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Stenographisches Protokoll

 

 

 

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854. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

 

Donnerstag, 2. Juni 2016

 

 


Stenographisches Protokoll

854. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 2. Juni 2016

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 2. Juni 2016: 9.04 – 17.21 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Punkt: Erklärungen des Bundeskanzlers und des Vizekanzlers gemäß § 37 Abs. 4 GO-BR

2. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Katastrophenfondsgesetz 1996 und das Hagel­versicherungs-Förderungsgesetz geändert werden

3. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Förderung von Hand­werkerleistungen geändert wird

4. Punkt: Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Re­gierung der Kirgisischen Republik über die Förderung und den Schutz von Investitionen

5. Punkt: Bundesgesetz, mit dem ein Gesetz zur Bekämpfung von Lohn- und Sozial­dumping (Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz – LSD-BG) erlassen wird und das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz, das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz, das Landarbeitsgesetz 1984, das Arbeitsinspektionsgesetz 1993, das Heimarbeitsge­setz 1960, das Betriebliche Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz, das Be­triebspensionsgesetz, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, das Sozialbetrugsbekämp­fungsgesetz und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert werden

6. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Weingesetz 2009 geändert wird

7. Punkt: EU-Jahresvorschau des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft 2016

8. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Unternehmensgesetzbuch, das Aktiengesetz, das GmbH-Gesetz, das SE-Gesetz, das Genossenschaftsgesetz, das Genossenschafts­revisionsgesetz 1997, das SCE-Gesetz, das Bankwesengesetz, das Versicherungsauf­sichtsgesetz 2016, das Sparkassengesetz, das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, das Unternehmensreorganisationsgesetz, die Insolvenzordnung und das Bundesminis­teriengesetz 1986 geändert werden (Abschlussprüfungsrechts-Änderungsgesetz 2016 – APRÄG 2016)

*****


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 2

Inhalt

Bundesrat

Wortmeldungen zur Geschäftsbehandlung im Zusammenhang mit der Dringli­chen Anfrage:

Edgar Mayer ................................................................................................................ 116

Monika Mühlwerth ...................................................................................................... 117

Personalien

Verhinderungen ................................................................................................................ 7

Aktuelle Stunde (43.)

Thema: „Die regionale Bedeutung von Investitionen in die Infrastruktur“ ............ 7

Redner/Rednerinnen:

Günther Novak ............................................................................................................... 7

Dr. Andreas Köll ............................................................................................................. 9

Gerd Krusche ............................................................................................................... 11

Mag. Nicole Schreyer ................................................................................................... 13

Bundesminister Mag. Jörg Leichtfried ...............................................................  16, 26

Wolfgang Beer .............................................................................................................. 19

Mag. Ernst Gödl ............................................................................................................ 20

Gerhard Dörfler ............................................................................................................ 22

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................... 24

Bundesregierung

Schreiben des Bundeskanzlers Mag. Christian Kern betreffend Enthebung des Vizekanzlers Dr. Reinhold Mitterlehner vom Amte der Fortführung der Verwal­tung des Bundeskanzleramtes und des Vorsitzes in der Bundesregierung sowie Ernennung seiner Person zum Bundeskanzler durch den Bundespräsidenten              ............................................................................................................................... 28

Schreiben des Bundeskanzlers Mag. Christian Kern betreffend Enthebung des Bundesministers für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien Dr. Josef Os­termayer, der Bundesministerin für Frauen und Bildung Gabriele Heinisch-Ho­sek, des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie Mag. Gerald Klug und der Staatssekretärin im Bundeskanzleramt Mag. Sonja Steßl vom Amt sowie Ernennung von Frau Mag. Dr. Sonja Hammerschmid zur Bundesminis­terin für Bildung und Frauen, Herrn Mag. Jörg Leichtfried zum Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie, Herrn Mag. Thomas Drozda zum Bun­desminister ohne Portefeuille und Frau Mag. Muna Duzdar zur Staatssekretärin im Bundeskanzleramt zur Unterstützung des Bundeskanzlers in der Geschäfts­führung und zu dessen parlamentarischer Vertretung durch den Bundespräsiden­ten ......................................................................................................... 30

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse ............................................................................ 32

Ausschüsse

Zuweisungen .................................................................................................................. 26


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 3

Dringliche Anfrage

der Bundesräte David Stögmüller, Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kolle­gen an den Bundesminister für Inneres betreffend „Community Polizisten“ und „Si­cherheitsbürger“ in Schärding, Mödling, Graz-Stadt und Eisenstadt (3153/J-BR/2016)                                                                                                              116

Begründung: David Stögmüller .................................................................................. 117

Bundesminister Mag. Wolfgang Sobotka ................................................................ 119

Debatte:

Werner Herbert ........................................................................................................... 125

Gerhard Schödinger .................................................................................................. 128

Martin Weber ............................................................................................................... 129

David Stögmüller ........................................................................................................ 130

Bundesminister Mag. Wolfgang Sobotka ................................................................ 131

Verhandlungen

1. Punkt: Erklärungen des Bundeskanzlers und des Vizekanzlers gemäß § 37 Abs. 4 GO-BR                33

Bundeskanzler Mag. Christian Kern .......................................................................... 33

Vizekanzler Dr. Reinhold Mitterlehner ....................................................................... 39

Verlangen auf Durchführung einer Debatte im Sinne des § 37 Abs. 5 GO-BR ............ 33

Redner/Rednerinnen:

Reinhard Todt ............................................................................................................... 43

Edgar Mayer .................................................................................................................. 44

Monika Mühlwerth ........................................................................................................ 47

David Stögmüller .......................................................................................................... 50

Bundesminister Mag. Thomas Drozda ...............................................................  52, 66

Bundesministerin Mag. Dr. Sonja Hammerschmid ............................................ ..... 54

Bundesminister Mag. Jörg Leichtfried ...................................................................... 55

Staatssekretärin Mag. Muna Duzdar .......................................................................... 58

Inge Posch-Gruska ...................................................................................................... 59

Martin Preineder ........................................................................................................... 62

Hans-Jörg Jenewein .................................................................................................... 64

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................... 67

2. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 18. Mai 2016 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Katastrophenfondsgesetz 1996 und das Hagelversicherungs-Förderungsgesetz geändert werden (1106 d.B. und 1140 d.B. sowie 9585/BR d.B. und 9587/BR d.B.) ................................................. 69

Berichterstatter: Mag. Michael Lindner ........................................................................ 69

Redner/Rednerinnen:

Ing. Andreas Pum ......................................................................................................... 69

Martin Weber ................................................................................................................. 71

Rosa Ecker .................................................................................................................... 72

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................... 74

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 74


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 4

3. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 18. Mai 2016 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Förderung von Handwerkerleistun­gen geändert wird (1107 d.B. und 1141 d.B. sowie 9588/BR d.B.) ................................................................................................................. 75

Berichterstatter: Ewald Lindinger ................................................................................. 75

Redner/Rednerinnen:

Mag. Reinhard Pisec, BA ............................................................................................. 75

Christian Poglitsch ...................................................................................................... 77

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................... 78

Ewald Lindinger ........................................................................................................... 79

Bundesminister Dr. Johann Georg Schelling ........................................................... 80

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 81

4. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 18. Mai 2016 betreffend Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Kirgisi­schen Republik über die Förderung und den Schutz von Investitionen (1113 d.B. und 1143 d.B. sowie 9589/BR d.B.) ........................................ 81

Berichterstatter: Martin Weber ...................................................................................... 81

Redner/Rednerinnen:

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................... 82

Ing. Eduard Köck .......................................................................................................... 82

Ewald Lindinger ........................................................................................................... 83

Christoph Längle .......................................................................................................... 84

Bundesminister Dr. Johann Georg Schelling ..................................................... ..... 84

Annahme des Antrages des Berichterstatters, 1. gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben und 2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 B-VG die verfassungs­mäßige Zustimmung zu erteilen ..................................................... 86

5. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 18. Mai 2016 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem ein Gesetz zur Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping (Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz – LSD-BG) erlassen wird und das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz, das Arbeitskräfteüberlassungsge­setz, das Landarbeitsgesetz 1984, das Arbeitsinspektionsgesetz 1993, das Heim­arbeitsgesetz 1960, das Betriebliche Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgege­setz, das Betriebspensionsgesetz, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, das So­zialbetrugsbekämpfungsgesetz und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert werden (1111 d.B. und 1133 d.B. sowie 9590/BR d.B.) ................................. 86

Berichterstatterin: Inge Posch-Gruska ......................................................................... 86

Redner/Rednerinnen:

Ing. Bernhard Rösch .................................................................................................... 86

Renate Anderl ............................................................................................................... 89

Sandra Kern .................................................................................................................. 90

David Stögmüller .......................................................................................................... 92

Gregor Hammerl ........................................................................................................... 93

Rene Pfister .................................................................................................................. 95

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ..................................................................... 97

Entschließungsantrag der Bundesräte Ing. Bernhard Rösch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Änderung der Entsenderichtlinie – Ablehnung ........................................................  88, 98


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 5

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 98

6. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 18. Mai 2016 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Weingesetz 2009 geändert wird (1061 d.B. und 1116 d.B. so­wie 9591/BR d.B.) .......... 98

Berichterstatterin: Anneliese Junker ............................................................................ 98

Redner/Rednerinnen:

Marianne Hackl ............................................................................................................. 99

Adelheid Ebner ........................................................................................................... 100

Thomas Schererbauer ............................................................................................... 101

Mag. Nicole Schreyer ................................................................................................. 103

Martin Preineder ......................................................................................................... 103

Bundesminister Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter ....................................................... 104

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................................................... 104

7. Punkt: EU-Jahresvorschau des Bundesministeriums für Land- und Forstwirt­schaft, Umwelt und Wasserwirtschaft 2016 (III-579-BR/2016 d.B. sowie 9592/BR d.B.)                                   104

Berichterstatterin: Anneliese Junker .......................................................................... 105

Redner/Rednerinnen:

Peter Samt ................................................................................................................... 105

Ferdinand Tiefnig ....................................................................................................... 107

Gerhard Dörfler .......................................................................................................... 108

Mag. Michael Lindner ................................................................................................. 111

Mag. Nicole Schreyer ................................................................................................. 113

Bundesminister Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter ....................................................... 114

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-579-BR/2016 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................. 116

8. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 19. Mai 2016 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Unternehmensgesetzbuch, das Aktiengesetz, das GmbH-Gesetz, das SE-Gesetz, das Genossenschaftsgesetz, das Genossenschaftsrevi­sionsgesetz 1997, das SCE-Gesetz, das Bankwesengesetz, das Versicherungs­aufsichtsgesetz 2016, das Sparkassengesetz, das Allgemeine bürgerliche Ge­setzbuch, das Unternehmensreorganisationsgesetz, die Insolvenzordnung und das Bundesministeriengesetz 1986 geändert werden (Abschlussprüfungsrechts-Ände­rungsgesetz 2016 – APRÄG 2016) (1109 d.B. und 1123 d.B. sowie 9586/BR d.B. und 9593/BR d.B.) ..... 133

Berichterstatterin: Renate Anderl ............................................................................... 133

Redner/Rednerinnen:

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ............................................................................................... 133

Edgar Mayer ................................................................................................................ 134

Mag. Susanne Kurz .................................................................................................... 135

Hans-Jörg Jenewein .................................................................................................. 136

Bundesminister Dr. Wolfgang Brandstetter ........................................................... 137

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................................................... 137


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 6

Eingebracht wurden

Anfragen der Bundesräte

Christoph Längle, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen be­treffend Finanzpolizei-Kontrollen in Vorarlberg im Jahr 2015 (3150/J-BR/2016)

Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betref­fend Exekutive – Planstellen und Überstunden 2015 Nachfrage (3151/J-BR/2016)

Thomas Schererbauer, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Landes­verteidigung und Sport betreffend den Sportstätten-Masterplan (3152/J-BR/2016)

David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres be­treffend „Community Polizisten“ und „Sicherheitsbürger“ in Schärding, Mödling, Graz-Stadt und Eisenstadt (3153/J-BR/2016)

Anfragebeantwortungen

des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie auf die Anfrage der Bun­desräte Arnd Meißl, Kolleginnen und Kollegen betreffend geplante Sanierung des Bahn­hofs Wartberg, Lärmschutz Wartberg und der Barrierefreiheit des Bahnhofs Mitterdorf (2908/AB-BR/2016 zu 3136/J-BR/2016)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Arnd Meißl, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend die Personalfehlstände bei der Polizei, Dienstzuteilun­gen zu Sonderbetreuungsstellen (SBS) und Betreuungsstellen (BS) des Bundes für Asylwerber und die mögliche Errichtung von SBS und BS im Bezirk Bruck-Mürzzu­schlag (2909/AB-BR/2016 zu 3137/J-BR/2016)

des Bundesministers für Finanzen auf die Anfrage der Bundesräte Christoph Längle, Kolleginnen und Kollegen betreffend Steuerleistungen der Vorarlberger Wirtschaft (2910/AB-BR/2016 zu 3140/J-BR/2016)


 


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 7

09.04.02Beginn der Sitzung: 9.04 Uhr

 


Präsident Josef Saller: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 854. Sitzung des Bundesrates.

Ich begrüße alle Damen und Herren sehr herzlich, im Besonderen Herrn Bundesminis­ter Mag. Jörg Leichtfried. Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Die nicht verlesenen Teile des Amtlichen Protokolls der 853. Sitzung des Bundesrates vom 12. Mai 2016 sind aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gelten daher als ge­nehmigt.

Als verhindert gemeldet sind die Mitglieder des Bundesrates Mag. Klaus Fürlinger, Peter Heger, Stefan Schennach und Sonja Zwazl.

09.04.49Aktuelle Stunde

 


Präsident Josef Saller: Wir gelangen nun zur Aktuellen Stunde zum Thema

„Die regionale Bedeutung von Investitionen in die Infrastruktur“

mit dem Herrn Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie, den ich noch einmal herzlich willkommen heißen darf.

In der Präsidialkonferenz wurde Einvernehmen über folgenden Ablauf erzielt:

Zunächst kommt je ein Redner/eine Rednerin pro Fraktion zu Wort, dessen bezie­hungsweise deren Redezeit jeweils 10 Minuten beträgt. Sodann folgt die Stellungnah­me des Herrn Bundesministers, die ebenfalls 10 Minuten nicht überschreiten soll. Da­nach folgt wiederum je ein Redner oder eine Rednerin der Fraktionen sowie anschlie­ßend je eine Wortmeldung der Bundesräte ohne Fraktion mit jeweils einer 5-minütigen Redezeit. Zuletzt kann noch eine abschließende Stellungnahme des Herrn Bundesmi­nisters erfolgen, die nach Möglichkeit 5 Minuten nicht überschreiten soll.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Novak. Ich erteile es ihm.

 


9.06.02

Bundesrat Günther Novak (SPÖ, Kärnten): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­ehrter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Werte Damen und Herren von der Presse! Für Menschen, die in Städten leben, ist Infrastruk­tur zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Anders verhält es sich bei Menschen, die so wie ich aus einem ländlichen Gebiet kommen. Fehlende Infrastruktur ist dort häufig mit ein Grund für die Landflucht, und Landflucht führt umgekehrt mitunter dazu, dass nicht mehr in die Infrastruktur investiert wird, das heißt, kluge Politik achtet allerdings darauf, dass keine Region infrastrukturell vernachlässigt wird, denn der Ausbau und die Erhaltung von Infrastruktur sichern Arbeitsplätze.

Jede Investition in die Infrastruktur lohnt sich mehrfach. Sie sichert nicht nur Arbeits­plätze, sondern bringt den Menschen auch mehr Komfort und ermöglicht es, in einer Region am Puls der Zeit zu sein und auch zu bleiben, denn dort, wo es eine gute Infra­struktur gibt, sind Firmen eher geneigt zu investieren und einen Standort zu eröffnen.

Mallnitz, die Gemeinde, wo ich Bürgermeister bin, ist ein ausgezeichnetes Beispiel da­für, was Infrastruktur bewirkt. Wenn man in der Gemeindechronik von Mallnitz nach­liest, dann sieht man eindrucksvoll, dass der Ort mit der Erbauung der Tauernbahn im Jahre 1909 einen enormen Aufschwung nahm. Waren es zuerst die Arbeiter, die direkt


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 8

an der Erbauung der Eisenbahnstrecke samt Tauerntunnel beteiligt waren, die aus Eu­ropa kamen, zuhauf aus Italien, so waren es danach die vielen Eisenbahner, die in Mallnitz stationiert waren. Natürlich muss man feststellen, dass die Technologisierung da­zu beigetragen hat, dass statt damals, in den sechziger Jahren, nahezu 350 Arbeitern jetzt nur mehr an die 20 Arbeiter bei der Eisenbahn beschäftigt sind.

Dennoch profitiert dieser Bahnhof im Mölltal von der damaligen Entscheidung hinsicht­lich Trassenführung, denn es ist eine internationale Expresszugstation. Von Mallnitz ist man in kürzester Zeit im Süden, in Spittal oder weiter in Italien oder über die Hohen Tauern in Salzburg oder in den Herkunftsländern unserer Touristen wie zum Beispiel in den Beneluxländern oder in Deutschland.

Das Beispiel Mallnitz zeigt, dass infrastrukturelle Maßnahmen langfristige Auswirkun­gen haben. Daher bedarf deren Planung besonnener und wohl überlegender Entschei­dungsträger.

Mit unserem Bundesminister Mag. Jörg Leichtfried haben wir genau so einen Mann nunmehr an der Spitze des Infrastrukturministeriums. Vor allem bringt er etwas mit, das heute unabdingbar ist: Er kennt das Thema Infrastruktur als ehemaliger Verkehrslan­desrat der Steiermark aus der regionalen Sicht und als ehemaliger EU-Parlamentarier mit Schwerpunkt Verkehr aus der europäischen Perspektive. Und genau diese Zusam­menschau von regionalen Problemstellungen und europäischen Vorstellungen ist not­wendig, wenn man Themen wie die Transitproblematik, die Umweltbelastung durch in­ternationalen Straßenverkehr, die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene, die sanf­te Mobilität, Elektromobilität, den attraktiven öffentlichen Verkehr in der Zukunft, die finanzielle Beteiligung der EU bei großen Projekten wie dem Brenner Basistunnel, den Ausbau der europäischen Verkehrsachsen, das Thema Straßenmaut sowie das bereits lange diskutierte Thema Gigaliner seriös und erfolgreich abhandeln will.

Somit befindet sich das Infrastrukturministerium bei Jörg Leichtfried in den besten Hän­den, davon bin ich, sind wir felsenfest überzeugt.

Es ist aus Kärntner Sicht beruhigend, zu hören – und alle, die wir hier herinnen sitzen, sind wir ja auch Ländervertreter –, dass er neben dem Semmering und Brenner Basis­tunnel auch am Koralmtunnel festhält. Dieser Tunnel ist aus regionaler Sicht von enor­mer Bedeutung, denn durch ihn wird die Strecke Graz-Klagenfurt in 45 Minuten be­werkstelligbar. Nicht nur die Kärntner und Kärntnerinnen, sondern vor allem die in Graz studierende Bevölkerung wird es ihm danken.

Noch dazu wurden unter dem ÖBB CEO und jetzigen Bundeskanzler Christian Kern rund 2 Milliarden € an Investitionen bis 2021 für Kärnten fixiert. Das ist ein enormer Schub für unser Bundesland Kärnten als Verkehrs-, Wirtschafts- und Infrastrukturstand­ort gerade in diesen schwierigen Zeiten, in denen sich Kärnten befindet. Damit werden in weiterer Folge 30 000 Arbeitsplätze abgesichert. Das heißt, es fließen 1,9 Milliar­den € in die Schieneninfrastruktur und circa 60 Millionen € in den Nahverkehr.

In weiterer Folge werden auch heuer vonseiten der ASFINAG 53 Millionen € noch in die Straße investiert. Wer durch Kärnten fährt, muss teilweise leidvoll feststellen, dass es dort zu Staus kommt, aber die Tunnel müssen saniert werden. Wir wissen auch, und das ist auch fixiert worden, dass dort 580 Millionen € bis 2021 investiert werden.

Eines der wichtigsten Themen ist der Karawankentunnel, das ist, wie wir wissen, ein Nadelöhr. So wie es ausschaut, so hat es uns zumindest der ASFINAG-Vorstand Schedl mitgeteilt, steht der Beginn des Vollausbaus mit 2017 fest, damit wir den Tunnel dann schlussendlich 2023 gemeinsam mit Slowenien eröffnen können.

Erfreulich ist auch zu hören, dass dem Herrn Bundesminister neben der Verkehrssi­cherheit auch die gesundheitlichen und ökologischen Auswirkungen des Verkehrs ein


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 9

besonderes Anliegen sind. Das gibt allen durch den Transitverkehr geplagten Men­schen, nicht nur in Tirol, sondern auch in Salzburg und Kärnten, Grund zur Hoffnung für die Zukunft.

Zum Schluss kommend möchte ich noch einmal auf das Amtsverständnis, das der Herr Bundesminister für sich selbst festgelegt hat, eingehen. Für ihn geht es in der Verkehrs­politik nicht nur um Technik – die Technik, und das wissen wir alle, ist ein Hilfsmittel –, son­dern es geht um Menschen, die in den Mittelpunkt des Geschehens gestellt werden. Des­halb geht es auch nicht um kurzfristige schnelle Entscheidungen, sondern Verkehrspoli­tik heißt weitsichtiges Handeln. Und zu diesem weitsichtigen Handeln wünschen wir dir, lieber Herr Bundesminister, die notwendige Um- und Durchsetzungskraft. – Danke. (Bei­fall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

9.13


Präsident Josef Saller: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Köll. – Bitte.

 


9.13.51

Bundesrat Dr. Andreas Köll (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf kurzfristig für die Kolle­gin Anneliese Junker einspringen, deren Flugzeug technische Probleme gehabt hat, und über die Bedeutung von Infrastruktur für die regionale Entwicklung aus der Sicht eines Bürgermeisters auch einige Gedanken einbringen.

Sie haben hier soeben einen Vertreter des ländlichen Raumes gehört, nämlich den Bürgermeisterkollegen aus Mallnitz in Kärnten, nicht weit weg von meiner Gemeinde Matrei in Osttirol. Natürlich wird heute hier nicht nur die europäische Ebene zur Spra­che kommen und die Bundesebene, die Landesebene, sondern insbesondere diese Thematik auf die Gemeindeebene herabgebrochen werden. Mallnitz unterscheidet sich nicht wesentlich von Matrei in Osttirol, wir sind eine der größten Nationalparkgemein­den in Österreich und haben natürlich ähnliche Probleme.

Wie wir schon gehört haben, ist Infrastruktur einer der Schlüsselfaktoren im Kampf ge­gen Abwanderung im ländlichen Raum. Ich möchte hier exemplarisch mit der Ver­kehrsinfrastruktur und der europäischen Ebene beginnen: Wahrscheinlich haben wir alle gestern die Bilder der offiziellen Übergabe und Einweihung des Gotthardtunnels in der Schweiz gesehen. Die Schweizer sind schon etwas weiter, aber auch Österreich arbeitet intensiv an diesem Thema. Es waren gestern immerhin fünf Regierungschefs dabei. Auch der neue österreichische Bundeskanzler, der sich auch sehr um den Aus­bau der Bahninfrastruktur bemüht hat, war dabei.

Ich darf vielleicht anhand der Thematik oder des Beispiels des Brenner Basistunnels kurz erläutern, was das für das Bundesland Tirol, aber natürlich auch für die angren­zenden Nachbarländer, die Staaten Deutschland, Österreich und Italien bedeutet:

Der Brenner Basistunnel ist das mit Abstand größte Infrastrukturprojekt. Ich glaube, wir sind jetzt bei prognostizierten Gesamtkosten von 11 Milliarden €. Es werden circa 55 000 Arbeitsplätze hier nicht nur generiert, sondern auch abgesichert. Ein Großteil der Bruttowertschöpfung verbleibt auch im Lande Tirol und in der Republik Österreich, es werden circa 3,4 Milliarden € sein. Die Zielsetzung ist natürlich, den Schwerverkehr insbesondere von der Straße auf die Schiene zu bringen. Die Zielsetzung ist, im Jah­re 2030 in etwa 20 Prozent verlagern zu können, und im Jahr 2050 sollten es 50 Pro­zent sein. Das führt einerseits anhand dieser wichtigen Basisinfrastruktur – die natür­lich europaweite Bedeutung hat – nicht nur zu einer Förderung der Wirtschaft im staat­lichen, im europäischen und regionalen Bereich, sondern das führt natürlich auch dazu, dass die Umweltqualität entscheidend verbessert wird. Und man könnte hier auch sehr


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 10

lange darüber reden, wie groß die Bedeutung des Umweltfaktors ist, wieviel man in diese Infrastruktur investieren kann.

Ich kann als Bürgermeister einer Gemeinde und Planungsverbandsobmann einfach nur sagen, dass wir uns intensivst auch in Osttirol mit diesem Thema beschäftigen und gegen die Abwanderung kämpfen. Dort sind wir eigentlich – so wie viele andere Re­gionen auch – zum Schluss gekommen, dass es drei Schlüsselfaktoren gibt, die für die Abwanderung im ländlichen Raum verantwortlich sind.

Das Erste ist, Frauen entsprechende Möglichkeiten zu bieten. Das ist jetzt nicht unbe­dingt ein infrastrukturelles Thema, aber natürlich hat das auch mit dem Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen im technischen Bereich zu tun.

Ich möchte hier auf das Thema Internet eingehen, dieses allerdings nur ganz kurz streifen, weil ich glaube, dass sich später mein Kollege noch näher mit diesem Thema befassen wird. Wir müssen schnelle Internetverbindungen auch im ländlichen Raum schaffen, damit wir dort dieselben Arbeitsbedingungen haben, wie wir sie in unseren Städten und Ballungszentren vorfinden. Da geschieht sehr viel über die Telekoman­bieter, aber es gibt natürlich auch diverse Förderprogramme der Republik und des Lan­des. Auch Tirol beschäftigt sich intensiv mit diesem Thema und hat vor, in den nächs­ten Jahren rund 100 Millionen € in den Ausbau zu investieren.

Das nächste Thema ist natürlich die Verkehrsinfrastruktur, das könnte man auch wie­der herabbrechen auf die Landesebene, beispielsweise den Ausbau von Flughäfen. Kla­genfurt ist natürlich ein Thema, nicht nur für einen Abgeordneten, der aus dem Süden kommt, der auch auf derartige Flugverbindungen angewiesen ist. Klagenfurt hat bei­spielsweise in den letzten Jahren die Reduktion der Zahl seiner Flugpassagiere von 500 000 auf 250 000 zur Kenntnis nehmen müssen. Das ist natürlich auch ein wichtiger Faktor für die südlichen Bundesländer.

Ich kann auch die Ausführungen des Kollegen Novak unterstreichen, dass es nicht nur den Brenner Basistunnel als wichtiges Projekt in Österreich gibt, sondern auf der Süd­schiene natürlich auch den Koralmtunnel und den Semmering Basistunnel.

Wieder herabgebrochen auf die Ebene eines Bezirkes: Die ÖBB haben vor, in Tirol bis zum Jahre 2021 rund 2,8 Milliarden € zu investieren. Auch das wird wieder circa 40 000 Arbeitsplätze bringen und absichern. Als Beispiel darf ich hier unsere Bezirks­hauptstadt Lienz anführen. Dort ist ein großes Mobilitätszentrum geplant, das den öf­fentlichen Personennahverkehr in einer peripheren Region natürlich auch wesentlich stär­ken wird.

Sie alle wissen, dass Österreich nicht nur bei der Spesenabrechnung für Bundesräte von den Distanzen her in Zeitzonen unterteilt wird, und so macht es natürlich einen Un­terschied, ob man hier in Wien mit dem Fahrrad zufahren kann, oder ob man aus Vor­arlberg oder aus Matrei in Osttirol anreisen muss: Mit dem Fahrzeug wären das circa fünf Stunden! Sie sind dann auch manchmal darauf angewiesen, hier zu übernachten. Unser Fraktionsvorsitzender schmunzelt. Das sieht natürlich auch für einen Abgeord­neten aus der Peripherie anders aus. Aber es geht nicht um unsere Befindlichkeiten, es geht um die Problemstellungen der Bevölkerung: Wie können wir die Lebensbedin­gungen unserer Bevölkerung in ganz Österreich durch den Ausbau von Infrastruktur ver­bessern?

Da komme ich von der ÖBB-Infrastruktur zur Straßeninfrastruktur: Diese darf ich wie­der auf die Bezirksebene herabbrechen, als Beispiel nicht nur nach dem Eintritt von Katastrophenschäden. Wir haben jetzt auch die Bilder im Kopf, was sich derzeit in Bayern aufgrund der Unwetter abspielt. Derartige Anlässe sind natürlich immer mit per­sönlichen Tragödien und Unglücksfällen verbunden, aber sie bieten auch eine riesige Chance, die Infrastruktur in der Folge wieder aufzubauen. Das fördert nicht nur die Wirt-


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schaft, sondern bietet natürlich auch die Möglichkeit, zeitgemäße Infrastruktur zu instal­lieren.

Ich darf unser Beispiel des Felbertauerntunnels bringen: Der Felbertauerntunnel ist die Lebensader Osttirols. Er wurde im Jahre 1967 als Straßentunnel errichtet, und von sei­nerzeit gibt es ein kleines Bonmot, das mich zufälligerweise heute auch mit dem Kol­legen aus Mallnitz verbindet: Es hat einmal im österreichischen Reichstag, also nur we­nige Meter von hier entfernt, eine Abstimmung gegeben, welche Bahnlinie umgesetzt werden sollte, diejenige über die Felber Tauern oder die Tauernlinie über Mallnitz mit der Tauernschleuse. Damals hat sich erstaunlicherweise der Klub der tschechischen Reichstagsabgeordneten für die Felber-Tauern-Route ausgesprochen, aber die Mall­nitzer haben sich letztendlich durchgesetzt, es ist zur Tauernlinie gekommen. Natürlich bietet eine derartige Bahnlinie auch ganz andere Möglichkeiten bei der Ansiedelung von Betrieben im Tourismus, als dies bei einer reinen Straßenverbindung der Fall ist.

Aber trotzdem hatten wir bei uns im Jahre 2013 einen katastrophalen Felssturz im Be­reich des Felbertauerntunnels zu verzeichnen: Es ist gelungen, mit Mitteln der Euro­päischen Union, der Republik Österreich und auch des Landes Tirol 30 Millionen € zu investieren. Wir haben in dieser Zeit gesehen, was es bedeutet, wenn man von der Verkehrsinfrastruktur abgeschnitten ist. Wir hatten nicht nur gewaltige Umsatzrückgän­ge im Tourismus und Einbrüche in der Wirtschaft, sondern wir mussten auch andere Einbußen hinnehmen. Ich glaube, dieses Beispiel hat uns am besten gezeigt, dass es sich lohnt, Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur zur Verbesserung der Regio­nalentwicklung zu tätigen.

Ich hoffe, ich habe noch nicht zu lange gesprochen? Ich könnte über dieses Thema natürlich noch etwas länger referieren und warte schon gespannt auf die Ausführungen meiner Nachrednerinnen und Nachredner. – Danke. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

9.23


Präsident Josef Saller: Bevor wir zum nächsten Redebeitrag kommen, begrüße ich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt und Um­gebung mit Personalvertreter Christian Huber; unter ihnen ist auch der Klubobmann der FPÖ Géza Molnár. Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Krusche. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


9.23.44

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Kolleginnen und Kollegen! Liebe EisenstädterInnen! (Beifall der Bun­desrätin Blatnik. – Allgemeine Heiterkeit.) Liebe Zuhörer zu Hause! „Die regionale Be­deutung von Investitionen in die Infrastruktur“: Ich kann mich des Eindrucks nicht ganz erwehren, man will mit dieser Themenstellung einem neuen Minister ein bisschen eine Bühne bieten, um sich mit schönen Worten zu präsentieren. Anders kann ich mir diese eher schwammige und unpräzise No-na-Themenstellung nicht ganz erklären. Das wäre ungefähr so, wie wenn man in der Humanmedizin über die Bedeutung des Skeletts für den menschlichen Körper diskutierte. (Heiterkeit bei der FPÖ.)

Was ist Infrastruktur? – „Infra“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „unter“ und „Struktur“ steht für „Zusammenfügung“, sinngemäß also „Unterbau“. Ich gehe von der An­nahme aus – und das haben auch meine Vorredner schon unter Beweis gestellt –, dass wir uns hier über die materielle Infrastruktur unterhalten, die die Grundausstattung ei­ner Volkswirtschaft darstellt und den Charakter einer Vorleistung hat, die private Wirt­schaftstätigkeit überhaupt erst ermöglicht. Die Klassiker dabei sind die Verkehrsnetze – haben wir schon gehört –, Ver- und Entsorgungseinrichtungen, beispielsweise im Be­reich Energie, Wasser, Kommunikation.


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Was ist regional? – Wir alle leben in einer Region. Es gibt städtische Regionen, es gibt ländliche Regionen – meine beiden Vorredner haben eher auf diese Regionen in ihren Ausführungen fokussiert –, es gibt Industrie-, Tourismus-, Weinbauregionen und so wei­ter. Jede dieser Regionen benötigt natürlich auch ihre spezifische materielle Infrastruk­tur: eine U-Bahn in Wien beispielsweise, Schilifte in Wintersportgebieten, ausreichende Energieversorgung und Kommunikation in Industrieregionen.

Die Infrastruktur ist also zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Funktion jeder Re­gion essenziell, und ohne die entsprechenden Investitionen wird es diese Wirtschaft nicht geben. Die regionale Bedeutung von Infrastrukturinvestitionen ist damit also eine Conditio sine qua non. Natürlich muss, wie bereits gesagt, die Infrastruktur den regio­nalen Bedürfnissen und Möglichkeiten Rechnung tragen, eine U-Bahn oder ein interna­tionaler Flughafen in Eisenerz wird sicherlich nicht dazugehören.

Um die Wirksamkeit der materiellen Infrastruktur zum Tragen kommen zu lassen, braucht es aber auch die immaterielle Infrastruktur, das heißt Humankapital, Bildungswesen, Forschung, Gesundheit, Soziales, und vor allem auch die institutionelle Infrastruktur, die Rechtsordnung, die Verwaltung. Gerade in diesem Bereich gibt es in Österreich, wie wir wissen, noch eine Menge an Verbesserungspotenzial.

Wenn also all dies zusammenpasst, dann kann die entsprechende Infrastruktur zu ei­nem signifikanten Wachstum führen. Das Beispiel, das vom Herrn Kollegen Novak an­geführt wurde, hat das ja schon drastisch gezeigt, es war ein etwas älteres. Ich möchte vielleicht auch ein neueres Beispiel bringen: Limburg an der Lahn im deutschen Bun­desland Hessen hat circa 38 000 Einwohner und liegt nunmehr an der Neubaustrecke Köln–Rhein/Main–Frankfurt–Köln, hat also eine ICE-Haltestelle. Ich glaube, neben Mon­tabaur sind das die beiden einzigen deutschen Städte, die ausschließlich ICE-Halte­stellen haben. Diese Haltestellen waren wegen ihrer hohen Kosten sehr umstritten. Seit 2002 ist die Strecke in Betrieb, 2004 wurden dort 1 300 Fahrgäste pro Tag ge­zählt, 2013 waren es schon mehr als doppelt so viel, 2 700. Aber viel wichtiger ist die Zahl der Beschäftigten, diese ist nämlich im Zeitraum von 2006 bis 2014 um circa 4 500 angestiegen, in einer 38 000-Einwohner-Stadt, vorwiegend durch zusätzliche Ein­pendler. Die London School of Economics hat ein zusätzliches Wachstum von circa 3 Pro­zent errechnet.

Das zeigt also, dass zusätzliche Infrastruktur einen enorm positiven Einfluss haben kann. Es braucht aber auch einen entsprechend langen Atem. Vier Jahre hat es ge­dauert, von 2002 bis 2006, bis das angesprungen ist – das kann man sehr schön se­hen (eine Grafik in die Höhe haltend) –, und dann ein markanter Anstieg an Beschäfti­gungen.

Warum erzähle ich dieses Beispiel? – Ich sehe für St. Paul im Lavanttal oder für Deutsch­landsberg, die Haltestellen der neuen Koralmbahn sind, auch solche Potenziale für die Zukunft.

Wir wissen auch, dass viele Infrastrukturprojekte extrem lange Vorlauf- und Umset­zungszeiten haben. Beim Semmering Basistunnel reden wir von ungefähr 45 Jahren bis zu seiner Fertigstellung, beim Koralmtunnel dauert es ungefähr 35 Jahre und beim Brenner Basistunnel circa 30 Jahre von den ersten Planungsschritten bis zur Fertig­stellung. Das sind sicherlich Extrembeispiele, aber Straßen, Eisenbahnlinien, Kraftwer­ke benötigen Jahre bis Jahrzehnte, bis sie wirksam werden können.

Herr Bundesminister, es wird daher Ihre Aufgabe sein, neue Projekte für die Zukunft anzustoßen und nicht nur die Ihrer Vorgänger weiterzuverfolgen und sich dafür feiern zu lassen. Auf das haben Sie sich nämlich weitgehend in dem knappen Jahr – ich gebe zu, das ist keine lange Zeit – Ihrer Tätigkeit als steirischer Landesrat beschränkt. Die Schnellbahnen S8 und S9, Bruck–Unzmarkt, Bruck–Mürzzuschlag, oder Knoten Trau-


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tenfels, Umfahrung Weiz sind alles Projekte, die schon von Ihren Vorgängern angesto­ßen wurden und jetzt nur weiterverfolgt werden.

Ich möchte aber auch warnend sagen, dass Infrastruktur beispielsweise durch Verla­gerung auch verlorengehen kann. Gerade mir als Leobener ist es ein besonderes Be­dürfnis, immer wieder darauf hinzuweisen: Das Murtal westlich von Bruck an der Mur wird spätestens nach Inbetriebnahme der Koralmstrecke Infrastruktur verlieren. Die Verbindung Wien–Klagenfurt wird nicht mehr durch dieses Murtal führen, voraussicht­lich auch nicht die Verbindung Graz–Salzburg. Es ist daher ganz wichtig, die entspre­chenden Maßnahmen bereits jetzt zu starten, um diesen Verlust an Infrastruktur für diese Regionen ausgleichen zu können.

Ich bin der absoluten Überzeugung, dass mittelfristig diese S-Bahn nicht nur im Mur- und Mürztal quer geführt werden muss, sondern ab Bruck direkt nach Graz durchge­bunden werden muss, ohne Halt, mit dem Sammeln in den entsprechenden Tälern. Die Murtal Schnellstraße S 36 gehört nicht nur bis Scheifling zügig fertiggestellt, sondern in weiterer Folge unbedingt auch an die S 37 in Kärnten angebunden.

Auch die Pyhrnbahn – hier meine ich die Eisenbahnstrecke – ist noch ein Stiefkind. Die Verbindung in den Norden, Richtung Linz, Wels und weiter die Summerauerbahn in die tschechische Region ist ausgesprochen dürftig, auch wenn der Bosrucktunnel – der Ei­senbahntunnel – jetzt saniert wird. Es ist ein eingleisiger Tunnel, das hat historisch ver­ständliche Gründe, damals war man der Meinung, es besteht ein Parallelgleis durch das Ennstal von Hieflau nach Steyr – das ist aber nicht mehr zeitgemäß.

Die Schweiz zeigt es vor, Sie waren gestern ja auch dort. Und wenn ich das richtig gehört habe, hat der Herr Bundeskanzler gesagt, es wird auch in Österreich in Zukunft neue Projekte solcher Art geben. Da gäbe es genug für Straße und Schiene zu tun, der Fernpass in Tirol beispielsweise harrt auch dringend einer Lösung.

Investitionen in die Infrastruktur sind also eine Investition in die Zukunft. Nebenbei si­chern sie, wie ja bereits ausgeführt wurde, auch Arbeitsplätze in der Bauphase.

Herr Bundesminister, denken Sie bitte darüber nach, wie diese Infrastruktur für die Zu­kunft verbessert und gestärkt werden kann, und denken Sie weniger darüber nach, wie man die Wirtschaft zusätzlich beispielsweise durch eine flächendeckende Lkw-Maut be­lasten kann. – Glück auf! (Beifall bei der FPÖ.)

9.35


Präsident Josef Saller: Als Nächste hat sich Frau Bundesrätin Mag. Schreyer zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


9.35.20

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Minister! Ich möchte Sie zuerst im Namen unserer Fraktion recht herzlich willkommen heißen und freue mich schon auf eine sehr gute Zusammenarbeit. Und ich freue mich ganz besonders, dass ich in den letzten beiden Wochen in Interviews mit Ihnen, die ich gelesen habe, sehr viele sehr gute Ansätze finde.

Das Thema der heutigen Aktuellen Stunde ist ja sehr vielfältig: „Die regionale Bedeu­tung von Investitionen in die Infrastruktur“. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ei­nerseits betrifft es so viele verschiedene Teile der Infrastruktur, die Bahninfrastruktur – da wieder aufgeteilt in Personen- und Gütertransport –, die Straßeninfrastruktur in allen Hierarchiestufen, Radwege, Fußwege und natürlich auch den Breitbandausbau.

Andererseits gibt es natürlich auch verschiedene Formen der regionalen Bedeutung: Wo schafft man Arbeitsplätze vor Ort für lokale Klein- und Mittelbetriebe, und wie wird die Bevölkerung in den Regionen beeinflusst? – Durch verbesserte Mobilität, durch ver-


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besserte Möglichkeiten, eben nicht mehr immer mobil sein zu müssen, also von zu Hau­se aus arbeiten zu können, dadurch dass Absiedelungstendenzen entgegengewirkt wird und nicht zuletzt auch durch die Verringerung von Stau-, Lärm- und Luftbelastung.

Herr Minister, Sie haben gestern anlässlich der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels be­tont, dass durch die großen Tunnelprojekte im Alpenraum das Angebot für die Bahnrei­senden verbessert wird und damit auch die Grundlage dafür, so viel Güterverkehr wie möglich von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Ich darf Sie da zitieren:

„Der Gotthard-Tunnel bringt uns die Chance, einen Teil des Lkw-Transits von der Bren­ner-Route auf die Bahn zu verlagern. Das heißt weniger Lärm und auch weniger Schad­stoffe für die Tirolerinnen und Tiroler.“

Das hoffe ich auch, genauso wie ich das auch bei den anderen großen Tunnelpro­jekten hoffe, die heute schon oft erwähnt wurden: Brenner Basistunnel, Koralmtunnel, Semmering-Basistunnel. Allerdings, und das wissen Sie als ehemaliger Europaabge­ordneter auch, muss da noch sehr viel gemacht werden, vor allem im regulatorischen Bereich, um diesen Lenkungseffekt auch wirklich zu erzielen, da eben die Bahn und die Benutzung der großen Tunnel einfach noch die viel teurere Variante im Vergleich zur Straßenvariante sind. Da muss sich Österreich als der Flaschenhals von Mitteleu­ropa wirklich dafür stark machen.

Aber weg von den Großprojekten und hin zu den Menschen, zu den PendlerInnen und anderen NutzerInnen des öffentlichen Schienenverkehrs: Als Tirolerin tue ich mir natür­lich sehr leicht, da gibt es nur zwei Hauptrichtungen, und entlang dieser zwei Haupt­richtungen wohnt praktischerweise der Großteil der Bevölkerung. Da geht es natürlich nur in Richtung … (Zwischenruf bei der ÖVP.) – Entschuldigung, ich spreche jetzt von Nordtirol –, da geht es natürlich ebenso, aber auch in Osttirol, in Richtung Ausbau und verstärkte Taktung.

In den flächigeren Bundesländern, die viel zersiedelter sind, ist das natürlich eine ganz andere Herausforderung. Doch gerade dort sind die Regionalbahnen ein wichtiges Rückgrat für die Regionen und werden im Hinblick auf die Herausforderungen des Pa­riser Weltklimavertrages eher wichtiger werden und aufzuwerten sein, zum Beispiel durch Elektrifizierung.

Was mir da Sorgen bereitet, ist, dass die Bahn-Infrastrukturplanung sich offiziell immer noch nach dem Zielnetz 2025+ der ÖBB richtet. Laut diesem Zielnetz 2025+ sollen die meisten Regionalbahnen – bezeichnenderweise auch „Nebenbahnen“ genannt – zusper­ren, vor allem weil man die teilweise niedrige Fahrgastnachfrage und mit diesem Vor­wand die Strecke und damit die Kosten für den Erhalt der Infrastruktur loswerden will. Das ist aber natürlich ein Henne-Ei-Problem: Das Angebot bestimmt die Nachfrage, ei­ne geringere Taktung macht diese Strecken unattraktiv, es gibt weniger Fahrgäste, man spart noch mehr Züge ein und ist einfach schon drinnen in dieser Abwärtsspirale, wobei dann die vermeintliche Lösung eben die Schließung dieser Regionalbahnen ist.

Das BMVIT selbst hat sich davon ohnehin schon entfernt, hat auch schon Stilllegungs­anträge der ÖBB abgewiesen. Unser Anliegen wäre eben auch offiziell ein Wegkom­men von diesem Zusperrkonzept und eine Entwicklung in Richtung mehr Investitionen in die Regionalbahnen.

Gerade in Verbindung mit einer anderen Infrastruktur, also einem guten Radwegenetz, mit Park-and-Ride-Möglichkeiten und Barrierefreiheit kann der Umstieg hin zu öffentli­chen Verkehrsmitteln auch in der breiten Region sehr attraktiv gemacht werden.

Zum Thema Barrierefreiheit möchte ich noch ein Thema ansprechen, weil ich selbst auch davon betroffen bin – ich mache das jetzt das vierte Mal, da Sie jetzt schon der vierte Verkehrsminister beziehungsweise ‑ministerin sind, die ich in drei Jahren Bun-


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desrat als Gegenüber habe –: Zur Barrierefreiheit gehören auch die Barrierefreiheit für Kinderwägen und die Familienfreundlichkeit vom Säugling aufwärts, um in diesem Be­reich auch attraktiver zu werden und vor allem für Familien und gerade im ländlichen Raum den Umstieg auf den öffentlichen Verkehr zu forcieren.

Ein Beispiel dafür ist der Zustieg. Der Zustieg ist ohne Hilfe überhaupt nur im Nieder­flurwagen in den Regionalbahnen möglich; diese haben auch Kinderwagenabteile, Rad­abteile und Wickelmöglichkeiten. Im Intercity und Eurocity, die leider Auslaufmodelle sind, gibt es überhaupt keine Möglichkeit, Kinderwägen unterzubringen, außer im Post­waggon, was aber nicht Vorschrift ist, sondern eigentlich dem Gutdünken des Schaff­ners oder der Schaffnerin unterliegt. Railjets haben pro Zug 400 Sitzplätze, 200 Steck­dosen für Laptops und zwei Kinderwagenabstellplätze.

Es geht weiter – ich habe gesagt, Familienfreundlichkeit vom Säugling aufwärts –: Wi­ckelmöglichkeiten sind im Intercity und Eurocity in manchen Zügen gar nicht vorhan­den. Der Railjet hat manchmal Wickeltische in den Rollstuhltoiletten; dann ist genü­gend Platz. Oft befinden sie sich aber in den regulären winzigen Toiletten des Railjets. Der Tisch ist dann über der Toilette des Railjets auszuklappen, und das ist wirklich ganz furchtbar eng.

Was Stillmöglichkeiten betrifft: Im Intercity und Eurocity hat es Stillabteile mit Vorhän­gen gegeben, in allen anderen Zügen gibt es gar keine Stillabteile. Meine Kollegin Beri­van Aslan hat als Konsumentensprecherin im Nationalrat dazu unter anderem folgende Anfrage gestellt:

„Welche Maßnahmen werden Sie insbesondere ergreifen, um den Bedürfnissen stil­lender Mütter in Railjets gerecht zu werden?“ – Die Antwort war: „Im Bedarfsfall gibt die Zugmannschaft in den Zügen (…) bereits jetzt gerne Auskunft über wenig frequentierte Abteile im Zug.“

Das ist als Antwort schon sehr unbefriedigend. Vor allem lese ich da heraus, dass in dieser Hinsicht eigentlich gar nichts geschehen soll. (Zwischenruf des Bundesrates Mayer.)

Zu den Sitzmöglichkeiten: Im Intercity oder Eurocity hat es die Sechserabteile mit aus­ziehbaren Sitzen gegeben. Da konnte man ein Baby auch einmal hinlegen. In Railjets sind alle Sitze für Babys untauglich, weil es einzelne Schalensitze sind. Man kann ein Baby also nicht hinlegen, sondern man muss es auf der gesamten Strecke von Wien nach Bregenz auf dem Arm oder in der Bauchtrage halten. Erst wenn Kinder cirka zwei Jahre alt sind, wenn sie eigenständig und stabil sitzen können, ist ein Railjet für sie wirk­lich geeignet.

Das ist aus meiner Sicht auch wieder so ein typisches Henne-Ei-Problem: Wenn die Züge familienfreundlicher sind, dann werden sie auch mehr genutzt. Ich glaube, im Mo­ment ist die Ausrede eher: Na ja, Familien nutzen die Langstreckenzüge nicht so, des­wegen bauen wir das auch nicht so aus!, aber auch da wird das Angebot für die Nach­frage ausschlaggebend sein.

Kommen wir zum nächsten Punkt, zur Straßeninfrastruktur. Eine Infrastruktur, in die ganz dringend investiert werden muss, ist die des niederrangigen Straßennetzes, und zwar gerade auch in den peripheren Regionen, die teilweise wirklich in einem erbärmli­chen Zustand sind. Das kostet natürlich. Und woher nehmen wir das Geld? – Es hat in letzter Zeit schon sehr oft den Vorstoß in Richtung flächendeckender Lkw-Maut gege­ben, zuletzt auch bei der LandesverkehrsreferentInnenkonferenz, bei der allerdings nicht die Einstimmigkeit erreicht wurde. Gemeint ist mit der flächendeckenden Lkw-Maut, dass Lkws für alle Kilometer zahlen, die sie fahren, nicht nur auf der Autobahn. Das Autobahnnetz umfasst nur 3 Prozent des österreichischen Straßennetzes.

Es gibt eine ganz neue Studie der Arbeiterkammer zu den regionalen Arbeitsplatzef­fekten einer flächendeckenden Lkw-Maut. Ergebnis dabei ist: Gerade in peripheren Re-


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gionen ist mit gesteigerten Investitionen in die Erhaltung des bestehenden Straßennet­zes ein sehr spürbarer Impuls für den regionalen Arbeitsmarkt verbunden. Bei Neubau­ten im hochrangigen Straßennetz ist das nicht so, da werden vor allem die in den Bal­lungsräumen ansässigen Konzerne und deren Spezialmaschinen beschäftigt – sollen sie auch –, aber wir möchten, dass auch die kleinen und mittleren Betriebe und die Men­schen in den Regionen stärker zum Zug kommen.

Ganz kurz möchte ich abschließend – weil die Lampe am Rednerpult schon blinkt – et­was zum Breitbandausbau sagen: Abgesehen vom Impuls für die lokale Bauwirtschaft, weil da wirklich vor allem die regionalen kleinen und mittleren Betriebe eingebunden sind, hat das natürlich einen sehr großen Einfluss auf die Bevölkerungsstruktur im länd­lichen Raum. Es ist ein großer Schritt in eine Richtung, die den Abwanderungstenden­zen entgegenwirkt, vor allem den Abwanderungstendenzen von gut ausgebildeten Frau­en, speziell jungen Frauen.

Eine weitere Infrastruktur – wie mein Kollege auch schon erwähnt hat –, in die in die­sem Zusammenhang vermehrt investiert werden muss, ist die Kinderbetreuungsinfra­struktur, vor allem auch wieder im ländlichen Raum, um Familie und Beruf – beides – in den Regionen zu ermöglichen. Das fällt jetzt ausnahmsweise einmal nicht in Ihren Zuständigkeitsbereich.

Wie gesagt, ich freue mich sehr auf eine gute Zusammenarbeit. – Danke schön. (Bei­fall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

9.45


Präsident Josef Saller: Zu einer ersten Stellungnahme zu Wort gemeldet hat sich der Herr Bundesminister. Auch diese Redezeit soll 10 Minuten nicht überschreiten. – Bitte, Herr Bundesminister.

 


9.45.31

Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie Mag. Jörg Leichtfried: Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren Bundesräte! Es freut mich, dass ich heu­te das erste Mal zu Ihnen sprechen darf.

Sie, Kollegin Schreyer, haben angesprochen, dass ich Ihr vierter Verkehrsminister bin. Kol­legin Moser im Nationalrat hat zu mir gesagt, ich sei ihr 13. Verkehrsminister. (Heiter­keit bei SPÖ, ÖVP und Grünen.) Anscheinend haben die Damen und Herren, die die­ses Amt ausgeübt haben, eine relativ geringe Halbwertszeit. Ich hoffe, das wird bei mir nicht so sein, aber, wie gesagt, sicher kann man sich dieser Dinge nie sein.

Geschätzte Damen und Herren! Kollege Krusche hat es angesprochen: Ich war gestern und vorgestern beim Gotthard-Basistunnel. Es war im Zuge des sogenannten Züricher Prozesses. Der Züricher Prozess ist eine Gruppe von Verkehrsministerinnen und ‑mi­nis­tern der Alpen‑ und Alpenanrainerstaaten, die sich gerade mit einem Thema be­schäftigt, das meines Erachtens essenziell ist, nämlich der Verlagerung der beiden Ver­kehrsarten, des Güter- und des Personenverkehrs, von der Straße auf die Schiene.

Ich hatte dann auch das Vergnügen, mit dem zweiten Zug zu fahren, es war sehr in­teressant. Im ersten Zug, der in den Tunnel eingefahren ist, waren Schweizerinnen und Schweizer, die an einer Verlosung teilgenommen und die Fahrt gewonnen haben. Der zweite Zug war dann für andere, so wie mich, vorgesehen, und ich bin in diesen Tunnel hineingefahren. Ich kann Ihnen sagen, es war nicht wirklich spektakulär, selbst hinein­zufahren. Man hat nämlich außer Betonwänden nicht viel gesehen. Aber das Gefühl, in einen Tunnel, der 57 Kilometer lang ist, hineinzufahren und mehr als 2 000 Meter Fels über sich zu haben, ist schon ein bemerkenswertes.

Das hat mich angeregt, über Folgendes nachzudenken: Dieser Tunnel im Speziellen, aber nicht nur dieser Tunnel, ist ja kein reines Verkehrsprojekt, bei dem man von A nach B


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kommt. Solche gewaltigen Bauwerke verbinden Menschen, verbinden Völker, verbinden Nationen, verbinden Kulturen und schaffen einen Austausch, der in vergangener Zeit ei­gentlich unvorstellbar gewesen ist.

Darum geht es im Wesentlichen bei Verkehrspolitik. Es geht nicht darum oder nicht nur darum, Güter oder Personen von A nach B zu bringen, sondern es geht darum, Men­schen zu verbinden, und zwar auf eine Art und Weise, die den Menschen, die nicht di­rekt verbunden werden oder verbunden werden möchten, auch nicht unbedingt scha­det. Das ist meines Erachtens der zweite Punkt in der Verkehrspolitik, der mir persön­lich wichtig ist.

Verkehrspolitik verursacht natürlich auch andere Einflüsse auf das Leben der Men­schen, verursacht teilweise Schäden, ist laut, verursacht Abgase. Das sind meines Er­achtens die gesamten Herausforderungen der Verkehrspolitik: einerseits Produkte und Menschen möglichst schnell, möglichst bequem, möglichst effizient von A nach B zu bringen und andererseits die Schäden, die das Ganze verursacht, in Grenzen zu hal­ten, soweit dies möglich und sinnvoll ist.

Kollege Krusche hat den Vergleich mit dem Skelett angesprochen. Ich denke, das ist ein guter Vergleich, der am Ende aber doch ein bisschen hinkt. Wenn ein Mensch ge­boren wird, dann hat er das Skelett; als die Erde sozusagen entstanden ist, gab es keine Verkehrswege. Die Menschen waren es, die Verkehrswege geschaffen haben. Wenn ein Mensch größer wird, dann wächst dieses Skelett in der Regel mit, und ich bin jetzt schon in einem Alter, in dem das Ganze dann wieder in die umgekehrte Rich­tung geht, stelle ich fest – oder eben bald. (Allgemeine Heiterkeit.)

Das ist bei Verkehr, bei Infrastruktur auch nicht so. Infrastruktur ist etwas von Men­schen Gemachtes, und Menschen beeinflussen, wie sich das entwickelt. Wo wir uns aber einig sind, ist, dass ab dem Zeitpunkt, ab dem Straßen gebaut wurden, der Mensch in seiner zivilisatorischen Entwicklung eine ganz andere Richtung genommen hat. Seit Straßen gebaut wurden, seit Verkehrswege gebaut wurden, ist eines klar: Entlang die­ser Verkehrswege waren die Entwicklungen immer positiver als anderswo, insbesonde­re im Hinblick auf Ansiedlung und Wirtschaftsentwicklung.

Das ist auch der Grund, warum ich meine, dass es unglaublich wichtig ist, in Verkehrs­infrastruktur zu investieren. Verkehrsinfrastruktur ist einerseits die Grundlage für wirt­schaftliche Entwicklung, andererseits aber auch – und das wurde von einigen von Ih­nen schon angesprochen – für Bevölkerungsentwicklung.

Um meinem Auftrag nachzukommen, Ihnen auch einige Zahlen zu präsentieren: Zwi­schen 2016 und 2021 besteht die Absicht, 14,5 Milliarden € in die Schiene zu investie­ren, allein im Jahr 2016 2 Milliarden €, in die Straße im gleichen Zeitraum 7,3 Milliar­den € – da sieht man auch schon eine gewisse Gewichtung, denke ich –, 2016 cirka 1 Milliarde €.

Es geht jedoch nicht nur um die Straße, sondern auch um Flüsse: In den Donau-Hoch­wasserschutz werden 403 Millionen € investiert, 2016 80,7 Millionen €.

Angesprochen wurde auch bereits: Es geht nicht nur um Wege, sondern auch um eine andere Art der Infrastruktur. Für Breitband wird 2016 bis 2021 1 Milliarde € zur Verfü­gung gestellt; für 2016 bedeutet das 300 Millionen €.

Ich habe gehört, dass diskutiert wird, inwieweit das wirklich gut angenommen wird. Wir hatten da die eine oder andere Startschwierigkeit, das kann man ganz offen sagen. Inzwischen ist das Angebot, das es gibt, schon überzeichnet, das heißt, es wird schon sehr gut angenommen, und wir sind auf einem guten Weg.

Was die Forschung betrifft: 2016 bis 2021 gibt es 2,8 Milliarden € an Unterstützung seitens des Infrastrukturministeriums; für 2014 waren es 474 Millionen €, also eigent-


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lich jedes Jahr 500 Millionen € für Forschung. Ich glaube aber dennoch, dass es in die­sem Bereich notwendig ist, noch weiter zu schärfen, noch weiter zu konzentrieren. Wir müssen da, wo wir stark sind, noch stärker werden.

Herr Krusche, Sie sagen, Sie sind aus Leoben. Gerade die Obersteiermark ist da ein sehr gutes Beispiel hinsichtlich metallurgischer Kompetenz. Das stammt nicht von mir, aber namhafte Unternehmer haben mir erzählt, die Obersteiermark ist derzeit das me­tallurgische Kompetenzzentrum Europas. Es ist gut, dass sie das ist, aber man muss immer noch besser werden, denn sonst bleibt man es nicht. Das gilt nicht nur für die Metallurgie, das gilt auch für andere Bereiche, in denen wir gut sind.

Wir müssen überlegen, wie es bei gewissen Entwicklungen, die absehbar sind und die auch den Bereich Mobilität betreffen, gelingen kann, vorn zu sein. Wir sind in Öster­reich derzeit sehr gut bei der Zulieferung von absoluten Hightechprodukten, beispiels­weise für die Autoindustrie in Deutschland. Was bedeutet es aber, wenn automati­siertes Fahren kommt? Wie können wir dann trotzdem so gut bleiben? Was bedeutet es, wenn mehr Elektromobilität kommt? Wie schaffen wir es da, vorn zu sein? – Das sind meines Erachtens Dinge, die im Bereich Forschung immens wichtig sind.

Was bedeuten diese Investitionen in der direkten Umsetzung? – Das ist auch recht in­teressant: Die 2 Milliarden € für die Schiene sind ein Beitrag von 0,6 Prozent zum Brut­toinlandsprodukt – das ist meines Erachtens sehr viel –, 40 000 direkt geschaffene Ar­beitsplätze und 30 000 langfristig gesicherte Arbeitsplätze. Bei den Straßeninvestitio­nen sind es 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und 10 000 geschaffene Arbeits­plätze.

Was die Wirkungen der Breitbandinvestitionen betrifft, so geht man von cirka 42 500 Ar­beitsplätzen pro investierter Milliarde aus, und was die Forschung betrifft, sind es bei 350 Millionen € Technologieförderung circa 16 000 Arbeitsplätze, die dadurch geschaf­fen werden können.

Es geht aber natürlich weiter: Der Nutzen dieser Investitionen sollte am Ende der sein, dass Österreich die Kraft hat, zukunftsfähig zu sein, aufbauend auf diesen Leistungen, die bis jetzt in Österreich erbracht wurden. Die Politik kann dabei die Rahmenbedin­gungen schaffen, es ist aber ebenso notwendig, dass engagierte Menschen in Öster­reich diese Rahmenbedingungen auch nützen und nützen können.

Da kommt natürlich das Thema Bildung dazu: Ausbildung, Bildung, Fähigkeiten erwer­ben, Unternehmen gründen, Start-ups versuchen – diese Dinge sind unbedingt not­wendig, damit Österreich diesen Weg, der, denke ich, bis jetzt recht erfolgreich war, wei­ter gehen kann.

Wir sind derzeit im Bereich der Exportindustrie herausragend. Es braucht aber immen­se Anstrengungen, um auch weiter herausragend agieren zu können. Wichtig, um das zu erreichen, sind die Forschung, die Grundlagenforschung und die Unterstützung der Unternehmen, die Unterstützung derer, die etwas beginnen wollen. Gleichzeitig dürfen wir aber nicht auf andere Dinge, die genauso wichtig sind, vergessen.

Frau Bundesrätin Schreyer, von mir hätten Sie diese Antwort so nicht bekommen. Ich glaube, wenn man sagt, es wird schon irgendeinen leeren Platz im Railjet geben, ist das vielleicht ein bisschen zu wenig an Antwort. Ich gebe auch offen zu, die Problema­tik mit Kinderwägen und Wickelplätzen hat sich mir bis jetzt noch nicht erschlossen. Danke für diese Anregung. Das sind Dinge, die genauso wichtig sind und die man sich anschauen muss.

Ich darf da die Personenchefin der Schweizer Eisenbahn zitieren, die ich jetzt wieder in Lugano getroffen habe, die damals bei einer Veranstaltung in Graz zu mir gesagt hat: Ja, die Technik ist schon wichtig, aber man darf sie nicht überbewerten. Nur weil eine


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Tür bei der Eisenbahn perfekt und lautlos schließt, steigt noch niemand in den Zug ein. In einen Zug steigt man erst dann ein, wenn man schnell wohin kommt, wenn es komfortabel ist – und da gehören diese Dinge, die Sie angesprochen haben, auf jeden Fall dazu –, wenn es gut vertaktet ist, wenn man also beim Umsteigen nicht lange war­ten muss, wenn man ein gewisses Tempo erreicht und auch ein gewisser Coolness-Faktor dabei ist. Das ist das Ziel von Verkehrspolitik.

Das ist natürlich nicht einfach, aber ich denke, es ist anzustreben, die Menschen und auch die Güter verstärkt in die öffentlichen Verkehrsmittel zu bringen. Das ist die He­rausforderung von direkter Verkehrspolitik, und jene von indirekter Verkehrspolitik ist es, dafür zu sorgen, dass die Menschen insgesamt in unserem Land an Lebensqualität gewinnen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen sowie des Bundesra­tes Zelina.)

9.57


Präsident Josef Saller: Ich danke dem Herrn Bundesminister.

Ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam, dass die Redezeit der weiteren Teilneh­merinnen und Teilnehmer an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkon­ferenz 5 Minuten nicht übersteigen darf.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Beer. – Bitte.

 


9.58.15

Bundesrat Wolfgang Beer (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Infrastruktur: Was bedeutet Infrastruktur? Was hat Infrastruktur früher bedeutet? Wie definiert sich Infrastruktur heute? Welche Aufgaben hat der Staat früher im Hinblick auf die Infrastruktur übernommen? Welche Aufgaben hat der Staat abgegeben? Was ist in private Hand geflossen? Und was bedeutet das eigentlich für unsere Zukunft?

Wie wir jetzt schon in vielen Reden gehört haben, ist die Infrastruktur existenziell für Österreich. Wir haben allerdings heute bis jetzt eigentlich in erster Linie Infrastruktur für Autobahnen, Eisenbahnen, U-Bahnen – also Straßen und Verkehrswege – behandelt. In­frastruktur hat sich jedoch sehr geändert.

Wir haben zum Beispiel in der Infrastruktur, wie auch schon erwähnt, den Breitband­ausbau. Wer wird bei diesem Breitbandausbau Gewinner sein? Wer wird Verlierer sein? – Wenn wir den Breitbandausbau forcieren, dann haben wir auch die Möglichkeit, in länd­lichen Regionen Anbindungen zu schaffen. Nur muss es auch die Menschen geben, die diese Anbindungen nutzen können.

Wie wir gehört haben, erreicht Österreich 2024 die 20-Prozent-Marke hinsichtlich der über 65-Jährigen. Böse wurde geschrieben: ein altes Land.

Ich glaube nicht, dass wir, nur weil wir viele über 65-Jährige haben, ein altes Land sind, vielmehr sind wir ein Land, das vom Erfahrungsschatz der Älteren wirklich auch profi­tieren kann. Es zählt nicht immer nur das Junge, sondern manchmal ist es auch wich­tig, Ältere zu fragen, die vielleicht einen anderen Blickwinkel haben.

Man darf nicht außer Acht lassen, dass Junge die Dinge oft ganz anders sehen. Auch das ist wichtig, denn ich muss sagen, wenn ich mich an meine Jugend erinnere, dann war ich auch der Meinung, dass ich es viel besser weiß als die Älteren, weil ich ja der Junge, der Dynamische, der Fortschrittliche war.

In Bezug auf die Infrastruktur haben wir sicherlich auch die Aufgabe, Menschen zu schulen und ihnen den Umgang damit beizubringen. Dabei hört man immer wieder: Für diejenigen, die im Arbeitsprozess sind, ist das ja kein Problem, man bekommt die Schu­lungen sowieso vom Arbeitgeber bezahlt und lebt mit der Technik mit!


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Das ist nicht ganz richtig, denn es gibt sehr viele Bereiche, in denen man mit dieser modernen Infrastruktur nichts am Hut hat: Ein Bäcker, eine Verkäuferin, Menschen, die eigentlich handwerkliche Tätigkeiten ausführen, sind – wenn sie nicht gerade selbst einen Betrieb führen – davon eher nur peripher betroffen, sollten aber genauso ge­schult werden. Ebenso müssen die über 65-Jährigen, die möglicherweise schon aus dem Arbeitsprozess ausgeschieden sind, geschult werden. Es müssen Angebote ein­gerichtet werden, um sich weiterbilden zu können, um für diese Möglichkeiten auch fit gemacht zu werden.

Ein weiterer Aspekt ist es, neu zu definieren, was Infrastruktur ist. Früher hat man ge­sagt: Die Banken gehören sicher nicht zur Infrastruktur! Ich bin der Meinung, dass sie heute sehr wohl zur Infrastruktur gehören, denn in Zukunft wird man ohne irgendwel­che elektronische Anbindungen – und das geht ja immer weiter – keine Bankgeschäfte mehr führen können.

Gleichzeitig haben die Banken eine Verantwortung, denn sie profitieren von dieser In­frastruktur, sie profitieren von den neuen Technologien. Das Seltsame ist allerdings: Sie bauen immer mehr Menschen ab, aber meine Bankgebühren werden immer höher! Es verschwindet also der wahnsinnige Kostenfaktor Mensch aus diesem Bereich, und trotzdem muss ich mehr zahlen. Diese Geschichte muss man sich genau anschauen.

Jedenfalls ist es hundertprozentig wichtig und richtig, Infrastruktur auszubauen, aber auch maßvoll damit umzugehen. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

10.03


Präsident Josef Saller: Ich begrüße sehr herzlich Frau Staatssekretärin Duzdar. Ich gratuliere ihr, dass sie in dieser Funktion wieder in den Bundesrat zurückkehrt. Alles Gute! (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Bundesräten von ÖVP und FPÖ.)

Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Mag. Gödl zu Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


10.03.36

Bundesrat Mag. Ernst Gödl (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Sehr geehrter Herr Bundesminister Leichtfried aus der Steiermark! Herzlich willkommen in diesem Haus!

Wenn ich morgens so wie heute den Weg nach Wien antrete, dann habe ich bereits in der Früh eine Wahl zu treffen, nämlich die Wahl des Verkehrsmittels. Prinzipiell habe ich – aus der Nähe von Graz kommend – drei gute Möglichkeiten, rechtzeitig hier her­zukommen: zum einen einmal das Auto, das steht in der Garage; das ist übrigens nach wie vor der schnellste Weg, von Graz nach Wien zu kommen. Die zweite Möglichkeit, die es erst seit einem Jahr gibt, die jedoch immer mehr in Anspruch genommen wird, ist die Busverbindung. Es gibt einen privaten Anbieter, ich glaube, in Deutschland orga­nisiert, der ein Netzwerk fast über halb Europa gespannt hat und zu guten Konditionen, zu guten Preisen – und auch relativ schnell – fährt.

Die dritte Variante ist die Bahn. (Bundesrat Krusche: Fliegen hast vergessen!) – Na ja, fliegen, aus Graz, da würde ich sagen, das wäre schon eine Luxusvariante, die zumin­dest für mich ausscheidet. Zwischen diesen drei Varianten wähle ich aber sehr wohl. Ich habe mir gerade vorhin in meinem Kalender den Mai angeschaut: Ich war in die­sem Monat übrigens elfmal in Wien und habe da auch je nach Bedürfnis zwischen die­sen Verkehrsmitteln gewechselt.

Heute habe ich mir gedacht, da du, Herr Bundesminister, heute das erste Mal hier in diesem Haus bist, mache ich dir indirekt eine besondere Freude und fahre mit der Bahn, und so habe ich es auch gemacht. Ich musste dafür eine Stunde früher aufste­hen (Bundesminister Leichtfried: Na ja!), als wenn ich mit dem Auto gefahren wäre,


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nämlich schon ein bisschen nach 4 Uhr (Bundesrat Pfister: Aber es war entspannt! – Bundesminister Leichtfried: Aber das war es wert!) – das war es wert, ich fahre ja öf­ters mit der Bahn –, denn die Bahn hat auf der Strecke zwischen Graz und Wien na­türlich einen Nachteil: Sie ist mit Abstand das langsamste Verkehrsmittel. (Bundesrat Dörfler: Noch!) – Noch, richtig, noch, denn, und das ist die freudige Botschaft, die wir alle kennen, mit dem Semmering-Basistunnel wird sich die Fahrzeit erheblich verrin­gern, und das ist auch dringend notwendig.

Trotzdem muss man derzeit noch immer ein bisschen ein Idealist sein, wenn man mit der Bahn von Graz nach Wien fährt, denn man hat – wie bereits gesagt – einen grö­ßeren Zeitaufwand als mit anderen Verkehrsmitteln und die Bahn ist, verglichen mit dem Busangebot, auch nicht das günstigste Verkehrsmittel; der Bus ist um einiges günstiger und zudem um einiges flexibler.

Noch zusätzlichen Idealismus benötigt man für die Fahrt mit der Bahn aufgrund der Tatsache, dass entlang der Bahnstrecke eine zweite Infrastrukturschiene fehlt, nämlich die des durchgängigen Breitband- und Mobiltelefonieangebots, und das ist wirklich ei­nes der Versäumnisse der ÖBB. Wenn man von Graz nach Wien fährt, dann kann man über einen längeren Zeitraum durchgehend gar nicht telefonieren.

Da muss ich sagen, das haben die ÖBB leider versäumt. Dabei ist es durchaus ein Entscheidungskriterium, gerade wenn ich beruflich unterwegs bin, ob ich auf der Fahrt die Zeit auch für wichtige Arbeiten, für Telefonate nutzen kann. Das ist eines der Man­kos der ÖBB, auch entlang manch anderer Strecken, und da würde ich dich, Herr Bun­desminister, wirklich inständig bitten, auch in deinem Bereich diesbezüglich Einfluss zu nehmen, diesen Ausbau voranzutreiben – ich weiß, der Ausbau erfolgt gerade, man sieht sogar die Baumaschinen entlang der Semmeringstrecke auffahren (Bundesminis­ter Leichtfried: Ja!), um die Internetverkabelung und damit die Internetversorgung zu verbessern –, denn das ist entlang dieser wichtigen Verkehrsrouten auch ein sehr wich­tiges Angebot.

Wie es die Vorrednerinnen und Vorredner bereits ausgeführt haben: Gerade auch für ländliche Räume ist Infrastruktur ein wesentliches Erfolgsmerkmal, und so wie wir pul­sierende Zentren brauchen – Wien für Österreich und die Landeshauptstädte, wie Graz für die Steiermark, als pulsierende Herzen –, so brauchen wir auch einen guten, pul­sierenden infrastrukturellen Blutkreislauf in allen Regionen Österreichs, in allen Regio­nen unseres Landes.

Wir wissen, und das hast du auch selbst schon gesagt, Herr Bundesminister: Dort, wo es eine gute Infrastruktur gibt, gibt es auch die beste Entwicklung. Ich komme selbst aus einer Region etwa 50 Kilometer südlich von Graz, und wir sind genau die Profiteu­re dieser Infrastruktur. Südlich von Graz kreuzen sich zwei Autobahnen, die A 9 und die A 2. Südlich von Graz haben wir einen Flughafen, auch nicht unwichtig (in Richtung des Bundesrates Krusche), und südlich von Graz haben wir zum Beispiel auch das Cargo Center Graz in Werndorf.

Am Beispiel dieses Raums sieht man: Genau dieser Raum südlich von Graz ist einer der drei am stärksten wachsenden Wirtschaftsräume Österreichs, und das hat eben ge­nau mit dieser technischen Infrastruktur zu tun.

Infrastruktur ist also ein Mittel zum Zweck, ein Mittel dafür, dass es Arbeitsplätze in der Region gibt, denn wir können in der Steiermark noch so viele Gemeinden zusammen­legen, wir können noch so viele Kindergärten in ländlichen Räumen bauen, wenn wir keine Arbeitsplätze in den ländlichen Räumen haben, dann werden die Leute trotzdem abwandern, und Arbeitsplätze sind unabdingbar verbunden mit einer guten Infrastruktur.

Da muss es auch eine Gleichstellung zwischen städtischen Räumen und ländlichen Räu­men geben. So wie es in Wien als bevölkerungsreichster Stadt Österreichs möglich ist,


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eine Internetversorgung zu haben, muss das auch in – nehmen wir als Beispiel die kleinste Gemeinde her – Gramais im Außerfern möglich sein. Gramais – ich weiß nicht, ob das jemand kennt – ist derzeit mit nur 51 Einwohnern die kleinste Gemeinde Öster­reichs, aber auch dort muss es möglich sein, an den Datenhighway angebunden zu sein.

Daher ist es eine wirklich ganz große Aufgabe für die Zukunft, meiner Meinung nach die größte überhaupt, die Internet- und Breitbandversorgung konsequent zu forcieren, noch zu verstärken; 300 Millionen € werden heuer investiert, 1 Milliarde ist schon auf Schiene. (Präsident Saller gibt das Glockenzeichen.) Diesbezüglich würde ich dich wirk­lich bitten, Herr Bundesminister – und ich weiß, dass du einen ganz guten Zugang hast, weil du eben auch aus einer ländlichen Region in der Steiermark kommst –: Wir müs­sen da auch Chancengleichheit für den ländlichen Raum schaffen!

Daher freue ich mich sehr, lieber Jörg Leichtfried, dass du, der du viel Erfahrung aus der Europapolitik und aus der Landespolitik mitbringst, dieses Ministeramt bekleiden darfst. Wir werden dich, wo es nur geht, unterstützen, und wir sind uns sicher, dass du dafür sorgen wirst, dass wir nicht nur pulsierende Herzen in unseren Bundesländern haben, sondern auch einen gut funktionierenden infrastrukturellen Blutkreislauf im gan­zen Land. – Alles Gute und viel Glück! (Beifall bei der ÖVP, bei Bundesräten von SPÖ und FPÖ sowie des Bundesrates Zelina.)

10.10


Präsident Josef Saller: Nächster Redner: Herr Bundesrat Dörfler. – Bitte.

 


10.10.34

Bundesrat Gerhard Dörfler (FPÖ, Kärnten): Geschätzter Herr Präsident! Lieber Herr Bundesminister! Es ist spannend, wenn wir heute eine Aktuelle Stunde haben, die mit dem gestrigen Tag, einem Sterntag des europäischen Verkehrs – gerade für Öster­reich –, in Verbindung zu bringen ist, denn eines muss man ja festhalten: Der Gotthard­tunnel ist ein Projekt mit intensiver österreichischer Beteiligung und Wertschöpfung. Wenn ich an die STRABAG denke, so haben dort Hunderte Kärntner Mineure jahre­lang Arbeit gefunden. Wenn ich an die steirischen Voest-Betriebe denke, die die Schie­neninfrastruktur und die Weicheninfrastruktur geliefert haben, wenn ich an die Vorarl­berger Bahntechnik denke, dann weiß ich, dass dieses Projekt, das ja nach der neuen österreichischen Tunnelbautechnik gebaut wurde, einmal mehr den Beweis liefert, dass Infrastruktur, die wir im Land bauen, Technik, die wir hierzulande weiterentwi­ckeln, letztendlich auf dem Weltmarkt sehr erfolgreich sein können.

Herr Bundesminister, ich möchte mich auch bei dir bedanken, dass es die Südbahn als Teil des TEN-Korridors Danzig–Bologna gibt. Das war auch ein wesentliches Verdienst deinerseits. Ich bedanke mich dafür, dass du damals als Fraktionschef die Bemühun­gen, dieses BATCo-Projekt ans Ziel zu bringen, massiv mitgetragen hast. Die Ernte wer­den wir in Zukunft einfahren.

Wir werden auch in Österreich, wir werden auch in Kärnten, in der Steiermark und in Niederösterreich – trotz der Bremsmanöver des Erwin Pröll, was den Semmeringtunnel anbelangt – im Jahr 2024/25 eine historische Verkehrsentscheidung sozusagen finali­sieren können.

Was bedeutet das für Österreich? – Wenn wir die Regionen betrachten: Wien ist ein Verkehrsknoten zwischen Ost und West, Nord und Süd. Nun soll auch noch die Breit­spurbahn nach Wien verlängert werden, wobei es ja historisch wäre, dass man zwi­schen Peking, Moskau und Wien sozusagen eine neue Bahnverbindung auch von Os­ten her hätte. Wir können aber auch den Donaukorridor hernehmen; Graz wurde be­reits angesprochen.

Ich komme speziell zu Kärnten: Es ist uns gelungen, das Bosch Mahle Turbolader-Werk in Südkärnten anzusiedeln, in einer zweisprachigen Region, und zwar genau deshalb,


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weil es das Koralmprojekt gibt. Es wäre nicht möglich gewesen, das einzige europäi­sche Turboladerwerk in Südkärnten anzusiedeln, hätten wir damals im Rahmen des Koralmprojekts nicht auch bereits die Bleiburger Schleife angebaut. Daran sieht man bereits, was das für den Standort Österreich bedeutet: Da arbeiten derzeit 600 Men­schen, und es wird weiter ausgebaut.

Wenn ich nun aber den Vergleich zwischen dem Gotthardtunnel und dem Semme­ringtunnel ziehe, dann muss ich mich auch fragen: Was ist der Unterschied zwischen Österreich und der Schweiz? – In der Schweiz gibt es keine professionellen Querulan­ten, die noch von politischen Parteien unterstützt werden, um mit Dauereinsprüchen Kosten zu verursachen, ein Projekt zu verzögern und letztendlich der Volkswirtschaft und auch der regionalen Wirtschaft zu schaden. Das ist vielleicht ein Appell, den ich auch an Grün und Verwandtschaft richten darf: Man kann nicht ständig von der Verla­gerung von der Straße auf die Schiene reden und dort, wo es historische Projekte wie den Semmering-Basistunnel gibt, diese dann jahrelang behindern. Das ist keine Ver­kehrspolitik im Sinne der Umwelt. Das möchte ich in diesem Zusammenhang schon festhalten. (Beifall bei Bundesräten der FPÖ.)

Es ist erfreulich, dass in der Schweiz, wenn 50 Prozent und eine Stimme für ein Projekt sind, eine ganze Nation dahintersteht. Wenn in Österreich 80 Prozent dafür sind und 5 Prozent dagegen, dann gibt es jahrelang ein großes Theater, das uns viel Geld, Zeit und Nerven kostet.

Ich habe noch ein paar spezielle Anliegen, Herr Bundesminister, Kollege Krusche hat es schon angesprochen: Durch die Verlagerung des Schienenverkehrs nach der In­betriebnahme des Semmering- und Koralmtunnelprojekts entsteht eine wichtige Ver­bindung zwischen Wien, Graz und Klagenfurt, es wird aber natürlich die Murtal-Achse auf der Schiene Nachteile haben.

Umso wichtiger ist der Ausbau der S 36, S 37 jetzt unter deiner Führung. Und da vertraue ich einem steirischen Verkehrsminister, dass es ihm gelingt, wieder einmal die Bremser, die das große Ganze sozusagen aus den Augen verlieren, in die Schranken zu weisen. Es gibt ja jetzt eine Bürgermeistergruppe, grenzüberschreitend zwischen der Steiermark und Kärnten – führend ist da Bürgermeister Mock aus St. Veit in Kärn­ten, auch Herr Nationalratsabgeordneter Grillitsch ist mit dabei –, die sagt, dass man jetzt den zügigen und forcierten Ausbau dieses Infrastrukturbereichs benötigt, um den Nachteil durch die Schienenumleitung über Graz letztendlich auszugleichen. Wir brau­chen das für das Murtal, wir brauchen das für das Metnitztal, wir brauchen das aber auch für das Gurktal!

Ein ganz besonderes Anliegen ist mir auch die Elektromobilität. Ich glaube, Österreich könnte und muss da verstärkt Gas geben. Wir hätten die Chance, sozusagen als Ver­kehrs- und Umweltmusterland dazustehen, wenn wir uns unter dem Motto: die Tank­stelle am Dach und in der Garage!, quasi in hohem Maße selbst versorgen. (In Rich­tung des den Sitzungssaal betretenden Bundesministers Drozda:) Grüß Gott, Herr Mi­nister! – Liebe Kollegen, ihr könntet ja auch applaudieren, wenn ein neuer Minister kommt, nicht?

Bei der Elektromobilität ist es wichtig, dass Österreich sozusagen eine forcierte Rolle spielt. Dafür wird es aber auch notwendig sein – und da kommt der Sprung zur Ener­gieinfrastruktur –, beim Netzausbau forciert zu agieren. Man kann nicht Elektromobilität und Alternativenergie wollen und gleichzeitig den Netzausbau blockieren. Da muss es sinnvolle Projekte geben, um in Zusammenarbeit mit den politischen Entscheidungsträ­gern und mit den Energieversorgern Reibungspunkte aufzulösen; Stichwort Salzburg, aber auch in Kärnten gibt es in dieser Richtung Probleme, die auf uns zukommen. (Prä­sident Saller gibt das Glockenzeichen.)


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Eine Bitte noch an Sie, Herr Bundesminister: Im Rahmen des Koralmprojekts gibt es auch das Thema Wörthersee-Korridor, und da hat ja seinerzeit die HL-AG bereits ein verfahrensreifes, mit den Bürgerinitiativen erarbeitetes Tunnelprojekt zwischen Klagen­furt und Villach gehabt. Da würde ich bitten, das zumindest einmal zu überprüfen, denn schließlich werden wir auch in Zukunft Projekte benötigen. Die Bauwirtschaft und die Arbeitsmarktsituation werden es erfordern, zeitgerecht vernünftige Infrastrukturprojekte zu planen und nach Auslaufen der Großprojekte Semmering-Basistunnel, Koralmpro­jekt und Brenner Basistunnel der österreichischen Bauwirtschaft entsprechend sinn­volle Aufträge zu geben. Der Wörthersee-Tunnelkorridor ist ein solcher, der sehr wich­tig ist. (Präsident Saller gibt neuerlich das Glockenzeichen.)

Noch eine weitere Bitte habe ich, nämlich dass die unter dem damaligen Bahnchef Kern beschlossene Einstellung der Bahnlinie (Zwischenrufe und Heiterkeit der Bundes­räte Mayer, Schreyer und Stögmüller) – das darf ich noch sagen, weil es als Infra­strukturschwerpunkt wichtig für den ländlichen Raum ist, wenn wir schon davon spre­chen – zwischen Hermagor und Kötschach-Mauthen unter deiner ministeriellen Füh­rung zumindest noch einmal genau bewertet wird, um zu sehen: Kann man dieses Bahnprojekt nicht doch einer Stilllegung entziehen und durch eine Offensive versu­chen, den ländlichen Raum Kötschach-Mauthen und die Naturregion Gailtal/Lesachtal weiterhin voll über die Schiene zu erschließen? Das wäre eine Bitte vieler Menschen in der Region und durchaus auch der Bürgermeister.

In diesem Sinne glaube ich eines: Wir brauchen nicht nur ein gutes Skelett – nach Gerd Krusche –, wir brauchen auch gute Sehnen und Muskeln, wir brauchen Herz und Hirn für eine Zukunftsinfrastruktur für unser Österreich. (Beifall bei der FPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

10.17


Präsident Josef Saller: Ich begrüße sehr herzlich Herrn Bundesminister Mag. Drozda unter uns. Herzlich willkommen! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP, FPÖ und Grünen.)

Als Nächste ist Frau Bundesrätin Dr. Reiter zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


10.18.03

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Herr Präsident! Herr Minister! Frau Staatssekretärin! Herr Minister! Werte Zuhörer und Zuhörerinnen und werte Kol­leginnen und Kollegen! Nur eine kleine Bemerkung zu Beginn: Um mit der Bahn von Salzburg nach Graz zu fahren, muss man nicht nur Idealist sein, sondern Masochist mit sehr viel Zeit – es gibt noch Schlimmeres! (Heiterkeit und Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesräten von ÖVP, SPÖ und FPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Mayer.)

Ich möchte jedoch noch auf etwas ganz anderes hinweisen, was mir bei den Vorred­nern gefehlt hat, und ich möchte auch anmerken, dass sich eigentlich, obwohl ich bereits viele Infrastrukturminister gehört habe, inhaltlich da nicht viel verändert hat: Es hat die Konferenz in Paris gegeben, die eine historische Weichenstellung gebracht hat, wo sich Vertreter aus 195 Staaten auf das 2-Grad-Ziel, eigentlich das 1,5-Grad-Ziel, ge­einigt haben, was bedeutet, dass der Nettoausstoß von Treibhausgasen ab der Mitte des Jahrhunderts auf null zu reduzieren ist. Das bedeutet den kompletten Ausstieg aus dem Fossilen innerhalb einer Generation!

Die entwickelten Länder müssen das schon vor 2050 schaffen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Das ist eine unglaubliche Aufgabe und bedeutet eine Änderung der Poli­tik, gerade was Infrastruktur betrifft. Und wenn ich heute so die Reden verfolgt habe, dann muss ich feststellen: Das ist in keiner Weise angekommen.

Investitionen in den Bereich der fossilen Energie sind mit diesem Zeithorizont Stranded Investments. Es muss ein neues Energiesystem aufgebaut werden, das auf erneuer-


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barer Energie und besserer Effizienz beruht. Das braucht natürlich schnell entsprechen­de Rahmenbedingungen von der Politik, wie ein neues Ökostromgesetz, ein Energieef­fizienzgesetz und eine Energieabgabe, aber das ist heute nicht Thema.

Für die Zielerreichung im Jahr 2050 sind die Entscheidungen bezüglich der Infrastruk­tur der nächsten fünf bis zehn Jahre entscheidend. Wenn diese nicht in die richtige Richtung gehen, dann ist das 2-Grad-Ziel beziehungsweise das 1,5-Grad-Ziel nicht er­reichbar. Wir müssen uns auch vor Augen halten, dass wir, wenn das nicht gelingt, an einem Point of no Return angelangt sind. Dieses historische Fenster für diese Zielerrei­chung geht also zu.

Das heißt, es darf keine Investitionen in den fossilen Bereich mehr geben, und das betrifft insbesondere auch den Verkehrsbereich, stattdessen aber massive Investitio­nen im Bereich erneuerbare Energien, im Bereich der Netze. Damit meine ich aber vor allem Smart Grids, Smart Meter, mit denen virtuelle Kraftwerke kreiert werden können. Das ist Schaffung von Know-how, das ist Schaffung von Arbeitsplätzen, das ist Schaf­fung von Chancen, gerade auch im ländlichen Raum und in den Regionen.

Wie das geht, kann man sich in Dänemark und in Finnland, wo diese Umstellung auf Smart Grids praktisch abgeschlossen ist, schon anschauen. Wir haben da aber auch in Österreich bereits wichtige Erfahrungen gemacht. Wir haben in Österreich interessante Firmen, die in diesem Bereich auch wirklich an vorderster Front arbeiten.

IT-Netze und Stromnetze können und sollen miteinander verknüpft werden. Digitalisie­rung und Nachhaltigkeit sind keine Gegensätze, im Gegenteil; und ein ambitionierter Kampf gegen den Klimawandel eröffnet Chancen und Möglichkeiten. Die „New York Times“ schrieb zu Paris und den Beschlüssen: „Paris Climate Accord Is a Big, Big Deal“ – ein großer Deal.

Durch eine Investitionswelle in erneuerbare Energien sowie durch bessere Effizienz in der Energieumwandlung und in der Nutzung würden zahlreiche neue Arbeitsplätze ge­schaffen. Dr. Kopetz, der im Vorstand des Weltbiomasseverbands in Stockholm sitzt, hat übrigens errechnet, dass es in Österreich um ein Investitionsvolumen von 5,1 Mil­liarden € jährlich geht, das bei Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen durch die Politik überwiegend von Unternehmen und Privaten aufgebracht würde, was 70 000 neue Arbeitsplätze bedeutet, wobei sich der größte Teil der Investitionen auf inländische Wertschöpfung bezieht. Ich gebe auch zu bedenken, dass das derzeitige Zinsniveau das sehr begünstigen würde; auch das ist ein Fenster, das vielleicht in we­nigen Jahren zugeht.

Der rasche Umbau des Energiesystems zu erneuerbaren Energien ist das sinnvollste und größte Beschäftigungsprogramm, das derzeit denkbar ist. Und ich bitte Sie, werte Kollegen, und auch Sie, Herr Minister, diese Chance für unsere Zukunft zu ergreifen, denn wenn wir das verspielen und das Ziel nicht erreichen, dann ist es klar, was das in der Folge heißen wird. Wir haben heute schon das Katastrophenfondsgesetz auf der Tagesordnung, der Klimawandel ist bereits angekommen, auch der Felssturz in den Fel­ber Tauern ist ein solches Zeichen des Klimawandels. Darum bitte ich Sie, diese Chan­ce auch entsprechend zu nutzen. – Danke. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ. – Zwi­schenruf des Bundesrates Mayer.)

10.24


Präsident Josef Saller: Ich begrüße die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kranken­hauses Eisenstadt mit Betriebsrätin Pia Fromwald. (Allgemeiner Beifall.)

Ich begrüße Frau Bundesminister Dr. Sonja Hammerschmid besonders herzlich. Herz­lich willkommen! (Allgemeiner Beifall. – Bundesministerin Hammerschmid: Danke schön!)


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Zur Abgabe einer abschließenden Stellungnahme zu Wort gemeldet hat sich nochmals Herr Bundesminister Mag. Leichtfried. Herr Bundesminister, ich bitte Sie, die Redezeit von 5 Minuten nach Möglichkeit einzuhalten. – Bitte.

 


10.24.45

Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie Mag. Jörg Leichtfried: Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren! Ich möchte jetzt Ihre Geduld nicht über Gebühr beanspruchen, weil ich mich dann sozusagen noch einmal zur Verkehrspolitik zu melden habe. Daher werde ich mich darauf beschränken, auf das, was Sie ange­sprochen haben, einzugehen.

Herr Kollege Beer, die Banken dem Infrastrukturministerium zu unterstellen, ist an sich eine gute Idee; das müsste man vielleicht noch mit dem Finanzminister diskutieren (Bun­desrat Beer: Mir gefällt das!), aber ob wir uns darauf einigen, weiß ich nicht. Selbstver­ständlich ist auch das eine Art von Infrastruktur, die natürlich immens wichtig ist.

Herr Kollege Gödl, die Internetverbindung und das Telefonieren in den Zügen sicherzu­stellen ist eine enorme Herausforderung. Es gibt jetzt eine Teststrecke zwischen Wie­ner Neustadt und Wien, auf der es schon funktionieren sollte. Die Informationen, die ich habe, gehen in die Richtung, dass in Zukunft damit zu rechnen ist, dass das Sys­tem in ganz Österreich funktionieren kann. Ich glaube, das ist wichtig und auch eine Herausforderung. Es ist aber technisch wirklich schwierig. Es geht leichter in Tunnel­anlagen als außerhalb von Tunnelanlagen. Man konnte auch im Gotthard-Basistunnel durchgehend telefonieren. Es ist aber möglich, und ich glaube, wir sind auf einem gu­ten Weg, das umzusetzen.

Eines, was Kollege Dörfler angesprochen hat, ist mir sehr wichtig: Verkehrspolitik ist nicht nur nationale österreichische Politik, sondern Verkehrspolitik ist massiv auch Eu­ropapolitik, und Europapolitik beeinflusst natürlich massiv österreichische Verkehrspoli­tik. Dabei gibt es ein Prinzip, das wichtig ist, und dieses Prinzip heißt: Wenn wir uns ei­nig sind und unsere Interessen einig nach außen vertreten, dann werden wir erfolgreich sein. Wenn wir uns aber nicht einig sind, wenn jeder etwas anderes will, dann werden wir nicht erfolgreich sein.

Dieses Prinzip, geschätzte Damen und Herren, gilt in der europäischen Verkehrspolitik, und ich hoffe, wir werden das in Zukunft auch beherzigen. – Danke schön. (Allgemei­ner Beifall.)

10.26


Präsident Josef Saller: Ich danke dem Herrn Bundesminister.

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.

Ich begrüße sehr herzlich unseren Herrn Bundeskanzler Mag. Kern. Herzlich willkom­men! (Allgemeiner Beifall.)

10.27.23Einlauf und Zuweisungen

 


Präsident Josef Saller: Hinsichtlich der eingelangten, vervielfältigten und verteilten An­fragebeantwortungen 2908/AB-BR/2016 bis 2910/AB-BR/2016 sowie

hinsichtlich jener Verhandlungsgegenstände, die gemäß Artikel 42 Abs. 5 B-VG nicht dem Mitwirkungsrecht des Bundesrates unterliegen, und

der Schreiben des Bundeskanzlers betreffend die Enthebung des Vizekanzlers Dr. Rein­hold Mitterlehner vom Amte der Fortführung der Verwaltung des Bundeskanzleramtes und des Vorsitzes in der Bundesregierung bei gleichzeitiger Ernennung von Mag. Chris-


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tian Kern zum Bundeskanzler gemäß Artikel 70 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz durch den Herrn Bundespräsidenten sowie

betreffend die Amtsenthebung von Mitgliedern der Bundesregierung und der Staatsse­kretärin im Bundeskanzleramt gemäß Artikel 74 Abs. 3 Bundes-Verfassungsgesetz bei gleichzeitiger Ernennung von Mitgliedern der Bundesregierung und der Staatssekretä­rin im Bundeskanzleramt gemäß Artikel 70 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz bezie­hungsweise gemäß Artikel 70 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 78 Abs. 1 Bundes-Ver­fassungsgesetz sowie Artikel 70 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 78 Abs. 2 Bundes-Ver­fassungsgesetz durch den Herrn Bundespräsidenten

verweise ich auf die im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen gemäß § 41 Abs. 1 der Ge­schäftsordnung des Bundesrates, die dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Die schriftlichen Mitteilungen haben folgenden Wortlaut:

Liste der Anfragebeantwortungen (siehe S. 6)

*****

Beschlüsse des Nationalrates, die gemäß Art. 42 Abs. 5 B-VG nicht dem Mitwirkungs­recht des Bundesrates unterliegen:

Beschluss des Nationalrates vom 18. Mai 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesfinanzrahmengesetz 2017 bis 2020 erlassen wird sowie das Bundeshaus­haltsgesetz 2013, das Bundesfinanzrahmengesetz 2016 bis 2019 und das Bundesfi­nanzgesetz 2016 geändert werden (1096/NR und 1120/NR der Beilagen)

Beschluss des Nationalrates vom 18. Mai 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem eine Ermächtigung zur Verfügung über Bundesvermögen erteilt wird (1108/NR und 1121/NR der Beilagen)

Beschluss des Nationalrates vom 18. Mai 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über österreichische Beiträge an internationale Finanzinstitutionen (IFI-Beitragsgesetz 2014) geändert wird (1094/NR und 1142/NR der Beilagen)

*****


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Schreiben des Herrn Bundeskanzlers betreffend Enthebung des Vizekanzlers Dr. Rein­hold Mitterlehner vom Amte der Fortführung der Verwaltung des Bundeskanzleramtes und des Vorsitzes in der Bundesregierung bei gleichzeitiger Ernennung von Mag. Chris­tian Kern zum Bundeskanzler gemäß Artikel 70 Absatz 1 B‑VG durch den Herrn Bun­despräsidenten:

Anlage1 - 0001


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Anlage1 - 0002

*****


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Schreiben des Herrn Bundeskanzlers betreffend Amtsenthebung von Mitgliedern der Bundesregierung und der Staatssekretärin im Bundeskanzleramt gemäß Artikel 74 Ab­satz 3 B-VG und gleichzeitiger Ernennung von Mitgliedern der Bundesregierung und der Staatssekretärin im Bundeskanzleramt gemäß Artikel 70 Absatz 1 B-VG bzw. ge­mäß Artikel 70 Absatz 1 B-VG in Verbindung mit Artikel 78 Absatz 1 B-VG sowie Arti­kel 70 Abs. 1 B-VG in Verbindung mit Artikel 78 Absatz 2 B-VG durch den Herrn Bun­despräsidenten:

Anlage2 - 0001


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Anlage2 - 0002


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Anlage2 - 0003

*****

 


Präsident Josef Saller: Eingelangt sind überdies die nachstehend genannten Berich­te, die wie folgt den genannten Ausschüssen zur Vorberatung zugewiesen wurden:

Bericht über die Lage der Tourismus- und Freizeitwirtschaft in Österreich 2015 (III-589-BR/2016 d.B.), zugewiesen dem Wirtschaftsausschuss,

Bericht der Bundesanstalt für Verkehr über technische Unterwegskontrollen im Jahr 2015, vorgelegt vom Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie (III-590-BR/2016 d.B.), zugewiesen dem Ausschuss für Verkehr,

Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes für das Jahr 2015, vorgelegt vom Bun­desminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien (III-591-BR/2016 d.B.), zuge­wiesen dem Ausschuss für Verfassung und Föderalismus.

Weiters eingelangt sind und den zuständigen Ausschüssen zugewiesen wurden jene Beschlüsse des Nationalrates beziehungsweise jener Bericht, die beziehungsweise der Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind beziehungsweise ist.

Ebenso bilden die Erklärungen des Bundeskanzlers und des Vizekanzlers gemäß § 37 Abs. 4 der Geschäftsordnung einen Gegenstand der heutigen Tagesordnung.

Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen abgeschlossen und schriftliche Ausschuss­berichte erstattet. Ich habe die zuvor genannten Verhandlungsgegenstände auf die Ta­gesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Ich sehe, das ist nicht der Fall.

10.30.18Ankündigung einer Dringlichen Anfrage

 


Präsident Josef Saller: Bevor wir in die Tagesordnung eingehen, gebe ich bekannt, dass mir ein Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesra-


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tes auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundesräte Stögmüller, Mühl­werth, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Community-Polizisten“ und „Sicherheitsbür­ger“ in Schärding, Mödling, Graz-Stadt und Eisenstadt an den Herrn Bundesminister für Inneres vorliegt.

Im Sinne des § 61 Abs. 4 der Geschäftsordnung verlege ich die Behandlung an den Schluss der Sitzung, aber nicht über 16 Uhr hinaus.

10.31.011. Punkt

Erklärungen des Bundeskanzlers und des Vizekanzlers gemäß § 37 Abs. 4 GO-BR

 


Präsident Josef Saller: Wir gehen nun in die Tagesordnung ein und gelangen zum 1. Punkt.

Ich begrüße Herrn Vizekanzler Dr. Reinhold Mitterlehner sehr herzlich. (Allgemeiner Bei­fall.)

Ich begrüße auch alle Damen und Herren, den Bundeskanzler und die Minister noch ein­mal sehr herzlich.

Bevor ich dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Vizekanzler das Wort erteile, gebe ich bekannt, dass mir ein schriftliches Verlangen von fünf Bundesräten im Sinne des § 37 Abs. 5 der Geschäftsordnung des Bundesrates vorliegt, im Anschluss an die ab­gegebenen Erklärungen eine Debatte durchzuführen. Da dieses Verlangen genügend un­terstützt ist, werde ich ihm ohne Weiteres stattgeben.

Ich erteile nun Herrn Bundeskanzler Mag. Kern zur Abgabe der Erklärung zur Regie­rungsumbildung das Wort. – Bitte, Herr Bundeskanzler.

 


10.32.05

Bundeskanzler Mag. Christian Kern: Meine Sehr geehrten Damen und Herren! Wie Sie wissen, habe ich die Angewohnheit, hier nicht mit einer geschliffenen Rede aufzu­treten, sondern zu versuchen, ein paar Punkte anzusprechen, die, wie ich glaube, für un­sere gemeinsame Arbeit sehr wichtig sein könnten. Ich hoffe, dass wir nachher Gele­genheit haben werden, das eine oder andere auch noch gemeinsam zu diskutieren.

Wir haben in den vergangenen Wochen in einem – englisch ausgedrückt würde man Jump Start sagen – sehr kurzfristigen Start versucht, die Zusammenarbeit neu zu ord­nen und gemeinsam mit dem Herrn Vizekanzler ein paar wichtige Punkte und Projekte zu definieren, um die wir uns in den nächsten Wochen und Monaten kümmern wollen. Aus meiner Sicht ist natürlich eine entscheidende Voraussetzung, mit einer sauberen Analyse zu beginnen; und die Analyse, in der wir uns gefunden haben, umfasst ein paar Punkte, die man sich anschauen muss. (Vizepräsidentin Winkler übernimmt den Vor­sitz.)

Zunächst einmal wissen wir, dass wir auf dem Arbeitsmarkt und auf der Beschäfti­gungsseite ein großes Thema haben. Wir wissen zwar – und das haben wir gestern ge­lernt –, dass die Zahl der Jobs und die Beschäftigung wachsen, aber wir sehen auch, dass wir es aufgrund struktureller Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt mit einer wei­terhin steigenden Arbeitslosigkeit zu tun haben; und die Prognosen verheißen, dass das auch im nächsten Jahr so weitergehen wird. Das ist inakzeptabel, und ich denke, dass wir uns auch in diesem Punkt in der Analyse treffen, wenn wir sagen, das ist der größte Skandal in einer Gesellschaft, dass sie Arbeitslosigkeit zulässt.

Das zweite Problem, mit dem wir konfrontiert sind, ist, dass wir in den letzten acht Jah­ren in sechs Jahren Reallohnverluste für die Menschen im Land hatten. Das produziert eine bestimmte Stimmung, und die brauche ich Ihnen nicht zu schildern; Sie kennen die


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Situation. Es entsteht der Eindruck, dass das Gefühl, dass es die Möglichkeit gibt, in un­serer Gesellschaft aufzusteigen, sich mit ehrlicher Arbeit seinen Unterhalt zu verdienen und letztendlich auch den Kindern eine Perspektive zu schaffen, heute nicht mehr so verbreitet ist, wie dies eigentlich der Fall sein sollte.

Daraus resultiert – das ist auch ganz wichtig, weil das eine der Folgeerscheinungen ist –, dass wir es in unserer Wirtschaft auch mit einem Nachfrageproblem, mit einem Kon­sumproblem zu tun haben. Wir sehen, dass wir da jüngst eine positive Entwicklung ha­ben, die durch zwei Dinge getragen ist: die Steuerreform und den Zustrom von Flücht­lingen sowie die damit verbundenen Ausgaben. Daraus sollte man aber noch nicht die Gewissheit ableiten, dass wir das Problem damit gelöst haben.

In diesem Zusammenhang ist auch Folgendes zu erwähnen: Wir haben insbesondere auf der Investitionsseite in unserem Land die Situation, dass wir da definitiv unbefriedi­gende Investitionsquoten haben. Wir sehen das im öffentlichen Bereich, wir sehen das sehr stark beim Thema Wohnbau, wir sehen es noch stärker, wenn es darum geht, pri­vate Investitionen zu motivieren. Das hat mit Vertrauen zu tun. Insbesondere bei Groß­investitionen ist es für Unternehmen natürlich wichtig, dass sie eine stabile, positive Ent­wicklung erwarten dürfen, damit sie viel Geld in die Hand nehmen, um Projekte zu reali­sieren.

Ich würde noch zwei Themen hinzufügen wollen, bei denen ich möglicherweise mit dem Herrn Vizekanzler nicht ganz einer Meinung bin; aber das macht ja nichts, manch­mal muss man die Dinge auch ausdiskutieren, wenn sie sozusagen unterschiedliche Einschätzungen ermöglichen. Der Internationale Währungsfonds hat in den letzten Ta­gen einen Bericht veröffentlicht, in dem er ganz massiv auf die Themen Vermögens­verteilung und Ungerechtigkeit hingewiesen hat. In diesem Bericht wurde festgehalten, dass die zunehmende Ungleichheit auch eine erhebliche Wachstumsbremse ist. Da geht es nicht nur um eine soziale Frage, sondern da geht es auch grundsätzlich um die Frage, wie Wohlstand verteilt wird.

Sie wissen ja, dass es in Österreich so ist, dass 5 Prozent der Menschen so viel wie die restlichen 95 Prozent besitzen. Logischerweise halte ich das grundsätzlich noch für keinen Skandal, aber da geht es natürlich auch darum, sich dann mit der Frage aus­einanderzusetzen, was die Beiträge der einzelnen Gruppen und Wohlstandsklassen in unserem Land sind.

Wenn man diese Analyse heranzieht, dann sind es fünf Felder, von denen wir gesagt haben, wir wollen folgendermaßen darauf reagieren, wobei Sie sehen werden, dass al­le diese fünf Punkte in einer gewissen Weise miteinander zusammenhängen:

Der erste Punkt betrifft natürlich Arbeitsmarkt und Wirtschaft. Das ist ganz wichtig, wir müssen versuchen, das in den Griff zu bekommen, das ist unser Thema Nummer eins. Wir wollen Investitionen im öffentlichen und im privaten Bereich fördern. Das ist unser Ziel. Und ich kann Ihnen sagen, ich bin gestern bei der Eröffnung des Gotthard-Basis­tunnels gewesen. Das ist ein faszinierendes Projekt, nicht nur weil es so eine gewaltige Ingenieurleistung ist, sondern weil dahinter sozusagen nicht nur der Transport im Mit­telpunkt steht, sondern auch der Punkt, dass da mit öffentlichen Investitionen Unter­nehmen die Möglichkeit gegeben wird, Märkte zu nutzen, Produkte zu entwickeln und Ex­porterfolge zu feiern.

Man muss wissen, dass dieser Gotthard-Basistunnel, auch wenn er sich auf Schweizer Boden befindet, eine absolut österreichische Erfolgsgeschichte ist, denn das Projekt hat ungefähr 10 Milliarden € gekostet, und über 2 Milliarden € sind an Aufträgen an ös­terreichische Unternehmungen vergeben worden. Mit Schienen aus der Steiermark, Wei­chen aus der Steiermark, Leittechnik aus Niederösterreich – FREQUENTIS –, unseren großen Baufirmen, von Porr über STRABAG bis zur damaligen ALPINE, haben wir über-


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all einen Teil des Kuchens bekommen. Da sieht man, dass man, wenn man es richtig macht und öffentliche Investitionen mit privaten Unternehmen und Sektoren verknüpft, tatsächlich massive Wohlstandseffekte generieren kann.

Wichtig ist uns aber auch, dass wir generell ein Umfeld schaffen, das Investitionen er­möglicht – auch auf der privaten Seite, ich habe es betont. Da haben wir eine Zielgrup­pe ganz besonders im Auge, das sind Start-up-Unternehmen und Neugründungen, die ich für besonders wichtig halte, weil da eine Dynamik entsteht, bei der es um die Frage geht, welche wettbewerbsfähigen Unternehmen wir in Zukunft haben. Diese muss man fördern, denen muss man den Rücken stärken, da wird es auch viele positive Jobent­wicklungen geben. Eines ist aber auch klar: Dort haben wir natürlich ein ganz spezifi­sches Thema, mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben – das trifft wieder den Ar­beitsmarkt –, das ist die zunehmende Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen. Das ist etwas, was wir naturgemäß so nicht akzeptieren können, weil die langfristigen Auswir­kungen im sozialen Bereich, wenn jemand permanent in die unfreiwillige Selbstständig­keit gedrängt wird – Pensionsversicherung et cetera –, natürlich erheblich sein werden. Damit müssen wir uns auseinandersetzen.

Wir werden das in einer Art und Weise tun, die möglichst viele Interessengruppen um­schließt. Das betrifft natürlich die Länder in einem ganz besonderen Maß – da sind Sie hier die hervorragendsten Vertreter –, das betrifft aber auch die Oppositionsparteien, wir haben gesagt, diese wollen wir intensiv in diesen Dialog mit einbeziehen, und das wird natürlich auch die Sozialpartner betreffen, die da ja eine Vielzahl von Vorschlägen und Konzepten entwickelt haben. Das ist mir auch deshalb wichtig, weil wir in diesem Land mit Sicherheit nur dann vorankommen können, wenn wir gemeinsam versuchen, Probleme zu lösen, und nicht gegeneinander arbeiten. Wenn man gegeneinander ar­beitet, ist man relativ bald dort, wo unsere französischen Kollegen in diesen Tagen an­gekommen sind.

Neben Arbeitsmarkt und Wirtschaft ist das zweite große Thema Bürokratie, Verwal­tung, Deregulierung, wenn man so will, im weitesten Sinne. Wir haben in diesem Be­reich, glaube ich, viele Möglichkeiten, vor der eigenen Haustür zu kehren, insbesonde­re auch was die Bundesverwaltung betrifft. Ich habe das Beispiel mit Schönbrunn zi­tiert. Das ist an sich eine Erfolgsgeschichte, aber wenn man sich dann ansieht, wie das geführt wird, gibt es doch einige Fragezeichen. Sie wissen, das Finanzministerium ver­waltet die Beteiligung, Kollege Mitterlehner mit dem Wirtschaftsministerium die Gebäu­de, Kollege Rupprechter ist für die Gärten zuständig; und ich habe mit größtem Erstau­nen festgestellt, dass die Wagenburg zum Bundeskanzleramt ressortiert. (Allgemeine Heiterkeit.) Ich würde meinen, da haben wir die Möglichkeit, sozusagen einige Verein­fachungen herbeizuführen – und das ist wahrlich nicht das einzige Beispiel.

Wir sind etwa auch übereingekommen, uns mit der Gewerbeordnung zu beschäftigen und uns auch mit der Frage der Registrierkassenpflicht für Feuerwehrfeste und ge­meinnützige Vereine zu beschäftigen, wo es möglicherweise noch Spielräume gibt, das eine oder andere Ärgernis aus der Welt zu schaffen, und Effizienzsteigerungen in vie­len anderen Bereichen, etwa bei den Sozialversicherungen, auch noch ins Auge zu fas­sen.

Bildung – das dritte Thema, ganz wichtig, das brauche ich Ihnen nicht zu schildern –: Ohne Investitionen in diesem Bereich werden wir unsere Zukunft verspielen. Da geht es natürlich um die Frage unserer mittelfristigen Wohlstandsentwicklung, da geht es aber auch wieder um Gerechtigkeit und Chancengleichheit, weil wir nicht akzeptieren kön­nen, dass Kinder aufgrund ihres Vornamens, des Zufalls, in welchem Bezirk sie gebo­ren wurden, oder des Umstandes, ob ihre Eltern bereit sind, sie zu fördern, die Chance haben, in unserer Gesellschaft etwas zu erreichen, oder nicht.


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Innovation, Forschung und Entwicklung, Technologie: Der vierte Punkt ist ein ganz we­sentlicher Punkt. Ich habe schon versucht, das anhand des Gotthardtunnels zu defi­nieren. In Österreich gibt es hervorragende Industriezweige. Wir haben den Pharma­cluster, wir haben Life Sciences, wir haben den Automotive-Sektor in der Steiermark, Metallurgie zum Beispiel, Energietechnik, Umwelttechnik. Unser Ziel muss es sein, ganz gezielt und konsequent Stärken weiter zu stärken und so auch erstklassige Positionen für unsere Unternehmen zu erreichen.

Dann gibt es einen fünften Punkt, der uns in diesen Tagen durchaus beschäftigt hat, das ist das Thema Integration und Sicherheit. Ich denke, es ist Ihnen auch aufgefallen, dass es hier eine maßgebliche Initiative gegeben hat, einerseits vonseiten der Justiz, andererseits vonseiten der Polizei, was den Umgang mit Drogenkriminalität betrifft. Ich bin sehr froh und habe das mit dem Herrn Bundesminister für Inneres intensiv disku­tiert, dass wir in relativ kurzer Zeit beim Vorgehen gegen diese Art von Kriminalität, die natürlich in keiner Art und Weise auch nur irgendwie akzeptabel ist, schon bedeutende Fortschritte erzielt haben. Die Polizei hat da einen hervorragenden Job gemacht, und es gilt, da dranzubleiben und insbesondere auch der Bevölkerung das Gefühl zu ge­ben, dass Sicherheit und Ordnung in Österreich jedenfalls nicht im Zweifel stehen.

Integration und Sicherheit sind zwei Begriffe. Sicherheit ist ein Schwerpunkt, wir wer­den uns auch bemühen, Kollegen Sobotka durch intelligente Umschichtungen entspre­chend mehr Kapazitäten zur Verfügung zu stellen. Wir haben uns aber natürlich auch insbesondere mit der Frage der Asylpolitik und der Integration auseinanderzusetzen. Diese Diskussion ist ja eigentlich eine vergleichsweise einfache Diskussion, auch wenn vielleicht in den letzten 24 Stunden da oder dort der Eindruck erweckt wurde, dass es hier eine Art Verwirrung oder Komplexität gibt.

Aus meiner Sicht ist das eine ziemlich einfache Geschichte, es geht nämlich um Fol­gendes: Die Bundesregierung hat, wie Sie wissen – ohne mein Zutun, das war noch vor meiner Zeit – einen Asylgipfel abgehalten und eine Vereinbarung abgeschlossen. Die­se Vereinbarung ist aus meiner Sicht auf Punkt und Beistrich einzuhalten, da gibt es überhaupt keine Diskussion; Sie haben es ja mehrfach betont und immer wieder er­wähnt. Allerdings plädiere ich sehr dafür, dass diese Vereinbarung von allen Seiten auf Punkt und Beistrich eingehalten wird und dass wir uns ganz besonders bei dieser sen­siblen Frage und gerade an diesem Tag – Sie wissen, was in den letzten Stunden pas­siert ist – auch wirklich an den Text der Vereinbarung halten.

Der Text der Vereinbarung sagt ganz klar, dass es um 37 500 Fälle geht, die zum Asyl­verfahren zugelassen werden sollen. Also wir reden nicht über irgendwelche Hausnum­mern, sondern am Ende des Tages über eine präzise Zahl, die das Innenministerium vorzulegen hat, um Transparenz zu schaffen. Herr Bundesminister Sobotka hält ja in die­sen Minuten eine Pressekonferenz ab, bei der er diese Zahlen vorlegen wird, und Sie werden sehen, das wird eine Bestätigung dessen sein, was wir erklärt haben.

Was für mich bei dieser ganzen Geschichte auch ganz wichtig ist: Bei der Interpreta­tion dieser Vereinbarung sollten wir uns keine Spielräume und Unsicherheiten erlau­ben. Ich sehe das, sage ich Ihnen, als Thema, bei dem man mit größter Vorsicht vorge­hen muss und bei dem es keinen Sinn macht, Horrorbilder zu zeichnen. Also ich bin, ehrlich gesagt, kein Freund davon, einen Notstand zu konstruieren, wo kein Notstand vorliegt. Das ist das schlechteste Feld für parteipolitische Taktik.

Ich kann Ihnen sagen, unser Ziel kann es nur sein, mit Ruhe und Unaufgeregtheit an die Themen heranzugehen und Probleme zu lösen, denn wohin Hass und Respektlo­sigkeit führen, das haben wir bei diesem Thema am Beispiel Altenhofen und dem bren­nenden Flüchtlingsheim (Vizekanzler Mitterlehner: Altenfelden!) – pardon, Altenfelden – gesehen. Du weißt (in Richtung von Vizekanzler Mitterlehner), ich komme aus der Wirt­schaft, und Althofen ist ein wichtiger Chemiestandort. (Ruf bei der ÖVP: Er kommt aus


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Oberösterreich! – Heiterkeit.) – Okay, dein Homecamp, Mühlviertel. Das war jetzt aber keine Anschuldigung, nicht, dass sich da wieder jemand äußern muss.

Das ist der Punkt, um den es geht. Diesem Hass und der Respektlosigkeit müssen wir entschieden entgegentreten. Da haben wir Verantwortung, und ich kann nur an alle ap­pellieren, sich hinzusetzen und die Probleme in aller Ruhe zu analysieren. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

Die Probleme sind ja relativ einfach definiert. Da geht es ja gar nicht so sehr um die Frage: Ist man ein besonderer Menschenfreund oder hat man eine andere Sicht da­rauf?, sondern da geht es auch wieder um relativ klare, objektive Faktenlagen. Wenn es uns nicht gelingt, die Menschen, die nach Österreich kommen, ordentlich zu inte­grieren, an unsere Arbeitsmärkte heranzuführen, ihnen Sprachkurse zur Verfügung zu stellen, Unterkünfte zu schaffen, Kapazitäten in den Schulen aufzubauen, damit die jun­gen Leute dort betreut werden können, ja was wird dann die Konsequenz sein? – Dann werden wir sie alle auf der Straße, in den Parks haben, dann werden wir Obdachlosig­keit produzieren. Es glaubt doch niemand ernsthaft, dass dadurch irgendetwas besser würde. Wenn man jungen Menschen keine Perspektive gibt, dann ist es logisch, dass man sie in Blödheiten und Kleinkriminalität treibt.

Deshalb ist es eine gemeinsame Verantwortung, bei diesem Thema alles zu tun, damit die Menschen, die nach Österreich kommen, auch eine entsprechende Perspektive in unserer Gesellschaft bekommen. Wenn uns das nicht gelingt, dann wird uns auch der größte und höchste Zaun nicht helfen, denn letztendlich geht es da um Verzweifelte, die einen Weg suchen werden, und wir werden es nicht verhindern können – niemand kann das! – und diesen Zustrom nicht auf null reduzieren können.

Ich sage deshalb noch einmal: Wir müssen uns beim Integrationsthema stärker an­strengen. Ich finde es sehr positiv und in gewisser Weise auch bezeichnend, dass das bislang ein Thema gewesen ist, bei dem die Sozialpartner beauftragt gewesen sind, ei­nen Vorschlag zu machen. Ich glaube aber, dass wir, die Regierung, nicht warten kön­nen, bis die Sozialpartner da einen Vorschlag machen, denn das ist unsere unmittel­bare Verantwortung. Wenn wir uns vor dieser drücken und davonmachen, dann haben wir etwas Grundsätzliches nicht verstanden. Dass wir aber die Sozialpartner dann bei der Lösung auch dieser Frage brauchen, ist ohnehin völlig logisch.

Integration, zweiter Punkt: Wir haben bei dieser Debatte gesehen, dass manche ge­meint haben, bei den Zahlen, die da genannt worden sind – die aktuelle Zahl für 2016 wird, wie gesagt, gerade vom Innenminister veröffentlicht –, muss man die Dublin-Fälle hineinrechnen, denn die bleiben uns ja ohnehin irgendwie, die werden wir nicht los. – Ich sage: Das können wir nicht akzeptieren! Ich kann Ihnen auch sagen, warum: Natür­lich haben wir eine moralische Verpflichtung, Menschen vor dem Ertrinken auf offener See zu bewahren, und wir haben eine moralische Verpflichtung, Menschen davor zu bewahren, dass sie bei Inanspruchnahme von Schlepperbanden in Lkws auf unseren Straßen ersticken, aber wir haben keine Verpflichtung, Menschen davor zu bewahren, einen Asylantrag in ihrem Erstankunftsland innerhalb der Europäischen Union zu stel­len.

Deshalb muss es unser Ziel sein, Dublin-Fälle auch entsprechend zu behandeln und dafür zu sorgen, dass es möglich ist, mit unseren Nachbarländern Vorkehrungen zu treffen, dass diese Fälle dort auch entsprechend bearbeitet werden und wir das so schnell hinbekommen, dass die Sechsmonatsfrist, die da relevant ist, auch tatsächlich eingehalten werden kann. Das ist eine große Aufgabe für die österreichische Diploma­tie; auch da müssen wir uns mehr anstrengen. Wir können das nicht zur Kenntnis neh­men!

Dasselbe gilt für die Rückführungsabkommen. Ich habe gestern mit der Schweizer Jus­tizministerin eine lange Diskussion gehabt, sie hat mir erklärt, wie die Schweizer das ma-


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chen. Die Deutschen haben mit Marokko ein Abkommen geschlossen. – Ja, ich weiß, dass das schwierig ist, dass das nicht von heute auf morgen geht, dass das einen gro­ßen Aufwand bedeutet, aber es kann doch keine Perspektive sein, zu sagen: Wir bau­en riesige Mauern, und das wird unsere Probleme lösen!, denn das wird es nicht tun. Wenn wir in diesen Bereichen keine Lösungen finden, dann werden wir Folgeprobleme produzieren.

Ich kann auch da sagen, wenn es den deutschen Diplomaten gelungen ist, da Lösun­gen vorzubereiten, dann muss das unser Vorbild sein, dann müssen wir uns daran orien­tieren, und da müssen wir alle Kräfte einsetzen, damit das gelingt. Da können wir nicht sagen, dass die EU halt anders tickt oder dass wir ein kleines Land sind, sondern dann erwarten die Menschen, dass wir etwas tun, und darum haben wir uns zu kümmern! (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Es gibt einen dritten Punkt, neben der Integration sowie der Durchsetzung des Dublin-Abkommens und der Rückführung: die Thematik, wie lange die Asylverfahren dauern. Ich muss dazusagen, dass wir diesbezüglich Fortschritte machen. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass der Innenminister mit größter Aufmerksamkeit an diesem The­ma arbeitet, die Dinge in eine richtige Richtung bewegt, dass wir uns da deutliche Ver­besserungen erwarten dürfen. Das ist eindeutig. Ich komme aber wieder zum Beispiel Schweiz, wo ich gestern war: Die Schweiz hat sich ein Ziel gesetzt, das deutlich ambi­tionierter ist als unseres.

Ich glaube, auch da gilt wieder dasselbe, was ich vorhin gesagt habe: Wir müssen uns an den Besten orientieren. Wir müssen uns an Problemlösungen orientieren. Wir kön­nen es nicht akzeptieren, dass Sechsmonatsfristen verstreichen und wir dann sozusa­gen unsere Probleme vergrößern. Wir können nicht akzeptieren, dass Leute teilweise zwölf Monate auf ihr Erstinterview im Asylverfahren warten. Daran kann niemand In­teresse haben, und deshalb muss es unser Ziel sein, die Asylverfahren weiter zu be­schleunigen, den Weg, den positiven, den richtigen Weg zu verstärken und fortzusetzen.

Dann gibt es einen weiteren Aspekt, das ist die Internationalität dieses ganzen The­mas. Logisch ist, in Österreich, auf der Insel der Seligen, werden wir bei dem Versuch, die Themen anzugehen, nicht entscheidend weit kommen; deshalb brauchen wir den internationalen Kontext. Und ja, natürlich ist es so, dass mit der Türkei Diskussionen über Demokratie, Menschenrechte geführt werden – völlig berechtigte Diskussionen, die wir übrigens auch mit anderen Ländern konsequent zu führen hätten, wie ich mei­ne. Dieser Türkei-Deal ist für uns aber essenziell wichtig, denn wenn Sie sich die Zu­stromraten nach Zentraleuropa anschauen, dann ist glasklar, dass die Maßnahmen auf der Balkanroute natürlich etwas gebracht haben, der Türkei-Deal aber ein entscheiden­der Punkt dabei war. Das jetzt kleinzureden oder zu sagen, wir haben da ein Problem, das uns irgendwie sozusagen nicht genehm ist und deshalb wenden wir uns jetzt da­von ab, ohne dass wir eine Lösung zu bieten haben, das wäre ein fataler Fehler, denn eine Antwort darauf, wie wir uns dann, wenn diese Tore und Schleusen aufgehen, ret­ten, hat mir noch niemand geben können.

Deshalb ist das Gegenteil wichtig, nämlich dass wir diesen Deal als Vorbild nehmen und versuchen, mit weiteren Ländern, insbesondere in Nordafrika, Stichwort Libyen, Ähn­liches zuwege zu bringen. Der italienische Ministerpräsident hat vollkommen zu Recht gesagt, dass es kein Weg ist, Menschen auf dem Meer zu retten, wir haben uns bereits auf dem Festland zu kümmern und dementsprechend vor Ort zu investieren und Lö­sungen zu suchen.

Dann gibt es noch einen Punkt: Es gibt unterschiedliche Einschätzungen, wie man die­se ganze Asylthematik werten muss. Es gibt welche, die mit der Entwicklung zufriede­ner sind, aber wirklich restlos zufrieden ist in diesem Zusammenhang niemand, denn wir haben da Aufgaben, die wir noch nicht gelöst haben; ich habe versucht, das zu


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skizzieren. Und genau an dieser Stelle müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, wie wir den Zustrom regulieren. Das ist ja logisch, weil wir aufpassen müssen, dass wir un­sere Gesellschaft nicht überfordern. Es ist auch völlig klar, dass wir nicht jeden auf­nehmen können, darüber brauchen wir ja gar nicht zu diskutieren. Wir müssen uns aber stärker anstrengen, da die wirklichen Probleme zu lösen, und dafür brauchen wir auch Zeit; deshalb brauchen wir eine Regulierung des Zustroms.

Ich kann in diesem Kontext nur eines sagen: Wenn wir uns mit der Frage beschäftigen, wann wir sogenannte Notmaßnahmen brauchen, sollten wir auch sehr sorgfältig abwä­gen, wann der Punkt gekommen ist, an dem wir unsere Gesellschaft wirklich überfor­dern. Und ich kann nur an alle in der Politik, in den Medien appellieren, da keine Zu­spitzung zu betreiben, denn ich sage Ihnen, der Weg zu einem brennenden Flücht­lingsheim ist kürzer, als wir alle glauben. Das haben wir gelernt.

Es gibt noch einen Aspekt: Wenn wir uns vor die Bevölkerung stellen und sagen: Das ist die Maßnahme, mit der wir das Problem endgültig lösen können!, und das dann wieder nicht funktioniert, wer hat denn dann etwas gewonnen? Ich glaube, dann wür­den wir in dieser Fragestellung das letzte Vertrauen restlos verspielen. Deshalb ist auch ganz klar, dass das, wenn wir solch einen Weg gehen, auch juristisch passen muss. Dann können wir nicht sagen, wir machen da jetzt irgendetwas, und das fliegt uns dann innerhalb kürzester Zeit um die Ohren, sondern das erfordert eine gewisse Sorg­falt. Auch da wiederum gelten Sachargumente immer mehr als die politische Pointe, ir­gendein Tweet oder eine Meldung auf Facebook. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das war ein ernstes Thema. Sie entschuldi­gen hoffentlich die Intensität, mit der ich versucht habe, unseren Standpunkt klarzuma­chen. Was mir in unserer gesamten Zusammenarbeit aber wichtig ist, ist Folgendes: Wir haben in diesem Land eine gemeinsame Verantwortung und Sie als Vertreter der Länder eine ganz besondere, denn Österreich hat eine föderale Verfassung. Und mir ist völlig klar: Jeder, der sich hinstellt und eine einfache Problemlösung suggeriert – welches Thema auch immer es betrifft –, wird sehr schnell zu der Einschätzung kom­men, dass wir hier einen gemeinsamen Diskussionsprozess, einen gemeinsamen Ent­scheidungsprozess brauchen. Das gilt für die Oppositionsparteien im selben Ausmaß wie für die Sozialpartner und andere Interessengruppen, zum Beispiel die Zivilgesell­schaft in unserem Land.

Ich möchte meine Hand ausstrecken. Ich darf Sie bitten, das Angebot anzunehmen. Wir werden uns öfter sehen, auch in diesem Rahmen, wir werden Gelegenheit haben, gemeinsam zu diskutieren. Und ich kann Ihnen sagen, wenn Sie ein Problem, eine Sor­ge haben, eine bessere Problemlösung sehen oder mit uns suchen wollen, ich bin in jeder Hinsicht offen, das zu tun. Am Ende – und das ist die Erkenntnis, die ich aus der Wirtschaft mitgenommen habe – sind einsame Entscheidungen nie so gut wie Entschei­dungen, die man gemeinsam diskutiert und durchgedacht hat. In diesem Sinne freue ich mich auf eine gute Zusammenarbeit. – Danke. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

10.55


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich danke dem Herrn Bundeskanzler für seine Aus­führungen.

Es sei mir gestattet, die Bundesräte außer Dienst Mag. Taucher und Perhab herzlich bei uns zu begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)

Nunmehr erteile ich Herrn Vizekanzler Dr. Mitterlehner zur Abgabe der Erklärung zur Re­gierungsumbildung das Wort. – Bitte, Herr Vizekanzler.

 


10.56.20

Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft Vizekanzler Dr. Rein­hold Mitterlehner: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundeskanzler! Geschätzte neue


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Regierungsmitglieder! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Auch wenn ich heute von einer unerwarteten Seite, nämlich von der Re­gierungsbank auf SPÖ-Seite, komme (Heiterkeit – Ruf bei der ÖVP: New Deal!), für man­che die falsche Seite, hoffe ich doch, das Richtige ansprechen zu können.

Zuallererst ist mir der heutige Anlass wichtig: dass wir das neue Regierungsteam, den neuen Bundeskanzler auch hier im Plenum des Bundesrates vorstellen. Und ich möch­te zuallererst dem neuen Bundeskanzler, dem gesamten Team alles Gute und gute Zu­sammenarbeit wünschen.

Wir haben schon in der Aktuellen Stunde gesehen, wie schnell es im Leben geht. Herr Mag. Leichtfried hat schon an der Aktuellen Stunde teilgenommen. Wir alle sind schon in die Probleme der Gegenwart, aber nicht nur in diese, sondern teilweise auch in jene der Vergangenheit und in Zukunftsfragen eingetaucht und setzen uns damit auseinan­der.

Ich möchte es aber auch nicht versäumen, da wir alle auch eine Geschichte haben und Teil der Geschichte sind, dem bisherigen Bundeskanzler Werner Faymann und seinem Team, jenen Damen und Herren, die nicht mehr dem neuen Team, der neuen Regie­rung angehören, für die Zusammenarbeit herzlich zu danken.

Natürlich gab es Unterschiede, aber es gab auch wichtige gemeinsame Projekte, ich darf nur drei exemplarisch erwähnen:

Wir haben gemeinsam die Wirtschaftskrise 2009, die gerade jetzt vielleicht im Auslau­fen ist, bewältigt. Ich habe schon im Plenum des Nationalrates darauf hingewiesen, was wir alles für Sparer, aber auch für die Industrie investiert haben. Und das Wesent­lichste ist – das ist noch nicht erwähnt worden –, dass keine Österreicherin und kein Österreicher wegen der Wirtschaftskrise ihr oder sein Vermögen oder sonst etwas ver­loren hat; im Wesentlichen haben wir alles, was Sparguthaben und anderes anlangt, sichergestellt. Das unterscheidet uns von anderen Ländern, auch wenn da oder dort vielleicht der eine oder andere Arbeitsplatz verloren gegangen ist, was bedauerlich ist. Und die Rolle der Sozialpartner wurde gerade in dieser Phase auch bestätigt und ihre Bedeutung aufgezeigt. Es war großartig, dass wir gemeinsam erkannt haben: Mit Kurz­arbeit und mit einer gemeinsamen Vorgangsweise können wir die Krise lösen. Das ist ein Aspekt, der in der Vergangenheit gut gelungen ist. (Beifall bei ÖVP und SPÖ, bei Bundesräten der Grünen sowie der Bundesrätin Ecker.)

Zum Zweiten haben wir die Steuerreform realisiert. Wenn Sie die Aussagen des Wifo vom Montag dieser Woche nachlesen oder vielleicht mitverfolgt haben, aber auch an­dere Wirtschaftsberichte sagen das, sogar das Ranking im IMD-Bereich, wo wir wieder leicht nach vorne gereiht worden sind, so ist dort die Begründung unter anderem die Steuerreform, dass der Konsum und mittlerweile sogar auch die Investitionen belebt wurden, ein durchaus großes und auch gelungenes Projekt. Das steht aber auch für die Ambivalenz: Es ist uns nicht gelungen, das Thema auch positiv zu verkaufen. Die Wirkung ist positiv – das Marketing wurde teilweise negativ beeinflusst durch die aus meiner Sicht übertriebene Diskussion der Problematik Registrierkassen, die in anderen Ländern, um auch die Steuereinnahmen entsprechend abzusichern, längst Realität sind und kein großes Diskussionsthema waren.

Damit bin ich beim dritten Thema, das auch zeigt, wie wichtig Diskussion und Weiter­entwicklung sind: der Flüchtlingsproblematik. Es ist uns in Österreich in intensiver Dis­kussion gelungen, zu bewerkstelligen, dass wir das, was wir erlebt haben, nämlich un­geregelten Zugang, unkontrollierten Zugang über die Grenze in großen Massen, in ei­ne systematische Vorgangsweise – kontrolliert und solidarisch auf europäischer Ebe­ne – umwandeln, und das ist aus meiner Sicht nicht nur richtig und wichtig, sondern in


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diesem Fall war auch eine intensive Auseinandersetzung notwendig, die wir gemeinsam geführt haben.

Das Wichtigste und wahrscheinlich das Bedeutendste, das wir jetzt daraus ableiten kön­nen, ist, dass wir die Politik ändern müssen. Ich habe es schon mehrfach angespro­chen: Wir sehen gerade beim Flüchtlingsthema, wie wichtig es ist, aus Betroffenen Be­teiligte zu machen. Das Thema liegt uns eigentlich näher, als wir jemals gedacht hät­ten, wenn Sie beispielsweise an die Problematik des brennenden Flüchtlingsheims den­ken.

Ich habe deswegen interveniert, weil es in Altenfelden passiert ist, und das ist in mei­nem Heimatbezirk. Ich muss sagen, es ist eine rühmliche Intervention, weil ich meinen Bezirk bisher eigentlich als Musterbeispiel an Hilfsbereitschaft und positiver Einstellung wahrgenommen habe. Ich möchte das auch nicht verallgemeinern: Ein Fall bedeutet noch lange nicht, dass die Einstellung bei allen so ist, aber wir sehen schon, dass wir gerade bei diesem Thema aus Betroffenen Beteiligte machen müssen, das heißt, die Integration anders leben, Probleme ernst nehmen und aufarbeiten, denn sonst ist es wirklich nicht weit zu derartigen – ich möchte nicht sagen – Problemlösungsversuchen im negativen Sinn, dorthin, eine negative Qualität zu erhalten. Daher werden wir, was uns anbelangt, dem mit aller Kraft entgegentreten, und zwar mit einer aktiven, mit einer gemeinsamen Integrations- und Flüchtlingspolitik.

Zum Zweiten: Wenn es jetzt darum geht, etwas für die Zukunft abzuleiten, dann möch­te ich auch dort anknüpfen: Wenn wir aus Betroffenen Beteiligte machen, wenn wir sehen, dass es gerade in der Flüchtlingsproblematik auch Ängste gibt, was die Zukunft anbelangt, und wenn wir das Thema unter den Begriffen Sicherheit, Integration, Migra­tion behandeln, dann ist das einmal wichtig, weil richtig erkannt. Ja! Ich denke, es war auch wichtig, gerade im Sicherheitsbereich, was den Punkt U6 und anderes anbelangt, seitens des Parlaments und der Exekutive die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Die Bürger haben ein Recht auf Sicherheit.

Die Bürger haben auch ein Recht auf Klarheit. Wenn jetzt 37 500 als Obergrenze, die wir gemeinsam erarbeitet haben, angesprochen wurde, dann möchte ich gar nicht in ei­ne Diskussion einsteigen, wie jetzt diese Zahl festgelegt wird, ob mit Dublin-Fällen oder ohne Dublin-Fälle – egal; das soll der Herr Innenminister in Abstimmung mit dem Ver­teidigungsminister klarstellen, das erwarten sich auch die Bürger. Ich bin auch kein Ober­lehrer, aber auf der anderen Seite war das Problem schon, dass gesagt worden ist, es gehe um Asylberechtigte, und das haben wir an sich eben nicht vereinbart.

Es kann ein Missverständnis sein, ein Lapsus Linguae – ich weiß es nicht –, aber Asyl­berechtigte sind diejenigen, die ein Verfahren abgeschlossen haben und im Land Ös­terreich einen Status haben. Asyl und ein entsprechendes Zulassungsverfahren ist der andere Bereich. Ich stelle das jetzt nur einmal aus meiner Sicht fest, weil mir das wirk­lich unliebsam erscheint, aber es ist so. Daher gibt es da keinen Streit, aber es gibt auch klare Festlegungen, die im Prinzip nachvollziehbar sind. – Das zu dem Thema. Das er­warten sich auch die Bürger: Klarheit über Zahlen, Klarheit über Strategien, Klarheit über Positionen.

Ich sage jetzt schon eines: Es wird keine lustige Angelegenheit, wenn diese Obergren­ze von 37 500 wirklich erreicht wird und es dann um die Umsetzung geht. Das bedeu­tet Schwierigkeiten in der gesamten Vollziehung, und das wird eine große Herausfor­derung sein. Ich sehe es aber als ganz wichtig auch für die Bürger an, dass wir die He­rausforderung annehmen und das Problem lösen, denn: Warum ist die wirtschaftliche Entwicklung in Österreich in den letzten Jahren so problematisch gewesen? – Gerade gestern hatten wir in Graz eine Veranstaltung, unter anderem mit einem Ökonomen, Herrn Helmenstein, und da haben wir darüber gesprochen, dass ein Teil der schlech­ten Stimmung nicht nur die „Leistung“ der Regierung war, wie manche behaupten – ich


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halte das durchaus für diskutierbar –, sondern auch deswegen entstanden ist, weil die Medien zu 50 Prozent von Berichten über das Flüchtlingsthema dominiert waren.

Dieses Thema hat Angst erweckt, das Thema hat Zukunftsängste befeuert und Zu­kunftserwartungen negativ beeinflusst. Daher sehe ich es als wichtig an, dass man Ängsten entgegentritt, und zwar dadurch, dass man eben den Wirtschaftsbereich wie­der in den Vordergrund rückt. Wenn ich das tue, wenn ich sage, wir nutzen unser Po­tenzial nach oben, dann sehe ich einfach auch eine große Möglichkeit, Arbeitsplätze entsprechend anders zu entwickeln und insgesamt eine andere Stimmung zu erreichen.

Ich sage Ihnen, der Optimismus der letzten Tage ist auch nach Meinung von Experten nicht unberechtigt. Wir werden 1,6 Prozent Wachstum erreichen. Wir haben jetzt im Wirt­schaftsklimaindex, was die Zuversicht anbelangt, das erste Mal seit mehreren Monaten eine Drehung, eben weil das andere Thema nicht so dominiert, und wir sollten uns ge­nau diesen Möglichkeiten widmen, nämlich ein unternehmerisches Österreich wieder in den Vordergrund zu rücken.

Meine Damen und Herren, ich habe unternehmerisch gesagt, nicht die Unternehmer, dass also das Aktive, das Leistungsorientierte, das die Eigenverantwortung Fördernde in den Vordergrund gerückt wird und erst dann die Absicherung, was Transferleistun­gen und soziale Notwendigkeiten anbelangt, kommt. Das ist ein gravierender Unter­schied zu dem Denken, das wir jetzt da und dort erleben.

Diesbezüglich werden wir – wir haben es angesprochen – auch mehrere Projekte star­ten müssen, die Althergebrachtes hinterfragen. Auf unserer Seite ist das vielleicht die Gewerbeordnung, denn ich sehe beispielsweise Folgendes als Notwendigkeit: Wenn man einen unternehmerischen Zugang hat, dann kann es nicht einerseits Leute und Unter­nehmen geben, die in der Kammer organisiert sind, und andererseits Start-ups, die sa­gen: Wir brauchen gar nichts! Und wenn es bei der Hälfte aller Gewerbe freien Zugang gibt, dann genügt wahrscheinlich auch eine Mitgliedschaft für alle Tätigkeiten und man braucht keine vielfache. – Das sollten wir uns anschauen. Das habe ich gemeint mit: neue Rolle der Sozialpartner.

Das trifft unseren Bereich, das trifft alle Bereiche, und vor allem geht es darum, dass wir nicht immer verschiedene Themen – die eine Seite ist, sagen wir, Flexibilisierung der Arbeitszeit, die andere beispielsweise Ausweitung der Arbeitnehmerschutzrechte – Zug um Zug verbinden. Das ist eine Problematik, die wir entflechten sollten. Daher se­he ich dort einen durchaus normalen und wichtigen Vorgang, aber auch in der Diskus­sion zum Beispiel betreffend die Organisation der Sozialversicherungen.

Meine Damen und Herren, ist Ihnen schon aufgefallen, was passiert, wenn wir im Mi­nisterratsfoyer ankündigen, dass wir uns einmal die Studien anschauen und überprüfen werden, ob es nicht effizientere Formen der Zusammenarbeit und der Organisation ins­gesamt gibt? – Schauen Sie heute in die Zeitungen: lauter Festlegungen, bevor die ers­ten Ergebnisse da sind! Der Herr Soundso oder die Frau Soundso hält das eigentlich für problematisch, denkt, das ist eigentlich nicht wirklich sinnvoll, weil … – Das ist ein Zu­gang, den es bei uns da und dort gibt, daher werden wir meiner Meinung nach auch Er­wartungshaltungen anders ausrichten müssen – und sie hoffentlich brechen.

Sie haben verfolgt, dass diese Kulturänderung nicht immer einfach ist. Da und dort wird uns sicher, ich würde so sagen, ein Rückfall passieren, was nicht gut ist. Wir sollten ei­ne neue Linie der Zusammenarbeit pflegen, das erwarten sich die Bürgerinnen und Bür­ger; daran werden wir auch gemessen werden. Das ist jetzt kein Lippenbekenntnis, son­dern das ist aus meiner Sicht die objektive Wahrheit. Wir werden es in den nächsten Mo­naten sehen.

Ich darf nur noch ein Beispiel erwähnen – und möchte betreffend den Rest nur unter­streichen, was gesagt worden ist –, ein Beispiel, das auch mitspielt und das wir als The-


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ma genommen haben, das ist die Metaebene Entbürokratisierung oder bessere Regu­lierung. Das gilt nicht nur für die Unternehmen, das gilt für alle Lebensbereiche, weil wir schon den Eindruck haben, der Staat ist überall überdimensional präsent. Gestern hat einer der Referenten bei der von mir angesprochenen Veranstaltung gesagt, wir brauchen sozusagen ein Jahr, während dem all die Regulierer freigesetzt werden und sich eine Pause nehmen – und alle haben applaudiert und gelacht.

Ich glaube aber, das Problem ist gar nicht, dass irgendwo jemand sitzt mit einem Kap­perl, auf dem Regulierer steht, sondern das Problem ist unsere Kultur, unsere Vollzie­hung. Das haben wir über Jahre gepflegt mit den Prinzipien: Wir, der Nationalrat, der Bundesrat, machen da und dort, überall, Gold Plating, vielleicht mit guter Absicht. Wir machen Gesetze, damit wir Gesetze haben, und überprüfen nie, ob sie alle noch rele­vant sind. Nach ein paar Jahren hat sich das eine oder andere vielleicht wirklich nicht geändert.

Lassen Sie mich zu dem Thema folgendes Beispiel bringen: Das Arbeitnehmerschutz­gesetz haben wir vor 20 Jahren im Parlament beschlossen. Die Arbeitswelt hat sich in den letzten 20 Jahren gravierend geändert, und die Frage ist: Sind die Probleme von dazumal die Probleme von heute? – Ich glaube, nein. Daher sollten wir uns beispiels­weise mit den Sozialpartnern diesen Themenstellungen widmen.

Auch diesbezüglich ein klares Wort: Sozialpartner haben wir immer, solange es Arbeit­geber und Arbeitnehmer gibt; die Qualität der Zusammenarbeit, die Qualität der Refor­men können wir aber definieren und weiterentwickeln.

In diesem Sinn ist, glaube ich, alles aufbereitet. Es gibt viel zu tun! Das Motto wird nicht sein: Warten wir es ab!, das haben wir beide und das gesamte Team, meine ich, schon unterstrichen. Ich warte auf und erwarte mir einen Dialog mit Ihnen, der ja immer sehr positiv war, und ich hoffe in diesem Zusammenhang sowohl auf Ihre Kritik, aber auch auf Ihre Unterstützung. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

11.09


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich danke dem Herrn Vizekanzler für seine Ausfüh­rungen.

Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Todt. – Bitte.

 


11.10.02

Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Kern! Sehr geehrter Herr Vizekanzler Mitterlehner! Sehr geehrte Frau Bundesministerin Hammerschmid! Sehr geehrter Herr Bundesminister Drozda! Sehr geehrter Herr Bundesminister Leichtfried! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Duzdar! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn meiner Rede will ich dem ehemaligen Herrn Bundeskanzler Werner Faymann und den ausgeschiedenen Regierungsmitgliedern für die geleistete Arbeit im Interesse der Republik danken. Der damalige Bundeskanzler Wer­ner Faymann und sein Team haben unser Land in schwierigen Zeiten gut durch die Fi­nanz- und Wirtschaftskrise geführt. Danke für diese Arbeit! (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Dennoch sind die Herausforderungen für Herrn Bundeskanzler Kern und sein Team sehr groß. Obwohl es in der Wirtschaft aufwärts geht – Herr Vizekanzler Mitterlehner hat darauf hingewiesen –, das Wirtschaftswachstum im ersten Halbjahr größer ist als prognostiziert – übrigens auch ein Erfolg der Bundesregierung, denn durch die größte Steuerreform und deshalb, weil die Menschen mehr Geld zur Verfügung haben, wurde der Konsum belebt –, ist die Arbeitslosigkeit leider immer noch zu hoch. Sie haben da­rauf hingewiesen und diese Frage schon aufgeworfen.


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Ich halte das für die wichtigsten Aufgaben für die Zukunft. Die Themen von Bruno Kreis­ky – Slogan: Leistung, Arbeit, Sicherheit – sind auch heute noch entscheidende Punk­te. Es sind jene Punkte, die die Gesellschaft gestalten.

Zur Arbeit: Beschäftigung, Wachstum, Investitionen sowie Standortsicherheit sind in Zei­ten einer globalisierten Wirtschaft von ganz zentraler Bedeutung.

Ebenso ist Bildung zentral: Forschung und Wissenschaft sind der Treibstoff für die ge­sellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung. Das Know-how, das Wissen, die Talen­te und die Leistung sind die Chancen für Österreich, sich in der europäischen und in der Weltwirtschaft zu positionieren.

Der dritte Punkt neben Leistung und Arbeit ist die Sicherheit. Es geht um die Sicherheit im umfassenden Sinn. Es geht um materielle Sicherheit im Sinne von innerer und äu­ßerer Sicherheit, es geht aber ganz besonders um die soziale Sicherheit. Herr Bundes­kanzler Kern und Herr Vizekanzler Mitterlehner haben in ihren Reden schon Antworten auf die brennenden Fragen formuliert. Wir müssen uns aber auch auf Herausforderun­gen vorbereiten, wie zum Beispiel den Klimawandel und die Auswirkungen der Be­schlüsse von Paris, die eine Veränderung der fundamentalen Lebensgrundsätze für un­sere Gesellschaft bedeuten.

Das Wetter ist nur ein Ansatz, an dem Sie sehen, wie viel sich verändern wird. Das ist ein wirtschaftliches Thema, weil es eben Auswirkungen auf die Wirtschaft haben wird. Ich denke an die österreichische Industrie, an die vielen Betriebe, aber auch ganz be­sonders an den Fremdenverkehr. Alle Bereiche, in denen wir leben und arbeiten, sind von diesem Wandel betroffen. Globale Krisen machen vor der Haustür Österreichs nicht halt. Mit nationalen Lösungen können wir diese Herausforderungen nicht lösen. Da braucht es eine europäische und eine internationale Zusammenarbeit.

Die Politik muss Lösungen für diese wichtigen Fragen suchen, Verängstigung und Ver­unsicherung müssen in Hoffnung umgewandelt werden. Ein zukunftsorientiertes Leit­bild und die globale Idee, dass es eine gleiche, gerechte und faire Gesellschaft auf un­serem Kontinent geben kann, müssen wir für die Menschen weiterentwickeln und auch durchsetzen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Mayer.)

Es gilt, den latenten Pessimismus in Optimismus und Zukunftsängste in Hoffnung um­zuwandeln, neue Strukturen und Formen der Zusammenarbeit zu finden und die Bevöl­kerung in dieses Projekt mit einzubeziehen. Jeder Einzelne kann auch seinen Beitrag dazu leisten.

Wir wollen konstruktiv arbeiten und Österreich nach vorne bringen. Wir haben einen neuen Bundeskanzler, der sich heute hier eindrucksvoll vorgestellt hat. Wir haben neue Regierungsmitglieder, die positiv nach vorne blicken und auch Mut zu Neuem haben. In­novationskraft, Mut und Hoffnung – herzlich willkommen, viel Kraft für Österreich und seine Menschen! – Alles Gute. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

11.16


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bevor wir in der Debatte fortschreiten, darf ich die Ver­treter der Landesberufsschule Schrems recht herzlich begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mayer. Ich erteile ihm dieses.

 


11.16.44

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrter Herr Bundeskanzler! Herr Vizekanzler! Die Frau Ministerin und die Herren Minis­ter seien herzlich begrüßt, vor allem aber Frau Alt-Bundesrätin (Heiterkeit) Staatsse­kretärin Muna Duzdar, die hier ein Comeback erlebt. Wir freuen uns alle darüber. Man sieht, welche Möglichkeiten man aus dem Bundesrat kommend hat.


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Kollege Todt hat dankenswerterweise nicht nur die Begrüßung von allen übernommen, sondern – so wie der Herr Vizekanzler – auch die Dankesworte an die Regierungsmit­glieder und den Herrn Bundeskanzler, die ausgeschieden sind. Dem schließe ich mich sehr gerne an, das wird natürlich auch von meiner Fraktion entsprechend mitgetragen.

Insbesondere möchte ich aber einen doch noch etwas hervorheben, weil er sehr oft bei uns im Bundesrat war, nämlich den Kanzleramtsminister Ostermayer. Er hat dem Bun­desrat auch immer große Wertschätzung entgegengebracht. Auch dafür sei ihm herz­lich gedankt. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

Ich darf mit einem Zitat des derzeitigen Vorsitzenden der Landeshauptleutekonferenz Wilfried Haslauer beginnen, der gesagt hat, derzeit herrscht ein konstruktiver Kurs in der Bundesregierung; die Länder reichen die Hand dazu. – Dazu reichen auch wir Bun­desräte selbstverständlich gerne die Hand, und ich darf Sie, Herr Bundeskanzler, und die neuen Regierungsmitglieder namens meiner Fraktion in der Länderkammer herz­lich begrüßen und Ihnen versichern, dass wir auch sehr an einer Änderung der Zu­sammenarbeit interessiert sind, denn: Geht es dem Bund gut, geht es natürlich auch den Ländern gut.

Man sieht auch schon an den Platzverhältnissen im Bundesrat: Es wäre gar keine grö­ßere Regierungsumbildung möglich gewesen, denn die Plätze auf der Regierungsbank sind voll besetzt. Außerdem ist die Zuordnung gut, Herr Bundeskanzler, da Sie sozusa­gen bei unserer Fraktion sitzen und der Herr Vizekanzler bei Ihrer Fraktion. (Heiterkeit.) Das ist auch ein gutes neues Miteinander, das freut uns ganz besonders. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

Wir brauchen selbstverständlich schon eine Regierung, die sich zu positionieren weiß, die entschlossen ist und die, so wie wir heute gehört haben, auch entschlossen an Re­formen herangeht, ohne sich gegenseitig über die Medien auszurichten, wie gut bezie­hungsweise wie schlecht der andere ist. Nicht der Streit, sondern die Zusammenarbeit sollte im Vordergrund stehen, so wie wir das heute schon gehört haben, also eine neue partnerschaftliche Regelung mit entsprechend klar definierten Spielregeln.

Ich habe es schon erwähnt: Der New Deal, die neue Möglichkeit der Zusammenarbeit, auch die Prioritätensetzung, die Sie gemacht haben, Herr Bundeskanzler und Herr Vi­zekanzler: bei der wirtschaftlichen Entwicklung, beim Arbeitsmarkt, bei Innovation und Forschung, bei der Entbürokratisierung, der Bildungsreform sowie bei Asyl, Integration und Sicherheit, all das sollten nicht nur Überschriften sein und soll auch nicht mit wenig Sinn machenden Deadlines unterlegt sein, sondern diese Maßnahmen sollten gut vor­bereitet auf den Weg gebracht werden.

Der Herr Vizekanzler hat es schon angesprochen: Die Leistungen der Regierung wur­den kaum zur Kenntnis genommen, es wurde von den Medien eben nur das übernom­men, was vorher insgesamt schlechtgeredet wurde.

Wenn man die Steuerreform betrachtet, so muss man sagen: Das ist die größte Steu­erreform, die Österreich auf den Weg gebracht hat, mit einem Volumen von 5,2 Milliar­den €, wo jeder – auch kleine und mittelständische Unternehmen – am Ersten des Mo­nats anhand des Gehaltszettels des letzten Jahres vergleichen kann, was sich da ge­tan hat. Und wenn man darüber – bevor man die Steuerreform weiter schlechtredet – mit Menschen diskutiert, dann gibt das auch jeder zu. Nur: Wir haben es einfach nicht geschafft, ein großes Projekt oder eines der größten Projekte dieser Regierung auch entsprechend zu verkaufen. Das soll, sehr verehrte Damen und Herren auf der Regie­rungsbank und liebe Kolleginnen und Kollegen, in Zukunft besser gemacht werden.

Gemeinsam gemachte Projekte bedeuten auch, dass man mit einer Stimme davon spricht. Ich habe mir, Herr Bundeskanzler, Ihre hier abgegebene Stellungnahme no­tiert, wo Sie gesagt haben, in der Flüchtlingsproblematik gebe es von Ihnen keine neue


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Interpretation, es gehe einfach darum, dieser Problematik mit Menschlichkeit und Hu­manität zu begegnen, gleichzeitig aber das Bedürfnis der Bevölkerung nach subjektiver Sicherheit ernst zu nehmen, und es sei für Sie sehr wichtig, den Fokus auch auf In­tegrationsmaßnahmen zu legen. – Das ist ein Zitat, das ich hier gerne zum Besten ge­be.

Aber es gibt jetzt von Ihnen – und Sie haben es heute angesprochen, Sie haben hier relativ lange über Integration und Asyl gesprochen, was ein wichtiges Thema ist, das gebe ich durchaus zu – eine neue Interpretation des Asylgesetzes. Ihr Statement dazu im Pressefoyer ist jetzt zeitgleich mit dem Inkrafttreten des Asylgesetzes am 1. Juni ge­kommen, und da sprachen Sie von 11 000 Asylberechtigten. Inzwischen sind es aber 20 000 Asylberechtigte, mit verschiedenem Zugang, entweder als Asylwerber oder sub­sidiär Schutzbedürftige. Da gibt es natürlich eine Problematik, wenn wir immer nur von dieser Zahl ausgehen und dann bei den 37 500 angelangt sind. Denn in Wirklichkeit geht es um die Menschen, die hier bei uns sind, und nicht nur um Asylberechtigte. Und wenn wir das dann weiter potenzieren, bis wir 37 500 Asylberechtigte haben, dann ha­ben wir in Wirklichkeit über 100 000 Menschen im Land, so wie im letzten Jahr. Das ist der große Unterschied, den es da bei der Interpretation gibt! Also da gibt es meiner Mei­nung nach nicht den großen Spielraum, von dem Sie, Herr Bundeskanzler, gesprochen haben.

Ich denke, dass Sie da die Journalisten und auch den Innenminister und den Verteidi­gungsminister schon auf dem falschen Fuß erwischt haben, um es in der Fußballer­sprache zu sagen. Na ja, es sei so.

Auf jeden Fall ist das Problem sicher Dublin III, wo wir das Gefühl haben, dass Dub­lin III momentan nur auf dem Papier besteht. Es hat mich auch Kollege Stefan Schen­nach, Mitglied des Europarates und Bundesrates, der heute nicht hier ist, vor drei EU-Ausschüssen klar darauf hingewiesen – und er muss es ja wissen –, dass seiner Mei­nung nach Dublin III tot ist. Und wenn das ein Experte sagt, dann muss man das auch ernst nehmen. Er kommt ja bekanntlich nicht aus meiner Fraktion.

Ich meine, es ist wichtig, dass wir da eine gemeinsame Sprachregelung in der Regie­rung haben. Es geht darum, die Fakten den Menschen auch entsprechend zur Kennt­nis zu bringen und nicht jetzt schon wieder mit verschiedenen Interpretationen, was Zahlen anbelangt, was Größenordnungen anbelangt, was Richtwerte oder Obergren­zen anbelangt, zu kommen, denn das wollen die Menschen in Wirklichkeit nicht. Die Menschen wollen klare Botschaften, klare Lösungen. Wir haben im Asylbereich jetzt ei­ne Lösung, so wie sie der Vizekanzler geschildert hat, und diese gilt es auch entspre­chend umzusetzen, daran gilt es zu arbeiten.

In den Ländern und in den Gemeinden ist die Problematik natürlich eine andere. Wir sind aufgefordert, Menschen gemäß unserer gesetzlichen Bestimmungen unterzubrin­gen, ihnen entsprechendes Quartier zu besorgen, und das stellt uns zusehends vor ganz große, ja vor riesige Herausforderungen.

Sie haben, Herr Bundeskanzler, auch die Brandstiftung in einem Asylheim erwähnt, was wirklich zu verurteilen ist. Da gilt es, mit allen gesetzlichen Möglichkeiten die Täter auszuforschen. Ich hoffe, dass solche Dinge nie mehr passieren. Das ist dringend ab­zustellen. Wir wollen nicht solche Verhältnisse, wie es sie in Deutschland gibt, wo na­hezu jedes Asylheim mit derartigen Attacken entweder brandgeschatzt oder stark be­schädigt wird.

Wir haben die schwierige Aufgabe, diese Menschen, die aus Zeltstädten und zum Teil aus der Obdachlosigkeit herkommen, in den Gemeinden, in den Ländern zu versorgen, sie unterzubringen und zu integrieren, und da ist längst nicht jede Unterkunft möglich. Es sollen keine Zelte sein, es sollen keine Container sein, es sollen keine alten Fabri-


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ken sein, nur ganz gute Wohnquartiere, und das zu bewerkstelligen ist für die Gemein­den immer schwieriger. Da muss man schon klar sagen, dass wir da auch die Länder und die Gemeinden nicht überfordern dürfen.

Ich finde es gut, Herr Bundeskanzler, dass Sie im Pressefoyer auch gesagt haben, dass Sie sich demnächst um die Notverordnung kümmern werden, dass es wichtig ist, dass man da zumindest gesetzlich gerüstet ist.

Und wenn ich schon den Verteidigungsminister und den Innenminister erwähnt habe, dann möchte ich sagen, es sollte der Umgang dieser beiden Regierungsmitglieder mit­einander, die in fairer und sachlicher Art und Weise die großen Herausforderungen in der Flüchtlingssituation gemeinsam meistern, für das Verhalten der übrigen Regierungs­mitglieder beispielgebend sein. Und glauben Sie mir, das wird von der Bevölkerung auch anerkannt. Das ist lösungsorientierte Zusammenarbeit, und die ist immer ein Garant für Erfolg!

Abschließend darf ich noch kurz auf das Verhältnis zwischen dem Bund und den Län­dern eingehen, von dem Sie als ehemaliger Chef der ÖBB sicher auch ein Lied singen können.

Was die Situation von Bund und Ländern anbelangt, ist zu sagen: Föderale Strukturen und ein moderner Föderalismus sind das beste Angebot an die Bürger. Jede Studie zeigt, dass sich die BürgerInnen in kleinen politischen Einheiten stärker einbringen als in großen. Alle großen Herausforderungen der Vergangenheit sind immer nur dann er­folgreich bewältigt worden, wenn Bund und Länder zusammengearbeitet haben.

Heute sind neue Aufgaben zu meistern. Da ist eine gute Zusammenarbeit wirklich sehr wichtig. Gute Beispiele dafür gibt es genug. Wir dürfen auch deshalb als Ländervertre­ter auf faire Finanzausgleichsverhandlungen hoffen. Wir brauchen in den Ländern Un­terstützung in der Asyl- und Flüchtlingskrise, im Bereich der Gesundheits- und Spitals­finanzierung, bei der Kinderbetreuung sowie im Bereich der Pflegefinanzierung und bei den sozialen Problemen unseres Landes.

Herr Bundeskanzler! Ich wünsche Ihnen und Ihrem Regierungsteam alles Gute und viel Erfolg. Ich hoffe auf eine gute Zusammenarbeit mit den Ländern und mit dem Bundes­rat. – Glück auf! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

11.27


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich darf meiner großen Freude über das rege Inter­esse an der heutigen Bundesratssitzung Ausdruck geben und begrüße hiermit Klubob­frau Dr. Eva Glawischnig-Piesczek in Begleitung der Schülerinnen und Schüler der 4. Klas­se der Marie Jahoda Volksschule. (Allgemeiner Beifall.)

Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte.

 


11.28.17

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Sehr geehrtes neues Team der Bundesregierung! Sehr geehrte Damen und Herren hier im Saal und zu Hause an den Bildschirmen! Wir haben jetzt eine halbe neue Regierung mit einem neuen Bun­deskanzler an der Spitze. Ich darf Sie auch namens der freiheitlichen Fraktion bei uns im Bundesrat willkommen heißen.

Herr Bundeskanzler! Wir haben Ihrerseits viel gehört, Sie haben eine sehr gute Rede gehalten, vieles davon ist uns aber wohlvertraut. Wir haben bis jetzt noch nach jeder Wahl gehört, es müsse ein neuer Stil einkehren, und es waren von 21 Wahlen immer­hin 19, die von SPÖ und ÖVP verloren worden sind, und da haben wir, wie gesagt, im­mer gehört, es müsse ein neuer Stil herkommen, man müsse besser miteinander re-


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den und man habe, wie es Kollege Mayer gesagt hat, die eigene Politik schlecht ver­kauft – aber vielleicht kommen Sie auch einmal auf die Idee, dass Sie schlechte Politik gemacht haben – und man müsse besser miteinander kommunizieren.

Nach dem gestrigen Streit über die Zahlen, nämlich darüber, ob wir da von Asylberech­tigten oder von Asylwerbern sprechen, schaut aber, muss ich Ihnen ganz ehrlich sa­gen, der neue Stil jetzt, 14 Tage, nachdem die Regierung umgebildet worden ist, schon ziemlich alt aus. Das ist genau das, was die Menschen in diesem Lande nicht wollen! Sie wollen, dass ordentlich gearbeitet wird, für sie gearbeitet wird und nicht gegen sie. Da haben Sie, Herr Bundeskanzler, zwar gesagt, dass man natürlich die Sorgen und die Ängste der Menschen ernst nehmen muss, aber hintennach haben Sie dann ge­meint – hier haben Sie es nicht gesagt, aber im Nationalrat –, man dürfe aber nicht in Chauvinismus verfallen und man dürfe nicht hetzen.

Da frage ich mich jetzt und ich frage auch Sie: Wer hetzt, wen meinen Sie? Meinen Sie jene Wähler, die die FPÖ gewählt haben? Die taten das nicht nur aus Protest. Es ist nämlich eine weitverbreitete Mär, dass die FPÖ nur aus Protest gewählt wird. Nein, die FPÖ wird auch deshalb gewählt, weil die Menschen glauben, dass wir die besseren Rezepte und Lösungen haben.

Wir von der FPÖ haben sehr viele Anträge eingebracht: zum Thema Asyl, zum Thema Pflege, zum Thema Gesundheit, Spitäler, Arbeitsrecht. Von uns liegen Hunderte Anträ­ge im Nationalrat, die nie in irgendeiner Form von der Regierung auch nur zur Kenntnis genommen wurden.

Zum Beispiel ist die Zusammenlegung der Sozialversicherungen eine 30 Jahre alte Forderung der FPÖ. Jetzt hörte ich, dass Sie eine Studie dazu machen wollen, um zu schauen, ob man da eine gewisse Effizienzsteigerung erzielen kann.

Wir von der FPÖ sehen die Probleme, und zwar geht es nicht nur um das Problem mit den Asylzahlen und der Obergrenze, sondern es geht auch um die Probleme, die wir tagtäglich erleben.

Zum Beispiel haben wir am Praterstern das Problem, dass sich die Menschen nicht mehr dorthin gehen trauen, zur U-Bahn, zur S-Bahn oder auf dem Nachhauseweg, weil es dort täglich an die sieben Fälle gibt, wo man belästigt wird, überfallen wird, als Frau angegrapscht wird, im schlimmsten Fall vergewaltigt wird.

Das nächste Problem ist die Drogenszene entlang der U6, wo jetzt – danke an die Polizei! – wirklich rigoros durchgegriffen wird. Diese Drogenszene hat aber ein falsches Gesetz möglich gemacht, das auf die Kleinstkriminalität ausgerichtet war, und man hat dabei leider übersehen – entgegen den Warnungen der FPÖ, aber auch entgegen den Warnungen des Innenministeriums –, dass damit auch die Drogendealer quasi aus dem Schneider sind. Jetzt hat man das Gesetz Gott sei Dank repariert, und dort finden jetzt Razzien statt, und die Dealer sind auf einmal verschwunden.

Natürlich wissen wir, dass diese Drogenszene nur verlagert wird, dass diese Dealer jetzt nicht auf Nimmerwiedersehen verschwunden sind, aber trotzdem zeigt sich da schon, dass wir auch etwas tun müssen, dass wir auch die Stärke des Staates zeigen müs­sen, um den Leuten zu verdeutlichen: So geht das nicht!

Im Bereich der Bildung haben wir auch Probleme, und die hängen natürlich auch mit der Zuwanderung zusammen. Da wird die neue Bildungsministerin sehr gefordert sein. Wir müssen da nicht streiten, ich gebe zu, ich bin eine Gegnerin der Gesamtschule und kann auch begründen, warum, aber dazu reicht jetzt die Zeit nicht, das können wir ein anderes Mal diskutieren. Mir geht es jetzt nicht um die Organisationsform, sondern da­rum, dass unseren Kindern auch vermittelt werden muss, dass es eine gewisse Leis­tungsbereitschaft und eine gewisse Leistungswilligkeit geben muss. Dabei sollen die Kin-


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der nicht überfordert werden, aber ohne Leistungswillen wird überhaupt nichts funktio­nieren. Und das betrifft natürlich auch die Kinder der Zuwanderer. (Beifall bei der FPÖ.)

Es steht und fällt das Fortkommen nun einmal mit der Sprache. Und da muss man sa­gen: Wenn wir Zuwanderer in Österreich haben – und das seit Jahren –, deren Kinder bei uns geboren und aufgewachsen sind, die, wenn sie in die Schule kommen, kein Wort Deutsch können, dann wissen wir, dass die mit einem Österreicher nie in Berüh­rung gekommen sind.

Fakt ist: Auch der Bildungsfernste, ob es jetzt ein Österreicher oder ein Zuwanderer­kind ist, kann, wenn er Lernbereitschaft zeigt – und Lernen ist halt nun einmal Anstren­gung, den Nürnberger Trichter gibt es nicht –, zu einem Hochschulabschluss kommen. Und wir müssen uns wünschen, dass all diese Kinder einen möglichst guten Schulab­schluss haben, denn sie sollen ja in das System einzahlen und nicht aus dem System herauskommen. Da sind wir uns ja einig. Aber es muss ihnen eben auch verdeutlicht werden, dass Bildung an sich einen Wert hat und nicht etwas ist, das eigentlich keiner braucht, weil man es letzten Endes anders auch zustande bringt.

Klar ist: Wir haben in Österreich noch viele andere Probleme. Sie haben noch viele Pro­bleme aufzugreifen, und daher müssen den schönen Worten auch Taten folgen.

Zum Beispiel: Wir haben die höchste Staatsverschuldung seit Jahren. Die Wirtschaft be­ginnt jetzt, wenn auch zaghaft, ein bisschen zu wachsen. Oder: Wir haben die höchste Arbeitslosigkeit. Und wir haben Probleme im Bildungssystem.

Wir müssen im Bereich der Wirtschaft schauen, dass wir nicht nur vonseiten des Staates Investitionen tätigen. Wir müssen schauen – oder Sie müssen schauen, wir al­le eigentlich! –, dass ein Wirtschaftsklima entsteht, in dem sich auch junge Leute selbst­ständig machen wollen. Es ist leider nicht so, dass Österreich ein Land ist, in dem sich junge Leute wahnsinnig gerne selbstständig machen. Es gibt viele Gründe, warum sie es nicht tun. Zum Beispiel: Es gibt unglaublich viele bürokratische Hürden. Außerdem wird die Investitionstätigkeit in letzter Zeit nicht gerade gefördert, sondern eher behin­dert. Und es hat sich auch nicht gedanklich festgesetzt, dass es etwas Tolles ist, auf eigenen Füßen zu stehen und quasi sein eigener Chef zu sein.

Und beim Asylthema – ich meine den Streit, den ich zu Beginn meiner Ausführungen erwähnt habe – hat Ihnen, Herr Bundeskanzler, ja auch der Verteidigungsminister aus­gerichtet, dass wir bei diesen Zahlen sehr transparent und sehr vorsichtig vorgehen müssen. Und da kann man nicht so einfach drüberwischen und sagen: Na ja, es ist wurscht, ob das Asylberechtigte oder Asylwerber sind!

Das macht einen Riesenunterschied aus, wie es auch Außenminister Kurz schon ge­sagt hat. Und wir von der FPÖ sehen das genauso. Denn wenn man da die Dinge ver­wechselt, dann haben wir auf einmal viel mehr Flüchtlinge da, als wir wollen und auch verkraften können. Und ja, die FPÖ hat sich immer dazu bekannt – und dazu stehen wir –, dass man nicht jeden nehmen kann. Dabei geht es nicht darum, dass wir Feinde der Menschen sind, die muslimischen Glaubens sind, sondern unsere Kritik hat sich immer gegen die Islamisten, vor allem gegen den politischen Islam gerichtet, wo wir uns mit vielen anderen durchaus in Übereinstimmung befinden. So hat etwa der Ob­mann der Initiative Liberaler Muslime in Österreich Albayati gestern zu Andreas Unter­bergers Blog einen Artikel gepostet, wo er sagt, man müsse da wirklich aufpassen, weil mit den Islamisten auch Terroristen nach Österreich gekommen sind und durch Ös­terreich in andere europäische Länder gezogen sind. – Also, da ist ein Muslim, der das durchaus auch so sieht.

Ich möchte auch noch daran erinnern, dass Necla Kelek, eine Deutsch-Türkin, vor Jah­ren in ihrem Buch „Die verlorenen Söhne“ schon geschrieben hat, dass viele der Leute, die Moslems sind, mit den Füßen hier ankommen, aber nicht mit den Köpfen, sie


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wollen hier genauso leben, wie sie es zu Hause getan haben, ohne sich hier irgendwie anpassen zu müssen.

Und wenn Sie jetzt durch Wien gehen, kann ich Ihnen zeigen, wo die selbstgewählten Ghettos sind, wo kein Österreicher, kein Wiener, auch nicht die FPÖ, gesagt hat: Ihr müsst alle in diesen Bezirk gehen!, sondern diese Leute wollen in diesen Bezirk, weil sie dort schon alles haben, was sie brauchen, da müssen sie nicht Deutsch lernen, sie haben dort die gesamte Infrastruktur, die sie brauchen.

Das alles sind Dinge, vor denen wir von der FPÖ seit Jahren warnen, weswegen wir dann immer als Hetzer hingestellt werden!

Noch ein Punkt sei erwähnt: Wir müssen uns auch über die Mindestsicherung unter­halten. Selbstverständlich gehört da auch etwas getan. Wir können nicht jedem, der gerade unsere Staatsgrenze überschritten hat, 823 € oder 853 € geben. Was sagen Sie denn angesichts dessen den Mindestpensionisten, die 40 oder 45 Jahre gearbeitet haben und genau das Gleiche bekommen? Da fühlt sich doch der Österreicher ge­pflanzt und sagt natürlich: Das kann es nicht sein!

Und natürlich ist es schrecklich, wenn ein … (Zwischenruf des Bundesrates Mayer.) Das hat übrigens dein Kollege Gödl das letzte Mal auch gesagt, aber da war es wahr­scheinlich gut, und wenn ich es sage, ist es nicht gut. (Bundesrat Mayer: …, das ist ein großer Unterschied!) Wenn zwei das Gleiche tun, ist es nicht dasselbe, ich weiß schon.

Selbstverständlich ist es eine Katastrophe, wenn in Oberösterreich ein Asylantenheim brennt. Das ist das Allerletzte, was wir alle hier wollen. Jeder von uns will, dass diese Dinge friedlich gelöst werden. Da müssen Sie sich aber auch an der eigenen Nase fas­sen, wenn Sie vom Respekt vor dem anderen reden oder wenn Sie von einer Abrüs­tung der Worte sprechen, und darf nicht pauschal alle, die nicht einer – ich sage es jetzt salopp – linken Meinung anhängen oder sagen: Alle sollen hereinkommen!, ausgren­zen und sagen: Das sind die rechten Hetzer! Also, da muss jeder etwas tun.

Sie als Regierung sind gefordert, nicht nur zu reden, sondern auch zu arbeiten, denn es ist nicht fünf nach zwölf, sondern es ist eigentlich schon zwanzig nach zwölf. (Beifall bei der FPÖ.)

11.39


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Stög­müller. – Bitte, Herr Kollege.

 


11.39.28

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrter Herr Kanzler! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Geschätzte Minister! Frau Staats­sekretärin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte vorweg, bevor ich auf das ei­gentliche Thema der Debatte eingehe, mein Mitgefühl und meine Anteilnahme den Op­fern und den Angehörigen der Toten der Hochwasserkatastrophe, die gerade im Inn­viertel – in meiner Region – und im nahe gelegenen Salzburg stattgefunden hat, aus­sprechen. Es hat in dieser Region – das wird ja der eine oder andere mitbekommen ha­ben – mittlerweile vier Tote gegeben. Es waren wirklich massive Überschwemmungen, gerade in der Stadt Braunau, aber noch viel mehr in Simbach. Es stellen gerade die Braunauer für die Simbacher, für die Hunderten Menschen, die dort keine Unterkunft mehr bekommen, Zelte auf und versorgen diese. Daher großen Respekt für alle Ein­satzkräfte, besonders der Feuerwehr und der Polizei, die dort vor Ort mitarbeiten. (All­gemeiner Beifall.)

Ich möchte nun Sie, sehr geehrte Damen und Herren auf der Regierungsbank, im Na­men der grünen Fraktion ganz herzlich im Bundesrat begrüßen und möchte gleich ein­mal Folgendes anmerken: Herr Bundeskanzler, ich habe Ihre Rede hier und Ihre An-


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trittsrede im Nationalrat mit Interesse verfolgt und muss sagen, Sie haben eindeutig die richtigen Worte gefunden – die richtigen Worte deshalb, weil das, was wir brauchen, ei­ne Änderung des politischen Stils ist. Diesen neuen Stil brauchen wir ganz, ganz drin­gend.

Ich wünsche Ihnen viel Kraft und auch Durchsetzungsvermögen, um diese Herausfor­derung zu meistern. Man liest ja zurzeit schon in den Zeitungen, dass man von diesem Kurs schon wieder etwas abgleitet und dieser ins Schwanken gerät. Ich hoffe, dass Sie diesen stabilisieren können, und wünsche Ihnen dabei wirklich viel, viel Kraft.

Ich glaube, im Namen unserer Fraktion kann ich schon unsere Unterstützung und Ge­sprächsbereitschaft und auch unsere Bereitschaft zur Zusammenarbeit aussprechen, gerade wenn es um Menschenrechte, um Asyl und um Kooperation in diesem Bereich geht.

Ich möchte aber noch, weil dieses Thema in den bisherigen Reden noch keinen beson­ders hohen Stellenwert gehabt hat, auf die Kultur eingehen, den neuen Kulturminister begrüßen und auch gleich ein paar Worte und Appelle an Sie, Herr Bundesminister, rich­ten.

Was erwarten wir Grüne uns von Ihnen? – Eine Kursänderung in der bisherigen Kultur­politik. Das würden wir uns von Ihnen erwarten. Einfach so weiterzutun und zu sagen, es sei ohnehin alles super, so wie es in den letzten Jahren gelaufen ist, ohne eine Kurs­korrektur, das ist für uns einfach zu wenig.

Warum? – Seit Jahren konzentriert sich die österreichische Kulturpolitik auf die Finan­zierung und die Absicherung der Bundesmuseen und Bundestheater. Egal, welche Skan­dale, Debakel und Untreue-Skandale es in den letzten Jahren gegeben hat, es geht im­mer wieder weiter, und das Ganze im Proporz. Es wird vielleicht wieder einmal ein Di­rektor oder ein Manager ausgewechselt, die Kosten werden aus Steuergeldern begli­chen, aber im Endeffekt läuft wieder alles so weiter, wie es vorher war.

Das gilt auch für die Finanzierung: Der Nationalrat hat erst vor ein paar Wochen den Bundesfinanzrahmen für die nächsten Jahre beschlossen. Was springt für die Kultur he­raus? – Magere 0,5 Prozent des Gesamtaufkommens. 0,5 Prozent – nicht gerade viel für die Kultur!

Und ich möchte nur erinnern an die Großinvestitionen à la Haus der Geschichte Öster­reich. Der Bau alleine verschlingt 52 Millionen €, obwohl es – das haben wir ja schon einmal debattiert – in der Projektplanung günstigere Angebote gegeben hätte, und die Basisabgeltung für das HGÖ soll ab 2019 3,6 Millionen € betragen. Ich fange jetzt gar nicht an, von der Besetzung der Führungspositionen des Hauses der Geschichte Ös­terreich mit unparteilichen Mitgliedern zu reden.

Es wäre natürlich auch interessant, wie Sie weiter mit dem Haus der Geschichte umzu­gehen gedenken. Vielleicht könnten Sie auf diese Frage dann eingehen. Wir Grüne hät­ten uns da ein politisch unabhängiges Haus an einem kostengünstigeren Standort mit einem durchdachten Finanzplan gewünscht, wo es eigentlich keine Unklarheiten bräuch­te. Ich kann nur hoffen, dass nicht andere Kultureinrichtungen darunter leiden müs­sen – deshalb spreche ich das auch jetzt schon an, so bald wie möglich –, denn der Finanzrahmen steigt ja nicht. Und ich möchte in diesem Zusammenhang vielleicht auch noch auf den Burgtheaterskandal hinweisen, wo zum Teil höchst verschwenderisch mit dem Geld umgegangen worden ist.

Aber es gibt noch viele andere Fragen und Herausforderungen, die Sie hoffentlich an­gehen werden, Herr Kulturminister. Zum einen ist das das Urhebervertragsrecht. Da muss etwas geschehen – dies sei auch in Richtung Finanzminister Brandstetter ge­sagt –, da muss Druck ausgeübt und geschaut werden, dass beim Urhebervertrags-


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recht etwas weitergeht. (Vizekanzler Mitterlehner: Justizminister!) – Justizminister, ja, danke. Entschuldigung! Justizminister Brandstetter.

Auch eine Novellierung des Mediengesetzes und des ORF-Gesetzes steht an. In wel­che Richtung möchten Sie da gehen? – All diese Fragen stellen wir uns natürlich. Ich bin jedenfalls gespannt. Und noch einmal: Was wir in der Kulturpolitik brauchen, ist, dass Geld nicht nur in Großinstitutionen und bundeseigene Institutionen gesteckt wird, sondern auch in kleine Einrichtungen und Institutionen, die wegen dieser Großprojekte nicht auf der Strecke bleiben dürfen.

Ich wünsche Ihnen wirklich, trotz des wenigen Geldes, das Ihr Ressort zur Verfügung hat, viel Erfolg. Auf gute Zusammenarbeit!

Als Mitglied des Bildungsausschusses möchte ich auch noch kurz ein paar Worte an die neue Bildungsministerin richten: Herzlich willkommen! Es freut mich natürlich, dass die drei oberösterreichischen Minister, die wir jetzt in der Bundesregierung haben, noch eine weibliche Verstärkung aus Oberösterreich bekommen, das ist für mich als oberös­terreichischen Bundesrat sehr erfreulich. Also herzlich willkommen! (Bundesrat Mayer: Oberösterreich ist nicht aufzuhalten!) – Oberösterreich ist nicht aufzuhalten, ja. Aber ich erwarte mir und erhoffe mir von Ihnen als Bildungspolitikerin auch Reformen, die wirklich diesen Namen verdienen, denn es ist dringend notwendig, dass in diesem Be­reich etwas angepackt wird.

Ich wünsche Ihnen in diesem Sinne alles Gute. Wir Grünen sind sicher gesprächsbereit und freuen uns schon auf die Zusammenarbeit mit Ihnen.

Abschließend möchte ich noch kurz auf einen Punkt eingehen, nämlich – das ist ja ein grünes Thema – auf die Frauenagenden. Diese sind wieder einmal weitergewandert. Es gibt wieder kein eigenes Ministerium dafür, was für dieses große und wichtige The­ma aber eigentlich angebracht wäre. Es wurde wieder angehängt, und zwar an das Ge­sundheitsministerium, das bekanntlich alle Ressourcen frisst.

Ministerin Oberhauser – sie ist heute leider nicht anwesend – ist ja die neue Frauenmi­nisterin, aber bis jetzt wurde – und das finde ich schon ganz spannend – die Home­page des Frauenressorts noch immer nicht geändert, sie ist noch immer beim alten Mi­nisterium dabei, und die Frau Minister Oberhauser ist noch nicht … (Vizekanzler Mit­terlehner: Das muss erst beschlossen werden mit dem Bundesministeriengesetz!) – Okay. Aber trotzdem: Ich hoffe, dass es kommt. Aber es zeigt halt die Wertigkeit. (Zwi­schenrufe bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.) – Okay, Entschuldigung. Aber wie ge­sagt: Es ist ein ganz wichtiges Thema, auch aus Sicht der Grünen und ihrer Frauen­politik.

Und vielleicht, Herr Bundeskanzler, von Mann zu Mann (lebhafte Heiterkeit), nehmen Sie dieses Thema ernst und statten Sie diesen Bereich auch wirklich finanziell entspre­chend aus! – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen.)

11.47


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesmi­nister Mag. Drozda. – Bitte, Herr Bundesminister.

 


11.47.29

Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien Mag. Thomas Drozda: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen auf der Regierungsbank! Ich verstärke die Riege der Oberösterreicher in der Bundesregierung. Ich habe die erste Hälfte meines Lebens in Oberösterreich verbracht, habe in Linz Volks- und Betriebswirtschaft studiert und bin seit 25 Jahren in Wien – sozusagen ein Wiener mit innerösterreichischem Migrationshintergrund. (Heiterkeit.) Ich fühle mich in Wien sehr wohl, freue mich und bin sehr glücklich, für diese neue Funktion vorgeschla-


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gen worden zu sein. Ich wurde vom Herrn Bundespräsidenten letzte Woche mit Zu­ständigkeit für vier Agenden – namentlich die Verfassungsagenden, die Medienagen­den, Kunst und Kultur – angelobt.

Hinsichtlich der Verfassungsfrage ist mir jedenfalls gut bekannt, welche Rechte der Bundesrat hat. Ich möchte mich ausdrücklich zu diesen Rechten bekennen und sagen, dass das wichtig ist. Ich weiß auch um die Vetorechte des Bundesrates, möchte meine Arbeit aber so anlegen, dass wir so verhandeln und so miteinander diskutieren, dass wir gar nicht in die Verlegenheit kommen, die Forderung nach dem Gebrauch irgend­welcher Vetorechte aufkommen zu lassen.

Zum Zweiten möchte ich im Verfassungsbereich die Novelle zum Informationsfrei­heitsgesetz ansprechen. Diese liegt seit geraumer Zeit im Parlament. Ich möchte das jetzt mit großem Nachdruck angehen und intensivieren.

Die Themen im Bereich von Kunst und Kultur, die Sie, Herr Bundesrat Stögmüller, er­wähnt haben, liegen mir genauso am Herzen wie Ihnen. Ich möchte nur nicht, dass man sozusagen das eine gegen das andere aufrechnet, weil ich glaube, dass es einer soliden Finanzierung der großen Institutionen bedarf – die Bundestheater haben Sie er­wähnt, die Bundesmuseen sind ebenfalls zu erwähnen –, die wirklich die internationale Reputation des Landes ausmachen. Ich sage das deshalb, weil ich sehr viel im Aus­land war und weiß, dass Österreich am Ende nicht oder nur ganz wenig für Großun­ternehmen oder Großkonzerne bekannt ist, aber sehr wohl für das, was wir im kulturel­len Bereich sind und wofür wir im kulturellen Bereich stehen.

Ich kann Ihnen aber versichern, dass mir nicht nur die großen Institutionen ein Anlie­gen sind, sondern auch Fragen wie: Wie sind die freien Gruppen finanziert? Wie geht es mit den Stipendien weiter? Wie kommen wir da zu sinnvollen Valorisierungen? – Ich möchte Sie, alle Fraktionen, genauso wie die Kollegen im Kulturausschuss des Natio­nalrates, dazu einladen, diese Diskussion gemeinsam zu führen.

Zum Thema Medien möchte ich noch einmal herausstreichen, dass ich der Meinung bin, dass eine funktionierende Medienlandschaft und ein funktionierender Journalismus elementar für das demokratische Zusammenleben sind. Ich stehe unter dem Eindruck meiner letzten Reise in meiner vorhergehenden Funktion als Chef der Vereinigten Büh­nen, im Zuge derer ich in London gemeinsam mit dem Intendanten einen internationa­len Opernpreis entgegennehmen konnte. Als ich das Hotel betreten habe, hat mich die Concierge gefragt, ob ich gerne wieder „The Independent“ und „The Guardian“ hätte, und darauf hingewiesen, sie müsse mir die Mitteilung machen, dass es „The Indepen­dent“ nicht mehr gibt.

Also die Entwicklung, die sich in diesem Bereich international abspielt, insbesondere in ökonomischer Hinsicht, ist dramatisch, und ich möchte nicht mit der Situation konfron­tiert werden, dass auch in Österreich wesentliche Titel eingestellt werden.

Und weil das auch ein Thema ist, das für mich wichtig ist, noch zum Thema Finanz­ausgleich: Ich werde mich da jetzt auch einarbeiten und in den nächsten Wochen Ge­spräche führen. Ich bin insgesamt der Meinung, dass man nur gemeinsam etwas zu­stande bringt, und in diesem Sinne freue ich mich auf eine gute Zusammenarbeit mit den anderen Gebietskörperschaften, den Ländern und den Gemeinden.

Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass ich auch für die Koordinierung zu­ständig sein werde. Da geht es um eine möglichst reibungslose, gute und professio­nelle Zusammenarbeit auf Regierungsebene, aber natürlich auch um eine gute und professionelle Zusammenarbeit mit dem Parlament und mit dem Bundesrat.

Herr Bundesrat Mayer, weil Sie meinen Vorgänger erwähnt haben, der sich durch eine gute Zusammenarbeit mit dem Bundesrat ausgezeichnet hat: Ich kann Ihnen versi-


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chern, das habe ich genauso vor. – Vielen Dank. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie bei Bundesräten der Grünen.)

11.52


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gelangt nun Frau Bundesministerin Dr. Ham­merschmid. – Bitte, Frau Bundesministerin.

 


11.52.38

Bundesministerin für Bildung und Frauen Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Herr Vizekanzler! Liebe Regierungsmitglieder! Sehr geehrte Bundesräte! Ich darf vielleicht die Gelegenheit nut­zen, um mich auch kurz vorzustellen, meinen beruflichen Werdegang zu schildern, aber auch, was ich mir unter Bildungspolitik in diesem Lande vorstelle.

Ich habe Molekularbiologie studiert, habe aber dann 20 Jahre in der Wirtschaft in un­terschiedlichen Managementfunktionen gearbeitet, um dann die letzten Jahre, nämlich von 2010 bis vor Kurzem, an der Veterinärmedizinischen Universität als Rektorin zu ar­beiten und Präsidentin der Universitätenkonferenz zu sein. Das waren sehr, sehr prä­gende Jahre, weil ich viele unterschiedliche Tätigkeitsfelder kennenlernen durfte, und diese viele Erfahrung, auch diese Managementerfahrung, die ich in den unterschiedli­chen Funktionen sammeln durfte, möchte ich auch in das Thema Bildung und Bildungs­politik mit einbringen.

Nun, Österreich ist ein Land ohne nennenswerte Rohstoffe. Das heißt, das Potenzial liegt in Österreich in den klugen Köpfen, in den brillanten Ideen, in den Innovationen, die diese Menschen generieren und denken können. Unsere Herausforderungen sind gewaltig, das wissen Sie genauso gut wie ich. Denken Sie nur an den Klimawandel, an die Probleme, die mit dem Altern unserer Gesellschaft verbunden sind, an Ernährungs­sicherheit oder auch an Industrie 4.0! Industrie 4.0, diese neuen Technologien stellen den Arbeitsmarkt auf den Kopf, das wissen wir ganz genau. Das heißt, wir brauchen Menschen, die perfekt ausgebildet sind, um problemlösungsorientiert denken zu kön­nen, innovativ sein zu können.

Die Stellschraube dafür, sehr geehrte Damen und Herren, liegt in der Bildung. Sie wirkt in alle Politikfelder hinein. Sie wirkt auf den Arbeitsmarkt. Sie wirkt beispielsweise in die Sozialpolitik hinein, weil sie nämlich auch ein Garant ist, der vor Prekariat schützt. Bil­dung schützt vor Prekariat! Das heißt, Bildung ist das zentrale Thema unserer Gesell­schaft und macht uns wettbewerbsfähig, vor allem auch im internationalen Kontext.

Ich stehe für ein Bildungssystem, das jedem Kind in diesem Land, egal, wer seine El­tern sind, egal, wo es geboren ist, und egal, wo es wohnt, die beste Bildung ermöglicht. Chancengerechtigkeit ist mir wirklich wichtig, denn wir brauchen – nochmals – die bes­ten Köpfe, die besten Ideen für unser Land.

Ich stehe auch dafür, dass wir faktenbasierte Bildungspolitik betreiben. Ich komme aus der Wissenschaft. Zahlen, Fakten, Daten, Analyse sind mir besonders wichtig, bevor wir neue Dinge angehen, und darum war der Nationale Bildungsbericht, der vor ein paar Tagen präsentiert worden ist, ein Einstandsgeschenk für mich.

Wir wissen jetzt, wo wir stehen, wir haben ja alle Daten auf dem Tisch. Wir wissen, wie wir weiter agieren müssen, wie wir weiter verfahren müssen – basierend auf diesen Da­ten. Und es ist viel zu tun, das wissen wir auch alle.

Ich möchte meine Kraft, mein Tun in den nächsten Wochen darauf fokussieren, wo wir quasi die höchste Effizienz erreichen. Ich möchte mich darauf konzentrieren, dass die Maßnahmen dort ankommen, wo wir sie am dringendsten brauchen, nämlich in den Klassenzimmern, bei den Pädagoginnen und Pädagogen, bei den Schülerinnen und Schülern. Dort gehört unser Augenmerk hin, und darauf müssen wir uns wirklich kon-


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zentrieren, und zwar in allem, was wir tun. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und Grünen.)

Hier möchte ich zwei Themenbereiche nur ganz kurz skizzieren – sonst werden meine Ausführungen zu lang –: Ich möchte mich auf unsere Jüngsten fokussieren. Aus der Wirtschaft kommend sage ich: Dort ist der Return on Investment einfach am höchsten, der Einsatz der Mittel hat die höchste Wirkung.

Wir müssen uns darauf konzentrieren, dass unsere Kinder, unsere kleinsten Kinder per­fekt in der Sprache sind. Die Sprache ist die Basis, damit sie alles andere, alles Weite­re verstehen können, lernen können, sich entwickeln können. Die Sprachförderung wird mir ein besonderes Anliegen sein, ebenso die Schnittstelle Kindergarten-Volks­schule. Die KindergartenpädagogInnen wissen sehr genau, wo die Defizite der Kinder sind, aber auch, wo die Talente sind, und dieses Wissen muss man einfach im Paket an die Volksschulpädagoginnen und Volksschulpädagogen übergeben, damit sie sofort anfangen können, mit den Kindern dort zu arbeiten, wo es besonders nötig ist, an der Entwicklung ihrer Talente, aber auch an der Ausmerzung ihrer Defizite. Also diese Schnittstelle möchte ich mir auch besonders anschauen.

Ein zweites Paket wird die Autonomie sein. Ich habe Autonomie an der Universität als etwas wirklich ganz, ganz Positives erlebt. Autonomie heißt, selbst bestimmen zu kön­nen, wer an den Universitäten arbeitet, welche Berufungen wir vornehmen, wie wir un­sere Mittel einsetzen, wo wir unsere Schwerpunkte in der Forschung setzen und wie wir unser Dienstleistungspaket präsentieren. Das hat die österreichischen Universitä­ten in ein neues Zeitalter gebeamt – das traue ich mich schon zu sagen und auch sehr selbstbewusst zu sagen –, und das gehört auch in die Schulen! Die Lehrerinnen und Lehrer, die Pädagoginnen und Pädagogen wissen ganz genau, was sie tun müssen, um ihre Kinder zu unterstützen, und ich möchte es ihnen wirklich ermöglichen, pädago­gisch, organisatorisch, personell und zum Teil auch finanziell Handlungsspielräume zu bekommen, um das bestmöglich auf die Schule, auf die Kinder in ihren Klassenzim­mern abzustimmen.

Hier sei nur der jahrgangsübergreifende Unterricht erwähnt, der besonders in den Volks­schulen ermöglicht werden soll, aber auch die alternative Leistungsbeurteilung in den ersten drei Jahren der Volksschule, es gibt aber noch ganz, ganz viele weitere Maß­nahmen, die wir angehen müssen.

Die Verantwortung gehört in die Schule, zu den Lehrerinnen und Lehrern, begleitet von einem entsprechenden Qualitätsmanagementsystem, ganz klar, und von Kontrolle, das wissen wir auch alle, aber die Verantwortung gehört dorthin, wo auch die Gestaltung stattfindet, und das müssen wir machen – gemeinsam!

Ich glaube, es sollte uns allen hier wirklich ein Anliegen sein, die Kinder wieder in den Mittelpunkt zu stellen und das Beste für unsere Kinder und damit die beste Bildungs­politik für dieses Land. Ich freue mich total, dass ich das mit Ihnen gemeinsam in nächster Zeit gestalten darf. – Vielen, vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bun­desräten von ÖVP und Grünen.)

11.59


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesminister Mag. Leichtfried. – Bitte, Herr Minister.

 


11.59.38

Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie Mag. Jörg Leichtfried: Frau Präsidentin! Herr Bundeskanzler! Herr Vizekanzler! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen aus der Regierung! Geschätzte Damen und Herren! Wir haben uns ja bereits heute Früh sozusagen miteinander bekannt gemacht, ich möchte mich aber trotzdem


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noch ein bisschen genauer bei Ihnen vorstellen. Ich komme aus dem Bundesland, das vor dem Semmering liegt, um einmal diese Formulierung zu verwenden. Meine politi­sche Karriere begann im Europäischen Parlament im Jahr 2004. Im Jahr 2009 wurde ich wiedergewählt, ab diesem Zeitpunkt war ich Delegationsleiter der sozialdemokrati­schen Delegation, dann wurde ich noch einmal wiedergewählt und wurde auch Vize­präsident der gesamten sozialdemokratischen Fraktion. (Vizepräsident Gödl übernimmt den Vorsitz.)

Meine Schwerpunkte waren einerseits die Außenhandelspolitik und andererseits die Ver­kehrspolitik. In der Verkehrspolitik, die immer schon meine Leidenschaft war, habe ich mir zum Schluss scheinbar einen eher zweifelhaften Ruf erworben. Ich war derjenige, der für die Regelung über die sogenannten Gigaliner verantwortlich war. Es hat Bestre­bungen gegeben, die darauf abzielten, dass diese riesigen Lastwägen ungehindert durch ganz Europa fahren sollten, und ich habe mit einigen anderen versucht, das zu verhin­dern  mit Erfolg.

Ich glaube, es war in der „Deutschen Verkehrs-Zeitung“, wenn ich mich nicht täusche, wo, als ich dann in die steirische Landesregierung gewechselt bin, diejenigen, die ge­meint haben, diese Lastwägen müssten unbedingt fahren, bekundet haben: Zum Glück ist der sture Hund jetzt weg! – Jetzt haben sie den sturen Hund in der europäischen Verkehrspolitik wieder. Ich habe mich mit der Verkehrskommissarin in der Schweiz be­reits wieder darüber unterhalten, also sozusagen „Welcome back!“ in dieser Frage. (Hei­terkeit.)

In der Steiermark war ich zuständig für Verkehr, Umweltschutz, Naturschutz, Energie­politik, erneuerbare Energien, Raumordnung, Tierschutz und Sport, und anscheinend ha­ben mich diese Kompetenzen jetzt in die Bundesregierung geführt. (Heiterkeit.) Die Be­reiche Sport und Tierschutz lagen ein bisschen außerhalb der Thematik, aber alles an­dere hat eigentlich sehr gut zusammengepasst.

Was jetzt meinen verkehrspolitischen Zugang betrifft, geschätzte Damen und Herren, so kann man diesen relativ einfach beschreiben: In der Verkehrspolitik geht es für mich um Umweltfreundlichkeit und Sicherheit, und bei aller Technikverliebtheit steht natürlich der Mensch im Mittelpunkt.

Wir haben bereits heute Früh über den Gotthardtunnel diskutiert, und man gerät da auch sehr leicht in Versuchung, von diesen riesigen Tunnelbohrmaschinen, den techni­schen Leistungen, die dort zweifelsohne erbracht wurden, begeistert zu sein, aber man muss auch bedenken, dass bei diesem Bau immerhin neun Menschen gestorben sind. Wenn man diesen Gedanken weiterführt, so muss man auch wissen, dass im letzten Jahr in Österreich über 470 Menschen im Verkehr gestorben sind. Ich möchte jetzt nicht die Phrase bemühen: Jeder Tote/jede Tote ist einer/eine zu viel. Nein, die Ver­kehrspolitik muss die Ambition haben, irgendwann einmal null Tote im Straßenverkehr zu haben, geschätzte Damen und Herren! Das ist das Ziel. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Ist man realistisch, so weiß man natürlich, dass dieses Ziel – null Tote – nicht von heu­te auf morgen zu erreichen ist, aber man sollte sich trotzdem Ziele setzen. Das Ziel, das ich habe, ist einmal die Halbierung der Zahl der Verkehrstoten in Österreich bis 2020. Ich glaube, das ist erreichbar. Wir werden eine Menge von Maßnahmen ins Le­ben rufen, diese dann 2018 evaluieren und sehen, was sie gebracht haben und was noch anders zu machen wäre. Ich denke, das ist schon etwas, das anzustreben ist.

Zum Zweiten: Spricht man über umweltfreundlichen Verkehr, so gibt es natürlich einige Konstanten, die notwendig sind. Die Verlagerung von der Straße auf die Schiene ist etwas, das die Verkehrspolitik leisten muss, so denke ich. Wir haben da mit der Schweiz ein gutes Vorbild, denn den Schweizern ist es gelungen, aber es waren auch entsprechende Maßnahmen, die sie gesetzt haben, welche dazu geführt haben.


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Öffentlicher Verkehr muss attraktiv sein, öffentlicher Verkehr muss leistbar sein, und öf­fentlicher Verkehr muss dann auch angenommen werden – das ist das eine. Das Zwei­te ist aber schon, dass man es als Gesetzgeber natürlich auch in der Hand hat, ge­wisse Rahmenbedingungen zu setzen, damit öffentlicher Verkehr auch stärker ange­nommen wird.

Geschätzte Damen und Herren, wenn wir von der Verkehrspolitik den Schwenk, den Übergang zu meiner zweiten Zuständigkeit machen, nämlich Innovation und Technik, so sehen wir, diese beiden Bereiche überschneiden sich in vielen Dingen. Wenn wir über automatisierten Verkehr nachdenken, dann müssen wir sagen, das ist natürlich eine hochtechnische Angelegenheit, die unglaubliches Know-how erfordert. Stellen Sie sich nur vor, welche Änderungen es im Bereich der Computertechnik geben muss! Computer sind ja derzeit in der Lage, Entscheidungen zwischen 0 und 1 zu treffen, eine sehr große Anzahl an Entscheidungen – aber sind sie auch in der Lage, intelligent zu lernen? Das ist die Frage. Im Straßenverkehr muss man intelligent lernen können – wir sind keine Computer.

Denken Sie an ein ganz einfaches Beispiel: Eine typische großstädtische Verkehrssi­tuation, eine Nachrangstraße trifft auf eine Vorrangstraße. Es herrscht Stau, es ist un­glaublich viel Verkehr. Der Computer ist aber so programmiert, dass er die Straßenver­kehrsordnung auf Punkt und Komma einhält. Menschen tun das nicht. Menschen drän­gen dann in den Verkehr hinein, was wahrscheinlich im konkreten Fall notwendig ist. Das heißt: Wie ist das lösbar? Haben wir dann bei einem computergesteuerten Auto die Situation, dass es eine halbe Stunde wartet, bis wirklich einmal frei ist, und dahinter ein Megastau entsteht, oder gibt es auch andere Lösungen? Das ist meines Erachtens Aufgabe der Technik und der Innovation. Mein Ministerium hat die Absicht, genau die­se Dinge ganz massiv zu unterstützen und zu fördern, weil da natürlich auch Zu­kunftschancen für die österreichische Wirtschaft gegeben sind.

Es ist aber auch ein Faktum – das wird viel zu oft unterschätzt –, dass wir in einer di­gitalen Revolution leben. Das Leben der Menschen verändert sich massiv, gerade im digitalen Bereich. Auch da ist Vorsorge zu treffen, erstens, damit wir als Österreiche­rinnen und Österreicher vorne liegen, und zweitens, damit die, die nicht mitkönnen, trotzdem die erforderliche Unterstützung bekommen, um Lebensqualität zu haben.

Der Herr Bundeskanzler hat schon die Start-ups angesprochen. Die Förderung von Start-ups, die unglaublich innovative Produkte, unglaublich komplizierte Dinge entwickeln, ist natürlich auch Grundvoraussetzung für wirtschaftliches Reüssieren insgesamt. – Und so meine ich, dass die Aufgaben, die gerade in meinem Bereich zu erfüllen sind, aus­reichend sind.

Ich möchte das Angebot an Sie richten: Ich glaube, gerade in den Bereichen Ver­kehrspolitik, Innovation und Technik gibt es nicht grundlegend Richtiges und grundle­gend Falsches, es gibt halt unterschiedliche Vorstellungen. Ich war selbst lange Zeit Ab­geordneter und war es als Abgeordneter gewohnt, meine Ideen einzubringen, daher möchte ich Sie bitten, an mich heranzutreten, wenn es Ihrerseits Ideen und Vorstel­lungen gibt. Wir haben heute Früh bereits eine interessante Diskussion in Bezug auf Kinderwägen in Zügen geführt, die, denke ich, eine ganz wichtige war.

Ich mache Ihnen auf jeden Fall das Angebot, Ihre Ideen ein- und unterzubringen, und freue mich schon auf eine gute Zusammenarbeit. – Herzlichen Dank. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

12.08


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke, Herr Bundesminister.

Als Nächster darf ich Frau Staatssekretärin Mag. Duzdar das Wort erteilen. – Bitte, Frau Staatssekretärin.

 



BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 58

12.08.23

Staatssekretärin im Bundeskanzleramt Mag. Muna Duzdar: Sehr geehrter Herr Prä­sident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Liebe Re­gierungsmitglieder! Hochgeschätzte Bundesräte und Bundesrätinnen! Es ist für mich ganz besonders, hier von diesem Rednerpult aus reden zu dürfen. Es ist ein bisschen wie heimkommen, denn ich war drei Jahre lang Bundesrätin (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen), von Jänner 2010 bis November 2012, als Vertreterin des Bundeslandes Wien. Es war meine erste bundesweite Funktion, und ich erinnere mich sehr gerne an diese Zeit im Bundesrat zurück, weil ich den Bundesrat sehr geschätzt habe und noch immer schätze.

Es ist etwas gewesen, das ich später so nicht mehr erlebt habe. Wir haben in der Sache immer sehr hart diskutiert, aber es blieb immer inhaltlich und sachlich. Diese ho­he Diskussionskultur schätze ich sehr. Heute konnte ich, als ich zugehört habe, fest­stellen, dass sich das nicht geändert hat. Es freut mich, liebe Kolleginnen und Kolle­gen, euch hier wieder antreffen zu dürfen.

Später bin ich dann in den Wiener Gemeinderat und in den Landtag gewechselt und in die Kommunal- und Regionalpolitik eingetaucht. Eines habe ich sowohl in diesem Haus als auch im Wiener Gemeinderat gelernt, nämlich welchen Wert die Vertretung der Bundesländer und der regionalen Politik auf Bundesebene hat.

Sehr geehrte Damen und Herren, viele, die mich damals kannten und kennen, wissen, wie vehement ich immer meine Meinung vertreten habe. Es ging immer darum, um Positionen zu ringen und um Mehrheiten zu kämpfen. In den letzten Tagen war ja oft­mals die Rede von der Polarisierung der Gesellschaft. Manche haben nach der Bun­despräsidentschaftswahl das Land gar als sehr gespalten gesehen. Meiner Meinung nach kann man es jedoch auch anders sehen: Es wird allerorts über Politik geredet, ob am Stammtisch, im Park, in der Arbeit oder im privaten Umfeld. Ich sehe das, was wir derzeit erleben, als eine Form der Politisierung, und was kann man sich denn in einer Demokratie mehr wünschen, als dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes die Politik als ein wichtiges und bestimmendes Thema erkennen und anerkennen?

Politik ist Auseinandersetzung, Widerstreit von Positionen, Argumenten und Weltan­schauungen, und sie ist die Suche nach Mehrheiten und das Verteidigen des eigenen Standpunktes, aber Politik ist auch die Anerkennung von anderen Meinungen, von Min­derheiten.

Ich habe mich sehr gefreut, als mich Bundeskanzler Christian Kern gefragt hat, ob ich Teil seines Teams sein möchte. Als Staatssekretärin im Bundeskanzleramt werde ich den Bundeskanzler bestmöglich unterstützen und vertreten, auch hier im Bundesrat. Der Bundeskanzler hat mich aber auch mit den Themen Diversität, öffentlicher Dienst und Digitalisierung betraut. Dafür möchte ich mich einsetzen: für Diversität und Vielfalt in allen gesellschaftlichen Bereichen, wie sie einer modernen Gesellschaft und auch der österreichischen Realität entsprechen. Ich sehe mich und verstehe mich als Kultur­vermittlerin, als Vermittlerin von unterschiedlichen Kulturen, beispielsweise der Netzkul­tur, der Verwaltungskultur und einer Kultur des respektvollen Umgangs miteinander.

Wir haben in der Bundesregierung gemeinsame Ziele, und wir wollen diese als Team des Aufbruchs gemeinsam erreichen – im Sinne der Menschen, im Sinne der Gesell­schaft, auch im Sinne des Wirtschaftsaufschwungs. Ich weiß, dass Sie, werte Bundes­räte und Bundesrätinnen, wichtige AnsprechpartnerInnen für uns sein werden, weil auch die Länder und Regionen bei diesem New Deal in vielerlei Hinsicht mit dabei sein sollen und werden.

Ich habe, um nur ein Beispiel zu nennen, auch mit Bundesräten über das Thema Di­gitalisierung gesprochen, da gibt es ja ganz konkrete Anknüpfungspunkte. Mit dem


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„Grünbuch Digitaler Wandel und Politik“ hat der Bundesrat ja schon deutlich die Be­deutung dieses Themas aufgezeigt, der Bundesrat war ein wichtiger Inputgeber für das Regierungsprojekt Digital Roadmap, und da werden wir, wie auch bei einer Reihe von anderen Themen, sicher sehr, sehr gut weiter zusammenarbeiten.

Daher freue ich mich auf die kommende Zeit in meiner neuen Funktion und aus einer neuen Perspektive hier in diesem wunderschönen Raum. Es liegt eine Reihe von ge­meinsamen Aufgaben und vor allem auch spannenden Projekten vor uns. – Ich danke Ihnen sehr. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

12.13


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich danke, Frau Staatssekretärin, für Ihr Statement.

Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Posch-Gruska. – Bitte.

 


12.14.05

Bundesrätin Inge Posch-Gruska (SPÖ, Burgenland): Herr Präsident! Herr Bundes­kanzler! Frau Minister! Herr Minister! Frau Staatssekretärin! Auch ich freue mich sehr, dass ich heute zum neuen Regierungsteam sprechen kann.

Der Ruck und die positive Stimmung, die durch das Land gegangen sind, als das neue Regierungsteam vorgestellt wurde, haben uns allen sehr viel Kraft und sehr viel Mut gegeben. Und mit Ihren Erklärungen und dem Ansatz, wie an Probleme heranzugehen ist, wie Lösungen zu suchen sind, haben Sie sich als neues Regierungsteam schon sehr, sehr viele Vorschusslorbeeren, aber auch sehr viel Kompetenz erarbeitet.

Ich hatte das Glück – es war mir wirklich eine Freude –, die Antrittsreden live im Natio­nalrat mitverfolgen zu können, und konnte danach mit vielen Leuten darüber diskutie­ren, teilweise mit Funktionären/Funktionärinnen, aber auch mit Menschen, die im Kauf­haus stehen und einen plötzlich anreden. Frau Staatssekretärin Muna hat es gerade gesagt: Wir reden plötzlich über Politik. Menschen, die einen ansprechen, fragen: Hast du das gehört? Jetzt wird wieder eine bessere Stimmung kommen, und es geht wieder bergauf!

Sie haben eine Sprache, die die Leute draußen verstehen, von der sich die Menschen angesprochen fühlen. Und ich glaube, dass das zwei der wichtigsten Dinge sind, die wir den Menschen geben müssen: Vertrauen und Mut. – Mut dazu, dass Politik auch die schwierigen Probleme, die wir haben und mit denen die Leute leben, angehen und lösen kann. Ich glaube, dass das der größte Auftrag an uns ist.

Bildung: Jedes Kind soll die gleiche Chance haben, die Kinder rücken wieder in den Mittelpunkt – diese Aussagen sind für mich sehr wichtig. Ich bin Familiensprecherin, Daniela Gruber-Pruner ist Kinder- und Jugendsprecherin, und wir haben es geschafft, im Bundesrat einen Kinderrechteausschuss einzurichten. Wir sind eines von vier Län­dern, in denen es einen Kinderrechteausschuss gibt, in diesem arbeiten wir sehr viel, und die Zusammenarbeit ist natürlich eine sehr schöne. Und das Herz geht einem da natürlich auch auf.

Sozialpolitik: Für die Menschen ist es wichtig, zu wissen, wo sie ihre Zukunft verbrin­gen können, ob sie in einem Altersheim irgendwo allein sind, ob sie auch wirklich gut versorgt werden, ob sie betreut werden oder ob sie irgendwie dahinkränkeln müssen.

Das Thema Arbeitsmarktpolitik, das von Ihnen angesprochen wurde, ist sehr wichtig, insbesondere, wenn es um Frauen geht. Die Teilzeitarbeit ist ein sehr, sehr großes Thema. Sie ist ein Thema für Frauen, die oft vor dem Monatsende, wenn noch sehr viele Tage übrig sind, kein Geld mehr in der Geldbörse haben. Und es geht um Men­schen, die arbeiten und zwei, drei Arbeitsplätze brauchen, um wirklich durchzukom­men. Das heißt, hier müssen wirklich auch Akzente gesetzt werden und müssen wir et-


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was tun, um die Menschen sehr schnell spüren zu lassen, dass wir bei diesen ihren Sorgen ansetzen und Lösungen finden werden. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Ich möchte aber auch die Gesundheitspolitik erwähnen – auch wenn heute die Minis­terin nicht hier ist –, da das ein Thema ist, das immer wieder diskutiert wird. Die Leute haben Sorge und Angst und wissen nicht, ob sie, wenn sie krank werden, noch ver­sorgt werden. Sie fragen sich: Geht es mir so wie in Amerika, wo, wenn die Visa-Karte nicht in Gold ist, ich plötzlich keine so gute Gesundheitsversorgung mehr habe? Wir müssen den Menschen diese Ängste nehmen und ihnen wieder Hoffnung geben. Und diese Hoffnung haben Sie mit Ihren Antrittsreden den Menschen gegeben.

Es ist so durchgegangen: Es ist so schön, in Österreich zu leben, in einem Land zu leben, in dem gemeinsam an etwas gearbeitet wird, in einem Österreich, in dem man gerne lebt.

Ja, es gibt Sorgen und Ängste; es sind schon sehr viele angesprochen worden. Es sind auch so kleine Ängste wie: In meiner Gemeinde wird der Nahversorger zugesperrt. Ich habe keine Post mehr in meiner Gemeinde, und die Busverbindungen gibt es über­haupt nicht mehr – ich bin einsam. Es ist notwendig, auch hiefür Lösungen zu finden, damit Menschen einkaufen können, damit Menschen, wenn sie ein Paket abholen oder verschicken möchten, nicht warten müssen, bis die Enkelkinder oder die Kinder vorbei­kommen, um zur Post zu fahren. Auch diesen Problemen müssen wir uns widmen.

Kollege Mayer hat heute schon gesagt, dass es in der Zeit der vorigen Regierung sehr viele positive Dinge gegeben hat, zum Beispiel die Steuerreform, die jedoch – auch, wenn Bundesrätin Mühlwerth das anders sieht – wirklich nicht gut verkauft wurde. Das sehe ich auch so. Nicht, dass sie nicht gut gemacht wurde, sondern sie wurde nicht gut verkauft. Und ich glaube, dass das auch eine der Herausforderungen ist, die positive Arbeit, die gemacht wird, den Menschen wieder näherzubringen.

Überall dort, wo wir als Politik konkret ansetzen können, wo wir konkret helfen können, wird es, glaube ich, für das Regierungsteam sehr einfach sein, zu helfen, weil die Ideen auch da sind, was sehr gut ist. Die große Herausforderung wird aber sein, bei den Ängsten und Sorgen anzusetzen, die wir nicht konkret greifen können, die nicht auf Erfahrungen begründet sind, sondern darauf, dass der Nachbar gehört hat und die Freundin gesagt hat und in der Zeitung – meistens in den Kleinformaten – steht, dass das und das passiert ist, und dann macht einem das Angst. Überfälle, Einbrüche, Ver­gewaltigungen: All das wird in Bausch und Bogen hergenommen, und man kann dann nicht mehr konkret sagen, ob das die Person jemals erlebt hat.

Ich möchte keine Vergewaltigung, keinen Einbruch und keinen Überfall schönreden, da­mit mich jetzt niemand falsch versteht, aber mit Hetze und Angstmacherei wird das so groß gemacht, dass wir den Leuten nicht mehr helfen können, weil Ängste da sind, die teilweise nicht auf eigenen Erfahrungen beruhen.

Ich glaube, dass das eine der großen Herausforderungen sein wird, dass man diese Ängste und Sorgen, die die Menschen haben, ernst nimmt. Und die Menschen haben Angst, eine Angst ist nicht wegzudiskutieren, jede Angst muss man ernst nehmen, auch eine Angst ohne konkrete eigene Erfahrungen, muss man ernst nehmen. Hier wird man schauen müssen, dass es mehrere Möglichkeiten gibt, so ein Problem zu be­handeln. Es gibt natürlich die Möglichkeit, diese Ängste noch zu schüren. Das ist eine der einfachsten Möglichkeiten. Da braucht man nicht viel nachzudenken, da braucht man sich nur hinzustellen, zwei, drei Sätze sagen, ein bisschen polemisieren, und es geht schon.

Man kann natürlich Hetze verbreiten. Das ist auch sehr einfach. Man braucht kein Kon­zept dazu, man braucht keine Lösungsvorschläge dazu, man braucht wiederum nur


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zwei, drei Sätze, die sehr populistisch klingen, und man kommt dann gut damit an, und die kleinformatigen Zeitungen können das auch gut schreiben.

Man kann natürlich auch Neid und Hass säen. Das ist, meiner Einschätzung nach, für unsere Gesellschaft das Schlechteste. Neid und Hass zu säen, sodass ich meinem Gegenüber eigentlich nicht mehr vertraue, sondern immer befürchte, dass derjenige oder diejenige jetzt mehr hat als ich oder dass derjenige oder diejenige etwas be­kommt, was ich eigentlich nicht habe.

Wenn wir mit so einer Politik fortfahren, die Neid und Hass erzeugt, die Ängste schürt, dann werden wir zu einer Welt kommen, zu einer Gesellschaft kommen, die wir sicher­lich alle miteinander nicht wollen, die niemand von uns will (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Preineder): Dass es eine hasserfüllte Welt ist, in der – wir haben es heute schon zweimal gehört – es auch sein kann, dass Flüchtlingsunterkünfte brennen.

Wir müssen zuhören. Wir müssen mit den Menschen, die Ängste und Sorgen haben, respektvoll umgehen. Wir sollen aber diese Menschen den Ängsten ins Auge schauen lassen. Ich glaube, dass das sehr notwendig und wichtig ist.

Ihr wisst, ich komme aus einer so kleinen Gemeinde, die nicht einmal tausend Ein­wohner hat, und ich darf als Bürgermeisterin dort 27 Menschen, die auf der Flucht wa­ren, Schutz, Hilfe und vor allem neue Freunde bieten. Eine Gemeinde, die nicht zu 100 Prozent sagt: Super, dass jetzt wer Neuer kommt! Super, dass jetzt Fremde zu uns kommen!, aber eine Gemeinde, die versteht – als ich gesagt habe, ich möchte gerne hel­fen –, dass Helfen etwas sehr Schönes sein kann, dass Helfen etwas sein kann, das gut tut, dass Helfen etwas ist, was jedem selbst auch wieder etwas zurückgibt.

Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Antrittsrede im Nationalrat gesagt:

„Fritz Stern, der große Historiker (…) hat gesagt: Menschen haben Ängste, aber es macht keinen Sinn, sie in diesen Ängsten zu bestärken.“

Ich glaube, dass das sehr, sehr wichtig ist, denn Menschen brauchen Werte, Men­schen brauchen Haltungen, und ich glaube, dass wir in der Politik ihnen diese Werte und Haltungen geben sollen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn wir es schaffen, ihre Ängste in eine positive Energie umzuwandeln und vielleicht sogar diesen Menschen, die Ängste haben, konkrete Aufgaben zu geben, dann bin ich davon überzeugt, dass wir es schaffen werden, auch für die Menschen, die zu uns kom­men, ein positives Klima zu schaffen, aber auch für alle Menschen, die bei uns sind.

Ich möchte auf das Bezug nehmen, was die Bundesrätin Mühlwerth vorhin gesagt hat. Das ist wirklich nicht nur sehr matt, sondern es ist eigentlich auch nicht notwendig im Bundesrat. Muna hat es zuvor gesagt: Wir haben es nicht notwendig, mit falschen Zah­len herumzutun und hier vom Rednerpult Falschheiten zu erzählen! Es bekommt nie­mand, der bei uns über die Grenze geht, 800 € in die Tasche gesteckt. Das sind Zah­len, mit denen selbstverständlich bei den Leuten, die draußen arbeiten und wohnen und das Geld nicht haben, dann der Neid geschürt wird.

Ich wäre dafür, dass wir hier – als Politikerinnen und Politiker – wirklich eine Politik ma­chen, die ehrlich ist und die keinen Menschen ausgrenzt, dass wir hier gemeinsam ver­suchen, den Leuten zu helfen, die Hilfe brauchen, und den Leuten, die eine positive Politik machen wollen, nicht von vornherein – auch wenn es gestern und heute Zahlen­spiele gibt – schon wieder alles abreden.

Ich wünsche Ihnen wirklich alles, alles Gute, wünsche dem neuen Regierungsteam, diesen Elan beizubehalten, den es hat. Ich freue mich auch auf eine sehr gute Zusam­menarbeit. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten von ÖVP und Grünen.)

12.24



BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 62

Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Preineder. – Bitte.

 


12.24.40

Bundesrat Martin Preineder (ÖVP, Niederösterreich): Geschätzter Herr Präsident! Herr Bundeskanzler Kern, es tut mir leid, dass Sie jetzt den Saal verlassen. (Bundes­kanzler Kern – den Saal verlassend –: … aber ich werde es nachsehen! Heiterkeit.) – Ich bitte darum, ich hätte ein paar Anregungen mit. (Zwischenbemerkung von Bundes­kanzler Kern.) – Okay.

Geschätzte neue Mitglieder der Bundesregierung! Die Republik Österreich steht vor großen Veränderungen. Wir werden am 8. Juli einen neuen Bundespräsidenten ange­loben, und heute präsentiert sich hier bei uns im Bundesrat eine zum Teil neue Bun­desregierung mit einem neuen Bundeskanzler. Ich sage den Regierungsmitgliedern, dem Herrn Bundeskanzler: Herzlich willkommen hier im Bundesrat! Liebe Bundesmi­nister! Liebe Frau Staatssekretärin Duzdar, vor allem Dir: Herzlich willkommen zurück im Bundesrat! Du hast etwas Wesentliches angesprochen, was nämlich für die Re­publik, glaube ich, auch Vorbild sein kann, nämlich die Gesprächs- und Diskussionskul­tur, die wir hier pflegen. In diesem Sinne hoffe ich auf eine gute Zusammenarbeit.

Geschätzte Damen und Herren! Liebe Mitglieder des Bundesrates! Zu jeder Zeit war es schon höchste Zeit, und es ist höchst an der Zeit, notwendige Reformen in Angriff zu nehmen.

Der Herr Bundeskanzler hat auf drei Teilbereiche hingewiesen, die ich verstärken möch­te. Es ist dies der Bereich des Arbeitsmarktes, der Bereich der Bildung und der Bereich der Verwaltung, denn die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten dramatisch verändert. Es ist einfach notwendig, sich der Zeit anzupassen und hier Maß­nahmen zu setzen.

Es sind Maßnahmen im Arbeitsrecht zu setzen, und es sind auch Maßnahmen in der Gewerbeordnung zu setzen, um mehr Beschäftigung zu generieren, um junge Unter­nehmer und junge Unternehmerinnen zu motivieren, um letztlich neue Unternehmen zu generieren. Der Herr Vizekanzler hat darauf hingewiesen: Wir brauchen ein Be­wusstsein des selbständigen Denkens, des Unternehmerisch-Seins. Um das zu unter­stützen, heißt es, auch unser Sozialsystem und unsere Sozialgesetzgebung zu über­denken – nicht, um Sozialabbau zu betreiben, sondern um bestehende Systeme zu si­chern.

Die Devise heißt: Leistung nicht für jene, die sie wollen, sondern Leistungen für jene, die sie brauchen! Dazu möchte ich ein praktisches Beispiel anführen:

Ich bewirtschafte eine biologische Landwirtschaft und brauche Saisonarbeiter. Vier Wo­chen lang war es nicht möglich, über das AMS vier Hilfskräfte zu generieren. Es muss­ten dann über ein Personalbüro ausländische Kräfte angemietet werden. Da frage ich mich: Ist unser System wirklich so, wie es sein sollte?

Ich darf hier jemanden zitieren, nämlich Sozialminister Stöger, der – bei der Eröffnung der Arbeiterkammer in Niederösterreich – gemeint hat: „Wir haben Verteilungsunge­rechtigkeit in der Arbeitswelt: Zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit und beim Ar­beitsvolumen: Wir haben Menschen, die vor lauter Arbeiten kaum Luft zum Atmen ha­ben und 400.000 Arbeitslose. Wir brauchen neue Wege, Arbeit gerechter zu verteilen“.

Da müssen wir auch über das Thema Mindestsicherung und die Höhe der Mindestsi­cherung reden, und nehmen wir uns ein Beispiel an der Bundesrepublik Deutschland.

Dazu möchte ich auch den Vorschlag eines Zweiten Arbeitsmarktes einbringen, wobei ein Teil des Einkommens erarbeitet und ein Teil des Einkommens von der Gesell­schaft, vom Staat, dazugegeben wird. Ein Zweiter Arbeitsmarkt für jene, die ihn brau-


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chen, aber vor allem für Flüchtlinge. Ich habe selbst zwei Flüchtlinge im Herbst be­schäftigt, nur ist es einfach schwierig, wenn keine Deutschkenntnisse vorhanden sind, einen ordnungsgemäßen Kollektivvertragslohn zu bezahlen. Hier muss oder soll es ei­nen Unterschied geben, wenn wir diese Leute in Beschäftigung bekommen wollen. Wir dürfen auch darüber reden, ob gemeinnützige Tätigkeiten nicht für öffentliche Leistun­gen erbracht werden. Manchmal sollten wir uns fragen: Wie schützen wir die arbeiten­den Menschen vor Überbelastung? Wie stellen wir auch in diesem Bereich Gerechtig­keit her?

Der zweite Bereich ist der Bereich der Bildung, und wenn wir Bildung neu denken, dann müssen wir sagen: Wir brauchen mehr Zeit für unsere Kinder. Ich glaube, es ist auch notwendig, Grabenkämpfe zu beenden. Ob Gesamtschule oder Gymnasium ist nicht die Frage, wir brauchen flächendeckende Ganztagsschulen oder Einrichtungen mit Ganztagesbetreuung, um die Kinder und letztlich auch die Eltern zu entlasten. Mehr Wochen Unterricht und weniger Ferien sind weniger Stress für Schüler und Leh­rer. Wir brauchen nicht das Pauken von Wissen, sondern wir brauchen das Vermitteln von Fähigkeiten und das Erkennen von Zusammenhängen. Wissen ist heute leicht ge­nerierbar, wir googeln das alles sehr schnell, aber die Zusammenhänge zu erkennen und das auch zu deuten, sollten wir stärker vermitteln.

Zum dritten Bereich: Seit Jahren reden wir von Verwaltungsvereinfachung. Und? Wir selbst beschließen laufend neue Gesetze. Unser Staat ist nicht einfacher, sondern un­verständlicher geworden, die Rechtssicherheit ist nicht höher geworden und das Rechts­verständnis ist geringer geworden.

Nehmen Sie einen Unternehmer eines Klein- oder Mittelbetriebes her! Ich kenne kei­nen, der seine Lohnverrechnung selbst durchführen kann, und Hand aufs Herz: Wel­cher Arbeitnehmer kann seine Lohnabrechnung sinnerfassend lesen? Ich glaube, da gibt es viel zu tun, um Verwaltung zu vereinfachen. Wir selbst können als Mitglieder des Bundesrates, als Mitglieder der Gesetzgebung entsprechend dazu beitragen. Des­halb erwarte ich mir Regierungsvorlagen, die Gesetze vereinfachen. Ich erwarte mir Regierungsvorlagen, die manche Gesetze reduzieren und die sie vor allem lesbarer ma­chen.

Wenn „neu regieren“ kein Schlagwort bleiben soll, dann liegt es auch an uns, die wir parlamentarisch tätig sind, nicht weltanschauliche Unterschiede bis zum Exzess zu pflegen, sondern einen gemeinsamen Nenner für Lösungen in diesem Land zu suchen; nicht einen Dauerwahlkampf, auf Umfragewerte schielend, zu führen, sondern die ge­meinsame Kraft für die Lösung der Probleme unserer Zeit einzusetzen. Und das richtet sich auch an die Opposition, denn der Wähler entscheidet am Ende einer Legislatur­periode. Wir sind für die Gestaltung unseres Landes gewählt, für die Zukunft und damit für die der nächsten Generation.

Ich darf zum Abschluss eine junge Österreicherin zitieren, die schreibt:

„Wir leben in Frieden und sind nicht umgeben von Waffen. Wir sind eine Kulturnation, die aus der Mischung etwas Eigenes kreiert. Denn Österreichisch ist weit mehr als Deutsch. Österreichisch ist immer Synthese zwischen Ost und West, zwischen Berg und Ebene, zwischen großer Stadt und kleinem Dorf. Und das funktioniert, weil wir auf­einander schauen, einander respektieren und helfen, anstatt uns zu bekämpfen. Un­hysterisch, besonnen, mit einem klaren Bekenntnis zu Weltoffenheit und Moderne. Und ja, besser geht’s immer (…)“. – So weit Vea Kaiser.

Und dass es immer besser geht und dass wir entsprechend diesem Geist arbeiten, das wünsche ich unsere neuen Bundesregierung und das wünsche ich der Republik Ös­terreich. – Alles Gute. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie der Bundesrätin Reiter.)

12.33



BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 64

Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Je­newein. – Bitte.

 


12.33.16

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein (FPÖ, Wien): Meine sehr geehrten Damen und Her­ren! Herr Vorsitzender! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Regierungs­bank! Frau Staatssekretärin! Prinzipiell war ich heute durchaus positiv gestimmt, aber momentan hätte ich gute Lust, einen Antrag auf Herbeischaffung des Bundeskanzlers zu stellen. Ich sage Ihnen das ganz offen: Ich halte das für eine Missachtung des Parlaments, dass er nicht einmal bleibt, bis der 1. Tagesordnungspunkt, in dessen Rah­men er heute hier seiner parlamentarischen Pflicht auch nachkommt, denn es ist näm­lich die Pflicht der Bundesregierung, sich dem Parlament vorzustellen, vorbei ist. Statt­dessen gibt er draußen in der Säulenhalle Interviews. Das halte ich – und das ersuche ich, ihm auch mitzuteilen – gelinde gesagt für eine Missachtung des Parlaments. Das ist etwas, was ich so nicht akzeptieren kann. (Beifall bei der FPÖ.)

Er war ja heute in der Früh durchaus eloquent, er hat gesagt, er hat keine ausformu­lierten Reden. Das schätze ich sehr, das habe ich auch nie. Ich lasse mich immer sehr gerne von dem inspirieren, was von der Regierungsbank kommt. Ich lasse mich auch immer sehr gerne davon inspirieren, was aus dem Plenum kommt. Ich lasse mich aber auch gerne davon inspirieren, was aus den Medien kommt.

Das österreichische Wirtschaftsmagazin „trend“ titelt: „YES WE KERN“.

Die „Kleine Zeitung“ hat geschrieben:

„Der durchwegs auch von Ehrgeiz und Eitelkeit getriebene Kern will nicht als Moderator des Stillstands, sondern als Motor des Aufbruchs in die Annalen eingehen, und das ist gut so.“

Das wäre prinzipiell auch gut so, obwohl ich ihm ja gar nicht die Eitelkeit unterstellen möchte, das macht ja in dem Fall die „Kleine Zeitung“. Das lassen wir einmal so ste­hen. Wenn man sich die Berichterstattung angesichts der Inthronisierung des Herrn Bun­deskanzlers Kern angesehen hat, dann muss man sagen, das war schon ein bisschen eine Aufbruchsstimmung – auch die Kollegin Posch-Gruska hat dies heute dargelegt , die da signalisiert wird. Da habe ich mir gedacht: Jetzt kommt Wilhelm mit dem Zau­berstab, jetzt kommt das messianische Zeitalter.

Die Frage, die sich mir immer stellt: Kann er auch über Wasser gehen? – Nicht einmal 14 Tage später, genau vor zwei Tagen, erklärt er dann: „Im Asylgesetz ist ein Richtwert festgehalten, der 37.500 Asylberechtigte formuliert.“

Das haben wir heute schon aufgeklärt. Jetzt könnte man hier wohlwollend auch sagen: Vielleicht hat er sich tatsächlich nur versprochen und hat hier Asylberechtigte mit Asyl­werbern verwechselt. Es geht dann aber weiter, und das wurde heute nicht themati­siert, daher möchte ich es gerne thematisieren. Er hat nämlich auch gesagt: „Nicht an­gerechnet würden auch enge Angehörige Schutzberechtigter, die auf Grundlage der Familienzusammenführung nach Österreich einreisen.“

Interessanterweise steht bei der Vereinbarung der Bundesregierung vom 20. Jänner dieses Jahres: „Anträge auf Familienzusammenführung und Asylansuchen werden zu­sammengezählt.“ – Also, was stimmt jetzt, meine sehr geehrten Damen und Herren, sowohl von der ÖVP, aber auch vor allem von der SPÖ? Was stimmt jetzt? – Stimmt das, was der Herr Bundeskanzler Kern vor zwei Tagen gesagt hat, oder stimmt das, was am 20. Jänner hier vereinbart wurde? Das sollte man dann schon einmal klären, denn dass man sich einmal verspricht, dass man einmal Begriffe durcheinanderbringt, das soll jedem zugestanden sein. Das ist nicht weiter das Problem.


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 65

Prinzipiell sind ja die politischen Usancen in diesem Haus auch so, dass man jeman­den 100 Tage Frist zur Einarbeitung gibt. In diesem Fall hat es allerdings keine 100 Stun­den gedauert, um die eigenen Beschlüsse – und ich möchte das wortwörtlich zitieren, er hat es heute gesagt – „nach Punkt und Beistrich einzuhalten“. Ja, was hält er jetzt nach Punkt und Beistrich ein? – Seine Interpretation oder das, was hier am 20. Jänner von SPÖ und ÖVP beschlossen wurde? Das würde mich interessieren! Und dazu wür­de ich hier auch Auskunft begehren. Leider ist der Herr Bundeskanzler allerdings nicht da, sondern gibt Interviews in der Säulenhalle. (Bundesrat Mayer: Die Vereinbarung gilt!) – Die Vereinbarung gilt, sagt jetzt der Fraktionsvorsitzende der ÖVP. Ich würde das aber gerne … (Bundesrat Kneifel: Der Vizekanzler hat das klargestellt!) – Der Vi­zekanzler hat es klargestellt, der Bundeskanzler sagt etwas anderes. Da sind wir wie­der bei dem New Deal. Ist es jetzt der New Deal, dass das genauso weitergeht wie vorher: die eine Seite sagt hü, die andere sagt hott? Kann man sich da eigentlich noch auf irgendetwas verlassen? Ganz ehrlich, ich frage mich, ob das die neue Form der Zu­sammenarbeit ist.

Der österreichische Innenminister hat heute am Vormittag eine Pressekonferenz gege­ben, in der er die aktuellen Zahlen zu Asylanträgen präsentiert hat: Bis zum 29.5.2016 gab es heuer 22 300 Asylanträge, davon wurden bis zum 29.5. 12 261, das sind 55 Pro­zent, zugelassen. Dazu kommen noch heuer bearbeitete Fälle aus dem Jahr 2015, näm­lich genau 6 689, das ergibt zusammen 18 950 zugelassene Fälle im Jahr 2016.

Das klingt jetzt auch deutlich anders als das, was der Bundeskanzler vor zwei Tagen gesagt hat. Ja und da möchte ich mich ganz einfach darauf verlassen können, dass hier mit einer Stimme gesprochen wird. Das ist derzeit offenbar nicht der Fall.

Ein weiterer Punkt, wo es mir wichtig erscheint, ihn hier anzuführen, ist auch, dass der Bundeskanzler unmittelbar nach der Bundespräsidentschaftswahl gesagt hat: „Wir haben verstanden“; „Wir haben den Protest verstanden“. Im selben Atemzug spricht er davon, Asylwerber nach kurzer Zeit auf dem österreichischen Arbeitsmarkt zulassen zu wollen. Angesprochen auf das System in der Bundesrepublik Deutschland, wo nach drei Monaten die Zulassung möglich ist, hat er gesagt, dass das eine interessante Ver­einbarung sei.

Auch da würde mich sehr interessieren: Ist das jetzt der New Deal? Ist das jetzt der neue Stil? Ist es das wirklich? Ist es das Verständnis des Bundeskanzlers nach dem Ausgang einer Wahl, bei der 2,2 Millionen Österreicher einen FPÖ-Kandidaten unter­stützt haben? Ist das die Antwort darauf? Ist das wirklich die Reaktion des SPÖ-Bun­deskanzlers, dass er sagt: „Wir haben verstanden“, und dafür lassen wir jetzt – bei ei­ner unglaublichen Anzahl von rund 500 000 Arbeitslosen – weitere Menschen auf den Arbeitsmarkt strömen. Ist das die richtige Antwort? – Die Antwort des Herrn Bundes­kanzlers würde mich interessieren.

Leider kann ich ihm diese Frage nicht stellen, denn er steht in der Säulenhalle und gibt Interviews. anstatt dass er hier vor dem Bundesrat steht, wie es eigentlich seine Ver­pflichtung wäre, wie es auch in der Verfassung festgeschrieben ist. (Bundesrätin Kurz: Wir haben keine Fragestunde! Das ist keine Fragestunde!) Das ist nichts, was ich mir ausdenke, das ist Verfassungsrecht. (Beifall bei der FPÖ.)

Ein weiterer Punkt, der heute vom Bundeskanzler mehrfach angesprochen wurde, ist, dass es sein Ziel ist, mit der Integration vom Neuzuzug zu beginnen. – Das ist durch­aus zu unterstützen, ein unterstützenswertes Ziel. Aber mit keinem Wort hat er in ir­gendeiner Form die Frage der Repatriierung angesprochen.

Die Volkspartei hat im Zuge dieser Vereinbarung vom 20. Jänner den Begriff „Asyl auf Zeit“ in die politische Debatte geführt. An sich könnte man jetzt über die Logik dieser Dis­kussion streiten, denn Asyl ist immer auf Zeit. Es ist nämlich im Asylrecht so definiert,


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dass ab dem Zeitpunkt, ab dem die Bedrohung zu Hause wegfällt, selbstverständlich auch der Asylgrund wegfällt. Aber es soll so sein, die ÖVP hat gesagt: Wir fordern Asyl auf Zeit! Das wurde jedenfalls auspaktiert.

Ich habe vorhin gerade die von Innenminister Sobotka genannten Zahlen von heute Vormittag vorgelesen: 55 Prozent Anerkennungsquote. Ich stelle die Frage dem Herrn Bundeskanzler, der sie mir leider nicht beantworten kann, weil er leider Gottes in der Säulenhalle gerade Interviews gibt (Staatssekretärin Duzdar: Das haben wir schon gehört! Es reicht!), was mit den 45 Prozent Abgelehnten passiert. (Zwischenrufe bei ÖVP und SPÖ.) Was passiert mit den 45 Prozent Abgelehnten? Gibt es da eine Repa­triierung, oder sind die auch dafür vorgesehen, nach dem Motto, das werden wir schon irgendwie schaffen, nach drei Monaten auf den Arbeitsmarkt zu gehen. Das „Wir schaf­fen das“, das kennen wir schon. Das haben wir letztes Jahr gesehen, wie das mit „Wir schaffen das“ funktioniert. Mit „Wir schaffen das“ funktioniert eigentlich überhaupt nichts!

Ich möchte Ihnen abschließend noch ein Zitat mit auf den Weg geben. Es ist nicht von mir, es ist nicht von der Freiheitlichen Partei, es ist von einem weltweit anerkannten „Rechtsextremisten“ und „Hetzer“, nämlich vom Dalai Lama, der gesagt hat:

„Auch moralisch gesehen finde ich, dass diese Flüchtlinge nur vorübergehend aufge­nommen werden sollten. Das Ziel sollte sein, dass sie zurückkehren und beim Wieder­aufbau ihrer eigenen Länder mithelfen.“

Das sagt der Dalai Lama, der selbst als Flüchtling in Indien Zuflucht gesucht hat, ge­genüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Und wir sprechen hier vom New Deal, der so aussieht, dass wir versuchen, so viele Menschen wie möglich in den österreichischen Arbeitsmarkt zu schleusen, denn darum geht es doch schlussendlich. Es geht doch schlussendlich auch darum, dass man bil­lige Lohnarbeitssklaven nach Europa importiert. Darum geht es im Endeffekt: dass Groß­konzerne auf Billigstsklaven zurückgreifen können! (Bundesrätin Kurz: Geh bitte! Was ist denn das für ein Ausdruck?)

Als Erste hat voriges Jahr die deutsche Automobilindustrie gejubelt, weil sie endlich gesehen hat: Hier schaffen wir neue Perspektiven für die 2-Euro-, für die 3-Euro-, auch für die 1-Euro-Jobs. – Das ist etwas, was wir nicht wollen, weil wir alle wissen, in wel­che Richtung das geht. Das ist eine Form von Neoliberalismus, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Und da frage ich schon, gerade in Richtung SPÖ: Ist es wirklich das, was Sie wollen? –Das hat mit einem New Deal nichts zu tun, das erinnert eher an den dritten Weg von Tony Blair. Wozu dieser dritte Weg von Tony Blair geführt hat, wissen wir eigentlich mittlerweile auch alle. Der hat nämlich nicht dazu geführt, dass die englische Wirtschaft prosperiert hat, sondern er hat dazu geführt, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Großbritannien weit größer geworden ist als sie davor war.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei Bundeskanzler Faymann hat man einen Kalender gebraucht, um abzuzählen: Wann wird er sich umdrehen, wann wird er wie­der einen Meinungsschwenk machen, wann kommt es zur Wende? Diese Wende konnte man am Kalender ablesen. Bei Bundeskanzler Kern, das muss ich leider Gottes hier heute diagnostizieren, genügt eine Eieruhr. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

12.44


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesminister Mag. Drozda. – Bitte.

 


12.44.11

Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien Mag. Thomas Drozda: Lieber Herr Bundesrat! Ich weiß nicht, ob der Herr Bundeskanzler jetzt noch Interviews in der Säulenhalle gibt, ich glaube es nicht, aber er hat mich gebeten, ihn zu vertreten.


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 67

(Heiterkeit bei SPÖ und ÖVP. – Bundesrat Jenewein: Möglicherweise! Er ist nicht hier!) Sie mahnen in dieser Frage zu Recht eine einheitliche Regierungslinie ein und erwar­ten sie auch: Selbstverständlich ist das so! In diesem Fall möchte ich daher auch den Herrn Innenminister aus seiner heutigen Pressekonferenz zitieren, der Folgendes sagt:

„Der genaue Wortlaut der Vereinbarung drückt unmissverständlich aus, dass sich die Obergrenze für 2016 auf jene Personen bezieht, deren Asylanträge im Jahr 2016 zuge­lassen werden. Wie die Beilage zeigt, wurden im Jahr 2016 insgesamt 18 950 Verfah­ren zugelassen“ – das sind die von Ihnen erwähnten Zahlen –, „und diese sind für die Berechnung der Obergrenze heranzuziehen.“ – Zitatende.

Das ist sozusagen die völlig klare und einheitliche Linie der Regierung. In Relation zu den 37 500 sind diese mit heutigem Stand 18 950 Personen zu sehen. Das wollte ich nur der guten Ordnung halber klarstellen, da gibt es überhaupt keinen Dissens zwi­schen dem Innenminister und dem Bundeskanzler. – Vielen Dank. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

12.45


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Dr. Rei­ter. – Bitte.

 


12.45.53

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Herr Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Werte Regierungsmitglieder! Ich finde es auch bedauerlich, dass Kanz­ler und Vizekanzler nicht mehr da sind, denn man verfasst ja natürlich in dieser Erwar­tung eine Rede. Noch schwieriger finde ich es aber, nach Kollegen Jenewein ans Red­nerpult zu treten, weil es hier wirklich wieder gelungen ist, mit einer Hysterisierung, die wirklich völlig unverständlich und in keiner Art und Weise gerechtfertigt ist, alles, was an Aufbruchsstimmung, an Umgang miteinander vorhanden ist, nachhaltig zu zerstö­ren. (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

Es wird doch möglich sein, eine Vereinbarung entsprechend zu interpretieren und den Menschen auch die Zeit zu geben, das entsprechend zu tun. Dass diese Vereinbarung eingehalten wird, wurde unmissverständlich klargestellt. (Bundesrat Jenewein: Aber das Wahlergebnis übersehen Sie!) Es ist klar, dass wir hier ein Problem haben, das auch dynamisch ist und sich immer wieder verändern wird, aber es muss uns doch ge­lingen, mit diesem Problem auch besonnen und pragmatisch umzugehen und dieses auch wirklich kooperativ zu lösen. (Bundesrätin Mühlwerth: Sag das bitte der Regie­rung!)

Ich wollte eigentlich Kanzler und Vizekanzler mitteilen, dass ich mir natürlich dessen be­wusst bin, welch große Erwartungen auf ihren Schultern lasten, und dass es mich freut, dass sie davon nicht niedergedrückt erscheinen. (Heiterkeit des Bundesrates Jene­wein.) – Kollege Jenewein sieht das noch etwas anders. Aber ich wollte sie vor allem auffordern und bitten, diese Last zu teilen und zu verteilen. Es gibt nämlich in diesem Land viel Potenzial, das es zu wecken und zu heben gilt. Mein Wunsch ist es, dass ih­nen vor allem das gelingt.

Ich bin keine Juristin, was das Leben in der Politik nicht einfacher macht. (Bundesrat Mayer: Da gibt es auch wenige! – Bundesminister Leichtfried: Ich wäre einer!) Ich bin Biologin. Was mich immer wieder ungeheuer überrascht, ist, wie weit die Struktur und Organisation der Gesellschaft von der Organisation biologischer Systeme entfernt sind. Biologische Systeme sind hochkomplex, ebenso wie die Gesellschaft. Aber auf der ei­nen Seite haben wir hier streng hierarchische Strukturen, die schon zu Starrheit nei­gen, während es auf der anderen Seite selbst organisierende und damit lernende, fle­xible und anpassungsfähige Systeme gibt.


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 68

Das fällt mittlerweile natürlich auch anderen auf. Ich las vor Kurzem einen Artikel zur Industrie 4.0, in dem stand:

Was im Rückblick auf das 21. Jahrhundert wahrscheinlich am meisten überraschen wird, ist, wie lange sich die Organisationsformen der Gesellschaft trotz neuer Informa­tionstechnologien und so weiter nicht wesentlich verändert haben. Ja, es werden sogar immer mehr von jenen Instrumenten angewendet, „die seltsam aus der Zeit gefallen erscheinen“: Zielvorgaben, langfristige Pläne, hierarchische Strukturen, Berichtswesen, aus einer Zeit stammend, in der „die Umweltdynamiken einfach schienen und Verände­rungen nur schleppend erfolgten“.

Wir haben aber keine trivialen, planbaren, beherrschbaren und leicht durchschaubaren Systeme, sondern unvorhersehbare und nur beschränkt gestaltbare, um es in aller Be­scheidenheit zu sagen.

Es gibt mittlerweile hier schon Ansätze, solche Dinge organisatorisch anders zu sehen. Ich erwähne nur die Holakratie, zu der Brian Robertson und Tom Thomison ein interna­tional sehr beachtenswertes Buch geschrieben haben. Nach diesen Ansätzen wer-
den inzwischen teilweise auch schon Firmen strukturiert. Dort gibt es zaghafte Verän­derungsversuche, aber in der politischen Diskussion fehlen solche Ansätze praktisch völlig.

Ich meine nicht, dass jetzt die große Revolution auszurufen ist oder gestartet werden soll, eine monumentale Grundsatzplanung begonnen werden soll, nein, das meine ich nicht. aber ich bin der Überzeugung, dass die Autorität, die jetzt auf ihren und beson­ders auf den Schultern des Kanzlers und Vizekanzlers lastet, verteilt werden soll, durch delegierte Autorität ersetzt werden muss.

Unsere hierarchische Organisation und unsere konsensorientierte Gemeinschaft haben viel erreicht, aber sie haben auch sehr schwerfällige bürokratische Prozesse kreiert – Prozesse, die die Menschen fesseln, demotivieren und frustrieren. Was wir brauchen, ist aber eine gegenwartsbezogene Handlungsfähigkeit.

Lassen Sie mich ganz kurz an einem praktischen Beispiel etwas näher erläutern, was ich meine. Das Beispiel ist der Finanzausgleich: in Verzweiflung immer wieder fortge­schrieben und verlängert, inzwischen mit 50 000 Transferzahlungen, die alle verwaltet, kontrolliert, evaluiert, berichtet und so weiter werden müssen. Ich habe mir vor Kurzem den Rechnungshofbericht zum abgestuften Bevölkerungsschlüssel angesehen. Daraus geht hervor, dass praktisch kein Land das korrekt umgesetzt hat, nicht deshalb, weil man in den entsprechenden Etagen unwillig oder blöd ist, sondern deswegen, weil er schlicht und einfach zu kompliziert ist.

Wir wissen, dass wir da über 4 Milliarden € an Verwaltungskosten liegen lassen, wir wis­sen auch, dass wir eines der teuersten Schulsysteme mit eher bescheidenem Output haben, dass der Frust bei allen Beteiligten groß ist. Das Gleiche gilt auch für das Ge­sundheitssystem und so weiter.

Werte Regierung! Ich glaube, dass Sie daran gemessen werden, ob Sie da substan­ziell etwas verändern können. Und das kann meiner Meinung nach nur so gehen, dass Verantwortung und Autorität an die Front transferiert werden. Frau Dr. Hammerschmid, Sie haben mir, was die Schule betrifft, aus der Seele gesprochen. Das heißt, dass es echte Subsidiarität gibt. Das heißt aber auch, dass wir von einer Kultur des Misstrau­ens unter Kontrolle, durch Selbstregulierung, in eigenverantwortlichen kleineren Einhei­ten, durch Transparenz, zu einer Kultur des Vertrauens finden müssen. Das heißt, es muss wenige klare Regeln und Zielvorgaben geben, allerdings eine gute Kommunika­tion, um immer wieder voneinander zu lernen. Dinge wie das Amtsgeheimnis gehören meiner Meinung nach über Bord geworfen; aber das nur so nebenbei.


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Werte Regierung! Haben Sie Vertrauen in die Menschen, in die Vielfalt ihrer Talente und Fähigkeiten und befreien Sie sie zu selbstbestimmtem Leben und Arbeiten! Das ist natürlich auch ein Appell an uns alle, die wir diese Regeln gestalten. Verändern Sie die Stimmung in diesem Land!

Ich möchte wirklich, dass Sie sich biologische Systeme und Regulationen erklären las­sen, wie die Crowd Intelligence eines Ameisenstaates die Fähigkeiten des Einzeltieres bei Weitem übertrifft. (Bundesrat Kneifel: Wir sind alle in die Schule gegangen!) So etwas wünsche ich mir auch für ein Staatswesen: dass es wie solche Systeme flexibel und anpassungsfähig ist. Das ist kein Aufruf zur Revolution und Zerstörung des Alten – da gibt es viel anzuerkennen, und damit wurde auch viel erreicht –, sondern zur Evo­lution. Aber es ist sicher ein Aufruf zum Aufbruch in neue und meiner Meinung nach sehr aufregende Zeiten. – Danke. (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

12.54


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Debatte ge­schlossen.

12.55.102. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 18. Mai 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Katastrophenfondsgesetz 1996 und das Hagelversicherungs-Förderungs­gesetz geändert werden (1106 d.B. und 1140 d.B. sowie 9585/BR d.B. und 9587/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen zu Punkt 2 der Tagesordnung.

Ich darf mich bei den anwesenden Ministern, bei der Ministerin und bei der Staatsse­kretärin herzlich bedanken und gleichzeitig auch den Herrn Bundesminister für Finan­zen Hans Jörg Schelling herzlich begrüßen. Grüß Gott, Herr Minister! (Allgemeiner Bei­fall.)

Berichterstatter zu Tagesordnungspunkt 2 ist Herr Bundesrat Michael Lindner. – Bitte.

 


12.55.51

Berichterstatter Mag. Michael Lindner: Bericht des Finanzausschusses über den Be­schluss des Nationalrates vom 18. Mai 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Katastrophenfondsgesetz 1996 und das Hagelversicherungs-Förderungsgesetz geän­dert werden.

Der Bericht liegt Ihnen schriftlich vor, deswegen komme ich gleich zur Antragstellung:

Der Finanzausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 31. Mai 2016 mit Stimmen­einhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gelangt als Erster Herr Bundesrat Ing. Pum. – Bitte.

 


12.56.23

Bundesrat Ing. Andreas Pum (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Mit dem heutigen Beschluss wird der Landwirtschaft die Möglichkeit gegeben, vor allem Schutz und Vorsorge für all die Entwicklungen zu treffen, die wir derzeit intensiv erleben.

Es ist aber auch eine Beschlussfassung, die es ermöglicht, in einem Verantwortungs­bereich die Produktion zu sichern, in dem die Landwirtschaft selbst zu keinen Verände­rungen beitragen kann. Letztlich sind auch Naturkatastrophen, all das, was wir derzeit


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an Umwelteinflüssen erleben, Auswirkungen des Klimawandels und der Veränderun­gen in der Natur, die wir hier schon in verschiedenen Facetten intensiv diskutiert haben.

Der Klimawandel ist Realität und letztendlich auch alltäglich in unserem Leben spürbar, wenngleich die Frage, ob es wärmer oder kälter wird, sicherlich nicht eindeutig zu klä­ren ist. Dass es aber rasant zu Veränderungen kommt, ist letztlich unabdingbar. Diese raschen Veränderungen fordern ganz einfach auch neue Maßnahmen, um unserer Land- und Forstwirtschaft die Einkommen zu sichern, um letztlich die Produktion abzu­sichern, um ganz einfach auch Sicherheit bei der Planung der landwirtschaftlichen Ar­beiten anbieten zu können.

Das geschieht, um unserer heimischen Lebensmittelproduktion ganz einfach auch eine Zukunft zu geben und damit auch Landschaftsschutz, Umweltschutz, Naturschutz, all das, zu vereinen. Daher gibt es auch eine Unterstützung der Versicherung, einen Bei­trag des Bundes, um zusätzlich Anreize zu schaffen, um auch für Ernten einen Versi­cherungsschutz zu haben. Das ist eine notwendige Weiterentwicklung, denn es ist da­mit auch sehr klar die Wahlmöglichkeit für jeden Betrieb gegeben, ob er seine Kulturen versichert oder ob er sich dem stärkeren Risiko aussetzt.

Wir wissen, dass die Situation generell keine einfache ist. In der Landwirtschaft kämp­fen wir derzeit mit enormen Einkommensverlusten, wir kämpfen mit Märkten, die nicht nachvollziehbar sind, mit Marktgesetzen, die durch Spekulation und andere Entwick­lungen zusätzlich verändert werden. Unter all diesen extremen Veränderungen muss es trotzdem möglich sein, Familienbetriebe in der Landwirtschaft auch weiter zu erhal­ten. Da ist es mit dieser finanziellen Unterstützung möglich, auch ein wenig Erleichte­rung zu schaffen und damit sehr unbürokratisch und sehr zielsicher die Mittel zu den Betrieben zu bringen.

Ich glaube, das ist auch eine Form der Unterstützung, die mit Sicherheit beispielge­bend ist, denn da wird zum einen weiterhin die Wahlmöglichkeit gegeben, zum ande­ren aber hat jeder, der das in Anspruch nimmt, eine sofortige vor allem finanzielle Hilfe­leistung.

Wie notwendig das ist, haben wir ja heuer schon mehrfach erfahren. Denken wir nur an die Frostschäden in der Steiermark, wo Obst- und Weinbauern auch um ihre Existenz fürchten müssen, denn die Schäden sind enorm. Dass Gesamtsummen von 50 Millio­nen € seitens des Bundes und kofinanziert mit den Ländern ebenso 50 Millionen € zur Verfügung gestellt werden, zeigt schon, dass Mittel in diesem Bereich direkt zur Exis­tenzsicherung eingesetzt werden.

Die anderen Entwicklungen – Dürre, Hagel, Überschwemmung, Starkregenereignisse – erleben wir ja laufend, und vor allem werden die Zeiträume immer kürzer, in denen die­se Katastrophen uns erreichen. Daher müssen wir Entschädigungen im Haushaltsbud­get des Bundes, eines Landes planbar gestalten. Auch das ist ein Vorteil dieser Ent­wicklung, denn diese Kosten sind planbar und im Katastrophenfall auch bereits klar ein­setzbar, weil die Haftung auch bei anderen liegt.

Im Gegenzug muss man aber auch erwähnen, dass damit Katastrophenschäden bei Betrieben, die diesen Anspruch nicht nutzen, nicht entschädigt werden. Das ist eine klare Signalwirkung: Dort, wo Mittel des Bundes, des Landes genützt werden, habe ich den Schutz; derjenige, der sich dem Risiko voll und ganz aussetzt, muss zur Kenntnis neh­men, dass öffentliche Gelder nicht immer für Schäden eingesetzt werden können, die durch Naturkatastrophen entstehen.

Ich glaube, unterm Strich ist das ein sehr, sehr guter Lösungsansatz, der gefunden wur­de – unbürokratisch, effizient und treffsicher und vor allem mit der Garantie, dass den Betrieben zukünftig die Produktion gesichert wird. Landwirtschaftliche Familienbetriebe werden damit abgesichert, und das ist ein Ziel, das eine gesellschaftspolitische Diskus-


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sion verpflichtend beinhalten muss – im Sinne unserer Bevölkerung, im Sinne unserer Sicherheit. In dem Sinn kann man nur zustimmen und sich dafür bedanken. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

13.02


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat We­ber aus der Steiermark. – Bitte.

 


13.02.32

Bundesrat Martin Weber (SPÖ, Steiermark): Werter Herr Präsident! Herr Minister! Lie­be Kolleginnen und Kollegen! Mein Vorredner Ing. Pum hat es schon gesagt: Die Kli­maveränderung spüren wir persönlich tagtäglich, jedes Mal beinahe, wenn wir das Haus verlassen. Landläufig heißt es ja: Der April macht, was er will – was das Wetter betrifft.

In der Nacht auf den 26. April trat erstmals im Süden und im Südosten Österreichs Frost auf. In der Nacht auf den 28. April kam es zu den ersten massiven Schäden, vor allem in meiner steirischen Heimat, aber auch in Kärnten, im Burgenland und in Nie­derösterreich. In diesen vier Frostnächten ab dem 26. April kam es laut Mitteilung der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik zu Temperaturrückgängen auf bis zu 8 Grad minus.

Aufgrund dieser starken Temperaturabfälle kam es in den genannten Nächten zu er­heblichen Frostschäden in landwirtschaftlichen Kulturen. Es wird sich zeigen, inwieweit sich diese geschädigten Kulturen noch regenerieren können. Vielfach ist leider mit To­talernteausfällen zu rechnen.

Wenn man die allgemeine, schwierige Entwicklung in der Landwirtschaft betrachtet, dann sieht man, dass zig Bauern in Österreich akut in ihrer Existenz gefährdet sind. Auch das haben wir schon von meinem Vorredner gehört. Kürzlich konnte ich in einer Zeitung lesen: „Unsere Bauern sind an der Grenze der Belastbarkeit angelangt.“

Um dies dauerhaft ins Positive zu verändern, müssen wahrscheinlich auch die Agrar­förderungsmodule etwas verändert werden. Der Arbeitseinsatz muss gegenüber der Flächenbilanz künftig stärker und besser berücksichtigt werden. Kein mittlerer, kein Klein­bauer wird es je verstehen können, dass die englische Königin die größte Agrarsub­ventionsnehmerin Europas ist, auch wenn sie kürzlich einen hohen Geburtstag zu fei­ern hatte. Da müssten sich manche landwirtschaftliche Interessenvertreter ein wenig bei der Nase nehmen.

Wir müssen auch die hohen Tierschutzrichtlinien und die gentechnikfreie Produktion als etwas höchst Positives sowie als große Chance sehen und erkennen. Tierschutz­richtlinien können nie eine Belastung sein, wenn wir der Feinkostladen Europas sein wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße daher diese Gesetzesinitiative voll und ganz, denn dadurch helfen wir mit großem finanziellem Aufwand durch den österreichi­schen Steuerzahler unseren Bauern massiv. 100 Millionen € sind kein Pappenstiel. 50 Pro­zent davon bringt der Bund ein, und 50 Prozent davon kommen von den Ländern. Wir können zu Recht stolz sein, dass wir unseren Bauern damit in dieser so schwierigen Zeit helfen und helfen, ihre Existenzgrundlagen wieder aufzubauen. Wir möchten ja auch weiterhin köstlichen Wein und schmackhaftes Kernöl zum Beispiel aus der Steier­mark miteinander genießen.

Es ist diese Förderung, dieser Steuergeldeinsatz ein deutliches Zeichen: Wir sehen eu­re Not, aber wir lassen euch damit nicht allein, wir stehen euch bei! Wir stehen zu un­seren Bauern. Wir sagen damit aber auch Ja zu einem solidarischen System. Die Wet­terextreme werden vermutlich nicht weniger, sondern in Zukunft mehr, und das nicht nur


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im April. Dagegen soll und kann sich jeder Bauer künftig nun versichern und erhält mit dieser Anschubförderung sozusagen einen Anreiz für Versicherungen.

Es kann natürlich nicht so sein, dass nicht nur der, der sich versichert und brav seine Prämie zahlt, sondern auch der, der sich dies ersparen will und seine Kultur nicht ver­sichert, von der öffentlichen Hand eine Entschädigungszahlung bekommt. Das wäre ja sozusagen ein Negativanreiz für ein solidarisches Versicherungssystem. Die Zukunft soll nun eben so sein: Eine Gruppe zahlt, wenn möglich, zu 100 Prozent geschlossen ein, damit Einzelnen aus dieser Gruppe im Schadensfall geholfen werden kann. Jemand, der keinen Schaden hat, bekommt zwar keine Entschädigung, sprich kein Geld, kann sich aber freuen, dass er selbst keinen Schaden hat, und er kann sich auch freuen, an­deren Berufskollegen in einer schwierigen Lage geholfen zu haben.

In der Not sollen wir zusammenstehen. In diesem Sinne möchte ich mich auch beson­ders bei den Einsatzkräften in den jetzt aktuellen Hochwassergebieten in Oberöster­reich bedanken. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

13.08


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ecker. – Bitte.

 


13.08.26

Bundesrätin Rosa Ecker (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geschätzte Damen und Herren! Stellen Sie sich vor, Sie stehen auf der Straße und ein Hagelkorn in Größe eines Hüh­nereis knallt vom Himmel neben Ihnen auf den Boden. Es gibt enorme Schäden an Ge­bäuden und landwirtschaftlichen Kulturen, und die Menschen sind fassungslos.

Bis jetzt gab es schon die Möglichkeit einer geförderten Ernteversicherung, und jetzt wird diese ausgeweitet. Damit sind Schäden durch Wetterextreme wie starken Regen, Dürre und Sturm sowie bisher schon Frost und Hagel abgedeckt und gefördert versi­cherbar. Allein die Zahl der Unwetter mit Hagel hat sich in den letzten zehn Jahren ver­doppelt, und sie sind extremer denn je. In Oberösterreich waren heuer hauptsächlich Obstbäume durch den Frost betroffen, besonders Steinobst – Marille, Kirsche, Zwetsch­ke –, auch die Birnenernte ist massiv beeinträchtigt. Die Hälfte der Rebflächen in Ober­österreich hat schwere Frostschäden erlitten, und bei der Hälfte sprechen wir von 35 Hek­tar. Das ist aber für den einzelnen Weinbauer meist alles, weil in diesen Strichen oft die ganze Fläche betroffen ist.

Auch bei den diversen Gemüsekulturen musste ein Neuanbau auf 150 Hektar durchge­führt werden. Es gibt mehr als 200 Millionen € Schaden durch diese Wetterkapriolen in Österreich gesamt, wobei ich von der Mehrarbeit und der psychischen Belastung für die Landwirte noch gar nicht gesprochen habe.

Besonders ernst ist ganz aktuell – das haben wir auch heute schon gehört – die Lage im Grenzgebiet zu Bayern in den Bezirken Braunau und Schärding. Aufgrund der gro­ßen Regenfälle gibt es in Simbach am Inn Überflutungen und Erdabtragungen. Dort hat man nie mit einer Katastrophe in diesem Ausmaß gerechnet. Das Wasser stieg inner­halb von einer Stunde von null auf 1,50 Meter. Diese Bilder haben manche von Ihnen sicher noch im Kopf. Diese dramatischen Situationen spielen sich in manchen Gebie­ten dort seit Anfang Mai zum dritten Mal ab, das heißt, die Menschen sind drei Mal be­troffen, haben drei Mal die Arbeit, oft drei Mal den Schaden.

Man sieht: Prävention in finanzieller Hinsicht ist unumgänglich. Die Schäden an land­wirtschaftlichen Kulturen, die in Hinkunft gefördert versicherbar sind, werden dann nicht mehr durch den Katastrophenfonds abgegolten, so sie eben versicherbar sind, wie wir im Ausschuss gehört haben. Bis dato wurde relativ unkompliziert und schnell Hilfe aus dem Kat-Fonds geleistet. So konnten existenzbedrohende Situationen abgewendet wer-


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den, und so hat auch die öffentliche Hand einen großen Teil zur Schadensbewältigung geleistet.

Der aus Steuergeldern dotierte Fonds stößt aber auch an seine Grenzen. Was ist also zu tun? – Das Ziel ist, dass jede Landwirtschaft für den Fall von Katastrophenschäden versichert sein soll. Das heißt, Landwirte müssen für den Fall von Katastrophen durch den Abschluss einer Elementarversicherung selbst vorsorgen. Die Hälfte der Prämien­zahlung wird gefördert, 25 Prozent kommen aus Mitteln des Bundes vom Kat-Fonds und 25 Prozent aus Mitteln der Länder. Wir sprechen von Kosten von 11,2 Millionen € im Jahr 2016, ansteigend bis 2020 auf 16,8 Millionen €. Leichter zu handhaben wird auch die Abrechnung, da die Dreijahresfrist für die Schadensanträge entfallen wird.

Der Katastrophenfonds ist ein absolut notwendiges Instrument, das auch handlungsfä­hig ist. Ich denke hierbei an das Hochwasser 2002. Ich weiß nicht, ob sonst noch je­mand betroffen war, ich spreche aus eigener Erfahrung. Wir hatten 1991 schon Hoch­wasser im Erdgeschoß, ungefähr 1,20 Meter, und haben uns damals in einem Gebiet an der Donau, nicht so leicht zu versichern, auch einen Versicherungsschutz geleistet. Die Prämien waren dementsprechend hoch. Die Schadenssumme wurde dazumal mit 200 000 Schilling bemessen, das war der Schaden, bei dem man annehmen konnte, dass er eintreten könnte oder höchstens eintreffen sollte.

2002 wurden wir alle eines Besseren belehrt. Das Hochwasser stand bis in den ersten Stock, 50 Zentimeter, und von 200 000 Schilling Schaden war keine Rede mehr. Von der Schadenssumme wurde die Versicherungssumme abgezogen, und Teile des restli­chen Schadensbetrags – 35, 40, 50 Prozent, je nach Ausgangslage – wurden vom Kat-Fonds noch einmal erstattet.

Jetzt habe ich schon die Sorge und stellt sich für mich auch die Frage: Ist ein hundert­prozentiger Schutz machbar? Ist das möglich? Wenn ja, werden sich auch die Prämien in einem dementsprechenden Rahmen und in einer entsprechenden Höhe bewegen? Wenn die Versicherung nicht den gesamten Schaden abdeckt, gibt es vom Kat-Fonds künftig keine Entschädigung mehr.

Wir sprechen von Katastrophen. Das Schadensausmaß – wir sehen es heute, gestern, morgen wahrscheinlich auch noch – ist oft unvorhersehbar. Hoffen wir also, dass die Landwirte gut beraten werden, die richtige Versicherungshöhe abschließen und dass sie sich die restlichen 50 Prozent von dieser Prämie auch leisten können.

Klimaveränderung war heute schon Thema, aber ich finde, es geht um noch mehr. In Österreich werden pro Tag mehr als zehn Hektar Land für Verkehrs- und Bauflächen verbraucht und davon mehr als fünf Hektar versiegelt, sagt das Umweltbundesamt. Da­durch nimmt die Speicherkapazität des Bodens ab, was zu erhöhten Abflussspitzen führt. Diesbezüglich wäre auch ein Umdenken angebracht.

Allein seit dem EU-Beitritt haben nahezu 100 000 Bauernhöfe in Österreich zugesperrt – 1995 waren es noch um die 240 000 –, das heißt, sie haben aufgegeben, ihren Hof auf­gegeben. Die österreichische Landwirtschaft ist nicht nur das Rückgrat eines lebens­werten ländlichen Raums und spiegelt die Traditionen wider, sie hat auch eine bedeu­tende und unverzichtbare Rolle innerhalb der österreichischen Gesamtwirtschaft. Durch Wettereinflüsse sind Landwirte aber in ihrer Existenz gefährdet: durch Schäden an pri­vaten Gebäuden, die gleichzeitig ihre Firma sind, durch Ertragseinbußen und oft hun­dertprozentige Ernteausfälle. Darum müssen wir sie unterstützen, wo es nur möglich ist, heute und hier mit unserer Zustimmung. (Beifall bei der FPÖ und bei Bundesräten von ÖVP, SPÖ und Grünen.)

13.14


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Zu Wort gemeldet ist nun Frau Bundesrätin Dr. Rei­ter. – Bitte.

 



BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 74

13.15.11

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg)|: Hohes Präsidium! Herr Minis­ter! Nach den Ausführungen meiner VorrednerInnen bleibt mir kaum noch etwas zu sa­gen. Ich möchte aber trotzdem auch mein tiefes Mitgefühl für alle Bäuerinnen und Bau­ern, die in den letzten Wochen so schwer geprüft wurden, ausdrücken. Die Bilder von den unglaublichen Frostschäden, die ja Schäden auch für die folgenden Jahre sind, al­so nicht nur die derzeitige Ernte betreffen, waren erschütternd. Jetzt gibt es wieder Über­schwemmungsbilder, die Hochwasserkatastrophe.

Unterstützung und Hilfe sind notwendig, das ist keine Frage. Es geht nicht nur um Ein­zelschicksale, sondern die Bauern sind die Basis der Gesellschaft, auch heute und jetzt, und ihre Leistungen sind unverzichtbar.

Dass auch agrarpolitisch nicht alles eitel Wonne ist, das wurde schon von einem mei­ner Vorredner ausgeführt. Man braucht nicht nur zum englischen Königshaus zu ge­hen, um zu sehen, wer die Hauptgewinner von Agrarförderungen sind. Das Gleiche ist auch in Österreich zu beobachten, nämlich dass keineswegs die kleinen und mittleren Bauern die Hauptprofiteure der verschiedenen Förderregime sind.

Es stellt sich natürlich die Frage, ob der Klimawandel bereits angekommen ist, auch nach den gewaltigen Schäden des letzten Jahres. Vor allem aufgrund dieser Schäden ist ja das versicherbare Risiko jetzt auch auf Dürreschäden ausgeweitet worden. Es stellt sich die Frage, ob wir uns auf diese Situation als Normalfall einstellen müssen. Natürlich gibt es da die Sorge, ob die Mittel im Katastrophenfonds in Hinkunft ausrei­chen werden, aber auch, ob sich die Bauern trotz der Unterstützung diese Versicherun­gen leisten können.

Ich glaube nicht, dass das so eine einfache Wahlmöglichkeit ist, wie hier auch schon dargestellt wurde. Insbesondere bei steigenden Schäden werden sich natürlich auch die Versicherungssummen entsprechend erhöhen. Es ist für viele Bauern durchaus ei­ne nicht leichtfertige Entscheidung, ob diese Versicherung abgeschlossen wird oder nicht. Es besteht nicht unbedingt eine freie Wahlmöglichkeit, denn aufgrund der doch oft sehr prekären Einkommenssituation der Landwirte ist es nicht immer möglich, sich entsprechend zu versichern. Wenn der Katastrophenfonds dann völlig ausfällt, bringt das vielleicht doch auch sehr dramatische Schwierigkeiten für viele Landwirte mit sich.

Ich glaube, man muss auch weiterhin erstens den Mitteleinsatz des Katastrophenfonds aufmerksam beobachten, wofür die Mittel eingesetzt werden, und zweitens, ob die Hil­fe, die wir heute hier beschließen, auch tatsächlich ausreichend ist.

Vor allem zeigt die Situation sehr deutlich, dass wir sehr viel konzentrierter als bisher ver­suchen müssen, den Klimawandel einzudämmen. Das heißt, wir müssen wirklich ins Han­deln kommen, wir müssen dazu kommen, den Klimavertrag von Paris umzusetzen. Wir brauchen eine ökologische Steuerreform. Wir brauchen ein klares Konzept. Leider fin­den unsere diesbezüglichen Vorschläge nach wie vor kein Gehör, aber dem heutigen Gesetzesvorschlag werden wir gerne zustimmen. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

13.19


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Zelina. – Nein, er zieht seine Wortmeldung zurück.

Damit liegt zu diesem Punkt keine weitere Wortmeldung vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Dem ist nicht so.

Die Debatte ist somit geschlossen, und wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.


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13.19.363. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 18. Mai 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Förderung von Handwerkerleistungen geändert wird (1107 d.B. und 1141 d.B. sowie 9588/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir kommen nun zum 3. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Weber. Ich bitte um den Bericht. – Herr Bundesrat Weber ist nicht im Raum.

Vorsitzender des Finanzausschusses ist Herr Bundesrat Lindinger. – Bitte, Herr Vorsit­zender.

 


13.20.10

Berichterstatter Ewald Lindinger: Ich erstatte als Vorsitzender des Finanzausschus­ses den Bericht. Es geht um die Förderung von Handwerkerleistungen, den sogenann­ten Handwerkerbonus, und die Änderung des Bundesgesetzes über die Förderung von Handwerkerleistungen.

Der Finanzausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 31. Mai 2016 mit Stimmen­mehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Ein­spruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke für die Berichterstattung, Herr Vorsitzender. – 10 € für die Klubkasse!

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Mag. Pisec. – Bitte.

 


13.21.08

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Finanzminister Schelling! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte bei diesem Tagesordnungspunkt auf die veröffentlichte Meinung zurückkommen. Die ver­öffentlichte Meinung wird ja heutzutage von Bundeskanzler Kern präsentiert. Er selbst hat gemeint, dass dieser Handwerkerbonus besser vermarktet gehört und Teil seines Wirtschaftsförderungsprogramms ist, seines New Deal.

Da darf ich eine Begriffskorrektur machen. Vor allem bei der ÖVP meint man jetzt, der New Deal sei eine Beziehungsgeschichte. (In Richtung des Bundesrates Mayer:) Nein, ist es nicht, denn New Deal ist eindeutig ein angelsächsisch determinierter Terminus. (Zwischenruf des Bundesrates Mayer.) Ich glaube, Herr Bundeskanzler Kern ist ein polyglotter und international sehr mobiler Mann, der sicherlich weiß, warum er diesen Begriff gewählt hat. Ich bin hundertprozentig sicher, er weiß es. Auf diesen Punkt kom­me ich dann später zurück.

Ich habe diesen Handwerkerbonus genau angesehen und möchte auf drei Punkte zu­rückkommen. Er ist a) ungerecht, er ist b) ein Bagatellbetrag und c) ist er kein Bestand­teil eines New Deal, denn der New Deal des Herrn Bundeskanzlers Kern ist, wenn man sich genau damit beschäftigt, eigentlich ein very old deal.

Warum ist er ungerecht? – Diesen Handwerkerbonus muss man mit dem Handwerker­bonus in Deutschland vergleichen, den es bereits seit dem Jahr 2009 gibt und der vom dortigen Bundesrechnungshof bereits verifiziert, evaluiert und ausgewertet wurde. Man müsste also hier nicht unbedingt bis 2021, nicht fünf Jahre warten, wie es im Vorschlag dieses Gesetzes enthalten ist, sondern könnte gleich agieren.

Ich habe es gemacht und einen Vergleich Österreich/Deutschland angestellt: In Öster­reich ist ein Fonds von 20 Millionen € zur Verfügung gestellt, gedeckelt, mehr gibt es nicht. Pro privatem Haushalt ist er pro anno auf 600 € limitiert. In Deutschland gibt es


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den doppelten Betrag, 1 200 €, aber nicht limitiert, also ohne Grenze. Er zählt als Steu­erbonus und ist damit für jedermann, der ihn in Anspruch nehmen möchte, zugänglich.

In Summe ist dieses Fördermodell in Deutschland mit 1,5 Milliarden € veranschlagt, bei uns pro anno mit nur 20 Millionen €. Wenn man das durchdividiert, dann kommt man drauf, dass der Bonus in Österreich für insgesamt 33 000 Personen zur Verfügung steht. In Deutschland, wie gesagt, für jeden. Schaut man sich das genau an, zeigt sich, dass es insgesamt 1,2 Millionen Menschen in Deutschland möglich ist, diesen Handwerker­bonus in Anspruch zu nehmen.

Vergleicht man Österreich mit Deutschland und legt man das deutsche Modell auf Österreich um, dividiert durch zehn, kommt man zu dem Resultat, dass in Österreich 125 000 Personen den Bonus in Anspruch nehmen könnten. Das heißt, in Österreich erhält ein Viertel den Bonus, drei Viertel gehen leer aus. Das ist das Auswertungsmo­dell, wenn man sich die deutschen Zahlen, die von Bundeskanzlerin Merkel ausgewer­tet wurden, genau ansieht. Daher ist er ungerecht, da in Österreich drei Viertel leer aus­gehen, in Deutschland aber jeder den Bonus erhält.

Warum ist es ein Bagatellbetrag, der definitiv nicht dem Wirtschaftswachstum dient? – Das IHS hat 2015 zu Recht gesagt: Er ist einfach nicht messbar, er ist eine vernach­lässigbare Größe. In Deutschland hat man festgestellt – aber, wie gesagt, bei einem we­sentlich größeren Gesamtvolumen von 1,5 Milliarden € –, 70 Prozent sind Mitnahmeef­fekt. Mitnahmeeffekt heißt nichts anderes, als dass Handwerkerleistungen von privaten Haushalten beauftragt werden, die auch beauftragt worden wären, wenn es diesen Hand­werkerbonus nicht gegeben hätte; 30 Prozent dienen dann wirklich der Reduktion der Schwarzarbeit – aber wie gesagt: bei einem gesamten Stimulus von 1,5 Milliarden € und sicherlich nicht bei 20 Millionen €, wie es hier in Österreich ist.

Wenn man sich das – unter der Annahme, dass in Österreich alle 20 Millionen € in neue Aufträge und damit in das Volkseinkommen, in das Bruttoinlandsprodukt hineinfließen würden – ausrechnet, ergibt das eine Erhöhung von sage und schreibe 0,06 Prozent, al­so vernachlässigbar. Wir alle wissen, dass die Schwarzarbeit in Österreich circa 15 Mil­liarden € beträgt, das sind Pi mal Daumen 5 Prozent des Volkseinkommens pro Jahr, also sind diese 0,06 Prozent wirklich in jeder Hinsicht vernachlässigbar. Bundeskanzler Kern meint, es ist eine Wirtschaftsförderung, dient dem Wachstum: Damit hat es defi­nitiv nichts zu tun, die Schwarzarbeit wird es auch nicht reduzieren, und messbar ist es sowieso nicht.

Punkt drei, das ist für mich das Spannendste, ist der New Deal des Herrn Bundeskanz­lers, den er hier als sein neues Wirtschaftsprogramm propagiert. Wie gesagt, er weiß sicherlich, was er damit meint. Der New Deal kommt aus den USA, jeder Präsident hat dort sein Wirtschaftsprogramm, das ist so üblich, es gibt den New Deal, es gibt den Great Deal, es gibt die Great Society, es gibt den New Federalism; jeder Präsident hat dort sein Programm, Obama, wie wir wissen, „Obamacare“; Roosevelt hatte den New Deal. Der New Deal ist eindeutig konnotiert, ist eindeutig determiniert mit dem Wirt­schaftsprogramm aus den 1930er Jahren.

Was ist das Wirtschaftsprogramm der 1930er Jahre? – Steuererhöhungen, Zentralis­mus, Aufbau der Verwaltung, Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, starre Arbeitszeiten, keine Arbeitsflexibilisierung. Das ist das Wirtschaftsprogramm des New Deal. Und das möchte der Herr Bundeskanzler uns Gewerbetreibenden, uns Unternehmern aufoktro­yieren? – Ich sage es gleich: Nein, danke, zu 100 Prozent, darauf kann ich verzichten!

Warum können wir in Österreich darauf verzichten? – Wir haben eine Steuerquote, die bei 50 Prozent liegt, wir haben eine Staatsquote, die bei 52 Prozent liegt. Die Staats­quote sind die Ausgaben aus dem Volkseinkommen. Jeder zweite Euro wird praktisch vom Staat wieder ausgegeben und damit den privaten Haushalten weggenommen und


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steht damit den privaten Investitionen auch nicht zur Verfügung. Wir haben Verwal­tungsausgaben von beinahe einem Drittel aller Steuereinnahmen. Das ist der New Deal, den Herr Bundeskanzler Kern uns aufoktroyieren und womit er Wirtschaftswachstum ge­nerieren möchte.

Das Wirtschaftswachstum sollte man sich auch einmal anschauen. Warum ist es zwar – wie das WIFO möglicherweise richtigerweise als Prognose ausweist – bei 1,5 Prozent, obwohl die Arbeitslosigkeit steigt? Da ist ja keine Korrelation vorhanden, oder besser gesagt, man müsste sich genau anschauen, warum die Arbeitslosigkeit und das Wirt­schaftswachstum steigen. Offensichtlich wurde falsch investiert. Wenn ich einen Kredit aufnehme und die Verwaltung aufblähe, steigt auch das Wirtschaftswachstum.

Das heißt, man müsste sich in Wirklichkeit die Investitionen ansehen, denn um die geht es, und das weiß die Bundesregierung: An den Investitionen wird sie gemessen wer­den. 90 Prozent aller Investitionen sind nicht öffentliche Investitionen – also private und damit nicht öffentliche –, nicht so, wie Bundeskanzler Kern uns weismachen möchte. Vielleicht ist er das von den ÖBB, von der Rail Cargo Austria gewohnt, das ist ein staatsfinanzierter Betrieb. Um das Wirtschaftswachstum wirklich real, echt und seriös ankurbeln zu können, sind Privatinvestitionen notwendig, und das sind, wie gesagt, 90 Prozent. Und daran hapert es! Daran hapert es, diese sinken und sinken und sin­ken.

Was bietet die Bundesregierung eigentlich der Unternehmenslandschaft, der jungen Un­ternehmenslandschaft, den Start-up-Unternehmen, natürlich auch den hier ansässigen und es sollen ja auch welche akquiriert werden – den zukünftigen? Was bietet sie, die Bundesregierung, damit diese privaten Investitionen angekurbelt werden? – Eine Steuerquote von 50 Prozent, eine Staatsquote von 52 Prozent! In einer internationali­sierten Welt ist es nicht schwer, das Land zu verlassen, woanders hinzugehen, ein Un­ternehmen zu gründen und aufzubauen, wo man mehr Respekt, mehr Anerkennung für die Leistung und für die Ausführung seiner Unternehmenstätigkeit bekommt.

Nein, wir von der Freiheitlichen Partei, vor allem von der freiheitlichen Wirtschaft, leh­nen das Programm des Herrn Bundeskanzlers Kern, diesen New Deal genau diesen New Deal, um den geht es – hundertprozentig ab. Wir wollen auch keinen Schmäh er­zählt bekommen, dass der Handwerkerbonus für uns Gewerbetreibende etwas Förder­liches ist; für die österreichische Bevölkerung ist er es schon gar nicht. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

13.29


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Poglitsch. – Bitte.

 


13.29.44

Bundesrat Christian Poglitsch (ÖVP, Kärnten): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Finanzminister Schelling! Oft ist es mir unverständlich, wie die Freiheitliche Partei sich hier herstellen und von Wirtschaftsförderung reden kann, aber eine Maßnahme, die nachweislich die Wirtschaft fördert – nämlich genau die Wirt­schaft, die Förderung braucht, unsere klein- und mittelständischen Unternehmen, un­sere Handwerker, unsere Familienbetriebe, die 70 Prozent der Arbeitsplätze in diesem Land sichern –, jetzt nicht mit beschließen will. Das entzieht sich meinem Verständnis, das muss ich wirklich einmal sagen.

Wenn ihr sagt, dieser Bonus an sich sei kein erfolgreicher Bonus, dann muss ich dem entgegenhalten: Er ist ein erfolgreicher Bonus! Als ich heute mit dem Auto gefahren bin, lief bereits um 6 Uhr in der Früh eine Werbung der Tischler, wo gesagt wurde: Holt bei uns den Handwerkerbonus! Das zeigt, die klein- und mittelständische Wirtschaft re­agiert darauf und bietet das auch schon an. Das ist ein Win-win-Modell. Nicht nur die Un-


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ternehmer, sondern auch die, die zu Hause sanieren, profitieren davon. Wie ihr da da­gegen sein könnt, das ist mir ziemlich unverständlich!

Wir wissen ganz genau – und das habt ihr heute angesprochen –, dass es in Öster­reich Schwarzarbeit gibt. Mit diesem Modell kann auch verhindert werden, dass sich Schwarzarbeit weiter ausbreitet. Natürlich würde ich mir 100, 150, 250 oder 300 Millio­nen € für dieses Modell wünschen, das spielt es in Österreich aber nicht. 20 Millionen € sind nicht die Welt, keine Frage, aber es ist etwas; es ist ein Zeichen für die Wirtschaft. Nächstes Jahr sind es noch einmal 20 Millionen €, also im Gesamtpaket sind es 40 Mil­lionen €, und das ist keine Kleinigkeit für Österreich. (Präsident Saller übernimmt wie­der den Vorsitz.)

Man muss immer vergleichen: In Deutschland gibt es einen ordentlichen Budgetüber­schuss. Das haben wir in Österreich nicht. (Bundesrat Pisec: Genau!) Dazu habt ihr auch einen großen Beitrag geleistet, ich erinnere nur an eure Regierungsverantwor­tung in Kärnten und die HETA-Geschichte, mehr sage ich zu dem Thema nicht; da habt ihr auch einen großen Anteil daran – und dann kritisiert ihr hier die Budgetpolitik und die Wirtschaftspolitik. Mit Budget, Geld und Wirtschaft umgehen, das könnt ihr über­haupt nicht, das habt ihr noch nie können. Kärnten hat das auch gezeigt. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

Wir werden dem selbstverständlich zustimmen, das kommt ja auch von uns, es ist kon­junkturfördernd. (In Richtung des Bundesrates Pisec:) Das, was du gesagt hast, stimmt überhaupt nicht. Es gibt vielleicht einen kleinen Mitnahmeeffekt, aber meiner Meinung nach ist der Vorzieheffekt viel, viel wichtiger. In einer Zeit, in der Firmen Probleme ha­ben, Aufträge zu bekommen, ist schon viel damit geholfen, wenn aufgrund dieses Bo­nus Aufträge vorgezogen werden. Wie gesagt, die 20 Millionen € werden sicherlich Inves­titionen in der Höhe von 110 Millionen € auslösen, das ist auch keine Kleinigkeit. Das braucht die klein- und mittelständische Wirtschaft dringend.

Ich brauche nur an meinen Tischler und auch an den Installateur zu denken, die mir genau das bestätigt haben, dass dieser Handwerkerbonus bei ihnen gut angekommen ist und im vorigen Jahr gut genutzt wurde. Deswegen gibt es von uns selbstverständ­lich ein Ja dazu. (In Richtung FPÖ:) Bitte, lernt wirtschaftliche Zusammenhänge zu ver­stehen, lernt mit Budgetzahlen umzugehen, und dann können wir weiterreden! Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.32


Präsident Josef Saller: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Rei­ter. – Bitte.

 


13.32.57

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg)|: Der Handwerkerbonus ist das Werkzeug zur Bekämpfung der Schwarzarbeit, 20 Millionen € schwer, inklusive Verwal­tungskosten, denn es braucht dafür natürlich auch eine Abwicklungsstelle, wo die Ab­grenzung zu Sonderausgaben, Sanierungscheck und ähnlichen Förderungen vorge­nommen werden muss, um Doppelförderungen zu vermeiden. Es wird auch eine Eva­luierung von einem Forschungsinstitut durchgeführt, es werden also auf alle Fälle Ar­beitsplätze geschaffen.

Die Evaluierung liegt bereits vor, wird aber noch mit der Untersuchung von Professor Schneider verglichen, sodass wir erst Ende des Jahres wissen werden, was tatsächlich Sache ist. Warum das nicht geht, bevor man das Gesetz erlässt und das Ganze ver­längert, weiß ich nicht. Zahlreiche Mitnahmeeffekte werden wir – ähnlich wie in Deutsch­land – wohl auch in Österreich haben, die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt werden wohl eher gering sein.


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Inzwischen kann aber schon der Wettlauf um die Förderung starten. Ob es sie im nächs­ten Jahr auch noch gibt? – Eigentlich müssen wir hoffen, dass es sie im nächsten Jahr nicht gibt, da die Tatsache, ob es sie gibt oder nicht gibt, vom Wirtschaftswachstum ab­hängig ist. Wir wünschen uns also, dass es sie im nächsten Jahr nicht gibt.

Die Wirtschaftskammer hat ja gemeint, der Handwerkerbonus finanziere sich ohnehin quasi selbst, weil er durch ein erhöhtes Steueraufkommen wieder Geld in die Staats­kassen spüle. – Also dafür ist er wirklich sträflich unterdotiert! Wenn das stimmt, dann hätten wir doch lieber 200 Millionen € hineingesteckt, um dann 200 Millionen € in die Staatskassen gespült zu bekommen. Von daher rechtfertigt sich die Höhe also ganz und gar nicht.

Natürlich ist es edel, hilfreich und gut, die Schwarzarbeit senken zu wollen, kleine und mittelständische Unternehmen zu fördern und Bürgerinnen und Bürger zu entlasten. Aber gut gemeint ist nicht ausreichend. Was wir bräuchten, ist eine echte und umfas­sende Senkung der Lohnnebenkosten, eine ökologische und soziale Steuerreform, ei­nen Abbau von Bürokratie, eine Vereinfachung des Steuerrechts, um klein- und mittel­ständischen Unternehmen den Umgang damit und auch die Einstellung von Personal zu erleichtern.

Wir bräuchten eine Entrümpelung der Gewerbeordnung, damit man nicht fünf Gewer­bescheine braucht, um zum Beispiel typische Heimwerkertätigkeiten anbieten zu kön­nen. Ich denke an die Bemühungen in Salzburg, den Beruf des Fahrradmechanikers neu zu installieren, weil sich herausgestellt hat, dass das mit den E-Bikes relativ kom­pliziert ist und man selbst im Verkauf dafür entsprechend ausgebildete Kräfte braucht. Es ist unglaublich, welche bürokratischen Hindernisse dem entgegenstehen, sich sozu­sagen der Entwicklung anzupassen.

Wir halten das auch eher für eine PR-Maßnahme, die 20 Millionen € schwer ist, als für solide Politik, um die Probleme des Mittelstands und der kleinen Unternehmer tatsäch­lich anzugehen und auch die Probleme der Schwarzarbeit zu lösen oder die Situation zumindest entscheidend zu verbessern. – Wir werden daher dem Handwerkerbonus nicht zustimmen. (Beifall bei den Grünen.)

13.36


Präsident Josef Saller: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Lindinger. – Bitte.

 


13.36.52

Bundesrat Ewald Lindinger (SPÖ, Oberösterreich): Herr Präsident! Herr Bundesmi­nister Schelling! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Eigentlich ist es sehr schade, dass heute der ORF nicht hier war, um die Erklärung der Bundesregierung und des Bundeskanzlers zu übertragen, und es somit verabsäumt hat, vielen Menschen die Möglichkeit zu geben, die positive Stimmung in der Bundesregierung zu hören und zu sehen. Aber man hat ja gesehen, dass bei den Redebeiträgen der Bundesräte der ein­zelnen Fraktionen nichts davon zu spüren war. Bei den Freiheitlichen hat man gemerkt, dass das nur negativ gesehen wird. Kollege Jenewein, das hat mich schon ein wenig erschreckt, mit welcher Tonart hier weitergemacht wird und mit welcher Tonart hier die Regierung von vornherein wiederum sozusagen angepatzt wurde. (Ruf bei der FPÖ: … ist gerechtfertigt!)

Genauso geht es weiter mit unserem Kollegen Pisec. Herr Kollege, ich weiß nicht, was du hier gesehen hast. Ich habe hier während der Debatte über den Handwerkerbonus keinen Bundeskanzler mehr gesehen, ich habe hier unseren Herrn Bundesminister für Finanzen gesehen, aber bei deinem Debattenbeitrag ist es nur um den New Deal ge­gangen, um den Bundeskanzler, aber nicht um die Sache.

Du hast erwähnt, dass ein Betrag von 600 € eine Bagatelle ist. Ich weiß schon, dass für eine Familie, die Malerarbeiten benötigt, die die Küche oder das Bad saniert, einen


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Handwerker benötigt, 600 € sehr viel Geld sind, denn bei einer Investition von 3 000 € ist ein Zuschuss von 600 € für eine Familie, für eine Alleinverdienerin oft schon mehr als die Hälfte des Monatslohns. Ich glaube doch, dass das ein guter Weg ist, dass der Handwerkerbonus verlängert wird, im Vergleich zur Einführung im Jahr 2014, wo gleich die 10 Millionen € aufgebraucht wurden, doppelt aufgestockt, 2015 wurde verdoppelt und 2016 und 2017 wird verlängert.

Geschätzte Damen und Herren! Es ist schon wichtig, mit den kleinen Dingen so umzu­gehen, dass man sie beachtet. 600 € sind für eine Familie sehr viel Geld, und darum schätzen wir das auch, dass die Bundesregierung den Handwerkerbonus verlängert.

Man kann ja bei erfolgreicher Abwicklung in zwei Jahren, Ende 2017, wieder über eine Erhöhung sprechen. Wir werden der Verlängerung des Handwerkerbonus auch gerne zustimmen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

13.39


Präsident Josef Saller: Bitte, Herr Bundesminister, darf ich dich um deine Worte bitten.

 


13.40.30

Bundesminister für Finanzen Dr. Johann Georg Schelling: Hoher Bundesrat! Das ist jetzt eine sehr zeitsparende Variante, nur ein paar kurze Anmerkungen dazu: Wenn ein Bundesrat wie Sie, Herr Jenewein, von den furchtbaren Auswirkungen des Neoli­beralismus spricht und Ihre Partei gleichzeitig eine mehr als liberale Kandidatin für den Rechnungshof präsentiert, dann würde ich Ihnen empfehlen, sich einmal zu entschei­den, wofür Sie sind. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Ich möchte damit auch zum Ausdruck bringen, dass ich mit dem Thema Liberalität überhaupt kein Problem habe, aber man muss sich irgendwann entscheiden, ob man für das eine oder das andere ist.

Das Zweite ist: Natürlich habe ich auch gelernt – das weiß ich schon lange –, wie bei den Grünen gerechnet wird. Ihre Meinung ist, wenn man 20 Millionen € investiert, dann kommen auch 20 Millionen € durch Steuereinnahmen wieder zurück. Ich zitiere, was Sie gesagt haben; wo immer Sie, Frau Bundesrätin, diese Information her haben, Sie haben diese so zitiert. (Bundesrätin Reiter: Ich habe gesagt, was die Wirtschaftskam­mer gesagt hat!) – Die Wirtschaftskammer hat ja immer recht, wie wir wissen. (Heiter­keit bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.) Ich war dort zehn Jahre Vizepräsident, ich weiß das natürlich. – Aber Spaß beiseite! Die Rechnung ist natürlich nicht richtig, zu sagen: Wenn man 200 Millionen € investiert, dann kommen auch 200 Millionen € zu­rück. Es bleibt immer noch null.

Da ich der Finanzminister bin, sage ich Ihnen: So viel verstehe ich dann schon noch vom Budget, dass ich weiß, dass null null ist. Lieber hätte ich ein Nulldefizit als ein Nullsummenspiel. Daher glaube ich, dass es ein wichtiger Aspekt ist.

Der dritte Punkt ist: Wir haben die Diskussion immer wieder, und hier darf ich noch ein­mal die Freiheitliche Partei adressieren. Wenn sich Ihre Abgeordneten im Nationalrat und auch Ihre Bundesräte hier immer wieder hinstellen und fordern: Gegen den Steu­erbetrug muss man etwas unternehmen!, aber gleichzeitig gegen alle Maßnahmen sind – ob das die Registrierkassen sind, ob das der Handwerkerbonus ist –, dann bitte ich Sie, sich irgendwann einfach zu entscheiden, ob Sie dafür oder dagegen sind.

Ein letzter Punkt, der von Bundesrätin Reiter angesprochen wurde, war die Frage der Verwaltungskosten. Wir haben das selbstverständlich von einer neutralen Stelle über­prüfen lassen. Wir haben pro Antrag Abwicklungskosten von 18,42 €. Das ist durchaus ein Rahmen, mit dem man, glaube ich, so ein komplexes System durchaus steuern kann.


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 81

Was den Vergleich mit Deutschland anbelangt, Herr Bundesrat Pisec: Es ist ein völlig anderes System, denn Deutschland hat ein Steuersystem und wir ein Fördersystem. Wir haben – und das werden Sie auch in Deutschland noch erleben – mit diesen reinen Absetzbarkeitssystemen in vielen Bereichen keine guten Erfahrungen gemacht. Daher ist es aus dieser Sicht besser, zu sagen, wir machen ein Fördersystem, um klarzustel­len und vor allem ein Signal zu setzen, dass das auch eine Maßnahme ist, um den Menschen bewusst zu machen: Es ist besser, legal Aufträge zu vergeben, die Garan­tien dafür zu erhalten, hoch qualifizierte Handwerkerleistung dafür zu bekommen, als in den Schattenmarkt oder in den schwarzen Markt abzusinken.

Daher ist es einmal ein gutes Signal im Rahmen der Möglichkeiten, die das Budget zur Verfügung stellt. Ich sage auch eines: Ich bin ganz bei Ihnen und wäre froh, wenn wir den Bonus nächstes Jahr nicht brauchten, weil das Wirtschaftswachstum so groß ist, dass die Klausel eintritt, wenn das Wirtschaftswachstum einen bestimmten Wert über­schreitet, dann brauchen wir den Bonus nicht mehr, denn wir sind uns im Klaren, wenn die Wirtschaft sehr gut läuft, ist es für unsere kleinen und mittelständischen Betriebe einfacher, aber wenn sie weniger gut läuft, sind wir gerne bereit, unterstützend zu wir­ken. – So weit noch einige Ergänzungen zu diesem Handwerkerbonus.

Natürlich kann man über jede Maßnahme diskutieren. Natürlich weiß ich, dass die ei­nen sagen, die Maßnahme sei falsch, und die anderen meinen, das sei zu wenig. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns. Wir haben eine klare Entscheidung getroffen, und ich bedanke mich bei jenen, die diesem Antrag ihre Zustimmung erteilen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.45


Präsident Josef Saller: Ich danke dem Herrn Bundesminister.

Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort. – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Die Debatte ist ge­schlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit, der Antrag ist somit angenommen.

13.45.094. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 18. Mai 2016 betreffend Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Kirgisischen Re­publik über die Förderung und den Schutz von Investitionen (1113 d.B. und 1143 d.B. sowie 9589/BR d.B.)

 


Präsident Josef Saller: Wir gelangen nun zum 4. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Weber. Ich bitte um die Berichterstattung.

 


13.45.29

Berichterstatter Martin Weber: Herr Präsident! Ich darf rechtzeitig und pünktlich den Bericht aus dem Finanzausschuss über den Beschluss des Nationalrates vom 18. Mai 2016 betreffend ein Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Kirgisischen Republik über die Förderung und den Schutz von In­vestitionen bringen.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antragstellung.

Der Finanzausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 31. Mai 2016 mit Stimmen­mehrheit den Antrag,


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 82

1. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben,

2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

 


Präsident Josef Saller: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Dr. Reiter. – Bitte.

 


13.46.24

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Herr Präsident! Herr Minister! Das vorliegende Abkommen wird auf alle Investitionen vor und nach Inkrafttreten des Abkommens Anwendung finden. Das Abkommen bleibt vorerst zehn Jahre lang in Kraft. Danach verlängert sich seine Gültigkeit automatisch auf weitere 10-Jahres-Perioden.

Vom Abkommen umfasst sind natürliche Personen mit entsprechender Staatszugehö­rigkeit sowie juristische Personen, die nach dem Recht der Vertragsparteien gegründet wurden.

Das Abkommen zielt darauf ab, das wechselseitige Investitions- und Handelsvolumen zu erhöhen, indem das allgemeine Investitionsrisiko für österreichische wie auch kirgi­sische Unternehmen mittels der im Abkommen vorgesehenen Vorschriften reduziert wird.

Unsere Kritik ist eine grundsätzliche. Wir halten Investitionsschutzmaßnahmen gerade im Sinne der derzeit laufenden Debatten um CETA und TTIP für überhaupt noch nicht ausgereift. Auch die bessere Entwicklung in Richtung Investitionsgerichte genügt unse­rer Meinung nach noch nicht, denn so wie das dort geregelt ist, bleibt es ein privile­gierter Zugang für eine bestimmte Gruppe. Aus diesen grundsätzlichen Überlegungen heraus lehnen wir dieses Investitionsschutzabkommen ab.

13.47


Präsident Josef Saller: Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Ing. Köck. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


13.48.05

Bundesrat Ing. Eduard Köck (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Zuhörer! Das Abkommen an sich ist von meiner Vorrednerin erklärt worden. Ich möchte vielleicht einmal kurz auf die Erfolgsgeschichte des österreichischen Exportes eingehen.

Die Exporte sind seit unserem EU-Beitritt exorbitant gestiegen, wie ein Vergleich zeigt. 1995 hatten wir ein Exportvolumen von 37 Milliarden €, im Jahr 2015 ein solches von 131,6 Milliarden €. Das hat schon auch etwas mit dem EU-Beitritt zu tun.

Und wenn die FPÖ heute schon über das Wirtschaften gesprochen hat, dann muss ich sagen: Damals wart ihr auch dagegen, also vom Wirtschaften habt ihr anscheinend nichts verstanden.

Im Vergleich zum Vorjahr sind die Exporte um 2,7 Prozent gestiegen, wobei jedes Pro­zent Anstieg 10 000 Arbeitsplätze bedeutet, das heißt ein Plus von 27 000 Arbeitsplät­zen allein durch den Anstieg der Exporte in Österreich.

Die Importe sind in diesem Zeitraum weit weniger gestiegen. Die Zahl der Exporteure – und das widerlegt das, was meine Vorrednerin gesagt hat – ist im Vergleichszeitraum von 12 500 im Jahr 2000 auf 52 500 im Jahr 2015 gestiegen. Das heißt, es haben sehr viele Zugang zu den Exportprodukten in Österreich und zu den Kampagnen und nicht nur einige wenige, die es sich richten können.

Wir haben eine Exportquote gemessen am BIP von 54 Prozent und gehören damit zu den 15 besten Ländern der Welt. Dabei ist Asien in den letzten 15 Jahren einer der am


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meisten wachsenden Märkte unserer Exportwirtschaft geworden. Im Vergleich aller Re­gionen haben unsere Exporte dorthin mit plus 198 Prozent in den letzten 15 Jahren am meisten zugelegt. Das ist daher sicherlich auch ein sehr, sehr wichtiger und zukunfts­trächtiger Markt, der mit diesem Gesetz abgesichert wird.

Auch wie es zustande gekommen ist und man in den letzten Monaten des Öfteren dis­kutiert hat: Es ist von den österreichischen Regierungsparteien gut vorbereitet worden. Am Beginn stand ein Besuch von Präsidenten Fischer mit einer Handelsdelegation im Jahr 2013. Es folgte ein Besuch der Wirtschaftsmesse in Kirgisien im Jahr 2015.

Mit dem Abschluss dieses Investitionsschutzprogramms haben unsere Firmen nun die Sicherheit, dort tatsächlich investieren zu können. Es gibt große Hoffnungen in den Be­reichen Infrastruktur, Wasserkraftwerke, Lebensmittel und Tourismus. Ich denke daher, dass wir diesem Abkommen unbedingt zustimmen müssen, damit die Erfolgsgeschich­te der österreichischen Exportwirtschaft weitergehen kann. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

13.51


Präsident Josef Saller: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Lindinger. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


13.51.32

Bundesrat Ewald Lindinger (SPÖ, Oberösterreich): Geschätzter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben in den letzten Wochen sehr viel über Handelsabkommen und über CETA und TTIP diskutiert. Es wurden in sehr vielen Bereichen berechtigt Ängste und Befürchtungen geäußert. Es gibt auch schon Gutachten dazu. Im EU-Ausschuss haben wir zudem sehr intensiv über das Handels­abkommen mit Kanada diskutiert.

Hierbei aber geht es um ein Mindestmaß, um ein Abkommen, um gegenseitigen Schutz der Investitionen und um ein Land, das noch sehr, sehr geringe Handelsbeziehungen mit Österreich in Höhe von circa 13 Millionen € im Jahr – laut Handelsbilanz 2014 – pflegt.

Ich glaube, dass es trotzdem wichtig ist, österreichische Betriebe zu stärken, wenn sie mit Kirgisien in Handelsbeziehungen und wirtschaftliche Beziehungen eintreten. Erst heute haben wir von unserem Bundesminister für Verkehr gehört, dass Österreich sehr stark in der Verkehrstechnologie, in der Eisenbahntechnologie ist, und gerade da gibt es Auf­holbedarf in Kirgisien, wo die Infrastruktur, die Eisenbahnlinie, die Kirgisien mit Russ­land verbindet, ausbaufähig wäre und es notwendig ist, die Infrastruktur herzustellen. Gerade deswegen ist es wichtig, dass Österreich da einsteigt und unsere Betriebe mit dem gegenseitigen Abkommen stützt.

Wir wissen, dass das Land noch von starker Korruption geprägt ist. Gerade deshalb ist es auch wichtig, unseren Betrieben Sicherheit zu geben, um in einem Land zu investie­ren, wo die Energieversorgung noch mit dem Kohlevorkommen gedeckt wird, aber auch die Wasserkraft genutzt wird. Österreich ist ein Land, dessen Industrie die Wasserkraft sehr stark ausbauen kann und diesbezüglich in anderen Ländern investieren kann. Ge­rade in diesem Bereich ist es wichtig, den Wirtschaftspartnern Stabilität zu geben und die Entwicklungsrichtung für die Wirtschaft zu unterstützen.

Geschätzte Damen und Herren, wir wissen aber auch, dass das ein Musterabkommen ist, dessen Mustertext schon im Jahr 2008 von der Bundesregierung vorgelegt wurde, und das vorliegende Abkommen nicht wesentlich anders ist.

Wenn ich hier drei, vier Punkte herausnehmen darf, bei denen es um das Thema Ent­eignung geht. Diese darf es nur geben, wenn sie im öffentlichen Interesse auf Grund­lage der Nichtdiskriminierung unter Einhaltung eines rechtmäßigen Verfahrens und ge­gen Bezahlung einer Entschädigung erfolgt. Sie sehen, österreichische Investoren sind


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 84

hier geschützt, und es müssen auch die nationalen Arbeitnehmerschutzrechte gewahrt bleiben.

Daher ist es gut, wenn wir diesem Abkommen zustimmen, damit unsere Betriebe, die in Kirgisien investieren, auch Sicherheit haben.

In diesem Sinne werden wir dem vorliegenden Abkommen unsere Zustimmung ertei­len. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

13.55


Präsident Josef Saller: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Längle. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


13.55.36

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Finanzminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! In Verhandlung steht das Abkommen mit der kirgisi­schen Regierung. Grundsätzlich sind solche Schutzabkommen zu begrüßen und wer­den auch von uns Freiheitlichen mitgetragen. Das ist auch nicht das erste Abkommen dieser Art, dem wir unsere Zustimmung erteilen werden. Wir haben solchen Musterab­kommen auch in der Vergangenheit schon unsere Zustimmung gegeben. (Bundesrat Mayer: Selten!) – Nicht selten, Herr Kollege. Ich kann mich selbst erinnern, ich bin auch schon öfter hier gestanden und habe über solche Abkommen referiert. In meiner Zeit zumindest haben wir zugestimmt.

Aber bleiben wir gleich dabei: Warum Zustimmung? – Primäres Ziel dieses Abkommens ist es, dass Investitionen geschützt werden. Ich meine, dass das sicher ein großer Vor­teil ist, da gerade auch Unternehmen und Firmen von Rechtssicherheit profitieren. Ich denke, dass wir mit diesem Abkommen einen Vorteil erzielen werden.

Gerade auch die Entwicklungsarbeit, ist meiner Meinung nach positiv zu bewerten, da die angesprochenen Exporte beziehungsweise angesprochenen Wirtschaftsleistungen mittlerweile doch ein Volumen von rund 13 Millionen € erreicht haben, laut Statistik sind es derzeit exakt 12,7 Millionen €. Aber ich denke, dass wir da in Zukunft noch eine Steigerung zu erwarten haben, und das ist sicherlich etwas Positives.

Erfreulich ist auch, dass der Arbeitnehmerschutz und die Menschenrechte erwähnt werden. Dies sollte im 21. Jahrhundert eigentlich Standardprogramm sein. Erfreulich ist ebenso, dass der Umweltschutz erwähnt wird. Die Artikel 4 und 5, in denen das er­wähnt wird, hätte man aber durchaus etwas genauer formulieren können, um diesen Themen größere Bedeutung zu geben beziehungsweise deren Wichtigkeit in diesem Bereich zu unterstreichen.

Wie bereits erwähnt, wir Freiheitliche stimmen diesem Abkommen gerne zu und hoffen auf eine gute Entwicklung der Handelsbeziehungen. – Danke. (Beifall bei der FPÖ und bei Bundesräten der SPÖ.)

13.57


Präsident Josef Saller: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Dr. Schelling. – Bit­te, Herr Minister.

 


13.58.06

Bundesminister für Finanzen Dr. Johann Georg Schelling|: Dieses Abkommen ist ein wichtiger Schritt für neue Märkte. Die österreichische Wirtschaft betreibt extreme An­strengungen, um in neue Märkte zu kommen, um einen unserer großen Wachstums­treiber, nämlich den Export, entsprechend auszubauen.

Wenn sechs von zehn Euro durch Export und Tourismus verdient werden, dann ist klar­gestellt, wie wichtig diese Internationalisierung der österreichischen Wirtschaft ist. Da-


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 85

her haben wir dieses Musterabkommen abgeschlossen, und es sind darin, wie schon von Herrn Bundesrat Längle erwähnt wurde, auch klare Standards für Auslandsinves­titionen, die durch Investoren getätigt werden, gesetzt worden

Was nun Ihre Kritik, Frau Dr. Reiter, anbelangt: Wir haben aktuell mit 60 Ländern In­vestitionsschutzabkommen, aber diese Investitionsschutzabkommen machen wir ja zum Schutz der österreichischen Investoren und nicht zum Schutz des Gastlandes, wir ma­chen sie zum Schutz derjenigen, die sagen: Ich gehe in einen neuen Markt, ich inves­tiere dort, es gibt dort möglicherweise Rechtsunsicherheit, es gibt möglicherweise noch nicht so stabile Strukturen, wie sie in einem entwickelten Land wie Österreich beste­hen! Deshalb schließen wir diese Investitionsschutzabkommen ab.

Das nun mit der Begründung CETA und TTIP abzulehnen, halte ich für etwas weit her­geholt, ganz ehrlich gesagt, denn die Entwicklungen, die wir in diesen Ländern haben, bauen doch auf ganz anderen Voraussetzungen auf. Die österreichische Wirtschaft wird mit diesem Abkommen durchaus Chancen weiterentwickeln.

Was für viele überraschend ist, ist, dass wir dort schon Investitionen haben, die durch­aus beträchtlich sind, vor allem im Infrastrukturbereich. Wir haben Investitionen öster­reichischer Unternehmen und Banken. Das betrifft unter anderem das Management des gesamten Cargo-Terminals, um die Frachtvorgänge abwickeln zu können. Es gibt die UniCredit, deren Tochter die Bank Austria ist, die dort tätig ist, und vor allem gibt es dort jetzt seitens der Kapsch TrafficCom, die größte Auslandsinvestition Österreichs. Das Know-how, das sich Österreich erworben hat, wird jetzt exportiert. Solchen Firmen müssen wir signalisieren, dass sie Rechtssicherheit haben, wenn dort irgendetwas pas­sieren sollte. Das ist Sinn und Zweck dieses Investitionsschutzabkommens, und daher ist es ein guter und richtiger Schritt, den wir da gesetzt haben.

Solange es keine international normierten Regelungen gibt, solange nicht auf der Ebe­ne, die eigentlich dafür vorgesehen ist, nämlich durch die Europäische Union, Abkom­men abgeschlossen werden, ist es für uns jedenfalls besser, wenn wir bilaterale Ab­kommen für die österreichische Wirtschaft abschließen. Mit diesem bilateralen Abkom­men haben wir uns auch einen bestimmten Wettbewerbsvorteil erarbeitet, und in der Folge werden dort hoffentlich noch weitere Investitionen mit österreichischem Know-how getätigt, das damit dann exportiert wird.

Daher bedanke ich mich bei all jenen, die hiezu ihre Zustimmung erteilen werden. Auch wenn das eine oder andere kritisch gesehen wird, werden wir auch in den nächsten Jah­ren solche bilaterale Abkommen abschließen, wenn aus Sicht der österreichischen Wirt­schaft Bedarf besteht, neue Märkte zu erobern. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

14.01


Präsident Josef Saller: Danke, Herr Bundesminister.

Weitere Wortmeldungen hiezu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Ich darf Herrn Bundesminister Stöger sehr herzlich begrüßen. Grüß Gott! (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Wir gelangen nun zur Abstimmung.

Da der gegenständliche Beschluss Angelegenheiten der selbständigen Wirkungsberei­che der Länder regelt, bedarf er gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 Bundes-Verfassungsge­setz der Zustimmung des Bundesrates.

Wir gelangen zunächst zur Abstimmung, gegen den vorliegenden Beschluss des Na­tionalrates keinen Einspruch zu erheben.


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 86

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Nun lasse ich über den Antrag abstimmen, dem vorliegenden Beschluss des National­rates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 Bundes-Verfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

14.02.555. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 18. Mai 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Gesetz zur Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping (Lohn- und Sozial­dumping-Bekämpfungsgesetz – LSD-BG) erlassen wird und das Arbeitsvertrags­rechts-Anpassungsgesetz, das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz, das Landarbeits­gesetz 1984, das Arbeitsinspektionsgesetz 1993, das Heimarbeitsgesetz 1960, das Betriebliche Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz, das Betriebspen­sionsgesetz, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, das Sozialbetrugsbekämp­fungsgesetz und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert werden (1111 d.B. und 1133 d.B. sowie 9590/BR d.B.)

 


Präsident Josef Saller: Wir gelangen zum 5. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Inge Posch-Gruska. Ich bitte um die Berichter­stattung.

 


14.03.19

Berichterstatterin Inge Posch-Gruska: Ich erstatte den Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über den Beschluss des Nationalrates vom 18. Mai 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Gesetz zur Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping (Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz – LSD-BG) erlassen wird und das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz, das Arbeitskräfteüber­lassungsgesetz, das Landarbeitsgesetz 1984, das Arbeitsinspektionsgesetz 1993, das Heimarbeitsgesetz 1960, das Betriebliche Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgege­setz, das Betriebspensionsgesetz, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, das Sozialbe­trugsbekämpfungsgesetz und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wer­den.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 31. Mai 2016 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsident Josef Saller: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Ing. Rösch. – Bitte.

 


14.04.30

Bundesrat Ing. Bernhard Rösch (FPÖ, Wien): Wertes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Kanzler Kern hat in seiner Eingangsrede schon ähnliche Themen gestreift, stei­gende Arbeitslosigkeit testiert, 6 Prozent Reallohnverlust testiert und festgestellt, dass das BIP auch ganz maßgeblich von Flüchtlingen beeinflusst wird, da deren Bedürfnisse befriedigt werden müssen.

Das zeigt uns, dass wir die letzten Jahrzehnte über die Chancen, die Europäische Uni­on zusammenzuführen, verschlafen haben. Gitti Ederer hat damals, als wir beigetreten


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sind, gesagt, dass wir, wenn der Arbeitsmarkt geöffnet wird, 80 Prozent des Lohn- und Sozialniveaus haben werden. Wir haben feststellen müssen, dass das nicht so ist. Der Druck, aus dem heraus wir diese Gesetze, die jetzt gerade verlesen wurden, alle än­dern müssen, entsteht ganz einfach dadurch, dass im angrenzenden Ausland die Steu­ern niedriger sind, das Sozialniveau niedriger ist, Sozialabgaben und allgemeine Abga­ben niedriger sind. Es gibt zum Beispiel keine U-Bahnsteuer oder sonst irgendetwas.

Wir haben in letzter Zeit erfahren müssen, dass es Lohn- und Sozialdumping gibt. Die einen können es sich mit Tochtergesellschaften richten, mit denen man das auf lega­lem Weg regeln kann. Darauf versuchen die jetzt zu beschließenden Gesetze besser abzuzielen. Damit wird deren Durchsetzbarkeit einfacher, das sehe ich schon. Insge­samt wird es aber sicherlich nicht einfach, denn bei Gerichtsverhandlungen zum Bei­spiel braucht man Dolmetscher, und zudem bleibt man darauf angewiesen, dass auch in der Gesetzgebung der jeweiligen Länder die Verfolgbarkeit konstatiert wird.

Man muss das Ganze jedoch auch in einem weiteren Zusammenhang sehen; man muss es wirtschaftlich betrachten. Man kann das also nicht nur im Lichte der Gesetze, die der Punkt 5 beinhaltet, tun, sondern man muss sich auch fragen, warum das so ist.

Ziel jeglichen Wirtschaftens ist es, Gewinne zu erzielen; das kann man niemandem übel nehmen. So gehen natürlich viele in unsere Nachbarstaaten und werden dabei zum Teil auch recht erfinderisch. Wir sehen zum Beispiel bei Ausschreibungen, dass die Bil­ligstbieter selbst oft kaum Personal haben und sich alles über Firmen im Ausland holen beziehungsweise durch die Beschäftigung von Leiharbeitern. Die Vorgänge in Sub-Sub-Sub-Firmen, die gang und gäbe sind, nachzuvollziehen ist nahezu unmöglich.

Wenn ich mir die 500 FinPol-Beamten vor Augen halte, die ganz Österreich beackern und schauen sollen, dass die Gesetze eingehalten werden, dann weiß ich, dass das schon allein deswegen ein Ding der Unmöglichkeit ist. Wenn wir nicht mehr Personal bekommen, das den Firmen in dem Bereich wirklich auf die Finger klopft, dann wird das einfach nicht geschehen. Bei Ausschreibungen wollen natürlich alle Firmen mitma­chen, und wenn die ersten mit irgendwelchen Tricks durchgekommen sind, dann sind die anderen auch dazu gezwungen. Es ist ja nicht so, dass man die Wirtschaft als böse hinstellen möchte. Wenn allerdings die Rahmenbedingungen so sind, dass man überall wildern kann, dann wird eben gewildert.

Auf unserem Arbeitsmarkt zeigen sich die Arbeitskräfteüberlassung, die EU-Entsen­dungen in einem Ungleichgewicht. Auf den Arbeitsmarkt wirkt sich natürlich auch aus, dass Drittstaatsangehörige aus den EU-Nachbarstaaten zu uns kommen.

Da habe ich irgendwo die Zahlen dazu – ja! 2015 haben wir in 56 Bereichen grenzüber­schreitende Tätigkeiten verzeichnet, 19 400 allein im Bausektor. Mir ist da wichtig, zu er­wähnen, dass es über 19 000 grenzüberschreitende Tätigkeiten trotz einer 25-prozenti­gen Arbeitslosigkeit in diesem Gewerbe gibt, und das, obwohl wir wissen, dass es in den Städten kaum noch oder gar keine Lehrplätze mehr für das Bau- und Bauneben­gewerbe gibt. Vom AMS kann, wenn man dort anfragt und einen entsprechenden Beruf ergreifen will, nichts mehr angeboten werden, weil sich jetzt ganz speziell auch das Bau­gewerbe und Baunebengewerbe der günstigeren Firmen im Ausland bedient. Da muss einfach gehandelt werden. Dabei geht es nicht nur darum, bestehende Gesetze zu ver­schärfen, sondern auch darum, dass man dem Zuzug Einhalt gebietet.

Wir beobachten auch, dass Dienstleistungen, die wir in Österreich benötigen – und da­durch kommt der Markt auch ordentlich unter Druck –, aufgrund der Sozialabgaben bei uns und der günstigeren Steuern im Ausland dort erbracht werden. Sogar die Versiche­rungen, große, größte Versicherungen in Österreich lassen bereits die Unfallversiche­rungs- und die Krankenversicherungsverträge in Nitra abrechnen, denn dort kostet ein Doppelakademiker 500 €, 600 €, in Ungarn überhaupt nur 350 € bis 450 €. Da macht


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Auslagerung natürlich Sinn, und in Österreich haben die Arbeitnehmer dann das Nach­sehen. Da müssen wir unbedingt etwas tun, damit wir dem nachkommen, was Gitti Ede­rer bei unserem Eintritt in die Europäische Union in Aussicht gestellt hat.

Man darf das nicht nur einseitig sehen, wenn wir diese Zahlen berechnen und ange­sichts von 500 000 Arbeitslosen draufkommen, dass wir weit über 500 000 kommen, wenn wir auch die Österreicher im Ausland, die dort erfolgreich tätig sind, hinzurech­nen; bei manchen guten Forschern, die gute Forschungsaufträge im Ausland bekom­men und dann für uns leider Gottes auch weg sind, schmerzt das durchaus auch ein wenig. Es sind aber natürlich auch sehr viele im Dienstleistungsbereich tätig, und ge­rade im Export – wie wir gehört haben, lebt Österreich ja vom Export – brauchen wir natürlich Leute, die da draußen vor Ort sind und verkaufen.

Eine Schieflage ist jedoch unverkennbar, und Österreich ist ganz einfach aufgefordert, etwas zu tun, und man hat ja auch schon etwas getan. Im Burgenland hat man das schon gesehen. Wenn man 350 € bis 450 € im Monat verdient, sagen sich natürlich sehr viele Menschen dort: Dann gehe ich lieber gleich nach Österreich rüber, arbeite dort einen Tag statt ein ganzes Monat für dieses Geld – das ist jetzt ein bisschen übertrie­ben –, bekomme auch noch Kinderbeihilfe und natürlich auch das Krankenversiche­rungssystem zur Verfügung gestellt.

Das verstehe ich alles, aber es kann, wenn das so weitergeht, nicht funktionieren. Wir werden eine faire Partnerschaft zwischen den Staaten Europas brauchen, damit das Vertrauen in den Arbeitsmarkt wieder steigt und die einzelnen Volkswirtschaften wieder wachsen.

Landeshauptmann Niessl und Werner Muhm haben ja auch eine entsprechende Reso­lution zu diesen Arbeitsmarktproblemen vorgelegt und gesagt, dass wir zusätzlich zu ge­setzlichen Verschärfungen, wenn es gar nicht mehr anders geht, dann natürlich auch sektorale Schließungen brauchen werden. Wir erinnern uns, wir haben ja damals Über­gangsbestimmungen erwirkt, weil die Europäische Union, die wir ja in Wirklichkeit alle sind, gemerkt hat, dass da eine Schieflage entsteht, die man so einfach nicht stemmen kann. Und wenn man bei 500 000 Arbeitslosen in Österreich angelangt ist, dann muss man reagieren und dann muss man sagen, dass man gewisse Privilegien zurück­nimmt, bis sich die wirtschaftliche Lage in allen Staaten soweit stabilisiert hat, dass das Ganze besser funktioniert. Wir wollen da niemanden unbedingt ausgrenzen, aber das Zusammenwachsen muss einfach auch ein bisschen entlang von Leitschienen erfol­gen. Das nicht zu beachten, wäre unverantwortlich von den Politikern, die für das eige­ne Land tätig zu sein haben. Sie müssen in der Europäischen Union deutlich machen, dass wir das brauchen. Die Übergangsbestimmungen sind ausgelaufen; die Bedingun­gen haben sich jedoch nicht geändert. Wir werden also sektorale temporäre Grenz­schließungen brauchen. Deswegen bringen wir heute auch zusätzlich einen Entschlie­ßungsantrag der freiheitlichen Bundesräte ein:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Ing. Bernhard Rösch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Änderung der Entsenderichtlinie

„Die Bundesregierung wird aufgefordert:

Den Vorschlag COM (2016) 128 final zur Änderung der Entsenderichtlinie 96/71/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsen­dung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringungen von Dienstleistungen, eine kla­re Absage zu erteilen und


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sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die Nationalstaaten ermächtigt werden, eine sektorale Schließung des Arbeitsmarktes gegenüber Bürgern anderer EU-Staaten zu veranlassen.“

*****

Ich bitte um Zustimmung. (Beifall bei der FPÖ.)

14.15


Präsident Josef Saller: Der von den Bundesräten Ing. Rösch, Kolleginnen und Kolle­gen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend Änderung der Entsenderichtlinie ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Anderl. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


14.15.28

Bundesrätin Renate Anderl (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehr­ter Herr Minister! Sehr geehrte Bundesräte und Bundesrätinnen! Liebe Kolleginnen, lie­be Kollegen! Das, was wir soeben von unserem Kollegen Rösch gehört haben, ist nichts Neues. Wir wissen wohl alle, dass wir in Österreich zurzeit eine hohe Arbeitslo­sigkeit haben. Wir wissen alle, dass bei hoher Arbeitslosigkeit der Arbeitsmarkt nicht so aussieht, wie wir uns ihn gerne vorstellen.

Kollege Rösch hat auch gesagt, dass Österreich aufgefordert ist, etwas zu tun. Ich möchte an dieser Stelle vermerken, dass Österreich gerade etwas tut und einen Schritt genau in die richtige Richtung setzt, einen Schritt, um dem entgegenzuwirken.

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Genau aus diesen Gründen wurde ja bereits 2011 das Lohn- und Sozialdumpinggesetz beschlossen, um auf der einen Seite die Unter­nehmer zu unterstützen, sodass es zu einem fairen Wettbewerb kommt, aber vor allem auch – ganz wichtig! – auf der anderen Seite die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerin­nen zu unterstützen, damit es zu fairen und vor allem gerechten Löhnen kommt.

Natürlich passiert es hin und wieder, dass etwas illegal läuft, dass Sub-Sub-Firmen ver­suchen, irgendwie Fuß zu fassen, ihre Beschäftigten hier arbeiten zu lassen. Es sollte jetzt jeder aufstehen, der irgendeinen Bereich weiß, in dem man nicht versucht, Lücken ausfindig zu machen. Wir sind auf dem besten Wege, diese Lücken zu schließen, denn mit diesem Gesetz zur Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping nimmt Österreich nach wie vor eine Vorreiterrolle ein. Natürlich geht es jetzt noch darum, dass diese Re­gelung auch auf europäischer Ebene umgesetzt wird. Ich stehe noch immer dafür ein, dass es für uns ganz selbstverständlich sein muss, dass gleicher Lohn für gleichwerti­ge Arbeit am gleichen Ort bezahlt wird. Dazu stehe ich, das ist wirklich wichtig. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

Wir haben mit diesem Gesetz Regeln festgeschrieben, die vorsehen, dass in Öster­reich auch für ausländische Arbeitskräfte Löhne und Gehälter bezahlt werden müssen, die auf den hier geltenden Kollektivverträgen, auf den hier geltenden Bestimmungen ba­sieren, und zwar keinen Cent weniger.

Lieber Kollege Rösch! Das sind keine Privilegien! Es ist nur fair und gerecht, dass Men­schen, die hier ihre Arbeit leisten, egal, woher sie auch immer kommen mögen, den gleichen Lohn bekommen wie der- oder diejenige, die neben ihm oder ihr am Arbeits­platz steht. Das ist unser Zugang, und für den stehen wir natürlich ein. (Bundesrat Rösch: Ich auch!) Genau!

Ideen wie die, dass Arbeitskräfte, die in Österreich arbeiten, gemäß dem Lohnniveau ihrer jeweiligen Herkunftsländer bezahlt werden sollten – auch das hört man ja hin und wieder –, müssen wir ganz einfach entschieden zurückweisen beziehungsweise tun das


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auch, denn genau das, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, würde ja dem Lohndumping und der Schwarzarbeit Tür und Tor öffnen und vor allem den Druck auf den Arbeits­markt noch weitaus mehr erhöhen. Unser gemeinsames Ziel kann doch nur sein: Wir vollziehen einen europäischen Schulterschluss, um Lohn- und Sozialbetrug mit allen Mit­teln zu bekämpfen. Genau aus diesem Grund begrüße ich, dass wir mit der Zustim­mung zu diesem Gesetz dabei sind, seit 2011 bestehende Regelungen nochmals nach­zuschärfen und vor allem auch in einem eigenen Gesetz zu fassen.

Mit den neuen Regelungen sind wir jetzt einen Schritt weiter, um Unterentlohnung zu bekämpfen und gleichzeitig auch für einen fairen Wettbewerb zu sorgen. Wir brauchen keine Grenzen zu schließen, weil vielleicht auch aus Österreich einige ins Ausland ent­sandt werden. Ich möchte jenen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen nicht die Be­schränkung auferlegen, dass sie das nicht tun können.

Es ist schon lange geltendes Recht, dass Beschäftigte ausländischer Unternehmen nach österreichischem Kollektivvertrag bezahlt werden müssen, wenn sie vorübergehend bei uns hier in Österreich arbeiten, und auch Anspruch auf die gleichen Ruhezeiten oder auch Urlaubszeiten haben.

Allerdings ist es nicht immer einfach, Verfahren gegen ausländische Unternehmen zu führen und verhängte Strafen wegen der Bezahlung von Dumpinglöhnen und ähnlicher Delikte zu vollstrecken. Die aktuelle Änderung zum Lohn- und Sozialdumping-Bekämp­fungsgesetz sieht aber in der Umsetzung der EU-Durchsetzungsrichtlinien auch die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Vollstreckung von Verwaltungsstrafen vor. Und auch das ist ein ganz wichtiger Aspekt in diesem Gesetz.

Und, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, lieber Kollege Rösch, auch das ist kein Ge­heimnis: Die Branchen, wo am meisten Lohndumping stattfindet, sind Hochbau, Bau­stellenarbeit, aber auch Bereiche wie Tourismus und Gastronomie. Aber gerade der Bereich Bau ist ja jene Branche, die am meisten davon betroffen ist und daher natürlich auch am meisten von diesem Gesetz profitiert, weil vor allem auch durch die neue Auf­traggeberhaftung, die für alle Lohnansprüche grenzüberschreitend tätiger Arbeitnehmer gilt, ein ganz wesentlicher Punkt erfasst worden ist, nämlich dass diejenigen, die den Auf­trag geben, auch dafür haften.

Für mich ist dieses Gesetz ein sehr wichtiger, vor allem ein richtiger Schritt in Richtung mehr Gerechtigkeit, mehr Fairness, aber auch für mehr Chancengleichheit auf dem hei­mischen Arbeitsmarkt. Daher wird meine Fraktion diesem Gesetz zustimmen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

14.21


Präsident Josef Saller: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Kern. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


14.21.54

Bundesrätin Sandra Kern (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich darf meiner Kollegin An­derl in vielen Bereichen zustimmen. Wir diskutieren und beschließen heute ein wichti­ges Gesetz für faire Entlohnung, für fairen Wettbewerb, gegen Lohn- und Sozialdum­ping und für unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Es geht aber auch um die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Unternehmen, denn wenn man die Wettbewerbsfähigkeit gefährdet, gefährdet man auch Arbeitsplätze in Österreich. Im Jahr 2015 gab es insgesamt 133 680 Entsendungen von Arbeitneh­merinnen und Arbeitnehmern nach Österreich. Schon bisher galt die Regel, dass aus­ländische Arbeitnehmer bei Beschäftigung in Österreich nach dem österreichischen Kol­lektivvertrag bezahlt werden. Darüber hinaus gelten die gleichen Ruhezeiten und der Ur­laubsanspruch.


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Im Prinzip hat das alles bereits gegolten, denn bisher gab es kaum Möglichkeiten, Ver­fahren gegen ausländische Unternehmen wirksam zu führen. Schon seit dem 1. Mai 2011, als die erste Regelung gegen das Lohn- und Sozialdumping verabschiedet wur­de, wurden 6 451 Fälle von Unterentlohnung in Österreich festgestellt. Kontrolle ist wich­tig, Kontrolle sichert die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Kontrolle darf aber nicht zu Überbürokratisierung führen.

Wir beschließen nun heute mit dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz ein wirksames Instrumentarium zur Bekämpfung der unlauteren Machenschaften. Lohn- und Sozialdumping ist kein Kavaliersdelikt. Besonders im Baubereich, im Tourismus und in der Landwirtschaft tauchen immer wieder Fälle von Arbeitnehmern auf, die zu wenig Lohn erhalten oder auch gar nicht bei uns gemeldet sind.

Nun wird die EU-weite Kooperation unter den Behörden grenzüberschreitende Straf­verfahren erleichtern und auch die Vollstreckung und Strafbescheide vereinfachen. Lohn- und Sozialdumping darf kein lohnendes Geschäft sein, und das gilt besonders für den grenznahen Raum. Inländische Unternehmen geraten immer mehr unter Druck, wenn ausländische Unternehmen mit Kampfpreisen aufgrund von niedrigen Lohnkosten un­terbieten.

Auftraggeber sollen in Zukunft auch stärker darauf achten, keine Firmen zu beschäfti­gen, die ihren Mitarbeitern zu wenig Lohn zahlen. Für mich als Privatperson gilt: Wenn ich inländische Unternehmen beschäftige, ist in erster Linie der Auftragnehmer für die korrekte Entlohnung von Subfirmen verantwortlich.

Sehr geehrter Herr Minister Stöger, Sie haben im Nationalrat betont, das Lohn- und So­zialdumping-Bekämpfungsgesetz sei ein Meilenstein für mehr Fairness und Gerech­tigkeit. Ich glaube, wir haben auch eine andere aktuelle Debatte zum Thema Fairness und Gerechtigkeit: Es ist nicht fair, dass diejenigen, die tagtäglich hart für ihren Le­bensunterhalt arbeiten, die Dummen sind. Es ist nicht fair, dass Mindestsicherungs­bezieher mehr bekommen als Menschen, die arbeiten gehen und dafür Steuern zah­len. Es ist nicht fair, dass Menschen, die ihr ganzes Leben lang eingezahlt und gear­beitet haben, in ihrer Pension weniger bekommen als Menschen, die erst vor Kurzem nach Österreich gekommen sind und keinen Cent in unser System eingezahlt haben.

Fair wäre es, wenn wir endlich die Deckelung von 1 500 € an Geldleistungen für Mehr­personenhaushalte einführen würden. Fair wäre es, die volle Mindestsicherung erst ab einer durchgehenden Anwesenheit von fünf bis sieben Jahren in Österreich auszube­zahlen, ähnlich dem Modell in Dänemark.

Sehr geehrter Herr Sozialminister, Sie haben das Gutachten von Professor Mazal, das vor zwei Wochen präsentiert wurde, gesehen: Eine Deckelung ist rechtlich möglich. Wir vergessen leider in der politischen Debatte oft, dass zum Bezug von Mindestsicherung noch zahlreiche Begünstigungen hinzukommen: Befreiung von Rundfunkgebühr, Re­zeptgebühr und so weiter.

In vielen Gesprächen mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern betonen immer alle, dass der Vorschlag der Deckelung richtig und notwendig ist. Seitens Niederösterreich darf ich dem Herrn Minister an dieser Stelle mitteilen, dass für uns die Deckelung der Min­destsicherung im Rahmen der neuen Artikel-15a-Vereinbarung umgesetzt werden muss. Das wäre ein weitaus größerer Meilenstein für mehr Fairness und mehr Gerechtigkeit am Arbeitsplatz. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP sowie der Bundesrätin Winkler.)

14.26


Präsident Josef Saller: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Stögmüller. – Bitte, Herr Bundesrat.

 



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14.26.43

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Kollegin Kern, ich möchte ergänzen: Fairness ist unter anderem auch, dass man die Löhne an­hebt und nicht bei den Ärmsten spart. Das wäre auch eine Möglichkeit, das Ganze an­zugehen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt in dem Bereich. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Über das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz haben wir schon in der letzten Plenarsitzung geredet. Es freut mich ganz besonders, dass wir heute nun im Bundesrat darüber reden und es verabschieden.

Dieses neue Gesetz bietet in Bezug auf grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Behörden, insbesondere der Ämter der Landesregierung, etwas Neues, gerade was die EU-Richtlinien-Umsetzung betrifft. Es bereitet aber auch die alten Lohn- und Sozial­dumpingparagraphen systematisch neu auf. Es gibt neue Haftungsregelungen für den Baubereich sowie eine Vereinfachung der Meldepraxis, aber auch die Ausnahmen für Konzernentsendungen wurden darin geregelt.

Zu dieser Novelle wurde ja schon relativ viel gesagt, und ich möchte jetzt gar nicht mehr alles wiederholen, was schon vorgebracht wurde. Aber ein, zwei Punkte sind uns Grünen wichtig, und auf die haben wir in den Ausschüssen und im Nationalrat auch ein wenig gedrängt.

Ich bin sehr zuversichtlich, dass mit diesem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungs­gesetz die richtigen Hebel in Bewegung gesetzt wurden, um Arbeit beziehungsweise die Arbeitsbedingungen und auch die Lohnsituation wieder etwas fairer zu machen.

Ich erzähle ein bisschen etwas aus der Praxis: Mein Bruder ist Maurer und immer wieder auf Montage in ganz Österreich unterwegs. Wenn wir bei einer Familienfeier zu­sammenkommen und ein bisschen über die aktuellen Arbeitsbedingungen quatschen und reden, dann erzählt er mir immer ganz gerne von den „armen Hunden“. Mit den „armen Hunden“ meint er die Leute aus Ungarn, Rumänien, aus anderen Ländern, die oft bei weniger Lohn immensem Druck von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, Mon­teuren, aber auch Auftraggebern ausgesetzt sind, das Projekt fertigzustellen, und oft viel mehr Überstunden leisten müssen als österreichische Arbeitnehmerinnen und Ar­beitnehmer, und das bei niedrigerem Lohn. Genau diese Unternehmen machen auch die besten Angebotspreise zum schnellstmöglichen Termin – aber zu welchen Arbeits- und Lohnbedingungen?

Ich bin mir sicher, diese Standards will keiner in diesem Haus. Ich muss aber darauf hinweisen: Das betrifft nicht nur die Baubranche, sondern auch den Tourismus, den Gesundheits- und Pflegebereich – der wurde heute noch gar nicht genannt –, die Land­wirtschaft und den Dienstleistungsbereich, überall gibt es diese sogenannten schwar­zen Schafe. Ich bin mir jedoch sicher, dass das Lohn- und Sozialdumping-Bekämp­fungsgesetz in die richtige Richtung geht und dass auch weiterhin für faire und gerech­te Arbeitsbedingungen gekämpft wird.

Die Wirksamkeit dieses Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes – das wurde ja schon vom Kollegen von der FPÖ angesprochen – hängt im Wesentlichen von der Kontrolle ab.

Ohne eine adäquate Kontrollstruktur kann man auch nicht auf europäischer Ebene zusammenarbeiten. Daher ist es sehr erfreulich, dass es einen verbindlichen Kontroll­plan und Tätigkeitsbericht zur Ressourcenausstattung der Finanzpolizei geben wird. Das freut uns Grüne natürlich ganz besonders, weil wir – und da muss ich ein bisschen ausholen, ich habe mir ja die Akten angeschaut – schon seit 2011, schon seit der erste Gesetzentwurf gekommen ist, immer darauf gedrängt haben, diesen Paragraphen hi-


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neinzunehmen. Wir sind ja auch im Nationalrat nur mitgegangen, weil dieser Paragraph hineingekommen ist.

Da muss das Finanzministerium ein bisschen in die Pflicht genommen werden, weil es für eine ausreichende Personalausstattung sorgen muss. Das freut uns natürlich, auch wenn die Regelung erst ab 2018 gilt – schließlich ist es immerhin besser, ein spätes Datum zu kennen als gar keines. Man könnte in der Zwischenzeit schon einmal die Fi­nanzpolizei personell aufstocken, aber ich weiß, das fällt in den Aufgabenbereich des Bundesministers für Finanzen.

Wir Grüne werden diesem Gesetz also gerne unsere Zustimmung geben. Es nützt den betroffenen Arbeitern und schützt sie, und ja – jetzt schaue ich auch zur ÖVP –, es nützt auch den österreichischen Klein- und Mittelbetrieben, die ihre Arbeiter fair und ge­setzeskonform beschäftigen. Vielleicht, werte Kollegen von der ÖVP, könnt ihr auch noch an den Finanzminister herantreten und euch für mehr finanzielle Mittel für die Po­lizei einsetzen, um dieses Gesetz noch etwas griffiger zu machen. – Vielen, vielen Dank. (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

14.31


Präsident Josef Saller: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Hammerl. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.31.48

Bundesrat Gregor Hammerl (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister Stöger! Zuerst, Herr Bundesminister, möchte ich gratu­lieren, dass Sie diese Periode und die nächste Periode durchziehen. Sie sind ein guter Sozialminister, Sie haben Stil und sind konsequent – und Sie haben es nicht leicht. Gra­tuliere! (Beifall bei Bundesräten der ÖVP sowie bei der SPÖ.) Ja, das muss man sa­gen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Öffnung des Arbeitsmarktes der EU ist eine Errungenschaft, die wir nicht antasten sollten. Sie hat viele Vorteile und viele Chancen gebracht. Die Globalisierung des Wirtschaftlichen muss aber auch durch eine Globalisierung des Sozialen begleitet werden, damit nicht aus der Unterbietung von So­zialleistungen und Umweltstandards ungerechtfertigte und schadenstiftende Vorteile ge­zogen werden.

Diese Annäherung des Sozialen ist auch im Rahmen der EU in vielen Punkten noch nicht erreicht, meine Damen und Herren, sodass gerade in Grenzregionen aus dieser Ungleichheit Vorteile gezogen werden können und für andere wieder große Nachteile auf dem Markt entstehen. Aus dieser Situation darf nicht etwa ein Lizitieren in Bezug auf soziale Sicherung und Lohnhöhe entstehen, sondern es gilt, das soziale Niveau zum Vorteil aller Österreicherinnen und Österreicher auszugleichen. Dies war auch die Absicht des im Jahre 2011 erlassenen Gesetzes zur Bekämpfung von Lohn- und So­zialdumping.

Dieses Gesetz wird nun im Bereich der Haftungen und des Strafausmaßes novelliert. Dazu wird ein Kontrollplan erarbeitet. Ein schärferer Wettbewerb auf dem Rücken von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, aber auch zulasten der Klein- und Mittelbetrie­be – besonders in exponierten Grenzgebieten, wie sie etwa meine Heimat in der Stei­ermark oder das Burgenland darstellen – darf nicht durch starke Unterschiede in der Lohnhöhe aufgrund geringer Sozialleistungen oder durch Übertretung von Arbeitneh­merrechten verzerrt werden. Ob das nicht doch geschieht, muss man sich gerade in un­seren Breiten fragen, wenn man sich nur ein wenig auf Baustellen umschaut.

Meine Damen und Herren, da gibt es offensichtlich eine Schieflage, die im Interesse aller bekämpft werden muss. Ich möchte dazu vier Punkte aufzählen, in wessen Inter-


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esse das ist – Punkt 1: im Interesse der ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeit­nehmer, die in ihren Rechten nicht immer geschützt werden; Punkt 2: im Interesse der einheimischen Arbeitskräfte, die es angesichts der herrschenden Arbeitslosigkeit noch schwerer haben, einen Arbeitsplatz zu bekommen; Punkt 3: im Interesse der einheimi­schen Betriebe, die aufgrund der Wettbewerbsnachteile um ihre Existenz kämpfen; und Punkt 4, Herr Minister: im Interesse des Staates, dem durch erhöhte Arbeitslosigkeit Sozialausgaben entstehen und auf der anderen Seite Sozialabgaben entgehen.

Sehr geehrte Damen und Herren, natürlich – und das wird oft zu wenig bedacht – sind auch die Auftraggeber gefordert, darauf zu achten, ob ein billiges Angebot nicht durch Sozial- und Lohndumping zustande kommt. So ist im Gesetz auch Gott sei Dank eine Auftraggeberhaftung für den Baubereich zur Absicherung der Lohnansprüche von grenz­überschreitend entsandten oder überlassenen Arbeitnehmern verankert. Diese Haftung erfasst auch private und öffentliche Auftraggeber und nicht nur Unternehmen in Öster­reich. Auch der Auftraggeber trägt Verantwortung für die Einhaltung sozialer Vorgaben, soweit er diese beeinflussen kann. Bei sehr niedrigen Preisen fragt man ja immer: Wie sind diese Preise zustande gekommen?

Der Ruf nach Konsumentenethik in der heutigen Zeit geht also in diese Richtung und wird in der Öffentlichkeit diskutiert. Man muss sich aber davor hüten, alles dem Auf­traggeber und Konsumenten anzulasten, sondern es bedarf unbedingt auch einer ent­sprechenden öffentlichen Kontrolle, meine Damen und Herren. Grundlegend ist aber auch dabei eine solidarische Haltung, die auf die Stützung des Sozialen abzielt.

Noch ein Wort möchte ich zur im Parlament zum Teil heftig diskutierten Frage der Um­setzung der gesetzlichen Vorschriften, die es ja schon seit dem Jahr 2011 gibt, ver­lieren. Ein Gesetz, meine Damen und Herren, bedarf, um wirklich wirksam werden zu können, der Kontrolle. Es muss exekutiert werden, und dazu bedarf es auch gut ausge­bildeten Personals. Darauf, Herr Minister, müssen wir schauen.

Natürlich gibt es auch bei der Kontrolle der Einhaltung der Gesetze immer Einseitigkei­ten, was mit den Schwerpunkten der Kontrolle und der vorhandenen Einsatzkräfte, aber auch mit den Schwierigkeiten bei der Überprüfung zu tun hat.

Meine Damen und Herren, ich glaube auch, dass wir verstärkt auf grenzüberschreiten­de Zusammenarbeit setzen sollen. Das ist auch deswegen notwendig, um einen über­forderten und überbordenden Bürokratismus zu bekämpfen, der dann gerade die ge­genteilige Wirkung als die erhoffte zeigt. Nicht immer bekommen die, die es nötig ha­ben, die beste Unterstützung, sondern die, die sich am besten auskennen – das war auch bisher so –, und leider manchmal auch die, die es sich richten können. Hier be­darf es, Herr Minister, einer fairen Vorgangsweise, damit das Ziel erreicht werden kann und Unmut auch in Österreich abgewehrt wird.

Gerade heute angesichts einer verbreiteten EU-kritischen Haltung ist es wichtig, dass die großen und auch die sozialen Errungenschaften, die die EU gebracht hat, nicht über eine problematische Durchführung von Gesetzen vergessen werden. Natürlich ist es auch so, meine Damen und Herren, dass wir uns nicht nur die Rosinen herauspi­cken können. Wir brauchen in Österreich umfassende Solidarität mit der Bereitschaft, auch die Konsequenzen zu tragen, wenn es etwas kostet. Es ist aber auch wichtig, die Basis dieser Solidarität nicht durch einseitige Benachteiligung zerbröckeln zu lassen.

Meine Damen und Herren, das ist ein gutes Gesetz für Österreich. Herr Minister, ich gratuliere. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

Ich möchte noch auf den Entschließungsantrag eingehen: Wir lehnen diesen Entschlie­ßungsantrag ab. Wenn wir da zustimmen müssten, meine Damen und Herren, würde es


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ein bisschen dahin gehen, dass es auch in Europa ein bisschen eng wird und dass Eu­ropa zugesperrt wird. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

14.38


Präsident Josef Saller: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Pfister. – Bitte.

 


14.38.33

Bundesrat Rene Pfister (SPÖ, Niederösterreich): Nach einem brillanten Vorredner, der auch die Unterstützungen unseres Bundesministers angesprochen hat, möchte ich auch noch das Wort ergreifen.

Ein Thema dürfen wir dabei nicht ganz vergessen. Wir haben am Dienstag im Aus­schuss sehr lange mit den Expertinnen und Experten vom Sozialministerium über das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz diskutiert. Ich glaube, dass wir da eine sehr, sehr angeregte Diskussion hatten. Kollege Bernhard Rösch etwa hat sehr viele Fragen zu Zahlen, Daten und Fakten gestellt, und auch David Stögmüller war sehr in­tensiv an der Diskussion beteiligt.

Wir sind alle derselben Meinung: dass das Lohn- und Sozialdumping die Grundlage unseres Arbeitsmarkts zerstört. Lohn- und Sozialdumping höhlt unser funktionierendes Sozialsystem aus, und genau das wollen wir hier alle gemeinsam verhindern, liebe Kol­leginnen und Kollegen.

Warum ich mich außerdem zu Wort gemeldet habe: Sandra Kern hat es schon gesagt, 133 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden nach Österreich entsendet – ei­ne stattliche Anzahl. Aber wie wir aus der Statistik sehen, werden auch über 250 000 Ös­terreicherinnen und Österreicher pro Jahr ins Ausland entsendet. Das dürfen wir nicht außer Acht lassen.

Die derzeit über verschiedene Gesetze verstreuten Regelungen werden in diesem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz auch zusammengefasst.

Viele Maßnahmen liegen – wie auch meine Vorredner schon gesagt haben – nicht al­lein in der Kontrolle des Sozialministers. Es gibt da, wenn es um Kontrolle geht, auch eine Verantwortung eines anderen Ministers, nämlich des Herrn Finanzministers, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ich glaube, das gehört hier schon auch gesagt, wenn man auf der anderen Seite Herrn Bundesminister Stöger angreift und sagt, er sei da untätig. Er ist übrigens der fleißigste Minister und bringt da die meisten Initiativen auf den Weg, wie Kollege Hammerl schon angesprochen hat. Es fällt es mir heute, wie gesagt, wirklich leicht, da auch zu loben, denn ich weiß, dass unser Alois Stöger, wenn es um die Arbeitnehmerinnen und Ar­beitnehmer und um ArbeitnehmerInnenrechte geht, wenn es um Fairness geht, ein ver­lässlicher Partner ist.

Wenn wir über Lohn- und Sozialdumping-Übereinkommen sprechen, über nicht richtig bezahlte Gehälter, über nicht richtig abgeführte Steuern, die anfallen, dann sehe ich es nicht ganz ein – und ich habe heute beschlossen, hier etwas dazu zu sagen –, wenn man das vermischt, wenn man auf die unterste Schicht hindrückt, nämlich dann, wenn es um das Thema Mindestsicherung geht.

Liebe Sandra Kern, wir haben diese Diskussion nicht nur hier im Bundesrat, sondern auch schon in Niederösterreich geführt, auch mit deinem Vorgänger, wie du weißt. Wir haben sehr heftig darüber diskutiert. Wenn wir in Niederösterreich – ich bringe dieses Beispiel – 80 000 Bezieherinnen und Bezieher haben, dann muss man wissen, dass das nicht Mindestsicherungsbezieher sind, die den vollen Betrag bekommen, denn über 70 Prozent sind Aufstockerinnen und Aufstocker.


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Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was heißt das? – Das heißt, dass diese Niederöster­reicherinnen und Niederösterreicher, das kann man aber natürlich auch auf ganz Ös­terreich beziehen, aufstocken, weil sie mit dem, was sie verdienen, und dem, was ihnen zur Verfügung steht, gar nicht die Möglichkeit haben auszukommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube schon, dass es gut wäre, wenn wir hier nicht Folgendes tun würden: nach unten treten und dann nach oben hin, beim Lohn- und Sozialdumping, da, wo es um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht, die Augen zumachen und wegschauen.

Ich sage nur eines dazu: Die EZB gibt bekannt, dass jährlich 100 000 Milliarden € in ir­gendwelchen Steueroasen flöten gehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will mir gar nicht vorstellen, was 100 000 Milliarden € an Infrastrukturmöglichkeiten in Europa bie­ten würden. Ich will mir gar nicht vorstellen, was 100 000 Milliarden € an Steuern, die dort irgendwo verschwinden, für die Sozialsysteme bedeuten würden. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) – Dafür sage ich es auch. Auch da haben wir Handlungsbe­darf. (Neuerlicher Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Ich glaube, dass die Bun­desregierung mit dem Finanzminister da einen Handlungsbedarf hat.

Man kann auf der anderen Seite nicht nur sagen, dass wir denen, die unten sind, den Mindestsicherungsbezieherinnen und -beziehern, die nichts besitzen dürfen – kein Bar­vermögen, keine Sparbücher, kein Auto –, die gar nichts haben dürfen, auch noch alles wegnehmen und sie an den Rand der Gesellschaft drängen. (Beifall bei SPÖ und Grü­nen.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte meine Ausführungen jetzt nur noch unter­mauern: Ich war letzte Woche dienstlich in Spanien. Das hört sich schön an – schönes Land, warm, wenn die Sonne scheint. (Bundesrat Mayer: Costa del Sol?) – Nein, dort war ich nicht, sondern auf einer kleinen Insel. (Zwischenruf bei den Grünen.) Die Ar­beitslosenrate in Spanien … (Ruf bei der FPÖ: Warst du mit dem Strache auf Ibiza?) – Nein, mit Strache war ich nicht auf Ibiza. (Allgemeine Heiterkeit.) Das fällt mir gar nicht ein, da brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Gerhard.

Was ich damit sagen will, ist, dass mich das schon sehr nachdenklich stimmt, wenn man dort mit Jugendlichen spricht, die eine Möglichkeit suchen, eine Ausbildung zu ma­chen. Spanien hat eine Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen zwischen 18 und 25 Jahren von sage und schreibe fast 40 Prozent, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Das ist nicht irgendwo im Pazifik oder irgendwo weit weg, sondern in Europa, liebe Kol­leginnen und Kollegen! Ich glaube, dass wir genau dorthin schauen sollen, nämlich auf diese Beispiele – das ist nur ein Beispiel aus Spanien –, dass wir danach trachten müs­sen, den Jugendlichen auch Perspektiven zu bieten.

Das haben meine Vorredner auch schon gesagt: Wenn es um Bestbieterprinzipien geht, sollten wir uns nicht immer nur anschauen, wo es billiger ist, wo man die güns­tigste Möglichkeit hat – natürlich, Geiz ist geil –, sondern wir sollten ganz klare Regeln aufstellen. Diese Möglichkeit haben wir, die haben wir da alle. Man kann das Bestbie­terprinzip hernehmen, ganz klare Kriterien vorgeben und sagen: Erfüllst du diese und jene Vorgaben wie Lehrlingsausbildung und alles, was dazugehört, dann bist du dabei. Erfüllst du das nicht, dann bekommst du anhand eines Punktekatalogs einfach diese Punkte nicht und kommst vielleicht nicht zum Zug.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegt an uns, da nicht nach unten zu treten und die Mindestsicherungsbezieher schlecht zu machen und zu diffamieren. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Es liegt an uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier ein Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz zu beschließen und dies nicht in weiterer Fol­ge zu beschneiden. Diese Regelungen, so gut wir sie im Gesetz verankert haben, ge­hören dann auch kontrolliert und überprüft.


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 97

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist die Aufgabe, eine Mammutaufgabe natürlich, lie­ber Herr Bundesminister, aber wir sind es gewöhnt, dass du Mammutaufgaben mit Bra­vour löst. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

14.46


Präsident Josef Saller: Als Nächster gelangt Herr Bundesminister Stöger zu Wort. – Bitte.

 


14.46.29

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé: Herr Präsident! Hohes Haus! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben tat­sächlich einen neuen Rechtsbereich, ein neues Gesetz geschaffen, das neue Möglich­keiten bietet, grenzüberschreitend Lohn- und Sozialdumping zu verhindern, und damit einen Beitrag zu mehr Gerechtigkeit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer leis­tet, aber auch zu mehr Gerechtigkeit für die Unternehmerinnen und Unternehmer, die auf dem österreichischen Markt mit ihren Produkten Anklang finden wollen. Das schaf­fen wir mit diesem Gesetz, indem wir die Bedingungen für alle gleich machen.

Mir ist es wichtig, dass wir gerade im Bereich der Auftraggeberhaftung klarstellen, dass in Österreich nur jene Aufträge rechtlich korrekt vergeben werden sollen, die sich auch am österreichischen Lohnniveau orientieren, die damit einen Beitrag dazu leisten, dass insgesamt ein europäischer Zusammenhalt und ein europäisches Zusammenwachsen auf hohem Niveau ermöglicht werden.

Ich bedanke mich ausdrücklich für das Lob von Bundesrat Hammerl, danke. Ich danke auch dafür, dass er den Begriff gewählt hat, dass wir mit Stil darangehen müssen, wenn wir uns zu Fragen der Sozialpolitik äußern. Ich glaube, das ist etwas ganz Ent­scheidendes. Wer Sozialpolitik betreiben will, wer für Menschen, die es nicht so leicht haben, Lösungen sucht, der muss den Mut haben, ins Detail zu gehen, der muss den Mut haben, sich das auch anzusehen. Das braucht auch eine klare menschliche Aus­richtung.

Insofern ist es mir wichtig, auf die Frage hinzuweisen – weil ich auf ein Thema ange­sprochen worden bin, das heute nicht auf der Tagesordnung steht, das aber gesell­schaftlich auf der Tagesordnung steht –, wie wir mit Menschen umgehen, die nicht ge­nügend Einkommen haben, um damit auszukommen. Das sind immer wieder Men­schen und Familien mit vielen Kindern. Daher ist es so wichtig, Unterschiedliches zu behandeln. Gerade beim Bereich der Mindestsicherung muss man das Augenmerk auch darauf legen.

Ich sage Ihnen, was meine Zielsetzungen bei der Mindestsicherung sind: erstens Ob­dachlosigkeit in Österreich zu verhindern, zweitens den Menschen Nahrung zu geben, drittens die Menschen vom Rand der Gesellschaft in die Mitte holen – da brauchen wir Leute in den Sozialämtern, die da mitwirken, die sich damit auseinandersetzen und die dann auch die Gesetze so umsetzen, wie sie der Gesetzgeber gemeint hat –, und vier­tens ist eine ganz wichtige Funktion der Mindestsicherung die Verhinderung von Slums in Österreich, weil Slums der Gesellschaft viel teurer kommen.

Das braucht einen Dialog, das braucht eine Auseinandersetzung, das braucht keine Kampagnen, sondern das braucht eine gemeinsame Diskussion aller Bundesländer für eine Weiterführung der Artikel-15a-Vereinbarung. Ich bitte alle Bundesräte, da mitzu­wirken, dass wir das Augenmaß bewahren, dass wir die Chancen haben, diese Ent­wicklung weiterzuführen.

Zu den Ausführungen des Herrn Bundesrates Rösch: Brigitte Ederer hat von einer an­deren Europäischen Union gesprochen. Damals haben wir darüber diskutiert, ob wir von 12 auf 15 Mitglieder kommen – wie Sie wissen, sind wir derzeit bei 28. Das hat ein bisschen etwas verändert. Ich glaube, dass ihre Einschätzung damals noch richtig war.


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 98

Ich würde Sie bitten, schauen Sie sich das noch einmal an, was Sie als Entschlie­ßungsantrag eingebracht haben. Ich habe mich sehr bemüht, mit den Sozialministern der Europäischen Union und auch mit Kommissarin Thyssen darüber zu diskutieren, dass wir das Prinzip gleicher Lohn bei gleicher Arbeit am gleichen Arbeitsort in der Europäi­schen Union umsetzen. (Bundesrätin Mühlwerth: Das wollen Sie schon seit fünf Jah­ren!) Daher ist es auch wichtig (Zwischenruf bei der SPÖ), das in eine europäische Dis­kussion zu bringen. Das stärkt auch Österreich. Insofern ist mir auch wichtig, dass man darauf auch noch hinweist. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Zu den Ausführungen aller anderen Bundesräte: Sie haben den Gesetzesinhalt wieder­gegeben. Ich bedanke mich und ersuche um Ihre Zustimmung. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

14.51


Präsident Josef Saller: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Ing. Rösch, Kolleginnen und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Änderung der Entsenderichtlinie vor.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenminderheit. Der Antrag auf Fassung der gegen­ständlichen Entschließung ist daher abgelehnt.

14.52.416. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 18. Mai 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Weingesetz 2009 geändert wird (1061 d.B. und 1116 d.B. sowie 9591/BR d.B.)

 


Präsident Josef Saller: Wir gelangen zum 6. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Junker. Ich bitte um den Bericht.

Der Name der Bundesrätin passt genau zu diesem Tagesordnungspunkt. (Allgemeine Hei­terkeit.)

 


14.52.58

Berichterstatterin Anneliese Junker: Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzter Herr Minister! Meine Damen und Herren! Ich berichte aus dem Ausschuss für Land-, Forst- und Wasserwirtschaft über den Beschluss des Nationalrates vom 18. Mai 2016 betref­fend ein Bundesgesetz, mit dem das Weingesetz 2009 geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher gleich zur Antragstel­lung.

Der Ausschuss für Land-, Forst- und Wasserwirtschaft stellt nach Beratung der Vorlage am 31. Mai 2016 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsident Josef Saller: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Hackl. – Bitte.

 



BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 99

14.53.51

Bundesrätin Marianne Hackl (ÖVP, Burgenland): Geschätzter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr stolz, und als stol­ze Burgenländerin ist es mir ein großes Bedürfnis, dass ich heute zu diesem Tages­ordnungspunkt rede. Den, um den es hier geht (eine Flasche Uhudler auf das Redner­pult stellend), habe ich auch mitgenommen, denn der soll dabei sein. (Allgemeine Hei­terkeit und Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Es geht um den Uhudler bei uns im Südburgenland, das ist uns ein sehr großes Anlie­gen. Das ist ein sehr großes Thema, das uns seit längerer Zeit bewegt und das bei uns im Burgenland sehr hohe Wellen geschlagen hat. Das ist eigentlich ein Phänomen, das man immer wieder in der Politik erlebt. So ist es auch in diesem Fall, wo es ver­gleichsweise zwar nur um eine geringe Rebfläche geht, aber dies hat medial eine Rie­sendebatte ausgelöst.

Es ist ein bisschen wie der Kampf David gegen Goliath: Auf der einen Seite das große Regelwerk auf der europäischen Ebene, auf der anderen Seite ein paar aufrechte Win­zerinnen und Winzer, die den Direktträgerwein mit dem Namen Uhudler forcieren, de­nen aber von der Europäischen Union gesagt wird, dass sie das nicht dürfen. Bei den Konsumentinnen und Konsumenten wird der Uhudler aber immer beliebter, es ist da­her schon verständlich, dass das Thema medial sehr präsent ist.

Zugleich ist es aber auch notwendig, dass es ein EU-Reglement gibt. Nationalratsab­geordneter Dipl.-Ing. Nikolaus Berlakovich verhandelte damals als Landwirtschaftsmi­nister die EU-Weinmarktordnung, da es auf europäischer Ebene, weil eben der Wein so gut geht, Bestrebungen gegeben hat, festzulegen, dass man in ganz Europa auch in Ungunstlagen Wein auspflanzen darf.

Österreich hat gemeinsam mit Partnern gesagt: Das wollen wir nicht, wir wollen, dass nur in bestimmen Regionen Wein angepflanzt wird, damit wir unseren Qualitätsweg nicht gefährden! – Das ist zum Glück gelungen. Gleichzeitig aber sagte die Europäi­sche Union, dass sie die Direktträgersorten, die sich um den Uhudler ranken, nicht will.

Trotzdem ist es aber wichtig, den Uhudler abzusichern, denn er ist mehr als ein Wein, er ist nicht nur bloß ein Getränk. Der Uhudler ist nicht nur ein Thema für Weinliebha­ber, sondern in der ganzen Region eine Marke für die Hoffnung. Er ist ein Symbol für das Südburgenland, für meine Heimat. Durch enorme Abwanderung gibt es bei uns wenig Arbeitsplätze, daher ist der Einsatz richtig, damit es eine Unterstützung in der Region gibt. Die Winzerinnen und Winzer haben inzwischen eine enorme Qualitätsstei­gerung erreicht, durch ihren Fleiß haben sie den Markt erobert.

Wenn man beispielsweise vor Kurzem in Wien Am Hof beim sogenannten Kul(t)inarium war, dann hat man gesehen, dass Tausende Besucher täglich mit Begeisterung bur­genländische Produkte verkostet haben, unter anderem auch unseren Uhudler. (Zwi­schenruf des Bundesrates Mayer.) Oder die Veranstaltung „Komm’ ins Paradies!“: Das ist ein Fest im Südburgenland, das jedes dritte Mai-Wochenende stattfindet, bei dem es neben dem Uhudler auch verschiedene andere regionale Produkte gibt, die man ge­nießen kann, bei dem eine Region ihre Spezialitäten präsentiert und sich so wirtschaft­lich selbst hilft.

Die neuen Bestimmungen sehen nun vor, Weine aus Direktträgerrebsorten – aus de­nen die beliebte regionale Spezialität hergestellt wird – vom Wein- in den Obstweinbe­reich zu übertragen. Damit wird der Uhudler auch EU-rechtlich abgesichert. Die Vor­schriften für Wein – önologische Verfahren, Kellerbuch, Kataster – bleiben dabei aber auf­recht.

Es ist sinnvoll und auch notwendig, die Ursprungsbezeichnung für die traditionellen süd­burgenländischen Anbaugebiete des Uhudlers zu schützen. Damit wird die starke Mar-


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ke Uhudler abgesichert. Wein aus Direktträgerrebsorten aus anderen Gebieten darf dann nicht mehr unter dem Markennamen Uhudler in Umlauf gebracht werden. Es geht dabei um ein Synonym für Tradition, Zusammenhalt und Lebensfreude in einer ganzen Region.

Der Uhudler ist längst auch ein wesentlicher Teil des touristischen Marketings gewor­den, er bekommt damit auch ökonomisch gesehen eine sehr große Bedeutung. Es war daher wichtig, entgegen allen bürokratischen EU-Bestimmungen Bestand und Zukunft des Uhudlers gesetzlich abzusichern und so auch weiterhin Auspflanzungen zu ermög­lichen. Dies ist mit dieser Novelle des Weingesetzes gelungen.

Das Südburgenland hat sich in den letzten Jahren zu einem Feinschmeckerparadies ge­wandelt, das neben der landschaftlichen Schönheit auch auf ebenso bodenständige wie bekömmliche Schmankerl setzt.

Manche meinen, die Weingesetz-Regelung könnte vielleicht EU-widrig sein. Es ist ge­nau umgekehrt. Es ist wichtig, dass es ein Sicherheitsnetz für die burgenländischen Uhudler-Bauern gibt. Das vor Kurzem beschlossene Weingesetz ist ein solches. Es be­deutet, Uhudler als Obstwein deklarieren zu können, damit aus der EU-Weinmarktord­nung zu kommen und eine gesetzliche Absicherung zu erreichen. Das gibt den burgen­ländischen Weinbäuerinnen und Weinbauern endlich den notwendigen Rückhalt. (Vize­präsidentin Winkler übernimmt den Vorsitz.)

Ich gratuliere dem Ministerrat zum Durchbruch in der Causa Uhudler und danke Bun­desminister Andrä Rupprechter für seinen Einsatz sowie allen, die zur Uhudler-Lösung beigetragen haben. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

15.00


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ebner. Ich er­teile ihr dieses. – Bitte.

 


15.01.32

Bundesrätin Adelheid Ebner (SPÖ, Niederösterreich): Geschätzte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Flasche Wein ist weg. (Bun­desrat Mayer: Der Minister hat sie! – Allgemeine Heiterkeit.) Und ich habe mich schon so gefreut, dass wir eventuell den Uhudler verkosten dürfen. (Ruf: Obstwein!) – Obst­wein, richtig!

Ich komme aus Niederösterreich, aus dem Waldviertel, und, auch wenn es kaum je­mand glauben wird, in dieser Region wird hervorragender Qualitätswein produziert. Die Wachau gehört geografisch zum Waldviertel, und darauf sind wir natürlich sehr stolz. Niederösterreich hat aber auch die längste Weinstraße, mit 830 Kilometern, wo diese acht Weinbaugebiete vereint sind.

Es gibt die drei Klimaräume: das Weinviertel im Norden, den Donauraum mit seinen Ne­bentälern westlich von Wien und das pannonische Niederösterreich im Südosten. Dazu gehören 150 Weinorte mit rund 1 700 Winzern, die in diesen Weinbaugebieten 27 000 Hek­tar Rebflächen bewirtschaften und hervorragenden Wein produzieren.

Hervorragende Weine aus Niederösterreich sind der Grüne Veltliner – vielen bekannt –, Riesling, Kremstal DAC, Chardonnay oder Weißburgunder. Es gibt ebenfalls elegante Rotweine aus Niederösterreich. Für das Jahr 2015 wurde laut Statistik eine Weinernte von 2,3 Millionen Hektolitern ermittelt, und davon haben wir in Niederösterreich 1,4 Mil­lionen Hektoliter erzeugt. Insgesamt wurden 49 Millionen Liter im Wert von 144 Millio­nen € ins Ausland exportiert; und wir wissen, dass unsere qualitativ hochstehenden Weine im Ausland auch einen hohen Stellenwert genießen.

Über den Uhudler hat Kollegin Hackl schon sehr viel gesagt und erzählt. Ich denke, die Winzer werden diese Maßnahme, diese Novellierung zum Fortbestand des Uhudler-


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Weins, Obstweins sehr begrüßen. Es ist eine interessante Kulturpflanze und sowohl aus Perspektive der KonsumentInnen als auch hinsichtlich der Erhaltung von pflanzenge­netischen Ressourcen von herausragender Bedeutung.

Vorübergehend stehen österreichweit auch auf nationaler Ebene gewisse Möglichkei­ten offen, um eine wirksame und schlüssige Lösung betreffend das Inverkehrbringen von Weinen aus nicht klassifizierbaren Rebensorten zu schaffen. Und, wie gesagt, hier ist die Lösung Obstwein prinzipiell auch zu begrüßen.

Die nun vorliegende Weingesetz-Novelle ist Garant dafür, dass österreichische Erfolgs­weine und dieser Weg auch weiterhin gewahrt bleiben. Vor allem der Herkunftsschutz steht da besonders im Mittelpunkt.

Rieden sind auch unter Beachtung des Irreführungsverbots verpflichtend zu bezeich­nen. Eine Gemeinde darf als geografische Angabe auf dem Etikett nur genannt wer­den, wenn zumindest 85 Prozent des Weins auch aus dieser Gegend, aus dieser Ge­meinde stammen. Der Weinbaukataster wird auf das Integrierte Verwaltungs- und Kon­trollsystem umgestellt. Das Rebflächenverzeichnis wird in Zukunft nicht mehr von der Bundeskellereiinspektion geführt, sondern von Landesstellen, und bei uns in Niederös­terreich wird dies die Bezirksverwaltungsbehörde übernehmen.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf enthält einer­seits wichtige Bestimmungen zur nationalen Umsetzung des neuen EU-Genehmigungs­systems für die Rebpflanzen; zum anderen erlaubt eine Verordnungsermächtigung die Festlegung von konkreten Bedingungen für Sekt und Qualitätssekt. Des Weiteren be­steht in Zukunft die Möglichkeit, nicht klassifizierbare Uhudler-Rebsorten als Obstweine zu vermarkten und damit den Fortbestand des im Geschmack doch sehr typischen Uhudlers zu sichern.

Freuen wir uns, auch in Zukunft ein gutes Glas Wein aus den Topanbaugebieten Ös­terreichs genießen zu können! Österreich ist ein Weinbauland, international anerkannt. Unsere Fraktion wird dieser Gesetzesvorlage die Zustimmung erteilen. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

15.05


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster ist Herr Bundesrat Schererbauer zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


15.06.12

Bundesrat Thomas Schererbauer (FPÖ, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Herr Mi­nister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Hackl, ich bin zwar ein Inn­viertler, das ist eine reine Bierregion, aber ich bin auch ein großer Uhudler-Fan. Auch ich bin froh, dass es ihn nach wie vor gibt.

Dieses Weingesetz ist ein sehr strenges und gerechtes, das in weiterer Folge die Qua­lität heimischer Weine stärken wird. Begeben wir uns kurz zurück in den April des Jah­res 1985. Damals wurde einer der größten Wirtschafts- und Lebensmittelskandale in Ös­terreich – und Europa – bekannt. Millionen Liter Wein wurden beschlagnahmt, weil eini­ge Produzenten den Wein mit Diethylenglykol, einem minderwertigen Alkohol, der auch als Frostschutzmittel eingesetzt wird, versetzt hatten. Diethylenglykol galt bei einigen Win­zern als Zaubermittel, um dem Wein mehr Körper zu verleihen und den sogenannten Extraktwert, der als ein Qualitätsindikator zu bezeichnen ist, zu erhöhen. Auf diese Wei­se wurden Weine geringerer Qualität zu Prädikatsweinen aufgewertet. Das Nachzu­ckern ist bei österreichischem Wein mit der Qualitätsstufe Qualitätswein weinrechtlich nicht zugelassen.

Als Glykolwein machte das Gepansche bald in den Medien die Runde. Diethylenglykol ist zwar toxisch, aber es konnten dank der meist geringen Konzentration im Glykolwein


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kaum gesundheitliche Schäden infolge seines Genusses nachgewiesen werden. Die häu­figsten Nebenwirkungen waren Übelkeit und Nierenbeschwerden, Schwerkranke oder gar Tote waren Gott sei Dank nicht zu beklagen.

Obwohl fast gleichzeitig ein Weinskandal in Italien mehreren Menschen das Leben ge­kostet hatte, waren es die Süßweine aus Österreich, die weltweit für unglaubliche Em­pörung sorgten. In der Bundesrepublik Deutschland warnte das Bundesgesundheitsmi­nisterium am 9. Juli 1985 die Öffentlichkeit, dass österreichische Weine zum Teil mit dem genannten Frostschutzmittel verunreinigt worden seien.

Im August 1985, dem Höhepunkt der internationalen Aufregung, veröffentlichte das westdeutsche Bundesgesundheitsministerium eine Liste mit 803 österreichischen und 27 deutschen Weinen, denen die Chemikalie zugesetzt war. In Deutschland beteuerte man aber stets, dass die Verseuchung der deutschen Produkte ausschließlich durch den illegalen Verschnitt mit österreichischen Weinen zustande gekommen sei. Auch an­dere Länder wie die USA, Frankreich, Großbritannien, Polen oder Kanada warnten und nahmen ihn teilweise aus dem Handel. Österreichischer Wein, ob gepantscht oder nicht, flog aus allen Regalen. Der Schaden für die österreichische Weinwirtschaft war enorm.

Der Skandal führte zu einem Vertrauensverlust seitens der Verbraucher und einem starken Rückgang des Absatzmarkts für österreichischen Wein. Der Imageschaden be­einträchtigte den Export noch auf Jahre hinaus. Vor allem viele kleine unbeteiligte Win­zer gerieten in wirtschaftliche Schwierigkeiten und mussten aufgeben. Der Export fiel 1985 auf ein Zehntel zurück, nämlich auf rund 45 000 Hektoliter, und sollte erst 2002 wie­der das Niveau der frühen 1980er Jahre erreichen. Die Gesamtproduktion verringerte sich ebenfalls: Während es im Rekordjahr 1982 fast 5 Millionen Hektoliter waren, wurden 1985 nur noch etwa über 1 Million Hektoliter hergestellt.

Aufgrund dieses damaligen Weinskandals wurde eines der strengsten Weingesetze welt­weit beschlossen. Die Weinkontrolleure überprüfen vor Ort in den Betrieben, die Le­bensmittelchemiker und chemisch-technischen Assistenten untersuchen im Labor, ob zum Beispiel die Grenzwerte für Schwefeldioxid eingehalten werden, ob der Alkohol­gehalt stimmt, ob verbotene Aromastoffe zugesetzt wurden und so weiter.

Nach vielen Jahren großer wirtschaftlicher Entbehrung stehen wir heute mit unserem Wein im internationalen Vergleich ganz hervorragend da und brauchen uns in keinster Weise vor Weinnationen wie zum Beispiel Frankreich zu verstecken.

Eine wesentliche Zielsetzung des neuen Weingesetzes ist die Gewährleistung einer bes­seren Vermarktung durch geschützte Ursprungsbezeichnungen nach Weinbaugebiet, Großlagen, Gemeinden und Rieden, die Einführung der Bezeichnung Ruster Ausbruch für Prädikatsweine aus Rust sowie die Transferierung des Uhudlers als – unter Anfüh­rungszeichen – „Direktrebsorte“ vom Weinbereich in den Obstweinbereich; das ist in § 35 Abs. 2 geregelt.

Österreichischer Qualitätsschaumwein oder Sekt darf unter dieser Bezeichnung nur in Verkehr gebracht werden, wenn er in Geruch, Geschmack und Aussehen frei von Feh­lern ist. Qualitätswein darf unter der Bezeichnung Kabinett oder Kabinettwein in Ver­kehr gebracht werden, wenn der vorhandene Alkoholgehalt höchstens 12,9 Volumpro­zent beträgt – früher waren es 13 Volumprozent. Dies wird in Zukunft etwas strenger gehandhabt, aber Kabinettwein soll ein reifer, aber nicht überreifer Wein sein.

Auch bei der Mengenbeschränkung wurden Änderungen vorgenommen. So wurde die Hektarhöchstmenge von ursprünglich 9 000 Kilogramm Weintrauben oder 6 750 Liter Wein nach Umstellung des Rebflächenverzeichnisses auf 10 000 Kilogramm Weintrau­ben oder 7 500 Liter Wein erhöht.


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Nur ganz kurz abschließend zum Uhudler: Der Uhudler wird aus Direktträgerreben, sprich Hybriden gewonnen, welche um die Jahrhundertwende aus Amerika eingeführt wurden. Fast gleichzeitig kam von dort die Reblaus zu uns und begann ihr Vernich­tungswerk. Eine dagegen resistente Rebe, die sogenannte Amerikanerrebe, wurde nach Österreich importiert, ihr verdanken wir den heutigen Uhudlerwein.

Beim Burgenlandurlaub hat ein Winzer zu mir gesagt – ich zitiere –: Junger Mann, Uhudler trinken muss man sich trauen! (Allgemeine Heiterkeit.) Ich habe mich getraut. Ich habe es auch überlebt. Dieses österreichische Kulturgut haben wir jetzt Gott sei Dank für die nächste Zeit abgesichert.

In vino veritas, im Wein liegt die Wahrheit, und die Wahrheit ist, dass wir diesem An­trag unsere Zustimmung erteilen. – Danke. (Beifall bei der FPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

15.11


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Schrey­er. – Bitte.

 


15.12.11

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Minister! Wir stimmen dem zu, obwohl wir nicht mit allem ganz einverstanden sind. Es sind ein paar Dinge in dieser Novelle des Weingesetzes drinnen, mit denen wir nicht ganz glücklich sind.

Wir haben schon gehört: Vor allem geht es darum, dass nur mehr Vitis-vinifera-Sorten als Wein gelten sollen, alle anderen Rebenprodukte müssen unter der Bezeichnung Obstwein laufen. Wir finden es weder logisch noch sinnvoll, dass die Gesamtheit der Vorschriften für Traubenwein jetzt auch auf den Obstwein, auf nicht klassifizierte Reb­sorten angewandt wird. Unserer Meinung nach ist das eine Umgehung der EU-rechtli­chen Bestimmung, die wir da sehr nahegelegt sehen.

Auch die Anbaubeschränkungen für Obst sind laut EU-Recht nicht vorgesehen. Durch diese Novelle werden aus unserer Sicht ErzeugerInnen von Obstwein aus nicht klassi­fizierbaren Rebsorten, um die es jetzt hier geht, diskriminiert, nämlich sowohl gegen­über den ErzeugerInnen von Obstweinen als auch gegenüber den ErzeugerInnen von Traubenweinen.

Aber auch bei den Grünen gibt es SüdburgenländerInnen, daher ist es auch uns sehr, sehr wichtig, dass der Uhudler abgesichert wird. Das wollen wir natürlich nicht verhin­dern, daher geben wir dem sehr gerne unsere Zustimmung. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

15.13


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Mag. Prein­eder – Entschuldigung, Bundesrat Preineder. – Bitte.

 


15.13.44

Bundesrat Martin Preineder (ÖVP, Niederösterreich): Danke für die Graduierung, Frau Präsidentin! (Allgemeine Heiterkeit.) Geschätzter Herr Bundesminister! Ich darf zu die­sem Weingesetz einige Ergänzungen anführen. Nachdem Kollegin Hackl mit sehr viel Enthusiasmus, Begeisterung und sehr viel Herzblut das Problem und die Lösung dar­gestellt hat, möchte ich sagen, Frau Kollegin Schreyer, das ist eine durchaus akzep­table Lösung des Problems, nicht immer ganz verständlich, aber rechtlich abgesichert, damit der Uhudler auch so bleiben kann und so gepflegt werden kann, wie es im Süd­burgenland angebracht ist und wie wir es uns wünschen.

Es sind daneben noch einige anderen Novellen hiermit verbunden. Zum einen wurde eben das Rebflächensystem auf das Integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystem um-


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gestellt. Dabei war es notwendig, auch die Ertragsbegrenzungen anzuheben, weil die Katasterflächen Bruttoflächen waren und Invekos eben Nettoflächen vorsieht. Das heißt, es wird nicht zu einer Ertragssteigerung kommen, was man vielleicht daraus schlie­ßen könnte, dass die Hektarhöchstmenge von 9 000 auf 10 000 Kilogramm angehoben wird, sondern es entspricht einfach der Realität, um unseren Winzern die Möglichkeit zu geben, ihre Erträge beizubehalten.

Was das Thema Prädikatswein, Ausbruchwein betrifft, wurde bereits erklärt, dass es für Rust eine eigene Bestimmung gibt.

Ansonsten, glaube ich, ist dieses Weingesetz eines, das sich den Gegebenheiten an­passt und den Winzern entsprechenden Spielraum gibt, weil der österreichische Wein durchaus eine Erfolgsgeschichte ist. Kollege Schererbauer hat schon darauf hingewie­sen: Nach dem Weinskandal haben wir da eine sehr, sehr positive Entwicklung ge­nommen, und für mich als Agrarier ist der Wein das positivste Beispiel dafür, dass man mit Qualität und Marketing durchaus Erfolg und auch Anerkennung in der Landwirt­schaft erzielen kann.

Ich hatte gestern das nette Erlebnis, bei der niederösterreichischen Weingala dabei sein zu dürfen. Dort wurden wieder die besten niederösterreichischen Weine prämiert und die besten Winzer ausgezeichnet. Ich darf all jenen, die Landessieger geworden sind, entsprechend gratulieren. Das zeigt, wie hoch das Qualitätsniveau unserer Weine in Niederösterreich, in Österreich ist und dass wir auf diesem Gebiet national und inter­national gute Marktchancen haben. Diese wollen wir auch nutzen, darum stimmen wir diesem Weingesetz zu. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

15.16


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister Dipl.-Ing. Rupprechter. – Bitte, Herr Minister.

 


15.16.24

Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Hohes Haus! Ich möchte be­tonen, dass ich mich über diese breite Unterstützung der Regierungsvorlage zur Novel­le des Weingesetzes 2016 sehr freue.

Der Inhalt wurde von den Bundesräten und Bundesrätinnen, die hier gesprochen ha­ben, in hervorragender Weise dargestellt, diesen brauche ich nicht zu wiederholen. Die letzten 30 Jahre der österreichischen Weinwirtschaft sind dank eines hervorragenden Weingesetzes eine Erfolgsgeschichte gewesen. Diese Erfolgsgeschichte wollen wir wei­terschreiben, wollen wir weiterführen. Mit dieser Novelle werden die dafür notwendigen Rahmenbedingungen gesetzt. Ich bedanke mich für die breite Unterstützung. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

15.17


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

15.17.497. Punkt

EU-Jahresvorschau des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Um­welt und Wasserwirtschaft 2016 (III-579-BR/2016 d.B. sowie 9592/BR d.B.)

 



BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 105

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen zum 7. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Junker. – Bitte um den Bericht.

 


15.18.16

Berichterstatterin Anneliese Junker: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Minister! Meine Damen und Herren! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Land-, Forst- und Wasserwirtschaft über die EU-Jahresvorschau des Bundesministe­riums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft 2016.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für Land-, Forst- und Wasserwirtschaft stellt nach Beratung der Vorlage am 31. Mai 2016 den Antrag, die EU-Jahresvorschau des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft 2016 zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Samt. Ich erteile ihm dieses.

 


15.19.00

Bundesrat Peter Samt (FPÖ, Steiermark): Frau Präsident! Herr Bundesminister! Ge­schätzte Kolleginnen und Kollegen! Die Vorschau bezieht sich auf das Legislativ- und Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für 2016, das Achtzehnmonatspro­gramm des Rates, das ja bis zum 30. Juni 2017 laufen wird, sowie auf das Arbeitspro­gramm der niederländischen Ratspräsidentschaft für das erste Halbjahr 2016. Nicht enthalten ist das Arbeitsprogramm der slowakischen Präsidentschaft, die Slowakei wird nämlich im zweiten Halbjahr 2016 den Vorsitz im Rat führen. Ich möchte mich in mei­ner Rede auf zwei wesentliche Punkte konzentrieren, das ist zum einen die Landwirt­schaft. Die dort angeführten Punkte, die da lauten, dass sowohl die Europäische Kom­mission als auch die niederländische Präsidentschaft einen ganz wesentlichen Schwer­punkt in den Themen Marktentwicklung, internationaler Handel, Kreislaufwirtschaft so­wie Antibiotikaresistenz sehen – die haben sie sozusagen als Schwerpunkte herausge­nommen.

Auch wird erwähnt, dass geplant ist, den Fokus auf die Wettbewerbsbedingungen und auf eine enge Abstimmung der Gemeinsamen Agrarpolitik mit den assoziierten Märk­ten zu legen; das betrifft auch die Preisgestaltungspolitik sowie die Tier- und Pflanzen­gesundheitspolitik. Es wird die Vereinfachung der Gemeinsamen Agrarpolitik prognosti­ziert.

„Marktsituation und -maßnahmen,“ – man höre und staune – „insbesondere Schweine­fleisch- und Milchmarkt“. – Damit sind wir beim wesentlichen Thema: Das alles sind Kern­punkte, die uns momentan nicht nur bewegen, sondern die uns auch belasten. Ich glau­be nicht, dass wir uns allein mit Überschriften und Ankündigungen, so wie sie hier jetzt dargestellt werden, über diese Etappen retten können.

Gehen wir zum Milchpreis: Die wichtigsten Maßnahmen für die österreichischen Milch­bauern sind also nicht Überschriften und Ankündigungen, sondern wären ganz eindeu­tig die sofortige Aufhebung der Russland-Sanktionen sowie eine Wiedereinführung ei­ner nationalen und auch einer europäischen Quotenregelung. Aber es schaut eher so aus, als ob wir davon meilenweit entfernt wären.

Die offensichtliche Methode hier – dass wir zum Teil in eine Art Schockstarre verfallen sind, nicht nur in Österreich, sondern auch auf europäischer Ebene – müssten wir so­fort einbremsen. Sofort handeln wäre der richtige Zugang, aber der Zugang des so­fortigen Handelns ist hier nicht erkennbar, vor allem auf europäischer Ebene nicht. Wenn wir auf die Asylpolitik schauen, dann sehen wir, dass das nicht unbedingt die gro­ße Stärke dieser Union ist.


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Wie man unter der Überschrift „Marktsituation und -maßnahmen“ erkennen kann, greift die EU lieber in das Geldsackerl der Nettozahler innerhalb der Gemeinschaft, um mit sogenannten Sofortstützungsmaßnahmen – für verderbliches Obst und Gemüse zum Beispiel – den Markt zu stabilisieren, wie sie es nennt, als die schon erwähnten, seit Au­gust 2014 anhaltenden EU-Sanktionen, die aus unserer Sicht völlig unnötig sind, sofort auszusetzen. Es ist für mich wirklich eine unglaubliche wirtschaftliche Irrung, die da da­hintersteht, die auch für die Menschen, die es betrifft, nämlich auch die Unterneh­mungen, die durch diese Maßnahme schon ganz schön ins Schleudern geraten sind, und auch und insbesondere für die Steiermark in vielen Bereichen als tödlich zu be­zeichnen ist. Wenn der ehemalige Agrarkommissar Fischler meint, man könnte viel­leicht mit einer schrittweisen Aufhebung dieser Sanktionen den richtigen Zugang fin­den, dann sage ich Ihnen, das ist zu kurz gegriffen. Wir werden mit schrittweisen Über­gangslösungen hier keinen Erfolg haben.

Der steiermärkische Wirtschaftskammerpräsident Jürgen Roth hat gesagt, grundsätz­lich sieht er das so ähnlich wie Wirtschaftskammerpräsident Leitl (Bundesrat Gödl: Er ist Vizepräsident der Wirtschaftskammer, nicht der steirischen!) – entschuldige! –, wie Wirtschaftskammerpräsident Leitl, der gesagt hat, die Wirtschaft sollte nicht als Instru­ment der Politik missbraucht werden. Auch dort ist schon mitgeteilt worden, dass die Situation für die steirische Wirtschaft alles andere als rosig ist. Ähnlich argumentiert auch die Industriellenvereinigung, dass also zuerst, wie es heißt, die Wirtschaft betrof­fen ist. Dies betrifft nicht nur die Obstwirtschaft, sondern vor allem auch Unternehmen mit Hochtechnologie und Exportorientierung.

Betroffen ist aber auch die steirische Tourismusindustrie. Das Ausbleiben der russi­schen Gäste ist nicht nur befürchtet worden, sondern ist auch tatsächlich eingetreten, vor allem im Städtetourismus, wo viele Gäste ausgeblieben sind. Diese Liste direkter Auswirkungen kann man eigentlich beliebig fortführen.

So zum Beispiel jetzt in der Steiermark: „Die Presse“ hat im März 2016 berichtet, dass der 1995 gegründete Obsthändler „Steirerfrucht“ insolvent ist. Laut KSV, so ist zu lesen gewesen, haben zusätzlich zu den ungenutzten Eigenkapazitäten die Überkapazitäten in Europa und das Russland-Embargo die wirtschaftliche Situation verschärft. Als ak­tuellen Input: Gestern haben wir gelesen, dass durch den Zusammenschluss von circa 600 Obstbauern in der Steiermark der Betrieb und die 97 Mitarbeiter vorerst gerettet wurden.

Diese Liste der Ankündigungen innerhalb des Berichtes der EU geht weiter. Man plant, für 2016 neue Märkte zu öffnen, und man „wird weiterhin Gespräche mit der Rus­sischen Föderation führen, um nicht tarifäre Handelshemmnisse zu beseitigen“. Ich ver­stehe nicht, warum man nicht das Embargo beseitigt. Aber vielleicht wird uns der Herr Minister dazu noch einiges erzählen.

Damit sind wir bei dem Thema angelangt, das ganz offensichtlich auch für die EU erste Priorität hat: die festgelegten Freihandelsabkommen CETA und TTIP. Im Bericht steht: „Für 2016 ist auch eine ambitionierte bilaterale Handelsagenda vorgesehen. Das Trans­atlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) mit den USA bleibt weiterhin prioritär, die Verhandlungen zwischen den USA und der EU werden fortgesetzt.“

Als Nachsatz dazu möchte ich bemerken, dass es in diesem Zusammenhang offen­sichtlich völlig egal ist, was die einzelnen Mitgliedstaaten oder deren politische Vertre­ter darüber denken. Es wird, so wie die letzten Entwicklungen auch im Ausschuss wa­ren, offensichtlich so ausschauen, dass wir zurzeit CETA durch die Vordertüre bekom­men – nötigenfalls ohne Parlamentsbeschluss – und TTIP danach durch die Hintertüre. Ich sage, jeder, der diesem Abkommen zustimmt, beteiligt sich an nichts anderem als an der kompromisslosen Absenkung unserer Lebensmittelstandards und am Export der


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dazugehörenden Gerichtsbarkeit mit Sondergerichten nach Übersee, in die USA, nach Kanada oder sonst wohin.

Das, geschätzte Damen und Herren, kann nicht Ziel einer Außenhandelsbeziehung sein, das lehnen nicht nur wir, die FPÖ, ab, sondern auch viele andere in diesem Land. Da­zu haben wir ja schon sehr, sehr interessante Stellungnahmen von Politikern, sowohl von der ÖVP als auch von der SPÖ, gehört. Dazu vielleicht noch ein Schmankerl, das vor allem für die ÖVP interessant ist. Landesrat Seitinger aus der Steiermark hat wort­wörtlich gesagt:

Er „verstehe, dass die Industrie auf ein Freihandelsabkommen hofft. Die Landwirtschaft dürfe aber nicht geopfert werden. Das fängt mit dem Freihandelsabkommen Ceta (…) an. Da sind ‚sehr wohl negative Auswirkungen zu erwarten‘. Noch mehr Importe von Schweinefleisch etwa – das ‚wäre Öl ins Fegefeuer unserer Schweinebauern gießen‘“.

„Die Freihandelsabkommen würden ‚ein Absenken der Erzeugerpreise, und schließlich unserer Standards‘ bewirken. Daher:“ – sagt er, der Herr Landesrat – „‚TTIP ist ein to­tes Pferd.‘ Der Agrarsektor, vor allem bei einer kleinstrukturierten Landwirtschaft wie in Österreich, müsse aus dem Abkommen herausgelöst werden.“

Dort möchte ich mich anschließen, damit möchte ich fast schon abschließen: TTIP ist ein totes Pferd! Ein Indianersprichwort sagt (Bundesrat Mayer: Reite nie ein totes Pferd!): Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steige ab.

Damit bin ich am Schluss, geschätzte Damen und Herren. Unsere Haltung zu diesem Bericht ist eine klar ablehnende. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FPÖ.)

15.28


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Tiefnig. Ich erteile ihm dieses.

 


15.28.31

Bundesrat Ferdinand Tiefnig (ÖVP, Oberösterreich): Geschätzte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Dieser Bericht ist umfas­send, er beginnt mit den Aussichten auf die Zukunft der Agrarmärkte und endet mit dem Fischereibericht, in dem die Netze beschrieben werden, wie dick oder wie dünn sie geflochten werden. Ich muss sagen, dieser Bericht ist zwar kurz, enthält aber sehr viel.

Da wir gerade etwas zur Ausrichtung der zukünftigen Märkte gehört haben: Ich war vor circa zehn Tagen in Russland, habe mich massiv mit dem Bereich neue Märkte be­schäftigt und kann nur eines sagen: Russland hat nicht einmal doppelt so viele Ein­wohner wie Deutschland, aber eine Fläche von 17 Millionen Quadratkilometern. Die Rus­sische Föderation hat in den letzten Jahren die Eigenversorgung sichergestellt. Also in diesen Bereich, kann ich nur sagen, werden wir nur mehr mit Spezialprodukten hinein­kommen, alles andere können wir uns abschminken. Das ist so, darüber habe ich ge­nügend gehört. Wir können mit Saatgut, mit entsprechendem genetischem Zuchtma­terial und im Milchbereich vielleicht noch mit Hartkäse in den Markt hineinkommen, wenn die Sanktionen zurückgenommen werden, aber dann ist es ziemlich zu Ende.

Ich danke unserem Herrn Bundesminister, dass er einen Ägypten-Besuch gemacht hat, da es uns dort auch in Zukunft möglich ist, Märkte zu erschließen. Das ist ein wich­tiger Punkt, denn wir haben auch eine andere Situation: Die Preise auf den Agrar­märkten waren natürlich für die Landwirtschaft interessant, somit hat man die Produk­tion angekurbelt. Irland produziert durch die Steigerung allein so viel Milch, wie Öster­reich erzeugt, und somit drücken sie mit ganz anderen Voraussetzungen auf den euro­päischen Markt. Neuseeland hat eine dementsprechende Voraussetzung und kann das


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Potenzial auch jetzt ausschöpfen, weil sie keine Katastrophen haben. Somit hat sich im globalen Bereich ein massiver Druck auf den Lebensmittelsektor ergeben.

Aber eines sage ich schon: Es kann in diesem Bereich nicht sein, dass Palmöl stetig in unserem Eis vorhanden ist. Wir können im Eis auch unser Milchfett einsetzen, das hat keine Kilometer drauf und ist CO2-neutral.

Damit komme ich zum nächsten Punkt, der immer wieder auch bei uns im EU-Aus­schuss des Bundesrates Thema ist, das ist die europäische Energieversorgung. Wir sehen, die Atomlobby versucht hier immer wieder, Türen und Wege zu öffnen, um auf den europäischen Energiesektor zu kommen.

Wir sehen es bei der Klima- und Wärmestrategie der Europäischen Union. Hier gibt es wieder einen Vorschlag, bei dem vielleicht die Atomlobby durch das Hintertürl herein­kommen würde. CO2-Neutralität: Natürlich ist Atomenergie CO2-neutral, aber in Wirk­lichkeit wissen wir heute noch nicht, was mit der Lagerhaltung in Zukunft möglich sein wird, was Endlager in Salzstöcken wie in Deutschland hergeben. Diese werden sich in ih­rer geologischen Gestaltung in hundert oder zweitausend Jahren vielleicht ganz anders verändert haben, als wir es zurzeit glauben.

Ein weiterer Punkt ist natürlich die Klimastrategie, und wir sehen es genau jetzt, in die­ser Zeit wieder, besonders in meinem Raum, im bayerisch-innviertlerischen Raum, wo massive Niederschläge niedergegangen sind. Ich brenne fast und bin froh, wenn ich morgen bei den Feuerwehrkameraden sein kann, um Hilfe zu leisten. Ich habe gerade gesehen, ganze Truppen aus Bayern und Österreich sind in diese Krisenregion unter­wegs, um zu helfen. Ich danke allen Feuerwehrmännern und -frauen und allen Freiwil­ligen, die im Einsatz sind! Es wird wichtig sein, dass wir die Klimaziele erreichen, das wird essenziell wichtig sein für die Zukunft. Ich kann nur eines sagen: Wir können nicht abschätzen, welche Katastrophen durch Vulkanausbrüche oder sonstige Ereignisse ein­treten können, aber wir können hier in der CO2-Minimierung unsere Leistung erbringen.

Ein weiterer Punkt ist natürlich auch das Thema Regionalität, auch im Milchbereich, im Bereich der Schulen, wo wir mit den 100 Millionen € geschaut haben, dass in Schulen und in öffentlichen Einrichtungen dementsprechend regionale Produkte unterkommen. Ein Punkt wäre auch wichtig, nämlich das Bestbieter-Programm der Bundesregierung, das Möglichkeiten geschaffen hat, unsere regionalen Produkte in allen öffentlichen Ein­richtungen unterzubringen. Das fängt in der Hotellerie an, das endet in den öffentlichen Einrichtungen, ob das in der Stadt Wien ist, ob das in dementsprechenden politischen Einrichtungen ist. Ich bin überzeugt, dass, wenn wir die Strategie der Regionalität wei­terverfolgen, unsere Landwirtschaft eine entsprechende Chance hat.

In diesem Sinne noch ein herzliches Danke, Herr Bundesminister! Wir stehen dem Be­richt natürlich positiv gegenüber. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bun­desräten von SPÖ und Grünen.)

15.32


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dörfler. Ich erteile ihm dieses. (Bundesrat Mayer: Du hast ja dein halbes Büro mit!)

 


15.33.07

Bundesrat Gerhard Dörfler (FPÖ, Kärnten): Ich habe das halbe Büro mit, weil ich mich um die Bauern in Österreich sorge, lieber Freund. Das ist gar nicht so zum La­chen. (Bundesrat Mayer: Ich habe gar nicht gelacht!) Als Vorarlberger würde ich da ein bisschen zurückhaltend sein. Denn, Herr Bundesminister, es gibt ja seit Jahren die Fern­sehserie „Bauer sucht Frau“. Ich sage, wir werden eine neue Serie brauchen: „Bauer sucht Zukunft“. Das ist die Sorge, wenn wir uns die Schlagzeilen der letzten Tage, nur der letzten Tage, ansehen: „Die Rückkehr des Milchsees“, „Milchpreis ganz ohne Rahm-


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schicht“, „19 Cent in Deutschland: Milchkrise spitzt sich zu“, „Milchwirtschaft in der Kri­se“. – Auch Bio-Milch ist unter Druck, vom Schweinepreis rede ich ja gar nicht.

Jetzt schauen wir uns einmal die Entwicklung der letzten Jahre an. Ich hätte gerne über den Wein gesprochen, das ist das positive Beispiel, das funktioniert, aber die Land­wirtschaft im Milchbereich ist wirklich ein Sorgenkind, das zeigen die Zahlen und Fak­ten. Erzeugerpreis pro Kilo Milch: Da hatten wir im Jahr 1980 27 Cent pro Kilo, im Jahr 1993, vor dem EU-Beitritt, 42 Cent. Dann kam der EU-Beitritt: Absturz auf 27 Cent. Der Milchpreis ist 2007/08 auf 39 Cent geklettert, dann ist er, nach einem Absturz auf 29 Cent, wieder auf 40 Cent geklettert, und jetzt sind wir sozusagen wieder voll in der Krise.

Wie hat sich die Milchlieferung in Österreich entwickelt? – 1980 hatten wir 2,24 Millio­nen Tonnen, 1995 war mit etwa 2,29 Millionen Tonnen gleich, und 2015 3,10 Millionen Tonnen. – Das ist eine Steigerung von 39,5 Prozent. Wenn wir uns dagegen die Ent­wicklung bei den Milchbauern anschauen: Wir hatten 1980 134 000 Milchbauern, 1995 hatten wir 84 000 Milchbauern, jetzt sind es 30 000 Milchbauern. Das heißt, von 1980 bis 2015 gab es einen Rückbau, Rückfall, einen Absturz von 77 Prozent der Milchbau­ernbetriebe in Österreich. Das ist dramatisch. Das ist nicht so zum Lachen, Herr Kol­lege Mayer! (Bundesrat Mayer: Ich habe nichts gesagt!) – Du hast ziemlich höhnisch gegrinst, das möchte ich schon festhalten. (Bundesrat Mayer: Ich habe jetzt gar nicht gelacht!)

Zu den Milchkühen: 1980 hat es 974 000 Kühe gegeben, 1995 638 000 und 2015 529 000. – Das ist ein Rückgang von 17 Prozent.

Wenn man diese Zahlen ein bisschen Revue passieren lässt, dann sieht man, dass quasi ein Tier, eine Milchkuh, zu einer Hochleistungstankstelle degradiert wurde. Das heißt, man erhöht die Mengen zulasten der Tierqualität. Der Industriebauer ist der, der ein Tier sozusagen als technisches Gerät irgendwo stehen hat, das sozusagen Nutzen bringen soll. – 6 000 Kilo Milch pro Kuh, in Deutschland sind es circa 12 000 Kilo.

Was auch noch interessant ist, ein aktueller Bericht: Gestern war Tag der Milch. Das ist ja sowieso betrüblich, ein schwarzer Tag, kein weißer Tag, würde ich einmal behaup­ten. Österreich exportiert Milchprodukte im Wert von 1,16 Milliarden und importiert im Wert von 697 Millionen. Was aber schon erstaunlich ist: Im Buttersektor dominieren al­lerdings die Einfuhren, da vor allem die Lebensmittelketten und die verarbeitende In­dustrie sehr viel importieren. Das heißt, wir haben in Österreich einen Milchsee und gleichzeitig importieren wir Butter. (Bundesrat Todt: Irische Butter!) Diese Marktme­chanismen sind ja wirklich unglaublich.

Die Produktionskapazität Europas ist vielleicht auch noch interessant. Die ersten zwei Monate 2016: Rohmilch plus 7,4 Prozent, Butter plus 10,1 Prozent, Vollmilchpulver plus 22 Prozent, Trinkmilch 0,7 Prozent, 4,8 Prozent Käse.

Jetzt komme ich zu einer Entwicklung, wie die Leistungskuh sozusagen funktioniert, zu einem Bericht aus der „Süddeutschen Zeitung“, und da muss es ja jedem Menschen, der Respekt vor einem Tier hat, und jedem redlichen Bauern den Magen umdrehen. Es ist nämlich so, dass aufgrund der Preissituation Sojafutter schon zu teuer ist, deshalb mischt man jetzt Harnstoffe bei. Das heißt, in Deutschland gibt es Futtermittel, mit de­nen man die Milchproduktion noch einmal um 2 000 Kilo pro Jahr pro Kuh erhöht, in­dem man diese Hochleistungstankstellen sozusagen mit Harnstoff füttert.

Wie weit haben wir es denn gebracht? Das muss man jedem Konsumenten sagen, und da muss man unsere Bauern vor diesem schrecklichen Wettbewerb zulasten der Tiere schützen. Das ist eine Diskussion, die auch zu führen ist: Wir müssen einerseits den Konsumenten, andererseits den Handel und letztendlich auch den Bauern auf diesem


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Irrweg sozusagen begleiten, um hier wieder herauszufinden. Hochinteressant: In der heu­tigen „Kleinen Zeitung“ schreibt ein Kärntner Bauer, ein Hubert Thaler aus Obervel­lach – Bürgermeister Novak wird ihn vielleicht sogar kennen, das dürfte ein Nachbar von ihm sein –:

„Trauriges Spiel“

„Etwa zwölf Bauern schließen täglich für immer ihre Stalltüre.“ Weiter schreibt er: „Nur eine Vereinigung wächst und gedeiht vorzüglich: die AMA“. Zum Schluss schreibt er dann: „Doch auch die beste Bürokratie versiegt, wenn die tote Kuh keine Milch mehr gibt.“

Das zeigt ja auch heute ein Bericht im „Standard“: „Agrargelder für Internet und Bil­dung“. Wisst ihr, wer die größten Brocken der Agrarförderung bekommt? – Die Büro­kratie, die AMA. Wörtliches Zitat:

„Die größten Brocken gingen an Institutionen, die mit Landwirtschaft zu tun haben: Die Agrarmarkt Austria ist mit 26 Millionen Euro die größte Empfängerin von Landwirt­schaftsgeldern. Die AMA bekommt dieses Geld als ‚technische Hilfe‘, dafür, dass sie die Gelder auszahlt.“

Das heißt, in erster Linie ist das wieder eine Art Bürokratie. Wenn der Herr Bundes­kanzler und der Herr Vizekanzler von Bürokratieabbau reden, dann würde ich wohl mei­nen, dass auch in der Landwirtschaft ein Bürokratieabbau dringend notwendig ist, denn 26 Millionen sozusagen als Förderung für Bürokratie, das hilft den Bauern nicht wirk­lich. Da muss man sich doch aufgrund der heutigen technischen Möglichkeiten schon ernsthaft überlegen, Herr Bundesminister, dass es Mechanismen gibt, bei denen ich nicht 26 Millionen pro Jahr für Bürokratie aufbrauche, die würde ich lieber kleinbäuer­lichen Betrieben geben. (Bundesrat Preineder: … selber auszahlen!)

In Österreich habe ich Betriebe mit durchschnittlich 15 Kühen. Vor Kurzem war eine Delegation Kärntner Bauern in den USA, wo es Farmer mit 500 000 Kühen gibt. Dort hat man sie gar nicht hingelassen, weil das Giftfabriken sind und sonst gar nichts.

Wir haben die Aufgabe – und das vermisse ich auch bei der europäischen Politik –, dass wir tatsächlich dafür Sorge tragen, dass unser Bauernstand (Zwischenrufe bei der ÖVP), unsere Lebensqualität, unsere Gesundheit, die mit gesunden Nahrungsmitteln in tiefer Beziehung steht, letztendlich geschützt werden.

Herr Bundesminister! Ich habe damals gemeint, dass die Aufhebung der Milchquote zu einem Fiasko führen wird. Wir stehen mittendrin in diesem Fiasko! Erst heben wir die Milchquote auf, dann geht die Landwirtschaftskammer in Kärnten her und hängt Trans­parente auf. Zuerst zerstört man den Bauern das Einkommen, und dann heißt es: „Bau­ernfleiß braucht fairen Preis“. Das sind dann die Transparente, die die Landwirtschafts­kammer mit dem Fördergeld sozusagen finanziert. Ich meine, das ist so etwas von ver­rückt, das muss man sich einmal einfallen lassen!

Die Russland-Sanktionen: Ja, jetzt habe ich gerade gehört, in Russland ist nichts mehr zu holen. Aber wir haben etwas verloren! Das ist ein Faktum. Rede einmal mit dem Chef der Kärntnermilch darüber, was es für eine regionale, hochqualitative Molkerei be­deutet, von einem Tag auf den anderen Millionenmärkte zu verlieren!

Zuerst sanktionieren wir – ich habe mir eigentlich gedacht, wir sind ein neutrales Land, wir müssen nicht jeden Blödsinn der EU mitmachen –, und jetzt fallen sie wieder auf die Knie vor dem Herrn Putin! Einer nach dem anderen küsst ihm die Füße, um sozu­sagen die Sanktionen wieder rückgängig zu machen. Das hätte man sich schon vorher überlegen müssen, ob man mit Sanktionen vorgeht, die noch nie etwas gebracht ha­ben! Was haben sie im Iran gebracht? Was haben sie in anderen Regionen ge­bracht? – Dann kriechen wir wieder zu Kreuze, wenn wir draufkommen: Statt mit Sank-


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tionen Schäden anzurichten, die irreparabel sind, ist es besser, politisch gut zu verhan­deln.

Ich sage: Kein Bauer – kein vitaler ländlicher Raum. Kein Bauer – keine Landschafts­pflege. Kein Bauer – kein Urlaub auf dem Bauernhof. Kein Bauer – keine gesunde Ernäh­rung. Kein Bauer – keine nationale Selbstversorgung. Kein Bauer – kein Leben auf dem Land!

Herr Bundesminister! Das ist eine Sorge, die ich leidenschaftlich vertrete, denn ich kom­me aus einem Dorf mit bäuerlichen Betrieben. Ich kann dir sagen, wie es wird in mei­nem Dorf Werschling bei Himmelberg: Da haben wir zwölf Bauern, und ich fürchte, dass wir in absehbarer Zeit nur noch maximal zwei davon haben werden. Das sind Familien­geschichten seit Jahrhunderten, das sind familiäre Arbeitsplätze, das sind eben die Land­schaftspfleger und Schwerarbeiter, die wir verlieren! Und wo haben wir den Arbeits­markt für diese jungen Menschen, für diejenigen, die gern möchten?

Oder wenn ich mir jetzt aktuell wieder das Theater mit dem Maschinenring anschaue! Die Bauern arbeiten dort fleißig, und die Herren Chefs kassieren ab, dass du glaubst: Gibt’s das? – Über 70 000 € der Herr Vorsitzende des Aufsichtsrates für ein paar Sit­zungen pro Jahr, das ist skandalös!

Hören wir doch endlich auf, in Österreich eine teure Bürokratie zu finanzieren, sondern tragen wir Sorge dafür, dass erstens ein fairer Wettbewerb herrscht, zweitens, dass der Bauer wirklich wieder ein stolzer, selbstbewusster Bauer sein kann! Dazu braucht es auch entsprechende Regelungen, ob das Quoten sind, ob das Fixpreise sind, was auch immer. Es ist ja unglaublich: Ein Unternehmen wie die Kärntnermilch gehört den Kärnt­ner Bauern – das heißt, der Molkereichef, der von den Bauern angestellt wird, muss den Bauern sagen, ich kann euch für die Milch nichts mehr zahlen!

Das ist eine Entwicklung, die dramatisch ist, da gibt es nichts zu lachen. Herr Bundes­minister, da hast du unsere volle Unterstützung, wenn es darum geht, Lösungen für Bauern zu finden, dass wir eine bäuerliche Zukunft haben. (Beifall bei der FPÖ. – Bun­desminister Rupprechter: Das werde ich noch einfordern! – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

15.43


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Lindner. Ich erteile ihm dieses.

 


15.43.22

Bundesrat Mag. Michael Lindner (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsi­dentin! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir am Tag nach dem Weltmilchtag über die EU-Jahresvorschau zur Landwirtschaft reden, dann ist klar, dass eigentlich wir alle, die wir jetzt gesprochen haben, über die Situation der Milch­bauern und Milchbäuerinnen sprechen. Wenn die konventionellen Milchbauern nur mehr knapp 29 Cent pro Kilogramm bekommen, wenn teilweise ein Liter Milch billiger als ei­ne Flasche Mineralwasser ist, dann wissen wir, dass in diesem System insgesamt etwas gehörig nicht stimmen kann.

Man muss, glaube ich, dazusagen: Das Auslaufen der Milchquote war ja nichts Überra­schendes, das jetzt über uns hereingebrochen ist, sondern ist ein lange geplanter Schritt gewesen, der von vielen, auch hier herinnen, befürwortet worden ist. Insofern muss man sich, glaube ich, auch die Frage stellen: Wieso sind denn unsere Milchbauern oder Milch­bäuerinnen nicht besser auf Übergangsszenarien vielleicht zu anderen Feldern vorbe­reitet worden?

Die Reaktion, denke ich mir, war klar: Mit einer Mehrproduktion haben die Bauern ver­sucht, ihren Einkommensverlust auszugleichen, einen Ausgleich zu erzielen. Da kom­men wir eben zu einem Selbstversorgungsgrad von 150 Prozent in Österreich, was die


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konventionelle Milcherzeugung betrifft. Kollege Dörfler hat schon diese Entwicklung zu Turbokühen angesprochen, die ja wirklich befremdlich ist. Insofern ist es meiner Mei­nung nach wichtig, dass wir im Juni in diesem vereinbarten Milch-Dialog mit allen Frak­tionen im Parlament zu Lösungsmöglichkeiten kommen, die heißen können, natürlich wieder eine Quote einzuführen, Fixpreise oder was auch immer.

Aber ich glaube, dass es auch wichtig ist, die Bio-Landwirtschaft in Österreich noch weiter und rascher auszubauen, dass es auch eine Option für unsere Milchbauern und Milchbäuerinnen sein kann, verstärkt auf Bio- oder Heumilchprodukte umzusteigen, weil da ganz andere Kilopreise zu erzielen sind. Ich glaube, dass es für unsere Bauern und Bäuerinnen auch wichtig sein wird, dass diese Überbrückungsunterstützung der EU für die private Lagerhaltung von Butter und Magermilchpulver verlängert wird.

Aber ich glaube auch, dass es zu kurzfristig und zu kurzsichtig ist, diese Situation nur auf die Russland-Sanktionen zu schieben. Ich glaube, man muss sich schon auch die Fördersituation und Förderstruktur allgemein anschauen: 30 Prozent des EU-Budgets gehen in Direkthilfen für die Landwirtschaft, 9 Prozent in die Entwicklung des ländli­chen Raumes. Über die Gemeinsame Agrarpolitik fließen in der aktuellen Periode ins­gesamt, glaube ich, ungefähr 9 Milliarden € allein nach Österreich, aufgeteilt in die ers­te Säule, diese Direktzahlungen, und in die zweite Säule, das Programm für ländliche Entwicklung.

Meiner Meinung nach ist es nicht die Diskussion, ob zu wenig Geld für die Landwirt­schaft vorhanden ist, sondern die Frage ist ganz einfach: Wie ist denn dieses Geld ver­teilt? – Ich glaube, in der Politik sollten wir schon danach trachten, dass wir möglichst viel steuernd und regelnd unternehmen und eingreifen können.

Wenn die erste Säule – und das sind für diese Periode in Österreich immerhin 4,9 Mil­liarden € – de facto in eine Flächenförderung geht, dann haben wir in der Politik da nicht sehr viel Gestaltungsspielraum. Es profitieren von dieser Förderstruktur ganz ein­fach die großen landwirtschaftlichen Einheiten. Auch wenn man in der aktuellen Perio­de erste Verbesserungen für kleinere Landwirtinnen und Landwirte angegangen ist, mei­ne ich, mehr Mittel und ein stärkerer Schwerpunkt auf der zweiten Säule würden für uns auch viel mehr Steuerungsmöglichkeiten bringen.

Ich glaube, man muss in der Agrarpolitik zu dem Punkt kommen, dass der Arbeits­einsatz der Landwirtinnen und Landwirte als Maßstab für die Fördermittelverteilung he­rangezogen werden sollte. Gerade wenn sich die Milchbauern im Endeffekt 365 Tage im Jahr um das Melken und den Stall kümmern müssen, dann braucht es da eine stär­kere Unterstützung. Da muss sich Arbeit einfach auch wieder lohnen!

Neben diesem landwirtschaftlichen Bereich möchte ich noch kurz auf die Klimapolitik zu sprechen kommen, weil auch das ein großer Schwerpunkt im vorliegenden Bericht ist. Die Vereinbarungen von Paris – das war heute schon einmal Thema – sind natür­lich ein historischer Schritt, dem jetzt konkrete Taten folgen müssen, damit wir 2050 zu diesem Gleichgewicht zwischen Ausstoß und Absorption von Treibhausgasen kommen.

Ich glaube, wichtig ist jetzt, dass wir in Österreich diese Ziele auf breiter Ebene disku­tieren. Es war wichtig, dass man im Parlament eine breite parlamentarische Enquete in diese Richtung angestoßen hat, denn ich glaube, wir müssen es gemeinsam schaffen, auch die Bevölkerung, die ja die Bereitschaft zeigt, etwas für den Klimaschutz zu tun, mitzunehmen und als Motor für die Zielerreichung zu nutzen.

Außerhalb des Emissionshandels sind Gebäude, Verkehr und Landwirtschaft die drei großen Punkte, wo wir etwas tun können. Das kann also nur heißen – und wir haben ja in der Früh auch schon darüber diskutiert –: weiterer Ausbau des öffentlichen Verkehrs, gute thermische Gebäudesanierung, aber auch – und das möchte ich an einem Bei­spiel skizzieren – Vorrang für regionale Energieerzeugung und lokale Initiativen.


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Wir haben im Bezirk Freistadt, meinem Heimatbezirk, den Energiebezirk. Das ist ein re­gionaler Verein, der Bewusstseinsarbeit für Klima- und Energiepolitik macht, Gemein­de-Energiegruppen betreibt und Beratung betreibt. Diesem Verein ist es in den letzten Jahren gelungen, das größte virtuelle Sonnenstromkraftwerk Österreichs zu errichten, mit Förderpolitik, aber auch mit Bürgerbeteiligung.

Wir haben es im Bezirk in den letzten Jahren geschafft, 230 Einzel-Photovoltaikanla­gen mit einer Gesamtfläche von 35 000 Quadratmetern zu errichten, in Gemeinden auf kommunalen Einrichtungen, aber auch auf privaten Gebäuden. Das entspricht unge­fähr einer Energieleistung, mit der wir im Bezirk Freistadt 1 500 Haushalte mit Strom versorgen können. Das sind Initiativen, die vor Ort gemeinsam mit den Menschen ent­wickelt worden sind, wo Strom CO2-neutral produziert werden kann und die auch stark im Bewusstsein der Bevölkerung verankert sind.

Deswegen war es, glaube ich, auch wichtig, dass wir am Dienstag im EU-Ausschuss zur EU-Strategie zur Wärme- und Kälteerzeugung auch eine Mitteilung beschlossen und verabschiedet haben, wo wir gesagt haben, dass wir uns gegen die geplante Bün­delung zu Großprojekten im Energiebereich, die die Finanzierung und die Förderung gerade für regionale Akteure und Projekte schwieriger macht, dass wir uns gegen die­se Entwicklungen verwahren. Es braucht, glaube ich, diese vielen kleinen und lokalen Projekte, damit wir im Gesamten der Klimaveränderung Einhalt gebieten können.

Ich hoffe sehr, dass wir da aus Österreich sehr viel Schwung zustande bringen können, um diese Diskussion auf EU-Ebene auch in die richtige Richtung lenken zu können. – Herzlichen Dank. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

15.49


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Schreyer. Ich erteile ihr dieses.

 


15.50.09

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseher hier und zu Hause am Computer! Wir besprechen heute hier die EU-Jahresvorschau 2016 des Lebensministeriums. Dem Bericht werden wir auch sehr gerne zustimmen. Vielen Dank an die MitarbeiterInnen des Ministeriums!

Inhaltlich sind die Positionen der EU sehr übersichtlich zusammengefasst. Etwas ganz Wesentliches fehlt jedoch fast im gesamten Bericht – und mich wundert es, dass das von meinen Vorrednern niemand angesprochen hat –, nämlich die österreichische Po­sition zu den Punkten. Genau dieses Manko habe ich auch schon vor zwei Jahren, als es um die EU-Jahresvorschau 2014 ging, angemerkt und auch letztes Jahr bei der Vor­schau auf 2015.

Im Bundes-Verfassungsgesetz steht in Artikel 23f, dass jeder Bundesminister, jede Bundesministerin zu Beginn jedes Jahres über die zu erwartenden Vorhaben des Ra­tes und der Kommission zu berichten hat sowie über die voraussichtliche österreichi­sche Position dazu, was ja der viel spannendere Teil wäre. Denn jetzt ist es eben so: Wir haben den Bericht da und können uns eigentlich selbst heraussuchen, was jetzt die österreichische Position ist. Unterscheiden wir uns da? Sind wir hier d’accord da­mit? Wie schaut es aus? – Genau das haben wir eben auch schon letztes und vor­letztes Jahr eingefordert, 2016 ist es immer noch nichts damit geworden. Jetzt freue ich mich doch auf 2017.

Herr Minister! Ich werde mich jetzt kurz fassen und nur ein paar Punkte herausheben. Ein großer Schwerpunkt ist – wenig verwunderlich, es ist auch schon vorhin angespro­chen worden – die Klimapolitik. Die Umsetzung des Weltklimavertrags von Paris muss


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jetzt wirklich die vordringlichste Bemühung sein. Aber eben auch hier fehlt die öster­reichische Position, aus der hervorgeht, wie die Umsetzungen in den einzelnen EU-Län­dern genau geplant sind. Wie Österreich dazu steht und sich einbringen möchte und wie es Österreich forciert, fehlt eben auch in dem Bericht.

Weitere Punkte: Wir sehen es zum Beispiel sehr, sehr kritisch, dass Österreich sich für eine Abschwächung der Richtlinien zur Verringerung der nationalen Emissionen einge­setzt hat. Das Paket zur Abfall- und Kreislaufwirtschaft, das im Bericht auch vorkommt, ist aus unserer Sicht sehr, sehr wichtig. Der Kommissionsvorschlag sollte hier sogar noch nachgebessert werden. Auch hier wäre es toll, wenn Sie sich auf EU-Ebene dafür noch einsetzen könnten.

Aus dem Feld Naturschutz und Biodiversität habe ich mir einen Punkt herausgesucht, nämlich Natura 2000. Die Natura-2000-Richtlinie – die EU-Kommission ist schon dabei, sie zu evaluieren beziehungsweise einem Fitness-Check zu unterziehen – soll 2016 fer­tig und angepasst werden. Es haben jetzt einige Umweltminister und ‑ministerinnen von EU-Staaten – laut meinem letzten Wissen waren es acht, ich weiß nicht, ob sich in­zwischen schon mehr angeschlossen haben – einen Brief an den EU-Umweltkommis­sar geschrieben und ihn darin aufgefordert, die Richtlinie so beizubehalten, wie sie zum derzeitigen Stand ist, und deren Implementierung noch mehr zu forcieren.

Sie haben sich hier nicht angeschlossen, trotz der Aufforderung durch einige Natur­schutzlandesrätInnen. Das ist mir ein bisschen unverständlich, weil ich finde, gerade Natura 2000 ist in Österreich einfach ein sehr, sehr wichtiges Thema. Wir sind im Mo­ment doch auf einem sehr guten Weg.

Zu CETA und TTIP: Es ist von meinen Vorrednern schon sehr, sehr viel gesagt wor­den, also gerade im Bundesrat, wo wir die Interessen der Länder vertreten. Es gibt jetzt schon Beschlüsse der Landeshauptleutekonferenz, es gibt teilweise Beschlüsse der Landtage, die TTIP sehr, sehr kritisch sehen und einen Standardverlust in ökologischer und sozialer Hinsicht befürchten. Diese Beschlüsse, entweder von den Landtagen oder von der Landeshauptleutekonferenz, fordern die Bundesregierung auf, sich dafür ein­zusetzen, CETA zu stoppen und TTIP nur unter Einhaltung von hohen ökologischen und sozialen Standards weiterzuführen.

Zum Thema Milchwirtschaft ist von meinen Vorrednern wirklich schon sehr, sehr viel gesagt worden. Ich kann mich den meisten Dingen anschließen. Unsere Sicht ist ganz im Gegenteil – man hat es bei den Vorrednern schon gemerkt, es gibt irgendwie zwei Strategien, die verfolgt werden –, Absatzmärkte zu finden, um eben unseren Milchsee so gut wie möglich zu verkaufen und loszuwerden; und die andere Sicht, die ich eben­falls schon gehört habe und die auch die grüne Sicht dazu ist: nicht auf Quantität, sondern weiter auf Qualität zu setzen, also in der Milchwirtschaft einfach in verstärktem Maße in Richtung Bio, in Richtung Nachhaltigkeit zu gehen, um eben die Milchwirtschaft für unsere österreichischen Milchbauern und Milchbäuerinnen wieder lohnenswerter zu machen.

Auch hier fehlt im Bericht die österreichische Position dazu. Es würde mich auch sehr stark interessieren, was jetzt wirklich die Ausrichtung der Bundesregierung und des Mi­nisteriums dazu ist. – Danke schön. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

15.56


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Dipl.-Ing. Rupprechter. – Bitte, Herr Minister.

 


15.56.08

Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter: Frau Vorsitzende! Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Bundes-


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minister! Lassen Sie mich in aller gebotenen Kürze auf die Debattenbeiträge eingehen. Ich werde jetzt nicht den gesamten Bericht kommentieren; ich glaube, das ist aus­führlich geschehen. Aber angesichts der Zeit – Sie wollen ja um 16 Uhr eine dringliche Debatte abführen – möchte ich doch insbesondere auf das Thema Marktkrise, vor al­lem in der Milchwirtschaft, eingehen, weil es angesprochen wurde und auch höchst ak­tuell ist.

Und natürlich die Betroffenheit – Herr Bundesrat Dörfler, da leide ich mit Ihnen mit! Ich komme selbst aus einem Milchviehbetrieb und weiß, wie schwierig gerade jetzt die Si­tuation in den Betrieben ist. Es ist ja auch so – das ist auch richtig angesprochen wor­den –: Die derzeitige Preiskrise am Milchsektor – alles unter 30 €-Cent ist einfach eine dramatische Entwicklung, und wir sind jetzt leider über diese Schwelle gekommen – hat vor allem zwei Ursachen.

Es ist für den europäischen Markt mit Russland, mit dem Russland-Embargo, mehr oder weniger ein Drittel der europäischen Käseexporte weggebrochen – ein ganz wich­tiger Drittlandmarkt! Da ist nicht nur Österreich betroffen, sondern die gesamte euro­päische Milchwirtschaft. Davon kann man sich nicht innerhalb eines Jahres erholen, man kann nicht so schnell andere Drittlandmärkte aufmachen.

Übrigens sind wir, glaube ich, in der Einschätzung des Embargos nicht weit vonein­ander entfernt. Ich mache mich auch stark dafür, dass wir endlich wegkommen von den Sanktionen, vom gegenseitigen Sanktionieren und auch vom Embargo. Ich halte nicht viel davon. Ich war auch dieses Jahr in Russland und werde im Herbst noch einmal bei der „Goldenen Herbst“-Messe in Russland sein, weil dieser Markt einfach extrem wich­tig für uns ist.

Natürlich hat auch das Auslaufen der Milchquote dazu beigetragen, dass auf dem eu­ropäischen Markt eine deutliche Mehranlieferung derzeit auf den Markt drückt und auch den Preis drückt. Das ist unbestritten. Die europäischen Märkte sind vor allem von Nord­europa – von Irland, von Norddeutschland, von den Niederlanden und Dänemark – mit Ausweitungen von zum Teil über 20 Prozent belastet. Die österreichischen Milchbau­ern sind in der Ausweitung des Marktes relativ moderat gewesen, aber natürlich insge­samt von dieser europäischen Entwicklung mit betroffen.

Was die Lösungsansätze betrifft: Das muss auch eine europäische Lösung sein, das ist unbestritten. Wir haben gerade jetzt in Amsterdam beim informellen Agrarminister­treffen neuerlich mit Phil Hogan darüber gesprochen. Es wird bei der Sitzung im Juni eine entsprechende Vorlage von Kommissar Hogan für ein zweites Hilfspaket geben, und spätestens im Juli werden wir einen Beschluss dazu fassen. Ich bin überzeugt da­von, dass sich auch der Europäische Rat in seiner Juni-Tagung mit der aktuellen Markt­krise auseinandersetzen wird.

Was wir aber natürlich auch brauchen, sind kurzfristige Maßnahmen zur Entlastung, zur Stärkung der Liquidität der Betriebe. Die AIK-Stundung war eine solche, und ich un­terstütze auch die Forderung des Vorsitzenden des Agrarausschusses Jakob Auer, dass wir in dieser schwierigen Phase jetzt auch die Erstattung der Sozialversicherungsbei­träge eines Quartals zustande bringen müssen.

Wenn dazu eine Gesetzesänderung erforderlich ist – das würde immerhin eine Entlas­tung unserer Betriebe in der Größenordnung von 170 Millionen € bedeuten –, wenn es also eine solche gesetzliche Initiative, eine Änderung dazu geben muss, dann werde ich Ihre Unterstützung auch einfordern, Herr Bundesrat Dörfler, und die Ihrer Fraktion. Ich hoffe, dass Sie das dann auch mit unterstützen.

Wir brauchen gerade jetzt auch einen New Deal für die Landwirtschaft. Ich darf daran erinnern, dass der New Deal von Roosevelt auch eine sehr starke agrarische Kompo­nente enthielt. Die brauchen wir gerade jetzt, in dieser schwierigen Situation.


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Was wir auch brauchen, ist eine mittel- und langfristige Gesamtstrategie für den Milch­sektor. Wir diskutieren beim Milchdialog, einer parlamentarischen Initiative, am 14. Juni darüber und werden dazu selbstverständlich auch eine Debatte im Bundesrat führen, auf die ich mich schon freue.

Lassen Sie mich in aller Kürze auch noch auf den Umweltbereich eingehen. Der Welt­klimavertrag ist das erste umfassende Abkommen, und ich trete für eine möglichst ra­sche Ratifizierung ein. Wir sind gemeinsam mit dem Energie- und Wirtschaftsminister dabei, eine Klima- und Energiestrategie unter Einbeziehung eines sehr breiten Stake­holder-Prozesses und natürlich auch der entsprechenden parlamentarischen Debatte aufzusetzen.

Ich komme zum Abschluss, damit Sie rechtzeitig mit Ihrer Diskussion beginnen kön­nen, und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

16.00


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Ich unterbreche nunmehr die Verhandlung zur Tagesordnung.

16.01.33Dringliche Anfrage

der Bundesräte David Stögmüller, Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend „Community Polizisten“ und „Si­cherheitsbürger“ in Schärding, Mödling, Graz-Stadt und Eisenstadt (3153/J-BR/2016)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über die Dring­liche Anfrage der Bundesräte David Stögmüller, Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kol­legen an den Bundesminister für Inneres.

Da die Dringliche Anfrage inzwischen allen Mitgliedern des Bundesrates zugegangen ist, erübrigt sich deren Verlesung durch die Schriftführung.

Bevor ich Herrn Bundesrat David Stögmüller als erstem Antragsteller zur Begründung der Anfrage das Wort erteile, darf ich auch noch Herrn Bundesminister Brandstetter und Herrn Bundesminister Mag. Sobotka bei uns im Haus begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)

*****

Es gibt eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung. – Bitte, Herr Kollege Mayer.

 


16.02.29

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg) (zur Geschäftsbehandlung): Frau Präsi­dentin! Sehr geehrte Herren Minister! Ganz kurz zur Geschäftsordnung: Meine Fraktion steht natürlich grundsätzlich zu dieser Möglichkeit, Dringliche Anfragen zu machen, im vollen Umfang, weil es auch immer wieder das Salz in der Suppe ist. Aber diese ge­genständliche Anfrage heute würde sich an und für sich mehr für eine „normale“ – un­ter Anführungszeichen – parlamentarische Anfrage eignen.

Mir fehlt bei dieser Dringlichen Anfrage eigentlich die Dramatik oder die Gefahr im Ver­zug, weil es ein neues Projekt ist, das vor wenigen Wochen begonnen wurde, das lang-


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sam sozusagen implementiert werden soll, mit Städten als Partner. Und, wie gesagt, das Anfragerecht bei Dringlichen Anfragen hat für mich eine andere Dimension. Das würde sich für eine normale Anfrage eignen, ja, aber nicht für eine Anfrage in diesem Ausmaß. Wir sehen, dass hier in diesem Fall das dringliche Anfragerecht des Bundes­rates missbraucht wird. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

16.03


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Es tut mir leid, Herr Bundesrat, die Dringlichkeit die­ser Anfrage entscheidet der Anfragesteller. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Weiters zur Geschäftsbehandlung zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Mühl­werth. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


16.03.50

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien) (zur Geschäftsbehandlung): Das kann man nicht unwidersprochen lassen.

Gott sei Dank regelt die Geschäftsordnung des Bundesrats das Interpellationsrecht der Bundesräte und nicht der Klubobmann Mayer von der ÖVP – und das ist gut so. (Zwi­schenruf des Bundesrates Mayer.)

Es obliegt nicht dem Klubobmann der ÖVP, zu beurteilen, was dringlich ist und in wel­cher Form es dringlich ist, das entscheiden die Anfragesteller immer noch selber. Und ich glaube, da sind wir auf einem guten Weg. Und gerade dann, wenn ein Projekt sehr neu ist, kann man, würde ich sagen, nachfragen, um möglicherweise auch den Anfän­gen zu wehren. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ sowie bei Bundesräten der Grü­nen.)

16.04

*****

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Nun gelangt Herr Bundesrat Stögmüller zu Wort. – Bitte.

 


16.04.31

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, Herr Edgar Mayer, ich habe auch eine schriftliche Anfrage an den Herrn Innenminister oder die ehemalige Frau Innenministerin gestellt, das war vorher schon eine parlamentarische Anfrage, das steht auch in dem Antrag drinnen. Wenn man sich den durchliest, dann findet man ei­nen Punkt dazu, unter dem steht, dass es schon eine schriftliche Anfrage gegeben hat, diese wurde beantwortet. Daraufhin gibt es viele Projekte, dann ist dieses Projekt an­gelaufen. Die Dringlichkeit ist gegeben, weil es Widerstände in den Gemeinden, von den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und von der Polizeigewerkschaft gibt, die massiv sind und letzte Woche erst im Zentralausschuss besprochen worden sind. Ja, darin liegt die Dringlichkeit, in nichts anderem. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühl­werth.) Also ich glaube, das spiegelt die Dringlichkeit wider. Zurzeit wird dieses Projekt betrieben, und man hört immer wieder, dass es dann auf ganz Österreich ausgeweitet wird. Aber vielleicht ganz kurz zur Begründung von diesem Projekt.

Wir haben heute diese Dringliche Anfrage Community Bürger, Community Polizei und Sicherheitsbürger eingebracht. Dieses Pilotprojekt hat eigentlich noch Ihre Vorgängerin Mikl-Leitner ins Leben gerufen, und Sie, Herr Minister, möchten es anscheinend auch weiterführen. Das kommt auch aus der Zentralgewerkschaft der Polizei: Die Anfrage­beantwortung kam mit der Information zurück, dass Sie das weiterführen und sogar auf ganz Österreich ausweiten möchten. Das heißt, das ist ja keine regionale Geschichte,


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sondern dieses Projekt weitet sich dann auf ganz Österreich aus. Das heißt, dafür ist sehr wohl der Bundesrat auch ein bisschen zuständig, wenn es zuerst ein Pilotprojekt ist und sich dann auf ganz Österreich ausdehnen soll.

Es geht darum, dass Bürgerinnen und Bürger als sogenannte Sicherheitsbürger auszu­bilden sind. Diese sollen dann eine Schnittstelle zwischen Bevölkerung und Polizei sein. Also es tut mir leid, aber wenn ich über das Ganze ein wenig nachdenke, dann muss ich sagen: Versetzen wir uns jetzt in eine kleine 1 000 Einwohnergemeinde im Bezirk Schärding! Da gibt es einen Gemeindebürger/eine Gemeindebürgerin, der/die sich frei­willig gemeldet hat. Vielleicht hat man ja das Glück, dass sich von diesen Gemeinde­bürgern ein Vernünftiger meldet. Aber ich glaube, alleine der Titel „Sicherheitsbürger“ zieht schon eher diesen Besserwisser, diesen „Obergscheitling“, wie wir im Innviertel sa­gen würden, an, der besondere Ambitionen hat, überall ein bisschen hineinzusticheln, genau diesen Typ zieht die Funktion des Sicherheitsbürgers an.

Und der ist dann in der Gemeinde unterwegs, auf der Lauer nach neuen Informationen, auf der Lauer nach neuen Auffälligkeiten, um herauszufinden, was in der Gemeinde pas­siert, was da geschieht. Er sucht nach etwas, das er der Polizei melden kann. Auf der einen Seite ist das auch verständlich. Warum denn auch nicht? Umsonst will man den Titel des Sicherheitsbürgers auch nicht hergeben. Und der ist dann auf der Suche nach Auffälligkeiten.

Und welche Auffälligkeiten, bitte, gibt es in einer 1 000 Seelengemeinde im Bezirk Schär­ding? Also darüber muss man auch ein bisschen nachdenken. Da darf man sich nicht wundern, dass die Gemeindeverantwortlichen und auch die Exekutive diese Sicher­heitsbürger nicht haben möchten, die dann wegen jeder Kleinigkeit oder Auffälligkeit zur Exekutive, zur Polizei laufen, sozusagen als Spitzel für die Bürgerinnen und Bürger dann herumlaufen und sagen: Ah, da sind drei Hennen über die Straße gelaufen, und der Bauer hat sie ausgelassen, das muss ich melden!

Und als Beispiel habe ich auch in dieser Anfrage Folgendes angeführt: Ein ÖVP-Bürger­meister – also von Ihrer Riege, Herr Edgar Mayer – der Bezirksstadt Schärding – bei dem war ich erst am Montag, habe bei ihm vorbeigeschaut und ihn gefragt: Ja wie geht es euch denn dort? – ist zu mir gekommen und hat gesagt: Ja, der Sicherheitsbürger, das bereitet uns massive Kopfschmerzen! Und das war auch der Grund, warum ich die Dring­lichkeit heute wieder vorgebracht habe. Ja, das ist einer von Ihrer Riege, und er lehnt den Sicherheitsbürger ab. Der ÖVP-Bürgermeister der Stadt Schärding sagt – Zitat –, er sei kein Freund von Privatsheriffs oder einem Spitzelstaat à la frühere DDR.

Ja, genau das befürchte ich auch! Das geht auf dunkle Zeiten zurück, als die Leute einander nicht mehr vertrauen konnten und sich innerhalb der Gemeinde verstecken mussten. Das ist es, worauf es hinausläuft. Und ich habe nirgends gelesen, welche Vo­raussetzungen und Kriterien ein solcher Sicherheitsbürger erfüllen muss. Das konnte mir keiner beantworten, auch nicht auf die Anfrage an Sie oder an Ihre Vorgängerin, Herr Minister. Welche Ausbildung bekommt er? Gibt es auch Ausschlusskriterien, zum Beispiel Vorstrafen? Kann sich da jeder melden? Es steht nirgends, es gibt nichts da­zu, wer sich melden kann oder was gilt.

Und weil ich gerade bei Schärding bin: Jetzt wird sich die eine Kollegin oder der andere Kollege hier herinnen vielleicht fragen, warum denn überhaupt Schärding ausgewählt wor­den ist. Gibt es dort besondere Kriminalität, Diebstähle, irgendwelche Auffälligkeiten oder sonst was? – Nein, überhaupt nicht, nicht wirklich. Schärding ist überhaupt kein Bezirk, der in irgendeiner Kriminalstatistik irgendwie auffällt, und wenn, dann eher im positiven Sinn, dadurch fällt Schärding auf. In Schärding gibt es 388,4 Verbrechen pro 100 000 Ein­wohnerinnen und Einwohner – 388,4. Das wird jetzt dem Kriminalstatistiker wahrschein­lich sagen, das ist sehr, sehr wenig, wirklich sehr, sehr wenig. Und Schärding ist damit der zweitsicherste Bezirk in ganz Oberösterreich. Genau dort führt man dann so etwas


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ein, dass Bürger herumrennen und andere verpetzen müssen. Also ich weiß nicht, wa­rum Schärding als Gemeinde ausgewählt worden ist, um dieses Projekt zu starten.

In Schärding – und ich bin mir sicher, auch in anderen Bezirken, sei es in Mödling oder in Graz oder in Eisenstadt – funktioniert die Kommunikation zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und der Polizei ausgezeichnet, auch mit der Gemeinde und der Stadt. Da braucht man keine Pilotprojekte.

Vielleicht könnten Sie uns einmal sagen, aus welcher Statistik und Erhebung Sie die­ses subjektive Gefühl der Unsicherheit in den Bezirken rückschließen? Das würde mich wirklich interessieren. Ich habe keine gefunden. Ich habe keine Statistik gefun­den, die irgendwie darstellt, warum das subjektive Sicherheitsgefühl in den Städten das erfordert. Steht immer wieder etwas in der Zeitung, nimmt man das aus der Zeitung, von „Heute“ und „Österreich“, und sagt: Jetzt muss man irgendwie reagieren darauf!? Das möchte ich gerne einmal schwarz auf weiß haben. Was steckt dahinter, Herr In­nenminister?

Also ich behaupte jetzt einmal, dass Sie beziehungsweise Ihre Vorgängerin mit diesem Pilotprojekt von etwas ablenken möchten. Sie möchten von der Zentralisierung der Poli­zeiposten ablenken, das ist nämlich der Grund. Das Sicherheitsgefühl hätte man mit ei­ner Dezentralisierung der Polizeiposten und mit einer besseren Verankerung der Exe­kutivbeamtinnen und -beamten in den Gemeinden genauso gut steigern können – ge­nauso gut!

Ich bin auch auf die Antworten der Polizeigewerkschaften gespannt. Es gibt ja fast ge­schlossen in allen Gewerkschaftsparteien eine klare Ablehnung gegen dieses Projekt, egal, ob das die Christliche Gewerkschaft, die Freiheitliche Gewerkschaft, die Sozialis­tische Gewerkschaft, die Sozialdemokratische GewerkschafterInnen sind. Es gab auch einen Antrag im Zentralausschuss der Polizei von der Christlichen und von der Sozia­listischen Gewerkschaft, dass das gesamte Projekt sofort zu stoppen und zu beenden sei.

Herr Innenminister! Ich bitte Sie, vielleicht können Sie uns ein wenig aufklären. Ich bin aber der ganz festen Überzeugung, dass dieses Projekt nicht zu einer Steigerung der subjektiven Sicherheit führt, sondern eher zum Gegenteil und zur Bespitzelung anderer Bürger. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und FPÖ sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

16.12


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zur Beantwortung der Dringlichen Anfrage hat sich Herr Bundesminister für Inneres Mag. Wolfgang Sobotka zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Bundesminister.

 


16.12.32

Bundesminister für Inneres Mag. Wolfgang Sobotka: Sehr geehrte Frau Vorsitzen­de! Sehr geehrte Damen und Herren des Bundesrates! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Damen und Herren! Ich darf einleitend zu diesem Projekt beziehungsweise zur allgemeinen Situation ein paar Anmerkungen machen: Die polizeiliche Arbeit ist in Ös­terreich, wenn man sie mit anderen Ländern misst, eine exzellente, sowohl was ihre in­haltliche Ausrichtung, die Ausbildung, als auch die Spezialgruppen betrifft. Wir haben, glaube ich, ein gutes System gefunden, insbesondere haben wir es den einzelnen Or­ganisationseinheiten ermöglicht, auf der einen Seite den Dienst in der Bezirksinspek­tion hervorragend zu erfüllen, sich aber auf der anderen Seite auch Spezialwissen an­zueignen, um dann wieder in diese Einheit zurückzukommen und dadurch eine unge­heure Flexibilität an den Tag zu legen. Das hat zu einem permanenten Rückgang der Zahl der Delikte geführt – das habe ich bei meinem Einleitungsstatement auch er­wähnt –, wie es die Entwicklung der Kriminalität von 2004 bis zum Jahre 2015 gezeigt hat. Und wir sehen, dass es notwendig ist, diese Linie grundsätzlich beizubehalten.


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Wir haben auf der anderen Seite zurzeit eine Aktion „Österreich sicher“ gestartet, um einen Aktionsplan ins Leben zu rufen, der sich nicht nur auf ein Faktum konzentriert, quasi den polizeilichen Druck und die Kontrolltätigkeit, sondern sich der Frage der Prä­vention, der polizeilichen Kontrolltätigkeit und Ermittlung widmet. Schlussendlich sollen mit Kollegen Brandstetter auch die Fragen der konzentrierten Strafführung und der An­klageführung über die Staatsanwaltschaft sowie die notwendigen Schritte, die sich dann daraus ergeben, geklärt werden.

Wir sehen, dass solche Aktionen wie gerade an der U 6 auch erste Erfolge zeitigen. Wenn es darum geht, den Polizeidruck massiv aufzubauen, dann zeigen die ersten Fälle – seit 21. April haben wir dieses Projekt laufen –, dass die Kriminalitätshandlun­gen im Bereich der Rauschgiftdelikte massiv zurückgegangen sind, dass die Zahl der Verhaftungen auch entsprechend größer geworden ist und sich die Situation massiv verbessert hat in der Frage, wie das Sicherheitsgefühl der Leute ist. Dass das aber nicht alles über polizeiliche Arbeit geleistet werden kann, sondern dass ein wesentli­ches Momentum das sogenannte subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ist, ist ein anderer Faktor. Und wir sehen es an kuriosen Zahlen: Im Burgenland haben wir heute die höchste Zahl an Polizisten und Polizistinnen und die geringste Verbrechens­rate. Wir sehen, dass zum Beispiel das gesamte Burgenland dieselbe Kriminalitätssta­tistik hat wie der Bezirk Mödling in Niederösterreich. Wir sehen aber, dass das Sicher­heitsgefühl, das subjektive Sicherheitsgefühl bei diesen Menschen am geringsten ist.

Unsere Experten haben sich dazu Gedanken gemacht und geschaut: Wie und wo kann man in diesem Arbeitsfeld internationale Vergleiche erheben beziehungsweise sich nach internationalen Beispielen umsehen? Da gibt es viele Ansätze, und unter anderem ist einer davon: „Gemeinsam sicher“. Meine Vorgängerin hat dieses Projekt in Auftrag ge­geben, um an vier Pilot-Standorten, -Bezirken und -Gemeinden Erfahrungen zu sam­meln. Warum? – Weil in Deutschland, Holland, Amerika, vor allem in der Stadt Toronto das Kriminalitätsgefälle um 40 Prozent gesunken ist. Herr Kollege, Sie können es sich ansehen, ich bin gerne bereit, hier näher auf die Sache einzugehen, zu erklären, wie es zu den Entscheidungen gekommen ist, sich diesem Projekt zu nähern, denn in die­ser Situation ist es natürlich ganz entscheidend gewesen, auf internationale Beispiele zurückzugreifen, bei denen Polizeiarbeit und Bürgerarbeit ineinandergreifen, um zu se­hen, welchen Mehrwert das bringen kann. Dort ist es wirklich mit Involvierung der Bür­gerschaft gelungen, die Kriminalität sehr deutlich zu senken.

Wir müssen von einer Gesellschaft des Wegsehens zu einer Gesellschaft des Hinse­hens werden. Und das ist nicht zu verwechseln mit einem Spitzelwesen, das ist nicht zu verwechseln mit einer polizeistaatlichen Maßnahme oder gar mit Denunziation. Das weise ich von Anfang an zurück, weil es ein ganz verkehrter Ansatz wäre.

Ganz im Gegenteil: Was wir damit verhindern wollen, ist, dass Gemeinden jetzt auf­rüsten und sagen: Ich brauche eigentlich noch eine eigene Polizeitruppe! Wir haben ja noch immer Gemeinden, die eine städtische Polizei haben, und da sind ja einige dabei, die auch jetzt sagen: Wir müssen dort aufrüsten! Dieses Aufrüsten wird in dieser Form gar nichts bringen, weil das Sicherheitswachekörper zweier Natur sind, das führt zu Kon­kurrenzerscheinungen.

Das „Gemeinsam sicher“ müssen Sie anders verstehen, es hat eine ganz andere Struk­tur, und zwar soll es eine Involvierung des Bürgers in die reale allgemeine Sicherheits­lage fördern, um die Eigenverantwortung zu stärken. Das ist in diesen vier Pilotprojek­ten in zwei Bezirken und zwei Städten erfolgt. Warum die Frage der zwei Bezirke? – Schauen Sie, Mödling hat die höchste Kriminalitätsstatistik in Österreich, daher haben wir diesen Bezirk gewählt. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.) Und der Bezirk Schärding hat in der Situation eine mittlere Kriminalitätsrate im oberösterreichischen Raum, daher haben wir den gewählt.


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Es ist interessant, Sie meinen, dass sich die Gemeinden deswegen beschweren. Das liegt in der Natur der Sache, bei einem Pilotprojekt gibt es Für und Wider, daher ist es ja auch ein Pilotprojekt und nicht ein Roll-out. Daher kann man ja das als Kritik auch anbringen. Wir haben bereits zehn Sicherheitsgemeinderäte im Bezirk Schärding, und insgesamt gibt es eine ganze Reihe von Sicherheitsbürgern – darauf komme ich dann bei der konkreten Antwortbefragung zu sprechen –, die im Bezirk Schärding bereits 30 Personen ausmacht, ganz phantastisch, in Graz sind es bereits 500 Sicherheits­bürger, weil die schon ein Vorläuferprojekt laufen hatten. Ich denke, dass wir in der Konzeption sowohl mit Sicherheitsbürger als auch mit Sicherheitsgemeinderat ein Netz schaffen, das sich mit diesen Sicherheitsfragen beschäftigt, und zwar in der Frage der Prävention. Und Sie werden mir zustimmen, dass ich Gewalt nicht nur am Ende verhin­dern kann, sondern auch mit Präventionsarbeit, oder? Also in dieser Situation sind wir eines Sinnes, dass die Präventionsarbeit wahrscheinlich etwas ganz Entscheidendes ist, um Gewalt gar nicht entstehen zu lassen, Verbrechen gar nicht entstehen zu lassen und den Bürger bei dieser Prävention auch bei der Hand zu nehmen.

Aus meiner eigenen Erfahrung aus meiner früheren Tätigkeit als Regierungsmitglied des Landes Niederösterreich weiß ich, wie, wenn es darum gegangen ist, Wohnungen sicher zu machen, da die Zivilgesellschaft mit der Polizei, mit der Regierung, mit den Gemeinden ein Zusammenwirken erreicht hat – dort, wo es Fördermaßnahmen gege­ben hat, wo es polizeiliche Aufklärungsarbeit gegeben hat, wo es eine klare Ansprech­situation gegeben hat und vor allem ein breites Bewusstsein, dass man auch selber et­was tun kann – und dass sich das ganz wesentlich auf die Statistik ausgewirkt hat.

Aber mir geht es nicht um die Statistik, sondern mir geht es in erster Linie darum, dass dieses Gefühl der Österreicher, dass sie in einem sicheren Land leben, auch in Zukunft erhalten bleibt. Das ist in der Situation dieses Pilotprojektes die erste Adresse.

Ich verstehe schon, dass das vielleicht nicht für jeden gleich in der ersten Situation zu­gänglich ist, weil manches in der Erprobungsphase ist und sich natürlich auch erst eta­blieren muss. Aber unser Ziel muss es natürlich sein, diese besondere Sicherheitslage Österreichs – das nach wie vor zu den sichersten Ländern in Europa gehört – noch auszubauen und diesen Anfängen zu wehren, wenn Leute ganz einfach das Gefühl ha­ben: Was könnte da passieren?

Sie müssen auch sehen, dass man, wenn in einem Haus ein Einbruch erfolgte, mit der schönsten Statistik, die zurückgegangen ist, nichts mehr erreichen kann, denn diese Leute fühlen sich in ihrer persönlichen Intimsphäre verletzt, diese Leute fühlen sich in ihrer ganzen Persönlichkeit eingeschränkt. Da bedarf es eines breiten Vertrauens, bis diese Menschen sich wieder in die Gesellschaft einbringen können. Ich weiß das aus vielen persönlichen Erfahrungen, ich war auch – gerade in diesem Bereich kommu­nalpolitisch lange Zeit intensiv unterwegs. Und diese Leute auch zu begleiten, hat die­ses Projekt letzten Endes als Inhalt in sich. Ich denke, dass man mit Alarmanlagen, mit einfachen Tipps und mit dem Aufzeigen von Möglichkeiten in einer Stadt, in einer Ge­meinde letzten Endes mehr an Sicherheit erreichen kann und auch die öffentliche Ver­waltung, die Politik, darauf aufmerksam machen kann.

Wir haben viele dieser Projekte gesehen. Da geht es einmal um die Straßenbeleuch­tung, die verbessert werden kann, das nächste Mal geht es um andere Weganlagen, es geht um ganz andere Dinge, die wir zuerst eigentlich gar nicht als sicherheitsrele­vant sehen. Daher dieses Projekt „Gemeinsam Sicher“, mit Sicherheitsbürgern, mit ei­nem klaren Ansprechpartner.

Wir haben in unseren Kommunen ungeheuer viele Referenten, vom Umweltschutzre­ferenten über den Jugendreferenten bis hin zu allen Lebensbereichen. Was den Be­reich der Sicherheit betrifft, haben wir in den Kommunen aber keinen Ansprechpartner.


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Daher ist die Sicherheit, aber auch an der gesetzlichen Basis, für die Kommune eine ganz wesentliche Aufgabe, und die endet nicht beim Bürgermeister und die endet nicht bei den Gemeinderäten, sondern die braucht auch eine Breite: daher ein Sicherheits­gemeinderat in Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbürgern, und das braucht natürlich ein Pendant auf polizeilicher Seite.

Ich habe, als ich in das Amt gekommen bin, natürlich mit den Gewerkschaften ge­sprochen, habe auch die Bedenken, die sie gehabt haben, sehr ernst genommen. Wir werden dort auch weiterhin daran arbeiten, dass das auch mitgetragen wird, denn eine Aktion wird nur dann erfolgreich sein, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der dementsprechenden Einheiten und Mannschaften das auch mittragen.

Ich habe das auch bei meiner Präsentation in Eisenstadt gemerkt, da muss man noch am Wording drehen, da ist es notwendig, das eine oder andere auch mit sprachlicher Genauigkeit besser zu fassen. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.Das ist es ja. Was soll es denn sonst sein als ein Pilotprojekt? Ein Pilotprojekt bietet natürlich auch die Möglichkeit – und da bitte ich alle Parteien, aktiv mitzuarbeiten (in Richtung des Bundesrates Stögmüller) –, die persönlichen Erfahrungen, wie Sie sie zum Beispiel vom Bürgermeister von Schärding mitgenommen haben, dann zu konkretisieren. Das ist wichtig, um dieses Projekt entsprechend fit zu machen, so dass es wirklich gelebt wird.

Ich glaube, unser gemeinsames Interesse kann nur sein, dieses Land auf diesem ho­hen Sicherheitsstandard zu halten. Und wenn Sie gute Vorschläge haben, wie man das verbessern kann, dann stehe ich nicht an, das auch zu übernehmen, auch um die Zweifel zu zerstreuen, bei denen man gemeint hat, dass das DDR-Methoden wären. Dafür gibt es überhaupt keinen Anlass, und wir sind Vorschlägen gegenüber sehr offen.

Wesentlich ist aber, dass dies kein Projekt ist, das in Wien erdacht wird und draußen dann so quasi aufgesetzt wird, sondern das muss bottom-up reifen, wie das so schön heißt. (Zwischenruf des Bundesrates Beer.) Die Leute müssen es leben, müssen sa­gen: Das war etwas, das war nichts! Und wenn es nicht den nötigen Erfolg zeitigt und diese Maßnahmen nicht die Wirkung zeigen, die wir uns dadurch jetzt erwarten, dann muss man sich damit am Ende des Jahres auseinandersetzen und klären, welche an­deren Schritte man setzen kann.

Nun darf ich zu den aktuellen Fragen kommen, die Sie gestellt haben:

Zu den Fragen 1 und 2:

Die aktuelle Sicherheitslage war auch kein Auswahlkriterium, sondern das Ziel ist ein langfristiger Querschnitt aus den verschiedensten bundesweiten Anforderungsprofilen. Ich habe das vorhin auch erwähnt: Graz, also im großstädtischen Raum, mit einer ganz anderen Kriminalitätsstatistik wie Eisenstadt, und umgekehrt war es natürlich auch so bei Mödling und Schärding.

Zur Frage 3:

Bisher sind insgesamt vier Community-Referenten, also einer pro Bezirk, und in vier Bezirken insgesamt 34 Polizisten als Community-Polizisten ausgebildet worden.

Zu den Fragen 4 und 5:

Grundsätzlich ja, die Schulungen wurden auf Bezirksebene durchgeführt. Die Grund­ausbildung wurde in zwei Präsenzmodulen abgehalten und umfasste unter anderem fol­gende Inhalte: Bürgerbeteiligung, Kommunikationstechnik, soziale Medien, Prozess­management, Prävention und Rechtsfragen. Außerdem wurde bereits ein Schulungs­konzept ausgearbeitet, um die flächendeckende Ausrollung einer raschen und effizien­ten Schulung in ganz Österreich erreichen zu können. Dort halten wir uns natürlich auch an die Erfahrungen der internationalen Vergleiche. Für uns ist es ganz wesentlich, dass


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wir das, was andere schon erprobt haben, auch übernehmen. Wir wollen ja von den Bes­ten lernen, und Best-Practice-Beispiele sind hier auch gefordert.

Zur Frage 6: Ja.

Zur Frage 7:

Die Meinung der Personalvertretung ist mir sehr wichtig, das habe ich schon gesagt. Aus diesem Grund habe ich Generaldirektor Kogler mehrfach mit Gesprächen beauf­tragt, das mit der Personalvertretung weiterhin voranzutreiben und vor allem auch die Möglichkeiten auszuloten, noch im bestehenden Prozess die Änderungen darzutun. Zu diesem Zweck gibt es am 22. und 23. Juni in Eisenstadt ein Jour fixe für alle Commu­nity-Polizisten, wozu wir auch die Personalvertreter einladen, damit sie die Möglichkeit haben, dort ihre Bedenken zu äußern.

Zu den Fragen 8 und 9:

Selbstverständlich zählt es zu den Aufgaben der Polizei, den Kontakt zur Bevölkerung zu halten und diese mit Informationen zu versorgen. Ja, das ist klar: In einer kleinen Gemeinde, die Sie zuerst erwähnt haben, Herr Kollege (in Richtung des Bundesrates Stögmüller), ist das wahrscheinlich eine ganz andere Zugänglichkeit als in einer gro­ßen Gemeinde, denn dort ist der Polizist, der Streifenpolizist (Zwischenruf des Bundes­rates Stögmüller), der vielleicht noch in Zivil dort vorhanden ist und den man kennt, der selbstverständlich vernetzt ist, der dort tagtäglich den Kontakt hält, ja Teil dieses Community Policing. Da ist es auch ganz wesentlich, dass die Leute auch einen An­sprechpartner haben, wo sie Barrieren überwinden und eigentlich im informellen Be­reich sehr gut mit ihm zusammenarbeiten können. Was wichtig ist: Der Community-Referent ist nicht der Bezirkskommandant. Das scheint unseren Leuten sehr wichtig zu sein, dass es da nicht zu einer Vermischung kommt und dass man da vor allem die Schwellen und die Barrieren sehr, sehr niedrig hält.

Zur Frage 10:

Durch die Einführung von „Gemeinsam Sicher“ kommt auf die Polizei keine direkte Mehrbelastung zu. Das ist klar, denn da haben wir klar erkannt: Wenn es zu einer Reduktion der Zahl der Kriminalitätsfälle kommt, wenn es zu einer Senkung der einzel­nen Deliktgruppen kommt, dann ist es natürlich keine Mehrarbeit.

Wir haben bei jeder Bewertung einer PI ein großes Thema: Wie bewerten wir sie? Wir bewerten sie nach ihren polizeilichen Leistungen, der Aufklärung, der Verbrechensbe­kämpfung, aber wir können letzten Endes keinen Maßstab für die Prävention einführen. Die Situation ist für uns eine ganz wesentliche. Wir müssen uns auch einmal überle­gen, wie wir eigentlich nur das bloße Anwesendsein eines Polizisten bewerten, dass es da eben keine Kriminalfälle oder Delikte gibt.

Ich habe das auch sehr deutlich gesehen, im Außenbereich Wiens, in den Hotspots, in der Nacht, und kann sagen: Wenn das Auftreten eines Uniformierten – Ausdruck des österreichischen Staates und der Staatsgewalt – keine wie immer geartete Maßnahme nach sich zieht, nämlich dass Kriminelle ihre Tätigkeiten einstellen, dann ist etwas un­richtig in diesem Staate. Daher haben wir dort massiv den verdeckten Ermittlungsdruck erhöht. Wir müssen aber wieder dorthinkommen, dass auch das Auftreten des Unifor­mierten und die Staatsgewalt als solche und der Repräsentant derselben bereits eine klare Äußerung für die Gesellschaft nach sich ziehen.

Zur Frage 11:

Derzeit wird erprobt, wie viele Arbeitsstunden für eine zweckmäßige Tätigkeit pro Be­amten erforderlich sind, wobei ich betone, dass der Kontakt zwischen den Bürgermeis­tern und den Schulvertretern natürlich auch bisher in den Amtsstunden erfolgt ist. Das ist ja bisher keine Freiwilligentätigkeit unserer Polizistinnen und Polizisten gewesen.


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Zur Frage 12:

Nein, nach einem erfolgreichen Probebetrieb ist angedacht, dass die Community-Poli­zisten diese Tätigkeit nicht zu 100 Prozent ausüben. Ich habe bereits einleitend gesagt, dass es für uns auch ganz wesentlich ist, dass unsere Polizisten immer wieder aus den Spezialeinheiten in den Regeldienst zurückkommen. Das heißt, die werden dann ge­nauso im Kriminaldienst, im Verkehrsdienst und woanders eingesetzt.

Zu den Fragen 13 und 14:

Es sind alle Interessierten herzlichst eingeladen, sich bei der Polizei zu melden, um in den verschiedensten Bereichen als Sicherheitsbürger tätig zu sein. Es sind auch keine Begrenzungen der Zahl vorgesehen, denn sie bekommen keine besonderen Befugnis­se. Sie bekommen nur Informationen und sollen diese auch nur als solche in diese Ver­netzung einbringen. (Vizepräsident Gödl übernimmt den Vorsitz.)

Zur Frage 15:

Laut Stand Mai 2016 sind es in Mödling 60 Personen, in Graz die erwähnten 500, in Eisenstadt 11, in Schärding 30, die sich als Sicherheitsbürger gemeldet haben bezie­hungsweise mit der dortigen Polizei zusammenarbeiten.

Die hohe Zahl in Graz ergibt sich ganz einfach daraus, dass es vorher ein Projekt „Si­cher leben in Graz“ gab, womit man bereits auf diese Erfahrungen der Bürger zuge­gangen ist.

Zur Frage 16:

Schulungen finden nicht statt, sie werden regelmäßig mit allgemein zugänglichen Infor­mationen versorgt. Sicherheitsbürger gehen keine speziellen Verpflichtungen ein. Ih­nen kommen auch keine besonderen Rechte zu, wie ich schon erwähnt habe, und ih­nen kommen vor allem auch keine hoheitlichen Befugnisse zu.

Zur Frage 17:

Derzeit ist nicht geplant, dass Landesräten Aufgaben oder irgendwelche Kompetenzen im Projekt „Gemeinsam Sicher“ zukommen. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)

Zusammenarbeiten wird die Polizei aber selbstverständlich mit allen, und das ist der Punkt: mit allen an Sicherheit interessierten Stellen!

Zur Frage 18:

Ich nehme die Anregungen und die Kritik in die weitere Arbeit für die Projekte auf, sehe aber natürlich keinen Anlass, es zu stoppen, denn das ist ja das Wesen eines Pilot­projekts: Ein Pilotprojekt hat ja den Charakter, zu erproben, sich zu verbessern und dann zu schauen, ob man dabei bleibt. Mit dem jetzt aufzuhören – vor allem unter der Zeit –, wäre der völlig falsche Ansatz. Jetzt läuft es erst seit Mitte April, und da jetzt einen Schlussstrich zu ziehen, wäre völlig verfrüht.

Zur Frage 20:

Das Projekt „Gemeinsam Sicher“ soll Folgendes gewährleisten: einen gemeinsamen Überbau über alle Bürgerbeteiligungsprojekte im gesamten Bundesgebiet, einheitliche Standards in der Zusammenarbeit zwischen der Polizei und den Bürgern, die Stärkung des Vertrauens zwischen der Polizei und den Bürgern und vor allem die Moderation durch die Polizei bei gesamtgesellschaftlichen Problemen in der Gemeinde. Das ist für uns ganz wichtig, weil wir die Polizeiarbeit schon längst nicht mehr nur als das sehen, was in ihr als Uniformträger oft nur gesehen wird. In vielfacher Hinsicht ist gerade bei zivilrechtlichen und privatrechtlichen Auseinandersetzungen der Polizist Mediator, Mo­derator, Streitschlichter, ganz einfach Ermöglicher.


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Ich habe offenbar die Frage 19 vergessen:

Durch den Probebetrieb fallen – vor allem im Laufe des Jahres – Kosten für Dienstrei­sen zu Schulungszwecken der Kollegen sowie die Anschaffung von Mobile Devices an; dafür stehen insgesamt 35 000 € zur Verfügung.

Zur Frage 21:

Ziel dieses wissenschaftlich begleiteten Projekts – das ist notwendig – ist es, die opti­malen Voraussetzungen zu schaffen, um die angeführten Ziele bestmöglich zu erreichen.

Auf der einen Seite hoffe ich, dass ich Ihre Bedenken mit dieser Anfragebeantwortung zerstreuen konnte, auf der anderen Seite hoffe ich, Sie zu animieren, sich positiv in die­ses Projekt einzubringen, sich einzuklinken. Sie sind hiermit herzlich eingeladen, mitzu­tun beziehungsweise dort, wo es weiterhin die Möglichkeit gibt, sich einzubringen und auch Verbesserungsvorschläge einzubringen, das auch zu tun.

Wir sehen insgesamt, insbesondere in den ersten Wochen, eine sehr große Begeiste­rung und Bereitschaft, das zu tun. Das ist natürlich nicht durchgängig gegeben, das ist gar keine Frage. Und so muss man auch mit einem Pilotprojekt umgehen: Wir schlie­ßen am Ende des Jahres 2016 das Pilotprojekt ab, evaluieren es, erstellen einen Be­richt und entscheiden uns dann, wie wir damit weiter vorgehen werden. Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der ÖVP sowie der Bundesrätin Winkler.)

16.34


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke, Herr Bundesminister, für die Beantwortung der Dringlichen Anfrage.

Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Ich mache darauf aufmerksam, dass gemäß § 61 Abs. 7 der Geschäftsordnung die Re­dezeit eines jeden Bundesrates mit insgesamt 20 Minuten begrenzt ist.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Herbert. – Bitte.

 


16.34.55

Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Geschätzte Her­ren Bundesminister Sobotka und Brandstetter! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Innenminister, ich bin da schon bei Ihnen, wenn man sagt, dass das subjektive Sicher­heitsgefühl ein ganz wesentlicher Parameter ist, nicht nur für die politische Arbeit im Land, sondern auch für die Zufriedenheit und das allgemeine Wohlfühlgefühl. Und ich bin auch bei Ihnen, wenn Sie sagen, dass man die Bevölkerung einbinden sollte, wenn es darum geht, im Dialog mit der Polizei als, sagen wir einmal, wichtiger Hinweisgeber, aber auch als Beobachter der objektiven Art und Weise Umstände, die für die Polizei relevant sind, auch an diese weiterzumelden. Davon lebt die Polizei bei einem Großteil ihrer Arbeit.

Was dieses Projekt allerdings von dem grundsätzlichen Zugang unterscheidet, ist nicht nur die Art und Weise, wie es zustande kam, sondern die Art und Weise, wie es quasi aufgesetzt wurde. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, was die Ursache für dieses Projekt war, weil Sie ja noch nicht so lange Ressortleiter sind, aber ich kann es Ihnen sagen. Nämlich: Nach den Vorkommnissen von Köln war man im Innenministerium einigerma­ßen beunruhigt und suchte einen politischen Ansatz, das Unsicherheitsgefühl der Be­völkerung insofern zu relativieren, als man sagte: Wir brauchen etwas, wodurch wir ei­ne politische Lösung präsentieren können, nämlich die Einbindung der Bevölkerung in die polizeiliche Arbeit und gleichzeitig die Stärkung des Wir-Gefühls.

Und aus dieser Überlegung heraus ist man zu diesem Bürgerbeteiligungsmodell „Ge­meinsam Sicher“ gekommen, wie es ja im Arbeitstitel heißt, wobei man sich wahrschein-


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lich gedacht hat: Das ist eine ganz klasse Geschichte! Wir laden die Bevölkerung ein, Hilfssheriff zu spielen. Die Polizei soll quasi Schnittstelle für die ganzen Informationen sein, die an sie herangetragen werden, zusätzliche Ressourcen haben wir keine, denn das kostet ja alles Geld und das Geld haben wir nicht und die Planstellen haben wir auch nicht, aber wir haben zumindest der Bevölkerung das Gefühl gegeben: Ihr seid uns wichtig, und Ihr könnt alle eure Informationen, eure Wünsche, eure Sorgen, eure Anliegen an die Polizei herantragen.

Nur leider werden wir dann wahrscheinlich am Ende des Tages feststellen, dass vieles, um nicht zu sagen Überwiegendes, gar nicht umsetzbar ist. Und schuld ist dann nicht die Politik, sondern die Polizei. So gesehen ist dann eigentlich wieder alles in Ordnung. Die Politik, also die Bundesregierung, ist aus dem Schneider. Die Polizei ist sowieso bei der Bevölkerung unten durch. So gesehen brauchen wir uns da keine wesentlichen Sor­gen zu machen, und die Sache ist eigentlich gelöst, und wir haben ein politisches Pro­blem vom Tisch.

Das war der Hintergrund, warum es zu dieser … (Bundesminister Sobotka schüttelt den Kopf.) – Ich weiß das, denn es gab ja mit den Personalvertretungsorganen Besprechun­gen, und ich weiß auch, was dort alles – auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit – be­sprochen wurde.

Das war der Grund, warum es zu diesem Projekt kam. Dass Sie es nun verteidigen müssen, ist ja ganz klar. Das nehme ich Ihnen ja auch gar nicht krumm. Außerdem können Sie ja jetzt über Ihre Vorgängerin auch nicht sagen: Das alles war ein Blödsinn, was die gemacht hat, das ziehen wir alles wieder zurück! Das ist politisch, sage ich ein­mal, von Ihrer Seite oder von Ihrer Position aus auch gar nicht zu erwarten.

Aber gerade aus diesem Grund – wie ich am Anfang bereits skizziert habe – war es natürlich klar, dass alle Polizeivertretungsorgane im Zentralausschuss, also nicht nur die AUF und nicht nur die FSG und die FCG, sondern auch in vielen untergeordneten Bereichen, gesagt haben: Dieses Projekt lehnen wir ab, weil es eigentlich ein politi­sches Placebo ist! Es stellt ein Ankündigungsmodell dar, wobei man vermeintlich sagt: Kommt und meldet alles zu uns! Und dann muss man wahrscheinlich unterm Strich feststellen, dass zwar die Bevölkerung mit Begeisterung daran teilnehmen wird, sich aber die Frage stellt, wie viel qualifizierte Sicherheitsbürger sich da melden werden. Aber das ist jetzt eine andere Geschichte, die will ich gar nicht beleuchten.

Aber die Frage wird dann sein: Was kann man tatsächlich umsetzen? Und die Befürch­tung liegt hier sehr wohl nahe, dass man sagt: Am Ende bleibt die Polizei über. Es wird dann heißen: Das war alles nicht möglich, das war alles nicht umsetzbar. Da gab es dieses oder jenes, das kann man leider nicht machen!

Schon alleine aus zwei Ansätzen: Der eine Ansatz ist der, dass es keinerlei Personal­aufstockung für diese Sachen gibt. Wir haben ja – ich habe das schon oft gesagt – ein veritables Personalproblem bei der Exekutive. Wir haben nicht nur erhöhte Arbeitsbe­lastungen, sondern auch den Umstand, dass wir einen sehr hohen Pensionsabgang im Personalbereich haben, der in keinster Weise kompensiert wird. Wir haben zwar jetzt laufend Aufnahmen, aber die decken gerade einmal den momentanen Abgang. Und das Ganze ist nicht so, wie es öffentlich oft dargestellt wird, dass es da einen großen sicherheitspolizeilichen Mehrwert gibt. Im Gegenteil: Alle, die jetzt in Ausbildung sind, müssen erst an die Sache herangeführt werden, die haben noch ihre Ausbildungszeit vor sich. In dieser Sache gibt es also keine Eins-zu-eins-Umsetzung.

Was natürlich auch ein großes Problem bei dieser Sache ist, ist schon der schale Bei­geschmack, dass man hier – Sie sagen Sicherheitsbürger, ich sage Spitzelbürger – den Spitzelbürger einmal mehr animiert, zu einer unseriösen Betrachtung der Dinge zu kom­men, um dann diese an die Polizei heranzutragen, worauf in dem Fall wiederum die


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Polizei der Böse ist. Kommt sie den Intentionen des Spitzelbürgers nach, dann hat sie es sich wahrscheinlich beim Rest der Bevölkerung verscherzt, verfolgt sie das Ziel des Spitzelbürgers, dann erst recht. So gesehen ist wieder einmal die Polizei so oder so der Verlierer.

Ich bin schon bei Ihnen, dass man sagt, die Kommunen gehören sicherheitspolitisch, aber auch informell gestärkt. Aber wenn Sie das wirklich wollen, dann darf ich Ihnen ein paar Ansätze vorschlagen, was man machen könnte.

Es ist zum Beispiel so, dass, wenn es in einer Gemeinde eine Fremdenunterkunft gibt und die Polizei dort interveniert, der Bürgermeister keine Rückmeldung bekommt, dass es dort tatsächlich einen solchen Polizeieinsatz gegeben hat. Da geht es gar nicht so sehr darum, dass man sagt, wer dort wem was wann getan oder gemacht hat, sondern da geht es einfach um die Information, dass der Bürgermeister – immerhin ist er ja das oberste Organ der örtlichen Sicherheitspolizei – eine Rückmeldung erhält, damit er, falls er gefragt wird, was in dieser oder jener Nacht in dieser Straße, wo diese Flücht­lingsunterkunft ist, eigentlich los war, nicht sagen muss: Ich weiß es nicht!

Dann ruft er den Bezirkskommandanten an, und der sagt: Es tut mir leid, da gibt es einen Dienstauftrag, ich darf dir das nicht mitteilen! Und den Datenschutz gibt es auch, der überhaupt ein interessantes Faktum für alles ist, wenn man eine Auskunft nicht er­teilen möchte. Das wäre zum Beispiel ein Ansatz, da könnte man die Schnittstelle Si­cherheit und örtliche Kommunen durchaus intensiv verstärken.

Oder ein anderer Ansatz ist auch, die Polizei von den Nebentätigkeiten zu entlasten. Wir wissen alle, dass wir ein sehr begrenztes Angebot an faktisch verfügbaren Polizis­tinnen und Polizisten im exekutiven Außendienst haben, die trotz ihrer bescheidenen Rahmenbedingungen eine sehr gute und wertvolle Arbeit leisten und für deren Einsatz ich mich auch namens meiner Fraktion an dieser Stelle nachhaltig bedanken möchte. Aber es gibt noch immer viele Tätigkeiten, denen sie nachkommen müssen, die sie bin­den, obwohl sie anderwärtig besser eingesetzt wären.

Stichwort: Schulweg sichern. – Schulwegsicherung im Ballungszentrum ist eine wichti­ge Aufgabe, die wird – sofern vorhanden – normalerweise von Zivildienern oder von Pri­vatpersonen besorgt, findet aber in der Praxis kaum Rückhalt in der Bevölkerung, weil es eine ungeliebte Tätigkeit ist. Und so bleibt das wieder bei der Polizei hängen. Da würden sich zum Beispiel die Parksheriffs in Wien anbieten. Das wird zum Beispiel von der Gemeinde Wien abgelehnt, denn wenn ein Parksheriff den Schulweg sichert, dann kann er kein Geld eintreiben. So gesehen stellt es wiederum ein Problem dar, und es bleibt wieder die Polizei über und ist mit diesen sicherlich notwendigen Tätigkeiten, aber nicht unbedingt exekutiven Notwendigkeiten gebunden und in ihrer eigentlichen Aufga­benerfüllung gehemmt.

Es gäbe also eine Vielzahl von Ansätzen, wie man die Polizei sinnvoll entlasten und auch die Bürger einbinden könnte, aber insbesondere auch den Schulterschluss mit den Kommunen finden kann. Ob es dieses Projekt ist, wage ich zu bezweifeln. Ich bin auch sehr skeptisch, weil ich, wie gesagt, nicht nur weiß, wie das zustande gekommen ist, sondern weil ich die Rückmeldungen aus den Probebereichen kenne.

Ich würde mir wünschen, dass der in Aussicht genommene bundesweite Start im ers­ten Quartal 2017 vielleicht noch einmal überdacht wird. Dass Sie das Ergebnis des Pro­bebetriebs abwarten wollen, ist legitim, aber ich ersuche Sie auch, dass man die richti­gen Schlüsse daraus zieht – die richtigen Schlüsse im Sinne der faktischen Gegeben­heiten und nicht des politischen Wollens, denn was politisch verfolgt wird, liegt auf der Hand. Aber was sinnvoll, vor allem gescheit und vor allem auch im Interesse der Auf­gabenerfüllung der Polizei ist, ist etwas anderes. In diesem Sinne ersuche ich Sie: Schauen Sie sich das noch einmal an! Ich hoffe, dass Sie auch wie ich zu der Einsicht


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kommen, dass dieses Projekt jedenfalls in dieser Form abzulehnen ist. – Danke. (Bei­fall bei der FPÖ.)

16.44


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Schö­dinger. – Bitte.

 


16.45.12

Bundesrat Gerhard Schödinger (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Sehr geehrte Herren Minister! Werte Damen und Herren im Plenum! Sehr geehr­ter Herr Minister Sobotka, wir wissen zu arbeiten.

Dem, was unser Herr Minister hier ausgeführt hat, ist ja eigentlich nichts mehr hinzuzu­fügen. (Ironische Heiterkeit bei der FPÖ.) Eine bessere Erklärung kann man, glaube ich, zu diesem Thema nicht abgeben. Man sieht schon, wie fundiert hier fachliches Wis­sen in das Plenum übermittelt wurde.

Gestatten Sie mir trotzdem einige wenige Aussagen, die ich anführen will, und zwar im Hinblick auf das subjektive Sicherheitsgefühl. Mich wundert diese Allianz zwischen Blau und Grün bei dieser Anfrage, da es ja doch, wenn man sich die Redebeiträge an­hört, in komplett unterschiedliche Richtungen geht. (Bundesrat Herbert: Das ist geleb­te parlamentarische Demokratie! – Heiterkeit. – Bundesrat Mayer: Das ist seit der Bun­despräsidentenwahl!) – Ich könnte jetzt auch einen Witz erzählen, damit wir gemein­sam lachen und dann weiterdiskutieren.

Ich möchte aber lieber ein paar Punkte anführen. Die Entstehung dieses subjektiven Unsicherheitsgefühls liegt ja im Interesse verschiedener politischer Bewegungen, und die ÖVP gehört da nicht dazu. Ich will jetzt nur einen kurzen Blick auf die vergangene Bundespräsidentenwahl werfen: Was sich da auf Facebook abgespielt hat, da hat sich alles in eine einzige Richtung bewegt. Die FPÖ hat nämlich ständig erklärt, wie unsi­cher dieser Staat ist. (Bundesrätin Mühlwerth: Das stimmt ja auch!) Und das ist ja jetzt nicht erst seit der Bundespräsidentenwahl so, sondern diese Stimmung wurde schon we­sentlich früher immer wieder angeheizt.

Wenn man über die Statistik diskutiert, dann wird man von der Opposition ständig da­mit konfrontiert, dass die Statistik sowieso keine Aussagekraft hat. Und wenn man dementsprechend auch ein Projekt entgegensetzen will, das eventuell das Sicherheits­gefühl der Bürger hebt – weil ja die tatsächlichen Zahlen doch eine wirklich hervorra­gende Arbeit der Exekutive und der Sicherheitsverwaltung in Österreich belegen –, dann ist das wahrscheinlich eine ganz vernünftige Vorgangsweise.

Was Kollege Herbert hier gesagt hat – dass dieses Projekt wegen der Ereignisse in Köln gestartet wurde –, ist Nonsens, das muss ich einmal so sagen. (Bundesrat Herbert: Du warst nicht dabei, ich schon!) Vor eineinhalb Jahren war der Generaldirektor für die öf­fentliche Sicherheit in Kanada, um sich über dieses … (Bundesrätin Mühlwerth: Non­sens! – Aufpassen, da gehört ein Ordnungsruf!) – Ja, ja, alles klar. (Rufe und Gegenru­fe zwischen Bundesräten von FPÖ und ÖVP.) Ich will jetzt aber trotzdem noch einmal zum Thema zurückkommen. Dieses Projekt wurde mit dem Besuch des Generaldirek­tors für die öffentliche Sicherheit in Kanada vor eineinhalb Jahren gestartet. Das war lange vor den Ereignissen in Köln. Das ganze Projekt wurde langfristig vorbereitet und ist kein Schnellschuss, das will ich schon einmal klar gesagt haben.

Ich glaube, auch von der Begründung und vom Ablauf und von der Erklärung des Pi­lotprojektes her, ist den Ausführungen unseres Innenministers nichts mehr hinzuzufü­gen. Ich denke, dass man einem Projekt, auch wenn es eine Menge Kritiker gibt, in Pi­lotform doch die Chance geben sollte, eine gewisse Zeit zu laufen, um es danach zu evaluieren. Dann wird man sehen, ob es Sinn macht oder nicht. Es gibt am Innenminis-


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terium – ich habe sehr viele Reformen miterlebt – zu Beginn oft sehr viel Kritik. Im Nach­hinein stellt sich eine Reform dann oft als eine wirklich weitsichtige Entscheidung he­raus, die uns langfristig geholfen hat.

Zu den Informationen, die die Bürgermeister alle bekommen sollen: Ich bin selber Bür­germeister und muss ganz ehrlich sagen: Ich muss nicht alles wissen. Ich weiß auch, wenn so etwas passiert, dass genau mit diesen Vorgangsweisen die Gerüchteküche noch einmal angeheizt wird, und das haben wir beim besten Willen nicht nötig. Des­wegen sollten wir es auch bei der derzeitigen Berichterstattung und den Informations­vorgaben belassen.

So bleibt mir abschließend nur zu sagen, dass ich die gewählte Vorgangsweise wirklich für vernünftig halte, vorerst in einigen kleinen Bereichen, um einmal zu sehen, wie das funktioniert. Ich weise den Ausdruck „Spitzelbürger“ massiv zurück! Ich weise noch ein­mal darauf hin, dass dieses Projekt kein anlassbezogenes Projekt aufgrund der Ereig­nisse in Köln war, sondern dass es bereits wesentlich früher angesetzt wurde. – Herzli­chen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

16.49


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Weber. – Bitte.

 


16.49.50

Bundesrat Martin Weber (SPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Meine Herren Bundes­minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter anderem in einem Punkt bin ich mit dem Herrn Bundesminister d’accord: Österreich gehört zu den sichersten Ländern der Welt.

Auch der Aussage des Generaldirektors für die öffentliche Sicherheit, des Herrn Kon­rad Kogler, kann ich zustimmen. Auch ich bin damit einverstanden, dass die Menschen in unserem Land einen Ansprechpartner für das wichtige Thema Sicherheit und für ihre Ängste brauchen. Ich teile aber auch die Meinung des Bürgermeisters von Schärding, der dieses Projekt eher ablehnt und nicht befürwortet. Wir müssen auch diese Ängste, diese Befürchtungen ernst nehmen und hören. Er ist auch kein Befürworter eines Pri­vatsheriffs, dass also Bürger sozusagen mit einem Sheriffstern, bewaffnet mit Fotoappa­rat, Taschenlampe, Handy – das wäre noch die gelindeste Ausstattung –, auf Wache, auf Streife gehen. (Bundesrätin Mühlwerth: Das ist ein romantisches Bild!)

Heute – gerade zuvor – habe ich im ORF-Newsletter gelesen, dass in der sächsischen Gemeinde Arnsdorf drei private Männer einen kranken Asylwerber mit Kabelbindern an einen Baum gefesselt haben. Also so soll dieses Pilotprojekt nicht enden, auf solche möglichen negativen Auswirkungen sollen wir schon im Vorfeld achten. Einer dieser Bür­ger war übrigens auch Gemeinderat der CDU.

Aber es gibt auch positive Ansätze, es gibt auch positive Themen bei diesem Projekt „Gemeinsam Sicher“. Es spricht nichts dagegen, dass Bürger und Exekutive einen bes­seren Meinungsaustausch pflegen. Es spricht nichts dagegen, dass es ein gewisses Feedback zwischen Bevölkerung und Polizei geben soll, zum Beispiel dahin gehend, wo es im öffentlichen Raum zu wenig Beleuchtung gibt, wo ein Gefühl der Unsicherheit entsteht, wo zum Beispiel ein Zebrastreifen fehlt, wo zu wenig Streifendienst gemacht wird.

Es spricht auch nichts dagegen, die Informationsweitergabe zu verstärken, zum Bei­spiel die Kriminalitätsstatistik vom eigenen Heimatbezirk. Es gibt auch positive Beispie­le: Vielleicht ist dieser Sicherheitsgemeinderat ein wenig vom Beispiel des EU-Gemein­derates abgekupfert, welcher die Themen und die europäischen Ideen in den Kommu­nen der Bevölkerung näherbringt.


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Wir müssen das Thema aber auch kritisch betrachten, zumindest in dem Teil, wo der Bürger in die Gefahr kommt, ins operative Handeln der Exekutive eingebunden zu wer­den. Wo darf ein Bürger bei Polizeihandlungen mitmachen? Wir dürfen auch nicht Que­rulanten eine Bühne für ihr Handeln geben. Die Aufgaben der Exekutive sind nicht die Aufgaben der Mandatare und Mandatarinnen in den Kommunen. Dort fehlt die Kom­petenz, dort fehlt auch das Fachwissen, das Know-how dafür.

Sicherheitsgemeinderäte würden dort ja ohne Rechtssicherheit wirksam werden. Es würde auch Fälle wie Schlichtungen von Nachbarstreitigkeiten betreffen, bei Einbrü­chen, bei Diebstählen würde der/die eine oder andere Mandatar oder Mandatarin wahr­scheinlich völlig überfordert sein. Da muss es eine ganz klare Trennung geben, was der Sicherheitsgemeinderat darf, was der Sicherheitsbürger darf und was nach wie vor Aufgabe der Polizei ist.

Einen weiteren Aspekt gilt es bei diesem Thema zu betrachten, da dieses Pilotprojekt wieder einmal mehr den sogenannten grauen Finanzausgleich stärkt. Die Gemeinden bekommen ohne Bezahlung eine zusätzliche Aufgabe übertragen, ohne dass das fi­nanziell abgegolten wird, zumindest ist mir bis jetzt nichts Derartiges bekannt.

Natürlich sollten wir auch die kritische Haltung der Polizeigewerkschaft – wir haben es heute schon gehört – ernst nehmen: Wie betrifft das die Überstunden? Gibt es zusätz­liche Kontingente? Gibt es eine Doppelgleisigkeit? Wie kann das vermieden werden? Die Exekutive ist im normalen Dienstbetrieb, was die Überstunden betrifft, jetzt schon schwer unter Druck.

Eine Bitte habe ich an den Herrn Bundesminister – dieses Pilotprojekt wird ja auch wis­senschaftlich begleitet –, nämlich dass wir nach dieser wissenschaftlichen Abhandlung zeitnahe einen Bericht darüber bekommen, welche Vorteile sich aus diesem Pilotpro­jekt ergeben haben, welche Nachteile, welche guten Beispiele wir anführen können und welche negativen Vorkommnisse es gegeben hat.

Meiner Meinung nach sollten wir diesem Pilotprojekt schon auch diese Chance geben. Hoffen wir, dass daraus kein Bruchpilot wird. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Bun­desräten der ÖVP.)

16.55


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Stög­müller. – Bitte.

 


16.56.09

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mich noch ganz kurz zu den Antworten des Herrn Innenministers äußern. Zum einen, Herr Innenminister, vielen Dank für Ihre Ant­worten. Es ist aber so, dass aus meiner Sicht mehr Fragen geblieben sind, als über­haupt Antworten gegeben worden sind. Es sind natürlich ein paar Fakten und Daten genannt worden. Interessant ist, wie viele sich schon gemeldet haben.

Noch immer fraglich ist meiner Meinung nach, warum denn diese Gemeinden ausge­wählt wurden. Diese Frage ist nach wie vor unbeantwortet. Es ist ja nicht deshalb, weil, wie behauptet, dort die Kriminalität so hoch ist. In Schärding ist die Kriminalität gegen­über dem letztem Jahr um 3 Prozent gesunken, im Bezirk Mödling um 5,2 Prozent. (Bundesminister Sobotka: Ich habe ja gesagt: Eine Gemeinde, die nicht belastet ist, eine, die belastet ist!) Also, ich kenne jetzt nicht die genauen Zahlen von Graz, im Be­zirk Eisenstadt ist sie nach unten gegangen, da habe ich aber jetzt keine Vergleichs­zahl zu 2014 gehabt. Wie gesagt, es ist sehr spannend, warum diese Gemeinden aus­gewählt worden sind.


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 131

Zu den Ausführungen des Kollegen Weber möchte ich sagen, es ist richtig, Querulan­ten keine Bühne zu geben. Genau das sehe ich auch so. Wir brauchen keine Queru­lanten, die bei uns in der Gemeinde herumrennen.

Der Bezirk Schärding ist ein kleinstrukturierter Bezirk, die größten Siedlungen sind dort Andorf und Schärding mit 4 000 bis 5 000 Einwohnern, die restlichen sind mit höchs­tens 1 500 Einwohnern ganz klein strukturiert. Das heißt, dort können wir wirklich he­rumgehen und schauen, welche Auffälligkeiten darunter sind.

Ich bin der ganz festen Überzeugung, dass das subjektive Unsicherheitsgefühl sicher nicht irgendwie mit rein subjektiven Verdächtigungen anderer gelöst werden kann.

Vielleicht können Sie mir noch ein paar Antworten geben: Die Frau Innenministerin außer Dienst hat gesagt, dass dieses Aufgabengebiet dann an den Sicherheitslandes­rat weitergegeben wird. Vielleicht können Sie mir noch beantworten, warum das jetzt nicht mehr so ist.

Und noch eine Frage, die letzte Frage haben Sie mir nämlich gar nicht beantwortet: Könnten diese Ziele auch durch eine Dezentralisierung und eine bessere Verankerung der Exekutivbeamten in den Gemeinden erreicht werden?

Ich gebe dem Kollegen von der ÖVP recht, der gesagt hat, dass es dieses Projekt ja schon länger gibt. Das wissen wir auch. Es ist ja, glaube ich, etwa im Zeitraum 2012/
2013 geplant worden. Am Anfang wurde ja behauptet, in Schärding kommt das auf­grund der Flüchtlingssituation – das ist falsch, es war schon früher geplant. Ich wollte es nicht anführen, da es für mich klar war, aber es war schon früher in Planung. Jetzt stellt sich für mich allerdings schon ein bisschen die Frage, ob dieses Projekt geplant worden ist, weil man Polizeiposten zugesperrt hat. Das war ja gerade in unserer Re­gion in den Bezirken oft der Fall, und damit ist eine Zentralisierung der Polizei gesche­hen.

Das wären noch ein paar Fragen, die Sie mir vielleicht noch beantworten könnten. An­sonsten werden wir dieses Pilotprojekt natürlich sehr gut beobachten. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

16.59


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nun darf ich Herrn Bundesminister Mag. Sobotka das Wort erteilen. – Bitte.

 


16.59.40

Bundesminister für Inneres Mag. Wolfgang Sobotka: Sehr geehrter Herr Vizepräsi­dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht noch ein paar Dinge zur Klar­stellung:

Was gerade als Verbesserung angesprochen wurde – die Information über Flüchtlings­unterkünfte, Polizeiinspektion –, das ist gerade in Bezug auf diese Gemeinden, wo wir das haben, gefallen. Wir haben in vier Probebezirken in ganz Tirol und in Oberöster­reich im Rahmen von „Gemeinsam Sicher“ diese Zusammenarbeit, auch schon den In­formationsaustausch, in Arbeit – nicht in allen diesen Pilotprojekten, sondern nur in ei­nem Teil –, und dort funktioniert das auch. Das ist sicherlich ein Vorschlag, den wir auch in anderen Bereichen überlegen können. Was sind so quasi Auffälligkeiten oder Strukturen?

Auch was die Schulwegsicherung anbelangt: Das ist mir genauso wichtig – beispiels­weise war früher auch der ruhende Verkehr im Aufgabenbereich der Polizei –, dort zu entlasten. Das könnte auch Ausfluss des Projekts sein.

Herr Bundesrat Herbert! Engagieren Sie sich, damit wir dann dort genügend Leute fin­den, die auch bereit sind, die Schulwegsicherung zu machen. Gerade das ist ja beab-


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sichtigt, dass wir das zustande bringen. Also nur Mut und ran und sich einklinken und die Leute motivieren, damit sie eben dann die Schulwegsicherung machen! Dann kön­nen wir die Polizei für andere Arbeiten einsetzen.

Dazu, dass das Projekt ein Placebo sei: Wie immer man das auch bewertet, ich würde nicht Energie hineinstecken, wenn es nicht erstens die Vergleiche aus den anderen Ländern gäbe, wenn es in anderen Ländern nicht klare Erfolge gezeitigt hätte und wenn wir nicht alles versuchen müssten, um die Sicherheit, die gesamte Sicherheit in unserem Land, wo wir auch können, auf diesem hohen Niveau zu halten.

Was wir bestimmt nicht wollen – und diesbezüglich bin ich auch sehr klar –: Wir wollen keine Selbstjustiz. Wir wollen eben nicht, dass es zu einer Situation – wie von Kolle­gen Weber angesprochen – wie in Deutschland kommt. Das ist ja gerade die Situation, dass sich die Bürger vielfach alleingelassen fühlen und auch nicht in einem Zusammen­halt gesehen werden.

Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ein oberösterreichisches Haus, wo wir Asylwerber unterzubringen gedenken, brennt, erfüllt mich mit großer Sorge. (Bundesrat Stögmül­ler: Das sind aber dann …!) Wir haben es bisher letzten Endes vermieden, dass sol­che Diskrepanzen in der Gesellschaft aufkommen. Gerade dieses Projekt kann dazu beitragen, in der Diskussion Verschiedenes zusammenzuführen, gerade damit bei so heiklen Projekten – da geht es nicht nur um die Migration, da geht es auch um Ansie­delungen von kritischer Infrastruktur oder vieles andere mehr –, das Sicherheitsthema wahrgenommen wird.

Sehen Sie das doch einmal als Chance, etwas zu entwickeln! Wenn Sie fragen: Wozu einen Sicherheitsgemeinderat? – Ja, wir haben einen Gesundheitsgemeinderat. Ist der der Gegenpol zu den Ärzten? (Bundesrat Stögmüller: Der ist gewählt!) – Der Gesund­heitsgemeinderat ist genauso in dieser Form einer, der sich dieser Materie stellt und sich damit auseinandersetzt.

Ich glaube, dass er in der Gesamtheit dieser Situation ja doch ein ganz wesentliches ergänzendes Element darstellt. Er ist kein zusätzlicher Sheriff mit einem Sheriffstern. Nein, ganz im Gegenteil. Also ich sehe das, wenn ich mir das Miteinander im politi­schen Bereich von Kommunen anschaue, als große Chance.

Schlussendlich: Wir werden das ganz klar evaluieren, die Vorteile darlegen und die Nachteile genauso. Ich bin mit dem Anspruch vollkommener Transparenz angetreten, denn langfristig ist es notwendig, auch die Sachen, die nicht so gut laufen, klar darzu­legen, denn irgendwann kommen sie zutage, und irgendwann heißt es dann: Warum ist das nicht gesagt worden? Das hätte man schon längst besser machen können! Man muss auch den Mut haben, unangenehme Dinge zu sagen, den Mut haben, zu sagen: Das hat nicht funktioniert.

Wir müssen uns vielleicht auch davon trennen, zu sagen, wir haben ein Modell, das für ganz Österreich gleich sein muss. Nein! Die Landschaft Österreichs ist viel zu hetero­gen, viel zu unterschiedlich. Ja leben wir doch diesen Föderalismus, gerade in dieser Kammer! Der Föderalismus hört ja nicht bei den Ländern auf. Der Föderalismus lebt ja letzten Endes in der Selbständigkeit der Gemeinde.

Sie kennen doch die Länder noch viel besser als ich, Sie wissen, dass die einzelnen Gemeinden unterschiedlich sind. Da soll auch jede die Möglichkeit haben, schlussend­lich einen unterschiedlichen Zugang zu diesen Konzepten zu entwickeln. Ich denke, für uns ist es in dieser Situation wichtig, aus dem Pilotprojekt diese Erfahrungen zu ziehen und zu sehen, wie wir es verbessern können. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

17.05


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke, Herr Minister.

Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 133

Gibt es noch weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. (Bundesminister Sobot­ka: Der Sicherheitsgemeinderat wird gewählt! Bundesrat Stögmüller: Von wem? Bundesminister Sobotka: Ja vom Gemeinderat!  Bundesrat Stögmüller: Der Sicher­heitsgemeinderat ist ein gewählter Mandatar, ja, aber der Sicherheitsbürger ist keine gewählte Person!) – Gut, das war eine Ergänzung.

Damit ist die Debatte geschlossen.

Danke, Herr Minister.

17.05.47Fortsetzung der Tagesordnung

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir nehmen jetzt die Verhandlungen zur Tagesord­nung wieder auf.

8. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 19. Mai 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Unternehmensgesetzbuch, das Aktiengesetz, das GmbH-Gesetz, das SE-Gesetz, das Genossenschaftsgesetz, das Genossenschaftsrevisionsge­setz 1997, das SCE-Gesetz, das Bankwesengesetz, das Versicherungsaufsichts­gesetz 2016, das Sparkassengesetz, das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, das Unternehmensreorganisationsgesetz, die Insolvenzordnung und das Bun­desministeriengesetz 1986 geändert werden (Abschlussprüfungsrechts-Ände­rungsgesetz 2016 – APRÄG 2016) (1109 d.B. und 1123 d.B. sowie 9586/BR d.B. und 9593/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen zum 8. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Anderl. – Bitte.

 


17.06.23

Berichterstatterin Renate Anderl: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Ich erstatte Bericht aus dem Justizausschuss über den Beschluss des Natio­nalrates vom 19. Mai 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Unternehmens­gesetzbuch, das Aktiengesetz, das GmbH-Gesetz, das SE-Gesetz, das Genossen­schaftsgesetz, das Genossenschaftsrevisionsgesetz 1997, das SCE-Gesetz, das Bank­wesengesetz, das Versicherungsaufsichtsgesetz 2016, das Sparkassengesetz, das All­gemeine bürgerliche Gesetzbuch, das Unternehmensreorganisationsgesetz, die Insol­venzordnung und das Bundesministeriengesetz 1986 geändert werden.

Der gegenständliche Beschluss umfasst insbesondere folgende Maßnahmen: Stärkung der Unabhängigkeit der Abschlussprüfer und Stärkung der Rolle des Prüfungsausschus­ses.

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 31. Mai 2016 mit Stimmen­mehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Ein­spruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Dr. Dziedzic. – Bitte.

 


17.07.42

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Werter Minister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Das vorliegende Gesetz schafft be­kanntlich die Voraussetzungen für die unmittelbare Anwendbarkeit einer der EU-Ver-


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 134

ordnungen über spezifische Anforderungen an die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse beziehungsweise dient der Umsetzung einer ins nationale Recht umzusetzenden EU-Richtlinie über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, soweit es deren prüfungsbezogene Vorschriften be­trifft.

In aller Kürze: Die wesentlichen Aspekte beziehen sich auf die Laufzeit des Prüfungs­mandats, auf das Verbot der Erbringung von Nichtprüfungsleistungen sowie auf die Prü­fungshonorare.

Wir werden dem nicht zustimmen, und das gründet auf folgender Kritik: Jahrzehnte­lange Prüfmandate gefährden die Unabhängigkeit von Prüfgesellschaften. Das Hypo-Debakel hat Österreich deutlich vor Augen geführt, wie wichtig unabhängige und quali­tativ hochwertige Abschlussprüfungen sind. Vor diesem Hintergrund ist die externe Ro­tation von Abschlussprüfern von Banken und Versicherungen von besonderer Bedeu­tung. Mit einer Laufzeit von zehn Jahren, bei sonstigen Unternehmen von öffentlichem Interesse sogar von bis zu 24 Jahren ist diese aus unserer Sicht mehr als großzügig be­messen.

Österreich sollte unserer Meinung nach aufgrund der gemachten Erfahrungen in die­sem Punkt besonders strenge Maßstäbe anlegen und die Höchstlaufzeit von Prüfungs­mandaten mit fünf Jahren beschränken.

Was das Verbot der Erbringung von Nichtprüfungsleistungen anbelangt: Die im Gesetz vorgesehene Ausübung des Mitgliedstaatenwahlrechts, Ausnahmen vom Verbot von Nichtprüfungsleistungen zu ermöglichen, gefährdet aus unserer Sicht ebenfalls die Un­abhängigkeit der Abschlussprüfer und kann auch die Selbstprüfungstatbestände verur­sachen. Auch das ist aus unserer Sicht abzulehnen, Gleiches gilt auch für die Prü­fungshonorare.

Es wäre eine Chance gewesen, den Bereich der Abschlussprüfungen zu stärken, die Qualität der Prüfungen zu verbessern und insbesondere auch das Vertrauen der Be­völkerung in diese Abschlussprüfungen von Unternehmen zu erhöhen.

Bei diesem Änderungsgesetz hätte es auf jeden Fall diese Chance gegeben, diese ist aber vertan worden. Aus genau diesen Gründen wirkt das für uns eher wie eine Alibi-Aktion und hat wenig mit tatsächlicher Kontrolle und Transparenz zu tun.

Deswegen wird das vorliegende Gesetz unsere Zustimmung nicht erhalten. – Ich dan­ke trotzdem fürs Zuhören. (Beifall bei den Grünen.)

17.10


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat May­er. – Bitte.

 


17.10.53

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minis­ter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In aller Kürze: Wir diskutieren das Abschlussprü­fungsrecht, bei dem Teile der EU-Richtlinie über Abschlussprüfungen ins nationale Recht umgesetzt werden – betreffend Unternehmensrecht, Gesellschaftsrecht, Genossen­schaftsrecht. Ich glaube, das ist ja unstrittig.

Das vorgegebene Ziel, Frau Kollegin Dziedzic, ist schon, dass die Qualität der Ab­schlussprüfungen gehoben und damit auch das Vertrauen in den Kapitalmarkt wieder gestärkt wird. Das sind schon wesentliche Ziele, denn da haben wir in den letzten Jah­ren doch einige Probleme gehabt. Da ist es auch wichtig, dass es zu keinen großen Kostenbelastungen kommt und ein bürokratischer Mehraufwand für die Unternehmen zu vermeiden ist. (Bundesrätin Dziedzic: Ja!) Das ist, glaube ich, unbestritten.


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 135

Wir wollen natürlich auch sicherstellen, dass die Prüfer ihre Arbeit unabhängig und un­parteiisch machen können, dass aber auch die Anforderungen klar definiert werden und dass das auch richtig einzuordnen ist. Wir stärken damit die Rolle des Prüfungs­ausschusses in den Aufsichtsräten, das ist auch wichtig zu sagen.

Dazu zwei Punkte: Es war bisher schon so, dass Abschlussprüfer von Unternehmen öffentlichen Interesses zur Vermeidung einer Befangenheit für ein Jahr nach Abschluss der Prüfung keine leitende Stellung im geprüften Unternehmen annehmen durften. Wir dehnen dieses befristete Tätigkeitsverbot nun einerseits auf alle Abschlussprüfer aus, auf der anderen Seite bei Unternehmen von öffentlichem Interesse sogar auf zwei Jah­re. Das ist auch ein ganz wichtiger Punkt.

Weiters, und das ist ebenfalls neu, sollen zukünftig auch sämtliche an der Prüfung be­teiligten Mitarbeiter des Abschlussprüfers vom Verbot umfasst werden, sofern sie auch zugelassene Wirtschaftsprüfer sind.

Wichtig ist auch die Höchstlaufzeit des Prüfungsmandats für Abschlussprüfungen: Für Prüfungsgesellschaften von Unternehmen von öffentlichem Interesse wird es auf zehn Jahre limitiert. Diese 24 Jahre stimmen ja nicht, das hat man im Nationalrat auch ent­sprechend herausgearbeitet, da bist du, glaube ich, mit diesen 24 Jahren falsch infor­miert, das geht schon auf die zehnjährige Frist hinaus.

Wir haben das natürlich auch entsprechend bezeichnet, da spricht man dann von einer externen Rotation. Die externe Rotation ist ein wichtiger Punkt, denn – weil ja auf die Hypo Alpe-Adria, die Heta verwiesen wurde –: Da gab es nämlich eine interne Rota­tion, und das ist die Problematik. Wir weiten das aus beziehungsweise limitieren es auf die externe Rotationspflicht; im Anschluss daran gibt es eine sogenannte vierjährige Abkühlphase.

Mit diesem Limit oder mit diesen Festlegungen im Gesetz wurde, glaube ich, auch ein machbarer Kompromiss gefunden, Herr Minister Brandstetter. Ich denke, da hat man viele Jahre gekämpft und fast auch gestritten, dass es eine gemeinsame Lösung gibt, und diesen Kompromiss in dieser wirklich schwierigen Materie kann man durchaus als gelungen betrachten. Das ist schon ein Punkt, den es hier anzuführen gilt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von uns gibt es deshalb auch ein klares Bekenntnis zu diesen Maßnahmen, die zu einer weiteren Verbesserung von Transparenz und Un­abhängigkeit in der Wirtschaftsprüfung beitragen sollen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

17.14


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Mag. Kurz. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


17.14.36

Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Ich glaube, auch ich kann mich eher kurz fassen. Wir wissen, dass die Ge­schichte dieses Gesetzes schon eine ziemlich lange ist. Die EU hat sich bereits im Jahr 2008 im Umfeld der Finanz- und Wirtschaftskrise damit beschäftigt, und seit die­ser Zeit sollten wir eigentlich eine Änderung herbeiführen.

Ich gehe davon aus, da ich weiß, dass die Freiheitlichen diesem Gesetz zustimmen werden, dass sie das dieses Mal auch für gut befinden, dass die EU quasi eine Vorga­be gemacht hat, die ja im Interesse der Öffentlichkeit ist.

Ich glaube auch, dass wesentliche Ziele – einerseits die Transparenz und das Ver­trauen in die Abschlussprüfung zu erhöhen und andererseits die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer, aber auch die Kommunikation zwischen Abschlussprüfer und Prüfungs­ausschuss zu verbessern – durchaus erreicht werden.


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 136

Es ist klar, dass dieses Reformpaket auch eine wichtige Voraussetzung dafür dar­stellen sollte, das Vertrauen der betroffenen Stakeholder, aber auch der Öffentlichkeit zu stärken. Die geplanten Maßnahmen sind zum Großteil schon von Herrn Kollegen Mayer erwähnt worden. Ich darf noch ergänzen, es geht auch um die Begrenzung der von einem geprüften Unternehmer von öffentlichem Interesse an den Prüfer bezahlten Honorare.

Die Begrenzung der Höchstlaufzeit wurde schon genannt, die Ausdehnung des Tätig­keitsverbots ebenfalls, aber es geht auch noch um Dinge wie das Konzernprivileg bei Einrichtung des Prüfungsausschusses, das erweitert werden soll, und andere Dinge mehr.

Wir von der SPÖ sind der Meinung, dass das vorliegende Änderungsgesetz natürlich einen Kompromiss darstellt, wie könnte es anders sein, indem eben nicht alle Wünsche erfüllt werden konnten, aber natürlich wird es von uns befürwortet. Ich bin auch froh, dass auf Anregung meines Kollegen Jarolim im Nationalrat auch mit den Stimmen der ÖVP und der Freiheitlichen noch einige Abänderungen vorgenommen worden sind, die wichtige Klarstellungen enthalten.

Meiner Meinung nach ist dadurch die Stärkung der Unabhängigkeit der Abschlussprü­fer und auch der Rolle des Prüfungsausschusses erreicht. Wir dürfen nicht vergessen, es geht auch um dieses Vertrauen, das in der Öffentlichkeit herrschen sollte, dass Jah­resabschlüsse und konsolidierte Abschlüsse der Unternehmen auch wirklich stimmen. – Um das geht es eigentlich.

Es gibt einen relativ großen Personenkreis, der sich darauf verlässt, dass die Qualität dieser Abschlussprüfungen wirklich eine äußerst hohe ist und dass keine Fehler pas­sieren. Manche Märkte sind in Wirklichkeit auch davon abhängig, zu wissen: Okay, ich kann mich darauf verlassen, das, was in so einem Abschlussbericht steht, das stimmt auch.

Wir werden diesem Gesetz jedenfalls gerne zustimmen. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

17.17


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Jenewein. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


17.17.54

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein (FPÖ, Wien): Meine sehr geehrten Damen und Her­ren! Herr Bundesminister! Herr Präsident! Ich möchte nicht näher auf die Genesis des Gesetzes eingehen, das wurde von Herrn Kollegen Mayer und von Frau Kollegin Kurz hinlänglich getan. Ich möchte nur, da meine Vorrednerin gemeint hat, dass wir Freiheit­liche dem zustimmen und der Meinung sind, dass aus der EU auch einmal etwas Gu­tes kommt, sagen, ich versuche jetzt seit sechs Jahren, mir diese Argumentation von Ihnen zu eigen zu machen, dass wir alle doch die EU sind.

Dementsprechend nehme ich für mich auch in Anspruch, dass wir alle hier ein gutes Gesetz auf den Weg gebracht haben. Ich glaube, dabei sollte man es belassen, und wir stimmen dem gerne zu.

Ich möchte Ihnen aber ausdrücklich noch recht geben, was eigentlich die Grundaus­sage bei dieser Materie sein soll: Man muss sich darauf verlassen können, dass Ab­schlüsse richtig sind. Ich glaube, das sollte eine Selbstverständlichkeit sein – und das war es bisher eigentlich auch –, und jetzt wird eben den europäischen Regeln Genüge getan. – Danke schön. (Beifall bei FPÖ, ÖVP und SPÖ.)

17.18


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nun darf ich Herrn Bundesminister Dr. Brandstetter das Wort erteilen. – Bitte, Herr Minister.

 



BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 137

17.19.06

Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren Bundesräte! Mir bleibt eigentlich nur noch, allen, die an der Erarbeitung dieses wirklich schönen Kompromisses beteiligt wa­ren, wirklich zu danken, das war ein schönes Beispiel für Konsensfindung auf parla­mentarischer Ebene.

Ich weiß, dass man aus den verschiedensten Gründen immer mehr wollen kann, aber das, was hier herausgekommen ist, ist aus meiner Sicht eine der besten Richtlinienum­setzungen, die ich je erlebt habe. Wir haben es auch rechtzeitig geschafft, die Richt­linie umzusetzen, und es ist wirklich gelungen, die wesentlichen Interessen entspre­chend zu berücksichtigen.

Alle, die sich in der Praxis mit diesen Dingen auskennen, sagen mir, es ist jedenfalls nicht zu bestreiten, dass dieses Gesetz – und für uns ist es, glaube ich, schon das Ge­setz Nummer 34, das wir durchgebracht haben – auf jeden Fall eine Verbesserung ge­genüber der bisherigen Regelung ist. Es ist auch das Ende einer jahrelangen Debatte darüber, wie man die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Abschlussprüfer im In­teresse des Vertrauens in die Wirtschaft auch noch besser ausgestalten und verstär­ken kann.

Es ist ein schöner Kompromiss, ein besseres Gesetz, als wir es bisher hatten. So ge­sehen freue ich mich sehr darüber und danke allen, die daran beteiligt waren. (Allge­meiner Beifall.)

17.20


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke, Herr Bundesminister.

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Dem ist nicht so. Damit ist die Debatte ge­schlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Die Tagesordnung ist damit erschöpft.

17.20.50Einlauf

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich gebe noch bekannt, dass seit der letzten be­ziehungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt vier Anfragen mit den Nummern 3150/J-BR/2016 bis 3153/J-BR/2016 eingebracht wurden.

*****

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Wege er­folgen. Als Sitzungstermin wird Donnerstag, der 30. Juni 2016, 9 Uhr, in Aussicht ge­nommen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen insbesondere jene Beschlüsse in Be­tracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit diese dem Ein­spruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.


BundesratStenographisches Protokoll854. Sitzung / Seite 138

Die Ausschussvorberatungen sind für Dienstag, den 28. Juni 2016, ab 14 Uhr, vorge­sehen.

Diese Sitzung ist geschlossen.

17.21.28Schluss der Sitzung: 17.21 Uhr

Impressum:

Parlamentsdirektion

1017 Wien