der gegen­ständlichen Entschließung ist daher abgelehnt.

13.22.345. Punkt

Bericht über die Lage der Tourismus- und Freizeitwirtschaft in Österreich 2016 (III-623-BR/2017 d.B. sowie 9816/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nun gelangen wir zum 5. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin zu diesem Punkt ist Frau Bundesrätin Hackl. Ich bitte um die Bericht­erstattung.

 


13.22.55

Berichterstatterin Marianne Hackl: Grüß Gott, Herr Minister! Ich erstatte den Bericht des Wirtschaftsausschusses über den Bericht über die Lage der Tourismus- und Frei­zeitwirtschaft in Österreich 2016 (III-623-BR/2017 d.B. sowie 9816/BR d.B.).

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, daher komme ich sogleich zur Antragsstel­lung.

Der Wirtschaftsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 20. Juni 2017 den An­trag, den Bericht über die Lage der Tourismus- und Freizeitwirtschaft in Österreich 2016 (III-623-BR/2017 d.B.) zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Längle. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


13.23.37

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Herr Vizepräsident! Geschätzte Da­men und Herren! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Wir ha-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 84

ben es gehört: In Verhandlung steht der Bericht über die Lage der Tourismus- und Frei­zeitwirtschaft in Österreich 2016. Gleich zu Beginn bedanke ich mich einmal ganz herz­lich bei all jenen Unternehmerinnen und Unternehmern, bei jenen Personen, die im Tou­rismusbereich beschäftigt sind, denn dort wird Hervorragendes geleistet.

Wenn man sich anschaut, wie viele Tausende Personen jährlich beziehungsweise tag­täglich – im Winter wie auch im Sommer – nach Österreich kommen und hier die Gast­freundschaft in Anspruch nehmen, im Winter Ski fahren, im Sommern wandern und auch anderen Tätigkeiten nachgehen, dann muss man deutlich unterstreichen, dass in Ös­terreich die Qualität und die Leistung sehr gut passen. Das ist vor allem dem Fleiß und dem Einsatz der vielen Personen, die in der Gastronomie, in der Hotellerie und in die­sen Bereichen tätig sind, zu verdanken. – Danke!

Außerdem ist es erfreulich, dass hier eine Zunahme zu verzeichnen war. Wir hatten 2016 rund 103 Millionen Nächtigungen, was einem Anstieg um rund 4,1 Prozent ent­spricht. Das ist erfreulich, das kommt der Wirtschaft zugute und das hilft uns allen. Tou­rismus und Wirtschaft gehören ja auch zusammen. Stellen wir uns Österreich ohne Tou­rismus vor, dann würde uns ein Bereich massiv fehlen, denn Österreich ist ein Touris­musland. Ohne Tourismus und ohne unsere tollen Skigebiete und andere Tourismus­angebote würden wir wirtschaftlich wesentlich schlechter dastehen. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang Westösterreich zu nennen, das doch einen großen Skitouris­mus anzubieten hat. Es gibt aber selbstverständlich auch viele andere schöne Re­gionen in Österreich. Zu nennen sind unter anderem die Wachau mit ihren Radfahrrou­ten und dem Radfahrtourismus, aber logischerweise auch Gebiete in Kärnten mit den vielen tollen Badeseen sowie andere Regionen wie das Burgenland mit dem Neusied­ler See und so weiter. (Bundesrat Mayer: Und der Bodensee?)

Ja, beim Stichwort Bodensee komme ich zu Vorarlberg. Was muss die Politik machen, um den Tourismus zu unterstützen, um die angesprochene Qualität und Leistung auf­rechtzuerhalten? – Unter anderem gibt es da schon auch Verbesserungsmöglichkeiten bezüglich der Verkehrssysteme. Wir alle kennen die Bilder, wenn Tausende von Urlau­bern in unser Land kommen oder dann wieder zurück nach Hause fahren: Es gibt dann immer wieder Staus und schlechte Verkehrssituationen. Gerade Vorarlberg zeichnet sich ja durch die schlechte politische Handhabe der schwarz-grünen Landesregierung aus, die es leider bis heute nicht geschafft hat, die Probleme an den Verkehrsknoten­punkten zu lösen. Zu nennen ist hier das Untere Rheintal, wo immer noch eine Entlas­tungsstraße fehlt. Darüber wird schon seit 50 Jahren diskutiert. Bis heute haben sie das nach wie vor nicht zustande gebracht. Zu nennen ist hier auch die Stadt Feldkirch. Dort ist es nämlich so, dass all jene, die von der Schweiz und von Liechtenstein kom­mend nach Österreich fahren, von der Autobahn runterfahren und durch die Stadt fah­ren müssen, und umgekehrt natürlich auch.

Vor circa zweieinhalb Jahren bin ich auch an dieser Stelle hier gestanden und habe über eine Artikel-15a-Vereinbarung gesprochen, bei der vonseiten des Bundes rund 40 Millionen € zugesagt wurden, um ein Tunnelprojekt in der Stadt Feldkirch zu finan­zieren, das eine wesentliche Verkehrsverbesserung gebracht hätte. Das ist immer noch nicht in Umsetzung. Das scheint diese schwarz-grüne Landesregierung auch nicht zu interessieren. Die vielen, vielen Leute, die täglich von dieser Situation betroffen sind, leiden darunter, und gerade zu den Stoßzeiten an Urlaubstagen ist die Situation beson­ders schlimm.

Das führt mich weiter in den Süden, wo es diese schwarz-grüne Landesregierung lei­der auch nicht geschafft hat, die Autobahnabfahrt Bludenz endlich neu zu gestalten und zu modernisieren. Dort stehen immer wieder am Beginn von Wochenenden, von Ur­laubszeiträumen Tausende Personen in Staus, weil man einen entsprechenden Über­gang von der Autobahn auf die Landesstraße nicht geschafft hat.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 85

Was ist noch im Zusammenhang mit dem Thema Tourismus zu sagen? – Tourismus schafft natürlich auch Arbeitsplätze. Es sind rund 210 000 Unselbständige in diesem Be­reich beschäftigt, davon haben circa 100 000 Personen nicht die österreichische Staats­bürgerschaft, sondern kommen aus dem Ausland. Diesbezüglich hatten wir einen An­stieg von 5,8 Prozent zu verzeichnen. Das ist grundsätzlich schon etwas bedenklich, gerade weil wir eine sehr hohe eigene Arbeitslosigkeit von weit über 400 000 Personen haben. Es wäre schon angebracht, hier Wege zu gehen, die die österreichischen Ar­beitnehmer einer Arbeit zuführen und den österreichischen Arbeitsmarkt vor einer Über­fremdung schützen, sehr geehrte Damen und Herren! (Präsidentin Ledl-Rossmann über­nimmt den Vorsitz.)

Weiters ist die Belastung der Tourismuswirtschaft als negativ anzuführen. Dabei spre­che ich jetzt die Beherbergung und den damit verbundenen Steuersatz an, dieser wur­de ja erst vor Kurzem auf 13 Prozent erhöht, vorher lag er bei 10 Prozent. Unsere frei­heitliche Meinung ist klar, nämlich dass man mit den 10 Prozent durchaus das Auslan­gen gefunden hätte und keine zusätzliche Steuerbelastung hätte schaffen müssen. (Bei­fall bei der FPÖ.)

Ein weiterer Bereich ist der Umweltschutz, denn Umweltschutz ist auch Heimatschutz. Für uns Freiheitliche ist die Heimat sehr wichtig. Es ist schon dafür Sorge zu tragen, dass wir mit unserer Umwelt schonend umgehen, denn wir haben nur eine Umwelt, und auf diese ist eben besonders zu achten. (Beifall bei FPÖ und Grünen sowie des Bun­desrates Novak.)

Abschließend darf ich noch eine sehr positive Gegebenheit erwähnen, und zwar das Burgenland betreffend. Dort funktioniert der Tourismus sehr gut. Aber wen wundert das? – Dort gibt es auch einen freiheitlichen Landesrat, Herrn Landesrat Petschnig, der dafür verantwortlich ist. Das Burgenland hat den höchsten Anstieg an Nächtigungen – ein Plus von 5,8 Prozent – zu verzeichnen. (Heiterkeit und Zwischenrufe bei Bundesräten der ÖVP.) Das ist etwas sehr Erfreuliches. Sie können gerne lachen, aber dort, wo die Freiheitlichen in der Regierung sind, funktioniert es eben. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

13.30


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster ist Herr Bundesrat Poglitsch zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


13.30.32

Bundesrat Christian Poglitsch (ÖVP, Kärnten)|: Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Christoph Längle, danke für deine durchwegs positiven Worte zum Tourismusbericht. Ich gebe dir absolut recht, wenn du sagst, unsere Unternehmen, vor allem die Familienbetriebe, sind es eigentlich, die diese Zahlen erwirtschaftet haben. Es sind die vielen kleinen Familienbetriebe, die im Tourismus tätig sind, mit ihren Mitarbeitern und – das sage ich ganz offen – mit den Fa­milienangehörigen. Diese Menschen kennen keine Fünftagewoche und keinen Achtstun­dentag. Wir wissen ganz genau, dass gerade die Familienbetriebe im Tourismusbereich Herausragendes leisten. Da gebe ich dir vollkommen recht, wenn wir hier ein herzliches Dankeschön sagen, denn diese Betriebe sind es, die diese eindrucksvollen Zahlen erwirt­schaftet haben. (Beifall bei der ÖVP.)

Wir hatten das erste Mal in der Geschichte des Tourismus in der Zweiten Republik mehr als 140 Millionen Nächtigungen. Diese Zahl hatten wir eigentlich erst für 2018 an­gestrebt, allerdings nun schon 2016 erreicht. Das heißt, die Politik rund um den Touris­mus kann nicht so schlecht funktionieren, andernfalls wären diese Zahlen nicht möglich gewesen. Auch bei den Beschäftigten haben wir einen Zuwachs von 2,6 Prozent ver­zeichnet, das ist höher als in allen anderen Branchen. Ein Beschäftigtenzuwachs von 2,6 Prozent ist sehr hoch. Auch bei den Umsatzzahlen verzeichneten wir ein Mehr von 4 Prozent im Tourismus. Das zeigt, die Tourismuswirtschaft funktioniert mit der Politik,


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 86

die in Österreich gemacht wird, daher möchte ich an dieser Stelle auch Reinhold Mit­terlehner ein Dankeschön sagen. Er ist nicht mehr Minister, aber er war es, der es er­möglicht hat, die Sozialversicherungspflicht für Familienmitglieder, die in den Betrieben mithelfen, zu lockern.

Ich sage Ihnen auch, warum das so wichtig ist: Das letzte Wochenende war ein verlän­gertes Wochenende. Da hat es am Donnerstag – gerade bei uns in Kärnten – extrem viele Anreisen gegeben. Das hat viele Gründe gehabt, unter anderem auch die geo­politische Lage – gar keine Frage! –, aber in Italien gab es Staus von 28 bis 30 Kilome­tern und unsere Betriebe waren alle voll. Der Faaker See hat geboomt, ganz Kärnten hat geboomt. Gerade in diesen Zeiten, in denen man nicht mit so vielen Gästen rech­net, weil die Hauptsaison noch nicht begonnen hat, brauchen wir unsere Familienmit­glieder, die einspringen können, die unterstützen können, die arbeiten können und hel­fen, diese Familienbetriebe aufrechtzuerhalten. Deswegen war dieser Punkt, diese Än­derung so extrem wichtig, und daher ein Dankeschön auch an Reinhold Mitterlehner. (Bei­fall bei der ÖVP.)

Wir wissen auch ganz genau, dass im Tourismus die Nahmärkte wieder total im Kom­men sind – Deutschland, Holland, der europäische Markt. Das soll uns aber nicht dazu verführen, die Strategie zu wechseln, was die Internationalisierung betrifft, denn auch die ist ganz, ganz wichtig. Der Markt ist mittlerweile weltweit. Wir wissen ganz genau, dass die Reisebranche gewaltig im Steigen ist und der Gast weltweit reist. Und da darf Österreich nicht nachhinken, nicht die Strategie wechseln und sagen: Wir stürzen uns nur auf die Naherholungsmärkte! – Klar, wo sollen die Europäer jetzt Urlaub machen? Wir wissen ganz genau, dass die politische Lage in vielen Urlaubsländern – ich brau­che nur die Türkei, Ägypten, Tunesien zu erwähnen – sehr schwierig ist. Mit der Fami­lie wird dort kaum jemand Urlaub machen, also boomt natürlich Österreich.

Auch das ist eine Art von Politik, nämlich Sicherheitspolitik, um uns als sicheres Ur­laubsland zu präsentieren. Das muss an dieser Stelle auch gesagt werden: Österreich ist ein sehr sicheres Urlaubsland, und gerade Familien mit Kindern schätzen das ge­waltig.

Aber auch unsere Umwelt ist entscheidend, und auch diesbezüglich ist in den letzten Jahrzehnten viel geschehen. Ich erinnere nur an die Kärntner Seen, in all diesen Ge­bieten erfolgte in den Siebziger-, Achtziger-, Neunzigerjahren die Kanalisierung. Heu­te – das muss man auch wissen – kann jeder bei uns in Kärnten in den Seen in Was­ser von Trinkwasserqualität baden. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Wo sonst auf der Welt oder in Europa hat man das, dass ein Kind, das in einen See springt – zum Beispiel in den Faaker See – und einen Schluck Wasser nimmt, normales Trinkwasser konsumiert? Das ist keine Selbstverständlichkeit, dafür haben die Betriebe sehr viel investiert, dafür hat die Politik – Bund und Land – sehr viel investiert. Da ist in den letz­ten Jahren in Österreich viel geschehen.

Auch bei den Investitionen ist in den letzten Jahren extrem viel gemacht worden, gera­de was die Qualität unserer Betriebe anlangt. Die Betriebe wissen ganz genau, dass sie im Drei-, Vier- und Fünfsternebereich überall Qualität bieten müssen und haben viel investiert. Auch die ÖHT hat unglaublich viel Geld ausgeschüttet und sich an einem In­vestitionsvolumen von 660 Millionen € mit beteiligt. Das ist auch keine Selbstverständ­lichkeit, dass da so viel Geld ausgeschüttet worden ist. Das sind aber bei Weitem nicht alle Investitionen, weil viele Tourismusbetriebe, vor allem Familienbetriebe, die Förde­rungen nicht abholen, sondern das aus Eigenkapital oder mit ihrer Hausbank normal fi­nanzieren, weil der Zinssatz niedrig ist, was uns in der Tourismuswirtschaft hilft.

Das, was ganz positiv auffällt, ist, dass wir auch bei der Entschuldungsdauer der Be­triebe mittlerweile bei einer erträglichen Dauer von zwölf, 13 Jahren angekommen sind.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 87

Das heißt, die Betriebe haben die Kraft, innerhalb von zwölf, 13 Jahren wieder neu zu investieren, neu in die Qualität zu investieren. Wir alle wissen, Tourismusbetriebe ohne entsprechende Ausstattung und Qualität haben auf dem Markt keine Chance.

Natürlich herrscht eine gewisse Euphorie, da in den letzten zehn Jahren stetig steigen­de Zahlen zu verzeichnen waren, aber es gibt noch genug Potenzial nach oben, was wir nicht vergessen sollten. Man muss allerdings die Tourismuswirtschaft, die Betriebe auch einmal machen lassen.

Ich rede da jetzt gar nicht von den Steuern – ich bin vollkommen deiner Meinung, wenn du sagst, die 13 Prozent haben uns belastet, gar keine Frage. Du hast aber auch ge­sagt, mit den freiheitlichen Tourismuslandesräten funktioniert es, dazu Folgendes: Ich er­innere mich daran, dass es vor zehn Jahren in Kärnten einen Landesrat gegeben hat, der für Tourismus zuständig war. Weißt du, was seine erste Tat war? – Er hat die Näch­tigungsabgabe, die dem Land zugutekommt, um 100 Prozent erhöht. Das war seine ers­te Handlung, die er gesetzt hat. Daraufhin sind die Nächtigungszahlen in Kärnten in den nächsten zwei, drei Jahren gesunken. Das muss man auch wissen. Das Ganze hat mit den Landesräten also nur begrenzt etwas zu tun. Es geht nicht darum, wer im Touris­mus zuständig ist, sondern es sind ausschließlich die Betriebe und die Familienbetrie­be, die den Tourismus gestalten – kein Landesrat, egal, ob der schwarz, rot oder gelb ist. Welche Farbe auch immer der zuständige Landesrat hat, es sind immer nur die Betrie­be, denen wir zu danken haben. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

Ich will hier nicht zu lange reden, der Tourismusbericht ist ein sehr, sehr positiver. Ich hoffe, dass es so weitergeht. Die ersten Zahlen, die wir jetzt im Juni haben, sind wirk­lich sehr gute Zahlen. Wir werden in den nächsten Jahren punkten, wenn wir weiter in Qualität investieren – und das machen unsere Betriebe.

Ein Punkt, der uns ein bisschen zum Nachdenken anregen sollte, ist die in den letzten Jahren kontinuierlich gesunkene Aufenthaltsdauer. Das heißt, der Mensch macht öfter, dafür aber kürzer Urlaub. Daran ist unser Angebot so anzupassen, dass wir ein kom­paktes Angebot für den Kurzurlauber haben. Das wird eine der wichtigsten Vorausset­zungen sein, denn die Zeiten, in denen früher Urlaube nur in ganzen Wochen gebucht wurden, sind schon lange vorbei, daher gehören neue Angebote geschnürt. Unsere Un­ternehmer haben darauf reagiert und sind dementsprechend sehr gut unterwegs.

Eines möchte ich zum Abschluss noch erwähnen, weil ich es wirklich spannend finde: Ich kann mich erinnern, wie viel Geld wir vor vielen Jahren in Marketing investiert ha­ben – auf Messen, für Zeitungsinserate, teilweise für TV-Spots. Heute werden fast 90 Pro­zent aller Buchungen nur mehr über das Internet gemacht und so kurzfristig, dass ein potenzieller Gast mittlerweile von unterwegs, wenn er zum Beispiel auf der Autobahn Richtung Kärnten unterwegs ist, eine Anfrage schickt, ob denn in zwei Stunden etwas frei wäre. Auf derartige Anfragen muss dann zeitgerecht reagiert werden.

Damit komme ich zu meiner Abschlussbotschaft, und zwar einem großen Danke an un­sere wirklich toll ausgebildeten MitarbeiterInnen in der Tourismusbranche, die auf der­artige Anfragen reagieren können und die mit derartigen Situationen umgehen können. Ihnen gebührt genauso unser Dank wie all jenen Familienbetrieben, die Österreichs Tou­rismus so weit gebracht haben. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

13.38


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster ist Herr Bundesrat Novak zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


13.39.01

Bundesrat Günther Novak (SPÖ, Kärnten): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bun­desminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Her-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 88

ren zu Hause! Kollege Poglitsch hat ein herzliches Dankeschön an alle Betriebe, die in der Freizeitwirtschaft, der Gastronomie und im Gastgewerbe tätig sind, ausgesprochen. Ich glaube, wenn man ihm zuhört, dann weiß man, wie ein Mensch lebt, der selbst zu Hause einen tollen Betrieb am Faaker See hat und qualitativ hochwertige Arbeit leistet. Da hat man seinen Enthusiasmus gespürt – das ist Österreich in der Tourismuswirtschaft, wie er leibt und lebt! (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Ich muss bei dieser Gelegenheit aber eine Frage an Kollegen Längle stellen. Ich habe mir das, was du gesagt hast, jetzt ganz genau angehört. Dieses Thema der Verkehrs­knoten, Landesräte und so weiter, Steuersatz, ja, das ist problematisch, das wissen wir alle, aber ich frage mich allen Ernstes: Warum stimmt ihr gegen diesen Bericht? Wa­rum stimmt ihr heute gegen diesen Bericht? Es war eine Kontrarede – warum stimmt ihr gegen diesen Bericht? (Bundesrat Jenewein: Weil es die in Zahlen gegossene Unfä­higkeit eurer Politik ist!)

Da solltet ihr noch einmal hier ans Rednerpult kommen und versuchen, das der öster­reichischen Tourismuswirtschaft zu erklären. Das müsst ihr der österreichischen Tou­rismuswirtschaft erklären, warum ihr gegen diesen Bericht stimmt, obwohl die Welt­meister sind, was Tourismus anlangt. (Bundesrat Jenewein: Weil es die in Zahlen gegos­sene Unfähigkeit eurer Politik ist!) – Weil die Straßen nicht gerichtet sind? – Das hat nichts mit der Tourismuswirtschaft zu tun! (Bundesrat Jenewein: Er hat es nicht verstanden!) – Haben wir schon verstanden! (Bundesrat Jenewein: Das ist die in Zahlen gegossene Poli­tik eurer Unfähigkeit! – Uh-Rufe bei SPÖ und ÖVP.) – Ja, gut. (Ironische Heiterkeit.)

Das ist eine Beleidigung, Herr Kollege, das ist eine Beleidigung gegenüber der gesam­ten österreichischen Tourismus- und Freizeitwirtschaft. Wie auch immer, es ist nicht er­klärbar, aber es ist so, wie es ist. Wir werden damit leben.

Ich möchte trotzdem noch ein paar Zahlen ansprechen. Kollege Poglitsch hat ja ohne­hin schon die 141 Millionen Nächtigungen erwähnt, das Thema ist schon oft genug in den Zeitungen gestanden. Wir sprechen auch von 41,5 Millionen Gästen und von einer Auf­enthaltsdauer pro Unterkunft von 3,4 Nächtigungen. Der Zuwachs bei den Nächtigun­gen im letzten Jahr betrug 4,2 Prozent.

Was auch wichtig ist: Wir reden immer von Nächtigungen, von der Entwicklung der Näch­tigungen und dem Plus im Nächtigungsbereich, aber wir müssen auch die Umsätze be­trachten. Dabei stellen wir fest, dass in diesem Bereich die Umsätze nominell um 4 Pro­zent, real aber um 1,7 Prozent gestiegen sind. Das ist ein wesentlicher Faktor: Nächti­gungen allein sind nicht alles, denn schlussendlich muss ja in der Brieftasche etwas üb­rig bleiben.

Die in diesem Bereich Beschäftigten sind auch schon angesprochen worden. Die Zahl der Beschäftigten hat sich auf etwa 208 000 erhöht. Dazu sollte man auch wissen, dass 57,4 Prozent davon Frauen sind. Etwa 99 000 von diesen circa 208 000 Beschäftigten sind Ausländer, das ist also ein wesentlicher Bereich, der sehr, sehr interessant ist.

Vielleicht noch einmal zu Kärnten: Kärnten hat 12,7 Millionen Nächtigungen. Ich kann mich erinnern, Christian Poglitsch, wir hatten einmal 19 Millionen Nächtigungen – aber da­mals war der Massentourismus ein sogenannter Verkäufermarkt, das muss man auch sagen. Heute haben wir einen Käufermarkt, also die Tatsachen sind andere. Wir haben jetzt jedoch einen qualitativ hochwertigen Tourismus, und so werden wir uns auch in Zu­kunft messen können.

Noch kurz zu einer Sache, die auch ganz interessant ist, und die, glaube ich, die schon erwähnte Situation mit den Investitionen aufzeigt: Es wurde die ÖHT-Fördersumme für Kärnten im vorigen Jahr von 60 Millionen auf 120 Millionen € erhöht. Daran sieht man zum einen, dass in Österreich die Verbindung für diese Tourismusförderung beispielge­bend ist, dass diese Tourismusförderung unternehmerfreundlich, praxisnah und unbü-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 89

rokratisch ist. Das muss man auch einmal dazusagen und ein Danke in diese Richtung aussprechen. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Der Tourismus in Kärnten bringt 2,3 Milliarden € pro Jahr für die heimische Gesamt­wirtschaft, und es sind immerhin 50 000 Menschen in diesem Bereich beschäftigt. Dann kommt noch eines dazu – ich komme ja aus einer Nationalparkregion in Kärnten, wo es im vorigen Jahr plus 2,3 Prozent bei den Nächtigungen gegeben hat; Herr Bundesmi­nister Rupprechter, der für die Nationalparks verantwortlich ist, sitzt ja hier –: Bei uns in Oberkärnten steht jeder dritte Arbeitsplatz direkt oder indirekt in Zusammenhang mit der Tourismuswirtschaft – also wir brauchen den Tourismus einfach. Wenn das nicht mehr funktionieren würde, dann hätten wir größte Probleme.

Ein paar Zahlen noch: Im letzten Jahr gab es in Österreich 41,5 Millionen Ankünfte, wie wir schon gesagt haben, 2006 waren es 30,1 Millionen, das heißt, wir haben um 38 Pro­zent zugelegt. Wie schaut es mit den Umsätzen im Tourismus aus? – Im Jahr 2005 gab es 9,9 Milliarden € Umsatz im Winter und 9,8 Milliarden € im Sommer, 2016 waren es 13,1 Milliarden € im Winter und 12,2 Milliarden € im Sommer.

Ich weiß nicht, wie weit Sie sich damit beschäftigen, aber es ist auch interessant, wo­her unsere Urlauber kommen, aus welchen Herkunftsmärkten. Schlussendlich hat sich Österreich bei der Herkunft der Urlauber mit 32 Prozent durchgesetzt, Deutschland liegt bei 31 Prozent. Alle anderen Staaten liegen zwischen 1 und 2 Prozent, angefangen bei Belgien, Holland, England mit 2 Prozent, und auch die Tschechische Republik, also die Oststaaten liegen ebenfalls in diesem Bereich.

Ich weiß nicht, ob jemand von Ihnen – außer den Herrschaften, die ganz hinten sitzen, Kollege Poglitsch – schon einmal auf der ITB war. (Ruf bei der SPÖ: Wie bitte?) – Auf der ITB, auf der größten Tourismusbörse der Welt. Dort sollten Sie einmal hinfahren und sich den Markt ansehen, was weltweit angeboten wird; dann steht man einmal mit offe­nem Mund da und schaut, was es da gibt. Dass sich Österreich dort als kleines Land durchsetzt – da muss man wirklich sagen, dass wir Tourismusweltmeister sind. Wenn man dort ist und durch die Hallen marschiert, durch diese 20 oder 30 Hallen, in denen die Länder ihre Angebote zeigen, dann weiß man, was Tourismus weltweit bedeutet.

Kommen wir zum Marketing, das bereits Christian Poglitsch angesprochen hat, zu dem Marketingmix, zur Österreich Werbung. Ich war vor fünf Jahren in diesem Bereich be­schäftigt, da haben wir im Marketingmix circa 10 oder 15 Prozent der Mittel für Internet­marketing verwendet. Nun hat die Chefin der Österreich Werbung gesagt, dass derzeit bereits mehr als 50 Prozent der Marketingmaßnahmen digital sind.

Auch im Tourismus ist die Digitalisierung angekommen, etwa in Form von WLAN-Ver­fügbarkeit. Wenn ich in meinem Hotel keinen WLAN-Zugang habe, dann geht der Gast wieder bei der Tür hinaus. Wenn ich kein Internetmarketing betreibe und keine Website habe und wenn ich Anfragen nicht innerhalb von wenigen Minuten beantworte, dann hat sich diese ein anderer gekrallt, auf gut Deutsch gesagt. Das sollte man auch beden­ken, dass es in diesem Bereich sehr viele Änderungen gibt.

Zwei Sätze noch: Wo viel Licht ist, ist auch Schatten, das muss man auch dazusagen – aber das ist alles bewältigbar. Es gibt da einen Bericht, in dem Frau Michaela Reitterer als Chefin der Hoteliervereinigung sagt: „Ein Viertel der heimischen Betriebe kämpft ums Überleben.“ – Das hat sicherlich mit Dingen wie der Steuersituation, der Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 13 Prozent, dem Nichtraucherschutz, der Allergenverordnung und der Registrierkasse zu tun, wie auch immer.

Es sind die Umsätze in der Hotellerie von 2010 bis 2015 erfreulicherweise um 27 Pro­zent gestiegen – die Kosten jedoch sind um 29 Prozent, die Mitarbeiterkosten um 32 Pro­zent, gestiegen. Jene Betriebe, die sich nicht hundertprozentig auf den Markt ausge­richtet haben, die nicht ein Angebot haben, das die anderen nicht bieten, haben in der Zukunft sicher Probleme. Das gilt es dann auch in weiterer Folge zu regeln.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 90

Im Zusammenhang mit der Personalnot – ich sehe, dass das rote Lämpchen schon leuch­tet – möchte ich trotzdem die Lehrlinge noch anführen. Warum ist es so, dass die Lehr­lingszahl von etwa 14 500 auf etwa 9 000 gesunken ist? Wir haben es im Ausschuss besprochen, es gibt viele Programme, keine Frage: über die Wirtschaftskammer, über die Hoteliervereinigung. Ist die Attraktivität im Tourismus nicht gegeben, weil diese Zahl so stark zurückgeht, oder was ist dort passiert?

14 000 Köche fehlen zum Beispiel in diesem Bereich, das war die Meldung für die Win­tersaison, vor Weihnachten. Wie das schlussendlich gelöst worden ist, weiß ich nicht – aber einige Betriebe mussten einfach den À-la-carte-Bereich schließen.

Was ich damit sagen will: Wir brauchen auch eine Qualitätsoffensive für die Arbeit im Tourismusbereich. So wie es eine Qualitätsoffensive gibt, was die Hardware anlangt, brauchen wir auch eine für die Software: für die Mitarbeiter in den Betrieben.

Abschließend noch ein Blick in die Zukunft: Um den heurigen Winter geht es in diesem Bericht nicht, aber da gab es einen Rückgang in den Top-Skigebieten. Hat das viel­leicht damit zu tun, dass wir zu wenig Schnee haben, dass die Speicherteiche und der Maschinenschnee einfach nicht mehr ausreichend dafür sind?

Erinnern Sie sich an die Piefke-Saga vor 30 Jahren – ich weiß nicht, wer sie gesehen hat –, das war damals eigentlich ein Skandal. In der vierten Folge, ich kann mich noch erinnern, war die eine Seite grün und man hat Sommertourismus betrieben und auf der anderen Seite sind die Schneebänder hinuntergegangen. Das ist 30 Jahre her – jetzt sind wir dort angelangt! (Bundesrätin Junker: Das tun wir noch nicht!) – Nein, das war visionär in diese Richtung gebracht.

Diese Bänder heuer im Winter – das ist uns ja wohl bekannt. Ich muss sagen, Hut ab vor allen Liftbetreibern, die viel Geld einsetzen müssen, damit Skifahren für unsere Gäs­te möglich ist. (Präsidentin Ledl-Rossmann gibt das Glockenzeichen.)

Die direkte Wertschöpfung des Tourismus beläuft sich auf 5,6 Prozent des BIPs, so wich­tig ist das.

Einen Satz noch, denn über einige Dinge sollten wir uns Gedanken machen: über den Klimawandel – der wird im Tourismus ankommen, wie auch immer –, über die Terrorsi­tuation, das wissen wir auch, und über den Brexit. 2016 gab es weltweit 1,23 Milliarden Touristenankünfte, bis 2030 werden es 1,8 Milliarden sein, und Österreich wird auch in Zukunft top mit dabei sein. – Danke. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

13.51


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zur Geschäftsordnung hat sich Herr Bundesrat Lindner gemeldet. – Bitte.

*****

 


13.51.09

Bundesrat Mario Lindner (SPÖ, Steiermark) (zur Geschäftsbehandlung): Sehr geehr­te Frau Präsidentin! Nach § 71 der Geschäftsordnung ersuche ich Sie, für die Aussa­gen des Kollegen Jenewein nach § 70 einen Ordnungsruf zu erteilen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Jenewein: Welche Aussagen wären das gewesen?)

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Auf welche Aussage bezieht sich das?

 


Bundesrat Mario Lindner (fortsetzend): Auf die Aussage: Ihr seid ja unfähig.

13.51


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Da wir das Thema mit dem Ordnungsruf heute schon hatten, darf ich an dieser Stelle die Bitte äußern, sich mit manchen Aussagen


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 91

oder Zwischenrufen etwas zu mäßigen und zurückzunehmen. Ich wäre nämlich sehr ver­bunden, wenn meine letzte Sitzung nicht gerade die Sitzung sämtlicher Ordnungsrufe wird.

*****

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Schreyer. – Bitte.

 


13.52.00

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Mi­nister Rupprechter! Sehr geehrte Damen und Herren, hier und zu Hause! Zuerst einmal freue ich mich sehr über diesen sehr gut gemachten und informativen Bericht, und ich möchte mich dafür bei den VerfasserInnen recht herzlich bedanken. Wir stimmen dem Bericht natürlich auch zu.

Zu den Inhalten und Statistiken ist schon von meinen VorrednerInnen so viel gesagt worden, das möchte ich gar nicht lange wiederholen. Ich lasse das so stehen und freue mich, dass wir prinzipiell so gut dastehen und dass wir uns in Österreich über so große Zuwächse im Tourismusbereich freuen dürfen.

Eine meiner allerersten Reden hier im Bundesrat im Jahr 2013 war zum Tourismusbe­richt 2012. Ich habe mich damals besonders gefreut, dass das Titelbild eine Aufnahme vom Wilden Kaiser in Tirol gewesen ist, eben weil Berge und Natur so typisch für den Tourismus in Österreich sind. Ich habe den diesjährigen Bericht mitgenommen und hal­te ihn ganz kurz in die Kamera, damit man ihn sieht. (Die Rednerin hält den erwähnten Bericht in die Höhe.)

Auch beim Bericht über die Lage der Tourismus- und Freizeitwirtschaft in Österreich 2016 sind drei von den vier Fotos auf der Titelseite Naturfotos: vom Mountainbiken im Hoch­gebirge, ein Skifoto, eines an der Donau in Oberösterreich, an der Schlögener Schlinge, und der Kaiserpavillon in Schönbrunn hat es auch noch hinaufgeschafft, ist aber auch ein Foto im Grünen. Österreich wirbt also ganz, ganz stark mit der schönen Natur, mit der schönen Landschaft. (Bundesrat Schennach: Ist das schlimm?)

Neben den Städten und dem Städtetourismus, die große Zuwächse verzeichnen, ist vor allem die landschaftliche Schönheit eines der großen USPs von Österreich. Der Um­welt- und Naturschutz ist also nicht der natürliche Feind des Tourismus, wie es von ei­nigen Seiten oft gesehen wird, sondern vielmehr der Garant für einen nachhaltigen und vorausschauenden Tourismus, damit in Österreich noch sehr viele Generationen davon profitieren können.

Nicht umsonst haben, wie im Bericht ersichtlich, neben Wien und dem Städtetourismus vor allem die Sport- und Naturregionen stark zugelegt: zum Beispiel der Nationalpark Hohe Tauern plus 5 Prozent, das Salzkammergut um 5,5 Prozent. Da sind wir wirklich stark hi­naufgegangen, aber gerade da müssen wir besonders gut aufpassen, dass uns das auch erhalten bleibt.

Es freut mich ganz besonders, dass Herr Minister Rupprechter hier ist, denn Punkte dafür wären zum Beispiel eine besonders gute Naturschutz- und Umweltschutzgesetz­gebung durch eine vorausschauende, ressourcenschonende Raumordnung. Dass der Flächenverbrauch in Österreich derzeit sechsmal so hoch wie der Zielwert ist, wissen wir ohnehin: Wir verbrauchen im Moment 16,1 Hektar pro Tag statt dem Zielwert von 2,5. Wir verbauen uns eigentlich im wahrsten Sinne des Wortes die Zukunft des Tourismus. Daran müssen wir wirklich arbeiten, dass wir uns da verbessern und nicht unsere Land­schaft zubauen.

Zu diesen Herausforderungen steht aber leider gar nichts im Bericht, zum Beispiel zum Thema Nachhaltigkeit. Es gibt eine halbe Spalte über nachhaltige Entwicklungsziele, in


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 92

der die globalen Nachhaltigkeitsziele für den Tourismus angesprochen werden. Es gibt auf der Homepage des Wirtschaftsministeriums einen Online-Folder, der zugegebener­maßen relativ gut ist, der vor allem eine Zitate- und Linkssammlung ist – der ist aber dort so gut versteckt, ich glaube, außer mir haben sich das noch nicht besonders viele Leu­te angeschaut. Da würde man jedoch sehr viele Informationen bekommen.

Was in der Auswirkung den Tourismus sehr stark betrifft, sind der Klimaschutz und der Klimawandel, und diese kommen im Bericht gar nicht vor. Es kommt das Wort Klima im kompletten Bericht einmal vor – weil wir uns darüber freuen, dass am See jetzt ein biss­chen mehr los ist.

Ich möchte ganz kurz die UNWTO zitieren, also die World Tourism Organisation: „Tou­rismus trägt zum Klimawandel bei und wird von ihm beeinträchtigt. Es ist somit im In­teresse der Branche, bei der globalen Antwort auf den Klimawandel eine führende Rol­le zu spielen. Durch die Senkung des Energieverbrauchs und die Umstellung auf er­neuerbare Energiequellen insbesondere im Transport- und Beherbergungssektor kann der Tourismus dazu beitragen, eine der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen.“

Der Tourismussektor verursacht 5 Prozent der globalen Treibhausgase, wobei eben die Anreise, also Flüge und so weiter, mit rund 75 Prozent den überwiegenden Teil ausma­chen. Um eine Minimierung dieses Anteils zu erreichen, sollen die Investitionsmittel in der Tourismusförderung speziell im Mobilitätsbereich und speziell für zukunftsträchtige nachhaltige Maßnahmen sichergestellt werden.

Es gibt einige Projekte dazu, auch in Österreich, aber das sind bis jetzt eigentlich nur Leuchtturmprojekte. Es wäre schon lange an der Zeit, dass wir mehr in die Fläche ge­hen, dass man eben Projekte zur Mobilität vor Ort in den Tourismusgebieten öster­reichweit ausbreitet, aber da geht leider gar nichts.

Es gibt eine tolle Studie vom Wissenschaftsministerium, die schon vier Jahre alt ist, mit dem Titel „Klimawandel und Tourismus in Österreich 2030“. Da stehen irrsinnig viele Vor­schläge drin: zur Angebotsentwicklung, für Innovationen im Tourismus, vor allem aber auch in Bezug auf den Wintertourismus. Was mit diesen Anregungen und seitenweisen Vorschlägen, die man umsetzen kann, dann aber geschieht, was umgesetzt wird, wel­che Erfolge und Trends es gibt, das unterschlägt der Bericht.

Es wird auch nicht evaluiert, was gut gelaufen ist, was Best-Practice-Beispiele wären. Wir müssen jetzt mehr tun, damit wir dann nicht überrascht werden, dass der Klima­wandel plötzlich da ist, und wir da stehen und nicht wissen, was mit dem Tourismus in Österreich zu tun ist. Dass wir im Bereich Klimaschutz noch viel zu tun haben, muss ich Ihnen aber ohnehin nicht erzählen, Herr Minister.

So viel zu den ökologischen und den Klimaschutz betreffenden Anmerkungen von un­serer Seite. Es ist schon sehr viel dazu gesagt worden, dass es ein wirklich großes Plus bei den Nächtigungen gibt, aber die Bedingungen für die TouristikerInnen und für die Be­herbergungsbetriebe sind sehr schwierig. Wenn man es genau betrachtet: Die Nächti­gungszahlen gehen hinauf – es sind die Mittel der letzten 17 Jahre drin –, die Umsätze gehen aber nicht mit. Meistens stagnieren die Umsätze, während die Nächtigungszah­len hinaufgehen – es wird wirklich schwierig für die Betriebe im Tourismus, da mitzu­halten.

Wir haben im Nationalrat drei Entschließungsanträge eingebracht, die dem Tourismus sehr zugutekommen und ihn wirklich entlasten würden: zum Beispiel die Änderung des Umsatzsteuergesetzes, dass eben die Steuer für Nächtigungen wieder von 13 auf 10 Pro­zent zurückgenommen wird. Die Konkurrenzfähigkeit und Investitionsfähigkeit der hei­mischen Tourismuswirtschaft muss wieder gestärkt werden.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 93

Eine Anhebung des jährlichen Mitgliedsbeitrages des Bundes zur Österreich Werbung soll erfolgen: Der Bund zahlt Mitgliedsbeiträge, und diese sind in 15 Jahren kein einzi­ges Mal angehoben worden. Wenn man die jetzt valorisieren und inflationsbereinigen würde, müsste man eigentlich 30 Prozent mehr für die Österreich Werbung einzahlen.

Ein weiteres Beispiel ist die Fortführung der Bundesförderung für die alpinen Hütten und Wege, denn wir müssen den Touristen auch etwas bieten, wo sie sich bewegen können.

All diese Anträge sind leider abgelehnt worden, aber wenn so viele Einsparungen ge­plant sind, sind Erleichterungen für die Tourismuswirtschaft wohl auch nicht mehr drin.

Ich freue mich schon auf den nächsten Tourismusbericht und hoffe, wir sind weiterhin so positiv. Wir werden dem Bericht sehr gerne zustimmen. – Danke schön. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

13.59


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Koller. – Bitte.

 


14.00.02

Bundesrat Hubert Koller, MA (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren zu Hause vor den Fernsehapparaten! Da ich selbst zehn Jahre einen Gastronomiebetrieb geführt habe und Tourismusobmann auf regionaler und kleinregionaler Ebene war und sehr stolz auf die Gegend des Schilcherlandes, des südsteirischen Weinlandes und der Lipizza­nerheimat bin, möchte ich zu diesem Erfolgsbericht natürlich auch einige Worte sagen.

Es ist tatsächlich ein Erfolgsbericht und – wie wir heute schon von den Vorrednerinnen und Vorrednern gehört haben – vor allem ein deutliches Zeichen der guten Arbeit un­serer Unternehmerinnen und Unternehmer sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in diesem Bereich tätig sind.

Direkte und indirekte Wertschöpfung und Beschäftigungseffekte finden wir in diesem Gebiet, deshalb ist diese Wertschöpfung auch nicht so klar abgrenzbar. Wir haben heute schon gehört: 5,6 Prozent des BIP macht die direkte Wertschöpfung des Tourismus aus, aber mit der indirekten Leistung ist sie wesentlich höher, nämlich 16 Prozent. 47 000 Betriebe, Unternehmerinnen und Unternehmer mit 208 000 MitarbeiterInnen sor­gen für diesen reibungslosen Ablauf.

Wir haben heute hier schon Danke gesagt, aber Danke gilt es auch, den Gemeinden zu sagen, die Infrastruktur zur Verfügung stellen, die Freizeitanlagen und ‑einrichtun­gen aufbauen, mitunter auch betreiben und in die auch sehr viel Geld hineinfließt.

Dazu möchte ich eines sagen: Die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 10 auf 13 Pro­zent ist natürlich ein Thema, aber wie wir im Erfolgsbericht sehen, sind die Nächtigungs­zahlen deshalb nicht zurückgegangen. Das heißt, man hat dieses Geld lukrieren kön­nen, und es kommt ja über Umwege wieder den Gemeinden und anderen Organisatio­nen zugute.

In der Steiermark haben wir über das Tourismusgesetz alle Beteiligten eingebunden; ich weiß nicht, ob das in den anderen Bundesländern auch so ist. Die Tourismusabga­be zahlen bei uns wirklich alle Betriebe, je nach Wichtigkeit und Nähe zum Tourismus entsprechend mehr. Das ist, glaube ich, auch wichtig und richtig, denn viele andere, kleinere Betriebe ziehen Nutzen aus der Freizeitwirtschaft. Ob es der Friseurladen ist, ob es der Tischler ist, ob es der Spengler ist: Man sieht in allen Bereichen, dass der Tou­rismus da hineinwirkt. Man muss diesen Betrieben, diesen Klein- und Mittelbetrieben, die daran partizipieren, auch Danke sagen.

Man muss aber vor allem auch den Bauern und den Bäuerinnen Danke sagen, die die Landschaft pflegen, denn ohne eine schöne Landschaft kann man Tourismus nur sehr, sehr schwer verkaufen.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 94

Schlussendlich muss man auch den Vereinen danken: Wir dürfen nicht vergessen, dass viele Veranstaltungen, alles, was damit zusammenhängt, über Vereine organisiert wer­den. Die Beteiligten machen das oft in freiwilliger Leistung, und das kommt natürlich auch dem Gast zugute, nicht nur uns als Bevölkerung.

Im Bericht steht auch, dass mit dieser direkten und indirekten Wertschöpfung bereits jeder fünfte Arbeitsplatz aus der Tourismus- und Freizeitwirtschaft kommt. Wir haben die Zahlen schon gehört, darauf möchte ich nicht näher eingehen, zum Faktor Arbeit mit 208 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern möchte ich aber doch noch etwas sagen.

Wir haben schon gehört, dass 100 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus EU- bezie­hungsweise anderen Ländern kommen – das ist eine weitere Steigerung. Ein hoher Frauenanteil ist ebenfalls zu vermerken. Wir haben auch herausgelesen, dass 19 Pro­zent der unselbständig Beschäftigten unter 25 Jahre alt sind: Man merkt also, man ist in jungen Jahren noch beweglich, nimmt noch Strecken in Kauf und arbeitet in der Sai­son mehrere Monate irgendwo anders. Was jedoch auch deutlich aus dem Bericht her­vorgeht: Rund 60 000 Personen – das sind immerhin 59 Prozent mehr – sind geringfü­gig beschäftigt. Das sollte uns schon zu denken geben, denn das ist keine Beschäfti­gungsform, die auf Dauer gesehen für die Familien, für die Arbeitnehmerinnen und Ar­beitnehmer zuträglich ist.

Wir haben zwar eine Zunahme der Beschäftigten, aber zugleich eine hohe, jedoch rück­läufige Arbeitslosenquote. Das ist auch logisch zu erklären, aber im Gegensatz zu den anderen Branchen, in denen eine Gesamtregisterquote von 9,1 Prozent errechnet wur­de, gab es im Beherbergungs- und Gaststättenwesen eine Arbeitslosenregisterquote von 17,7 Prozent – das ist auch zu bedenken.

Die Vorredner haben gesagt: Wir haben die beste Ausbildung in dieser Branche! – Wa­rum dann so viele Absolventen der Schule nicht in dieser Branche landen, sollte uns schon zu denken geben. Wir haben also noch Arbeit vor uns, aber bei jedem Erfolg gibt es noch immer etwas zu verbessern. Vielleicht ist der Verdienst der Grund, warum die­se Branche nicht so bedient wird, oder vielleicht ist es auch die schwierigere Vereinbar­keit von Familie und Beruf, eben in Anbetracht der Entfernung.

In anderen Ländern gibt es andere Probleme, und deshalb ist es schon richtig, dass die Grünen immer darauf hinweisen, dass man auch auf die Ökologie schaut und fragt, wie die Betriebe das umsetzen. Man merkt jedoch: Wenn Bund, Land und Gemeinden Initiativen setzen, springen die Betriebe sofort auf und sind mit dabei, angefangen bei Müllvermeidung bis zu Photovoltaik und anderen Dingen.

Es steht auch in der Zeitung: In Rom, Venedig und Florenz hat man bereits Schwie­rigkeiten mit dem Massentourismus. Der Städtetourismus hat ja laut Bericht keinen so starken Zuwachs wie in den vergangenen Jahren gehabt. Da lachen wir im ländlichen Bereich dann wieder: Da ist der Tourismus stärker gewachsen als im städtischen Be­reich, also der Zuwachs war noch stärker, und das freut uns sehr.

Man sieht jedoch auch: Das sichere Land zieht, die geopolitische Lage hat uns mehr Gäste gebracht. Darauf dürfen wir uns aber nicht ausruhen, das wird nicht immer so sein – wir hoffen sogar, dass es nicht immer so ist. Man sieht jedoch, dass die Men­schen doch lieber wieder weiter aus den Ballungszentren, aus dem urbanen Raum hi­nausgehen, dorthin, wo eben die Masse nicht so geschlossen auftritt.

Die Nahmärkte sind im Aufwind, das wurde bereits gesagt. Weil das Burgenland er­wähnt worden ist: Die Steiermark war nach dem Burgenland das zweitstärkste Land, was den Zuwachs betrifft. Es freut mich natürlich sehr, dass man da Marktanteile ge­winnen konnte. Mit dazu beigetragen haben natürlich die Förderungen und Investitio­nen, die auch vom Staat ausgehen, aber auch Gesetzesänderungen, die Gott sei Dank


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 95

wieder erlauben, dass Verwandte, Eltern, Großeltern, Geschwister, Kinder und so wei­ter in den Betrieben mitarbeiten dürfen.

Der Konsum verteilt sich sehr ausgewogen zwischen Beherbergung und Gastronomie mit jeweils etwa 28 Prozent. Dem ehemaligen Vizekanzler Mitterlehner sei gedankt, er hat das sehr treffend in diesem Bericht formuliert: „gemeinsam am Ausbau des Ange­bots und der Wettbewerbsfähigkeit der Tourismusbranche“ muss weitergearbeitet werden.

Insgesamt ist es auch ein positiver Ausblick auf das heurige Jahr und auf die nächsten Jahre. Der Kollege aus Kärnten, Günther Novak, hat es sehr treffend gesagt: 2030 wer­den 1,8 Milliarden Menschen weltweit als Urlaubsgäste erwartet – da haben wir schon noch Potenzial, uns daran zu beteiligen. Für die österreichische Wirtschaft ist das aus­gezeichnet. Vielen Dank allen, die daran beteiligt sind, und auch dem Ministerium für den tollen Bericht. Wir werden natürlich zustimmen. – Danke. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

14.08


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­minister Rupprechter. – Bitte.

 


14.08.18

Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Bundesrätinnen und Bundesräte! Es ist mir eine außerordentliche Freude, heute den Kollegen Mahrer zu diesem Bericht vertreten zu dürfen, gerade als Tiroler. Die Frau Präsidentin weiß das: Tirol ist Tourismusland Nummer eins in unserem lebenswerten Österreich.

Der Tourismusbereich ist eine sehr wichtige, eine sehr zukunftsgerichtete Branche, und ich bin sehr froh über die Entwicklung, der Bericht ist erfreulich. In allen maßgeblichen Debattenbeiträgen sind die Zahlen bereits genannt worden, die brauche ich nicht zu wiederholen. Es ist schon erfreulich, dass wir sowohl beim Umsatz als auch bei der Be­schäftigung und vor allem auch bei der Investitionsbereitschaft sehr positive Werte ha­ben. Wenn wir sehen, dass es etwa ein Plus von 54 Prozent beim bewilligten Kreditvo­lumen gibt, zeigt das schon, dass sich der Trend verfestigt, nicht nur kurzfristige Be­reitschaft für Investitionen zu zeigen, sondern dass dies auch längerfristig geht. Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung.

Auch das bereits Gesagte, dass vor allem die Nahmärkte boomen, ist sehr richtig. Da wird auch die durchaus krisenhafte Situation in einigen Regionen der Welt deutlich, die dazu beiträgt, dass der Ruf Österreichs als sichere Destination an Bedeutung gewinnt. Gerade bei Gästen aus Deutschland oder den Niederlanden – den beiden am stärks­ten wachsenden Nahmärkten mit mehr als 7 Prozent im Jahr 2016 – zeigt sich, dass sich das bewahrheitet. Umso mehr ist es notwendig, dass wir auch in Zukunft in unsere Si­cherheit investieren.

Man darf aber – auch das wurde richtig gesagt – jetzt hier nicht den Fokus verändern, die Internationalisierungsstrategie ist nach wie vor eine richtige, wenn wir uns etwa den chinesischen Markt anschauen. Wir haben erstmals eine Million Nächtigungen über­schritten, das ist schon erfreulich. Auch erfreulich ist, dass es wieder eine Trendwende bei den russischen Gästen gibt. 2014 gab es einen starken Einbruch, nun gibt es doch wieder ein Plus von 10 Prozent im Oktober 2016, im November ein Plus von 10 Pro­zent und auch von Jänner bis April 2017 ein Plus von 12 Prozent. Es ist erfreulich, dass diese Stabilisierung jetzt wieder eintritt und gerade auch bei unseren russischen Gäs­ten neue Impulse gesetzt werden.

Auch der Rückblick auf die Wintersaison 2016/2017 ist durchaus erfreulich, man konn­te trotz einer relativ schwierigen Ausgangslage im heurigen Winter mit sehr herausfor-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 96

dernden Eckpunkten – ungünstigen Feiertagen rund um Weihnachten, einem kürzeren Februar, Ferienüberschneidungen in Deutschland und den Niederlanden – ein Plus er­zielen. Ein führender Touristiker in meiner Heimatregion hat gesagt, da hat sich die Spreu vom Weizen getrennt, und das stimmt sicherlich. Die, die in die richtige Richtung inves­tiert haben, in Qualität investiert haben, haben sich durchgesetzt. Es sind auch unsere Unternehmerinnen und Unternehmer, denen wir diesen positiven Bericht zu verdanken haben.

Ich möchte ganz kurz auf die Frau Bundesrätin aus meiner Heimatregion replizieren: Es ist abgesehen vom Städtetourismus vor allem die Kulturlandschaft, die von unseren Bäuerinnen und Bauern mit täglicher Arbeit gepflegt wird, die über Jahrhunderte durch Bewirtschaftung erhalten wird, die dieses schöne, großartige Bild abgibt, weshalb eben so viele Gäste zu uns nach Österreich, in dieses lebenswerte Land kommen.

Es sind natürlich vor allem auch – ich glaube, diese Verknüpfung müssen wir noch viel stärker auch in der Kooperation durchsetzen – unsere Kulinarik und die großartige Qua­lität unserer Lebensmittel und eben auch das kulturelle und kulinarische Erbe, das wir in Österreich haben, das wir noch viel stärker auch gemeinsam vermarkten müssen. Da haben wir auch schon erste Initiativen mit dem Kollegen Mahrer gesetzt.

Der Ausblick ist durchaus positiv, der Tourismus wird weiter wachsen, vor allem im Qua­litätssegment. Die Investitionsbereitschaft, alle Daten, auch der ÖHT, zeigen weiter nach oben, und es ist durchaus eine positive Entwicklung, die sich da abzeichnet.

Auch die Frage des Klimaschutzes ist übrigens eine sehr positive. Ich habe heute noch die Auszeichnung von klimaaktiv-Teilnehmern, der Klimaschutzinitiative meines Res­sorts, im Rahmen derer wir gerade Unternehmerinnen und Unternehmer auch aus der Touristikbranche auszeichnen, weil sie ganz besondere Anstrengungen unternehmen. Das unterscheidet uns halt jetzt auch in der Politik: Ihr seid mehr eine Gebots- und Ver­botspartei, wir arbeiten mit Begeisterung, denn Klimaschutz kann auch Freude und Spaß machen, wenn man richtig ansetzt. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundes­räten der SPÖ.)

14.13


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Vielen Dank, Herr Bundesminister.

Zu Wort gelangt nun Herr Bundesrat Jenewein. – Bitte. (Bundesrat Schennach: Der Tou­rismusspezialist!)

 


14.13.59

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein, MA (FPÖ, Wien): Ja, der Herr Spezialist für alles und jedes meldet sich auch gerade wieder!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Vonseiten der SPÖ wurde gefragt, warum wir diesen Bericht ablehnen und warum wir diesem Bericht keine posi­tive Zustimmung geben. Ein Bericht spiegelt natürlich auch immer die Politik wider, die in einem Ressort gemacht wird, das ist ja an sich eine Binsenweisheit. So gesehen kann ich den Bericht natürlich nicht als reine Ansammlung von Papieren an sich bewerten, son­dern muss immer auch die politischen und inhaltlichen Initiativen, die im zuständigen Ressort gesetzt wurden, miteinbeziehen. Und da gibt es natürlich einiges, was uns in der gesamten letzten Gesetzgebungsperiode gar nicht gefallen hat.

Ich möchte Ihre Frage beantworten und gehe dann schon auch darauf ein, was da noch gekommen ist: Es wurde zum Beispiel die Mehrwertsteuer von 10 auf 13 Prozent bei den Nächtigungen erhöht. Da kann man natürlich sagen: Ja, der Staat braucht Geld, al­les wird teurer, selbstverständlich, eine Notwendigkeit, dass hier eine Anpassung nach oben passiert. – Interessant ist halt, dass Anpassungen immer nach oben passieren.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 97

Ich kann mich in den letzten vier Jahren nicht daran erinnern, dass wir hier irgendwann einmal die Initiative gehabt haben, dass wir gesagt haben: So, da setzen wir jetzt die Mehrwertsteuer nach unten, da nehmen wir uns jetzt zurück. – Nein, das passiert nicht! (Bundesrat Pfister: 5 Milliarden Steuererleichterungen!)

Das Nächste: Die Abschreibungsdauer für Gebäudeinvestitionen wurde auf 40 Jahre er­höht. Überlegen wir uns einmal, was das auch für einen Touristiker bedeutet! Das sind natürlich nicht unbedingt die Dinge, die bei uns hier großen Jubel auslösen.

Schauen wir uns dann an, was im zuständigen Ausschuss passiert ist: Da gab es in den gesamten vier Jahren 28 Initiativen, zwölf von der FPÖ, fünf von den Grünen, zwei von NEOS, drei vom Team Stronach, sechs kamen von SPÖ und ÖVP. Mir wäre neu, dass da jetzt die große Wahrnehmung der Ernsthaftigkeit dahinter ist. 42 Prozent aller Initiativen sind von der FPÖ gekommen. Von 41 Verhandlungsgegenständen im Tou­rismusausschuss, meine sehr geehrten Damen und Herren, waren 35 von der Opposi­tion.

Dann kommt heute dieser Bericht zur Debatte, der Bericht aus dem Jahr 2016, wobei man natürlich auch dazusagen sollte, dass die Nächtigungen von November 2016 bis März 2017 um 4 Prozent zurückgegangen sind, dass es im März ein österreichweites Minus von 11,2 Prozent gegeben hat, in Tirol, das gerade so gelobt wurde, im März ein Minus von 6,3 Prozent. (Bundesrat Novak: Wir reden von 2016!) – Ich weiß schon, wir debattieren hier den Bericht 2016, aber wenn Sie uns hier die Frage stellen: Warum lehnt ihr das eigentlich ab?, dann sage ich Ihnen: weil das in Zahlen gegossene Un­fähigkeit darstellt. Kein Gesetz der Welt wird mir verbieten, das als nicht sonderlich fä­hig zu bezeichnen.

Eines muss ich Ihnen schon sagen, Herr Kollege: Eine parlamentarische Debatte ist kei­ne diplomatische Veranstaltung, um Ihren ehemaligen Altkanzler Helmut Schmidt hier zu zitieren. Das war sie auch nicht im alten Griechenland von Perikles. Hier aber einem Vertreter der Opposition, der pflichtgemäß harte Kritik an der Regierungspartei und an der Regierungsarbeit übt, den Mund verbieten zu wollen, indem man versucht, ihn mit Ordnungsrufen in die Schranken zu weisen – wissen Sie, das mag vielleicht in einem volksdemokratischen Parlament möglich sein, so wie Sie sich das vorstellen, in einem freien Parlament, wie ich mir das vorstelle, ist so etwas nicht möglich! (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Novak: Herr Kollege ...!)

Und ich sage Ihnen noch etwas – hören Sie zu, Sie haben Ihre 5 Minuten gehabt, jetzt sind meine dran! Außerdem habe ich das Mikrofon, das heißt, für mich ist es wesent­lich einfacher, hier zu replizieren, als für Sie von der Bank aus. Ich sage Ihnen noch et­was: Wenn freiheitliche Redner von Vertretern der SPÖ hier so apostrophiert werden, dass man sagt: Die reden Blödsinn!, dann höre ich eigentlich von der Vorsitzführung gar nichts, dann sieht man eigentlich nur, wie die Köpfe eingezogen werden, dann ist Stille. (Bundesrat Novak: Wer hat das gesagt?) – Es ist heute schon gesagt worden. Dem Kol­legen Krusche, der hier als „Kruschke“ bezeichnet wurde – vielleicht fällt jetzt der Schil­ling –, wurde hier von diesem Rednerpult aus mitgeteilt: Der redet ja Blödsinn! – Da hö­re ich nichts, da höre ich überhaupt nichts. Da werden die Köpfe eingezogen.

Wenn es aber um einen Freiheitlichen geht, na ja, da werden wir auf einmal päpstlicher als der Papst. (Bundesrat Stögmüller: Nicht so wehleidig sein! Immer in der Opferrol­le!) – Das hat nichts mit Opferrolle zu tun. Herr Kollege, wissen Sie, ich habe einen brei­ten Rücken, und mein Erscheinungsbild spricht auch nicht für asketische Lebensge­wohnheiten. Ich halte das alles aus. (Zwischenruf des Bundesrates Novak.) Aber zu glauben, dass Sie uns damit unter Druck setzen können, zu glauben, dass Sie hier irgend­jemandem den Mund verbieten können, da muss ich Ihnen sagen: Da sind Sie, bei mir zumindest, falsch gewickelt, das wird bei mir nicht funktionieren. Und wenn Sie mir da-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 98

für einen Ordnungsruf geben, dann trage ich diesen Ordnungsruf wie einen Orden auf der Brust. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Schennach: Wer hat Blödsinn ge­sagt? – Bundesrat Jenewein: Du! – Bundesrat Schennach: Ich habe das nicht gesagt! Lass das Protokoll holen!)

14.19


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Pog­litsch. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.19.18

Bundesrat Christian Poglitsch (ÖVP, Kärnten): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird der Freiheitlichen Partei ab­solut nicht gelingen, einen so guten Bericht und diese großartige Leistung der Touris­muswirtschaft hier kleinzureden und als ein negatives Beispiel zu bringen. Das wird euch nicht gelingen! Dieser Bericht ist ein eindrucksvoller Bericht. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Die Debatte hat uns heute etwas gezeigt: Ihr seid bereits im Vorwahlkampfmodus, ihr habt die Larve fallen gelassen. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Es geht euch nicht um den Bericht, es geht euch nicht um die Tourismuswirtschaft, es geht euch nur darum, etwas madigzumachen (anhaltende Unruhe bei der FPÖ), und das werden wir hier in die­sem Hause nicht zulassen. Das solltet ihr nur wissen.

Anstatt euch hierherzustellen und für unser Tourismusland Österreich eine positive Wer­bung abzugeben und die Menschen einzuladen, in unserem Urlaubsland Österreich zu urlauben, geht ihr her und redet alles madig. Das sind wirklich eine Strategie und eine Politik, die von vorgestern sind. Die könnt ihr ablegen, das will in diesem Land niemand mehr!

Ich lade euch ein: Schaut euch die Betriebe in Österreich an, schaut euch unsere Des­tinationen an! Österreich ist ein hochqualitatives Urlaubsland mit den schönsten Desti­nationen, den schönsten Seen und den besten Menschen. Und das werdet ihr nicht ma­digmachen! (Beifall bei ÖVP und SPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Krusche.)

14.20


14.20.57

Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

14.21.126. Punkt

Wahl der beiden Vizepräsidenten/innen, der Schriftführer/innen und der Ordner/in­nen für das 2. Halbjahr 2017

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wir gelangen nun zum 6. Punkt der Tagesord­nung.

Da mit 1. Juli 2017 der Vorsitz im Bundesrat auf das Bundesland Vorarlberg übergeht und gemäß Art. 36 Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz der an erster Stelle entsendete Vertreter dieses Bundeslandes, Herr Bundesrat Edgar Mayer, zum Vorsitz berufen ist, sind die übrigen Mitglieder des Präsidiums des Bundesrates gemäß § 6 Abs. 3 der Ge­schäftsordnung des Bundesrates für das kommende Halbjahr neu zu wählen.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 99

Wahl der Vizepräsidentin/des Vizepräsidenten

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Ich werde die Wahl der Vizepräsidentin bezie­hungsweise des Vizepräsidenten durch Erheben von den Sitzen vornehmen lassen.

Wir gehen nunmehr in den Wahlvorgang ein und kommen zur Wahl der ersten zu wäh­lenden Vizepräsidentin des Bundesrates.

Gemäß § 6 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates kommt hiefür der SPÖ-Fraktion das Vorschlagsrecht zu. Es liegt mir ein Wahlvorschlag vor, der auf Bundesrä­tin Ingrid Winkler lautet.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Wahlvorschlag zustimmen, sich von den Sitzen zu erheben. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Wahlvor­schlag ist somit angenommen.

Ich frage die Gewählte, ob sie die Wahl annimmt.

 


14.22.43

Bundesrätin Ingrid Winkler (SPÖ, Niederösterreich): Ich bedanke mich und nehme die Wahl gerne an. (Allgemeiner Beifall.)

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wir kommen nunmehr zur Wahl des zweiten zu wählenden Vizepräsidenten des Bundesrates.

Gemäß § 6 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates kommt hiefür der ÖVP-Fraktion das Vorschlagsrecht zu. Es liegt dazu ein Wahlvorschlag vor, der auf Bundes­rat Mag. Ernst Gödl lautet.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Wahlvorschlag zustimmen, sich von den Sitzen zu erheben. – Auch dies ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Wahl­vorschlag ist somit angenommen.

Ich frage den Gewählten, ob er die Wahl annimmt.

 


14.23.27

Bundesrat Mag. Ernst Gödl (ÖVP, Steiermark): Ich danke für das Vertrauen, ich neh­me die Wahl sehr gerne an. (Allgemeiner Beifall.)

Wahl der Schriftführer/innen

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wir kommen nun zur Wahl der Schriftführerinnen beziehungsweise Schriftführer.

Es liegt mir der Vorschlag vor, die Mitglieder des Bundesrates Ana Blatnik, Anneliese Junker, Ewald Lindinger, Marianne Hackl und Werner Herbert für das zweite Halb­jahr 2017 zu Schriftführerinnen beziehungsweise zu Schriftführern des Bundesrates zu wählen.

Falls kein Einwand erhoben wird, nehme ich diese Wahl unter einem vor.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Wahlvorschlag ihre Zustim­mung geben, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Wahlvor­schlag ist somit angenommen.

Ich frage die Gewählten, ob sie die Wahl annehmen.

(Die Bundesrätinnen Blatnik, Hackl und Junker sowie die Bundesräte Lindinger und Herbert nehmen die Wahl an. – Allgemeiner Beifall.)

Wahl der Ordner/innen

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wir kommen nunmehr zur Wahl der Ordnerinnen beziehungsweise Ordner.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 100

Es liegt mir der Vorschlag vor, die Mitglieder des Bundesrates Ferdinand Tiefnig, Mag. Su­sanne Kurz, Christoph Längle und Dr. Heidelinde Reiter für das zweite Halb­jahr 2017 zu Ordnerinnen beziehungsweise zu Ordnern des Bundesrates zu wählen.

Falls kein Einwand erhoben wird, nehme ich auch diese Wahl unter einem vor.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Wahlvorschlag ihre Zustim­mung geben, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Wahlvor­schlag ist somit angenommen.

Ich frage die Gewählten, ob sie die Wahl annehmen.

(Die Bundesrätinnen Kurz und Reiter sowie die Bundesräte Tiefnig und Längle neh­men die Wahl an.)

Die Tagesordnung ist erschöpft.

14.25.36Dringliche Anfrage

der Bundesräte Dr. Heidelinde Reiter, Kolleginnen und Kollegen an die Bundes­ministerin für Familien und Jugend betreffend Art. 15a B-VG Vereinbarungen zur Kinderbetreuung (3249/J-BR/2017)

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über die Dringliche Anfrage der Bundesräte Dr. Reiter, Kolleginnen und Kollegen an die Frau Bundesministerin für Familien und Jugend, die ich hiermit auch sehr herzlich bei uns im Bundesrat begrüßen darf. (Allgemeiner Beifall.)

Da die Dringliche Anfrage inzwischen allen Mitgliedern des Bundesrates zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch die Schriftführung.

Ich erteile Frau Bundesrätin Dr. Reiter als Anfragestellerin zur Begründung der Anfrage das Wort.

 


14.26.20

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Minister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Die derzeit bestehende 15a-Vereinba­rung zur Kinderbetreuung war in den vergangenen Jahren ein ganz wesentlicher Hebel zum Ausbau des institutionellen Kinderbildungs- und ‑betreuungsangebotes, insbeson­dere in Salzburg habe ich das miterlebt. Wir haben auch versucht, entsprechende Qua­litätskriterien und so weiter zu formulieren, und es hat einen wirklichen Schub und eine Erhöhung des Betreuungsangebotes gegeben. Diese Vereinbarung endet mit dem heu­rigen Jahr. Darüber hinaus gibt es 15a-Vereinbarungen über die frühe sprachliche För­derung sowie über den kostenfreien und halbtägig verpflichtenden Besuch einer Kinder­betreuungseinrichtung, die mit dem Betreuungsjahr 2017/2018 enden.

Sollten durch die Neuwahlen diese für den Ausbau der Kinderbetreuung so wichtigen Vereinbarungen ersatzlos auslaufen, würde das den Stillstand, ja vermutlich sogar ei­nen Rückschritt im Angebot für Kinderbildung und Kinderbetreuung bedeuten, mit dra­matischen Konsequenzen für die Integration, für die Entwicklung unserer Kinder, für die Mütter und ihre Integration in den Arbeitsmarkt, für den Gendergap, insbesondere im länd­lichen Raum.

All das hat ja lange Vorlaufzeiten, zum Beispiel Kinderbetreuungseinrichtungen zu bau­en. Gerade für kleinere Gemeinden ist es eine große Herausforderung, diese Infra­struktur zu errichten, das Personal zu rekrutieren und auszubilden und so weiter. Das braucht also eine Vorlaufzeit, wo eben auch die Rahmenbedingungen schon gesichert sein müssen.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 101

Entschuldigen Sie bitte die falsche Anrede in unserer Anfrage, unser Wunsch war es ursprünglich, den Finanzminister zu dieser Sache zu befragen, da es insbesondere um die Mittel geht, die zur Verfügung gestellt werden müssen. Es hat ja beim Finanzaus­gleich den Plan gegeben, in einen aufgabenorientierten Finanzausgleich einzusteigen, und das eben insbesondere im Bereich der Kinderbetreuung und der frühkindlichen Er­ziehung und so weiter zu tun.

Da ist jetzt die Frage: Was ist geschehen? Wie geht das weiter? Wie wird das von den Wahlen beeinflusst? – Derzeit ist die Erfahrung in den Gemeinden und in den Ländern: Der Gemeindebund lehnt sich zurück und wartet auf Ergebnisse, der Städtebund eben­so, und die Bürgermeister stehen da sozusagen im Regen und wissen nicht, wie es wei­tergeht. Auch den Ländern sind da die Hände gebunden, und es ist ganz schwer, das überhaupt noch in Bewegung zu halten. Der ÖAAB in Niederösterreich hat auch schon entsprechende Vorstöße gemacht und Anträge gestellt, in der Besorgnis, dass es da zu einem ernsthaften Stillstand kommt.

Deshalb stellen wir an Sie diese Fragen, inwieweit Sie informiert sind oder eben den Gemeinden, den Bürgermeistern, den Ländern Informationen zukommen lassen, wie es da tatsächlich weitergeht. Ich bitte um Beantwortung. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

14.29


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zur Beantwortung gelangt Frau Bundesministerin Dr. Karmasin zu Wort. – Bitte, Frau Bundesministerin.

 


14.29.48

Bundesministerin für Familien und Jugend MMag. Dr. Sophie Karmasin: Sehr ge­ehrte Frau Präsidentin! Kollegen und Kolleginnen! Ich bin ja sehr froh, dass das Au­genmerk hier auf dem weiteren Ausbau der Kinderbetreuung liegt, denn das ist uns auch ein ganz besonderes Anliegen. Ich möchte nur noch einmal darauf hinweisen, dass die bestehende Ausbauoffensive mit 305 Millionen € – die größte Offensive des Bundes, die es je zu diesem Thema gab – sehr gut funktioniert.

Wenn ich hier kurz ein paar Zahlen nennen darf: Es wurden in den letzten Jahren fast 60 000 neue Plätze geschaffen, wir konnten die Betreuungsrate bei den unter Dreijähri­gen von 14 auf 27,4 Prozent ausbauen, bei den Drei- bis Sechsjährigen von 87 auf 95,1 Pro­zent, und insgesamt gab es eben die 305 Millionen €, die zusätzlich von den Ländern und Gemeinden entsprechend ergänzt werden. Die Ausbauoffensive, die ja noch bis Ende des Jahres besteht, läuft also sehr gut.

Wir sind auch sehr froh darüber, denn es gab ja auch schon Jahre, in denen die 15a-Vereinbarung so gestaltet war, dass die Mittel nicht entsprechend abgeholt wurden. Das ist in diesem Fall nicht so, deswegen ja auch die Anfrage, da das Geld sozusagen schon mit Ende des Jahres verplant ist und eine Neuauflage und eine Weiterführung notwen­dig wird. Das sehen wir auch ganz genau so, weil uns die Elementarbildung und der Ausbau der Kinderbetreuung ein ganz zentrales Anliegen sind, nicht nur für die früh­kindliche Elementarbildung, sondern natürlich auch für die Frage der Vereinbarkeit.

Aus diesem Grund ist ja auch, wie Sie schon erwähnt haben, im Finanzausgleich defi­niert worden, dass die Aufgabenorientierung im Kindergartenbereich als Pilotprojekt um­gesetzt werden soll. Das ist auch weiterhin so in Arbeit, in Diskussion und Ausarbei­tung. Zudem – das ist vielleicht eine zusätzliche Rückversicherung – wurde das Thema ja auch im neuen Regierungsübereinkommen noch einmal fixiert und festgeschrieben. Wenn ich das noch einmal erläutern darf: „Die Elementarpädagogik soll weiter gestärkt, die Entwicklung des Kindergartens von der Betreuungs- zur Bildungseinrichtung for­ciert werden.“ Bis zum Herbst 2017 sollen eben der Ausbau der Kindergärten und der Krippen und auch das Gratiskindergartenjahr entsprechend umgesetzt werden.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 102

Das ist der Plan, der sozusagen zweifach abgesichert ist, durch den Finanzausgleich und die Pilotierung der Aufgabenorientierung und durch das aktualisierte Regierungs­übereinkommen. Von dem her sind wir doppelt sicher und an diesem Vorhaben weiter­hin sehr intensiv dran, damit wir das bis Herbst 2017 abschließen.

Was ist jetzt schon konkret passiert und wo stehen wir? – Vorher möchte ich noch kurz erläutern, wie jetzt die Aufgabenorientierung als Konzept in den Arbeitsgruppen disku­tiert wird. Es gibt zwei Arbeitsgruppen, die mit dem BMF aufgesetzt wurden, in denen natürlich auch der Gemeinde- und der Städtebund in den Gruppen mitsprechen und mit­diskutieren – so gesehen würde ich jetzt nicht sagen, dass sie sich zurücklehnen, sie sind ja intensiv in den Verhandlungen dabei, genauso wie natürlich die Länder und unsere Experten aus der Finanz. Da wird also intensiv diskutiert.

Es gibt eben diese zwei Schwerpunkte in den Arbeitsgruppen, insgesamt sind schon sechs Termine durchgeführt worden, die Verhandlungen sind allerdings noch nicht ab­geschlossen. Das ist jetzt keine Überraschung, die Verhandlungen dauern noch an. Die Zielsetzung ist, bis Herbst 2017 zu einer Entscheidung zu kommen.

Wie Sie wissen, gibt es da die verschiedensten Verhandlungspartner, mit denen wir ei­nen Konsens finden wollen: die Länder, die Gemeinden, Finanzministerium, Familien­ministerium, Städte- und Gemeindebund. Da müssen also alle an einen Tisch und zu den verschiedensten Faktoren einen Konsens im Sinne der Aufgabenorientierung finden.

Da geht es einmal um die Frage, nach welchen Parametern das Geld neu aufgeteilt wird, welche Aufgabenorientierung angelegt wird. Dabei geht es um mehrere Kriterien; ein Kriterium oder ein Diskussionspunkt ist die Frage, ob man nach Gruppen oder nach Kindern bezahlt, die betreut werden. Das ist schon einmal eine ganz entscheidende Fra­ge, zu der noch kein Konsens gefunden wurde. Unsere Perspektive ist jedenfalls, dass wir eher danach trachten würden, die Gruppen zu fördern, weil die Fixkosten ja relativ gleich bleiben. Und vor allem: Je mehr Gruppen wir fördern, umso höher ist auch die pä­dagogische Qualität in den Gruppen, weil sie dann natürlich kleiner werden, was im Falle der Förderung nach Kindern nicht so gewährleistet wäre. Das ist einmal die Frage nach Gruppen versus Kinder.

Die zweite Frage ist die nach der Betreuungsform: Krippen, die ja bekanntermaßen be­treuungsintensiver und damit teurer sind, Kindergärten und altersgemischte Betreuungs­einrichtungen, eventuell auch Tageseltern, die dann natürlich unterschiedlich bewertet werden. Da geht es um die Frage, welche Dimensionen man anlegt und wie der Bewer­tungsschlüssel dieser verschiedenen Kategorien ist. Dasselbe trifft für die Öffnungszei­ten zu, es geht also um halbtags, ganztags, wie die VIF-Kriterien bewertet werden. Da ist die Diskussion also noch am Laufen.

Die Diskussionen finden statt, die Verhandlungen dauern an. Wir haben diese zweifa­che Absicherung über den Finanzausgleichspakt und auch das Regierungsübereinkom­men, dass wir den Ausbau der Kinderbetreuung entsprechend weiterführen wollen und – aus meiner Perspektive – müssen. Ich gebe Ihnen vollkommen recht, wir können nicht diese 15a-Vereinbarung auslaufen lassen und keine weiteren Mittel zur Verfügung stel­len. Wie gesagt, die Bundesregierung hat sich dazu bekannt, das auch weiterzuentwi­ckeln und in diesen Bereich weiter zu investieren. Die Verhandlungen sind im Gange, und wir sind aus aktueller Sicht sehr optimistisch, dass das mit Herbst 2017 gelingt. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

14.36


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Vielen Dank, Frau Bundesministerin.

Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 103

Ich mache darauf aufmerksam, dass gemäß § 61 Abs. 7 der Geschäftsordnung die Re­dezeit eines jeden Bundesrates/einer jeden Bundesrätin mit insgesamt 20 Minuten be­grenzt ist.

Zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Dr. Reiter. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


14.37.05

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Vielen Dank für die Beantwor­tung und auch das Engagement, das aus dieser Antwort herauszuhören ist. Was mir fehlt, ist aber, was im Worst Case geschieht. Bei der 15a-Vereinbarung kann ich mir nicht vorstellen, dass sich vom parlamentarischen Ablauf her eine Verlängerung irgend­wie ausgeht, beim Finanzausgleich mit Verordnung vermutlich schon. Das Regierungs­programm ist wahrscheinlich mit Ende der Regierung ad acta zu legen, also: Was ist da noch denkbar, oder was passiert dann im Worst Case tatsächlich?

Wir möchten noch gerne unser Anliegen durch einen Antrag bestärken:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Dr. Heidelinde Reiter, Kolleginnen und Kollegen betreffend Art. 15a B-VG Vereinbarung zur Kinderbetreuung

Der Bundesrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Finanzen, wird ersucht, si­cherzustellen, dass die Finanzierung der Kinderbetreuungseinrichtungen für das kom­mende Betreuungsjahr 2017/18 gewährleistet ist und die Gemeinden beziehungsweise Länder rechtzeitig über die weitere Finanzierung sowie über die notwendigen Rahmen­bedingungen informiert werden.

*****

Damit soll eine Kontinuität sichergestellt werden.

Ich bitte, diesen Antrag in die Debatte miteinzubeziehen. (Beifall bei den Grünen.)

14.38


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Der von den Bundesräten Dr. Reiter, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend Art. 15a B-VG Vereinba­rung zur Kinderbetreuung ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhand­lung.

Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Mayer. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.38.54

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Wie Frau Ministerin Kar­masin wirklich auf den Punkt gebracht, erklärt hat, sind wir in intensiven Verhandlun­gen. Die Dringlichkeit dieser Anfrage sehen wir deshalb nicht, weil in keiner Weise an­genommen wird, dass diese Verhandlungen zum Scheitern verurteilt sind, weil wir auch mit den Stakeholdern intensiv an diesen Projekten arbeiten, weil es eine Materie für die Zukunft ist, weil wir hier in diesem Bereich schon sehr viel geleistet haben, sehr viel neu angedacht ist und wir das auch stark verbessern wollen. Es braucht einfach diese Zeit, um das entsprechend gut aufzusetzen, weil es um die Zukunft unserer Kinder geht; wenn es um die Zukunft unserer Kinder geht, dann soll ein Projekt entsprechend gut auf­gesetzt sein, mit allen gut ausverhandelt und dann zur Beschlussfassung vorgelegt wer­den. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 104

Kollegin Reiter, es besteht also eine ganz klare Bereitschaft, an einer gut vorbereiteten 15a-Vereinbarung zu arbeiten, die auch mit den Ländern, mit dem Gemeindebund, mit dem Städtebund und allen drei Ministerien, die involviert sind, entsprechend abge­stimmt wird; und es ist nicht so, wie von euch befürchtet, dass das nicht umgesetzt wird.

Es soll ergebnis- und konsensorientiert über eine weitere Finanzierung des Bundes bei der Elementarpädagogik verhandelt werden; das betrifft sowohl den Bereich des Aus­baus der Kinderbildungs- und -betreuungsangebote und der sprachlichen Frühförde­rung als auch die Fortsetzung des in der Anfrage nicht erwähnten – das muss ich auch noch betonen – Gratiskindergartenjahres. Das ist auch mit dabei.

Es wurde in diesem Punkt auch das Regierungsprogramm 2017/18 adaptiert, das ist ganz klar, weil sich in diesen zwei oder drei Jahren in diesem Bereich doch einiges er­eignet hat und die Elementarpädagogik weiter gestärkt werden soll, die Entwicklung des Kindergartens von der Betreuungs- zur Bildungseinrichtung forciert werden soll.

Im Rahmen der Pilotprojekte im ersten Halbjahr 2017 zum aufgabenorientierten Fi­nanzausgleich soll – da sind wir auch dabei – der Finanzausgleich nicht aufgeknüpft wer­den, sondern dann die Devise gelten, wie im Finanzausgleich festgeschrieben wurde: Geld folgt Leistung. Das ist auch ein wesentlicher Punkt, der in diesem Finanzausgleich neu enthalten ist. Nach diesen Kriterien soll das Ganze dann auch schlussendlich ab­laufen. Es ist also keineswegs an ein Aufschnüren des Finanzausgleichs gedacht, und ich denke, das ist auch für die Länder ein ganz wesentliches Asset, ein wesentlicher Punkt.

Natürlich sind auch der Städte- und der Gemeindebund mit eingebunden, wenn es um das zweite verpflichtende Kindergartenjahr geht. Da gibt es auch die Botschaft aus dem Finanzministerium, dass man auf gutem Wege ist, dass das aber eben noch nicht fina­lisiert wurde. Es braucht eine gewisse Vorlaufzeit, Frau Kollegin Reiter, da gebe ich dir recht, aber wie die Frau Ministerin ganz klar gesagt hat: Die Verhandlungen haben An­fang dieses Jahres begonnen; es gibt da entsprechende Arbeitsgruppen, es gibt sogar Untergruppen, die sich mit diesen Themen auseinandersetzen, und die Vorlaufzeit wird gebraucht – das hat die Frau Ministerin auch betont –, da wir das mit entsprechender Qualität umsetzen wollen. Es geht da also nicht darum, etwas schnell zu beschließen, sondern darum, mit entsprechenden Qualitätskriterien eine gute Lösung zu erarbeiten.

Es hat sich auch bereits ein Landtag mit dieser Thematik befasst. Der Niederösterrei­chische Landtag hat eine Resolution gefasst, die auch in diese Richtung geht. Das war nicht der ÖAAB – der ÖAAB ist fleißig in Niederösterreich, das wissen wir schon –, son­dern es war eine Resolution des Landtages, die sich mit diesen Themen befasst hat, und Landtagsresolutionen sind uns in der Länderkammer schon auch wichtig. Darin wur­de auch diese Forderung aufgestellt, dass das unabhängig vom Finanzausgleich ge­führt wird. Das ist garantiert. Ich habe schon betont, dass es im Finanzausgleich darum geht: Geld folgt Leistung, das heißt, wenn Projekte aufgesetzt werden und zur Umset­zung kommen, dann werden auch entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt. Diese Botschaft ist auch vom Finanzministerium ganz klar ausgesendet worden.

Resümierend denke ich, wir sind auf gutem Wege. Wir sind intensiv dabei, die Proble­matik zu verhandeln. Wir glauben, dass das Anfang September, zumindest noch im Sep­tember vorliegen und die Umsetzung dann zum 1. Jänner 2018 erfolgen wird. Wir stel­len deshalb auch ganz klar fest: gut aufgesetzt, gut vorbereitet, ein gutes Projekt, das dann entsprechend umgesetzt werden wird.

Wir danken der Frau Ministerin für ihre Aktivitäten auch im Kinderbereich, im Jugend­bereich. Da hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan, und wir sind auf sehr gutem


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 105

Wege, deshalb werden wir diesem Entschließungsantrag nicht unsere Zustimmung er­teilen. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

14.44


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu Wort gelangt nun Frau Bundesrätin Posch-Gruska. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


14.44.52

Bundesrätin Inge Posch-Gruska (SPÖ, Burgenland): Frau Präsidentin! Frau Ministe­rin! Heidi Reiter hat gesagt, der Gemeindebund lehne sich zurück und warte ab. – Der Gemeindebund hat schon eine Presseaussendung gemacht, auch aus der gleichen Angst, die eurem Antrag zu entnehmen ist, da natürlich die Gemeinden darauf warten, was jetzt passiert. Die Gemeinden machen ihr Budget nicht für das Schuljahr, sondern für das Kalenderjahr und müssen daher natürlich wissen, wie das ausschaut; und ab dem Herbst beginnen sie mit der Planung des Ausbaus.

Ich möchte aber auch mit einem großen Danke beginnen, einem großen Danke für die­se Unterstützung, die wir seitens des Bundes bekommen haben. Das Geld, das vom Bund an die Länder und dann natürlich weiter an die Gemeinden fließt, das von Ge­meinden und Ländern auch noch einmal erhöht wird, ist nicht nur sehr wichtig für die Zukunft unserer Kinder in den Gemeinden, sondern auch – und gerade in der heutigen Zeit möchte ich das hier sagen – sehr wichtig für die Arbeitsplätze und für die Wirtschaft in unserem Land. Ich glaube, dass wir da in den Gemeinden wirklich eine sehr, sehr gute Leistung vom Bund bekommen.

Als Bürgermeisterin hätte ich jedoch gerne eine Sicherheit. Derzeit tagt ja diese Ar­beitsgruppe, das ist natürlich sehr gut, aber diese Arbeitsgruppe hat einen neuen Be­rechnungsschlüssel aufgestellt. Das freut mich zwar auch sehr, da dieser neue Be­rechnungsschlüssel aussagt, dass es um längere Öffnungszeiten, um gezielte Angebo­te für Kinder und um mehr Plätze oder um mehr Gruppen gehen soll. Da hakt es aber jetzt, und zwar deshalb, da es so schwer ist, diese Daten zu sammeln. Es ist nicht ein­fach, wirklich alle Daten zu bekommen, denn diese haben auch die Länder nicht; vor allem die Privatkindergärten sind das größte Hindernis, diese Daten zu bekommen.

Damit stellt sich schon die Frage, was dann ab Herbst bei uns in den Gemeinden pas­siert, wenn wir nicht wissen, ob wir unsere Pläne für die Ausbauten, die wir jetzt ha­ben – ich weiß aus dem Burgenland, dass sehr viele Gemeinden planen, auszubauen –, umsetzen können. Jetzt weiß ich schon, Frau Ministerin, Sie sind nicht der Finanzmi­nister, aber dürfte ich Sie bitten, dass Sie mitnehmen, dass wir, sollte das große Ziel mit dieser Datensammlung und den Qualitätskriterien nicht erreicht werden können, zu­mindest die Zusage bekommen, dass wir die 15a-Vereinbarung, die jetzt läuft, noch um ein Jahr verlängern können, damit die Gemeinden draußen wirklich auch planen und ar­beiten können. Das wäre mein Wunsch. Ich weiß, dass Sie uns den nicht erfüllen kön­nen und dass es für Sie wahrscheinlich genauso wichtig wäre, da es um den Inhalt geht.

Sehr wichtig – und ich denke, da sind wir jetzt schon auf dem richtigen Weg – sind die Qualitätskriterien. Nicht individuell, sondern wirklich österreichweit Qualitätskriterien bei der Kinderbetreuung zu setzen ist eine ganz wichtige Forderung, da es notwendig ist, dass wir von diesem Beaufsichtigungsschema weg zu einem tatsächlichen Betreu­ungsschema kommen und dass wir den Kindergarten wirklich auch als erste Bildungs­einrichtung sehen.

Sie haben vorhin bereits gesagt, dass nicht alle Länder die Gelder, die sie vom Bund bekommen, abgeholt haben. Jetzt müsste man auch überlegen, warum nicht alle Län­der das Geld abholen. Sind die Hürden zu groß? Es wurde zum Beispiel in Salzburg, wo, glaube ich, sogar eine grüne Landesrätin zuständig ist, das Geld nicht zur Gänze ab­geholt, auch im Burgenland wurde das Geld nicht zur Gänze abgeholt. Das heißt, auch


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 106

da muss man schauen, warum das Geld nicht abgeholt wurde. (Zwischenbemerkung von Bundesministerin Karmasin. O ja, es ist etwas liegen geblieben, diese Informa­tion haben wir vom Gemeindebund. (Bundesministerin Karmasin: Man kann es ja über die Jahre verschieben! Das ist ja nicht verloren!) – Verloren ist es nicht, darüber bin ich sehr glücklich, denn das wäre ja noch schlimmer.

Für uns ist es jetzt wichtig, dass wir diese Bildungsinstitution in dieser Qualität weiter­führen und dieses zweite Kindergartenjahr – und da bin ich jetzt eher bei Ihrem The­ma – auch als Gratiskindergartenjahr umsetzen. Es ist für uns alle schon selbstverständ­lich, dass die Schule gratis ist, darüber wird auch nicht mehr diskutiert, aber beim Kin­dergarten als erste Bildungseinrichtung müssen wir wirklich einhaken und schauen, auch das zweite Kindergartenjahr gratis anbieten zu können, denn ich glaube, die wichtigs­ten Lernschübe und die wichtigste Lernmotivation, die die Kinder bekommen, passie­ren im Kindergarten. Dort gibt es noch das soziale Lernen, dort gibt es auch diese Freu­de am Lernen, dort kommen wirklich die ersten wichtigen Impulse.

Für die SPÖ ist es natürlich auch sehr wichtig, dass die Kinder einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz haben. Das ist eine Zukunftshoffnung, die wir natürlich im­mer wieder fordern und hervorstreichen werden, da wir glauben – noch einmal, und ich will es ganz oft sagen –, dass Qualitätskriterien ganz, ganz wichtig für unsere Kinder sind und der Kindergarten eine wichtige Bildungseinrichtung ist, die von allen Kindern genutzt werden sollte, jedoch ohne Pflicht. Ich bin nicht für die Kindergartenpflicht, aber jedes Kind muss die Möglichkeit haben, den Kindergarten zu besuchen, als soziale Ein­richtung. In Zeiten, in denen die Ich-Gesellschaft immer größer wird, ist es wichtig, dass die Kinder die Wir-Werte, das Gemeinsame wieder lernen. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

14.50


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als vorläufig letzter Redner zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schererbauer. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.51.04

Bundesrat Thomas Schererbauer (FPÖ, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Frau Mi­nisterin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! In der gebotenen Kürze: Wir werden die­sem Antrag unsere Zustimmung erteilen. Ich habe aber noch ein paar Anmerkungen be­ziehungsweise Wünsche bezüglich Familienpolitik.

Zum Beispiel das steuerfreie Existenzminimum von 7 000 € pro Kind: Davon ist leider bei der Steuerreform nicht viel übrig geblieben, außer der Verdoppelung des Kinderfrei­betrages, das sind 220 € jährlich oder 18,3 € im Monat. Ein Rechenbeispiel: Eine Ar­beitnehmerin mit 1 300 € brutto monatlich hat durch die Verdoppelung des Kinderfreibe­trages ganze 4,58 € mehr im Monat für ihr Kind zur Verfügung.

Weiters wäre die gesetzliche Verankerung der jährlichen Anpassung der Familienleis­tungen an die Inflation wichtig. Die Familienbeihilfe ist zwar in den letzten Jahren ge­ringfügig erhöht worden, es gibt aber noch immer keine automatische Valorisierung – im Gegensatz zur Autobahnvignette, wo es diese sehr wohl gibt. Und das Schulstartgeld ist aufgrund der Nichtvalorisierung derzeit nur mehr 93 statt 100 € wert.

Wahlfreiheit darf auch keine Einbahnstraße in Richtung Fremdbetreuung sein, denn wenn sich dann in der Konsequenz bei 100 Prozent Abdeckung durch Kinderbetreuungs­plätze die Wahlfreiheit nur mehr darauf beschränkt, welchen Kinderbetreuungsplatz ich annehme, und die Alternative, nämlich in den ersten Jahren beim Kind zu bleiben, wei­terhin nicht so attraktiv ist und in versicherungsrechtlicher, pensionsrechtlicher und ma­terieller Hinsicht benachteiligend wirkt, kann man nicht mehr von Wahlfreiheit sprechen.

Insofern geht die vorliegende Artikel-15a-Vereinbarung in vielen Bereichen in die richti­ge Richtung: Stichwort Förderung von Tagesmüttern und -vätern, Förderung der Per-


BundesratStenographisches Protokoll869. Sitzung / Seite 107

sonalkosten oder der Investitionskosten. Weiterhin ungelöst bleibt jedoch auch nach In­krafttreten dieser Vereinbarung die Stärkung der zweiten Komponente, einer Wahlfrei­heit, die diesen Namen auch verdient. Die groteske Benachteiligung jener Mütter und/oder Väter, die in den ersten Jahren bei den Kindern bleiben wollen, bleibt weiterhin beste­hen. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

14.53


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Dr. Reiter, Kolleginnen und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Art. 15a B-VG Vereinbarung zur Kinderbetreuung vor. Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenminderheit. Der Antrag auf Fassung der gegen­ständlichen Entschließung ist daher abgelehnt.

Einlauf

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Ich gebe noch bekannt, dass seit der letzten be­ziehungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt zwei Anfragen, 3248/J-BR/2017 und 3249/J-BR/2017, eingebracht wurden.

*****

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Wege erfolgen. Als Sitzungstermine werden Mittwoch, 5. Juli 2017, 14 Uhr, und Donnerstag, 6. Juli 2017, 9 Uhr, in Aussicht genommen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzungen kommen insbesondere jene Beschlüsse in Be­tracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit diese dem Ein­spruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Ausschussvorberatungen sind für Dienstag, den 4. Juli 2017, ab 13 Uhr vorgese­hen.

Diese Sitzung ist geschlossen.

14.54.42Schluss der Sitzung: 14.54 Uhr

Impressum:

Parlamentsdirektion

1017 Wien