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Stenographisches Protokoll

 

 

 

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839. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

 

Donnerstag, 12. März 2015

 

 


Stenographisches Protokoll

839. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 12. März 2015

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 12. März 2015: 9.02 – 17.51 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Punkt: Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die äußeren Rechtsverhält­nisse islamischer Religionsgesellschaften erlassen wird

2. Punkt: Bericht des Bundeskanzlers und des Bundesministers für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien an das Parlament zum Arbeitsprogramm der Kommission für 2015 und zum 18-Monatsprogramm des Rates für 2014/15 gemäß Art. 23f Abs. 2 B-VG iVm § 7 EU-InfoG

3. Punkt: Bundesgesetz, mit dem hinsichtlich ganztägiger Schulformen und der Bewe­gungsorientierung an Schulen das Bundes-Schulaufsichtsgesetz, das Schulorganisa­tionsgesetz, das Land- und forstwirtschaftliche Bundesschulgesetz, das Bundesgesetz über Schulen zur Ausbildung von Leibeserziehern und Sportlehrern, das Schulunter­richtsgesetz, das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 9/2012 sowie das Hochschulgesetz 2005 ge­ändert werden

4. Punkt: Strategische Jahresplanung 2015 des Bundesministeriums für Bildung und Frauen auf der Grundlage des Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission und des Arbeitsprogramms der lettischen Präsidentschaft sowie des 18-Monatsprogramms der italienischen, lettischen und luxemburgischen Präsidentschaften

5. Punkt: Drittes Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen

6. Punkt: Jahresvorschau des BMJ auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitspro­gramms der Europäischen Kommission für 2015 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des italienischen, lettischen und luxemburgischen Ratsvorsitzes

7. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Neuordnung der Rechts­verhältnisse der Österreichischen Industrieholding Aktiengesellschaft und der Post und Telekombeteiligungsverwaltungsgesellschaft (ÖIAG-Gesetz 2000) und das Bundesge­setz über Maßnahmen zur Sicherung der Stabilität des Finanzmarktes (Finanzmarkt­stabilitätsgesetz-FinStaG) geändert werden (ÖBIB-Gesetz 2015)

8. Punkt: EU-Jahresvorschau 2015 des Bundesministeriums für Finanzen

*****


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 2

Inhalt

Bundesrat

Verlangen auf Durchführung einer namentlichen Abstimmung .................................... 46

Unterbrechung der Sitzung .......................................................................................... 47

Personalien

Verhinderungen ................................................................................................................ 7

Aktuelle Stunde (33.)

Thema: „Neuregelung der Fahrgastrechte“ .............................................................. 7

Redner/Rednerinnen:

Werner Stadler ................................................................................................................ 7

Gerhard Schödinger ...................................................................................................... 9

Gerd Krusche ............................................................................................................... 11

Werner Stadler (tatsächliche Berichtigung) ................................................................. 12

Mag. Nicole Schreyer ................................................................................................... 13

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ..............................................................  15, 22

Günther Novak ............................................................................................................. 17

Mag. Nicole Schreyer (tatsächliche Berichtigung) ...................................................... 18

Mag. Ernst Gödl ........................................................................................................... 18

Gerhard Dörfler ............................................................................................................ 20

Bundesregierung

Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Aufenthalt eines Mitgliedes der Bundesregierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union .............................................................. 25

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse .......................................................................... 26

Ausschüsse

Zuweisungen .........................................................................................................  24, 137

Dringliche Anfrage

der Bundesräte Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesmi­nisterin für Bildung und Frauen betreffend  Beharrung auf gescheiterten sozia­listischen „Bildungsphantasien“ auf Kosten der Zukunft unserer Kinder (3064/J-BR/2015) ................................................................................ 108

Begründung: Monika Mühlwerth ................................................................................ 108

Bundesministerin Gabriele Heinisch-Hosek .......................................................... 112

Debatte:

Gerhard Dörfler .......................................................................................................... 122

Ing. Bernhard Ebner, MSc ......................................................................................... 125

Elisabeth Reich ........................................................................................................... 129

Christoph Längle ........................................................................................................ 130

Mag. Susanne Kurz .................................................................................................... 131

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................. 136


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 3

Entschließungsantrag der Bundesräte Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kol­legen betreffend Absetzung der Bundesministerin für Bildung und Frauen – Ableh­nung ................................  125, 137

Verhandlungen

1. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2015 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die äußeren Rechtsverhältnisse is­lamischer Religionsgesellschaften erlassen wird (446 d.B. und 469 d.B. sowie 9324/BR d.B. und 9326/BR d.B.) ................................... 26

Berichterstatter: Josef Saller ........................................................................................ 26

Redner/Rednerinnen:

Monika Mühlwerth ....................................................................................................... 27

Elisabeth Grimling ....................................................................................................... 30

Efgani Dönmez, PMM ...........................................................................................  31, 44

Gottfried Kneifel ........................................................................................................... 35

Stefan Schennach ........................................................................................................ 37

Bundesminister Dr. Josef Ostermayer ..................................................................... 39

Gerd Krusche ............................................................................................................... 41

Christoph Längle .......................................................................................................... 45

Antrag der Bundesräte Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 43 Abs. 1 GO-BR, gegen den Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2015 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die äußeren Rechts­verhältnisse islamischer Religionsgesellschaften erlassen wird (446 d.B. und 469 d.B. sowie 9324/BR d.B. und 9326/BR d.B.), Einspruch zu erheben – Ableh­nung (namentliche Abstimmung) ...................................................................................... 43, 46

Verzeichnis des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung ...................................... 47

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................... 48

2. Punkt: Bericht des Bundeskanzlers und des Bundesministers für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien an das Parlament zum Arbeitsprogramm der Kom­mission für 2015 und zum 18-Monatsprogramm des Rates für 2014/15 gemäß Art. 23f Abs. 2 B-VG iVm § 7 EU-InfoG (III-544-BR/2015 d.B. sowie 9327/BR d.B.)                                                                                                                                               48

Berichterstatter: Dr. Magnus Brunner, LL.M .............................................................. 48

Redner/Rednerinnen:

Werner Herbert ............................................................................................................. 48

Stefan Schennach ........................................................................................................ 50

Ing. Andreas Pum ......................................................................................................... 52

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................... 54

Staatssekretärin Mag. Sonja Steßl ............................................................................. 55

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-544-BR/2015 d.B. zur Kenntnis zu nehmen        ............................................................................................................................... 58

3. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2015 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem hinsichtlich ganztägiger Schulformen und der Bewegungs­orientierung an Schulen das Bundes-Schulaufsichtsgesetz, das Schulorganisa­tionsgesetz, das Land- und forstwirtschaftliche Bundesschulgesetz, das Bundes­gesetz über Schulen zur Ausbildung von Leibeserziehern und Sportlehrern, das Schulunterrichtsgesetz, das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 9/2012 sowie das Hoch-


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schulgesetz 2005 geändert werden (448 d.B. und 461 d.B. sowie 9325/BR d.B. und 9332/BR d.B.) ...................... 58

Berichterstatter: Rene Pfister ....................................................................................... 58

Redner/Rednerinnen:

Monika Mühlwerth ....................................................................................................... 58

Elisabeth Reich ............................................................................................................. 60

Christoph Längle .......................................................................................................... 62

Angela Stöckl ................................................................................................................ 63

Efgani Dönmez, PMM .................................................................................................. 64

Mag. Daniela Gruber-Pruner ....................................................................................... 65

Martin Preineder ........................................................................................................... 67

Bundesministerin Gabriele Heinisch-Hosek ............................................................ 68

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................... 70

4. Punkt: Strategische Jahresplanung 2015 des Bundesministeriums für Bildung und Frauen auf der Grundlage des Arbeitsprogramms der Europäischen Kom­mission und des Arbeitsprogramms der lettischen Präsidentschaft sowie des 18-Monatsprogramms der italienischen, lettischen und luxemburgischen Präsident­schaften (III-540-BR/2015 d.B. sowie 9333/BR d.B.) ..................................... 70

Berichterstatterin: Elisabeth Reich ............................................................................... 70

Redner/Rednerinnen:

Christoph Längle .......................................................................................................... 70

Mag. Susanne Kurz ...................................................................................................... 72

Günther Köberl ............................................................................................................. 74

Efgani Dönmez, PMM .................................................................................................. 77

Bundesministerin Gabriele Heinisch-Hosek ............................................................ 78

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-540-BR/2015 d.B. zur Kenntnis zu nehmen        ............................................................................................................................... 80

5. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2015 betreffend Drittes Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen (374 d.B. und 462 d.B. sowie 9330/BR d.B.)                         80

Berichterstatterin: Ingrid Winkler .................................................................................. 81

Redner:

Bundesminister Dr. Wolfgang Brandstetter ............................................................. 81

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................... 81

6. Punkt: Jahresvorschau des BMJ auf der Grundlage des Legislativ- und Ar­beitsprogramms der Europäischen Kommission für 2015 sowie des Achtzehn­monatsprogramms des italienischen, lettischen und luxemburgischen Ratsvorsit­zes (III-537-BR/2015 d.B. sowie 9331/BR d.B.) ............... 81

Berichterstatterin: Ingrid Winkler .................................................................................. 82

Redner/Rednerinnen:

Edgar Mayer .................................................................................................................. 82

Christian Füller ............................................................................................................. 83

Hermann Brückl ........................................................................................................... 85

Bundesminister Dr. Wolfgang Brandstetter ............................................................. 87


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 5

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-537-BR/2015 d.B. zur Kenntnis zu nehmen        ............................................................................................................................... 89

7. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2015 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Neuordnung der Rechtsverhält­nisse der Österreichischen Industrieholding Aktiengesellschaft und der Post und Te­lekombeteiligungsverwaltungsgesellschaft (ÖIAG-Gesetz 2000) und das Bundes­gesetz über Maßnahmen zur Sicherung der Stabilität des Finanzmarktes (Finanz­marktstabilitätsgesetz-FinStaG) geändert werden (ÖBIB-Gesetz 2015) (458 d.B. und 485 d.B. sowie 9328/BR d.B.) ................................................................................................................. 89

Berichterstatter: Michael Lampel ................................................................................. 89

Redner/Rednerinnen:

Gerd Krusche ............................................................................................................... 90

Mag. Harald Himmer .................................................................................................... 90

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................... 92

Ingrid Winkler ................................................................................................................ 93

Mag. Gerald Zelina ....................................................................................................... 95

Franz Perhab ................................................................................................................. 96

Rene Pfister .................................................................................................................. 98

Mag. Reinhard Pisec, BA ............................................................................................ 99

Bundesminister Dr. Wolfgang Brandstetter ........................................................... 100

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................. 101

8. Punkt: EU-Jahresvorschau 2015 des Bundesministeriums für Finanzen (III-550-BR/2015 d.B. sowie 9329/BR d.B.) ............................................................................................................... 101

Berichterstatter: Christian Füller ................................................................................ 101

Redner/Rednerinnen:

Mag. Reinhard Pisec, BA ....................................................................................... ... 101

Friedrich Reisinger .................................................................................................... 103

Michael Lampel .......................................................................................................... 104

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................. 106

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-550-BR/2015 d.B. zur Kenntnis zu nehmen        ............................................................................................................................. 107

Eingebracht wurden

Antrag der Bundesräte

Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz vom 27. Juni 1979 über das Dienstrecht der Beamten (Beamten-Dienst­rechtsgesetz 1979 – BDG 1979) geändert wird (210/A-BR/2015)

Anfragen der Bundesräte

Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend fälschliche Behauptung einer illegalen Kundgebung (3062/J-BR/2015)

Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend Schlech­terstellung der Öffentlich Bediensteten durch die Dienstrechtsreform 2015 (3063/J-BR/2015)


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 6

Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Bildung und Frauen betreffend Beharrung auf gescheiterten sozialistischen „Bildungsphantasien“ auf Kosten der Zukunft unserer Kinder (3064/J-BR/2015)

Anfragebeantwortungen

des Bundesministers für Justiz auf die Anfrage der Bundesräte Marco Schreuder, Kol­leginnen und Kollegen betreffend Strafverfahren Stefan Templ (2834/AB-BR/2015 zu 3057/J-BR/2014)

der Bundesministerin für Bildung und Frauen auf die Anfrage der Bundesräte Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen betreffend Öffentlichkeitsrecht der Privatschule Saudi School Vienna (2835/AB-BR/2015 zu 3058/J-BR/2014)


 


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 7

09.01.53Beginn der Sitzung: 9.02 Uhr

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Bundesminister! Ich eröffne die 839. Sitzung des Bundesrates. Ein herzliches Willkom­men, Herr Bundesminister Stöger, zu unserer Sitzung! (Allgemeiner Beifall.)

Das Amtliche Protokoll der 838. Sitzung des Bundesrates vom 5. Februar 2015 ist auf­gelegen, unbeanstandet geblieben und gilt daher als genehmigt.

Als verhindert gemeldet sind die Mitglieder des Bundesrates Brigitte Bierbauer-Hartin­ger, Ana Blatnik, Adelheid Ebner, Mag. Klaus Fürlinger, Johanna Köberl, Dr. Andreas Köll, Ewald Lindinger, Marco Schreuder und Hans-Jörg Jenewein.

Ich glaube, dass viele Grippe haben. Auch die Bundesräte bleiben nicht davon ver­schont.

09.03.09Aktuelle Stunde

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Wir gelangen nun zur Aktuellen Stunde zum Thema

„Neuregelung der Fahrgastrechte“

mit Herrn Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie Alois Stöger, den ich noch einmal recht herzlich im Bundesrat willkommen heiße.

In der Präsidialkonferenz wurde Einvernehmen über folgenden Ablauf erzielt:

Zunächst kommt je eine Rednerin/ein Redner pro Fraktion zu Wort, dessen bezie­hungsweise deren Redezeit jeweils 10 Minuten beträgt. Sodann folgt die Stellungnah­me des Herrn Bundesministers, die ebenfalls 10 Minuten nicht überschreiten soll. Da­nach folgt je eine Rednerin/ein Redner der Fraktionen und anschließend allenfalls eine Wortmeldung des Bundesrates ohne Fraktionszugehörigkeit mit jeweils einer 5-minü­tigen Redezeit. Zuletzt kann noch eine abschließende Stellungnahme des Herrn Bun­desministers erfolgen, die nach Möglichkeit 5 Minuten nicht überschreiten soll.

Als Erster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Stadler. – Bitte.

 


9.04.09

Bundesrat Werner Stadler (SPÖ, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie von der Frau Präsidentin angesprochen, befassen wir uns heute in der Aktuellen Stunde mit dem sehr wichtigen Thema „Neu­regelung der Fahrgastrechte“. Warum ist es ein wichtiges Thema? – Weil es die Rech­te der Konsumenten, also der Fahr- und Fluggäste weiter stärkt.

Wie uns allen bekannt ist, hat die Entwicklung des Personenverkehrsmarktes in den letzten Jahren sehr zugenommen, was sehr positiv ist. Immer mehr Menschen benut­zen die öffentlichen Verkehrsmittel, um eine bestimmte Wegstrecke zurückzulegen, sei es beruflich oder für private Zwecke. Mit der Bezahlung des Fahrpreises haben die Fahr- und Fluggäste natürlich Pflichten, aber auch Rechte.

Ich möchte dazu einige Beispiele nennen, meine geschätzten Kolleginnen und Kolle­gen. Die Rechte sind: Entschädigungen bei Verspätungen, Erstattung bei Ausfällen und Annullierungen, Hilfeleistungen bei Problemen, beispielsweise Übernachtungs- und Umbu­chungsmöglichkeiten, und ganz besonders wichtig für Menschen mit Behinderung, sie haben zusätzlich das Recht auf möglichst weitgehende Barrierefreiheit sowie Anspruch auf Hilfeleistungen. Uns muss egal sein, mit welchem Verkehrsmittel der Flug- bezie­hungsweise Fahrgast reist, er soll sich künftig bei Verspätungen, Ausfällen oder ande-


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 8

ren Ärgernissen mit Verkehrsunternehmen an eine zentrale und unabhängige Schlich­tungsstelle wenden können.

Derzeit sind in Österreich nach zunächst erlassenen EU-Verordnungen für die Luftfahrt und den Eisenbahnverkehr zwei solche Schlichtungsstellen eingerichtet worden, eine für die Luftfahrt, die im Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie an­gesiedelt ist, und eine für den Eisenbahnverkehr, die der Schienen-Control GmbH zu­geordnet ist. Nach den zuletzt hinzugekommenen EU-Verordnungen über die Fahr­gastrechte im Kraftomnibusverkehr sowie über die Fahrgastrechte im See- und Binnen­schiffsverkehr ist auch für diese Verkehrsmittel eine Stelle zu benennen.

Für die Zukunft ist daher die Einrichtung einer für alle diese Bereiche zuständigen Agen­tur notwendig, um Beschwerdefälle übergreifend für alle vier betroffenen Verkehrsmit­tel – Luftfahrt, Eisenbahn, Kraftfahrlinien und Schifffahrt – in einer unabhängigen Schlich­tungsstelle zu klären und außergerichtlich beizulegen.

Wie wir alle wissen, gibt es seitens des Herrn Bundesministers bereits einen Gesetz­entwurf, dessen Ziel die Errichtung einer solchen verkehrsträgerübergreifenden natio­nalen Durchsetzungs- und Schlichtungsstelle für Passagier- und Fahrgastrechte ist, in welcher Synergien genutzt und Fahrgastrechte gestärkt werden können. Über diesen Gesetzentwurf werden wir in absehbarer Zeit hier im Bundesrat diskutieren können.

Was ist der Nutzen einer übergreifenden unabhängigen Agentur für Passagiere und Fahrgäste? Die Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte verhilft Fahrgästen im Ei­senbahn-, Binnenschiffs- und Kraftomnibusverkehr sowie Fluggästen im Luftverkehr zu ihrem Recht. Wenn sich der Kunde an die Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte wendet, erhält er ohne Prozess- und Kostenrisiko die Meinung einer unabhängigen fach­lich versierten Stelle. Ein Verfahren zur einvernehmlichen Streitbeilegung bietet sowohl dem Kunden als auch dem Unternehmen die Möglichkeit, in angemessener Frist und im Interesse der Beteiligten ungleich aufwendigere und kostenintensive Verfahren vor ordentlichen Gerichten zu vermeiden.

Die Agentur als unabhängige staatliche Schlichtungsstelle ist bemüht, zwischen dem Fahrgast beziehungsweise Fluggast und dem Verkehrsunternehmen zu vermitteln und eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden. Sie hat das Ziel, berechtigten Kun­deninteressen zur Durchsetzung zu verhelfen sowie unnötige und langwierige Rechts­streitigkeiten zu vermeiden. Dies ist im Interesse sowohl der Fahr- und Fluggäste als auch der betroffenen Unternehmen.

Das Schlichtungsverfahren soll letztendlich dazu beitragen, die Zufriedenheit der Fahr- beziehungsweise Fluggäste als Kunden der Verkehrsunternehmen und insgesamt die Qualität der Beförderungsangebote zu verbessern.

Welche Vorteile hat eine verkehrsträgerübergreifende Schlichtungsstelle? – Der Fahr- beziehungsweise Fluggast muss sich in Streit- oder Beschwerdefällen nicht um Fragen der Zuständigkeiten kümmern, sondern hat, unabhängig vom gewählten Verkehrsmit­tel, in der Agentur einen zentralen Ansprechpartner. Zusätzlich kann ein Fahr- oder Flug­gast, der mit mehreren Verkehrsmitteln reist, auf einen einzigen Ansprechpartner zuge­hen, welcher die Beschwerden gesamthaft behandelt.

Die Erfahrungen der bereits bestehenden Stellen können gebündelt und die Strukturen der Schienen-Control GmbH genutzt werden. Außerdem dient eine zusammenfassend zuständige Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte der verwaltungsökonomischen Ausschöpfung von Synergien zwischen den einzelnen Tätigkeitsbereichen der Schlich­tungsstelle.

Welche Möglichkeiten hat nun der Passagier, wenn er eine Beschwerde hat? – Zuerst kann er das betroffene Verkehrsunternehmen mit seinem Anliegen befassen. Dieser ers-


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 9

te Schritt soll es den Unternehmen ermöglichen, das Anliegen bereits auf dieser Ebene zu behandeln und, soweit es möglich ist, auch zu klären. Kommt es dabei zu keiner Einigung, kann die Beschwerde bei der Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte ein­gebracht werden. Sobald eine Beschwerde bei der Agentur eingeht, wird von ihr ge­prüft, ob sie tatsächlich auch zuständig ist und ob ein Schlichtungsverfahren eröffnet werden kann. Ist dies der Fall, werden die Beteiligten einbezogen, und es wird ver­sucht, eine einvernehmliche Lösung zu finden.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, die Berichte der letzten Jahre, die wir im Bun­desrat immer vorgelegt bekommen, haben uns gezeigt: Der Anteil der Schlichtungs­fälle, welche positiv abgeschlossen werden konnten, lag immer über 90 Prozent. Die aktuellen Zahlen von 2014 sagen uns: Die Schlichtungsstelle für Fluggastrechte hat 100 Prozent ihrer Fälle positiv erledigt, und die Schlichtungsstelle der Schienen-Control GmbH liegt aktuell bei 86 Prozent, da sind aber noch 40 Fälle zu erledigen, die sind noch offen. Die Erfahrungen zeigen, auch da werden wir bei den positiv abgeschlosse­nen Fällen auf über 90 Prozent kommen. Diese Werte sind ein deutlicher Beweis für den Erfolg der außergerichtlichen Streitbeilegung.

Abschließend darf ich daher noch einmal festhalten: Die Neuregelung der Fahrgast­rechte ist ein wichtiges Thema und wird das auch in Zukunft sein. Wir sind im Sinne der Passagiere sicher auf einem sehr guten Weg.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte nochmals betonen, wir werden mit der Neuregelung der Fahrgastrechte dazu beitragen, die Qualität der Beförderungs­angebote und die Zufriedenheit der Fahr- und Fluggäste als Kunden der Verkehrsun­ternehmen weiter zu verbessern. Das ist unser Weg, das wollen wir, daran werden wir gemeinsam weiterarbeiten, und wir werden dich, Herr Minister, dabei immer unterstüt­zen.

Zum Schluss erlaubt mir bitte noch ein Thema anzusprechen, auch wenn es nicht un­bedingt zur Aktuellen Stunde gehört. Es hat mich sehr positiv gestimmt, als ich gestern vom Breitbandausbau und den Investitionen gehört habe, die da getätigt werden. Dafür möchte ich ganz besonders danke sagen, Herr Minister. Ich habe gestern gehört: Es werden im heurigen Jahr noch 300 Millionen € an Vergaben getätigt. Gerade als Ober­österreicher, als jemand, der aus dem ländlichen Raum kommt, wo wir nicht nur als Bürgerinnen und Bürger, sondern auch aus Sicht der Wirtschaft – die wir auch zu uns bringen wollen, damit die Leute nicht immer zu ihrer Arbeitsstelle auspendeln müs­sen – sehr davon abhängig sind, halte ich es für sehr positiv, dass auf den ländlichen Raum hingewiesen wurde. Du hast gestern betont, dass er sicher berücksichtigt wird. Dafür einen sehr, sehr herzlichen Dank, Herr Minister. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ, bei Bundesräten von ÖVP und Grünen sowie des Bundesrates Zelina.)

9.13


Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Schödinger. – Bitte.

 


9.13.42

Bundesrat Gerhard Schödinger (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsi­dentin! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Stärkung und Neuregelung der Fahrgastrechte würde ich gerne auf zwei Ebenen abhandeln. Das Erste sind die einheitlichen Regelungen auf EU-Ebene, und darüber hinaus geht es um das in Vorbereitung befindliche Gesetz betreffend die einheitliche Schlichtungsstelle.

Die Rechte der Fahrgäste in den öffentlichen Verkehrsmitteln – vom Flugzeug bis hin zum Bus – sind auch in der EU stufenweise in Kraft getreten, der letzte Schritt war die Verordnung Nr. 181/2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr, welche seit dem 1. März 2013 in Kraft ist.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 10

Darin sind für den Busverkehr zwei verschiedene Stufen beschrieben, die wir in dem Fall berücksichtigen sollten, das heißt, dass beim Linienverkehr unter 250 Kilometer und beim Linienverkehr über 250 Kilometer jeweils eigene Bestimmungen gelten. Die Eckpunkte dieser Bestimmungen sind nicht diskriminierende Beförderungsbedingun­gen, Zugang von behinderten Menschen und Personen mit eingeschränkter Mobilität, Mindestvorschriften über Reiseinformation für alle Fahrgäste, Einrichtung eines Verfah­rens für die Bearbeitung von Beschwerden durch die Verkehrsunternehmen, Einrich­tung unabhängiger nationaler Stellen in allen Mitgliedstaaten mit dem Auftrag, die Ver­ordnung durchzusetzen. – Das sind die generellen Eckpunkte.

Für Beförderungen über 250 Kilometer im Busverkehr gelten zusätzliche Bestimmun­gen. Das sind: Ausstellung von elektronischen Fahrscheinen oder anderen Dokumen­ten, die den Beförderungsanspruch begründen, Entschädigung und Hilfeleistung bei Tod, Körperverletzung, Verlust oder Beschädigung von Gepäck durch Unfälle, Informationen bei Annullierung oder verspäteter Abfahrt, Anspruch auf Erstattung des vollen Fahr­preises oder Weiterreise mit geänderter Streckenführung, angemessene Hilfeleistung bei Annullierung oder großer Verspätung, Entschädigung in der Höhe von 50 Prozent des Fahrpreises, wenn der Beförderer dem Fahrgast bei Annullierung oder großer Ver­spätung nicht die Wahl zwischen der Erstattung des Fahrpreises und der Weiterreise mit geänderter Streckenführung anbietet und spezifische Hilfeleistung für behinderte Menschen und Personen mit eingeschränkter Mobilität. – Dies im Hinblick auf die Ver­ordnung der Europäischen Union.

Darüber hinaus ist aber im Verkehrsausschuss – Kollege Stadler hat das bereits ange­führt – ein Gesetzesentwurf eingelangt, durch den bei uns in Österreich eine einheitli­che Schlichtungsstelle eingerichtet werden soll, damit wir die Mehrgleisigkeiten und bürokratischen Hindernisse auf ein Minimum reduzieren können. Mit dieser zentralen Anlaufstelle wird ein direkter Ansprechpartner für Passagiere zu Wasser, zu Land und in der Luft geschaffen. Es wird eine unternehmensunabhängige und außergerichtliche Schlichtung von Beschwerden im Sinne von Kunden und Unternehmen ermöglicht.

Die Fahrgastrechte als solche sind für die Benützer der öffentlichen Verkehrsmittel ein wirklich wichtiger Punkt. Es ist aber auch ein wichtiger Punkt für alle anderen und vor allem für uns, die wir den öffentlichen Verkehr fördern. Je sicherer und präziser wir die Beförderungsbedingungen, die Rahmenbedingungen der Beförderung unserer Bevöl­kerung nahebringen und je vertrauter unsere Mitbürgerinnen und -bürger in den Zug, in den Bus oder in das Flugzeug steigen, desto mehr werden sie den öffentlichen Verkehr annehmen, desto positiver wird ihre Meinung für den öffentlichen Verkehr sein.

Wir sehen, dass in letzter Zeit, in den letzten Jahren ein starker Zuwachs des öffentli­chen Verkehrs zu bemerken ist, auch in den Ballungszentren außerhalb des ländlichen Bereichs. In den Ballungszentren ändert sich das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung grundlegend, weshalb wir der Meinung sind, dass die Neuregelung der Fahrgastrechte ein ganz wichtiger Punkt ist, um die Benützung der Öffentlichen noch attraktiver zu ma­chen. Ich bin darüber hinaus der Meinung, dass wir mit diesem Punkt und mit diesem nationalen Gesetz jetzt auch Rahmenbedingungen geschaffen haben, die unseren Mit­bürgerinnen und Mitbürgern sehr entgegenkommen.

So bleibt mir abschließend noch zu sagen, dass dieser unbürokratische Lösungsansatz ein wirklich positives Zeichen ist. Wir sind der Meinung, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind und die öffentlichen Verkehrsmittel für unsere Bürger sehr attraktiv machen. (Beifall bei ÖVP und Grünen, bei Bundesräten der SPÖ sowie des Bundesrates Zelina.)

9.18


Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Krusche. – Bitte.

 



BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 11

9.18.35

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsident! Herr Bun­desminister! Kolleginnen und Kollegen! Zuseher am Live-Stream! Fernsehen haben wir ja heute leider keines.

Ich war etwas verwundert – das muss ich ganz ehrlich sagen –, als ich das Thema dieser Aktuellen Stunde erfahren habe. Es ist ein bisschen eigenartig, dass wir uns in einer Aktuellen Stunde einem Thema widmen, das in einer vorliegenden Regierungs­vorlage behandelt wird und von dem wir wissen, dass wir uns in absehbarer Zeit oh­nehin damit befassen werden. Ich glaube, es hätte wirklich aktuellere und vor allem auch brisantere Themen aus Ihrem Ministerium für die heutige Sitzung gegeben.

Wie dem auch sei, es wurde bereits mehrfach geschildert: Es sollen bei den Beschwer­den Fluggäste, Bahnreisende, Schiffsreisende und Busreisende sozusagen zusam­mengefasst werden, und sie sollen eine einzige Schlichtungsstelle haben. Diese Re­gierungsvorlage ist am 6. Februar im Parlament eingelangt.

Was bisher auch schamhaft verschwiegen wurde: Knapp drei Wochen später ist eine Klage beim Europäischen Gerichtshof eingetroffen, weil wir diese EU-Verordnung, die mit 2011 in Kraft gesetzt wurde und für deren Umsetzung wir zwei Jahre Zeit gehabt haben, trotz eines Mahnschreibens vom März des vergangenen Jahres noch immer nicht umgesetzt haben. Das relativiert natürlich etwas die Jubelpresseaussendung vom Ministerium, dass jetzt endlich diese Lösung einer einheitlichen Beschwerdestelle um­gesetzt wird. In Wahrheit hat man den Eindruck, es ist wieder einmal nur auf Druck der EU – nicht fünf vor zwölf, sondern erst fünf nach zwölf – dazu gekommen. Zu sagen ist, dass es sich diesmal wenigstens um eine EU-Verordnung handelt, die einen gewissen Sinn macht und wirklich dazu dienen sollte, die Position der Fahrgäste zu stärken.

Es wurde bereits gesagt: Bisher hat es zwei Schlichtungsstellen gegeben, eine bei der Schienen-Control, eine beim Ministerium betreffend Luftfahrt, und Bus- und Schiffsver­kehr wurden bis jetzt nicht berücksichtigt und sind durch den Rost gefallen.

Der Zeitplan ist für mich relativ spannend, es wurde ja angekündigt, dass diese Sache ab Sommer funktionieren soll. Wenn man sich die Situation anschaut: Im Verkehrsaus­schuss wurde es noch gar nicht behandelt, da wird es also in der nächsten Verkehrs­ausschusssitzung im April so weit sein. Wir werden uns dann wahrscheinlich am 6. Mai im Bundesrat damit befassen, also kann das Gesetz mit Anfang Juni vielleicht wirksam werden.

Ich habe in diesem Zusammenhang auch eine Frage an Sie, Herr Minister Stöger: Inwieweit sind die Vorbereitungen – es ist von sechs Dienstposten die Rede, die das betreuen sollen – bereits getroffen worden? Kann man dann wirklich aus dem Stand heraus mit dieser neuen Agentur aktiv werden?

Ich will jetzt auch nicht im Detail auf die bisherigen Beschwerden und die Situation ein­gehen, wir diskutieren das ja jährlich im Zusammenhang mit dem Bericht der Schie­nen-Control. Es ist insofern erfreulich, als die Zahl der Beschwerden bei der Schlich­tungsstelle die Schiene betreffend zurückgegangen ist, während sie insgesamt gestie­gen ist. Das heißt, es sind mehr Beschwerden auf kulantere Art und Weise geregelt worden, ohne dass es notwendig war, die Schlichtungsstelle damit zu befassen. Im Jahre 2013 sind 772 Beschwerden eingegangen gegenüber 986 im Jahre 2012.

Mir sind zwei Dinge im Bericht aufgefallen. Ein Punkt war – und ich glaube, da besteht auch seitens der ÖBB Handlungsbedarf –, dass sehr viele Beschwerden ihre Ursache in Fehlinformationen durch das Personal der ÖBB haben. Hier tut sich eindeutig ein entsprechender Schulungsbedarf für die Mitarbeiter auf, die in der Kundenbetreuung eingesetzt sind.


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Ein weiterer Punkt, der mir aufgefallen ist, ist das Problem mit den Fahrkartenautoma­ten. Die Situation ist so, dass, wenn die Kreditkartenbezahlung beim Automaten nicht funktioniert, der Kunde verpflichtet ist, bar zu zahlen, und er nicht berechtigt ist, mit der Begründung, dass die Kartenfunktion defekt war, ohne Fahrkarte in den Zug einzu­steigen. Der Automat gibt aber bei der Barzahlung nur bis zu 9,90 € heraus. Das heißt, hat der Kunde das Kleingeld nicht eingesteckt, dann kriegt er ein Problem und ist so­zusagen als Schwarzfahrer unterwegs. Man weiß ja, dass die Kunden nicht immer mit einem weiß Gott was für einen Zeitpolster zum Bahnhof kommen und dann noch einen terminlichen Stress haben, und dann funktioniert das nicht. Dann steigen sie in den Zug ein, wollen im Zug eine Karte lösen, und dann heißt es: Nein, du bist Schwarzfah­rer. Also hier würde ich mir wünschen, dass man entsprechend kulantere Richtlinien und Lösungen ausarbeitet.

Aber was wäre eigentlich mittel- und langfristig das Ziel? – Dass es überhaupt keine oder zumindest immer abnehmende oder gegen null gehende Beschwerden bei der Schlichtungsstelle gibt, auch bei der neuen, denn: Je weniger Beschwerden, desto grö­ßer die Kundenzufriedenheit, und ich glaube, das muss das Ziel sein, das an erster Stelle steht: die Kundenzufriedenheit zu gewährleisten.

Mich hat ein Satz vom Kollegen Stadler stutzig gemacht, und das ist vielleicht ein biss­chen symptomatisch für das Denken, das vor allem bei den ÖBB teilweise, nicht gene­rell, noch vorherrscht. Du hast als Erstes gesagt: Wenn ein Passagier eine Fahrkarte löst, dann hat er Pflichten, und erst in zweiter Linie hat er Rechte. Das, meine Damen und Herren, ist das falsche Denken! Das ist das Denken aus der alten Zeit: Der Bun­desbahn-Angestellte ist ein Beamter, und der, der mit dem Zug fährt, ist ein Bittsteller – und davon sollten wir uns endlich endgültig verabschieden! (Beifall bei der FPÖ. – Bun­desrat Stadler: Hab’ ich das mit einem einzigen Satz gesagt?)

Es wäre auch wünschenswert, dass sich dieser Qualitätsprozess nicht nur in einem Bericht erschöpft – ich hoffe, es wird auch von der neuen Agentur einen jährlichen Be­richt geben –, sondern dass ein Prozess eingeleitet wird, der bei diesen Punkten an­setzt: Wo gibt es am meisten Beschwerden? Wie können wir diese Dinge im Dialog mit den Verkehrsunternehmen ausmerzen? – Schlussendlich hätten wir dann für alle Be­teiligten eine Win-win-Situation. Zufriedene Kunden bedeuten mehr Kunden, bedeuten mehr Einnahmen, und als nicht zu vernachlässigender positiver Nebeneffekt freut sich die Umwelt auch noch darüber.

Abschließend noch eine Frage, deren Lösung ich nicht im Gesetzentwurf gesehen ha­be: Es gibt in dieser EU-Verordnung bezüglich der Busse eine Bestimmung, dass Bus­bahnhöfe zu benennen sind, an denen Hilfeleistungen für behinderte Personen angebo­ten werden. Meine Frage daher abschließend an Sie, Herr Minister Stöger: Was wird in diese Richtung getan? – Danke. (Beifall bei der FPÖ sowie der Bundesrätin Schreyer.)

9.27


Präsidentin Sonja Zwazl: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Bun­desrat Stadler zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


9.28.10

Bundesrat Werner Stadler (SPÖ, Oberösterreich): Geschätzte Kolleginnen und Kolle­gen! Ich nutze die tatsächliche Berichtigung, Herr Kollege Krusche, denn ich habe in keinem meiner Sätze, in keiner meiner Ausführungen erwähnt oder betont, dass sich die Bediensteten bei den ÖBB als Beamte fühlen, noch habe ich die Kunden bezie­hungsweise die Bahnfahrerinnen und Bahnfahrer als Bittsteller dargestellt.

Ich möchte das zurückweisen und dich bitten, Äußerungen deinerseits über meine Denk­weise zu unterlassen, denn ich habe noch nie in meinen Reden oder in meinen Ausfüh­rungen über deine Denkweisen Äußerungen abgegeben. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

9.28



BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 13

Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Mag. Schrey­er. – Bitte.

 


9.29.12

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte KollegInnen und Gäste! Ich möchte mich ausnahmsweise Herrn Kollegen Krusche anschließen. (Bundesrat Krusche: Das freut mich sehr!) Auch wir von den Grünen finden, es gäbe einiges Dringenderes als Thema der Aktuellen Stunde denn als Anlassfall einen Ministerratsbeschluss, der in den kommenden Mona­ten sowieso noch einmal im Nationalrat beziehungsweise Bundesrat abgehandelt wird. Ich will ganz kurz einen Vorschlag machen: Ich bin aus Kufstein, und den Verkehrs­kollaps, den wir in den Wintermonaten durch die Mautflucht haben, hielte ich für ein wesentlich spannenderes Thema für eine Aktuelle Stunde.

Die Neuregelung der Fahrgastrechte und die damit verbundene Weiterentwicklung be­grüßen wir Grünen natürlich, da wir uns schon seit vielen Jahren für mehr und für ver­besserte KonsumentInnenrechte einsetzen. Bevor ich auf die Neuregelungen eingehe, möchte ich zuerst ein bisschen im Rückblick auf die Entwicklung der Fahrgastrechte in Österreich eingehen.

Fahrgastrechte und ein Recht auf bestimmte Entschädigungszahlungen gibt es im Bahn­bereich noch gar nicht so lange. Das ist erst dank entsprechender EU-Vorgaben, ge­nauer gesagt mit der EU-Fahrgastrechte-Verordnung für Schiene 2007, die 2010 in Österreich umgesetzt worden ist, möglich gemacht worden. Vorher gab es keine ge­nauen Regelungen und Richtlinien, sondern recht allgemeine Bestimmungen, die sehr viel Interpretationsspielraum gelassen und so vor allem zu Einzelfallentscheidungen ge­führt haben.

Im Jahre 2013 hat es dann eine Weiterentwicklung gegeben und ein eigenes Bundes­gesetz über die Eisenbahnbeförderung und die Fahrgastrechte. Seit 2013 haben nicht nur die Fahrgäste im Fernverkehr, sondern auch BahnkundInnen mit Zeitkarten im Nah- und Regionalverkehr gewisse Entschädigungsansprüche. Das war vorher nicht so, es war eine zuerst abgewehrte Forderung der Grünen und auch der Arbeiterkammer und ist jetzt teilweise umgesetzt worden. Teilweise deswegen, weil Wochen- und Monats­kartenkundInnen sowie Gelegenheitsnutzer des Schienennah- und -regionalverkehrs nach wie vor benachteiligt sind.

Es gibt beispielsweise von den ÖBB im Regionalverkehr nur für Zeitkarteninhaber, also für Wochen- und MonatskartenbesitzerInnen, und erst bei mindestens sechsmaliger Ver­spätung über 30 Minuten im Geltungszeitraum der Wochen- oder Monatskarte Ent­schädigungen. Das ergibt sich daraus, dass es pro 30 Minuten Verspätung pauschal nur 75 Cent gibt, die Untergrenze für Auszahlungen sind 4 €, sechsmal 75 Cent erge­ben mehr als 4 €, von daher braucht es mindestens sechs Verspätungen.

Das ist wirklich ein riesiger Aufwand für die BahnkundInnen, um da zu ihrer Entschädi­gung zu kommen. Man muss sich sechsmal eine Bestätigung geben lassen, das ist schon relativ aufwendig. WochenkartenbesitzerInnen fallen quasi komplett raus, das ist klar – eine sechsmalige Verspätung in der Woche, das ist wirklich nur dann der Fall, wenn irgendwo eine sehr große Baustelle oder Ähnliches ist. Dass diese sechs Ver­spätungen für Monatskarten gleich wie für Wochenkarten gelten, ist wirklich sehr ein­seitig. Der Mindestentschädigungsbetrag der ÖBB von 4 € schließt weitere Verspä­tungsopfer komplett aus, wie zum Beispiel EinzelticketbesitzerInnen.

Es gäbe also noch einiges zu tun, denn die Regelung der Fahrgastrechte ist immens wichtig für die Bürgerinnen und Bürger, und es geht dabei einfach um KonsumentIn­nenrechte.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 14

Eine weitere spürbare Verbesserung der Fahrgastrechte – jetzt mache ich noch ein biss­chen Werbung – ist 2013 umgesetzt worden, und da sind auch die Grünen federfüh­rend gewesen. Ein kleines Detail am Rande: Es war nämlich gängige Praxis der ÖBB, verspätete Züge unterwegs einfach ausfallen zu lassen, und diese Züge sind dann in der Pünktlichkeitsstatistik nicht mehr aufgeschienen und haben dadurch zu weniger Entschädigungszahlungen geführt. Aber durch unsere Bemühungen sind diese Züge ebenfalls in diese Statistik miteinbezogen worden.

Neben diesen Bahnregelungen gibt es mittlerweile natürlich auch entsprechende EU-Regelungen für den Flug-, Bus- und Schiffsverkehr, und der Anlass für die heutige Ak­tuelle Stunde ist die bevorstehende Neuregelung der Passagier- und Fahrgastrechte­agentur. Mit diesem vor der Beschlussfassung stehenden Passagier- und Fahrgast­rechteagenturgesetz, dem PFAG, wird die derzeit mit drei Personen besetzte Be­schwerdestelle für den Bahnverkehr bei der Schienen-Control GmbH mit der derzeit im Verkehrsministerium angesiedelten Stelle für den Flugverkehr zusammengeführt. Zu­sätzlich wird dort auch die Zuständigkeit für die Fahrgastrechte im Schiffs- und Busver­kehr angesiedelt – diese hat es bis jetzt nämlich noch nicht gegeben, was, wie auch der Kollege schon erwähnt hat, EU-widrig war und wofür wir vor zwei Wochen eine Kla­ge von der EU bekommen haben.

Die neue Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte wird bei der Schienen-Control GmbH angesiedelt sein und soll insgesamt sechs Personen beschäftigen, und die Jah­reskosten werden auf knapp 600 000 € geschätzt. Der entsprechende Gesetzentwurf ist Ende Jänner durch den Ministerrat gegangen und soll im Sommer in Kraft treten.

Das genaue Aufgabenfeld und die Größenordnung sind schon erwähnt worden. Pro Jahr gibt es derzeit rund 800 Beschwerdefälle im Bahnbereich, etwa 1 500 im Flugver­kehr. Was die Anzahl der Beschwerdefälle betrifft, ist die Tendenz im Flugverkehr ganz stark steigend, im Bahnbereich ist sie in etwa gleichbleibend.

Der Ablauf ist auch schon angesprochen worden, dieser bleibt so, wie er bis jetzt war. Man muss mit jener Gesellschaft, die den Schaden verursacht hat, in Kontakt treten, um eine Lösung zu finden, und erst wenn diese Lösung nicht zufriedenstellend ist oder gar nicht zustande kommt, kann man sich an die Schlichtungsstelle wenden.

Was die Anzahl betrifft, wird sie bei Bus und Schiff eher niedriger werden, weil dort die Hürde für Entschädigungszahlungen sehr hoch liegt. Im Busverkehr gibt es Entschädi­gungen nämlich erst bei Strecken ab 250 Kilometern, und diese gibt es in Österreich einfach kaum. Es gibt eine vierjährige Ausnahme für Buslinien in den Nicht-EWR-Raum, also zum Beispiel für den gesamten Busverkehr nach Serbien oder Bosnien, diese fallen auch aus den Entschädigungen raus.

Das ist zwar rechtlich zulässig, und 250 Kilometer sind auch in einem Land wie Deutschland zum Beispiel, wo man große Strecken hat, durchwegs normal für Fern­busse, aber ich fände es wirklich wichtig, dass in einem so kleinen Land wie Österreich die Untergrenze nicht bei 250 Kilometern, sondern ein bisschen kundenfreundlicher fest­gelegt wird, damit wirklich einige Busverbindungen davon betroffen sind und nicht eine so geringe Zahl.

Insbesondere wird es aber auch im Schiffsverkehr wegen der sehr einschränkenden Vorgabe ein begrenztes Aufkommen an Beschwerden geben. Die Entschädigungen gel­ten nämlich nur für Passagierschiffe mit Kapazitäten über 12, Ausflugsschiffe über 36 Pas­sagiere, und ausgenommen sind zum Beispiel Flussfähren. Da ist das Beschwerdefeld schon ziemlich eingeschränkt.

Die Zusammenlegung der bisherigen zwei Anlaufstellen im Ministerium und bei der Schienen-Control soll eine schlankere Verwaltung und eine Kostenminimierung brin­gen, gerechnet wird mit 600 000 € pro Jahr. Ich kann nicht ganz nachvollziehen, wie


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viel das an Einsparungen ist. Wie hoch waren denn die jährlichen Kosten bis jetzt, wenn man die Agenturen zusammenzählt? Alles in allem ist eine Anlaufstelle für alle Fragen zu Fahrgastrechten recht gut und sinnvoll, auch überfällig, aber wir haben na­türlich auch noch einige Kritikpunkte.

Ich bin ehrlich gesagt ein bisschen verwundert, dass von der Präsentation der Ände­rungen der Fahrgastregelung durch die damalige Bundesministerin Bures im Som­mer 2014 bis zur Umsetzung, die für den Sommer 2015 geplant ist, jetzt fast ein Jahr vergehen wird. Angekündigt war es schon vergangenen August, und Österreich hat vor zwei Wochen eine Klage der EU-Kommission wegen Nichtumsetzung der seit über zwei Jahren in Kraft getretenen EU-Verordnung über Buspassagierrechte und über Fahr­gastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr bekommen. Da waren sieben Monate dazwischen. Man hätte diese Klage durchaus vermeiden können, und unnötige EuGH-Verfahren kosten die SteuerzahlerInnen auch eine ganze Menge.

Ein weiterer Kritikpunkt ist für mich auch, dass es wirklich nur um eine Neuregelung der Organisation der Schlichtung geht. Ich finde es wirklich sehr gut, dass es zu einer Zu­sammenlegung kommt und man eine Anlaufstelle hat, aber dass man den Anlass nicht wahrgenommen hat, um die Rechte der Fahrgäste und Fluggäste generell zu stärken und da etwas weiterzubringen, finde ich einfach schade.

Der größte Kritikpunkt von uns ist, dass die Kostenaufteilung 40/60 geplant ist. 40 Pro­zent sollen die Verursacher, also Flug-, Bahn-, Bus- und Schifffahrtsunternehmen, über­nehmen, und 60 Prozent sollen die Geschädigten, also die SteuerzahlerInnen, über­nehmen. Das ist einfach nicht der Weg, auf dem eine Schlichtungsstelle finanziert wer­den sollte. Da muss es dringend eine Gewichtung  (Bundesrat Fürlinger: Wie soll es denn finanziert werden? Wie ist denn Ihr Vorschlag?) – Die Gewichtung sollte in Rich­tung Verursacher verschoben werden, dass also nicht die Verursacher 40 Prozent zah­len und 60 Prozent die SteuerzahlerInnen. – Danke. (Beifall bei den Grünen. – Bun­desrat Fürlinger: Dafür gibt es Gerichte! Dafür gibt es die Gerichte!)

9.39


Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächster gelangt Herr Bundesminister Stöger zu Wort. – Bitte.

 


9.39.32

Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie Alois Stöger, diplômé: Frau Präsidentin! Hohes Präsidium! Meine sehr verehrten Damen und Herren Bundes­räte! Das wichtigste Fahrgastrecht im öffentlichen Verkehr ist das Recht, öffentlichen Verkehr zu haben; öffentlichen Verkehr zu haben, der das Mobilitätsbedürfnis der Be­völkerung zufriedenstellt – und das machen wir in Österreich.

Wir haben in den letzten Jahren massiv investiert, damit es möglich ist, von Salzburg in 2 Stunden 22 Minuten nach Wien zu kommen. Wir haben investiert, damit die Men­schen nicht nur von Bahnhof zu Bahnhof kommen, sondern auch vom Bahnhof zum Flughafen, wodurch eine Verknüpfung der Einrichtungen zustande gebracht wurde und zustande gebracht werden soll.

Das sind die wichtigsten Punkte und Rechte für die österreichische Bevölkerung, um ihr Mobilitätsbedürfnis befriedigen zu können. Und in diesem Bereich liegen wir, meine sehr geehrten Damen und Herren, ausgezeichnet im Vergleich zu anderen europäi­schen Ländern.

Natürlich, viele Menschen bemühen sich – vom Buschauffeur im Postbus, der die Kin­der zur Schule bringt, bis hin zum Schaffner, zum Lokführer, zu den Menschen, die die Bahn betreiben –, dabei mitzuwirken, dass die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden ernst genommen und auch befriedigt werden. Das gelingt in einem hohen Ausmaß.


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Immer wieder kommt es aber auch vor, dass Fehler entstehen, dass Kundinnen und Kunden nicht zu ihrem Recht kommen. Ganz besonders trifft das auf Personen zu, die sich schwerer tun, die eine Beeinträchtigung haben. Und daher ist es wichtig, dass wir auch aus gesellschaftlicher Sicht darauf schauen, dass diese Menschen zu ihrem Recht kommen.

Wir haben in diesem Zusammenhang zwei Schritte gesetzt: Der erste Schritt ist, dass wir den Menschen nicht dem großen Unternehmen aussetzen wollen, sondern dass es eine neutrale Schlichtungsstelle gibt. Diese neutrale Schlichtungsstelle verknüpft alle Verkehrsarten in Österreich. Das ist der erste wichtige Schritt. Wir werden das bei der erfahrenen Einrichtung der Schienen-Control machen. – Es sind die Argumente hier bereits angeführt worden, ich möchte sie nicht wiederholen. Es geht darum, die Rechte von Konsumentinnen und Konsumenten übergreifend im Auge zu behalten und ihnen zu helfen.

Der zweite wichtige Schritt – aus meiner Sicht – ist, dass die Menschen, die sich be­schweren, kein Kostenrisiko haben. Daher bitte ich, zu verstehen, dass die Kostenauf­teilung so ist. Ich möchte den Kundinnen und Kunden nicht das Kostenrisiko übertra­gen, und daher sagen wir ganz bewusst: Wir vom BMVIT wollen 60 Prozent dieser Kosten der Schlichtungsstelle tragen, 40 Prozent müssen in einem Pauschalbetrag von­seiten der Unternehmen, die angefragt werden, geleistet werden, unabhängig davon, ob eine Schuld nachgewiesen wird oder nicht. Auf diese Art und Weise können wir das Kostenrisiko von den Kundinnen und Kunden abwälzen.

Mir ist es auch wichtig, ich sage das ganz deutlich – das war auch eine Anfrage –, dass die neue Agentur die Arbeit rechtzeitig beginnt. Sie wird die Arbeit vor der Sommer­reisesaison beginnen, und ich gehe davon aus, dass sie, wenn der parlamentarische Prozess wie geplant abläuft, am 1. Juni 2015 den Vollbetrieb starten kann, die Vorbe­reitungsarbeiten dazu sind getroffen worden.

Wenn Sie gestatten, würde ich gerne noch auf ein paar Themen eingehen, die ich noch nicht angesprochen habe. Für mich ist wichtig – die Vorbereitung ist angesprochen worden –: Am 1. Juni 2015 können wir voll losstarten. Und ich bitte Sie darum, auch in Ihrem Wahlkreis darauf hinzuweisen, dass wir in Zukunft eine einheitliche Schlich­tungsstelle haben. Das ist wichtig, damit die Menschen wissen, wohin sie sich wenden können.

Es wurde die Frage gestellt: Wie gehen wir mit Busbahnhöfen um beziehungsweise damit, dass sie behindertengerecht sein sollen? – Ich sage ganz deutlich: Jede – und da können wir auf vielen Ebenen arbeiten – Haltestelle sollte behindertengerecht sein. Ich sage das bewusst so, wissend, dass es viele gibt, wo Handlungsbedarf gegeben ist. Und ich ersuche alle Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, alle GemeinderätIn­nen, vor Ort auch darauf hinzuweisen und zu schauen, was wir diesbezüglich tun kön­nen. Manchmal sind es nur kleine Adaptierungen, die schon dazu führen, dass es für die Menschen besser, einfacher wird. Ich habe dafür ein offenes Ohr.

Bei den genannten Busterminals ist die Situation so, dass das die Länder darlegen müs­sen, denn sie sind auch dafür zuständig. Insofern können wir das in einem Bundesge­setz nicht umsetzen, aber ich gehe davon aus, dass die großen Busterminals, die wir haben, zum Beispiel bei den neuen Bahnhöfen Attnang-Puchheim, Linz, Salzburg, ent­sprechend eingerichtet sind.

Zu Kufstein, Verkehrschaos, sage ich wieder ganz deutlich: Das ist eine Angelegenheit der Landesregierung. Alles, was auf den Bundesstraßen B stattfindet, ist Angelegen­heit der jeweiligen Landesregierung und der örtlichen Stellen. Aber ich habe schon mehrmals eingeladen, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, wo man vielleicht mit der einen oder anderen Maßnahme etwas unterstützen kann. – Das dazu.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 17

Zu den Kosten – es ist mir auch wichtig, darauf hinzuweisen –, dazu, dass die Entschä­digungszahlungen nicht sehr hoch sind: Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist Gott sei Dank so, denn sie sind ein Reflex darauf, wie hoch die Preise sind. Wir ha­ben im öffentlichen Verkehr sehr günstige Preise, und daher sind die Entschädigungen natürlich auch begrenzt. Anders ist das bei teuren Flugreisen, dort gibt es durchaus vernünftige Entschädigungen, wenn es zu nicht kundenfreundlichen Verfahren kommt.

Insgesamt bin ich der Auffassung, dass diese neue Fahrgastrechteverordnung die Posi­tion der Fahrgäste stärkt. Die Kritik, die hinsichtlich des Umgangs mit der Europäischen Union ausgedrückt worden ist, muss ich zur Kenntnis nehmen. Es ist tatsächlich so, dass die Geschwindigkeit, in der wir hier gehandelt haben, verbesserbar ist. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie der Bundesrätin Schreyer.)

9.47


Präsidentin Sonja Zwazl: Danke, Herr Minister, für Ihre Ausführungen.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Aktuellen Stunde – wie in der Präsidialkonferenz beschlossen – 5 Mi­nuten nicht übersteigen darf.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Novak. – Bitte.

 


9.47.56

Bundesrat Günther Novak (SPÖ, Kärnten): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bun­desminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man so wie ich und auch viele andere in Kärnten in den letzten Wochen unterwegs war, um Gemeinderatswahlen auszurichten, dann kommt man zwangsläufig auch auf die EU zu sprechen. Und Sie wissen sicher, dass über die EU immer noch gesagt wird, dass sie sich um die Gur­kenkrümmung und Energiesparlampen kümmert, und dass die Menschen eigentlich nicht das tolle Vertrauen in sie haben.

Heute sprechen wir über einheitliche, neutrale Schlichtungsstellen. Da hat die EU sehr wohl im Vorfeld bewiesen, dass sie auf Lebensrealitäten eingehen und auch reagieren kann.

Frau Mag. Schreyer und Herr Krusche, es gibt sicher wichtigere Themen, keine Frage, aber die Menschen, um die es in diesem Fall geht, sind auch wichtig! (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Und das Thema Konsumentenschutz ist sehr wichtig, denn dabei geht es um betroffene Menschen. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

Diese Menschen haben bis jetzt nicht gewusst – außer, dass sie zivile Prozesse an­strengen müssen –, wohin sie gehen können. (Bundesrätin Mühlwerth: Falscher Zeit­punkt!) Sie sind von A nach B, von C nach D, von E nach F geschickt worden. (Zwi­schenruf bei der ÖVP.) – Natürlich, dem widerspreche ich sicher nicht, aber Konsu­menten muss man auch ernst nehmen, und in diesem Fall werden sie ernst genommen.

Da ich auch Bürgermeister eines Ortes mit einer Bahnstation auf einer internationalen Strecke bin, kenne ich mich da aus. Ich bin dort aufgewachsen und ich habe beob­achtet, wie sich die Österreichischen Bundesbahnen entwickelt haben, weiß, wie pro­fessionell die unterwegs sind. Es ist nicht so und kann nicht so sein, dass, wie Herr Krusche gesagt hat, jene Personen, die den Zug benützen, Bittsteller sind. Ich glaube, dass da Professionalität gegriffen hat und die Qualität gesteigert wurde, und das Bench­marking zeigt, dass die Österreichischen Bundesbahnen wirklich zu den besten Bun­desbahnen in Europa gehören. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

Ich darf zu diesem Thema noch ein paar Sätze sagen. Ich selbst war lange Zeit Ge­schäftsführer von Reiseveranstaltern und weiß sehr wohl, wie das Ganze abläuft. Wir als Reiseveranstalter haben uns sehr gut versichert, mit sehr, sehr guten und hoch do-


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tierten Verträgen, und haben dann natürlich versucht, jene Leute abzuweisen, die ver­sucht haben, Geld beziehungsweise Nachlässe von uns zu bekommen. Das ist richtig. Der Kampf um dieses Geld war sicher für die Kunden und Kundinnen nicht immer ein­fach.

Es wurde ja schon gesagt, dass es jetzt keine Verjährung mehr gibt, dass es innerhalb von 90 Tagen abgewickelt werden muss. Also ich denke, dass man mit dieser Schlich­tungsstelle die Möglichkeit schafft, das zu vereinfachen und den Kunden zu helfen.

Mit dieser Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte schafft man die Möglichkeit einer außergerichtlichen Streitbeilegung oder gibt, wenn das nicht möglich ist, dem Konsu­menten zumindest etwas in die Hand, damit er Rechtssicherheit hat, damit seine Chan­cen, wenn er im Konfliktfall vor Gericht einen zivilen Prozess führen muss – gegen den Reiseveranstalter oder gegen den Betreiber der Bahn, des Busses oder Flugzeuges –, hoch gehalten werden und die Klage so ausgeht, wie er sich das vorstellt.

Ich möchte abschließend sagen, es freut mich, dass die Regierung – in diesem Fall Sie, Herr Bundesminister – auf jeden Fall für den Konsumenten etwas gemacht hat. Konsumentenfreundlich müssen wir werden, sollen wir werden und sind wir in Zukunft mit dieser Ausrichtung, dieser neutralen Schlichtungsstelle. Und wenn das am 1. Ju­ni 2015 umgesetzt wird – die Sommerhauptreisezeit beginnt ja demnächst –, dann ha­ben wir vor allem für die Reisenden etwas geschaffen, damit sie in Zukunft Rechtssi­cherheit haben, wenn ein Problem im Tourismus auftaucht. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

9.53


Präsidentin Sonja Zwazl: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Frau Bun­desrätin Mag. Schreyer zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


9.53.06

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Ich möchte nur eine ganz kurze tatsächliche Berichtigung abgeben.

Die Kritik hat sich rein darauf bezogen, dass als Thema der Aktuellen Stunde ein Minis­terratsbeschluss drankommt, der bei der nächsten oder übernächsten Sitzung des Bun­desrates als Gesetzentwurf auf der Tagesordnung wieder behandelt wird.

Menschen- und KonsumentInnenschutz ist immens wichtig, da muss ich Ihnen natür­lich recht geben. (Beifall bei den Grünen. – Ruf bei der SPÖ: Wir sind also vor der Zeit!)

9.53


Präsidentin Sonja Zwazl: Nicole, das war keine tatsächliche Berichtigung, das war ein Redebeitrag. (Bundesrätin Schreyer: Nein! – Weitere Zwischenrufe.)

Nächste Wortmeldung: Herr Bundesrat Mag. Gödl. – Bitte.

 


9.53.54

Bundesrat Mag. Ernst Gödl (ÖVP, Steiermark): Frau Präsidentin! Hohes Präsidium! Herr Minister! Als durchaus regelmäßiger und begeisterter Nutzer öffentlicher Verkehrs­mittel – ich bin heute schon 2 Stunden 54 Minuten im Zug gesessen – darf ich mich na­türlich zu diesem Thema zu Wort melden, möchte aber dezidiert auch einstimmen in den Chor der Kritiker dieser Aktuellen Stunde.

Das Thema darf nicht geringgeschätzt werden – wir haben gehört, dass 772 Fälle im Jahr 2013, glaube ich, war das, an die bestehende Schlichtungsstelle herangetragen wurden –, aber diese Aktuelle Stunde, meine Damen und Herren, in der der Herr Ver­kehrsminister anwesend ist, wäre sicher viel besser genutzt, wenn wir Themen bespre­chen würden, von denen Millionen betroffen sind; zum Beispiel: Wie ist das mit dem öf-


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fentlichen Verkehr im ländlichen Raum? Oder: Wie ist das mit dem Ausbau des Breit­bandes?, um ein anderes Beispiel zu bringen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPÖ-Fraktion, Sie tun, das sage ich ganz klar, auch dem Bundesrat nichts Gutes, wenn wir bei den Möglichkeiten, die wir haben, nicht die wirklich großen Probleme hier besprechen. Sie tun damit dem Bundesrat nichts Gutes! Es wird immer von der Aufwertung des Bundesrates geredet, aber damit werten Sie ihn ab, das möchte ich ganz klar sagen. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Todt: Ich neh­me das zur Kenntnis!) Ja. Ich möchte das nur ganz klar sagen (Bundesrat Todt: Es ist Ihnen nicht wichtig, dass es um Fahrgastrechte geht!), denn es ist tatsächlich ein The­ma, das wichtig ist, aber es ist im Gesamtkontext ein Randthema. (Bundesrat Todt: Das ist Ihnen nicht wichtig! Wir nehmen zur Kenntnis, was Sie sagen!) – Sie müssen zuerst einmal zuhören lernen, damit Sie wissen, was ich am Anfang gesagt habe (Zwi­schenruf der Bundesrätin Mühlwerth), nämlich: Es gibt Themen, die Millionen betref­fen, und es wäre besser, die Aktuelle Stunde für diese großen Themen zu nutzen.

Eines ist unbestritten, die Zukunft, das nächste Jahrzehnt ist ein Jahrzehnt des öffent­lichen Verkehrs, da bin ich mir ganz sicher. Das hat mehrere Gründe: Ein Grund dafür ist – warum werden immer mehr umsteigen und umsteigen müssen? – die Kostenfra­ge. Es ist tatsächlich so: In vielen Bereichen schneidet, wenn man sich die Kosten des Individualverkehrs und des öffentlichen Verkehrs durchrechnet, der öffentliche Verkehr kostenmäßig besser ab. Und es wird immer mehr Menschen geben, die sich ein Auto vielleicht gar nicht leisten können, vor allem wenn sie im städtischen Bereich zu Hause sind, weil allein der Parkplatz teuer werden kann.

Der zweite Grund ist das Bewusstsein. Immer mehr Menschen haben ein größeres öko­logisches Bewusstsein und nutzen daher für immer mehr Strecken den öffentlichen Ver­kehr, und das ist – das sage ich als passionierter Nutzer dieser Verkehrsmittel – gut so.

Das, was den öffentlichen Verkehr auch einen wahnsinnigen Schub nach vorne bringt – das muss man auch ganz klar sagen –, ist eben die Verknüpfung, die organisatorische Verknüpfung mit dem Internet, nämlich immer aktuell zu wissen: Wann geht mein nächster Zug? Ist er pünktlich? Habe ich irgendwelche Turbulenzen zu erwarten? Das macht den öffentlichen Verkehr noch zusätzlich attraktiv, und das wird vorzüglich ge­nutzt! Viele von euch haben hoffentlich die Apps drauf – in Wien und in Graz oder wo auch immer Sie zu Hause sind –, um eben diese Vorzüge der Pünktlichkeit, der Infor­mation zu nutzen.

Ich muss hier wirklich auch Herrn Krusche in diesem Fall widersprechen. Ich weiß nicht, wie oft du, Herr Kollege Krusche, mit öffentlichen Verkehrsmitteln und im Zug un­terwegs bist, aber ich muss sagen – und da bin ich als Schwarzer jetzt, glaube ich, un­verdächtig –, das Service, das von den ÖBB geboten wird, ist vorzüglich. (Bundesmi­nister Stöger: Danke!)

Ich habe auf meiner heutigen Fahrt hierher bewusst mit dem Schaffner – „Schaffner“ sagt man, glaube ich, nicht mehr –, mit dem Zugbegleiter gesprochen und gefragt, wel­che Beschwerden an ihn von den Fahrgästen herangetragen werden. Nur selten ist es das zu späte Ankommen. Warum? – Weil die Pünktlichkeitsstatistik tatsächlich gut ist. Was aber zum Beispiel zu Beschwerden führt – da würde ich gerne fast miteinstim­men –, ist das Fehlen von gewissen Serviceleistungen, die man sich erhofft, die man sich aber natürlich nicht immer erwarten darf, wie zum Beispiel Internet im Zug. Inter­net im Railjet geht teilweise gut, teilweise nicht gut. Und da gibt es auch die meisten Beschwerden, die allerdings nicht ersatzfähig sind.

Ich komme ja aus der Steiermark, und ich bin übrigens an dem Samstag, als in Frohn­leiten die Brücke zusammengebrochen ist, auch mit dem Zug gefahren, zwar schon einige Stunden vorher, aber auch da muss ich großes Lob an das Management der


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ÖBB sagen. Ich bin in der Zeit, als diese Strecke gesperrt war, mehrmals mit dem Zug gefahren, es gab den Ersatzverkehr mit den Bussen, und von Graz nach Wien gab es trotzdem nur maximal 10 Minuten Verspätung. Das war ja wirklich eine hervorragende organisatorische Leistung, das soll auch ausdrücklich erwähnt werden.

Die beste Absicherung der Fahrgastrechte ist nicht die Schlichtungsstelle, die beste Absicherung der Fahrgastrechte ist ein funktionierender Wettbewerb. Das ist die beste Absicherung. Denn eines ist klar: Wenn die ÖBB zum Beispiel unpünktlich wären, würden viele Leute in Graz auf diese Direktbusse umsteigen. Das passiert ja auch teil­weise. Die Direktbusse, MeinFernbus, FlixBus und wie die alle heißen, sind ja in den größeren Städten aufstrebend; das geht natürlich nur bei diesen Stadtverbindungen. Aber dieser Wettbewerbsdruck, dieser gegenseitige Druck, das ist die beste Absiche­rung der Fahrgastrechte, denn kein Fahrgast lässt es sich heute mehr gefallen, dass er mehrmals zu spät kommt. Er wird dann das Verkehrsmittel wechseln, wenn er es wech­seln kann.

Das ist natürlich kein Thema, sage ich jetzt einmal, für die Seitentäler, in denen es nur eine Linie gibt, wo es oft auch gebundene Linien gibt, mit Lizenzen, wo eben kein Wett­bewerb ist, aber gerade für die Fernreisestrecken ist der Wettbewerb für die Fahrgast­rechte sicher unabdingbar.

Interessant ist auch, wie viel an Entschädigungen die ÖBB in den letzten Jahren für Zug­verspätungen ausbezahlt haben.

Im Jahre 2012 waren es 358 000 €. Das betrifft übrigens Fälle, die gar nicht zur Schlich­tungsstelle kommen, da hat sich die ÖBB bereits mit dem Kunden vorab geeinigt. Im Jahr 2013 waren es fast doppelt so viele, also über 600 000 €. Was ist einer der Grün­de dafür? – Natürlich sind die ÖBB und wahrscheinlich auch die anderen öffentlichen Verkehrsunternehmer ihren Kunden gegenüber immer großzügiger, weil sie im Wettbe­werb stehen, weil sie die Kundinnen und Kunden eben nicht verärgern wollen, wenn etwas passiert – und es kann immer etwas passieren. Daher werden auch durchaus be­trächtliche Summen an die Fahrgäste ausbezahlt.

Noch einmal, Herr Todt: Die Sicherung der Fahrgastrechte ist schon ein wichtiges The­ma. Aber es ist nur die Abrundung eines gesamten Themas, nämlich öffentlicher Ver­kehr. (Bundesrat Füller: Es gibt auch noch andere Themen!) Der öffentliche Verkehr ist eine ganz wesentliche Aufgabe des Staates, die wir in diesen Häusern, hier und ne­benan, auch immer wieder zu diskutieren haben, denn schlussendlich ist das Fahrgast­recht auch eine Form von Qualitätssicherung.

Qualitätssicherung ist in allen Bereichen eine ganz wichtige Errungenschaft, die es natürlich auch gesetzlich abzusichern gilt. So sage ich Ja zu dem Thema, okay zu den Fahrgastrechten. Ich bitte Sie, heute im Bundesrat pünktlich zu sein. Sollten wir ver­spätet fertig werden, mein letzter Zug geht um 20.30 Uhr, muss ich die Hotelrechnung dem Bundesrat in Rechnung stellen, weil ich erst morgen mit dem Zug heimfahren kann. In diesem Sinne: Danke, Herr Minister, und alles Gute für die Zukunft. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Dönmez.)

10.01


Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Dörfler zu Wort. – Bitte.

 


10.01.40

Bundesrat Gerhard Dörfler (FPÖ, Kärnten): Geschätzte Frau Präsidentin! Lieber Herr Minister! Eine Agentur für Fahrgastrechte sollte es eigentlich gar nicht brauchen, denn die ÖBB gehören letztendlich dem Steuerzahler. Man muss aber auch festhalten, dass in den letzten zehn Jahren eine tatsächliche Leistungs-, Angebots- und Qualitätsoffen-


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sive erfolgreich durchgeführt wurde. Unter Generaldirektor Kern wurde noch einmal ein Gang zugelegt, und die ÖBB können wirklich sagen, die europäischen Vergleichszah­len beweisen es ja, dass besonders im Personen-, aber auch im Güterverkehr die Ent­wicklung eine sehr gute ist.

Daher betrachte ich dieses Ansinnen als Selbstverständlichkeit, es gibt aber keine drin­gende Notwendigkeit mehr, da die Zufriedenheit sehr, sehr hoch ist und die Leistung auf einem sehr, sehr hohen Niveau ist.

Wo ich aber meine, dass die ÖBB und die öffentlichen Verkehrsunternehmen insge­samt dringenden Handlungsbedarf haben, ist folgender Bereich: Es würde fast eine Agentur für Rechtsprobleme brauchen. Ich habe hier einige Fälle, Herr Bundesminister, wo ich schon sagen muss, und da möchte ich mich meinem Vorredner anschließen, dass die ÖBB immer wieder sehr scheu gegen Mitbewerber auftreten. Das zeigen auch bestehende Probleme.

Da berichtet der „Standard“ am 10. Jänner: „Gericht stellt Signal für zusätzliche ÖBB-Züge auf Rot. Das Verwaltungsgericht Wien hat die Bestellung neuer Zugverbindungen im Großraum Wien durch den Verkehrsverbund Ost-Region (VOR) gestoppt. Es prüft, ob die Direktvergabe an die ÖBB rechtens war.“

Ich muss schon sagen, dass ich mir von den Österreichischen Bundesbahnen erwarte, dass Vergabekriterien und Vergabeabwicklungen rechtskonform durchgeführt werden. Dafür sollten wir eigentlich überhaupt keine Instanzen brauchen.

Zum gleichen Thema hat dann aber auch der Verwaltungsgerichtshof die Vergabe ge­stoppt. Das heißt, eine nächste Instanz hat sich mit dem gleichen Thema beschäftigt und zeigt einmal mehr, dass der Kampf zwischen ÖBB und Westbahn sozusagen auch mit gewissen Tricks der ÖBB, weil sie eben den Wettbewerb scheut, geführt wird.

Ein weiteres Thema: „Höchstgericht: ÖBB hat Westbahn diskriminiert“. Das heißt, es ist tatsächlich so, dass das Höchstgericht, der Verwaltungsgerichtshof, festgestellt hat, dass die ÖBB auf der Westbahn-Strecke gewisse Bahn-Mautleistungen, wenn man das so sagen kann, erhöht hat, bevor die Westbahn auf den Markt getreten ist. Es ist unerhört, dass man versucht, Wettbewerb auszuschalten, Wettbewerb zu behindern und damit österreichische Gerichte zu beschäftigen.

„Laut VwGH hat die ÖBB-Infrastruktur AG der Westbahn zu hohe Gebühren für die Aufenthalte in den Bahnhöfen berechnet.“

„Das aktuelle Höchstgerichtsurteil ist das vorerst letzte Verfahren, das die Westbahn gegen die ÖBB gewonnen hat. Unter anderem musste ein Preisabschlag für gleisscho­nende Garnituren, der vor dem Westbahn-Start deutlich gesenkt worden war, wieder er­höht werden.“

Das heißt, die ÖBB tricksen hier und versuchen, Wettbewerb außer Kraft zu setzen oder zumindest massiv zu behindern. Das darf in einem Rechtsstaat betreffend den öffentli­chen Verkehr, wenn ich das so formulieren darf, jedenfalls nicht passieren.

Ein weiteres Verfahren ist noch offen, da geht es um die Dumpingpreise für Präsenz- und Zivildiener. Das ist ein noch schwebendes Verfahren.

Herr Bundesminister, zum Wettbewerb: In Deutschland gibt es einen Fernbus-Boom, der durchaus auch nach Österreich kommt. Westbahn, Blaguss und Co haben einige Li­nienverkehrsverbindungen bereits sehr erfolgreich in Betrieb genommen.

In Deutschland hat man dieses Thema aber liberalisiert, das heißt, in Deutschland gibt es einen funktionierenden Wettbewerb. Wie die Zahlen beweisen, sind Reisen mit Fern-


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bussen in Deutschland ein absolut boomender Markt, was so weit geht, dass in Deutsch­land bereits zu wenig Busfahrer vorhanden sind, sodass man eine verstärkte zusätzli­che Buslenkerausbildung anbieten muss, damit man diesen Markt bedienen kann.

Ich finde, das ist die beste Verlagerung von der individuellen Mobilität zum öffentlichen Verkehr: eine weitere Verkehrsangebotspalette zu entwickeln. Ich denke, es ist nicht mehr zeitgemäß, dass man in Österreich quasi noch eine Art Linienverkehrskartell wei­terführt. Man sollte sich da durchaus Deutschland als Beispiel nehmen und eine Libe­ralisierung anstreben, damit auch in Österreich erfolgreiche neue Verkehrsangebote ent­wickelt werden können. (Bundesrat Beer: Das schaffen wir auch noch!)

Es gibt weitere Probleme bei der Vergabe der ÖBB-Uniformen – ein Auftrag von 7 Mil­lionen €. Das haben übrigens auch die Grünen heftig kritisiert. Das geht nicht ganz rund über die Bühne.

Eines noch, Herr Bundesminister: Wenn die österreichische Bundeswettbewerbsbehör­de ein Speditionskartell mit 20 Millionen € bestraft, eine Behörde des Bundes ein Un­ternehmen des Bundes, nämlich die ÖBB, wenn also die Rail Cargo Austria von insge­samt 20 Millionen € verhängten Strafgeldern 8 Millionen € zu zahlen hat, dann muss man sich schon fragen, welches Spiel ein öffentliches Verkehrsunternehmen der Repu­blik Österreich treibt. Die Rail Cargo Austria ist ja bekannterweise nicht ein Unterneh­men wie Westbahn, Blaguss oder sonst jemand, sondern ein Unternehmen der Repu­blik Österreich. Genau genommen bestraft die rechte Hand der Republik Österreich die linke Hand, eigentlich unglaublich!

Zum Semmering-Basistunnel: Naja, wir hoffen, dass da endlich der letzte Abschnitt des Verfahrens erreicht wird und es tatsächlich so ist, dass diese für Österreich und für Südösterreich so wichtige Großbaustelle jetzt ohne Einsprüche, die auch im Hinter­grund von den Grünen mitfinanziert und mitgetragen werden, abgewickelt werden kann. Gerade in einer Zeit hoher Arbeitslosigkeit ist dieses Projekt auch für den Arbeits­markt – nicht nur für den Verkehrsstandort Österreich – beziehungsweise besonders für Südösterreich extrem wichtig.

Herr Bundesminister, ich wünsche mir, dass diese Schlagzeilen über die Vergaben, dass Behinderung von Wettbewerb seitens eines österreichischen Bahnunternehmens Geschichte sind und in Zukunft derartige Probleme nicht mehr auftauchen. Dann sind die ÖBB wirklich auf dem besten Zukunftsweg. Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

10.07


Präsidentin Sonja Zwazl: Bevor ich Sie, Herr Bundesminister Stöger, um Ihre ab­schließende Stellungnahme ersuche, begrüße ich recht herzlich Herrn Bundesminister Dr. Ostermayer, unseren Minister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien. – Herz­lich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Bitte, Herr Bundesminister Stöger.

 


10.08.00

Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie Alois Stöger, diplômé: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist deutlich geworden – und es ist mir wichtig, das auch zu sagen –: Die Menschen nutzen die öf­fentlichen Verkehrsmittel jeden Tag. Und da sie sie jeden Tag nutzen, ist es ganz wichtig, dass sich auch die Politik mit diesem Thema beschäftigt. Es ist eine Aufwer­tung des Bundesrates, wenn er sich mit Fahrgastrechten, mit den Bedingungen von Men­schen auseinandersetzt, die diese Verkehrsmittel jeden Tag nutzen.

Ich nenne Ihnen eine Zahl: 235 Millionen Fahrgäste hat zum Beispiel das Unternehmen ÖBB auf der Schiene. 225 Millionen Fahrgäste jährlich hat der österreichische Postbus.


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Dazu kommen alle städtischen Verkehrsmittel, die diese Zahlen massiv toppen, da die städtischen Verkehrsmittel eine viel höhere Fahrgastzahl haben.

Ich bin sehr, sehr froh darüber. Da eben Millionen von Menschen – jeder Österreicher, jede Österreicherin, auch viele Gäste – davon betroffen sind, ist dieses Thema geeig­net, in einer Aktuellen Stunde im Bundesrat angesprochen zu werden. Das ist mir sehr wichtig.

Ich danke auch Herrn Bundesrat Gödl dafür, dass er gesagt, dass sich die ÖBB be­müht haben, jeden Tag ein vorzügliches Service zu gewährleisten. 6 000 Züge sind täg­lich unterwegs, und sie sind sicher unterwegs, sie sind pünktlich unterwegs, und wenn einmal etwas schiefgeht, dann gibt es eine vernünftige Abwicklung.

Ich möchte zwei Elemente aus meiner Sicht sehr deutlich machen. Ich glaube, dass das Wichtigste im öffentlichen Verkehr nicht der Wettbewerb ist, sondern die Bereit­schaft zu investieren, das ist das Entscheidende. Wir brauchen die Investitionen, damit es dazu kommt, dass den Menschen die Leistungen auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Natürlich ist es gut, wenn wir uns fragen können: Wer bietet die bessere Leis­tung an? Diese bessere Leistung kann dann durchaus in einem Wettbewerb dargestellt werden.

Herr Bundesrat Dörfler, mir ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass Entscheidungen darüber, ob eine Bahn oder irgendein Unternehmen einen Zuschlag bekommt, nicht vom Bewerber, sondern vom Auftraggeber abhängig sind. Wie ein Auftraggeber seine Entscheidung trifft, wie er vergibt, ist Sache des Auftraggebers, aber nicht des Unter­nehmens, das sich bewirbt.

Die Österreichischen Bundesbahnen haben sich beworben, sie haben auch einen Auf­trag bekommen. Ob das jetzt das Vergabeamt bestätigt oder nicht, diese Frage richtet sich an den Auftraggeber, und das war die Verkehrsverbund Ost-Region und nicht die ÖBB. Ich möchte das sehr deutlich sagen.

Ich sage auch einen zweiten Punkt sehr deutlich: Die Bundesregierung hat sich be­müht, für Fahrten der Zivildiener und Präsenzdiener vernünftige Bedingungen zustande zu bringen. Das Ergebnis der Bemühungen hat sowohl für Präsenzdiener als auch für Zivildiener eine Lösung gebracht. Ich bin sehr froh, dass keine Dumpingpreise festge­legt wurden, sondern dass es eine vernünftige Lösung gegeben hat und diese erstens auch im Interesse des österreichischen Budgets und zweitens der Präsenzdiener war. Das ist aus meiner Sicht wichtig.

Insgesamt kann ich sehr deutlich festhalten, dass wir in Österreich nicht nur die ÖBB und einige wenige Unternehmen haben, die Fahrgäste transportieren. Wir haben in Ös­terreich 28 Schienenverkehrsunternehmen. Wir haben eine Vielzahl von Busunterneh­men, die Menschen transportieren, und wir haben eine Vielzahl von Linien auf dem Wasser. Wir haben leider weniger Angebote von Verkehrsmitteln, die in der Luft unter­wegs sind.

Aus meiner Sicht ist es ganz wichtig, dass die Rechte der Fahrgäste gestärkt werden. Die Europäische Union geht einen grenzüberschreitenden Weg. Die Rechte der Fahr­gäste werden gestärkt, und mit dieser Maßnahme, der Agentur für Passagier- und Fahr­gastrechte setzen wir in diesem Bereich einen weiteren Schritt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

10.13


Präsidentin Sonja Zwazl: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor. Die Aktuelle Stunde ist beendet.

Herr Minister Stöger, ein herzliches Dankeschön, und ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag! (Allgemeiner Beifall.)


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 24

10.13.51Einlauf und Zuweisungen

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, hinsichtlich der ein­gelangten, vervielfältigten und verteilten Anfragebeantwortungen 2834/AB-BR/2015 und 2835/AB-BR/2015 und

eines Schreibens des Ministerratsdienstes des Bundeskanzleramtes betreffend den Auf­enthalt eines Mitgliedes der Bundesregierung in einem anderen Mitgliedstaat der Euro­päischen Union

verweise ich auf die im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen gemäß § 41 Abs. 1 der Ge­schäftsordnung des Bundesrates, die dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Die schriftlichen Mitteilungen haben folgenden Wortlaut:

Liste der Anfragebeantwortungen (siehe S. 6)

*****

Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Aufenthalt eines Mitgliedes der Bun­desregierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 25

*****

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Eingelangt sind und zur Vorberatung in den Ausschüssen zu­gewiesen wurden:


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Bericht des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport betreffend Arbeitspro­gramm der Europäischen Kommission und zu Vorhaben des Rates für das Jahr 2015, zugewiesen dem Ausschuss für Sportangelegenheiten und

EU-Vorhaben des Bundesministeriums für Familien und Jugend 2015, zugewiesen dem Ausschuss für Familie und Jugend sowie

EU-Jahresvorschau 2015 des Bundesministeriums für Finanzen, zugewiesen dem Fi­nanzausschuss.

Weiters eingelangt sind und den zuständigen Ausschüssen zugewiesen wurden jene Beschlüsse des Nationalrates beziehungsweise jene Berichte, die jeweils Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind. Die Ausschüsse haben ihre Vorbereitungen abge­schlossen und schriftliche Ausschussberichte erstattet.

*****

Ich habe die zuvor genannten Verhandlungsgegenstände auf die Tagesordnung der heu­tigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? Ich sehe, das ist nicht der Fall.

Ankündigung einer Dringlichen Anfrage

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Bevor wir in die Tagesordnung eingehen, gebe ich bekannt, dass mir ein Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundes­rates auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundesrätin Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen betreffend Beharrung auf gescheiterten sozialistischen „Bil­dungsphantasien“ auf Kosten der Zukunft unserer Kinder an die Frau Bundesministerin für Bildung und Frauen vorliegt.

Im Sinne des § 61 Abs. 4 der Geschäftsordnung verlege ich die Behandlung an den Schluss der Sitzung, aber nicht über 16 Uhr hinaus.

10.16.151. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2015 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die äußeren Rechtsverhältnisse islamischer Reli­gionsgesellschaften erlassen wird (446 d.B. und 469 d.B. sowie 9324/BR d.B. und 9326/BR d.B.)

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, wir gehen in die Ta­gesordnung ein und gelangen zu deren 1. Punkt.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Saller. – Bitte.

 


10.16.45

Berichterstatter Josef Saller: Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Da­men und Herren! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Födera­lismus über den Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2015 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die äußeren Rechtsverhältnisse islami­scher Religionsgemeinschaften erlassen wird.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor. Ich komme daher zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 10. März 2015 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 



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Präsidentin Sonja Zwazl: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erste zu Wort gelangt Frau Bundesrat Mühlwerth. – Bitte.

 


10.17.33

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren hier im Saal! Sehr geehrte Da­men und Herren, die Sie vielleicht heute über das Internet diese Sitzung verfolgen! Sie können das über ORF III ja heute nicht tun, da der ORF, obwohl er einen Bildungs­auftrag und einen eigenen Sender – ORF III – für Kultur und Bildung hat, beschlossen hat, dass er nur einen Teil der Bundesratssitzungen überträgt. Daher können Sie uns heute nur über Livestream zuschauen, was ich bedauerlich finde.

Schade ist auch, dass Herr Minister Kurz heute nicht da ist. (Ruf bei der ÖVP:  in Pa­ris!) – Nein, der ist nicht in Paris, diese Reise – das habe ich zumindest der Zeitung ent­nommen – hat er wegen der Entführung der österreichischen Geisel durch ISIS abge­sagt. Ich habe mir gedacht, er wird vielleicht hier herkommen, aber leider tut er das nicht – sehr schade, aber wir werden das auch mit dem Herrn Minister Ostermayer al­leine schaffen. (Zwischenruf und Heiterkeit bei der ÖVP.)

Wir sprechen heute hier über das Islamgesetz, und dem stelle ich Folgendes voran: Aus Sicht der Freiheitlichen gehört der Islam nicht zu Österreich. Die Tatsache, dass durch eine unkontrollierte Zuwanderungspolitik über 600 000 Muslime hier in Österreich le­ben, heißt nicht, dass der Islam deswegen ein Teil Österreichs ist. Das sei vorange­stellt. (Beifall bei der FPÖ.)

Es ist ja auch nicht so, dass alle Muslime – die Aleviten nehme ich jetzt aus, denn die haben ja in diesem Gesetz ein eigenes Gesetz bekommen – der Meinung sind, dass die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich ihre Vertretung ist. Sie fühlen sich nicht alle von dieser IGGiÖ – das ist selbst im Kurzbegriff noch ein sehr sperriges Wort – vertreten, weil es ja verschiedene Auslegungen des Koran, des Islam gibt. Ob­wohl es nur einen Koran gibt, gibt es dennoch viele Spielarten, die sich nicht unter ei­nem Dach wiederfinden wollen.

Diesbezüglich möchte ich gleich aus einer der Stellungnahmen zitieren, die von der Plattform „Religion ohne Gewalt“ an das Parlament übermittelt wurde und von der Re­gierung natürlich völlig negiert wurde, aber das ist ja nichts Neues. Die Plattform sagt:

„Die in Österreich lebenden Muslime waren in die Verhandlungen über das Islamgesetz neu nicht eingebunden, mit wenigen Ausnahmen. Das Gesetz wurde vielmehr haupt­sächlich mit der ,Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich‘ ausgehandelt, wel­cher keinerlei Vertretungsanspruch für die Muslime in Österreich zukommt.“

Weiters: „Durch das Islamgesetz neu wird die ,Islamische Glaubensgemeinschaft in Ös­terreich‘ als Religionsgesellschaft dargestellt, obgleich dieser Verband nachweislich nie­mals als Religionsgesellschaft anerkannt worden war, die Voraussetzungen einer Reli­gionsgesellschaft nachweislich nicht erfüllt und nie erfüllt hat, und keine religiöse Lehre vertritt.“

Ich zitiere noch einen dritten Punkt, weil ich ihn für wesentlich halte:

„Die ,Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich‘ nahm und nimmt keine Muslime als Mitglieder auf, betreibt keine einzige Moschee und verfolgt politische Ziele, nicht aber re­ligiöse. Die ,Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich‘ ist auch nicht als Verein registriert und verfügt über keine legitimierten Organe. Im obersten Gremium der ,Isla­mischen Glaubensgemeinschaft in Österreich‘ sind ausschließlich politische Vereine ver­treten, von der ATIP bis hin zu den Grauen Wölfen.“


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Da haben Sie, neben uns Freiheitlichen, schon die Ersten, die diesbezüglich wirklich sehr kritisch sind, und das zu Recht. Trotzdem hat Sie das überhaupt nicht interessiert, sondern Sie haben gesagt: Wir drücken das jetzt einfach durch! Einerseits war das of­fensichtlich als Beruhigungspille für die Bevölkerung gedacht, im Sinne von: Wir ma­chen eh was, und regt euch nicht auf! Andererseits weiß ich nicht, welchen Deal Sie da mit der IGGiÖ haben, das entzieht sich unserer Kenntnis. Auf jeden Fall haben Sie es hingenommen, dass Sie hier ein Gesetz machen und eine Glaubensgemeinschaft ins­tallieren, die überhaupt keine religiösen Grundvoraussetzungen hat.

Derzeit werden diese religiösen Aufgaben von rund 450 Vereinen erfüllt. In diesen sind –und das wissen Sie ebenso wie wir – auch schon einige Hassprediger aufgefal­len, und wir wissen, dass es noch weitere gibt. Das scheint Sie aber nicht besonders zu stören.

Diese Vereine können jetzt nach dem neuen Gesetz aufgelöst werden. Sie können auf­gelöst werden, aber sie müssen das nicht tun. Wer kontrolliert das eigentlich? Wenn sie sich auflösen und in der IGGiÖ aufgehen, müssen sie sich ja den Religionsgrund­lagen unterordnen – den Religionsgrundlagen, die wir noch gar nicht kennen, weil es sie ja noch gar nicht gibt und wir sie daher auch nicht kennen können.

Wer prüft in Zukunft bei einem Verein, der sich unter den, wie Sie es ja nennen, Dach­verband begibt, ob es wirklich eine Übereinstimmung gibt? Wie viele Experten haben wir denn da in Österreich? Als ich im Ausschuss nachgefragt habe, hat man uns ge­sagt: Naja, es muss ja kein österreichischer Islamwissenschaftler sein, man kann ihn ja auch aus dem Ausland bekommen. Wenn wir diese Experten aus dem Ausland be­kommen, bedeutet das aber, dass wir wieder für etwas extra bezahlen müssen, was wir so in dieser Form überhaupt nicht brauchen. Woher wollen Sie schlussendlich ir­gendeinen Überblick haben, wie es mit der IGGiÖ und deren Vereinen weitergeht? Da wissen wir nichts, und Sie wissen offensichtlich auch nichts. (Bundesminister Oster­mayer: Wie kommen Sie auf das?)

Wieso konnten Sie sich nicht durchringen, festzustellen, dass Predigten und religiöse Betreuung ausschließlich auf Deutsch zu erfolgen haben? Es steht nämlich nirgends konkret drinnen, dass das so sein muss. Das heißt, Sie nehmen in Kauf, dass Sie überhaupt nicht wissen, was die religiösen Betreuer tun. Das halte ich wirklich für be­denklich, denn diese Betreuer dürfen in Krankenhäusern, Pflegeanstalten und Haftan­stalten ihrer religiösen Betreuung nachgehen, und wir wissen nicht, in welcher Form diese Betreuung stattfindet. Wir wissen aber schon, dass bei den Anschlägen von Pa­ris gerade die Dschihadisten, die sie durchgeführt haben, erst in den Haftanstalten so richtig radikalisiert worden sind. Und das nimmt man übrigens auch bei den Anschlä­gen in Dänemark an.

Ist Ihnen jetzt die Gefahr noch immer nicht bewusst? Ist Ihnen noch immer nicht be­wusst, dass es Radikalisierungstendenzen gibt? In Österreich allein sitzen schon 21 sol­cher Personen in Haftanstalten. Ich glaube, das ist ein Problem, dessen wir uns wirk­lich annehmen müssen, wo man nicht wegschauen kann. Dieses Problem kann man nicht verniedlichen, wie es sonst üblicherweise geschieht, so nach dem Motto: Es wird schon nicht so schlimm sein, wir haben die eh eigentlich im Griff! Da verstehe ich Sie überhaupt nicht.

Dann haben wir im Gesetz die Möglichkeit, Kinder und Jugendliche in religiöse Bräu­che einzuführen. Was heißt das im Konkreten? – Das kann auch die Zwangsbeschnei­dung als einen religiösen Brauch beinhalten, ebenso Zwangsheirat, das könnte auch ei­nen Ehrenmord beinhalten (Bundesrat Himmer: steht doch nicht! – Bundesrat Dön­mez schüttelt den Kopf) – könnte, sage ich! Auch wenn Kollege Dönmez den Kopf schüttelt: Die Tatsache, dass das bei uns verboten ist, heißt ja nicht, dass das nicht stattfindet. Es findet in Deutschland statt, dort ist übrigens jetzt erst ein Fall bekannt ge-


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worden. Ich glaube, in diesem Fall war es sogar der Vater, der sich an die Polizei ge­wandt hat, weil die Mutter diese Zwangsbeschneidung ihrer Tochter wollte, und da­durch ist das aufgeflogen.

In Deutschland schätzt man, dass Tausende Mädchen davon betroffen sind; in Groß­britannien schätzt man, dass hunderttausend Mädchen davon betroffen sind. Also tun wir nicht so, als ob das überhaupt nicht stattfände! Es heißt nicht, dass es nicht statt­finden kann. Nach dem Motto: Ich mache die Augen zu und ich sehe euch nicht, dann seht ihr mich hoffentlich auch nicht!, wird es allerdings nicht funktionieren.

Was die Auslandsfinanzierung betrifft: Ja, ich finde es an sich gut, dass es keine geben soll, aber das ist ja alles nur graue Theorie! Durch die Hintertür – über Stiftungen und über Vereine, die sich nicht auflösen oder neu gegründet werden – kann die Auslands­finanzierung sowieso stattfinden. Sie geben im Gesetz, und das haben Sie ja auch in die Erläuterungen hineingeschrieben, die Möglichkeit, dass das geschieht.

In einer Sitzung türkisch-bosnischer Vereine am 15. Februar haben diese auch dezi­diert gesagt, sie denken überhaupt nicht daran, sich aufzulösen. Erdoğan, der sich so unheimlich aufgeregt hat, wie arg das ist – aber das ist für Sie ja das Argument, zu sagen: Seht doch her, wie gut dieses Gesetz ist! –, der wird schon erkennen, dass es da Hintertürln gibt, über die er die Auslandsfinanzierung nach wie vor vornehmen kann.

Das ist halt meistens das Problem dieser Regierung: Die Intention an sich ist richtig, aber die Durchführung leider lückenhaft, fehlerhaft und falsch. Genauso ist es bei die­sem Gesetz. Ich kann nicht sagen: Die Religionsausübung muss sich selber finanzie­ren!, und gleichzeitig sage ich: Aber über Stiftungen könnt ihr schauen, dass ihr weite­res Geld herbekommt! Damit ist Ihr schönes Gesetz nämlich für den Reißwolf. (Vize­präsidentin Posch-Gruska übernimmt den Vorsitz.)

Warum habe ich am Anfang gesagt, dass der Islam nicht zu Österreich gehört? – Ein­fach aufgrund der Tatsache, dass der Islam eben nicht eine Religion wie alle anderen ist, wo es eine strenge Regelung bezüglich des Verhältnisses von Kirche und Staat gibt, sondern er ist ein politisches System. Das erleben wir auch täglich, und auch die Vertreter der Religionsgemeinschaften oder der Vereine sagen es ganz deutlich. Es wird geregelt, was jeder Einzelne darf, kann und soll. Wenn er sich nicht daran hält, dann hat er Konsequenzen zu tragen. Das kann in Saudi-Arabien die Steinigung be­deuten oder vielleicht sogar den Mord. In Österreich hat eine Richterin ihr Urteil damit begründet, dass eine islamische Frau einfach damit rechnen muss, dass ihr islami­scher Mann sie schlägt. Das war eine Urteilsbegründung in einem Ehescheidungsver­fahren. (Zwischenruf des Bundesrates Füller.)

All das ist mit den europäischen Werten überhaupt nicht vereinbar, es ist auch von der Kernaussage her überhaupt nicht tolerierbar, und daher kann man nicht sagen, dass der Islam in all seinen Auswirkungen zu Österreich gehört. (Bundesrätin Kurz: Aber der ist anerkannt seit 100 Jahren! Kann ihr das jemand sagen?!)

Ich möchte niemanden beleidigen, aber wir stellen leider immer wieder fest, dass viele Zuwanderer muslimischen Glaubens hier nur mit den Füßen angekommen sind, und zwar mit den Füßen in unserem Sozialsystem, nicht aber mit dem Kopf. Es gibt aber auch welche – leider ist es eine Minderheit –, die sich sehr gut integriert haben, die Ös­terreich tatsächlich als ihre Heimat ansehen und es nicht so machen wie jene Ju­gendlichen, die, obwohl sie die österreichische Staatsbürgerschaft haben, bei der Pro-Erdoğan-Demonstration nach den Ausschreitungen im Gezi-Park bei laufender Kamera gesagt haben: Ich bin Türke!

Da hat der Kollege meiner Meinung nach zu Recht gesagt, wenn man das so sieht, dann: One-Way-Ticket nach Hause! Also die meinen wir nicht. Es gibt aber viele, die sich integriert haben – ich schau meinen Kollegen Dönmez an –, die gerne hier sind


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und die ganz bewusste Österreicher geworden sind. Aber die werden einerseits nicht gehört, und andererseits schweigen sie meistens – leider!

Daher sage ich Ihnen, Herr Minister: Dieses Gesetz trägt nichts zur Integration bei. Die Hassprediger wird es weiter geben, Sie werden sie nicht unter Kontrolle haben und Sie werden sie auch nicht davon abhalten können, ihre unheilvollen Lehren weiter zu verbreiten. Darüber hinaus hat das Gesetz, wie ich schon ausgeführt habe, viele Lü­cken. Es gibt schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken. Sie waren ja so stolz darauf, dass Deutschland zunächst gesagt hat, sie wollen dieses Gesetz auch über­nehmen. Da waren damals alle stolz darauf und haben gesagt: Ja, auf das kleine Ös­terreich schaut wieder einmal die ganze Welt, zumindest ganz Europa. Mittlerweile haben die Bayern schon gesagt, es gebe arge verfassungsrechtliche Bedenken, das werden sie garantiert nicht übernehmen. (Bundesrat Beer: Wir sind kein Teil von Bay­ern! – Bundesrat Füller: Weil Bayern Nein sagt !) – So viel zu diesem tollen Gesetz.

Wir werden diesem Gesetz nicht zustimmen, weil es fehlerhaft ist, lückenhaft ist und un­serer Meinung nach auch verfassungsrechtlich nicht halten wird. (Beifall bei der FPÖ.)

10.32


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächste zu Wort gelangt Bundesrätin Grim­ling. – Bitte.

 


10.32.09

Bundesrätin Elisabeth Grimling (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Die Re­ligionsfreiheit ist ein in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschriebenes Grund- und Menschenrecht. Sie erlaubt Menschen, eine Glaubensüberzeugung oder ein weltanschauliches Bekenntnis frei zu haben und dieses ungestört auszuüben.

Die Migrationsbewegungen der letzten Jahrzehnte und Prognosen ihrer künftigen Ent­wicklung haben einem Teil Europas einen Bevölkerungszuwachs gebracht. Faktum ist, dass ein großer Anteil dieser Menschen einer Glaubensrichtung angehört, die bei uns in diesem Ausmaß früher nicht vertreten war, nämlich dem Islam. Die betroffenen eu­ropäischen Staaten sind daher aufgerufen, durch innerstaatliche Regelungen dem Auf­trag der Europäischen Menschenrechtskonvention zu entsprechen.

Die bisherige österreichische innerstaatliche gesetzliche Regelung über die äußeren Rechtsverhältnisse der Islamischen Religionsgesellschaft stammt aus dem Jahr 1912 (Bundesrätin Kurz: Eben!) und entspricht nicht mehr den heutigen Erfordernissen ei­nes modernen Rechtsstaates. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass es in Öster­reich mehr als eine islamische Glaubensgemeinschaft gibt.

Mit diesem Gesetz soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass unterschiedliche isla­mische Religionsgesellschaften auf der Grundlage des Islamgesetzes errichtet werden. Die Regelung orientiert sich dabei an der bisher im Bundesgesetz über die Rechtsper­sönlichkeit religiöser Bekenntnisgemeinschaften bereits vorgegebenen Verfahrenswei­se. Als Voraussetzung für die Bildung einer islamischen Religionsgesellschaft nennt der Gesetzentwurf unter anderem einen gesicherten dauerhaften Bestand, eine positi­ve Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat und schließlich die wirtschaftli­che Selbsterhaltungsfähigkeit.

Das bedeutet auch, dass Imame nicht mehr im selben Ausmaß wie bisher aus dem Aus­land entsandt und keine ausländischen Gelder mehr zur Finanzierung angenommen wer­den dürfen. Bei uns leben Menschen islamischen Glaubens, somit muss auch die Aus­bildung der Imame in Österreich erfolgen.

Das neue Gesetz enthält eine ausdrückliche Festlegung des Vorrangs des österreichi­schen Rechts vor den islamischen Glaubensvorschriften. Geregelt werden im Islamge-


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setz unter anderem der rechtliche Status der Organisationen und Moschee-Vereine. Das neue österreichische Islamgesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung, denn es schafft einen verbindlichen Rahmen für das religiöse Leben der Muslime und ihre Integration in die österreichische Gesellschaft. Gefragt ist hiebei ein Islam, der mit der Lebenswirk­lichkeit der Muslime hierzulande im Einklang steht.

Da es sich aus all diesen Gründen bei dem vorliegenden Gesetzeswerk um eine sinn­volle und zukunftsorientierte Neuregelung handelt, wird meine Fraktion ihre Zustimmung erteilen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

10.36


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Dön­mez. – Bitte.

 


10.36.52

Bundesrat Efgani Dönmez, PMM (Grüne, Oberösterreich): Hohes Präsidium! Sehr ge­ehrter Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Schade, dass Kollegin Mühl­werth jetzt die Sitzung verlassen hat, denn nach ihrer Definition und nach dem Verständ­nis der FPÖ gehöre ich nicht zu Österreich. (Bundesrätin Kurz: Ja, das ist jetzt !) Ich bin aber jemand, der mit Leib und Seele und mit voller Energie für dieses Land, für die Demokratie, für die Rechtsstaatlichkeit eintritt, und das tagtäglich aufs Neue. (Beifall bei Grünen und SPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und FPÖ.) – Danke.

Es muss kein Widerspruch sein, Moslem und auch Österreicher zu sein! Ich erkenne darin überhaupt keinen Widerspruch, und ebenso geht es Tausenden von Österrei­cherInnen mit muslimischem Glauben. Das, was zu kritisieren ist, und zwar zu Recht – diesbezüglich bin ich mit der Kollegin auf einer Linie! –, ist der politische Einfluss, also die Instrumentalisierung einer Religion, um dadurch politischen Benefit zu erzielen. Das ist zu kritisieren! Das hat aber nichts mit einer Religion oder mit einer religiösen Einstel­lung zu tun.

Diese Art von Argumentation spielt letztendlich auch den islamisch-islamistischen Grup­pierungen in die Hände, denn dadurch können sie immer die Karte der Opferrolle zü­cken und sagen: Schaut euch das an, wir können tun, was wir wollen, sie erkennen uns sowieso nicht als ebenbürtig an und behandeln uns nicht auf gleicher Augenhöhe! Aus diesem Grund wäre ich, sehr geehrte Frau Kollegin, mit derartigen Aussagen sehr vorsichtig. Ich persönlich weise das auf das Schärfste zurück! Das muss kein Wider­spruch sein! (Bundesrätin Mühlwerth: Ja, gut!)

Ich möchte auch anmerken, dass sich unsere Bundesregierung mit dieser Thematik ei­nen weiteren Schiefer eingezogen hat, doch das ist mittlerweile kein Schiefer mehr, den man so einfach mit einer kleinen Pinzette herauszieht oder abschüttelt, sondern das hat sich zu einem riesengroßen Pflock entwickelt. Den ersten Schiefer haben wir uns eingezogen, als wir hier in diesem Haus dieses King Abdullah Zentrum, das mit saudi­schem Geld in Österreich errichtet worden ist, beschlossen haben. Ich weiß, manche werden jetzt tief durchschnaufen und die Augen verdrehen, aber das ist die Wahrheit. (Bundesrätin Mühlwerth: So ist es!)

Wir brauchen keinen Einfluss aus Saudi-Arabien! Das hat auch nichts mit interkulturel­lem und interreligiösem Dialog zu tun, wenn man weiß, welche Form des Islams dort gelebt wird und dass Österreich und insbesondere Wien als Plattform genützt werden, um den deutschsprachigen Raum zu beackern, weil wir hier die diplomatischen Vertre­tungen haben, die institutionellen Organisationen und so weiter.

Sie haben es selbst gemerkt, dass genau durch dieses Zentrum Österreich in der Welt­öffentlichkeit zu Recht kritisiert und belächelt wurde – und wird.

Tagtäglich finden vor der saudischen Botschaft und vor diesem sogenannten Kultur- und Dialogzentrum, das meines Erachtens ein Schandfleck an der Ringstraße ist, De-


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monstrationen statt, weil in Saudi-Arabien Menschen gefoltert und ausgepeitscht wer­den und bei uns eine falsch verstandene Toleranz beziehungsweise eine Unterordnung unter wirtschaftspolitische Interessen erfolgt.

Liebe KollegInnen der ÖVP – insbesondere der ÖVP –, da möchte ich euch wirklich an eure christlich-sozialen Werte eindringlichst erinnern, diese nicht hinter den wirtschafts­politischen Interessen anzustellen, sondern die Menschenrechte in der Priorität eine Stu­fe vorzurücken.

Ich verstehe, dass es wichtig ist, dass es unserer Wirtschaft gut geht. Der Großteil un­seres Wohlstandes wird im Ausland erwirtschaftet, Firmen wie die OMV und andere sind gerade in diesen Ländern tätig, dennoch darf es zu keinen faulen Kompromissen kommen. Wenn es zu solch faulen Kompromissen kommt, haben wir jene Diskussio­nen, die wir eben seit Wochen haben, und das schadet uns insgesamt sowie der Repu­blik.

Nun zum Gesetz: Laizität gibt es in Österreich nicht, die Schlechterstellung einzelner Religionen schon. Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten, das Verhältnis von Staat und Religion auszugestalten: Der Staat kann religiösen und nicht religiösen Weltanschau­ungen neutral oder nicht neutral gegenüberstehen.

Aus einer neutralen Position erkennt der Staat Religion als Privatsache. Der Staat steht dem Glauben oder der Überzeugung indifferent gegenüber und enthält sich sowohl der Diskriminierung als auch der Privilegierung. Das entspricht dem Prinzip der Laizität. Der Staat hindert damit Gläubige nicht daran, sich zu organisieren und ihre Religion im allgemeingültigen Rechtsrahmen auszuüben. Laizität ist der Garant für echte Religions­freiheit – ohne Sonderrechte, ohne Einschränkung von Rechten.

Österreich hingegen versucht, religiöse Neutralität auf einem anderen Weg herzustel­len, nämlich indem für jede anerkannte Religion ein eigenes Gesetz erlassen wird – mit Ausnahme jener Religion, die durch den völkerrechtlichen Vertrag, das Konkordat, eben privilegiert ist. Damit nimmt der Staat zunächst eine Unterscheidung in religiöse, anerkennungsfähige und nicht religiöse Weltanschauungen vor. Es wird also angenom­men, es läge Ungleiches vor, das dann eben auch ungleich zu behandeln sei.

Konsequenterweise müssten die anerkannten Religionen gemäß dem verfassungs­rechtlichen Gleichheitssatz untereinander gleich behandelt werden, natürlich unter Be­rücksichtigung inhaltlich-religiöser Besonderheiten, die auch jetzt nur einen sehr klei­nen Raum in bestehenden Religionsgesetzen einnehmen. Darunter fallen aber bestimmt nicht die Finanzierung, die Aufforderung, sich an Gesetze zu halten, Subventionen und vieles andere.

Genau diese Ungleichbehandlung wird aber bei der Beschlussfassung des neuen Is­lamgesetzes vollzogen. Die oft behauptete Voraussetzung der Ungleichheit, die eine Un­gleichbehandlung nach sich zöge, gibt es nicht. Das Islamgesetz enthält dennoch im Vergleich zu anderen Religionsgesetzen geradezu dramatische Schlechterstellungen – das Verbot der Auslandsfinanzierung, das schon angesprochen wurde, oder das Sub­ventionsverbot –, die eigentlich jede für sich eine Ablehnung rechtfertigen würde. Ins­gesamt ist das Gesetz auch aus prinzipiellen Gründen der Nichtgleichbehandlung ab­zulehnen.

Damit es auch die ÖVP versteht, möchte ich einen kleinen Vergleich aus der Wirtschaft heranziehen: Natürlich sind Religionen inhaltlich verschieden, aber so, wie jede GmbH vor dem GmbH-Gesetz gleich behandelt wird, sollte das auch für Religionsgemein­schaften – idealerweise mit einem für alle gültigen Religionsgesetz –gelten.

Echte Laizität unter Einbeziehung nicht religiöser Weltanschauungen wäre freilich eine noch elegantere Lösung.


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Das oft angeführte Argument, dass durch das neue Islamgesetz eine Schlechterstel­lung produziert wird beziehungsweise Bürger zweiter Klasse, kann ich nicht nachvoll­ziehen. Dieses Argument weise ich auch auf das Schärfste zurück, denn es ist genau jenes, das Erdoğan und Co sowie seine Soldaten heranziehen, um die Muslime in Ös­terreich und in Europa in eine Opferecke zu stellen und in die Opferrolle hineinzudrän­gen.

Nein, das begrüße ich explizit, denn der Islam – Kollegin Mühlwerth hat es schon an­klingen lassen – ist ja nicht nur eine Glaubensgemeinschaft, sondern auch eine Form, wie man Gesellschaft ordnet. Bei uns leben eben viele Menschen, die aus muslimi­schen Ländern kommen und die vielleicht ein anderes Verständnis diesbezüglich ha­ben, weswegen es wichtig ist, dass man glasklar festhält: In Österreich gilt der Rechts­staat und nichts anderes! Alles ist dem Rechtsstaat untergeordnet.

Dass natürlich die Vertreter eines politischen Islams, die in Österreich und in Europa massiv verankert sind, wie die Millî Görüş oder die ATİB, dieses Gesetz massiv torpe­dieren und ablehnen, liegt auch klar auf der Hand, weil sie eben um den Einfluss fürch­ten. (Bundesrat Perhab: Deine alevitischen Glaubensbrüder sind dafür!) Das Islamge­setz wird sozusagen stellvertretend als Diskussionspunkt herangezogen, denn im Hin­tergrund geht es de facto um Macht- und Einflusskämpfe zwischen der arabisch do­minierten Muslimbruderschaft und den türkisch dominierten Millî Görüş- und ATİB-Grup­pierungen.

Wenn ein ausländischer Staat über einen verlängerten Arm seines Politapparates, in Form von ATİB, welcher der türkischen Religionsbehörde unterstellt ist, Druck auf den österreichischen Staat ausübt, dann stellt sich für viele BürgerInnen unseres Landes die berechtigte Frage, was denn unter der Anleitung von führenden PolitikerInnen un­seres Landes jahrzehntelang falsch gelaufen ist. Mit dem Argument der Religionsfrei­heit wurde in Österreich de facto ein Staat im Staat geschaffen. Die Vertreter von ATİB und der Muslimischen Jugend verlangen von der Republik Österreich, was die eigene Religionsbehörde in deren Herkunftsländern seit Jahrzehnten großen Teilen ihrer eige­nen Bevölkerung vorenthält, nämlich gleiche Rechte.

Bei diesem Anliegen werde ich diese Gruppierungen unterstützen, obwohl ich wirklich einer der schärfsten Kritiker dieser politischen Strömungen des Islams bin. Für mich hat eines oberste Priorität: Man kann nicht ungleiche Rechte implementieren – und das tut dieses Gesetz.

Ich werde aber gleichzeitig auch nicht müde, dass ich diesen Communities immer wie­der den Spiegel vorhalte und ihnen diese Doppelbödigkeit vor Augen führe, welche sie zutage bringen.

Der ausländische Einfluss ist jetzt schon massiv ersichtlich. Seit der Verabschiedung des Islamgesetzes Neu im Nationalrat hat die AKP begonnen, in Europa und insbe­sondere auch in Österreich ihre Abgeordneten ausschwirren zu lassen. Es wird in Ös­terreich Wahlkampf für die Türkei und für die türkischen Parlamentswahlen betrieben. Dabei wird auch das Islamgesetz massiv kritisiert und ebenso die Vertreter unserer Republik – Sie, Herr Minister Ostermayer, Ihr Kollege Kurz und auch wir stehen im Mit­telpunkt schärfster Kritik und schärfster Diffamierungen.

Terminologisiert werden diese unter dem Begriff der Beka Meselesi. Das ist eine Dik­tion, die aus der osmanischen Zeit kommt und die dafür verwendet wurde, Angriffe ge­gen den Staat abzuwehren, abzumindern und alle Maßnahmen in Gang zu setzen, um diesen Angriff im Keim zu ersticken. Das heißt, dieses Islamgesetz wird mit Bevoll­mächtigung des türkischen Parlaments – das ja jetzt auch die Bevollmächtigung hat, dass der Auslandsgeheimdienst in außertürkischen Territorien noch aktiver als bisher sein darf – dazu genutzt, Menschen mit kritischen Einstellungen, wie Intellektuelle, Jour-


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nalisten, Aleviten oder Oppositionspolitiker, auch in Österreich massiv unter Druck zu setzen.

Das gefährdet meiner Meinung nach das friedliche Zusammenleben, und daher plädie­re ich eindringlichst, sehr geehrter Herr Minister, dass wir uns wirklich ernsthaft Gedan­ken darüber machen sollten, ob Abgeordnete eines anderen Landes bei uns Wahlkampf­propaganda durchführen dürfen. Dies führt zu einer Polarisierung und Spaltung unse­rer Gesellschaft.

Das ist nicht dienlich für die öffentliche Sicherheit, Ruhe und Ordnung; daher plädiere ich eindringlichst, ein Einreiseverbot, ein Schengen-Verbot über wahlkampfwerbende Ab­geordnete eines anderen Staates zu verhängen. Es muss die eindeutige Klarheit ge­ben, dass das bei uns nicht erwünscht ist und wir das in Österreich nicht wollen.

Ich würde Sie ersuchen, geschätzte KollegInnen, parteiübergreifend einen Schulter­schluss durchzuführen, damit wir dem einen Riegel vorschieben, denn es gefährdet un­sere öffentliche Ruhe und Sicherheit. Und außerdem ist es im Fremdengesetz unter dem Aufenthaltstitel auch rechtlich schon vorgesehen.

Wir können sagen: Ihr seid bei uns in Österreich willkommen, egal, welcher Herkunft, und egal, welcher Religion! Aber wenn ihr beginnt, die Innenpolitik eures Landes he­reinzutragen, Wahlkampf in Österreich zu betreiben, für Unruhe zu sorgen und Perso­nen, wie zum Beispiel hochrangige Professoren, die dann für das Islamgesetz und die Errichtung der Fakultäten zuständig sein werden, de facto zu Freiwild zu erklären – da darf man nicht in die andere Richtung schauen oder die Augen verschließen. In diesem Fall müssen wir uns schützend vor diese wenigen aufgeklärten islamischen Menschen stellen und sagen: Das lassen wir uns nicht gefallen, und wir unterstützen euch bei die­sem Weg, einen Islam europäischer Prägung zu gestalten! Es muss da meiner Mei­nung nach Klarheit geben.

Kollegin Mühlwerth hat schon aus der Stellungnahme der Plattform Religion ohne Ge­walt zitiert – die Zeit ist schon sehr fortgeschritten (Ruf bei der SPÖ: Weit überschrit­ten!) –, wenn es jemanden interessiert, möchte ich ihm wirklich eindringlich nahelegen, sich diese Stellungnahme der Plattform Religion ohne Gewalt aufmerksam durchzule­sen. Darin sind viele richtige und wichtige Punkte enthalten. Ich teile aber auch nicht alle, das möchte ich gleich anmerken.

Wenn man schon im Ausland auf Werbetour geht und das Islamgesetz bewirbt – eines möchte ich schon anmerken, sehr geehrter Herr Minister, das Gesetz geht in die rich­tige Richtung, das heißt, ich kritisiere nicht alle Punkte –, dann sollte man von seinem persönlichen Zugang her zumindest so weit sein zu sagen, dass dieses Gesetz verfas­sungsrechtlich hieb- und stichfest ist – wasserdicht. Und das ist es nicht. Diese Grup­pierungen – das haben Sie ja schon angekündigt – werden zu Recht vor den Verfas­sungsgerichtshof gehen und dieses Gesetz anfechten. Und wenn unser geschätzter Außenminister dieses Gesetz bewirbt und als europäisches Modell vorantreiben möch­te, dann würde ich zumindest erwarten, dass es verfassungsrechtlich hieb- und stich­fest ist – wasserdicht –, damit uns keiner diesbezüglich kritisieren kann, damit wir uns da nicht auf dünnes Eis begeben. Und das ist es nicht! Es widerspricht den Grundsät­zen der Republik, der Laizität. Deswegen werde ich diesem Gesetz meine Zustimmung auch nicht erteilen, obwohl manche Punkte wirklich begrüßenswert sind.

Eines möchte ich zuallerletzt noch herausstreichen. Was Österreich gemacht hat, ist welt­weit einzigartig: die Anerkennung der alevitischen Glaubensgemeinschaft als eigenstän­dige Religionsgemeinschaft. Das gibt es nicht einmal in den Herkunftsländern. Wegen dieses Gesetzes gibt es jetzt auch Probleme, die vielleicht in dieser Form noch gar nicht angedacht worden sind, denn, sehr geehrter Herr Minister, Sie wissen, dass es die Islamische Alevitische Glaubensgemeinschaft gibt (Bundesminister Ostermayer: Ja,


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das weiß ich auch!), Herr Henhapel weiß es sicher, sowie die Föderation der Aleviten. Diese sind jetzt de facto illegal, so wie viele andere Vereine.

Mich haben viele E-Mails erreicht, in denen es hieß: Was sollen wir jetzt machen? Sol­len wir uns selbst anzeigen? Wie gehen wir da vor? – Das heißt, durch dieses Gesetz sind viele Fragen aufgetaucht, die de facto unbeantwortet sind. (Bundesrat Perhab: Das müsst ihr euch selbst ausmachen!)

Wenn wir das Gesetz international und insbesondere im europäischen Raum bewer­ben und es richtungsweisend sein sollte, dann würde ich zumindest erwarten, dass man das umfassend betrachtet und nicht nur schnell durchpeitscht.

Die Argumente, die Kollegin Mühlwerth aufgegriffen hat, der Zwangsverheiratungen und Zwangsbeschneidungen – ja, die gibt es, natürlich gibt es sie, das wissen wir, wir sind ja nicht blind. Aber was es nicht gibt, ist, das mit religiösen Argumenten zu begründen und zu untermauern. Das finden Sie nirgends im Koran, dass das religiös legitimiert sein soll. Das sind kulturelle Auswüchse aus Afghanistan, Saudi-Arabien oder sonst wo­her, hat aber mit der Religion des Islams nichts zu tun. Und das muss man auch in al­ler Deutlichkeit sagen und festhalten. – Danke vielmals. (Beifall bei den Grünen.)

10.54


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Kneifel zu Wort. – Bitte.

 


10.54.34

Bundesrat Gottfried Kneifel (ÖVP, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Herr Bundes­minister! Meine sehr geschätzten Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Wir sind dabei, den Regierungsentwurf eines Islamgesetzes beziehungsweise eines Gesetzes, das die Beziehungen des österreichischen Staates zu den Angehörigen der islami­schen Religion regeln soll, zu besprechen, zu beraten und zu beschließen.

Ich freue mich über den versöhnlichen Schluss meines Vorredners in seiner Stellung­nahme, in der er gesagt hat: Das ist richtig, das Gesetz beschreitet gute Wege. Es tut mir leid, dass er es am Schluss verabsäumt hat, diesem Gesetz seine Zustimmung zu geben, denn das wäre eine konsequente und logische Handlung gewesen.

Dieses Gesetz ist höchst notwendig, denn das letzte und zugleich erste Islamgesetz wurde, wie schon gesagt worden ist, 1912 beschlossen. Es ist höchst notwendig, das Gesetz zu adaptieren, neu zu fassen und den neuen gesellschaftspolitischen und reli­giösen Strömungen Rechnung zu tragen.

Man kann da jetzt natürlich Wortklauberei betreiben und sagen: Der Islam ist Bestand­teil Österreichs. (Bundesrätin Mühlwerth: Nein!) Wissen Sie, was Bestandteil Öster­reichs ist? – Der Großglockner, die Donau, der Dunkelsteinerwald, das Staatsgebiet ins­gesamt, das ist Bestandteil Österreichs. (Rufe bei der ÖVP: Vorarlberg! Salzburg! Bur­genland!) – Vorarlberg natürlich, das Burgenland und alles dazwischen (allgemeine Hei­terkeit – anhaltende Zwischenrufe), alles, was zwischen dem Bodensee und dem Neu­siedler See liegt, ist wesentlicher Bestandteil Österreichs. (Bundesrätin Mühlwerth: Die Menschen!) – Ja, danke für den Hinweis, ich komme gerade dazu. Lassen Sie mich den Gedanken zu Ende führen!

Wir müssen zur Kenntnis nehmen – wir nehmen auch zur Kenntnis –, dass es in Öster­reich mehr als 500 000 Menschen, Persönlichkeiten, Individuen, Angehörige und Staats­bürgerinnen und Staatsbürger islamischen Glaubens gibt. Wer soll denn das in dieser Republik leugnen? Das ist doch eine allgemein anerkannte Tatsache! (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Diese Menschen haben eben ihren Glauben, und dieser wird – so wie andere Reli­gionsgemeinschaften die Beziehungen zum Staat regeln – in Form dieses Gesetzes ge-


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regelt. Das ist doch etwas ganz Selbstverständliches, so wie es ein Gesetz gibt, das die Beziehungen zur Israelitischen Kultusgemeinde (neuerlicher Zwischenruf der Bun­desrätin Mühlwerth) oder zu den Protestanten regelt. Es gibt auch Konkordate, die der österreichische Staat mit dem Vatikan abschließt, um die Beziehungen zur katholi­schen Kirche zu regeln. Ja, es ist doch das tägliche Brot eines Kultusministers, dass er das macht! Das ist eine Selbstverständlichkeit.

Ich halte es für positiv, dass das geregelt ist, das ist besser, als wenn es ungeregelt bliebe. Es ist ein wichtiger, positiver Schritt. Ich gratuliere dem Ministerduo, dem Kul­tusminister Ostermayer und dem zuständigen Minister für Integration, Sebastian Kurz, zu diesem Entwurf. Ich glaube, dass das Bestand hat. Das zeigen ja auch die positiven Stimmen aus dem Ausland – es hat aufhorchen lassen, dass wir hier vorangehen, dass wir mit Mut und Klarheit diese Beziehungen neu nach den neuesten Standpunkten de­finieren.

Wer soll denn sagen, dass das über die Köpfe dieser Menschen islamischen Glaubens hinweg geschehen ist? Die Dachverbände haben dem Gesetz zugestimmt, sie haben dabei mitgewirkt. (Bundesrätin Mühlwerth: Das sind keine Dachverbände! Das sind selbsternannte !) Die Gespräche sind seit über drei Jahren (Bundesrätin Mühlwerth: Da brauchen sie ein Erfolgserlebnis!) im Gange. Diese hat Sebastian Kurz als Integra­tionsstaatssekretär vor drei Jahren begonnen und mit Minister Ostermayer gemeinsam fortgeführt und mit diesem Gesetzentwurf beendet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das neue Islamgesetz erneuert Österreichs Position als Vorreiter dieser Regelung mit dem Islam in ganz Europa. Das zeigen viele ausländische Stimmen, die sich zu Wort gemeldet haben.

Ich möchte auch mit einer Sache aufräumen, weil hier Schauermärchen von Dschihad, terroristischen Agitationen und was weiß ich erzählt worden sind: Das ist ein Gesetz, das die Beziehungen zu einer Religionsgemeinschaft regelt. (Bundesrätin Mühlwerth: Zu welcher?) Das ist kein Antiterrorgesetz, kein Gesetz gegen sozialen Missbrauch oder Korruption, das ist kein Sicherheitsgesetz – das ist ein Religionsgesetz. Deshalb sollten wir das auch so bewerten. (Beifall bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Dönmez.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Gesetz bringt eine vollständige inhaltli­che Neugestaltung, die Entwicklung eines Islams österreichischer Prägung. Darauf hat ein Staat ein Recht – ein säkularer Staat, ein liberaler Staat hat ein Recht darauf –, dass in seinem Bereich bestimmte Regeln eingehalten werden! Und das drückt dieses Gesetz aus, und es warnt alle davor, diese Regeln zu missbrauchen.

Die Menschenrechte sind erwähnt worden. Ja das ist doch eine Selbstverständlichkeit, bitte, das brauchen wir doch nicht extra zu betonen, dass wir uns den Menschenrech­ten in all ihren Spielarten – und natürlich auch mit allen Auswüchsen auf der Gegen­seite – verpflichtet fühlen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Islamgesetz sind Rechte auf der ei­nen Seite für die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich verbunden und Pflich­ten auf der anderen Seite. Ich glaube, das ist wichtig, weil ich meine, dass dieses Ge­setz auch einen wesentlichen Beitrag leisten kann zum besseren Zusammenleben von Gemeinschaften unterschiedlicher Volksgruppen oder von Menschen, die unterschied­liche Religionen ausüben. Und das ist doch unser ureigenstes Anliegen als Parlament und als gewählte Vertreter: etwas dazu beizutragen, dass dieses Zusammenleben in Zukunft besser gelingt. Das ist doch selbstverständlich! Insofern wird dieses Gesetz auch helfen, diese Probleme zu lösen, und ich glaube, dass diese Lösungen auch dazu beitragen, die Dialogbereitschaft, die Wertschätzung und die Strukturen in Österreich und in der Integration insgesamt zu unterstützen und zu fördern.


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Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich halte es auch für sinnvoll, dass ein isla­misch-theologisches Studium an der Universität Wien eingerichtet wird – im Gesetzent­wurf steht, bis spätestens 2016 –, um eben diese Zusammenarbeit auf eine solide Ba­sis zu stellen und auch klarzumachen, dass wir unsere Pflichten gegenüber dieser Re­ligionsgemeinschaft ernst nehmen.

Ich glaube, dieses Gesetz trägt dazu bei, den Respekt gegenüber den unterschiedli­chen Religionen, den unterschiedlichen Religionsausübungen in unserem Staate Ös­terreich besser zu regeln, sowie dazu, dass mehr Miteinander als Gegeneinander in die­ser Republik stattfindet. Insofern halte ich dieses Gesetz für einen großen Fortschritt und für eine Weiterentwicklung, um die uns andere Staaten in Europa beneiden. (Bei­fall bei ÖVP und SPÖ.)

11.03


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Kollege Schennach. – Bitte.

 


11.03.31

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Sehr geschätzter Herr Minister! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Lieber Efgani Dönmez, ich glaube, 95 Pro­zent aller, die hier sitzen, wollen, dass du bleibst und dass du nicht weggehst aus Ös­terreich.

Ich meine, wenn man heute hier am Rednerpult sagt, der Islam gehört nicht zu Öster­reich – das sind 600 000 Mitbürger und Mitbürgerinnen –, dann muss man gleich dazu­sagen: Und die nächsten 600 000 können sich auch gleich auf den Weg machen. Das sind nämlich die Anhänger oder Anhängerinnen der Orthodoxie: russische Orthodoxie, ukrainische Orthodoxie, serbische Orthodoxie – Serben, hört ihr das, vielleicht gehört ihr auch nicht zu Österreich? – mazedonische, griechische Orthodoxie. Die Orthodoxie ist gleich stark wie die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich. Sie gehören zu uns!

Man kann nicht immer davon ausgehen, dass das Kaiserreich, das Gott sei Dank Ge­schichte ist, ein bisschen einen Weitblick hatte, aber 1912 hatte es einen Weitblick, und zwar den Weitblick, der zum Beispiel in der modernen Verfassung Bosniens bis heute wirkt, mit dem Islam-Gesetz jenen Bereich von Bosnien-Herzegowina, der – okay – militärisch annektiert worden war, dem Einfluss der Osmanen zu entziehen, was den Glauben betrifft. Und damit ist 1912 im Grunde die Geburtsstunde – in der moderneren Zeit – des europäischen Islam.

Bitte, wir hatten den europäischen Islam als einen Inspirator, als einen Schaffer bis heu-
te unverzichtbarer Werte ja auch in Spanien, bis ihn der Katholizismus – sowohl die sephardischen Juden als auch den Islam – zerstört hat. Das sollten wir nie vergessen, was hier an Architektur, was hier an Medizin und Wissen schon einmal von der ande­ren Seite Europas gekommen ist.

Zu dem, was wir derzeit diskutieren – und die Rede von Kollegin Mühlwerth hat ja ge­zeigt, dass man hier alles vermischt –: Erstens, von vier Gläubigen des Islam sind drei nicht arabisch. Das muss man, bitte, einmal zur Kenntnis nehmen. Der Islam ist eine sehr stark prosperierende Religion, deren Anhänger in der überwiegenden Mehrheit au­ßerhalb der arabischen Welt zu finden sind.

Dass der Islam heute eine dunkle Zeit durchlebt, müssen wir aus unterschiedlichen Blick­winkeln sehen und müssen es bekämpfen, und wir müssen vor allem all jene stärken, die dagegen in aufklärerischer Weise ankämpfen. Bitte, welche dunklen Zeiten hatte denn unser Christentum? Ich erwähne nur etwa die Bartholomäusnacht. Oder: Ich ha­be noch gelernt, dass die Kreuzzüge – der größte Raubzug! – etwas mit dem christli-


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chen Glauben zu tun hatten! (Bundesrat Kneifel: Furchtbar! Tiefstes Mittelalter!) Und gehen wir doch einmal in die neueste Geschichte: Wie viel Assists gab es denn zum Dritten Reich, zum Neonazismus auch von protestantischer und von katholischer Sei­te? – Immer wieder durchleben Religionen dunkle Zeiten.

Und dann kommen wir mit anderen Phänomenen: dass wir alles vermischen, von Zwangs­ehen bis hin auch zur Kopftuchdebatte. Woher hat denn der Islam das Kopftuch? Fra­gen Sie sich das einmal, Frau Mühlwerth! Das hat er aus dem Byzantinischen Reich, wo höchste, angesehene Frauen als ein soziales Merkmal zur Unterscheidung von Skla­vinnen und von der Unterschicht das Haar zu bedecken hatten! Und beim Eindringen des Islam in das Byzantinische Reich hat man zum ersten Mal das Kopftuch wahrge­nommen.

In der hebräischen Bibel und in der katholischen Bibel steht ja das Kopftuch jedes Mal drinnen. In der katholischen Bibel zum Beispiel müssen Prostituierte sich bedecken, und die Geliebten in der hebräischen Bibel. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) – Na, jetzt kommen wir eh schon in die Jetztzeit! – 1913, Frau Mühlwerth, schrieb der Vatikan, die römisch-katholische Kirche in ihrem Codex Iuris Canonici fest, dass für alle Frauen obligat ist, sich zu bedecken – das heißt, wir hatten hier soziale Vorschriften –, und erst das Zweite Vatikanische Konzil hat das aufgehoben. Ich komme aus Tirol, bit­te, ich habe in meiner Kindheit nur Frauen mit Kopftuch in der Kirche gesehen. (Heiter­keit bei Bundesräten von SPÖ und ÖVP.) – Aber kommen wir zurück zum Islam-Ge­setz.

Es gab oder gibt ja viele Kritiken: Die jungen Muslime kritisieren, die liberalen Muslime und Musliminnen kritisieren. Aber die seltsamste Kritik kommt vom Wiener Akademi­kerbund. Der Wiener Akademikerbund kritisiert tatsächlich im Vollbesitz seiner wissen­schaftlichen Kräfte die Einrichtung eigener Universitätsinstitute für den Islam, indem er behauptet, dass das blanker Zynismus sei.

Hallo, Wiener Akademikerbund – ich hoffe, auch Akademikerinnenbund; von einem sol­chen habe ich nicht gelesen –, was ist denn das? Das ist doch Aufklärung! Wir haben bereits, zum Beispiel in Münster, eine moderne Professur! Was wir stützen müssen, das ist eben genau dieser europäische moderne, aufgeklärte Islam. Und da müssen wir eben derzeit sehen, dass wir auch im Jugendbereich des Islams positive wie nega­tive soziale Aufstände haben. Vieles, was wir heute bedauerlicherweise im Bereich der Abwanderung beobachten müssen – es gibt auch Katholiken und vor allem Katholikin­nen, die jetzt auch schon zum IS rennen (Bundesrat Perhab: Was? – Bundesrat Fül­ler: Aus Pruggern!); ja, aus Kroatien sind gerade vier junge Frauen gegangen –, das sind soziale Jugendaufstände.

Umgekehrt, liebe Leute, gibt es einen islamischen Feminismus, der sich derzeit in Eu­ropa herausbildet, und zum Beispiel Asma Aiad in Wien macht gerade eine Disserta­tion darüber. Genau diese Leute müssen wir stärken! Aber was ihre eigene Identität betrifft, so sagen diese jungen Frauen – und da müssen wir unsere Bilder auch korri­gieren –: Wir tragen das Kopftuch als eine Art Zeichen unserer Identität. Nein, wir sind keine Unterdrückten, wir sind Wissenschaftlerinnen, wir sind Akademikerinnen! Jetzt gibt es auch in Wien gerade ein Projekt von Asma Aiad, Amena Shakir, Amani Abuzah­ra, die genau jetzt versuchen, diese Bilder, die wir fälschlicherweise von der unter­drückten, kopftuchtragenden Frau haben, durch ein Gegenprojekt, „Österreichs Musli­minnen“, zu entkräften. Das finde ich interessant.

Zum Schluss komme ich, lieber Efgani, zum Problem, das derzeit die Türkei als einzi­ges Land in Europa hat. (Zwischenruf des Bundesrates Mayer.) – In der Tat, der Euro­parat hat es letzte Woche in Paris diskutiert, Edgar Mayer, höchst interessant, man hat uns beneidet um dieses Gesetz. – Das Problem der Türkei ist das Problem, das der Sultan 1920 hatte und der „neue Sultan“ 2015 hat. Der türkische Europaminister Vol-


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kan Bozkır ruft die Muslime auf – die türkischen, nehme ich jetzt einmal an –, in Ös­terreich zu demonstrieren.

Ein AKP-Abgeordneter, Külünk, hat vor wenigen Tagen in Österreich gesagt, dass das ein Beka Meselesi ist, also eine Angelegenheit betreffend Leben und Tod des Sul­tans. Jetzt muss man sagen, die Türkei hat damit ein Problem, denn sie hat natürlich über ihr Institut „Diyanet“ hier ganz stark investiert. Deshalb, Akademikerbund, seien wir doch froh, dass wir hier eine eigene Berufsausbildung schaffen, dass wir die unter­schiedlichsten Strömungen auch zu Wort kommen lassen. Ja, wir wollen, dass sich eine Religionsgemeinschaft fernab des Kommandos aus der Türkei hier europäisch ent­wickelt.

Und zum Schluss sage ich: Die aufgeklärteste Form des Islam sind die Aleviten und Alevitinnen. Geht es den Aleviten und Alevitinnen gut mit diesem Gesetz, geht es uns auch gut! In diesem Sinne sollten wir diesem Gesetz auch unsere Zustimmung geben. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und Grünen.)

11.13


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Bevor der Herr Minister zu uns spricht, möchte ich die Schülerinnen und Schüler der Hauptschule Friedburg bei uns begrüßen. Sie wa­ren zuvor in der „Demokratiewerkstatt“ und sind bei Bundesrat Ferdinand Tiefnig auf Besuch. Herzlich willkommen im Bundesrat! (Allgemeiner Beifall.)

Bitte, Herr Minister Dr. Ostermayer.

 


11.13.38

Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien Dr. Josef Oster­mayer: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Schülerinnen und Schüler! Ich möchte zum Gesetz selbst nicht mehr allzu viel sagen. Frau Kollegin Grim­ling und Herr Bundesrat Kneifel haben ja inhaltlich ausgeführt, warum es geschehen ist, warum wir es vorbereitet haben und auch den Prozess, dass das eigentlich seit drei Jahren diskutiert wird. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Ich bin im März letzten Jahres zuständig geworden und habe dann versucht, sozusa­gen den Diskussionsprozess zu intensivieren. Wir haben sehr viele Gespräche gehabt mit Vertretern der IGGiÖ, mit Vertretern von Alevi, also den beiden anerkannten islami­schen Glaubens- und Religionsgemeinschaften, und mit Vertretern von Schia.

Dass es am Ende nicht mit allen Konsens gibt, dass der Präsident der IGGiÖ auch in der IGGiÖ nicht alle überzeugen konnte, muss man zur Kenntnis nehmen, auch da gibt es unterschiedliche Interessen. Wenn ich anschließe an das, was Stefan Schennach gesagt hat, sozusagen bezugnehmend auf die Alevi – wenn es den Alevi gut geht, dann ist das Gesetz gut, war die Kurzfassung –: Die Vertreter von ALEVI haben mir ge­schrieben, die Intention der Bundesregierung wurde von den Alevi vom ersten Tag an erkannt, begrüßt und zu 100 Prozent unterstützt. Und am Schluss steht auch noch: Wir verneigen uns vor Ihrem Engagement, und so weiter.

Jetzt weiß ich schon, dass es auch innerhalb der Aleviten Strömungen gibt, dass die ALEVI, als die islamischen Aleviten, als die eine Religionsgemeinschaft anerkannt wur­de, als Religionsgemeinschaft in Österreich – übrigens aufgrund einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, wo der Verfassungsgerichtshof gesagt hat, dass es ne­ben der bestehenden IGGiÖ auch eine zweite oder weitere islamische Glaubensvertre­tung, Glaubensgemeinschaft geben kann.

Damit hat auch der Verfassungsgerichtshof implizit gesagt, dass die IGGiÖ sozusagen die eine ist – weil das die Frau Kollegin Mühlwerth in Zweifel gezogen hat, wie auch schon andere Redner der FPÖ im Hearing, im Ausschuss und auch im Nationalrat –, also das ist per Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs auch klar definiert.


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Was wir jetzt machen – auch das wurde schon gesagt –, das ist ein Religionsgesetz, das das Verhältnis zwischen einer Religion, zwischen Religionsgemeinschaften und dem Staat regelt – also die äußeren Verhältnisse einer Religionsgesellschaft – und auch fest­legt, unter welchen Voraussetzungen Religionsgesellschaften, Religionsgemeinschaften anerkannt werden können. Dazu ist natürlich auch eine Abgrenzung der Glaubensin­halte notwendig, deshalb haben wir auch gesagt, dass die Glaubensinhalte darzulegen sind, natürlich in Amtssprache, das ist hier die deutsche Sprache, soweit es nicht um anerkannte Minderheitssprachen geht, aber das ist hier ja nicht das Thema.

Die Entscheidung, ob weitere Religionsgesellschaften anerkannt werden, ist auch klar geregelt in der Verfassung, im Bundesministeriengesetz: Sie liegt beim Kultusamt – mit all den rechtsstaatlichen Möglichkeiten, bis hin zum Bundesverwaltungsgericht, bis hin zum Verwaltungsgerichtshof, Verfassungsgerichtshof. Wir bewegen uns also in einem rechtsstaatlichen System, wo es auch Beschwerdemöglichkeiten, Berufungsmöglichkei­ten gibt, die übrigens hier vor einiger Zeit auch einstimmig festgelegt wurden.

Was das Kultusamt aber nicht erfüllen kann – und das ist vielleicht auch eine Botschaft an die Frau Bundesrätin Mühlwerth, sie interessiert sich offenbar nicht so sehr für die Diskussion (Bundesrätin Mühlwerth – die im hinteren Bereich des Sitzungssaales mit Bundesrat Pfister spricht –: Doch, doch, doch! Ich habe zwei Ohren!); ich habe vorher auch schon erlebt, dass Sie nicht da waren, als ein anderer Bundesrat geredet hat –: Es ist nicht Aufgabe des Kultusamtes, eine Religionspolizei zu sein. Religionspolizeien gibt es übrigens, wenn ich einen vollständigen Überblick habe, überhaupt nur in abso­lutistischen Diktaturen, in diktatorischen Staaten.

Wir haben eine klare Trennung der Aufgabenstellungen: Wir haben hier ein Religions­gesetz zu diskutieren, oder Sie haben es zu diskutieren und ich darf einen Beitrag zu dieser Diskussion leisten. Wir reden über kein Polizeigesetz, wir reden nicht über ein Terrorismusgesetz. (Bundesrätin Mühlwerth: Das habe ich auch nicht getan!) Nein, wenn Sie über Dschihadismus, wenn Sie über IS, wenn Sie über Islamismus im Zu­sammenhang mit diesem Gesetz reden und sagen, welche Mängel es hat, dann be­mängeln Sie, dass wir kein Terrorismusgesetz gemacht haben. (Bundesrätin Mühl­werth: Nein! Das ist Ihre Interpretation!)

Ich sage Ihnen: Wir haben zum Beispiel in den letzten Monaten mehrere Gesetze be­schlossen, die international übrigens sehr anerkannt wurden, zum Beispiel das Symbo­le-Gesetz, Regelungen im Zusammenhang mit Staatsbürgerschaftsentzug bei Menschen, die in den Dschihad ziehen, und so weiter. Wir haben hier ein Religionsgesetz, und es ist nicht das Wichtigste, ob wir international dafür gelobt werden oder nicht. Das teile ich schon auch, trotzdem ist es immer auch ein Gradmesser, ob man sorgfältig gear­beitet hat oder nicht, auch übrigens in verfassungsrechtlicher Hinsicht. Ich gestehe ein, Herr Bundesrat Dönmez, dass ich dem Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts im Hinblick auf die Beurteilung der Frage, ob ein Gesetz verfassungskonform ist oder nicht, mehr vertraue als Ihnen. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

Das hat jetzt nichts mit persönlicher Wertschätzung oder Nichtwertschätzung zu tun, son­dern das sind Expertinnen und Experten, die die entsprechende Kompetenz erworben haben, die die entsprechende Erfahrung haben und die jedenfalls nach meiner Erfah­rung bisher immer sehr präzise gearbeitet haben – auch hier übrigens.

Wir haben viele Dinge mit dem Sektionschef intensiv diskutiert, zum Beispiel, ob das ver­fassungskonform ist oder nicht, und auch die Frage des Generalverdachts, der immer behauptet wurde. Da haben Sie sich, Frau Mühlwerth, ja wohltuend unterschieden von Ihren Kollegen im Nationalrat bei der Diskussion im Ausschuss, wo Sie eine andere Position eingenommen haben. Die teile ich auch.

Wie gesagt, wir haben das wirklich ganz genau geprüft, auch die Frage des Auslandsfi­nanzierungsverbots und all diese Dinge.


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Um zum Thema zurückzukommen: Natürlich freut es einen, wenn dann die Zeitschrift „Der Spiegel“ einen Artikel macht, der da lautet: „Wien ist Vorbild“. Da wird übrigens der Uni-Professor aus Münster zitiert, den auch Bundesrat Schennach erwähnt hat, und der sagt:

„Österreich hat mehr Erfahrung im Umgang mit dem Islam und ist bei der Integration von Muslimen weiter als Deutschland.“ – Und er meint, dass dieses Gesetz ein sehr gu­ter Beitrag ist.

Das Zusammenleben und viele andere Dinge mehr haben sich seit 1912 natürlich deut­lich verändert. Deshalb haben wir ja den Bedarf gesehen, das zu erneuern – einerseits mit Pflichten, andererseits auch mit Rechten, die wir eingeräumt haben. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Und eines der Rechte oder Regelungen, die wir klarge­stellt haben, betrifft die Frage der Ausbildung, weil wir befinden, dass es wichtig ist, dass die Prediger in Österreich ausgebildet werden. Das Zweite ist die Klarstellung bei der Regelung der Seelsorge.

In diesem Zusammenhang haben Sie, Frau Mühlwerth – ich hoffe, dass ich Sie nicht falsch verstanden habe, ich habe es mir so aufgeschrieben –, gesagt, dass wir nicht wis­sen, was die Seelsorger im Spital reden, weil wir nicht vorschreiben, dass sie Deutsch reden. (Bundesrätin Mühlwerth: Ja!)

Ich weiß nicht, ob Ihnen bewusst ist, was Sie da sagen! Sie verlangen, dass wir – ich nehme an, Sie meinen mit „wir“ den Staat –, dass der Staat mithört, was ein Seelsorger mit einem Patienten im Spital spricht. (Bundesrätin Mühlwerth: Falsch!) Nein! Wenn es darum geht, dass wir es verstehen sollen, weil der Seelsorger nicht Türkisch, Ara­bisch oder in einer anderen Sprache mit dem Patienten reden darf, dann verlangen Sie, dass der Staat da mithört. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP. – Bundesrätin Mühlwerth: Aber nein!)

Ehrlich gesagt, dort hört sich’s für mich auf! (Bundesrätin Mühlwerth: Das ist hanebü­chen!) Nein! Sie haben das im Zusammenhang mit Seelsorgern im Spital gesagt. Das kann nur dieser Fall sein. (Bundesrätin Mühlwerth: Deutsch, habe ich gesagt!)

Mich interessiert nicht, was der Seelsorger im Spital mit den Patienten spricht. Das darf uns nicht interessieren! Wenn diese Privatheit nicht mehr gewährleistet wird, dann ist der Staat am Ende. Und da muss ich auch sagen: Dann können Sie die Bezeichnung „Freiheitliche“ im Titel Ihrer Partei streichen. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Das ist der radikalste Eingriff in einem demokratischen Rechtsstaat, den Sie da ver­langen. Und ob der Seelsorger Deutsch, Türkisch, Arabisch oder in welcher Sprache auch immer mit dem Patienten spricht, ist seine Angelegenheit.

Ich danke noch abschließend allen, insbesondere meinem Kollegen Außen- und Inte­grationsminister Kurz, für die gute Zusammenarbeit. Ich danke auch allen Mitarbeiterin­nen und Mitarbeitern in meinem Büro, die sehr intensiv ab April letzten Jahres an der Umsetzung dieses Gesetzes gearbeitet haben. Ich danke auch den Vertretern der Glau­bensgemeinschaften, die daran mitgewirkt haben. Und ich danke dem Verfassungs­dienst und auch dem Leiter des Kultusamtes Mag. Henhapel. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

11.24


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desrat Krusche. Ich erteile es ihm.

 


11.24.21

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Frau Präsident! Herr Bundesminister! Mei­ne Damen und Herren! Warum reden wir denn überhaupt hier heute über dieses Ge-


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setz? – Es wird so dargestellt, als ob das aufgrund eines routinemäßigen Evaluierungs­prozesses der Bundesregierung erfolgen würde, wo man sagt: Das Gesetz ist schon so alt, es ist aus dem Jahr 2012, jetzt müssen wir es modernisieren! – Das ist doch Au­genauswischerei! (Bundesminister Ostermayer: Sie haben sich um 100 Jahre geirrt! Wir reden von 1912!)

Tatsache ist: Wir reden über dieses Gesetz, weil wir glauben, dass ein solches Gesetz notwendig ist, weil in den Medien täglich zu lesen ist über Verbrechen, die im Namen des Islam verübt werden, und das vor unserer Haustür! Das ist der wahre Anlass, wa­rum wir heute über dieses Gesetz reden! (Zwischenruf des Bundesrates Kneifel.)

Ich habe dazu heute schon vieles gehört, und zwar viel Richtiges von meiner Kollegin Mühlwerth, teilweise Richtiges vom Kollegen Dönmez und viel weniger Richtiges von Ver­tretern der beiden Regierungsparteien – aber das war ja nicht anders zu erwarten.

Sehr interessant habe ich die Rede von dir gefunden, Kollege Kneifel, denn du hast da­mit hier eigentlich öffentlich das bestätigt, was ich immer schon vermutet habe: nämlich dass sich die ÖVP von jeglichen Werten schon lange verabschiedet hat (Zwischenruf des Bundesrates Mayer), denn sonst könntest du nicht sagen: Was gehört zu Öster­reich: der Großglockner, der Bodensee und der Kobernaußerwald? (Bundesrat Knei­fel: Das wirst du doch nicht bestreiten?!) Werte gehöre in der ÖVP keine mehr dazu! Das werden wir zur Kenntnis nehmen.

Es ist sehr viel die Rede von einem aufgeklärten Islam, von einem europäischen Islam, aber es hat mir bis jetzt keiner die Frage beantworten können: Wie sieht denn der jetzt wirklich aus? Was steht da im Hintergrund? – Der Koran! (Bundesrätin Mühlwerth: Ge­nau!) Und im Koran stehen leider viele Grauslichkeiten drinnen. Ist jetzt ein aufgeklär­ter Islam jener, der sich von bestimmten Suren distanziert? – Diese Frage ist offen.

Was die etwas lächerliche Kopftuch-Debatte, die hier vom Kollegen Schennach ange­zogen wurde, betrifft: Ich kenne das aus Tirol genauso wie du, und zwar: Früher war es auf dem Land üblich, dass beim Kirchgang alle Frauen ein Kopftuch getragen haben. Aber was die Kopftuch-Diskussion, die heute geführt wird, und die Frage, warum ein Kopf­tuch, die Burka oder Ähnliches getragen wird, betrifft, so ist zu sagen: Weil es Aus­druck einer Gesinnung ist und dessen, was im Kopf drinnensteckt. Darum geht es in Wahrheit! (Zwischenruf der Bundesräten Grimling.)

Wir reden ja immer davon, es ist kein Polizeigesetz, es kein Antiterrorgesetz. Ja, das stimmt, aber dieses Gesetz sollte doch dazu dienen, den Nährboden zu entziehen, aus welchem dieser Terror entsteht! Denn: Wenn wir es schaffen, das Übel an der Wurzel zu packen, dann brauchen wir keine Polizeigesetze und keine Antiterrorgesetze. Diese brauchen wir ja nur deshalb, weil wir die Gesinnung bei sehr vielen Vertretern des Islam, nämlich bei den radikalen, nicht zunichte machen können, auch nicht in Europa. Im Gegenteil: Die Entwicklung geht in die falsche Richtung.

Es wird ja immer differenziert zwischen Islam und Islamismus. Ich habe damit größte Probleme. Ich kann nicht sagen, wir haben auf der einen Seite den Islam und auf der anderen Seite den bösen Islamismus, ich kann das eine vom anderen nicht trennen. Broder hat gesagt, das wäre ungefähr so, wie wenn man sagen würde, Alkoholismus hat nichts mit Alkohol zu tun.

Das Problem mit dem aufgeklärten Islam – das ist das wahre, und das haben wir nicht im Griff! Ich habe das selbst erlebt, und ich kann sagen: Man kann sich da sehr täu­schen. Ich habe sehr viel Zeit in der Türkei verbracht, und zwar in verschiedenen Tei­len, aber nicht als Tourist. (Bundesrat Füller: In Vier-Sterne-Hotels, aber die Türkei nicht gesehen!) Ich habe mich im eher orientalisch geprägten Teil, in Adana, wo eine große Universität ist, aufgehalten – das ist jetzt schon gute 20 Jahre her – und habe mich dort im einzigen Pub westlicher Art mit Studenten und Studentinnen unterhalten. Die haben


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kein Kopftuch getragen, sondern die haben hautenge Jeans angehabt. (Allgemeine Hei­terkeit.) Aber wenn man mit ihnen gesprochen hat, dann ist man draufgekommen, wel­cher Geisteshaltung sie wirklich anhängen.

Die haben beispielsweise gesagt, Leute, die Schweinefleisch essen, das sind für sie Un­termenschen, das sind keine Menschen. (Zwischenruf der Bundesrätin Grimling.) Das gilt es zu bekämpfen! Mit dem Gesetz, das wir hier beschließen, wird das nicht gelin­gen.

Warum wird das nicht gelingen? – Alle, die vor allem auch radikalen Islam verbreiten wollen, lachen uns aus. Eines der Kernprobleme ist nämlich, dass wir in unserem Ver­ständnis des Gutmenschentums den Dialog suchen, dass wir die Diskussion immer zu­rückweisen, vor ihr zurückweichen und uns ihr nicht stellen. (Zwischenruf des Bundes­rates Mayer.) Wir werden von diesen Kräften – ich sage es jetzt einmal salopp – als feige Weicheier betrachtet. (Ironische Heiterkeit bei ÖVP und SPÖ.)

Das ist die Tatsache! Ich habe es einmal in Saudi-Arabien nur mit Mühe vermeiden kön­nen, mit einem Muttawa, einem Religionswächter, eine Diskussion zu führen. Ein Ar­beitskollege von mir hat gesagt: Der will mit uns über das Christentum und den Islam diskutieren! Super, das machen wir! Daraufhin habe ich gesagt: Um Gottes Willen, mach das nicht! Die kennen sich im Christentum besser aus als wir! – Das ist die Realität!

Die lachen uns aus, das haben wir ja bereits gehört und gesehen. Die Muslimische Ju­gend hat festgestellt, dass das Islamgesetz für sie völlig gegenstandslos ist. Und der Chef der türkischen Religionsbehörde hat festgestellt, dass es selbstverständlich eine Fortsetzung der Finanzierung von Imamen und damit eine Einflussnahme in Österreich geben wird – jetzt eben verstärkt über die Moscheenvereine. Da sind halt dann Kultur­vereine, oder was auch immer, Betreiber einer Moschee. Und wer soll dann von denen verlangen, dass sie ihre Religion, ihre Glaubenslehre offenlegen – die Vereinsbehör­de? Wenn sie dem Vereinsrecht unterliegen und man sie auflösen sollte, dann werden die einzelnen Bezirkshauptmannschaften als Vereinsbehörde plötzlich zu den großen Experten werden.

Dieses Gesetz ist in Wirklichkeit nur ein Placebo für die Bevölkerung, mit dem man ihr vortäuschen will, wir tun eh etwas. Man will den Leuten damit die Ängste nehmen, aber in Wirklichkeit wird das nicht gelingen. Das Gesetz wird völlig ins Leere gehen, es ist eine Täuschung. Und solange Predigten in anderen Sprachen erlaubt sind, so lange wer­den wir das nicht hintanhalten können.

Ich darf nur daran erinnern, was Efgani Dönmez bereits angesprochen hat. Wir haben mehrmals vor dem Saudi-Zentrum gewarnt, und schlussendlich haben wir recht behal­ten. Und jetzt hat euer Bundeskanzler gesagt, das gehört zugesperrt. Wir waren da­mals schon der Meinung, es hätte nie aufgesperrt gehört.

Deswegen bringe ich folgenden Antrag ein:

Antrag

der Bundesräte Mühlwerth, Krusche und Kollegen

„Der Bundesrat wolle beschließen:

Gegen den Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2015 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die äußeren Rechtsverhältnisse islamischer Re­ligionsgesellschaften erlassen wird, wird gemäß Art. 42 B-VG mit folgender Begrün­dung Einspruch erhoben:

‚Die gegenständliche Novelle ist nicht geeignet, Österreichs nichtmoslimische wie mos­limische Bevölkerung vor dem verheerenden Einfluss radikaler Hassprediger und damit


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zusammenhängender Gefahren zu schützen. Im Gegenteil, die verfassungsrechtlich frag­würdige Bezugnahme auf die IGGiÖ, deren Status vom VfGH aktuell geprüft wird, schafft Rechtsunsicherheit und ermöglicht außerdem das Aushebeln des Verbotes der Finan­zierung aus dem Ausland durch Abwicklung über Vereine und Stiftungen. Damit ist da­von auszugehen, dass das Gesetz einen den ursprünglichen Intentionen und Notwen­digkeiten diametral zuwiderlaufenden Effekt haben würde und daher in den erwähnten wesentlichen Punkten vor Inkrafttreten abzuändern ist.‘

In formeller Hinsicht wird gemäß § 54 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates eine namentliche Abstimmung über diesen Antrag verlangt.“

*****

(Beifall bei der FPÖ.)

11.35


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Der Antrag ist genügend unterstützt und steht da­her mit in Verhandlung.

Gibt es dazu weitere Wortmeldungen? – Kollege Dönmez, bitte.

 


11.35.17

Bundesrat Efgani Dönmez, PMM (Grüne, Oberösterreich): Kollege Krusche! Du hast es ja selber in deinem Redebeitrag erwähnt, dass du schon länger nicht mehr in der Türkei warst. Mittlerweile schließen Kopftuch und enge Hosen einander nicht mehr aus. (Bundesrat Krusche: Na eben! Es ist ja mittlerweile auch schlimmer geworden!) Aber für den Status quo, den wir gegenwärtig in Österreich und auch in vielen anderen europäischen Ländern haben, gibt es eine Verantwortlichkeit. Und da sind wir Politiker mitverantwortlich, dass wir eben diese Zustände haben.

Wir haben es jahrzehntelang einfach verabsäumt, hier einen Schritt auf die muslimi­schen Communities und Gemeinden zuzugehen und sie aktiv hereinzuholen, ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Religion auf würdige Art und Weise zu leben und das Ge­meindeleben zu gestalten. (Bundesrätin Mühlwerth: Das tun sie ja eh!) Was haben wir gemacht? – Ihre Partei: Minarettverbot! Auch Teile der ÖVP  (Bundesrat Perhab: Dort, wo Minarette stehen, gibt es ÖVP-Bürgermeister!) Schau einmal nach Kärnten! – Auch Teile der ÖVP in bestimmten Städten sagen ganz offen und werben damit, dass sie ganz aktiv die Errichtung einer Moschee verhindert haben.

Was ist die logische Konsequenz? – Die logische Konsequenz ist, dass wir diese Leute in den Untergrund drängen, dass dann sozusagen Kellermoscheen entstehen, dass wir keinen Einblick haben, wer dort predigt, was dort gemacht wird und von wem das orga­nisiert wird.

Wenn wir eine vorausschauende Politik betreiben würden, dann wäre ein Schritt, dass man – wie zum Beispiel in Schweden – hergeht und sagt: Leute, ihr seid eine aner­kannte Glaubensgemeinschaft, setzen wir uns an einen Tisch und schauen wir, was ihr braucht! Was können wir dazu beitragen, als Staat, der sich neutral verhält, und was könnt ihr dazu beitragen, dass das Zusammenleben und das Gemeindeleben funktio­nieren?

Diese Kultur fehlt mir in Österreich. Wir brauchen uns dann nicht zu wundern, dass ra­dikale und konservative Kräfte herkommen und dieses Vakuum, diese Lücke ausfüllen und wir dann derartige Auswüchse und jahrelang Themen auf der Agenda haben wie, ob das Kreuz in der Schule heruntergegeben werden soll oder ob die Kinder am Schwimmunterricht teilnehmen dürfen, oder diese unendliche Geschichte mit dem Kopf­tuch.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 45

Das alles könnten wir uns großteils ersparen, wenn hier die Politik vorausblickend wä­re. Diese Weitsicht fehlt mir, und da müssen wir uns auch wirklich selbstkritisch an der Nase nehmen und aktiv mit den aufgeklärten Stimmen in Kontakt treten, ihnen den Weg ebnen, um eben diese Einflüsse vom Ausland zurückdrängen zu können. Das ist das Gebot der Stunde für die nächsten Jahre! – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

11.38


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Vor der nächsten Wortmeldung möchte ich sehr gerne Frau Staatssekretärin Mag. Sonja Steßl bei uns begrüßen. Willkommen im Bun­desrat! (Beifall bei SPÖ und ÖVP.) 

Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Längle. – Bitte.

 


11.38.45

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Sehr geschätzte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Geschätztes Präsidi­um! Ich möchte schon noch ein paar Worte zum Herrn Kollegen Schennach hier sa­gen. Gleich einmal vorneweg: Geschichtlich haben Sie uns hier allen schon etwas vor­zuführen versucht, denn das, was Sie hier teilweise geäußert haben, stimmt einfach so nicht. Sie haben gewisse Kreuzzüge erwähnt – ja, das hat es gegeben, da muss man aber schon auch dazusagen, dass erstens nicht alle Kreuzzüge von Gewalt begleitet wa­ren und dass es ebenso eine islamische Expansion gegeben hat. (Bundesrat Schen­nach: Kreuzzug – was reden Sie da für einen Schas! – Bundesrätin Kurz – in Richtung Bundesrat Schennach –: Pass auf, sonst kriegst einen Ordnungsruf!) Ich erwähne da als Beispiel Nordafrika und auch Spanien. Dann hat es sehr wohl die osmanische Ex­pansion bis vor die Tore Wiens gegeben, nicht nur einmal, sondern zweimal.

Jetzt möchte ich dazu überleiten, was Sie über das Kopftuch gesagt haben. Sie haben nämlich hier den ersten Korintherbrief des Apostels Paulus zum Besten gegeben. Ich gebe Ihnen recht, dass da zu lesen ist, dass die Frau sich beim Gebet zu bedecken hat. Diese Aufforderung ist aber, wie wir alle wissen, schon 2 000 Jahre alt. Wenn man sich das anschaut, muss man auch sagen, dass es gerade im westlichen Religionsbild der römisch-katholischen Kirche jedem selbstverständlich freigestellt ist, ob man ein Kopftuch trägt oder nicht. Ich möchte hier auch sagen, es steht jedem frei – egal ob Mann oder Frau –, ob er oder sie ein Kopftuch tragen will oder nicht. Wenn es ihm/ihr ge­fällt, warum auch nicht? – Nur, dass man jetzt gewisse Zwänge, die vonseiten islami­scher Richtungen kommen, einfach schönredet, das finde ich nicht in Ordnung.

Da muss ich Sie auffordern, dass Sie einmal hinausgehen und sich Europa ansehen. Ich war vor ein paar Monaten im Süden in einem Schwimmbad, und dort ist etwas schier Unglaubliches vorgefallen, Kollege Schennach. Dort nämlich, in einem Schwimmbad – viele Kinder, Sonne, Badewetter, eigentlich eine tolle Sache –, sind Frauen gewesen, die komplett mit einer Burka bekleidet waren. (Bundesrat Schennach: Ja, Burkini nennt man das!) Ich sage Ihnen, fragen Sie diese Damen, ob sie diese Burka freiwillig anzie­hen. (Bundesrat Schennach: Haben Sie sie gefragt?!) – Das kann man gar nicht, weil man nicht mit der Frau zu sprechen hat, sondern nur mit dem Mann. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Ich möchte Ihnen noch etwas sagen: Gehen Sie doch einmal durch Wien – jetzt mo­mentan vielleicht nicht, jetzt ist Winter, aber im Sommer schon! Ich habe das vor 20 Jah­ren das erste Mal gemacht, damals habe ich keine Frau mit Burka gesehen. Gehen Sie heuer – es war auch schon letztes Jahr so – im Sommer durch, und ich kann Ihnen ver­sprechen, dass Sie viele Frauen mit Burka treffen werden. (Bundesrat Schennach: Dür­fen keine Touristinnen mehr kommen, oder wie ist das? Weil Sie im Sommer durch Wien gehen!) Touristinnen dürfen sehr wohl kommen. Mir geht es nur darum, ob die Frau frei­willig eine Burka anzieht oder nicht. (Bundesrat Schennach: Haben Sie sie gefragt, die


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Touristinnen?) – Ich habe es Ihnen gerade erklärt: Man kann mit der Frau gar nicht spre­chen, weil der Mann das nicht zulässt.

Zum Kollegen Efgani Dönmez möchte ich Folgendes sagen: Sie haben vorhin über Lai­zismus gesprochen. Das ist prinzipiell eine gute Sache. Wie wir wissen, ist das die Trennung von Staat und Religion. In Westeuropa nennt man das Säkularisation. Der damals nach meiner Meinung sehr fortschrittliche Staatsmann Mustafa Kemal Atatürk hat auch die „sechs Pfeile“ des neuen türkischen Staatswesens eingeführt. Man muss aber schon auch dazusagen, dass gerade Mustafa Kemal Atatürk sich sehr wohl total nach westlichen Prinzipien ausgerichtet hat. Es gab dann zum Beispiel auch Hutverbo­te – das Tragen des Fes – und Kopftuchverbote. Das hat gezeigt, dass die damals neu gegründete Türkei in eine absolut westlich aufgeklärte Richtung gegangen ist.

Heute hat sich dieses Bild leider Gottes gewandelt, und es geht eigentlich wieder in die Richtung, die wir nicht haben wollen. Es geht dorthin, wie es damals vor 200 bezie­hungsweise 300 Jahren war. Somit ist dies ein Rückschritt.

Ich muss noch etwas betonen, Herr Kollege Schennach: Schauen wir uns in ein paar Jahren an, wie sich das entwickelt – dann werden wir höchstwahrscheinlich wieder hier stehen und über dieses unsinnige Gesetz sprechen! (Beifall bei der FPÖ.)

11.43

11.43.10

 


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 25. Feb­ruar 2015 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die äußeren Rechtsverhältnisse islamischer Religionsgesellschaften erlassen wird.

Es liegt ein Antrag der Bundesrätin Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen vor, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates mit der beigegebenen Begründung Ein­spruch zu erheben.

Es ist hiezu eine namentliche Abstimmung verlangt worden.

Da dieses Verlangen von fünf Bundesräten gestellt wurde, ist gemäß § 54 Abs. 3 der Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung durchzuführen.

Ich gehe daher so vor.

Im Sinne des § 55 Abs. 5 der Geschäftsordnung erfolgt die Stimmabgabe nach Aufruf durch die Schriftführerin in alphabetischer Reihenfolge mündlich mit „Ja“ – ist gleich Ein­spruch – oder „Nein“ – ist kein Einspruch. Ich bitte um deutliche Wortmeldung.

Ich ersuche nunmehr die Schriftführung um den Aufruf der Bundesräte und Bundesrä­tinnen in alphabetischer Reihenfolge.

*****

(Über Namensaufruf durch die Schriftführerin Junker geben die Bundesrätinnen und Bundesräte ihr Stimmverhalten mündlich bekannt.)

*****

 


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Die Stimmabgabe ist beendet.

Ich unterbreche zur Auszählung der Stimmen kurz die Sitzung.

*****


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 47

(Die Stimmenzählung wird vorgenommen. – Die Sitzung wird um 11.47 Uhr unterbro­chen und um 11.49 Uhr wieder aufgenommen.)

*****

 


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf und gebe das Abstimmungsergebnis bekannt.

Demnach entfallen auf den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalra­tes vom 25. Februar 2015 mit der beigegebenen Begründung Einspruch zu erheben, bei 52 abgegebenen Stimmen 8 „Ja“-Stimmen und 44 „Nein“-Stimmen.

Der Antrag auf Erhebung eines Einspruches ist somit abgelehnt.

Mit „Ja“ stimmten die Bundesrätinnen und Bundesräte:

Brückl;

Dörfler;

Herbert Werner;

Krusche;

Längle;

Mühlwerth;

Pisec;

Schmittner.

Mit „Nein“ stimmten die Bundesrätinnen und Bundesräte:

Beer, Bock, Brunner;

Dönmez;

Ebner Bernhard;

Fetik, Füller;

Gödl, Grimling, Gruber-Pruner;

Himmer;

Jachs, Junker;

Kneifel, Köberl Günther, Köck, Kurz;

Lampel, Ledl-Rossmann;

Mayer;

Novak;

Oberlehner;

Perhab, Pfister, Poglitsch, Posch-Gruska, Preineder, Pum;

Reich, Reisinger, Reiter;

Saller, Schennach, Schödinger, Schreyer, Stadler, Stöckl;

Temmel, Tiefnig, Todt;

Wilhelm, Winkler;

Zelina, Zwazl.

*****

 



BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 48

Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Wir gelangen daher zur Abstimmung über den Ausschussantrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Ein­spruch zu erheben.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag ihre Zustimmung erteilen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, ist somit an­genommen.

11.49.462. Punkt

Bericht des Bundeskanzlers und des Bundesministers für Kunst und Kultur, Ver­fassung und Medien an das Parlament zum Arbeitsprogramm der Kommission für 2015 und zum 18-Monatsprogramm des Rates für 2014/15 gemäß Art. 23f Abs. 2 B-VG iVm § 7 EU-InfoG (III-544-BR/2015 d.B. sowie 9327/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Wir gelangen nun zum 2. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Dr. Brunner. Bitte um den Bericht.

 


11.50.16

Berichterstatter Dr. Magnus Brunner, LL.M: Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Der gegenständliche Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus liegt Ihnen in schriftlicher Form vor. Ich darf deshalb gleich zur Antragstellung kommen.

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage den Antrag, den Bericht des Bundeskanzlers und des Bundesministers für Kunst und Kul­tur, Verfassung und Medien an das Parlament zum Arbeitsprogramm der Kommission für 2015 und zum 18-Monatsprogramm des Rates für 2014/15 gemäß Artikel 23f Abs. 2 B-VG iVm § 7 EU-InfoG zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Herbert. – Bitte.

 


11.50.59

Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Herr Bundes­minister! Frau Staatssekretärin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es ist allgemein bekannt, dass unsere Position zur EU ein sehr ambivalentes Verhältnis dar­stellt (Bundesrat Stadler: Jetzt auf einmal?! Das gibt es ja nicht!), und es wird Sie da­her wohl auch nicht überraschen, dass wir diesem Bericht unsere Zustimmung nicht geben werden. Es gibt einige Punkte in diesem Bericht, die mit unserer Position und unseren Zugängen zur EU nicht in Einklang zu bringen sind.

Ich möchte exemplarisch zwei Punkte herausheben, nämlich zum einen das Thema Datenschutz. Es ist so, dass gegen die in diesem Bericht angesprochene neue Daten­schutzgrundverordnung, die die Nachfolgeregelung der bisherigen Datenschutzrichtli­nie 95/46/EG darstellt, einige Kritik nicht nur von heimischen Datenschutzorganisatio­nen, wie beispielsweise dem österreichischen Datenschutzrat, vorliegt, sondern es auch international inhaltlich große Kritikpunkte gibt. Dabei möchte ich besonders den deut­schen Datenschutzbeauftragten hervorheben – man muss jetzt Datenschutzbeauftrag­te sagen, weil Peter Schaar 2013 abgelöst wurde.

Auch die neue Datenschutzrichtlinie, die die Übermittlung und die Verarbeitung der per­sonenbezogenen Daten im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit beinhaltet, ist meiner Meinung nach sehr verbesserungswürdig und nicht unbedingt das, was wir uns vorstellen.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 49

Wenn ich aber als Output dieser Darstellung des Datenschutzes in diesem EU-Bericht lese, dass die Position von Österreich die Sicherstellung und Beibehaltung eines ho­hen Datenschutzniveaus ist, dann ist das doch ein großer Widerspruch, den ich doch einigermaßen bemerkenswert finde.

Noch bemerkenswerter wird dieser Widerspruch, wenn man sich einige Seiten weiter das Thema Zusammenarbeit der EU mit den USA im Bereich Datenschutz und noch ei­ne Seite weiter das Abkommen zwischen der EU und den USA über den Schutz perso­nenbezogener Daten bei der Übermittlung und Verarbeitung dieser Daten im Rahmen polizeilicher und justizieller Zusammenarbeit anschaut. Also da hege ich schon den schweren Verdacht, dass das, was uns bisher von der EU geboten wurde – sei es das SWIFT-Abkommen, sei es das Fluggastdaten-Abkommen, sei es das PCSC-Abkom­men, also das Abkommen über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von schwe­ren Verbrechen –, jene Grundstandards, die wir in Österreich in Bezug auf den Daten­schutz kennen und die wohl auch gemeint sind, wenn die österreichische Position an­gesprochen wird, bei Weitem nicht erfüllt hat.

Nur damit wir uns klar verstehen: Meine Fraktion und ich bekennen uns zur Kriminali­tätsbekämpfung, zur internationalen Zusammenarbeit und natürlich auch zur wichtigen internationalen Terrorismusbekämpfung, das heißt aber nicht automatisch, dass wir uns deswegen einem Datenschutzausverkauf an die USA ausliefern. Das war aber der Output bei den bisherigen Abkommen in Zusammenarbeit mit den USA.

Schon allein aus diesem Grund ist das, was hier in diesem Bericht so nett als gute Zu­sammenarbeit auf internationaler Ebene im Zuge der Terrorismusbekämpfung und der Bekämpfung großer Verbrechen und schwerer Straftaten umschrieben wird, eigentlich genau das Gegenteil. Wir haben nämlich einen Datenhighway, eine Einbahn in Rich­tung USA und kaum einen Output Richtung Österreich – außer es ist im Sinne der ame­rikanischen Interessen. Aber grundsätzlich gibt es hier keine Begegnung auf Augenhö­he, keinen gegenseitigen Austausch auf gleicher Niveauebene.

Wer sich gestern in der „ZiB 2“ den aktuellen Bericht über den jüngsten NSA-Skandal in Bezug auf die Abhörung im Bereich der Chello-, jetzt UPC-Kunden angesehen hat, der weiß, dass gerade vonseiten der USA keinerlei Rücksicht auf die österreichischen Interessen genommen wird – schon gar nicht auf den Datenschutz. Und da, es sei mir eine kleine Anmerkung am Rande gestattet, vermisse ich schon eine starke Positionie­rung von Österreich, einen lauten Aufschrei, eine Klarstellung gegenüber den Amerika­nern, dass es so nicht sein kann.

International, wie schon beim ersten bekannt gewordenen NSA-Skandal, war das in den übrigen EU-Staaten weitestgehend kein Thema. Wenn ich daran denke, welch kla­ren Positionierungen hier Deutschland, aber auch England eingenommen haben, dann ist das, was wir von der österreichischen Regierung an Kritik gegenüber den USA dar­geboten bekommen haben, bestenfalls ein laues Mailüfterl gewesen. So gesehen wün-sche ich mir schon, dass sich die österreichische Bundesregierung zugunsten der Ös­terreicher und des österreichischen Datenschutzes gegenüber den Amerikanern end­lich einmal klar positioniert – gerade weil wir wissen, was hier an negativem Potenzial gegen Österreich und den Datenschutz geboten wurde.

Der zweite Punkt, der ebenfalls hoch interessant ist, ist das Bekenntnis und der Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Das ist grundsätzlich eine gute Sache – muss man sagen –, eine sehr angenehme Geschichte, weil es in unser aller Interesse ist, dass man den Europäischen Konventionen auch generell innerhalb der EU Rechnung trägt. Der Knackpunkt dabei ist aber, dass bisher dieser Beitritt zu der Europäischen Menschenrechtskonvention grundsätzlich nur Einzelstaaten vorbehalten war – nicht Staatengemeinschaften und nicht Staatenverbünden. Das bedeutet im Um­kehrschluss, dass das offensichtlich jener Intention entspricht, die wir als Freiheitliche Par-


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 50

tei schon seit langer Zeit erkennen, nämlich dass die EU nicht das ist, was sie grund­sätzlich zu sein vorgibt – nämlich eine wirtschaftliche Verbindung loser Staaten –, son­dern dass es sehr wohl die Intention gibt, aus dieser derzeitigen EU einen Zentralstaat zu machen, einen Gesamtstaat, dem man sich als bisher souveräner Staat politisch wie rechtsstaatlich unterordnen muss.

Das ist ein Weg, den wir überhaupt nicht wollen, den wir für die Zukunft Österreichs nicht gehen wollen, weil wir ein eigenständiges Österreich wollen, ein souveränes Ös­terreich, das den Österreicherinnen und Österreichern gehört und nicht von auswärts – sei es von der EU oder von sonst wem – diktiert wird. Daher diese höchst kritische An­merkung zu diesem Bericht, die ich an dieser Stelle gerne an Sie weitergebe.

Einige andere Punkte in diesem Bericht sind ebenfalls hoch interessant. Es gibt auch ein gutes Beispiel betreffend die Außenpolitik, der auch ein Kapitel gewidmet ist, zu dis­kutieren, nämlich insbesondere in Bezug auf die Situation in Russland. Die Politik, die die EU bisher in Bezug auf Russland geboten hat, war eher ein wirtschaftliches wie auch politisches Desaster – nicht nur für Österreich, sondern eigentlich für die gesamte EU. Das wäre eigentlich ein guter Ansatz gewesen, sich hier zu verbreitern, genauso wie auch die Außen- und Verteidigungspolitik, wo wir erst erfahren haben, dass 1 000 Mann an EU-Soldaten in die Zentralafrikanische Republik entsendet werden sollen.

Jetzt verstehe ich den Ansatz, dort vielleicht Frieden zu schaffen, aber ich frage mich schon, welchen österreichischen Mehrwert es hat, wenn das vielleicht mit unseren Sol­daten geschieht, wo wir, wie ich höre und wie uns Bundesminister Klug auch immer wieder darlegt, ohnedies ein großes wirtschaftliches Problem in Bezug auf das Bun­desheer haben. Wir haben kaum mehr Treibstoff, kaum mehr Ressourcen für die Lo­gistik und kaum mehr personelle Ressourcen für das österreichische Bundesheer und das Aufrechterhalten des besonders wichtigen und von der Allgemeinheit geschätzten Katastrophenschutzes, sind aber sehr wohl bereit, eventuell im Rahmen einer EU-Mis­sion über den großen Teich sogar nach Zentralafrika zu fahren, um dort vielleicht öster­reichische Truppen zum Einsatz zu bringen.

Auch das wäre ein interessanter Ansatz in diesem Bericht gewesen, darauf näher ein­zugehen, die Zeit erlaubt mir das aber nicht, und daher darf ich zum Schluss kommen.

Wir werden jedenfalls angesichts dieser offen vor uns liegenden Punkte, die gegen die freiheitliche Linie, aber auch gegen die österreichischen Interessen sprechen, diesen Be­richt ablehnen. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

12.01


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Bun­desrat Schennach. – Bitte.

 


12.01.33

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrte Frau Staatssekretärin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Eine der wichtigsten Auf­gaben des Bundesheeres, zumindest die wichtigste militärische Aufgabe, ist die Mitwir­kung an Friedenseinsätzen. Das Bundesheer hat in der Welt von heute – um auf den Titel des Buches von Stefan Zweig anzuspielen – in Europa zwei große Aufgaben, das ist die Mitwirkung an internationalen Friedenseinsätzen und der Katastrophenschutz, und da sind die wenigen Personen, die wir hier nach Mali schicken, da ist das Know-how unseres Bundesheeres als jener Armee, die seit 45 Jahren ein hervorragendes Wissen bei Peacekeeping-Aktionen hat, wunderbar am Platz. – Nun zum vorliegenden Bericht.

Ein Satz noch zu meinem Vorredner: Wir haben europäische Grundrechte geschaffen. Europa hat als einziger Kontinent gemeinsame Grundrechte und Grundwerte, und so­zusagen ein tragendes Element dieser Grundwerte, der Grundrechtecharta, die mit dem


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 51

Lissabon-Vertrag verabschiedet wurde, ist, der Europäischen Menschenrechtskonven­tion beizutreten. Zum Beispiel ist das Europäische Parlament als Parlament Mitglied der Union für das Mittelmeer und so weiter. Das ist etwas völlig Normales, ausgestaltet jetzt vor allem durch den Vertrag von Lissabon. (Vizepräsident Himmer übernimmt den Vorsitz.)

Aber kommen wir zum Vorhabensbericht. – Zum Vorhabensbericht ist gleich am Be­ginn anzumerken, dass der österreichische Bundesrat für diese EU-Vorhaben etwas, glaube ich, Einmaliges gemacht hat – noch hat es uns keine Kammer nachgemacht –, nämlich zur Verbesserung der EU-Präsidentschaft eine eigene Entschließung und eine eigene Mitteilung, und zwar sowohl nach Brüssel als auch an die Bundesregierung, zu übermitteln, wie zum Beispiel die Subsidiaritätsprüfung und so weiter verbessert wer­den kann, auch der gesamte Lauf in Österreich.

Wichtig ist in diesem ganzen Bereich, ich würde es einmal so zusammenfassen, alles, was mit Cyber, IKT, Internet, E-Government in diesem Vorhabensbericht ausgeführt wird. Das ist für Europa das Um und Auf. Wenn wir zum Beispiel die Stadt Wien her­nehmen, so hat die IKT-Branche dort heute bereits einen höheren Stellenwert als der Tourismus. Bisher hat man geglaubt, der Städtetourismus, der Wien-Tourismus, der Fach-Tourismus wäre an der Spitze, aber nein, IKT hat heute hier einen wesentlich hö­heren Stellenwert. Deshalb nur so nebenbei – weil Minister Stöger heute hier war –: Es ist super, dass die österreichische Breitbandinitiative nun auch speziell Städte unter­stützt.

Aber was hier vorgesehen ist, ist unter anderem eine Cyber Security Strategie, ist zum Beispiel – das ist ganz enorm wichtig – der barrierefreie Zugang zum Internet, sind die nächsten Schritte im Bereich Open Data, Big Data und Cloud Computing. Das alles sind Dinge, die innerhalb der Europäischen Union einer Regelung bedürfen und die Eu­ropa wettbewerbsfähig machen. Dort, wo alte Industrien zu Ende gehen, kommt sozu­sagen ein neuer Wirtschaftskörper, es kommen neue intelligente und nachhaltige Ar­beitsplätze.

In dem Vorhabensbericht finden sich aber auch IKT-Förderprogramme, und nur stell­vertretend möchte ich da die Pilotprojekte erwähnen wie e-CODEX im Rahmen von
e-Justice Communication via Online Data Exchange im Bereich der Justiz, epSOS – Smart open Services for European Patients –, PEPPOL im Bereich von Pan-European Public Procurement Online, oder STORK, also Secure IdenTity acrOss boRders linked. Das heißt, diesbezüglich haben die Kommission, aber auch das Europäische Parlament und auch der Rat die Herausforderungen betreffend den Standort Europa, die Wettbe­werbsfähigkeit Europas voll erkannt.

Was jetzt noch wichtig ist: Im Jahr 2012 läuft das sogenannte Aktionsprogramm E-Gov­ernment ab, und das bildet in Hinkunft die Basis für die Digitale Agenda Europas. Das alles sind Dinge, die hier drinnen sind, und ich wundere mich einmal mehr, aber da geht es um meine Verwunderung, dass die FPÖ da Nein sagt – aber da mag es ir­gendwelche andere Gründe geben –, denn betreffend den Datenschutz in der EU, also im Dialog Europa-USA, stellt genau die Kommission, hätten Sie es gelesen, eine Sus­pendierung der Safe-Harbor-Regelung in diesem Jahr in Aussicht. (Bundesrat Herbert: Ich habe es gelesen!) Das Europäische Parlament würde jetzt eigentlich Ihre Unterstüt­zung brauchen, denn die haben die Suspendierung gefordert, und das ist schon ein Schritt! (Bundesrat Herbert: Die Realität schaut anders aus!)

Und eines muss man sagen, Herr Kollege: Am 25. Jänner 2015 hat die Kommission ein umfassendes Legislativwerk betreffend die europäische Datenschutzregelung vorge­legt. (Bundesrat Herbert: Das kenne ich eh auch!) Das ist jetzt in Verhandlung, und ein Ergebnis daraus könnte die Suspendierung der Safe-Harbor-Regelung werden. (Bun­desrat Herbert: Könnte! Wird nicht sein!)


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 52

Nun zum Schluss aber auch zwei, drei Worte zu einem anderen Thema, denn der Be­reich Kultur, der gesamte Arbeitsplan, die Gestaltung der Kulturpolitik, einer europäi­schen Kulturagenda, des Austauschs von Best Practices in Europe und vor allem ein moderner nachhaltiger Umgang mit dem Kulturerbe, das ist einfach das, was die Euro­päische Union – der Kollege Herbert hat gemeint, wir sind ja nur eine Wirtschaftsge­meinschaft – eben zu einer allumfassenden Gemeinschaft macht.

Mit 4 Prozent des EU-BIP leistet die Kultur auch einen wichtigen Beitrag zu den Zielen der „EU 2020 Strategie“. Und weil auch immer wieder die Frage nach dem österreichi­schen Standpunkt gestellt wird: Es gibt da die Warnung Österreichs, Kultur nicht stän­dig in ökonomische Parameter zu pressen.

Da ich gerade bei der Kultur bin, möchte ich noch ein PS anfügen: Heute wird eine Ins­tallation in Wien eröffnet, eine Installation der Filmemacherin Ruth Beckermann in Zu­sammenarbeit mit Olga Neuwirth, nämlich beim Denkmal gegen den Faschismus, wo zur Darstellung demütigenden nationalsozialistischen Verbrechens – Juden mussten mit Zahnbürsten Straßen putzen – jene Gruppe hinzugestellt wird, die bei diesem Denkmal fehlt, nämlich die Menschen, die gejohlt haben, die Menschen, die begeistert an dieser Demütigung teilgenommen haben. Das wird heute zum ersten Mal präsentiert. Das war immer ein fehlender Teil, denn wenn jemand so gedemütigt wurde, muss es rundhe­rum auch Menschen gegeben haben, die gedemütigt haben.

Ich würde mir wünschen, dass man aus Anlass dieser Verbrechen und dieser Gewalt diese Installation jedes Jahr wiederholt. Sie ist, glaube ich, dermaßen selbsterklärend, dass wir durchaus sagen sollten, es sollte nicht eine einmalige oder vorübergehende Ins­tallation sein. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

12.10


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Ing. Pum. – Bitte.

 


12.11.06

Bundesrat Ing. Andreas Pum (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Geschätzter Herr Minister! Frau Staatssekretärin! Werte Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Es ist immer wieder spannend, die unterschiedlichen Zugänge zum Bericht über das Pro­gramm der Europäischen Kommission und des Rates zu beleuchten. Wie der Vorred­ner schon angesprochen hat, ist es oftmals verwunderlich, wenn gerade die Freiheitli­che Partei die Entwicklung Europas in dieser Form ablehnt und letztlich hier immer wie­der ein klares Nein zu einer friedenspolitischen Entwicklung darlegt, obwohl das offene Ende dieser Entwicklung für uns alle politisch spannend wird. Wir sehen aber auch klar, dass Europa sehr wohl Probleme hat, die gemeinsam bewältigt werden müssen. (Bundesrat Herbert: In der Zentralafrikanischen Republik!?)

Gerade dieser Bericht zeigt wieder sehr eindrucksvoll, welche großen Fragen in Zu­sammenhang mit dem europäischen Modell zu beantworten sind, und vor allem, wel­che Herausforderungen in den nächsten Jahren klar vor uns liegen, sei es in der Frage der Finanzstabilität, sei es in der Frage der Entwicklung Europas in den nächsten Jah­ren – Europa 2020 –, sei es auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung. Wie geht es hier weiter? Nicht zuletzt ist auch die Frage der Digitalen Agenda zu erwähnen, die im Bericht sehr klar angesprochen wird.

Ich darf auf die Zielsetzung Lettlands verweisen, das ja im Jahr 2015 mit dabei ist, in der die vorwiegenden Schwerpunkte auf den Wettbewerb, auf die digitale Entwicklung Europas und nicht zuletzt auf ein engagiertes Europa gelegt wurden, was heißt, dass wir vor allem Nachbarschaftspolitik sehr klar in den Mittelpunkt stellen sollen. Das sind Schwerpunkte, die letztlich notwendig sind, um Europa auch in einer Friedensunion wei­terzuentwickeln.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 53

Es dürfen hier aber sicherlich auch ein paar Details aus diesem Bericht genauer ange­sprochen werden. Zum einen ist das die energiepolitische Entwicklung beziehungswei­se die Energieunion Europas, die uns vor Fragen der Versorgungssicherheit stellt, die uns letztlich aber auch vor die Vollendung des Energiebinnenmarktes stellt. Zum ande­ren müssen nicht zuletzt die Entwicklungen im Hinblick auf die Frage der Mäßigung des Energieverbrauches bis hin zur Klärung von Effizienzfragen und der Steigerung der Effizienz in der Energieverwendung angesprochen werden.

Wir haben ein weiteres Thema in diesem Bericht, das die aktuelle Situation widerspie­gelt – die Frage der außenpolitischen Sicherheit und der wirtschaftspolitischen Ent­wicklung Europas, gerade im Hinblick auf die Situation Russlands. Hierbei wird sehr klar dargelegt, dass es eine Weiterentwicklung immer nur im Dialog, im gemeinsamen Gespräch geben kann und dass damit natürlich vor allem Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik einhergehen.

Es gibt in Europa sehr klare Anstrengungen, die Sicherheitspolitik gemeinsam zu be­treiben. Die Diskussion, wie vor allem auch die innere Sicherheit Europas aussehen soll, wird im Juni im Rat stattfinden. Wir merken ja gerade aufgrund der aktuellen Dis­kussionen und der aktuellen Problematiken, wie uns dieses Thema der inneren Sicher­heit tagtäglich immer stärker betrifft. Da geht es natürlich um die Frage der Terroris­musbekämpfung, letztlich auch um die Frage der Grenzsicherungen und – das ist ein The­ma, das uns immer wieder sehr stark berührt – um die Frage des Katastropheneinsat­zes, die hier mitangesprochen wird.

Ein anderes Thema, das angesprochen wird, ist die Frage des Investitionspaketes für Eu­ropa. Hierbei werden rund 315 Milliarden € in den Jahren 2015 bis 2017 für Investitio­nen zur Verfügung gestellt. Ein Europa, das investiert, ein Europa, das Fortschritte auch in der Finanzpolitik macht, ist letztlich ein Europa mit Zukunft. Auch an dieser Stelle gibt es aber das Problem des Betrugs, und es stellt sich die Frage, wie wir mit Steuer­betrug und mit aggressiver Steuerplanung umgehen. Auch das sind Themen, die die­ser Bericht sehr deutlich widerspiegelt.

Eine weitere Entwicklung ist das Thema des Europäischen Semesters. Diesbezüglich geht es vor allem darum, dass zum einen länderspezifische Empfehlungen überprüft werden, zum anderen die Umsetzung dieser Leitlinien und Stabilitätsprogramme immer wieder ratifiziert und nicht zuletzt vorangetrieben wird. Das heißt, Reformen müssen gemacht werden. Das heißt, dass Europa letztlich auch ein Europa der Reformen sein muss. Wenn ich von Investitionen spreche und davon, dass Europa hier weiterentwi­ckelt werden muss, muss ich auch darauf hinweisen, dass gerade Österreich ein Land ist, das das sehr stark befürwortet. Wir wissen nämlich, dass wir auf dem Gebiet der Innovationen, auf dem Gebiet des Fortschrittes immer wieder eine Führungsrolle ein­nehmen.

Ein weiteres gewichtiges Thema – ein gewichtiges Thema vor allem im Hinblick auf das Budget – ist die Frage der Kohäsionspolitik, der Regionalpolitik. Diesbezüglich werden weitere 325 Milliarden € an Mitteln investiert. Das ist immerhin gut ein Drittel des Haus­haltsbudgets der Europäischen Union. Das zeigt schon, dass auch ein finanzieller Schwer­punkt auf die Regionalpolitik gelegt wird, und damit wird, glaube ich, vielen Argumen­ten, die Europa als Gefahr darstellen, sehr klar entgegengewirkt. Wir brauchen natür­lich hier Rahmenstrategien, die alle 28 Mitgliedstaaten miteinschließen. Gerade mit die­ser Regionalpolitik wird auf die Interessen einzelner Länder sehr stark eingegangen.

Wenn Regionalpolitik angesprochen wird, dann sprechen wir auch ein Thema an, das vielleicht weniger oft in den Mittelpunkt gestellt wird, aber sehr stark an Bedeutung ge­winnt: Das ist die Frage der Raumentwicklung, der Stadtentwicklung, letztlich die Frage der gesamten Planung, der strategischen Planung von Entwicklungen. Hierbei geht es auch darum, dass wir Räume gemeinsam denken. Es geht darum, dass wir größere


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 54

Einheiten über Vernetzung zusammenführen, dass wir nicht zuletzt mithilfe dieser Ent­wicklungen gemeinsame Interessen schaffen und Weiterentwicklung und nicht zuletzt Wohlstand in diesen Regionen umsetzen.

Ein Thema, das in diesem Bericht angesprochen wird, ist die Frage der Minderheiten beziehungsweise die Frage der Integration von Roma und Sinti. Hierzu wurde viel dis­kutiert. Ich glaube, es zeigt sehr klar, dass Europa Freiheit in den Mittelpunkt seiner politischen Akzente stellt und damit nicht zuletzt auch ethnischen Gruppen sehr klar ihre Rechte zuerkennt, wenngleich auch der Datenschutz an dieser Stelle natürlich im­mer wieder eine gewisse Rolle spielt. Österreich kommt diesbezüglich mit Sicherheit eine Vorreiterrolle zu, weil wir gerade in solchen Diskussionsrunden auf den Dialog set­zen und vor allem auch Randgruppen ein Sprachrohr bieten.

Datenschutz ist ein Stichwort, das bereits vom Vorredner angesprochen wurde. In die­sem Zusammenhang stellt sich natürlich auch die Frage der Datenverwaltung. Ich möchte darauf gar nicht mehr näher eingehen, nur eines sei gesagt: Die elektronische Datenverwaltung, die Datenverwaltung der Zukunft wird auch eine Frage der wirtschaft­lichen Entwicklung Europas darstellen. Es ist notwendig, Datenleitungen zu schaffen. Es ist notwendig, Daten zu speichern. Es ist letztlich notwendig, diesbezüglich viel Geld zu investieren, sei es die Infrastrukturmilliarde, die angesprochen wurde, oder seien es viele andere Milliarden, die in den Raum gestellt werden; diese werden benötigt, um Datenspeicherung und Datenerweiterung zu forcieren.

Die Europäische Union hat dafür von 2016 bis 2020 rund 500 Millionen € vorgesehen, aber wir wissen: Hier gibt es einen viel, viel höheren Investitionsbedarf, der letztlich nur dann zu bewerkstelligen ist, wenn wir private Investoren mit ins Boot holen können, wenn wir auch private Interessenten, die die Erweiterung vorantreiben, haben.

All das in einzelne Punkte aufgegliedert zeigt letztlich, dass dieser Bericht die Entwick­lung der nächsten Jahre in Europa klar prognostiziert und sehr deutlich die Linie vor­gibt. Daher wird es auch von unserer Seite, seitens der Volkspartei, zu diesem Bericht ein klares Ja geben, und ich kann nur das Positive und nicht zuletzt das Gemeinsame weiter in den Mittelpunkt stellen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

12.20


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundes­rätin Dr. Reiter. – Bitte, Frau Kollegin.

 


12.21.02

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Herr Präsident! Werte Kollegin­nen und Kollegen! Diese Berichte, von denen wir ja heute mehrere diskutieren, sind sehr umfangreich, umfassen viele Punkte, und ich finde es sehr schwierig, das einiger­maßen seriös in diesem Rahmen zu diskutieren oder abzuhandeln, weil eigentlich je­des Kapitel umfangreich ist und eine Bedeutung für die weitere Entwicklung in Öster­reich, in Europa hat und auch kontrovers diskutiert werden müsste.

Gott sei Dank gibt es auch noch den EU-Ausschuss, in dem viele dieser Themen noch eingehender behandelt werden, gerade vonseiten des Bundesrates. Ich finde diese Be­richte aber sehr wertvoll, sehr informativ, und wir werden dem Antrag auf Kenntnis­nahme des Berichts deshalb auch zustimmen. Ich danke dem Ministerium für die Auf­arbeitung dieser Berichte, bei denen doch zumindest aus den Kommentaren hervor­geht, wie man mit den einzelnen Punkten umzugehen oder sie zu gewichten gedenkt. Ich denke, das ist für uns alle eine wichtige Information.

Ich möchte nur einen Punkt herausnehmen, und zwar die Debatte darüber, welchen Beitrag Kultur zur EU-2020-Strategie leisten kann oder soll, denn die Rolle der Kultur in


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 55

diesem Prozess soll ja von der Europäischen Union bewertet werden. Da stellt sich Ös­terreich eigentlich ganz klar gegen eine Aufnahme der Kultur in die 2020-Strategie, und zwar aus der Befürchtung heraus, dass sich die vorwiegende Beurteilung des Kultur­sektors nach Wachstumsfaktoren, also nach Einnahmen, Besucherzahlen und so wei­ter langfristig negativ auf Vielfalt, Qualität und Nachhaltigkeit – auch da lässt sich natür­lich diskutieren, was das im Hinblick auf Kultur bedeutet – auswirken würde.

Es besteht also die sicher nicht unberechtigte Befürchtung, dass es in dieser Debatte zu einer Reduktion von Kultur auf rein ökonomische Indikatoren kommt.

Die Frage stellt sich aber – oder man muss sie sich stellen –: Was sonst? Welche an­deren Kriterien werden hier definiert? Gerade das Kulturland Österreich sollte da Ant­worten haben und Initiativen setzen, die über eine Ablehnung dieser Aufnahme der Kul­tur in die 2020-Strategie und die Befürchtungen hinausgehen, denn es läuft ja gleich­zeitig der Prozess, dass es, um die faktengestützte Politikgestaltung zu verbessern – das ist ein tolles Wort: faktengestützte Politikgestaltung –, europaweit vergleichbare Kul­turstatistiken unter der Federführung von Eurostat geben soll. Das soll also weiterent­wickelt werden, es soll in Zukunft doch ein Zahlenwerk geben, um eben diese fakten­gestützte Politikgestaltung zu verbessern.

Da stellen sich natürlich Fragen wie: Wechselwirkung von Kultur und Innovation, Kultur und ökonomischer Nachhaltigkeit, Kultur und sozialer Inklusion. Was heißt das dann für Förderungen, für Subventionen und eben für die tägliche Politik im Umgang mit Kul­tur?

Vielleicht hat das gerade bei mir so einen sensiblen Nerv getroffen, weil ich natürlich in Salzburg von diesen Debatten sehr betroffen bin, wenn es eben darum geht, Hochkul­tur entsprechend zu subventionieren oder nicht, oder was stattdessen. Was heißt das dann für die Entscheidungsfindung in diesem Bereich?

Es ist auch nicht unerheblich, was das für Kultur in den Außenbeziehungen heißen kann. Ich darf daran erinnern, dass die USA das UNESCO-Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen nicht unterzeichnet haben und dass damit der Kultursektor zum Beispiel im Bereich von Handelsabkom­men wie TTIP unter Umständen völlig den Gesetzen des freien Marktes ausgeliefert werden könnte. Das ist im Zusammenhang mit dieser Debatte ein ganz entscheidender Punkt, denke ich. Einige europäische Staaten besitzen in diesem Bereich bereits Zah­lenwerke, sogenannte Satellitenkonten. Österreich, das habe ich dem Bericht entnom­men, gehört nicht dazu.

Ich glaube, dass es da für Österreich durchaus Handlungsbedarf gibt. Wir würden uns wünschen, dass es gerade in diesem Bereich nicht nur ein Nachhinken gibt oder dass nicht erst hinterher Handlungsbedarf festgestellt wird, sondern dass das Kulturland Ös­terreich – als das wir uns, glaube ich, doch wirklich alle verstehen – da eine Vorreiter­rolle einnimmt und dass gerade in unserem Land diese Debatte ganz progressiv und aktiv geführt wird, um Grundlagen für eine faktengestützte Politikgestaltung zu schaf­fen, wie sie offensichtlich im Rahmen der Europäischen Union und im Rahmen dieser Zusammenarbeit gefordert ist. Diesen einen Punkt wollte ich herausgreifen, weil er für die Kulturnation Österreich, glaube ich, ein sehr wesentlicher ist. – Danke. (Beifall der Bundesrätin Schreyer sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

12.27


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gelangt nun Frau Staatssekretärin Mag. Steßl. – Bitte, Frau Staatssekretärin.

 


12.27.22

Staatssekretärin im Bundeskanzleramt Mag. Sonja Steßl: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Bundesräte! Ich bedanke mich für die sehr anregende


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 56

Diskussion. Frau Bundesrätin Reiter, Sie haben recht, der Bericht ist sehr, sehr breit und wir könnten uns wahrscheinlich über jedes Teilgebiet stundenlang unterhalten. Er­lauben Sie mir daher, dass ich nur auf gewisse Themenbereiche eingehen werde, denn auf alles einzugehen würde den Rahmen hier im Bundesrat sprengen.

Der Europäische Rat hat im Juni 2014 eine strategische Agenda mit den Prioritäten für die kommenden fünf Jahre beschlossen. Dazu gehören eben die Stärkung der Wettbe­werbsfähigkeit, von Wachstum und Beschäftigung, und die Europäische Union soll als globaler Akteur weltweit mehr Verantwortung übernehmen.

Wir stehen innerhalb der Europäischen Union, aber auch weltweit vor sehr großen He­rausforderungen: zum einen die Bewältigung der nach wie vor andauernden Wirt­schaftskrise und zum anderen schwierige Bedingungen geopolitischer Natur, aber na­türlich auch in der engeren Partnerschaft und Nachbarschaft. Dazu kommt noch, dass das Wirtschaftswachstum innerhalb der Europäischen Union nicht gerade rasend hoch ist, sondern eher mäßig und wir in Europa leider noch immer unter hoher Arbeitslosig­keit leiden.

Daher ist es wichtig, dass wir neben dieser wirtschaftspolitischen Strategie, die wir zu Recht mit wachstumsfreundlichen Konsolidierungsmaßnahmen, aber auch Strukturre­formen umsetzen wollen, auf die Investitionen in Wachstum und Beschäftigung nicht vergessen. Daher ist das Juncker-Paket mit 315 Milliarden € inklusive der Hebelwir­kung ein wichtiger Schritt, aber es kann nur ein erster Schritt sein. Europa muss noch mehr für Wachstum und Beschäftigung tun, so wie es auch Österreich immer macht.

Wir nehmen eine wachstumsfreundliche Budgetkonsolidierung vor, das heißt sinnvolles Sparen, aber natürlich auch klug investieren mit unseren Offensivmaßnahmen, und da muss Europa noch mehr tun. Die Frage ist natürlich auch – aber darüber könnten wir uns ebenfalls stundenlang unterhalten –, wie wir die europäische Wirtschaftspolitik se­hen, ob es nicht innerhalb der europäischen Verträge noch Möglichkeiten gäbe, dass man mehr auf Wachstum und Beschäftigung setzt und nicht immer nur auf Konsoli­dierung, die innerhalb Europas selbstverständlich auch wichtig ist.

Neben diesen Themen hat selbstverständlich die Entwicklung Griechenlands hohe Be­deutung, ebenso – das erleben wir seit mehr als einem Jahr – die besorgniserregen­den Entwicklungen innerhalb der Ukraine. Durch diese Entwicklungen merkt man ein­fach, dass die Grundlagen der europäischen Friedensordnung keineswegs selbstver­ständlich sind. Daher stehen auf der europäischen Agenda die Wiederherstellung von Frieden in der Nachbarschaft und die Wahrung von Sicherheit innerhalb der Europäi­schen Union weit oben.

Am 19. und 20. März wird der Europäische Rat tagen. Die Schwerpunktthemen des Europäischen Rates am 19. und 20. März sind die Energieunion, der Abschluss der ersten Phase des Europäischen Semesters sowie auch außenpolitische Themen. Selbst­verständlich sind das sehr, sehr wichtige Themenbereiche, aber man muss sich natür­lich auch mit dem schleppenden Wachstum auseinandersetzen, und daher hat die Eu­ropäische Kommission Ende November 2014 den Jahreswachstumsbericht vorgelegt. Wir begrüßen diesen Jahreswachstumsbericht, der sich mit Investitionen, mit Struktur­reformen und einer nachhaltigen Budgetpolitik beschäftigt, aber zugleich muss man auch kritisch anmerken, dass die zentralen Herausforderungen wie eine hohe Arbeits­losigkeit, wie die Bewältigung der sozialen Folgen der Krise sowie die Europa-2020-Ziele nicht direkt angesprochen werden.

Wir müssen darauf achten, dass der Jahreswachstumsbericht und die Europa-2020-Ziele näher aneinanderrücken, denn wenn man sich den Armutsbericht, die Verarmung in den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die Arbeitslosenzahlen anschaut, wird klar, wir müssen noch mehr und noch tiefer in die Materie gehen,


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 57

selbstverständlich auch Maßnahmen setzen, damit die Arbeitslosigkeit wieder sinkt, und die Armut bekämpfen, was ja ein zentrales Ziel der Europa-2020-Strategie ist.

Da wir hier in der sogenannten Länderkammer sind und ich auch für Strukturpolitik zu­ständig bin, lassen Sie mich noch ein paar Worte über die Kohäsionspolitik und die Re­gionalpolitik der Europäischen Union verlieren.

Mir ist es sehr wichtig, dass wir insbesondere die Förderungen, die die Europäische Union für Regional- und Kohäsionsmaßnahmen anbietet, voll ausschöpfen. Es gab ein paar kritische Anmerkungen betreffend EFRE-Förderungen, dass das System unter Um­ständen sehr, sehr kompliziert sei, daher ist uns wichtig, dass wir einen Reformprozess starten. Wir haben die Förderstellen in den einzelnen Bundesländern minimiert. Auch arbeiten wir derzeit an den Förderfähigkeitsrichtlinien. Selbstverständlich haben wir diesen Reformprozess mit den Ländern innerhalb der Österreichischen Raumordnungs­konferenz gestaltet, damit wir diese Mittel auch abholen.

Warum ist mir das so wichtig? – Weil wir Projekte in Österreich haben, die für Beschäf­tigung und Wohlstand sorgen. Beispielsweise wurde in Zurndorf im Burgenland eine Fabrik für Windkraftwerke gefördert, wo Windenergieanlagen mit neuester Technologie hergestellt werden. Das hat einen Output von 120 neuen Arbeitsplätzen gebracht. Oder schauen wir nach Tulln, wo ein Technologie- und Forschungszentrum neu errichtet wurde, das sich mit Agrar- und Umweltbiotechnologie beschäftigt: Da wurden allein mit diesen Geldern, gefördert, mitfinanziert von der Europäischen Union, 160 neue Arbeits­plätze in den Regionen geschaffen.

Ich glaube, dass uns sehr, sehr viel daran liegen muss, die Regionen zu stärken und insbesondere auch die europäischen Fördermittel dazu zu verwenden.

Weil die Digitale Agenda und das E-Government angesprochen wurden – ich bin ja auch für E-Government zuständig –: Eines unserer Hauptziele muss es in der Europäischen Union sein, nicht Letzter bei der Digitalisierung zu werden, sei es beim E-Government, sei es aber auch bei den Kernsplittern einer Digitalen Agenda, die sich mit folgenden Fragen beschäftigt: Wie sehen in Zukunft Arbeitsplätze aus? Wie entwickeln sich Wirt­schaft und Industrie? Wie können Unternehmen, beispielsweise durch E-Government-Anwendungen, effizienter werden? Und da darf ich feststellen, dass Österreich inner­halb der Europäischen Union durch das, was wir im E-Government-Bereich erreicht ha­ben, wirklich eine Vorreiterrolle spielt. Wir dürfen uns aber nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen, sondern müssen noch mehr Energie in E-Government investieren, zum Bei­spiel in die Handy-Signatur, die über 500 000 Menschen bereits nutzen, unter anderem für E-Government-Services.

Ich denke, Effizienz und Verwaltungsreform können nur mit einer Digitalisierung einher­gehen, natürlich auch mit der Digitalisierung der Gesellschaft, wobei es hier eine Ein­schränkung gibt: Bei aller Digitalisierung darf man nicht auf diejenigen Menschen ver­gessen, die offline leben; davon gibt es auch einige, insbesondere ältere Menschen. Da müssen wir natürlich schauen, dass keine digitale Kluft entsteht.

In diesem Sinne, meine sehr verehrten Damen und Herren, bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit und für die anregende Diskussion. (Beifall bei SPÖ und ÖVP, bei Bun­desräten der Grünen sowie des Bunderates Zelina.)

12.36

12.36.10

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Weitere Wortmeldungen dazu liegen mir nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 58

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. (Widerspruch bei FPÖ, SPÖ und ÖVP.) War das nicht Stimmen­einhelligkeit? – Das war jetzt für mich nicht ersichtlich, Entschuldigung! (Bundesrätin Mühl­werth: Na, so wenige sind wir nicht!) Es ist dies die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

12.37.193. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2015 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem hinsichtlich ganztägiger Schulformen und der Bewegungsorientierung an Schulen das Bundes-Schulaufsichtsgesetz, das Schulorganisationsgesetz, das Land- und forstwirtschaftliche Bundesschulgesetz, das Bundesgesetz über Schu­len zur Ausbildung von Leibeserziehern und Sportlehrern, das Schulunterrichts­gesetz, das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 9/2012 sowie das Hochschulgesetz 2005 geändert werden (448 d.B. und 461 d.B. sowie 9325/BR d.B. und 9332/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Wir gelangen nun zum 3. Punkt der Tagesord­nung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Pfister. Ich bitte um den Bericht.

 


12.37.56

Berichterstatter Rene Pfister: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Unterricht, Kunst und Kultur.

Der vorliegende Beschluss des Nationalrates hat insbesondere den qualitativen Aus­bau von ganztägigen Schulformen von der 1. bis zur 9. Schulstufe und die Ermögli­chung der täglichen Bewegungseinheit zum Ziel. Durch gezielte Angebote im Rahmen der schulischen Tagesbetreuung und verstärkte Kooperationen mit Sportvereinen soll die Freude an Bewegung und eine gesunde Lebensführung vermittelt werden.

Ich komme gleich zur Antragstellung:

Der Ausschuss für Unterricht, Kunst und Kultur stellt nach Beratung der Vorlage am 10. März 2015 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein und dürfen dazu sehr herzlich Frau Bundesminister Hei­nisch-Hosek begrüßen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie bei Bundesräten von FPÖ und Grünen.)

Frau Kollegin Mühlwerth ist als Erste zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Kollegin.

 


12.39.23

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­ehrte Frau Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Man sieht, es ist Mittagszeit und das Bildungsthema scheint nicht immer das allerspannendste zu sein, wenn man da so in die Runde blickt und sieht, wer aller fehlt (Bundesrätin Grimling: Wir sind da! Wir hören zu!), obwohl es ein durchaus spannendes ist. Und es ist wert, diskutiert zu wer­den. (Bundesrat Perhab: Die Wesentlichen sind da!) – Eigendefinition: Die Wesentli­chen sind da.

Das, was wir an diesem Gesetz, das ja aus zwei Teilen besteht – es sind ja eigentlich zwei Gesetze –, grundsätzlich kritisieren, ist, dass das, was mit dem Gesetz gemacht wird, nur einem kleinen Teil der Schüler zugutekommt. Natürlich kann niemand etwas gegen gesunde Lebensführung haben. Und selbstverständlich sind wir für Sport- und Bewegungseinheiten. Das ist ja alles von der Intention her in Ordnung, und es tut mir


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leid, dass es so gefasst ist, dass ich dem nicht zustimmen kann. Aber das, was an Vorhaben vor allem in dem einen Gesetz steht, das hätte ich gern für alle Schüler und nicht nur für jene Schüler, die in eine Ganztagsschule gehen; und das möglichst noch in einer verschränkten Form und nicht in der offenen Form.

Aber da sind wir wieder – wo wir in der Bildungsdebatte ja immer landen – bei den ideologischen Vorhaben jener, die sagen, Gesamtschule, Ganztagsschule sind ihnen wichtig, um möglichst viele Kinder ihren Familien fernzuhalten. Das finden wir nicht in Ordnung, und das ist etwas, wogegen wir die ganze Zeit ankämpfen.

Ihre Kollegin, Frau Minister, die Frau Abgeordnete Mag. Grossmann, hat es in ihrer Re­de im Nationalrat deutlich zum Ausdruck gebracht. Da sagt sie unter anderem:

„Ob ein Kind an sportlichen Gemeinschaftsaktivitäten teilnehmen kann, soll eben nicht davon abhängen, ob Eltern als tägliche Taxidienste fungieren. Das alles soll möglichst an der Schule organisiert angeboten werden.“

Und um das noch zu unterstreichen – jetzt geht es darum, möglichst viele Schüler ganztägig zu führen, und dafür wurden auch die finanziellen Mittel entsprechend aufge­stockt –, sagt sie:

„Die Halbtagsschule ist nicht mehr zeitgemäß, entspricht nicht mehr der gesellschaft­lichen Realität.“

Wenn man sich allerdings auf Befragung die Wünsche der Eltern anschaut, dann sa­gen diese sehr wohl, wenn es geht, möchte ein Teil von ihnen gerne ganz zuhause bleiben, ein Teil nur halbtags arbeiten gehen, damit sie eben am Nachmittag Zeit für ih­re Kinder haben.

Wir haben immer der Wahlfreiheit das Wort gesprochen, und es soll für jene, die das wollen und die das brauchen, selbstverständlich eine Ganztagsschule mit einem guten Angebot geben, aber all jene, die das eben nicht haben wollen, sollen auch die Mög­lichkeit haben, ihre Kinder am Nachmittag zuhause zu betreuen.

Man merkt eben bei solchen Gesetzen, dass dieser Zug aber sehr bewusst in diese Richtung gezogen wird, dass die Kinder in die Ganztagsschule gehen müssen, wenn ich das bessere Angebot bekommen will. Komischerweise ist dafür dann plötzlich Geld da, wenn man ein ideologisches Projekt durchsetzen möchte, das man ja sonst nicht hat. Die Einsparungen von 300 Millionen €, die Ihnen auferlegt worden sind, sind ja noch gar nicht getan. Bei der BIG haben Sie um Stundung gebeten für die Miete, das heißt, eigentlich haben Sie ja  (Bundesministerin Heinisch-Hosek: Ist schon Dringli­che?) – Nein! Aber eigentlich haben Sie kein Geld. Ich muss das in den Zusammen­hang stellen, wir werden den Rest dann bei der Dringlichen sehr wohl noch bespre­chen, aber das muss man schon in einem Zusammenhang sehen, dass man dort jetzt nicht darauf abzielt, dass man sagt: Okay, diejenigen, die die Ganztagsschule haben wollen und brauchen, die sollen sie auch bekommen. Das heißt ja nicht, dass alle Schulen Ganztagsschulen werden müssen, das wäre ja dann auch wesentlich günsti­ger.

Da haben wir eben immer unsere Probleme, das diskutieren wir ohnehin jedes Mal, dass wir sagen, die Wahlfreiheit ist etwas ganz Wichtiges.

Ja, die tägliche Bewegungseinheit und die tägliche Turnstunde wären ganz toll, aber, wie gesagt, ich hätte gerne, dass das an allen Schulen stattfindet. Bei den offenen Ganztagsschulen ist es ein Kann-Angebot, bei den verschränkten Schulen ist es obli­gatorisch, dass es das gibt.

Ich kann mich noch erinnern, als sich die SPÖ an der ehemaligen Unterrichtsministerin Gehrer sozusagen abarbeitete und diese heftigst kritisierte, als es Stundenkürzungen


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gab; darunter war eben auch die Turnstunde. Aber interessanterweise wurde das dann nicht rückgängig gemacht. Man hat nicht gesagt: Das war falsch, und wir drehen das wieder um und nehmen diese Stundenkürzungen für die Kinder wieder zurück.

Warum geben Sie denn nicht allen Kindern die tägliche Turnstunde oder wenigstens die tägliche Bewegungseinheit, die wirklich wichtig wäre? Ich weiß von Lehrern, dass sie sehr gute Erfolge damit erzielt haben, wenn sie das vor Schularbeiten, vor Zettel­arbeiten, Gedächtnisübungen et cetera pp. im Eigenversuch gemacht haben.

Der zweite Teil dieses Gesetzes, in dem es um die Zentralmatura geht, ist etwas, Frau Minister, was wir heute in der Dringlichen Anfrage noch extra besprechen werden. Aber ich kann Ihnen jetzt schon sagen, dass da irrsinnig viel verpfuscht worden ist. Und das ist nicht nur die Meinung der Freiheitlichen, wo man vielleicht sagen könnte, na klar, die Opposition übt immer Kritik an der Regierung, sondern es gibt genügend andere Leute, die Ihnen gar nicht so ferne sind, die das durchaus auch kritisieren. Aber das werden wir dann extra noch einmal im Rahmen unserer Dringlichen eingehender besprechen.

Wir sind der Meinung, dass dieses Gesetz gerade einmal 3 Prozent der Schüler betrifft, die dadurch einen Mehrwert haben. (Bundesministerin Heinisch-Hosek: Das stimmt nicht! 3 Prozent der Schülerinnen und Schüler besuchen eine verschränkte ganztägige Schule, und 40 Prozent aller Schülerinnen und Schüler besuchen eine Ganztagsschu­le!) – Ja, aber es gehen ja nicht alle in eine Ganztagsschule. (Bundesministerin Hei­nisch-Hosek: 40 Prozent!) – Ja, 40 Prozent sind nicht 100 Prozent, das ist ja nur ein Teil, also betrifft es eine Minderheit von Schülern, die in den weiteren Genuss von ge­sünderem Essen, mehr Bewegungseinheit et cetera pp. kommt. Wir wollen, dass das für alle ist, und aus diesem Grund werden wir diesem Gesetz nicht zustimmen. (Beifall bei der FPÖ.)

12.46


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundes­rätin Reich. – Bitte, Frau Kollegin.

 


12.46.32

Bundesrätin Elisabeth Reich (SPÖ, Oberösterreich): Geschätzter Herr Präsident! Wer­te Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Ich muss mich jetzt ein bisschen wieder herunterholen. In diesem Gesetz werden sowohl die Quali­tätssicherung in der schulischen Tagesbetreuung, die im Regierungsprogramm veran­kert ist, umgesetzt als auch redaktionelle Korrekturen hinsichtlich der Bestimmungen zur neuen Reifeprüfung getätigt.

Das Paket umfasst zwei Punkte aus dem Sechs-Punkte-Regierungsprogramm von Schladming und soll bereits ab dem nächsten Schuljahr in den Schulen Realität wer­den. Die Aufgaben der österreichischen Schulen werden um gesundheitsbewusste und sportlich-aktive Lebensweise ergänzt, und damit wird die Notwendigkeit einer sportlich-aktiven und gesunden Lebensweise unterstrichen.

In Ganztagsschulen wird die tägliche Bewegungseinheit eingeführt, das heißt, unter Hin­zuziehung der im Unterrichtsteil vorgesehenen Stunden wird die eine Stunde Bewe­gung pro Tag Realität. Schulen können sich ab jetzt für Vereine und Trainer und Trai­nerinnen aus dem Sport öffnen, womit das Angebot auch vielfältiger werden kann. Schul­kooperationen im Rahmen des Sports werden verstärkt und erleichtert, und auch bei Raumüberlassungen werden die gesetzlichen Regelungen angepasst.

Der Zugang zur Qualifikation von Freizeitpädagoginnen und -pädagogen wird auch für Trainer und Trainerinnen durch die Anerkennung ihrer bestehenden Qualifikationen an Pädagogischen Hochschulen erleichtert.


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Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, dass ich mich heute ganz besonders auf die tägliche Bewegungseinheit in der Ganztagsbetreuung konzentriere, da ich seit einigen Jahren eine Ganztagsschule in verschränkter Form als Schulleiterin führe und meine Erfahrungen aus langjähriger Tätigkeit als Leiterin des Betreuungs­teils, das ist der Teil, in dem die Freizeit- und Lernstunden sind, mitbringe.

Nach dem quantitativen Ausbau der schulischen Tagesbetreuung, der mit guten und groß­zügigen Förderungen vielen Gemeinden und Kommunen die Möglichkeit, den Anreiz gab und immer noch gibt, Gruppen in der schulischen Tagesbetreuung zu eröffnen und/oder weiter auszubauen, startet mit dieser Offensive nun ein Qualitätsprozess, um dieses Angebot der ganztägigen Betreuung weiter zu verbessern.

Ein weiterer Schritt, auch wenn er Kollegin Mühlwerth nicht gefällt, sollte der Ausbau der verschränkten ganztägigen Form sein. Und nicht nur mein Wunsch ist es seit Jah­ren, damit auch die Problematik der Schulsprengel zu lösen. In der Praxis gibt es näm­lich dahin gehend ganz besonders bei uns auf dem Land keine Wahlfreiheit.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Kinder in der ganztägigen Betreuung sollen ganz be­sonders gefördert werden, ist doch ihr zweiter Lebensraum die Schule, und zwar einer­seits in den Lernzeiten, in denen der Lehrstoff vertieft wird, spezielle Förderangebote gegeben sind und in meistens sehr gutem Klima mit den Mitschülerinnen und -schülern und Lehrerinnen und Lehrern gearbeitet werden kann. Andererseits sollen Kinder in den ganz, ganz wichtigen Freizeitbereichen gefördert werden, in denen Bewegung, Sport und Spiel im Vordergrund stehen, und eine grundlegende Erziehung, meiner Erfahrung nach, zu sinnvollen und spannenden Freizeitbetätigungen gelegt werden kann. Bei uns an der Schule heißt das dann „Girls-Fit-Fun“, „Große Ballspiele“, „Kleine Spiele für viele“, „Spiel und Tanz für Mädchen“ oder „Nix ist Fix“ – das heißt, Schüler wählen sich aus, was sie gern machen möchten –, „Kreatives Gestalten“, „Act it out“, „Computerworkshop“ und so weiter.

Und ganz im Sinne von Karl Valentin möchte ich dazu sagen, wir brauchen unsere Kin­der nicht zu erziehen, sie machen uns sowieso alles nach. – Ich hoffe daher auf das gute Vorbild in den Schuljahren.

Auch in der Suchtprävention wird ganz besonderer Wert – nach dem Elternhaus – auf das Klima in der Schule gelegt. Alle versierten Wissenschafter sagen: Ein guter Auf­enthaltsort verhindert, dass Kinder süchtig werden.

Nun werden für den Betreuungsteil in Ganztagsschulen Aufgaben und Ziele der Lern­zeit und die Ausgestaltung der Freizeit über die Betreuungspläne als Teil der Lehrpläne aufgenommen und präzisiert. Nun werden sie ganz genau dargestellt, und es können auch standortbezogene Voraussetzungen eingebracht werden, was für mich persönlich sehr wichtig ist.

Werte Kolleginnen und Kollegen, für meine Schule, für meine Kolleginnen und Kolle­gen und für mich ist diese Novelle wieder eine Bestätigung für die Arbeit, die bei uns seit Jahren in wertvoller Teamarbeit gemacht wird. Nicht nur, dass unsere Schul­schwerpunkte Gesundheit, Bewegung, Ernährung und Soziales sind, in unserem schul­autonomen Lehrplan wurden Bewegung und Sportstunden nicht gekürzt, so wie es in vielen Schulen ist, sondern erhöht. Zwei Jahre „Ernährung und Haushalt“ sind ein wei­terer Fixpunkt für alle, und Sozialkompetenz zieht sich als Unterrichtsprinzip und als ei­gene Stunde durch vier Jahre.

Die Intentionen der Gesetzgebung bestätigen auch hier unseren Weg, der auf lang­jährige Erfahrung baut und im Sinne der Kinder, Eltern und Familien ist. Wir haben diese Parameter auch in unserer Schulqualitätsbeschreibung definiert und schrittweise standortbezogen umgesetzt, in vielen Gesprächen mit den Eltern und auch abgespro­chen mit der Schulaufsicht. Wir haben uns auch immer wieder den Qualitätskriterien


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der schulischen Tagesbetreuung gestellt, waren erfolgreich, und unsere Schulqualität wurde anerkannt. Auch die Teilnahmezahlen geben uns recht, obwohl wir als Land­schule sehr viele Familien, sogar die meisten Familien haben, in denen die Mütter nicht berufstätig sind, es aber trotzdem sehr schätzen, dass ihre Kinder ohne Hausauf­gaben heimkommen, und auch das Gesamtkonzept der Schule voll unterstützen.

Unsere Schülerinnen und Schüler, finde ich, fühlen sich grundsätzlich wohl, bringen gute bis sehr gute Schulleistungen, bringen wenige bis gar keine negativen Schulleis­tungen, sind einsatz- und leistungsbereit, teamfähig, wenig aggressiv und, wie ich fin­de, die meiste Zeit sogar noch fröhlich.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, mein Plädoyer für die Ganztagsschule: Noch mehr für die verschränkte Form, für Kooperationen mit außerschulischen Institutionen, mit viel positivem Klima, viel Freiraum, dann steht einer guten Bildung, auch des Her­zens, nichts mehr im Wege! – Danke. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

12.53


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Längle. – Bitte, Herr Kollege.

 


12.53.47

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle­gen! Geschätzte Zuseher via Live-Stream! Sehr geehrte Frau Ministerin! Geschätzte wichtige Herren auf der rechten Seite! Geschätzter Herr Perhab beim „Kronen Zei­tung“-Lesen! Guten Tag! (Bundesrat Perhab: Das ist nicht die „Kronen Zeitung“! – Heiterkeit bei der ÖVP.) – Aha, nicht die „Kronen Zeitung“, okay. Ja gut, ich hoffe, Sie passen trotzdem auf.

Eigentlich sollte die Bildung ja etwas sehr Wichtiges sein, da durch Bildung immer­hin  (Zwischenruf des Bundesrates Perhab.) – Sie dürfen zuhören, Herr Kollege, ich würde Ihnen empfehlen, die Zeitung einmal wegzulegen. Die Bildung ist immerhin et­was sehr Wichtiges, und die Qualität wird durch die Bildung der folgenden Generatio­nen bestimmt.

Bildung muss eine der höchsten Prioritäten haben und etwas sein, wo Professionalität und Qualität in hohem Ausmaß vorhanden sind. Es ist in diesem Zusammenhang aber leider gerade auch wieder in den letzten Wochen passiert, dass Schlagworte wie „Plei­ten, Pech und Pannen“ durch die Presse gegangen sind.

Eigentlich ist der Bildungsbereich schon seit vielen Jahren eine große Baustelle. Dabei sind die Stichworte „schlecht organisierte Zentralmatura“, „rund tausend Schulversu­che“, „Datenlecks“ und so weiter zu nennen. Manche sprechen hier von einem „Trüm­merhaufen“ beziehungsweise von einem Zustand, der nicht tragbar ist.

Sehr geehrte Frau Ministerin, gerade dazu möchte ich Ihre Parteikollegin, Frau Dr. Ga­briele Sprickler-Falschlunger, welche SPÖ-Landtagsabgeordnete aus Vorarlberg ist, zitieren. Sie hat nämlich gestern bei der Landtagssitzung in Bregenz auch von unzu­mutbaren Zuständen und einem dringenden Handlungsbedarf im Bildungsbereich ge­sprochen. Ebenso hat sie gemeint, dass Wien in diesem Zusammenhang endlich han­deln soll.

Dazu möchte ich sagen, dass es schon erstaunlich ist, dass offensichtlich nicht nur die Oppositionsparteien, sondern sogar Leute aus den Reihen der SPÖ nicht mit scharfer Kritik sparen und sich Verbesserungen wünschen.

Nehmen Sie sich das bitte zu Herzen, Frau Ministerin! Österreich braucht einen Bil­dungsbereich, der funktioniert und nicht von Pleiten, Pech und Pannen durchsetzt ist.


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Bezüglich der Bewegungseinheiten ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass während der Schulzeit die Möglichkeit geschaffen wird, am Sport und an der Bewegung teilzu­nehmen. Unpassend ist hier in diesem Zusammenhang, dass das nur an Ganztags­schulen stattfindet.

Eigentlich ist es ja traurig, dass etwas immer nur Stück für Stück eingeführt wird und ei­gentlich einem Puzzle gleicht. Hier wäre es auch wiederum wünschenswert, wenn end­lich einmal ein Gesamtkonzept erstellt werden würde und diese Gesetzesänderungen fundiert und stringent wären.

Dabei sind die bereits erwähnten Schulversuche zu nennen. Wie lange bleiben die dann noch aufrecht? Dauert es ewig? Gibt es da eine absehbare Zeit, wann welche wieder eingestellt werden? Wie viele neue kommen da immer dazu? Warum haben wir in Österreich eines der teuersten Bildungssysteme und dabei leider oft immer wieder schlechte Ergebnisse bei den sogenannten PISA-Tests?

Anscheinend ist es auch so, dass offensichtlich das Binnen-I wichtiger ist als die be­reits erwähnten Probleme. Es wird Zeit, dass hier endlich einmal etwas passiert und diese Missstände abgeschafft werden. Die Verantwortlichen sind hier gefordert, endlich zu handeln. Wir brauchen in Österreich eine gravierende Verbesserung im Bildungs­system!

Wir von der FPÖ-Fraktion sind entschieden gegen diese Gesetzesnovelle und werden unsere Zustimmung nicht erteilen. (Beifall bei der FPÖ.)

12.58


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundes­rätin Stöckl. – Bitte, Frau Kollegin.

 


12.58.23

Bundesrätin Angela Stöckl (ÖVP, Niederösterreich): Hohes Präsidium! Frau Bundes­minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr gerne spreche ich heute zu dieser Ge­setzesnovelle. Als Physiotherapeutin liegen mir einfach Bewegung und Sport beson­ders am Herzen. Ein gesunder Geist kann nur in einem gesunden Körper leben, und es ist erwiesen, dass körperliche Aktivitäten das Lernen erleichtern. Die tägliche Bewe­gungseinheit in den Volksschulen und der Sekundarstufe 1, vorab einmal in den ganz­tägig geführten Schulformen, ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Im Bereich der Schulen mit Nachmittagsbetreuung gibt es bereits jetzt in vielen Schu­len Initiativen, die ebenfalls mehr Bewegung in den Schulalltag bringen und für Kinder gratis angeboten werden, sei es jetzt in Freigegenständen wie Bodenturnen, Gerätetur­nen – meine Tochter besucht zum Beispiel ein Gymnasium, das Geräteturnen anbie­tet –, Fußball, Volleyball und, und, und.

Wie gesagt, auch Kinder, die keine ganztägigen Schulformen besuchen, haben die Mög­lichkeit, an sportlichen Aktivitäten teilzunehmen, die im Rahmen der Nachmittagsbe­treuung oder als Freigegenstand gratis angeboten werden. Aber trotz alledem dürfen wir Eltern uns nicht ganz der Verantwortung entziehen und müssen ebenfalls mit gu­tem Beispiel vorangehen, betrifft es jetzt unsere eigene Freizeitgestaltung, den Um­gang mit dem Auto und, und, und, damit auch wir unsere Kinder gemeinsam mit den Pädagoginnen und Pädagogen zu gesundheitsbewussten, selbstständigen Erwachse­nen heranziehen.

Auch der tägliche Schulweg ist für mich ein großes Thema. Es werden immer wieder Initiativen seitens der Schulen gesetzt, damit die Kinder zu Fuß in die Schule gehen. Das ist leider oft ein Kampf gegen Windmühlen. Es ist einfach wichtig, den Kindern den Spaß und die Freude an der Bewegung zu vermitteln, wie gesagt, auch durch das ei­gene Vorbild.


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Ich darf aus Niederösterreichs Schulen berichten: Hier laufen bereits viele Initiativen, die mehr Bewegung in den Schulalltag bringen, wie „Sport im Hort“, ein Projekt, wel­ches in Kooperation mit örtlichen Vereinen läuft. Ein Vorzeigeprojekt in der Stadt Ba­den ist zum Beispiel „Rückenfit – der Kinderhit“, wo Physiotherapeuten den Kindern und LehrerInnen in diversen Einheiten ins Bewusstsein rufen, wie wichtig Bewegung im Alltag ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Bewegungs- und Sportangebot kann nie groß ge­nug sein. Dass die tägliche Bewegungseinheit in ganztägigen Schulformen jetzt einmal gesetzlich verankert wird, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Meine Partei stimmt daher dieser Novelle sehr gerne zu. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grü­nen.)

13.01


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gelangt nun Frau Bundesrätin Gruber-Pruner. (Heiterkeit.) Verzeihung, Herr Kollege Dönmez gelangt vorher noch zu Wort. – Bitte.

 


13.01.33

Bundesrat Efgani Dönmez, PMM (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Minis­terin! Geschätztes Präsidium! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe ja das Privileg, dass ich nicht mehr viel sagen muss, weil vieles schon gesagt wurde.

Natürlich wird meine Partei diesem Gesetz auch die Zustimmung erteilen, denn es geht in die richtige Richtung. Es ist absolut begrüßenswert, dass Schülerinnen und Schüler Bewegungseinheiten bekommen. Man weiß aus der Hirnforschung, dass das wichtig und richtig ist. Damit man gut lernen kann, muss man nicht nur im Kopf fit sein, son­dern auch der Körper muss fit sein.

Die Kooperationen mit den Vereinen sind wirklich begrüßenswert. Ich glaube, da wer­den sich sicher noch viele andere Synergien über diese Bewegung hinaus ergeben. Ich habe selber, als ich noch in der Flüchtlingsbetreuung gearbeitet habe, junge Flüchtlin­ge mit Schülerinnen und Schülern zusammengebracht, die dann gemeinsam Turnun­terricht hatten. Daraus hat sich eine Lernhilfegruppe ergeben: Die einen haben Eng­lisch gelernt von denen, die Englisch konnten; die anderen haben zu sich nach Hause eingeladen. Es werden sich da sicher noch viele andere Türen öffnen, und die Schüle­rinnen und Schüler, aber auch das Lehrpersonal näher zueinander rücken. Das ist ab­solut positiv.

Ein bisschen ein Wermutstropfen ist für mich, dass das nicht an allen Schulen möglich ist, sondern nur an jenen, wo der Vollausbau gegeben ist. Ich denke, hier sollte man keinen Unterschied machen. Ich weiß, dass das eine Frage der Finanzen ist, aber es ist auch eine Frage der Politik und wo die Prioritäten liegen. Wenn von heute auf mor­gen 300 Millionen € für den Sicherheitsbereich verfügbar sind – womit dann irgend­welche gepanzerten Fahrzeuge oder Helikopter angeschafft werden können –, dann ist es meines Erachtens auch eine Frage der Wertigkeit, dass man diese Gelder auch dem Bildungsbereich zukommen lassen kann, insbesondere in dem Wissen, dass Sie, Frau Bundesministerin, alleine im heurigen Budget schon ein Minus von 300 bis 400 Mil­lionen €, glaube ich, haben werden.

Insgesamt ist der Sitz eines Bildungsministers/einer Bildungsministerin – egal, wer auf dem Sitz sitzt – in Österreich mittlerweile ein Schleudersitz geworden, weil diese The­matik parteipolitisch vereinnahmt wird.

Hat sich jemand den letzten „Report“ angeschaut!? – Dort sind Pädagogen/Pädagogin­nen zur Sprache gekommen und auch Eltern und Schüler, und bei fast allen ist durch­geklungen: Bitte, die Parteipolitik raus aus den Schulen! – Das ist auch der Grund, wa­rum wir uns gegenseitig blockieren und da auch nicht viel weitergeht.


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Es gab einmal einen Ausschuss, und es hat ein Volksbegehren gegeben: Expertinnen und Experten wurden eingeladen, und hier im Hohen Haus gab es viele Diskussions­stunden, mit ganz super Inputs von allen Parteien und ihren gestellten Experten/Exper­tinnen. Nur: Wenn man dann den Sitzungssaal verlassen hat, was ist herausgekom­men? Was ist geschehen? – Eher wenig! Das ist meines Erachtens etwas, worauf man den Fokus richten sollte, nämlich die Parteipolitik aus der Bildung, so weit es geht, zu­rückzudrängen und herauszuhalten.

Sehr geehrte Frau Ministerin, was ich mir von Ihnen wünschen würde – sofern ich ei­nen Wunsch deponieren darf –: SchülerInnen, junge Erwachsene dürfen mit 16 Jahren schon wählen, aber wenn ich mir dann anschaue, welches Rüstzeug wir ihnen mit­geben, uahh! Ich glaube, da zieht es nicht nur mir eine Gänsehaut auf. (Heiterkeit bei Bundesräten der ÖVP.). Es wäre gut, wenn man ab der 7. Schulstufe allen das Fach „Politische Bildung“ zukommen lasse würde, damit sie eben nicht nur mit der Wahl­möglichkeit ausgestattet sind, sondern auch das Rüstzeug und das Wissen haben, ei­ne Entscheidung treffen zu können.

Was meines Erachtens auch noch – und ich glaube, da bin ich nicht allein – in letzter Zeit für Irritationen gesorgt hat und weiterhin sorgt, das sind all diese Aktivitäten um die Zentralmatura. Da gibt es noch Optimierungsbedarf, denn die Verunsicherung der Leh­rer, der Schüler und der Eltern ist kein akzeptabler Zustand.

Was ich mir auch wünschen würde – ich glaube, das passt auch ein bisschen zu dem Tagesordnungspunkt 1, den wir heute diskutiert haben –: Der Konfessions-/Religions­unterricht sollte an und für sich der Steinzeit angehören. Man sollte sich vielmehr Ge­danken darüber machen, ob es nicht auf Höhe der Zeit wäre, diesen durch einen ver­pflichtenden Ethikunterricht zu ersetzen. Dann hätte man vielleicht auch viele gegen­wärtige Diskussionen vielleicht nicht mehr in dieser Intensität, und wenn schon, dann hätten die Leute auch das notwendige Fundament, diese Diskussionen auch zu Ende zu führen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

13.06


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Nun gelangt wirklich Frau Bundesrätin Mag. Gru­ber-Pruner zu Wort. – Bitte.

 


13.06.52

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Liebe Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne meinen Redebeitrag heute mit einem Geständnis: Ich war zu Beginn der Einführung der Ganz­tagsschule eine Skeptikerin, ähnlich wie Frau Mühlwerth. Ich war sehr skeptisch, weil ich zwei Kinder, zwei Buben habe, und meine Befürchtung war, ob durch die Auswei­tung dieser Tagesschulzeit den Kindern nicht Zeit gestohlen wird – Freizeit, die sie für Dinge, die sie gerne machen, zur Verfügung haben – und ob dadurch nicht auch weni­ger Zeit für die Familie übrigbleibt.

Aber ich habe mich dann als Pädagogin mit der Idee der Ganztagsschule auseinander­gesetzt, und zwei Aspekte haben mich im Wesentlichen davon überzeugt, und ich ha­be dann meine Einstellung dazu geändert.

Der erste Aspekt ist der heutige pädagogische Begriff von einer Bildung, der ein sehr umfassender ist. Es geht hier um verschiedenste Bereiche, in denen Kinder permanent an verschiedensten Orten, in verschiedensten Settings lernen. Kinder lernen pausenlos und überall. Sie betätigen sich kreativ und erwerben dadurch unterschiedliche Aus­drucksformen. Kinder agieren mit anderen Menschen und erlernen dadurch Sozialkom­petenz. Kinder bewegen sich gerne, machen dadurch wichtige Körpererfahrungen. Kin­der erwerben Kulturtechniken, wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Kinder experimen-


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tieren mit verschiedensten Materialien und erfahren spielerisch Naturgesetze und wis­senschaftliche Grundlagen. All das ist Bildung, und all das gehört zur gesunden Ent­wicklung eines Menschen. Und diesen Grundstock in diesen verschiedensten Kompe­tenzen wünschen wir uns doch für jeden jungen Menschen, für jedes Kind.

Natürlich weiß man, dass nicht alle Kinder in jedem Bereich dieselben Interessen, Nei­gungen und Begabungen an den Tag legen, aber das ist auch nicht notwendig. Unsere Gesellschaft ist komplex, es gibt eine Riesenfülle an verschiedenen Betätigungsfeldern und Aufgaben, und es ist gar nicht notwendig und gar nicht erwünscht, dass jeder Mensch in jedem Bereich alles kann.

Die Ganztagsschule in ihrer verschränkten Form kommt dieser Fülle, dieser Bandbreite an Lernbereichen am ehesten entgegen, wenn man sich verschiedene Bildungssyste­me anschaut. Dort lernen Kinder über den Tag verteilt in den verschiedensten Be­reichen, und es gibt Raum und Zeit, um eben all diese Lern- und Bildungsbereiche wahrzunehmen. Dort wechseln sich Bewegungsangebote mit Inputs ab, und es gibt gruppendynamische Elemente und Lerneinheiten, und die alle stehen in einer ver­schränkten Ganztagsschule gleichwertig nebeneinander und haben Platz, und Kinder können all diese Erfahrungen machen.

Insofern war meine erste Befürchtung, nämlich dass Kindern Zeit gestohlen wird, ent­kräftet, weil Kinder im Rahmen der Ganztagsschule – im Idealfall in einer solchen in verschränkter Form – einen optimalen Rahmen finden, um genau all diese Interessen und Bedürfnisse auszuleben, auszuprobieren und zu verwirklichen. Wenn die Qualität passt!

Daher ist diese Gesetzesvorlage so ein wichtiger Schritt, weil es damit zu einer Qua­litätsverbesserung kommt, und das ist auch notwendig, denn eine Qualitätsoffensive kann das Bildungssystem sehr gut vertragen.

Noch ein zweiter Aspekt spricht eindeutig für die Ganztagsschule: Kinder kommen, wenn sie in das Bildungssystem eintreten, aus ganz unterschiedlichen Milieus mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen. Manche Kinder haben – Frau Mühlwerth, da ha­ben Sie recht – das Glück, in ein Elternhaus hineingeboren zu werden, in dem sie vom ersten Tag an gefördert werden und so Zugang zu allen Bildungseinrichtungen und -maßnahmen haben. Aber das ist nur ein kleiner Teil der Kinder; vielen Kindern bleiben diese Angebote leider verwehrt.

Da kommt eben wieder die Idee der Ganztagsschule zum Tragen, weil man in diesem Schulsystem allen Kindern – egal, mit welchem Hintergrund sie in die Schule kommen – die verschiedensten Angebote zur Verfügung stellen kann. Alle Kinder sol­len diese Lernbereiche ausprobieren können – unabhängig davon, welche Möglichkei­ten Eltern haben.

Die Ganztagsschule ist ein effektives Instrument, um diese „Vererbung“ von Bildung – für die Österreich leider mittlerweile ja auch schon international bekannt ist –, um diese „Vererbungsspirale“ zu unterbrechen. Die Ganztagsschule hat das Potenzial, Chancen­gleichheit für alle Kinder herzustellen. Insofern hat diese Schulform tatsächlich gesell­schaftspolitische Relevanz.

Zurück aber nun zum vorliegenden Gesetzesvorschlag. Es geht da um eine notwen­dige Qualitätsverbesserung, die wir brauchen, und das geht eben Schritt für Schritt, Herr Längle, aber es lohnt sich, ja es ist notwendig, diesen Schritt zu setzen. Es geht darum, einen Lernbereich, nämlich die tägliche Bewegungseinheit sicherzustellen und dem den notwendigen Rahmen zu geben. Das hat ja auch mit Gesundheitsförderung zu tun; meine Kollegin Reich hat ja schon ausgeführt, wie wichtig das ist.

In diesem Zusammenhang geht es auch um die Ermöglichung von Bildungssystem-Verknüpfungen mit außerschulischer Arbeit, so etwa in Vereinen, und da im speziellen


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Fall mit Sportvereinen. Ich habe das Gefühl, das könnte ein Anfang für noch mehr sein; da gibt es noch mehr Potenzial im außerschulischen Bereich, und zwar über den Sport­bereich hinaus, wo Kooperationen den Bildungsbereich gut ergänzen könnten.

Zum Abschluss: Natürlich wünsche ich mir, dass noch viel mehr Ganztagsschulen in verschränkter Form ausgebaut werden und dass das gelebt werden kann, denn darin sehe ich das größte Potenzial für unser Bildungssystem.

Eine Randbemerkung noch zum Schluss: Das Schulsystem könnte sich da etwas vom Bereich der Elementarpädagogik abschauen, weil in der Elementarpädagogik viele Din­ge, die wir uns von einer fortschrittlichen Schule wünschen, bereits gelebt werden. Und in diesem Fall ist – ausnahmsweise – Abschauen und Schummeln erlaubt. (Beifall bei der SPÖ.)

13.13


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Preineder. – Bitte, Herr Kollege.

 


13.13.34

Bundesrat Martin Preineder (ÖVP, Niederösterreich): Geschätzter Herr Präsident! Frau Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das Bundessportinstitut hat vor Jahren festgestellt, dass nur 25 Prozent aller Mädchen zwischen sechs und 18 Jahren Sport betreiben; bei den Burschen sind es auch nur 33 Prozent; der „Rest“ ist eher unsportlich. 25 Prozent der Kinder sind sogar fettleibig, und diese Fettleibigkeit wird zu 40 Prozent bis ins Alter mitgenommen. Was ist die Schlussfolgerung daraus? – Alle brauchen mehr Bewegung! (Bundesrat Mayer: Bravo!) Es ist gut, Bewegung ins Leben zu bringen – und das ist nicht nur der Schule vorbehalten, sondern uns allen: uns zu bewegen und damit als Vorbild für die Kinder und Jugendlichen aufzutreten.

Worin hat diese Studie gemündet? – Es gab eine Unterschriftenaktion der Bundes-Sport­organisation zum Thema „Tägliche Turnstunde“. 150 844 Unterschriften gab es da­zu – auch ich habe da unterschrieben, und zwar habe ich mir gedacht, Frau Kollegin, wie das sein wird, wenn wir täglich eine Turnstunde haben, wie wir das in den Un­terricht einbauen können. Zweieinhalb Jahre hat es gedauert, bis dieser Gesetzesvor­schlag vorgelegen ist, aber man kann sagen, dabei geht es um ein gutes Gesetz, weil diese Turnstunde nun in den Tagesunterricht eingebaut wird.

Bewegung in der Ganztagsschule ist etwas Vernünftiges, etwas, das wir alle nur un­terstreichen können, eben mit all diesen positiven Aspekten, die ja hier schon erwähnt wurden. Irritiert hat mich nur ein bisschen, dass das heute beschlussmäßig keine Kon­sensmaterie darstellt, sondern dass die Freiheitlichen dagegen stimmen. (Bundesrätin Mühlwerth: Es wäre auch die Halbtagsschule wünschenswert!)

Es könnten da doch wirklich alle dafür sein und da mitstimmen, denn das Argument, das sei zu wenig, kann ich nicht als solches gelten lassen. (Zwischenruf der Bundes­rätin Mühlwerth.) Frau Kollegin Mühlwerth, Sie haben angesprochen, dass Sie auch unterschrieben haben; ebenso haben 183 Nationalratsabgeordnete es sozusagen un­terschrieben. Und dann ist diese Materie nicht einstimmig?! Das verwundert mich dann schon etwas!

Meiner Überzeugung nach geht es da um ein gutes Gesetz, um ein gutes Gesetz, das vor allem jetzt den Ganztagsschulen zugutekommt. Aber als Vertreter meiner Partei sage ich auch: Wir müssen tägliche Bewegung stärker ausbauen, und es ist gut, wenn Bewegung in die Ganztagsschulen kommt. Und mehr Bewegung wünsche ich mir auch für die Schulreform. Alles Gute! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

13.15


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gelangt nun Frau Bundesministerin Hei­nisch-Hosek. – Bitte, Frau Minister.

 



BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 68

13.16.19

Bundesministerin für Bildung und Frauen Gabriele Heinisch-Hosek: Herr Präsi­dent! Hoher Bundesrat! Vielleicht einmal zu Beginn dazu, welche Schulbesuchsmög­lichkeiten unsere Kinder in Österreich vorfinden.

Zunächst einmal die Halbtagsschule, wo nichts am Nachmittag stattfindet, wo zur völlig freien Verfügung die Eltern mit den Kindern oder irgendjemand anderer mit den Kin­dern Zeit verbringt.

Die Halbtagsschule mit Hort am Nachmittag, das ist vorwiegend in den Pflichtschulen in den Ländern so; das ist zu 100 Prozent Ländersache, auch, ob im Hort Sport stattfin­det oder nicht. Je mehr desto besser, sage ich, aber das liegt nicht in Bundeshand.

Weiters: Die Halbtagsschule mit Nachmittagsbetreuung, das ist das, wofür der Bund Geld gibt. Das sind 55 000 €, wenn man in Infrastruktur investiert – und 9 000 € pro Gruppe, wenn man in Personal investiert. Das ist das, wofür jetzt vom Gesamtvolumen zumindest 10 Millionen € für die tägliche Bewegungseinheit zur Verfügung gestellt wer­den.

Anzuführen sind in diesem Zusammenhang – als vierte Form – auch diese 3 Prozent der Ganztagsschule in verschränkter Form, wo Unterricht und Freizeit einander ab­wechseln, wo auch FreizeitpädagogInnen am Vormittag Sport alleine unterrichten könn­ten.

Diese vier Formen also finden unsere Kinder in Österreich vor. Und da ist es doch so, dass es auch in der Halbtagsschule – wo gar nichts am Nachmittag stattfindet, wie ge­rade von Ihnen moniert, Frau Bundesrätin Mühlwerth – möglich wäre, zunächst einmal in der autonomen Stundentafel vier Mal in der Woche Sport zu machen; zwischen einer Stunde und vier Stunden pro Klasse wären möglich. Darüber hinaus gäbe es sogar die Möglichkeit, jeden Tag Sport einzuplanen, wenn man beispielsweise einen anderen Ge­genstand zurücknimmt.

Erinnern wir uns daran: Unter Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer wurden den Volks­schulen zwei Stunden weggenommen: Aus 92 Stunden in vier Schulstufen wurden 90 Stunden. Und leider, leider haben sich die meisten dazu entschieden, die Bewe­gungseinheit, also den Turnunterricht wegzunehmen.

In der Halbtagsschule ist bis zu vier Mal Turnunterricht möglich. In zusätzlichen Ver­ordnungen zu diesem Gesetz wird festgeschrieben werden, dass man die Untergren­zen der Stundentafel nicht mehr unterschreiten darf. Das heißt, früher konnte man in der Volksschule nur eine Stunde Sport in der Woche machen, und das müssen jetzt zumindest drei Stunden – wie es die starre Stundentafel vorgibt – in der ersten und zweiten Klasse sein und mindestens zwei Stunden in der dritten und vierten Klasse.

Wie gesagt, mehr ist immer möglich, wenn man das autonom entscheidet oder wenn man einen Schulversuch anmeldet.

Die Schulversuche wurden hier zwar erwähnt, das ist aber jetzt eigentlich nicht Thema, ich möchte nur sagen, dass rund 2 000 Schulversuche deswegen in Österreich exis­tieren, weil nahezu alle Volksschulen Abkehr nehmen wollen von der Notengebung, um zu einer alternativen Leistungsbeurteilung zu kommen. Weil das noch nicht Kon­sens in der Bundesregierung ist, weil es noch nicht Konsens ist, das für alle möglich zu machen, müssen Schulversuche angemeldet werden.

Wenn wir ein schönes Autonomiepaket schnüren – die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat uns gerade mit einem riesengroßen Schwerpunkt Autonomievorschläge unterbreitet –, dann werden bestimmte Schulversuche Geschichte sein. Das heißt genau, die Hälfte aller Schulversuche sind dann sozusagen gleich einmal weg. – Das zum Thema Schul­versuche.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 69

Und die zwei Mal 400 Millionen €, die vom Bund in die Nachmittagsbetreuung investiert werden – 55 000 € Infrastruktur, 9 000 pro Gruppe für die Personalinvestitionen –, von diesen 80 Millionen € pro Jahr sind zumindest 10 Millionen € für Menschen vorgese­hen, die FreizeitpädagogInnen sind und alleine Sport, Bewegung mit den Kindern be­treiben können, oder für Bewegungscoaches, die eine entsprechende Ausbildung ha­ben und sich das eine oder andere Modul aneignen, damit sie es tun können, und FreizeitpädagogInnen mit dem Schwerpunkt Sport, von denen einige Einheiten an den pädagogischen Hochschulen nachgeholt werden, damit die tägliche Bewegungsein­heit an ganztägigen oder an Halbtagsschulen mit Nachmittagsbetreuung sichergestellt ist.

Es wurde schon gesagt: Je mehr Bewegung desto besser. Das ist natürlich auch schon in der Elementarpädagogik wünschenswert. Da weiß ich, dass der Sportminister einige Millionen Euro investiert, um schon im Elementarschulbereich ganz viel Bewegung hi­neinzubringen. Diese Millionen Euro wurden unlängst aufgestockt. Auch hier gibt es al­so ein Gesamtpaket Bewegung, sofern es die Situation zulässt. Natürlich hätten wir al­le gerne mehr, aber dann müssten wir darüber reden, ob wir den Schulen per Gesetz wieder eine Stunde mehr oktroyieren wollen, denn die wurden ihnen seinerzeit ja auch geschenkt oder weggenommen, je nachdem, wie man es betrachten will: Ist ein Glas halb leer oder halb voll? Das heißt, eine Stunde Sport pro Schultyp, eine Stunde Sport für alle würde bedeuten, die Stundentafeln wieder zu erweitern, und das würde na­türlich auch bedeuten, die Werteinheiten oder Planstellen zur Verfügung stellen zu müs­sen.

Im Moment entspricht das den Möglichkeiten, und es wurde von einigen von ihnen als großer erster Schritt bezeichnet. Ich freue mich sehr, dass es jetzt, nach zweieihalb Jahren gelungen ist, diesen großen ersten Schritt zu tun. Die Tür ist auch offen für die außerschulische Jugendarbeit an unseren Schulen, die Türe ist offen beispielsweise für Musikvereine in unseren Schulen, für all das, was Kinder und Jugendliche benö­tigen und brauchen jenseits dessen, dass sie Wissen vermittelt bekommen, dass sie in der ganztägigen Schule ein warmes Essen zur Verfügung gestellt bekommen. Es geht auch darum, die Kreativität nicht zu kurz kommen zu lassen. Der Weg für Weiterent­wicklungen über die tägliche Bewegungseinheit hinaus ist somit bereitet. Da würde ich mir wünschen, dass wir gemeinsam es schaffen, das so schnell wie möglich umzu­setzen.

Weil immer „die Bildungsreform“ moniert wird: Natürlich ist die Bildung je nach ideo­logischer Ausrichtung so oder so zu betrachten. Im Rahmen der Möglichkeiten ist sie ein Schritt-für-Schritt-Programm, das ich nach bestem Wissen und Gewissen weiter ent­wickeln möchte und auch werde.

Wenn wir demnächst darüber reden werden, wie man die Schulverwaltung neu aufstel­len kann, wie man dabei die Schulen in den Vordergrund stellen kann mit wirklich mehr Freiheiten im pädagogischen Bereich, mit mehr Rücksichtnahme darauf, wo sich eine Schule befindet, und mit mehr Rücksichtnahme darauf, wer in dieser Schule arbeitet, dann können wir das österreichische Bildungssystem meiner Meinung nach weiterent­wickeln. Wir leisten uns ja nicht wenig in diesem Bereich, wir leisten uns einiges an Stunden Lehrerinnen- und Lehrerarbeit. Das sind in Europa im Vergleich weniger.

Wir leisten uns auch einiges unter dem Blickwinkel der Pro-Kopf-Finanzierung, denn auf eine Lehrerin, auf einen Lehrer kommen im Mittelstufenbereich gerade einmal zehn Schülerinnen und Schüler und im Primarbereich 14,3 Schülerinnen und Schüler. Das ist eine Verhältniszahl, die relativ luxuriös anmutet, aber notwendig ist. Ich stehe dazu! Gemessen als Anteil am BIP leisten wir uns in Österreich dabei jedoch nicht die höchs­ten Bildungsausgaben. Wir investieren also viel ins System, aber mit den Gesamtaus­gaben bewegen wir uns dabei durchaus im Durchschnitt.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 70

Mit dem neuen Lehrer-/Lehrerinnendienstrecht werden wir einiges an Veränderung be­wirken, nämlich mehr Stunden in der Klasse und daher auch mehr mit den Kindern ver­brachte Zeit. Das war das Ziel.

Mit diesem Bewegungspaket und dem Abänderungsantrag für Externistinnen-/Externis­tenprüfungen im Rahmen der standardisierten Reifeprüfung gelingen heute zwei wich­tige Schritte. Die Bedingungen für gelingende Bildung werden damit positiv verändert. Am Nachmittag werden wir dann über das eine oder andere, das noch nicht so gut ge­lungen ist – das gebe ich durchaus selbstkritisch zu –, auch noch sprechen können. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie des Bundesrats Dönmez.)

13.24

13.24.10

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Weitere Wortmeldungen hiezu liegen mir nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

13.24.594. Punkt

Strategische Jahresplanung 2015 des Bundesministeriums für Bildung und Frau­en auf der Grundlage des Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission und des Arbeitsprogramms der lettischen Präsidentschaft sowie des 18-Monatspro­gramms der italienischen, lettischen und luxemburgischen Präsidentschaften (III-540-BR/2015 d.B. sowie 9333/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Wir gelangen zum 4. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Reich. Bitte um den Bericht.

 


13.25.18

Berichterstatterin Elisabeth Reich: Herr Präsident! Frau Ministerin! Geschätzte Kol­leginnen und Kollegen! Der Bericht des Ausschusses für Unterricht, Kunst und Kultur liegt in schriftlicher Form vor, beschäftigt sich mit der Strategischen Jahresplanung 2015; ich komme daher gleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Unterricht, Kunst und Kultur stellt nach Beratung der Vorlage am 10. März 2015 den Antrag, die Strategische Jahresplanung 2015 des Bundesministe­riums für Bildung und Frauen auf der Grundlage des Arbeitsprogramms der Europäi­schen Kommission und des Arbeitsprogramms der lettischen Präsidentschaft sowie des 18-Monatsprogramms der italienischen, lettischen und luxemburgischen Präsident­schaften zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Längle. – Bitte.

 


13.26.13

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Sehr geschätzte Frau Ministerin! Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Prinzipiell ist es ja be­grüßenswert, dass wir eine langfristige strategische Planung für den Bereich Bildung haben und diese ebenso auch auf EU-Ebene koordiniert wird. Positiv möchte ich durch­aus auch das Programm Erasmus+ bewerten und ebenso auch, dass hier das österrei­chische beziehungsweise das europäische Semester ausgebaut wurde. Besonders her-


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vorzuheben ist eigentlich auch, dass endlich erkannt wurde, dass die Bildung einen we­sentlichen Bereich innerhalb unserer Gesellschaft einnimmt, prinzipiell eigentlich in je­der Gesellschaft. Die Vermehrung der dafür bereitgestellten Mittel lässt doch immerhin hoffen, dass etwas Positives damit bewirkt wird. Wir wollen aber auch hoffen, dass die Gelder bei den Zuständigen und den Betroffenen ankommen.

Führt man sich vor Augen, dass die Jugendarbeitslosigkeit ein erhebliches Problem in­nerhalb der EU darstellt, so ist in diesem Bereich mit Sicherheit ein dringender Hand­lungsbedarf gegeben. Mit guter Bildung kann dem entgegengewirkt werden. In den süd­lichen EU-Staaten ist dieses Problem noch deutlicher spürbar. Spanien liegt leider als Spitzenreiter im EU-Vergleich ganz hinten und hat eine Jugendarbeitslosigkeit von rund 50 Prozent und bildet damit wie bereits erwähnt das traurige Schlusslicht. (Präsidentin Zwazl übernimmt wieder den Vorsitz.)

Auch andere Staaten wie Italien, Portugal und Griechenland beispielsweise haben eben­falls eine sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit. In Österreich haben wir – und das möchte ich jetzt unter Anführungszeichen setzen – eine „Quote“ von rund 7 Prozent und stehen damit im EU-Vergleich eigentlich doch ziemlich gut da. Was mich daran aber schon stört, ist, dass eben immer davon gesprochen wird, dass Österreich im EU-Vergleich zu den Besten gehört; das mag im EU-Rahmen auch durchaus so stimmen.

Das ist meiner Ansicht nach aber nicht unbedingt positiv, denn eigentlich sollte ja der Grundsatz gelten, dass bereits eine arbeitslose Person schon eine zu viel ist. Wenn wir bei der Jugendarbeitslosigkeit bei 7 Prozent liegen, dann ist das schon etwas, das ei­gentlich geändert gehört. Hoffen wir auch in diesem Bereich wieder, dass Österreich und seine Bundesländer und gerade auch mein Heimatland Vorarlberg nicht vergessen werden und nicht alle EU-Gelder Richtung Süden verschwinden.

Interessant ist auch, dass im Rahmen der Donaustrategie gewisse Gelder auch Nicht-EU-Mitgliedern zugutekommen. (Bundesrätin Kurz: Woher wissen Sie das?) – Wenn Sie sich den Bericht zu Gemüte geführt und nachgefragt hätten, dann wären Sie viel­leicht auch zu dieser Erkenntnis gelangt.

Eigentlich ist es schon auch unglaublich, dass das Ziel dieser Europa-2020-Strategie darauf abzielt, dass die Schulabbruchquote auf unter 10 Prozent sinken soll. Daran wird doch deutlich, dass es gerade im Bildungsbereich auch innerhalb der EU nicht nur eine Messlatte gibt, sondern gleich mehrere. Österreich hat eine Schulabbruchquote von rund 7,5 Prozent und liegt damit wieder im Spitzenfeld der EU. Dies darf aber wiede­rum nicht unsere Messlatte sein. Es muss auch in dem Bereich gesagt werden, dass jeder einzelne Schulabbrecher einer zu viel ist. Hören wir in Österreich doch endlich damit auf, uns zu rühmen, dass wir im EU-Vergleich ganz gut dastehen. (Bundesrat Füller: Sollen wir uns zurückfallen lassen?) Das darf nicht unser Ziel sein. Wir sollten vielmehr darauf achten, dass wir uns mit den Besten wie beispielsweise der Schweiz, Finnland oder auch Norwegen messen, denn auch diese Staaten sind in Europa.

Unsere Kinder verdienen das beste Bildungssystem. Dass wir sagen können, ja, im EU-Vergleich sind wir ganz gut, halte ich letztlich doch irgendwo für eine billige Ausre­de. Im Bildungsbereich gibt es in Österreich, wie bereits in der Debatte davor erwähnt, leider nicht nur eine Baustelle, sondern gleich mehrere. Ich möchte appellieren, dass wir da endlich auch Maßnahmen und Akzente setzen, um schleunigst eine Verbesse­rung herbeiführen zu können. Wir von der FPÖ-Fraktion stehen geschlossen und ent­schieden hinter unserem Heimatland und werden diesem Bericht nicht zustimmen. (Bei­fall bei der FPÖ. – Bundesrat Stadler: Er hat ja eigentlich ganz gut angefangen, aber dann doch wieder schlecht geendet!)

13.31


Präsidentin Sonja Zwazl: Nächste Rednerin: Frau Bundesrätin Mag. Kurz. – Bitte.

 



BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 72

13.31.43

Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Ganz klar, werte Kolleginnen und Kollegen, ist mir jetzt nicht gewor­den, warum die Freiheitlichen nicht zustimmen. Nur weil sie sozusagen voll und ganz hinter Österreich stehen – das ist kein Grund, das abzulehnen, denn wer hier herinnen stünde denn nicht hinter Österreich?! Das wüsste ich jetzt nicht.

Behandeln wir doch das Thema. Es geht ja um eine strategische Jahresplanung, und zwar um eine österreichische strategische Jahresplanung natürlicherweise im Zusam­menhang mit der EU. Es wird ja niemand dagegen sein, dass ich sage, dass es er­freulich ist, dass auch 2015 Bildung wieder eine Schlüsselrolle bei der Erreichung der prioritären Ziele der Europa-2020-Strategie einnimmt. Glücklicherweise ist das ja eine Langzeitstrategie in Europa und nicht kurzfristig gedacht.

Diese Strategie wird gerade der Halbzeitbewertung unterzogen, und es wäre natürlich interessant gewesen, zu erfahren, was dabei herausgekommen ist. Die Ergebnisse kom­men aber erst nächste Woche, sodass wir die jetzt noch nicht miteinbeziehen können.

Klarerweise soll aus Sicht des Ministeriums Bildung auch weiterhin ein Hauptbestand­teil in der Zukunftsstrategie der Europäischen Union sein. Es geht darum, einen chan­cengerechten Zugang zu schaffen und eine hochwertige Bildung, eine hochwertige All­gemeinbildung und bessere Bildungsergebnisse in allen Staaten zu erzielen. Nie darf man sich auf dem ausruhen, was man schon erreicht hat. Es ist schon auf die Schul­abbruchquote hingewiesen worden. Die EU gibt einen Wert von unter 10 Prozent vor, wir haben – haben Sie gesagt – 7,5 Prozent; ich habe von derzeit 7,3 Prozent Schulab­brechern gelesen.

Natürlich rastet sich niemand auf diesem Ergebnis aus. Im Gegenteil: Es ist gerade wie­der vom Bundesministerium für Bildung gemeinsam mit dem Sozialministerium ein Kon­zept vorgelegt worden, nämlich das Konzept Ausbildung bis 18, sodass wirklich jeder junge Mensch – egal, ob Frau, ob Mann, egal, welches Bildungsniveau, welchen Hin­tergrund er/sie haben – die Möglichkeit bekommt, eben nicht in einem Leerraum zu ste­hen. Es ist klar, und da haben Sie schon recht, jede/r Schulabbrecherin/Schulabbre­cher hat weniger Chancen am Arbeitsmarkt und hat dadurch natürlich auch nur ganz wenig Chancen, später einen guten Beruf zu bekommen und das Leben zu führen, das sich eigentlich jede/r wünscht. Und das führt dann zu Entwicklungen, die wir uns alle nicht wünschen, vor allen Dingen dann, wenn es sich um Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund handelt. Da führt dann ja eines zum anderen.

Im Zuge dieser Untersuchung ist auch das Europäische Semester bewertet worden. Da gibt es ja immer länderspezifische Empfehlungen – auch für Österreich sind solche Empfehlungen ausgesprochen worden. Die Empfehlungen machen darauf aufmerksam, was in einem Land noch nicht so gut läuft. Bei uns – wenig überraschend – gibt es im Bereich der frühkindlichen Erziehung noch Nachholbedarf, im Bereich der Kinder mit Migrationshintergrund, was ich bereits angesprochen habe. Es werden auch die durch­aus negativen Konsequenzen angesprochen, die die frühe Leistungsdifferenzierung mit sich bringt. Das heißt: Ganztätig geführte Schulen et cetera. sind eigentlich das, was wir tun sollten. Wir wissen das, aber leider machen wir es nicht – aus bekannten Grün­den, die ich jetzt nicht anführe.

Aktuelle Maßnahmen wie die Verbesserung der Schuleingangsphase, Weiterentwick­lung der Sprach- und Leseförderung zielen natürlich auch auf Erhöhungen des Niveaus der Schülerinnen und Schüler ab. Ein weiterer Teil, der heute bereits angesprochen wor­den ist und nachmittags wohl auch noch einmal eine Rolle spielen wird, ist die Pädago­gInnenbildung Neu, die natürlich eine weitere Säule ist, um diese Ziele zu erreichen.

Herr Kollege Längle hat netterweise auch Erasmus+ angesprochen, ein Programm, das mir wirklich sehr am Herzen liegt. Ich weiß ja in Wirklichkeit schon, warum die Frei-


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heitlichen dagegen sind, weil sie nämlich gegen alles sind, was von der EU kommt, egal, ob es gut oder schlecht ist, sie sind jedenfalls mal dagegen. Bei Erasmus+ ist mir das wirklich völlig unverständlich. Es werden zwischen 2014 und 2020 für dieses Pro­gramm insgesamt 14,7 Milliarden € ausgegeben, und Österreich bekommt davon im Jahr 2015 zum Beispiel 28 Millionen €, 28 Millionen € für Fortbildungsmaßnahmen im Bildungsbereich. So viel Geld würden wir als Staat niemals ausgeben können, um das zu erreichen, was damit erreicht werden kann.

Ich darf Ihnen aus eigener Erfahrung sagen – ich selbst bin ja, wie manche wissen, Professorin an einer HTL; ich habe mit meiner Klasse auch so ein Programm gemacht, aber damals hat es noch nicht Erasmus+ geheißen, sondern Comenius, aber es ist mehr oder minder dasselbe –: Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viel junge Men­schen davon profitieren, wenn sie in ein anderes Land fahren, wenn sie dort in Fami­lien leben, wenn sie sehen, wie die sozialen Gegebenheiten in anderen Ländern sind, wie dort Familien leben – und wie gerne sie wieder nach Österreich zurückkommen, weil sie wissen und dort bestätigt bekommen, wie schön es in Österreich ist.

Diese jungen Menschen erfahren aber nicht nur das, sondern auch, dass die Sorgen, die Probleme, die Nöte von jungen Menschen, die auf einem bestimmten Bildungsni­veau sind, auf der ganzen Welt dieselben sind. Man trifft dort natürlich auf Schülerin­nen und Schüler, die auch in etwa auf demselben Bildungsniveau sind. Das sind Er­fahrungen, die sie niemals machen könnten, würde es diese Unterstützung vonseiten der EU nicht geben, weil das dann einfach nicht finanzierbar wäre.

Es kann wirklich jede Schülerin/jeder Schüler ins Ausland fahren, wertvolle Erfahrun­gen sammeln, weil es diese Förderungen der EU gibt. Je mehr die jungen Menschen zusammenwachsen, desto geringer wird die Chance, dass es je wieder zu Krieg kommt, zu Hass oder geringer Wertschätzung anderer Menschen. Das kann man nur in jungen Jahren wirklich prägen, sodass sie es auch verstehen – und die, die das alles erlebt haben, verstehen es.

Es gibt natürlich noch mehr und andere Prioritäten, die gesetzt werden. Ich möchte hier gar nicht alle erläutern, weil das zu weit führen würde. Ich möchte nur noch die euro­päische Zusammenarbeit im Bereich der Berufsbildung erwähnen, weil das für mich auch ein wichtiges Thema ist. Österreich liegt ja im Bereich der Berufsbildung – wieder ein Bereich, in dem wir uns meiner Meinung nach zu Recht rühmen, im europäischen Vergleich gut zu sein – mit seinen Schulformen wirklich im Spitzenfeld und damit na­türlich auch bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit.

Natürlich stimme ich Ihnen zu, dass jeder arbeitslose Jugendliche einer zu viel ist, aber jeder arbeitet daran, dass es immer weniger werden, und das ist nicht nur im Bildungs­ministerium so, sondern auch im Sozialministerium, daran arbeitet die Frau Präsiden­tin, die hinter mir sitzt, in der Wirtschaftskammer genauso wie Leute in der Arbeiter­kammer, beim AMS oder in sonstigen Einrichtungen. Es ist ein gemeinsames Ziel in diesem Staat, junge Menschen nicht auf der Straße stehen zu lassen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Dönmez.)

Momentan ist es so, dass wir 25 europäische und nichteuropäische Staaten beraten, wie sie auch so ein Konzept einführen können, damit sie eben nicht diese hohen Raten an arbeitslosen Jugendlichen haben.

Es kommt zwar nicht direkt im Bericht vor, aber ein Thema, mit dem ich mich schon seit Ewigkeiten beschäftige, ist der Unterschied zwischen Mädchen und Burschen. Dies wird auch immer wieder durch verschiedene Studien belegt, zuletzt durch den erstmals vorgelegten OECD-Bericht, der vor nicht ganz einer Woche, glaube ich, vorgelegt wor­den ist. Dieser Bericht kommt wiederum zu dem Schluss, dass es zwar augenschein­lich ist, dass diese unterschiedlichen Resultate im Bereich der Lesekompetenz und im


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Bereich der Mathematikkompetenz bei unseren jungen Menschen und Kindern festge­stellt werden, dass es aber – was wiederum Leute wie ich feststellen, die sich seit bald einmal Jahrzehnten, glaube ich, im Gender-Bereich bewegen – diese unterschiedlichen Begabungen gar nicht gibt, sondern dass das alles gemacht ist, immer noch gemacht ist. Da ist es, denke ich mir, auch wichtig, einmal den Fokus verstärkt darauf zu legen.

Ich weiß, es wird in der LehrerInnenbildung Neu schon eine Anstrengung geben im Hinblick auf Gender-Mainstreaming, auf Gender-Gerechtigkeit und Gender-gerechtes Un­terrichten. Aber ich denke, da gilt es, noch einiges zu tun und einige Leute sozusagen ein bisschen verstärkt zu motivieren, dass da in der LehrerInnenbildung Neu noch mehr in der Grundausbildung erfolgt, aber auch in der Fort- und Weiterbildung, weil es nicht notwendig ist, sage ich einmal, dass aus unseren Schulen Mädchen herauskom­men, die glauben, sie können nicht in einen technischen Beruf gehen – immer noch! –, und Burschen hinausgehen, deren Lesekapazität unzureichend ist. Das ist nicht not­wendig in einem Land wie Österreich! Ich denke, da müssen wir wirklich noch etwas machen.

Der Bericht bezieht sich ja nicht nur auf Bildung, wiewohl das heute unser Schwer­punktthema ist, auch das Schwerpunktthema dieses Berichtes. Allerdings gibt es im Frauenbereich auch drei Gesetzesvorhaben, die in der nächsten Zeit auf uns zukom­men werden, Legislativvorhaben – die gibt es im Bildungsbereich in dieser Phase nicht –, und zwar den Vorschlag für eine Richtlinie zur Anwendung des Grundsatzes der Gleich­behandlung ungeachtet der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Al­ters und der sexuellen Ausrichtung, die sogenannte Antidiskriminierungsrichtlinie, die wir ja schon haben, die auch in Kraft ist, die aber wieder überarbeitet wird.

Ein weiterer Vorschlag betrifft eine ausgewogene Vertretung von Frauen und Männern unter den jetzt nichtgeschäftsführenden DirektorInnen und Aufsichtsratsmitgliedern bör­sennotierter Gesellschaften. Ich denke, es wird in Österreich noch eine heftige Debatte darüber geben, wie wir das schaffen. Wir haben ja noch nicht einmal die börsennotier­ten so wirklich erreicht, weil es da irgendwie immer Widerstände gibt, was ich gar nicht verstehe – aber wir werden das dann diskutieren.

Es gibt auch noch einen Vorschlag zur Änderung der Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöch­nerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz. Das ist das dritte Legisla­tivvorhaben. Das wird, denke ich, auch in Österreich Eingang finden, wiewohl wir da mit unseren Schutzbestimmungen ja schon sehr, sehr weit sind und ich mir kaum vor­stellen kann, dass dann von der EU weitere kommen, die wir noch nicht eingeführt hät­ten.

Ja, das war es heute zur Strategischen Jahresplanung. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

13.43


Präsidentin Sonja Zwazl: Bevor ich Herrn Bundesrat Köberl das Wort erteile, begrüße ich recht herzlich Herrn Bundesminister Brandstetter. Herr Minister, ich bedanke mich, ein herzliches Willkommen im Bundesrat! (Allgemeiner Beifall.)

Nächster Redner: Herr Bundesrat Köberl. – Bitte.

 


13.43.26

Bundesrat Günther Köberl (ÖVP, Steiermark): Geschätzte Frau Präsidentin! Frau Bun­desminister! Herr Bundesminister! Obwohl ich Frauen sehr schätze, werde ich in mei­nem Redebetrag auf den Bereich Bildung näher eingehen. Ich bin dankbar dafür, dass Frau Kollegin Kurz den Bereich Frauen und Gleichstellung abgedeckt hat.

Das Arbeitsprogramm 2015 der Europäischen Kommission beinhaltet im Bereich der Bildung keine legistischen Initiativen. Das heißt, hier wird es zu keinen gesetzlichen Din-


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gen kommen, aber – das haben wir schon gehört – wir sind sozusagen in der Halbzeit­pause oder am Ende der ersten Halbzeit, was diese Strategie 2020 betrifft. Es gibt derzeit eine Halbzeitbewertung. Dennoch zeigt sich klar – und diesen Weg ist Öster­reich auch gegangen –, dass in Zeiten der Krise Investitionen in Bildung als langfristige wachstumsfördernde Maßnahme besonders wichtig sind. Ich hoffe, darüber sind wir uns alle einig, auch wenn manche diesen Bericht ablehnen.

Die lettische Ratspräsidentschaft stellt den gemeinsamen Bericht von Kommission und Rat zum strategischen Rahmen „Education and Training 2020“ in den Mittelpunkt. Da­rin werden die Fortschritte und die vereinbarten Ziele bewertet und neue Prioritäten für den kommenden Arbeitszyklus von 2015 bis 2017 festgelegt. Ein wichtiger Bereich un­ter der lettischen Präsidentschaft ist die Förderung von Kreativität, Innovation und digi­talen Fertigkeiten. Die Förderung digitaler Fertigkeiten ist ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zu einem digitalen EU-Binnenmarkt.

Was versteht man unter diesen digitalen Fertigkeiten? – Ich bin beim Recherchieren für meinen Redebeitrag auch ein bisschen im Internet unterwegs gewesen, dort heißt es: „E-Skills for Jobs 2015/2016: Eine Kommunikationskampagne zur Bewusstseinsförde­rung“. Was sind E-Skills? – Wir bezeichnen damit Kompetenzen, die Personen oder Unternehmen benötigen, um innerhalb einer globalen Informationswirtschaft wettbewerbs­fähig zu sein.

Lassen Sie mich das anders formulieren: Ich habe es selbst erlebt, da ich auch im Schuldienst tätig bin, dass einer, der bei uns in die erste Klasse der Neuen Mittelschule geht, die erste Stunde am Computer verbracht und dort von einer Kollegin sozusagen die grundlegende Einführung erhalten hat. Die Kollegin hat irgendetwas falsch ge­macht, worauf der kleine Franz – so hat er, glaube ich, geheißen – gesagt hat: Frau Lehrerin, darf ich Ihnen helfen? – Und er hat ihr helfen können. Das heißt, dort sind Fertigkeiten und Fähigkeiten oft schon sehr weit und viel weiter, als wir das annehmen.

Das ist auch notwendig, um die Herausforderungen anzunehmen, denn wir wissen – und diese Kampagne zielt auch darauf ab –, dass das Bewusstsein für digitale Fertigkeiten im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien einfach zu steigern ist, wenn wir in Österreich, wenn wir aber auch als Gesamteuropa erfolgreich sein wollen.

Einen weiteren Schwerpunkt hat meine Vorrednerin, Frau Kollegin Kurz, schon ange­sprochen: Das ist die Zusammenarbeit bei der Berufsbildung. Darauf darf ich dann noch kurz eingehen.

Was mir persönlich auch gefallen hat, ist die Vorausschau – obwohl es dort noch kei­nen definierten Schwerpunkt gibt –, dass die luxemburgische Präsidentschaft den Schwer­punkt auf die Mehrsprachigkeit in der Bildung legen wird. Ich war kürzlich in Riga bei der Tagung über Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und bin dort mit dem Taxi vom Flughafen zum Hotel gefahren, dabei wurde ich in ein Gespräch mit dem Taxifah­rer verwickelt. Er hat perfekt Deutsch gesprochen und hat mir von seinen Kindern er­zählt – eine Tochter ist in Amerika, ein Sohn in China –, worauf ich ihn gefragt habe, wie denn das mit den Sprachen geht. Seine Tochter spricht sechs Sprachen, der Sohn spricht fünf Sprachen. Dort wächst man so auf, und dort ist nicht nur die Zweispra­chigkeit, sondern Drei- oder Viersprachigkeit gefragt. Den Menschen, die es verstehen, sich auch mit anderen zu unterhalten und sie zu verstehen, wird die Zukunft gehören! Darauf müssen und werden wir in Österreich auch reagieren, davon bin ich überzeugt.

Es wurde von Kollegen Längle und auch von Kollegin Kurz schon die Schulabbrecher­quote angesprochen, diese beträgt in Österreich 7,3 Prozent. Im europäischen Schnitt liegen wir damit gut, wenn man nur darauf verweist – ich habe mir das jetzt noch schnell ausgedruckt –, dass Spanien mit 24 Prozent, Malta mit 22 Prozent und auch


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das in Bildungsfragen so hochgelobte Finnland mit 8,9 Prozent noch vor Österreich lie­gen. Am besten liegt Slowenien mit 4,4 Prozent. Es ist daran zu arbeiten, und ich sage Ihnen, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, es ist jeder zu viel, der durch dieses Sys­tem fällt. Es wird uns aber nicht gelingen – das sagt mir meine Erfahrung als Lehrer –, diese Quote auf null zu senken. Wir sind da jedoch auf einem guten Weg.

Wir haben auch gehört, dass wir sozusagen die obere Marke, was die Qualifikation im tertiären Bildungssektor betrifft, wo 40 Prozent das Ziel sind, mit über 38 Prozent schön langsam erreichen. Hier geht man auf dem richtigen Weg, wobei man immer auch das eine mit dem anderen vergleichen soll, und da wissen wir, dass gewisse Berufsqualifi­kationen, die in anderen europäischen Ländern zum tertiären Bildungssektor zählen, in Österreich nicht dabei sind.

Ich habe diese Punkte schon erwähnt und darf auch noch einmal zum Programm Eras­mus+ kommen: eine tolle Sache! Ich habe in der Ausschusssitzung dazu auch eine Frage gestellt, weil ich weiß, dass wir an unserer Schule über ein Comenius-Projekt so ein Projekt laufen hatten, das jetzt auch in Erasmus+ hineinfällt. Wir haben gehört, in diesem Jahr stehen dafür 28 Millionen € zur Verfügung. Es hat aber – darüber wurde ich aufgeklärt, und die Mitarbeiterin des Ministeriums ist, glaube ich, heute hier – auch dort Nachjustierungen gegeben.

Es war mit dieser ersten Überführung in Erasmus+ nicht ganz so einfach für die Be­troffenen, diese Dinge zu managen. Dort hat es Nachbesserungen gegeben, sodass es jetzt möglich ist, dass auch wieder Schülerinnen und Schüler unter 14 Jahren an sol­chen Reisen teilnehmen. Ich glaube, das ist ganz, ganz entscheidend, und möchte das unterstreichen, was auch Kollegin Kurz angesprochen hat: All diejenigen Jugendlichen, die einmal über den Tellerrand hinausblicken durften und andere Länder kennengelernt haben, andere Jugendliche, und sich mit denen unterhalten haben – dort stellt man auch fest, das ist der beste Weg, um Fremdsprachen zu lernen –, die kommen drauf, dass dieses Europa und weiter darüber hinaus auch eine große Herausforderung ist. All das, was man dort gesehen und erfahren hat, ist etwas, was einen für sein Leben prägt.

Ich war davon beeindruckt, dass vor drei Jahren bei uns in der Polytechnischen Schule zwei dänische Kinder ein Schuljahr absolviert haben. Dort ist es möglich, das zehnte Schuljahr sozusagen freiwillig in irgendeiner Schulform zu absolvieren; sie sind nach Österreich gegangen, um die deutsche Sprache zu lernen. Noch heute bestehen Kon­takte zu diesen jungen Damen und Herren, muss man jetzt sagen. Das ist etwas, was verbindet und was ganz, ganz wichtig ist! Diese Verbindungen in Europa können wir über die Jugend verbessern, das ist ein ganz wesentlicher Punkt.

Die Donauraumstrategie wurde auch schon angesprochen. Ich denke, dass eine Zu­sammenarbeit dieser Länder – davon sind EU-Länder umfasst, aber auch Beitrittskan­didaten sowie Moldawien und die Ukraine, eine derzeitige Krisenregion – eine Chance dafür ist, in einer bestimmten Region Europas, die eine lange gemeinsame Geschichte hat, wieder ein Stück näher zusammenzurücken.

Das Thema Bildung wird uns heute ja noch einmal beschäftigen. Ich denke, dass über die nationalen Vorhaben hinaus eine europäische strategische Planung im Bereich der Bildung etwas ganz Wesentliches ist und dass wir von unserer Fraktion die Inhalte die­ser Strategischen Jahresplanung unterstützen werden. – Danke. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)


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13.52


Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dönmez. – Bitte.

 


13.52.27

Bundesrat Efgani Dönmez, PMM (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrte Herren Mi­nister! Sehr geehrte Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Vieles wur­de schon gesagt. Lieber Kollege Köberl, mir sind die Frauenangelegenheiten und Frau­engleichberechtigung sehr wichtig, ebenso auch das Thema Bildung, darum werde ich zu beiden ganz kurz etwas sagen; vieles haben Sie ohnehin schon vollkommen richtig angemerkt.

Ich sehe es selber bei meinen Kindern: Sie wachsen jetzt zweisprachig auf, das ist überhaupt kein Problem. Wenn sie in die Pflichtschule kommen, kommt noch eine dritte Sprache dazu, vielleicht dann auch noch eine vierte. Das ist die Zukunft. Es wird Normalität sein, dass es in Europa und über Europa hinaus Menschen gibt, die drei und mehr Sprachen sprechen und nicht mehr nur zweisprachig sind. Auch da müssen wir mit unserem Bildungssystem die adäquaten Rahmenbedingungen schaffen, dass wir dieses Potenzial heben und fördern können. Letztendlich, glaube ich, haben dann wir alle etwas davon.

Die Frauengleichstellung ist angesprochen worden. Wir schreiben das Jahr 2015 und müssen noch immer über die Gleichstellung von Frauen diskutieren – ich finde das, ehr­lich gesagt, sehr, sehr beschämend! Da brauche ich jetzt zum Vergleich nicht irgend­welche Länder heranzuziehen, wo Kinder bei lebendigem Leib in die Grube versenkt werden, nur weil sie als Mädchen geboren worden sind. So wild ist es bei uns zum Glück nicht, aber wir haben doch massive Ungleichbehandlungen.

Wenn man sich anschaut, dass eine Frau für die gleiche Tätigkeit bis zu 25 Prozent weniger bekommt, dann ist das eine Ungleichberechtigung, die wir einfach nicht hin­nehmen können. Dagegen müssen wir alle gemeinsam aufschreien und ankämpfen. Auch wenn eine Universität wie der Wiener Universität seit ihrem Bestehen – und das sind doch über 650 Jahre – noch keine einzige weibliche Rektorin hatte, werfen sich mir Fragen auf, wie denn so etwas sein kann.

Da bin ich schon bei den Männerseilschaften: Es ist schon gut, wenn wir einmal so von Mann zu Mann beieinander sitzen, aber es darf nicht sein, dass das Bastionen sind, wo Frauen nicht eindringen können oder vordringen können oder hochkommen. Diese glä­serne Decke müssen wir gemeinsam zu Bruch bringen! Das kann nicht sein, und das dürfen wir auch nicht weiter hinnehmen. – Das zum Bereich der Gleichstellung.

Zum Bereich der Bildung möchte ich Folgendes anmerken: Ja, wir haben eine niedrige, im Vergleich mit allen anderen europäischen Ländern eine der niedrigsten Schulabbre­cherquoten, aber wenn wir ganz genau hinschauen, dann erkennen wir, dass bei uns doch sehr viele Jugendliche in AMS-Schulungen abgeschoben werden, in überbetrieb­liche Werkstätten, Menschen mit Beeinträchtigungen in die Sonderschulen ... (Bundes­rat Todt: Aber „abgeschoben“ werden sie nicht, oder?) – In die Sonderschulen schon.

Das ist auch etwas, was kritisiert worden ist: dass Menschen mit Beeinträchtigungen – denn behindern tut sie immer noch die Gesellschaft, das ist mein Zugang – in speziel­len Schulen konzentriert werden; und wenn man dann genau hinschaut, sieht man, der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist eklatant hoch. Da möchte ich schon die systemische Brille aufsetzen und genau darauf hinschauen, ob da nicht ein Fehler im System ist – aber das sind Diskussionen, die wir noch führen müssen.

Wir wissen aus der Wirtschaft, dass sich viele Lehrherren/Lehrherrinnen darüber be­klagen, dass die Lehrlinge Grundkenntnisse teilweise gar nicht haben, die Kulturtech­niken wie Lesen, Schreiben, Rechnen. Es ist zwar schön und gut, wenn wir Pilotpro­jekte haben, aber ich denke, wir sollten den Fokus viel mehr darauf legen, dass diese Grundkompetenzen verstärkt und geschärft gehören. Auch da, glaube ich, gibt es noch einiges zu verbessern.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 78

In dem Bericht steht auch, dass ein chancengerechter Zugang zu einer hochwertigen allgemeinen und beruflichen Bildung Priorität sein sollte. Ich leite daraus ab und ver­stehe das so, dass hier auch seitens der Kommission eigentlich erkannt wird, dass die gemeinsame Schule doch nicht so das Falsche ist, dass sie zu einer Erhöhung der Chancengleichheit und ‑gerechtigkeit beiträgt und eben dadurch spätere Bildungsweg­entscheidungen getroffen werden. Ich glaube, das kann nur im Sinne der betroffenen Kinder und Jugendlichen sein.

Weiters wurde angeführt, dass Bildungs- und Innovationssysteme weniger gut ausge­stattet sind und weniger Finanzmittel als die wichtigsten globalen Mitbewerbern der EU zur Verfügung haben. Ich weiß, das Bildungsbudget ist sehr angespannt. Das ist eine Aufgabe, die nicht die Bildungsministerin allein schultern kann, sondern gemeinsam mit der Bundesregierung, im Einvernehmen mit dem Finanzminister, der seit Jahren und Jahrzehnten von der ÖVP gestellt wird. Es ist eine politische Entscheidung, worauf wir den Fokus legen. Gerade in Zeiten eines internationalen, globalen Wettbewerbs ist Bil­dung das Um und Auf, das steht ja auch in einem der ersten Sätze dieser Strategi­schen Jahresplanung. Dahin müssten wir viel mehr, viel fokussierter den Blick richten.

Die Empfehlungen der Kommission bekräftigen die aktuellen Reformen des Ministe­riums. Da würde ich gerne nachfragen, sehr geehrte Frau Ministerin, was denn die ak­tuellen Reformen sind. Wenn es die Schuleingangsphase ist: Da laufen meines Wis­sens zurzeit 35 Pilotprojekte, also Pilotschulen, und es ist de facto kein Geld dafür vorhanden. Wenn wir uns den Bereich der Sprachförderung anschauen – da hat auch Kollege Köberl herausgearbeitet, wie wichtig das ist –: Da ist die Qualität nicht gesi­chert, und die Ausbildung bei den Pädagogen muss auch noch verbessert werden, was das betrifft, Testformate, Evaluierung und so weiter.

Dem Ministerium fehlen da ohnehin schon Gelder, daher weiß ich nicht, was damit gemeint ist, wenn es begrüßt wird, dass die wachstumsfördernde Wirkung von Bil­dungsinvestitionen und die Priorisierung von Investitionen in Bildung im aktuellen Jah­reswachstumsbericht erwähnt werden. Was ist das dann, und woher wird das Geld genommen, sehr geehrte Frau Ministerin?

Zuletzt möchte ich noch ganz kurz die Nationalagentur ansprechen, bei der das alles sozusagen abgewickelt wird: Hier gibt es Rückmeldungen, dass die Abwicklung sehr kompliziert ist und dass man fast schon eigene Leute braucht, die sich mit diesem ganzen Förderwesen und Abwicklungswesen gut auskennen, damit man irgendwie auch nur an die Fördertöpfe herankommt.

Das sind Punkte, die wir sicher noch verbessern müssen, aber wir werden dieser Stra­tegischen Jahresplanung natürlich unsere Zustimmung erteilen. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

14.00


Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesminister Heinisch-Hosek. – Bitte.

 


14.00.18

Bundesministerin für Bildung und Frauen Gabriele Heinisch-Hosek: Frau Präsiden­tin! Hoher Bundesrat! Als Frauenministerin möchte ich zu den von Frau Bundesrätin Kurz genannten drei Richtlinien, die derzeit in Vorbereitung sind, darauf hinweisen, dass die Mutterschutzrichtlinie in Österreich insofern keine Rolle spielen wird, als wir sehr gute Mutterschutzbedingungen und -gesetze haben und wir keinesfalls den Fehler machen werden, hinter unsere guten Regelungen mit acht Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt zurückzugehen.

Wir dürfen nicht vergessen, in manchen europäischen Ländern gibt es überhaupt kei­nen Anspruch auf Karenzzeit. Diese Richtlinie, die sich auf 20 Wochen Mutterschutz be-


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 79

zieht, bezieht alles ein – diese 8 Wochen nach der Geburt und Karenzregelungen, und wir haben ja die 8 Wochen und verschiedene Formen der Möglichkeiten der Karenz, auch der geteilten Karenz. Das ist das eine.

Hinsichtlich der zweiten Richtlinie, die in Vorbereitung ist, der Antidiskriminierungsricht­linie, würde ich mir im dritten Anlauf wünschen, dass wir das Levelling-up in Österreich schaffen, denn zweimal ist es schon daran gescheitert, dass auf der einen Seite der Koalitionspartner – ich muss es sagen – gemeint hat, die Europäische Union hätte noch nichts vorbereitet, diese sei jetzt auf einem guten Weg, etwas vorzubereiten, und auf der anderen Seite auch die unternehmerische Freiheit – etwa die Frage, wem ich was vermiete – eine Rolle gespielt hat, und ich weiß auch, dass Teile der katholischen Kirche sehr skeptisch waren, dass man damit Antidiskriminierung in Österreich auf Nicht­arbeitsbereiche ausweitet. Wir sind trotzdem nicht minder motiviert, beim Levelling-up einen dritten Anlauf zu nehmen, und vielleicht kann das Kollegen Hundstorfer, in des­sen Gesetzesmaterie das hineinfällt, demnächst gelingen.

Der dritte Bereich ist natürlich auch ein Dauerbrenner, Deutschland hat jetzt die Quote für börsennotierte Unternehmen, mit 30 Prozent ab 2016, und in allen anderen Berei­chen eine sogenannte Flexiquote. Wir haben sehr gute Ergebnisse mit den staatsna­hen Unternehmen, da sind wir bei 37 Prozent gelandet, als wir uns die Selbstverpflich­tung, sprich eine Quotenregelung, auferlegt haben, und es sind Spitzenfrauen, die sich nun in diesen Positionen befinden. Der nächste Schritt, der mir als Frauenministerin sehr wichtig wäre, ist der, auch für die Privatwirtschaft – im ersten Schritt nur für bör­sennotierte Unternehmen – eine Quotenregelung in Stufen einzuführen. Daran werde ich weiterarbeiten.

Ein weiteres Thema im Bereich Frauen und Gleichstellung betrifft die Erhöhung der Er­werbsbeteiligung. Ich glaube, man kann uns nicht vorwerfen, dass wir keine hohe Er­werbsbeteiligung hätten, wir müssen nur immer unterscheiden, ob das Vollzeitäquiva­lente oder Teilzeitäquivalente sind. 48 Prozent der Frauen, die arbeiten, arbeiten mitt­lerweile Teilzeit, und das sind nicht 30-Stunden-Arbeitsverhältnisse, bei denen man von verkürzter Vollzeit sprechen könnte, sondern das sind Arbeitsplätze mit 15, 20 Stunden in Branchen, die nicht so gut bezahlt sind. Da wäre es für Frauen schon sehr heraus­fordernd, einen Monat lang auskommen zu müssen, wenn sie unser soziales Siche­rungssystem nicht hätten.

Ein Dauerbrenner ist ohne Frage das Thema Lohnschere. Natürlich wäre es wün­schenswert und wichtig, dass man für Teilzeit und Vollzeit den gleichen Stundenlohn erhalten würde. Nach Branchen aufgeschlüsselt ist es leider nicht immer so. Deutsch­land hat jetzt 8,50 € gesetzlich festgelegt. Ich bin nach wie vor für kollektivvertragliche Lohnverhandlungen, das ist ganz wichtig in Österreich, aber es wäre wohl das Mindes­te, diese 1 500 € Mindestlohn in jenen Branchen, in denen es ihn noch nicht gibt, und an­dere Sicherungssysteme anzugehen.

Zum Thema Gewaltschutz gibt es auch ein EU-gefördertes, großes Projekt, das wir ge­rade in Österreich initiieren konnten, sonst wäre es nicht leistbar gewesen: die Kam­pagne „GewaltFREI leben“, mit der wir schon weit über 1 000 junge Menschen in Work­shops erreichen konnten, die einfach für sich selbst Konfliktlösungsstrategien und De­radikalisierungsstrategien erarbeiten. Ich glaube, dass es ohne die Europäische Union nicht möglich wäre, das so vielen jungen Menschen zuteilwerden zu lassen, abgese­hen davon, dass wir bei den Themen Frauen, Gewaltschutz und Gleichstellung und mit unseren Gewaltschutzgesetzen den großen Vorteil haben, unsere Gesetzeslage ande­ren Ländern darstellen zu können, damit auch sie diese Fortschritte, die wir hier er­reicht haben, nachempfinden und nachmachen können.

Das ist zum Bereich Frauenangelegenheiten und Gleichstellung zu sagen.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 80

Im Bildungsbereich wurde von Vorrednerinnen und Vorrednern schon sehr viel Positi­ves erwähnt, nicht nur, dass Bildung für Europa eines der fünf Kernziele ist, ist auch bei einer in den 2020-Zielen angepeilten SchulabbrecherInnenquote von unter 10 Pro­zent jene in Österreich mit 7,3 Prozent sehr positiv zu bewerten. Aber natürlich ist daran zu arbeiten – mit der Ausbildungsgarantie, mit der Ausbildungspflicht, dass wir Jugendlichen bis 18 Jahren eine Möglichkeit einräumen, in irgendeiner Form der Aus­bildung sein zu können –, damit wir diese Quote noch weiter absenken können.

Sie dürfen nicht vergessen, Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher werden auch über die Initiative Erwachsenenbildung insofern gefördert, als sie Bildungsabschlüsse nachholen können. Auch hier gibt es wieder EU-Gelder, ESF-Mittel, die wir verdoppeln konnten, damit die Basisbildung, diese Grundkompetenzen Lesen, Schreiben, Rechnen und IKT trainiert werden, aber auch Pflichtschulabschlüsse nachgeholt werden können. Hätten wir das nicht, könnten wir nicht 20 000 Menschen – und da sind auch Jugend­liche dabei – einen Pflichtschulabschluss oder eine Basisbildung zuteilwerden lassen. Auch hier ist wieder EU-Hilfe notwendig.

Auch mit der Donauraumstrategie, die erwähnt wurde, können wir unser Know-how in diesen Ländern nicht nur schon seit Jahren verbreiten, sondern auch von diesen Län­dern lernen. Das darf man nie unterschätzen, dass hier gegenseitiges Profitieren an der Tagesordnung ist und dass die Donauraumstrategie, hauptsächlich abgehandelt durch KulturKontakt Austria, auch ein wichtiges, großes Projekt darstellt.

Bei Erasmus+ wurden abwicklungstechnisch Vereinfachungen vorgenommen – ich hof­fe, dass das in Zukunft nicht mehr so kompliziert ist –, aber durch unsere Kofinanzie­rung agieren wir so vorbildhaft, dass wir auch Restmittel, die in der Europäischen Uni­on nicht abgeholt werden, lukrieren können. Das ist besonders bemerkenswert, da wir hier vorbildhaft sind, weil wir eine Kofinanzierung haben.

Bei diesen 28 Millionen €, die Österreich zustehen, können wir uns nicht nur 100 Pro­zent vom EU-Geld holen, sondern auch darüber hinaus, wenn andere Länder Gelder nicht abholen, Geld lukrieren und noch mehr jungen Menschen die Möglichkeit bieten, Auslandserfahrung zu machen – ob Lehrling, Schülerin oder Schüler ist ganz egal, es ist für alle Gruppen möglich. Man darf nicht vergessen, als einer der ganz wenigen Bereiche in der Europäischen Kommission stellt die 40-prozentige Steigerung für den Erasmus+-Bereich, das heißt für Bildung für junge Menschen, eine Ausnahme dar, denn fast überall sind die Mittel entweder gleich geblieben oder gekürzt worden.

Ich hoffe, dass Sie diesen Bericht zur Kenntnis nehmen können und unsere Bemühun­gen bis 2020 auch Früchte tragen werden. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Bun­desräten der ÖVP.)

14.08

14.08.10

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlos­sen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist mehr­heitlich angenommen.

14.08.425. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2015 betreffend Drittes Zusatzpro­tokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen (374 d.B. und 462 d.B. so­wie 9330/BR d.B.)

 



BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 81

Präsidentin Sonja Zwazl: Wir gelangen nun zu Punkt 5 der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Winkler. Bitte um den Bericht.

 


14.09.03

Berichterstatterin Ingrid Winkler: Frau Präsidentin! Herr Minister! Ich darf den Be­richt des Justizausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 25. Febru­ar 2015 betreffend Drittes Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsüberein­kommen bringen. Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, deshalb darf ich gleich zur Antragstellung kommen.

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 10. März 2015 mit Stimmen­einhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gelangt Herr Bundesminister Brandstetter. – Bitte.

 


14.09.49

Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Sehr geehrte Frau Präsiden­tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Bundesräte! Spröde Materie, gedämpftes Interesse Ihrerseits, ich fasse mich daher sehr kurz:

Im Rahmen des Europarats wurde das Dritte Zusatzprotokoll zum Europäischen Aus­lieferungsübereinkommen vom 10. November 2010 erarbeitet, das von Österreich zwar unterzeichnet, aber bisher nicht ratifiziert wurde.

Dieses Zusatzprotokoll, so viel zum Inhalt, sieht im Wesentlichen vor, dass die Auslie­ferung mit Zustimmung der auszuliefernden Person bereits auf der Grundlage des Fahn­dungsersuchens bewilligt werden kann. Darüber hinaus werden die Durchführung des Auslieferungsverfahrens und die Übergabe der gesuchten Person an den ersuchenden Staat an kurze Fristen gebunden, wodurch die Dauer der Auslieferungsverfahren und auch der Auslieferungshaft verringert werden kann, wodurch natürlich auch Haftkosten eingespart werden können.

Ja, wir machen die Dinge wieder einfach, wo es geht und wo es Sinn macht. Bitte, hel­fen Sie uns dabei! Das war jetzt dem Thema angepasst eine sehr gekürzte und verein­fachte Version meines Redebeitrags. – Danke. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen so­wie Bravorufe bei der ÖVP.)

14.11

14.11.10

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Wünscht dazu noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenom­men.

14.11.316. Punkt

Jahresvorschau des BMJ auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitspro­gramms der Europäischen Kommission für 2015 sowie des Achtzehnmonatspro­gramms des italienischen, lettischen und luxemburgischen Ratsvorsitzes (III-537-BR/2015 d.B. sowie 9331/BR d.B.)

 



BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 82

Präsidentin Sonja Zwazl: Wir gelangen nun zu Tagesordnungspunkt 6.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Winkler. Bitte um den Bericht.

 


14.11.58

Berichterstatterin Ingrid Winkler: Sehr verehrte Frau Präsidentin! Werter Herr Justiz­minister! Ich bringe den Bericht, wie von der Frau Präsidentin erwähnt und in schriftli­cher Form vorliegend, und darf gleich mit der Antragstellung fortsetzen.

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 10. März 2015 den Antrag, die Jahresvorschau des BMJ auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2015 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des ita­lienischen, lettischen und luxemburgischen Ratsvorsitzes zur Kenntnis zu nehmen.

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mayer. – Bitte.

 


14.12.56

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Vorschau des Bundesminis­teriums für Justiz auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Euro­päischen Kommission für 2015 bleibt anzumerken, dass es seit vielen Jahren, ja fast Jahrzehnten ein einstimmiger Bericht ist, dem auch die Freiheitlichen zustimmen wer­den. Das freut mich natürlich in besonderer Art und Weise. Es ist ein guter, eigentlich muss man sagen, ein sehr guter Bericht. Ich bin auch geneigt, ihn vorzulesen. Die 67 Seiten hätten es sich wirklich verdient, Herr Minister. (Heiterkeit.) Das würde aller­dings den Rahmen sprengen, denn wir haben um 16 Uhr eine Dringliche Anfrage.

Zur Kommission: Die neue Kommission hat sich vorgenommen, unter Berücksichtigung der Grundsätze der Subsidiarität, der Transparenz und der Rechenschaft wieder Ver­trauen in der EU aufzubauen, wiederherzustellen und den Bürgerinnen und Bürgern eine gute Perspektive zu geben. Das ist schön, sehr schön. Mit dieser Reduktion auf das Wesentliche, verbunden mit einem neuen Maßnahmenkatalog für eine bessere Rechtsetzung, scheint sie auch gewillt zu sein, einer der wesentlichen Forderungen der Mitgliedstaaten gerecht zu werden. Wenn man das genau betrachtet, dann müssten wir eigentlich sagen, dass in Hinkunft die Subsidiaritätsprüfungen, die der Bundesrat in so hervorragender Art und Weise im EU-Ausschuss macht, obsolet wären. Aber ale­mannisch gesagt: Wir harren der Dinge, die da kommen, Herr Minister! Also wir hoffen das Beste.

Speziell im Justizbereich will die Kommission in ihrem Arbeitsprogramm für 2015 ins­besondere die Bemühungen um eine bessere Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und des Terrorismus sowie um eine vertiefte justizielle Zusammenarbeit zum Wohle der Menschen, wie ich schon erwähnt habe, in der gesamten Union fortset­zen.

Für das Bundesministerium ebenfalls ein wichtiger Punkt ist der Wunsch der Kommis­sion nach Schaffung eines vernetzten digitalen Binnenmarktes. Das Ministerium befür­wortet grundsätzlich die von der Kommission in ihrem Arbeitsprogramm für 2015 ge­setzten Prioritäten, ebenso wie die Anstrengungen der Trio-Ratspräsidentschaft Italien, Lettland und Luxemburg, insbesondere im Bereich der Zusammenarbeit in Zivil- und Straf­rechtssachen. Bei der Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft, der Reform von Eurojust, der Fortsetzung der Arbeiten im Bereich E-Justice und der Förderung der Aus- und Fortbildung von Rechtspraktikanten möchte man ebenfalls Impulse setzen.

Bei der Europäischen Staatsanwaltschaft gab und gibt es doch einige Vorbehalte ge­gen die Einführung dieser Behörde. So haben insgesamt 13 Parlamente beziehungs­weise Kammern aus 11 Mitgliedstaaten eine begründete Stellungnahme eingereicht und diesen Verordnungsvorschlag mit der gelben Karte beeinsprucht.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 83

Die Kommission hat das geprüft und im November 2013 einen, man möchte fast sa­gen, Beharrungsbeschluss gefasst. Auch der Bundesrat hat sich mit der Schaffung die­ser Europäischen Staatsanwaltschaft befasst und keinen Einspruch erhoben. Diesbe­züglich gibt es auch einen Entschließungsantrag des Bundesrates der Kollegen Füller, Dr. Brunner, Todt und Kneifel. In weiser Voraussicht, Herr Kollege Füller, dass du dich damit befassen wirst, erspare ich mir jetzt, näher darauf einzugehen. Ich glaube, ich liege da richtig.

Auch das Bundesministerium für Justiz unterstützt grundsätzlich das Vorgehen der Kom­mission, weil es natürlich gerade im Interesse des Nettozahlerlandes Österreich sein muss und ist, dass kriminelle Machenschaften innerhalb der EU entschieden verfolgt werden, die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen und vor allem die ergaunerten Beiträge eingezogen oder zurückgeholt werden.

Nicht unterstützt vom Bundesministerium – das kann man auch nur unterstreichen – wird allerdings der Vorschlag der Europäischen Kommission, eine sogenannte Mini-Eu­ropäische Staatsanwaltschaft einzuführen, die dann das eigentliche Ziel aus den Au­gen verlieren würde.

Kurz zur Reform von Eurojust: Die Gründung von Eurojust erfolgte im Jahr 2002. Die Aufgabe von Eurojust ist die Förderung und Verbesserung der Koordinierung und der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Justizbehörden bei der Verfolgung von schweren grenzüberschreitenden Kriminalfällen in der Europäischen Union. Der nun­mehrige Vorschlag der Kommission für eine Verordnung betreffend Eurojust soll die bestehenden Beschlüsse ersetzen, insbesondere werden damit zwei ganz besondere Ziele verfolgt: erstens die Weiterentwicklung und Stärkung der Funktionsweise von Eu­rojust durch Verbesserung der internen Arbeitsstrukturen und zweitens die Einbindung des Europäischen Parlaments sowie der nationalen Parlamente in die Bewertung der Arbeit von Eurojust. Es ist auch vorgesehen, Tätigkeitsberichte an die nationalen Parla­mente zu übermitteln.

Es bleibt also anzumerken: Das ist ein wesentlicher Fortschritt, den man nur in aller Form begrüßen kann. Es liegt natürlich auf der Hand, dass das Bundesministerium für Justiz auch ein grundsätzlicher Befürworter des Ausbaus von Eurojust ist.

In weiterer Folge bleibt anzumerken, dass bei allen legislativen Aktivitäten aber sehr darauf zu achten sein wird, ob eine vom Europäischen Rat formulierte Priorität, wonach die vorhandenen Rechtsinstrumente und politischen Maßnahmen einheitlich umzuset­zen, wirksam anzuwenden und zu konsolidieren sind, auch tatsächlich mit entspre­chendem Leben erfüllt wird. Nur vollständig und einheitlich umgesetzte und in der Pra­xis korrekt angewendete Rechtsakte, die zudem auch keine finanziellen Mehrkosten für die Mitgliedstaaten verursachen, bringen den erwünschten Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger.

Sehr geehrter Herr Minister, herzlichen Dank für den Bericht, auch deinen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeitern für diese hervorragende Arbeit!

Meine Fraktion wird dazu sehr gerne die Zustimmung erteilen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

14.19


Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Füller. – Bitte.

 


14.19.33

Bundesrat Christian Füller (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ge­schätzter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuallererst möchte ich auch die Gelegenheit nutzen, mich bei allen an der Erstellung beteiligten Beamtinnen


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 84

und Beamten des Justizministeriums für diese umfassende Jahresvorschau zu bedan­ken.

Aufgrund der sehr umfangreichen Vorschau werde ich mich in meinen Ausführungen auf einige wenige – für mich sehr interessante – Bereiche beschränken, zumal ja auch Kollege Mayer schon einiges angesprochen hat, im Wissen, dass es mehrere sehr in­teressante und ansprechenswerte Bereiche in dieser Vorschau gibt.

Da ist zum Beispiel der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über vorläufige Prozesskostenhilfe für Verdächtige oder Beschuldigte, de­nen die Freiheit entzogen ist, sowie über Prozesskostenhilfe in Verfahren zur Vollstre­ckung eines Europäischen Haftbefehls. Die Idee hinter dieser Richtlinie ist ja eigentlich, dass einer Straftat verdächtigten oder beschuldigten Personen, denen die Freiheit ent­zogen wurde, oder Personen, gegen die ein Verfahren aufgrund des Europäischen Haft­befehls eingeleitet wurde, das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand ermöglicht wird und von ihnen auch effektiv wahrgenommen werden kann.

Die Richtlinie soll ebenfalls den Anspruch auf sogenannte vorläufige Prozesskostenhil­fe regeln. Dieses Recht auf Prozesskostenhilfe kommt ja auch Personen zugute, die aufgrund des Europäischen Haftbefehls gesucht und festgenommen werden, und zwar sowohl im Vollstreckungsstaat als auch im Ausstellungsstaat selbst.

Ich denke, die eher vorsichtige und kritische österreichische Position dazu ist durchaus nachvollziehbar und auch begründbar, denn zum Beispiel bei einem nur kurzfristigen Eingriff in die persönliche Freiheit eines Beschuldigten – wie etwa bei einer Verneh­mung eines solchen – soll es meiner Meinung nach kein automatisches Recht auf Pro­zesskostenhilfe geben. Meiner Ansicht nach wäre das ein Schritt in die falsche Rich­tung und unnötiger zusätzlicher Aufwand, zumal es ja letztendlich nur um eine Verneh­mung geht.

Im österreichischen Strafprozessrecht ist vorgesehen, dass ein Beschuldigter zur Durch­führung einer sofortigen Vernehmung polizeilich vorgeführt werden kann, wenn die Ge­fahr besteht oder anzunehmen ist, dass er sich andernfalls diesem Verfahren entzie­hen würde oder einer solchen Ladung gar nicht nachkommt. Ich denke auch, dass sol­che Fälle ausgenommen sein sollten, und einige andere Mitgliedstaaten der Europäi­schen Union teilen ja diesbezüglich die österreichische Position und die österreichi­schen Bedenken.

Mich freut es auch, dass mit I.9. der Jahresvorschau der Vorschlag für eine Verord­nung des Rates zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft einen entspre­chenden Platz einnimmt: „Die Idee wird grundsätzlich“ von österreichischer Seite „un­terstützt, weil es gerade im Interesse von Nettozahlerländern wie Österreich liegen muss, dass kriminelle Machenschaften zum finanziellen Nachteil der EU entschieden verfolgt, die Verantwortlichen bestraft und die Erträge eingezogen werden.“

Diesen Vorschlag unterstützend, haben wir hier im Bundesrat einen Entschließungsan­trag eingebracht, über den wir am 18. Dezember 2014 eine sehr ausgiebige Debatte geführt haben.

Mir ist aber auch aufgefallen – und ich wurde vor dieser Debatte auch darauf ange­sprochen –, dass es, glaube ich, zu fast jedem Bereich in dieser Vorschau auch An­merkungen beziehungsweise begründete Stellungnahmen oder Mitteilungen des EU-Ausschusses des Bundesrates gegeben hat. Daran sieht man, wie intensiv sich dieser Ausschuss in diese Thematiken eingearbeitet hat und wie aktiv er mitgearbeitet hat.

Im Großen und Ganzen finde ich die Vorhaben des Bundesministeriums für Justiz in dieser Jahresvorschau des BMJ auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitspro­gramms der Europäischen Kommission für 2015 sowie des Achtzehnmonatspro­gramms


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 85

des italienischen, lettischen und luxemburgischen Ratsvorsitzes sehr interessant und un­terstützenswert. Letztendlich muss es stetiges Ziel sein, Menschen einen einfachen Zu­gang zur Justiz zu ermöglichen und die Verfahren schnell und transparent abhandeln zu können.

Ich bedanke mich nochmals bei allen, die bei der Erstellung mitgearbeitet haben, bei den Beamtinnen und Beamten des Bundesministeriums für Justiz. Wir werden diese Vorschau gerne zur Kenntnis nehmen. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

14.24


Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Brückl. – Bitte.

 


14.24.18

Bundesrat Hermann Brückl (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsident! Ge­schätzter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zu den Schwerpunk­ten der Jahresvorschau gehören definitiv die Bemühungen um eine bessere Bekämp­fung der Kriminalität und des grenzüberschreitenden Terrorismus und damit einherge­hend auch die gemeinsame justizielle Zusammenarbeit. Und ganz oben auf der Priori­tätenliste der Europäischen Union steht – soweit es eben den Bereich Strafrecht be­trifft – die bereits angesprochene Schaffung der Europäischen Staatsanwaltschaft, und Sie wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir Freiheitliche dieser Einrichtung immer sehr skeptisch gegenübergestanden sind.

Was den vorliegenden Bericht betrifft, darf ich Ihnen jetzt gleich vorweg sagen, wir werden ihn in seiner Gesamtheit zur Kenntnis nehmen. (Heiterkeit des Bundesrates Mayer.) Aber nicht, Herr Kollege Mayer, weil vorne „EU“ draufsteht, sondern weil die­ser Bericht genau unseren Vorstellungen entspricht, weil das beinhaltet ist, was wir mit unserer Kritik immer wieder geäußert haben. (Bundesrat Mayer:  historisch!) – Nein, das ist nicht wahr, dass das historisch begründet ist. (Bundesrat Mayer: Ihr stimmt ja nie zu den Berichten!) – Ich weiß nicht, ob wir das letzte Mal zugestimmt haben, aber das vorletzte Mal, Herr Kollege Mayer, haben wir nicht zugestimmt. Es sei jedoch da­hingestellt, wir werden den Bericht zur Kenntnis nehmen, weil er unsere Haltung ein­fach auf allen Linien bekräftigt.

Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Mayer, ist für uns nicht vorrangig, was die Kom­mission will, sondern für uns ist vorrangig, wie die österreichische Haltung dazu ist. Und genau das ist der Punkt, warum wir mit diesem Bericht und dieser Jahresvorschau durchaus sehr gut leben können.

Es wird darin vieles sehr kritisch durchleuchtet, und ich möchte noch einmal auf die Europäische Staatsanwaltschaft zurückkommen. Diese Jahresvorschau bestätigt uns in diesem Punkt in unserer Kritik dahingehend, dass es da verschiedene ungelöste Fra­gen gibt, zum Beispiel die „Double-Hat-Funktion“. Die Doppelrolle des Staatsanwaltes sowohl als nationaler Staatsanwalt als auch als europäischer Staatsanwalt würde laut Bericht in Wirklichkeit dazu führen, dass die Hauptlast der Ermittlungstätigkeiten wiede­rum bei den nationalen Behörden läge, womit natürlich auch der Aufwand, die gebun­denen personellen Ressourcen und auch die finanzielle Last zu tragen wären.

Darüber hinaus fehlt es an einheitlichen europäischen Verfahrensbestimmungen. Es gibt nicht einmal Mindeststandards und eben viele weitere ungeklärte Fragen: Wah­rung der Rechte des Beschuldigten, Wahl des Gerichtsstandes oder auch die Frage nach der Effizienz der Ermittlungen und so weiter. Einige Mitgliedsländer haben oh­nehin bereits angekündigt, dass sie sich an dieser Europäischen Staatsanwaltschaft nicht beteiligen werden, und eine Reihe von Ländern steht diesem Entwurf ebenfalls äußerst kritisch gegenüber.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 86

Im Bereich Zivilrecht – das ist eigentlich seit geraumer Zeit evident – ist es so, dass die EU mit der Schaffung eines einheitlichen europäischen Kaufrechts nicht wirklich voran­kommt. Ziel der Kommission war es zuletzt, ein für grenzüberschreitende Verträge an­wendbares und von den Vertragsparteien wählbares Vertragsrechtsinstrument zu schaf­fen, das in allen Mitgliedsländern sozusagen eine einheitliche, auf Freiwilligkeit basie­rende – also eine optionale, zweite – Regelungsschiene darstellen soll.

Dazu heißt es wörtlich in der Jahresvorschau: „Österreich ist dem Projekt in der von der EK präferierten Gestalt eines optionalen Regelungsinstruments von Beginn an kri­tisch gegenübergestanden. Dennoch hat sich Österreich in allen Phasen des Gesche­hens konstruktiv an den Beratungen beteiligt. Die Skepsis hat sich allerdings durch die intensive Befassung mit dem Dossier noch vertieft.“

Es ist vor allem der Verbraucherschutz, der vonseiten Österreichs ins Spiel gebracht wurde und der dabei als viel zu mangelhaft beurteilt wurde. Für den Verbraucher würde ein derartiges optionales Vertragsrecht in Wirklichkeit keine Vorteile bringen, weil es sich hierbei ja nur um eine fremde Rechtsordnung handeln kann, und damit kann es im Vergleich zum internationalen Privatrecht einfach nicht mithalten. Internationales Pri­vatrecht bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Verbraucherschutz darin be­steht, dass das Heimatrecht des Konsumenten zur Anwendung kommt. Eine große Gruppe von Mitgliedstaaten steht dem Europäischen Kaufrecht daher auch sehr kri­tisch und sehr, sehr skeptisch gegenüber.

Der Bericht ist sehr umfangreich, das hat mein Vorredner auch schon gesagt, ich möch-
te daher zusammenfassend nur noch auf ein Thema eingehen, nämlich auf den Be­reich E-Justice, der im Zusammenhang mit vielen anderen Kapiteln zu sehen ist, die im Bericht oder in der Jahresvorschau vorkommen.

Betreffend Insolvenzverfahren: Hier ist eine Überarbeitung der Verordnung über Insol­venzverfahren angedacht, die ja immer dann zur Anwendung kommt, wenn Vermögen in mehreren Mitgliedstaaten vorhanden ist. Es ist vorgesehen, dass man europaweit In­solvenzfälle und Insolvenzverfahren im Internet bekannt macht, und in diesen Zusam­menhang steht eben auch der Bereich E-Justice. Österreich ist – das kann man so sa­gen, meine ich – weltweit eines der führenden Länder, was diesen Bereich betrifft.

Die Europäische Union beziehungsweise die Kommission will jetzt eine bessere Ver­netzung im Bereich der Insolvenzen vornehmen, im Bereich der Grundbücher, im Be­reich der Handelsregister beziehungsweise Firmenbücher.

Wie gesagt, Österreich ist da weltweit eines der führenden Länder, zum Beispiel haben wir in Österreich die Ediktsdatei. Diese ist gerade im Bereich der Insolvenzverfahren von großer Bedeutung, sie ist im Bereich der Versteigerungsverfahren von großer Be­deutung, sie ist im Bereich der Verlassenschaftsverfahren und Strafverfahren von gro­ßer Bedeutung, nämlich von so großer Bedeutung, dass Einträge in dieser Ediktsdatei auch Rechtswirkung entfalten.

Beispiel Grundbuch: Österreich ist auch in diesem Bereich eines der führenden Län­der, das beweist auch die Tatsache, dass immer wieder Delegationen aus aller Welt nach Österreich kommen und sich bei uns darüber informieren, wie das funktioniert. Und dass das funktioniert, ist von ganz großer Bedeutung und Wichtigkeit, weil es ei­nes mit sich bringt: Rechtssicherheit, und Rechtssicherheit ist etwas, das der Wirt­schaft dient und das vor allem dem Land Österreich einen ganz, ganz großen Standort­vorteil gegenüber anderen Ländern bringt.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, ich darf abschließend sagen, dass – in Summe betrachtet – die Haltung Österreichs betreffend die verschiedenen Kapitel genau dem entspricht, was wir in den vergangenen Jahren in vielen Bereichen immer wieder ge­fordert haben. Es wird aufgezeigt, dass es Vorbehalte gibt – nicht überall, aber bei vie-


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len Kapiteln. Sie lässt erkennen, dass hier nicht einfach alles zur Kenntnis genommen und kritiklos umgesetzt wird, und sie bringt auch zum Ausdruck, dass die Skepsis ge­genüber Vorhaben der Europäischen Union gerade im Bereich der Justiz in vielen Län­dern Europas größer ist als angenommen und auch größer, als sehr oft veröffentlicht wird.

Wir werden diesen Bericht zur Kenntnis nehmen, wie ich bereits gesagt habe, eben auch, weil sich unsere Haltung der Vergangenheit in diesem Bericht wiederfindet und widerspiegelt. (Beifall bei der FPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

14.32


Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesminister Dr. Brand­stetter. – Bitte.

 


14.32.35

Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Bundesräte! Ich freue mich natürlich über das, was die Vorredner schon gesagt haben. Ich freue mich darüber, dass der Bericht, die Jahres­vorschau unseres Hauses offenbar konsensfähig ist, und ich freue mich ganz beson­ders über ein für mich sehr wichtiges Detail, das auch erwähnt wurde, nämlich dass das Lob dafür auch explizit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgesprochen wurde. Das freut mich wirklich, denn ohne sie und ohne ihre Mitarbeit könnte ich diese Jahresvorschau heute so nicht präsentieren. (Allgemeiner Beifall.)

Das ist mir wichtig, denn sie sind wirklich unheimlich initiativ und einsatzfreudig, setzen sich mit vielem auch im Bereich der EU wirklich kritisch auseinander und dann sitzen sie hier immer ganz hinten in der letzten Reihe, ganz unscheinbar (Ruf bei der ÖVP: Das ist die erste Reihe!), und daher hat es mich so gefreut, dass sie seitens der Vor­redner auch einmal symbolisch vor den Vorhang gebeten wurden. Ich freue mich ein­fach darüber.

Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben mir natürlich auch ein umfangreiches Re­demanuskript vorbereitet, das ich jetzt in Anbetracht dessen, was schon gesagt wurde, drastisch kürzen kann. Ganz wesentlich ist aus meiner Sicht, dass wir im Rahmen un­serer Aktivitäten auf europäischer Ebene, gestützt auf diese wertvollen Vorarbeiten, eine wirklich sehr aktive Rolle spielen können.

Ich darf jetzt anknüpfen an das, was Kollege Brückl gesagt hat: Ja, es ist richtig, wir sa­gen nicht zu allem Ja und Amen, überhaupt nicht! Wir haben – und so werden wir auch wahrgenommen – eine durchaus kritische, aber konstruktive Grundhaltung, und die wird auch anerkannt.

Aus Aktualitätsgründen kann ich das jetzt auch gleich erwähnen, weil Kollege Brückl die Aktivitäten betreffend das Gemeinsame Europäische Kaufrecht angesprochen hat: Da hat es von Anfang an, und das wurde ja zitiert, Skepsis in unserem Haus gegeben, und ich darf jetzt sagen – das ist eine ganz aktuelle Entwicklung –, wir haben uns da auch durchgesetzt. Gemeinsam mit einigen anderen Mitgliedsländern haben wir da un­sere Skepsis deutlich gemacht, und das Ergebnis ist, diese Aktivitäten für ein einheitli­ches Kaufrecht wurden jetzt einmal zurückgezogen, das ist momentan vom Tisch.

Es wird daran gearbeitet, dass es irgendwann einmal einen neuen Entwurf geben wird, aber natürlich unter maßgeblicher Berücksichtigung unserer kritischen und skeptischen Anmerkungen. Das ist, meine ich, ein schönes Beispiel dafür, wie man auf europäi­scher Ebene wirklich Erfolg haben kann, nämlich wenn man durchaus kritisch, aber letzt­lich auch konstruktiv agiert, und unsere Rolle wird auch so gesehen. Das ist gut so, und wir werden das auch weiterhin so halten.

Wir haben morgen wieder Justizministerrat in Brüssel, dazu nur stichwortartig ein paar Hinweise. Für den derzeitigen lettischen Ratsvorsitz sind auf dem Gebiet des Zivil-


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rechts unter dem Schlagwort „Justice for Growth“ unter anderem die Revision der EU-Bagatellverfahrensverordnung und der Verordnung zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens prioritär. Im Strafrechtsbereich behandelt Lettland unter anderem die Verordnungsvorschläge zur Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft – das ent­wickelt sich weiter – und zu Eurojust sowie die Richtlinie über die strafrechtliche Be­kämpfung von gegen die finanziellen Interessen der EU gerichtetem Betrug und die Richtlinienvorschläge zur Stärkung der Verfahrensrechte im Strafverfahren vorrangig.

Natürlich geht es immer wieder auch um höchst aktuelle Themen, die sinnvollerweise nur auf europäischer Ebene entsprechend behandelt werden können. Morgen etwa geht es unter anderem um das auch für uns sehr wichtige Thema Deradikalisierung in den Gefängnissen und all das, was die Europäische Union mit ihren Möglichkeiten da­zu beitragen kann.

Ich bin Herrn Bundesrat Brückl sehr dankbar für das Stichwort, das er am Ende ge­nannt hat – ich bin gleich fertig! –, das war ein wichtiger Gesichtspunkt. Herr Bundes­rat, Sie haben von Rechtssicherheit gesprochen. Alle Aktivitäten auf europäischer Ebene dienen gerade jetzt, und das ist auch das entsprechende Schlagwort, der Schaffung eines einheitlichen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Das ist, wie Sie richtig gesagt haben, Herr Bundesrat, nicht nur wichtig für die wirtschaft­liche Entwicklung – es braucht Rechtssicherheit, damit man investieren kann –, son­dern es hat noch eine weitere Bedeutung.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen, das gerade besonders aktuell geworden ist. Als wir vor einem Jahr im Jänner beim ersten informellen Justizministerrat in Athen waren, fiel mir auf, als wir gemeinsam mit unserer Botschafterin die Küste entlangfuhren, dass es dort viele halb verfallene, halb fertige Bauten gab. Das waren Häuser in bester La­ge, direkt am Strand, und meine Frage an die Botschafterin war: Wie gibt es das? Das sind doch tolle Lagen, wirklich schöne Möglichkeiten, dort am Meer ein Haus zu haben. Warum verfällt das so?

Ihre Antwort war: Das ist eine Region in Griechenland, in der das Grundbuch nicht funktioniert. – Ein besseres und einfacheres Beispiel gibt es gar nicht, um zu zeigen, dass Rechtssicherheit die Grundvoraussetzung dafür ist, dass man investieren kann, und die Möglichkeit zu investieren ist die Grundvoraussetzung für wirtschaftliches Wachs­tum.

Es gibt noch einen Punkt, den ich nicht unerwähnt lassen möchte, weil oft mit Recht die Frage gestellt wird: Was hat es eigentlich mit den Aktivitäten im Bereich der Rechts­politik auf europäischer Ebene auf sich? – Man darf das nicht unterschätzen: Einerseits muss man Rechtssicherheit schaffen, um Investitionen und wirtschaftliche Entwicklung zu ermöglichen, andererseits – und jetzt komme ich zu dem Aspekt, den man auch se­hen muss –: Wenn es gelingt, in einem einheitlichen europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sicherzustellen, dass jeder Bürger seine Rechte in ei­nem stabilen rechtsstaatlichen System durchsetzen kann, insbesondere dann, wenn er einer ethnischen Minderheit angehört, dann entfällt ein Konfliktpotenzial.

Dieses Konfliktpotenzial entlädt sich sonst leider allzu oft, wie wir ja innerhalb Europas sehen – gerade jetzt im Osten –, in gewaltsamen Auseinandersetzungen. Dem gilt es vorzubeugen durch einen einheitlichen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, und da sind wir sehr aktiv.

Wir sind gerade im Bereich der Osthilfe der Europäischen Union wirklich führend – wir wurden kürzlich beim letzten Justizministerrat auch ausdrücklich für unsere Aktivitäten in Georgien gelobt –, und daher möchte ich das nicht unerwähnt lassen, denn das ist eine wirklich wichtige Mitarbeit, die wir da auf europäischer Ebene leisten. Das ist so­zusagen ein Geben und ein Nehmen, aber wir sind hier, wie ich sagen darf, nicht zu-


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letzt aufgrund der wertvollen Mitarbeit der Kolleginnen und Kollegen bei uns im Haus wirklich sehr aktiv und haben einen wirklich sehr, sehr guten Stand auf europäischer Ebene.

Ich freue mich daher, dass diese Jahresvorschau, die unsere Linie sehr deutlich macht und zum Ausdruck bringt, wie wir das in Zukunft halten wollen, auf Zustimmung stößt und bin natürlich – und das möchte ich schon noch erwähnen – selbstverständlich im­mer gerne bereit und dankbar dafür, wenn es Vorschläge Ihrerseits gibt, diese entspre­chend zu berücksichtigen und aufzunehmen.

Ich danke jedenfalls für Ihre Aufmerksamkeit und für das Lob betreffend Jahresvor­schau. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

14.40

14.40.10

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Danke, Herr Minister, für die Ausführungen. Auch sende ich einen Dank an die Mitarbeiter Ihres Hauses!

Recht herzlich begrüßen wir einen Bundesratspräsidenten außer Dienst, Manfred Gru­ber. Einmal Bundesrat, zieht es einen immer wieder her. – Herzlich willkommen! (Allge­meiner Beifall.)

Meine sehr geschätzten Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen dazu lie­gen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

14.41.077. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2015 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Neuordnung der Rechtsverhältnisse der Ös­terreichischen Industrieholding Aktiengesellschaft und der Post und Telekombe­teiligungsverwaltungsgesellschaft (ÖIAG-Gesetz 2000) und das Bundesgesetz über Maßnahmen zur Sicherung der Stabilität des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilitäts­gesetz-FinStaG) geändert werden (ÖBIB-Gesetz 2015) (458 d.B. und 485 d.B. so­wie 9328/BR d.B.)

 


Präsidentin Sonja Zwazl: Wir gelangen zu Tagesordnungspunkt 7.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Lampel. – Bitte.

 


14.41.26

Berichterstatter Michael Lampel: Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich erstatte den Bericht des Finanzausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 25. Februar 2015 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Neuordnung der Rechtsverhältnisse der Österreichi­schen Industrieholding Aktiengesellschaft und der Post und Telekombeteiligungsver­waltungsgesellschaft und das Bundesgesetz über Maßnahmen zur Sicherung der Sta­bilität des Finanzmarktes geändert werden (ÖBIB-Gesetz 2015).

Der Bericht liegt Ihnen schriftlich vor; ich komme daher sogleich zur Antragstellung.

Der Finanzausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 10. März 2015 mit Stim­menmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates kei­nen Einspruch zu erheben.

 



BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 90

Präsidentin Sonja Zwazl: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Krusche. – Bitte.

 


14.42.26

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Frau Präsident! Herr Bundesminister! Mei­ne Damen und Herren! Die ÖIAG ist tot, es lebe die ÖBIB! Angekündigt worden ist das Ganze unter dem Deckmäntelchen einer strategischen Neuausrichtung der Bundesbe­teiligungen im Rahmen eines Gesamtkonzeptes. Nur: Von dem Gesamtkonzept habe ich nirgends etwas gefunden, das existiert nicht.

Was hat man also gemacht? – Man verzichtet jetzt in der neuen ÖBIB auf den Auf­sichtsrat, der ja eigentlich auch die Aufgabe hätte, die strategischen Planungen zu ma­chen, weil man mit der personellen Selbsterneuerung des bisherigen Aufsichtsrates nicht wirklich glücklich und zufrieden war.

Jetzt hat man also eine GmbH mit direktem Zugriff (Ruf bei der ÖVP: Eben nicht!) und Weisungsrecht vom Ministerium betreffend das Tagesgeschäft dieser ÖBIB und dieser neuen Gesellschaften. (Zwischenrufe bei der SPÖ. – Bundesrat Perhab: Aktien !) – Es ist eine GmbH. Die drei bisherigen börsennotierten Unternehmen unter dem Dach der ÖIAG – Post, Telekom und OMV – sind also jetzt unter der ÖBIB. Hätte man wirk­lich eine Neuregelung gewollt, hätte man die Chance gehabt – aber die hat man leider vergeben –, auch andere Bundesbeteiligungen zu erfassen und einzugliedern.

Im Gespräch waren ÖBB, Austro Control, Verbund, Bundesforste – um nur einige zu nennen –, geschehen ist aber nichts. Eile ist allerdings geboten, weil man vor der Auf­sichtsratssitzung der Telekom beziehungsweise der Post Mitte April noch schnell si­cherstellen will, dass man den politischen Einfluss auch ausüben kann.

Was bleibt also übrig von dem Ganzen? – Man hat die Gelegenheit ergriffen, wieder zu alten – ich sage: unseligen – Proporzzeiten zurückzukehren. Ein Nominierungskomi­tee, das mit Steßl, Geyer, Mahrer, Leitner schön nach Proporz besetzt ist, wird den rot-schwarzen Postenschacher weiterhin nicht nur ermöglichen, sondern noch stärken und hat mit Strategieentwicklung nichts zu tun. Dass das leider eigentlich die wahre Absicht im Hintergrund ist, zeigt ja auch, dass man die ursprünglich angedachte Cooling-off-Phase, Altpolitiker vier Jahre aus der ÖBIB herauszuhalten, dann schlussendlich nicht umgesetzt hat. (Zwischenruf des Bundesrates Perhab.)

Also, was haben wir jetzt? – Einen Rückfall in alte, und ich sage, für die österreichische Wirtschaft nicht unbedingt gedeihliche, Zeiten. Deshalb werden wir uns gegen diese Gesetzesvorlage aussprechen. (Beifall bei der FPÖ.)

14.45


Präsidentin Sonja Zwazl: Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Mag. Himmer. – Bitte.

 


14.46.03

Bundesrat Mag. Harald Himmer (ÖVP, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe natürlicher­weise zu dieser Thematik einen etwas anderen Zugang als mein Vorredner.

Wir wissen alle, dass es ein ÖIAG-Gesetz gegeben hat, das damals unter der schwarz-blauen Bundesregierung beschlossen worden ist, und ich möchte schon auch festhal­ten, dass auch damals nicht alles schlecht war. Ich halte mir zugute, dass ich bereits damals dieses Gesetz kritisch gesehen habe, was den selbsternannten Aufsichtsrat betrifft. Die Idee, Fachleute in den Aufsichtsratsgremien zu haben und sozusagen ne­ben der Kontrolle auch Kompetenz drinnen zu haben, war aber nicht so schlecht. Denkt


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 91

man da an Beispiele, wo das nicht gegeben war, wie zum Beispiel bei einer großen Gewerkschaftsbank, et cetera, gab es da schon einiges an Fortschritt.

Dieser Ansatz allerdings, dass man sich selbst erneuert, hat natürlich etwas Kritisches gehabt, das ist gar keine Frage, und das ist natürlich immer die Thematik bei Bundes­beteiligungen: Wer ist der Eigentümervertreter, und wie regelt man das? Letztendlich gibt es beim Bundeseigentum nicht einen Eigentümer, der vertreten kann, sondern nur einen Eigentümervertreter, der solche Aufgaben wahrnimmt.

Das hat in den letzten zehn Jahren sicherlich nicht nur schlecht funktioniert, es hat ja doch ein Privatisierungsvolumen von über 6 Milliarden € gegeben. Es waren sehr er­folgreiche Privatisierungen und weniger erfolgreiche Privatisierungen dabei, aber wenn man es in einem europäischen Konnex sieht und auch generell volkswirtschaftlich be­trachtet, denke ich, dass das Thema Privatisierung, Markt voranzutreiben in vielen Be­reichen mit Sicherheit richtig war.

Ich möchte ein Beispiel als Aushängeschild bringen, das ursprünglich nicht das Thema der ÖIAG war: Wir alle wissen, wie viel Geld wir in den siebziger, achtziger Jahren in der Voest verbrannt haben. Sieht man im Vergleich dazu, wie die voestalpine heute da­steht, dann lässt sich an diesem Unterschied schon einiges ermessen. Ich glaube, die machen heute über 40 Milliarden Umsatz und sind ein Unternehmen – da bin ich mir nicht sicher bei dieser Zahl, es sind, glaube ich, über 40 000 Mitarbeiter, aber die heu­tige ÖIAG macht mit ihren drei Unternehmen noch immer ungefähr 40 Milliarden Um­satz –, das auch weiterhin vernünftig gemanagt werden wird.

Ich möchte daher ganz klar sagen, dass es wichtig ist, dass es bezüglich Eigentümer­vertretern völlige Transparenz gibt. Es gibt, Herr Kollege Krusche, keine Personen, die für sich selbst Objekte sind. Es wird immer Personen geben, die zu einer Partei ge­hören oder vielleicht auch eine politische Meinung haben. Aber wesentlich ist, dass man weiß, wer diese Personen sind, warum sie dort hinein berufen wurden, und dass der Finanzminister als Eigentümervertreter in diesem Konstrukt die Verantwortung trägt und er diese Eigentümervertretung auch wahrnehmen kann, indem er sich an seinen Generalsekretär wenden kann.

Auch die Bestellung der Aufsichtsräte erfolgt dann ja nicht im Geheimen, sondern trans­parent, und man wird dabei selbstverständlich darauf schauen, dass es sich um kom­petente Persönlichkeiten handelt.

Da der Finanzminister von der grundsätzlichen Ausrichtung her die Verantwortung da­für trägt, wie es mit den österreichischen Industrieunternehmen weitergeht, haben na­türlich auch Sie die Möglichkeit, im parlamentarischen Raum entsprechende Erkundun­gen darüber einzuholen, wie die Strategie aussieht.

Dass man in einer Situation, in der es sich eigentlich nur mehr um eine Mehrheitsbe­teiligung handelt – es handelt sich ja nur mehr bei der Post um eine Mehrheitsbeteili­gung, bei der OMV und der Telekom sind es ja Minderheitsbeteiligungen –, eine schlan­ke Form gewählt hat, ist, glaube ich, effizient. Ich glaube nicht, dass es für das Beteili­gungsmanagement dieser drei Unternehmen unter den gegebenen Umständen, wo es auch bei zweien Syndikatsverträge gibt, notwendig ist, dass man eine besonders auf­wändige, große Beteiligungsmanagementstruktur aufbaut.

Das sind die Gründe, warum unsere Fraktion diesem Gesetz sehr gerne zustimmen wird. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ.)


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 92

14.51


Präsidentin Sonja Zwazl: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Dr. Reiter. – Bitte.

 


14.51.51

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Frau Präsidentin! Werte Kolle­gen und Kolleginnen! Ich möchte vorausschicken, dass wir schon auch der Meinung sind, dass die ÖIAG, die jetzt zur ÖBIB wird – phonetisch ist das kein Gewinn, denke ich mir –, nach wie vor wichtig für den Standort Österreich ist, für die Arbeitsplätze und so weiter.

Die Geschichte war immer wieder turbulent und geprägt von stetigem Wandel, die Pri­vatisierungen waren teilweise erfolgreich, aber nicht immer rühmlich. Sie war auch im­mer, und ist es wahrscheinlich nach wie vor, Spiegel der politischen Verhältnisse. Jetzt ist also wieder ein Wandel angesagt. Man muss schon sagen, dass diese Aufsichts­ratskonstruktion vielleicht doch etwas absurd war und von einer versuchten Entpoliti­sierung zu einer gewissen Erstarrung geführt hat, die nicht mehr aufzulösen war.

Eine Änderung ist also sicherlich notwendig, warum aber das Pendel jetzt wieder so weit zurückschwingen muss, ist uns nicht klar und einsichtig. Dass der Eigentümer, also die Republik Österreich, die Interessen wahrnehmen können muss, ist klar. Es ist auch klar, dass die sehr lebhaften Debatten, wenn man es so formulieren will, große Nachteile für die börsennotierten Unternehmen hatten und wahrscheinlich auch noch immer haben und dass jetzt ein Schlusspunkt gesetzt beziehungsweise eine Verände­rung vorgenommen werden muss.

Das, was jetzt vorliegt, ist aber sicher nicht der Weisheit letzter Schluss. Es wird die Si­tuation nur etwas verbessern, da es jetzt möglich ist, im April Aufsichtsräte entspre­chend zu nominieren. Ein Nachteil dieser Eile, in der das alles passiert, ist folgender: Das Ganze ist ohne Begutachtung gelaufen und wurde durchgepeitscht.

Wir werden das ablehnen, und ich möchte die Gründe dafür noch darlegen: Staats­eigene Unternehmensbeteiligungen unterscheiden sich natürlich grundlegend von Un­ternehmen im Privateigentum – eben dadurch, dass die Bürger, die Miteigentümer, ein Anrecht auf eine ziel- und aufgabenorientierte und transparente Unternehmensführung innerhalb eines verbindlichen gesetzlichen Rahmens haben.

So steht es auch im Regierungsprogramm. Da steht ganz klar, und ich zitiere wörtlich:

„Aufgrund der internationalen Entwicklung ist eine strategische Neuausrichtung und da­mit verbunden eine Änderung des ÖIAG-Gesetzes notwendig. Ziel ist eine ganzheitli­che Ausrichtung der Beteiligungen des Bundes, insbesondere hinsichtlich der Aufga­benstellung und der Wahrnehmung der Eigentümerinteressen.“

Davon ist in dem vorliegenden Gesetz nichts zu finden. Es gibt dazu auch klare Hand­lungsempfehlungen vonseiten der OECD: die Leitsätze zur Corporate Governance in staatseigenen Unternehmen aus dem Jahr 2006, und die finden sich im vorliegenden Regelwerk kaum wieder. Zum Beispiel fehlen klar strukturierte und transparente Ver­fahren für die Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern in Unternehmen.

Das heißt, es besteht die Gefahr  und ich halte es in diesem Zusammenhang auch für ein Problem, wenn das auch nur ein Gerücht ist , dass es Versorgungsposten bleiben. Das Problem mit der Cooling-off-Phase, die fehlt – wie schon diskutiert wurde –, ist in diesem Zusammenhang auch zu erwähnen. Ich denke, das ist auch für die entspre­chenden Aufsichtsräte keine gute Ausgangsposition.

Es sollte eine Politik – das ist in den Corporate Governance-Richtlinien festgehalten – für staatliche Unternehmensbeteiligungen ausgearbeitet und veröffentlicht werden, die insgesamt verfolgten Ziele staatlichen Unternehmenseigentums, die Rolle des Staates bei der Leitung und Kontrolle und die Umsetzung dieser Zielsetzungen sollten definiert werden. Es geht nicht darum, dass Parlamentarier entsprechende Anfragen an den Fi­nanzminister bezüglich der Zielausrichtung stellen können, sollen, müssen, sondern die­se Ziele sollten entsprechend in einem Regelwerk, in einem Gesetz definiert werden.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 93

Sollte ich mich da irren: Der Herr Finanzminister ist leider nicht da, ich hätte ihn gerne gefragt, wie er die entsprechenden Zielsetzungen, zum Beispiel anhand der Übertra­gung der Unternehmensanteile der Casinos Austria AG von der Münze an den Staat, und die strategische Ausrichtung erläutern könnte oder möchte.

Wir sehen derzeit keine zentrale Strategie für öffentliche Unternehmen, keine verbindli­chen gesetzlichen Rahmenbedingungen der besonderen Pflichten und Aufgaben staats­eigener Unternehmen im Allgemeininteresse. So etwas gibt es in Ansätzen bei den ÖBB, aber nur in Ansätzen. Es gibt einfach keine Transparenz der damit verbundenen Kosten, wenn ein staatseigenes Unternehmen im Allgemeininteresse handelt.

Weiters gibt es keine Berichtspflichten gegenüber dem Parlament, gegenüber dem Na­tionalrat. Über die ÖIAG hat es nie einen entsprechenden Bericht gegeben.

Es ist auch nicht wirklich klar, wie die operative Autonomie und Unabhängigkeit des Managements unter diesen Bedingungen sichergestellt wird. Nämlich: Wie kann bei der jetzt vorliegenden Konstruktion das Management frei von Beeinflussung durch die Politik unternehmerische Entscheidungen fällen? Wir halten das für eine zukunftsorien­tierte Entwicklung und in der Folge für ein entsprechendes Vertrauen in den Standort Ös­terreich für durchaus notwendig.

Aus diesem Grund werden wir das vorliegende Gesetz ablehnen, immer noch in der Hoffnung, dass vielleicht irgendwann doch einmal eine strategische Zielausrichtung, ei­ne Definition des Ganzen in einem gesetzlichen Regelwerk nachgeschoben wird. Man sollte die Hoffnung ja nicht aufgeben. Danke. (Beifall der Bundesrätin Schreyer.)

14.58


Präsidentin Sonja Zwazl: Zu Wort gelangt Frau Bundesrat Winkler. – Bitte.

 


14.58.55

Bundesrätin Ingrid Winkler (SPÖ, Niederösterreich): Hohes Präsidium! Herr Minister! Es ist schon vieles gesagt worden, und wie es in einem demokratischen Prozess ist, ist vieles kontrovers und vieles deckt sich auch mit meiner Meinung.

Vieles wurde schon gesagt, aber gestatten Sie mir trotzdem, zu diesem Tagesord­nungspunkt meine Gedanken darzulegen, denn die Wirtschaft und die damit verbunde­nen Arbeitsplätze hatten und haben in meinem Leben einen ganz wichtigen und hohen Stellenwert. (Vizepräsidentin Posch-Gruska übernimmt den Vorsitz.)

Ich denke, dass die zentrale Frage bei der Neuorientierung der ÖIAG war: Soll der Staat diesen Bereich weiter lenken und steuern, oder wollen wir das dem freien Markt überlassen? – Für mich ist die Antwort eigentlich ganz leicht zu geben. Der Einmalef­fekt, den manche Privatisierung bringt, ist zwar nice to have, aber meistens nicht der Weisheit letzter Schluss. Da wird Staatseigentum verkauft, und dabei werden sehr oft auch Arbeitsplätze vernichtet.

Die Eigentümerin, die Republik Österreich, verwaltet den Besitz der Österreicherinnen und Österreicher. Dessen müssen wir uns immer klar sein: Wenn wir von den Staats­betrieben sprechen, dann sind wir angehalten, den Besitz der österreichischen Bevöl­kerung bestmöglich einzusetzen, um dadurch den Wirtschaftsstandort zu stärken. Das ist unsere oberste Aufgabe, zu der wir antreten.

Ich habe auch keine Angst vor der Politisierung, denn die Bevölkerung, so glaube ich, will und muss wieder spüren, dass die Politik mit sehr viel Sachverstand und Engage­ment ihrer Verantwortung nachkommt. (Bundesrätin Mühlwerth: Das vermisst sie aber!)  Das können sie aber auch, wenn man es ihnen zutraut, Frau Kollegin!

Was die sogenannte Entpolitisierung des Aufsichtsrats gebracht hat, das zeigen uns vie­le Beispiele. Leider gibt es unter diesen Beispielen ganz wenige – um nicht zu sagen gar keine – positiven.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 94

Denken wir an die ATW: Für mich war der Verkaufswert von 770 Millionen € eine sehr beeindruckende Zahl. Etwas weniger beeindruckend wird es für mich aber schon, wenn der Jahresgewinn es ermöglicht hat, das Investment in fünf Jahren zu refinanzie­ren. Da frage ich Sie: Für wen war das jetzt ein gutes Geschäft – für den Staat Ös­terreich oder für den Investor? (Zwischenruf des Bundesrates Krusche.) Ja, Herr Kol­lege Krusche, die Zahlen sind vielleicht für Sie ein wenig zu  (Bundesrat Krusche: Da hätten sie Verluste geschrieben!) – Das Wenni-hätti-wari ist in einer Diskussion im­mer sehr schön, doch was ich jetzt vortrage, Herr Kollege, das sind Fakten. (Bundesrä­tin Mühlwerth: Fakt war aber auch, dass wir bei der Voest Milliarden gezahlt haben!) – Ich bin jetzt am Wort, Frau Kollegin, aber Sie können sich gerne zu dieser Thematik zu Wort melden!

Ich möchte noch ein anderes Beispiel einer Privatisierung nennen, nämlich das Doro­theum: 50 Millionen € Ertrag sind – und das sage nicht nur ich, sondern auch der Rech­nungshof – kein besonderes Geschäft für den Staat Österreich. Ich fürchte, auch in ei­nem Zukunftsbereich wie der Telekom wird es wahrscheinlich bei der nächsten Kapital­erhöhung heißen, dass eine mexikanische Führung den Ton bei der österreichischen Telekom angibt. (Ruf bei der SPÖ: Ist schon so!)

Ich bin fest davon überzeugt, dass es vernünftig ist, sich über Privatisierungen einge­hend Gedanken zu machen, denn dass das Thema missglückte Privatisierungen kein österreichisches Phänomen ist, zeigen sehr viele internationale Beispiele. Das zeigt Eng­land mit der Privatisierung der Eisenbahn, das zeigt Frankreich mit der Privatisierung der Wasserversorgung. Wozu hat das geführt? – Als es den Unternehmen schlecht gegangen ist, als es nicht so gelaufen ist, wie man wollte, wurde der Staat angerufen, wurden Arbeitsplätze vernichtet, und die Rechnung hat die Bevölkerung bezahlt.

Für begrüßenswert halte ich es, dass sich der Finanzminister bei der ÖBIB in Zukunft verstärkt in die operative Leitung einbringen wird. Dem Finanzminister, dem wir das Bud­get dieser Republik überantworten, können wir mit ruhigem Gewissen auch die Verant­wortung für die ÖBIB übertragen, ohne dass wir uns fürchten müssen.

Wenn ich mir dieses Nominierungskomitee ansehe und die Basis, die wir diesem Komi­tee für die Ernennung von Aufsichtsratsmitgliedern geben, dann glaube ich nicht, dass wir uns vor diesem Nominierungskomitee und vor den Kräften, die es aussucht, wer­den fürchten müssen. Was ist das Kriterium? – Best Practice! Es sind „anerkannte Un­ternehmer“, „Führungskräfte aus der Wirtschaft oder dem öffentlichen Sektor“ mit „mehr­­jähriger Praxiserfahrung als Leitungsorgan“ als Aufsichtsratsmitglied zu präferieren. Wol­len Sie solchen Menschen die Kompetenz für die ÖBIB absprechen? – Ich glaube, das wird keiner hier in diesem Saal tun.

Abschließend darf ich noch meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass der § 8 Privati­sierungsmanagement dem § 7 Beteiligungsmanagement untergeordnet sein wird. Ich hoffe und glaube, dass es Beispiele geben wird – und diesbezüglich sehe ich die Über­tragung der Casino Austria-Anteile an die ÖBIB sehr positiv – und dass es aus strate­gischen Gründen Sinn machen wird, in diese ÖBIB weitere Betriebe einzugliedern.

Ich kann natürlich eines nicht verleugnen: Ich bin und bleibe eine Frauenpolitikerin. Da­her wünsche ich mir und hoffe auch, dass der Anteil von Frauen in Führungspositionen in dieser ÖBIB steigen wird. Aber vorrangig ist jeder von uns hier im Saal den Unter­nehmen, den Mitarbeitern – und das sind immerhin 66 000 Menschen! und deren Fa­milien verpflichtet.

Ich danke allen, die zum Gelingen dieser neuen Strukturen beigetragen haben. Meine Fraktion wird diesem Tagesordnungspunkt die Zustimmung erteilen. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

15.06



BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 95

Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desrat Mag. Zelina. – Bitte.

 


15.06.17

Bundesrat Mag. Gerald Zelina (STRONACH, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Mitglieder des Bundesrates! Das rot-schwarze Pro­porzsystem hat Österreich zu einem Land der Schuldner gemacht. (Bundesrat Füller: Ich glaube, das haben wir schon einmal gehört!) Das Österreich, das vom Team Stro­nach angestrebt wird, ist ein Land der Eigentümer ohne Schulden. Schulden bedeuten letzten Endes immer den Verlust von Souveränität und Freiheit und die Abhängigkeit von Geldverleihern und Gläubigern. (Zwischenrufe bei SPÖ und ÖVP.)

Wir wollen für Österreich eine breitgestreute Eigentümergesellschaft und keine Schul­dengesellschaft. Unsere Bürger sollten Eigentümer und Besitzer sein. Wichtig ist, dass wir mehr Eigentumsrechte in den privaten Besitz des arbeitenden Volkes übertragen. Der Staat soll keine Vermögenssteuern einführen, sondern Rahmenbedingungen schaf­fen, damit jeder Österreicher durch eigene Leistung und eigene fleißige Arbeit zu Ver­mögen kommt, insbesondere zu einer Wohnimmobilie in seinem Privatbesitz, wodurch er nie wieder Miete zahlen muss. Das wäre auch die beste Pensionsvorsorge.

Die österreichischen Arbeiter und Angestellten sollten am Gewinn und an der Wertstei­gerung des Unternehmens, für das sie arbeiten, mit beteiligt sein. Das gilt auch für die ÖBIB-Beteiligungen. So eine Forderung würde ich gerne einmal von den Gewerkschaf­ten hören; aber nein, von dort kommt sie nicht, weil damit der Klassenkampf beendet wäre.

Die ÖBIB als Österreichische Bundes- und Industriebeteiligungsholding sollte das Ziel des nachhaltigen Vermögensaufbaues für unsere Bürger verfolgen und wie ein Staats­fonds, der durch seine Investments Werte schafft, geführt werden. Beteiligungszukäufe und Kapitalerhöhungen zur Stärkung der Eigenkapitalbasis der Beteiligungsunterneh­men machen für jede professionell geführte Investmentgesellschaft Sinn.

Dividendenausschüttungen der ÖBIB könnten auch direkt in Start-ups oder in Industrie-Spin-offs investiert werden. Die Start-up-Finanzierung und die Bereitstellung von Risi­kokapital sollen zu Beteiligungen an neuen Wachstumsfirmen mit neuen innovativen Pro­dukten führen. Der Verkauf neuer Produkte schafft neue Arbeitsplätze und sichert die Finanzierung unseres Sozialsystems.

Auch indirekte Beteiligungen an österreichischen Start-up-Fonds, die in junge Wachs­tumswerte investieren, wären sinnvoll.

Die Eingliederung aller Staatsbeteiligungen unter das Beteiligungsdach der ÖBIB wür­de ebenfalls Sinn machen – also von ÖBB, ASFINAG, Verbund, ORF, Bundesimmobi­liengesellschaft und wie sie alle heißen.

Wichtig ist, dass unsere Staatsbeteiligungen nicht ministeriell verwaltet, sondern be­triebswirtschaftlich professionell gemanagt werden.

Politische Verwalter aus ineffizienten, aufgeblähten staatlichen Ministerien, Kammern und Bünden sind nicht die Idealbesetzung für betriebswirtschaftliches Management von gewinnorientierten Beteiligungen, die sich im internationalen Wettbewerb durch schlan­ke Kostenstrukturen und Top-Kundenservicequalität behaupten müssen. Politische Pos­tenbesetzungen ohne die notwendige Qualifikation und das Zweckentfremden der Staatsbeteiligungen für politische Interessen sind die Hauptursachen von defizitären Staatsbetrieben.

Eisenbahnen, Flughäfen und Straßenbaugesellschaften sollten nicht mit politischen Ver­sorgungsposten belastet werden. Mit der Umwandlung der ÖIAG in die ÖBIB verschaf-


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fen sich SPÖ und ÖVP wieder deutlich mehr politischen Einfluss auf unsere Staatsbe­teiligungen.

Meine Damen und Herren! Jeder Posten auf Staatsebene wird bei unserem Proporz-System dreifach besetzt, nämlich mit einem Roten, einem Schwarzen und einem kom­petenten Akademiker, der die Arbeit macht! (Bundesrat Füller: Vorzugsweise aus dem Team Stronach, oder was? – Heiterkeit bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

Es ist empirisch erwiesen, dass der Staat ineffizient wirtschaftet, solange die Führungs­kräfte politisch und nicht fachlich besetzt werden.

Politisch besetzte Staatsbetriebe dienen als Selbstbedienungsläden für Politiker und zur Parteifinanzierung. Überall dort, wo sich die Politik in die operative Führung von Unternehmen eingemischt hat, ist bisher nichts herausgekommen außer hohen Schul­den, Konkursgefahr und Gefährdung von Arbeitsplätzen.

Wir brauchen mehr wirtschaftliches Unternehmertum und Wettbewerb statt staatlich monopolistischer Verwaltungsbürokratie durch Parteifunktionäre.

Meine Damen und Herren! Nein zu politischer Postenbesetzung, nein zum rot-schwar­zen Proporz-System und nein zu diesem Gesetz!

15.11


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desrat Perhab. – Bitte.

 


15.11.59

Bundesrat Franz Perhab (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bun­desminister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege vom Team Stro­nach, ich glaube, Harald Serafin würde sagen: wunderbar! Alles wunderbar, diese The­sen, dieses Manifest, das du da jedes Mal herunterleierst, das ist ja alles wunderbar – in der Theorie. (Heiterkeit bei Bundesräten der ÖVP.) Aber ich denke, Österreich hat eine ganz andere Wirtschaftsgeschichte und eine ganz andere Struktur, und das muss man meiner Meinung nach in diese Thesen ein bisschen mit einbinden.

Wer hätte denn nach 1945 – bei einer Totalzerstörung der Wirtschaftsinfrastruktur –be­gonnen, die wichtigsten Infrastrukturmaßnahmen zu sammeln und wieder aufzubauen? (Bundesrätin Mühlwerth: Na und? Heute haben wir 2015!) Ich glaube nicht, dass da ein großer Investor aus Amerika gekommen wäre und gesagt hätte, ich kaufe mir jetzt die zerbombte VOEST in Linz oder sonst etwas. Vielmehr mussten damals das öster­reichische Volk, die österreichischen Arbeitnehmer, die österreichischen Unternehmer und die österreichischen Bürger zusammenhalten und versuchen, von null schön lang­sam wieder aufzubauen. Das ist den Generationen vor uns einfach toll gelungen. Seien wir als die jüngere Generation froh, dass wir diese Menschen damals gehabt haben! (Beifall bei ÖVP und SPÖ. – Bundesrätin Mühlwerth: Das ist 70 Jahre her!)

Aber nun zum Hauptthema. Diese Gesetzesvorlage ist wieder so ein Thema, wo man als Vertreter der Wirtschaft sagen könnte: Für die einen ist das Glas halb voll, für die Grünen ist es halb leer oder ganz leer. Die Frage ist immer, ob man noch mehr oder weniger machen soll. Meiner Meinung nach ist unsere Position der Mitte meistens die richtige. Vieles im Leben ist – das ist keine Lebensweisheit – eine Frage der Betrach­tungsweise. Ich glaube, ich bin eher positiv eingestellt, und ich sehe, dass das Glas halb voll ist. Wir hätten es natürlich auch gerne ganz voll gehabt.

Ich stehe dazu, dass wir in unserer Koalition im Jahr 2000 die ehemalige ÖIAG mitein­ander neu aufgestellt haben, denn summa summarum ist nicht alles falsch gelaufen. Wir hatten 10 Milliarden Schulden in der ÖIAG, und das wurde durch Privatisierungs­erlöse – ob es jetzt Einmaleffekte waren oder nicht – doch auf ein erträgliches Maß he-


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runtergefahren. Heute ist sie de facto schuldenfrei und liefert Dividenden an den Bund ab. Das kann also nicht alles ganz falsch gewesen sein.

Natürlich hat es auch andere Beispiele gegeben – ATW und so weiter wurden schon erwähnt –, aber wenn man das heutige Szenario eines Rauchverbots, das diskutiert wird, betrachtet, dann möchte ich mir den Börsenwert der ATW in Österreich an­schauen. Ich glaube, als Börsianer würde ich sagen: Diese Firma hat keine Zukunft, also ist sie eh nichts mehr wert. Dies nur als ein Beispiel, wie der Staat, Bund oder Gesetzgeber durchaus auf die Entwicklung einer börsenorientierten Firma Einfluss neh­men kann.

Mir gefällt es schon, wenn mein Landsmann Kollege Krusche den Vorstandschef Leit­ner anprangert, weil er in diesem Beirat drinnen sitzen wird. Vorstandsvorsitzender Leitner, der Chef der Andritz AG, ist ein Star unter den österreichischen Managern. Herr Kollege Pisec, da wirst du mir wohl zustimmen. (Bundesrat Pisec nickt.) Er hat ei­ne phänomenale Entwicklung eines mittelständischen Unternehmens begleitet, das heu­te in vielen Bereichen Weltmarktführer ist. Ausgerechnet der soll zu schlecht sein, im Aufsichtsrat dieser neuen ÖIAG zu sitzen? – Da weiß ich bald nicht mehr, wen wir noch nominieren könnten.

Ich bin auch überzeugt, dass die Persönlichkeiten im alten Aufsichtsrat ebenfalls nicht ganz schlecht waren. Nur hat meiner Meinung nach der Erneuerungsprozess, wie man ihn sich vorgestellt hat, so nicht stattgefunden, weil es zwischen Alphatieren immer Animositäten gibt. Das ist auch der Grund, warum es jetzt für den Finanzminister und die Regierung einen konkreten Handlungsbedarf gab.

So wie jetzt hat es nicht weitergehen können, wie bei der OMV zum Beispiel, wo sich die Vorstände persönliche Kämpfe geliefert haben. Daher dieser Handlungsbedarf und der etwas beschleunigte Fahrplan, vielleicht auch ohne Begutachtung. Meiner Meinung nach gab es da einen gewissen Handlungsbedarf.

Allerdings kann man das natürlich nicht Gefahr im Verzug nennen, wenn man sich die Beteiligungen anschaut – das wurde heute schon erwähnt: Bei der OMV haben wir noch 31,5 Prozent, bei der Telekom 28,4, bei der Post 52,8. Übrigens hat die Post den Break-even geschafft! Bei der Post geht es bergauf, sie hat gute Ergebnisse. Wenn ich mir heute im Internet allerdings die Verbund-Pressekonferenz ansehe, dann, so meine ich, sieht die Geschichte schon ein bisschen anders aus. Auch bei der Telekom schaut es noch nicht gut aus. Dabei ist auch das operative Handeln der verantwortlichen Vorstände Voraussetzung dafür, dass das Unternehmen wieder in die Wachstumspha­se und in die Gewinnphase kommt. Und nur das ist die Garantie für die zukünftigen Ar­beitsplätze in diesen Firmen.

Frau Dr. Reiter, die Cooling-off-Phase steht nicht expressis verbis im Gesetz, aber in der Geschäftsordnung. Meiner Meinung nach wird diese zweijährige Cooling-off-Phase nach den heute üblichen Traditionen und Usancen natürlich einzuhalten sein, auch wenn das nicht expressis verbis im Gesetz steht. Das ist wirtschaftlicher Brauch und Usance wie in allen anderen Konzernen.

Ich bin auch einer Erweiterung dieser ÖBIB gegenüber durchaus offen eingestellt. Das wird mit dem jetzigen Koalitionspartner, der SPÖ, nicht zu machen sein, aber ganz vom Tisch zu weisen ist das nicht. Warum sollen die ÖBB nicht bei der ÖBIB sein? Ist das ein Staat im Staate? – Das kann nicht sein. Aber denken wir doch über die Zukunft nach, denken wir nach, ob wir das schaffen! (Bundesrat Dörfler: verscherbeln die ÖBB?) Es muss ja nicht nur negativ sein, man kann es andenken! Der Verbund, die ASFINAG, die Schieneninfrastruktur – das kann man durchaus andenken, warum nicht? Das muss nicht immer zum Nachteil der Unternehmen sein, denn das Aktienrecht si­chert schon den Vorständen dort den Handlungsspielraum.


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Die Argumentation, die immer wieder vorgebracht wird, beruht ja wohl auf einem Miss­verständnis! Diese Beteiligungsfirmen unterliegen dem Aktienrecht, da gibt es einen Aufsichtsrat, und es ist nicht so, dass der Geschäftsführer, der vom Finanzminister in der ÖBIB vorgeschlagen wird, automatisch Vorsitzender des Aufsichtsrates bei der OMV oder bei der Telekom ist. Das ist eine falsche Behauptung.

Meiner Meinung nach können wir summa summarum mit dem Gesetz leben und in die Zukunft gehen. Wenn sich wieder Chancen ergeben, die ÖBIB durch Zukäufe zu er­weitern, und wir die Mittel dafür haben, dann sollte man die Chance ergreifen und nicht von vornherein dieses Gesetz ablehnen. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

15.18


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desrat Pfister. – Bitte.

 


15.19.02

Bundesrat Rene Pfister (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für Österreich, weil wir mit der Beschlussfassung über das Österreichische Bundes- und Industriebeteiligungen-GmbH-Gesetz Schluss machen mit den Dingen, die in der Ver­gangenheit vielen von uns im Rahmen der ÖIAG nicht gefallen haben.

Insbesondere freut es mich, dass es gelungen ist, den sogenannten selbsterneuernden Aufsichtsrat wegzubekommen. Damit wird auch sichergestellt, dass dem, was einige in den letzten Jahren offensichtlich getan haben, nämlich die ÖIAG als Selbstbedienungs­laden zu betrachten, endgültig ein Riegel vorgeschoben wird. Ich glaube, das ist wich­tig, und das muss man auch einmal ganz klar feststellen. Jawohl, das ÖIAG-Gesetz ist ab heute Geschichte, und das ist gut so. Endlich gibt es Voraussetzungen, um strate­gisches Eigentum in Österreich besser abzusichern als bisher. In den letzten Jahren ist da zwar sehr viel geschehen, aber leider sehr viel Negatives. In Wirklichkeit wurde ver­schenkt, verschleudert und zugeschanzt. Meine sehr geschätzten Damen und Herren, dem wird heute ein klarer Riegel vorgeschoben.

Zum Stichwort „verschenken“, das heute schon gefallen ist: Bei der Privatisierung des Dorotheums im Jahre 2001 sind von 70 Millionen € Verkaufspreis tatsächlich 50 Millio­nen € übrig geblieben. Der Rechnungshof hat das scharf kritisiert. Bei der Telekom – das ist heute auch schon ausgeführt worden – ist es durch die Misswirtschaft, die über Jahre passiert ist, in Zukunft vielleicht auch so, dass da der mexikanische Mehrheits­eigentümer den Ton angibt und wir genau nichts mehr mitzureden haben.

Nun zum Verschleudern. Betreffend die Austria Tabak möchte ich schon die Zahlen auf den Tisch legen, auch wenn Herr Perhab das Ganze eher locker nimmt. Bei der Priva­tisierung der Austria Tabak – das gehört schon erwähnt und das war auch in allen Me­dien – war der Kommentar des damaligen amtierenden Finanzministers, des Herrn Karl-Heinz Grasser, der ja damals freiheitlicher Minister war, dazu  (Bundesrätin Mühl­werth: ÖVP!) – Der war auch bei der ÖVP. Der hat alle Farben gehabt, die er gerade gebraucht hat. Die einen betreiben Kindesweglegung und die anderen können sich nicht mehr daran erinnern. Das ist in diesen Kreisen zwischen 2000 und 2006 passiert.

Aber der Herr Finanzminister hat damals etwas sehr Interessantes gesagt: Wenn hier nach dem Verkauf nicht Milch und Honig fließen, dann schieße ich mir ins Knie. – 770 Millionen € haben wir bekommen, fünf Jahre später hatte der Gallaher-Konzern die­sen gesamten Preis refinanziert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich nicht erinnern, einen Schuss gehört zu haben. Der Herr Finanzminister a.D. erfreut sich bester Gesundheit. Er hat natürlich der-


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 99

zeit die einen oder anderen Probleme. Aber, wie gesagt, wenn ich da von erfolgreichen Dingen in der Vergangenheit spreche, dann gehört alles auf den Tisch gelegt und dann gehört auch gesagt, dass der Herr Finanzminister da sehr hart aufgeschlagen ist. (Bun­desrat Perhab: Der AUA-Betriebsrat !)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut und wichtig, dass die verrückte Regelung der Selbsterneuerung nun weg ist. Es ist, so glaube ich, auch wichtig, dass die Politik endlich wieder die Verantwortung für das Eigentum der Österreicherinnen und Öster­reicher übernehmen kann. All jene, die jetzt die große Befürchtung äußern, dass das Ganze in Richtung Verpolitisierung geht, kann ich nur auffordern: Schauen Sie sich doch an, wo uns diese Entpolitisierung in den letzten Jahren hingebracht hat!

In Wirklichkeit ist auf Teufel komm raus privatisiert worden. Der Wirtschaftsstandort Österreich wurde mehrfach geschädigt. Da könnten wir jetzt alle Privatisierungen ein­zeln durchgehen.

Wenn es um die ÖBB geht, dann möchte ich nur sagen, wenn da im Hintergrund eine Privatisierung mitschwingt, dann möchte ich schon an zwei sehr plakative Beispiele er­innern: In England hat man Ende der siebziger Jahre zum Beispiel das Schienennetz und die Eisenbahnen privatisiert, ebenso in Neuseeland. Jetzt muss man alles mühe­voll um sehr viel Geld wieder zurückkaufen und sanieren.

Ich verbinde mit der ÖBIB aber auch die große Hoffnung, dass wir endlich den Frau­enanteil in den Aufsichtsräten erhöhen können. Ich wünsche mir sehr, dass nicht nur der Privatisierungswahn ein Ende nimmt, sondern dass auch die Möglichkeit genutzt wird, dort, wo es Sinn macht, und dort, wo es auch strategisch für den Wirtschafts­standort notwendig ist, neue Beteiligungen einzugehen und neue Unternehmungen in die ÖBIB hereinzuholen.

Ich meine, es gibt eine gute Voraussetzung dafür, nämlich eine demokratisch legitimierte Struktur. Jetzt geht es darum, dass auch die Verantwortung für die über 66 000 Mitar­beiterinnen und Mitarbeiter in diesen Unternehmen wahrgenommen wird.

Ich bin sehr froh darüber, dass dieser wichtige Schritt gelungen ist. Daher stimmen wir von der SPÖ mit großer Freude diesem Gesetz heute zu. (Beifall bei der SPÖ, bei Bundesräten der ÖVP sowie des Bundesrates Zelina.)

15.23


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desminister Dr. Brandstetter.

Entschuldigung, Herr Minister, darf Herr Kollege Pisec noch vorher sprechen? – Der Herr Minister hat ohnehin gesagt, er würde gerne die Schlussworte sprechen.

Bitte, Herr Bundesrat Mag. Pisec.

 


15.24.15

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA (FPÖ, Wien): Geschätztes Präsidium! Wenn ich das so sagen darf: Ich darf mich kurz zu Wort melden, weil Kollege Perhab meinen Namen genannt und wirtschaftshistorisch etwas unsauber argumentiert hat. (Bundesrat Mayer: Aber positiv! Sehr positiv!) Darf ich das vielleicht etwas korrigieren? – Ja, ich sage wirtschaftshistorisch.

Warum die Verstaatlichte entstanden ist, ist, glaube ich, bekannt: weil damals die gan­zen Großkonzerne deutsches Eigentum waren und sonst den Besatzungsmächten an­heimgefallen wären. Das war der Grund für die Gründung der Verstaatlichten. Die His­torie der Verstaatlichten in den siebziger Jahren ist auch bekannt. Das, was heute die Hypo ist, war damals die Verstaatlichte. Sie hat uns pro Jahr 30 Milliarden – damals noch in Schilling – gekostet, also zirka 2,5 Milliarden €. Das sind in heutiger Währung teuerungsbereinigt zirka 30 Milliarden € jährlich. Das war das Desaster schlechthin.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 100

Die Andritz AG ist eine Erfolgsgeschichte, keine Frage, aber auch die ÖMV ist eine Er­folgsgeschichte. Die Post wurde schon erklärt. Warum Generaldirektor Roiss schlecht sein soll, warum ein Siegfried Wolf schlecht sein soll, das muss mir jemand erklären! – Die Performance ist seit der Privatisierung, aktienmäßig leicht abzulesen, exzellent. Ein Unternehmen der Größe der OMV ist – Entschuldigung, wenn ich das sagen darf – kei­nem Politiker verantwortlich, keinem Ministerium verantwortlich, sondern in erster Linie seinen Aktionären und seinen Gläubigern. (Zwischenruf des Bundesrates Perhab.)

Daher ist dieses Gesetz bei Gott ein Rückschritt und wirklich in jeder Hinsicht abzu­leh­nen. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

15.25


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Nun gelangt Herr Minister Dr. Brandstetter zu Wort. – Bitte.

 


15.25.53

Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf in Vertretung des Herrn Finanzministers – leider ohne weitere Befugnisse (Heiterkeit) – zwei Dinge ergänzen, die in der Debatte nicht erwähnt wurden. Die Argumente liegen ja auf dem Tisch, aber zwei Punkte verdienen es schon noch, erwähnt zu werden: Zum Ersten ist jetzt diese ÖBIB GesmbH eine sehr schlanke Einrichtung, das heißt, wir haben mit dieser Gesellschaft wirklich eine deutli­che Vereinfachung der Verwaltungsstrukturen und auch eine Verbilligung erreicht. Das möchte ich nicht unerwähnt lassen.

Zum Zweiten – und das ist für die Zukunft betrachtet noch viel wichtiger –: Selbstver­ständlich braucht der Bund eine effiziente Institution, die in der Lage ist, seine finan­ziellen Interessen bei der Bundesbeteiligung ausreichend abzusichern, auch in Zukunft abzusichern. Um das zu erreichen, muss man auch schnell und schlagkräftig agieren können. Das ist letztlich eine Entwicklung der jüngeren Zeit auf dem Kapitalmarkt, Sie alle wissen das. Da kann es schon erforderlich sein, sehr rasch Entscheidungen zu treffen, um allenfalls irgendwelche unfreundlichen Einstiege oder gar Übernahmen zu verhindern.

Daher braucht es ein schlankes Vehikel. Es braucht anstelle eines Schlachtschiffs ein kleines, aber wendiges Torpedoboot, das aber wirklich auch schlagkräftig ist. Das war auch ein Gesichtspunkt bei der Schaffung dieser Nachfolgeorganisation.

Ich denke, dass es über die Notwendigkeiten des GmbH-Gesetzes hinaus hier mit dem Nominierungskomitee sehr wohl gelungen ist, etwas einzurichten, was den Erfordernis­sen von Transparenz, Unabhängigkeit und Objektivierung durchaus genügen kann – in Anbetracht nämlich der tatsächlichen Ausgangslage und der Erfordernisse, die diese GmbH erfüllen muss.

Wir haben es ja bei den Vorrednern gehört: Ja, es gab sicher nicht bei jeder Privati­sierung den eigentlich gewünschten Erfolg. In Zukunft wird man mit dieser schlanken Einrichtung auf sehr effiziente und kostengünstige Art und Weise die Interessen des Steuerzahlers wahrnehmen können, indem man dafür sorgen kann, dass eben die In­teressen des Bundes an seinen Beteiligungen bestmöglich verwaltet und abgesichert werden.

Das ist auch ein ganz wesentlicher Sinn dieses Gesetzes. Diese beiden Aspekte wollte ich nur noch zusätzlich erwähnt haben, weil sie bisher nicht vorgekommen sind. – Dan­ke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Zelina.)

15.28

15.28.10

 


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 101

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

15.28.568. Punkt

EU-Jahresvorschau 2015 des Bundesministeriums für Finanzen (III-550-BR/2015 d.B. sowie 9329/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Wir gelangen nun zum 8. Punkt der Tagesord­nung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Füller. – Bitte um den Bericht.

 


15.29.05

Berichterstatter Christian Füller: Geschätzte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Finanzausschusses über die EU-Jahresvorschau 2015 des Bundesministeriums für Finanzen.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Finanzausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 10. März 2015 den Antrag, die EU-Jahresvorschau 2015 des Bundesministeriums für Finanzen zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Danke für den Bericht.

Als Erster gelangt Herr Bundesrat Mag. Pisec zu Wort. – Bitte.

 


15.29.41

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Basis dieses Be­richts ist die europäische Thematik, die Metaebene, die Jean-Claude Juncker, der neue EU-Kommissionspräsident, damals, im Juni 2014, vorgestellt hat. Das ist keine schlech-
te Ebene für ein Land, auch für Österreich.

Junckers Programm ist die Bankenunion, die jetzt realisiert worden ist. Das ist eigent­lich eine gute Sache von Brüssel aus. Die zweite große Ebene ist die Kapitalmarkt­union, die vielleicht in diesem Bericht etwas zu kurz kommt. Generell kommt in diesem Bericht die Österreich-Ebene auch etwas zu kurz, die ich nun beleuchten möchte.

Grund dieser Finanzneuordnung, Finanzreorganisation, um es so zu nennen, ist, dass einfach mehr Geld in die Wirtschaft kommen soll. Die Wirtschaft braucht mehr Geld, genauso braucht der Konsument mehr Geld. Da fangen die Denkprozesse an, warum das zum Beispiel in Österreich nicht und nicht funktioniert.

In Österreich gibt es seit Sommer 2012 bis heute eine Stagnation, obwohl der niedrige Ölpreis, die niedrigen Zinsen und der niedrige Euro – der ist im freien Fall – eigentlich die Wirtschaft befeuern müssten und extreme Konjunkturmotoren sein müssten. Es klappt in Österreich nicht. Wir hatten 2012 kaum Wirtschaftswachstum, 2013 schon gar nicht und auch 2014 nicht. Wenn man über die Grenzen blickt, ist es folgendermaßen: in der Schweiz 2 Prozent jährlich, in Deutschland auch 2 Prozent jährlich, aber bei uns klappt es einfach nicht. Also muss man sich einmal Gedanken darüber machen, warum es bei uns nicht klappt. Auch wenn der Ölpreis so niedrig ist – was reiner Zufall ist – und Mario Draghi von der EZB Hilfen von allen Stellen gibt, trotzdem klappt es nicht.

Schauen wir uns einmal die Kapitalmarktunion an, die hier vorgegeben wird! Sinn und Zweck ist, dass Unternehmer zu mehr Geld kommen und unabhängig von den Banken


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 102

werden – unabhängiger, weil sie Finanzierung brauchen. Unternehmen brauchen Fi­nanzierung, damit sie wirtschaften können. Das ist das Um und Auf.

Jetzt wird mit dieser Kapitalmarktunion festgelegt, dass Unternehmer Zugang abseits der Bankenkredite haben können, wie zum Beispiel Wertpapiere an der Börse, wo man sich Eigenkapital, Risikokapital und Beteiligungskapital beschafft; das sind eigentlich die drei Schwerpunkte, die in den USA das Wirtschaftswachstum ausmachen. Dort wer­den 80 Prozent der Fremdfinanzierung über diese drei Parameter festgelegt und nicht wie bei uns alles über Bankkredite. Das wird nicht mehr funktionieren, weil die Banken einfach nicht mehr das Pouvoir und auch nicht die Power haben, da die Finanzierung zu leisten. Deswegen gibt es ja diese Bankenunion.

Was macht man jetzt in Österreich? – Ich bin ja schon gespannt darauf, was in den nächsten zwei Tagen an Steuerreform auf uns zukommen wird. – In Österreich will man allen Ernstes die Kapitalertragsteuer erhöhen, also statt 25 Prozent 35 Prozent. Das betrifft natürlich auch die GesmbHs, das betrifft alle Unternehmen, die wirtschaft­lich etwas leisten wollen. Wenn sogar der sozialdemokratische Bürgermeister von Wien, Häupl, sagt, die Abwanderung aus Wien könnte einmal ein Problem werden, dann wür­de ich langsam anfangen zu fragen: Was stimmt eigentlich in Österreich nicht?

Gründungscity, Start-up-City ist Berlin. Die Leute wandern nach Berlin ab. Dort gibt es offensichtlich bessere Rahmenbedingungen, wirtschaftsökonomische Bedingungen, als sie hier in Wien gegeben sind. Warum sollte dann die KESt auf 35 Prozent erhöht wer­den, aus welchem Grund? – Die GmbH light ist ja letztes Jahr groß propagiert worden. Wenn man die GmbH light praktisch wieder mit 35 Prozent statt 25 Prozent bei Ge­winnentnahme besteuert, dann kommt man gleich wieder auf 50 Prozent.

Das heißt, wenn man ein paar Euro Umsatz und einen armseligen Gewinn macht, muss man 50 Prozent Steuer abliefern. Damit kann man keine jungen Unternehmerinnen und Unternehmer in die Selbständigkeit führen, bringen und motivieren. Das wird einfach nicht klappen. Das ist nur ein Beispiel dafür, warum es hier in Österreich nicht funktio­niert.

Die niedrigen Zinsen sollten als Motor dienen, sie sind ja nicht nur eine Finanzierung für den Staat. Klar, Österreich ist extrem verschuldet, das wissen wir alle, die Ver­schwendungssucht feiert fröhliche Urständ, aber es sollte ja auch den Unternehmen helfen, an niedrig verzinstes Eigenkapital heranzukommen.

Der Hauptpunkt ist jetzt dieser freie Fall des Euros, der eigentlich beispiellos ist. Er gibt einem die Möglichkeit, sagenhafte Gewinne oder sagenhafte Verluste zu schreiben, wie es ja die Gemeinde Wien, die Stadt Wien schafft. Die Stadt Wien hat allen Ernstes schon seit ewiger Zeit einen Schweizer-Franken-Kredit abgeschlossen und verpasst, ihn glattzustellen, in der Hoffnung, dass der Euro steigt. Also sie hat vollkommen falsch spekuliert. Eine Stadt sollte überhaupt nicht mit öffentlichen Geldern spekulieren. – Aber nein, sie tut es trotzdem!

Wenn Finanzstadträtin Brauner sagt, ihr sei das egal, weil der Verlust nicht realisiert sei, sie könne verbuchen, was sie will, muss man entgegnen, dass das auf der ande­ren Seite sehr wohl als Gewinn dargestellt wird. Daher ist das bei der Stadt Wien ein Verlust, egal, was sie hier darstellt.

Die Steuer ist das Hauptproblem. Mit hohen Steuern schafft man kein Wachstum. Das ist die Quadratur des Kreises, das gelingt einfach nicht. Es geht auch immer um die Gesamtsteuerbelastung. Wenn man da etwas senkt und dort erhöht, dann ist das ei­gentlich vollkommen wurst, es geht immer um die Gesamtsteuerbelastung.

Interessant ist der Tax Freedom Day, der Tag, bis zu dem durchschnittliche Steu­erzahler nur für Steuern und Abgaben gearbeitet haben. In der Schweiz geht das vom


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1. Jänner bis Mitte April, dann kann man für sich selbst arbeiten. In den USA vom 1. Jänner bis Ende April, in Deutschland vom 1. Jänner schon bis Anfang Juli, da wird es schon schwieriger. In Österreich vom 1. Jänner bis 14. August. Als ich im Jah­re 2010 in den Bundesrat gekommen bin, war es noch der 1. August. Bis jetzt hat es keine wirkliche Steuererhöhung gegeben, nein, das ist die ganze kalte Progression, die wir eh von hinten bis vorne kennen.

Heute werden die Finanzmärkte von den Staaten getrieben. Es ist auch falsch, sehr geehrter Herr Minister – ich weiß, Sie haben das nicht geschrieben, ich darf es aber trotzdem erwähnen –, wenn hier auf Seite 8 im Bericht steht: Das Vertrauen in die ge­meinsame Währung ist wieder weitgehend hergestellt. – Das ist ja völlig falsch!

Der Euro hat im letzten Dreivierteljahr 25 Prozent an Wert gegenüber dem US-Dollar, 15 Prozent gegenüber dem Schweizer Franken und gegenüber dem Britischen Pfund, den Hauptwährungen weltweit, verloren. Nein, das kann nicht gutgehen, das kann nicht funktionieren, da ist sicherlich Vorsicht angesagt.

Wie es weitergeht, muss man sehen, es ist in Europa irgendwie ein Pulverfass. Leiden tun die Unternehmer – das sollte geändert werden, vor allem in Österreich, denn da­rum geht es: Die Wirtschaftspolitik wird hier in Österreich gemacht, in Brüssel werden nur die großen Vorgaben, wird die große Metaebene aufgezeigt.

Daher sollten wir uns hier endlich von dieser Höchststeuerpolitik – das ist die Conclu­sio – verabschieden und doch einmal schauen, ob es nicht anders, besser geht, so­wohl für die Unternehmer und Unternehmerinnen als auch für die Konsumenten und Kon­sumentinnen. – Danke. (Beifall bei der FPÖ sowie des Bundesrates Zelina.)

15.37


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desrat Reisinger. – Bitte.

 


15.37.34

Bundesrat Friedrich Reisinger (ÖVP, Steiermark): Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Die EU-Jahresvorschau des Finanzministeriums umfasst eine Reihe von ganz wichtigen und wesentlichen Punkten, welche für die Entwicklung und die Zukunft Europas und damit auch Öster­reichs von großer Bedeutung sind.

Wie ein roter Faden zieht sich allerdings auch die Frage der Staatsverschuldung durch diesen Bericht – ein Thema, von dem viele Länder betroffen sind, die einen mehr, die anderen weniger, wo viele Länder auch sehr erfolgreich daran arbeiten, aber einige sehr säumig sind.

Wenn wir uns vor allem Griechenland anschauen, dann wissen wir, dass sich da die Situation extrem zuspitzt. Das Geld geht endgültig aus. Aber was das Schlimmste ist, glaube ich: Dieses Land ist auch nicht bereit, wirklich Reformen anzugehen.

Nach wie vor gibt es einen viel zu großen Staatsapparat, es gibt zu viele Beamte, zu viele Menschen, die Beamtengehälter beziehen. Es gibt nach wie vor Korruption, die blüht und gedeiht. Es gibt nach wie vor Steuerhinterziehung im großen und im kleinen Stil.

Griechenland ist alles andere als ein Musterland. Es möchte mehr Geld haben, möchte weniger Reformen machen und möchte auch weniger Kontrolle. Ich denke, gute Freund­schaften sollte man daher durchaus auch dazu nutzen, das eine oder andere klare Wort zu sprechen.

Ein weiterer Punkt dieses Berichts ist das Thema Wirtschaftswachstum. Herr Kollege Pisec, ich gebe Ihnen wirklich in vielen Bereichen recht, wenn Sie sagen, wir haben ei-


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gentlich drei Wachstumspakete: erstens niedrige Energiepreise, die kostendämpfend wirken, zweitens einen schwachen Euro, der eigentlich die Exporte beflügeln müsste, und drittens niedrige Zinsen, die eigentlich die Investitionen erleichtern müssten. Tatsa­che ist trotzdem, dass vor allem die Investitionen sehr rückläufig sind. Ein Minus von 15 Prozent bis 20 Prozent wird ausgewiesen. Auch Ökonomen sagen, es ist vor allem die Stimmung, die schlecht ist bei den Investoren. Es ist auch die Psychologie. Kon­junktur spielt sich auch in den Köpfen ab. Und das hat, glaube ich, sehr viel auch mit den globalen Krisenherden zu tun, mit der Russland-Ukraine-Krise, mit der IS-Terror­bewegung. Es hat aber auch sehr viel mit mangelnder Reformbereitschaft auf europäi­scher Ebene, auf nationaler Ebene und auch auf Landesebene zu tun.

Das heißt, wir brauchen in Europa auf allen Ebenen Reformen, vor allem Strukturre­formen. Ich weiß, dass diese nicht immer einfach durchzuführen und nicht immer ein­fach durchzusetzen sind. Hier gibt es immer wieder auch große Widerstände. Wir ha­ben das auch in der Steiermark erlebt, wo man die Landesverwaltung wirklich völlig neu strukturiert hat, wo man, beginnend beim Landtag, bis zu den Bezirken, bis zu den Gemeinden große Reformen durchgesetzt hat, oft auch gegen große Widerstände, wo es gelungen ist, auch das Budget zu sanieren, wo keine Neuverschuldung mehr aus­gewiesen wird.

Wir brauchen aber auch eine Vereinfachung der Gesetze und Verordnungen. Es muss wieder Freude machen, zu wirtschaften, es muss wieder eine Freude sein, ein Unter­nehmer zu sein, denn nur gesunde Betriebe sichern auch Arbeitsplätze.

Als besonderer Anreiz für mehr Wachstum ist aber auch der Investitionsplan des Kom­missionspräsidenten Jean-Claude Juncker zu erwähnen, mit einem Gesamtpotenzial von 315 Milliarden €, mit einer speziellen Fokussierung auf Schlüsselprojekte wie Infra­struktur, Bildung und Forschung, die Finanzierung von Klein- und Mittelunternehmen, aber vor allem auch auf den Bereich Klimaschutz und Energie. 53 Prozent der Energie wird in Europa nach wie vor importiert – das ist ein Potenzial von 400 Milliarden € jähr­lich. Wir sind aber auch dagegen, dass man die Nuklearenergie mit diesem Fonds fi­nanziert.

Grundsätzlich positiv finde ich auch, dass im Bericht die Einführung der Transaktions­steuer als wichtiges Ziel angeführt ist – obwohl es da natürlich auch berechtigte Sorge gibt, dass die Finanzmärkte dadurch aus Europa abwandern könnten. Deshalb verwun­dert es auch nicht, dass derzeit nur elf Staaten wirklich dafür sind. Ich glaube, wenn man da etwas weiterbringen möchte, dann ist das wirklich ein sehr ambitioniertes Ziel.

In Summe, denke ich, zeigt diese Jahresvorschau eine Reihe von richtigen Maßnah­men für eine positive Entwicklung der Wirtschaft in Europa und in Österreich auf. Un­sere Fraktion wird diesen Bericht daher gerne zur Kenntnis nehmen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

15.43


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desrat Lampel. – Bitte.

 


15.43.31

Bundesrat Michael Lampel (SPÖ, Burgenland): Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute die EU-Jahresvorschau 2015 des Finanzministeriums auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission und des Arbeitsprogramms des ECOFIN-Rats, und ich möchte mich vorweg bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Finanzministeriums für diese Unterlage, die uns zur Verfügung gestellt wurde, ganz herzlich bedanken.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 105

Zu Beginn möchte ich auch gleich positiv vermerken, dass beim Durchlesen des Be­richtes festzustellen war, dass die Positionen des Finanzministeriums zu allen Punkten angemerkt wurden – und nicht, wie im Vorjahr bei der Debatte zur Jahresvorschau 2014 von meinem Kollegen Füller kritisch angemerkt wurde, nur zu wenigen Punkten Posi­tionen des Finanzministeriums vorgefunden wurden.

Der Schwerpunkt der Kommission – und darauf will ich mich auch beziehen – für das Arbeitsprogramm liegt im Jahr 2015 bei der Förderung von Wachstum und Beschäfti­gung, wobei diese auch beim ECOFIN-Rat als zentrale Aufgabe angemerkt ist.

Geschätzte Damen und Herren, wenn man sich die Arbeitslosendaten vom Jänner 2015 ansieht, ist zwar zu erkennen, dass die Arbeitslosenzahlen minimal zurückgehen, dass die Arbeitslosenquote in der Europäischen Union minimal sinkt und dass sich in 24 der 28 Mitgliedstaaten der Arbeitsmarkt etwas verbessert hat und auch die Jugendarbeits­losigkeit minimal gesunken ist, sie sind aber natürlich immer noch bei Weitem zu hoch. Und jeder Arbeitslose – das ist heute schon mehrmals gesagt worden – ist natürlich ein Arbeitsloser zu viel. (Ruf bei der FPÖ: Das hat der Kreisky schon gesagt!)

Die Länder mit der niedrigsten Arbeitslosenquote sind, wie heute schon erwähnt wur­de, Deutschland und Österreich. Diese beiden Länder haben auch die geringste Jugend­arbeitslosigkeit.

Am meisten verbessert haben sich im Jahresvergleich, wenn man sich das anschaut, Spanien von 25 auf knapp 24 Prozent, weiters Estland und Irland. Den größten Rück­gang der Jugendarbeitslosigkeit gab es vor allem in Polen und in der Slowakei.

Angestiegen ist die Arbeitslosigkeit vor allem im Bereich Zypern, Frankreich und Finn­land. Besonders besorgniserregend ist natürlich der Anstieg in Frankreich – immerhin eine der größten Volkswirtschaften des Euroraumes.

Die höchste Arbeitslosenquote, das ist auch bekannt, haben Griechenland und Spa­nien. Das ist eigentlich wenig überraschend, da beide derzeit die größten Krisenländer der Eurozone sind.

Beide Länder verzeichnen auch die höchste Jugendarbeitslosigkeit mit über 50 Pro­zent. Wenn man sich vorstellen würde, wenn das hier alle Jugendliche wären und jeder Zweite wäre arbeitslos – eine unglaublich hohe Zahl! Auch die Jugendarbeitslosigkeit in Kroatien und Italien mit über 40 Prozent ist bedenklich hoch. Daher ist es aufgrund der vorliegenden Daten auch besonders wichtig und richtig, die Förderung von Wachs­tum und Beschäftigung als Schwerpunkt im Arbeitsprogramm vorzufinden.

Dementsprechend hat auch mein Landeshauptmann Hans Niessl bei seiner Neujahrs­ansprache gesagt:

„Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ist im Jahr 2015 schwieriger denn je. Das ist uns auch bewusst. Daher müssen wir diesen Kampf mit beispielloser Konsequenz führen!“

Es geht auf der einen Seite um ein sinnvolles Sparen, dort, wo es möglich ist, und auf der anderen Seite gilt es ein Investitionsprogramm zu fahren, denn gerade das Burgen­land ist ein Best-Practice-Beispiel in dieser Angelegenheit. Wir investieren hohe Sum­men in die Ausbildung der Jugendlichen, in Lehrstellen, und das mit Erfolg: Die Ju­gendarbeitslosigkeit ist im Burgenland im Jahresschnitt 2014 um 4 Prozent gesunken, in den letzten vier Monaten sogar monatlich um 7 Prozent.

Das heißt auf der einen Seite: vernünftige Investitionen in die Bildung, in die Ausbil­dung, in die Forschung, in die Innovation, aber vor allem auch in den Ausbau der Infra­struktur, durch den natürlich auch kräftige Impulse zur Stärkung des Wirtschaftsstand­ortes gesetzt werden. Das ist die Basis, denn eine gute, ausgebaute Infrastruktur ist heute die Voraussetzung für Wirtschaftswachstum, für die Ansiedlung von Betrieben


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 106

sowie für die Sicherung bestehender und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Daher sind Investitionen in Europa, wie sie auch im Investitionsplan dargestellt sind, von besonde­rer Bedeutung und ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Neben Investitionen sind natürlich damit verbundene – mein Vorredner hat es gesagt – Strukturreformen und solide öffentliche Finanzen ebenso ganz wichtig wie der gemein­same europäische Kampf gegen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung.

Es wurden zwar aufgrund der Finanz- und Schuldenkrise verschiedene positive Maß­nahmen gesetzt, um durch Unterstützungsprogramme krisengeschüttelten Ländern zu helfen – Portugal und Irland sind positive Beispiele in diesem Bereich –, aber es hat sich auch gezeigt, dass es nur mit Sparen, mit Kürzungen et cetera – und ich sage nicht „Kaputtsparen“ – auch nicht funktionieren kann. Wichtig ist, dass die Wirtschaft im ent­sprechenden Land durch sinnvolle Investitionen, durch gezielte Investitionen angekur­belt wird, Strukturen entsprechend angepasst werden, damit mehr Menschen in Be­schäftigung kommen, damit der Konsum der Menschen wieder zunimmt.

Gerade in den mittleren und niederen Einkommensschichten ist es wichtig, dass sie Ein­nahmen haben oder, wie das zuletzt öfters gesagt wurde, dass ihnen mehr Geld im Börserl bleibt. Gerade diese Einkommensbezieher können es sich nämlich nicht leisten zu sparen, sondern sie investieren, um ihren entsprechenden Lebensstandard führen zu können. Sie können es sich nicht leisten, zu spekulieren, Geld in Aktien, in Fonds, in Wertpapieren anzulegen oder Ähnliches. Genau diese Einkommensschichten investie­ren, um zu leben. Das bedeutet Konsumsteigerung, positive Effekte, mehr Arbeitsplät­ze und so weiter, um nur einiges zu nennen.

Geschätzte Damen und Herren, viele interessante und positive Vorhaben sind in dieser Jahresvorschau enthalten und ich darf abschließend noch bemerken: Ich hoffe auch, dass die führende Rolle Österreichs bei der verstärkten Zusammenarbeit zur Einfüh­rung der Finanztransaktionssteuer ihre Wirkung zeigt und dass diese raschest umge­setzt wird.

Schließen möchte ich mit einer kurzen Aussage des Herrn Finanzministers, der vor Kur­zem gemeinsam mit dem französischen Finanzminister gesagt hat:

„Das gemeinsame Ziel Europas ist, das schwache Wachstum der vergangenen Jahre langfristig zu beenden. Dazu wird es notwendig sein, den Juncker-Plan so rasch wie mög­lich zu verabschieden. Wir brauchen nicht erst in den Jahren 2017/18 Investitionen, son­dern bereits in diesem Jahr.“

In diesem Sinne danke ich fürs Zuhören, schließe mein Statement und darf für meine Partei sagen, wir werden diese Jahresvorschau gerne zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

15.51


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundes­rätin Reiter. – Bitte.

 


15.51.31

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Frau Präsidentin! Werte Kolle­gen und Kolleginnen! Dieser Bericht bietet offensichtlich ein sehr breites Spektrum an Themen und Thematiken, von Griechenland über die Förderung der Freude am Unter­nehmertum bis hin zu Beschäftigungszahlen und Arbeitslosigkeit, und viele weitere An­knüpfungspunkte. Ich werde das nicht vertiefen.

Ein wesentlicher Punkt dieses Berichts ist aber der Investitionsplan von Jean-Claude Juncker für Wachstum und Beschäftigung. Das ist nun kein Konjunkturprogramm, son­dern es sollen damit Gelder für risikoreiche Projekte verfügbar gemacht werden – ohne


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 107

neues Geld: Aus dem vorhandenen Budget sollen 21 Milliarden € herausgezogen wer­den, die mit privatem Geld dann gehebelt werden, um den Faktor 15, um damit über 300 Milliarden zur Verfügung zu stellen.

Interessant finde ich folgenden Punkt: Obwohl öffentliche Haftungen ja jetzt in diesem Rahmen praktisch nicht mehr möglich sind, wird aber jetzt für dieses Geld, oder um es zu lukrieren, ein Garantiefonds geschaffen, der Investoren anlocken soll. Und: Nach­dem es mit Basel II und Basel III gelungen ist, die Kreditklemme für KMUs möglichst festzuschrauben und noch weiter zu schließen, richtet sich jetzt dieses Programm ausdrücklich an diese Zielgruppe. Reparaturen des Bankenwesens, nämlich wieder ei­ne Regulierung dieser Banken, wie sie in den Neunzigerjahren bestand, zu schaffen und damit zu erreichen, dass das eigentlich im Übermaß vorhandene Geld auch tat­sächlich wieder in die Realwirtschaft fließt, bleiben leider aus. Und es gibt da ja sehr skurrile Entwicklungen, wie Anleihen mit Negativzins und solche Dinge mehr.

Es fehlt mir in diesem Bericht wirklich nach wie vor die wirksame Gegensteuerung ge­gen diese Entwicklung, denn es muss klar sein, dass dieses Juncker-Programm die Mög­lichkeiten der öffentlichen Hand, Investitionen zu tätigen, nicht wesentlich verbessern wird, außer über PPP-Projekte. Und die Erfahrungen damit sind ja – Elbphilharmonie oder Autobahnen – nicht gerade positiv, sowohl was das Volumen und wie es sich entwickelt hat als auch was die Transparenz und so weiter betrifft.

Das heißt, in dem Bericht gibt es viele Schlagworte wie Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion, Kampf gegen Steuerumgehung und Steuerbetrug – no na, ist man versucht zu sagen –, es soll einen Aktionsplan gegen die Kürzung und Verlagerung von Gewinnen geben, Stichwort BEPS – also diese Abkürzungen sind sehr faszinie­rend –, ebenso eine enge Zusammenarbeit der Kommission mit anderen Institutionen, um die Einführung einer Finanztransaktionssteuer zu erleichtern.

Viel vager als in diesem Bericht kann man es nicht mehr formulieren, und dazu gibt es das Abnicken des Finanzministers. Ich würde mir schon oft konkretere Vorschläge von­seiten des Ministeriums erwarten, welche Schritte man in Österreich setzen wird und wann, um hier konkret sozusagen etwas zu verändern. Das betrifft auch die Zinsen­richtlinie und so weiter.

Was die Vertiefung der Zusammenarbeit in Steuerfragen betrifft, zum Beispiel die Ein­führung einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundla­ge – dazu gab es bereits 2011 einen Vorschlag einer Richtlinie –, gibt es bisher wenig Einigkeit und null Fortschritt. Das betrifft im Wesentlichen auch die Finanztransaktions­steuer oder eine neue Richtlinie zu Zinsen und Lizenzgebühren.

In vielen Bereichen ist also die Entwicklung, um es gelinde zu formulieren, sehr zäh, und da überrascht das Tempo der Investitionsinitiative Junckers wirklich, da innerhalb eines Jahres praktisch das Geld zur Verfügung stehen soll – das soll also im Herbst so weit sein. Aber – und das meine ich mit nicht gemachten Hausaufgaben, die doch auch sehr deutlich werden in dem Bericht – Teile des Berichts kann man offensichtlich Jahr für Jahr abschreiben und damit einfach fortschreiben. Trotzdem werden wir ihn zur Kenntnis nehmen. – Danke. (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

15.55

15.55.20

 


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Die Tagesordnung ist erschöpft.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 108

15.56.20Dringliche Anfrage

der Bundesräte Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesmi­nisterin für Bildung und Frauen betreffend Beharrung auf gescheiterten sozia­listischen „Bildungsphantasien“ auf Kosten der Zukunft unserer Kinder (3064/J-BR/2015)

 


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über die Dringliche Anfrage der Bundesräte Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Bildung und Frauen.

Da die Dringliche Anfrage inzwischen allen Mitgliedern des Bundesrates zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch die Schriftführung.

Ich erteile Frau Bundesrätin Mühlwerth als erster Anfragestellerin zur Begründung der Anfrage das Wort und darf gleichzeitig Herrn Minister Brandstetter verabschieden.

(Bundesrätin Mühlwerth – von ihrem Sitzplatz aus –: Das ist jetzt aber spannend ohne Frauenministerin!) Sie wird gleich kommen, sie hat uns sicher gehört. Ich gehe davon aus, Monika, dass sie gleich da sein wird. (Bundesrätin Mühlwerth: Ich würde vor­schlagen, wir unterbrechen fünf Minuten, bis die Frau Minister da ist!) Ich habe gehofft, dass sich das ausgeht. Die Hoffnung stirbt zuletzt. (Bundesministerin Heinisch-Hosek betritt den Sitzungssaal und nimmt auf der Regierungsbank Platz. – Bundesrätin Mühl­werth begibt sich zum Rednerpult.)

Ich darf zum zweiten Mal Frau Bundesministerin Heinisch-Hosek bei uns im Bundesrat begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)

Bitte, Frau Kollegin Mühlwerth.

 


15.57.46

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Minister! Sehr ge­ehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, die Sie hier im Saal zuhören! Es vergeht ja kaum ein Tag, ohne dass in der Zeitung nicht die eine und dann auch gleich die nächste Panne zum Thema gemacht wird, was das Bildungsministe­rium betrifft.

Auch der Rechnungshof hat Ihnen ja schon bescheinigt, dass Österreich das teuerste Bildungssystem hat, das aber am wenigsten effizient ist. Vergegenwärtigen wir uns ein­mal, welche Zeitungsmeldungen es in den letzten Jahren, aber auch in den letzten Mo­naten gegeben hat: Jeder fünfte Volksschüler kann nicht ausreichend lesen und schrei­ben, 20 Prozent aller Schulabgänger, nach immerhin neun Jahren Schule, sind funktio­nale Analphabeten, können also nicht sinnerfassend lesen und auch nicht ausreichend schreiben.

Das sind natürlich jetzt nicht alles Versäumnisse, die Sie alleine zu verantworten ha­ben, sondern auch Ihre Vorgänger. Aber es ist halt so: Wenn man gerade im Amt ist, bleibt es immer an einem hängen, vor allem dann, wenn nichts weitergeht und sich nichts zum Besseren geändert hat.

Wir wissen das ja schon seit Jahren, und dann kam die PISA-Studie. Da waren wir ja beim ersten Mal noch auf einem ganz guten Platz und waren ganz glücklich, dass wir besser waren als Deutschland – das ist für Österreich immer ganz wichtig, besser zu sein als Deutschland. Bei der nächsten PISA-Studie kam aber schon wieder der Ab­sturz, da waren wir auf Platz 16. Und dann ging die Debatte über die Gesamtschule los, die gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen, denn mit zehn Jahren kann man das ja nicht machen, dass die Kinder sich entscheiden müssen, ob sie in die Haupt­schule gehen oder in das Gymnasium.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 109

Das große Vorbild wurde heraufbeschworen, Finnland: Finnland ist so gut und Finn­land schneidet so gut ab, und daher muss die Gesamtschule jetzt auf Biegen und Bre­chen her. – Ein bisschen nehme ich da den Appell des Herrn Bundesrates Dönmez mit, der immer sagt, man soll die Ideologie weglassen.

Ja, das kann auch die andere Seite einmal weglassen, nämlich diese Ideologie, die so an der gemeinsamen Schule festhält und meint, sie sei die Heilsbringerin, die alles Übel an der Schule und jede Schwierigkeit wie durch Zauberkraft verschwinden lassen wird. – Das ist leider nicht der Fall!

Man hat sich auf die Gesamtschule eingeschworen und hat, ohne dass man abgewar­tet hat, wie es funktionieren könnte, diese, nachdem man zuerst Modellregionen ge­macht hat, 2012 als Teil des Regelschulwesens einzementiert.

2014 kam dann die Überprüfung der Bildungsstandards, wo sich herausgestellt hat, dass die Neue Mittelschule, wie sie mittlerweile heißt, gegenüber der Hauptschule im Nachteil ist. Sie ist schlechter als die Hauptschule. Letztere ist trotzdem immer noch besser, sogar in Wien, obwohl man in Wien die Hauptschule wirklich kaputtgespart hat.

Jetzt, 2015, gab es endlich die geforderte Evaluation, und siehe da, das Ergebnis war das gleiche: Die NMS ist schlechter als die Hauptschule! Jetzt können Sie sagen: Na ja, das sagt immer die Opposition, die FPÖ im Besonderen, aber die Autoren der Eva­luation, deren Ergebnis übrigens zwei Monate unter Verschluss gehalten worden ist – warum auch immer; vielleicht wollte man dieses doch nicht so gute Ergebnis für das Ministerium nicht sofort veröffentlichen, sondern ein bisschen damit warten –, kommen zu dem Schluss, dass die Erreichung der pädagogischen Ziele an den untersuchten ersten beiden Generationen der NMS nicht im erwarteten Ausmaß festgestellt werden kann.

Ich finde es besonders interessant, zu welchem Schluss die Autoren dieser Evaluation noch kommen, und zwar:

„Der Beitrag der NMS in gesellschaftlicher Hinsicht, insbesondere zur Förderung von Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit, ist nach den bisher vorliegenden Daten eher gering.“

Das ist nichts Neues! Sie hätten nur nach Deutschland schauen müssen. Dort hat eine Bildungs- und Forschungsstudie des Max-Planck-Instituts schon vor Jahren das wider­legt, was Sie immer schon wollten und was Sie hoffen, dass die gemeinsame Schule bringt, nämlich dass dadurch soziale Ungleichheiten ausgeglichen werden.

Also das Max-Planck-Institut in Deutschland kommt zu der Auffassung, dass das Ge­genteil der Fall ist, nämlich dass die sozialen Ungerechtigkeiten einzementiert werden und die Schüler der Gesamtschule hinter jenen der Gymnasien sozusagen hinterher­hinken. Das überrascht uns gar nicht so sehr – es sind immerhin zwei Bildungsjahre, die da fehlen –, doch es überrascht uns, dass die Gesamtschule auch hinter der Real­schule nachhinkt. Also da hätten Sie nur zum Nachbarstaat schauen müssen und kei­nen „Lebendversuch“ um viel Geld machen müssen, der nicht das bringt, was Sie ei­gentlich wollten.

Dass die ÖVP-Bildungssprecherin Brigitte Jank damals gesagt hat, es sei fraglich, ob diese Mittel zielgerichtet eingesetzt sind, darüber sind wir jetzt nicht überrascht, denn die beiden Regierungsparteien sind sich ja nicht immer einig, obwohl es bei der ÖVP schon aufweichlerische Tendenzen gibt in die Richtung, ob nicht die Gesamtschule doch etwas Gutes wäre.

Aber interessant ist, was zum Beispiel Günter Haider dazu gesagt hat, der ja ursprüng­lich durchaus ein Befürworter der Gesamtschule war, und zwar:


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 110

„Unsere Kinder sind ja keine Versuchskaninchen. Wenn man schon weiß, dass eine bestimmte Schulform kein Erfolg ist oder keinen Erfolg bringt, ist es aus meiner Sicht ethisch nicht vertretbar, diese Schulen und Schüler quasi alle umzuwandeln, ob sie wol­len oder nicht. Jetzt gehört ein Stopp her.“

Und Günter Haider setzt dann in einem Zeitungsinterview noch nach:

„Der Bericht über die Neue Mittelschule hat mit den Märchen über Spitzenleistungen aufgeräumt, doch das werde von der Unterrichtsministerin einfach nicht zur Kenntnis ge­nommen.“

Aber auch Ihre Kollegin von der SPÖ, die Stadtschulratspräsidentin von Wien Susanne Brandsteidl hat dieses Modell kritisiert, nachdem klar war, dass es das nicht bringt, was man will, und sagte Folgendes:

„Ich glaube, dass man das Konzept der NMS überdenken muss. Ich bezweifle, ob das so sinnvoll ist. Da herrscht dringend Handlungsbedarf.“

Das sagte eine Befürworterin der NMS!

Neben der Gesamtschule, die ein Rohrkrepierer geworden ist, haben wir als nächsten Punkt die Zentralmatura. Das ist auch so ein Lieblingsprojekt gewesen, das schon von Anfang an, schon unter Ihrer Vorgängerin Claudia Schmied, von Pleiten und Pannen begleitet war. Da hat am Anfang auch schon gar nichts funktioniert. Wolfgang Türt­scher, Obmann der ÖAAB-Lehrer Vorarlberg, hat damals auch gesagt – ich zitiere –, dass die „standardisierte kompetenzorientierte Reifeprüfung trotz intensiver Bemühun­gen und Mehrarbeit der damit befassten Lehrer eine Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen ist, die das Unterrichtsministerium und das BIFIE zu verantworten haben“.

Dazwischen gab es noch die Geschichte mit dem Datenleck, das war kurz nach Ihrem Amtsantritt, Frau Ministerin. Da kann man sagen, okay, da sind Sie sozusagen hinein­gerutscht. Aber was man Ihnen schon vorwerfen kann, ist der Umstand, dass Sie das im Dezember schon gewusst haben und erst im Februar bekannt gegeben worden ist, dass es ein Datenleck gibt, was dazu geführt hat, dass auf einem rumänischen Server 400 000 Testergebnisse von Schülern und Daten von 37 000 Lehrern gelegen sind, und zwar völlig unverschlüsselt. Das war sehr mühsam, und da ging man nur zögerlich vor, da hat man gesagt: Ja, da ist etwas passiert, aber wir sind eh schon dabei, das zu reparieren! – Also das ist auch kein Management, wo man sagen kann, das ist ein gu­tes Krisenmanagement.

Und auch bei der Zentralmatura, wo wir ja nicht mehr am Beginn stehen, sondern mit­tendrin sind, gab es eine Panne nach der anderen. Bei den Französisch- und Eng­lischschularbeiten sind nach den Probeläufen, wo man geglaubt hat, sich darauf ver­lassen zu können, dass man eine bestimmte Prozentzahl erreichen muss, um zu be­stehen, plötzlich willkürlich die Zahlen hinaufgesetzt worden. Also wieder waren Schü­ler, Eltern und Lehrer verunsichert.

Und an einer AHS hat die Mathematik-Matura unterbrochen werden müssen, weil die Beispiele fehlerhaft waren. Auch bei der Deutsch-Matura gab es Probleme, und zwar – und das finde ich besonders interessant – stand da ein Text zur Auswahl, der national­sozialistisches Gedankengut enthalten hat. Da frage ich mich schon: Wie kann es denn im Unterrichtsministerium oder beim BIFIE oder wo auch immer passieren, dass ein Text mit nationalsozialistischem Gedankengut zu einer Matura kommt?

Beim BIFIE, das wir von Anfang an kritisiert haben, weil es mit Millionen dotiert worden ist, und wo wir uns immer gefragt haben, warum man dieses Bildungsforschungsinstitut braucht, wenn man ohnehin ein Ministerium hat, wo durchaus fähige Beamte sitzen, die diese Arbeit auch erledigen können, hat man sogar die Direktoren gekündigt. Da hat dann einer dieser Direktoren dagegen geklagt mit der Begründung, dass das poli­tisch motiviert und nicht sachlich begründet ist.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 111

All das zeigt, dass Sie es in Kauf nehmen, dass die Schüler, die Lehrer und die Eltern verunsichert sind.

Dazu kommt noch, dass Sie die Zahl der Vorbereitungsstunden gekürzt haben. Und da muss man sich schon fragen: Wissen Sie nicht, wie eine Zentralmatura funktioniert? Das gibt es ja auch schon in anderen Ländern, da kann man sich das anschauen, man muss ja nicht bei null beginnen. Man kann schauen, wie es die anderen machen, wo­rauf es ankommt, und das kann man dann umsetzen.

Nächster Punkt: Zeitmanagement. – An manchen Schulstandorten war die schriftliche Matura am selben Tag angesetzt wie die Aufnahmeprüfung für die Medizinische Uni­versität. Diese Aufnahmeprüfung ist etwas, wo man seinen Lebensweg auf Schiene stellt. Und so einfach ist die ja nicht. Das heißt, man will sich darauf vorbereiten, hat aber am selben Tag Matura. Da hat es dann massive Interventionen gegeben – derer hat es auch bedurft –, und man hat sich dann auf einen Kompromiss geeinigt, wo man gesagt hat, es können die Schüler drei Tage früher maturieren.

Man hatte nur drei Tage Zeit, um sich auf eine Aufnahmeprüfung für die Medizinische Universität vorzubereiten, vor der man als Schüler Bauchweh hat und wo man Angst hat, dass man die vielleicht nicht besteht, und sich daher besser darauf vorbereiten will. Da ist es wirklich ein Witz, zu sagen: Na ja, dann macht halt die Matura drei Tage früher!

Im Übrigen gibt es so etwas Ähnliches bei den Stellungsterminen. Vielleicht sollte man sich mit dem Verteidigungsministerium einmal dahin gehend absprechen, dass die Stellungstermine nicht genau an dem Tag sind, an dem die Matura stattfindet. Es wird doch wohl möglich sein, innerhalb einer Regierung da etwas zu finden, das funktioniert.

Auch die vorwissenschaftliche Arbeit war von Anfang an der Kritik ausgesetzt. So ha­ben auch wir von der FPÖ gesagt, dass die vorwissenschaftliche Arbeit bei der Matura fehl am Platz ist, da sie an die Universität gehört.

Das hat übrigens der ehemalige Wissenschaftsminister Töchterle in einem Gastkom­mentar im „Standard“ auch so gesagt, wo er gemeint hat:

„Vor allem aber fehlt jegliche Voraussetzung, wie sie an der Universität erst ein Prose­minar schafft.“

Also auch die vorwissenschaftliche Arbeit ist ein Teil dieser Pleiten- und Pannenserie.

Zur vorwissenschaftlichen Arbeit wurde auf der Internetseite des Ministeriums auch noch zu den Zeichen die Frage gestellt: Bei 40 000 bis 60 000 Zeichen, was fällt denn da hinein? Fallen da Fußnoten hinein oder nicht? Ich hätte jetzt einmal so locker aus dem Handgelenk heraus gesagt – wenn ich gefragt worden wäre –, die Fußnoten ge­hören da nicht hinein. Man ist aber dann zu dem Schluss gekommen, dass, wenn die Fußnoten Erläuterungen enthalten, diese doch hineingehören.

Das wussten Sie im Ausschuss des Nationalrates nicht, weil Sie der Meinung waren, die Homepage ist von einem privaten Betreiber und das interessiert Sie nicht. Sie wuss­ten nicht, dass das eine Homepage einer Abteilung Ihres Ministeriums ist. Und da kann man sich dann schon fragen: Wissen Sie über Ihr Ministerium überhaupt Be­scheid?

In dieser ganzen Pleiten- und Pannenserie kann man bei dem Punkt sagen: Das sind ja fast noch Peanuts bei dem Konvolut, wo wirklich alles falsch läuft!

Nächster Punkt: Englisch-Zentralmatura. – Es ist erst vor ein paar Tagen in der Zeitung zu lesen gewesen, dass die Angaben schon wieder im Internet kursiert sind. Hinzu kam noch, dass die Schüler, nachdem sie endlich einmal gewusst hatten, wie viele Zeichen sie schreiben werden, ihre Arbeit nicht elektronisch abgeben konnten. Das ist


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dann besonders perfide, wenn der Computer sagt – das sagt er ja immer, wenn man sein Passwort falsch eingibt –: Oops, das hätte nicht passieren dürfen!, oder wenn der Internetexplorer, wenn er abstürzt, sagt: Oops, das hätte nicht passieren dürfen! Da willst du eine vorwissenschaftliche Arbeit abgeben, die termingerecht einlangen muss, und dann sagt der Server: Oops, das hätte nicht passieren dürfen! – Ja, oops, das dürfte gar nicht passieren, denn wenn ich das elektronisch abgeben kann, dann muss sichergestellt sein, dass es keine technischen Probleme gibt und die Schüler ihre Ar­beiten auch tatsächlich abgeben können!

Das attestieren Ihnen jetzige und auch ehemalige Kollegen. Androsch sagt zum Bei­spiel: Die Pannenserie bei der Zentralmatura ist eine „Meisterleistung in Sachen Miss­management“. Und die Stadtschulratspräsidentin Brandsteidl sagt, die Zentralmatura könnte im Bildungsministerium bewerkstelligt werden. Sie fragt genauso wie wir, wofür man das BIFIE braucht.

Obwohl wir ohnehin das Ministerium und das BIFIE haben, hat man jetzt trotzdem noch ein Projektmanagement installiert, damit diese Pannen- und Pleitenserie jetzt endlich einmal aufhört, was aber offensichtlich nichts genützt hat, denn die Pannen gehen wei­ter, und es sagen Ihnen die eigenen Kollegen schon, dass das jetzt wirklich am Rande der Belastbarkeit ist und man dem nicht mehr länger zuschauen will. Sie kommen aus der Pannenserie nicht heraus und können sich auch nicht mehr bei allem ausreden, dass das ja alles Ihre Vorgängerin in die Wege geleitet hat.

Ich sage Ihnen: Jemand, der sein Ministerium nicht im Griff hat so wie Sie, sollte ei­gentlich zurücktreten. Dazu wird mein Kollege noch etwas vorbringen. – (Beifall bei der FPÖ.)

16.13


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska: Zur Beantwortung der Dringlichen Anfrage hat sich Frau Bundesministerin für Bildung und Frauen Heinisch-Hosek zu Wort gemel­det. – Bitte, Frau Ministerin.

 


16.13.39

Bundesministerin für Bildung und Frauen Gabriele Heinisch-Hosek: Frau Präsiden­tin! Hoher Bundesrat! Ich glaube, dass dies eine gute Gelegenheit ist, darauf hinzuwei­sen – und ich rede mich überhaupt nie auf das aus, was VorgängerInnen beschlossen haben –, dass es zum Teil die österreichische Bundesregierung war, die mitbeschlos­sen hat, dass die Neue Mittelschule ins Regelschulwesen übernommen wird. und ich stehe auch zu diesem pädagogischen Konzept. Ich glaube, dass es wichtig ist, hier von der Verantwortlichkeit her auf der einen Seite klare Worte zu finden, auf der anderen Seite aber die Gelegenheit zu nutzen, schon auch einmal zu schildern, wie sich das österreichische Bildungssystem in den letzten Jahren in einer gewissen Rasanz – das gebe ich durchaus zu – zum Positiven weiterentwickelt hat.

Nicht umsonst sind wir sehr stolz auf das, was wir beispielsweise im berufsbildenden Schulwesen erreicht haben – wobei ich kurz erläutern möchte, dass 40 Prozent einer Alterskohorte in berufsbildende Schulen gehen, 40 Prozent eine Lehre machen und in die Berufsschule gehen und zirka 20 Prozent eine AHS-Oberstufe besuchen. Heuer wird es für zirka 20 000 Maturanten und Maturantinnen so weit sein, dass sie in einem fünfjährigen Intensivprozess, aber in einer fast zehnjährigen Vorbereitungsphase die teilstandardisierte Reifeprüfung ablegen werden. Nächstes Jahr kommen berufsbilden­de Schulen dazu, und dort wird es dann die teilstandardisierte Diplomprüfung sein.

Ich glaube schon, dass man, wenn von riesengroßen Projekten gesprochen wird, ins­gesamt anerkennen muss, dass es sich bei der Zentralmatura – ich nenne sie mit ihrem Arbeitstitel, damit ich nicht den langen Begriff verwenden muss – um ein so gro­ßes Reformprojekt handelt, das es in den letzten 20 Jahren in diesem Ausmaß nicht gab.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 113

Dem darf ich noch hinzufügen – ich komme dann bei der Beantwortung der einzelnen Fragen noch einmal darauf zu sprechen –, dass 330 Schulstandorte damit befasst sind. Ich habe alle Direktoren und Direktorinnen der AHS-Standorte und eine Woche davor alle Direktoren und Direktorinnen der BHS-Standorte nach Linz eingeladen, wo wir in guter Vorbereitung versucht haben – und das nicht erst jetzt, sondern das tun wir seit vielen Jahren –, direkt mit den Schulstandorten in Verbindung zu treten. Wir sind dort mit ihnen in Verbindung getreten, um Fragen jedweder Art zu beantworten, Service an­zubieten, damit das eine oder andere nicht passiert.

Aber ich möchte in meiner Einleitung den Bereich Bildung etwas weiter fassen.

Mit Stolz darf ich zu den sechs Punkten, die in Schladming beschlossen wurden, sa­gen, dass drei Punkte davon quasi erfüllt sind, nämlich: Die Initiative Erwachsenen­bildung wurde verlängert. Heute haben wir die tägliche Bewegungseinheit in den ganz­tägigen Schulen und die Qualitätsoffensive für ganztägige Schulen mehrheitlich be­schließen können. Das sind drei wichtige Maßnahmen, die jetzt umgesetzt werden.

Übrig sind noch Punkte wie: Wie können wir bei den Kleinen bessere Übergänge von der Elementar- in die Grundschulpädagogik sicherstellen? Wie können wir mehr Schul­autonomie gewährleisten? Und wie können wir allgemein mehr Qualität ins System bringen? An diesen restlichen Punkten wird gerade akribisch gearbeitet.

Die Reformen der letzten Jahre und die Neue Mittelschule, die schon angesprochen wurde und zu der in der Dringlichen einige Fragen gestellt werden, sind Projekte, zu denen ich nach wie vor stehe, weil ich das pädagogische Konzept der Neuen Mittel­schule für eine Alterskohorte, die es nicht so leicht hat, als überaus positiv sehe. Die 10- bis 14-Jährigen sind eine schwierige Gruppe, es beginnt die Pubertät, man fühlt sich in dieser Zeit wahrscheinlich auch psychisch hin- und hergerissen, und da ist die Leistung nicht jeden Tag gleich gut. Bei den Kleineren sind die Schüler stabil, bei den über 14-Jährigen wissen die Schüler in der Regel, wenn auch nicht immer, welchen Weg sie einschlagen möchten. Besonders die Schnittstellen – sprich mit 6 Jahren, mit 10 Jah­ren, aber natürlich auch mit 14 Jahren – sind wichtige Zäsuren im Leben von Kindern und Jugendlichen, und die Neue Mittelschule war dazu gedacht, eine Art gemeinsame Schule anzudenken und alle in dieser Alterskohorte einzuladen, gemeinsam und mit einem neuen pädagogischen Konzept eine Zeit miteinander zu verbringen.

Die AHS-Unterstufen haben dieses Angebot nur sehr vage angenommen. In der ersten Kohorte, die hier untersucht wurde, waren es von 64 Schulstandorten genau drei AHS-Unterstufen, die das Angebot angenommen haben, auch NMS-Standort zu werden und im Teamteaching und in anderen Bereichen neue pädagogische Wege zu gehen – dies mit Unterstützung eines zweiten Lehrers/einer zweiten Lehrerin und auch mit der Mög­lichkeit, Begabungs- und Begabtenförderung zu machen, Schülerinnen und Schüler sehr individuell zu unterrichten, im Bereich der Kreativität Schwerpunkte zu setzen, und so weiter.

In der zweiten Kohorte, die untersucht wurde, waren es 104 Schulstandorte. Die Unter­suchung mit der ersten Kohorte ist 2008 gestartet worden. Im Jahr 2009 wurde mit der zweiten Kohorte fortgesetzt. Beide Kohorten wurden jeweils vier Jahre begleitet. Es sind also knapp über 170 Schulstandorte, für welche die Ergebnisse der Untersuchun­gen, die von der vorigen Unterrichtsministerin in Auftrag gegeben wurden, jetzt vorlie­gen.

Diese Ergebnisse sind am 27. Februar eingelangt. Der Bericht umfasst mehr als 400 Seiten. 18 Autorinnen und Autoren waren an dessen Abfassung beteiligt.

Wenn Sie sagen, dass eine Kurzfassung etwas vorher da war, dann darf ich Ihnen sa­gen: Ich habe immer vorgehabt, die Ergebnisse transparent zu machen und diesen Be­richt zu veröffentlichen. Natürlich musste ich seriöserweise den überaus umfassenden


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Langbericht abwarten, um nicht Details zu veröffentlichen, aufgrund derer dann vielleicht missinterpretiert werden kann, was im Langbericht zutage tritt.

Ende Februar ist dann alles im Gesamten vorgelegen, und wir haben es zum ersten Mal in der Bildungsreformkommissionsgruppe diskutiert. Am nächsten Tag habe ich dann die Schulpartner und die Landesschulratspräsidenten und Landesschulratspräsi­dentinnen informiert. Unvorsichtigerweise wurden die Ergebnisse schon am Vorabend rausgespielt, und am nächsten Morgen wurde in den Medien quasi die Vernichtung die­ses neuen pädagogischen Konzeptes herbeigeschrieben. Ich verwahre mich wirklich sehr dagegen!

Ich bin sehr erbost gewesen, dass das an die Öffentlichkeit gelangt ist, weil ich danach ein Mediengespräch machen wollte und weil ich den Schulpartnern zugesagt habe, es denjenigen, die es betrifft, zuerst zu erzählen. Das ist leider nicht gelungen.

Ich glaube, dass man grundsätzlich wissen muss, dass, wenn große Reformprojekte an­gegangen werden, diese eine Vorlaufzeit brauchen. Das ist klar. Zweitens kann es, wäh­rend sie anlaufen, natürlich zu dem einen oder anderen Unfall kleinerer oder größerer Art kommen, und ich möchte mich jetzt nicht für ein Datenleck, das keines war, recht­fertigen müssen.

Im Dezember, zwei Tage nachdem ich mein Amt angetreten hatte, lag in der Tat ein Brief auf meinem Schreibtisch. Darin wurde mir mitgeteilt, dass es zu einem Missver­ständnis zwischen einer Zulieferfirma und dem BIFIE gekommen ist und dass man da­ran arbeitet. Ein Datenleck wurde überhaupt nicht angesprochen, und ich habe diesen Brief abgezeichnet. Zwei Monate später wurde das von einer Tageszeitung hochge­spielt, die ich dann eindringlich bitten musste, uns diese verschlüsselten Daten zu ge­ben, weil wir sie nicht hatten, damit wir stoppen konnten, was passiert ist. Das Haus, die Beamtinnen und Beamten, das BIFIE selbst trifft hier absolut keine Schuld.

Uns war nicht bekannt, was auf diesem Server entschlüsselt war, denn der Server ging am selben Abend, an dem die Abendausgabe dieser Zeitung erschienen ist, offline. Wir konnten in diesem Fall mit der Exekutive, der Polizei und mit Experten und Expertinnen aus der IT-Branche nur ganz schwer ermitteln, was da dahinter gesteckt ist. Aber das ist Vergangenheit.

Danach war es natürlich nicht einfach, den Eltern zu vermitteln, dass wir PISA und die Feldtestungen trotzdem machen. Die müssten einige Monate vorher erfolgen. Aus Da­tensicherheitsgründen habe ich diese Testungen abgesagt, weil wir noch nicht heraus­finden konnten, was hier dahintersteckt.

Und seien wir froh, weil internationale Vergleiche nicht schlecht sind. Wir haben uns bei PISA gesteigert. Es ist also nicht das, was Sie gesagt haben, eingetreten, sondern wir sind in den Bereichen, die getestet wurden, beim letzten Mal schon um etliches besser geworden als bei der vorletzten PISA-Testung. Es wird, wie gesagt, heuer ge­lingen, dass wir jetzt im Frühling Feldtestungen und im gleichen Jahr im Herbst auch die Echttestungen durchführen. Gegen Ende nächsten Jahres – also Ende 2016 – wer­den die Endergebnisse vorliegen.

Ich hoffe doch, dass sich die Anstrengungen gelohnt haben, denn ich möchte an dieser Stelle natürlich all den Pädagoginnen und Pädagogen, den Lehrerinnen und Lehrern ein großes Dankeschön sagen. Es war für sie nicht einfach, als wir Bildungsstandards eingeführt haben. Auch das war ein großes Projekt, das man einem Institut überant­wortet hat, weil das Haus nicht imstande gewesen wäre, alle Schülerinnen und Schüler einer Kohorte – über 70 000 Kinder in der Pflichtschule – zu testen. Man muss sich die Dimensionen einfach vor Augen führen. Das sind nicht ein paar hundert oder ein paar tausend Kinder, das waren 70 000 Schülerinnen und Schüler.


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Für die Bildungsstandards – zu denen ich auch stehe – gab es auch genug Vorberei­tungszeit. An ihnen können wir bei jeder Schule, bei jeder Klasse einzeln ablesen, nicht ob die Kinder gut oder schlecht sind, sondern ob der Weg, der beschritten wurde, der richtige ist. Ich glaube, diese Instrumente – zu wissen, wie sich ein Schulstandort ent­wickelt – sind nicht von der Hand zu weisen. Es ist nämlich nicht egal, in welcher Re­gion eine Schule ist. Im städtischen Bereich ist es wahrscheinlich – nicht wahrschein­lich, sondern sicher – viel herausfordernder als in Regionen, in denen es ein bisschen gemütlicher ist, wenn ich das so salopp sagen darf.

Die Bildungsstandards helfen uns, die Schulaufsicht – sprich die Landesschulinspekto­ren, die Pflichtschulinspektoren und -inspektorinnen – anzuweisen, wie sie der Schule in ihrer Entwicklung weiterhelfen kann. All das ist in den letzten Jahren initiiert worden und erfolgt. Daher kann es nicht sein, dass nichts passiert. Ich möchte nichts entschul­digen, was Verunsicherung schürt. Das ist keine Frage. Ich würde mir auch wünschen, dass möglichst alle ihre Prüfungen stressfrei absolvieren können.

Zur Zentralmatura: Die Dreiteiligkeit ist eine hochmoderne, komplexe Angelegenheit, denn die vorwissenschaftliche Arbeit soll ja vorbereiten auf das, was danach an den Univer­sitäten kommen kann, falls sich jemand dafür entscheidet. Sie soll ein erstes Hinein­schnuppern in die Aufgabenstellung und das Sich-Selbst-Präsentieren sein. Die Aufga­ben hat man sich schon ein Jahr vorher ausgesucht, und man hat einen Betreuungs­professor, eine -professorin gehabt. Fünf Schülerinnen und Schüler kommen auf einen Professor, eine Professorin. Und man kann sich das Thema ganz genau überlegen und Zwischen- und Rücksprache halten.

Ob jetzt die Fußnoten mit- oder nicht mitberechnet werden, ist bei 40 000 bis 60 000 Zei­chen, glaube ich, nicht das Hauptproblem. Am wichtigsten ist, dass ich heute sagen kann, dass alle Schülerinnen und Schüler, die die vorwissenschaftliche Arbeit abgeben wollten, dies auch tun konnten, nämlich zwei Mal: in schriftlicher und in digitaler Form – das musste nicht sein, musste nie sein – auf diesem Server hochgeladen. Der hat dann Engpässe deswegen gehabt, weil zeitgleich mit 8 000 Schülerinnen und Schülern zirka 7 000 Schülerinnen und Schülern ihr Thema der vorwissenschaftlichen Arbeit für das nächste Jahr hochgeladen haben. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Der Stresstest hat nicht ergeben, dass sich das nicht ausgeht. Der Server war immer groß genug.

Es ist sich für alle 20 000 Schülerinnen und Schüler ausgegangen, dass die VwA, die vorwissenschaftlichen Arbeiten, in drei Wellen – zunächst Wien und Niederösterreich und dann eine Woche beziehungsweise zwei Wochen danach die anderen Bundeslän­der –hochgeladen wurden. Jetzt werden diese bis Ende April auch präsentiert.

In diesem Zusammenhang ist wichtig, zu sagen, dass im Jahr 2012 – ich war noch nicht zuständig, aber ich fühle mich natürlich jetzt verantwortlich – mit der Gewerk­schaft, mit den Lehrervertreterinnen und -vertretern vereinbart wurde, wie die Vorberei­tungsstunden zu erfolgen haben. Damals war klar, dass maximal vier Stunden pro Fach ausreichend sind, weil man sich ab dem 15. Jänner seine Themen für die mündli­che Matura aus den Pools auswählen konnte – also schon im vorigen Monat oder vor zwei Monaten – und jetzt schon weiß, wie man sich vorbereiten kann und – wie es lau­fend gewünscht wurde – sich mit den zuständigen Professorinnen und Professoren aus­tauschen kann. Das ist das eine.

Im Übrigen gab es da ein bisschen Panik, ob es sich ausgehen wird, die Zeit zwischen dem Schulschluss der achten Klasse und der schriftlichen Reifeprüfung zu nutzen. Knapp vor Weihnachten haben wir einhellig mit der Schüler-, Schülerinnenvertretung, mit der Gewerkschaft und mit den Schulpartnern eine Lösung gefunden, sodass das, was in der Zeit unterrichtet worden wäre, für diese Vorbereitungsstunden von den je-


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weiligen Lehrerinnen und Lehrern zur Verfügung gestellt wird. Auch dafür, dass das ge­lungen ist, ein Danke.

Gerade jetzt habe ich manchmal das Gefühl, dass es die Schulpartner sind, die das eine oder andere Mal Ängste schüren, anstatt zu beruhigen. Das macht es nicht leicht, das ist keine Frage. Wenn dann irgendwo Kleinigkeiten, wie dieser Tippfehler, auftau­chen, ist das, glaube ich, kein Drama. Es passiert jedem. Auch Ihnen ist das passiert. In dieser Dringlichen Anfrage gab es zwar keinen Grammatikfehler, aber vier Forma­tierungsfehler, drei Beistrichfehler und zwei Wörter haben gefehlt. Das ist nicht wichtig, aber nachgeschaut haben wir. Dennoch werden so Kleinigkeiten zu Dramen hochsti­lisiert. Es tut, glaube ich, den Schülerinnen und Schülern nicht wirklich gut, wenn sie hier verunsichert werden oder wenn jemand sie verunsichert. Wir wollen alle, dass die­se Matura gut geht, und ich bin überzeugt, dass sie gut gehen wird.

Wir haben eine interne Gruppe eingerichtet, und im Übrigen lassen wir diese Abläufe bis 2016 natürlich noch von außen mittels Prozessmanagement begleiten, damit wir jeden Schritt von den Abläufen auch im Vorhinein gut bewerten und beurteilen können, sodass nichts passiert, was zu großer Aufregung führen könnte.

Bevor ich die einzelnen Fragen beantworte – zum Teil habe ich es schon in meiner Einleitung erledigt –, wollte ich nur sagen, dass noch große Reformprojekte anstehen, denn das sind noch nicht alle, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen. Gerade bei den Kleinen – Elementarpädagogik, Grundschulpädagogik – gehört noch einiges getan.

Gerade das Papier der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, das der Bildungsreformkommis­sion vorgelegt wurde, wird uns noch viele Diskussionen bescheren. Da geht es darum, dass Schulstandorte autonom agieren sollen, und nicht um die Klein- und Kleinstschule als autonomer Standort. Das wurde natürlich auch missinterpretiert und gesagt, dass ich gerne Klein- und Kleinstschulen zusperren würde. Nein, das Papier sieht vor, grö­ßere Einheiten unter eine Verwaltung mit Unterstützungspersonal zu stellen, damit Ef­fizienzen gehoben und Verwaltungsabläufe minimiert werden, die Bürokratie aus den Klassenzimmern ganz einfach wegkommt, damit mehr Zeit für Schülerinnen und Schü­ler aufgewendet werden kann.

Das wird noch ein Riesending, wenn wir uns dem nähern und die nächsten Schritte ge­hen.

Das heißt: Bildungsreformen gibt es immer wieder. Natürlich kann man nie sagen, dass man bei einem Rechtsanspruch auf einen Kinderbildungsplatz ab dem ersten Lebens­jahr, wie es die skandinavischen Länder haben, beginnt und irgendwann bei der Er­wachsenenbildung endet. Dazwischen muss es immer wieder Möglichkeiten geben, Re­formen anzugehen und durch Evaluierungen zu erkennen, was gut gelaufen ist, was weniger gut gelaufen ist. Auch Schulversuche sind dazu geeignet, auszuprobieren, ob sich etwas für das Regelschulwesen eignet. Das gebe ich bei der Neuen Mittelschule durchaus zu.

Seit 40 Jahren würden sehr fortschrittliche Lehrerinnen und Lehrer eine verbale Beur­teilung einer Notengebung vorziehen. Das haben wir mit dem Koalitionspartner noch nicht geschafft. Bei der Schulautonomie werden wir es schaffen, rund 2 000 Schulver­suche – ich habe das heute schon einmal gesagt – abzuschaffen, weil man dann end­lich Noten oder nicht geben kann, wie die Schule das möchte, und sich dann dieser Bü­rokratieaufwand als obsolet erweisen würde.

Ich will damit sagen, dass größere und kleinere Reformen der Überprüfung bedürfen – das ist keine Frage – und dass, wenn Möglichkeiten durch Evaluierungen erkannt wer­den, sich etwas verändert. Das sollten wir dann gemeinsam tragen und tun. Bei der Neuen Mittelschule habe ich einen Vorschlag gemacht, das werde ich bei der Beant-


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wortung auch sagen. Ich glaube, nichts ist schlimmer, als unseren Kindern nicht diese Möglichkeiten und Chancen zu geben, zu trennen und es darauf ankommen zu lassen, wo jemand lebt oder aus welcher familiären Situation ein Kind kommt. Das sollte wohl keine Rolle spielen.

Ich halte es daher für nicht gerechtfertigt, ein Projekt, das kurz vor dem Durchbruch steht, wie heuer die Zentralmatura für alle AHS-Schülerinnen und ‑Schüler, im Vorhi­nein schon so schlechtzureden, dass man glaubt, es würde nicht gelingen. Ich bin da­von überzeugt, dass es gelingen wird.

Es nützt auch nichts, wenn man einen Vergleich mit anderen EU-Staaten vorbringt – den ich durchaus vorbringen könnte –, laut dem jedes Jahr Prüfungen für ganze Kohor­ten wiederholt werden müssen, weil es zu Fehlern gekommen ist. Wir haben, was die Übermittlung der Aufgaben anlangt, ein Hochsicherheitssystem initiiert und installiert. Wir haben sieben Sicherheitsschleusen eingebaut. Glauben Sie mir, wir tun alles, was mög­lich ist, um zu garantieren, dass möglichst nichts passiert. Aber wo Menschen am Werk sind, können auch Fehler passieren. Was aber nicht passieren soll, ist die Verunsiche­rung derer, die betroffen sind.

Ich schreite nun zur Beantwortung der 31 Fragen und möchte mit Frage 1 beginnen.

2008/09, ich habe es schon gesagt, die Neue Mittelschule war als Schulversuch konzi­piert, um einen ersten Schritt in Richtung einer gemeinsamen Stufe der 10- bis 14-Jäh­rigen zu machen. Es waren kaum AHS-Standorte dabei.

Die ersten zwei Generationen der Neuen Mittelschule, die jetzt evaluiert worden sind, sind sehr akribisch an die Sache herangegangen, und so wurde beschlossen – ich fin­de auch, etwas zu früh, weil ich auch gerne die Evaluierung abgewartet hätte, aber es lag natürlich nicht in meiner Entscheidungsbefugnis –, das im Schuljahr 2012/13 ins Regelschulwesen zu überführen. Es hätte wahrscheinlich auch noch gut getan, ein Jahr zu warten, bis man die Ergebnisse gehabt hätte. Nichtsdestotrotz können wir aus den Evaluierungsergebnissen ableiten, was man anders machen könnte. Aber dazu komme ich später noch.

Über die Ziele – das ist die Frage 2 – des ursprünglichen Schulversuchs zum Regel­schulwesen ist zu sagen, dass es natürlich die gleichen sind und dass man ein neues pädagogisches Konzept für eine Alterskohorte initiieren will: statt Leistungsgruppen in­dividuelles, nach innen differenziertes Unterrichten mit Begabungs- und Begabtenför­derung gleichermaßen wie das Fördern von Kindern, die mehr benötigen. Das erfolgt, wenn man möchte, im Teamteaching, im partiellen Herausnehmen von ganzen Grup­pen, die man besonders fördern möchte, um so die Kinder möglichst beisammen zu las­sen und nach innen zu differenzieren.

Was ist aber geschehen? – Durch die Nicht-, oder Fast-nicht-Teilnahme der AHS-Un­terstufenstandorte ist eine auch soziale und intellektuelle Durchmischung, wie sie im ursprünglichen Konzept vorgesehen war, nicht im entsprechenden Ausmaß erfolgt. Daher kann man auch nicht erwarten, dass die Leistungen einer Neuen Mittelschule, Bildungsstandards oder die jetzige Evaluierung betreffend, besser wären als an AHS-Unterstufenstandorten. Die Zeit ist auch zu kurz, als dass man sagen kann, dass die Neue Mittelschule eklatant bessere Ergebnisse als die alte Hauptschule bringt. (Vize­präsident Himmer übernimmt den Vorsitz.)

Wir dürfen nicht vergessen, dass das Klima besser, die Schulangst geringer und das Zusammenleben angstfreier geworden sind. Ich glaube schon, dass das ganz wichtige Determinanten sind, um in dieser Altersgruppe dieses Ich-fühle-mich-wohl-im-System-Gefühl zu erreichen. Es funktioniert nicht, einen Trichter anzusetzen, Wissen hineinzu­füllen und ausspucken zu lassen, was gelernt wurde. In angstbesetzter Umgebung kön-


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nen Kinder nicht lernen. Das, was es alles braucht, damit Kinder sich wohlfühlen, hat Frau Kollegin Gruber-Pruner heute schon einmal genannt.

Genau das ist die Intention der Neuen Mittelschule: Deutsch, Mathematik, Englisch ein bisschen begrenzen, dazu ein zweiter Lehrer, eine zweite Lehrerin. Daher mein Vor­schlag, diese sechs Stunden pro Klasse der Schule zu überlassen und zu sagen, dass man dort fördern kann, wo man es individuell mehr braucht, und dass man sich nicht an die drei Hauptgegenstände klammern muss. Die SchulleiterInnen wissen autonom am besten, was ihre Schule, ihre SchülerInnen im individuellen Fall brauchen.

Zu Frage 3:

Die Evaluierungsergebnisse zeigen, dass die Neue Mittelschule durchaus als Erfolgs­modell betrachtet werden kann. Ich habe das schon beantwortet. Die Lernkultur hat sich verbessert, die Kinder fühlen sich wohl und können angstbefreit mit den Heraus­forderungen und Anforderungen umgehen.

Natürlich wurden bei dieser Evaluierung zwischen einzelnen Schultypen signifikante Unterschiede festgestellt. Aber bei den Neuen Mittelschulen ist ein besonderer Zu­wachs an Qualität zu verzeichnen – auch bei den Lehrer- und Lehrerinnenteams. Das wurde abgefragt. Die fühlen sich auch wohler, wenn sie in ihrer Entwicklung begleitet werden, und genau das sieht das Konzept Neue Mittelschule vor.

Zur Frage 4:

Zu diesen sechs Zusatzstunden habe ich schon geantwortet. Ich würde diese sechs Stunden sehr gerne dem Standort autonom zur Verfügung stellen, denn die Schulpart­ner, Schulpartnerinnen, aber auch die Landesschulratspräsidien sind diesem Vor­schlag gegenüber sehr positiv gestimmt. Ich habe das dem Koalitionspartner als Ent­wurf übermittelt und hoffe auf positive Antwort.

Ich bin absolut nicht dafür, eine dieser sechs Stunden zu kürzen. Sie wissen, ich habe seinerzeit Maßnahmen vorgeschlagen, weil meine Sparvorgabe eine sehr hohe war. Wir haben uns auch ohne diese Sparvorgabe neue Lösungen für das Jahr 2014 ausge­macht, auch heuer wird sich das ausgehen.

Ich möchte eigentlich keine weitere Maßnahme, die bei Kindern ansetzt, vorschlagen. Daher sollen die sechs Stunden in der Neuen Mittelschule bleiben und verantwortungs­voll eingesetzt werden.

Zu Frage 5:

Die AHS-Unterstufen bekommen diese Einheiten dann, wenn sie NMS-Standort wer­den, nicht, wenn sie AHS-Standort bleiben, weil sie ein anderes pädagogisches Kon­zept fahren. Man muss sich zu diesem Konzept bekennen, um diese Zusatzstunden zu bekommen.

Zu Frage 6:

Es ist zu sagen, dass ich das nicht nachvollziehen kann. Zum Beispiel zeigen Finnland oder andere internationale Systeme, dass es noch keine besseren Ergebnisse ge­bracht hat, im Alter von zehn Jahren zu segregieren, zu selektieren. Das bedeutet auch keine Antworten auf Bildungsgerechtigkeit und Chancengerechtigkeit. Nicht nur Stu­dien, sondern viele Experten, Expertinnen, die Industriellenvereinigung, die Leute des Bildungsvolksbegehrens, die Sozialpartnerpapiere, alle schlagen vor, man möge die Kinder ein bisschen länger gemeinsam unterrichten und erst später trennen, weil die Selektion im Alter von zehn Jahren eine frühe ist und der Stress – nicht nur in der vier­ten Klasse der Volksschule, er beginnt oft schon in der dritten Klasse – für Kinder enorm werden kann. Kinder wollen nichts anderes als ihre Eltern positiv zu stimmen und Gutes zu tun. Das kann schon ziemlich viel Stress für Kinder bedeuten.


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Ich bin ja gerade in allen Bundesländern unterwegs, um mit Menschen, die unterrich­ten, mit Direktoren, Direktorinnen, mit der Schulaufsicht, mit Primarpädagoginnen, ‑pä­dagogen in Diskussion zu treten. In einem Bundesland habe ich dabei unlängst gehört, dass Nachhilfe im Kindergarten, damit Kinder die Schulreife erlangen, nichts Fremdes mehr ist. Ich denke, dass das unangenehme Blüten treibt, wenn das schon vor dem sechsten Lebensjahr beginnt.

Das heißt, diese Trennlinien im Schulsystem, im Bildungssystem überhaupt, sind grund­sätzlich zu überdenken, und in diesem Zusammenhang machen wir gerade einen An­fang.

Zur Frage 7:

Diesbezüglich ist mir nicht nachvollziehbar, worauf Dr. Haider – Dr. Günter Haider in diesem Fall – seine Aussage begründet, weil der Evaluierungsbericht auch sehr ange­nehme Ergebnisse zeigt, die alle nachgelesen werden können. Er ist zum Download frei, er steht zu Verfügung. Ich bin für Transparenz, ich habe, wir haben da absolut nichts zu verbergen. Und ich möchte sagen, dass ich alle NMS-Schulstandorte persön­lich informiert habe, dass sie die Ergebnisse bekommen können und diese Ergebnisse herunterladen können.

Zur Frage 8:

Ich habe genau genommen rund 16 000 € dafür ausgegeben. Ich glaube, einmal wur­den Luftballons angekauft und einige andere Materialien. Also ich habe, seit ich verant­wortlich zeichne, keine einzige PR-Ausgabe für die Neue Mittelschule, wie Inserate oder Sonstiges, getätigt.

Zur Frage 9:

Es steht für mich außer Streit, dass es gut geführte AHS-Unterstufen gibt, das möchte ich wirklich betonen – es gibt sehr projektorientierte, fortschrittliche, gut funktionierende Unterstufen –, und es gibt genauso exzellente Neue Mittelschulstandorte. Wir wissen aus den Bildungsstandards, es gibt Neue Mittelschulstandorte, die bessere Ergebnisse erzielen als AHS-Unterstufenstandorte, und es gibt die umgekehrte Situation genauso. Das Gleiche gilt für die Prozentsätze, was den Übertritt von Schülerinnen und Schülern anlangt: Oft machen mehr Kinder aus Neuen Mittelschulen Matura als Kinder, die vor­her in eine AHS-Unterstufe gegangen sind. Also es gibt die ganze Bandbreite an Er­gebnissen, und man kann es nicht alleine an einer Schulart oder Schulform festma­chen.

Ich denke, dass es wichtig ist, jetzt diese Bund-Länder-Berichte herzunehmen und zu fragen, wie wir die Schulen so stärken können, dass die 10-bis 14-Jährigen am besten betreut sind –meiner Ansicht nach am besten gemeinsam.

Zur Frage 10:

Die Geldmittel in Höhe von 16 150,10 € für Fahnen, Luftballone, Kleinmaterial, die die­sen 1 100 Standorten sozusagen zur Verfügung gestellt wurden, habe ich schon er­wähnt. Es gab keine Zugpatronanzen, keine Inserate, gar nichts.

Die Fragen 11 und 12 kann ich gemeinsam beantworten.

Natürlich ist schon im vergangenen Jahr dadurch, dass sich das Ministerium und auch die beiden anderen Direktoren einvernehmlich trennen konnten und weil ja heuer eine Novellierung des BIFIE-Gesetzes ansteht, das jetzt mit Interimsdirektionen besetzte BIFIE einer Durchleuchtung durch eine Lenkungsgruppe unterzogen worden. Dieser Bericht ist im Fertigwerden, und ich werde demnächst – im Frühling – auch hier Ergeb­nisse präsentieren können, weil ich immer davon gesprochen habe, ob man nicht et­was, das lange entwickelt wurde wie die Zentralmatura, sozusagen redimensioniert wieder selbst verwalten kann. Das werde ich dann auch bekannt geben.


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Ich glaube schon, dass wir auch diesen Bereich wieder etwas redimensionieren kön­nen, und das BIFIE ist eine Einrichtung, wie es sie durchaus vergleichbar in Berlin, in anderen Hauptstädten, aber auch anderen Ländern gibt. Dort gibt es vergleichbare Ins­titute, die internationale Untersuchungen einleiten und die Zentralmatura für uns sozu­sagen vorbereitet haben. Aber wenn das erledigt ist, dann kann ich mir da auch durch­aus andere Lösungen vorstellen.

Zu den Fragen 13 und 14 eine gemeinsame Antwort:

Der Prüfungsmodus der Reifeprüfung hat sich natürlich verändert. Ich habe es vorher schon ausgeführt, daher muss ich mich nicht wiederholen.

Ende November werden die Themenbereiche für die Reifeprüfung festgelegt, und sechs Monate lang können diese vorbereitet werden. Auf der einen Seite ist ein Teil der Kom­petenz mündlich zu beantworten, das ist die vorwissenschaftliche Arbeit, die präsen­tiert wird, es gibt aber auf der anderen Seite auch die mündliche Reifeprüfung und die Klausurprüfung. Diese Dreiteilung soll auf später vorbereiten, soll auch das wissen­schaftliche Arbeiten vorwegnehmen und soll vor allem weniger Stress für die Schüle­rinnen und Schüler bringen.

Angesichts dieser Breite, wie die neue Matura jetzt vorbereitet ist, glaube ich, dass dieses Faktenwissen und Lernen auf eine Prüfung hin der Vergangenheit angehören, denn man nähert sich diesen Bereichen ganz anders. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass das nicht für alle Schülerinnen und Schüler, aber auch nicht für alle Professo­rinnen und Professoren gleichermaßen angenehm ist. Aber bei einem System, das man umstellt, muss man sich halt auch daran gewöhnen, dass man sich vielleicht selbst ein bisschen orientieren und umstellen muss.

Zur Frage 15, bei der es um die VWA, die vorwissenschaftliche Arbeit, geht:

Da habe ich, glaube ich, die Frage betreffend die Zeichen vorhin beantwortet.

Zur Frage 16:

Das BIFIE, und das habe ich schon im Sommer angeordnet, ist von TÜV AUSTRIA auf Herz und Nieren geprüft worden, und in dieser Überprüfung wurde bestätigt, dass die Datenlage auf dem Server im standardisierten Rahmen und so sicher ist, dass diese Frage eigentlich mit Nein beantwortet werden kann. Die sieben Sicherheitsschleusen beim Übermitteln der Aufgaben, die ich genannt habe, das Übernehmen durch die Leh­rerInnen und durch die Direktion, dass sie am Schulstandort dann verschlossen aufbe­wahrt werden müssen und, und, und, das alles ist, glaube ich, sehr gut vorbereitet.

Zu den Fragen 17 und 18:

Dazu wäre zu sagen, dass externe Unterstützung quasi die aktuelle Projektumsetzung gewährleisten soll. Das habe ich vorher mit dem Projektmanagement angedeutet.

Ich möchte Ihnen auch sagen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BIFIE ers­tens einmal überhaupt nichts absichtlich „verhauen“ oder so, sondern sehr bemüht sind, sehr akribisch und genau zu arbeiten, dass wir insgesamt in einem guten, ständigen Austausch und Kontakt sind und dass das dort sehr, sehr ernst genommen wird und auch die Kritik an der Arbeit sehr ernst genommen wird. Man hat natürlich diese vielen, vielen Rückmeldungen zum Anlass genommen, sich selbst dieser technischen Prüfung zu unterziehen – das ist ja keine Frage –, und man wird auch in den nächsten Wochen und Monaten weiter begleitet – übrigens auch bis 2016. Ich habe das vorher gesagt: Das wird nicht Mitte des Jahres aus sein, da diese Prozessbegleitung durch ein Pro­jektmanagement ausgedehnt wird, bis nächstes Jahr auch die berufsbildenden Schu­len ihre Reifeprüfungen abgeschlossen haben werden.


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Zu den Fragen 19 bis 23 ist Folgendes zu sagen:

Für diese Prozessbegleitung, dieses Projektmanagement wird es auf Basis von drei Angeboten eine Auswahl geben, und mein Budgetrahmen liegt natürlich unter 100 000 €, weil ich gar nicht mehr Budget zu Verfügung habe und ich glaube, dass sich das so ausgehen kann.

Diese Aufgabe wurde bisher von einem Konsortium durchgeführt, das unsere interne Taskforce Reifeprüfung war. Das waren MitarbeiterInnen aus den Sektionen I und II des BIFIE, aber auch Expertinnen/Experten aus der Sektion III, aus dem IT-Bereich. Diese Gruppe hat sich seit den ersten Unzulänglichkeiten sehr intensiv damit beschäf­tigt, das hintanzuhalten und nichts mehr aufkommen zu lassen. Die eine oder andere kleinere Irritation ist dennoch passiert. Aber jetzt soll die externe Begleitung quasi eine noch bessere Koordinierung und Kommunikation unter diesen vielen Stakeholdern ge­währleisten.

Zur Frage 25:

Es sei noch einmal gesagt: 330 Schulstandorte; für den Maturatermin im Mai werden 220 000 Aufgabenhefte mit rund 3,9 Millionen Druckseiten vorbereitet und zum Einsatz kommen. Das ist keine Kleinigkeit, das ist ein Riesenaufwand, und das BIFIE hat allei­ne für diesen Termin 37 unterschiedliche Prüfungspakete mit 71 unterschiedlichen Heft­formen für AHS und BHS erstellt, denn einige BHS-Standorte machen ja heuer auch schon diese Art der Reifeprüfung, und nächstes Jahr müssen es dann alle so machen.

Alleine an der AHS, das habe ich auch schon erwähnt, gibt es 20 000 Kandidatin­nen/Kandidaten, und dazu kommen 7 000 in den berufsbildenden höheren Schulen, die die Matura freiwillig heuer schon so machen. Das heißt, es ist uns nicht möglich, diese Reifeprüfung alleine im Haus zu bewerkstelligen. Wenn diese Aufgabenentwick­lung, die Aufgabenerstellung so auf Schiene ist, wie das BIFIE es bis jetzt vorbereitet hat – mit 170 externen Expertinnen/Experten, Leuten, die direkt in der Praxis stehen, die im Unterricht sind, die herangezogen wurden, die gebeten wurden, diese standardi­sierten Aufgaben vorzubereiten –, wenn also dieses große Moment abgeschlossen ist, kann ich mir vorstellen, das habe ich auch schon erwähnt, die Abwicklung der Reife­prüfung wieder zu redimensionieren und auch wieder näher an mein Haus heranzu­bringen.

Zu den Fragen 26 und 27:

Wir werden evaluieren, selbstverständlich! Wir werden uns schon im heurigen Sommer anschauen, ob die Vorbereitungsstunden ausgereicht haben. Das haben wir den Schul­partnern vor Weihnachten zugesagt, weil wir uns ja auf die Vorgangsweise geeinigt haben, dann nachzuschauen, ob es gereicht hat. Aber auch durch die jetzige externe Prüfung beziehungsweise, besser gesagt, Begleitung werden wir allfällige Verbesse­rungsvorschläge zum Anlass nehmen, um diese dann auch durchzuführen.

Zu den Fragen 28, 29, 30 und 31:

Zu diesen Fragen – sprich allen budgetären Fragen – ist zu sagen, dass die Unterglie­derung 30 quasi den Bundesfinanzrahmen für die nächsten Jahre festlegt. Ich habe in einem Brief – ohne jetzt vom Herrn Finanzminister Geld zu fordern – einfach um Bud­getgespräche gebeten, weil ich glaube, dass wir, wenn wir neue Reformen, die Geld kosten, angehen, auch budgetär Sorge dafür tragen müssen, dass das Geld da ist.

Sie alle haben angedeutet, dass ein strukturelles Defizit da ist. Ja, es ist da, seit vielen, vielen Jahren wird es mitgenommen und größer – dafür braucht es auch Lösungen –, zum einen durch die steigende Zahl der Anstellungen von Lehrerinnen und Lehrern, zum anderen durch Gehaltssteigerungen, Reformen, mitunter das Überziehen durch die Länder. Sie wissen, Anstellungen machen 30 bis 32 Millionen mehr aus, und der


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Bund muss retour zahlen. Es ist also so, dass ein strukturelles Defizit im Bildungsbe­reich da ist, nicht durch Misswirtschaft, sondern gewachsen.

Wenn man sich das Kuchendiagramm noch einmal vor Augen hält, dass also 94 Pro­zent – 87 Prozent für Lehrergehälter, 7 Prozent für BIG-Mieten und andere Erhaltungs­maßnahmen – zur Verfügung stehen und dann mit dem Restgeld alle Pädagogischen Hochschulen bedient werden müssen, Sachaufwand jedweder Art, Studierendenbeihil­fen, SchülerInnenbeihilfen geleistet werden müssen, dann sieht man, dass eigentlich kaum Spielraum bleibt, und da sind die 10 Millionen aus dem Frauenministerium auch noch dabei.

Es braucht also dringend Budgetgespräche mit dem Herrn Finanzminister, um die Fi­nanzierung auch weiterhin sicherzustellen, denn im OECD-Vergleich stehen wir nicht so schlecht da. Ich habe mir das noch einmal angeschaut. Am Vormittag habe ich ge­sagt: unteres Drittel. Tatsächlich liegen wir bei einem BIP-Vergleich der Bildungsaus­gaben etwa in der Mitte, und bei den EU-27 liegen wir auf Platz zehn. Das heißt, wir sind nicht top, aber wir sind auch nicht bei den Schlechtesten.

Wir haben aber dennoch insofern kein so günstiges System, als wir in den Verhältnis­zahlen LehrerInnen zu SchülerInnen sehr moderat sind, unseren SchülerInnen also den Luxus zukommen lassen, dass es nicht sehr viele sehr große Klassen gibt. Wenn, dann trifft das nur in den höheren Lehranstalten im ersten Jahr zu, denn dann gibt es sowieso auch einen Rückgang der Zahl der Schülerinnen und Schüler dadurch, dass sie in andere Schulformen rückfluten – das darf man auch nicht vergessen –, wie Poly­technische Schulen und so weiter, dass es also eine natürliche Fluktuation gibt.

Aber, und das sei abschließend gesagt, wir wollen uns dieses Bildungssystem leisten. Wir wissen, dass man bei einem Bildungssystem, das seit dem Jahr 1962 sehr föderal strukturiert ist, bei dem sehr viele Player und Playerinnen – der Bund, die Länder, die Kommunen – mitsprechen und auch mit entscheiden können, nicht einen großen Wurf machen kann. In dieser Mehrteiligkeit ist es nicht immer ganz einfach, alle zusammen­zuhalten, aber ich glaube, gute Möglichkeiten sind, erstens Einzelreformen, die wir be­gonnen haben, friktionsfrei über die Bühne zu bringen, auf der anderen Seite große Reformen, die anstehen könnten, wie Schulstandorte autonom zu stärken und eine Neuverteilung der Gewalten, der Möglichkeiten und vor allem der Verwaltung zwischen Bund und Ländern zu organisieren, was eine große Sache der nächsten Zukunft wer­den soll.

Letztlich bedanke ich mich bei allen, die in diesem Bereich – in pädagogischen Beru­fen – tätig sind. Da ich selbst aus dem Pflichtschulbereich komme, weiß ich, dass der Beruf jeden Tag aufs Neue eine schöne Herausforderung ist, nicht jeden Tag einfach und easy ist, aber dennoch einer der schönsten Berufe, die es gibt. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und Grünen.)

16.53


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dörfler. – Bitte, Herr Kollege.

 


16.54.01

Bundesrat Gerhard Dörfler (FPÖ, Kärnten): Geschätzte Frau Bundesminister! Zuerst einmal herzlichen Dank, dass Sie ausreichend auf die Probleme der Bildungsthematik eingegangen sind. Ich muss aber schon festhalten, dass es eine Meinung einer zu­ständigen Ministerin, ihres Ministeriums, aber auch eine Meinung der österreichischen Öffentlichkeit gibt. Wenn quasi alle österreichischen Medien, wenn Hannes Androsch, Bildungsexperte Bernd Schilcher, „Mister PISA“ Günter Haider, der heute schon ge­nannt wurde, führende Medienvertreter, die Wiener Stadtschulratspräsidentin, aktuell


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viele Leserbriefschreiber, Personalvertreter, Schüler und Eltern das Thema Bildung mit immer mehr Unzufriedenheit beleuchten, dann ist es doch Zeit und notwendig, darüber ernsthaft zu diskutieren.

Sie haben ja am 15. Februar einen Brief bekommen. – Ich weiß schon, dass Herr Jean­née ab und zu überspitzt formuliert, er hat mit dem Brief an Sie jedenfalls so begonnen:

„Pfuschen, schlampen, hudeln, schludern, stümpern, schustern, murksen.“ Ich gebe noch einmal zu, das ist ein Stil, der überzeichnet, aber Jeannée zeigt schon auch auf, und so verwendet er „Verben, also Tätigkeitswörter, die Ihre ,Tätigkeit‘ für oder vielmehr ge­gen das österreichische Schulwesen im Allgemeinen und die Zentralmatura im Beson­deren fatal wiedergeben“.

In diesem Kommentar beziehungsweise in diesem Brief an Sie wird auch Frau Rohrer der Tageszeitung „Die Presse“ zitiert:

„Wie kann es sein, dass die Abwicklung einer an und für sich guten Sache wie der Zentralmatura handwerklich derart verhunzt werden kann?“

Es wird in diesem Brief auch Frau Schurian aus dem „Standard“ zitiert:

„Lautete eine Aufgabe der Zentralmatura, ein Konzept für die Zentralmatura zu entwi­ckeln, die Kandidatin Gabriele Heinisch-Hosek würde mit einem glatten ‚Nicht genü­gend‘ durchfallen.“

Den Untergriff mit dem Würstelstand – da sind wir uns einig – ersparen wir uns jeden­falls, denn der war aus meiner Sicht zu giftig.

Österreich hat das teuerste Bildungssystem im OECD-Vergleich und hat durchschnitt­liche PISA-Ergebnisse, das ist ein Faktum, daran gibt es nichts zu deuten. Österreich hat ein Pflichtschulsystem, das derzeit nicht in der Lage ist, die Grundtechniken, das Grundwissen sozusagen, ausreichend und hundertprozentig zu vermitteln: Sinnerfas­send lesen, schreiben und rechnen werden immer mehr auch zum Problem im Bereich der Grundschulausbildung. Das heißt, wenn das nicht gewährleistet werden kann, dann braucht man aus meiner Sicht über Reformen im Überbau des Bildungswesens nicht nachzudenken. Ich muss einmal am Fundament ansetzen und das Grundproblem lösen, denn es ist schon erstaunlich, dass es in alten Schulangeboten – mit Klassen von teilweise über 30, 40, 50 Kindern – sehr wohl möglich war, diese Grundtechniken in einer Qualität zu vermitteln, die wir uns heute alle wünschen würden. (Bundesrätin Kurz: Wer sagt das?)

Was haben wir? – Wir haben hohe Nachhilfekosten, und ich darf bei den Nachhilfe­kosten Ergebnisse eine Studie der Arbeiterkammer, die die Kosten für Nachhilfe im Jahr 2014 durchleuchtet hat, anführen: Einzelunterricht kostet in Österreich durch­schnittlich 31,78 €, wobei die Tarife zwischen 18 € und 46 € liegen. Jetzt erklären Sie mir, wie sich eine Billa-Verkäuferin oder ein durchschnittlicher Handwerker, der ein Kind hat, das dringend Nachhilfeunterstützung benötigt, einen Stundensatz von 31 € leisten können.

Gruppenunterricht kostet durchschnittlich 15,69 €, die Tarife liegen hier zwischen 6,23 € und 33 €. Auch 15,69 € können sich die wenigsten Menschen in der unteren Einkom­mensschicht leisten. Was heißt das letztendlich? – Das bedeutet, dass einkommens­schwache Bevölkerungsschichten beziehungsweise Kinder aus einkommensschwachen und sozial benachteiligten Familien im Bildungssystem damit einmal mehr auf dem schlechteren Weg unterwegs sind (Bundesrätin Kurz: Ja, weil ihr gegen die Gesamt­schule seid!), weil sich ihre Eltern diese Nachhilfekosten einfach nicht leisten können.

Abgesehen davon wissen wir, dass es auch eine Hürde gibt, überhaupt zum Nachhil­feunterricht zu gehen. Die Besseren holen sich die Nachhilfe ins Haus, das geht ano-


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nym ab, und die anderen können es sich gar nicht leisten. Ein gutes Bildungssystem – und das ist ja wohl auch Zweck und Ziel, da sind wir uns einig – muss klarstellen und ausreichend dafür Sorge tragen, dass es keine sozialen und keine Einkommensunter­schiede im Bildungswettbewerb in Österreich gibt. Das ist aber letzten Endes nicht der Fall.

Auch das Thema Bildung und Integration ist ein Problem. Ich meine dazu, Frau Bil­dungsministerin, dass es jedenfalls in Schulen mit einem gewissen Anteil an Kindern aus mehreren Sprach- und Kulturumgebungen notwendig ist, den Schüler-Lehrer-Schlüs­sel wesentlich zu verändern. Sie können heute niemandem mehr zumuten, 25 Kinder mit zum Beispiel sieben Muttersprachen in einer Schulklasse qualitativ ausreichend und zufriedenstellend unterrichten zu können. Das ist eine Überforderung. Hierzu hat mir ein Pädagoge – ein ehemaliger Schulkollege, der mit Begeisterung Pädagoge war und es heute immer weniger ist – gesagt: Ich bin eigentlich nur mehr Problem- und Chaosmanager, nicht mehr Pädagoge, wie ich es noch vor 20 Jahren war.

Das hat natürlich auch mit folgender Sache zu tun – man muss sich das fragen, ich war immerhin zwölf Jahre Kinderbetreuungsreferent in der Kärntner Landesregierung –: Wie gut vorbereitet kommt heute ein Kind aus gutem Hause oder aus sozial schwieri­gen Verhältnissen überhaupt in die Schule? – Das verpflichtende Vorschulkindergar­tenjahr war ein richtiger Schritt, kann das aber bei Gott nicht alles ausgleichen. Das heißt, wir haben auch ein Sprach- und Integrationskompetenzproblem im Bereich Bil­dung.

In der „ZIB 2“ wurde gestern ausreichend beleuchtet, dass verunsicherte Pädagogen, verunsicherte Schüler, die einen mehr, die anderen weniger, und eine verunsicherte Öffentlichkeit derzeit massiv von der Zentralmatura überfordert sind. Außerdem gibt es eine Art Wettbewerb zwischen Neuer Mittelschule und Hauptschule. Warum hat man die gute alte Hauptschule einem Wettbewerb ausgesetzt? Sie hat Großartiges im Bil­dungssystem Österreichs geleistet. (Bundesrätin Kurz: Ach Gott!)

Auch viele von uns haben sie absolviert, und ich denke, die Dümmsten sind ja nicht ge­rade herausgekommen. Lesen, Schreiben und Rechnen hat man dort jedenfalls gut ge­lernt, wahrscheinlich oft besser als heute in manchen Neuen Mittelschulen.

Zu den Mietschulden, dass heute in Österreich die Bildungsabteilung der Republik bei der Besitzabteilung, sprich BIG, Schulden machen muss: Ich glaube, wenn man in der Schule Mathematik richtig gelernt hat, dann weiß man, dass man nicht unbedingt auf Vorschuss, auf Pump sozusagen, Bildungspolitik machen kann. (Bundesrätin Kurz: Ja eh!)

Frau Minister! Beim Thema Kleinschulen gebe ich Ihnen recht: dass eine Konzentration auf regionale Bildungszentren, wie wir sie auch in Kärnten eingeführt haben, gut ist. Da wird es aber noch Überzeugungsarbeit brauchen. Abgesehen davon muss man natür­lich auch den spezifischen Bereich ländlicher Raum beachten: Die Post ist weg, die Polizei ist weg, das Wirtshaus sperrt zu, und die Kleinschule sperrt auch zu. Das sind Entwicklungen im ländlichen Bereich, die immer wieder schöngeredet werden.

Wir haben gerade im letzten Plenum Konzepte zur Stärkung des ländlichen Raumes diskutiert. Die Schule ist Identität, die Schule ist Kultur (Bundesrätin Kurz: Ja eh, die will eh niemand wegnehmen!), die Schule ist eine Art Mittelpunkt eines Dorfes, das vie­les an alten Infrastrukturen und Angeboten nicht mehr hat. Damit muss man sehr sorg­sam umgehen. Ich glaube aber, mit richtigen und guten Angeboten kann man durchaus vernünftig eine Schnittstelle zwischen Kleinschulen und regionalen Schulzentren finden.

Bei einer leidigen Diskussion, die jetzt wieder aufgeflammt ist, war ich damals mit Gabi Burgstaller allein auf weiter Flur in der Landeshauptleutekonferenz: Ich halte nichts da­von, die Macht über die Landeslehrer den Landeshauptmännern zu überlassen. Öster-


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reich ist klein genug oder groß genug, wie auch immer man das sehen will – Sie haben selbst auch die Problematik der Landeslehrerkosten angesprochen –, und es ist letzt­endlich total unbefriedigend, dass der eine bestellt und der andere zahlt. Das wird ja auch nicht verbessert, wenn man die Kompetenz den Landeshauptleuten zur partei­politischen Postenbesetzung überlässt. (Ruf bei der SPÖ: Er spricht aus Erfahrung!)

Nur darum geht es. Ich glaube nicht, dass es darum geht, dass es tatsächlich eine Sys­temverbesserung geben soll. (Widerspruch bei ÖVP und SPÖ.) So gesehen muss man festhalten  (Bundesrat Kneifel: Funktioniert ja bei den Hauptschulen auch!) – Es funktioniert eben nicht! (Bundesrat Kneifel: Es funktioniert schon!) Es ist für eine Bil­dungsministerin mit Sicherheit kein Freudentag, wenn die Rechnungen der Länder im Budget zu verarbeiten sind, weil – wie gesagt – die Länder ihren Spaß beim Bestellen haben und der Bund der Zahler ist. Das geht so nicht. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

In diesem Fall bin ich ein Zentralist, weil einfach klar sein sollte: Wer zahlt, schafft an, wer zahlt, hat letztendlich die Verantwortung dafür, dass die Budgets sichergestellt wer­den! (Bundesrat Kneifel:  Länder!  Finanzautonomie!)

Frau Bundesminister! Faktum ist, dass derzeit die Bildungssituation in Österreich, und da darf ich den Brief des Herrn Jeannée noch einmal zitieren (Rufe bei SPÖ und ÖVP: Nein! Geh bitte! – Bundesrätin Grimling: Der ist doch das Letzte!), mit Sicherheit unzu­friedenstellend ist. (Weitere Zwischenrufe bei SPÖ und ÖVP.)

Daher bringen wir heute folgenden Antrag ein – er wird keine Mehrheit bekommen, aber trotzdem; die Grünen haben es im Nationalrat zum Thema gemacht, wir machen es im Bundesrat –:

Entschließungsantrag

der Bundesrätin Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen betreffend Absetzung der Bun­desministerin für Bildung und Frauen

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Der Bundeskanzler wird ersucht, dem Bundespräsidenten gemäß Art. 70 Abs. 1 B-VG die Entlassung der Bundesministerin für Bildung und Frauen vorzuschlagen.“

*****

Ein Unternehmen (Zwischenrufe bei der ÖVP sowie der Bundesräte Grimling und Stad­ler), das mit seinem Vorstand nicht zufrieden ist, beruft ihn ab. Das muss auch in der Politik möglich sein. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)

17.04


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Der soeben eingebrachte Antrag ist genügend unterstützt und steht damit mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Ebner. – Bitte, Herr Kollege.

 


17.04.10

Bundesrat Ing. Bernhard Ebner, MSc (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Bundesminister! Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen! Geschätzte Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, sofern noch welche daheim vor den Com­putern sitzen und unsere Diskussion online mitverfolgen! (Zwischenruf bei der ÖVP.) Liebe Freunde! Liebe Journalisten, die hoffentlich zuhören! Frau Bundesminister, Sie sind eigentlich zu beneiden! (Ironische Heiterkeit bei der SPÖ.) Sie sind zu beneiden, weil Sie ein Ressort überhaben, das meiner Meinung nach in dieser Bundesregierung


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 126

eines der spannendsten ist. (Ruf bei der SPÖ: Stimmt!) Sie arbeiten für die Zukunft un­serer Kinder. Sie arbeiten dafür, dass wir ausgebildete Jugendliche bekommen, ausge­bildete Menschen, die auf den Arbeitsmarkt drängen, die dann Arbeit verrichten, die fleißig sind, die auf das Leben vorbereitet sind. Darum sind Sie zu beneiden.

Auf der anderen Seite muss ich leider sagen: Sie tun mir auch ein bisschen leid. (Hei­terkeit bei der ÖVP.) Sie tun mir ein bisschen leid, weil Sie ein Erbe angetreten haben, das sicher nicht leicht war. Sie haben einiges von Ihrer Vorgängerin übernommen, das Sie jetzt ausbaden müssen (Bundesrat Schennach: Vor allem von der Frau Gehrer!), wir haben das auch schon gehört. Sie tun mir auch ein bisschen leid, weil Sie es schaf­fen, in fast jedes Fettnäpfchen zu hüpfen, das sich auf dem Weg zu einer guten Lö­sung auftut.

Es geht ums Eingemachte. Es geht um das Wichtigste; es geht um unsere Kinder. Es geht darum, dass wir unseren Kindern gute Bildung bieten und dass sie eine gute Zu­kunft haben. Das heißt für uns: Für die Bildung sollte eigentlich nichts zu teuer sein. John F. Kennedy hat ja schon gesagt: „Es gibt nur eines, was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.“

Es ist schon okay, wenn die Bildungskosten hoch sind, wenn am Ende der Output stimmt. Es ist schon okay, wenn die Bildungskosten hoch sind, wenn wir eine hohe Zu­friedenheit mit dem Bildungssystem haben. Nur muss man leider in der jetzigen Situa­tion sagen, es treffen beide Fälle nicht zu.

Einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der Kinder liefern in erster Linie die Eltern (Bundesrätin Kurz: Leider nicht immer! – Bundesrätin Posch-Gruska: Sollten sie!), das wissen wir. Sie sind die Keimzelle. Aber auch diese Eigenverantwortung wird nicht immer wahrgenommen, da gebe ich Ihnen schon recht. Auf der anderen Seite sind es die Schulen, und da vor allem die Lehrer, die für die Entwicklung der Kinder maßgeb­lich sind. Dafür einmal ein großes, großes Danke an unserer Lehrer und unsere Päda­gogen, die tagtäglich in den Schulen mit den Kindern arbeiten, Engagement zeigen, Kraft in die Ausbildung der Kinder stecken, denen aber leider – und das muss man heute auch in dieser Debatte wieder feststellen – nicht immer dafür gedankt wird! Das Bashing, das immer wieder, auch medial, an unsere Lehrer herangetragen wird, führt dazu, dass sie demotiviert sind, dass sie sich selbst hinterfragen, dass sie das Schul­system hinterfragen.

Wir sollten im Wesentlichen keine Diskussion über das Schulsystem führen, sondern wir sollten eigentlich über die Qualität der Bildung diskutieren und darüber, was am En­de des Tages dabei herauskommt. Bildung beginnt bei den Kleinsten – das haben wir heute auch schon gehört, Sie haben das genauso gesagt –, sie beginnt eigentlich be­reits im Kindergarten. Im Kindergarten wird die Grundlage geschaffen. In der Volks­schule wird dann versucht, Schwächen, die vielleicht auftreten, auszumerzen bezie­hungsweise werden Stärken noch ausgebaut. In der Mittelschule wird dann die Qualität gesteigert, und die Kinder werden auf die Zukunft vorbereitet. Wir diskutieren allerdings zurzeit immer nur über die Altersgruppe der 10- bis 14-Jährigen, aus verschiedensten ideologischen Gründen, und vergessen in manchen Bereichen dann doch, dass die Bildung bereits im Kindergarten beginnt. (Bundesrätin Kurz: Das vergessen wir nicht!)

Wir geben heute für die Bildung sehr viel Geld aus, aber trotzdem gibt es einige Zah­len, die nicht sehr positiv sind: Wir haben in Österreich bundesweit zirka 75 000 soge­nannter NEETs: Schulabbrecher, Jugendliche, die nicht am Arbeitsmarkt Fuß fassen, Jugendliche, die irgendwo im System verschwinden, die am Ende des Tages meistens erst wieder bei der Mindestsicherung irgendwo auftauchen, die leider, und da muss man auch etwas machen, nicht vom AMS vermittelt werden. (Ruf bei der SPÖ: Wir ha­ben schon gesagt, dass wir das machen!) Das heißt, sie gehen irgendwo im System unter. Da gehört etwas gemacht. Jeder achte Schüler bricht die Schule ab.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 127

Wir alle kennen bekannte Schulabbrecher, das ist schon klar. Es wird immer erzählt, Al­bert Einstein war ein Schulabbrecher – stimmt –, Thomas Mann war auch ein Schulab­brecher – stimmt auch –, nur waren das Ausnahmen und nicht die Regel. (Zwischenruf der Bundesrätin Kurz.)

Wir alle kennen die Realität: 47 Prozent der Arbeitslosen haben nur die Pflichtschule ab­geschlossen. Die Arbeitslosenquote in dieser Gruppe beträgt mittlerweile 24 Prozent, und das ist alarmierend. Da gehört etwas getan. Selbst wenn sie eine Beschäftigung finden, müssen die jungen Menschen feststellen, dass der Betrag, den sie verdienen, meistens um bis zu 600 € geringer ist als bei denjenigen mit einer besseren Ausbil­dung. Das sind Daten von der Statistik Austria, die ich da zitiert habe.

Talente fördern ist, wie wenn man einen Schatz hebt. Ein Schulabbrecher ist ein verlo­rener Schatz. Genau da müssen wir mit unserem Bildungssystem ansetzen.

Es sind Fehler passiert in der Vergangenheit, in den letzten Monaten, in den letzten Jahren. Die FPÖ hat heute schon sehr, sehr viele aufgezählt und hat auch ein 31-Fra­gen-Programm erarbeitet und was auch immer. (Ruf bei der ÖVP:  einen Haufen Rechtschreibfehler!) – Viele Rechtschreibfehler waren dabei, viele Satzzeichenfehler waren dabei. Auch da könnte man nachhelfen, aber darum geht es heute nicht, son­dern es geht heute darum, wie wir unser Bildungssystem verbessern können. (Zwi­schenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, der begeht in Wirklichkeit einen zweiten Fehler. Und das müssen wir verhindern. Wir haben Fehler gemacht im Bil­dungssystem – unbestritten –, die Frage ist jetzt aber, ob diese Fehler behoben wer­den. Bei der Anfragebeantwortung haben wir ja auch schon einiges gehört, wie diese Fehler behoben werden können oder behoben werden sollen. Ich möchte nur auf drei Punkte nochmals kurz eingehen, weil sie mir wichtig sind.

Die Evaluierung der Neuen Mittelschule zeigt ganz deutlich, dass dieses System in der jetzigen Form nicht den gewünschten Effekt gebracht hat, den wir uns alle vorgenom­men haben. Da muss man nachjustieren. Da muss man einiges verbessern. Es wären viele Zitate aus dem Bericht möglich, die das sehr, sehr deutlich zeigen. Fakt ist aber: Wir müssen schauen, wo wir ansetzen können, um das System besser zu machen. Das System gibt es jetzt, und es nach so kurzer Zeit wieder komplett zurückzufahren, wäre auch verkehrt. Das wäre der zweite Fehler, den wir nicht machen dürfen. Wir müssen jetzt schauen, wie wir das weiterentwickeln und positiv gestalten können.

Stichwort Zentralmatura: Mir wurde berichtet, selber habe ich es leider nicht sehen können, dass im Simpl zum Beispiel bereits ein Kabarettstück über die Zentralmatura läuft, in dem sich zwei 70-Jährige unterhalten und der eine sagt: Heast, wie geht’s dir? Hast du die Matura schon? Sagt der andere: Ich weiß es nicht, ich war bei der ersten Zentralmatura, aber ich weiß nicht, ob ich sie bestanden habe, bis heute nicht.

Das heißt, da gibt es schon durchaus Situationen, in denen sich die Menschen darüber lustig machen. Da gehört korrigiert. Jetzt ist ein großer Schaden da gewesen. Es ist korrigiert worden, es ist versucht worden, zu korrigieren. Ich hoffe, dass das in Zukunft besser gemacht wird.

Der dritte Punkt, auf den ich noch eingehen möchte, ist die Verunsicherung der Eltern, der Schüler und der Lehrer, auch die Verunsicherung dahin gehend, dass man die Schul­größen korrigieren und nur mehr in Großschulen unterrichten möchte. (Bundesrätin Kurz: Das wurde doch längst erklärt! Kann er lesen?) Ich möchte nur erinnern: Gerade in Niederösterreich haben wir Regionen mit sehr kleinen Schulstrukturen. Und, Frau Minister, da muss ich Ihnen leider schon eines sagen: Wenn Sie glauben, dass es die Lehrer auf dem Land gemütlicher angehen und nicht so viel Engagement hineinlegen,


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dass dort alles einfacher und nicht so intensiv ist wie in einer Stadt (Bundesministerin Heinisch-Hosek: Tun Sie mich nicht missinterpretieren, bitte!), dann muss ich Sie lei­der enttäuschen.

Ich lade Sie gerne in meine Heimatgemeinde ein. Wir haben dort eine Volksschule auf höchstem Niveau, mit einer überaus engagierten Direktorin und überaus engagierten Lehrerinnen und Lehrern (Bundesrätin Kurz: Um das geht es nicht! – Bundesministerin Heinisch-Hosek: Bewusste Missinterpretation!), und eine Neue Mittelschule, die ihresgleichen sucht, wo wirklich engagierte Lehrer tagtäglich ihren Mann, ihre Frau stehen und für ihre Schüler das Bestmögliche herausholen und so auch in dieser Re­gion versuchen, die beste Bildung für unsere Kinder zu erreichen. (Beifall bei der ÖVP.)

Das waren drei Beispiele, die mir wichtig sind, drei Beispiele für Pannen. (Zwischenrufe der Bundesräte Füller und Todt.) Aber wir haben eine Chance. Wir haben eine Chan­ce, das System zu verbessern. Nützen wir diese Chance!

Im Wesentlichen haben Sie als Bildungsministerin es jetzt sogar wirklich in der Hand, und dafür beneide ich Sie ja, wie ich eingangs gesagt habe. Sie haben es in der Hand, keine neuen Pannen zu verursachen. Sie haben es in der Hand, mehr Ruhe in das System zu bringen. Und Sie haben es in der Hand, für mehr Sicherheit für die Lehrer, für die Eltern und für die Schüler zu sorgen.

Vor wenigen Tagen durfte ich eine Diskussionsveranstaltung des Alois Mock Instituts – Forum für Zukunftsfragen eröffnen, bei der es darum gegangen ist, wo die Bildung heu­te steht. Auf dem Podium waren ein Schülervertreter, ein Lehrervertreter, ein Eltern­vertreter, Wirtschaft, Wissenschaft, alles auf dem Podium vertreten. (Bundesrat Stad­ler: Und du!) – Ich war nicht auf dem Podium. Ich habe es nur eröffnet. (Heiterkeit bei der SPÖ. – Bundesrat Stadler: Bei der Eröffnung wirst du auch auf dem Podium ge­wesen sein! – Ruf bei der SPÖ: Die ÖVP war auch am Podium vertreten!)

Im Wesentlichen sind drei Themen dabei herausgekommen: Die Schüler, die Eltern und die Lehrer wollen an den Schulstandorten zusammenarbeiten, das ist ihnen wich­tig. Sie wollen aber auch Autonomie, und sie wollen gewisse Ereignisse, gewisse The­men in der Schule diskutieren und auch umsetzen. Das Zweite ist: Sie wollen mehr Eigenverantwortung. Und das Dritte ist: Sie begrüßen alle gemeinsam rasche Reformen.

Genau das ist jetzt die Chance. Es war noch nie eine so hohe Reformbereitschaft in diesem Bereich gegeben wie zurzeit, und es hat noch nie eine so große Reformgele­genheit gegeben wie zurzeit, nur nützen müssen wir diese. Sie wissen ja selbst: In der derzeitigen LH-Konferenz wird dieses Thema sehr, sehr intensiv diskutiert. Es gibt eine eigene Bildungsreformgruppe. Die Vorschläge liegen de facto auf dem Tisch (Bundes­rätin Kurz: Ah so?), sie müssen nur noch umgesetzt werden. Es geht in eine Richtung. Was gelernt wird, bestimmt der Bund. Wie und wo gelernt wird, das bestimmen die Länder, weil die auch wissen, wo es notwendig ist und was in welcher Region für die Menschen das Richtige ist. (Bundesrätin Kurz: Auch wenn es der Pröll will!)

Auch Wilfried Haslauer hat heute im „Ö1 Morgenjournal“ – ich weiß nicht, wer es ge­hört hat – genau in diese Kerbe geschlagen und gesagt: Das ist der richtige Weg für Österreich! Das ist der richtige Weg für die Kinder in unserem Bildungssystem!

Was ist zu tun? – Auf der einen Seite brauchen wir Zielvorgaben auf Bundesebene, das heißt: inhaltliche Kompetenz klar auf Bundesebene, im Ministerium. Auch da brau­chen wir eine Durchforstung der Lehrpläne. Ein Bekannter von mir hat mich erst un­längst darauf angesprochen. Er ist im mittleren Management einer größeren Firma, hat selbst zwei schulpflichtige Kinder. Er sagt: Was da in der Schule gelernt wird, ist nicht unbedingt das, was wir am Arbeitsmarkt brauchen. (Zwischenrufe der Bundesrätinnen Grimling und Reich.) Auch da müssen wir adaptieren, auch da müssen wir anpassen


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und dementsprechend die Lehrpläne durchforsten. Wir brauchen Bildungsziele, Ge­setzgebung und Kontrolle auf Bundesebene. Das ist klar.

Was wir aber auch brauchen, ist die Verwaltung auf Länderebene. Wir brauchen Bil­dungsdirektionen für die operative Umsetzung, Personal- und Ressourcenzuteilung auf Landesebene (Bundesrätin Kurz: Das machen eh die Länder, das machen die Kom­munen!) und natürlich auch die Schulstandorte, die Sprengeleinteilungen und derglei­chen, die auf Landesebene geregelt sind, und wir brauchen mehr Autonomie in den Schulen vor Ort.

Ziel muss es sein – und ich hoffe, das ist das gemeinsame Ziel von uns allen hier he­rinnen –, das Beste für unsere Kinder zu erreichen, mit mehr Flexibilität und mit mehr Regionalität.

In der Frage der Bildung wurde jahrzehntelang gestritten. Ich bin fest davon überzeugt: Wir wollen, wir sollen und wir müssen für die nächsten Zeiten nicht streiten, sondern gestalten.

Frau Minister (Ruf bei der SPÖ: Ministerin!), Sie haben es in der Hand, und darum beneide ich Sie. – Ich sage Danke schön. (Beifall bei der ÖVP.)

17.17


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Reich. – Bitte, Frau Kollegin.

 


17.18.00

Bundesrätin Elisabeth Reich (SPÖ, Oberösterreich): Geschätztes Präsidium! Werte Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Es stört mich vieles bei dieser Dringlichen Anfrage, und viele Dinge schmerzen, wenn man über Jahre in einem Schul­betrieb tätig ist. Am meisten sprechen immer die, die ihn wahrscheinlich am wenigsten von innen sehen.

Was mich aber ganz besonders stört, ist, dass diese Anfrage nur aus „Lehrern“ be­steht, obwohl wahrscheinlich auch die FPÖ weiß, dass mehr als zwei Drittel der Lehre­rInnen Frauen sind. (Beifall bei der SPÖ.)

Und nun zur NMS: Die nächste Feststellung in der Anfrage ist, dass der NMS ein amt­lich dokumentiertes Scheitern attestiert wird. Das wird damit begründet, dass der Per­sonalaufwand höher ist als in den AHS. – No na! Ich glaube, auch die Frau Ministerin hat das schon erklärt. Es gibt unterschiedliche Klassenschülerzahlen, und es gibt die zusätzlichen Stunden für die NMS. Daher sind aus diesem Grund die Stunden und die Personalressourcen nicht vergleichbar. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Es gibt aber auch noch einen anderen, viel, viel wichtigeren Grund. Die Schülerinnen und Schüler in den AHS sind nämlich ausgesucht, sie sind leistungsstarke Schüler, sie dürfen kein Befriedigend im Volksschulzeugnis haben, sie haben meistens einen fa­miliären Background, der sich Nachhilfe leisten kann. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Die NMS, früher Hauptschulen, haben alle anderen Schüler, die wir sehr gerne haben. Sie können aber auch sonderpädagogischen Förderbedarf haben, sie kön­nen Schwierigkeiten bei der Leistungserbringung haben, sie haben oft schwierige fami­liäre Situationen im Background und noch andere Sorgen.

Dazu kommt: In der ersten Phase waren es hauptsächlich Brennpunktschulen, die von den Hauptschulen in die Neuen Mittelschulen übergeführt wurden – daher nicht ver­gleichbar.

Ganz kurz noch zu den trotzdem wichtigen Kompetenzen. Das NMS-Konzept wird na­türlich unterschiedlich in den verschiedenen Schulen umgesetzt. In den Modellklassen, womit sich alle ganz sicher identifiziert haben, wurde es sehr, sehr intensiv und sehr positiv umgesetzt. Das zeigen auch die Ergebnisse.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 130

Ich glaube, das ständige Schlechtreden macht überhaupt nichts besser. Es entsteht Un­sicherheit bei den Eltern und auch bei den Lehrerinnen und Lehrern.

Es gibt eine teils signifikante Leistungssteigerung in der ersten Generation in allen Test­­bereichen, in Deutsch, Englisch und Mathematik. Es gibt aber auch, und das ist mir ganz wichtig, eine deutliche Verbesserung bei Schulklima und Schulkultur.

Ich denke, eines der wichtigsten Dinge für die Zukunft unserer Kinder ist, dass ein Rück­gang von Gewalt und Aggression stattfindet, dass eine positive Entwicklung des Schul­klimas gegeben ist, dass sich die Schüler und Schülerinnen in den NMS wohler fühlen, dass sie weniger Leistungsdruck empfinden und dass sie sich auch mehr im Schul­alltag engagieren.

Aber ein wesentliches Problem wird durch die Neue Mittelschule nicht gelöst. Der Zu­strom an die AHS-Unterstufe ist auch an NMS-Standorten unverändert geblieben. Da­her bleibt die soziale Spaltung des österreichischen Schulwesens bestehen. Die sozia­le Zusammensetzung hat sich daher noch nicht maßgeblich verändert, und auch wir an unserem Standort können davon viel erzählen.

Auch der Bildungsforscher Stefan Hopmann sagt, es ist eine „furchtbar naive Annah­me“, dass es ganz schnelle Verbesserungen im Bildungssystem gibt. Und dafür, dass an einzelnen Standorten mit der Umsetzung des Neuen-Mittelschul-Konzepts nicht der positive Effekt gelungen sei, gibt es ganz, ganz viele Faktoren. Das liegt an den einzel­nen Schulen, das liegt an den Lehrerinnen und Lehrern, das liegt am Standort und an der Umgebung.

Und Stefan Hopmann sagt auch, die Konsequenz aus all dem sei, man sollte den Schulen den nötigen Spielraum, aber auch die nötige Zeit lassen, das Beste daraus zu machen.

Für mich und für uns ist die Neue Mittelschule ein starkes und gutes Projekt. Die Eva­luierung zeigt, wo man noch verbessern kann, was man daraus lernen kann. Wir alle sollten nie aufhören zu lernen!

Je vollständiger das pädagogische Konzept der Neuen Mittelschule umgesetzt wird, des­to besser fallen die Leistungssteigerungen aus. Schulklima und Lernkultur verbessern sich deutlich. Das Problem der sozialen Selektion von Schülerinnen und Schülern nach der vierten Schulstufe bleibt aber weiterhin bestehen. Und an dem müssen wir am drin­gendsten arbeiten. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

17.23


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Längle zu Wort. – Bitte, Herr Kollege.

 


17.23.48

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Sehr geschätztes Präsidium! Sehr ge­ehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin! Es wurde von den Vorrednern schon viel gesagt und ich möchte das jetzt noch einmal abrunden. Wie Kollegin Mühl­werth und Kollege Dörfler ausführlich erklärt haben, ist die Neue Mittelschule geschei­tert! Auch wenn jetzt von meiner direkten Vorrednerin das Gegenteil behauptet wurde, aber die Fakten liegen auf dem Tisch: Die Neue Mittelschule ist gescheitert!

Ebenso haben wir Expertenaussagen gehört, wie etwa von Günter Haider, der auch schon öfters zitiert wurde: Kinder, Schülerinnen und Schüler sind keine Versuchskanin­chen!

Die Pannen bei der Zentralmatura wurden auch ausgeführt. Die Datenlecks, die Ter­minkollisionen und ebenso die prekären Budgetfragen bezüglich des Unterrichtsminis­teriums wurden aufgezeigt. Die vorwissenschaftliche Arbeit scheint in diesem Stadium doch wirklich auch falsch angebracht zu sein.


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Irgendwie scheint schon das Credo zu sein, dass die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut. Betonen möchte ich auch, dass nicht nur wir von der FPÖ bezüglich dieser Thematik mit Kritik am Tagesplan stehen, sondern auch die Grünen im Nationalrat, die das offensichtlich auch erkannt haben, aber auch viele Kollegen und Kolleginnen von der ÖVP – Klubdirektor Lopatka, Herr Wolfgang Türtscher und Kollegin Jank, Bildungs­sprecherin der ÖVP. Alles geht in diese Richtung. Wir haben es heute schon gehört, ich habe das schon gesagt, gestern wurde das auch im Vorarlberger Landtag disku­tiert, auch SPÖ-intern hat Frau Landtagsabgeordnete Sprickler-Falschlunger nicht mit Kritik gespart. Schauen Sie sich das an, dann wissen Sie vielleicht mehr!

Wir von der FPÖ sind der Meinung, dass es Zeit für eine Wende ist. Im Namen unserer Jugendlichen und Kinder hoffen wir, dass eine drastische Änderung kommt und eine deutliche Verbesserung im Bildungsbereich eintritt. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

17.26


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundes­rätin Mag. Kurz. – Bitte, Frau Kollegin.

 


17.26.33

Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Bevor ich zum eigentlichen Thema dieser Anfragen komme, möchte ich kurz auf meine Vorrednerinnen und -redner eingehen. Herr Kollege Dörfler ist zwar jetzt nicht da, aber Sie können ihm ja ausrichten (Bundesrätin Mühlwerth: Wir sagen es ihm!), dass ich ihm in zwei Punkten zustimme, nämlich wenn er darüber redet, dass es Kinder mit sozialen Benachteiligungen gibt und dass man für die noch mehr tun muss, das ist keine Frage.

Natürlich hat sich das Bildungssystem geändert, und auch die Anforderungen in der Schule und die Anforderungen an die Lehrerinnen und Lehrer, denn es hat sich die Be­völkerungsstruktur verändert. Es ist eben nicht mehr so wie zu der Zeit, in der er in die Volksschule gegangen ist. Insofern hat sich daran viel geändert.

Was ich überhaupt nicht eingesehen habe und eigentlich auch ziemlich traurig finde, ist, dass gerade er sich auf den Herrn Jeannée beruft. Ich meine, kann er nicht mehr selber schreiben oder was, er ist ein Ex-Landeshauptmann?! – Na ja, richten Sie es ihm aus, bitte! (Bundesrat Herbert: Das war jetzt aber nicht ernst gemeint, oder? Das war wohl humoristisch gemeint, Frau Kollegin?!)

Herr Kollege Ebner aus Niederösterreich spricht von einem Schaden, den die Zentral­matura verursacht. Wo ist der Kollege jetzt? – Ah, da ist er, weit hinten versteckt. Ich habe den Schaden noch nicht gesehen, Sie haben ihn auch nicht definiert. Aber viel­leicht kommen wir irgendwann dann noch einmal drauf, was Sie gemeint haben. (Zwi­schenruf des Bundesrates Ebner.)

Ich verwahre mich dagegen – aber die Frau Ministerin kann das ja nicht selber tun –, der Frau Ministerin zu unterstellen, sie hätte den Landschullehrern das nötige Engagement abgesprochen.

Darum ist es überhaupt nicht gegangen, sondern es ist darum gegangen und es geht nach wie vor darum, dass natürlich die Anforderungen in einer kleinen Landschule an­ders sind. (Ruf bei der ÖVP: Die sind genauso engagiert!) – Natürlich sind die genauso engagiert, aber  (Zwischenruf des Bundesrates Perhab.) – Sie haben keine Ahnung, guter Mann, keine Ahnung, wie es zugeht in Schulen, wo man zum Beispiel 90 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund hat (Bundesrat Perhab: Das hat mit Landschule nichts zu tun!), wo man Kinder mit sozialen Auffälligkeiten aus österreichischen Familien hat. Das ist ein ganz anderes Unterrichten als in einer kleinen Hauptschule oder Volks­schule auf dem Land. Das ist anders, ob Sie es glauben oder nicht! Stellen Sie sich hinein, dann werden Sie es wissen! (Bundesrat Ebner: Beides ist schwierig!) – Es ist


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anders, habe ich gesagt. Ich habe nicht gesagt, es ist leichter, ich habe gesagt, es ist anders, und das kann man hier nicht absprechen, dass es anders ist.

Weiters möchte ich Ihnen doch mitteilen, dass zwar die Herren Landeshauptleute Pröll und Haslauer nicht müde werden, seit Jahren – Pröll seit Jahrzehnten, muss man sa­gen, Haslauer noch nicht so lange – zu betonen, dass alle Lehrer in die Landeskompe­tenz kommen sollen. Es wird dadurch nicht besser, auch wenn sie es immer wieder aufwärmen. Wir werden versuchen, das zu verhindern, solange es geht. – Warum, das führe ich jetzt nicht aus. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Nicht streiten, gestalten ist schön, das finde ich super. Wir würden so gern einmal die ganztägig geführte Gesamtschule einführen, denn es würde all diese sozialen Proble­me endlich einmal lösen. (Zwischenruf des Bundesrates Mayer.) Leider müssen wir uns da immer streiten und können nicht gestalten – auch mit dem Koalitionspartner, von dem ich heute nicht so sehr gesehen und gehört habe, dass er wirklich ein Koalitionspartner ist. Aber gut, man versteht eben manches anders in manchen Parteien.

Zum Herrn Längle sage ich nur eines: Nein, die Neue Mittelschule ist nicht gescheitert! Auch wenn Sie es nicht gehört oder nicht verstanden haben, sie ist nicht gescheitert, und Sie werden das in Zukunft noch sehen.

Nun aber zu diesen Anfragen. Ich denke – die Ministerin hat es ja auch gesagt in ihrer Beantwortung –, natürlich hat es Pannen gegeben, und das braucht man auch nicht zu beschönigen, und es will ja auch keiner beschönigen. Man versucht ja auch immer wie­der so schnell wie möglich die Kurve zu kratzen und aus einer Panne oder einer an­geblichen Panne wie diesem angeblichen Datenleck gleich wieder herauszukommen.

Natürlich war es nicht gut, die Lehrerinnen und Lehrer bei einer Probeschularbeit mit reduzierten Prozentpunkten oder mit einem ungeeigneten Deutschtext zu überraschen. Das verstehe ich als Deutschlehrerin auch nicht wirklich, wie so etwas sein kann.

Aber im Vergleich zu dem, was ansteht, nämlich eine zentrale Matura für alle Maturan­tinnen und Maturanten in ganz Österreich zu schaffen, sind solche Probleme in Wirk­lichkeit Peanuts. Und ich verwahre mich dagegen, hier darzustellen und in den Medien zu vertreten, dass das, was in 24 europäischen Ländern State of the Art ist, seit vielen Jahren problemlos oder auch mit Problemen behaftet funktioniert, bei uns auf einmal nicht eingeführt werden kann.

Sind unsere Lehrerinnen und Lehrer, unsere Schülerinnen und Schüler schlechter? Oder woran soll es liegen, dass das nicht funktionieren soll? (Bundesrat Herbert: Am Minis­terium und an der Ministerin! So schaut’s aus!) – Na, das Ministerium macht jetzt die Matura nicht, sondern andere Leute machen diese Dinge.

Ich möchte jetzt  (Heiterkeit bei der ÖVP.) – Ist irgendetwas lustig da hinten? (Zwi­schenrufe bei der ÖVP.) – Sie können sich zu Wort melden, jetzt bin ich dran.

Ich möchte auf ein paar Themen eingehen, die meiner Meinung nach völlig zu Unrecht kritisiert werden. Jede Kritik wird momentan von den Medien, die es anscheinend lustig finden, warum auch immer, weiß ich nicht genau, dazu verwendet, aus jeder winzigen Mücke einen riesigen Monsterelefanten zu machen.

Zum Beispiel bei der vorwissenschaftlichen Arbeit. Also zu behaupten, dass man das nicht machen sollte in der heutigen Zeit, nämlich 18-Jährige – die meisten sind 18 oder 19 Jahre alt, wenn sie die Matura machen – dazu anzuleiten, wie sie selbstständig ein Thema erarbeiten, wie sie Recherchearbeit machen, wie sie lernen, zu einem Thema die richtigen Fragen zu stellen, wie sie mit Sekundärliteratur umgehen sollen, wie sie richtig zitieren, wie sie die Frage der Plagiate zum ersten Mal behandelt hören, und ih­nen zu sagen, das braucht ihr alle nicht zu lernen, denn da geht es nachher ins Pro­seminar, da werdet ihr es schon lernen auf der Universität, also so etwas zu be-


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haupten, ist mir völlig unverständlich. (Bundesrätin Mühlwerth: Das sagt ja keiner!) – Zum Beispiel hat das der vormalige Wissenschaftsminister gesagt. – Das habe ich ge­hört und gelesen habe ich es auch.

Das alle ist zentraler Bestandteil dieser neuen Reifeprüfung. Ich bin überzeugt davon, dass die Lehrerinnen und Lehrer, die das seit einem Jahr betreuen, durchaus im Stan­de sind, zu wissen, wie man mit Fußnoten umgeht. Die Schülerinnen und Schüler sol­len 4 500 bis 6 000 Wörter schreiben oder 40 000 bis 60 000 Zeichen. Weiß jemand, wie viele Seiten das sind? (Ruf bei der ÖVP: Viele!) – 20! Ja, ihr wisst es ja gar nicht. 20 Seiten ungefähr sind das. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Jetzt schreiben sie diese 20 Seiten, davon machen sie auf ungefähr fünf bis sechs Sei­ten Anmerkungen unten, das heißt, sie schreiben vielleicht ungefähr zwischen 100 und 200 Zeichen Anmerkungen. Und das ist jetzt ein Problem bei der vorwissenschaftlichen Arbeit, ob diese jetzt zu den 40 000 Zeichen dazugezählt werden oder nicht? (Zwischen­ruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Ich frage mich wirklich, wer das als Problem erkennt. Die Schülerinnen und Schüler ha­ben keines gehabt, denn wie viele sind jetzt abgegeben worden? 8 000, oder? 8 000 vor­wissenschaftliche Arbeiten. – Zugegeben, nicht alle sind in der ersten Minute hochge­laden worden, denn da hat es ein kleines Problem gegeben. (Bundesministerin Hei­nisch-Hosek: 20 000! Es sind 20 000 MaturantInnen!) – 20 000! Ich habe ja gewusst, irgendwo stimmen die Zahlen nicht, die da herumschwirren.

20 000, und dann haben nicht alle gleich hochgeladen werden können – na Drama, na Wahnsinn! So ein Drama, sie haben einen Tag später hochladen müssen! Große Kata­strophe!

Was haben die Schülerinnen und Schüler Ihrer Meinung nach gelernt? – Die Frau Mi­nisterin ist unfähig. Meiner Meinung nach Krisenmanagement: Wie gehe ich denn um mit so einer Situation? – Das wird ihnen im Leben noch oft unterkommen, dass etwas nicht hundertprozentig funktioniert. (Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.)

Werte Kolleginnen und Kollegen, nein, ich muss nicht lachen. Und ich sage euch auch eines: Im Gegensatz zu allen anderen hier im Saal bin ich die Einzige, die weiß, wie man so eine Matura macht, denn ich mache das nämlich. Ich bin nämlich eine Pro­fessorin ... (Bundesrat Perhab: Wir haben keine Matura gemacht?) – Nein, ihr habt ei­ne neue Matura noch nicht gemacht. Ihr habt keine Ahnung, wie die ausschaut, keine, aber wirklich gar keine! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Ich gehe jetzt noch auf ein paar Themen ein, die hochgespielt werden und die große Katastrophe sind beim eigentlichen Thema Zentralmatura, die ja gar nicht Zentralma­tura heißt, aber der Einfachheit halber immer noch so bezeichnet wird. Über sie ist zehn Jahre diskutiert worden, sie ist ohnehin ein Jahr verschoben worden, denn es hat ein Problem gegeben, das zu dieser Verschiebung geführt hat. (Bundesrat Perhab: Das Problem gibt es nicht mehr?) – Nein, dieses Problem gibt es nicht mehr, weshalb sie verschoben worden ist, denn sonst würde sie nicht stattfinden.

Es gibt jetzt die 20 000 Schülerinnen und Schüler, die sie per Gesetz machen müssen, welches wir alle beschlossen haben, plus die 7 000, die das freiwillig machen, die es erst nächstes Jahr machen müssten; 27 000 Schülerinnen und Schüler. Leider war es mir nicht möglich, herauszufinden, wie viele Lehrerinnen und Lehrer es machen. Das ist irgendwie nicht erfassbar. Und dann gibt es ungefähr zehn Leute, die sich anma­ßen, zu sagen, sie wüssten, was da alles schiefgeht und was da alles nicht funktioniert. Und alle anderen haben kein Problem damit.

Da frage ich mich, was jetzt so eine Katastrophe daran sein kann, wenn die alleraller­meisten Schülerinnen und Schüler kein Problem haben, eine vorwissenschaftliche Ar-


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beit zu schreiben. (Bundesrätin Mühlwerth: Woher weißt du das?) – Na, weil ich im Schulbetrieb lebe. (Bundesrätin Mühlwerth: Ah so, bei dir an der Schule klappt alles!)

Wir sind eine Schule mit über 1 000 Schülerinnen und Schüler. Wie viele Schulen ha­ben sich denn beschwert, Frau Kollegin? Wie viele? Wie viele Schulen haben sich bei Ihnen beschwert? Das frage ich mich. Von den 332 Schulen, die jetzt zur Zentralma­tura verpflichtend antreten, wie viele haben sich beschwert? Eine, zwei? Und die ande­ren 330 haben das alles tadellos gemacht.

Ich finde das eigentlich unglaublich, denn Sie alle sprechen meinen Kolleginnen und Kol­legen, den Lehrerinnen und Lehrern die Kompetenz ab, etwas, worüber sie seit Jahren Bescheid wissen, ordnungsgemäß durchzuführen. Sie sprechen Ihnen die Kompetenz ab, die Schülerinnen und Schüler so vorzubereiten, dass sie eine ordentliche Matura ab­liefern. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Wieso maßen Sie sich das an? Ich finde das unglaublich! (Beifall bei der SPÖ. – Bun­desrätin Mühlwerth: Also hat es keine Panne beim Text gegeben und auch sonst kei­ne Pannen?!)

Zur Textfrage habe ich schon ganz am Anfang gesagt, dass es mir völlig unverständ­lich ist. Ich bin selbst Deutschlehrerin und weiß nicht genau, wer diesen Text ausge­sucht hat. Aber so etwas kann auch mal passieren. (Neuerlicher Zwischenruf der Bun­desrätin Mühlwerth.)

Ich möchte die Lehrerkollegen oder Eltern fragen: Ich glaube, alle haben schon einmal gehört, dass bei einer Matura bisher auch etwas schiefgegangen ist, oder? (Zwischen­rufe bei der ÖVP.) – Es gibt nicht die Vollendung, die schlussendliche, die hundertpro­zentige, auch bei bisherigen Maturafragen hat es Schreibfehler gegeben. Es hat Matu­rafragen in Mathematik gegeben, die schlichtweg falsch waren. Es hat keine Lösung gegeben, weil die Angabe falsch war. All das hat es gegeben. Und das eine oder ande­re Mal wird es weiterhin irgendein Problem geben, aber viel weniger als bisher, denn zentralgesteuert ist immer noch besser; auf jeden Fall!

Ich möchte jetzt noch auf die drei Punkte eingehen, die angeblich alle viel zu wenig sind. Sie sagen, es gibt zu wenig Vorbereitungszeit für die mündliche Matura.

Jetzt gibt es diese zusätzlichen Tage zur Vorbereitung auf die schriftliche und mündli­che Matura – es sind zwar nicht viele, aber es gibt welche –, und zwar deshalb, weil die SchülerInnen plötzlich irgendwie durch eine Verunsicherung, von wem auch immer, das Gefühl gehabt haben, sie könnten womöglich zu wenig erfahren.

Ehrlich gesagt frage ich mich schon, wieso man das glaubt. Es ist ja nichts Neues, dass sie in Deutsch oder in Englisch oder in Mathematik antreten müssen. Die Schüle­rInnen werden ja ein ganzes Schuljahr lang darauf vorbereitet. Auch dass sie mündlich zu drei Maturafächern antreten müssen, wissen sie schon einige Zeit; und sie suchen sich nicht die Fächer aus, die sie nicht mögen und nicht können. Nein! Sie suchen sich die Fächer aus, die sie mögen und können, in denen sie gut sind. Insofern, denke ich mir, könnte man ihnen schon zutrauen, dass sie wissen, was zu lernen ist, um dann bei der Matura, bei der Reifeprüfung auch durchzukommen.

Außerdem erhalten sie ohnehin die Betreuung der Lehrerinnen und Lehrer, die ja so­wieso das Ziel haben, ihre Schülerinnen und Schüler durchzubringen – nicht nur durch­zubringen, sondern gut abschneiden zu lassen, denn der „Typ“ von Lehrerinnen und Leh­rer, der versucht, sie durchfallen zu lassen, ist dem Aussterben schon ziemlich nahe. Gott sei Dank!

Was haben wir noch zu wenig? – Neuerdings gibt es zu wenig Literatur bei der Zentral­matura. Es gibt viel zu wenig Literatur im Gegensatz zu früher, behaupten die Men­schen, die es eigentlich wissen müssten oder auch nicht, in den Medien. Früher waren


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es wie viel? – Es waren zwei von sechs Fragen, jetzt ist es nur mehr eine von sechs Fragen. Oder manche sagen: Früher war es eine von drei oder so ähnlich.

In Wirklichkeit stimmt das alles nicht, weil es überhaupt nie drei Fragen gegeben hat und sechs schon gar nicht. Denn die „Matura alt“ besteht darin, dass man zwei The­men zur Auswahl gibt, eines davon wählen sie – und von diesen Themen muss gar kei­nes ein Literaturthema sein. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Das steht über-
all in den Medien, irgendwer wird es ja einmal gesagt haben, sonst könnte es nicht in einer Zeitung stehen! Ich glaube nicht, dass es der Herr Jeannée war. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ.)

Heute lese ich – auch wieder irgendwo – etwas ganz Neues: Es gibt zu wenig Steck­dosen. (Heiterkeit bei der SPÖ.) Es gibt zu wenig Steckdosen an unseren Schulen, um in zwei Jahren die Mathematik-Matura durchführen zu können. Das ist jetzt wieder ein ganz neues Problem, das zwar für heuer nicht mehr relevant ist, aber in zwei Jahren wird es solche unglaublichen Probleme mit sich bringen, dass wir wahrscheinlich schei­tern werden, oder !? – Oder wird man es vielleicht schaffen, die Computer irgendwie dort anzustecken, wo die Schüler die Matura machen können!? Das hoffe ich.

Summa summarum, Kolleginnen und Kollegen: Die neue Reifeprüfung ist ein Glücks­fall, wenn sie endlich eingeführt ist. Der Willkür der Lehrerinnen und Lehrer wird nicht mehr Tür und Tor geöffnet sein – und die gibt und gab es bei der alten Matura. Eine Maturantin/ein Maturant, die/der in Niederösterreich maturiert, weiß, dass der/die Matu­rantIn in Oberösterreich in etwa dieselben Kompetenzen hat, und die in Wien wissen es genauso wie die in Salzburg. Diese Vergleichbarkeit ist von Vorteil, auch für den späteren Wettbewerb, und zwar nicht nur auf den Universitäten und den Fachhochschu­len, sondern auch auf dem Arbeitsmarkt.

Eines Tages wird das dazu führen, dass diese Aufnahmeprüfungen – zum Beispiel für KindergärtnerInnen, für Lehrerinnen und Lehrer – in Deutsch entfallen, weil jeder weiß: Das ist das Niveau, das die Maturanten sowieso haben müssen, weil jeder in Deutsch antreten und ein gewisses Niveau haben muss, sonst kommt man nicht durch die Ma­tura, und andere Dinge mehr. (Bundesrätin Mühlwerth: da geht es um etwas ande­res!)

Das alles muss man dann auch noch im europäischen Gesamtrahmen sehen, denn auch da geht es um Vergleichbarkeiten von Standards. Wir wollen ja, dass unsere Ju­gendlichen – das ist ja von allen x-mal angesprochen worden – zu den bestausgebilde­ten gehören und sich mit allen anderen europäischen Jugendlichen messen können. Und das geht nicht ohne Standardisierung. Es kann schlicht und ergreifend nicht funk­tionieren, wenn jeder Lehrer macht, was er will.

Die Schwerpunkte bei der mündlichen Matura kann man ohnehin weiterhin setzen – das machen auch alle Schulen; alle arbeiten bereits daran, die geeigneten Fragen für ihre Schwerpunkte zu finden, um dann für die mündliche Matura die geeigneten Tools zu haben.

Natürlich werden die Schülerinnen und Schüler bestmöglich vorbereitet. Ich bin davon überzeugt, dass das dann nicht nur die Maturantinnen und Maturanten stärken wird, sondern sich nach unten fortsetzen wird und so ein „Top-down-Verfahren“ wird und die-
se Bildungsstandards dadurch auch mehr Gewicht bekommen, weil immer klarer wird, dass wir gemeinsam – nämlich alle, die in pädagogischen Berufen arbeiten – am sel­ben Ziel arbeiten, nämlich die Menschen bestmöglich auszubilden! – Danke. (Anhalten­der Beifall bei der SPÖ.)


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17.45


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundes­rätin Dr. Reiter. – Bitte, Frau Kollegin.

 


17.45.22

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Herr Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Ich bezweifle sehr, dass jemand – der die Diskussion noch auf Live-Stream oder hier verfolgt – noch das Vertrauen in die Politik hat, dass diese in der La­ge ist, das Bildungssystem zu reformieren und weiter positiv aufzubauen. Das erfüllt mich mit Besorgnis. Ich glaube nicht, dass wir hier eine Diskussion auf einem Niveau geführt haben, das vertrauenserweckend ist – vertrauenserweckend in die Richtung, wo­hin wir unsere Schulen entwickeln wollen; mit dem Vertrauen in die Lehrer, mit dem Vertrauen auch in das Ministerium, dass die Reform etwas wird, zum Besten für unsere Kinder und für unsere Zukunft.

Das große Problem bei der Neuen Mittelschule ist, dass sie eben keine echte Gesamt­schule für die 10- bis 14-jährigen ist. Wir von den Grünen wollen weiterhin an diesem Ziel arbeiten. Das Problem ist, dass die Mittelschulen, die Unterstufen, nicht mitge­macht haben und somit nach wie vor selektiert wird. Die Probleme in den Unterstufen der Mittelschulen zeigen sich auch im großen Nachhilfebedarf, der dort besteht, und am großen Leistungsdruck, dem die Kinder ausgesetzt sind – denn es gibt nach wie vor Kinder in der vierten Volksschule, die glauben, ihr Leben sei vorbei, weil sie einen Dreier haben und daher nicht in die Unterstufe der Mittelschule gehen können. Also das sind Probleme, die nach wie vor bestehen und die durch dieses System nicht ge­löst wurden, und deshalb ist es ein unvollständiger Kompromiss.

Dass es Umstellungsprobleme an verschiedenen Standorten gibt, ist klar und ist auch zum Einsehen. Das Ziel für uns ist auf alle Fälle die gemeinsame Schule für 10 bis 14-jährige, in der engagierte Pädagogen und Pädagoginnen unseren Kindern eine best­mögliche Zukunft geben. Wir hoffen nach wie vor, dass dieses Ziel erreichbar ist. Ich glaube fest daran, dass eine Zentralmatura in Österreich umsetzbar ist und dass wir in diesem Bereich auch entsprechende Ziele erreichen werden, denn es funktioniert in so vielen anderen Ländern.

Murphy‘s Law wirkt natürlich auch hier so, wie in allen Bereichen. Das heißt: Wenn et­was schiefgehen kann, dann geht es früher oder später schief. So ist das in diesem Bereich, und deshalb finde ich es vermessen, Garantien zu verlangen, dass Dinge nicht schiefgehen werden. Es werden immer wieder Dinge schiefgehen, aber das ist korrigierbar und veränderbar, und so war das auch bei den Pannen, die bisher passiert sind.

Ich glaube, wir sollten alle zusammenarbeiten, um für unsere Kinder eine entsprechen­de Zukunft sicherzustellen; aber eben auch mit dem Vertrauen, dass das mit den Menschen, die heute in diesem Bereich arbeiten – mit den Pädagogen, den Pädago­ginnen, mit dem Ministerium und auch mit der Politik –, möglich ist.

Dabei geht es auch darum, den Kindern die Angst zu nehmen, dass sie diese Leis­tungen nicht erreichen werden können und dass ihr Leben vorbei sein wird, wenn sie einen Dreier haben, weil im Alter von zehn Jahren selektiert wird und so weiter.

Ich glaube, dass unser Schulsystem bei Weitem nicht so schlecht ist, wie es heute in dieser Debatte dargestellt wurde und gewirkt hat, deshalb sollten wir uns wirklich um diese Zukunft bemühen.

Wir von den Grünen werden uns weiterhin um eine gemeinsame Schule der 10- bis 14-jährigen bemühen und hoffen, dass dieses Auseinanderdividieren im Alter von 10 Jah­ren eines Tages der Vergangenheit angehört. – Danke. (Beifall bei Bundesräten der SPÖ sowie der Bundesrätin Zwazl.)

17.49

17.49.50

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.


BundesratStenographisches Protokoll839. Sitzung / Seite 137

Es liegt der Antrag der Bundesrätin Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Absetzung der Bundesministerin für Bildung und Frau­en vor.

Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenminderheit. Der Antrag auf Fassung der gegen­ständlichen Entschließung ist daher abgelehnt.

17.50.16Einlauf und Zuweisung

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich gebe noch bekannt, dass seit der letzten beziehungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt drei Anfragen, 3062/J-BR/2015 bis 3064/J-BR/2015, eingebracht wurden.

Eingelangt ist der Antrag 210/A-BR/2015 der Bundesräte Herbert, Kolleginnen und Kol­legen, der dem Ausschuss für Verfassung und Föderalismus zugewiesen wird.

*****

Die Einberufung der nächsten Sitzung wird auf schriftlichem Weg erfolgen. Als Sit­zungstermin wird Donnerstag, 9. April 2015, 9 Uhr, in Aussicht genommen. Für die Ta­gesordnung dieser Sitzung kommen insbesondere jene Beschlüsse in Betracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit sie dem Einspruchsrecht bezie­hungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Ausschussvorberatungen sind für Dienstag, 7. April 2015, ab 14 Uhr, vorgesehen.

Diese Sitzung ist geschlossen.

17.50.55Schluss der Sitzung: 17.51 Uhr

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