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871. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

 

Donnerstag, 6. Juli 2017

 

 


Stenographisches Protokoll

871. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 6. Juli 2017

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 6. Juli 2017: 9.04 – 19.04 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Punkt: Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Primärversorgung in Pri­märversorgungseinheiten (Primärversorgungsgesetz – PrimVG) erlassen und das Gesund­heits-Zielsteuerungsgesetz, das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz, das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, das Unterbringungsgesetz, das Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz, das Gesundheitstelematikgesetz 2012, das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz, das Hebammengesetz, das Medizinische Assistenzberufe-Gesetz und das Medizinischer Masseur- und Heilmasseurgesetz geändert werden (Gesundheitsreformumsetzungsgesetz 2017 – GRUG 2017)

2. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Suchtmittelgesetz geändert wird (SMG-Novelle 2017)

3. Punkt: Änderung des Artikels 124 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs

4. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz, das Bundes­ver­fassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 hinsichtlich des Schulwesens geändert wird, das Bundesverfassungsgesetz über die Begrenzung von Bezügen öffentlicher Funktionäre, das Unvereinbarkeits- und Trans­parenz-Gesetz, das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz und das Verwaltungsge­richts­hofgesetz 1985 geändert werden, ein Bundesgesetz über die Einrichtung von Bildungsdirektionen in den Ländern erlassen wird, das Ausschreibungsgesetz 1989, das Schulorganisationsgesetz, das Land- und forstwirtschaftliche Bundesschulgesetz, das Pflichtschulerhaltungs-Grundsatzgesetz, das Schulzeitgesetz 1985, das Minder­heiten-Schulgesetz für das Burgenland, das Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten, das Bundesgesetz BGBl. Nr. 420/1990, das Schulunterrichtsgesetz, das Schulunterrichts­gesetz für Berufstätige, Kollegs und Vorbereitungslehrgänge, das Hochschulge­setz 2005, das Schulpflichtgesetz 1985, das Berufsreifeprüfungsgesetz, das Pflicht­schul­abschluss-Prüfungs-Gesetz, das Schülerbeihilfengesetz 1983, das Privatschul­gesetz, das Religionsunterrichtsgesetz, das Bildungsdokumentationsgesetz, das Schü­lervertretungengesetz, das BIFIE-Gesetz 2008 sowie das Bildungsinves­titionsgesetz geändert werden, das Bundes-Schulaufsichtsgesetz aufgehoben wird und das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, das Gehaltsgesetz 1956, das Vertragsbediensteten­gesetz 1948, das Bundeslehrer-Lehrverpflichtungsgesetz, das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz, das Land- und forstwirtschaftliche Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz, das Landesvertrags-


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 2

lehrpersonengesetz 1966, das Land- und forstwirtschaftliche Landesvertragslehr­perso­nengesetz, das Bundes-Personalvertretungsgesetz und das Unterrichtspraktikums­gesetz geändert werden (Bildungsreformgesetz 2017)

5. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Hochschulgesetz 2005, das Schulorgani­sations­gesetz und das Land- und forstwirtschaftliche Bundesschulgesetz geändert werden sowie das Hochschul-Studienberechtigungsgesetz aufgehoben wird und das Universi­täts­gesetz 2002, das Fachhochschul-Studiengesetz, das Privatuniversitätengesetz und das Hochschul-Qualitätssicherungsgesetz geändert werden

6. Punkt: Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und den Ländern über die Förderung von Bildungsmaßnahmen im Bereich Basisbildung sowie von Bildungsmaßnahmen zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses für die Jahre 2018 bis 2021

7. Punkt: EU-Ressortbericht 2017 des Bundesministeriums für Bildung auf der Grund­lage des Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission und des Arbeitsprogramms der maltesischen Präsidentschaft – mit einer Vorausschau auf die estnische Präsidentschaft

8. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Datenschutzgesetz 2000 geändert wird (Daten­schutz-Anpassungsgesetz 2018)

9. Punkt: Bundesverfassungsgesetz über die Genehmigung des Protokolls Nr. 15 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und dessen Erklärung zum Bundesverfassungsgesetz

10. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das ORF-Gesetz geändert wird

11. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz geän­dert wird

12. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz, das Arbeits­inspektionsgesetz 1993, das Arbeitszeitgesetz, das Arbeitsruhegesetz, das Mutter­schutz­gesetz 1979, das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz und das Arbeitsplatz-Sicherungsgesetz 1991 geändert werden (ArbeitnehmerInnenschutz-Deregulierungsgesetz)

13. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz geändert wird

14. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz und das Bauarbeiter-Schlechtwetterentschädigungsgesetz 1957 geändert werden

15. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Arbeitszeitgesetz, das Arbeitsruhegesetz und das Apothekengesetz geändert werden

16. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz und das Einkommensteuergesetz 1988 geändert werden (Sozialversicherungs-Zuord­nungs­gesetz – SV-ZG)

17. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Personenkraftwagen-Verbraucherinformations­gesetz geändert wird

18. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Fluorierte Treibhausgase-Gesetz 2009 geän­dert wird

19. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 geändert wird


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 3

20. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch und die Strafprozess­ord­nung 1975 geändert werden (Strafgesetznovelle 2017)

21. Punkt: Bundesgesetz, mit dem die Insolvenzordnung, das Gerichtsgebüh­ren­ge­setz, das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz und die Exekutionsordnung geändert werden (Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2017 – IRÄG 2017)

22. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Aktiengesetz, das GmbH-Gesetz, das SE-Gesetz, das Genossenschaftsgesetz und das Arbeitsverfassungsgesetz zur Erreichung einer gleichberechtigten Vertretung von Frauen und Männern im Aufsichtsrat geändert werden (Gleichstellungsgesetz von Frauen und Männern im Aufsichtsrat – GFMA-G)

23. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Außerstreitgesetz, die Jurisdiktionsnorm, das Gerichtsgebührengesetz, das Sicherheitspolizeigesetz und das Auslandsunter­haltsge­setz 2014 geändert werden sowie das Bundesgesetz vom 9. Juni 1988 zur Durch­führung des Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung aufgehoben wird (Kinder-RückführungsG 2017 – KindRückG 2017)

24. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 geändert wird

25. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das E-Government-Gesetz geändert wird

*****

Inhalt

Bundesrat

Antrittsansprache des Präsidenten Edgar Mayer ..................................................... 12

Personalien

Verhinderungen .............................................................................................................. 12

Aktuelle Stunde (54.)

Thema: „Gesundheitsreform 2017: Stärkung der ambulanten medizinischen Versorgung“          ............................................................................................................................... 16

Redner/Rednerinnen:

Mag. Daniela Gruber-Pruner ................................................................................. ..... 16

Angela Stöckl-Wolkerstorfer ................................................................................. ..... 17

Gerd Krusche .......................................................................................................... ..... 20

Mag. Nicole Schreyer ............................................................................................. ..... 22

Bundesministerin Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc ..........................................  24, 32

Adelheid Ebner ....................................................................................................... ..... 27

Ferdinand Tiefnig .................................................................................................... ..... 28

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ..... 29

Mag. Gerald Zelina .................................................................................................. ..... 30

Bundesregierung

Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Aufenthalt eines Mitgliedes der Bundesregierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ............................................................. 34


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 4

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse ............................................................................ 34

Ausschüsse

Zuweisungen .................................................................................................................. 33

Verhandlungen

1. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Primärversorgung in Primärversor­gungseinheiten (Primärversorgungsgesetz – PrimVG) erlassen und das Gesund­heits-Zielsteuerungsgesetz, das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungs­gesetz, das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, das Unterbrin­gungs­ge­setz, das Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz, das Gesundheits­telematik­gesetz 2012, das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz, das Hebam­menge­setz, das Medizinische Assistenzberufe-Gesetz und das Medizinischer Masseur- und Heilmasseurgesetz geändert werden (Gesundheitsreform­umset­zungsge­setz 2017 – GRUG 2017) (2255/A und 1714 d.B. sowie 9882/BR d.B.) ................................................................................................................. 35

Berichterstatterin: Adelheid Ebner ............................................................................... 35

Redner/Rednerinnen:

Gerd Krusche .......................................................................................................... ..... 35

Renate Anderl ......................................................................................................... ..... 37

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ..... 38

Dr. Andreas Köll ..................................................................................................... ..... 40

Gregor Hammerl ........................................................................................................... 42

Bundesministerin Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc ............................................ ..... 44

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ............................................................................................... ..... 45

2. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Suchtmittelgesetz geändert wird (SMG-Novelle 2017) (2240/A und 1716 d.B. sowie 9883/BR d.B.)        ............................................................................................................................... 46

Berichterstatterin: Renate Anderl ................................................................................. 46

Redner/Rednerinnen:

Adelheid Ebner ....................................................................................................... ..... 46

Sonja Ledl-Rossmann ................................................................................................. 47

Rosa Ecker .............................................................................................................. ..... 48

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ..... 49

Bundesministerin Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc ............................................ ..... 49

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ............................................................................................... ..... 50

3. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend Änderung des Artikels 124 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (1644 d.B. und 1701 d.B. sowie 9887/BR d.B.)                     50

Berichterstatter: Peter Oberlehner ............................................................................... 50

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 51


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 5

4. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz, das Bundesverfassungs­gesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 hin­sichtlich des Schulwesens geändert wird, das Bundesverfassungsgesetz über die Begrenzung von Bezügen öffentlicher Funktionäre, das Unvereinbarkeits- und Transparenz-Gesetz, das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz und das Verwal­tungsgerichtshofgesetz 1985 geändert werden, ein Bundesgesetz über die Einrichtung von Bildungsdirektionen in den Ländern erlassen wird, das Aus­schreibungsgesetz 1989, das Schulorganisationsgesetz, das Land- und forstwirt­schaftliche Bundesschulgesetz, das Pflichtschulerhaltungs-Grundsatzgesetz, das Schulzeitgesetz 1985, das Minderheiten-Schulgesetz für das Burgenland, das Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten, das Bundesgesetz BGBl. Nr. 420/1990, das Schulunterrichtsgesetz, das Schulunterrichtsgesetz für Berufstätige, Kollegs und Vorbereitungslehrgänge, das Hochschulgesetz 2005, das Schulpflicht­ge­setz 1985, das Berufsreifeprüfungsgesetz, das Pflichtschulabschluss-Prüfungs-Gesetz, das Schülerbeihilfengesetz 1983, das Privatschulgesetz, das Religions­un­ter­richtsgesetz, das Bildungsdokumentationsgesetz, das Schülervertretungen­ge­setz, das BIFIE-Gesetz 2008 sowie das Bildungsinvestitionsgesetz geändert werden, das Bundes-Schulaufsichtsgesetz aufgehoben wird und das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, das Gehaltsgesetz 1956, das Vertragsbediens­teten­ge­setz 1948, das Bundeslehrer-Lehrverpflichtungsgesetz, das Landesleh­rer-Dienst­rechtsgesetz, das Land- und forstwirtschaftliche Landeslehrer-Dienstrechts­ge­setz, das Landesvertragslehrpersonengesetz 1966, das Land- und forstwirtschaftliche Landesvertragslehrpersonengesetz, das Bundes-Personalvertretungsgesetz und das Unterrichtspraktikumsgesetz geändert werden (Bildungsreformgesetz 2017) (2254/A und 1707 d.B. sowie 9852/BR d.B.) ................................................................................................................. 51

Berichterstatter: René Pfister ........................................................................................ 51

Redner/Rednerinnen:

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ..... 52

Mag. Susanne Kurz ................................................................................................ ..... 55

Marianne Hackl ........................................................................................................ ..... 58

David Stögmüller .................................................................................................... ..... 59

Mag. Daniela Gruber-Pruner ................................................................................. ..... 62

Bundesministerin Mag. Dr. Sonja Hammerschmid ............................................ ..... 63

Annahme des Antrages des Berichterstatters, 1. gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben und 2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Art. 44 Abs. 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen ................................................................. 68

5. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Hochschulgesetz 2005, das Schulorganisationsgesetz und das Land- und forstwirtschaftliche Bundesschulgesetz geändert werden sowie das Hochschul-Studienberechtigungsgesetz aufgehoben wird und das Universitätsgesetz 2002, das Fachhochschul-Studiengesetz, das Privatuniver­sitätengesetz und das Hochschul-Qualitätssicherungsgesetz geändert werden (2235/A und 1705 d.B. sowie 9817/BR d.B. und 9853/BR d.B.) ................................................................................................................. 68

Berichterstatterin: Mag. Daniela Gruber-Pruner ......................................................... 68

Redner/Rednerinnen:

Elisabeth Grimling .................................................................................................. ..... 69

Mag. Klaus Fürlinger .............................................................................................. ..... 70

Rosa Ecker .............................................................................................................. ..... 71

David Stögmüller .................................................................................................... ..... 72

René Pfister ............................................................................................................. ..... 73


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 6

Bundesministerin Mag. Dr. Sonja Hammerschmid ............................................ ..... 74

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 76

6. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend Vereinba­rung gemäß Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und den Ländern über die Förderung von Bildungsmaßnahmen im Bereich Basisbildung sowie von Bil­dungs­maßnahmen zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses für die Jahre 2018 bis 2021 (1665 d.B. und 1706 d.B. sowie 9854/BR d.B.) ............................................................. 76

Berichterstatter: René Pfister ........................................................................................ 76

Redner/Rednerinnen:

Christoph Längle .................................................................................................... ..... 76

Elisabeth Grimling .................................................................................................. ..... 77

Sandra Kern ............................................................................................................ ..... 78

David Stögmüller .................................................................................................... ..... 79

Mag. Daniela Gruber-Pruner ................................................................................. ..... 80

Bundesministerin Mag. Dr. Sonja Hammerschmid ............................................ ..... 81

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 82

7. Punkt: EU-Ressortbericht 2017 des Bundesministeriums für Bildung auf der Grundlage des Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission und des Arbeitsprogramms der maltesischen Präsidentschaft – mit einer Vorausschau auf die estnische Präsidentschaft (III-604-BR/2017 d.B. sowie 9855/BR d.B.) ................................................................................................................. 82

Berichterstatterin: Mag. Daniela Gruber-Pruner ......................................................... 82

Redner/Rednerinnen:

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ..... 82

Hubert Koller, MA ................................................................................................... ..... 84

Dr. Magnus Brunner, LL.M .................................................................................... ..... 86

David Stögmüller .................................................................................................... ..... 86

Bundesministerin Mag. Dr. Sonja Hammerschmid ............................................ ..... 87

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-604-BR/2017 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................... 88

8. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Datenschutzgesetz 2000 geändert wird (Datenschutz-Anpassungsgesetz 2018) (1664 d.B. und 1761 d.B. sowie 9824/BR d.B. und 9856/BR d.B.) ......................................................................... 88

Berichterstatter: Dr. Andreas Köll ................................................................................ 88

Redner/Rednerinnen:

Werner Herbert ....................................................................................................... ..... 89

Wolfgang Beer ........................................................................................................ ..... 91

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................  92, 98

Robert Seeber ......................................................................................................... ..... 93

Stefan Schennach ................................................................................................... ..... 95

Josef Saller .............................................................................................................. ..... 95

Mario Lindner .......................................................................................................... ..... 97

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ..... 98


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 7

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 99

9. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bun­desverfassungsgesetz über die Genehmigung des Protokolls Nr. 15 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und dessen Erklärung zum Bundesverfassungsgesetz (1762 d.B. sowie 9857/BR d.B.)                99

Berichterstatter: Dr. Andras Köll .................................................................................. 99

Redner/Rednerinnen:

Mag. Michael Lindner ............................................................................................. ..... 99

Gregor Hammerl ..................................................................................................... ... 100

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ... 101

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................................................... 102

10. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das ORF-Gesetz geändert wird (2213/A und 1763 d.B. sowie 9858/BR d.B.) ............................ 102

Berichterstatter: Dr. Andreas Köll .............................................................................. 102

Redner/Rednerinnen:

Stefan Schennach ................................................................................................... ... 102

Anneliese Junker .................................................................................................... ... 103

Werner Herbert ....................................................................................................... ... 104

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ... 104

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................................................... 104

Gemeinsame Beratung über

11. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz geändert wird (2169/A und 1686 d.B. sowie 9832/BR d.B.)      ............................................................................................................................. 104

Berichterstatter: Mario Lindner ................................................................................... 105

12. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz, das Arbeitsinspektions­gesetz 1993, das Arbeitszeitgesetz, das Arbeitsruhegesetz, das Mutterschutzge­setz 1979, das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz und das Arbeitsplatz-Sicherungsgesetz 1991 geän­dert werden (ArbeitnehmerInnenschutz-Deregulierungsgesetz) (2228/A und 1689 d.B. sowie 9833/BR d.B.)               ............................................................................................................................. 105

Berichterstatter: Mario Lindner ................................................................................... 105

13. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz geändert wird (2234/A und 1691 d.B. sowie 9834/BR d.B.)                105

Berichterstatter: Mario Lindner ................................................................................... 105

Redner/Rednerinnen:

Ing. Bernhard Rösch .............................................................................................. ... 106

René Pfister ............................................................................................................. ... 108


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 8

David Stögmüller .................................................................................................... ... 109

Gregor Hammerl ..................................................................................................... ... 111

Inge Posch-Gruska ................................................................................................. ... 112

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ... 113

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ................................................................ ... 114

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 11, gegen den vorlie­genden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 116

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 12, gegen den vorlie­genden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 116

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 13, gegen den vorlie­genden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 116

Gemeinsame Beratung über

14. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz und das Bauarbeiter-Schlechtwetterentschädigungsgesetz 1957 geändert werden (2241/A und 1693 d.B. sowie 9835/BR d.B.) ................................... 116

Berichterstatterin: Inge Posch-Gruska ....................................................................... 117

15. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitszeitgesetz, das Arbeitsruhegesetz und das Apothekengesetz geändert werden (2233/A und 1696 d.B. sowie 9836/BR d.B.) ..................................................................................................... 116

Berichterstatterin: Inge Posch-Gruska ....................................................................... 117

Redner/Rednerinnen:

David Stögmüller .................................................................................................... ... 117

Renate Anderl ......................................................................................................... ... 118

Peter Oberlehner .................................................................................................... ... 119

Rosa Ecker .............................................................................................................. ... 120

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ................................................................ ... 121

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 14, gegen den vorlie­genden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 121

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 15, gegen den vorlie­genden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 121

16. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz und das Ein­kommensteuergesetz 1988 geändert werden (Sozialversicherungs-Zuordnungs­ge­setz – SV-ZG) (1613 d.B. und 1698 d.B. sowie 9828/BR d.B. und 9837/BR d.B.)               ............................................................................................................................. 121

Berichterstatterin: Renate Anderl ............................................................................... 122

Redner/Rednerinnen:

Reinhard Todt ......................................................................................................... ... 122

Martin Preineder ..................................................................................................... ... 124

Ing. Bernhard Rösch .............................................................................................. ... 125

David Stögmüller .................................................................................................... ... 126

Inge Posch-Gruska ................................................................................................. ... 127

Sonja Ledl-Rossmann ............................................................................................... 128


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 9

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ................................................................ ... 130

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ... 132

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, 1. gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben und 2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Art. 44 Abs. 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen ............................................................... 133

Gemeinsame Beratung über

17. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Personenkraftwagen-Verbraucherinformationsgesetz geändert wird (1630 d.B. und 1708 d.B. sowie 9879/BR d.B.) ............................................................................................................... 133

Berichterstatterin: Adelheid Ebner ............................................................................. 134

18. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Fluorierte Treibhausgase-Gesetz 2009 geändert wird (1666 d.B. und 1709 d.B. sowie 9880/BR d.B.)    ............................................................................................................................. 133

Berichterstatterin: Adelheid Ebner ............................................................................. 134

19. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 geändert wird (2256/A und 1710 d.B. sowie 9819/BR d.B. und 9881/BR d.B.) ............................................................................................................... 133

Berichterstatterin: Adelheid Ebner ............................................................................. 134

Redner/Rednerinnen:

Peter Samt ............................................................................................................... ... 134

Ing. Andreas Pum ................................................................................................... ... 135

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ... 136

Günther Novak ........................................................................................................ ... 137

Christoph Längle .................................................................................................... ... 138

Bundesminister Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter ................................................... ... 139

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 17, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 140

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 18, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 140

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 19, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 140

20. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung 1975 geändert werden (Strafgesetznovelle 2017) (1621 d.B. und 1737 d.B. sowie 9875/BR d.B.) ............................................................................. 140

Berichterstatter: Mario Lindner ................................................................................... 140

Redner/Rednerinnen:

Mag. Dr. Michael Raml ............................................................................................ ... 141

Mag. Klaus Fürlinger .............................................................................................. ... 142

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ........................................................................................... ... 143

Mag. Susanne Kurz ................................................................................................ ... 144

Bundesminister Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter ................................................... ... 145


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 10

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................................................... 145

21. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Insolvenzordnung, das Gerichtsgebührengesetz, das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz und die Exekutionsordnung geändert werden (Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2017 – IRÄG 2017) (1588 d.B. und 1741 d.B. sowie 9876/BR d.B.) .................................................................................... 146

Berichterstatter: Mario Lindner ................................................................................... 146

Redner/Rednerinnen:

Dr. Magnus Brunner, LL.M .................................................................................... ... 146

Mag. Susanne Kurz ................................................................................................ ... 147

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ... 147

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ........................................................................................... ... 148

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................................................... 149

22. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Aktiengesetz, das GmbH-Gesetz, das SE-Gesetz, das Genossenschaftsgesetz und das Arbeitsverfassungsgesetz zur Erreichung einer gleichberechtigten Vertretung von Frauen und Männern im Aufsichtsrat geändert werden (Gleichstellungsgesetz von Frauen und Männern im Aufsichtsrat – GFMA-G) (2226/A und 1742 d.B. sowie 9877/BR d.B.) ............................................................... 149

Berichterstatter: Stefan Schennach ........................................................................... 149

Redner/Rednerinnen:

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ... 150

Anneliese Junker .................................................................................................... ... 151

Ana Blatnik .............................................................................................................. ... 152

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ........................................................................................... ... 153

Renate Anderl ......................................................................................................... ... 154

Bundesminister Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter ................................................... ... 155

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................................................... 155

23. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Außerstreitgesetz, die Jurisdiktionsnorm, das Gerichts­gebüh­rengesetz, das Sicherheitspolizeigesetz und das Auslandsunterhalts­ge­setz 2014 geändert werden sowie das Bundesgesetz vom 9. Juni 1988 zur Durchführung des Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivil­recht­lichen Aspekte internationaler Kindesentführung aufgehoben wird (Kinder-Rückfüh­rungsG 2017 – KindRückG 2017) (2243/A und 1743 d.B. sowie 9878/BR d.B.) ..................................................................................................... 155

Berichterstatter: Stefan Schennach ........................................................................ ... 156

Redner/Rednerinnen:

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ........................................................................................... ... 156

Mag. Ernst Gödl ...................................................................................................... ... 157

Martin Weber ............................................................................................................... 158

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................................................... 159


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 11

24. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 geändert wird (2247/A und 1764 d.B. sowie 9827/BR d.B. und 9859/BR d.B.) ............................................................................................................... 159

Berichterstatter: Robert Seeber .................................................................................. 159

Redner/Rednerinnen:

Wolfgang Beer ...................................................................................................  159, 163

Peter Oberlehner .................................................................................................... ... 160

Christoph Längle .................................................................................................... ... 161

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ... 162

Werner Herbert ..................................................................................................  162, 163

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................................................... 164

25. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das E-Government-Gesetz geändert wird (2227/A und 1765 d.B. sowie 9860/BR d.B.) ...... 164

Berichterstatter: Robert Seeber .................................................................................. 164

Redner/Rednerinnen:

Mag. Dr. Michael Raml ............................................................................................ ... 164

Wolfgang Beer ........................................................................................................ ... 165

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ........................................................................................... ... 165

Ing. Eduard Köck .................................................................................................... ... 166

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................................................... 167

Eingebracht wurde

Anfrage der Bundesräte

Hans-Jörg Jenewein, MA, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Exekutive – Planstellen und Überstunden 2016 (3252/J-BR/2017)

 

 

 


 


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 12

09.04.01Beginn der Sitzung: 9.04 Uhr

 


Präsident Edgar Mayer: Einen schönen guten Morgen, sehr geehrte Damen und Her­ren! Ich eröffne die 871. Sitzung des Bundesrates.

Als verhindert gemeldet sind die Mitglieder des Bundesrates Arnd Meißl und Thomas Schererbauer.

09.04.13Antrittsansprache des Präsidenten

 


9.04.19

Präsident Edgar Mayer: Sehr geehrte Damen und Herren an den Bildschirmen zu Hause! Liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Saal! Ich darf den heutigen Sitzungstag mit meiner Antrittsrede als Präsident des Bundesrates beginnen.

Ich begrüße ganz besonders Frau Minister Dr. Pamela Rendi-Wagner. (Allgemeiner Beifall.) Ich freue mich, dass Sie hier unter uns sind, Frau Minister, natürlich wissend, dass Sie nicht nur wegen meiner Antrittsrede gekommen sind (allgemeine Heiterkeit), sondern weil wir natürlich auch einige Materien zu beschließen haben.

Vorweg möchte ich mich bei Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann sehr herzlich für ihre beispielgebende Präsidentschaft bedanken. Sie war eine großartige, charmante Botschafterin des Bundesrates und hat neben vielen besonderen Themen, die sie zum Abschluss gebracht hat, bei ihrem Themenschwerpunkt „Die Zukunft der Pflege: schaffbar, sichtbar, leistbar“ nicht nur im Rahmen einer besonderen Enquete auf die Probleme hingewiesen, sondern auch bei einer Tour durch alle Bundesländer um Unterstützung für dieses wichtige Thema ersucht.

Derzeit sprechen in der Regierung und im Parlament alle über Pflege – jeder Mann, jede Frau hat sozusagen Pflegebedarf –, wir sprechen auch über die Abschaffung des Pflegeregresses, aber an eine Absicherung über das Jahr 2021 hinaus – und das war eines der ganz großen Ziele – hat noch niemand so richtig gedacht. Deshalb wäre es auch von großer politischer Wichtigkeit gewesen, den Entschließungsantrag der Prä­sidentin Ledl-Rossmann im Parlament einzubringen, um somit auch einen klaren Zukunftsauftrag an das Parlament und an die Regierung zu definieren (Beifall bei ÖVP und Grünen), denn Pflege und Betreuung fallen in Länderkompetenz.

Frau Präsidentin Ledl-Rossmann! Du hast mit diesem Themenschwerpunkt nach­haltige Spuren in diesem Parlament hinterlassen. Herzlichen Dank dafür! (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten von SPÖ, FPÖ und Grünen.)

Du hast auch einmal mehr unter Beweis gestellt, dass die Länderkammer des Hohen Hauses zukunftsträchtige Initiativen setzt, die für die Bürgerinnen und Bürger wichtig sind, und dass hier Abgeordnete am Werk sind, die als Experten etwas von der Sache verstehen und sich ins Zeug legen, um für die Österreicherinnen und Österreicher etwas zu bewegen, weil wir eben keine Abnickerkammer für den Nationalrat sind, sondern eine selbstbewusste parlamentarische Einrichtung, die kreative Ideen hat, die etwas in Gang bringt und umsetzt und damit nahe an den Problemen und Wünschen der Menschen in den Bundesländern ist. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

„Gemeinsam Perspektiven schaffen“, so lautet das Motto, mit dem Vorarlberg den Vorsitz im Bundesrat und in der Landeshauptleutekonferenz übernommen hat.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir durchleben derzeit intensive Zeiten mit einer kaum zu überbietenden Dynamik in der Gesetzgebung. Ich habe schon einmal erlebt, nämlich im September 2008, wie Gesetze beschlossen wurden, die sich sehr nachteilig auf die Finanzen unserer Republik und Länder ausgewirkt haben. Finanzminister


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Schelling hat diesbezüglich von einem Betrag von 30 Milliarden € gesprochen. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: 30 Milliarden €! Das sind fast 3 500 € pro Staatsbürger. Ich gehe jetzt einmal davon aus, dass dies im Septem­ber 2017 keine ähnlichen Formen annehmen wird. Die logische Folge wäre im An­schluss daran ja wieder ein Sparpaket, das sich gewaschen hat.

Die Länder haben mit dem Bund in langwierigen Verhandlungen einen, so sagen viele Experten und auch ich, guten Finanzausgleich verhandelt, der bis 2021 die Finan­zierung der Länder und Gemeinden auf eine solide Basis stellt. Das sichert auch den in unserer Verfassung festgeschriebenen Föderalismus ab und stärkt die Identität der Bundesländer. Der Vorarlberger oder Alemanne bekommt ja bereits bei Ansätzen von Zentralismus Gliederschmerzen. Diese Symptome gibt es auch in anderen Bundes­ländern, allerdings in weniger dramatischer Ausprägung.

Es stellt sich in diesem Zusammenhang auch immer wieder die Frage: Ist Födera­lismus in einer modernen und globalisierten Welt überhaupt noch zeitgemäß? – Auf europäischer Ebene belegen Studien ganz deutlich: je föderaler der Staat, desto stärker ist auch die Region. Dafür gibt es in unserer unmittelbaren Vorarlberger Nach­barschaft genügend Beispiele: Baden-Württemberg und Bayern sind die Wirtschafts­motoren von Deutschland. Auch in der benachbarten Schweiz sind die Kantone durch die föderale Struktur wirtschaftlich stark aufgestellt. Das bestätigt dann auch die These, dass man mit einer föderalen subsidiären Herangehensweise näher beim Menschen, näher bei Problemen und somit näher bei einer Lösung ist.

Wenn die Bereiche zentralistisch und einheitlich geregelt sind, berauben wir uns einer Stärke, nämlich der Vielfalt, unterschiedliche Lösungsansätze zu finden. Im urdemo­kratischen Sinn ist ein moderner und dynamischer Föderalismus für die Menschen viel einladender, weil sie sich direkt einbringen können.

Ich erteile auch modernen Demokratiespielen eine Absage, die an der Länderge­setz­gebung herumbasteln und diese und auch den Bundesrat abschaffen und alles in einem Generallandtag verschmelzen wollen. Ein Generallandtag könnte sogar zu mehr Bürokratie führen – das Letzte, was wir derzeit gebrauchen können –, gerade deswe­gen, weil der Bund eben nicht auf die unterschiedlichen Verhältnisse in den Ländern eingehen kann. Landesgesetze werden derzeit auf die unterschiedlichsten Verhältnisse in den Ländern angepasst, und das soll auch so bleiben.

Dazu ein Beispiel aus meinem Bundesland: In der Wirtschaftskrise 2008/2009 hat Vorarlberg die thermische Sanierung vorangetrieben und 9 Millionen € dafür im Budget eingestellt. Daraus sind schlussendlich 109 Millionen € geworden, weil halb Vorarlberg seine Wohnhäuser saniert hat. Das, sehr verehrte Damen und Herren, ist eben nur mit einem funktionierenden Landtag, der entsprechende Beschlüsse fasst, möglich. Wir haben dadurch Tausende Arbeitsplätze gesichert und vielen Firmen den Weiter­be­stand ermöglicht. Bei einer zentralistisch organisierten Bundesverwaltung wäre dies denkunmöglich gewesen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Arbeiten wir daran, dass die föderalistische Grund­struktur nicht noch weiter ausgehöhlt wird! Dazu soll der Bundesrat als selbstbewusste Kammer mit selbstbewussten Abgeordneten entsprechende Signale aussenden.

Auch die Europäische Union hat in vielen Bereichen und Themengebieten zur Kenntnis nehmen müssen, dass Zentralismus die Europäische Union schwächt und den Nationalismus in ungeahnter Weise fördert.

Bill Clinton, der ehemalige Präsident der USA, hat anlässlich des Abschiedes von Helmut Kohl im Europaparlament ein paar besondere Sätze gesagt, Worte, wie sie von einem gestandenen Europäer nicht besser hätten formuliert werden können: Helmut


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 14

Kohl hat uns die Chance gegeben, Teil von etwas zu sein, das größer ist als wir selbst, größer als unsere Amtszeiten, größer als unsere vergänglichen Karrieren. Das einzige Geschenk, das wir hinterlassen können, ist eine bessere Welt für unsere Kinder und die Freiheit, ihre eigenen Entscheidungen treffen zu können, inklusive ihrer eigenen Fehler. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie bei Bundesräten der FPÖ.) – Ja, da darf man applaudieren. Danke.

Mich hat tief bewegt, dass ein US-Präsident an das erinnert hat, wofür wir als Man­datare, gerade wir Bundesrätinnen und Bundesräte, da sind, nämlich dafür, Teil von etwas zu sein, das größer ist als wir selbst. Das können wir und das werden wir auch sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Der Vertrag von Lissabon hat vor beinahe acht Jahren einige positive Neuerungen gebracht, die von den Nationalstaaten, insbesondere auch von Österreich, sehr inten­siv genutzt werden. Wir sind jedoch mit dem Brexit, also dem Austritt der Briten aus der Europäischen Union, in eine schwierige Situation geraten: Das europäische Haus hat einen Dachschaden! Es regnet herein, und wir müssen nun speditiv an einer Reparatur arbeiten. Dazu werden wir uns gehörig ins Zeug legen müssen, um den Bürgerinnen und Bürgern der EU bald einen tauglichen Fahrplan für die Zukunft vorlegen zu können. Die Glaubwürdigkeit der EU und das Vertrauen in ihre Institutionen müssen schnell wiederhergestellt werden.

Europa muss an seiner gemeinsamen Zukunft arbeiten, hat Bundespräsident Alexan­der Van der Bellen erst am Montag bei meinem Antrittsbesuch festgehalten. Er hat „arbeiten“ gesagt, nicht nur „darüber nachdenken“.

Der Juncker-Plan, der fünf Szenarien aufzählt, wie sich die EU-27 bis 2025 entwickeln sollen, ist aber auch ein notwendiger Weg des Nachdenkens. Dazu wird, um die Debatte zu fördern, die Europäische Kommission gemeinsam mit dem Europäischen Parlament und interessierten Mitgliedstaaten eine Future of Europe Debate in euro­päischen Städten und Regionen organisieren.

Die Kommission wird dazu weitere Diskussionspapiere zu folgenden Bereichen vorle­gen: Entwicklung einer sozialen Dimension der Europäischen Union, Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion, Profitieren von der Globalisierung, Zukunft der europäischen Verteidigung und Zukunft der EU-Finanzen.

Ein Schwerpunkt meiner Präsidentschaft wird also die Auseinandersetzung mit diesen Themen sein. Es besteht jetzt bereits ein Dialog mit den Bundesländern, sich mit den Thesen und den Zukunftsszenarien des Juncker-Plans auseinanderzusetzen und die Vorstellungen der Bundesländer in einer Enquete am 7. November zu diskutieren und dann auch eine gemeinsame Stellungnahme nach Brüssel zu schicken.

Der EU-Ausschuss des Bundesrates wird sich ebenfalls mit dieser Thematik befassen und sich mit den Ländern austauschen.

Über die Kompetenz des EU-Ausschusses des Bundesrates gibt es inzwischen eine klare Expertise. Der Ausschuss der Regionen, das Regionalparlament der EU, hat die Zusammenarbeit des EU-Ausschusses des Bundesrates mit den Bundesländern als Best-Practice-Beispiel angeführt. Der österreichische Bundesrat ist, was Subsidiaritäts­prüfungen anlangt, eines der führenden Parlamente in Europa und deshalb in der Europäischen Union auch hoch angesehen.

Liebe Zuseher zu Hause! Das kleine Land Österreich ist dafür in Brüssel hoch ange­sehen, und wir werden immer wieder gefragt: Wie macht ihr das? Wie macht Öster­reich das eigentlich? – Wie machen wir das? – Wir pflegen einen konstruktiven kritischen Dialog mit der Kommission und dem Rat, beschließen begründete Stellung­nahmen und Mitteilungen meistens einstimmig. Obwohl die Fraktionen, sagen wir ein-


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 15

mal, einen unterschiedlichen Zugang zu den EU-Themen haben, gibt es aber dann meistens doch ein gemeinsames Abstimmungsverhalten.

An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass der EU-Ausschuss des Bundesrates seit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon 35 begründete Stellungnahmen, also soge­nannte gelbe Karten, und mehr als 46 Mitteilungen beschlossen hat; in diesem Jahr bereits sechs begründete Stellungnahmen und sechs Mitteilungen zu verschiedensten Themenbereichen. Das ist ein europäischer Spitzenwert, und deshalb gilt mein Dank allen Mitgliedern des EU-Ausschusses des Bundesrates, allen voran meinem Stell­vertreter Professor Stefan Schennach. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie bei Bundes­räten der FPÖ.)

Eine damit im Zusammenhang stehende besondere Auszeichnung für den Bundesrat ist die Zusage, erstmals die Subsidiaritätskonferenz des Ausschusses der Regionen nach Wien zu bringen. Am 4. Dezember werden dazu in der Hofburg unter anderen Kom­missionsvizepräsident Frans Timmermans und Cecilia Wikström vom Euro­päischen Parlament mit anderen Vertretern der europäischen Parlamente und Vertre­tern des Bundesrates Möglichkeiten und Lösungen im Rahmen der Subsidiarität disku­tieren und aufzeigen.

Ein Journalist hat den Bundesrat einmal wohlwollend als Europakammer bezeichnet. – Noch nie hatte ein Journalist so recht wie dieser!

Wir sind also in Europa hoch angesehen und haben dennoch zu Hause immer wieder das Problem, unseren Bestand rechtfertigen zu müssen. Kaum ein Staat in Europa käme auf die Idee, einen Teil seines Parlaments, einen Teil seiner Identifikation abzu­schaffen, und wenn doch, dann scheitern die Abstimmungen, wie in Irland oder zuletzt in Italien, und die Regierung darf sich verabschieden. Das ist dann auch gut so.

Ein weiterer Schwerpunkt meiner Präsidentschaft wird das vor zwei Jahren begonnene Thema Digitalisierung sein, womit sich der Bundesrat als erstes europäisches Parlament befasst hat. Ich möchte in diesem halben Jahr die Digitalisierung im Zusammenhang mit der Demokratie unter die Lupe nehmen, wozu es am 4. Oktober ein Hearing in der Hofburg geben wird. Welche Chancen, welche Partizipations­möglichkeiten, aber auch welche Gefahren der technologische Wandel für Demokratie mit sich bringt, soll in einem Grünbuch „Digitalisierung und Demokratie“ thematisiert werden. Die Beiträge, die an dieser Stelle zusammenfassend erläutert werden, be­leuchten die Aspekte der Digitalisierung, die für die politischen Akteure zunehmend an Bedeutung gewinnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseher! Ich komme zum Schluss meiner Ausführungen: Wir werden nach den Nationalratswahlen voraussichtlich mehrere Wochen, vielleicht auch Monate keine neue Regierung haben, und der Natio­nalrat wird sich kaum zu Sitzungen treffen. Nützen wir diese Zeit, um im Rahmen der Schwerpunkte den Bundesrat als aktive Länderkammer zu präsentieren, und arbeiten wir deshalb auch gemeinsam am Image, die Europakammer zu sein – eine selbst­bewusste, innovative, kreative Kraft im Hohen Haus, die sich vor keinen Zurufern, sei es aus den hinteren oder vorderen Bänken, zu fürchten braucht, eine mahnende Stimme der österreichischen Bundesländer, ein geachteter und geschätzter Partner der europäischen Regionen, ein Teil von etwas, das größer ist als wir selbst!

Ich darf euch um Unterstützung bitten, getreu dem Motto der Vorarlberger Präsident­schaft: „Gemeinsam Perspektiven schaffen“. – Ich danke. (Allgemeiner Beifall.)

9.19


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 16

09.19.29Aktuelle Stunde

 


Präsident Edgar Mayer: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geschätzte Frau Minister! Wir gelangen nun zur Aktuellen Stunde zum Thema

„Gesundheitsreform 2017:
Stärkung der ambulanten medizinischen Versorgung“

mit der Frau Bundesministerin für Gesundheit und Frauen Dr. Pamela Rendi-Wagner.

In der Präsidialkonferenz wurde Einvernehmen über folgenden Ablauf erzielt: Zunächst kommt je eine Rednerin/ein Redner pro Fraktion zu Wort, deren beziehungsweise dessen Redezeit jeweils 10 Minuten beträgt. Sodann folgt die Stellungnahme der Frau Bundesministerin, die ebenfalls 10 Minuten nicht überschreiten soll. Danach folgt wiederum je eine Rednerin/ein Redner der Fraktionen sowie anschließend je eine Wortmeldung der Bundesräte ohne Fraktion mit jeweils einer 5-minütigen Redezeit. Zuletzt kann noch eine abschließende Stellungnahme der Frau Bundesministerin erfolgen, die nach Möglichkeit 5 Minuten nicht überschreiten soll.

Als Erste zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Mag. Gruber-Pruner. Ich erteile ihr das Wort.

 


9.20.35

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Geschätzte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Bildschirmen! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln heute die Gesundheitsreform 2017, und ich hoffe, dass wir sie heute auch beschließen werden.

Das Ziel dieser Reform ist die Stärkung der ambulanten medizinischen Versorgung, also kurz und bündig gesagt: die optimale medizinische Versorgung aller Bürgerinnen und Bürger in Wohnortnähe. Jeder Mensch, der krank ist, möchte zeitnahe und auch räumlich nahe die medizinische Hilfe bekommen, die er braucht – am liebsten natürlich bei der Hausärztin oder beim Hausarzt, weil dort oft eine jahrelange Vertrauens­be­ziehung aufgebaut werden konnte, und gerade in gesundheitlichen Fragen ist Ver­trauen sehr, sehr wichtig. Aber Hausärztinnen und Hausärzte sind naturgemäß dort, wo es sie gibt, nicht rund um die Uhr verfügbar und natürlich auch nicht 365 Tage im Jahr, und es gibt auch – so ehrlich müssen wir sein – Regionen in Österreich, speziell im ländlichen Raum, wo es schwierig oder fast unmöglich ist, einen Hausarzt oder eine Hausärztin zu finden, der beziehungsweise die sich dort niederlassen kann oder niederlassen möchte.

Jetzt kommt unsere Gesundheitsreform ins Spiel. Die Idee dieser Reform ist nämlich, Primärversorgungseinheiten einzurichten beziehungsweise aufzubauen. Das kann im ländlichen Raum bedeuten, dass niedergelassene Ärztinnen oder Ärzte von ihrer aktuellen Ordination aus sich besser mit anderen Ärztinnen und Ärzten in ihrer Region vernetzen, die Angebote aufeinander abstimmen, Urlaube planen, sodass für die Patientinnen und Patienten in dieser Region immer jemand zur Verfügung ist. Im städtischen Bereich kann sich das ein bisschen anders gestalten. Da können zum Beispiel auch Gemeinschaftsordinationen entstehen, weil das nicht nur für die Ärztin­nen und Ärzte billiger wäre, sondern auch bedeuten würde, dass die Öffnungszeiten für die PatientInnen insgesamt länger werden, und das ist natürlich im Sinne aller PatientInnen.

Aber nicht nur ÄrztInnen, sondern alle medizinischen Berufe sollen miteinander koope­rieren. Das ist das Ziel. Diese Vernetzung geht über eine lose Kooperation hinaus. Es ist ein bewusster und auch ein formeller Zusammenschluss, der hier angestrebt wird,


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 17

und es soll bundesweit einheitliche Anforderungen an die Leistung, die geboten wird, und auch die Honorierung des Angebotes geben.

Generell ist es heute so, dass junge ÄrztInnen, vor allem Frauen, andere Anforderun­gen an ihren Job haben als vielleicht noch ihre Vorgängerinnen und Vorgänger. Um Familie und Beruf vereinbaren zu können, müssen der Arbeitsalltag und die Arbeits­gestaltung etwas flexibler sein, und es macht Sinn, sich in Teams zusammen­zuschließen, mit anderen Ärztinnen und Ärzten zu kooperieren und gemeinsam das Angebot an den Patienten und Patientinnen auszurichten.

Dann kommt noch ein Qualitätsaspekt dazu: Wenn nämlich Ärzte und Ärztinnen mit KollegInnen kooperieren und vielleicht sogar über Professionen hinweg zusammen­arbeiten, dann kann das schlussendlich nur positive Auswirkungen auf die PatientInnen haben. Gerade bei chronischen Erkrankungen braucht es oft interdisziplinäre Behand­lungspläne, da ist ein Arzt, eine Ärztin allein sozusagen oft aufgeschmissen.

Insgesamt sollen in den nächsten Jahren circa 75 solcher Primärversorgungseinheiten in ganz Österreich entstehen, und die Kooperation erfolgt hier mit den regionalen Struktur­steuerungsgremien, um abzustimmen, in welcher Region welches spezielle Angebot benötigt wird.

Aus Sicht meiner Fraktion, der sozialdemokratischen Fraktion, bringt diese Gesund­heitsreform für die PatientInnen ein besseres Angebot und bessere Qualität. Aber diese Gesundheitsreform bringt auch für die Ärzte und Ärztinnen Entlastung und neue Rahmenbedingungen für ihre wertvolle Arbeit. Daher freuen wir uns, wenn wir diese Gesundheitsreform 2017 heute hoffentlich beschließen werden. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

9.25


Präsident Edgar Mayer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Kollegin Stöckl-Wolkerstorfer. – Bitte, Frau Kollegin.

 


9.25.24

Bundesrätin Angela Stöckl-Wolkerstorfer (ÖVP, Niederösterreich): Hohes Präsi­dium! Frau Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseherin­nen und Zuseher! Sehr gerne spreche ich heute zur Aktuellen Stunde, komme ich ja selbst aus dem medizinischen Bereich, und gerade die Themen Gesundheit, Verbes­serungen im Gesundheitssektor sind mir persönlich ein Herzensanliegen.

Wir können heute wahrlich von einer Reform im Gesundheitsbereich sprechen, wenn wir das Primärversorgungsgesetz beschließen werden, denn großes Ziel in der ambu­lanten medizinischen Versorgung muss es sein, die überfüllten Spitalsambulanzen zu entlasten. Dies wird einerseits durch Primärversorgungszentren im urbanen Bereich und andererseits durch Primärversorgungseinheiten beziehungsweise Netzwerke einhergehend mit der Aufwertung und Stärkung des Hausarztes erfolgen, denn 94 Pro­zent der Österreicherinnen und Österreicher schätzen ihren Hausarzt für kompetente, persönliche und kontinuierliche medizinische Betreuung.

In Österreich gibt es 4 000 Kassenhausärzte, die jährlich 65 Millionen Patienten­kon­takte haben. Jeder Österreicher geht im Schnitt achtmal pro Jahr zum Hausarzt. Und eines muss uns dabei bewusst sein: Mehr als 50 Prozent der Hausärzte kommen in den nächsten zehn Jahren ins Pensionsalter. Reformüberlegungen und Förderungen im Sinne der Stärkung unserer Hausärzte sind daher angesagt. Neue Primärver­sorgungseinheiten sollen und dürfen daher auch eine Brücke zu den anderen Gesundheitsberufen bilden und ein Miteinander ermöglichen. Der Patient muss dabei immer im Mittelpunkt stehen. Mit Primärversorgungseinheiten ergibt sich nun einfacher die Möglichkeit zur verstärkten Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams. Ein


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einheitlicher Auftritt nach außen wird und muss in der Wahrnehmung der Bevölkerung eine echte Alternative zur Spitalsambulanz sein. Das Angebot vor Ort ist dabei herauszustreichen.

Ja, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, wir müssen den Beruf des Allgemein­medi­ziners wieder attraktiver gestalten, denn wir brauchen gute Ärztinnen und Ärzte, die sich Zeit für ihre Patientinnen und Patienten nehmen und sich mit viel Empathie und Einfühlungsvermögen um sie kümmern.

Ich denke, dass die mit dem Primärversorgungsgesetz geplanten Primärversor­gungs­zentren ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung sind, denn damit wird die Möglich­keit geboten, dass mit anderen Gesundheitsberufen zusammengearbeitet wird, wo­durch auch das Versorgungsangebot für die Patienten verbessert wird. Es tut auch immer wieder gut, sich interdisziplinär austauschen zu können, weil der Patient einfach ganzheitlich gesehen wird.

Bis Ende 2021 sind bis zu 75 Primärversorgungsnetzwerke beziehungsweise -zentren geplant. Das bedeutet für Wien 16, für Niederösterreich 14, für Oberösterreich 13, für die Steiermark elf, für Tirol sechs, für Kärnten und Salzburg je fünf und für das Burgen­land und Vorarlberg je drei. Diese Werte wurden bereits im Bundes-Zielsteuerungs­vertrag mit den Ländern festgelegt. Werden mehr Primärversorgungseinheiten benö­tigt, dann ist dies im Einvernehmen zwischen Ärztekammer und Sozialversiche­rung möglich.

Wie gesagt, ganz deutlich sei hervorgehoben: Primärversorgung ist ein Schritt, den Arztberuf zu attraktivieren. Es werden neue Formen der Zusammenarbeit zugelassen. Wir als ÖVP bekennen uns zum freiberuflichen Hausarzt wie in Deutschland und in der Schweiz. Jeder Mensch muss einen Zugang zur Hausarztversorgung haben, unabhän­gig von Alter, Wohnort oder chronischen Krankheiten. Ältere Menschen besitzen oft kein Auto. Schon allein deshalb soll weiterhin eine hausärztliche Betreuung zur Verfügung stehen.

Die Menschen werden immer älter. Jedes zweite Kind, das heute geboren wird, wird vermutlich 100 Jahre alt werden. Um diesen Anforderungen einer älter werdenden Gesellschaft Rechnung zu tragen, müssen neben dem Primärversorgungsgesetz viele weitere Maßnahmen gesetzt werden, um die hausärztliche Versorgung weiterhin flächendeckend und wohnortnahe sichern zu können.

Was meine ich da konkret? – Ich denke da an eine attraktivere und verstärkte allge­meinmedizinische Ausbildung im Medizinstudium und in den Spitälern. Ich denke an eine bedarfsgerechte Zahl an Ausbildungsplätzen auf landesgesetzlicher Basis, an eine gesicherte Finanzierung von Lehrpraxen, an eine bessere Entlohnung, denn es kann nicht sein, dass Hausärzte 30 bis 40 Prozent weniger verdienen als Fachärzte. Wir brauchen mehr und flexiblere Kassenverträge. Wir brauchen eine Entlastung von Bürokratie. Wir brauchen erweiterte Ordinationszeiten und last but not least rechtlich abgesicherte Kooperationsmodelle mit anderen Gesundheitsberufen.

Ein weiterer Aspekt, den ich erwähnen möchte, ist, dass laut Umfrage 15 bis 20 Pro­zent der Medizinabsolventen anfangs lieber in einem Team als sofort eigenverant­wortlich in einer Einzelordination arbeiten wollen. Jungmediziner schätzen den Erfah­rungsaustausch mit den Kollegen, und – das kann ich aus eigener Erfahrung sagen; ich arbeite in einem Therapeutenteam im Pflege- und Betreuungszentrum Mödling – es tut immer wieder gut, sich in einem Team austauschen zu können und voneinander zu lernen. Deshalb wurde bereits vielfach eine Liberalisierung bei der Anstellung von Ärzten in Primärversorgungseinheiten, in Ordinationen und Gruppenpraxen gefordert. In diesem Punkt besteht noch Handlungsbedarf seitens der Politik, aber ich denke, dass das Problem bis 2018 gelöst werden soll.


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Ich möchte nun noch auf weitere Einzelheiten der Primärversorgungsregelung ein­gehen: Es wird ein österreichweiter Gesamtvertrag zwischen der Ärzteschaft und den Sozialversicherungen abgeschlossen. Basierend auf diesem Gesamtvertrag wird es wiederum gesamtvertragliche Honorarvereinbarungen auf Landesebene geben. Kommt kein Gesamtvertrag zustande, können die Krankenkassen mit der Zustimmung der Ärztekammer Primärversorgungssonderverträge abschließen. Es sollen aber auch neben den Allgemeinmedizinern und den Angehörigen des gehobenen Gesundheits- und Krankenpflegedienstes auch Fachärzte für Kinder- und Jugendheilkunde Teil des Kernteams sein.

Bereits niedergelassene und niederlassungswillige Ärzte haben in der ersten Stufe des Vergabeverfahrens durch ein objektives Verfahren Vorrang. Die Ausschreibung und Auswahl erfolgt gemeinsam durch die Ärztekammer und Krankenkassen. Sollte nach sechs Monaten kein geeigneter Bewerber gefunden werden, dann ist die Vertrags­vergabe als Primärversorgungszentrum auch an Ambulatorien möglich, und zwar zu den gleichen Ausschreibungsbedingungen bezüglich des Leistungsumfanges. Ambu­latorien können jedoch nur dann als Primärversorgungseinheit zugelassen werden, wenn sie gemeinnützig sind. Das heißt, der ärztliche Leiter muss dort hauptberuflich beschäftigt sein. Damit sind Finanzinvestorenketten ausgeschlossen.

In Primärversorgungsnetzwerken, zum Beispiel in Form eines Vereines, ist es möglich, dass die einzelnen Leistungen weiterhin zwischen dem einzelnen Arzt und der Kran­kenkasse verrechnet werden.

Was passiert mit bereits bestehenden Primärversorgungszentren, wie zum Beispiel in Enns oder in Mariahilf? – Nun, durch eine flexible Übergangsbestimmung kann der Abschluss eines Primärversorgungsvertrages nach dem Primärversorgungsgesetz jederzeit nachgeholt werden.

Meine Damen und Herren! Zusammenfassend soll es das oberste Ziel sein, die Spitalsambulanzen zu entlasten und stationäre Aufnahmen zu verhindern. Wir müssen jedoch zwischen urbanem und ländlichem Raum unterscheiden. Im ländlichen Raum sollen die Ärzte als Netzwerk zusammenarbeiten. Das Abstimmen der Öffnungszeiten und der Urlaube sollte im Sinne der Patienten gegeben sein. Und noch einmal: Für uns von der ÖVP bleibt der Hausarzt das Rückgrat der medizinischen Versorgung. Im urba­nen Bereich machen Primärversorgungszentren Sinn.

Noch einen Aspekt möchte ich nicht unerwähnt lassen: Der Arztberuf wird immer weiblicher. Die flexiblen Dienstzeiten in einem Team ermöglichen eine bessere Verein­barkeit von Familie und Beruf. Durch derartige Zentren kann man die Öffnungszeiten weiter ausdehnen. Im Ausschuss haben wir gehört, dass das sogar bis hin zur Notarzt­versorgung und einer Erreichbarkeit rund um die Uhr gehen kann.

Summa summarum ein sehr positiver Schritt in die richtige Richtung, was die Stärkung der ambulanten medizinischen Versorgung betrifft.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf eine neue Telefonnummer aufmerk­sam machen, die ebenfalls dazu dient, die Rettungsfahrten zu reduzieren und nicht unbedingt notwendige stationäre Aufnahmen, vor allem nachts und am Wochenende, hintanzuhalten: „Wenn’s weh tut! 1450 – Ihre telefonische Gesundheitsberatung“. Sie ist seit 7. April des heurigen Jahres im Probebetrieb. Nach dem Vorbild anderer euro­päischer Länder, wie Großbritannien, Dänemark oder der Schweiz, wurde in Österreich eine weitere Säule im Gesundheitssystem errichtet. Nutzen Sie dieses Service! Beson­ders geschultes Krankenpflegepersonal steht Ihnen 365 Tage rund um die Uhr zur Verfügung, um Sie kompetent zu beraten.

 


Präsident Edgar Mayer: Ich bitte um den Schlusssatz, Frau Kollegin!

 



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Bundesrätin Angela Stöckl-Wolkerstorfer (fortsetzend): Ein großer Vorteil: Diese Gesundheitsberatung ist mit allen Notrufnummern verbunden und schickt Ihnen im Akutfall auch die Rettung. Das Service ist kostenlos.

Ein Punkt sei noch erwähnt: Die Eigenverantwortung eines jeden Einzelnen von uns, das Setzen präventiver Maßnahmen, um gesund alt werden zu können und möglichst lange selbständig leben zu dürfen, das kann zwar nicht gesetzlich verordnet werden, muss aber in unser aller Köpfe hinein. Gestern fiel im Radio das Wort „Healthy Ageing“. Dieser Prozess dauert Jahre. Bewusst und gesund leben ...

 


Präsident Edgar Mayer: Frau Kollegin! Das war mir ernst mit dem Schlusssatz, weil Ihre Redezeit abgelaufen ist. Wir haben eine fix vereinbarte Redezeit. – Danke.

 


Bundesrätin Angela Stöckl-Wolkerstorfer (fortsetzend): Wir können wahrlich von einer Gesundheitsreform 2017 sprechen, am Ende sind wir allerdings noch lange nicht, aber ein weiterer Schritt in die richtige Richtung zum Wohle der Menschen und der medizinischen Versorgung in diesem Land ist geschafft. Frau Minister, danke schön! (Beifall bei der ÖVP.)

9.37


Präsident Edgar Mayer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Kollege Krusche. – Bitte, Herr Kollege.

 


9.37.32

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Hohes Präsidium! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Meine Damen und Herren! Werte Zuseherinnen und Zuseher zu Hause an den Bildschirmen! Ich werde versuchen, die Zeit wieder gutzumachen, die meine Vorrednerin verprasst hat. (Beifall bei Bundesräten der ÖVP.)

Als ich vorgestern das Thema dieser Aktuellen Stunde erfahren habe: „Gesund­heits­reform 2017: Stärkung der ambulanten medizinischen Versorgung“, habe ich einmal gestutzt und angefangen zu grübeln: Welche Reform? Und dann habe ich mir gedacht: Na ja, wer wird es am besten wissen? – Das Gesundheitsministerium. Daraufhin habe ich auf der Homepage des Gesundheitsministeriums diesbezügliche Recherchen angestellt und prompt auch ein Dokument gefunden: „Was ist neu im Jahr 2017?“ Da habe ich mir gedacht: Bingo, da wird das drinnen stehen, welche Reform das ist!

Da geht es los mit „Auf- und Ausbau von ELGA-Infrastruktur“. Gut, habe ich mir gedacht, das hat mit der ambulanten Versorgung relativ wenig zu tun. „Frauenpolitisch relevante Neuerungen“ haben auch nicht unbedingt mit der ambulanten Versorgung zu tun. Dann gibt es noch „Aktionsplan Frauengesundheit“, „Kinder- und Jugendge­sundheit“, „Ernährung“ – alles durchaus interessante Themen, aber mit der Gesund­heits­reform und mit der ambulanten Betreuung hat das auch nichts zu tun. „Öffentlicher Gesundheitsdienst“, das sind einige Seiten, aber da habe ich auch nichts gefunden. Bei den „Krankenanstalten“ geht es um die Finanzierung. In „Qualität im Gesund­heitswesen“ war auch nichts vom ambulanten Bereich festzustellen. „Tabakrechtliche Bestimmungen“, „VerbraucherInnengesundheit und Lebensmittel“, „Veterinärwesen und Tierschutz“, auch diese Themen stehen in diesem Bericht für 2017 drinnen. Das hat eigentlich alles nichts mit dem Thema der heutigen Aktuellen Stunde zu tun. Damit war das also eine Niete.

Dann habe ich weitergeforscht und bin auf Gesundheitsreform gekommen. Da habe ich mir gedacht: Jetzt habe ich es endlich! Zielsteuerung Gesundheit, na da geht es um eine Artikel-15a-Vereinbarung mit den Bundesländern und eigentlich weitgehend auch nur um Finanzierung.

Und dann habe ich gefunden: Zielsetzung: Entlastung des stationären Bereichs durch Verlagerung in den tagesklinischen oder ambulanten Bereich. Neben Spitalsambulan-


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zen sollen der niedergelassene Bereich und selbständige Ambulatorien ausgebaut werden. Die Realisierung soll in erster Linie durch Primärversorgungszentren erfolgen. Da habe ich mir dann die Frage gestellt: Aha, soll jetzt die Aktuelle Stunde die Debatte über unseren folgenden ersten Tagespunkt vorwegnehmen, bei dem ja genau diese Primärversorgungseinrichtungen beschlossen werden sollen? Und da habe ich mir gedacht: Na das kann es ja wohl nicht sein! Ich höre mir einmal an, was meine beiden Vorrednerinnen heute sagen werden! – Leider haben sie genau das bestätigt, sie haben beide über die Primärversorgungseinrichtungen gesprochen. Das scheint also diese Gesundheitsreform zu sein, und ich finde, meine Damen und Herren, damit führt man eine Aktuelle Stunde ad absurdum. (Beifall bei der FPÖ.)

Ich weigere mich, im Rahmen dieser Aktuellen Stunde über die Primärver­sorgungs­einheiten zu sprechen, weil ich beim ersten Tagesordnungspunkt noch Gelegenheit dazu habe, zu diesem Thema etwas zu sagen.

Was fällt denn uns Steirern beispielsweise ein, wenn man von der Stärkung des ambu­lanten Bereichs redet? – Beispiel chirurgische Ambulanzen: LKH Hochsteiermark, Standort Eisenerz: reduzierte Öffnungszeiten von 7 bis 15 Uhr und von 8 bis 10 Uhr, an Sonntagen von 10 bis 11 Uhr und ein absehbares Ende des ganzen ambulanten Bereichs; LKH Mürzzuschlag: Öffnungszeiten 8 bis 10 Uhr, auch da ist das Ende bereits vorgezeichnet laut Regionalem Strukturplan Gesundheit für die Steiermark; Mariazell: bereits zugesperrt, da gibt es jetzt ein Gesundheitszentrum. Also von einer Stärkung des ambulanten Bereichs kann man nicht unbedingt sprechen. Und es gäbe in einer Aktuellen Stunde auch wirklich dringlichere Themen zu besprechen, die wir dann nicht ohnehin in einem eigenen Tagesordnungspunkt behandeln. Ich denke an die Wartezeiten für die Computertomographien und -untersuchungen, ich denke an die Unterversorgung in Österreich im Vergleich mit Deutschland und den nordischen Ländern im Bereich der Linearbeschleuniger zur Strahlentherapie.

Ich habe am Montag dieser Woche die Freude gehabt, muss ich sagen, im LKH Obersteiermark, Standort Leoben, bei der Eröffnung eines Linearbeschleunigers mit dabei zu sein. Es ist ja immer auch die Rede von einem zweiten Linearbeschleuniger gewesen, allerdings hat man leider Gottes nicht einmal die baulichen Vorkehrungen getroffen, um diesen zweiten Linearbeschleuniger zu einem späteren Zeitpunkt wirklich kosteneffizient umsetzen zu können. Die konstruktiven baulichen Maßnahmen wären natürlich wesentlich billiger gewesen, die Einhausung, die da notwendig ist, wenn man das in einem Zuge durchgeführt hätte.

Es wäre auch interessant, vom Ärztemangel zu sprechen. In der Steiermark sind von ungefähr 600 Allgemeinmedizinern zwei Drittel älter als 50 Jahre.

Und wenn wir schon bei den Ambulanzen sind: Da gäbe es auch einige interessante Punkte, überfüllte Ambulanzen beispielsweise. Eigentlich wollen wir, habe ich mir gedacht, in Zukunft danach trachten, dass die Menschen nicht nur in die Kranken­hausambulanzen gehen, sondern eben in den niedergelassenen Bereich oder in irgendwelche Gemeinschaftspraxen; darauf kommen wir dann noch zu sprechen.

Vielleicht auch ein interessantes Thema und relativ neu: die Sicherheitslage in den Ambulanzen in österreichischen Spitälern. Es ist ja bereits notwendig, dort eigene Security-Kräfte einzusetzen, um die Sicherheit zu gewährleisten. (Bundesrätin Winkler: Na geh!) – Wollen Sie das in Abrede stellen? (Bundesrätin Winkler: Ja!) – Ich kann es Ihnen beweisen.

Eines ist jedenfalls klar: So einfach, wie man es sich mit dieser Themenwahl gemacht hat, das ist ein weiterer Beweis dafür, dass diese Koalition Gott sei Dank am Ende ist. (Beifall bei der FPÖ. – Buh-Ruf der Bundesrätin Kurz.)

9.45



BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 22

Präsident Edgar Mayer: Frau Bundesrätin Mag. Schreyer ist als Nächste zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Kollegin.

 


9.45.43

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte ZuseherInnen hier und zu Hause! Zuallererst möchte ich meinem Kollegen, meinem Vorredner beipflichten und sagen: Ich finde die Wahl dieses Themas für die Aktuelle Stunde schon auch sehr komisch, weil wir im ersten Tagesordnungspunkt fast deckungsgenau das gleiche Thema behandeln. Also das ist etwas, das ich auch gleich eingangs kritisieren möchte.

Zur Gesundheitsreform: Grundsätzlich ist die Gesundheitsreform natürlich ein Gebot der Stunde. Nicht nur aufgrund der Entwicklungen in der Medizin ist sie einfach notwendig und brauchen wir sie, aber leider – und das ist das große Problem, das wir da sehen – macht der Bund einfach nur einen Teil seiner Hausaufgaben und nimmt seine Rolle als Gestalter nicht wahr. Die große Herausforderung einer Gesundheits­reform ist nämlich, bei gleicher Qualität Geld zu sparen. Das ist nicht einfach, aber das ist eben die Herausforderung. Es wäre auch möglich, wenn Strukturreformen tat­sächlich tiefer greifend und wirklich strukturverändernd gemacht würden. Das Schwie­rige ist dabei offensichtlich, dass leider oft nicht der Benefit für die PatientInnen im Vordergrund steht, sondern einfach die Interessen der einzelnen Interessenvertretun­gen.

Ambulante Strukturen sind dann gut, wenn es eine integrierte Versorgung gibt und alle Berufe auf Augenhöhe bedarfsgerecht, patientenorientiert miteinander arbeiten kön­nen. Leider ist – das ist auch eine Kritik von uns – hier wieder die Gleichstellung der nicht-medizinischen Berufe verhindert worden. Diese ambulanten Strukturen funktio­nieren nämlich gut, wenn man ein gutes Umfeld schafft, und da gehört eben diese Gleichstellung mit dazu.

Ich als Tirolerin möchte ein kurzes Best-Practice-Beispiel aus Tirol anführen. Es gibt dort das Institut für integrierte Gesundheitsversorgung. Das wird derzeit gerade als Pilotprojekt geführt. Es ist eine Anlaufstelle für PatientInnen – die Kollegin (in Richtung Bundesrätin Ledl-Rossmann) nickt gerade –, die zuerst untersucht werden, bevor sie eine Spezialambulanz betreten. 30 Prozent dieser Menschen können sofort wieder heimgehen und belasten das System nicht mehr. Genau dorthin müssten wir eigent­lich.

Grundsätzlich werden wir eine Stärkung der ambulanten Strukturen nur dann erreichen, wenn wir das System der Abrechnung anders aufsetzen und über die einzelnen Geldtöpfe im Gesundheitssystem tiefer greifend nachdenken, denn solange ein Kran­kenhaus immer noch mehr Geld bekommt, wenn ein Patient, eine Patientin mindestens drei Tage stationär aufgenommen wird, die SVAs gewissermaßen doppelt zahlen, wenn eine PatientIn nicht ambulant betreut wird, dann ist es nicht verwunderlich, wenn sich ambulante Strukturen nicht durchsetzen, wenn die Kosten im Gesund­heitssystem weiter explodieren und wenn die Qualität in der Versorgung leider einfach nicht steigt, obwohl wir explodierende Kosten haben.

Ein riesiger Punkt aus Sicht der Regionen, den ich jetzt gerade in der Länderkammer noch einmal ansprechen möchte und den auch alle VorrednerInnen angesprochen haben, ist der drohende Mangel an AllgemeinmedizinerInnen vor allem auf dem Land. 60 Prozent der HausärztInnen gehen bis 2025 in Pension. Das ist ein Problem, das wir wirklich nur dann lösen können, wenn wir die Allgemeinmedizin für die AbsolventInnen der Medizinischen Fakultäten wieder attraktiver machen, denn derzeit entscheidet sich ein Großteil für eine Facharztausbildung.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 23

Da müssen wir an verschiedenen Punkten ansetzen. Da müssen wir bei der Aus­bildung ansetzen. An den Medizinischen Fakultäten in Wien und in Innsbruck gibt es derzeit überhaupt keinen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin. Das ist vor allem auch deswegen problematisch, weil dadurch in der Ausbildung natürlich genau diese Lehr­inhalte fehlen, und das setzt sich dann im System einfach weiter fort.

Die Finanzierung der verpflichtenden Lehrpraxis müsste schon längst sichergestellt sein. Das ist jetzt seit mehr als zwei Jahren offen. Die Auszubildenden wissen nicht, zu welchen Bedingungen sie ihre Ausbildung absolvieren können. Die verpflichtende Lehrpraxis sollte so früh wie möglich von sechs auf zwölf Monate erhöht werden, damit man einfach mehr Einblick erhält und mehr Praxis schon in der Ausbildung mitbe­kommt. Während der Lehrpraxis sollten die Auszubildenden beim Krankenhaus, in dem sie die Ausbildung zum Allgemeinmediziner/zur Allgemeinmedizinerin machen, auch weiterhin angestellt bleiben, um da einfach auch Kontinuität drinnen zu haben und eben zu wissen, welche Bedingungen man vorfindet.

Um das zu attraktivieren, sollte auch ein Teil der neunmonatigen Basisausbildung ver­pflichtend in einer allgemeinmedizinischen Praxis absolviert werden, denn man hat dann einfach mehr Einblick. Das fördert sicherlich die Entscheidung zugunsten einer allgemeinmedizinischen Ausbildung nach der Basisausbildung.

Ziel muss es sein, dass sich in Österreich ein Drittel der in Ausbildung stehenden MedizinerInnen für die Allgemeinmedizin entscheidet. Derzeit sind es nur 10 Prozent, alle anderen machen eine Facharztausbildung, weil das im Moment einfach attraktiver ist, und das versperrt den Weg zu einer Stärkung der Primärversorgung.

Es braucht auch eine Aufwertung des Berufstands generell. Die Allgemeinmedizin als Fach wie jedes andere zu etablieren, würde die symbolische Schlechterstellung der allgemeinmedizinischen Ausbildung beseitigen, würde uns in dem Bereich international anschlussfähiger machen. Darüber hinaus wäre damit die Benachteiligung während der Ausbildung beseitigt. Es darf keinen Unterschied in der Bezahlung nach sich ziehen, ob ich eine Ausbildung zum Allgemeinmediziner/zur Allgemeinmedizinerin oder eine Facharztausbildung mache.

Was ich zu diesem Punkt noch ansprechen möchte, ist, wie ich finde, ein sehr frauen­spezifischer Punkt, nämlich die Möglichkeit von Gemeinschaftspraxen für Haus­ärzte und Hausärztinnen aufgrund des bestehenden Mangels, denn das wäre gerade für Frauen sehr attraktiv. Für Ärztinnen gerade mit Kindern ist eine volle HausärztIn­nenstelle mit Feiertags- und Wochenenddiensten so gut wie nicht machbar.

Es gibt jetzt zwar eine Vereinbarung mit den Krankenkassen, dass das geht, aber die Bedingungen sind so, dass es maximal zwei Personen sein dürfen und die Aufteilung zur Abdeckung der Wochenenddienste so ist, dass sie für zwei Personen nicht wirklich gut zu handlen ist. Es ist ein Versuch, der leider aufgrund der nicht wirklich guten Rahmenbedingungen nicht ins Laufen kommt. Jetzt wird – diesen Eindruck haben wir – daraus leider der Schluss gezogen, dass das Angebot gar nicht gewollt wird, anstatt das Angebot einfach zu verbessern und die Rahmenbedingungen mehr anzupassen, damit es wirklich alltagstauglich wird.

Im gesamten Gesundheitssystem sind noch so viele Baustellen offen, da braucht es viel umfassendere Reformen als diese Gesundheitsreform; da gibt es noch sehr viel zu tun. Ich habe von allen Fraktionen heute so viele gute Vorschläge gehört, von daher sollte einer weiterführenden Reform wirklich nichts im Wege stehen. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der ÖVP.)

9.52



BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 24

Präsident Edgar Mayer: Für eine erste Stellungnahme zu Wort gemeldet hat sich die Frau Bundesministerin für Gesundheit und Frauen. Auch Ihre Redezeit soll 10 Minuten nicht überschreiten. – Bitte, Frau Minister.

 


9.52.37

Bundesministerin für Gesundheit und Frauen Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc: Herr Präsident! Sehr geehrte Bundesrätinnen und Bundesräte! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist ein wichtiges Thema, das heute angesprochen wird: die Stärkung der ambulanten medizinischen Versorgung, und auch viele andere wichtige Themen, die Sie alle in Ihren Stellungnahmen bereits angeführt haben, gilt es, heute und auch morgen im Rahmen diverser Projekte, Maßnahmen gemeinsam mit der Sozialver­sicherung, mit den Ländern und durch uns als Bund zu verbessern und weiterzu­entwickeln.

Eines ist klar: Das Rad der Zeit dreht sich weiter. Das Rad der Zeit macht nicht halt vor unserer demografischen Entwicklung. Wenn wir uns – teilweise wurde das schon ange­sprochen – die Altersstruktur der Österreicherinnen und Österreicher anschauen, so sehen wir, dass wir – und das ist die gute Nachricht – älter werden, absolut gesehen älter werden, aber wir können – die schlechte Nachricht – die gesunde Lebenserwar­tung nicht im gleichen Ausmaß erhöhen. Es ist eine Milchmädchenrechnung, dass sich dadurch eine Differenz ergibt, die von Jahr zu Jahr größer wird. Diese Differenz ist jene Zeit, die Österreicherinnen und Österreicher mit chronischen Erkrankungen verbringen, teilweise in fortgeschrittenem Stadium und zunehmend auch mit Pflegebedürftigkeit, mit Behinderungen. Das alles sind Themen, denen wir uns im Gesundheits- und auch im Pflegesystem, im Sozialsystem als Gesellschaft und als Politik stellen müssen und denen wir uns vor längerer Zeit schon gestellt haben. Deswegen haben wir auch ein Konzept hiezu mit längerer Perspektive entworfen.

Es gibt mehr Menschen mit chronischen Erkrankungen, mehr Patienten mit Multimor­biditäten. Schauen Sie sich die älteren Leute an! Sie haben meist mehr als eine Erkran­kung oder eine Art von Beschwerden, und auch das ist eine Herausforderung, die im medizinischen Bereich und auch im Bereich der medizinischen Ausbildung mehr thematisiert werden muss.

Auch das wurde schon angesprochen: Wir haben eine besondere Entwicklung in den letzten Jahren und auch in den nächsten zehn Jahren, was den Bedarf an Ärzten und Ärztinnen in Österreich betrifft. Wir wissen, dass mehr als die Hälfte aller Haus­ärztinnen und Hausärzte bis 2025 das Pensionsantrittsalter erreichen wird; wir können daher nicht bis 2025 warten, um wirksame Gegenmaßnahmen und Projekte umzu­setzen, sondern wir müssen heute und hier gemeinsam Maßnahmen, Projekte begin­nen, um 2025 nicht in einen Ärztemangel hineinzuschlittern. Wir sind noch nicht dort, weil die Zahlen zeigen, dass die Ärztedichte, das heißt, wie viele Ärzte auf eine Person, auf einen Österreicher, auf eine Österreicherin kommen, im internationalen Vergleich sehr hoch ist.

Wir haben also eine gute ärztliche Versorgung in Österreich, und dieses Problem ist nicht nur quantitativ zu lösen; das sage ich Ihnen auch. Es geht nicht nur um Zahlen, sondern da geht es um viel komplexere Themen, die wir ansprechen müssen, und genau darum geht es beim heutigen Thema der Aktuellen Stunde.

Es geht darum, dass man sich überlegen sollte, was die Bevölkerung braucht, und wir haben Umfragen vorliegen, die das gut belegen. Wenn Sie die Bevölkerung fragen, dann sagt sie an allererster Stelle, sie will längere Öffnungszeiten, eine bessere Erreichbarkeit ihrer wohnortnahen Hausärztinnen und Hausärzte. Sie will mehr Zeit im Gespräch mit ihren Ärztinnen und Ärzten, und drittens will sie nicht sinnlos durch das


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Gesundheitssystem, durch das Versorgungssystem geschickt werden, von A nach B nach C. Das sind die Dinge, die die Menschen sich wünschen.

Dann fragen wir die Ärztinnen und Ärzte, was sie brauchen, und die sagen: Wir wollen vermehrt im Team arbeiten, wir wollen multiprofessionell arbeiten, wir wollen uns austauschen und vernetzen, wir wollen voneinander lernen; vieles davon haben Sie schon sehr ausführlich erwähnt.

Genau um diesen Bedarf, um diese demografischen Entwicklungen, um die Ent­wicklung der chronischen Erkrankungen, um all das herum hat man 2014 ein Fach­konzept erarbeitet und beschlossen, das „Das Team rund um den Hausarzt“ – Konzept zur multiprofessionellen und interdisziplinären Primärversorgung heißt. Das war das Konzept der Gesundheitsreform, das von Bund, Ländern und Sozialversicherung damals beschlossen wurde. Genau darum geht es! Das ist eine wegweisende und zukunftsorientierte Weichenstellung unseres Gesundheitssystems, und das Gesetz, das vor einer Woche im Nationalrat beschlossen wurde und hoffentlich heute im Bundesrat auch beschlossen werden wird, ist der gesetzliche Rahmen, um die neuen regionalen Gesundheitszentren in Österreich in die Breite zu bringen, damit wir sie zu den Menschen bringen, damit die Österreicherinnen und Österreicher von dieser neuen Versorgungsform, von dieser modernen Versorgungsform profitieren können.

Es soll in Zukunft leichter werden, dass ÄrztInnen, aber auch andere Gesund­heits­berufe vernetzt und im Team arbeiten können. Da geht es darum, dass der Arzt ge­mein­­sam mit der mobilen Pflege, mit Sozialarbeitern, aber auch mit Psychothera­peutInnen, ErgotherapeutInnen bis hin zu DiätologInnen und Hebammen im Team eine Rundumbetreuung und -unterstützung für die Patientinnen und Patienten darstellt. Genau dafür wurde letzte Woche im Nationalrat die gesetzliche Grundlage beschlos­sen.

Es ist mir wichtig, dass wir das Thema Gesundheitsversorgung breiter denken, breiter über die normale Behandlung hinaus, über das normale therapeutische Denken hinaus. Da geht es um viel mehr, da geht es um eine Begleitung der Menschen mit ihren chronischen Erkrankungen, da geht es um eine Unterstützung der Menschen in ihrer Situation, die manchmal über die reine Erkrankung hinaus auch im familiären Kontext sehr belastend sein kann, da geht es auch um soziale Probleme, die im Kontext Erkrankung, Behinderung und Pflegebedürftigkeit mitgedacht werden müssen, und da geht es um das wichtige Thema Prävention und Gesundheitsförderung. Das ist heute noch nicht gefallen und mir besonders wichtig, dass wir auch schauen, dass die Menschen in diesem Land nicht nur länger leben, sondern gesund länger leben. Das ist auch eine wichtige Maßnahme, wie wir dieser Entwicklung gegensteuern und den Menschen dadurch ein gesünderes, längeres Leben bescheren können. Davon profitieren die Menschen und davon profitieren klarerweise auch das System und am Ende des Tages auch die Wirtschaft, das Sozial-, Pensions- und Arbeitssystem in diesem Land. Das sind wichtige Dinge, und wir wissen, dass das alles gleichsam kommunizierende Gefäße sind. Das gilt es zumindest anzusprechen.

Es reicht oft nicht, nur mit guten Rahmenbedingungen eine gute Versorgung sicher­zustellen, sondern wir müssen auch dafür sorgen, dass die Menschen zum richtigen Zeitpunkt an diesen richtigen Ort der Versorgung kommen. Es gilt also auch zu unterstützen. Wir können nicht nur den Best Point of Service bieten, wir müssen den Leuten auch sagen, wann sie zu welchem Best Point of Service in ihrer jeweiligen Belastungs- oder Krankheitssituation müssen. Das wurde schon angesprochen: Da wurde im April ein aus meiner Sicht wirklich innovatives Projekt in drei Bundesländern gestartet. Ich danke diesen drei Bundesländern, Wien, Niederösterreich und Vorarl­berg, die sich bereit erklärt haben, dieses große, wirklich innovative Projekt der tele-


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fonischen Gesundheitsberatung als erste Pilotbundesländer auszurollen und umzu­setzen.

Ich werde die nächsten Tage dazu nützen, mir das anzuschauen. 1450 – Ihre tele­fonische Gesundheitsberatung, die erstmals Menschen in der Situation eine Unterstüt­zung gibt, wie sie den Akutzustand, den Krankheitszustand, den Akutfall einschätzen sollen. Wie schätze ich ein, ob mein fieberndes Kind um 2 Uhr in der Nacht sofort mit mir in die nächste Ambulanz fahren muss oder ob das noch bis in der Früh, wenn der Kinderarzt dann hoffentlich um 8, 9 Uhr aufmacht, warten kann? Wie gehe ich mit diesen Problemen am Wochenende um, wenn mein Hausarzt gerade nicht geöffnet hat?

Wir wissen jetzt schon aus dem ersten Evaluieren, dass das System sehr gut ange­nommen wird, dass die PatientInnen sehr zufrieden sind und dass sie binnen weniger Minuten wissen, zu welcher Zeit sie sich an welchen Ort mit ihren Beschwerden wen­den müssen. Wozu führt das in der Folge? – Die Leute sind besser und akkurater versorgt. Das heißt, ich habe die richtige Therapie zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort. Es führt dazu, dass ich die Menschen dorthin leite, wo es für sie und für das System am meisten Sinn macht. Damit entlaste ich die Spitalsambulanzen – zurzeit ein großes Problemthema. Nicht jeder ist mit seinen Beschwerden in der AKH-Ambulanz in Wien am besten aufgehoben und verhindert dort jedoch, dass Leute, die wirklich dorthin gehören und nur dort gut versorgt werden können, zu einem früheren Zeitpunkt therapiert werden können. All diese Schieflagen können wir mit einem gezielten Umsetzen der Primärversorgung Neu und der Gesundheitsberatung gemein­sam lösen.

Es geht auch darum, das Problem der ländlichen Versorgung zu lösen. Durch attrak­tivere Arbeitsbedingungen, Rahmenbedingungen für die künftigen Hausärztinnen und Hausärzte soll es gelingen, genau dieses Incentives, diese attraktiven Bedingungen zustande zu bringen, um mehr junge ÄrztInnen in ländliche Regionen zu bringen, die derzeit noch eine oder jetzt keine zufriedenstellende Hausärzteversorgung mehr haben. Das gilt es flexibel anzugehen, und dieses Gesetz lässt genug Flexibilität zu, um genau auf diesen regionalen Bedarf – und das ist auch etwas Neues an diesem Gesetz, meine Damen und Herren –, auf diese regionalen Bedürfnisse gezielter einzu­gehen. Das hat es vorher in dieser Form noch nicht gegeben. Wie diese regio­nalen Gesundheitszentren zusammengesetzt sein sollen, was der Fokus in der Behandlung, in der Begleitung der Patienten sein soll, ob es mehr kindertherapeutisch ausgerichtet sein oder mehr in Richtung Geriatrie, ältere PatientInnen gehen soll, haben Sie in den Bundesländern nach Ihren Bedürfnissen festzulegen. Danach soll dann geplant und umgesetzt werden.

Das sind ganz wichtige Weichenstellungen und Neuerungen für die Zukunft, sehr geehrte Damen und Herren. Wir beschreiten da wirkliches Neuland, wir beschreiten innovative, neue Wege, an denen kein Weg vorbeiführt. – Vielen Dank. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

10.03


Präsident Edgar Mayer: Danke, Frau Bundesministerin.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmer und Teilnehmerinnen an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minuten nicht übersteigen darf.

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ebner. – Bitte, Frau Kollegin.

 



BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 27

10.04.28

Bundesrätin Adelheid Ebner (SPÖ, Niederösterreich): Geschätzter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Unsere Frau Bundesminis­terin hat die Zielsetzungen der neuen Gesundheitsreform schon so gut erklärt, dass ich nach einer Minute schon wieder meine Rede schließen könnte, aber das sollte es wohl auch nicht sein.

Die Sicherung der Gesundheit in Österreich ist in öffentlicher Hand, und das ist auch gut so. Wir haben eines der besten Gesundheitssysteme weltweit, in dem man gleich welchen Alters oder gleich mit welcher Versicherung jederzeit Zutritt zur Gesund­heitsversorgung hat. Das können wir nicht hoch genug schätzen! Trotz alledem gibt es sehr hohe Anforderungen an unser Gesundheitssystem, an unsere Grundversorgung, und es ist auch immer wieder eine Neugestaltung notwendig.

Die ärztliche Versorgung in den ländlichen Gebieten, die ärztliche Versorgung mit Haus­ärzten, praktischen Ärzten ist schon einige Male angesprochen worden. Wir haben gehört, dass bis 2025 circa 60 Prozent der Allgemeinmediziner in Pension gehen werden, was die Regionen vor große Herausforderungen stellt. Warum gibt es nicht mehr Neubesetzungen? – Möglicherweise, weil es keine Hausapotheke gibt, weil vielleicht auch die Gegend unattraktiv ist oder der Zeitaufwand mit vielen Haus­besuchen abschreckt. Es wird wahrscheinlich eine Mischung unterschiedlichster Grün­de sein.

Wenn kein Hausarzt mehr vorhanden ist, haben die Menschen weite Anfahrtswege zu den nächstgelegenen Ärzten zu absolvieren oder sie fahren in die nahegelegenen Krankenhäuser, was dort dann auch wieder mit langen Wartezeiten verbunden ist. Problematisch sind auch die Öffnungszeiten der Hausärzte. Man liest oft auf den Schildern: Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag von 8 bis 11 Uhr, Mittwoch ge­schlossen. Da wäre natürlich ein Zusammenschluss der Ärzte mit anderen Ärzten von großem Vorteil, sowohl für die Ärzte als auch für die Patientinnen und Patienten.

Zur Stärkung der Gesundheitsversorgung bedarf es moderner Rahmenbedingungen. Bedarfsgerechte Öffnungszeiten und ärztliche Anwesenheit in Teamarbeit wären von Vorteil, damit von Montag bis Freitag einschließlich der Tagesrandzeiten eine ärztliche Versorgung zur Verfügung steht. Für Akutfälle müsste eine Stelle offen haben und die Erreichbarkeit organisiert werden. Es gibt natürlich gerade in den ländlichen Gebieten auch den Notarzt, den man ab 19 Uhr bis 7 Uhr in der Früh anrufen kann, wodurch die Patienten teilweise schon vorweg, wie du das erwähnt hast, Frau Ministerin, mit Informationen versorgt werden können beziehungsweise die Angehörigen schon Instruktionen bekommen, wie sie mit Patienten umgehen sollen.

Das Behandlungsspektrum einer modernen Gesundheitsversorgung muss den neuen Anforderungen gerecht werden, und ich denke, das neue Gesetz wird das ermög­lichen. Die Teamarbeit ist bereits angesprochen worden, in der die Allgemeinmediziner in Zukunft mit anderen Gesundheitsberufen, mit TherapeutInnen, mit DiätologInnen, Fachärztinnen und Fachärzten zusammenarbeiten werden. Diese Primärversorgungs­zentren wird es wahrscheinlich nur in den städtischen Bereichen geben, eher weniger im ländlichen Bereich. Aber gerade im ländlichen Raum ist die Vernetzung der praktischen Ärzte in Zukunft noch wichtiger als jetzt schon. Es gäbe die Vorteile der Teamarbeit, einer geregelten Arbeitszeit, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie attraktive und umfassende Tätigkeitsfelder, in denen die ärztlichen Kompetenzen voll zum Einsatz kommen können.

Es sind bereits so viele Dinge angesprochen worden. Aufgrund der geringen Redezeit möchte ich eigentlich nur noch einmal kurz auf den ländlichen Raum zu sprechen kommen. Insbesondere im ländlichen Raum sind die Patientinnen und Patienten auf


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ein funktionierendes Hausarztsystem angewiesen, und deshalb ist es ein wichtiges Anliegen, wohnortnahe ärztliche Versorgung sicherzustellen. Dazu braucht es weiter­hin ein flächendeckendes Netz an Ärzten und Ärztinnen und öffentlichen Apotheken, was durch attraktive Rahmenbedingungen sichergestellt werden muss. Letztendlich wird es aber auf das Zusammenwirken der für die jeweilige Region zuständigen Ver­trags­partner sowie die Landes- und Gemeindepolitik ankommen. Eine moderne und zukunftsorientierte ärztliche Versorgung kann ich daher nur begrüßen. Ich danke, Frau Bundesministerin, dass du diese Wege weiter beschreiten wirst. (Beifall bei der SPÖ.)

10.08


Präsident Edgar Mayer: Als Nächster ist Herr Bundesrat Tiefnig zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Kollege.

 


10.09.06

Bundesrat Ferdinand Tiefnig (ÖVP, Oberösterreich): Frau Bundesminister! Lieber Herr Präsident! Zuerst einmal ein Dankeschön an Sie, aber auch an Ihre Vorgängerin, Sabine Oberhauser, denn nur durch Sie wurde es möglich, dass die Primärversorgung heute im Bundesrat beschlossen wird.

Ärztliche Versorgung, Sicherheit im ländlichen Raum für Patientinnen und Patienten beinhaltet mehr: Das beginnt bei der e-card, es beginnt mit ELGA, wodurch die Daten weitergegeben werden. Das ist wichtig. Ich habe erst vor Kurzem von einem Fall gehört, in dem jemand sehr froh war, dass über ELGA die Daten weitergegeben worden sind, da die Untersuchung so fordernd war, dass er sie nicht noch einmal über sich ergehen lassen wollte.

Die Primärversorgung ist ein Thema, das mich schon seit 2008 beschäftigt, da wir damals im Bezirk Braunau in Oberösterreich das Thema ärztliche Versorgung das erste Mal gehabt haben – viel mehr Ärzte in den Spitälern, aber keine praktischen Ärzte, keine Ärzte des Vertrauens mehr im ländlichen Raum. Daher war es mir damals schon wichtig, nach Kopenhagen zu fahren, nach Malmö, wo ich mir diese Primärversorgungssysteme angeschaut habe. Ich durfte dann zufällig mit dem jetzigen Finanzminister Schelling Kontakt aufnehmen und auch mit Herrn Kandlhofer, dem damaligen Präsidenten, und den Herren Rebhandl und Wechselberger. Wir haben dann gemeinsam an der Primärversorgung gearbeitet, daran, dass dieses System weiter vorangetrieben wird, das wir aus den skandinavischen Ländern kennen.

Leider, muss ich sagen, hat es damals einen Minister Stöger gegeben, der das alles blockiert hat. Ich hoffe nicht, dass Minister Stöger das auch jetzt beim Thema Pflege macht, das meine Kollegin Sonja Ledl-Rossmann so stark forciert. Damals haben wir auch im Bundesrat eine Enquete gehabt, und ich weiß noch, wie desinteressiert Minister Stöger hier gesessen ist.

Aber Sie, Frau Ministerin, und Ihre Vorgängerin haben uns sehr unterstützt, und die Primärversorgung ist ein wichtiger Punkt. Es muss so ermöglicht werden, den Kran­kenhausbereich entsprechend zu entlasten. Wir versuchen in diesem Bereich auch die Vernetzung mit Physiotherapeuten … (Bundesrat Todt: Das ist Kleingeld!) – Ich glaube, ich habe mit der Diskussion etwas angeregt, aber ich will nicht, dass hier jetzt die Pflege das Thema ist, sondern es ist die Primärversorgung. (Bundesrätin Grimling: Das ist der Sobotka! – Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)

Primärversorgung ist auch mein Thema, denn wir müssen jetzt wirklich schauen, dass wir die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum sicherstellen. Wir haben das Problem in vielen Bereichen. Wir haben es insbesondere im Bereich der Jugendversorgung in der Nacht, wenn es entsprechende Vorfälle gibt. Die Krankenhäuser sind überlastet. Daher braucht der Krankenhausbereich eine vernetzte Zusammenarbeit mit den prak-


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tischen, mit den niedergelassenen Ärzten. Wir brauchen die Vernetzung mit den Kran­kenschwestern. Wir brauchen im ländlichen Raum die unterschiedlichen Strukturen, wie sie teilweise in den Städten vorherrschen, wo Physiotherapeuten oder auch Kin­derärzte vom praktischen Arzt angestellt werden können. Auch das Anstellungs­verhältnis wird ein Thema sein. Ja, da hinken wir noch ein bisschen nach. Aber ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg, denn ein Arzt sollte auch die Möglichkeit haben, einen weiteren Arzt zu beschäftigen, und wenn wir das nicht schaffen, wird in Zukunft die Versorgung mit Fachärzten im ländlichen Raum ein noch größeres Prob­lem werden.

Wir müssen schauen, dass wir diesen Bereich in Zukunft weiterentwickeln. Wir sind auf dem richtigen Weg. Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Minister, dass Sie im Bereich der ärztlichen Versorgung der Zukunft riesige Schritte gesetzt haben. Ich hoffe, der nächste Minister oder die nächste Ministerin wird diesen Weg fortsetzen, denn es ist im Sinne der Österreicher und Österreicherinnen, dass die Versorgung auch im ländlichen Raum gesichert ist und die Gesundheitsversorgung auch weiterentwickelt wird. In diesem Sinne, danke schön, Frau Minister! (Beifall bei der ÖVP.)

10.13


Präsident Edgar Mayer: Zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte, Frau Kollegin.

 


10.13.33

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Minister! Sehr geehrte Damen und Herren auch zu Hause an den Bildschirmen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer sich dieses Thema der Aktuellen Stunde heute ausgedacht hat, weiß ich ja nicht, aber ich kann Ihnen jetzt schon sagen, es ist garantiert eine Themenverfehlung. Wir haben dieses Thema als ersten Tages­ordnungspunkt zu beschließen, und unterhalten uns in der Aktuellen Stunde genau über das Thema des ersten Tagesordnungspunktes. Ich weiß ja nicht, welche Gehirn­zellen da gewerkelt haben, aber die waren falsch gepolt. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Es gibt ja noch ganz andere Dinge zum Thema Gesundheitswesen, über die man sich dringend unterhalten müsste, und nicht nur die Primärversorgung, die durchaus auch ein Thema ist. Aber das hätten wir ja auch beim ersten Tagesordnungspunkt be­sprechen können – und werden das auch noch tun.

Ich sage aber gerne zwei Sätze dazu: Es ist ja grundsätzlich nichts dagegen zu sagen, dass man Primärversorgungszentren einrichtet, die möglichst rund um die Uhr geöffnet sind und wo Leute Zugang zu verschiedenen Ärzten oder Physiotherapeuten haben, wie Sie, Frau Ministerin, es schon gesagt haben. Was aber die Gefahr dabei ist, ist, dass der Hausarzt damit ausgestorben ist. Und genau das soll und kann es aber nicht sein. Der Hausarzt ist – wie Frau Kollegin Stöckl-Wolkerstorfer in ihrer Leseübung gesagt hat – für die Leute so wichtig und wird so geschätzt, dass man ihn möglichst ortsnahe haben möchte. Ja, aber dann frage ich Sie, warum Sie beim ersten Tagesordnungspunkt ein Gesetz beschließen, mit dem der Hausarzt zum Sterben verurteilt ist. Das wollen wir nämlich nicht, und wir werden auch dagegen sein, da wir genau das nicht wollen. Es muss möglich sein, beides nebeneinander gleichberechtigt existieren zu lassen. (Beifall bei der FPÖ.)

Frau Kollegin Stöckl, wenn dann von Ihnen Vorschläge kommen, wie man es besser machen könnte, ist das einmal mehr der Zeitpunkt, an dem ich mich frage, seit wie vielen Jahren ÖVP und SPÖ gemeinsam in der Regierung sitzen. Das sind immer die Aufträge an sich selbst, bei denen wir uns immer fragen, warum Sie das nicht schon längst beschlossen haben! Wir wissen, dass es schwierig ist, in einer Koalition einen


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Kompromiss zu finden, aber Sie haben jetzt wirklich jahrzehntelang Zeit gehabt, all diese Dinge auf die Strecke zu bringen und hier zu beschließen. (Bundesrätin Grimling: Das hättet ihr selbst machen können!)

Wir hätten uns heute hier zum Beispiel über ein Thema unterhalten können, das Frauen­gesundheit heißt. Das wird noch immer relativ stiefmütterlich behandelt. Wir wissen zwar, dass Frauen auf Medikamente anders reagieren, wir wissen, dass sich Erkrankungen wie Schlaganfall, Herzinfarkt et cetera bei Frauen ganz anders ankündigen als bei Männern – jetzt will ich ja nicht sagen, es ist nichts getan worden –, aber das ist ein sehr langsamer und schleppender Prozess, der dringend beschleunigt gehörte.

Wir haben das Thema Gesundheitsvorsorge. Was haben Sie denn gemacht, SPÖ und ÖVP? – Die Mammografie gibt es für Frauen ab 40 Jahren nur noch alle zwei Jahre, vorher konnte man das jährlich machen. Sie sind offensichtlich der Meinung, ab 40 reicht es alle zwei Jahre.

Wir beziehungsweise Sie haben immer noch nicht das Thema erschöpfend gelöst, das schon mehrmals in den Medien war: Die Spitalsbetten am Gang sind immer noch Realität. Es ist ja nicht so, dass die jetzt verschwunden sind. Auch diesbezüglich geht einfach nichts weiter, obwohl Sie wissen, dass es dieses Problem gibt.

Und da es heute schon einmal angesprochen worden ist und auch in diesem Thema drinnen steckt: die Stärkung des ambulanten Bereichs. Ich kann Sie alle nur herzlich einladen: Gehen Sie ins AKH und schauen Sie sich dort einmal den ambulanten Bereich an, und dann schauen Sie, warum die Leute dort sitzen und wer dort sitzt! Und dann reden wir noch einmal über die Stärkung des ambulanten Bereichs.

Was auch ein Thema dieser Aktuellen Stunde hätte sein müssen, ist, dass wir einen Abgang von Ärzten haben. Vor zehn Jahren hat es noch geheißen: Bitte studiert nicht Medizin, wir haben eine Ärzteschwemme!, mittlerweile fehlen uns die Ärzte. Von zehn gehen sechs ins Ausland, weil die Bedingungen besser sind, weil die Bezahlung besser ist. Wir haben ein Minus an Allgemeinmedizinern von 12 Prozent und ein Minus an Fachärzten von 3 Prozent.

Das sind die Dinge, die das Thema der heutigen Aktuellen Stunde hätten sein müssen, und übrigens auch weiterer Gesetzesbeschlüsse, denn da sind noch einige Baustellen offen, da gehört noch viel gemacht. Und ich hoffe, dass eine künftige Regierung, die nicht mehr aus SPÖ und ÖVP bestehen wird, diese Dinge in Angriff nehmen wird. Wir sind dazu bereit! (Beifall bei der FPÖ.)

10.19


Präsident Edgar Mayer: Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Mag. Zelina. – Bitte, Herr Kollege.

 


10.19.12

Bundesrat Mag. Gerald Zelina (STRONACH, Niederösterreich): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Gesundheitsminister! Die österreichischen Spitäler gehören zu den teuersten Spitälern Europas. Pro Jahr kosten uns die Spitäler 12 Milliarden €. 10 Mil­liar­den davon, das sind 83 Prozent der Spitalskosten, fallen im stationären Bereich an, 2 Milliarden, das sind 17 Prozent der Spitalskosten, fallen im ambulanten Bereich an.

Daher muss primär einmal alles getan werden, um die gewaltigen Kosten im statio­nären Bereich zu senken. 50 Prozent der stationär ins Krankhaus eingewiesenen Patienten – also jeder zweite – benötigen gar keinen stationären Aufenthalt im Spital. Wir haben also doppelt so viele Spitalseinweisungen und daher auch doppelt so viele Spitalsbetten, als tatsächlich notwendig sind. Das ist belegt, jeder weiß es, getan wird wenig.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 31

Jede Übernachtung im Krankenhaus kostet sehr viel Geld, 1 000 € pro Tag. Mit weniger stationären Aufnahmen nach ambulanten Behandlungen wäre es möglich, Betten zu reduzieren und auch den Standard für die Spitalszimmer zu erhöhen. 40 Pro­zent aller Patienten werden nach einer ambulanten Spitalsbehandlung stationär aufge­nommen, das ist nicht notwendig. Patienten müssten auch bei gewissen Operationen, bei Arthroskopien, Leistenbruch-, Krampfadern- und Grauer-Star-Operationen, nicht im Spital bleiben, sondern könnten noch am selben Tag, nach dem operativen Eingriff, nach Hause gehen. In Summe brauchen wir also mehr ambulante, tagesklinische Behandlungen, mehr tagesklinische Operationen und weniger Spitalseinweisungen.

In den Spitälern gehört auch der Akutbettenmissbrauch durch Pflegepatienten abge­stellt. Viele Pflegefälle liegen in Spitälern in teuren Akutbetten anstatt in günstigen Pflege­betten in Pflegeeinrichtungen. Ein Akutbett im Spital kostet 1 000 € am Tag, ein Pflegebett im Pflegeheim kostet 100 € pro Tag, also 90 Prozent weniger. Pflegefälle sollen daher in Pflegeheimen statt im Spital behandelt werden, das ist wesentlich güns­tiger und effizienter. Auch die Patientenzuweisungen aus Pflegeheimen an Spitäler gehören beendet, da wären Visiten von Ärzten in Pflegeheimen viel besser.

Im stationären Spitalsbereich lassen sich also bei effizienter Betriebsführung jährlich 3 Milliarden € einsparen, die dann in die Gesundheitsvorsorge, in die Sportförderung und in die Pflege investiert werden könnten. Auf jeden Fall müssen wir unsere Kapa­zitäten für die Langzeitpflege und Geriatrieversorgung ausbauen.

Im ambulanten Bereich sind die langen Wartezeiten in den überfüllten Spitals­ambulanzen ein Riesenproblem. Wartelisten sind Todeslisten, und daher bleibt vielen Patienten nichts anderes übrig, als zu Privatärzten und in Privatspitäler zu flüchten und doppelt zu zahlen. 70 Prozent aller Patienten landen in Spitalsambulanzen, obwohl sie gar nicht ins Spital müssten. 70 Prozent der Patienten in Spitalsambulanzen benötigen die Infrastruktur des Krankenhauses gar nicht, und besonders Migranten gehen wegen jedem Mini-Wehwehchen und jeder Kleinigkeit wie Kopfweh in die Spitalsambulanzen oder sogar in die Notaufnahme. (Zwischenrufe bei den Grünen.) Der Migrantenanteil in Spitalsambulanzen ist extrem hoch. Jeder, der ein Spital besucht, weiß das. Zusätzlich braucht man jede Menge Dolmetscher, das ist finanziell nicht durchzuhalten. Dieses Problem gehört auf jeden Fall angesprochen und auch gelöst. Migranten und Asyl­werber gehören alle zuerst zum praktischen Arzt und nicht in die Spitäler.

Auch insgesamt müssen wir die Patienten aus den Spitalsambulanzen zu den nieder­gelassenen Ärzten verlagern. Ein Besuch beim Hausarzt kostet die Krankenkasse 7 €, ein Spitalsbesuch kostet 70 €, also das Zehnfache. Banalitätsfälle gehören nicht in die Spitalsambulanz, die Spitalsambulanz sollte Banalitätsfälle ablehnen und den Patien­ten zum praktischen Arzt verweisen. In den Spitälern sollten vorwiegend spezialisierte Gesundheitsdienstleistungen angeboten werden anstatt standardisierter 08/15-Dienst­leistungen, die auch jeder Hausarzt anbietet.

Auch eine Ambulanzgebühr würde die Spitäler entlasten und die Eigenverantwortung und das Kostenbewusstsein der Patienten steigern. Seit es das Parkpickerl gibt, bekommt man in Wien wieder Parkplätze, eine ähnliche platzschaffende Wirkung hätte eine Ambulanzgebühr in Spitälern. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)

Auch 24-Stunden-Gemeinschafts-Gesundheitspraxen mit mehr Personal, die wohnort­nah rund um die Uhr für die Patienten als Alternative zu Spitalsambulanzen zu erreichen sind, sind zu forcieren. Wir wollen aber auch Ärzte-GmbHs, die auch Ärzte anstellen können, also Ärztegesellschaften. Viele ÄrztInnen wären froh, wenn sie ange­stellt werden könnten und nicht die ganze Verantwortung für das Risiko einer Praxis tragen müssten. Das wäre dann auch halbtags für Mütter möglich. Wir müssen den Markt liberalisieren und die Macht der Ärztekammer reduzieren. Die Ärzte-GmbH ist ja


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 32

vor allem deswegen verboten, weil dann die Kammerbeiträge bei der Wirtschaftskam­mer landen anstatt bei der Ärztekammer. Dieser Interessenkonflikt der Kammern ver­hin­dert die freie Wahl der Gesellschaftsform für Ärzte.

Auch die Finanzierung unseres Gesundheitssystems aus mehreren Quellen ist ein Prob­lem. Wir brauchen eine Gesundheitsfinanzierung aus einer Hand. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ. – Anhaltende Zwischenrufe bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

10.25


Präsident Edgar Mayer: Zu einer abschließenden Stellungnahme hat sich die Frau Bundesministerin für Gesundheit und Frauen zu Wort gemeldet. Ich darf um etwas Ruhe bitten. Zu Wort gelangt die Frau Ministerin. – Bitte, Frau Ministerin.

 


10.25.46

Bundesministerin für Gesundheit und Frauen Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc: Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Ganz kurz nur darf ich die Gelegenheit nützen, um auf einige der Stellungnahmen und Rede­beiträge einzugehen.

Es wurde behauptet, dass im Rahmen dieser neuen Umsetzung der regionalen Ge­sund­heitszentren Hausärzte abgeschafft werden würden. Ich sage Ihnen, genau das Gegenteil ist der Fall. Das Wort Attraktivierung wurde hier mehrmals genannt, wir machen das um die Bedürfnisse der jungen Ärztinnen und Ärzte herum. Sie haben neue Anforderungen an ihre Arbeitsbedingungen, und genau dem werden wir mit den neuen Rahmenbedingungen gerecht, die wir im Rahmen der regionalen Gesund­heits­zentren schaffen. Genau das führt dazu, und das ist das Ziel, dass sich mehr Mediziner und Medizinerinnen in Zukunft für den Beruf des Allgemeinmediziners und des Hausarztes entscheiden werden.

Wer arbeitet denn in den zwei regionalen Gesundheitszentren, die es schon gibt? Ich lade Sie gerne ein, diese zu besuchen, dann werden Sie sehen, es sind Hausärztinnen und Hausärzte, die dort arbeiten. Wer denn sonst, meine Damen und Herren?! Genau darum geht es: Wir bauen Rahmenbedingungen, die attraktiver sind und in Zukunft mehr Mediziner und Medizinerinnen in diese Berufssparte bringen sollen, damit die hausärztliche Versorgung nicht nur heute, sondern auch morgen gesichert ist. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Es wurde erwähnt, wir sollen uns auch um andere wichtige Themen kümmern. Ja, nichts anderes tun wir, sage ich Ihnen. Seit zwei Jahren haben wir gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus den verschiedensten Fachbereichen einen Aktionsplan Frauengesundheit erarbeitet – der übrigens letzte Woche im Nationalrat vorgestellt, diskutiert und zur Kenntnis genommen wurde –, den Sie gerne auf unserer Homepage nachlesen und sich herunterladen können. Dort sehen Sie die verschiedenen Themen­spektren und Wirkungsfelder, die es gilt, künftig im Bereich der Frauengesundheit gemeinsam anzugehen und zu bearbeiten. Ja, Frausein ist, was die Gesundheit betrifft, nicht gleichzusetzen mit Mannsein, da haben Sie völlig recht. Das haben wir schon vor einigen Jahren erkannt und gemeinsam mit vielen Partnerinnen und Part­nern in Österreich diesen Aktionsplan Frauengesundheit geschaffen, der jetzt Grund­lage für die breite Umsetzung in diesem Bereich ist. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grü­nen.)

Ich darf auch daran erinnern, dass wir dazu gemeinsam mit den Universitäten, die für die Ausbildung zuständig sind, gearbeitet haben, und es gibt darauf basierend zwei Lehrstühle für Gendermedizin. Gendermedizin haben Sie angesprochen, das ist jene Spezialisierung, die sich genau damit auseinandersetzt, und ich darf erinnern: 2010 Lehr­stuhl für Gendermedizin an der MedUni Wien, 2014 Lehrstuhl für Gendermedizin an


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der Universität Innsbruck. Also auch im Rahmen der Ausbildung, im Rahmen der Universitäten ist dieses Thema schon am Radar und wird intensiv umgesetzt und bear­beitet.

Mammografie: Wir haben mit einem breiten Screeningprogramm, mit einem systemati­schen Screeningprogramm dafür gesorgt, mehr Qualität in das Mammografiescreening in Österreich zu bringen und folgen internationalen Beispielen. Wir haben erstmals eine Qualitätssicherung, eine begleitende Evaluierung. Und wenn Sie sagen, den Frauen soll freigestellt sein, wie oft sie zur Mammografie gehen, dann kann ich Ihnen sagen: Das ist eine gefährliche Aussage, denn es geht da um eine Strahlenexposition, die, wenn sie zu oft hingehen, für Frauen auch gefährlich ist. Die zwei Jahre basieren auf einer harten wissenschaftlichen Evidenz, die sagt, du solltest genau so oft untersuchen gehen, damit du von der Untersuchung nicht mehr Schaden als Nutzen hast. Genau darum geht es bei breiten Screeningprogrammen. Alle Frauen, die es nötig haben, weil sie einen Verdacht haben, einen Knoten, Schmerzen, haben jederzeit die Möglichkeit, mit einer Zuweisung ihres Vertrauensarztes zu einer Mammografie zu gehen, egal wie häufig. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Ich darf auch erinnern, dass wir es waren, die vor zweieinhalb Jahren die wichtige Impfung gegen Humane Papillomaviren gratis, kostenfrei für alle Mädchen und Buben im Rahmen des Schulimpfprogrammes eingeführt haben. Das ist eine wirksame Impf­maßnahme gegen Zervixkarzinom, gegen Gebärmutterhalskarzinom und andere Karzi­nom­typen. – Auch eine ganz wichtige präventive Maßnahme zur Verbesserung der Frauengesundheit. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Auf das Thema Ärztemangel, glaube ich, brauche ich jetzt nicht mehr einzugehen. Es wurde schon sehr intensiv in meiner ersten Ausführung behandelt, und dass wir uns das Thema genauer anschauen, habe ich auch schon bei anderen Stellungnahmen kundgetan. Wir haben eine breite Studie beauftragt, die die verschiedenen Datenpools, die es in Österreich zum Thema Medizinerausbildung, Ärzteausbildung und Vertrags­ärzte gibt, zusammenführt und der Politik ein gutes Modell liefert, um künftig gute Entscheidungen zu treffen, was den Ärztebedarf betrifft. Das ist ein Thema, das wir sehr intensiv auf dem Radar haben.

Ich darf mit den Worten schließen – da das auch gefallen ist –, dass aus unserer Sicht und aus meiner Sicht Kranksein und Pflegebedürftigsein niemals eine Schuldfrage sein dürfen und daher das Thema Eigenverantwortung in diesem Zusammenhang sehr, sehr vorsichtig bis gar nicht in den Mund genommen werden darf. Jeder, der in diesem Land krank wird oder pflegebedürftig ist, muss sich auf uns, auf die Gesellschaft und auf die Politik verlassen können. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

10.32


Präsident Edgar Mayer: Vielen Dank, Frau Minister.

Die Aktuelle Stunde ist beendet.

10.32.17Einlauf und Zuweisungen

 


Präsident Edgar Mayer: Eingelangt ist ein Schreiben des Ministerratsdienstes des Bundeskanzleramtes, dass sich der Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Sebastian Kurz am 6. und am 12. Juli 2017 in Italien aufhalten wird, wobei er seine Angelegenheiten im Bundesrat gemäß Artikel 73 B-VG am 6. Juli durch Bundes­minister Dr. Harald Mahrer wahrnehmen lässt.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 34

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:

*****

(Weitere schriftliche Mitteilungen siehe 870. Sitzung des Bundesrates, S. 14 ff.)

*****

 


Präsident Edgar Mayer: Eingelangt und den zuständigen Ausschüssen zugewiesen wurden jene Beschlüsse des Nationalrates sowie jener Bericht, die beziehungsweise der jeweils Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind beziehungsweise ist.

Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen abgeschlossen und schriftliche Aus­schuss­berichte erstattet.

Ich habe die zuvor genannten Verhandlungsgegenstände auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 35

Behandlung der Tagesordnung

 


Präsident Edgar Mayer: Aufgrund eines mir zugekommenen Vorschlages beabsich­tige ich, die Debatte über die Tagesordnungspunkte 11 bis 13, 14 und 15 sowie 17 bis 19 jeweils unter einem zu verhandeln.

Erhebt sich dagegen ein Einwand? – Das ist nicht der Fall.

10.33.191. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Primärversorgung in Primärversorgungs­ein­hei­ten (Primärversorgungsgesetz – PrimVG) erlassen und das Gesundheits-Ziel­steuerungsgesetz, das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz, das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, das Unterbringungsgesetz, das Kran­kenanstalten- und Kuranstaltengesetz, das Gesundheitstelematikgesetz 2012, das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz, das Hebammengesetz, das Medizi­nische Assistenzberufe-Gesetz und das Medizinischer Masseur- und Heilmas­seurgesetz geändert werden (Gesundheitsreformumsetzungsgesetz 2017 – GRUG 2017) (2255/A und 1714 d.B. sowie 9882/BR d.B.)

 


Präsident Edgar Mayer: Wir gehen in die Tagesordnung ein und gelangen zu Punkt 1.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Ebner. Ich bitte um den Bericht.

 


10.33.48

Berichterstatterin Adelheid Ebner: Herr Präsident! Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Gesundheitsausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Primärversorgung in Primärversorgungseinheiten und andere geändert werden.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, ich komme daher zur Antragstellung.

Der Gesundheitsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stim­menmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsident Edgar Mayer: Danke für den Bericht, Frau Kollegin Ebner.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gelangt Herr Kollege Krusche. – Bitte, Herr Kollege.

 


10.34.34

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Hohes Präsidium! Frau Bundesminister! Meine Damen und Herren, auch jene zu Hause! Ich bin jetzt in einer völlig ungewohn­ten Situation. Normalerweise bin ich als Kontraredner zu einem Tagesordnungspunkt der erste Redner, heute bin ich ungefähr der zehnte, der nach einer über einstündigen Debatte zu diesem Thema spricht. Ich könnte ja fast das Thema der Aktuellen Stunde persönlich nehmen, aber ich werde das nicht machen.

Nun zu diesem Gesetz: Was lange währt, wird nicht unbedingt gut. – Sie haben ja bereits Gelegenheit gehabt, Frau Bundesminister, ausführlich darüber zu sprechen. Ihre Problemanalyse ist ja durchaus richtig, und der ist an sich nichts hinzuzufügen. Nur der Lösungsansatz, der in diesem Gesetz gewählt wird, findet nicht unsere Zu­stimmung. (Vizepräsidentin Winkler übernimmt den Vorsitz.)


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 36

Wir haben uns ja von Anfang an gegen dieses Gesetz ausgesprochen, und unsere Bedenken bestehen nach wie vor. Frau Kollegin Mühlwerth hat es bereits erwähnt, wir befürchten mittel- beziehungsweise langfristig durch dieses Gesetz das Ende des Hausarztes, so wie wir ihn gewöhnt sind und wie wir ihn kennen. Das beweisen ja einige Punkte in diesem Gesetz, beispielsweise die Untersagung von Parallelen zwischen Hausärzten und Primärversorgungseinheiten. Gibt ein Hausarzt auf, wird die Stelle fünf Jahre nicht wiederbesetzt, es sei denn, diese Leistung wird durch eine Primärversorgungseinheit abgedeckt. Oder wenn ein Arzt nach einem Vorvertrag mit einem Primärversorgungszentrum realisiert, dass er sich doch lieber als klassischer selbständiger Hausarzt betätigen und niederlassen möchte, kann sein Einzelvertrag von der Kasse gekündigt werden. Und wenn ein Arzt ausscheidet, dann müssen die Ärztekammer und die Kassen zustimmen, damit er wiederum einen Vertrag erhält.

Das Ganze wäre ja kein österreichisches Gesetz, wenn es nicht mit jeder Menge Bürokratie verbunden wäre. Allein vier Vertragsarten sind vorgesehen: Primärver­sor­gungsgesamtvertrag, Primärversorgungsvertrag, Primärversorgungseinzelvertrag, Pri­mär­ver­sorgungssondervertrag. Ich frage, warum man denn diese Primärversorgung unbedingt in eine eigene Rechtspersönlichkeit zwängen und diese vorschreiben muss.

Auf der anderen Seite bleibt es weiterhin untersagt, dass Ärzte andere Ärzte anstellen. Kollege Zelina hat es bereits erwähnt, das ist völlig unverständlich. Frau Bundes­minister, Sie haben Beispiele gebracht, wo das mit den Hausärzten jetzt gut funk­tioniert – wir haben das in der Steiermark eben auch in Mariazell und seit Kurzem auch in Eisenerz. Das ist der Beweis dafür, dass wir das nicht brauchen, da es jetzt schon funktioniert, obwohl wir dieses Gesetz noch nicht haben. Styriamed-Network, Best-Practice-Beispiele aus Tirol wurden heute schon angesprochen. Es gibt also genügend Ansätze, wo das schon recht gut ohne den Zwang funktioniert, mit dem man offen­sichtlich die Ärzte in ein quasi verstaatlichtes Gesundheitssystem à la DDR zwängen will.

Die Menschen wollen ja viel lieber einen Arzt ihres Vertrauens, der auf ihre per­sönlichen Gesundheitsprobleme viel besser eingehen kann, der sie oft über Jahre hinweg kennt und eben entsprechend effizient behandeln kann. Es wäre also die wesentlich effizientere Lösung, wenn man auf Basis des bewährten Systems versucht, dieses an die Herausforderungen der Zeit anzupassen und am Leben zu erhalten.

Auch die genannten Zielsetzungen dieser Primärversorgungseinheiten – und das ist auch in der Ausschussdebatte zur Sprache gekommen – sind irgendwie widersprüch­lich. Einerseits geht es um die Versorgung im ländlichen Raum, andererseits wird gesagt, na ja, die Primärversorgungseinheiten wird es ja hauptsächlich in Ballungs­räumen geben. Das passt ja dann überhaupt nicht zusammen.

Die Wünsche von Patienten, die durch Umfragen belegt sind, längere Öffnungszeiten, Öffnungen auch zu Tagesrandzeiten, mehr Zeit für Gespräche auf der einen Seite und der Ärzte auf der anderen Seite, moderne, zeitgerechte Arbeitszeitbedingungen, das Arbeiten im Team und – für mich ein Unwort des Jahrzehnts – eine bessere Work-Life-Balance, das alles würde man auch ohne dieses gesetzliche Korsett, ohne diesen Zwang erreichen. Das Ende der Hausbesuche ist damit sowieso besiegelt. (Zwi­schenruf des Bundesrates Tiefnig.)

Ich bin überzeugt: Wenn wir Maßnahmen zur Attraktivierung setzen würden, Förder­modelle etablieren würden, für eine bessere Bezahlung sorgen würden, dann würde uns das unterm Strich wahrscheinlich billiger kommen, wobei alles auf Freiwilligkeit basieren würde, und damit auch die Motivation der Ärzte eine wesentlich bessere wäre.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 37

Das ist so ähnlich wie im öffentlichen Verkehr, meine Damen und Herren: Das Zwingen in den öffentlichen Verkehr funktioniert auch nicht. Wenn der öffentliche Verkehr attraktiv ist, wird er angenommen, und so ist es auch hier: Wenn wir attraktive Modelle für unsere Ärzte in der Zukunft schaffen, dann wird der Arztberuf, der Beruf des Allgemeinmediziners, des Praktikers auch am Lande durchaus wieder attraktiv werden, jedenfalls wäre es billiger und effizienter. (Beifall bei der FPÖ.)

10.41


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste ist Frau Bundesrätin Anderl zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Kollegin.

 


10.41.57

Bundesrätin Renate Anderl (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geschätzte Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Geschätzte Damen und Herren zu Hause an den Bildschirmen! Ich muss ehrlich sagen, ich bin immer wieder verwundert darüber, wie man es schafft, unser Gesundheitssystem, das eines der besten ist, die es gibt (Bundesrat Krusche: So kaputtzumachen!), so schlechtzureden. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Ich glaube schon, dass hier der Platz ist, um Kritik üben zu können, aber was ich in den letzten Minuten erfahren habe, ist keine Kritik mehr, sondern, liebe Kolleginnen liebe Kollegen, das ist wirklich ein Schlechtreden eines der besten Gesundheits­systeme, die es gibt. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Wenn Aussagen getätigt werden, dass Wartelisten Todeslisten sind, und andere Dinge, die ich heute hier vernommen habe, muss ich ehrlich gestehen, verstehe ich das nicht mehr. Ich glaube, viele von uns haben sich nicht die Mühe gemacht, sich dieses Gesetz näher anzusehen. Ich glaube, die Attraktivität, die eben auch von Bundesrat Krusche angesprochen worden ist, ist jetzt vorhanden, lieber Kollege!

Was mich auch sehr wundert, ist, dass du, lieber Kollege Krusche, immer wieder, ohne eine Evaluierung durchgeführt zu haben, glaubst voraussagen zu können, wie ein Gesetz wirken wird. (Bundesrat Krusche: Schauen wir mal!) Ich würde sagen, warten wir ab, schauen wir, wie es wirklich wirkt, und dann treffen wir uns wieder und dis­kutieren es. (Beifall bei SPÖ und ÖVP. – Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Krusche.) – Ja, weil ich davon überzeugt bin, dass dieses Gesetz wirklich ein sehr gutes Gesetz ist. Wir haben es heute schon vernommen: Wir werden immer älter. Das ist keine Neuigkeit. Die chronischen Krankheiten begleiten uns dennoch, daher müssen wir hier etwas tun. Und ich bin überzeugt, wir tun hier gerade mit diesem Gesetz etwas.

Ich möchte etwas dazusagen, und zwar eine persönliche Sache: Ich kann aus per­sönlicher Erfahrung erzählen, wie es ist, wenn man eine schwere Krankheit hat, wenn man oftmals zum Hausarzt muss, Laboruntersuchungen machen muss, viele andere Ärzte aufsuchen muss, und ich weiß, dass es oft nicht einfach ist, das alles zu koordinieren, nebenbei vielleicht auch noch einen Job zu haben – beziehungsweise haben zu müssen, muss ich sagen. Dennoch sage ich von dieser Stelle aus, dass ich jemand bin, die sich aufgrund ihrer Funktion, ihrer Tätigkeit etwas leichter getan hat. Ich denke aber an Verkäuferinnen im Handel, an Menschen, die in der Industrie im Akkord arbeiten, an Menschen in vielen anderen Berufen, die es sich nicht so leicht einteilen können. Daher bin ich felsenfest überzeugt, dass wir mit den Primär­versor­gungszentren den richtigen Schritt setzen.

Es wird ja auch festgehalten, dass die freie Arztwahl bestehen bleibt. Die Hausärzte bleiben ja, das ist auch festgehalten, sie können sich aber nunmehr in Zentren mit


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 38

anderen Ärzten zusammenschließen, damit den Patienten und Patientinnen eine umfangreichere Gesundheitsversorgung angeboten werden kann.

Das Konzept der Primärversorgung hat nicht nur den Zweck, wie heute schon häufig erwähnt, die Attraktivität des Arztberufes zu steigern, sondern trägt ja auch dazu bei, Familie und Beruf besser vereinbaren zu können, trägt dazu bei, im Team arbeiten zu können; und ich glaube, viele von uns schätzen es, in einem Team arbeiten zu können und nicht als Einzelkämpferin oder als Einzelkämpfer.

Ich verwehre mich aber gegen Aussagen, die heute hier getätigt worden sind, dass es dann für Mütter leichter wird, halbtags zu arbeiten. Auch Mütter, Frauen haben einen Anspruch darauf, einen Vollzeitarbeitsplatz zu haben (Beifall bei der SPÖ), und zwar einen Vollzeitarbeitsplatz, der so gestaltet ist, dass Beruf und Familie vereinbar sind. Und, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, wenn wir von Müttern und von Kindern sprechen, dann dürfen wir nicht vergessen, dass diese Kinder auch Väter haben. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrätin Kurz: Genau!)

Weiter ausführen möchte ich das jetzt nicht mehr. Es ist heute schon sehr viel darüber gesprochen worden. Ich wollte vielleicht nur abschließend noch sagen: Für mich persönlich, und ich glaube nicht nur für mich, ist Gesundheit das wichtigste Gut, das wir Menschen haben. Daher hoffe ich, dass wir es schaffen, so rasch wie möglich loslegen zu können und dieses Konzept, nämlich das Konzept der Primärversor­gungs­zentren, schnellstmöglich umzusetzen – zum Wohle der Patienten und Patientinnen, aber auch zur Attraktivierung des Arztberufes. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

10.47


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Dr. Reiter zu Wort. – Bitte, Frau Kollegin.

 


10.47.33

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Frau Präsidentin! Frau Minis­ter! Werte Kollegen und Kolleginnen! Werte Zuseher und Zuseherinnen! Es ist ein weiter Bogen, den wir heute, seit wir mit diesem Thema begonnen haben, gespannt haben, und ich möchte jetzt eigentlich zu diesem Gesetz und zu den Primärver­sorgungszentren zurückkehren. Ich möchte voranstellen, dass wir die Idee der Primärversorgung für gut und wichtig halten.

Es ist gut für die Patienten, wenn sie nicht so sehr an doch sehr limitierte Ordinations­zeiten gebunden sind, sondern immer oder fast immer Hilfe bekommen, und zwar Hilfe von mehreren Professionisten, wenn sie für das, was sie in vielen Fällen von einer Spitalambulanz erwarten, eben nicht ins Spital müssen, wenn sie darüber hinaus dort zum Beispiel auch Betreuung durch Sozialarbeiter bekommen, also umfassende gesund­heitliche Hilfe finden, und das wohnortnah, wenn sie dort ihre Rehabilitation machen können, ihre Prävention und so weiter. Wir halten das für eine gute Idee. Wir finden das gut für das Gesundheitssystem.

Seit ich mich politisch umtreibe, und das ist schon lange, höre ich immer das Schlag­wort Stärkung des extramuralen Bereiches, das wird unsere Probleme mit der Finan­zierung der Krankenhäuser und so weiter lösen. Es ist in all diesen Jahren eher schlimmer als besser geworden, aber wir haben die Hoffnung, dass diese Primärver­sorgungszentren zu einer Entlastung der Spitalsambulanzen und damit auch zu einer besseren und effizienteren Erfüllung des Versorgungsauftrages für die Kranken führen werden.

Wir halten es auch gut für die Ärzte. Es gehen uns die Ärzte aus, insbesondere die Hausärzte. Das kann man beklagen und da kann man sich etwas wünschen, aber das


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ist eine Tatsache, insbesondere eben am Land. Das liegt nicht oder nicht nur an der Ausbildung, denn offensichtlich hat diese Ausbildung ja früher diesen viel umjubelten und ersehnten Hausarzt hervorgebracht.

Wenn wir sehen, dass über ein Drittel der fertigen Mediziner, die von der Uni kommen, in diesen Beruf gar nie einsteigen, dass viele weitere, die in Österreich studiert haben, ins Ausland gehen und dort dann auch bleiben – nicht nur die Deutschen, die bei uns studieren, sondern auch die Österreicher –, so ist das ein wichtiger Ansatzpunkt.

Viele dieser Ärzte wünschen sich andere Arbeitsbedingungen, als sie derzeit vorfinden. Sie wünschen sich Anstellungen, sie wünschen sich das Eingebundensein in ein Team, und sie streben – man kann das Wort auch verdammen – eine bessere Work-Life-Balance an, als sie sie derzeit vorfinden. Der kleine Schritt, den viele gehen, ist der in Richtung Wahlarzt, wobei das doch wieder eine Entwicklung in Richtung Zweiklassenmedizin ist.

Welche dieser Erwartungen, die wir alle oder viele von uns an diese Primärver­sor­gungs­zentren haben, werden jetzt von diesem Gesetz erfüllt? Erfüllt dieses vorliegende Gesetz unsere Erwartungen? – Rollen wir es von hinten auf: Die Ärzte haben sehr gut verhandelt. Sie sind auch mit am Tisch gesessen. Die nichtärztlichen Gesundheits­berufe waren hingegen kein einziges Mal zu den Verhandlungen eingeladen, sie haben auch keinen Primärversorgungsgesamtvertrag bekommen. Damit stellt der Gesetz­geber die nichtärztlichen Gesundheitsberufe unter eine Art Verhandlungskuratel der Ärzteschaft beziehungsweise der Betreibergruppe solcher Zentren – von Gleichstel­lung, von Augenhöhe keine Spur.

Wofür Ärzte mit Zähnen und Klauen in diesen Verhandlungen gekämpft haben, das haben sie den nichtärztlichen Gesundheitsberufen kaltblütig verwehrt. SozialarbeiterIn­nen, die wir für einen wesentlichen Teil solch einer Primärversorgung halten würden, werden im Gesetz nicht einmal erwähnt. Die kommen dort gar nicht vor.

Die Anstellung von ÄrztInnen wird nicht umgesetzt. Eine Stärkung der Vertretungs­ärzteregelung ist nicht gelungen, und damit müssen Primärversorgungsanbieter die Vertretungsärzteregelung exzessiv in Anspruch nehmen, um die vorgeschriebenen erweiterten Öffnungszeiten und Mehrleistungen für Patienten überhaupt anbieten zu können, und damit werden Tür und Tor für eine eigentlich rechtswidrige Umgehung von Anstellungsverhältnissen geöffnet.

Selbständige Ambulatorien bekommen damit einen Wettbewerbsvorteil, weil dort die Anstellung möglich ist. Wir befördern mit diesem Gesetz also wieder eine Entwicklung in Richtung Zweiklassenmedizin. Diese Punkte führen dazu, dass wir diesem Gesetz nicht zustimmen.

Die Ausgestaltung dieser Primärversorgungszentren wird sehr unterschiedlich sein. Was Sie als Patient vorfinden – ob tatsächlich ein Zentrum oder eine Einheit, das heißt einen losen Verbund von Ärzten in einer Region mit hoffentlich besser abgestimmten Ordinationszeiten als derzeit –, das hängt sicher sehr davon ab, wo Sie wohnen, ob in der Stadt oder am Land und dann noch in welchem Land, also wie gut die in der Lage sind, das umzusetzen, und mit welchem Ehrgeiz sie das betreiben.

Es gibt ja diese Zielvorstellung von 75 Einheiten bis 2021. Das ist leider eine Ober­grenze. Wenn es also gut funktioniert und man vielleicht in der Lage ist, viele dieser Fehler zu korrigieren, wäre es gut, wenn diese Obergrenze nicht existieren würde, wobei das auch noch nach Ländern aufgegliedert ist; aber ob und in welcher Qualität das realisiert werden kann, ist mit diesem Gesetz leider mehr als offen.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 40

Ein besseres Gesetz mit mehr und besseren Realisierungschancen wäre möglich gewesen. Schade, dass diese Möglichkeit nicht genutzt wurde. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

10.54


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster ist Herr Bundesrat Dr. Köll zu Wort ge­meldet. – Bitte, Herr Kollege.

 


10.54.44

Bundesrat Dr. Andreas Köll (ÖVP, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wurde heute schon sehr vieles zum Thema Gesundheitsreformumsetzungsgesetz und Gesundheitsreform auf österreichischer Ebene diskutiert, aber ich möchte heute nicht die „Gewerkschaft“ der Bundesrätinnen und Bundesräte hier einschalten, dass man den Nachrednern etwa schon zu viel an Themata oder Stoff vorweggenommen hätte. Natürlich beißen den Letzten – das dürfte heute Kollege Gregor Hammerl sein – bekanntlich die Hunde, aber dieses Thema ist so wichtig und bietet natürlich genügend weiten Raum und Stoff, dass es sich lohnt, zwei Tagesordnungspunkte dieser wichtigen Herausforderung zu widmen.

Ich sehe hier im Unterschied zu einigen meiner Vorrednerinnen und Vorredner, speziell aus dem Oppositionsbereich, sehr wohl deutliche Verbesserungen. Das kann ich als jemand, der auch im Gesundheitssystem als Vertreter eines Systempartners tätig ist, durchaus beurteilen. Ich bin ja bekanntlich Obmann eines Bezirkskrankenhauses in einer sehr peripheren Region in Osttirol, die durchaus repräsentativ für den ländlichen Raum sein kann.

Wir alle haben uns auch schon im Ausschuss die Frage gestellt: Was bringt dieses neue Gesundheitsreformumsetzungsgesetz? Was bringt das neue Primärversor­gungsgesetz? Ist es ein Gesetz, um die Spitalsambulanzen zu entlasten, was natürlich wichtig ist, in Form einer Triage, vielleicht auch nach skandinavischem Vorbild, wo man bekanntlich nicht in ein Spital eingewiesen wird, solange einen nicht ein Hausarzt, ein Allgemeinmediziner, ein niedergelassener Mediziner beurteilt und untersucht hat? Ist es ein Gesetz zur Stärkung der medizinischen Versorgung?

Der Schwerpunkt liegt hier, liebe Kollegin Dr. Reiter, natürlich auf den Ärzten im Ge­sundheitsbereich, um die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum zu ermöglichen. Ich glaube, diese Gesetzesmaterien, auch die Begleitgesetze, bieten für beides eine große Chance, und ich darf versuchen, das vielleicht am Beispiel Osttirol etwas festzu­machen. Ich habe mich also dazu entschlossen, sozusagen keine stationäre, sondern eine ambulante Rede zu halten, und das möchte ich jetzt auch tun.

Wir haben in Osttirol circa 50 000 Einwohner. Wir versorgen auch circa 30 000 Men­schen aus dem Raum Oberkärnten und haben dort das Bezirkskrankenhaus Lienz, das eine wichtige stationäre Versorgung bietet. Wir haben aber dort auch Spitalsam­bulan­zen.

Von Kollegin Mag. Schreyer wurde heute schon das angebliche Best-Practice-Beispiel Innsbruck erwähnt. Es ist eines in dem Sinne, dass man die Notfälle reduziert hat, dass man die Arbeitsbelastung der Notfallmediziner in den TirolKliniken reduzieren konnte – das ist bekanntlich diese Art Erstaufnahmezentrum in der Anichstraße am Eingang zu den TirolKliniken –, aber es ist kein klassisches Primärversorgungszentrum und keine Primärversorgungseinheit.

Wir haben ein sehr gut funktionierendes Pilotprojekt in Enns in Oberösterreich, wo auf circa 800 Quadratmetern das passiert, was jetzt im Gesetzestext festgemacht wird. Aber es wird spannend, in welche Richtung sich diese gesetzlichen Materien dann mit


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 41

einer deutlichen Verbesserung des österreichischen Gesundheitssystems hin entwickeln werden.

Wir haben bei uns in Osttirol natürlich auch die bekannten Probleme: Die Allgemein­mediziner werden auch immer älter, zwei Drittel werden in Pension gehen. Der Ärztemangel setzt sich auch bei uns fort, deswegen muss man natürlich einmal mit der Ärzteausbildung beginnen. Hier wird Tirol einen neuen Weg gehen mit der Medical School, auch in Zusammenarbeit mit der Med-Uni. Die Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino und auch Vorarlberg werden da dabei sein. Wir hoffen, dass es uns da gelingt, entsprechend viele Ärztinnen und Ärzte auszubilden, die dann auch bei uns bleiben können.

Wir alle wissen, dass man mit dem Ärzte-Arbeitszeitgesetz und mit den neuen Ent­lohnungsschemata deutliche Verbesserungen tätigen konnte. Das ist auch speziell in unserem Bundesland gelungen. Der ärztliche Beruf wurde deutlich attraktiviert.

Was machen wir jetzt aber im ländlichen Raum? Dort haben wir bei uns folgende Situation – ich darf das vielleicht vom Notarztsystem ausgehend beurteilen –: Wir haben in Osttirol zwei Hubschrauberstützpunkte, einen vom ÖAMTC Nickelsdorf, einen von Heli Tirol beziehungsweise Heli Austria bei uns in Matrei. Dort machen Not­ärztinnen und Notärzte Dienst, es machen aber auch niedergelassene Medizinerinnen und Mediziner dort Dienst. Wir versuchen, analog dem Beispiel von der Ara Flug­rettung in Reutte, die Ärzte dort so einzusetzen, dass sie sowohl luftgebunden als auch bodengebunden, wenn schlechte Flugbedingungen herrschen, ausrücken können.

Diese Ärzte sollten aber – und da gibt es jetzt nach dem neuen Primärversorgungs­gesetz eine neue Möglichkeit – auch ärztlichen Bereitschaftsdienst machen, weil ja nicht so viele Notfälle anfallen. Warum sollten diese also nicht in einem Netzwerk an den drei peripheren Standorten außerhalb des Krankenhausstandortes in Lienz die Bevölkerung dort versorgen?

Derzeit gibt es einen ärztlichen Bereitschaftsdienst mit einer eigenen Telefonnummer, der rund um die Uhr angeboten wird, aber wenn diese Ärztinnen und Ärzte nicht mehr vorhanden sind, wenn sie keine genügend attraktiven Bedingungen auch im ländlichen Bereich haben, werden sie von dort wegziehen und es wird dort keine ärztliche Versorgung mehr geben.

Was ist der Unterschied zwischen den Spitalsambulanzen und dem niedergelassenen Bereich? – Derzeit müssen wir in den Spitalsambulanzen, und das ist gut so, ganz­jährig, ganztägig, rund um die Uhr verbindlich unsere Leistungen im System anbieten. Und es ist auch gut so, dass das aus ethischen Gründen in Österreich so erfolgt, dass wir keine Patientin und keinen Patienten an unseren Spitalstüren abwei­sen. Es wird auch, im Unterschied zu manchen angloamerikanischen Ländern, nicht gefragt: Haben Sie das nötige Geld, um hier versorgt zu werden, oder nicht?

Das müssen derzeit die niedergelassenen Ärzte nicht machen. Und wir haben heute schon vieles gehört: Das Freizeitbedürfnis steigt, es gibt andere Lebenseinstellungen als früher. So wie es früher war, als der klassische Hausarzt ganzjährig in seinem Tal war und speziell im Winter überbelastet war, findet es heute nicht mehr statt. Genau bei diesen Problemen und Schwierigkeiten setzt dieses neue Primärversorgungsgesetz an, und ich sehe hier sehr viele positive Perspektiven.

Ich sehe auch kein Problem darin, lieber Kollege Krusche, liebe Kollegin Mühlwerth, dass man hier von den Formen her sehr flexibel ist. Das spiegelt genau unser Gesundheitssystem in Österreich wider. Es ist natürlich ein Unterschied, ob man in einem Zentralraum lebt, wo man eine sehr gute ärztliche, auch notärztliche Versorgung


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 42

hat, oder ob man draußen in der Peripherie lebt und wohnt und dort versorgt werden muss.

Ich sehe also zahlreiche positive Aspekte. Wir haben in Österreich bekanntlich eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Wir setzen auch sehr viel Geld dafür ein. Es kommt vielleicht noch immer nicht letztlich dort an, wo es landen sollte, nämlich dort wo es eine Entlastung und die Verbesserung der Versorgung der Patientinnen und Patienten bewirkt, und genau da kann man ansetzen.

Ich darf Ihnen, geschätzte Frau Ministerin, für diese Aktivitäten danken. Sie sind eine absolut kompetente Fachfrau, nicht nur, weil Sie sich habilitiert haben und weil Sie selbst Ärztin sind, sondern auch deshalb, weil Sie im Gesundheitsministerium, und das konnten wir auch hier im Bundesrat in den Ausschüssen erleben, auch vor Ihrer Ministertätigkeit schon sehr gute Arbeit geleistet haben.

Erstaunlicherweise entfaltet die Koalition in den letzten Tagen ihres Bestehens zunehmende Aktivität, die direkt proportional mit der Nähe bevorstehender Wahlter­mine steigt, aber das sollte diesem guten Gesetz und seinen Begleitgesetzen keinen Abbruch tun.

Wir werden also im Unterschied zu den Oppositionsparteien gegen dieses Gesetz keinen Einspruch erheben, und ich darf allen Fraktionen noch einmal die Annahme dieser Gesetzesmaterien empfehlen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

11.03


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster ist Herr Bundesrat Hammerl zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Kollege.

 


11.03.36

Bundesrat Gregor Hammerl (ÖVP, Steiermark): Geschätzte Frau Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Meine geschätzten Damen und Herren! Als letzter Redner zu diesem Thema, nachdem bereits in der Aktuellen Stunde und jetzt zum Gesundheitsreformumsetzungsgesetz vieles und alles gesagt worden ist, möchte ich auch allen Damen und Herren, die heute gesprochen haben, von allen Fraktionen, Danke sagen.

Viele haben recht gehabt. Ich glaube, jeder hat es innerlich sehr gut gemeint, und es ist ja, keine Frage, ein schwieriges Problem. Trotzdem, meine Damen und Herren, möchte ich sagen: Wir haben bei uns in Österreich – das ist schon erwähnt worden – von allen 28 EU-Ländern das beste Gesundheitssystem. Wir haben das höchste Pfle­gegeld nicht nur europaweit, sondern weltweit. Die Frage, über die wir dann diskutieren müssen, ist allerdings, wie wir das auch weiter finanzieren können.

Ein wichtiger Punkt, meine Damen und Herren, ist, dass es trotzdem eine Veränderung braucht. Meine Hausärzte vom Hilfswerk Steiermark schauen jetzt zu, ich muss also doch auch etwas über den Bereich der Hausärzte sagen. Meine Damen und Herren, unser medizinisches System braucht eine Veränderung, um auch in Zukunft näher am Menschen sein zu können. Trotzdem: Die Kosten sind, das wissen wir alle, nicht mehr überschaubar und nicht mehr finanzierbar.

Ich denke jetzt an alle neun Bundesländer, die haben alle das gleiche Problem. Bei uns in der Steiermark die KAGes: Wir hatten vor circa 28 Jahren noch 8 000 Bedienstete, jetzt haben wir 18 000 Bedienstete, und uns fehlen, wie Herr Kollege Krusche schon gesagt hat, mindestens 500 Ärzte. Das ist natürlich ein Problem, und es wurde bei uns diskutiert, wann, wie, wo wir das bewältigen können.

Das bedeutet aber nicht, meine Damen und Herren, einen vollständigen Umbau des Systems, sondern einen ergänzenden Ausbau. Unser Hausarztsystem ist nämlich wei-


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 43

ter­hin eine tragende Säule, und so muss dieses System auch bleiben. Die Öster­reicherinnen und Österreicher schätzen ihren Hausarzt als kompetent, unverzichtbar für die persönliche, dauerhafte medizinische Betreuung.

Der Hausarzt, meine Damen und Herren, ist die Person, die den Menschen kennt und die Entwicklung des Patienten und der Patientin am besten abschätzen kann. In Bezug auf die Hausärzte droht aber ein Engpass. Ausgebildete Medizinerinnen und Mediziner streben nicht mehr eine Allgemeinmediziner-Praxis an. Dafür gibt es vielerlei Gründe – das wurde heute schon erwähnt –, ein gewichtiger dabei ist die zeitliche wie auch die fachliche Belastung, aber auch die finanzielle.

Wir wissen, dass heute ein Hausarzt dort, wo er die Hausapotheke nicht mit überneh­men kann, nicht existieren kann. Ich habe mit der mobilen Hauskrankenpflege zu tun und ich habe über 3 000 Angestellte in diesem Bereich. Wir betreuen in der Steiermark circa 1 600 Personen täglich. Nun haben wir noch das Hilfswerk und das Rote Kreuz. Das heißt, knapp 7 000 Frauen und Männer betreuen in der mobilen Hauskranken­pflege. Wir haben 217 Pflegeheime in der Steiermark, und wer wird dort sein? – Auch das sind die Hausärzte, und insbesondere im mobilen Bereich sind das auch die Hausärzte. Das heißt, wir brauchen sie.

Weiters haben wir in der Steiermark derzeit über 7 000 Frauen und Männer, die in der 24-Stunden-Betreuung tätig sind. Auch für die Betreuten sind Hausärzte notwendig, denn nur der Hausarzt kommt dorthin, keine Frage, wenn er gebraucht wird.

Es wird auch in Zukunft nicht einfach sein, das Niveau hier aufrechtzuerhalten. Ich bin mir aber sicher, dass mit dem vorliegenden Primärversorgungsgesetz eine Maßnahme ergriffen wird, um den Hausärztemangel zu beheben, nicht aber, wie von manchen vorgeworfen wird, den Hausarzt zu ersetzen.

Es geht nämlich um ein wichtiges Element unseres subsidiären Gesundheitswesens, nämlich die Primärversorgungszentren. Mit diesen Einrichtungen kann eine umfas­sende medizinische Betreuung in den verschiedenen Bereichen in der Nähe der Patienten und Patientinnen erreicht werden.

Die Krankenhausambulanzen finden dadurch Entlastung. Es wurde heute schon erwähnt, welchem Druck die Ambulanzen ausgesetzt sind. Wir haben in den Ambulan­zen zu wenig Personal, und wir haben durchgerechnet und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass allein in der Steiermark die Belastung der Ambulanzen der 27 Kran­kenhäuser circa 140 Millionen € ausmacht. Vielleicht ist es dadurch auch möglich, dass wir gewisse Kosten einsparen.

Meine Damen und Herren, insbesondere in ländlichen Gegenden kann für die Patien­tinnen und Patienten ein neues Gesundheitsnetz geknüpft werden – die unver­zichtbare Basis für Menschen, die ihnen nahe sind, die sie kennen und weiterhin auch betreuen.

Meine Damen und Herren, noch einmal: Ohne Hausärzte wird es nicht gehen, und ich bin sicher, dass wir auch den finanziellen Bereich etwas überdenken müssen. Wir haben im Hilfswerk Steiermark vier Ärzte gehabt, junge Ärzte um die 30, 35 Jahre. Diese sind aber in den letzten vier Monaten ins Ausland gegangen, drei in die Schweiz und einer nach Deutschland. Das heißt, das Finanzielle ist immer noch ein Anlass für Ärzte, den Platz zu wechseln.

Ich schließe damit und möchte nur noch ganz kurz Danke sagen. Ich bin sicher, dass diese Primärversorgungszentren eine große Sache sind, die in unserem medizinischen System eine Lücke schließen. Ich wünsche allen, die damit zu tun haben, viel Kraft! Frau Minister, alles, alles Gute! – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

11.09



BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 44

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich darf nunmehr Frau Bundesministerin Dr. Rendi-Wagner um ihren Redebeitrag bitten. – Bitte.

 


11.09.23

Bundesministerin für Gesundheit und Frauen Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Bundesrätinnen und -räte! Auch ich darf zum Schluss noch ganz kurz, ich verspreche es, auf das Gesetz eingehen. Zunächst vielen Dank für Ihre zahlreichen und, ich würde schon sagen, überwiegend positiven Stellungnahmen zu diesem Gesetz.

Wie Sie wissen, gibt es zwei Pilotprojekte, sie wurden erwähnt: eines in Enns, ganz neu, wirklich im wahrsten Sinne auf der grünen Wiese gebaut, wunderbar. Ich lade alle ein, die eine Idee haben wollen, wie ein Primärversorgungszentrum innen ausschauen und organisiert sein soll, sich dort vor Ort ein Bild zu machen.

Ich habe es persönlich vor bereits zwei Monaten gemacht, habe dort mit den PatientIn­nen geredet, aber auch mit dem Personal, mit den ÄrztInnen, mit den TherapeutInnen, mit den Pflegekräften, und mein Eindruck war mehr als positiv. Ich habe mir gedacht: Verdammt, 20 Jahre zu spät! – Ich würde in solch einem Primärversorgungszentrum als Medizinerin, als Ärztin arbeiten wollen. Vor 20 Jahren war davon, wie Sie wissen, noch keine Spur.

Das zweite Zentrum ist in Wien-Mariahilf, auf der Mariahilfer Straße, auch dort war ich persönlich vor Ort und konnte mich davon überzeugen, dass große Zufriedenheit auf beiden Seiten, Patienten und Patientinnen und Personal, herrscht. Und es wurde mir auch mitgeteilt, dass ein Aufnahmestopp herrscht, weil es einen so großen Andrang und so großen Zuspruch seitens der PatientInnen gibt, die alle dort behandelt und betreut werden wollen. Also es ist ein Bedarf da, und diesem gilt es Rechnung zu tragen.

Wenn wir – und ich würde sagen, diese zwei Piloten sprechen dafür, dass es ein Erfolgskonzept ist – dieses Erfolgskonzept rasch und systematisch in die Breite bringen wollen, braucht es dafür eine Gesetzesgrundlage. Und genau deswegen brauchen wir ein Gesetz, nämlich um die Geschwindigkeit des Ausbaus voranzu­treiben. Ohne Gesetz würde es viel zu langsam voranschreiten: Seit 2014 gibt es das Konzept, nun haben wir 2017, in drei Jahren entstanden zwei PHCs. Also die Ge­schwin­digkeit des Ausbaus könnten Sie sich jetzt ausrechnen: Bis wir 75 erreichen, wäre irgendwie 2040 oder so. So lange dürfen wir die Österreicherinnen und Österreicher nicht warten lassen, damit sie zu dieser guten, modernen und notwen­digen Versorgungsform kommen.

Wir brauchen ein Gesetz, weil das Gesetz inhaltliche Anforderungen medizinischer Kompetenznatur regelt und an die ÄrztInnen stellt, die dort arbeiten, aber auch an das nichtärztliche Gesundheitspersonal. Das Gesetz regelt auch die organisatorischen Rahmenbedingungen, die solch ein Zentrum erfüllen muss, angefangen von den Öffnungszeiten, der Erreichbarkeit und dergleichen, all das ist einheitlich definiert. Aber, und ich habe das schon erwähnt, es gibt schon die Möglichkeit des regionalen Bedarfs, auf den bei der organisatorischen Ausgestaltung dieser Zentren eingegangen wird; das zu erwähnen ist auch ganz wichtig.

Das Gesetz ist erstmals eine legistische Grundlage, die neue Wege beschreitet, was die Vertragsbeziehungen und die Honorierungs-, Bezahlungssysteme in diesen Zentren zwischen Sozialversicherung und den jeweiligen Trägern und Trägerinnen dieser Zentren oder Netzwerke betrifft. Es ist auch ein innovativer Schritt, was sozusagen den administrativen Aspekt dieser Zentren betrifft, weil es damit regelt, dass Ärzte und Ärztinnen mehr Zeit für ihre Patienten und Patientinnen haben, die sie


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 45

sich auch gerne nehmen wollen. Wir wissen, dass die Mediziner und Medizinerinnen das wollen, und wir wissen, dass die Patienten und Patientinnen das auch wollen.

Es ist im Gesetz auch klar geregelt, wie diese neue Versorgungsform verschränkt werden soll mit bestehenden Versorgungsformen, mit den bestehenden Einzelordi­nationen der Hausärzte und -ärztinnen. Und das ist ganz klar und uns wichtig: Es ist kein totaler Ersatz des alten Systems, sondern es ist eine intelligente Verschränkung einer weiterentwickelten Versorgungsform mit bestehenden. Und man wird sehen – am Schluss entscheiden die handelnden Personen, das ist die Bevölkerung, welches System sich mittel- und langfristig durchsetzt. Das ist eine Frage, deren Beantwortung wir abwarten müssen.

Was die Entstehungsgeschichte des Gesetzes betrifft, so wurde in den letzten vier, fünf Jahren sehr intensiv dazu diskutiert, mit Expertinnen und Experten, mit den Stake­holdern, mit den Berufsgruppen, das sind die Ärzte und Ärztinnen auf der einen Seite, aber auch die nichtärztlichen Gesundheitsberufe, die sehr intensiv in die Konzeption von Primärversorgung Neu involviert waren. Sie waren sehr intensiv in die Konzept­erstellung damals, 2014, involviert; es ist ganz wichtig, das festzuhalten. Und es gab, wie Sie wissen, intensive Gespräche bis zuletzt, bis vor wenigen Wochen wurden noch die letzten Schliffe am Gesetz gemacht, nicht zuletzt deswegen, weil wir auch den zahlreichen Stellungnahmen im Rahmen der Begutachtung dieses Gesetzes Rech­nung tragen wollten, und da kamen viele auch von den Gruppen der nichtärztlichen Berufe.

Und ich kann nur so viel sagen: Es wurde diesen auch Rechnung getragen, indem in der Überarbeitung auch die nichtärztlichen Gesundheitsberufe explizit in diesem Gesetz erwähnt werden, die multiprofessionelle Versorgungsform findet explizit Erwähnung, und aus einer Kann-Bestimmung wurde eine Soll-Bestimmung gemacht, insoweit dass, wenn der regionale Bedarf den Bedarf an nichtärztlichen Berufen in der Richtung Psychotherapie festlegt, dieses Zentrum diesen Bedarf erfüllen muss – durch die Einbeziehung des jeweiligen nichtärztlichen therapeutischen Berufes.

Also man hat hier sehr wohl die Anliegen und Anregungen, die vonseiten der nicht­ärztlichen Gruppierungen und Interessenvertretungen an uns herangetragen wurden, berücksichtigt. Ich habe persönlich in den letzten Wochen viele Gespräche mit den VertreterInnen auch aus den nichtärztlichen Berufen, die wir auch eingebaut haben, geführt.

Insofern ist aus meiner Sicht eine sehr gute Lösung herausgekommen, die allen Menschen in diesem Land in den nächsten Jahren etwas bringen wird. Wie gesagt, die Qualität wird sich am Ende durchsetzen, und die Bevölkerung wird entscheiden, wie wir hier dann weitertun. Ich glaube, es ist der Beginn eines Prozesses, und es ist wichtig, dass wir nun rasch in Umsetzung kommen, und es liegt an uns allen, wie erfolgreich wir dabei sind. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

11.16

11.16.18

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Danke.

Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlos­sen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 46

11.16.442. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Suchtmittelgesetz geändert wird (SMG-Novelle 2017) (2240/A und 1716 d.B. sowie 9883/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nun zum 2. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Anderl. – Ich bitte um den Bericht.

 


11.17.17

Berichterstatterin Renate Anderl: Ich bringe den Bericht des Gesundheitsaus­schus­ses über den Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Suchtmittelgesetz geändert wird.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, daher komme ich zur Antragstellung.

Der Gesundheitsausschuss hat den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates in seiner Sitzung am 4. Juli 2017 in Verhandlung genommen und stellt nach Beratung der Vorlage mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Danke.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Ebner. – Bitte.

 


11.18.08

Bundesrätin Adelheid Ebner (SPÖ, Niederösterreich)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sucht ist kein Randproblem in der heutigen Gesellschaft, sondern sie betrifft Menschen in ganz Österreich. Mit dem Begriff Sucht sind nicht nur die Abhängigkeitserkrankungen gemeint, sondern die Gesamtheit von riskanten, missbräuchlichen und abhängigen Ver­haltensweisen im Zusammenspiel mit Suchtmitteln, egal ob legal, wie dem Alkohol oder dem Rauchen, oder illegal, sowie nicht stoffgebundene Verhaltensweisen – Glücksspiel oder Internetgebrauch –; damit seien nur einige erwähnt.

Es gibt aber die unterschiedlichsten Gründe, warum man süchtig wird. Häufig liegen dahinter dramatische persönliche Schicksalsschläge. Abhängigkeitserkrankungen sind schwere chronische Krankheiten, die zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträch­tigungen und zu einer vorzeitigen Sterblichkeit führen können. Ziel der Politik muss es sein, den Konsum dieser Suchtmittel zu reduzieren beziehungsweise gänzlich zu vermeiden. Aus diesem Grunde wird das derzeit geltende Suchtmittelgesetz geändert.

Als Maßnahme im Gesamtpaket soll die Grundlage für eine engere Kooperation zwischen den Ärzten, Apotheken und Amtsärzten geschaffen werden, damit im Um­gang mit suchtmittelhaltigen Arzneimitteln besser als bisher gegengesteuert werden kann. So haben in Zukunft die Apothekerinnen und Apotheker die Möglichkeit, ohne dabei die datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu verletzen, Patienten, die augen­scheinlich Probleme mit suchtmittelhaltigen Arzneimitteln haben oder Rezepte von mehreren Ärzten vorlegen, die augenscheinlich mit dem Eigenbedarf nichts zu tun haben, den betreffenden Ärzten zu melden. Diese Information ist in der ärztlichen Behandlung wichtig, um auf die Problematik hinzuweisen beziehungsweise präventiv darauf eingehen zu können.

Analog gilt für die Amtsärzte, dass diese ebenfalls suchtmittelrechtliche Verstöße beziehungsweise Hinweise aus den Apotheken rasch dem behandelnden Arzt mitteilen können, damit der Arzt die nötigen Schritte einleiten kann.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 47

Im Rahmen der Erfassung und der Analyse der mit Suchtgiftkonsum in Zusam­men­hang stehenden Todesfälle sind dem Gesundheitsministerium unter anderem die betreffenden Obduktionsberichte beziehungsweise Totenbeschaubescheinigungen zu übermitteln, ausgenommen, wenn sich bei der Obduktion ergibt, dass es eine andere Todesursache gibt. Österreichweit geht man davon aus, dass bei einem kleineren Teil der in Opioid-Substitutionsbehandlung befindlichen Personen – schätzungsweise sind das circa 10 Prozent – ein Anlass für eine Meldung von der Apotheke an die Bezirks­verwaltungsbehörde wegen Wahrnehmungen im Umgang mit suchtmittelhaltigen Arzneimitteln gegeben sein kann.

Des Weiteren wird durch die Anforderung von Daten bei der Statistik Austria eine gesetzliche Grundlage geschaffen, um die Sterberate im Zusammenhang mit Drogen­konsum berechnen zu können.

Die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit der Bevölkerung ist Ziel unserer Gesundheitspolitik, und unsere Fraktion wird diesem Gesetz die Zustimmung erteilen. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

11.21


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich darf unserer Frau Ex-Präsidentin (Bundesrätin Ledl-Rossmann: Alt-Präsidentin!) – nein, bei dir bringe ich „Alt-Präsidentin“ nicht über die Lippen – das Wort erteilen. – Bitte.

 


11.21.46

Bundesrätin Sonja Ledl-Rossmann (ÖVP, Tirol): Frau Präsidentin! Geschätzte Frau Bundesministerin! Kolleginnen und Kollegen! Die Novellierung des Suchtmittelgesetzes ist zweifelsohne ein wichtiges Thema, das vielleicht tagespolitisch nicht immer präsent ist, aber wirklich Tausende Menschen in Österreich betrifft. Meine Vorrednerin hat ja schon sehr viel, und auch sehr detailliert, dazu gesagt, und ich werde das nicht alles wiederholen.

Ich darf aber auf zwei Dinge noch einmal aufmerksam machen, die ich bei diesem Thema wirklich sehr wichtig finde: Bei der Substitutionsbehandlung ist es wirklich wichtig, die schon angesprochene Vernetzung und die Kooperation zwischen den ver­schiedenen Ärzten, Apotheken, bis hin zu psychotherapeutischen Diensten, also von all jenen, die damit zu tun haben, auszubauen, um genau die Gefahrenmomente zu reduzieren, wie beispielsweise, dass eben zusätzlich noch Rezepte unter Umständen von anderen Ärzten verschrieben werden, wenn einer schon in der Substitutions­therapie behandelt wird. Außerdem läuft man auch Gefahr, dass Medikamente oder Mittel an Dritte weitergegeben werden.

Dass diese Kooperation und Vernetzung gelingt, ohne den Datenschutz zu verletzen, ist natürlich eine große Herausforderung und auch ein sehr sensibles Thema für all jene, die davon betroffen sind und damit zu tun haben. Daher ist es, glaube ich, gerade bei solchen Gesetzen wichtig, dass – wie es bei dieser Novellierung stattgefunden hat – auch die Expertinnen und Experten ganz klar mitreden, mitgestalten, um diese Gratwanderung zwischen Vernetzung, Kooperation, aber auch Datenschutz hinzu­bekommen. Und ich denke, das ist hiermit sehr gut gelungen.

Die Substitutionsbehandlung gerade bei Opioiden, in den meisten Fällen bei Heroin, ist eine sehr wichtige Behandlung – im Gegensatz zu der früher wahrscheinlich oft mehr propagierten Abstinenztherapie. Wir haben ja auch vorgestern im Ausschuss darüber gesprochen, dass gerade die Abstinenztherapie sehr gefährlich für Menschen ist und es nachweislich Zahlen gibt, die aussagen, dass, wenn jene Menschen wieder rückfällig werden, die Mortalitätsrate steigt, weil der Körper auf die ursprüngliche Dosis, die er quasi gewohnt war, nicht mehr eingestellt ist. Ich denke, dass das wirklich sehr


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 48

gefährlich ist. Bei der Substitutionstherapie soll und muss es ja das Ziel sein, dass man die Menschen von diesen Drogen wieder wegbringt oder sie zumindest wieder sta­bilisiert.

Es ist das ein Weg, den Österreich in den vergangenen Jahren auch schon sehr gut gegangen ist, und es gibt ja auch Zahlen, die beweisen, dass rund ein Drittel meist ganz von den Drogen wegkommt und die meisten stabilisiert werden können. Aber es gibt eben noch 10 bis 15 Prozent Problemfälle. Ich glaube, gerade die müssen uns dazu animieren, diesen Weg weiterzugehen, denn, Kollegin Ebner hat es schon aus­geführt, die Gründe für eine Sucht sind vielfältig, können viele treffen, liegen sehr oft im psychiatrischen Bereich. Und ich glaube, es darf nie passieren, dass man diesen Menschen Schuld zuspricht. Es muss vielmehr unser Ziel sein, dass wir sie auf dem Weg heraus begleiten, dass vor allem mit einer guten Substitutionstherapie verhindert wird, dass zusätzliche gesundheitliche Risiken, wie eine Ansteckung mit Hepatitis C oder HIV, entstehen. Und zum Zweiten müssen wir auch gemeinsam verhindern, dass die Betroffenen durch verschiedene Umstände in die Kriminalität absinken. Ich glaube, das müssen unsere obersten Ziele sein.

Deswegen darf auch ich abschließend noch sagen, dass unsere Fraktion sehr gerne diesem Gesetz, dieser Novellierung, dieser Behandlungsleitlinie zustimmen wird, weil ich überzeugt bin, dass das für viele Tausende Menschen, die dieses Thema betrifft, ein sehr wichtiger Schritt ist. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

11.25


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bevor wir die Debatte fortführen, darf ich in unserer Mitte Herrn Bundesminister Dr. Mahrer begrüßen. Herzlich willkommen im Bundesrat! (Allgemeiner Beifall.)

Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Ecker zu Wort. – Bitte.

 


11.26.13

Bundesrätin Rosa Ecker (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Minister! Ge­schätztes Präsidium! Liebe Damen und Herren hier im Bundesratssaal und zu Hause! Mit dem vorliegenden Gesetz schließen wir eine Lücke im Substitutionsprogramm im Bereich der Drogensucht. Wir haben schon gehört, dass manche Dinge geändert werden; ich will das von meinen beiden Kolleginnen bereits Gesagte nicht wiederholen.

Meiner Meinung nach ist wichtig, dass es auch Strafen gibt, die vorgesehen sind. Das heißt, sollten Ärzte die Pflicht der Dokumentation und Meldung nicht erfüllen, sind Strafen von bis zu 3 600 € vorgesehen. Unserer Meinung nach sollten die Substitu­tionsprogramme auch immer regelmäßig evaluiert und an die Patienten individuell angepasst werden. Es waren zwar Auskunftspersonen im Ausschuss, diese haben uns aber keine Zahlen vorlegen können, inwieweit es Erfolgsquoten gibt bei der sozialen und beruflichen Rehabilitation, die meiner Meinung nach auch interessant wären.

Schlussendlich muss man feststellen, dass das Drogen-Substitutionsprogramm nur eine Bekämpfung von Ursachen bewirkt. Und so wie in jedem Bundesland gibt es auch in Oberösterreich eine Drogenszene, und das bedeutet auch Straftatbestände, die meistens mit der Drogensucht in Zusammenhang stehen. Wir sprechen hier von Be­schaffungskriminalität, von kleineren und größeren Einbrüchen bis zu Fahrraddieb­stählen, die damit in Zusammenhang stehen.

In Oberösterreich sind seit März mehrere Drogentestgeräte im Einsatz, und innerhalb kurzer Zeit konnten dort bereits 19 Drogenlenker ertappt werden. Das deutet darauf hin, dass wesentlich mehr Suchtkranke in unserem Land unterwegs sind, auch mit dem Auto, als wir uns vielleicht vorstellen können. Im Straßenverkehr zeigen Alkoholdelikte


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sinkende Tendenz und Drogendelikte steigende Tendenz, das muss schon nachdenk­lich stimmen.

Das heißt für mich: Es muss zusätzlich zur Therapie auch hart und effektiv gegen den Drogenhandel im Land vorgegangen werden. Und man liest in der Zeitung oft von Cannabisanbau im Wohnzimmer, das werden wir vielleicht nicht so schnell verhindern können, aber nach Österreich führen auch internationale Schmuggelrouten, unter ande­rem werden über die Balkanroute auch Heroin, Kokain und manch andere Sucht­mittelarten verschoben.

Grundsätzlich gibt es in unserem Land, auch in Oberösterreich, gute stationäre Ange­bote für die Therapie, zum Beispiel umgebaute Bauernhöfe, wo drogenabhängige kranke Menschen zu einer abstinenten Lebensführung wieder herangeführt werden können. Aber wie wir wissen, ist die Substitutionstherapie unter anderem für schwer Drogenkranke, damit die Betreuung entsprechend funktioniert und sie langfristig sozial stabilisiert werden. Wir alle wissen, Suchterkrankungen sind nicht vollständig heilbar, die Anfälligkeit bleibt bestehen, und es braucht daher unsere Unterstützung. (Beifall bei FPÖ und SPÖ.)

11.29


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Dr. Reiter zu Wort. – Bitte.

 


11.29.36

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Frau Minister! Frau Präsi­dentin! Werte Kollegen und Kolleginnen! Werte Zuhörer! Das Thema ist ja schon relativ umfassend behandelt worden. Wir sind der Meinung, dass es sich um eine wichtige Modernisierung und Verbesserung handelt, die in dem Gesetz vorgenommen wird; das ist wichtig. Es ist wichtig, dass mit den Patienten und Patientinnen anders und offener umgegangen wird; von diesem ganz restriktiven Zugang in Richtung Abstinenz ist man doch etwas abgekommen, und die Behandlung wird nicht sofort abgebrochen, wenn der Therapieerfolg nicht gegeben ist oder sozusagen Störungen eintreten. Es ist wich­tig, die Betroffenen weiter in der Behandlung zu halten. Das ist auch deshalb wichtig, weil wir wissen, dass, wenn es zu einem Rückfall kommt, die Mortalitätsraten sehr hoch sind und das ein sehr gefährlicher Zeitpunkt ist für die Betroffenen. Sucht ist eine chronische Erkrankung und braucht damit auch eine sehr lang andauernde Hilfe und immer wieder die Möglichkeit der Therapie. Die Behandlungsleitlinien sind neu aufge­stellt worden, und das ist wichtig.

Ein bisschen skeptisch bin ich hinsichtlich der Datenweitergabe. Das ist vielleicht schon ein kritischer Punkt. Das wird man sich längerfristig anschauen müssen, weil es einen sehr großen Personenkreis betrifft, der sensible Daten bekommt oder Zugang zu doch sehr sensiblen Daten hat. Also ich glaube, da muss man das Augenmerk darauf legen, dass es nicht zu Missbrauch oder zu einem Schaden für die Betroffenen kommt. Aber wir stimmen dem Gesetz gerne zu. – Danke. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

11.31


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesminister Dr. Rendi-Wagner. – Bitte, Frau Minister.

 


11.31.36

Bundesministerin für Gesundheit und Frauen Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc: Frau Präsidentin! Geschätzte Bundesrätinnen und Bundesräte! Sehr geehrte Damen und Herren! Ganz kurz zu dieser Regierungsvorlage – vielen Dank für diese positive Resonanz Ihrerseits. Ich freue mich wirklich, dass heute die Novelle zum Sucht­mittelgesetz hier beschlossen werden wird, weil diese Novelle eine wichtige Verbes-


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serung in der Behandlung suchtkranker Menschen in Österreich darstellt; das steht außer Zweifel.

Dieses Gesamtpaket ist nicht einfach so entstanden, dem gehen intensive Arbeiten auf Expertenebene voraus, und das sind Experten und Expertinnen aus den verschie­densten Bereichen. Sie haben es erwähnt: Suchterkrankung ist ein Thema, das vor allem einen starken gesellschaftlichen, soziologischen und auch strafrechtlichen Kon­text hat. Und deswegen wurden Experten und Expertinnen aus den verschiedenen Fachbereichen einbezogen – nicht nur medizinischer Natur, Ärzte, Therapeuten und psychosoziale Experten, sondern auch StrafrechtsexpertInnen waren intensiv in jahrelanger Arbeit damit beschäftigt, diese Novellierung zustande zu bringen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle die Gelegenheit nützen, all diesen ExpertInnen zu danken, und natürlich auch den Experten und Expertinnen meines eigenen Hauses. (Allgemeiner Beifall.)

Sie alle haben schon erwähnt, dass ein Teil dieses Gesamtpaketes im Bereich Sucht­mittelsubstitution auch eine Behandlungsleitlinie ist, und die ist wesentlich. Sie ist von allen relevanten Fachgesellschaften getragen, und das sind zahlreiche; da gibt es vier Fachgesellschaften, die involviert sind und sicherstellen, dass wir damit eine inter­national anerkannte, qualitätsgesicherte, evidenzbasierte Substitutionsbehandlung in Österreich für suchtkranke Menschen haben.

Sehr geehrte Damen und Herren! Mit diesem Paket verbessern wir die Situation Tau­sender Menschen. Es sind Tausende Menschen in Österreich, die sich derzeit in einer Substitutionsbehandlung befinden. Aber wir unterstützen damit auch jene Kollegen und Kolleginnen, vor allem im ärztlichen Bereich, die diese Menschen begleiten und behan­deln, und auch das ist wesentlich an dieser Novellierung.

Daher freue ich mich, dass dieser Antrag bereits im Nationalrat einstimmig angenom­men wurde, und hoffe auch heute auf Ihre breite Zustimmung. – Vielen Dank. (Allge­meiner Beifall.)

11.34

11.34.22

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlos­sen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

11.34.443. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend Änderung des Arti­kels 124 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (1644 d.B. und 1701 d.B. sowie 9887/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Nun gelangen wir zum 3. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Oberlehner. Ich bitte um den Bericht.

 


11.35.09

Berichterstatter Peter Oberlehner: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wertes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf den Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten zum Tagesordnungspunkt Beschluss


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 51

des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend Änderung des Artikels 124 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs zur Kenntnis bringen.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, ich stelle daher gleich den Antrag.

Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wortmeldungen liegen mir dazu keine vor.

Wünscht jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Wir gelangen daher sogleich zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit ange­nom­men.

11.36.304. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz, das Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 hinsichtlich des Schul­wesens geändert wird, das Bundesverfassungsgesetz über die Begrenzung von Bezügen öffentlicher Funktionäre, das Unvereinbarkeits- und Transparenz-Gesetz, das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz und das Verwaltungsgerichts­hofgesetz 1985 geändert werden, ein Bundesgesetz über die Einrichtung von Bildungsdirektionen in den Ländern erlassen wird, das Ausschreibungs­ge­setz 1989, das Schulorganisationsgesetz, das Land- und forstwirtschaftliche Bundesschulgesetz, das Pflichtschulerhaltungs-Grundsatzgesetz, das Schulzeit­gesetz 1985, das Minderheiten-Schulgesetz für das Burgenland, das Minder­heiten-Schulgesetz für Kärnten, das Bundesgesetz BGBl. Nr. 420/1990, das Schulunterrichtsgesetz, das Schulunterrichtsgesetz für Berufstätige, Kollegs und Vorbereitungslehrgänge, das Hochschulgesetz 2005, das Schulpflicht­ge­setz 1985, das Berufsreifeprüfungsgesetz, das Pflichtschulabschluss-Prüfungs-Gesetz, das Schülerbeihilfengesetz 1983, das Privatschulgesetz, das Religions­unter­richtsgesetz, das Bildungsdokumentationsgesetz, das Schülervertretun­gen­gesetz, das BIFIE-Gesetz 2008 sowie das Bildungsinvestitionsgesetz geän­dert werden, das Bundes-Schulaufsichtsgesetz aufgehoben wird und das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, das Gehaltsgesetz 1956, das Vertragsbediensteten­gesetz 1948, das Bundeslehrer-Lehrverpflichtungsgesetz, das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz, das Land- und forstwirtschaftliche Landeslehrer-Dienst­rechtsgesetz, das Landesvertragslehrpersonengesetz 1966, das Land- und forst­wirtschaftliche Landesvertragslehrpersonengesetz, das Bundes-Personalvertre­tungsgesetz und das Unterrichtspraktikumsgesetz geändert werden (Bildungs­reformgesetz 2017) (2254/A und 1707 d.B. sowie 9852/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Wir kommen zum 4. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat René Pfister. Ich bitte um den Bericht.

 


11.36.44

Berichterstatter René Pfister: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Unterricht, Kunst und Kultur zum Bildungsreformgesetz 2017. Dieses beinhaltet unter anderem die Neuordnung der Behörden, den Ausbau der Schulautonomie und die Möglichkeit des Clusterns.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 52

Der Ausschuss für Unterricht, Kunst und Kultur stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag,

1. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben,

2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Art. 44 Abs. 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Danke.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte.

 


11.37.32

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Minister! Sehr geehrte Damen und Herren hier und zu Hause! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Nationalrat hat eine Kollegin gesagt, die Kinder haben das beste Bildungssystem verdient. Da gebe ich ihr ja grundsätzlich recht, aber ich frage mich schon: Wenn die Kinder das beste Bildungssystem verdient haben, warum wird dann dieses Paket beschlossen? (Bundesrat Schennach: Weil es auf dem Weg zum besten BiIdungssystem ist!) In diesem Paket – Herr Kollege Schennach, der Sie ja ein ausgewiesener Bildungsexperte sind – ist nämlich nur an den Schrauben gedreht worden. Da sind ein paar positive Dinge dabei, das wollen wir gar nicht verhehlen, aber im Großen und Ganzen ist es das, was immer im Bildungssystem passiert: ein Fleckerlteppich, wo halt ein Fleckerl ausgebessert wird, eines kommt dazu, aber die wesentlichen Probleme werden nicht angegangen.

Nehmen wir einmal nur die Bildungsdirektionen her. Das klingt ja wirklich alles sehr bestechend, in Wirklichkeit, sage ich, werden nur die Türschilder ausgetauscht. Auch der jetzige Präsident kann ein Bildungsdirektor werden. Ja, Sie haben sich da so einem demokratischen Prozess verschrieben, dass das ausgeschrieben werden muss. Ich kann Ihnen aber aus langjähriger Erfahrung als Vizepräsidentin des Stadtschulrates für Wien, aber auch als Mitglied des Kollegiums sagen: Ja, die Direktorenstellen sind auch ausgeschrieben worden, und man hat sogar ein externes Institut beauftragt, das objektiv zu beurteilen. Aber Fakt war, zuerst ist einmal geschaut worden: Welches Parteibuch hat er, hat er eh das richtige? Und dann ist es der geworden, den man haben wollte, denn Sie können mit jeder Expertise alles zurechtstricken, was immer Sie wollen, und das wird hier genauso passieren. Also Bildungsdirektion: Türschild­austausch, und das war es dann schon. (Bundesrätin Kurz: Das ist eine Unter­stel­lung!)

Stattdessen haben Sie die Kollegien abgeschafft – das Kollegium als einzig demo­kratisch legitimiertes Gremium, das beschlussfähig ist, auch wenn es von den Parteien beschickt wird.

Im Stadtschulrat für Wien haben wir ziemlich viele Dinge einstimmig beschlossen – nur damit dokumentiert ist, dass es quer über die Parteigrenzen hinweg durchaus Einigkeit gegeben hat, wenn ein Direktor bestellt wurde. Da war es uns dann egal, ob es ein Roter oder ein Schwarzer war – wenn er gut qualifiziert war, dann soll er den Job auch machen, da spricht ja nichts dagegen! Mich stört ja nur, dass man zuerst fragt, ob er das richtige Parteibuch hat, und erst danach die Qualifikation anschaut. Im Grunde genommen ist es mir egal, wer welches Parteibuch hat, er muss nur die entsprechende Qualifikation haben, darum geht es.

Die Kollegien sind mit 2019 Geschichte. Darin waren aber Elternvertreter, Lehrer­vertreter und sonstige Personen vertreten. Jetzt kommt ein Beirat, der zufälligerweise von den Sozialpartnern beschickt wird und nur eine beratende Stimme hat. Er hat


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 53

angeblich absolute Akteneinsicht. – Schön, der Vizepräsident des Stadtschulrates – dort, wo es einen Vizepräsidenten gibt, das ist ja nicht in jedem Bundesland so – hat auch absolute Kontrollrechte gehabt. Was macht jetzt eigentlich der Beirat mit den Erkenntnissen, die er aus der totalen Akteneinsicht gewinnt? – Das wissen wir nicht.

Die Sonderpädagogischen Zentren sollten abgeschafft werden. Jetzt haben Sie sich dazu durchgerungen, dass die Sonderschulen doch bleiben sollen, da selbst Sie erkannt haben, dass sie vielleicht eine gewisse Berechtigung haben. Das glauben wir schon lange, wir sind ja schon immer dafür eingetreten, Sonderschulen auch zu belas­sen.

Das Verstörendste an diesem ganzen Paket ist für mich das Modell der Gesamt­schulregion, bei dem auch die ÖVP einen Kniefall vor den Grünen gemacht hat. (Zwischenruf der Bundesrätin Zwazl.) Sie haben ja lange hinhaltenden Widerstand geleistet. Bei der Gesamtschule waren Sie sich ja nie so ganz einig, aber so im Großen und Ganzen haben Sie nach außen hin hinhaltenden Widerstand geleistet. (Zwi­schenruf des Bundesrates Stögmüller.) Na gut, der ist jetzt auch Geschichte. Es ist ja nicht das erste Mal, dass die ÖVP im Liegen umfällt.

Bei Ihrer vielgeliebten Gesamtschule, die ja vor allem SPÖ und Grüne so sehr schät­zen, ziehen Sie immer ganz krause Beispiele heran, um zu zeigen, dass es ja funk­tionieren muss. (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.) Sie nehmen sich Finnland als dieses große Beispiel. Finnland – und das sage ich nicht zum ersten Mal an dieser Stelle – hat einen Ausländeranteil von 1,8 Prozent. Viele der Probleme hier in Österreich hängen ursächlich mit der Zuwanderung, den mangelnden Deutsch­kenntnissen und der mangelnden Leistungsbereitschaft zusammen. – In Finnland: 1,8 Prozent, dies nur als Vergleich, Herr Kollege Stögmüller! Schweden hat das gleiche System wie Finnland, aber Schweden hat einen ähnlichen Ausländeranteil wie Öster­reich, und siehe da: Bei jeder PISA-Studie ist Schweden ungefähr dort, wo Österreich auch ist. Also was bei dem einen funktioniert, muss beim anderen unter anderen Bedingungen nicht auch funktionieren.

Ihr grüner Bildungssprecher Walser hat dann auch noch Südtirol als Vorbild heran­gezogen. (Zwischenruf der Bundesrätin Zwazl.) – Frau Kollegin Zwazl, vielleicht ver­stehen Sie etwas von der Wirtschaftskammer, aber bei den Bildungssystemen bin ich mir nicht mehr so sicher. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Dann müssen Sie sich Südtirol einmal anschauen! Es hat nämlich zwei Systeme, ein deutsches, das ist ein konser­vatives System, und ein italienisches, das ist Ihre geliebte Gesamtschule.

Das italienische System funktioniert aber nicht so gut wie das deutsche System. Warum eigentlich? – Aber nein, Sie nehmen das Südtiroler Modell, aber natürlich das italienische, da seit den Siebzigerjahren die Sozialdemokratie alles dazu beigetragen hat, das Bildungssystem immer weiter nach unten zu nivellieren. (Beifall bei der FPÖ.)

An den deutschen Schulen in Südtirol – damit sind wir wieder bei der Zuwanderung – gibt es einen Ausländeranteil zwischen 5 und 6 Prozent. In Wien haben wir einen Aus­länderanteil von 60 Prozent, österreichweit sind es 15 Prozent, glaube ich.

Und das alles nehmen Sie als Vorbild! Ich sage Ihnen jetzt schon, das wird bei uns nicht funktionieren, weil die Bedingungen nicht stimmen.

Wenn Sie noch einen Vergleich haben wollen, schauen Sie nach Deutschland! Schauen Sie sich die dortigen Gesamtschulen an! – Auch das sage ich nicht zum ersten Mal an dieser Stelle, denn man muss es Ihnen immer wieder sagen, vielleicht verstehen Sie es irgendwann einmal. In Deutschland gibt es seitens des Max-Planck-Instituts und von der BIJU-Studie Erkenntnisse, die zur Gesamtschule in ganz Deutschland – und wir nehmen die differenzierten Systeme Bayern, Baden-Württem-


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berg et cetera aus – Folgendes besagen: Im tollen Gesamtschulsystem hinken die Schüler mindestens zwei Jahre bildungsmäßig hinter den Gymnasien nach. Der soziale Unterschied, der Ihnen ja auch so wichtig ist, wird verstärkt und nicht verringert.

Also warum halten Sie an dem System, das sich ja nicht wirklich bewährt hat, fest? – Ich verstehe das nach wie vor nicht. (Bundesrat Schennach: Weil es die einzige kluge Alternative ist!) Es kann nur eine ideologische Ursache haben, die für mich dann so ausschaut: Sie wollen, dass möglichst alle Schüler auf einem unteren Niveau sind, damit Sie sie dann besser handhaben können. Anders kann ich mir das nämlich über­haupt nicht erklären, denn ein verantwortungsbewusster Politiker muss darauf schauen, dass die Kinder ein möglichst hohes Niveau haben. (Beifall bei der FPÖ.)

Überhaupt nicht angegangen wurden das Problem der Zuwanderung und das Problem, dass die Schüler nicht Deutsch können, das in den Ballungszentren größer ist als auf dem Land. Wobei Sie unseren Anträgen natürlich nie folgen können, etwa dem, der sagt: Zuerst müssen die Schüler Deutsch lernen, dann können sie dem Regelunterricht folgen, denn erst mit dem Spracherwerb können sie dem Regelunterricht folgen.

Ebenso wenig können Sie unserem Antrag folgen, der sagt, dass auch in der Pause Deutsch gesprochen werden soll. Warum? – Weil wir in den Klassen nicht nur eine Sprache haben. Es gibt auch solche, in denen zehn verschiedene Nationen unterwegs sind. Das, was Sprache ausmacht, ist ja auch das Üben. Es ist auch wichtig für die paar versprengten österreichischen Schüler, die noch in den Klassen sind, einander zu verstehen, denn es kann ja auch – die Grünen springen ja bei Diskriminierung immer sofort an – diskriminierend sein, wenn sich die anderen in einer anderen Sprache unterhalten, die ich nicht verstehe, da ich nicht weiß, was gesagt wird. – Das wären Dinge, die Sie hätten angehen müssen!

Es braucht einen Wertekatalog, sodass klar ist, dass unsere österreichischen, aber auch die europäischen Werte Geltung haben und sich jeder danach zu richten hat. Es kann nicht sein, dass der islamische Vater in die Schule geht und sagt: Mit Ihnen rede ich nicht, weil Sie eine Frau sind!, und der islamische Schüler sagt: Sie sind eine Lehrerin, Sie sind eine Frau, von Ihnen lasse ich mir überhaupt nichts sagen! – Das sind in Wien keine Einzelfälle, das kann ich Ihnen mitteilen. (Zwischenrufe bei SPÖ und Grünen.) Diese Dinge hätten Sie offensiv angehen müssen.

Schön, dass die Direktoren jetzt bei der Lehrerauswahl ein Mitspracherecht haben, das haben wir auch immer befürwortet und sehen wir durchaus positiv, wo aber haben Sie etwas gemacht, dass man sich von schlechten Lehrern leichter trennen kann? Und es gibt diese schlechten Lehrer! Sogar die Gewerkschaft gibt zu, dass es sie gibt. Von diesen muss man sich leichter trennen können, so schmerzhaft es für den Einzelnen sein kann. Wenn aber jemand für den Beruf nicht geeignet ist, hat er dort nichts verloren, denn gerade die Lehrer unter uns sollten ja wissen, wie schädlich und schlimm das für die Kinder ist, wenn ein Lehrer seinen Job nicht kann. (Vizepräsidentin Winkler gibt das Glockenzeichen.)

Dann gibt es die Brennpunktschulen, die Sie mit mehr Geld versorgen wollen. Das kann nur heißen, die besseren Schulen werden finanziell ausgehungert. (Bundesrat Stögmüller: Redezeit! – Vizepräsidentin Winkler gibt neuerlich das Glocken­zeichen.) – Frau Vizepräsidentin, darf ich noch eine Minute zusätzlich haben? Bei anderen bist du ja auch großzügiger.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Du hast schon eine Minute!

 


Bundesrätin Monika Mühlwerth (fortsetzend): Dann halt zwei. (Weitere Zwischenrufe des Bundesrates Stögmüller.)


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 55

Sie haben nicht mehr Geld zur Verfügung, das heißt, es wird umgeschichtet. Die guten Schulen und vor allem die Langform des Gymnasiums sind jetzt schon finanziell ausgehungert. Die wollen Sie noch mehr aushungern, womit Sie endlich dorthin kommen, wohin Sie kommen wollen: zu Ihrer geliebten Gesamtschule. Diese wird aber, das sage ich Ihnen, ein Rohrkrepierer werden. Sie werden nicht erreichen, was Sie wollen, nämlich dass das Bildungsniveau steigt. (Bundesrat Stögmüller: Rede­zeit!)

Ich kann nur sagen: bedauernswerte Kinder, bedauernswerte Eltern! Gute Nacht, Österreich! (Beifall bei der FPÖ.)

11.49


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Kurz. – Bitte, Frau Kollegin.

 


11.49.45

Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Mühlwerth, das wievielte Mal hast du jetzt diese Rede hier gehalten? Du bringst seit Jahren immer die gleichen Beispiele. Seit Jahren hören wir von dir nichts Konstruktives! (Rufe bei der SPÖ: Ja, immer dieselbe Leier! – Zwi­schenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) – Genau, immer dieselbe Leier! (Bundesrat Herbert: Dann handelt endlich danach …!) Ein solch innovatives Gesetz, das heute zur Verabschiedung ansteht, wieder nur auf die Ausländerdiskussion zurückzuführen, ist meiner Meinung nach wirklich frevelhaft. Frevelhaft ist das! (Beifall bei der SPÖ.)

Du hast deinen Beitrag mit den Bildungsdirektionen begonnen, die du verwirfst, weil die Kollegien abgeschafft werden, und dies nur, weil es das einzige Gremium ist, in welchem die Freiheitlichen in Wirklichkeit vorhanden sind. – Also, Entschuldigung, was soll das heißen? (Bundesrätin Mühlwerth: Die Grünen übrigens auch!) – Ja, auch, alle sind vertreten, aber deshalb ist es nicht das beste demokratische Gremium in einem Schulbetrieb. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Gut, aber wir sind jetzt nicht im Dialog, sondern ich halte hier eine Rede.

Jawohl, ich bin auch der Meinung, wie meine Kollegin im Nationalrat, dass die Schüle­rinnen und Schüler in Österreich das beste Bildungssystem verdienen. (Beifall bei der SPÖ.)

Es ist bei Weitem nicht so, dass wir kein gutes Schulsystem haben, aber wir haben ein verbesserungswürdiges. Mein Dank geht an alle, die heute mitstimmen und in stun­denlangen Verhandlungen an dem, was wir heute beschließen, mitgearbeitet haben, es ist ein weiterer Schritt zur idealen Unterrichtsform. Die ideale Schule gibt es nirgends. Die Gesellschaft ist im Wandel, alles ist sozusagen dauernd neu, und neue Dinge sind einfach zu berücksichtigen.

Es ist klar, dass ein System immer ein bisschen nachhinkt, aber das, was wir heute beschließen, ist zukunftsweisend. Es ist zukunftsweisend, da es um innovative, um neue Formen geht. Ich weiß, dass es nicht alle so sehen, es nicht so sehen können. Ich weiß auch, dass es leider überall Gegnerinnen und Gegner gibt.

Bei keinem Thema in Österreich finden sich so viele Besserwisser wie dann, wenn es um Bildung geht. Nicht einmal im Fußball ist es so, dass jeder mitreden kann. Wenn es aber um Schule geht, können alle mitreden. Es gibt ungefähr 1,2 Millionen Schüle­rinnen und Schüler, die 2,4 Millionen Eltern sowie Omas und Opas haben. Alle in Österreich sind einmal in die Schule gegangen und alle sind Expertinnen und Experten. Natürlich redet da jeder mit, allerdings mit Argumenten, die oft auch Stan­des­vertretungen benützen, die ich aber nicht befürworte. Wenn der Bundesschul­sprecher von


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Versuchskaninchen spricht, Elternvertreter behaupten, diese gesetzlichen Regelungen würden sich nur auf die Verwaltung beziehen, oder PädagogInnen und Lehrervertreter von pädagogischem Irrwitz reden, dann frage ich mich, was sie damit meinen. Als ehemalige Deutschlehrerin würde ich sagen: Da ist das Thema doch verfehlt!

Ich möchte nun auf einige jener Punkte eingehen, um die es wirklich geht. Im Großen und Ganzen handelt es sich um drei Pakete: das Autonomiepaket – es ist für mich ein sehr fortschrittliches Paket –, das Behördenpaket und das Modellregionenpaket.

Was bringt es den Schülerinnen und Schülern? – Sie sind zwar im Osten Österreichs schon in den Ferien und im Westen ab morgen, aber sie kommen wieder zurück in die Schule. Was bringt es ihnen?

Ich denke, es geht zunächst einmal um wirklich pädagogische Anliegen, die wir als Lehrerinnen und Lehrer schon ewig hatten. Dazu zählt die Flexibilität im Unterricht. Es geht darum, dass man Gruppen anders zusammenstellen kann, dass Ressourcen anders, nämlich schulautonom und am Schulstandort eingeteilt werden können und dass es so zu Flexibilität und Zusammenarbeit zwischen den Schulen kommt.

Ein Wort zu den KlassenschülerInnenhöchstzahlen, weil dies eine öffentliche Debatte war: Klar ist, dass die KlassenschülerInnenhöchstzahl weiterhin eine Größe zur Berechnung der Ressourcen bleibt.

Ich verstehe nicht, was die Lehrerinnen und Lehrer, in dem Fall die Gewerk­schaf­terInnen, eigentlich wollen. Sie drohen für den Herbst einen Streik an, da angeblich dann in allen Klassen 35 Schülerinnen und Schüler sitzen werden – oder vielleicht doch nur 27? Was ist jetzt das Drama, wenn 27 statt 25 Schülerinnen und Schüler in einer Klasse sitzen? Macht das zwangsläufig den Unterricht schlechter? – Ich denke, das ist nicht der Fall, oder vielleicht nur, wenn man frontal unterrichtet, was man als Lehrerin oder Lehrer überhaupt nicht mehr tun soll, denn die Zukunft liegt im Grup­penunterricht, in Teams, in Projekten. Was also spielt es da für eine Rolle, wenn ich statt 25 Kindern 27 Kinder in einer Klasse habe? Es kommt vielmehr auf die Zusam­mensetzung dieser Klasse an, was wiederum die beteiligten Lehrerinnen und Lehrer vor Ort wieder schulautonom entscheiden. Ich finde, diese Diskussion ist an den Haaren herbeigezogen, und es wird davon zu guter Letzt gar nichts übrig bleiben.

Lasst mich noch auf einige weitere Punkte eingehen, die mir wichtig sind! Die neue Flexibilität bedeutet glücklicherweise auch das Ende der 50-Minuten-Einheit. Ich habe Gott sei Dank in einer Schule unterrichtet, in der ich immer mit 100 Minuten unterrichtet habe. – Welch ein Vorteil! Weiters: Der Unterricht kann früher beginnen.

Es gibt nun so etwas wie autonome Lehrplanbestimmungen, bei der eine Schule sagen kann: Das ist mein Schwerpunkt. Aus dem großen Lehrplan nimmt man ohnedies immer nur etwas heraus. Jeder Lehrer, jede Lehrerin entscheidet im Grunde individuell, was er/sie innerhalb dieses Rahmens unterrichtet. Jetzt kann man in einer Schule Schwerpunkte setzen, ohne einen Schulversuch machen zu müssen. Also all diese Dinge dienen der Pädagogik.

Ein Wort zu den Clustern: Der wirkliche Mehrwert für die Schülerinnen und Schüler – und um die soll es bei dieser Gesetzgebung gehen – ist, dass das fachfremde Unter­richten endlich der Vergangenheit angehört. Das ist wirklich etwas, das nur zu be­grüßen ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich kenne viele Kolleginnen und Kollegen, die Englisch als Hauptfach haben und dann Mathematik unterrichten müssen. – Ich sage jetzt nicht, wie sinnvoll ich das finde.

Diese Cluster können ein einheitliches und ganzheitliches Bildungskonzept in einer Region bewirken, sie können auf die Bedürfnisse in einer Region eingehen.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 57

Die Autonomie der einzelnen Regionen – nicht nur der einzelnen Schulen, sondern der Regionen – wird gestärkt und nicht von oben, quasi von Wien aus, gesteuert. Das haben wir als Bundesländervertreterinnen und -vertreter immer gewollt. Es wird nicht mehr gesteuert werden, nein. Schulautonomie bedeutet, dass sich die Regionen zusammenschließen können sowie Lern- und Freizeitangebote gemeinsam genützt werden können und dass es in der Clusterleitung klare Verantwortungs- und Steue­rungsstrukturen gibt.

Ein Wort zum Chancenindex, weil du ihn auch erwähnt hast: Es ist hier kein Sparpaket angedacht, es geht um Umverteilung und Effizienzsteigerung. Es ist ein Effizienzpaket. Mittel werden vermehrt dorthin gegeben, wo vermehrt Bedarf besteht. – Ganz einfach! Das kann ja nur zu befürworten sein.

Dadurch kommt es auch zu einer Verwaltungsentlastung für DirektorInnen und Leh­rerInnen. Wie lange reden wir schon davon, dass wir für die Verwaltungsarbeiten mehr Personal brauchen und die PädagogInnen mehr im Unterricht und weniger in der Verwaltung arbeiten sollen.

Erst vor ein paar Tagen war in den Medien zu lesen, dass die Anzahl der Stunden, die österreichische Lehrerinnen und Lehrer im Schnitt im Unterricht verbringen, im europäischen Vergleich mittelmäßig ist. Ich gehe davon aus, dass sich das in Zukunft ändert und der Verwaltungsaufwand geringer wird.

Die Auswahl der Lehrerinnen und Lehrer durch die Direktorinnen und Direktoren ist ebenfalls unbedingt zu befürworten. Wenn ich einen Schwerpunkt an einer Schule habe, dann muss das Team auch an diesem Schwerpunkt arbeiten, und die Personen müssen ja irgendwie zusammenpassen. Insofern ist die neue Regelung zu befür­wor­ten.

Natürlich gibt es, wie in jeder Berufsgruppe, ein paar schwarze Schafe. Aber das über­wiegende Gros der österreichischen Lehrerinnen und Lehrer, ganz egal, ob sie in der Volksschule oder in Bildungseinrichtungen der höheren Schulen arbeiten, ist wirklich pädagogisch einwandfrei geschultes Personal, das die Kinder in den Mittelpunkt stellt, und alles tut, damit es den Kindern gut geht und sie möglichst viel lernen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich kann mich also nur bei allen meinen Kolleginnen und Kollegen bedanken. Die Ferien haben sie verdient, keine Frage! (Vizepräsident Gödl übernimmt den Vorsitz.)

Zu den Bildungsdirektionen sage ich jetzt nichts mehr, aber zu den Modellregionen und zur Möglichkeit der Gesamtschule. Mir ist es ein Anliegen, dazu nicht immer dieselben Argumente zu hören, denen ich ebenfalls mit immer denselben Antworten begegnen muss, weil es da irgendwie nicht durchdringt, dass es fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, die da lauten, dass es das Schlechteste ist, was man einem Kind antun kann, wenn eine Laufbahnentscheidung im Alter von zehn Jahren zu treffen ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Es gibt Erkenntnisse, wonach der Bildungshintergrund der Eltern immer ausschlag­ge­bend für die Bildungskarriere der Kinder ist. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) – Es ist so, auch wenn du es tausendmal leugnest, es ist so!

Gegen all das gibt es nur eine einzige Lösung, nämlich die gemeinsame Schule für alle. Nur so können wir Chancen – gerechte und echte Chancen – für alle Kinder schaffen. (Beifall bei der SPÖ.)

Das Licht am Rednerpult leuchtet, ich muss zum Schluss kommen, aber ich könnte noch zwei Stunden über Bildung reden. – Ich bin froh darüber, dass diese Einigung zu guter Letzt noch möglich war und wir jetzt ein wichtiges Gesetz auf den Weg bringen,


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 58

welches den Schülerinnen und Schülern der Zukunft, aber auch jenen der Gegenwart viele, viele Vorteile bringen wird. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

12.02


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Hackl. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


12.02.13

Bundesrätin Marianne Hackl (ÖVP, Burgenland): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geschätzte Frau Minister! Liebe Besucherinnen und Besucher! Liebe Zuseher und Zuseherinnen vor den Fernsehgeräten! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich darf kurz zurückblicken: Ich habe meine Kinder seit 1991 durch die Schuljahre begleitet, und ich muss sagen, es hat sich da Wesentliches und sehr vieles verändert. Darum freut es mich ganz besonders, dass diese Bildungsreform umgesetzt und beschlossen werden konnte. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Es ist ein wahrlich großes Paket, und es stellt sich immer wieder die Frage: Wieso ist es so schwierig, ein solches Reformpaket umzusetzen? – Zum einen: Die Gesellschaft wandelt sich; das Zweite ist: Die Herausforderungen werden immer größer. Der Migrantenanteil wird nicht nur in den Städten, sondern auch im ländlichen Raum immer größer. Die Arbeitswelt und die Gesellschaft ändern sich, aber auch das Stadt-Land-Gefälle ist immer wieder eine Herausforderung. Es kommen die unterschiedlichsten Interessen zusammen, die es unter einen Hut zu bringen heißt. Das ist sehr schwierig.

Da ich aus einer ländlichen Region komme, möchte ich drei Punkte herausgreifen, die mir ganz besonders wichtig erscheinen. Ich sehe in dieser Reform auch für meine Region große Vorteile.

Das Erste ist die Möglichkeit der Clusterbildung, das heißt, dass eine Direktorin oder ein Direktor zwei oder mehrere Schulen betreut. Das funktioniert wunderbar. Im Rahmen der Freiwilligkeit der Clusterbildung sind Zusammenschlüsse von bis zu acht Schulen möglich. Damit haben auch unsere Kleinschulen, die so erhalten werden können, eine Zukunft.

Das Autonomiepaket ist ein Wunsch, der von den Schulen selbst gekommen ist, die größere Selbstbestimmung haben wollen. Künftig werden sie Klassenschülerzahlen und Schwerpunkte selbst festlegen sowie bei Lehrerbestellungen mitreden.

Warum gibt es diesen Wunsch? – Weil natürlich Eltern, Lehrer und Schüler am besten wissen, welche Dinge vor Ort gebraucht werden. Nur so kann die Stärkung der Eigen­verantwortung der Schulleiterinnen und Schulleiter sowie Lehrerinnen und Lehrer vollzogen werden.

Auch das Schulorganisationspaket gefällt mir sehr gut. Mit der Abschaffung der Lan­desschulräte und der Einführung der Bildungsdirektionen als neue Bund/Länder­behörde sichern wir eine gemeinsame Steuerung. Dies ist notwendig und wichtig. An der Spitze der Behörde steht der Bildungsdirektor mit einem klaren Anforderungsprofil gemäß dieser Position. Es wird eine entsprechende sachliche und fachliche Qualität verlangt, und es gibt eine klare Aufgabenzuteilung.

Alle Lehrerinnen und Lehrer der Bundes- und Landesschulen werden künftig über das Bundesrechenzentrum abgerechnet. Damit wird zum ersten Mal Transparenz erzeugt.

Die Sonderschulen bleiben selbstverständlich erhalten. Die Feststellung von sonder­pädagogischem Förderungsbedarf wird bei der Bildungsdirektion angesiedelt sein. Damit wird sichergestellt, dass Schüler nicht bloß ein Schulsystem erhalten, sondern tatsächlich objektiv darüber entschieden wird.


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Mir persönlich liegt am Herzen, es im Gesetz abgebildet zu wissen, dass der Erhalt von Kleinschulen gesichert ist. Man will damit nicht nur Schulen, sondern vor allem auch die Lebensqualität für Familien in unserer ländlichen Region erhalten.

Zur viel diskutierten Klassenschülerhöchstzahl: Künftig wird der Schulleiter die Klas­sen­schülerzahl unter Bedachtnahme der Erfordernisse der Pädagogik, der Sicherheit, des Förderbedarfs der Schüler, der räumlichen Möglichkeiten und der Belastung von Lehrpersonal festlegen. Dabei muss das Einvernehmen mit den Schulpartnern, sprich: Lehrern, Eltern und Schülern, angestrebt werden. Kann kein Einvernehmen erzielt werden, wird durch die Bildungsdirektion zusammen mit den Lehrerinnen und Lehrern entschieden.

Die vorliegende Bildungsreform ist ein Organisationspaket, das muss uns bewusst sein, denn mit der Bildungsdirektion wird eine vollkommen neue Behördenstruktur eingeführt, in der Bund und Land im Schulbereich gemeinsam aktiv sind. Es ist eine gemeinsame Behörde.

Der nächste Schritt muss ein Paket sein, in welchem die Pädagogik noch viel mehr im Vordergrund steht. Das wird Geld kosten, doch wir müssen es unbedingt schaffen, so etwas umzusetzen, denn die Bildungslandschaft entwickelt sich immer weiter. Es wird also sicher nicht das letzte Bildungspaket sein, das hier beschlossen wird, jedoch eines, das in die richtige Richtung geht. Dennoch werden weitere Reformen folgen müssen.

Die ÖVP stimmt dieser Bildungsreform gerne zu. Ich wünsche abschließend noch allen Lehrerinnen und Lehrern sowie den Schülerinnen und Schülern schöne Ferien. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

12.08


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bun­desrat Stögmüller. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


12.08.16

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Durchbruch bei der Bildungsreform bedeutet das Ende einer hundertjährigen Blockade. Das hat der Bildungssprecher meiner Fraktion, Harald Walser, im Nationalrat gesagt, der in den letzten Wochen – fast schon Monaten – mit Ihnen über die Bildungsreform verhandeln durfte. Ich sehe es genauso. Es wurden viele Verbesserungen für die SchülerInnen erreicht, Klarheit in der Struktur und Erleichterungen sowie mehr Mitspracherecht für die Eltern geschaffen. Darum geht es ja.

Es geht bei dieser Reform nicht um irgendwelche finanziellen Einsparungen – das hat Kollegin Kurz schon gesagt –, sondern darum, das Schulsystem effizienter zu machen, parteiunabhängiger und auch zukunftsfitter zu gestalten.

Was wurde erreicht? – Es wird eine Modellregion Gemeinsame Schule ermöglicht. Das ist eine urgrüne Bildungsforderung von uns. Endlich wurde diese Blockade durch­brochen! Wenn sie auch noch nicht ganz durchbrochen wurde, ist es aber zumindest schon einmal ein richtiger Schritt in diese Richtung.

Die Modellregion dient der Erprobung von Maßnahmen, um möglichst alle Kinder in einer Region, unabhängig von deren sozioökonomischen beziehungsweise soziode­mografischen Hintergründen, unter denselben organisatorischen und pädagogischen Rahmenbedingungen bestmöglich zu fördern.

Wir Grüne haben uns dafür eingesetzt, dass die Beschränkung auf 15 Prozent pro Bundesland gefallen ist und auf 15 Prozent bundesweit geändert wurde. Das war uns


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wichtig, damit zum Beispiel Vorarlberg zur Gänze eine Modellregion werden kann und trotzdem noch ausreichend Kapazitäten für weitere Modellregionen in den anderen Bundesländern bleiben.

Für uns war es wichtig, dass die Erziehungsberechtigten und die Lehrkräfte des jeweiligen Schulstandortes mittels Abstimmung entscheiden dürfen, ob sie der Modell­region angehören wollen oder nicht. Das ist auch ganz wichtig, das ist eine freiwillige Sache. Zudem sind auch eine wissenschaftliche Begleitung sowie Evaluierung fix vorgesehen.

Auch in der Schulverwaltung wird sich etwas ändern: Es wird dort in Zukunft neun Bil­dungsdirektoren geben, das heißt, die Landesschulräte und die Landesämter für Bildung werden dann zu einer Bildungsdirektion zusammengeführt.

Ich muss aber auch erwähnen, was ich ein bisschen kritischer sehe: In Oberösterreich hat das bis jetzt wirklich gut geklappt, da alle Parteien, auch die Opposition, immer mit eingebunden waren, egal, ob es um DirektorInnenbestellungen oder sonstige Angelegenheiten ging. Diesbezüglich bin ich, ehrlich gesagt, etwas skeptischer, aber ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen.

Die vielleicht größte Frage ist: Was ändert sich überhaupt für die Schülerinnen und Schüler? – Die Schulen bekommen durch diese Reform wesentlich mehr Entschei­dungs­freiheiten und können so auf tatsächliche Bedürfnisse der jungen Menschen eingehen. Dafür müssen nicht mehr jedes Jahr mühsam irgendwelche Schulversuche beantragt und bewilligt werden. Dabei geht es zum Beispiel darum, nach welchen Kriterien SchülerInnen in Klassen eingeteilt werden, welche Fördermaßnahmen angeboten und welche pädagogischen Schwerpunkte gesetzt werden müssen. Es kann auch festgelegt werden, wie der Stundenplan gestaltet wird und wann der Unter­richt beginnt, und es freut nicht nur die LehrerInnen, sondern auch die SchülerInnen, wenn man dann später anfangen darf.

In Zukunft kann es in den Schulen Mehrstufenklassen geben, oder es können die Naturwissenschaften als Flächenfach angeboten werden oder Kleingruppen für Laborübungen geschaffen werden. Ferner kann es Begabtenförderung geben, und die Schulen können generell frei über ihre Ressourcen verfügen. – All das sind Vorteile, welche die Schulen und natürlich auch die SchülerInnen direkt vor Ort spüren.

Uns Grünen war es auch ein wirklich großes Anliegen, weil das auch massiv von den PädagogInnen gekommen ist, dass die Schülerhöchstzahlen in den Klassen klar geregelt werden. Früher lautete die Regelung, dass es durchschnittlich maximal 30 Schülerinnen und Schüler geben darf, jetzt ist ganz klar im Verfassungsrang sichergestellt, dass in Pflichtschulen die Klassengröße im Durchschnitt die Zahl 25 nicht überschreiten darf.

Sehr gut ist meiner Meinung nach auch, dass in Zukunft die Eltern- und Schüler­vertreter und auch der Dienststellenausschuss ein viel stärkeres Mitspracherecht bei der Bestellung von Schulleitern haben werden.

Eine weitere große Änderung für die Schulen wird die Möglichkeit von Schulclustern sein. Es können sich nämlich – und ich betone, dass das vonseiten der Schulen freiwillig geschehen kann – bis zu acht Schulen zusammenschließen und gemeinsam einen Cluster bilden. Ich meine, diese Möglichkeit bietet große Chancen gerade für den ländlichen Raum, wo es noch ganz viele kleinere Schulen mit einer sehr niedrigen Anzahl von Schülerinnen und Schülern gibt. Das ermöglicht aber auch in den urbaneren Regionen, wo jetzt teilweise jede Schule einzeln vor sich hin arbeitet und Schwerpunkte setzt, durchgängige und inklusive Bildungskonzepte.


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Natürlich wäre es auch mir am liebsten – das habe ich gestern schon beim Bil­dungskompass gesagt, da ist es um diese 15a-Vereinbarung in Oberösterreich gegangen –, wenn man diesbezüglich wirklich ein Konzept vom Kindergarten bis zur Matura oder bis zur Lehrabschlussprüfung erstellt und alles in einem gemeinsamen Cluster zusammenfügt, weil auf diese Weise pädagogische, aber auch inhaltliche Schwerpunkte schulartenübergreifend angeboten werden können. Außerdem kommt es durch den Einsatz der PädagogInnen innerhalb des Clusters zu einer Team­entwicklung, und so kann auch die Weiterbildung besser abgestimmt und fachfremder Unterricht leichter vermieden werden. Die Kollegin hat auch schon die Situation angesprochen, dass der Mathelehrer dann Englisch unterrichtet oder umgekehrt. Das war für uns Grüne wichtig, und es ist uns auch gelungen, einen Mischcluster auf Pflicht- und Bundesschulen zu erweitern beziehungsweise das zu ermöglichen, wenn die Schulen das wollen. – Es ist immer ganz wichtig, das „ermöglichen“ zu betonen.

Bei der Frage des sonderpädagogischen Förderbedarfs gab es im Vorfeld immer zwei Meinungen, einerseits die Forderung der Behindertenorganisationen und andererseits die Befürchtungen der Lehrkräfte. – Fix ist jetzt, dass die Zuerkennung eines SPF, also eines sonderpädagogischen Förderbedarfs, nicht mehr in Personalunion mit der Leitung der Sonderschulen, sondern in Zukunft direkt durch die Behörde erfolgt. Wir Grüne konnten bei den Verhandlungen auch erreichen, dass die Eltern in Zukunft das Recht haben, selbst die Feststellung eines SPF bei der Behörde zu beantragen. Das war für uns auch ein sehr wichtiger Schritt in diese Richtung.

Sehr positiv finde ich auch, dass die Fördermaßnahmen ausgeweitet wurden und in Zukunft nicht nur Sonderpädagogik, sondern auch inklusivpädagogische Maßnahmen beinhalten, wobei das auf alle Schulstufen ausgeweitet wurde und nicht mehr nur auf die Pflichtschule beschränkt ist. Das war auch ein ganz wichtiger Punkt.

Neu ist auch, dass SchülerInnen mit SPF das freiwillige elfte und zwölfte Schuljahr nicht nur an Sonderschulen, sondern auch an Realschulen absolvieren können. Auch das ist meiner Meinung nach ganz wichtig. – Ich glaube, das sind wesentliche For­derungen im Zusammenhang mit Inklusion.

Noch eine ganz wichtige grüne Forderung konnten wir umsetzen, nämlich die Ermöglichung des Weiterbesuchs der Schule für außerordentliche Schülerinnen und Schüler über das neunte Schuljahr hinaus. Damit wird es auch möglich, dass erst kürzlich nach Österreich gezogene SchülerInnen die Pflichtschule in einem freiwilligen zehnten Schuljahr abschließen können. Das war gerade für mich als Oberösterreicher, da wir ja dort das Integrationsressort mit Rudi Anschober besetzen, immer eine ganz wichtige Forderung.

Ich könnte noch viele weitere Punkte aufzählen. Wir Grüne im Bundesrat werden die­sem Gesetz jedenfalls unsere Zustimmung geben, denn wir sehen die richtigen Schritte in Richtung Schule der Zukunft.

Ich möchte mich auch bei allen Pädagoginnen und Pädagogen bedanken, die tag­täglich in den Schulen stehen, ihr Bestes geben und wirklich innovative Ansätze auch tatsächlich umsetzen. Ihnen und natürlich auch den Schülerinnen und Schülern und euch allen wünsche ich eine schöne Ferienzeit! Auch Ihnen vielen Dank, Frau Minis­terin. Und es sollen noch weitere Schritte einer Bildungsreform in Richtung der Schule der Zukunft folgen. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

12.16


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster darf ich Frau Bundesrätin Mag. Gruber-Pruner das Wort erteilen. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 



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12.16.27

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Frau Minis­terin! Sehr geehrte Damen und Herren! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Alle Bildungsexperten und -expertinnen sind sich einig, aber auch, wie ich glaube, wir hier im Raum sind uns einig: Unser Bildungssystem braucht Veränderung und Reformen, und auch diejenigen, die im Bildungssystem arbeiten, unsere PädagogInnen und LehrerInnen, brauchen an vielen Stellen bessere Rahmenbedingungen, um mit den vielfältigen Herausforderungen zurechtzukommen.

Vor allem aber zeigen diejenigen, auf die das Bildungssystem abzielt, deutlich, dass Veränderung notwendig ist, nämlich die Kinder und Jugendlichen, die sehr viel Zeit ihres aktuellen Lebens in diesem Bildungssystem verbringen.

Ich war vor circa einem Jahr in ein Bildungsprojekt involviert, in dem wir Kinder ab dem Kindergartenalter bis Ende der Schulpflicht befragt haben, wie sie sich denn Bildung idealerweise vorstellen beziehungsweise was sie brauchen, um gut lernen zu können. Die Kinder haben uns drei zentrale Punkte genannt und mitgegeben.

Erstens wollen die Kinder über den Tag verteilt ein abwechslungsreiches Lernpro­gramm: Sie wollen beispielsweise einerseits in Dreierteams ein Thema erarbeiten, andererseits dann wieder in einer Großgruppe etwas besprechen und als Draufgabe noch mit der LehrerIn gemeinsam etwas Neues erfahren.

Zweitens wollen sie in verschiedenen räumlichen Settings arbeiten: Sie wollen sich einmal in Nischen zurückziehen können, um konzentriert etwas zu bearbeiten, dann unter dem Baum im Garten gemeinsam etwas vorbereiten, um später wieder ins Klassenzimmer zu kommen, in dem verschiedenste Lernangebote auf sie warten.

Drittens wollen sie anlassbezogen arbeiten: Sie wollen das, was in ihrer Lebenswelt gerade aktuell ist, bearbeiten. Beispielsweise wollen sie – obwohl das heute bei der Hitze vielleicht ein blödes Beispiel ist –, wenn Schnee fällt, Schnee erforschen, weil das in diesem Augenblick gerade interessant ist und man dann am besten lernen kann.

Eigentlich hat diese Bildungsreform für alle drei Bereiche die passenden Antworten gefunden. Das, was diese Bildungsreform liefert, ist am Puls der Zeit, und sie hängt nicht, wie Frau Kollegin Mühlwerth sich das vermutlich manchmal wünschen würde, einem überholten selektiven Schulsystem nach, das wir so nicht mehr vertreten können.

Was ist der Kern der Reform? – Sie bringt Freiheit und Autonomie, und das ist essen­ziell, wenn man auf die verschiedenen Bedürfnisse, die Kinder und Jugendliche haben, reagieren will. Um dem kindlichen Bedürfnis nach Abwechslung gerecht zu werden, braucht es die Möglichkeit, diese 50-Minuten-Einheiten aufzubrechen. Diese Möglich­keit liefert diese Reform nun endlich. Außerdem braucht es die Möglichkeit, Klassen zu teilen und in verschiedenen Gruppen zu kooperieren, und auch das bringt diese Re­form. Und sie lässt zu, dass Personen mit unterschiedlichen pädagogischen Kompe­tenzen zusammenarbeiten, das wird gewünscht und sogar gefördert.

Die Reform sieht aber auch vor, dass Schulen übergreifend miteinander arbeiten, weil sie dadurch insgesamt mehr Ressourcen gewinnen. Eine Schule hat einen prächtigen Turnsaal, die andere Schule hat rundherum große Grünanlagen, und die dritte Schule hat möglicherweise ein gut ausgestattetes Labor. Wenn das von mehreren Schüle­rinnen und Schülern genutzt werden kann, profitieren letztlich alle, die Ressourcen stehen nicht leer, sondern können optimal genutzt werden.

Das, was hier unter dem Namen Cluster vorgeschlagen wird und angedacht ist, wird in meinem Bundesland, in Wien, unter dem Namen Bildungsgrätzel bereits angegangen, und ich sehe, dass auf lokaler Ebene in diesem städtischen Bereich wunderbare Ver-


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net­zungen und Kooperationen entstehen, die sich anbieten, weil sich die Schulen oft benachbart auf demselben Areal befinden.

Die Reform fördert auch, dass Schulstandorte inhaltliche Schwerpunkte setzen. Regionen haben besondere Anliegen und besondere Bedürfnisse, das kann sich am Schulstandort spiegeln. Und auch LehrerInnenteams entwickeln oft miteinander spe­zielle Kompetenzen oder ein spezielles Angebot, wovon die Schüler und Schülerin­nen nur profitieren können.

Ein Thema, das mir noch besonders am Herzen liegt und mit dem ich jetzt eine spe­zielle Hoffnung im Hinblick auf diese Bildungsreform verbinde, ist das Problem der sogenannten Bildungsvererbung, das wir in Österreich haben: In Österreich sind Bildungskarrieren so sehr abhängig von den Eltern wie in wenig anderen Regionen in Europa, was mir speziell für die vielen begabten Kinder leid tut, die halt nicht das Glück hatten, in eine vermeintlich richtige Familie hineingeboren worden zu sein. Wenn man dieses Potenzial nicht speziell zu heben versucht, dann bringt das meines Erachtens auch gesellschaftspolitischen Schaden mit sich.

Drei Maßnahmen helfen aus meiner Sicht, diese Spirale zu durchbrechen.

Der erste Punkt ist der Chancenindex, meine VorrednerInnen haben zum Teil schon darauf hingewiesen: Schulstandorte, an denen Kinder spezielle gesellschaftliche Hürden zu nehmen haben, sollen mehr Ressourcen zugeteilt bekommen. Damit kön­nen diese unterschiedlichen Startvoraussetzungen der Familien und Kinder aus­geglichen werden. – Ich meine, das ist nur fair und sinnvoll.

Der zweite Punkt ist der Ausbau der Ganztagsschulformen: Bildung braucht Zeit, das wissen alle PädagogInnen, es braucht Abwechslung über den Tag, es braucht sozusagen ein heimeliges Klima, die Schule soll so etwas wie ein zweites Zuhause sein, und das kann in einer Ganztagsschule, die Qualität hat, geboten werden. – Ich denke, dass die Qualität noch ausgebaut werden kann, darauf müssen wir schauen, das wird weiterhin unsere Aufgabe sein.

Jetzt muss ich doch noch kurz auf das Thema Gesamtschule zu sprechen kommen, weil vorhin von Kollegin Mühlwerth diesbezüglich so emotionell argumentiert wurde: Wenn es soziale Selektion durch verschiedene Schultypen gibt, dann ist es doch auch logisch, dass diese soziale Selektion und diese soziale Vererbung zementiert werden, und es kann nicht im Interesse einer Gesellschaft sein, dass bewusst Randgruppen produziert werden! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und Grünen.)

Der Hausverstand sagt mir, dass es einer Gesellschaft gut tut, wenn sie es schafft, das Potenzial aller Kinder und nicht ausgewählter Kinder zu heben. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und Grünen. – Bundesrat Schennach: So ist es!)

In diesem Sinne bin ich gespannt, was im Rahmen dieser Reform und mit diesen neuen Möglichkeiten alles entstehen wird, und meine Fraktion freut sich darauf! – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und Grünen.)

12.24


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesministerin Dr. Hammerschmid. – Bitte, Frau Ministerin.

 


12.24.13

Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Mitglieder des Bundesrates! Liebe Zuseherinnen und Zuseher an den Fernsehschirmen! Liebe Pädagoginnen und Pädagogen! Es sind sicherlich auch viele dabei. – Ich möchte mit einigen Punkten beginnen, die von Frau Bundes-


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rätin Mühlwerth aufs Tapet gebracht wurden, bevor ich noch einmal einen Bogen zum Autonomie-, Behörden- und Modellregionen-Paket spanne.

Liebe Frau Bundesrätin! Wir im Bildungsministerium kennen sehr genau die Heraus­forderungen, vor denen unsere Schulen tagtäglich stehen. Wir kennen die Herausfor­de­rungen in unserer Gesellschaft, wir kennen die Herausforderungen in unseren Berufs- und Arbeitswelten, und wir kennen die Herausforderungen in den Schulen. Leider Gottes werden nämlich die breiten Herausforderungen aus allen Lebens- und Gesellschaftswelten immer wieder in die Schule getragen, die Schule wird zum Ankerpunkt, an dem alles gerichtet werden soll, Probleme werden in die Schule hineinprojiziert, und die Schule muss darauf reagieren. – Das kann Schule allein nicht leisten, das muss man auch einmal klar sagen, sondern es ist eine Aufgabe unserer Gesellschaft, diese Herausforderungen zu stemmen und gemeinsam anzugehen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Klarerweise ist die Schule ein ganz wichtiger Ort für junge Menschen, wo sie sehr stark geprägt und begleitet werden, das steht außer Frage, und wir müssen natürlich entsprechend reagieren. Wir müssen jene Schulen, die vor ganz besonderen Heraus­forderungen stehen, auch in der Verteilung und Zuteilung von Ressourcen ganz beson­ders berücksichtigen. – Das haben wir längst getan, und das ist jetzt mein zentraler Punkt.

Mit dem Integrationstopf II für heuer und III für nächstes Jahr gibt es 80 Millionen pro Jahr, und damit helfen wir genau jenen Schulen, in denen sehr viele Kinder sind, deren Muttersprache beispielsweise nicht Deutsch ist oder die hochtraumatisiert aus Kriegsgebieten bei uns gelandet sind und die in unseren Schulen Halt, einen Rahmen und eine Gemeinschaft suchen.

Mit diesem Integrationstopf sind 850 Pädagoginnen und Pädagogen, die insbesondere auf den Erwerb von Sprachkompetenz abstellen, zugewiesen worden. Es sind 250 Pä­dagoginnen und Pädagogen, die sich um Integration bemühen, in die Schulen gekommen. Es sind 80 PsychologInnen zusätzlich abgestellt und SozialarbeiterInnen und mobile Teams bereitgestellt worden, um treffsicher und genau dort, wo die Herausforderungen an unseren Schulen sind, sofort und gleich zu helfen. – Und das wirkt! Das wissen wir aus den Evaluierungen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller. – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Sprache ist ein wichtiges Thema, daher sage ich: Die Sprachstartgruppen, die Sprach­kurse, die Förderkurse, parallel, integrativ, aber auch herausgenommen, elf Stunden pro Woche zusätzliche Ausbildung in Deutsch, all das sind Maßnahmen, die wirklich wirken. Das möchte ich in aller Deutlichkeit einmal sagen.

Der zweite Punkt, der immer wieder aufs Tapet gebracht wird, was mir wirklich in der Seele wehtut, ist, dass immer wieder jene Ausnahmen von Pädagoginnen und Päda­gogen vor den Vorhang geholt werden, die sich im Lehrberuf vielleicht nicht hundert­prozentig wohlfühlen und dort vielleicht auch nicht ganz richtig gelandet sind, was es aber, wie erwähnt wurde, in anderen Berufsgruppen auch gibt.

Dazu sage ich Ihnen: Wir haben 120 000 Lehrer, und ich gehe davon aus, fast alle davon sind Pädagoginnen und Pädagogen, die tagtäglich hochmotiviert, engagiert und mit Leidenschaft an der Schule arbeiten (Beifall bei der SPÖ) und danach trachten, dass unsere Kinder gut gebildet und ausgebildet werden, damit sie Chancen auf eine gut gestaltete persönliche Karriere in Beruf und Gesellschaft, eben in ihrer Lebenswelt, haben. Diese Lehrer müssen wir adressieren, diese Lehrer müssen wir loben, ihnen müssen wir Anerkennung und Dank zollen, denn sie bemühen sich redlich.


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Wenn Sie aber immer wieder von jenen reden, die, wie gesagt, vielleicht im falschen Beruf gelandet sind, dann schaden Sie dem Image dieser gesamten Berufsgruppe! (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller. – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Wir wissen, dass in der nächsten Zeit viele Kolleginnen und Kollegen in Pension gehen werden, und wir wissen, dass wir daher insbesondere junge Menschen adressieren müssen, die stolz darauf sind, dass sie Pädagogik studieren. Wenn wir junge Men­schen motivieren, dass sie sich dem Lehrberuf widmen, dann muss das Image wirklich gut sein. Wir müssen danach trachten, dass unsere Lehrerinnen und Lehrer wieder den gesellschaftlichen Status bekommen, den sie haben sollten, denn sie formen unsere jungen Menschen, sie bilden unsere jungen Menschen, sie gestalten Zukunft! (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Die Lehrerinnen und Lehrer gestalten – gemeinsam mit Ihnen allen – Zukunft, daher müssen wir ihnen danken und möchte ich deren Image ganz besonders betonen. Da müssen wir echt zusammenhelfen, und ich lade Sie wirklich alle ein, an diesem Image zu arbeiten. An diesem Image müssen wir wirklich arbeiten.

Jetzt zurück zu unserem großen Reformpaket, das heute hier auf dem Tisch liegt und behandelt wird: Dieses Reformpaket ist wahrlich ein Paket, das unsere Schulen in eine neue Schulkultur und in eine neue Zukunft führen wird. Wir machen jetzt nämlich den pädagogischen Rahmen – und ich betone ganz bewusst: den pädagogischen Rah­men – komplett auf.

Wir vertrauen unseren Pädagoginnen und Pädagogen. Sie wissen ganz genau, was die Kinder brauchen, wo die Talente und Potenziale ihrer Schülerinnen und Schüler liegen. Sie sollen tagtäglich sofort und gleich reagieren und den Unterricht so gestalten können, dass er für die Kinder besonders ansprechend ist, so wie Sie es jetzt in den Beispielen betreffend unterschiedliche Lernumgebungen und unterschiedliche Lern­settings gebracht haben.

Diesbezüglich war die Bildungswissenschaft sehr kreativ in den letzten Jahren und Jahrzehnten und hat uns ein Portfolio an Methodik und Didaktik geliefert, wie es das vor 20 Jahren und auch vor 10 Jahren noch nicht gab. Diese Art der Pädagogik und Didaktik müssen wir nutzen, denn so können wir unsere Kinder ganz individuell adressieren. Man kann jedes Kind wirklich abholen, man kann jedes Kind fördern, fordern und entlang seiner Talente und Neigungen unterstützen, und das geht gleich­zeitig und im Klassenzimmer.

Die Digitalisierung kommt ja da auch noch herein, diese wird uns ein Instrumentenset liefern, das genau die Begabtenförderung, die Individualisierung und auch die Förde­rung von Schwächeren unterstützt. Dafür sollten wir die Digitalisierung ja nutzen.

Es geht um individualisierten Unterricht und um das Adressieren von Talenten, und die Vielfalt der Lernmethoden wird jetzt zugelassen, so wie die Pädagoginnen und Päda­gogen tagtäglich den Unterricht gestalten wollen. Die 50-Minuten-Einheit ist weg, andere Rahmenbedingungen wurden wesentlich gelockert oder gestrichen. Deswegen mussten wir ja 36 Gesetze angreifen und uns Hunderte Verordnungen anschauen, weil es darum ging, die Pädagogik vor Ort in die Hände der Lehrerinnen und Lehrer zu legen und nicht in Gesetzen festzuzurren, denn das wäre ja völlig falsch! Viele suchen im Autonomiepaket immer pädagogische Eckpfeiler, aber darum geht es nicht. Autonomie bedeutet freie Entscheidungen an den Schulstandorten. Die Pädagoginnen und Pädagogen, die das gelernt haben, sollen gestalten können. Das steht im Mittel­punkt dieses wahrlich großen Paketes. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie des Bundes­rates Stögmüller.)


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Auch ich möchte im Kontext einmal mehr betonen, dass die Zahl 25, die immer wieder zur Diskussion stand, vorhanden ist und als Regelgröße beziehungsweise Steuerungs­größe dient, wenn es um die Zuteilung von Ressourcen geht. Das heißt, es ändert sich gar nichts an der Ressourcenzuteilung zu den Schulen. Sie bekommen natürlich die Pädagoginnen und Pädagogen, die sie jetzt auch schon bekommen haben. Aber sie können gestalten und die Ressourcen so einsetzen, wie die jeweilige Schule mit ihren Schwerpunkten und die Kinder es brauchen.

Es ist auch immer wieder von überfüllten Klassen die Rede; ich habe die Zahlen mitgebracht: In den Pflichtschulen sind es quer über Österreich 19,1 Kinder pro Klasse. Dabei haben die PTS die meisten Schülerinnen und Schüler in den Klassen, die Volksschulen naturgemäß die wenigsten. Und weil es immer heißt, dass es in Wien besonders viele sind: In Wien liegen wir bei 21,9.

Da ist also durchaus Luft nach oben, und es gibt Spielräume, um in Zukunft in Groß­gruppen und Kleingruppen einzuteilen. Es wird im Lernkonzept vorgesehene Lernbüros wie „Schule im Aufbruch“ geben, wo die Klasse überhaupt aufgelöst ist. Da gibt es die Klasse in ihrer eigentlichen Form gar nicht mehr, sondern das sind ganz andere Verbünde. Hier soll einfach gestaltet werden, wie es notwendig ist.

Die Schulleiterbestellung wurde im Kontext mit den Bildungsdirektionen angesprochen. Wenn wir sagen, dass die Schule frei gestalten können soll, dann heißt das auch, dass Verantwortung an der Schule getragen werden muss. Der Direktor oder die Direktorin hat in Zukunft viel, viel mehr Verantwortung zu tragen, denn sie machen auch tat­sächlich Personalentwicklung und Schulentwicklung. Das heißt, dass sie wirklich Verantwortung zu übernehmen haben, das heißt aber auch, dass sie gestalten dürfen. Wenn man nicht gestalten kann, dann kann man auch keine Verantwortung tragen. Das heißt, den Schulleitern und Schulleiterinnen wird jetzt das Pouvoir gegeben, ihre PädagogInnen entsprechend auswählen zu können, Schwerpunkte setzen zu können, sich die pädagogischen Methoden im Kollegium selbst zu geben. Das ist ein ganz, ganz wesentlicher Punkt, und daher ist es auch ganz wichtig, diese Schulleiter mit Lehrgängen entsprechend zu unterstützen, die sie besonders qualifizieren, dieser Tätigkeit auch nachzukommen,

Das Auswahlverfahren wird daher jetzt ein Stück weit anders laufen, denn es gibt im Gesetz erstmals Kriterien für Schulleiterinnen und Schulleiter. Pädagogik und Erfah­rung sind dabei ein Punkt, es geht dabei aber auch ganz stark – und zwar das erste Mal überhaupt – um die Kriterien Leadership, Führung, Führungserfahrung und Füh­rungs­können. Weiters braucht es ein pädagogisches Konzept für die Schule, an der man sich bewirbt, damit man sich überhaupt bewerben kann. Das heißt, es wird in Zukunft ganz anders beurteilt.

Dafür wird jetzt eine Kommission in Kraft gesetzt, um diese Beurteilungen vorzu­nehmen, und es muss ein externer Personaler dabei sein, der Assessments und Gutachten vor allem im Hinblick auf Führungserfahrung und Managementerfahrung macht, um diese Bewerberinnen und Bewerber zu ranken, und diese Gutachten werden dann der Kommission übergeben. Die Kommission wird aber nicht allein gelassen, darin sitzen eben dieser Gutachter und im Sinne der Gleichbehandlung Eltern, Schüler und Schulerhalter. Da wird wirklich transparent vorgegangen, das steht im Gesetz und ist nachzulesen. Es handelt sich hier um einen neuen, objektivierten und transparenten Prozess.

Nun sind wir schon bei der Behörde, machen wir also gleich damit weiter! – Ja, es handelt sich um eine Mischbehörde, keine Frage. In dieser Mischbehörde bündeln Bund und Länder ihre Kompetenzen für Schule und Schulgestaltung, und wir haben diese auch so gestaltet, dass die Länder beispielsweise auch die Horte oder Kinder-


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gärten mit einbringen können, sodass wirklich das gesamte Thema Bildung in einer gemeinsamen Behörde gestaltet werden kann. Das macht selbstverständlich viel Sinn: Die Gestaltung erfolgt dann durch dieselben Menschen, es kann besser abgestimmt und auch besser zugeteilt werden.

Auch die Verrechnung über das Bundesrechenzentrum ist ein gewaltiger Schritt nach vorne, denn zurzeit schütten wir als Bildungsministerium 4 Milliarden € ins Pflichtschul­wesen, wissen aber nicht, wer unterrichtet und wie viele Lehrer wann wie viel in welchem Fach unterrichten. Keine Ahnung! Das war eine Black Box, jetzt sehen wir das das allererste Mal. Das heißt, das System wird hoch transparent, wir können vergleichen, und wir können damit auch gemeinsam steuern. – Man muss schon immer Soll und Ist vergleichen, und das ist ein wesentlicher Schritt nach vorne!

Die Besetzung der Funktion des Bildungsdirektors ist auch ein wichtiger Punkt in diesem Spiel, denn zurzeit ist es so, dass mir Landeshauptmänner oder Landes­hauptfrauen einen amtsführenden Präsidenten oder eine amtsführende Präsidentin für eine Bundesbehörde nominieren, wobei ich kein Mitsprachrecht habe, obwohl das eine Bundesbehörde ist. Das ist die Ist-Situation. In Zukunft wird es aber eine Kommission geben, und es wird Auswahlkriterien geben, die auch im Gesetz stehen. Das wird objektiviert und transparent gemacht, und es muss gemeinsam bestellt werden, wie sich das für eine ordentlich geführte Mischbehörde auch gehört. – In diesem Zusam­menhang sind, wie ich meine, wesentliche Schritte in die richtige Richtung gelungen, und das gibt uns Effizienz und Transparenz.

Der Chancenindex ist in dieser Behördenstruktur auch verankert, diesen möchte ich auch noch einmal betonen, weil wir in Zukunft sehr treffsicher und genau über Kriterien steuernd die Ressourcen zuteilen wollen.

Die Modellregion begrüße ich sehr, das wissen alle, wobei ich mich sehr über die Unterstützung seitens der Grünen freue. Ich glaube, das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Wir wissen aus den Bildungsstandards, aber vor allem auch aus internationalen Vergleichen, dass alle erfolgreichen Regionen die gemeinsame Schule haben. Natürlich geht es dabei wie immer um gute Gestaltung. Es geht immer um die Pädagogik, wurscht, was man tut. Es geht immer um die Pädagogik, aber auch um strukturelle Rahmenbedingungen, die Schule gelingen lassen, und dazu gehört eben die gemeinsame Schule. In diesem Zusammenhang besteht jetzt endlich die Mög­lichkeit, zu gestalten.

Was noch mitgeregelt wurde – ich bin eh gleich fertig –, ist das zehnte freiwillige Jahr für ao. Schülerinnen und Schüler. Das wurde schon erwähnt. Es ist aber auch das freiwillige elfte und zwölfte Schuljahr für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbe­darf mit geregelt. Außerdem sind auch Haftungsregelungen für Pädagoginnen und Pädagogen im Paket, die sich tagtäglich um chronisch kranke Kinder kümmern, damit sie nicht mit Haftungsthemen konfrontiert sind, wenn sie Kindern gesundheitlich helfen und sie unterstützen. Und wir konnten auch eine Vielzahl anderer Themen hier gleich mit modernisieren.

Zum Schluss möchte ich mich eigentlich nur mehr bedanken: Herzlichen Dank Ihnen allen, die uns hier geholfen haben! Das haben ja nicht wir allein gemacht, sondern wir haben das gemeinsam gemacht. Meine eigene Fraktion, die ÖVP, die Grünen, wir alle haben hier zusammengewirkt, und ich glaube, wir können stolz sein auf dieses Paket, das uns wirklich in eine neue Zukunft führen wird. Ich danke Ihnen von Herzen!

Wir haben – und das ist mein letzter Punkt – die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen, aber jetzt müssen wir das leben! Die Herausforderung besteht jetzt darin, das wirklich mit Leben zu erfüllen und gut, qualitativ hochwertig, pädagogisch innovativ


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im Sinne unserer Kinder und für die Zukunft unseres Landes umzusetzen. – Vielen Dank. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller.)

12.39


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Der gegenständliche Beschluss ist ein Fall des Art. 44 Abs. 2 Bundes-Verfassungs­gesetz und bedarf daher der Zustimmung des Bundesrates bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder des Bundesrates und einer Mehrheit von min­destens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen.

Ich stelle zunächst die für die Abstimmung erforderliche Anwesenheit der Mitglieder des Bundesrates fest. Diese ist eindeutig gegeben.

Wir gelangen zuerst zur Abstimmung über den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Nunmehr lasse ich über den Antrag abstimmen, dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Art. 44 Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz die verfassungs­mäßige Zustimmung zu erteilen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit unter Berück­sichtigung der besonderen Beschlusserfordernisse angenommen.

Ausdrücklich stelle ich die verfassungsmäßig erforderliche Zweidrittelmehrheit fest. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

12.40.595. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Hochschulgesetz 2005, das Schulorganisationsgesetz und das Land- und forstwirtschaftliche Bundesschulgesetz geändert werden sowie das Hoch­schul-Studienberechtigungsgesetz aufgehoben wird und das Universitätsgesetz 2002, das Fachhochschul-Studiengesetz, das Privatuniversitätengesetz und das Hochschul-Qualitätssicherungsgesetz geändert werden (2235/A und 1705 d.B. sowie 9817/BR d.B. und 9853/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir kommen nun zum 5. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Mag. Gruber-Pruner. – Ich bitte um den Bericht.

 


12.41.27

Berichterstatterin Mag. Daniela Gruber-Pruner: Herr Präsident! Frau Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Unterricht, Kunst und Kultur über den Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Hochschulgesetz 2005, das Schulorga­nisationsgesetz und das Land- und forstwirtschaftliche Bundesschulgesetz geändert werden sowie das Hochschul-Studienberechtigungsgesetz aufgehoben wird und das Universitätsgesetz 2002, das Fachhochschul-Studiengesetz, das Privatuniversitäten­gesetz und das Hochschul-Qualitätssicherungsgesetz geändert werden.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 69

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für Unterricht, Kunst und Kultur stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Grimling. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


12.42.32

Bundesrätin Elisabeth Grimling (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Mit der vorliegenden gesetzlichen Regelung wird ein weiterer wichtiger Schritt zur Reform des österreichischen Bildungswesens gesetzt. Das Gesetzeswerk umfasst nicht weni­ger als die Novellierung von sieben Bundesgesetzen – ich erwähne sie auch –: das Hochschulgesetz 2005, das Schulorganisationsgesetz, das Land- und fortwirtschaft­liche Bundesschulgesetz, das Universitätsgesetz 2002, das Fachhochschul-Studien­gesetz, das Privatuniversitätengesetz und das Hochschul-Qualitätssicherungsgesetz sowie die Aufhebung des bisherigen Hochschul-Studienberechtigungsgesetzes.

Das bedeutet umfangreiche Neuregelungen, Verbesserungen und Klarstellungen so­wohl in pädagogischer als auch in administrativer Hinsicht. Die Hauptpunkte sind: Ein neues gemeinsames Studienrecht für PädagogInnen wird die bisherige Koopera­tionsklausel für Pädagogische Hochschulen und Universitäten ablösen. Die bisherigen Lehrgänge an den Pädagogischen Hochschulen werden zukünftig als Hochschul­lehr­gänge geführt.

Außerdem soll die gleichberechtigte Teilnahme von Fachhochschulen und Privatuni­ver­sitäten an gemeinsam eingerichteten Studien ermöglicht werden. Um Studierenden an privaten und öffentlichen Bildungseinrichtungen denselben Rechtsschutz zu ermög­lichen, sind die neuen gemeinsamen studienrechtlichen Bestimmungen auch von den anerkannten privaten Pädagogischen Hochschulen zu vollziehen. Die Systematik und Terminologie des Hochschulgesetzes wird an jene des Universitätsgesetzes ange­glichen. Daher wird zukünftig zwischen Lehrgängen und Hochschullehrgängen nicht mehr unterschieden.

Im Rahmen der gegenständlichen Novelle zum gemeinsamen Studienrecht werden auch die Bestimmungen betreffend die Studienberechtigungsprüfung neu gestaltet. Für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger werden der Einstieg in beziehungsweise der Umstieg auf den Beruf der Lehrerinnen und Lehrer für das Lehramt der Sekundarstufe erleichtert und damit wirksame Maßnahmen zur Behebung des Lehrermangels in bestimmten schulischen Bereichen getroffen.

Das Gesetz enthält auch deutliche Begriffsbestimmungen der Bachelor- und Master­studien, der Studienrichtungen und Erweiterungsstudien.

Zum Abschluss ist es mir wirklich ein Bedürfnis zu sagen, diese Novelle wurde in einem intensiven zweijährigen Diskussionsprozess gemeinsam vom Bildungs- und vom Wissenschaftsministerium und unter breiter Einbindung der betroffenen Rektorate, von Fachexpertinnen und Fachexperten der Universitäten und Pädagogischen Hochschu­len sowie der Österreichischen HochschülerInnenschaft und dem Qualitätssicherungs­rat für Pädagoginnen- und Pädagogenbildung erarbeitet. Dafür möchte ich mich herz­lich bedanken.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 70

Meine Fraktion wird hierzu ihre Zustimmung geben. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

12.46


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Mag. Fürlinger. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


12.46.46

Bundesrat Mag. Klaus Fürlinger (ÖVP, Oberösterreich): Hohes Präsidium! Sehr geehrte Frau Ministerin! Es ist ein bisschen ungewöhnlich, ich muss mich erst in die Rolle eines Kontraredners einarbeiten. Das hatte ich bisher in diesem Haus in den letzten fünf Jahren sehr selten, seitdem ich hier bin. (Bundesrat Stögmüller: Gewöhn dich dran!) – Herr Stögmüller spricht gefährliche Drohungen aus und sagt, ich muss mich daran gewöhnen. (Bundesrat Stögmüller: Rot-Grün ...!)

Aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich mir nicht trotzdem nachher die Zensurnoten bei der FPÖ abhole, die ist da viel profunder, was die Oppositionsrolle betrifft. (Allge­meine Heiterkeit.)

Aber lassen Sie uns im Sinne eines guten und freundlichen politischen Stils einmal mit den Gemeinsamkeiten anfangen! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns alle einig darüber, dass unsere Universitäten mehr Geld benötigen. Ich glaube, das steht außer Streit. Sie benötigen mehr Geld zur Verbesserung des Angebotes und für eine qualitative Ausbildung. Wir alle sehen immer wieder Bilder in den Zeitungen von 200-Mann-Hörsälen, in denen 400 Leute drinnen sind. Dort kann man Bildung nicht konsumieren. Es gibt zu wenige Plätze in den Labors, und wir brauchen eine bessere technische Ausstattung. Das ist unbestritten. Das alles sollte aber ... (Bundesrat Stögmüller: Dann stimmt halt einmal zu!)

Lieber David, ich gehe nachher gerne mit dir auf einen Kaffee und tausche Argumente aus, aber es ist unzweckmäßig, wenn du ständig deine eigene Meinung kundtust. Ich nehme an, du wirst hier nach mir reden und mir die Leviten für das lesen, was ich sage, und ich werde es in Demut und mit Geduld ertragen. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten von SPÖ und FPÖ.)

Unstrittig ist aber, dass Geld querbeet nicht alles heilt. Ich denke, dass die öffentliche Hand generell – und nicht nur in diesem Bereich – darangehen muss, zu sagen: Ja, wir geben Geld, aber wir machen es mit Zielvereinbarungen! Wenn wir einer Institution Geld geben, dann wollen wir natürlich auch einen entsprechenden, wie das auf Neu­hochdeutsch so schön heißt, Return on Investment! Für Universitäten heißt das, wir brauchen gut ausgebildete junge Leute, die mit einer entsprechenden Hochschulbil­dung herauskommen, die sie natürlich von diesem Staat bekommen, worauf sie ein Lernleben lang hinarbeiten, und dann im Sinne ihrer Ausbildung mit ihrem Wissen der Gemeinschaft ihren Dienst erweisen.

Das ist das, was wir wollen. Dazu wollen wir durchaus ein bisschen Wettbewerb und Transparenz bei den Universitäten. Ich glaube, es wurde auch schon ein Modell dazu entworfen, dass man sagt, mit einer entsprechenden Zahl an Absolventen, gepaart mit anderen Kriterien, kann eben mehr Geld abgerufen werden. Ich denke, dass es der richtige Weg gewesen wäre, zu sagen, wir setzen diese Anreize, wir machen die Studienplatzfinanzierung, wir führen aber auch für verschiedene Studien, wie es teilweise – und da dürfen wir uns ja nichts vormachen – bereits jetzt der Fall ist, gewisse Beschränkungen ein.

Ich bringe ein Zitat: „Dabei geht es immer noch um Studienklassiker, die stärker frequentierten Studiengänge, in denen das Betreuungsverhältnis demnach besonders schlecht ist. Im Gegensatz zur aktuellen Situation könnte sich die Zahl der Studien-


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 71

plätze [...] von einer Mindestzahl zu einer Maximalzahl wandeln [...] Das steigert die Studienqualität.“ – Das Zitat ist aus dem vom Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei im Jänner vorgestellten Plan A.

Ich werde mich jetzt nicht dazu verbreiten, ich werde hier auch keine ungebührlichen Angriffe auf den politischen Mitbewerber machen, auch wenn Wahlkampf ist. Ich habe da durchaus tiefen Respekt, ich möchte dazusagen, dass ich diesen Teil des Plans A auch sehr gut gefunden habe und respektiere.

Aber eine Anmerkung mache ich dazu: Wir waren uns einig, dass wir das machen. Die Rektoren wollten das, sie haben natürlich im Nachhinein Danke für die 1,35 Milliar­den € gesagt, das hätte ich auch getan. Aber sie waren sich auch einig, dass sie den zweiten Teil auch gerne gemacht hätten. Ich denke, dass der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei nicht nur Parteivorsitzender, sondern auch Bundeskanzler ist, und ich glaube, dass wir in der Politik die Verantwortung wahrnehmen und uns nicht vor einem Teil, der vielleicht aus irgendeiner Sicht ein bisschen unangenehm ist, davonstehlen sollten, weil der halbe Weg bei diesen Dingen einfach nicht reicht – das sage ich jetzt aber nur als akademisch ausgebildeter Jurist –, auch nicht die Dele­gierung sozusagen an die nächste Regierung irgendwann im März 2018, nach dem Motto: Sollen sich die Nächsten um die Dinge, die unangenehm sind, kümmern! Das ist nicht konsequent. Es kann nicht die Politik sein, dass man sagt, ja, man gibt das Geld des Steuerzahlers gerne her, aber den zweiten Schritt, dass man damit Bedingungen verknüpft, macht man nicht.

Ich werbe heute für einen Einspruch gegen dieses Gesetz. Wir sollten nicht nur halbe Wege gehen, meine Damen und Herren! Ein Hundertmeterlauf hört nicht nach 50 Metern auf, auch wenn er nachher anstrengend wird. Ein Fußballspiel endet nicht nach 45 Minuten, auch wenn die letzten 10 Minuten die anstrengendsten sind, und eine ordentliche Universitätsfinanzierung hört nicht beim Geldgeben auf, sondern geht bis zum Output. Daher werbe ich für einen Einspruch gegen dieses Gesetz. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

12.52


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Ecker zu Wort. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


12.52.44

Bundesrätin Rosa Ecker (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Frau Minister! Geschätzte Damen und Herren hier im Saal und zu Hause! Wir haben es schon gehört: Die Novelle betrifft das gemeinsame Studienrecht für die PädagogInnenbildung Neu an den Pädagogischen Hochschulen und an den Universitäten.

Die Kooperationsklausel, die 2013 schon beschlossen wurde, wird eben durch ein gemeinsames Studienrecht ersetzt. Die wichtigsten Regelungen werden zum Teil wortgleich übernommen, angeglichen; es gibt nur noch gleichwertige Hochschullehr­gänge und ein einheitliches Modell von Erweiterungsstudien.

Besonders spannend finde ich das neue Modell für Quereinsteiger. Im Bereich der Sekundarstufe soll das möglich werden; im Quereinsteigermodell kann mit einem Lehramt-Masterstudium auf jeden Fall eine einfache Form der Lehramtsausbildung nachgeholt werden. Wir haben ja schon im Ausschuss gehört, dass da eine Ver­besserung für künstlerische Gegenstände erhofft wird, vom Fach Musik war zum Beispiel die Rede.

Grundsätzlich ist diese Berufswelterfahrung ein Mehrwert, der in den mittleren und höheren Schulen und in den Berufsschulen schon sehr gut genutzt wird. Dieser


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 72

Praxisbezug kann sicher auch, wenn er in anderen Schulbereichen Einfluss findet, für die Schüler von Nutzen sein. Ich bezweifle allerdings, ob diese Umsteiger­ausbil­dungs­nische, wenn ich es so nennen darf, den drohenden Lehrermangel in Hinkunft ab­decken wird, weil wir ja auch Pädagogen in den anderen Gegenständen wie Mathe­matik, Deutsch, Englisch und den anderen Fremdsprachen brauchen und nicht nur im künstlerischen Bereich.

Ich komme natürlich auch zur Universitätsfinanzierung. Im Regierungsprogramm findet man oder, besser gesagt, fand man die Weiterentwicklung der Universitäten in Rich­tung Weltspitze als Ziel. Es hätte ja keiner geglaubt, aber die SPÖ hat die Erhöhung des Uni-Budgets ohne die ÖVP beschlossen. Das amüsiert mich heute noch. Daher – und trotzdem Gott sei Dank – gibt es für die Unis zwischen 2019 und 2021 zusätzlich rund 1,4 Milliarden €, das ist ein Plus von 14 Prozent. Wir haben heute den Satz schon so oft gehört: Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Ich hoffe nur, wir erleben auch das Ziel noch, nämlich dass der Wissenschaftsstandort Österreich damit wirklich auch sehr erfolgreich aufgewertet wird.

Die nächste Regierung soll bis Jänner 2018 – das ist auch sehr ambitioniert – Grund­sätze für eine Neustrukturierung der Universitätsfinanzierung ausarbeiten und ins Parlament schicken. Wir werden sehen, was da drinnen stehen wird.

Da wir uns hier in der Länderkammer befinden, möchte ich auch anmerken, dass der geplante Verteilungsschlüssel die JKU, die Johannes Kepler Uni Linz, noch schlechter­stellt als schon bisher. Die Linzer Uni musste bisher mit 4,5 Prozent des Uni-Budgets das Auslangen finden und bekommt vom zusätzlichen Budget nur 3 Prozent dazu – und das obwohl Linz vier große Fakultäten und damit ein breites Forschungs- und Bil­dungs­spektrum hat.

Insgesamt ist den Unis aber geholfen, daher stimmen wir auch zu. (Beifall bei FPÖ und SPÖ.)

12.56


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Stögmüller zu Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


12.56.24

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Wertes Präsidium! Sehr ge­ehrte Frau Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich muss, glaube ich, nicht groß sagen, dass mich dieses Gesetz freut, eigentlich ganz besonders freut, denn durch einen Entschließungsantrag meiner grünen Kollegin Sigi Maurer im Nationalrat wurden die Unis gerettet. Die Grünen haben die Unis gerettet. (Ruf: Juchu! – Beifall der Bun­desrätin Reiter.)

Es gibt 1,35 Milliarden € mehr Geld für die Universitäten. Weitere Zugangsbeschrän­kungen wurden verhindert. Es werden endlich die Interessen der Studierenden in den Mittelpunkt gestellt – das ist mehr als großartig. Auch ein Danke an die SPÖ, die klar gezeigt hat, ihr sind die Interessen der Studierenden nicht egal. Sie hat sich endlich aus den Fesseln dieser Koalition befreit. Das ist ganz, ganz gut.

Die ÖVP wird heute nicht zustimmen. Die ÖVP wird heute nicht zustimmen, weil sie die Aufstockung des Uni-Budgets nicht will. Die ÖVP wird heute nicht zustimmen, weil sie für Zugangsbeschränkungen zu Universitäten ist und damit Tausenden Maturantinnen und Maturanten die Chance auf ihr Studium verwehren möchte. Zum Glück haben wir das verhindert und das ist auch gut so.

Ein großer Brocken in diesem Gesetzeswerk, weil es ja auch um etwas anderes geht, ist die Novellierung des Hochschulgesetzes. Die bisherigen Lehrgänge an den Päda-


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 73

gogischen Hochschulen werden zukünftig als Hochschullehrgänge geführt. Das finden wir Grüne ebenfalls gut.

Über die Novelle betreffend QuereinsteigerInnen bei PädagogInnen, wie Kollegin Ecker schon gesagt hat, können wir gerne diskutieren, gerade auch hinsichtlich des zukünf­tigen LehrerInnenmangels. Ich glaube auch, dass es nicht schaden würde, mehr Praxis und Berufserfahrung in die Schulen zu bringen.

Aber dennoch sehen wir diese Novelle positiv. Wir Grüne sagen noch einmal Danke – ich glaube, auch im Sinne der vielen Studierenden, denn diese Erhöhung des Uni-Bud­gets bringt auch eine Steigerung der Qualität der Studienbedingungen. Das ist für uns Grüne ein ganz wichtiges Anliegen.

In diesem Sinne sage ich Danke. Wir werden der Novelle heute im Bundesrat gerne zustimmen. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

12.58


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Pfister zu Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


12.58.36

Bundesrat René Pfister (SPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Liebe Frau Bundes­minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Klaus Fürlinger hat schon ausgeführt, wie schwierig es heute für ihn ist, all dem zuzustimmen.

Aber ich möchte schon vorwegschicken, dass wir über zwei Jahre gemeinsam darüber diskutiert haben, wie es mit der Finanzierung der Universitäten weitergeht, dass wir sehr, sehr lange darüber diskutiert haben. (Bundesrat Stögmüller: Nix ist rausge­kom­men!)  – Und es freut uns natürlich auch, dass die Grünen diesbezüglich die SPÖ-Vorschläge übernommen haben und letzte Woche im Nationalrat dieser Beschluss erfolgt ist. (Bundesrat Stögmüller: Irgendwer muss es machen!)

Aber auch zu den Grundsätzen, die da kommen, möchte ich etwas sagen und die Aus­sagen von Klaus etwas richtigstellen. Klaus hat davon gesprochen, dass wir alle für Qualitätsverbesserungen sind, er hat aber auch gesagt, dass man nicht richtig auf die Wünsche und Forderungen eingegangen ist. Aber wenn man die Grundsätze genau liest, dann geht es auch genau um den Punkt 4, nämlich den Ausbau der Zahl an Studienplätzen im Einklang mit dem österreichischen Bedarf, natürlich auch hinsichtlich der MINT-Fächer, aber auch darum, was die österreichische Wirtschaft, was der österreichische Wirtschaftsstandort und vor allem was Österreich wirklich braucht. Das steht sehr wohl in diesen Grundsätzen drinnen.

Der Herr Bundeskanzler hat sich mit den Rektorinnen und Rektoren zusammengesetzt; das stimmt auch. Es war aber auch nicht möglich, zu einer gemeinsamen Verein­barung zu kommen und die Universitäten mit einem Budget auszustatten, mit einer Sicherung für die zukünftigen Jahre. Das zeugt schon auch von der Verantwortung, die die Sozialdemokratie letzte Woche im Nationalrat übernommen hat und auch heute im Bundesrat übernehmen wird. Damit werden die Hochschulausbildung und die zukünf­tige Finanzierung der Hochschulen und Universitäten abgesichert, und darauf können wir bauen.

Daher ist heute ein schöner Tag für die Studierenden, ein schöner Tag für die Uni­versitäten, aber vor allem auch ein ganz schöner und wichtiger Tag für das Bildungs-, Ausbildungs-, Entwicklungs- und Forschungsland Österreich. Mit dieser Finanzierung werden über 11 Milliarden € für den Zeitraum 2019 bis 2021 zur Verfügung gestellt, fernab von dem Wahlkampfgeplänkel und von allem, was da dann auch passieren wird, wenn es wieder eng wird, was hier dann auch beschlossen wird. Daher stehen


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 74

wir heute auch dazu und begrüßen das sehr. – Frau Ministerin, herzlichen Dank! (Bei­fall bei der SPÖ.)

13.01


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nun darf ich Frau Bundesministerin Dr. Hammerschmid das Wort erteilen. – Bitte.

 


13.01.22

Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglieder des Bundesrates! Zuerst zum Studienrecht, zur Harmonisie­rung des Studienrechts und zum angesprochenen Masterstudiengang für Quereinstei­ge­rinnen und Quereinsteiger: Die Frage, ob das wirklich die richtige Methode ist, um dem Lehrermangel in der Zukunft zu begegnen, stand im Raum.

Ich glaube, da muss man auch in die Zahlen hineinschauen. Wir monitoren natürlich die ganze Zeit die Lehrerinnen- und Lehrerentwicklung und den Bedarf in Österreich und wissen aufgrund der Entwicklung der Schülerinnen- und Schülerkohorten sehr genau, wie sich die Zahlen mit hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten Jahren ent­wickeln werden. Was wir sehen, ist, dass viele, ein Drittel bis die Hälfte, der Päda­goginnen und Pädagogen in den nächsten zehn Jahren in Pension gehen; das ist korrekt. Was wir aber auch wissen, ist, dass wir sehr, sehr viele Absolventinnen und Absolventen haben, die natürlich diese Plätze einnehmen werden.

Wir wissen, durch das neue Studium, durch die PädagogInnenbildung Neu, bekommen wir die Drop-out-Rate in den Studien ein Stück weit nach unten. Wir verbessern die Zugänge und die Studienbedingungen an den Pädagogischen Hochschulen, an den Universitäten. Wir wissen, dass wir mit den Absolventinnen und Absolventen der Zukunft eine gute Basis haben. Wir wissen auch, dass wir noch Tausende Päda­go­ginnen und Pädagogen, die fertig sind, auf den Wartelisten in den Bundesländern haben. Die warten auf Arbeit, das ist so, das vergessen viele.

Dass es in den verschiedenen Fächern unterschiedlich ist, wissen wir auch. Gerade in den naturwissenschaftlichen Fächern müssen wir sehr genau dranbleiben und hin­schauen, da haben wir natürlich weniger. In anderen Fächern, in allgemeinbildenden Fächern haben wir aber viele, die auf einen Job warten. Das heißt, da müssen wir besser steuern und mit diesen Wartelisten auch arbeiten.

Was wir auch tun müssen, ist, die Durchgängigkeit, die Durchlässigkeit ins System zu verbessern, deshalb haben wir dieses Gesetz auch beschlossen, diesen Master ge­schaffen. Wir sehen in den berufsbildenden Schulen, in den mittleren und höheren Schulen, dass Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger das Schulleben schon sehr, sehr befruchten können, weil sie natürlich Expertise aus den unterschiedlichen Arbeits­welten, aus den unterschiedlichen Berufen mitbringen. Das hat sich im berufsbildenden Sektor extrem gut bewährt.

Dass das auch in anderen Schulen funktionieren kann, wissen wir nicht zuletzt durch Teach for Austria, eine wunderbare Initiative, die junge Menschen, die ein abge­schlossenes Hochschulstudium haben, mit einer zusätzlichen pädagogischen Ausbil­dung dazu befähigt, insbesondere an Neuen Mittelschulen, die besondere Heraus­forderungen haben, zu wirken. Was ich von dort höre, was ich dort auch sehe, ist wirklich erstaunlich. Diese Menschen bringen einfach neue Perspektiven in die Teams ein. Alle, und zwar ausnahmslos alle Schulen, an denen ich war, wo solche Teach-for-Austria-Lehrer anwesend waren und mitwirkten, waren total begeistert und haben sich sehr dafür eingesetzt, dass diese Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger bleiben können.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 75

Genau das adressieren wir auch mit diesem Masterstudiengang, nämlich dass wir jenen Personen, die wirklich ins PädagogInnenleben wechseln wollen, die Möglichkeit geben, mit einem verkürzten Zugang, nicht das gesamte pädagogische Studium nach­holen müssend, in den Lehrerberuf zu kommen. Dabei geht es vor allem um das Nachholen der Pädagogik, das ist ganz klar, die will in diesem Masterstudiengang nachgeholt werden, und das können wir damit auch entsprechend adressieren.

Natürlich sind wir flexibel: Wenn Menschen kommen, die schon eine gewisse Grund­kenntnis in Pädagogik mitbringen, weil sie beispielsweise über Teach for Austria schon Schulungen bekommen haben, dann können wir das auch entsprechend anrechnen. Das heißt, wir haben damit ein sehr flexibles, gutes System geschaffen, um die Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger zu motivieren, in den Lehrberuf zu kommen.

Musik und bildende Künste sind da ein Thema, das ist überhaupt keine Frage, aber das ist natürlich nicht nur für die Kunstfächer offen, sondern für alle Fächer. Ich bin überzeugt davon, dass das viele in der Zukunft auch entsprechend nutzen werden. Das ist sicher einer der ganz wesentlichen Punkte in diesem Gesetzespaket.

Ich möchte aber schon auch noch ein paar Worte zur Universitätsfinanzierung verlie­ren. Ich selbst war ja Rektorin, ich glaube, das ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Jetzt ist wieder einmal die Zeit, in der alle meine Kolleginnen und Kollegen sich mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Universitäten auf den Weg gemacht haben, ihre Entwicklungspläne zu aktua­lisie­ren. Das sind ihre Strategiekonzepte für die nächsten fünf bis zehn Jahre, die sie rollierend immer wieder überarbeiten und anpassen. Das sind die Grundlagen für Leistungsvereinbarungen, sprich, da geht es ganz konkret darum, welche Maßnahmen an welcher Universität in welchem Themengebiet gesetzt werden.

Wenn man in der Entwicklung solcher Strategien ist, dann ist es sehr hilfreich, wenn man ungefähr weiß, wie viel Geld man für die nächste Periode zur Verfügung hat, weil es sich dann einfach leichter planen lässt. Man weiß dann einfach, ob man jetzt Rich­tung Neugestalten, zusätzliches Gestalten denken kann oder eigentlich Richtung Kon­solidierung, Reduzierung gehen muss. Ich selbst habe 2010 in einer Situation begon­nen, als es genau so war, nämlich ein Nullbudget im Raum stand. Dann ist es wirklich schwierig, zu überlegen, wie geht man weiter, wie gestaltet man eine Universität.

Dass wir gemeinsam danach trachten, die Universitätsfinanzierung für die nächste Zeit planbar zu machen, ist, glaube ich, legitim. Der Prozess war anders gedacht, das stimmt. Wir hatten uns ja im Regierungsübereinkommen noch auf einen Prozess ver­stän­digt, dass das Konzept bis Sommer steht und der Beschluss im Oktober gefasst wird. Dass es nicht mehr dazu gekommen ist, wissen wir alle. (Bundesrätin Kurz: Nicht unsere Schuld!) Ich glaube, es ist jetzt eine Art Notfallplan gewesen, da entsprechend zu reagieren.

Es wird nicht einfach Geld ins System geschüttet, sondern das ist, wie mein Vorredner schon ausgeführt hat, schon damit verbunden, dass Ziele und Kriterien hinterlegt wur­den. Diese gilt es ja konzeptionell bis 31. Jänner 2018 zu konkretisieren. Das heißt, der Prozess läuft schon auch weiter, um zu einer guten, kapazitätsorientierten, studie­ren­den­bezogenen Universitätsfinanzierung zu kommen. Das steht ja auch in diesem Antrag. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ und der Bundesräte Zwazl und Stögmüller.)

13.08

13.08.23

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 76

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

13.08.556. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und den Ländern über die Förderung von Bil­dungsmaßnahmen im Bereich Basisbildung sowie von Bildungsmaßnahmen zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses für die Jahre 2018 bis 2021 (1665 d.B. und 1706 d.B. sowie 9854/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir kommen nun zum 6. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Pfister. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


13.09.21

Berichterstatter René Pfister: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Unterricht, Kunst und Kultur über den Beschluss des National­rates vom 28. Juni 2017 betreffend Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und den Ländern über die Förderung von Bildungsmaßnahmen im Bereich Basisbildung sowie von Bildungsmaßnahmen zum Nachholen des Pflichtschulab­schlus­ses für die Jahre 2018 bis 2021.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, daher komme ich gleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Unterricht, Kunst und Kultur stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Längle. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


13.10.02

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Herr Vizepräsident! Geschätzte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! In Verhandlung steht eine Artikel-15a-Vereinbarung, wir haben das gehört. Zur Bildung allgemein: Wir haben in Österreich grundsätzlich viele Möglichkeiten. Man kann wählen: Man kann ein Handwerk erlernen, man kann eine Lehre machen. Diesbezüglich darf ich auf unsere freiheitliche Forde­rung des sogenannten Blum-Bonus verweisen, der eben jene Betriebe unterstützt, die Lehrlinge aufnehmen. Man kann sich aber natürlich auch anderweitig weiterbilden, man kann Schulen besuchen, bis hin zur Universität. (Bundesrat Schennach: Schön!) All das ist aber nur möglich, wenn eine gute Basisausbildung da ist beziehungsweise zumindest ein Pflichtschulabschluss vorzuweisen ist.

Die derzeit gültigen Regelungen laufen ja mit Ende des Jahres 2017 aus. Diese neue Artikel-15a-Vereinbarung betrifft Regelungen ab dem Jahre 2018 bis in das Jahr 2021.

Im Fokus stehen eben die Basisausbildung und die Nachholung des Pflicht­schulab­schlusses. Ich denke, es muss hier nicht weiter erläutert werden, dass diese Kompe­ten­­zen, gerade auch die Pflichtschule, unbedingte Erfordernisse für jede weitere beruf­liche Bildung und dergleichen sind. Gerade der Kompetenzerwerb betreffend Lesen, Rechnen und Schreiben ist besonders zu unterstreichen.

Die Teilnahme ist selbstverständlich unentgeltlich, und wir haben auch schon in den letzten Jahren gesehen, dass sehr, sehr viele Personen dieses Angebot wahrnehmen.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 77

Wir werden auch mit mehreren Tausend Personen in den nächsten Jahren zu rechnen haben.

Lob und Anerkennung an dieser Stelle den vielen Lehrerinnen und Lehrern, die in diesen Bereichen tätig sind und tagtäglich ihr Bestes geben und versuchen, ihren Schülerinnen und Schülern lesen, schreiben und rechnen und natürlich auch viele andere Dinge beizubringen!

Ich denke aber, dass es auch einmal an der Zeit ist, unsere Bildungseinrichtungen zu loben. Gerade in diesem Zusammenhang sind die Volkshochschulen zu nennen, denn dort wird eben auch eine Ausbildung am Abend ermöglicht, das heißt, man kann unter­tags arbeiten und am Abend noch in diese Bildungseinrichtung gehen, um den Pflicht­schulabschluss oder auch andere Schulabschlüsse, wie zum Beispiel die Matura, nachzuholen.

Was ich etwas schade finde, ist, dass in den vergangenen Jahren unter Ihrer Vor­gängerin, Frau Ministerin, Bildungsmittel wieder gestrichen wurden aufgrund der Tatsache, dass offensichtlich zu wenig Frauen an diesen Projekten und Kursen zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses teilgenommen haben. Da muss ich schon sagen, dass grundsätzlich im Vordergrund stehen sollte, dass der Abschluss nach­geholt wird. Wir sollten nicht unterscheiden, ob es ein Mann oder eine Frau ist, der das macht. Nur deswegen diese Fördermittel zu kürzen, das finde ich nicht in Ordnung, denn die Schulen können sich nicht aussuchen, wer sich bei ihnen meldet. Sie nehmen eben die Leute, die sich melden. Daher finde ich das schade, denn gerade die Volks­hochschulen haben ja viele finanzielle Engpässe zu bewältigen. Man muss dieses und jenes bezahlen, man muss das und das ermöglichen, und da ist eben jeder Euro sehr viel wert.

Dem Gesetz selbst werden wir nicht zustimmen. Wir denken, dass es etwas zu wenig weit geht. Es wird aber von den anderen Parteien eine Zustimmung geben, und wir möchten mit unserer Ablehnung ein Zeichen setzen, dass wir noch nicht am Ende der Fahnenstange angekommen sind. (Bundesrat Schennach: Also schweren Herzens dagegen! – Bundesrat Krusche: Wie immer, mit Tränen in den Augen!)

Bildung ist sehr wichtig. Wir wünschen uns Sprachförderung, speziell im Bereich der deutschen Sprache. Das ist besonders wichtig, denn ohne Kommunikation kann auch Bildung nicht stattfinden. Wir alle kennen das: Wie soll man eine Textaufgabe in Mathematik lösen, wenn man die Sprache nicht versteht?

Wir möchten mit der Ablehnung eben ein Zeichen setzen, dass wir da noch viel, viel mehr tun müssen und auch in Zukunft viel Geld hineinstecken müssen, denn ohne finanziellen Background geht es nicht. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

13.14


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste ist Frau Bundesrätin Grimling zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


13.14.42

Bundesrätin Elisabeth Grimling (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Durch die vom Nationalrat beschlossene neuerliche Vereinbarung gemäß Artikel 15a B-VG zwischen dem Bund und den Ländern soll die bisherige Förderung von Bildungs­maßnahmen im Bereich Basisbildung sowie von Bildungsmaßnahmen zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses weitergeführt werden. Mit diesem Fördermodell wird im Bereich der Erwachsenenbildung ein Weg der partnerschaftlichen Zusammenarbeit beschritten, welcher föderalen Entscheidungsfreiräumen Rechnung trägt und zugleich


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eine wirkungsorientierte, von Ländern und Bund gemeinsam getragene Bündelung der Ressourcen im Bereich der Erwachsenenbildung erlaubt.

Ein wesentlicher Mehrwert des Modells liegt darin, dass sich die verfügbaren Landes­mittel und die Mittel des Bundes in ihrer Effektivität wechselseitig verstärken und damit nachhaltige bildungspolitische Wirkungen erzielbar sind, die aus Landes- und Bundes­mitteln allein nicht erzielbar gewesen wären. Durch Inanspruchnahme von Mitteln des Europäischen Sozialfonds kann im Bereich Basisbildung eine Erhöhung der Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer erreicht und im Bereich Nachholen des Pflichtschul­abschlusses der Anteil der Frauen erhöht werden.

Meine Fraktion wird hiezu ihre Zustimmung erteilen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ so­wie des Bundesrates Stögmüller.)

13.16


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Kern zu Wort. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


13.16.50

Bundesrätin Sandra Kern (ÖVP, Niederösterreich): Hohes Präsidium! Geschätzte Frau Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle­gen! Eigentlich ist es kaum zu glauben, aber es ist wahr: In Österreich können eine Million Menschen nicht richtig lesen, schreiben oder rechnen.

Wir hier herinnen können uns gar nicht vorstellen, was das für diese Menschen be­deutet. Das bedeutet, dass es schon eine Herausforderung ist, wenn man in den Super­markt einkaufen geht, weil man die Texte und die Preise nicht lesen kann. Das bedeutet, dass das Autofahren eine Herausforderung ist, weil man die Verkehrs­schilder nicht lesen kann. Das bedeutet, dass es eine Herausforderung ist, wenn man ein Formular ausfüllt, das man für einen Amtsweg braucht.

Viele Menschen verstecken sich jahrelang, jahrzehntelang mit ihrer Lese- und Schreib­schwäche, und es beeinträchtigt natürlich ihr soziales Leben. Scham und Versteckspiel sind ständiger Begleiter im Leben.

Jemand, der nicht lesen, schreiben und rechnen kann oder keinen Pflichtschulab­schluss hat, hat es nicht nur in der Gesellschaft schwer, sondern natürlich auch im Berufs­leben. Gerade diejenigen, die sich mit Bildungsdefiziten jahrelang irgendwie im Job durch­gekämpft haben, laufen heute Gefahr, gänzlich den Anschluss in der Arbeitswelt zu verlieren. Auch bei den klassischen Hilfsarbeiterjobs braucht man heute schon einen Computer oder ist mit Arbeitszeiterfassungssystemen konfrontiert. Ich nenne nur die Stichwörter Digitalisierung und Arbeitswelt 4.0.

Deswegen beschließen wir heute die Verlängerung einer Artikel-15a-Vereinbarung. Bund und Länder haben sich gemeinsam auf die Unterstützung beim Nachholen des Pflichtschulabschlusses und die Förderung zum Erlernen der Grundkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen im Erwachsenenalter geeinigt.

Allein in den Jahren 2015 bis 2017 haben 13 600 Personen kostenlos lesen, schreiben und rechnen gelernt. Weitere 5 800 Menschen haben mit dieser Förderung den Pflicht­schulabschluss geschafft. Nun ist geplant, in den nächsten vier Jahren die Mittel aufzustocken, damit insgesamt mehr als 27 000 Menschen einen großen Schritt in ein selbstbewussteres und eigenständiges Leben gehen können. Der Bund und die Länder nehmen dafür 72,6 Millionen € in die Hand und dazu kommen EU-Mittel von mehr als 38 Millionen €.

Die Fördermittel sind das eine, die größere Herausforderung wird es aber sein, Men­schen zu motivieren, an diesen Bildungsprogrammen teilzunehmen. Wir müssen es


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schaffen, dass diejenigen, die jahrelang einen Mantel des Schweigens über ihr Bil­dungs­defizit gelegt haben, mutig diese Chance ergreifen. Da braucht es gemeinsame politische und gesellschaftliche Anstrengungen.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, wir stehen zu 100 Prozent hinter diesem Pro­gramm, aber man muss sich schon die Frage stellen, wie es sein kann, dass in einem Bildungsland wie Österreich eine Million Österreicherinnen und Österreicher nicht richtig lesen, schreiben und rechnen können. Für mich gibt es dazu eine mögliche Antwort: Wir dürfen in unserem Bildungssystem nicht nur Strukturpakete beschließen. Wir müssen vielmehr eine ehrliche inhaltliche Debatte darüber führen, was in den Schulen unterrichtet wird. Kein Kind darf die Schule verlassen, ohne rechnen, lesen und schreiben zu können.

An dieser Stelle darf ich unseren Pädagoginnen und Pädagogen für ihren uner­müd­lichen Einsatz in allen Schultypen, für ihren täglichen Einsatz für unsere Kinder und Jugendlichen ein ganz großes Dankeschön aussprechen.

Wir haben in den letzten Jahren schon einige richtige Maßnahmen gesetzt. Ich darf nur einige anführen: Wir haben die Ausbildungspflicht bis 18 Jahre geschaffen, das Jugend­coaching, Förderunterricht an den Schulen. Wir wissen, wer eine Ausbildung hat, verdient mehr und findet auch dreimal schneller einen Job als jemand ohne Ausbil­dung.

Zusätzlich ist die Berufsorientierung in den Schulen wichtig, um jungen Menschen die Arbeitswelt näherzubringen. Und, auch das möchte ich an dieser Stelle anführen, auch unsere Sonderschulen legen großen Wert auf die Möglichkeit eines Pflichtschul­ab­schlus­ses und auf die Berufsorientierung in ihren Schulen.

Mit dieser Artikel-15a-Vereinbarung geben wir den Menschen eine zweite Chance. Wenn Erwachsene Verantwortung übernehmen und ihre Bildungsdefizite überwinden wollen, verdient dies unseren Respekt und vor allem unsere Unterstützung.

Abschließend möchte ich noch sagen: Natürlich unterstützen wir dieses Förderpro­gramm, weil wir den Menschen eine neue Lebensqualität geben wollen, damit sie auch in der Gesellschaft und in der Arbeitswelt neu Fuß fassen können. Klar ist aber: Unser aller Ziel muss es sein, dass wir in Zukunft solche Förderprogramme nicht mehr brauchen! (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller.)

13.21


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Stögmüller. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


13.21.55

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Wertes Präsidium! Sehr ge­ehrte Frau Ministerin – wieder einmal! Sehr geehrte Damen und Herren! Für uns Grüne ist es ganz wichtig, für alle Menschen in Österreich eine ausgezeichnete Bildung zu gewährleisten. Leider klappt das nicht immer. Wie wir schon gehört haben, gibt es knapp eine Million Menschen in Österreich, die in den Schlüsselkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen Defizite haben. Das schlägt sich natürlich auch im sozialen Leben und auf den Arbeitsmarkt nieder.

Wir Grüne können natürlich die Bemühung dieser Artikel-15a-Vereinbarung sehen, näm­lich dem entgegenzuwirken, um wirklich vielen Menschen ein besseres Berufs- und Alltagsleben zu ermöglichen. Immerhin geht es um 18 000 Menschen, die in den nächsten vier Jahren kostenlos an Bildungsangeboten im Bereich der Basisausbildung teilnehmen können, und rund 9 000 Menschen, die an Angeboten für das Nachholen des Pflichtschulabschlusses teilnehmen werden.


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Natürlich ist das Ganze, das muss man ehrlich sagen, nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn wir uns die Gesamtzahlen anschauen. Ich habe es im Ausschuss schon gesagt: Eine Million ÖsterreicherInnen haben Defizite in den Schlüsselkompetenzen. Ich rede hier nicht von den Menschen, die Fachabschlüsse, Berufsreifeprüfungen oder Lehre mit Matura machen, sondern es geht mir um Menschen, die Probleme im Lesen, Rechnen und Schreiben haben.

Also, eine Million Menschen dividiert durch 6 750 Personen, die dann jährlich durch dieses Programm gefördert werden, ergibt 148 Jahre, bis jede Österreicherin und jeder Österreicher die Grundkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen erlernt hat. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Ich bitte, das jetzt nicht als Kritik an Ihnen, Frau Ministerin, zu verstehen, aber es muss dieser Bundesregierung, insbesondere auch dem Finanzminister, klar sein, dass Bildung die wichtigste Prävention gegen Armut, Kriminalität, Krankheit und andere soziale Probleme ist. Bildung ist der wichtigste Wirtschaftsfaktor in Österreich. Wir brauchen mehr Investitionen in Bildung, das ist ganz, ganz wichtig, und dafür werden wir Grüne uns auch weiterhin einsetzen.

Frau Ministerin, danke für den ersten Schritt. Wir hoffen, es folgen noch mehrere, und es werden noch viel mehr Personen als diese paar in diese Basisausbildung kommen. Wir werden dieser Vereinbarung natürlich gerne zustimmen. – Danke schön. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

13.24


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Mag. Gruber-Pruner zu Wort. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


13.24.25

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Wertes Präsidium! Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir alle wissen: Bildung ist ein Menschenrecht und der Schlüssel zu einem selbstbe­stimmten und freien Leben. Aber wir wissen auch, dass nicht jeder Mensch dieselben Zugänge zum Bildungssystem hat. Viele Menschen müssen bereits als Kinder beson­ders große Hürden überwinden. Das hängt mit dem familiären Hintergrund zusammen, aber, das muss man auch sagen, auch mit den selektiven Mechanismen, die unser Bildungssystem leider immer noch zeigt. Daher ist es nur fair und überaus wichtig, dass Menschen niedrigschwellige – nämlich kostenlose – Angebote und Möglichkeiten bekommen, sich auszubilden und weiterzubilden, und zwar ein Leben lang.

Insbesondere dann, wenn die Situation auf dem Arbeitsmarkt angespannt ist, haben Menschen mit Bildungsabschlüssen weit bessere Möglichkeiten, Arbeit zu finden. Da­her ist das, was wir heute beschließen werden, im Interesse der gesamten Gesell­schaft. Zusätzlich zu den Dingen, die wir heute beschließen, gibt es ja noch weitere Wege, Bildungsabschlüsse, Abschlüsse nachzuholen. Insofern stimmt die Rechnung des Kollegen Stögmüller nicht ganz.

Aber die Zahlen, die uns im Ausschuss präsentiert wurden, sprechen für sich und sprechen für die Erfolgsgeschichte dieser Artikel-15a-Vereinbarung. Mit dem vergan­genen Jahr haben ungefähr 30 000 Personen in ganz Österreich dieses Basisaus­bil­dungs­angebot absolviert, und 60 Prozent davon – also mehr als die Hälfte – sind Frauen, und wiederum 88 Prozent von ihnen haben Migrationshintergrund. Also man sieht, die niedrigschwellige Angebotsstruktur greift da sehr gut. Was auch ein sehr positiver Effekt ist: Es gibt die Möglichkeit, dass die Kinderbetreuungskosten während solch einer Ausbildung gefördert werden. Das ist sicherlich gerade für Frauen ein zusätzlicher sehr positiver Faktor.


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Beim Pflichtschulabschluss waren es mit dem vergangenen Jahr insgesamt rund 10 000 Personen, die dieses Angebot in Anspruch genommen haben. Da liegt der Frauenanteil bei 39 Prozent, 70 Prozent von ihnen haben Migrationshintergrund.

Es wird erwartet, dass in den nächsten vier Jahren weitere 27 000 Personen diese Angebote in Anspruch nehmen, wenn wir das heute so beschließen. Ich finde, das sind sehr beeindruckende Zahlen, und sie sprechen für die Notwendigkeit.

Im Ausschuss wurde uns aber auch berichtet, dass die Ausweitung dieses Angebots durchaus sinnvoll wäre. Das Potenzial dafür besteht, und es gibt Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds, die abholbereit sind. Alle, die jemals versucht haben, solche Anträge einzureichen, wissen, dass das harte Arbeit ist. Aber ich denke, jede Anstren­gung in diesem Bereich lohnt sich. Daher freuen wir uns, wenn es diese zwei Angebote weiterhin gibt und wir diesen Beschluss heute fassen.

Kollege Längle, aus meiner Sicht ist es absolut unverständlich, und ich muss mich wundern, wie man ein Programm positiv finden kann, aber sagt, weil es zu wenig ist, stimmen wir dem nicht zu. Das versteht niemand, das ist das Kind-mit-dem-Bade-Ausschütten.

Wir freuen uns über diese Möglichkeit. Die Menschen haben das verdient. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Tiefnig.)

13.28


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Zum Schluss darf ich dazu Frau Ministerin Dr. Hammerschmid das Wort erteilen. – Bitte.

 


13.28.22

Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Es ist jetzt bereits ziemlich viel angerissen worden, auch der Punkt, dass im Zuge dieses Pakets immer mehr Geld zur Verfügung gestanden ist. Ich verstehe nicht, wo diese Kürzung gewesen sein soll, da könnten wir vielleicht einmal bilateral reden, was da wirklich war. Das mit der Frauenquote verstehe ich schon gar nicht, denn wir haben die Frauenquote ja mitverfolgt, und die ist immer wieder gestiegen. Das müssten wir uns anschauen, das biete ich auch gerne an.

Ich möchte an dieser Stelle auch danken: den Ländern insbesondere auch dafür, dass sie das Thema mit uns gemeinsam weiter vorangebracht haben, vorangetrieben ha­ben; meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Haus, dass dieses Thema so intensiv bearbeitet wurde; dem Finanzministerium. Insbesondere aber möchte ich jenen danken, die draußen in den Regionen tagtäglich daran arbeiten, diesen Menschen ein Angebot zu machen, Basisbildung zu bekommen und den Pflichtschulabschluss nach­zumachen, denn wir könnten diese Menschen von hier aus wahrscheinlich gar nicht erreichen. Es braucht wirklich die Menschen vor Ort, die Institutionen vor Ort, in den Regionen draußen, die sehr gute Netzwerke haben, um diese Menschen zu erreichen.

Wir müssen danach trachten, noch mehr Menschen zu erreichen. Es sind noch viele, viele, viele, wie wir wissen. Vielen, vielen Dank an die vielen Institutionen, an die Trainer, an die Ausbilderinnen und Ausbilder, Lehrerinnen und Lehrer, die mit diesen Menschen daran arbeiten, dass sie sich höher qualifizieren und so eine Chance bekommen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und in der Berufswelt zu reüssieren. (Präsident Mayer übernimmt den Vorsitz.)

Wir kennen die Arbeitslosenzahlen von den Menschen ohne Schulabschluss im Ver­gleich zu jenen, die eine gewisse Bildung haben, einen entsprechenden Pflichtschul­abschluss, eine Lehrausbildung haben oder höhere Bildung genossen haben. Das heißt, den Menschen, die das nicht haben, den Ärmsten unserer Gesellschaft, gilt es


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 82

zu helfen. Vielen Dank dafür, dass das tagtäglich passiert! (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

13.30

13.30.24

 


Präsident Edgar Mayer: Danke, Frau Minister.

Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

13.30.407. Punkt

EU-Ressortbericht 2017 des Bundesministeriums für Bildung auf der Grundlage des Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission und des Arbeitspro­gramms der maltesischen Präsidentschaft – mit einer Vorausschau auf die estnische Präsidentschaft (III-604-BR/2017 d.B. sowie 9855/BR d.B.)

 


Präsident Edgar Mayer: Nun kommen wir zum 7. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Mag. Gruber-Pruner. – Ich bitte um den Bericht.

 


13.31.23

Berichterstatterin Mag. Daniela Gruber-Pruner: Herr Präsident! Frau Ministerin! Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Unterricht, Kunst und Kultur über den EU-Ressortbericht 2017 des Bundesministeriums für Bil­dung auf der Grundlage des Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission und des Arbeitsprogramms der maltesischen Präsidentschaft – mit einer Vorschau auf die estnische Präsidentschaft.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor. Ich komme sogleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Unterricht, Kunst und Kultur stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag, den EU-Ressortbericht 2017 des Bun­des­ministeriums für Bildung auf der Grundlage des Arbeitsprogramms der Europä­ischen Kommission und des Arbeitsprogramms der maltesischen Präsidentschaft – mit einer Vorschau auf die estnische Präsidentschaft (III-604-BR/2017 d.B.) zur Kenntnis zu nehmen.

 


Präsident Edgar Mayer: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte, Frau Kollegin.

 


13.32.28

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Minister! Sehr geehrte Damen und Herren hier im Sitzungssaal und zu Hause! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der EU-Ressortbericht 2017 ist ja eigentlich schon mehr eine Nachschau beziehungsweise eine Ist-Schau und keine Vorschau mehr, denn wir haben schon das Jahr 2017.

Bei solchen Berichten ist immer die Schwierigkeit: Was machen wir jetzt damit? Nimmt man sie zur Kenntnis oder nimmt man sie nicht zur Kenntnis? – Es gibt ja, muss ich sagen, kaum einen Bericht, in dem nicht irgendetwas drinnen steht, was durchaus auch positiv ist. Und die Berichte – alle, das muss ich generell einmal sagen, nämlich


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auch an die Damen und Herren in den Ministerien, die sie erstellen – sind ja auch immer sehr gut gemacht, sie sind übersichtlich, man kann nachlesen, worum es geht. In den meisten Fällen sind auch die österreichischen Positionen drinnen, wenn auch nicht immer. Das ist ja wirklich top. Aber dann steht man halt vor der Entscheidung: Wie halte ich es mit dem Ressortbericht?

Ich möchte hier das Positive voranstellen: Also Erasmus+, das ist ja etwas – das eint uns alle –, was wir immer sehr positiv finden, die Mobilität von Studenten, aber mittler­weile auch von Lehrlingen. Es war Kollegen Schennach und mir immer so ein großes Anliegen (Bundesrat Schennach: Genau! Das ist richtig!), dass auch die Lehrlinge, so wie die Handwerkslehrlinge früher auf die Walz gegangen sind, jetzt mobil sein können und schauen können, wie es woanders in der Welt zugeht und da auch durchaus neue Erkenntnisse mitnehmen können, aber auch für die eigene Persönlichkeitsbildung profitieren können, selbständiger werden et cetera. Das ist toll.

Bei der Europa-2020-Strategie ist das Vorhaben, die Schulabbrecherquote zu senken, absolut zu begrüßen, wobei wir gestern im Ausschuss ja gehört haben, dass wir unsere Schulabbrecherquote schon gesenkt haben, mittlerweile unter dem EU-Schnitt liegen, was ja durchaus löblich und begrüßenswert ist, obwohl es natürlich in einer Diskrepanz dazu steht, was gerade hier diskutiert worden ist, dass wir nach neun Schuljahren immer noch 25 Prozent haben, die nicht ausreichend lesen, schreiben und rechnen können. Aber jeder, der keine Schulausbildung abgeschlossen hat – das wissen wir alle –, hat es natürlich besonders schwer auf dem Arbeitsmarkt.

Das führt mich jetzt zu dem Thema, wo ich dann nicht mehr so positiv gestimmt bin und das auch Teil der Europa-2020-Strategie ist: Alle Länder, auch Österreich, sind sich einig darin, dass wir eine Akademikerquote von 40 Prozent brauchen. Und da, ehrlich gesagt, Frau Minister, steige ich aus.

Ich sage: Nein, ich glaube nicht, dass wir eine 40-Prozent-Akademikerquote brauchen. Wir haben ja jetzt in Österreich 38,5 Prozent, wenn ich das von vorgestern richtig im Kopf habe, geschafft, weil der berufsbildende höhere Schulbereich in den tertiären Bereich hineingerechnet worden ist (Bundesrat Stögmüller: Ja, 6 Prozent!), aber ich sage auch bei jeder Bildungsdebatte – Frau Kollegin Kurz ist jetzt gerade nicht hier und kann mir daher nicht vorwerfen, ich sage immer dasselbe, aber wir reden ja auch immer über die gleichen Dinge –, dass wir unseren Fokus nicht nur auf Maturanten und Hochschulabsolventen richten sollten, sondern auch auf die Lehrlingsausbildung, wo wir mit dem dualen System ja mittlerweile nicht nur europaweit, sondern auch weltweit Vorbild sind.

Es gibt ja Länder wie die USA, die durchaus schon überlegen, ob sie das nicht bei sich einführen, weil es ein System ist, das sich bei uns wirklich bestens bewährt hat. Und ich sage ganz offen: Wenn ich heute einem jungen Menschen raten sollte, was er jetzt tun soll, wenn er nicht weiß, welchen Beruf er ergreifen soll, ob er studieren soll oder nicht, würde ich eher dazu neigen, zu sagen: Mach eine Lehre, nicht in den Berufen, die ohnehin überlaufen sind, mach eine gute Lehre, da hast du wahrscheinlich mehr Chancen denn als Akademiker!

Wenn wir es uns europaweit anschauen – Italien, Griechenland, Spanien, Portugal –, dann sehen wir, dass dort von dieser extrem hohen Arbeitslosigkeit – auch wenn die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien von über 50 Prozent auf unter 50 Prozent gesunken ist – sehr viele Jungakademiker betroffen sind, die kein anderes Mittel sehen, als auszuwandern, entweder über den großen Teich nach Südamerika oder nach England und ein Teil nach Deutschland.

Da sage ich schon: Wir bilden die aus, das kostet ja nicht wenig Geld, und dann kriegen die keine Jobs, obwohl sie einen Hochschulabschluss haben. Auch bei uns ist


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 84

ja die Akademikerquote in den letzten Jahren gestiegen – jetzt hat sie Gott sei Dank wieder eine kleine Delle nach unten bekommen, aber sie ist immer noch relativ hoch. Also ich glaube, das Allheilmittel in einem Hochschulabschluss zu suchen, ist der falsche Weg.

Wir brauchen Akademiker, das ist ja überhaupt keine Frage, und wir werden jetzt wahr­scheinlich in der Diskussion auch darüber diskutieren, wie hoch der Anteil tatsächlich sein soll. Ich denke, ein niedrigerer Anteil, wo dann alle aber halbwegs die Möglichkeit haben, Jobs zu bekommen, ist der bessere Weg, und die Ausbildung mit Praxis und mit Theorie ist ein ganz wesentlicher Faktor, denn wir hören es ja auch immer: Wir brauchen Fachleute! Die fehlen uns ja – dann müssen wir sie wieder „importieren“.

Unser Kritikpunkt an der Europäischen Union ist ja oft – und ich finde, auch völlig berechtigt – diese Tendenz zu einer Gleichmacherei, also: Ganz Europa muss einen Akademikeranteil von 40 Prozent haben, und ganz Europa muss dieses und jenes und das haben. – Nein, jedes Land hat andere Traditionen, andere Herangehensweisen, andere Schwerpunkte, und daher glaube ich, dass die Vielfalt für Europa wesentlich besser ist. Damit meine ich, dass die Länder eben auch unterschiedlich in ihren Sys­temen sind, denn auch das Bologna-System hat uns nicht wirklich weitergebracht, und da gibt es nicht nur Kritik von der FPÖ, sondern auch von ganz anderen Seiten.

Geben wir doch der Vielfalt in der Europäischen Union etwas mehr Raum, versuchen wir, nicht immer alles über einen Kamm zu scheren, alle gleich machen zu müssen, und dann werden sich, glaube ich, die Systeme auch besser entwickeln. Diese 2020-Strategie ist halt für mich ein Punkt, der schon ein schwerwiegender ist, wo wir uns ein Ziel verordnen, von dessen Richtigkeit ich nicht überzeugt bin. Und daher werden wir als Zeichen dessen den Bericht nicht zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der FPÖ.)

13.39


Präsident Edgar Mayer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Koller. – Bitte, Herr Kollege.

 


13.40.03

Bundesrat Hubert Koller, MA (SPÖ, Steiermark): Gratulation, Herr Präsident, zur Präsidentschaft! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren zu Hause an den Bildschirmgeräten! Nach den großen Reformbrocken, die wir vorhin in den Bereichen Gesundheit und Bildung behandelt haben, kommt jetzt ein bisschen ein entspannteres Überleitungsthema, aber auch zum Bereich Bildung. Es ist für mich schon irgendwie lustig, dass man so charmant lächelnd Nein sagen kann, liebe Frau Kollegin Mühlwerth. Man findet viel positiv, aber doch nicht alles, und deswegen muss man Nein sagen; da habe ich heute auch wieder etwas dazugelernt.

Aber ich denke – in Richtung Freiheitliche Partei –, man kann im Vorhinein nichts hundertprozentig festlegen. Man muss rechtzeitig evaluieren und abwarten und dann beurteilen. Das wurde heute schon einmal gesagt.

Wir wissen ja, dass die EU selbst keine Regelungskompetenz im Bereich dieses Arbeits­programms hat, deshalb haben wir ja heute hier gravierende Gesetze be­schlossen. Das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für 2017 steht im Bildungs­bereich im Zeichen der Umsetzung der neuen europäischen Agenda 2020 und wurde 2016 veröffentlicht. Der Fokus, haben wir schon gehört, liegt im Bereich der Moder­nisierung der Schul- und Hochschulausbildung. Dabei geht es eben um die Senkung der Schulabbruchsquote und um die Erhöhung des Anteils der 30- bis 34-Jährigen, die ein Hochschulstudium abgeschlossen haben.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 85

Diese Strategie, die als übergeordnete Priorität intelligentes, nachhaltiges und inte­gratives Wachstum festlegt, soll anhand von fünf Kernzielen erreicht werden. Ich möchte zwei davon noch einmal hervorheben: die Schulabbruchsquote, für die die Europäische Union in der Kooperation ein Ziel von 10 Prozent festgelegt hat, Öster­reich aber bereits darunter, derzeit bei 7,3 Prozent, liegt, also unter diesem EU-Bench­mark. Bis 2020 soll eine Quote von 6 Prozent angesteuert werden. Wir haben mit dem Gesetz vorher schon gesehen, dass wir sehr nachhaltig dahinter sind, solche Ziele auch zu erreichen.

Was das Ziel betrifft, den Anteil der 30- bis 34-Jährigen mit abgeschlossenem Hoch­schulstudium oder gleichwertiger Bildung auf mindestens 40 Prozent zu steigern, so hat Österreich 38 Prozent festgelegt und ist derzeit bei 38,7. Obwohl man das festgelegt hat, unternimmt Österreich auch weiterhin große Anstrengungen, etwa dass die nationale Strategie zur Verhinderung von Bildungsabbrüchen 2016 überarbeitet wurde und wir bereits den Beschluss des Ausbildungspflichtgesetzes gefasst haben. Das war ein wichtiger Meilenstein in diese Richtung.

Der strategische Rahmen Education & Training 2020 bildet den bildungsspezifischen Rahmen für die europäische Zusammenarbeit auf diesem Gebiet der allgemeinen und berufsbildenden Bildung. Er definiert dort vier strategische Ziele der europäischen Bildungszusammenarbeit, und es wurden sechs ExpertInnen-Arbeitsgruppen geschaf­fen, die diese Ziele abarbeiten sollen: in den Bereichen Schule, Hochschule, Berufs­bildung, Erwachsenenbildung, digitale Fertigkeiten & Kompetenzen, Bürgerschaft und gemeinsame Werte wie Freiheit, Toleranz und Nicht-Diskriminierung. Diese Gruppen wurden eingerichtet, die arbeiten daran.

Eine Halbzeitbewertung wurde 2015 durchgeführt, und es wurde festgestellt: Man muss noch kräftig daran arbeiten.

Wir haben von Kollegin Mühlwerth schon gehört, das Programm Erasmus+ ist ein sehr, sehr erfolgreiches Programm, es ist für den Zeitraum 2014 bis 2020 festgelegt. Auch das soll Ende 2017 einer Halbzeitbewertung unterzogen werden, um dann Basis für Nachfolgeprogramme zu sein. (Bundesrätin Mühlwerth: Hab’ ich eh gesagt, dass das super ist!) – Ja, das habe ich jetzt auch lobend erwähnt, Frau Kollegin! (Bundesrätin Winkler: Hat er eh gesagt, dass du das gesagt hast!)

Sie haben auch gesagt, dass dieses Programm eben Lernmobilität und praktische grenzüberschreitende Kooperation von Bildungsinstitutionen ermöglicht. Es bietet die Chance, in einem anderen europäischen Land zu unterrichten, ein Praktikum zu absolvieren oder grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten. Zusätzlich, und das ist mir auch besonders wichtig, fördert es ein erhöhtes Bewusstsein für ein gemeinsames Europa und ein vertieftes Verständnis für soziale, sprachliche und kulturelle Vielfalt.

2017 ist vorgesehen, dass die EU Fördermittel im Rahmen von 32,2 Millionen dazu bereitstellt, das ist nicht wenig. Ich danke der Frau Ministerin dafür, dass unser Ministerium diese Kofinanzierung durchführt, sodass wir die maximale Ausschöpfung erreichen können.

Ein kleiner Sprung zu Europass: Die Verhandlungen für diesen gemeinsamen Rahmen für die Bereitstellung besserer Dienste für Kompetenzen und Qualifikationen konnten unter der maltesischen Regentschaft nicht ganz abgeschlossen werden und werden jetzt im zweiten Halbjahr von Estland übernommen. Während der maltesischen Präsidentschaft, die eben das erste Halbjahr 2017 stattgefunden hat, hat man sich auf Inklusion und Diversität konzentriert sowie auf die Umsetzung der neuen europäischen Agenda für Kompetenzen. Die estnische Ratspräsidentschaft, die vor ein paar Tagen begonnen hat und nun bis Ende Dezember bestehen wird, soll sich mit dem Quer­schnittsthema „digitale Dimension aller Politikbereiche“ beschäftigen. Ein genaues Pro-


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 86

gramm wurde erst kürzlich vorgelegt. Jedenfalls wird auch diese Präsidentschaft weiter an der Umsetzung der neuen europäischen Agenda für Kompetenzen und Qualifika­tionen, also an Europass, arbeiten. Hiefür soll ein Trilog zwischen Rat, Europäischer Kommission und dem Europäischen Parlament beginnen.

Wir werden diesen Bericht selbstverständlich zur Kenntnis nehmen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

13.46


Präsident Edgar Mayer: Herr Bundesrat Dr. Brunner ist als Nächster zu Wort ge­meldet. – Bitte, Herr Kollege.

 


13.46.39

Bundesrat Dr. Magnus Brunner, LL.M (ÖVP, Vorarlberg)|: Sehr geehrter Herr Prä­sident! Frau Bundesminister! Ja, dieser Bericht hat mehrere interessante Schwer­punkte, viele davon, eigentlich fast alle, wurden von meinen Vorrednern bereits beleuchtet. Ich werde meine Ausführungen deshalb sehr kurz halten.

Aus meiner Sicht gibt es in diesem Bericht einige spannende Bereiche, insbesondere natürlich das Programm Erasmus+. Das war zu meiner Studienzeit gerade in den Kinderschuhen, hat gerade begonnen, war damals aber schon eine sehr interessante Möglichkeit für uns Studenten – ich selbst habe auch davon profitiert. Damals waren es noch einfache Besuche im Ausland, mittlerweile hat sich das natürlich unglaublich weiterentwickelt, und diese Lernmobilität, die vorher angesprochen worden ist, hat sich äußerst positiv entwickelt, ebenso wie diese grenzüberschreitenden Kooperationen für die Bildungsinstitutionen. Davon haben doch einige österreichische Institutionen, ich denke auch an Pädagogische Hochschulen, damals noch Pädagogische Akademien, sehr stark profitiert.

Man kann eigentlich nur alle Lehrenden und auch Lernenden motivieren, dieses Pro­gramm in Anspruch zu nehmen, sich in dieses Programm einzuarbeiten. Wenn man sich vorstellt, dass im letzten Jahr, 2016, über 13 000 solche sogenannten Mobilitäten und 400 grenzüberschreitende Projekte stattgefunden haben, ist das schon sehr beeindruckend.

Schulabbruch war ein Thema: Da hat Österreich ja das Ziel der Europäischen Union unterschritten. Trotzdem werden wir in den nächsten Jahren natürlich aufmerksam bleiben müssen, damit wir dieses Niveau halten.

Interessant ist im Zusammenhang mit diesem Bericht vielleicht auch der Konnex zwischen der estnischen Präsidentschaft und dem Schwerpunkt hier im Bundesrat, den wir im letzten Jahr hatten und den der neue Präsident weiterführen wird, nämlich: Estland wird die digitale Dimension als Querschnittsthema in allen Politikbereichen auch stark herausstreichen und diese digitale Dimension auch in den Mittelpunkt stel­len. Das wird für uns im Bundesrat bei der dann folgenden Enquete vielleicht auch spannend.

Interessante Themen werden also in diesem Bericht beleuchtet, und wir nehmen ihn natürlich und gerne zur Kenntnis. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.49


Präsident Edgar Mayer: Herr Bundesrat Stögmüller Als Nächster zu Wort gemeldet ist. – Bitte, Herr Kollege.

 


13.49.21

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Werter Herr Präsident! Frau Bildungsministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Den Bericht werden wir Grüne natürlich zur Kenntnis nehmen. Der Fokus in diesem Bericht liegt auf der Moder­nisie-


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 87

rung der Schul- und Hochschulbildung, aber auch auf der Senkung der Schulab­bruchs­quote sowie der Erhöhung des Anteils der 30- bis 34-jährigen Hochschul­absol­ventInnen als Ziel der gemeinsamen EU-Bildungspolitik 2017.

Ich möchte jetzt gar nicht so weit ausholen, weil ich heute doch noch einige Tages­ordnungspunkte vor mir habe, aber wichtig ist uns Grünen trotz der Zielerreichung das Thema Schulabbruch. 

Österreich übertrifft mit 7,3 bis 6,9 Prozent derzeit wohl deutlich das EU-Ziel von 10 Prozent; in den letzten Jahren war das aber auch schon einmal nicht der Fall. Daran sieht man aber auch, dass die gesetzten Maßnahmen wirklich greifen, und es ist wichtig, dass man das evaluiert und sieht, aber – es ist mir wichtig, das zu sagen – jeder einzelne Schulabbrecher ist einer zu viel.

In Österreich gibt es in etwa 7 000 Jugendliche, die jährlich das Schulsystem ohne positiven Schulabschluss verlassen, die sogenannten Early-School-Leavers, 7 000 sind das in Österreich. Beim vorherigen Tagesordnungspunkt haben wir unter anderem die Förderung von diesen Early-School-Leavers beschlossen. Nur reicht die Förderung halt für maximal 6 750 Menschen jährlich, es sind aber 7 000 Menschen, die das Schul­system ohne Abschluss verlassen. Ich will einfach nur einmal unterstreichen, dass wir in diesem Bereich noch etwas mehr Investitionen tätigen müssen, noch viel mehr investieren müssen. Also wir brauchen Investitionen im Bereich der Bildung.

Der Anteil der Hochschüler liegt derzeit bei 38,7 Prozent. Auch interessant: 6 Prozent davon sind HTL-Absolventen, die da – wie wir im Nationalen Qualifikationsrahmen, dem Register beschlossen haben – dazugerechnet werden.

Wichtig ist uns bei den Universitäten natürlich, dass sie ausreichend finanziert werden, und das haben wir heute auch schon beschlossen. Das sollte aber nicht nur bei Koalitionsbrüchen geschehen – auch wenn es für uns Grüne natürlich ein Erfolg ist –, sondern es soll tatsächlich Investitionen im Bereich der Hochschulen geben.

Ganz wichtig für mich ist der freie Hochschulzugang, denn Bildung darf nicht vererbt werden und darf keine Frage der Eltern sein. Egal, ob ein Kind oder ein Jugendlicher reich oder arm ist, aus einem reichen oder armen Elternhaus kommt: Jeder soll freien Zugang zur Bildung haben! Das ist von ganz großer Wichtigkeit.

Wir Grüne werden also den EU-Ressortbericht 2017 positiv zur Kenntnis nehmen.

Da das der letzte Tagesordnungspunkt ist, der Ihren Bereich, Frau Bundesministerin Hammerschmid, betrifft: Ich wünsche Ihnen, Frau Minister, im Namen der Grünen einen schönen, erholsamen Urlaub oder schöne Sommerferien und ein paar freie Tage außerhalb des Ministeriums. – Danke schön und schönen Tag. (Beifall bei Grünen und SPÖ. Bundesrat Herbert: Bist schon fertig für heute? Zwischenruf des Bundes­rates Stögmüller.)

13.52


Präsident Edgar Mayer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesministerin Dr. Hammerschmid. – Bitte, Frau Minister.

 


13.52.21

Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid|: Herr Präsident! Geschätzte Mitglieder des Bundesrates! Eine paar Aspekte möchte ich ganz kurz noch in die Diskussion einwerfen.

Da jetzt zum Schluss die Schulabbrecher das Thema waren: Wir haben da natürlich reagiert, denn die Ausbildungspflicht bis 18 bietet einen Bogen an Maßnahmen, damit genau das nicht passiert. Ich bin vollkommen bei Ihnen: Jeder einzelne ist einer zu viel! Genau darum gibt es diese Maßnahmen der Ausbildungspflicht, aber – und das adres-


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 88

siere ich jetzt an unser eigenes Ministerium und an die Schulen – wir dürfen die jungen Menschen gar nicht erst aus der Schule gehen lassen. Unser Ansatz wird sein, sie durch Coachingmaßnahmen, durch Begleitmaßnahmen in der Schule zu halten und sie gar nicht erst zu verlieren. Das ist uns ein wichtiges Anliegen, da werden wir natürlich sehr genau hinschauen.

Thematisiert wurde aber auch die Frage: Wie viele Akademiker braucht es in einem Land? – Es gibt darauf keine einfache Antwort – jetzt ist Frau Mühlwerth gerade nicht im Saal, schade –, denn die Antwort auf diese Frage, was es in einem Land braucht, wie viele Akademiker versus wie viele Facharbeiterinnen, Facharbeiter, die richtet sich ganz zentral auch nach der Wirtschaftsstruktur. Die Länder, die die Frau Bundesrätin genannt hat, waren südliche Länder, in denen die Wirtschaftsstruktur diese Akademi­kerinnen und Akademiker gar nicht auffangen kann. Das heißt, das interagiert sehr stark mit der Wirtschaftsstruktur eines Landes und deren Vielfalt und deren Durch­mischung.

Ich habe jedoch einen ganz anderen Zugang zu diesem Thema. Ich möchte mich da gar nicht an einer Ziffer festnageln, sondern ich bin wieder bei meiner ursächlichen Forderung: Fördern wir unsere Kinder und jungen Menschen entlang ihrer Talente, Potenziale und Leistungen! Wenn jeder wirklich sein Potenzial voll entwickeln kann, dann hat er genau den Beruf des Facharbeiters oder des Akademikers, der Akade­mi­kerin, und es passt für diesen Menschen, damit er ein gutes, selbstbestimmtes Leben – Berufsleben, aber auch Leben im Allgemeinen – führen kann.

Ich glaube, darum muss es uns gehen: die Talente und Potenziale unserer jungen Men­schen zu fördern, sie auszuschöpfen und einzusetzen. Ob das jetzt 40, 45 Prozent Akademikerinnen und Akademiker sind oder mehr oder weniger, das wird sich an der Wirtschaftsstruktur austarieren. Es geht aber um unsere jungen Menschen, es geht um jeden einzelnen von ihnen, und sie müssen wir fördern. – Vielen Dank. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

13.54

13.54.58

 


Präsident Edgar Mayer: Danke, Frau Minister.

Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

13.55.228. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Datenschutzgesetz 2000 geändert wird (Datenschutz-Anpassungs­ge­setz 2018) (1664 d.B. und 1761 d.B. sowie 9824/BR d.B. und 9856/BR d.B.)

 


Präsident Edgar Mayer: Wir kommen nun zum 8. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Dr. Köll. Ich bitte um den Bericht.

 


13.55.45

Berichterstatter Dr. Andreas Köll: Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Datenschutzgesetz 2000 geändert wird (Datenschutz-Anpassungsgesetz 2018), zur Kenntnis.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 89

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, weshalb auf eine weitere Verlesung verzichtet werden darf.

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsident Edgar Mayer: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Herbert. – Bitte.

 


13.56.23

Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Frau Bundes­minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ein überparteilicher und außer Streit stehender Ansatz bei der Neuregelung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen war stets, dass man das in Österreich geltende hohe Datenschutzniveau beibehalten, es nicht minimieren oder verringern möchte.

Dazu gab es die grundsätzliche, übereinstimmende Bereitschaft aller in diesem Haus vertretenen Fraktionen. Nicht zuletzt aus diesem Ansatz heraus war es im Jahr 2015, als in der EU die Verhandlungen zur Datenschutz-Grundverordnung beziehungsweise auch zur Datenschutzrichtlinie geführt wurden, die Position Österreichs, bei den Trilog-Verhandlungen nicht zuzustimmen, da man eben gemeint hat, dass dieses hohe datenschutzrechtliche Niveau, das wir in Österreich haben, dadurch nicht repräsentiert wird.

Heute, zwei Jahre später, haben wir ein Datenschutz-Anpassungsgesetz, das genau auf dieser Datenschutz-Grundverordnung und auch der Richtlinie fußt, nämlich eine Neuregelung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen in Österreich. (Bundesrat Schennach: … hohe Niveau garantiert!)

Das hohe Niveau, das damals nicht eingehalten wurde – was zu Recht bekrittelt wurde –, ist völlig vom Tisch gewischt. Die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP haben sich offensichtlich wider besseres Wissen und wider die Erkenntnisse, die sie ja grund­sätzlich und richtigerweise hatten, einmal mehr dem Diktat aus Brüssel gebeugt. (Zwi­schenruf des Bundesrates Preineder.)

Ich darf daran erinnern: Groß gepriesen wurden seitens der EU die Bestimmungen für das Recht auf Vergessen im Internet. Was ist davon geblieben? – Nichts findet sich dazu in diesen Bestimmungen.

Genauso wenig findet sich ein faktisch möglicher Zugang, wie man damit umgeht, wenn Daten österreichischer Betroffener an das Ausland weitergegeben werden, nämlich an das Nicht-EU-Ausland, also quasi an Drittstaaten. Dazu gibt es keine Regelung. (Bundesrat Beer: Das ist ein anderer Tagesordnungspunkt!)

Das heißt, alle Kritikpunkte, die zu Recht im Vorfeld angeführt wurden, kann man nur einmal mehr unterstützen. Daher ist es wahrscheinlich auch keine besondere Über­raschung, dass dieses Datenschutz-Anpassungsgesetz kaum drei Tage nach Ende der Begutachtungsfrist nicht nur zur Beschlussfassung in den Nationalrat gekommen ist, sondern auch noch mit einem 57-seitigen Abänderungsvertrag, der zwei Tage vor der Plenarsitzung noch schnell eingebracht wurde, alle bisherigen Beratungen, die es da gegeben hat, völlig auf den Kopf gestellt wurden.

Das hat nicht nur die Opposition zu Recht irritiert, sondern auch den österreichischen Datenschutzrat, dem ich angehöre, der aufgrund dieser politisch-strategischen, ich sage


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 90

einmal, demokratiepolitisch höchst bedenklichen Vorgangsweise nicht einmal die Gele­genheit hatte, zu diesem Datenschutz-Anpassungsgesetz Stellung zu beziehen.

Es gab einige Kritikpunkte, die der Datenschutzrat vorzubringen gehabt hätte. Abge­sehen von den bisher schon angeführten Kritikpunkten haben wir auch die grund­sätzliche Problematik, dass dieses Gesetz für natürliche Personen gilt. Warum wurden juristische Personen hier nicht einbezogen? Man hat die Möglichkeit eines Daten­schutz­beauftragten gewählt, dessen rechtliche Möglichkeiten zwar angelehnt an Rechts­schutzbeauftragte in anderen Rechtsmaterien sind; die Situation ist allerdings nicht ganz klar, wenn die Datenschutzbeauftragten in unterschiedlichen Bereichen – ich sage einmal, in unterschiedlichen Ministerien, Ländern, wie auch immer – in einer zur Rede stehenden Sache unterschiedliche Meinungen haben.

Wenn der eine Datenschutzbeauftragte des Ministeriums sagt, na ja, das ist für uns ein tauglicher Weg, diese Art und Weise einer Datenweitergabe, und ein anderer Daten­schutzbeauftragter sagt, das kommt bei uns gar nicht in Frage, da sehe ich Wider­sprüche zur europäischen Grundverordnung: Was ist dann? – Das kann man nicht sagen, denn das Datenschutzgesetz, das in seiner Einheit der Bundeskompetenz unterliegt – früher war es Landessache, jetzt ist es aber nur mehr dem Bund zuge­ordnet –, betrifft viele Bereiche und ist gesetzmäßig nicht nur der Kompetenz eines Ministeriums zugeordnet.

Es war daher eine Anregung des Datenschutzrates, die dann nicht in dieser Form ver­schriftlicht werden konnte, eine Art Clearingstelle zu schaffen. Die Datenschutzbehörde könnte als quasi unabhängige Aufsichtsbehörde agieren und eine Art Bereinigungs­stelle sein, wenn es da unterschiedliche Rechtsmeinungen geben sollte.

Ein weiterer, nicht unwesentlicher Gesichtspunkt in diesem Gesetz ist, dass zwar die Frage der Bildverarbeitung und Weitergabe von Bilddaten sehr großzügig und – wie ich meine auch sehr gut gelöst wurde, allerdings akustische Aufzeichnungen überhaupt nicht berücksichtigt wurden, nämlich akustische Aufzeichnungen, die Rückschlüsse auf Lebensgewohnheiten, Gewohnheiten im Einkaufsverhalten, im Konsumationsverhalten zulassen und dazu geeignet sind, Persönlichkeitsprofile zu erstellen, genauso wie das Bilddaten oder persönliche Daten in anderen Ebenen tun. – Das kommt nicht vor.

Ich erinnere an die Spielzeuge, die über Aufnahmefunktionen verfügen und die Daten direkt an die Herstellerfirmen weiterleiten. Das war ein großes Thema vor rund einem Jahr, damals wurde von allen Regierungsstellen versichert: Das wird in dem neuen Datenschutzgesetz geregelt. Mitnichten!

Auch ein wesentlicher Punkt, wie ich meine: Es ist natürlich schön, wenn wir da Höchststrafen bis zu 50 000 € vorfinden. Es ist auch ein guter Ansatz, zu sagen, dass sichergestellte Sachen für verfallen zu erklären sind, aber warum gibt es keine Abschöpfung allfälliger, durch eine rechtswidrige Datenverwendung erzielter Ge­winne? Auch das kommt im Gesetz nicht vor. Das ist ein schweres Manko, wie ich meine, da es solche Abschöpfungsrechtsbestände mittlerweile in fast allen Materien­gesetzen gibt. Man hat versucht, dieses Gesetz noch schnell zu erledigen, über die Bande gespielt musste schnell ein Beschluss her, aus Angst, dass man das im Herbst nach der Wahl dann nicht mehr schaffen könnte und gegenüber der EU vielleicht irgendwelche Rechtfertigungen machen müsste und als braver Musterschüler der EU einmal nicht die Bestnoten erhalten würde.

Alles in allem handelt es sich um ein Gesetz, mit dem es wichtiger denn je gewesen wäre, all die offenen Fragen in Bezug auf Datenschutz, der mittlerweile einen der hauptbestimmenden Punkte im täglichen Leben mittelbar oder unmittelbar in der Betroffenheit der Staatsbürger darstellt, gut und sinnvoll zu lösen. Genau das Gegen­teil ist aber der Fall. Man hat sich einmal mehr auf die Europäische Union und auf das,


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was aus Brüssel kommt, verlassen, anstatt eigenkreativ die guten Ansätze, die im Vorfeld ja alle versprochen wurden, aber schlussendlich nicht gekommen sind, mitein­zubinden.

In diesem Sinne muss ich Sie leider enttäuschen, meine Fraktion wird diesem Gesetz nicht zustimmen. Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, dass sich vielleicht auch in den Regierungsparteien noch die Reife entwickelt, dass man diesen fehlenden rechtlichen Gesichtspunkten, die ich hier gerade vorgetragen habe, vielleicht noch nachträglich Genugtuung verschafft, denn ich glaube, es ist sinnvoll und notwendig, der Bevöl­kerung in einer so wichtigen Materie wie dem Datenschutz Rechtssicherheit zu geben und vor allem auch wie es im Vorfeld versprochen wurde die bestehenden Erwar­tungen zu erfüllen. Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

14.05


Präsident Edgar Mayer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Beer. – Bitte.

 


14.06.01

Bundesrat Wolfgang Beer (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Frau Ministerin! Sehr ge­ehrte Bundesräte! Kollege Herbert, man kann das nicht einfach so stehen lassen, aber das weißt du eh, wenn wir zwei zum selben Thema reden, sind wir sehr oft nicht einer Meinung.

Wir haben also für diesen Bereich eine EU-Verordnung, das bedeutet aber nicht, dass wir in Österreich die EU-Verordnung – wenn sie schlechter ist, als es unsere Standards sind – so übernehmen müssen. (Zwischenruf des Bundesrates Herbert.) – Schau, ich habe dir doch auch zugehört, auch wenn es mich halb zerrissen hat. (Heiterkeit und Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Wir haben also vorgehabt, dieses Gesetz umfassend zu verändern. Jetzt ist von dir die Kritik gekommen, dass man das Ganze so schnell und eher husch-pfusch gemacht hat. Erstens muss man dazu sagen, dass man diese EU-Verordnung ja schon längere Zeit gekannt hat, denn sie ist ja nicht erst irgendwann gekommen – ich weiß jetzt das Datum nicht genau –, sondern ist uns schon längere Zeit bekannt. (Bundesrat Herbert: 2015!)

Du hast auch die Weitergabe an Dritte angesprochen: Die ist aber eigentlich auch im E-Government geregelt. Warum es so schnell passieren musste? – Die EU-Verord­nung tritt am 25. Mai 2018 in Kraft, das ist – wenn man nachrechnet – in zehn Monaten. Es ist ja nicht nur einfach so, dass man jetzt eine Verordnung macht, sondern es sind auch Vorbereitungen zu treffen: Firmen und Unternehmen haben Vorbereitungen zu treffen, Behörden müssen Vorbereitungen treffen. Es müssen bei der Datenverarbeitung ver­schiedenste neue oder andere Maßnahmen gesetzt werden.

Mit diesem Datenschutz-Anpassungsgesetz, mit dem wir nationales Recht angepasst haben, haben wir auch wesentliche Verbesserungen geschaffen. Die Novelle schützt zum Beispiel Whistleblower-Hotlines, das war bisher in diesem Gesetz überhaupt nicht verankert. Wir haben uns eben entschlossen, das Gesetz nicht komplett neu zu machen – da gebe ich dir schon recht, das dauert doch eine gewisse Zeit –, denn das hätten wir bis zum 25. Mai 2018 nicht schaffen können.

Wir haben in diesem Datenschutz-Anpassungsgesetz den Menschen mehr Rechte ge­ge­ben, um entscheiden zu können, was mit ihren Daten geschieht. Das ist sehr wichtig für die großen Firmen, die professionell Daten verarbeiten, dazu gehört eben Google, da gehören diese großen Datensammler – wie auch Microsoft – dazu, dazu zählen Autofirmen und, und, und.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 92

Wir haben das Gesetz auch weiterentwickelt: Die Datenschutzbehörde fungiert nun nicht nur als Kontrollorgan, sondern kann auch beratend tätig sein. Das Daten­schutz­register und die Meldepflicht für neue Datenanwendungen entfallen – das ist eine Erleichterung, denn jeder, der bisher Adresspickerln gedruckt hat, hat eine DVR-Num­mer gebraucht, das ist nicht mehr unbedingt notwendig –, die bisher genehmigten Ein­willigungen zur Datenverarbeitung bleiben aber aufrecht.

Zur Videoüberwachung hast du auch gesagt, dass das nicht ganz so positiv ist, wobei man aber sagen muss: Man hat jetzt bei Verletzung der Bestimmungen zur Video­überwachung und bei Datengeheimnisverrat die Möglichkeit, bis zu einer Höhe von 50 000 € zu strafen, das gab es bisher auch nicht.

Diese Novelle gibt Unternehmen mehr Eigenverantwortlichkeit, bedeutet für sie aber auch einen geringen Mehraufwand. Auch unsere Behörden haben noch einige Vorbe­reitungen zu treffen, zum Beispiel muss in der Justiz und im Bereich der inneren Sicherheit noch eine Datenschutzrichtlinie der EU umgesetzt werden, daher ist es auch relativ schnell gegangen, denn zehn Monate sind nicht wirklich viel Zeit. Deshalb haben wir auch darauf gedrängt, dass es doch relativ rasch geht, auch in dem Wissen und in der Hoffnung – die Hoffnung hat sich leider nicht erfüllt –, dass diejenigen, die mit der Materie betraut sind, sich vielleicht auch schon im Vorfeld über die EU-Novelle informieren. Das ist aber anscheinend nicht geschehen.

Mit dieser Novelle wird also mehr Rechtssicherheit für Unternehmen, für die Behörden und auch für die Menschen in unserem Land geschaffen. Daher kann man dieser Novelle nur zustimmen und sie nicht ablehnen. (Beifall bei der SPÖ.)

14.12


Präsident Edgar Mayer: Frau Bundesrätin Dr. Reiter ist als Nächste zu Wort ge­meldet. – Bitte.

 


14.12.50

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Herr Präsident! Frau Minister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Kollege Beer, Sie haben mich nicht überzeugt, dass das jetzt und in dieser Eile ... (Bundesrat Beer: Ist nicht meine Aufgabe!) – Na ja, vielleicht hätten Sie das ganz gerne mitgenommen. (Bundesrat Herbert: Er hat mich auch nicht überzeugt!) Inwieweit Sie die Zuschauer und Zuschauerinnen überzeugt haben, weiß ich nicht, aber es bleibt doch übrig, dass dieser Gesetzwerdungsprozess in diesem Bereich nicht seriös gelaufen und höchst kritikwürdig ist. (Demonstrativer Beifall des Bundesrates Herbert.)

Das vorliegende Gesetz ist ja nicht irgendetwas, da werden eine EU-Richtlinie und die Datenschutz-Grundverordnung umgesetzt, das ist ein europäisches Regelwerk und bringt wesentliche Verbesserungen in der Rechtsdurchsetzung – oder sollte bringen. Ich weiß nicht, warum Sie gerade da so schnell waren. Gestern haben wir x Rege­lungen von der „Vierten Geldwäsche-Richtlinie“ praktisch umgesetzt, die auch gravie­rende Folgen und Umstellungen für Gewerbe, für Banken, für Finanzdienstleister und so weiter haben. Deadline war in diesem Fall der 26. Juni, also da war offensichtlich sehr viel mehr Zeit.

Der Regierungsentwurf ist bereits eingebracht worden, noch während die Begutach­tungsfrist gelaufen ist. Die Begutachtung hat am Freitag um Mitternacht geendet, und der Verfassungsausschuss ist dann am darauf folgenden Montag zusammengetreten, das heißt, die Beamten hatten ungefähr sechs Stunden Arbeitszeit, um sich diese Begut­achtungsunterlagen anzusehen, die Stellungnahmen auszuwerten und legistisch einzuarbeiten. Also wirklich: Hut ab! Es sind ja nicht wenige Stellungnahmen einge­gangen, es waren 70 Stellungnahmen, davon 46 in den letzten drei Tagen. Also mit


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 93

diesem Instrument so umzugehen, das ist ein Pflanz, das ist unernst! (Zwischenruf des Bundesrates Herbert.)

Diese Regierungsvorlage hat viele Baustellen. Es hätte nichts dagegen gesprochen, das auf den Herbst zu verschieben, um über den Sommer konstruktive und tragfähige Lösungen zu finden. Stattdessen hat man diese Vorlage gemacht, hat alle Zweidrit­telbestimmungen hinausgeschmissen, obwohl es ja immer die Bestrebung des Bundes war, die Kompetenzen genauer zu regeln und zu schauen, wo der Datenschutz prak­tisch wahrgenommen wird. Nein, all diese Regelungen hat man hinausgeschmissen, um dieses Gesetz in koalitionärer Eintracht, die ja in anderen Fällen nicht mehr so ge­ge­ben ist warum hier, weiß ich nicht , durchs Parlament zu peitschen.

Damit wurde ja auch dem Parlament die Möglichkeit einer ernsthaften Befassung mit diesem Gesetz genommen, da der Abänderungsantrag ja erst kurz vor der Ausschuss­sitzung den anderen Parteien übermittelt wurde. Dabei ist die Materie hochkomplex, sie ist sehr sensibel und sie hat weitreichende Folgen für alle Bürgerinnen und Bürger als Datenlieferanten und als Datenverarbeiter in vielen Bereichen.

Lassen Sie mich noch einige Schwachpunkte aufführen, zum Beispiel die formlose Einstellung von Beschwerdeverfahren: Die DSB kann Beschwerdeverfahren formlos einstellen, wenn der Beschwerdegegner die behauptete Rechtsverletzung beseitigt, das ist bis zum Ende des Verfahrens möglich. Dadurch wird schon eine sozusagen generalpräventive Wirkung von Beschwerdeverfahren unterlaufen, denn einzelne Unter­nehmer könnten nach dem Motto: Schauen wir einmal, ob wir geklagt werden, und falls ja, dann stellen wir halt ein!, eher Rechtsverletzungen begehen. – Also das ist schon sehr bequem.

Nicht unerheblich sind auch die eingeschränkte zivilrechtliche Klagemöglichkeit und die fehlende Verbandsklage. Da könnte sich jetzt die Situation ergeben, dass eine nicht­österreichische NGO österreichische Unternehmen vor nichtösterreichischen Gerichten klagen kann. Eine österreichische NGO kann aber nichtösterreichische Unternehmen – zum Beispiel internationale Konzerne, wo es ja wirklich Probleme gibt  vor österreichi­schen Gerichten nicht klagen, das geht also nicht. Das ist ein Schwachpunkt.

Zudem wird die Überprüfungsbefugnis der DSB auf Fälle eines begründeten Verdachts eingeschränkt. Das gab es bisher nicht, und das widerspricht unserer Meinung nach auch der DSGVO, die sieht eine solche Einschränkung nicht vor. Das sind also einige Schwachpunkte, die hier anzuführen sind.

Es bleibt, dass eine wirklich intensive Beurteilung und Befassung mit diesem Gesetz nicht erfolgte. Die Chance, tatsächlich tragfähige, gute, dichte Lösungen zu finden, auch mit Kompetenzbereinigungen in diesem Bereich, wurde durch diese Vorgangs­weise vertan.

Wir werden dieser Vorlage nicht zustimmen. (Beifall bei den Grünen.)

14.18


Präsident Edgar Mayer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Seeber. – Bitte.

 


14.18.51

Bundesrat Robert Seeber (ÖVP, Oberösterreich): Hohes Präsidium! Frau Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche als letzter Redner zum Daten­schutz, einem besonders heiklen und brisanten Thema, das vordergründig eher eine trockene Materie, aber – wie wir aufgrund der Einwände meiner Vorredner ge­sehen haben – ein sehr brisantes Thema ist, welches uns sehr beschäftigt und in Zu­kunft immer mehr beschäftigen wird.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 94

Ich darf mich in diesem Zusammenhang noch einmal auf den Datenschutzbericht 2016 beziehen. Darin wurde explizit festgehalten, dass es 180 Individualbeschwerden ge­geben hat, 430 Ombudsverfahren und mehr als 2 000 Rechtsauskünfte, das heißt, die Rechtsauskünfte stehen im Vordergrund.

Signifikant gestiegen sind auch die Genehmigungen im internationalen Datenverkehr, dabei schlägt die Aufhebung der Safe-Harbor-Regelung, die erlaubt hat, dass per­sonenbezogene Daten von EU-Bürgern in den Vereinigten Staaten gespeichert werden dürfen, zu Buche.

Die Leiterin der Datenschutzbehörde, Frau Dr. Jelinek, hat ausdrücklich festgehalten, dass es in Zukunft ganz wichtig sein wird, den Personalstand aufzustocken. Ich gehe davon aus, dass aufgrund der Brisanz des Themas der Aufwand für Beratung und beratende Unterstützung nicht nur von Individualpersonen, sondern auch von Firmen und Unternehmen sehr steigen wird. Hier wird die Datenschutzbehörde in Zukunft sehr, sehr gefordert sein.

Was die Novellierung meines Erachtens ausmacht, ist, dass das Gesetz praxistauglich gemacht wurde und dass auch praktikable Änderungen eingebaut wurden. Ich darf hier nur als Beispiel erwähnen, dass eine Kundin den Mobilfunkbetreiber auf Herausgabe ihrer Standortdaten geklagt hat. Dem wurde nicht stattgegeben. Ein Beispiel, das praktikabel ist – wir wissen das alle hier –, sind diese Bodycams, die es bei den ÖBB gibt. Die dürfen aber nur dann gestartet werden, wenn der Gefilmte auch ausdrücklich seine Zustimmung gibt. Das finde ich ebenfalls im Sinne einer praktikablen Umsetzung wichtig.

Ich bin ja, wie Sie wissen, ein Unternehmer, und ein paar Tiroler haben vorhin in der Pause darüber gesprochen: Die Datenschutzbehörde hat auch untersagt, dass zum Beispiel die Wirtschaftskammer Tirol Aufzeichnungen macht, was die Schwarzarbeit betrifft, man solle das gefälligst unterlassen.

Zusammengefasst, meine Damen und Herren, darf ich sagen: Es stimmt zu einem großen Teil, was meine Vorrednerin Frau Dr. Reiter gesagt hat, es herrschte Zeitdruck bei der Erstellung dieser Novelle. Aus meiner Betrachtung ist es aber doch gelungen, in bestmöglicher Ausarbeitung ein sehr praktikables Ergebnis zu erzielen. Unter praktikablem Ergebnis verstehe ich, dass es im Einklang mit den EU-Vorgaben ist, und es wurden auch noch durch Abänderungsanträge – das muss man sich vorstellen! – 109 Änderungen eingearbeitet. Das ist in dieser zur Verfügung stehenden Zeit nicht so schlecht.

Als Unternehmer möchte ich vielleicht noch anführen, dass das neue Datenschutzrecht schon auch eine Herausforderung für uns Unternehmer ist, es ist ein Mehr an Verant­wortung, und ich stehe nicht an, hier an dieser Stelle zu sagen, dass man sich, was das Problem der Strafen betrifft, noch ein bisschen unterhalten wird müssen, denn die Höhe der Strafen kann teilweise – nicht nur bei juristischen Personen, sondern auch bei Einzelpersonen, Datenschutzbeauftragten – existenzgefährdend sein. Da kommt noch einiges auf uns zu, und hier muss noch etwas nachgebessert werden, genauso wie in der Forschung, wo ebenfalls noch Änderungen in Zukunft geplant sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Abschließend gesagt: Diese Novellierung ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Auch in der Kürze der Zeit ist es best­möglich gelungen, Änderungen einzuarbeiten. Sie ist auch mit mehr Eigenverant­wor­tung verbunden, und dass das Datenschutzregister gefallen ist, ist ebenfalls positiv zu erwähnen.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 95

Last, but not least bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetz und darum, es zu befürworten. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

14.24


Präsident Edgar Mayer: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Schennach. – Bitte.

 


14.24.08

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­schätzte Frau Bundesministerin! Aufgrund dieser massiven Kritik seitens der FPÖ und der Grünen habe ich mich jetzt doch noch kurz zu Wort gemeldet. Ich bin nicht so großzügig wie der Kollege Seeber und sage: Ich verstehe die Kritik nicht, denn wir haben das nämlich intensivst im EU-Ausschuss beraten. Österreich hat zusammen mit Slowenien eine Blockade in den Verhandlungen gemacht, die Slowenen sind dann weggebrochen, und es wurden in diesen Bereichen ganz substanzielle Veränderungen bereits in der Grundverordnung erwirkt.

Zweitens: Diese Datenschutz-Grundverordnung ist bereits seit Mai 2016 in Kraft, in Geltung, und wir haben einen Transmissionsrahmen von zwei Jahren bis Mai 2018. Das erklärt auch den Zeitdruck. Jetzt kommt aber etwas dazu, das hier noch nicht diskutiert wurde: Es sind hier ganz viele Öffnungsklauseln drinnen – Öffnungsklauseln, die den Staaten nationalstaatliche Regelungen überlassen, und es sind im Rahmen dieser Öffnungsklauseln Bereiche drinnen, die besagen, dass das, was nicht im Datenschutzgesetz geregelt ist, in neuen Materiengesetzen zu regeln ist, und außer­dem, dass Österreich ein neues Datenschutzgesetz erlassen muss.

Was wir jetzt tun, ist die Anpassung. Es ist gerade unsere Bildungsministerin hier: Ein Beispiel für eine solche Öffnungsklausel und den damit verbundenen Rahmen, den wir genutzt haben, ist ein höherer Schutz für Kinder bei der Einwilligung in Bezug auf das Angebot von Diensten der Informationsgesellschaft, das ihnen gemacht wird. Das heißt, wir haben das Alter auf 14 hinuntergesetzt, das ist genau im Rahmen, den uns die Europäische Union hier eröffnet hat.

Das heißt, wir haben hier eine ganze Reihe von Regelungsspielräumen, und dieses Jammern verstehe ich jetzt nicht, denn diese Regelungsspielräume müssen und können wir bei der Neufassung von Materiengesetzen und bei der Neufassung des neuen Datenschutzgesetzes nützen. Wir haben das im EU-Ausschuss intensiv beraten, und Österreich hat auf Ratsebene hier lange Kritik geübt. Da müsste gerade die Opposition sagen, da hat die Regierung, da hat das Ministerium super gearbeitet und die österreichischen, nationalen Interessen vertreten, und sollte nicht so herum­mosern, wie das jetzt geschehen ist. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundes­räten der ÖVP.)

14.27


Präsident Edgar Mayer: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Bitte, Herr Kollege Saller, ich erteile es dir.

 


14.27.08

Bundesrat Josef Saller (ÖVP, Salzburg): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bundesräte! Ich danke den Klubobleuten, dass sie mir heute die Gelegenheit geben, mich zu verabschieden. Ich scheide mit 30. September aus dem Bundesrat aus, und es gibt bis dahin keine reguläre Sitzung mehr. Die nächste Sitzung ist erst am 5. Oktober, und da wird meine Nachfolgerin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler angelobt werden.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 96

Ich glaube, man muss einfach erkennen, wann es Zeit ist, aufzuhören. Das ist oft nicht so leicht und nicht so einfach, aber bei mir ist es Zeit, das muss ich sagen. Ich bin seit 42 Jahren politisch tätig, ich war 10 Jahre Vizebürgermeister meiner Heimatstadt Bischofshofen, 10 Jahre Abgeordneter zum Salzburger Landtag und bin jetzt 18 Jahre hier in der Länderkammer gewesen und damit der längst dienende Bundesrat. (Allge­meiner Beifall und Bravorufe bei der ÖVP.)

Noch dazu bin ich der Zweitälteste hier nach Gregor Hammerl, der noch älter ist, dann komme vom Alter her schon ich. Es ist also Zeit, ich habe das erkannt und darf noch sagen: Ich habe mich in all diesen Jahren sehr bemüht, nicht parteipolitisch tätig zu sein, sondern konsensorientiert und konstruktiv zu sein, und das ist mir hoffentlich gelungen.

Ich möchte mit den Worten schließen, dass der Bundesrat ein unverzichtbares Binde­glied zwischen der Europäischen Union, dem Staat und den Bundesländern bezie­hungsweise Regionen ist. Das muss man mehr als deutlich sagen. Wir haben ja trotz politischer Unterschiede viele Gemeinsamkeiten, aber der Bundesrat als Länderkam­mer ist unverzichtbar. Ich habe während meiner Präsidentschaft ja auch das Thema „lebenslanges Lernen“ im Vordergrund gehabt, und ich hoffe, es ist mir auch ein bisschen gelungen, das Bewusstsein zu stärken, wie wichtig der Bundesrat ist.

Damit komme ich zum Ende. Ich scheide natürlich mit einem leicht weinenden Auge, aber es braucht sich um mich niemand Sorgen zu machen. Mir wird nicht langweilig, denn ich bleibe Landesobmann des Salzburger Seniorenbundes (allgemeine Heiter­keit), da bin ich auf alle Fälle noch bis 2020 gewählt. (Oh-Rufe.) Ich werde hie und da noch erscheinen und werde nicht ganz von der Bildfläche verschwinden. (Allgemeiner lang anhaltender, teilweise stehend dargebrachter Beifall.)

Ich bedanke mich! Ich danke allen Fraktionen, den Fraktionsobleuten für die gute und konstruktive Zusammenarbeit. Ich bedanke mich auch bei der Bundesratsdirektion und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, und ich wünsche euch, Ihnen allen ein weiter­hin gedeihliches Wirken zum Wohle der Republik. Es lebe der Bundesrat! – Danke. (Allgemeiner Beifall.)

Ich darf noch anfügen, es freut mich sehr, dass meine beiden Söhne, die Schwieger­tochter und mein Enkel heute gekommen sind. Die anderen mussten leider zu Hause bleiben. (Allgemeine Heiterkeit.)

14.31


Präsident Edgar Mayer: Sehr geehrter Herr Präsident Saller, lieber Sepp! Auch meinerseits einen lieben Gruß an deine Familie, sie sind mir ja alle bekannt. Dem Josef und der Elke, dem Enkel Vitus und dem Michael, dem jüngeren Sohn, auch ein herz­liches Grüß Gott meinerseits!

Als Präsident darf ich im Namen des Bundesrates aber auch persönlich für dein beson­deres Wirken in unserer Länderkammer ganz herzlich danken. Du bist, wie gesagt, seit 1999 Mitglied dieses Bundesrates und der am längsten dienende Mandatar unserer gesetzgebenden Körperschaft.

Du hast in den letzten 18 Jahren sowohl als Präsident des Bundesrates, aber auch als langjähriger Schriftführer und auch in deiner Funktion als Vorsitzender des Ausschus­ses für Wissenschaft und Forschung beziehungsweise als stellvertretender Vorsitzen­der des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz den österreichi­schen Parlamentarismus mit einer Vielzahl an Initiativen nachhaltig geprägt.

Das beweisen nicht zuletzt auch deine 105 im Plenum des Bundesrates gehaltenen Reden in eindrucksvoller Weise, insbesondere deine letzte war eine ganz berührende und emotionale Rede.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 97

Dir ist es auch im Rahmen deiner Präsidentschaft, die dem Thema „lebenslanges Lernen“ gewidmet war, mit dem ersten österreichischen Seniorenparlament gelungen, den Vertreterinnen und Vertretern der älteren Generation einen Blick hinter die Kulis­sen der österreichischen Innenpolitik zu ermöglichen und damit auch das Politikver­ständnis den Seniorinnen und Senioren in geradezu spielerischer Weise nahezu­bringen. Ein großartiger Erfolg!

Du warst immer ein sehr angenehmer Kollege, nie laut, immer smart, kollegial, aber auch bestimmt, wenn es um schulische Themen oder um Seniorenthemen ging.

Viele von uns sind dir freundschaftlich verbunden, für mich warst du ein jahrelanger Wegbegleiter in der Politik. Du warst auch ein ganz besonderer persönlicher Freund. Dafür auch vielen Dank!

Wir wünschen Gesundheit und viel Freude im Kreise deiner Familie. Du wirst uns fehlen, aber Salzburg ist nicht aus der Welt. Der Weg nach Wien zu deinen Freunden, der ist dir ja bekannt.

Alles Gute, vielen Dank, leb wohl! (Allgemeiner lang anhaltender Beifall.)

*****

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Kollege Lindner. – Bitte, Herr Kollege.

 


14.34.08

Bundesrat Mario Lindner (SPÖ, Steiermark): Geschätzter Herr Präsident! Geschätzte Frau Bundesministerin! Geschätzter Herr Präsident Saller, lieber Sepp! Ich glaube, kaum ein Sprichwort verbindet uns mehr als „Gegensätze ziehen sich an“: Du ein ÖVPler, ich ein SPÖler, du einer der Ältesten da herinnen, ich einer der Jüngsten da herinnen. Du warst mein Vorgänger, ich habe dein Nachfolger sein dürfen.

Lieber Sepp, ich möchte mich wirklich ganz herzlich im Namen meiner Fraktion, im Namen unseres Fraktionsvorsitzenden Reinhard Todt und ganz persönlich in meinem Namen bei dir bedanken. Ich glaube, es ist nämlich nicht selbstverständlich, dass ein Vorgängerpräsident den nächstfolgenden Präsidenten so unterstützt, wie du mich unterstützt hast. Du hast mir die Monika schon davor zur Verfügung gestellt, als das mit der Bundespräsidentenwahl war, dein Büro und vieles andere mehr, und dafür gebührt dir wirklich unser Dank und unser Respekt.

Als ich jetzt gehört habe, dass du eh bis 2020 im Amt bist: Lieber Sepp, ich glaube, es gäbe noch eine Funktion, die du auch noch machen könntest. Wir könnten ja den Klub der Altpräsidentinnen und Altpräsidenten gründen. (Heiterkeit.) Da würden wir natürlich auch irgendwo einen Ort brauchen, wo wir das machen können, und nichts bietet sich ja besser an als bei dir in Bischofshofen. Ich erinnere mich an deine Einladung zurück, als ich bei dir in Bischofshofen habe sein dürfen. Da könnten wir ja einmal alle auf die Schanze hinaufbringen, Lokale hast du auch ganz gute. Also Sepp, wenn du noch ein wenig Zeit hast, den Klub der Altpräsidentinnen und Altpräsidenten brauchen wir.

Lieber Sepp, wir wünschen dir auf deinem weiteren Weg alles erdenklich Gute, viel Gesundheit, viel Durchhaltevermögen, aber vor allem wünschen wir dir ganz viel Zeit. Danke, dass ich mich dein Freund nennen darf. – Alles Gute! (Allgemeiner Beifall.)

14.36


Präsident Edgar Mayer: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Bitte, auch die Frau Kollegin Mühlwerth. – Bitte schön.

 



BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 98

14.36.31

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Lieber Herr Kollege Saller, lieber Sepp! Du bist einer jener Kollegen, wo man sich denkt: Was, der geht schon? – Ich kenne dich ja jetzt auch schon einige Jahre. Du bist einer jener Kollegen, wie auch andere vor dir, sowohl von der SPÖ als auch von der ÖVP, bei denen man daran denkt, dass es uns im Bundesrat, auch wenn wir noch so streiten und uns noch so fetzen, wie wir das heute schon bei den diversen Tagesordnungspunkten gemacht haben, immer gelun­gen ist, zu sagen: Ich wünsche dir schöne Ferien! Ich wünsche dir schöne Weih­nachten! Alles Gute!

Das ist eine Tradition, die wir alle weiter beibehalten wollen, auch wenn mit uns manchmal ein bisschen die Emotionen durchgehen und vielleicht auch die Wortwahl durchgeht wie ein galoppierender Gaul.

Du warst immer ein sehr fairer Partner. Ich kann mich erinnern, bei den Schuldebatten hast du es dann auch manchmal ganz gut gekonnt. Aber das ist ja das Lebendige in einer Demokratie, dass wir verschiedene Meinungen haben, und es ist ja auch wichtig, mit einer Emotion dahinter zu stehen. Schließlich wollen wir ja alle etwas weiter­bringen, jeder in seinem Bereich: du in deinem Bereich und mit dem, woran du geglaubt hast, und wir mit dem, woran wir halt glauben und was wir für richtig halten. Aber das Schöne ist, dass man sich am Ende einer Sitzung die Hand reichen und sagen kann: Komm gut nach Hause!

Lieber Sepp, in diesem Sinne wünsche ich dir: Komm gut nach Hause, behalte uns in einem guten Andenken! Ich hoffe, du wirst uns aber trotzdem ab und zu einmal be­suchen und vorbeischauen, vor allem vielleicht einmal, um zu sehen, wie es dann in der Hofburg ausschaut und wie das dort so funktioniert.

Ich freue mich, dass du mein Kollege warst, und ich darf das auch namens meiner Fraktion sagen. Ich wünsche dir alles Gute, auch für deine Funktion als Senioren­obmann, noch viele gute und aktive Jahre. Ich weiß, du reist ja auch sehr gerne, das verbindet uns auch ein bisschen. Daher: Viele gute Reisen! Alles Gute und bleib gesund! (Allgemeiner Beifall.)

14.39


Präsident Edgar Mayer: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Dr. Reiter. – Bitte.

 


14.39.05

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Lieber Sepp, uns verbindet ja mehr als die gemeinsame Zeit im Bundesrat. (Ah-Rufe, allgemeine Heiterkeit und allgemeiner Beifall.) – Ich meine das geographisch! Da wir aus dem selben Bun­desland kommen, wird es ja sicher auch in Zukunft noch viele Gelegenheiten geben, uns zu sehen. Wir nähern uns ja auch altersmäßig. Da du ja weiterhin für Senioren zuständig bist, ist das vielleicht auch ein Grund, uns weiterhin zu sehen oder über den Weg zu laufen.

Mir wirst du sehr fehlen. Wer wird in Hinkunft die Berichte für den Salzburger Landtag machen? Da wirst du mir also sehr fehlen.

Vielen Dank für deine Unterstützung während dieser Zeit im Bundesrat und alles Gute für deine weiteren Lebensjahre! Viel Gesundheit und noch Freude an deiner Arbeit! Und: Vielen Dank für deine Kollegialität! (Allgemeiner Beifall.)

14.40


Präsident Edgar Mayer: So, noch einmal die Frage: Gibt es noch ähnliche freund­schaftliche Liebesbekundungen an unseren Kollegen Saller? Dann möge er oder sie sich jetzt melden! (Allgemeine Heiterkeit. – Rufe: Oder für immer schweigen!)


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 99

Wenn das nicht der Fall ist, stelle ich fest, dass es keine Wortmeldungen mehr dazu gibt. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen deshalb zur Abstimmung, also nicht über den Kollegen Saller, sondern über den 8. Tagesordnungspunkt.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

14.41.169. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesver­fas­sungsgesetz über die Genehmigung des Protokolls Nr. 15 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und dessen Erklärung zum Bundesverfassungsgesetz (1762 d.B. sowie 9857/BR d.B.)

 


Präsident Edgar Mayer: Nun gelangen wir zu Punkt 9 der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Dr. Köll. Ich bitte um den Bericht.

 


14.41.44

Berichterstatter Dr. Andreas Köll: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bleibe noch ein bisschen und bringe den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föde­ralis­mus über den Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bun­desverfassungsgesetz über die Genehmigung des Protokolls Nr. 15 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und dessen Erklärung zum Bundesverfassungsgesetz zur Kenntnis.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, weshalb auf eine Verlesung verzichtet werden darf.

Der zuständige Ausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stim­menmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsident Edgar Mayer: Danke, Herr Dr. Köll, für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gelangt Herr Kollege Mag. Lindner. – Bitte, Herr Kollege.

 


14.42.36

Bundesrat Mag. Michael Lindner (SPÖ, Oberösterreich): Herr Präsident! Frau Minis­terin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, dass ich mit meinem Rede­beitrag jetzt nach der guten Stimmung nicht für einen Stimmungsabfall sorge, da es sich vielleicht eher um eine trockenere Materie handelt.

Ich habe ein bisschen gehofft, dass nach der ursprünglichen Rednerliste Hans-Jörg Jenewein vor mir spricht, da ist es immer dankbar, darauf zu replizieren. Die Mög­lichkeit habe ich jetzt auch nicht, deswegen werde ich versuchen, aus dieser verfas­sungsrechtlichen Debatte inhaltlich zumindest das herauszuholen, was geht. (Heiter­keit und Zwischenrufe bei FPÖ und SPÖ.)

Es ist eigentlich eine verfassungsrechtliche Debatte deswegen, weil seit der B-VG-Novelle 2008 keine automatischen Änderungen von Verfassungsrecht durch einen Staatsvertrag mehr möglich sind. Das heißt, Änderungen der Verfassung durch einen Staatsvertrag, so wie es die Europäische Menschenrechtskonvention ist, müssen durch ein eigenes Bundesverfassungsgesetz in den Verfassungsrang gehoben wer­den. Und das machen wir heute in einem ersten Schritt. Es ist auch im Nationalrat


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schon darüber diskutiert worden, dass es vielleicht besser und einfacher wäre, ein Staatsverträge-Bundesverfassungsgesetz zu machen und alle Staatsverträge dort aufzulisten. Das war jetzt nicht möglich. Wir machen sogar ein zweistufiges Verfahren, das heißt jetzt das Bundesverfassungsgesetz und im Herbst dann die Genehmigung des 15. Zusatzprotokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Ich darf vielleicht den Kollegen Jarolim aus dem Nationalrat zitieren, der gesagt hat, dass das vielleicht so eine Art Beschäftigungsprogramm für uns ist, dass wir jetzt beides nacheinander beschließen. Es ist vielleicht kommunikativ und vielleicht auch innovativ, aber vielleicht nicht unbedingt notwendig. – Aber gut!

Vielleicht zur Europäischen Menschenrechtskonvention an sich: Ein Problem war, das auch mit dem 14. Zusatzprotokoll schon angegangen wurde, dass es eine sehr hohe Zahl an eingebrachten Beschwerden beim dafür zuständigen Europäischen Gerichts­hof für Menschenrechte gibt und auch einen großen Rückstau an offenen Verfahren. Deswegen hat man sich mit den letzten Zusatzprotokollen sehr stark bemüht, diesen Rückstau auch abzubauen.

Österreich hat sich sehr stark dafür eingesetzt, dass das Individualbeschwerderecht von Personen in diesem Zusatzprotokoll, das wir dann im Herbst noch einmal be­handeln werden, nicht eingeschränkt werden soll. Das sind ein paar Punkte, die jetzt verändert werden sollen, auf der einen Seite die ausdrückliche Erwähnung des Subsidiaritätsprinzips. Das heißt, bevor man sich an den Europäischen Gerichtshof wenden kann, müssen wirklich alle Instanzen auf nationaler Ebene durchschritten werden. Es wird ein Höchstalter für Kandidatinnen und Kandidaten als RichterInnen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geben, und die Beschwerdefrist wird von sechs auf vier Monate verkürzt. Das heißt, wenn ich alle Instanzen auf natio­nalstaatlicher Ebene durchschritten habe, habe ich noch vier Monate Zeit, innerhalb dieser Zeit muss ich mich an den Europäischen Gerichtshof wenden.

Es ist also durchaus gut, dieses Bundesverfassungsgesetz heute zu beschließen. Es wäre vielleicht auch schneller und einfacher gegangen, aber es ist so. Es wird auch gut gehen. – Danke sehr. (Beifall bei der SPÖ.)

14.45


Präsident Edgar Mayer: Als Nächster zu Wort gelangt Kollege Hammerl. – Bitte, Herr Kollege.

 


14.46.06

Bundesrat Gregor Hammerl (ÖVP, Steiermark): Herr Präsident! Frau Minister! Meine geschätzten Damen und Herren! Vielleicht etwas Positives: Ich habe um 14.10 Uhr ein SMS bekommen, von einem ganz kritischen Bürger aus der Ramsau, der uns in einem Gasthaus zuschaut und schreibt: Für uns einen großen Applaus. Er hat noch nie so eine Disziplin erlebt wie heute hier. Er sagt, 98 Prozent aller Bundesräte sind hier. – Ich möchte auch ein großes Danke dafür ins Gasthaus sagen. Das ist ein ganz Kritischer, er gehört nicht meiner Fraktion an! (Allgemeiner Beifall.)

Meine Damen und Herren, es ist schon viel gesagt. Das Verfassungsrecht kann seit dem Jahr 2008 nicht mehr durch Staatsverträge geändert oder erlassen werden. Diese müssen durch gesonderte gesetzliche Bestimmungen in den Verfassungsrang erhoben werden. Künftig soll dies durch die Aufnahme in das Staatsverträge-Bundesverfas­sungs­gesetz erfolgen.

Das erste Abkommen, das gemäß diesen Bestimmungen neu in dieses Gesetz aufgenommen werden soll, ist das Protokoll Nr. 5 über die Änderung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Dafür wird mit diesem Gesetz eine Rechtsgrundlage geschaffen. Es wird vorgeschlagen, dass sämtliche Staats­ver-


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träge, die als Verfassungsgesetz gelten beziehungsweise Verfassungsbestimmungen enthalten, künftig in einem Bundesverfassungsgesetz aufzulisten sind.

Meine Damen und Herren! Mit diesem Bundesverfassungsgesetz werden der Natio­nalrat und der Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit zur Genehmigung ermächtigt und das 15. Zusatzprotokoll zum Bundesverfassungsgesetz erklärt. Wir von der ÖVP stimmen diesem Gesetz gerne zu. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

14.47


Präsident Edgar Mayer: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Dr. Reiter. – Bitte, Frau Kollegin.

 


14.47.57

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Herr Präsident! Werte Zuhörer und Zuhörerinnen! Ja, mir ist es ähnlich gegangen wie dem Kollegen Lindner. Ich hätte auch gehofft, dass möglichst viele Vorredner sehr eingehend erklären, was hier gelaufen ist und warum und wieso, denn es ist wirklich eine eher schwierige juristische Materie.

Um es noch ein bisschen zu erklären: Es geht jetzt nicht um das Zusatzprotokoll an sich und um die Inhalte dieses Zusatzprotokolls, das zu beschließen ist, sondern darum, dass dieses Zusatzprotokoll eben die Verfassung ändert, weil die Menschen­rechtskonvention Verfassungsrang hat.

Jetzt ist man eben vor folgendem rechtlichen Problem gestanden, dass der Vorschlag gemacht wurde, dass man das Zusatzprotokoll mit einfacher Mehrheit annimmt, obwohl es Verfassungsrecht ändert, und nachher dann mit Zweidrittelmehrheit den Beschluss in der Verfassung fasst. Das ist offensichtlich insbesondere für Juristen eine sehr unbefriedigende Lösung, weil die Situation entstehen könnte, dass das Zusatz­protokoll mit einfacher Mehrheit genehmigt wird, damit völkerrechtlich verpflichtend wird, aber später keine Zweidrittelmehrheit zusammenkommt.

Das ist der Grund, warum diese Vorgangsweise verworfen wurde und dann eben der Vorschlag von den Grünen kam, es in diesem zweistufigen Verfahren zu machen, nämlich zuerst die verfassungsrechtliche Grundlage mit Zweidrittelmehrheit zu geben und dann mit einfacher Mehrheit eben das Zusatzprotokoll zu beschließen. Und so wird das jetzt gemacht, und so führen wir das jetzt durch.

Warum nicht gleichzeitig? – Weil die verfassungsrechtliche Rechtsgrundlage zuerst Rechtskraft erlangen muss, also den Bundesrat passieren und natürlich auch noch beim Bundespräsidenten durchmuss.

Man hat diese Vorgangsweise gewählt, um kein Präjudiz für künftige Verfahren zu schaffen, das nicht sauber und ordentlich wäre. Wir sind dadurch aber nicht davon befreit, in aller Ruhe zu diskutieren, wie man das in Zukunft gestalten wird, damit die Verfassung eine gewisse Geschlossenheit, Lesbarkeit und Übersichtlichkeit bekommt. Davon sind wir sicherlich noch weit entfernt, und das ist meiner Meinung nach wirklich konsequent anzugehen. Da sollte man sich die Zeit nehmen, um in Ruhe eine Lösung zu suchen. Bis dahin wird man eben diese zweistufige Vorgangsweise wählen. Wir schließen uns dieser Vorgangsweise gerne an. (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

14.51


Präsident Edgar Mayer: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 102

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

14.51.4510. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das ORF-Gesetz geändert wird (2213/A und 1763 d.B. sowie 9858/BR d.B.)

 


Präsident Edgar Mayer: Wir kommen nunmehr zu Punkt 10 der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Dr. Köll. – Ich bitte um den Bericht.

14.52.06

 


Berichterstatter Dr. Andreas Köll: Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Ver­fassung und Föderalismus über den Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das ORF-Gesetz geändert wird, zur Kenntnis.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, weshalb auf eine Verlesung verzichtet werden darf.

Der zuständige Ausschuss stellt mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsident Edgar Mayer: Danke, Herr Dr. Köll, für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Kollege Schennach. – Bitte, Herr Kollege.

 


14.52.44

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Bundesministerin! Ich kann mich sehr gut an die Stunden 2001 hier im Bundesrat erinnern, Herr Kollege Traimer sicherlich auch, als drei grundsätzliche Gesetzes­rege­lungen die Medienlandschaft in Österreich neu geordnet haben: das neue ORF-Gesetz, die Einführung des Bundeskommunikationssenates und die Liberalisierung und Ermöglichung von Privatfernsehen.

Damals ist es hier nicht so geordnet zugegangen. Ich habe gegen meine Fraktion gestimmt, ÖVP-Kollegen haben gegen ihre Fraktion gestimmt. Ich habe zum Beispiel für die Schaffung des Bundeskommunikationssenates als einen Meilenstein der Unab­hängigkeit und Regulation und für die Liberalisierung im Bereich des Privatfernsehens gestimmt. Kollege Ferdinand Maier hat mit mir damals massiv über Stunden ge­kämpft – wir hatten damals noch andere Redezeiten (Bundesrat Samt: Gott sei Dank gibt es das nicht mehr! – Bundesrat Stögmüller: Das können wir uns gut vorstellen!); ich glaube, ich habe zwei- oder dreimal über eine Stunde gesprochen –, um das ORF-Gesetz in der Form nicht Wirklichkeit werden zu lassen, weil es, wie wir ja in den letzten Jahren gesehen haben, da einen ziemlichen Reparaturbedarf gegeben hat.

Der spätere Nationalratspräsident Khol war komplett uneinsichtig, dass moderne Technologie nicht Telefax ist. Wir hatten 2001 in ein Gesetz eine Wahl per Fax hineinzuschreiben, was ja mittlerweile Gott sei Dank der Vergangenheit angehört.

Es kam zur Neuregelung von Stiftungsrat und Publikumsrat, und da haben wir heute noch etwas, von dem wir alle einstimmig der Meinung sind, dass es richtig ist. Natürlich kommen jene Menschen, die die religiösen Gemeinschaften vertreten, aus den reli­giösen Gemeinschaften. Es wäre ja irgendwie paradox, wenn wir sagten: Atheisten der Republik meldet euch, denn wir brauchen einen Vertreter für die religiösen Gemein-


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schaften! Wir haben das auch bei den Vertreterinnen – in dem Fall sage ich es in weiblicher Form, weil es Frauen waren – des Sports so gemacht: Steffi Graf, Läuferin aus Kärnten.

Und heute beschließen wir eine Initiative, dass künftig die Vertreterin oder der Vertreter der Behinderten, die oder der für die Behinderten und ihre Anliegen zu sprechen hat, selbst dem Bevölkerungssegment der gehandicapten, benachteiligten Menschen angehört. Das ist gut so, das ist richtig so!

Auch wenn in den letzten Jahren vieles erreicht wurde, die Gebärdensprache mittler­weile Standard ist, so ist das noch immer nicht ganz befriedigend geregelt: Bei den gehörlosen Kindern muss der ORF noch nachdenken, denn ihre Partizipation an Unterhaltung, ihre Nutzung von Bildungs- und ORF-Programmen ist noch nicht ge­währ­leistet. Ich hoffe, dass das die künftige Vertretung im ORF auch entsprechend forciert.

Es gibt unterschiedliche Formen von Behinderung. Obwohl der ORF in vielen Be­reichen vorbildlich ist, bleibt wichtig, dass eine solche Person, die dann gewählt wird, darauf achtet, dass das Behinderteneinstellungsgesetz auch in einem großen Unter­nehmen wie dem ORF erfüllt wird. Und da hoffe ich wiederum, dass es gerade für junge Menschen, die genau unter dieses Behinderteneinstellungsgesetz fallen, Lehrberufe im ORF gibt.

In diesem Sinne danke ich allen, die dieser Verbesserung des ORF heute zustim­men. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und Grünen.)

14.57


Präsident Edgar Mayer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Kollegin Junker. – Bitte, Frau Kollegin.

 


14.57.28

Bundesrätin Anneliese Junker (ÖVP, Tirol): Geschätzter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Wir beschließen heute ein Abänderungs­gesetz, bei dem man sich, wenn man es liest, eigentlich denkt, dass das doch selbst­verständlich sein müsste.

Die Vorgeschichte: Bei der letzten Bestellung des Publikumsrates wären fünf quali­fizierte behinderte Kandidaten zur Verfügung gestanden, aber dann ist doch einer genommen worden, der nicht aus diesem Kreise kommt. Es hat ja auch eine Zeit gegeben, in der das Frauenministerium von einem Mann besetzt war. Da habe ich mir gedacht: Ein Mann soll mich als Frau vertreten? Der hat ja keine Ahnung! Die Männer sagen ja immer, sie verstehen uns Frauen nicht, und dann will der mich vertreten, und natürlich auch alle anderen – das kann ja nicht funktionieren! (Vizepräsidentin Winkler übernimmt den Vorsitz.)

Wenn sich behinderte Menschen von einem Nichtbehinderten vertreten lassen müs­sen: Wie soll der wissen, was die wirklich brauchen? (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.) Er kann zwar in den Gremien beschäftigt sein, kann es jedoch nur erahnen, aber nie wirklich wissen.

Die ÖVP stimmt dieser Abänderung sehr gerne zu, und wir sehen wieder: Es müssen viele Dinge mit Gesetz geregelt werden, weil der menschliche Hausverstand nicht dazu in der Lage ist. – Danke. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten von SPÖ und Grünen.)


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 104

14.59

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Herbert. – Bitte, Herr Kollege.

 


14.59.17

Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich)|: Frau Präsidentin! Frau Bundes­minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Das Wesentliche haben meine Vor­redner bereits vorweggenommen: dass es darum geht, dass im Publikumsrat die Vertretung behinderter Menschen auch tatsächlich von einer behinderten Person wahrgenommen wird. Das ist ein guter, ein tauglicher Ansatz, wie wir meinen, weil auch wir den Mehrwert erkennen. Personen, die es als eigenes Schicksal erlebt haben, können aufgrund ihrer Erlebnisse und Erfahrungen wahrscheinlich weitaus besser und weitsichtiger für die Interessen der Betroffenen agieren, als dies jeder Experte kann, der diese Erfahrungen eben nicht gemacht hat. Aus diesem Grund wollen wir dieser Bestimmung gerne unsere Zustimmung geben. – Danke. (Beifall bei der FPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

14.59


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster darf ich Frau Bundesrätin Dr. Reiter das Wort erteilen. – Bitte.

 


15.00.35

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Frau Präsidentin! Werte Kol­legen und Kolleginnen! Als Letztrednerin ist es jetzt wohl an der Zeit, Danke zu sagen. Es war eine Initiative der Abgeordneten Jarmer, und dafür, dass diese so breit und von allen getragen wird, bin ich dankbar.

Es ist an der Zeit, dass Menschen mit Behinderungen sich selbst vertreten, dass sie auch auf diese Weise sichtbar werden und nicht nur dann, wenn ein Unfall passiert ist und man diese Menschen in die Auslage stellt, um zu zeigen, wie sie mit diesem Schicksalsschlag fertigwerden. Nein, das sind Menschen, die einen normalen Beruf haben, die einen normalen Alltag haben, die sich an politischen Diskussionen, an Debatten beteiligen können und auch teilnehmen sollten, auch im Fernsehen und so weiter. Sie sollen wirklich einen Platz in unserer Gesellschaft haben und damit natürlich auch einen Platz im Publikumsrat. Sie können sich selbst vertreten. Das alles sollte selbstverständlich werden. Das ist gelebte Inklusion, und dafür herzlichen Dank.

Hoffen wir, dass die Inklusion in diesem Sinne weitergeht und die Teilnahme behin­derter Menschen an unserem Leben Normalität wird. – Danke. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ und bei Bundesräten der FPÖ.)

15.02

15.02.11

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen mir dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist angenommen.

15.02.3711. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz geändert wird (2169/A und 1686 d.B. sowie 9832/BR d.B.)


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12. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz, das Arbeitsinspektionsgesetz 1993, das Arbeitszeitgesetz, das Arbeitsruhegesetz, das Mutterschutzgesetz 1979, das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Beamten-Kranken- und Unfallver­sicherungsgesetz und das Arbeitsplatz-Sicherungsgesetz 1991 geändert werden (ArbeitnehmerInnenschutz-Deregulierungsgesetz) (2228/A und 1689 d.B. sowie 9833/BR d.B.)

13. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz geändert wird (2234/A und 1691 d.B. sowie 9834/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Nunmehr gelangen wir zu den Punkten 11 bis 13 der Tagesordnung.

Berichterstatter zu diesen Punkten ist Herr Bundesrat Lindner. Ich bitte um die Be­richte.

 


15.03.50

Berichterstatter Mario Lindner: Geschätzte Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über den Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz geändert wird.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor. Ich komme zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Zu Tagesordnungspunkt 12: Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Kon­sumentenschutz über den Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz und weitere Gesetze geändert werden (ArbeitnehmerInnenschutz-Deregulierungsgesetz).

Der Bericht liegt ebenfalls in schriftlicher Form vor. Ich komme zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Zu Tagesordnungspunkt 13: Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Kon­sumentenschutz über den Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz geändert wird.

Dieser Bericht liegt ebenfalls in schriftlicher Form vor. Ich komme zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Danke.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Rösch.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 106

Entschuldigung! Ich hätte fast unseren Bundesminister nicht begrüßt. Lieber Alois, verzeih mir das! Herzlich willkommen in unserer Mitte, Herr Bundesminister Alois Stöger. (Allgemeiner Beifall.)

Bitte, Herr Kollege Ing. Rösch.

 


15.05.52

Bundesrat Ing. Bernhard Rösch (FPÖ, Wien): Wertes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die Gelegenheit, zu den Tagesordnungspunkten 11 bis 13 zu reden. 12 und 13 sind No-na-Anträge, da werden wir mitstimmen, aber bei Punkt 11 habe ich mir gedacht, das ist ja irgendwo doch ein Scherzantrag. Es geht nicht darum, dass wir versuchen, 20 000 arbeitslosen über 50-Jährigen Arbeit zu geben. Da steht nicht einmal etwas von Arbeit geben drinnen, sondern da steht richtig beschäftigen, und beschäftigen kann ich mich mit sehr viel. Das muss nicht unbedingt Arbeit sein. Das ist halt ein Zeitvertreib. Es geht darum, im kostbaren Leben diese Zeit ganz einfach irgendwie zu vertreiben und uns das noch dazu viel Geld kosten zu lassen.

Es ist nun einmal so, dass die Politik viel zu langsam auf die Digitalisierung reagiert hat. Früher haben ältere Mitarbeiter Erfahrung aus der Arbeitswelt mitgebracht. Das ändert sich heute, wenn man nicht die notwendigen Weiterbildungsmaßnahmen be­kommt, von Arbeitsmitteln abgeschnitten wird, weil sich die Programme verändern, die Maschinen verändern und, und, und. Mit meiner Lebenserfahrung kann ich dann zwar immer noch gute Ratschläge geben, aber in der Arbeitswelt sind die in Wirklichkeit das Geld nicht mehr wert. Wir haben ja immer noch die Situation, dass Ältere mehr verdienen als Jüngere, die anfangen und sich erst beweisen müssen. Natürlich ist es nicht verwunderlich, dass Firmen schauen, dass sie eher Jüngere bekommen, die mit der Materie, mit der Software und mit dem Ganzen vertraut und noch dazu günstiger sind. Damit wird der Erfolg einer Firma einfach ein größerer.

Ich habe mir das Gesetz zur Beschäftigungsaktion durchgelesen, ob da irgendwo etwas Konkretes drinsteht. Konkret habe ich nicht herauslesen können, dass da irgendwelche richtigen und guten Vorschläge kommen. Wenn einem nichts einfällt, dann nimmt man halt viel Geld in die Hand, ein paar Hundert Millionen, und sagt: Da bekommt ihr etwas, und wir machen einmal für den Bund den Personalplan auf. Wir können also im Bund ein paar Leute aufnehmen. Das ist das erste Mal, dass ich der Politik recht gebe, dass auch die Politik Arbeitsplätze schaffen kann. Sonst habe ich immer gesagt, sie kann nur maximal einen oder zwei Sekretäre oder Sekretärinnen einsetzen, und das ist es dann auch schon. In Wirklichkeit machen die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer die Wirtschaft, und die Arbeitsplätze werden von mutigen Arbeit­gebern geschaffen. All die Exporte schaffen wir, weil wir in Österreich wirklich gute Firmen haben. Das beweisen wir uns Jahr für Jahr, obwohl wir in Österreich die höchste Steuerquote und ungünstige Verhältnisse zum Wirtschaften haben. Die Österreicher sind noch fleißiger, noch besser, damit sie das alles wegstecken und die Zahlen bringen können, auf die wir jedes Jahr stolz sind.

Weil wir noch nicht so genau wissen, wie das Ganze funktionieren soll, beschließen wir einfach, jetzt einmal viel Geld in die Hand zu nehmen, und in zwei Jahren schauen wir dann, ob uns etwas eingefallen ist. Weil man auch schon ein bisschen gelernt hat, sagt man, dass es zu keinem Verdrängungseffekt kommen soll.

Na ja, wenn das eine ernstzunehmende Beschäftigung gleich Arbeit ist, dann wird es einen Verdrängungseffekt geben. Mir würde nicht ein Beispiel einfallen, wie das gehen sollte, außer beim, weiß ich nicht, Zuckerstückerl zählen für den Kaffee oder sonst irgendetwas in irgendeinem Amtshaus, und das wäre dann eine Beschäftigung, aber keine Arbeit.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 107

Jeder dieser arbeitslosen Menschen hat das Recht auf Anerkennung. Er will ja ar­beiten, er will ja etwas schaffen, er will ja etwas darstellen. Ich kenne niemanden, der nicht auch einmal gelobt werden will, weil er etwas gut gemacht hat. So jemanden nur zu beschäftigen, weil das vor Wahlen gut ausschaut, halte ich für nicht gut.

Der Spot der Arbeiterkammer Oberösterreich ist für mich nicht nur sexistisch, sondern auch arbeitgeberfeindlich, und er gefällt mir wirklich nicht. Ein Managerschnösel drückt einer Frau Banknoten in das Dekolleté. Das ist wirklich geschmacklos von der Arbeiter­kammer Oberösterreich. Kalliauer verteidigt den Spot ja immer wieder. Ich sage: Die Arbeitgeber, die heute unsere Arbeitsplätze schaffen – die KMUs schaffen 80 Prozent unserer Arbeitsplätze –, sind weltweit exzellent und vorne. Die sind es also nicht, sondern es ist in Wirklichkeit die Politik, die das Hindernis für das Wirtschaften in Österreich darstellt.

Ich habe gelesen, dass das eine gemeinnützige Arbeitskräfteüberlassung machen soll. Jeder, der sich das einmal irgendwo angeschaut hat oder ein bisschen ein politisches Gedächtnis hat, speziell die Wiener werden das wissen: Wir haben den waff, der mit Sozialpartnern bestückt ist. Irgendwann hat dieser waff einen Arbeitskräfteüberlasser flexwork gegründet. Er hat dorthin die Leute, die er beim AMS gerade nicht gebraucht hat, ausgebucht, damit das nicht so teuer kommt, oder die Leute, damit die Gelder kommen, einfach angemeldet gelassen, je nachdem, wie er es gerade gebraucht hat. Wir brauchen ja nur im Rechnungshofbericht nachzuschauen, was der damals kritisiert hat. Auf jeden Fall ist flexwork 2015 aufgelöst worden. Frau Brauner hat damals ordentlich Stress gehabt, sagen wir einmal so, weil vieles nicht mit guten Dingen zugegangen ist. Vor allem wurden die Arbeitnehmer, die als Reinigungs- oder Pfle­gepersonal Krankenhäusern überlassen wurden, schlecht behandelt, schlecht bezahlt.

Das Ganze hat zugleich megaviel gekostet, denn sonst würde ja auch niemand auf die Idee kommen, eine Arbeitskräfteüberlassung zu gründen. Ich halte es in den meisten Fällen wirklich nicht für gut, dass sich Firmen bilden, nicht weil der Chef das Risiko übernimmt, sondern weil jemand an der Arbeit des anderen verdient. Das ist ungefähr so, als ob ich einfach vorbeikomme und mir 10 Prozent nehme, ohne eine Leistung erbracht zu haben. Das halte ich für amoralisch, und da hat die SPÖ in Wien gezeigt, wie es nicht funktionieren soll. Die Sozialpartner haben zugeschaut. Das war wirklich schlecht.

Wenn man jetzt googelt, kommt man auf die Seite www.monster.at. Da habe ich mir gedacht: Okay, das ist irgendwie passend. Wenn man noch auf die flexwork-Seite schaut, wo steht, dass das Ganze geändert wird, sieht man unten drei Bilder, die man anklicken kann, und da kommt man dann weiter. Und das, was unser gemeinnütziger Arbeitskräfteüberlasser hat, und dort, wohin du dann kommst, kommst du dann auf eine Seitensprungseite, wo du dir dann halt deine Seiten ... (Bundesrat Stögmüller: Das ist halt das, was du so besuchst!)

Na ja, da musst du einmal hineinschauen. Wir können das jetzt einmal ausprobieren. (Bundesrat Stögmüller: Das nennt man Cookies!) Wir können es ausprobieren. Wenn man auf www.flexwork.at geht, dann kann man da hineinschauen, und da sieht man, wie gemeinnützig das alles ist.

Auf jeden Fall hat das viel, viel, viel Geld gekostet und den Mitarbeitenden kaum etwas gebracht. Ich würde mir wünschen, dass man wirkliche Pläne bringt, wie besseres Wirtschaften möglich ist, wie man die Älteren zum Beispiel auch bei den Lohnneben­kosten entlastet und, und, und, damit sie für einen Betrieb attraktiver werden. Irgend­welche Verwahrungen dagegen sind arbeitnehmerfeindlich und menschen­unwürdig! (Beifall bei der FPÖ.)

15.14



BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 108

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Pfister. – Bitte, Herr Kollege.

 


15.14.54

Bundesrat René Pfister (SPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Lieber Herr Sozialminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In TOP 13 – ich gehe es zuerst leicht an, lieber Bernhard – geht es um den Insolvenzentgeltsicherungsfonds. Mit diesem Gesetz, das wir heute beschließen, schaffen wir eine Absicherung. Es geht um eine längerfristige Absicherung der Zeiten, die durch Überstunden und Mehrleistungen entstehen, im Falle einer Insolvenz. Es geht um Zeitguthaben, die auf Zeitguthaben­konten gestanden sind, die längere Durchrechnungszeiträume, Monatsdurchrech­nungen und Jahresdurchrechnungen, erlauben. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeit­nehmer sind um diese Zeitguthaben einfach umgefallen. Und warum sind sie um­gefallen? – Weil die Firmen in Insolvenz gegangen sind. Und was ist dann passiert? – Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben keinen Job gehabt. Das war oder ist der Verlust des Arbeitsplatzes.

Lieber Bernhard, wenn du dich als einer, der auch in Interessenvertretungen tätig ist, hier ans Rednerpult stellst und hellseherische Fähigkeiten an den Tag legst, die ich dir allerdings leider abspreche, oder deine Visionen kundtust, die du in irgendwelchen Nacht- und Nebel-Internetsurf-Aktionen aufgeschnappt hast, weil du möglicherweise das eine oder andere Mal falsch geklickt hast, so ist das für mich schon sehr grenzwertig. (Bundesrat Rösch: Die Seite gehört der Gemeinde Wien!)

Du weißt ganz genau, wir haben am Dienstag im Ausschuss sehr, sehr ausführlich gerade über dieses Thema gesprochen, und die Kolleginnen und Kollegen aus dem Sozialministerium haben sehr, sehr umfangreich Auskunft darüber gegeben, nicht nur, was es bedeutet, arbeitslos zu sein, sondern auch, was das für das System bedeutet.

Es wird Druck auf unser System ausgeübt, weil speziell die Gruppe 50 plus der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wächst. Der Jobfortschritt, die ganzen Um­stellungen führen nicht nur zu Veränderungen im Erwerbsleben für die Arbeitneh­merinnen und Arbeitnehmer, sondern sehr häufig auch zu Umgründungen der Unter­nehmungen. (Bundesrat Rösch: Aber warum?) Auch das wissen wir, das weißt auch du selbst ganz genau. Heute ist es nicht mehr selbstverständlich, dass man mit 15, 16, 17, 20 Jahren in einem Unternehmen zu arbeiten beginnt, das dann die nächsten 15 oder 20 Jahre dieselbe Unternehmensstruktur, dieselbe Unternehmensform und de­nselben Namen hat. (Bundesrat Rösch: Weil die Politik versagt!) Das ist heute kein Automatismus mehr.

In diesem Projekt, das mit Anfang Juli beschlossen wird, geht es um Modellregionen. Eine Modellregion in Niederösterreich ist zum Beispiel der Bezirk Baden, wo jetzt von allen Beteiligten, die im Bezirk tätig sind, gemeinsam mit dem Arbeitsmarktservice genau die Konzepte entwickelt werden, die du ja angeblich schon alle kennst und verteufelst. Dabei weißt du noch nicht einmal, was am Ende des Tages dabei heraus­kommt, lieber Bernhard.

Wenn wir bis Ende 2017 20 000 Arbeitsplätze schaffen, dann bedeutet das auch – wenn du weiterliest und nicht im Internet herumsurfst, sondern wirklich liest, weißt du das –, dass das System ab 1.1.2018 auf ganz Österreich umgelegt wird. Jeder Arbeits­lose ist ein Arbeitsloser zu viel, lieber Bernhard, weil das auch, wie gesagt, schon einen sehr, sehr starken Druck auf unser System ausübt. Über 700 Millionen, 780 Mil­lionen €, werden zur Verfügung gestellt, um Leute in Beschäftigung zu bekommen. (Bundesrat Rösch: Ein Arbeitsplatz ist mehr als eine Beschäftigung!)

Es ist ein schlimmes Gefühl, nach sehr langer Arbeitstätigkeit in einem Unternehmen oder in mehreren Unternehmen, nach 25, 27 oder 30 Jahren Dienstzugehörigkeit ein-


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 109

fach in die Arbeitslosigkeit geschickt zu werden. Mit diesen Kolleginnen und Kollegen zu diskutieren, mit diesen Kolleginnen und Kollegen zu sprechen, die heute monate- und teilweise auch jahrelang warten, um eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu bekommen, wünsche ich dir. Ich nehme dich gerne einmal mit, damit du mit solchen Kolleginnen und Kollegen diskutieren kannst, damit du die Probleme und vor allem auch die Herausforderungen, die diese Kolleginnen und Kollegen meistern müssen, kennst und nicht das Ganze irgendwie ins Lächerliche ziehst. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

Dieses Projekt startet, und unser Sozialminister hat hier viele Dinge auf den Weg gebracht, unter anderem auch dieses, das die nächsten zwei Jahre läuft, und das ist auch wieder eine Unterstützung, die greifen soll, um Beschäftigung zu schaffen.

Ich appelliere hier auch an diese Runde – es sitzen sehr viele GemeindevertreterInnen, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister hier –, Verantwortung zu übernehmen bezie­hungsweise diese Verantwortung anzunehmen und gemeinsam mit dem regionalen AMS zu versuchen, genau diese Jobs zu schaffen.

Durch die Subventionierung, die es hier gibt, ist es nicht so, dass man dort einfach Geld hineinschmeißt und sagt: Tu etwas!, sondern man schaut sehr wohl genau, dass man Beschäftigung schafft (Bundesrat Rösch: Wir brauchen Arbeitsplätze, nicht Beschäftigung!), und zwar mit den Auflagen der Qualitätskriterien, wo man Matching­prozesse durchführt, schaut, ob das Ganze passt und in der Region auch funktioniert.

Was ganz wichtig ist – Bernhard, auch da Nachhilfe für dich –: Das geschieht immer unter Zugrundelegung eines Kollektivvertrags, der die angemessene Entlohnung regelt, um irgendwelche Verdrängungen oder Verschiebungen auszuschließen. (Beifall bei der SPÖ.)

Lieber Herr Minister! Die Aktion 20 000 bedeutet auch, dass wir in allen Regionen, nicht nur in den Modellregionen bis Ende 2017, mit vollem Elan gemeinsam mit dem jeweiligen regionalen Arbeitsmarktservice und mit allen Stellen, die da beteiligt sind, mit den Gemeinden, mit den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, ganz massiv und aktiv daran arbeiten, genau diese Arbeitsplätze zu schaffen.

Ziel ist, dass wir im nächsten Jahr oder vielleicht schon in den nächsten Monaten, dass wir jeden Monat in der Statistik sehen, dass die Arbeitslosenzahlen der über 50-Jährigen abnehmen, dass es da Beschäftigung gibt und dass die Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit haben, wieder in ein reguläres Verhältnis zu wechseln, in eine reguläre Beschäftigung zu kommen.

Arbeit schafft Wachstum, Wachstum schafft vor allem Sicherheit, und diese Sicherheit brauchen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Österreich. (Beifall bei der SPÖ.)

15.22


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Stögmüller zu Wort. – Bitte, Herr Kollege.

 


15.22.26

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Wertes Präsidium! Frau Prä­sidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Ak­tion 20 000 dient zur Schaffung und Förderung von Arbeitsplätzen in Gemeinden, gemeinnützen Trägervereinen und Körperschaften für langzeitarbeitslose Personen über 50 Jahren – es ist ganz wichtig, das anzumerken. Das findet bei uns Grünen natürlich auch im Bundesrat Zuspruch. Die Maßnahme ist aus unserer Sicht ziel­führend und das Geld ist gut eingesetzt.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 110

Die Gesamtansicht der Arbeitsmarktdaten ist ja aktuell sehr erfreulich. Die Arbeits­losigkeit ist neuerlich leicht abgeschwächt, und auch die Jugendarbeitslosigkeit weist bei den Juni-Werten seit dem Jahr 2013 eigentlich den niedrigsten Wert auf. Das ist auf den ersten Blick erfreulich. Dennoch ist die Situation dramatisch, gerade bei der Altersarbeitslosigkeit. Die Zahl der arbeitslosen Menschen über 50 hat sich in den letzten Jahren fast verdoppelt. Über 10 700 Menschen über 50 Jahre sind allein in Oberösterreich im Juni arbeitslos gemeldet gewesen. Das ist ein Anstieg um ungefähr 7 Prozent. In ganz Österreich waren es mehr als 93 000 Menschen.

Die Arbeitsmarktsituation dieser Gruppe ist aber nicht nur aktuell so dramatisch, sondern es ist schon seit Längerem ein Trend erkennbar. Seit Juni 2013 hat sich die Zahl, wie schon gesagt, verdoppelt. Darum finden wir diesen Schritt, diese Ak­tion 20 000 sehr positiv, denn es muss jetzt oberste Priorität haben, diese Perso­nengruppe im Erwerbsleben zu halten und arbeitssuchenden Menschen eine neue Perspektive zu geben.

Es geht aber auch um ein Generationenmanagement, darum, dass der Mensch gesund im Betrieb bleibt. Ein solches Generationenmanagement bedeutet einerseits, die älteren ArbeitnehmerInnen fit und gesund im Betrieb zu halten und andererseits deren Kenntnisse und Erfahrungen für die jüngeren ArbeitnehmerInnen zu nutzen.

Wesentliches Instrument ist dabei ein effektives Gesundheitsförderungsprogramm in den Betrieben. Konkret müssen gemeinsam mit den MitarbeiterInnen die körperlichen und psychischen Herausforderungen im Job durchleuchtet werden. Auf Basis dieser Ergebnisse wird ein Programm erstellt, das die Gesundheit und damit das Leis­tungsvermögen der MitarbeiterInnen fördert.

Dadurch bleiben die MitarbeiterInnen fit und gesund, einem Arbeitsplatzverlust aus Krankheitsgründen wird so vorgebeugt. Und es gibt auch Vorteile für den Betrieb: Die älteren Mitarbeiter bleiben im Betrieb, damit auch ihre Erfahrungen und auch die Fachkompetenz. Sie können Jüngere effektiv unterstützen und in den Arbeitsprozess begleiten.

Es braucht da wirklich ein Gesamtpaket. Es geht nicht nur darum, 20 000 Jobs auf­zubauen, sondern auch darum, dass diese Menschen über 45 Jahre, über 50 Jahre auch weiterhin in den Betrieben bleiben. Es geht auch um ein Paket mit Weiter­bildungs- und Umschulungsangeboten für Frauen und Männer ab 50 Jahren. Ich bin wirklich der Meinung, nur mit maßgeschneiderten Angeboten können wir Erwerbs- und Arbeitslosigkeit im Alter vorbeugen, und das soll für uns oberste Priorität haben. (Bundesrat Rösch: Das glaube ich auch!)

Bei Top 12 geht es um das ArbeitnehmerInnenschutz-Deregulierungsgesetz. Es wird das von den Arbeitgebern im ArbeitnehmerInnenschutz Verlangte graduell herun­tergeschraubt, und dafür wurde der Nichtraucherschutz im ArbeitnehmerInnen­schutz­gesetz gestärkt.

Ich habe schon Schlimmeres geahnt – erinnern wir uns nur an die Waxingstudio-Ins­zenierung, wo sich der Ex-Vizekanzler medial ins Zeug gehaut hat –, aber es ist zum Glück nicht ganz so schlimm gekommen. Dennoch können wir Grüne da überhaupt nicht mitgehen.

Problematisch sehen wir zum Beispiel den Wegfall der Aufzeichnung von Beinahe-Unfällen – diese fällt fast komplett weg –, den Umstand, dass Arbeitsplatzeva­luie­run­gen in die Präventionszeit einzurechnen sind, oder den Wegfall der Meldepflicht bei Ausnahmen von der Wochenend- und Feiertagsruhe. Es wird eine Schwächung der Gefahrenevaluierung auf betrieblicher Ebene geben. Auch finden wir Grüne, dass es


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 111

durch die Novelle zu einer Schwächung der Arbeitsinspektion als Schutzinstitution kommen wird.

Einer der wenigen positiven Punkte, die wir in diesem Gesetz gefunden haben, ist allerdings die Verbesserung des Nichtraucherschutzes und vielleicht auch die Ver­einfachung der Verfahren im Rahmen der Gesundheitsüberwachung.

Also, wie schon gesagt: Keine Zustimmung von uns für dieses Gesetz aufgrund der Schwächung des Arbeitsschutzes.

Kurz noch zu TOP 13: Es wird das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz novelliert. Dieses Gesetz schützt Lohnansprüche aus dem letzten halben Jahr. Bisher konnte der Fall eintreten, das Zeitguthaben zum Beispiel für ein Sabbatical nicht durch das IESG geschützt waren, weil die Arbeit bereits vor mehr als sechs Monaten geleistet worden war. Dies wurde jetzt geändert. Das bekommt natürlich auch unsere Unterstützung im Bundesrat, denn das sehen wir sehr positiv. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

15.27


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster ist Herr Bundesrat Hammerl zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Kollege.

 


15.27.28

Bundesrat Gregor Hammerl (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Frau Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren! Kollege Ing. Bernhard Rösch, du darfst nicht alles so negativ sehen, das ist ein gutes Gesetz. (Heiterkeit. – Bundesrat Rösch: Für wen? Für die, die das Geld kriegen, ist es super, das glaube ich schon!)

Wir haben in der Steiermark zwei große Unternehmungen, nämlich die Maschinen­fabrik Andritz und die Firma Roth, und 29 Männer und Frauen über 50 Jahre werden demnächst dort nachgewiesenerweise aufgenommen. Das ist schon einmal etwas, meine Damen und Herren! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

Ich danke Herrn Kollegen Pfister für seine Ausführungen und auch dir, David, keine Frage, du hast dich zwar kritisch geäußert, siehst es aber insgesamt positiv. Ihr werdet heute sicherlich zustimmen. (Bundesrat Stögmüller: Ja!) – Danke.

Meine Damen und Herren! Die Konjunktur springt Gott sei Dank an und scheint sich positiv zu verstetigen. Solches ist ein wichtiger Punkt in Bezug auf Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen. Die sinkende Arbeitslosenzahl ist ein hoffnungsvolles Zeichen. Arbeit, meine Damen und Herren ist nämlich mehr als Geldverdienen. Arbeiten ist ein wichtiger Moment der Entfaltung und der Sinngebung des mensch­lichen Lebens.

Hier liegt ein herausfordernder Punkt insbesondere in Bezug auf Langzeitarbeits­losig­keit der Menschen über 50 Jahre. Dieser Bereich der Arbeitslosigkeit nimmt nämlich mit der Erholung der Konjunktur nicht ab, vielmehr ist der Jahresdurchschnittsbestand in den letzten Jahren kontinuierlich und drastisch gestiegen.

Im Jahre 2012 waren circa 17 000 Menschen über 50 Jahre sogenannte Lang­zeit­arbeitslose, 2016 waren es über 50 000. Diesen Menschen ist neben der verringerten Einkommensmöglichkeit vor allem die Perspektive der Sinnfindung in der Arbeit genommen. Sie erfahren in vielen Fällen eine Abwertung ihrer Persönlichkeit. See­li­sche Erkrankungen sind da sehr häufige Folgen. Dies ist eine Aufforderung an die Politik, zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten für ältere Langzeitarbeitslose zu schaf­fen. An dieser Stelle sage ich Danke, Herr Minister! (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Mit dem vorliegenden Gesetz, in dem das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz geändert wird, wird eine wichtige Maßnahme in diese Richtung geschaffen. Im Rah-


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 112

men der Aktion 20 000 sollen für diese Personengruppe 20 000 Arbeitsplätze vor allem in Gemeinden, über gemeinnützige Trägervereine und Unternehmungen gefördert und geschaffen werden. Damit soll die Arbeitslosigkeit dieser Personengruppe langfristig halbiert werden.

Mit dieser Beschäftigungsinitiative wird nicht nur ein wichtiger Schritt für ältere Personen gesetzt, die arbeitslos sind, nämlich zur Nutzung ihrer Arbeitserfahrung und damit zur Sinnfindung der Arbeit, sondern auch die Gesellschaft kann von der Erfahrung dieser Menschen stark profitieren. Zusätzlich geht es darum, dass es einen Widerspruch gibt zwischen der Forderung, dass Menschen später in Pension gehen sollten, und der Tatsache, dass mit der Verlängerung der Lebensarbeitszeit die Gefahr, arbeitslos zu werden, größer wird. Das muss bedacht werden.

Meine Damen und Herren, mit der Arbeit haben Menschen die Möglichkeit, Sinn zu erfahren. In der Arbeitslosigkeit wird ihnen aber verstärkt und schmerzlich vor Augen geführt, dass ihnen diese Möglichkeit genommen wird. Diese Aktion 20 000 ist für diese Menschen, keine Frage, positiv.

Durch die Förderung von Einzelarbeitsplätzen in Form von Eingliederungshilfe, mit der der Arbeitgeber direkt gefördert wird, und mit der Förderung einer gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassung mit projektbezogenen Beschäftigungsförderungen können sowohl der Einzelne als auch die Wirtschaft und die Gesellschaft profitieren. (Bun­desrat Rösch: Das ist ja schon Verdrängung!) – Wir werden das in den nächsten Monaten, Herr Kollege, keine Frage, spüren.

Es geht darum, meine Damen und Herren, die Verantwortung für die älteren Langzeit­arbeitslosen sichtbar zu machen und wirksame Schritte zu setzen. Wir sind in Öster­reich auf dem richtigen Weg. Wir werden diesem Gesetz gerne zustimmen. Herr Bundesminister, danke für Ihren Einsatz, Ihnen und allen, die hier mitmachen, denn wir sind – ich habe nachgeschaut, über Google und so weiter – europaweit mit diesem Gesetz einzigartig.

Noch einmal: Ich freue mich, dass wir heute zustimmen. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ. – Bundesrat Rösch: Woanders traut sich das keiner!)

15.32

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste ist Frau Bundesrätin Posch-Gruska zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Kollegin.

 


15.32.23

Bundesrätin Inge Posch-Gruska (SPÖ, Burgenland): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen, vor allem Herr Kollege Saller! Das hat jetzt wirklich gutgetan. (Allgemeine Heiterkeit. – Rufe: Hammerl!) – Hammerl, Ent­schuldigung! Sie waren Präsident, ich weiß.

Herr Kollege Hammerl, das hat jetzt wirklich sehr gutgetan, weil man bei Ihrer Rede ganz deutlich gemerkt hat, es geht um Menschen, und das stimmt. Es geht bei diesem Gesetz um Menschen, die unsere Hilfe brauchen.

Wir haben in Österreich die gute Situation, dass zurzeit 3,5 Millionen Menschen in Arbeit sind. Das ist sehr viel, so viel wie noch nie. Es ist eine sehr, sehr gute Situation auf dem Arbeitsmarkt. (Bundesrat Rösch: Geringfügig und Teilzeit!) Davon sind aber eine Million Menschen in instabilen Arbeitsverhältnissen, das heißt, in Arbeits­ver­hältnissen, wo die Menschen am Bau sind, wo die Menschen Saisonarbeiter sind, wo die Zukunft nicht so sicher ist.

Wir haben auch circa 50 000 Langzeitarbeitslose. Langzeitarbeitslos heißt, länger als ein Jahr zu Hause zu sein. Herr Kollege Hammerl hat schon sehr genau gesagt, was


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 113

das für diese Menschen heißt: vom AMS zur Gebietskrankenkasse geschickt zu werden, von der Gebietskrankenkasse zur Pensionsversicherung, dazwischen sehr, sehr viele Bewerbungsschreiben zu schicken, zu Hause auf Antwort zu warten, die teilweise gar nicht kommt.

Die meisten wissen es, ich habe das Glück, dass ich ein Beschäftigungsprojekt im Bezirk Mattersburg führen kann, wo wir zurzeit 19 Langzeitarbeitslose beschäftigt haben. Ich weiß, wie schwer es für sie ist, wenn sie Lebensläufe verschicken, Bewer­bungen verschicken und auf Antwort warten, die nicht immer kommt. Ich weiß aber auch, wie es diesen Menschen geht: Sie haben eine Beschäftigung für ein Jahr und sind sehr froh darüber, dass sie eine Beschäftigung haben, sie bekommen nämlich für diese Beschäftigung bezahlt. Ich weiß auch, wie es diesen Menschen geht, wenn sie zu uns kommen und oft gar nicht mehr gerade schauen können, weil sie von ihrem Schicksal gedrückt sind, weil sie nicht mehr den Selbstwert haben, den einem die Arbeit auch gibt.

Wenn sie nach einem Jahr Beschäftigung von uns weggehen können und wieder das Gefühl haben, eine Arbeit zu haben und selbst etwas wert zu sein, dann ist das sehr, sehr wichtig. Die Aktion 20 000 gibt sehr vielen Menschen die Möglichkeit, wieder Selbstwert, Beschäftigung und Geld zu bekommen. Das ist sehr wichtig. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Dieses Beschäftigungsprojekt gibt aber auch den Gemeinden und den gemeinnützigen Vereinen die Möglichkeit, Menschen Beschäftigung zu geben und ihnen damit zu helfen. Ich als Bürgermeisterin finde es sehr schade, dass meine Gemeinde nicht in der Pilotregion liegt, sondern dass ich bis 1. Jänner 2018 warten muss. Ich weiß aber, wie ich ab 1. Jänner 2018 den Hirmerinnen und Hirmern helfen kann, die darauf warten, arbeiten zu gehen und eine Beschäftigung zu bekommen.

Ich freue mich sehr, und ich glaube, dass es vielen Bürgermeisterinnen und Bür­ger­meistern so geht, dass sie gerne Menschen helfen und nicht ein solch gutes Projekt schlechtreden.

Ich habe meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Beschäftigungsprojekt ver­sprochen, dass wir uns, wenn dieser Beschluss bei uns im Bundesrat durchgegangen ist, wenn wir den diskutiert haben, beim nächsten sozialpädagogischen Tag diese Diskussion sehr gerne gemeinsam anschauen und gemeinsam abwägen werden, wo sich die Parteien für Menschen einsetzen, wo die Parteien einsehen, wie wichtig es für die Politik ist, dass Menschen Arbeit, Beschäftigung und einen Wert haben.

Wir werden diesem Gesetz sehr, sehr gerne zustimmen. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

15.36


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste ist Frau Bundesrätin Mühlwerth zu Wort gemeldet. – Bitte schön.

 


15.36.37

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Jetzt habe ich mir all diese Reden von Ihnen angehört und würde Sie dringend ersuchen, die Kirche im Dorf zu lassen. Was Sie da abziehen, wie Sie auf die Tränendrüsen drücken, ist wirklich nahe­zu unerträglich.

Ich weiß, man darf in diesem Haus das Wort verlogen nicht sagen, darum sage ich es auch nicht, aber ich wäre wirklich schwer versucht gewesen. Es ist wirklich unglaublich, was sich da abspielt. Das ist ein reiner Wahlkampfschlager von Ihnen. Warum haben Sie das nicht schon die längste Zeit gemacht?


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 114

Seit Jahren reden wir darüber, dass die älteren Arbeitslosen keine Möglichkeit mehr haben, einen Arbeitsplatz zu bekommen. Wir haben uns nicht nur einmal darüber unterhalten, wie schwer es für Arbeitslose ist, die länger als ein halbes Jahr arbeitslos sind. Was haben Sie bis dato dagegen gemacht? – Außer Sonntagsreden gar nichts! (Beifall bei der FPÖ.)

Jetzt, kurz vor der Wahl, fällt Ihnen das ein, weil Kanzler Kern irgendeinen Plan gebracht hat, A, B oder C (Zwischenrufe bei der SPÖ), und gesagt hat, jetzt müssen wir uns ganz dringend um die älteren Arbeitslosen kümmern.

Ich finde es wirklich interessant, dass Sie, meine Damen und Herren von der ÖVP, da jetzt mit im Boot sind, die ehemalige Wirtschaftspartei, die ganz genau weiß, dass man Arbeitnehmer auch zu Tode schützen kann. Das haben Sie in früheren Jahren ja auch durchaus erkannt und gesagt, aber Sie fallen ja bei allem um, was jemals irgendwo an Wirtschaftskompetenz bei Ihnen rudimentär vorhanden war. Da haben Sie nie den Mut gehabt, zu sagen: Wir heben da gewisse Dinge auf! – Sie hätten sich ein Beispiel an Schweden nehmen können. Schweden ist ein immer noch sehr abgesicherter Sozial­staat, wo Sie durchaus Beispiele hätten finden können. Das haben Sie alles nicht gemacht.

Frau Kollegin Posch-Gruska, das ist ja überhaupt das Beste: Wenn Sie dann eine Förderung bekommen, werden Sie als Bürgermeisterin der Gemeinde, aber leider erst ab 2018, etwas für diese armen Arbeitslosen tun, die Ihnen gerade so leidgetan haben. Warum kann die Frau Kollegin als Bürgermeisterin nicht jetzt schon etwas machen? Warum hat die Frau Kollegin nicht schon vor zwei Jahren etwas machen können? Nein, Sie gehen her und sagen, wir nehmen das Geld des Steuerzahlers und schütten es, wie Sie es ja gewohnt sind, nach dem Gießkannenprinzip über allen aus.

Sie nehmen 20 000 heraus – was passiert eigentlich mit den anderen?, die sind auch arm –, das ist jetzt Ihr Vorzeigeprojekt, und dann sagen Sie: Wir tun ja etwas für diese Menschen! Dann können Sie sich gegenseitig oder selbst auf die Schulter klopfen und sagen: Wir haben etwas getan, wir sind für die Menschen da!

Ja, jeder Arbeitslose ist einer zu viel (Bundesrätin Kurz: Eben!), und ja, jeder, der ein halbes Jahr oder noch länger arbeitslos war, hat es schwer. Das wissen wir alle, und die Menschen haben auch unser Mitleid. (Bundesrat Pfister: Dann unterstützen Sie das!) Ich will die überhaupt nicht kleinreden, verächtlich machen, diskriminieren oder sonst etwas, aber das, was Sie hier abziehen, diese Schau, das ist eigentlich men­schenverachtend, nicht im Sinne derer, die es wirklich brauchen. Sie sollten sich schämen und sich nicht auf die Schulter klopfen. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenrufe bei SPÖ und Grünen.)

15.40


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich darf nun Herrn Bundesminister Stöger das Wort erteilen. – Bitte.

 


15.40.23

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Ich bin jetzt überrascht ob dieser Diskussion. Ich möchte Ihnen etwas erzählen: Die letzte Tätigkeit, die ich ge­macht habe, bevor ich Minister geworden bin, war, bei einer großen österreichischen Firma, die es heute nicht mehr gibt, einen Sozialplan zu verhandeln; das war die Austria Tabak in Linz.

Erinnert ihr euch, da hat es einmal einen gegeben, der gesagt hat, er schießt sich ins Knie? Ich bin dort als Arbeitnehmervertreter gestanden und habe 400 Menschen in die Augen geschaut und ihnen gesagt: Ihr wisst es ja, jetzt ist es aus! Das hat jeder


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 115

gewusst. Da waren Menschen dabei, die 20, 30 Jahre in diesem Unternehmen gear­beitet haben, die nichts dafür konnten, dass sich da einer verrechnet hat – da hat sich nämlich einer verrechnet! –, und die waren dann auf der Straße. Meine Aufgabe war es, für diese Personengruppe einen Sozialplan zu verhandeln. (Bundesrat Rösch: Was hat das jetzt mit dem zu tun?) Es war nicht nur bei dieser Firma so, ich habe es bei vielen anderen auch erlebt. Da ist man dann immer sehr allein, und diese Men­schen sind sehr allein.

Wir merken in Österreich, dass es sehr viele Menschen gibt, die es trotz niedrigerer und positiver Arbeitsmarktzahlen auf dem Arbeitsmarkt schwerer haben. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Das sind Menschen, die älter als 50 sind. Sie können nichts dafür. Die meisten von uns hier herinnen sind über 50, es träfe uns. Diese Menschen können nichts dafür, sie haben vieles geleistet, aber es ist nun einmal so: Eine Personalchefin, ein Personalchef sagt: Na ja, nehme ich einen Älteren? – Ich nehme ihn nicht!

Was haben wir gesagt? – Wir haben gesagt – und das ist, glaube ich, schon etwas Spannendes –, wir machen diese Aktion 20 000. Da müsste eigentlich die Opposition sagen: Das ist eine Regierung, die den Mut hat, zu sagen, sie reduziert die Lang­zeitarbeitslosigkeit Älterer! – Wir halbieren sie. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundes­räten der ÖVP.)

Das ist eine Ansage, und wir lassen uns auch anhand dieser Ansage messen. Wir haben ganz klar gesagt, wir wollen Altersarbeitslosigkeit reduzieren. Wie geht das? – Wir haben gesagt, diese Menschen können etwas, sie haben das auch bewiesen. Wir selbst, auch Sie, sind irgendwo in den Gemeinden tätig, in vielen unterschiedlichen Funktionen. Jeder weiß, dass es in der Gemeinde Tätigkeiten gibt, für die man eigent­lich jemanden bräuchte, die man aber nicht in den Dienstpostenplan hineinbekommt; wo der Bürgermeister sagt, er wolle da etwas machen, das aber niemand bezahlt. Wir haben gesagt, wir wollen diese Tätigkeiten in den Gemeinden haben, wir bezahlen diese Tätigkeiten, die gebraucht werden, aus Mitteln der Arbeitsmarktpolitik.

Ich nenne ein Beispiel: Wir haben 5 000 Schulen, aber kaum wo ein Schulsekretariat. Es gibt viele Frauen, die die Qualifikation haben, ein Sekretariat zu führen – manchmal auch besser als die Direktoren, weil sie es gelernt haben. Ein Schulsekretariat zu führen kann eine Maßnahme sein; das passt nicht überall, aber es passt oft.

Jeder Bürgermeister, jede Bürgermeisterin weiß, was in der Gemeinde gebraucht wird, und genau diese Tätigkeiten wollen wir vom Bund auch fördern. Wir fördern damit die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, wir fördern damit die Gemeinden, und wir fördern damit die Menschen. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

Ich sage auch Danke – Bundesrat Hammerl hat es sehr deutlich gesagt –, denn ich sage immer, wenn wir das in Wien diskutieren, sind die 20 000 Leute eine Zahl; in der kleinen Gemeinde haben sie aber ein Gesicht, und die Bürgermeisterinnen und Bür­germeister kennen diese Gesichter. In den Gesprächen, die ich draußen in den Pilot­regionen geführt habe, mit allen, über die Parteigrenzen hinweg, haben alle Bürger­meisterinnen und Bürgermeister gesagt, das ist eine gescheite Sache. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Ich bedanke mich bei Ihnen dafür, dass Sie da mitmachen.

Herr Bundesrat Rösch, wenn Sie sagen, dass Sie Arbeitnehmervertreter sind (Bundes­rat Rösch: Schon lange, 30 Jahre schon!) – gemerkt hat man es in der Rede heute nicht (Bundesrat Rösch: Macht nichts!) –, würde ich Sie bitten, die Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ zu lesen. Es ist ein Standardwerk. Daran erkennt man


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 116

auch, worum es geht. Es geht darum, den Menschen die Würde zurückzugeben. Ich glaube, das ist etwas ganz Entscheidendes, was wir tun.

Das ist das große Arbeitsmarktprogramm der letzten Jahre, und was mich besonders freut: Nachdem wir in Österreich die Ausbildungsgarantie für Jugendliche umgesetzt und die Jugendarbeitslosigkeit reduziert haben, haben andere europäische Staaten gesagt, dass sie uns diese Beschäftigungsaktion 20 000 nachmachen wollen. Das ist etwas Wichtiges, und ich glaube, das haben die älteren Menschen verdient. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller.)

15.46

15.46.22

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Danke, Herr Minister.

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen dazu vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlos­sen.

Die Abstimmung erfolgt getrennt.

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsmarktpolitik-Finan­zierungsgesetz geändert wird.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Nun kommen wir zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein ArbeitnehmerInnenschutz-Deregulierungsgesetz.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Nun kommen wir zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz geändert wird.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

15.47.5814. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz und das Bauarbeiter-Schlecht­wetterentschädigungsgesetz 1957 geändert werden (2241/A und 1693 d.B. sowie 9835/BR d.B.)

15. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitszeitgesetz, das Arbeitsruhegesetz und das Apothekengesetz geändert werden (2233/A und 1696 d.B. sowie 9836/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Nun gelangen wir zu den Punkten 14 und 15 der Tagesordnung.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 117

Berichterstatterin zu diesen Punkten ist Frau Bundesrätin Posch-Gruska. Ich bitte um die Berichte.

 


15.48.49

Berichterstatterin Inge Posch-Gruska: Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über den Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz und das Bauarbeiter-Schlechtwetterentschädigungsgesetz 1957 geändert werden.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Weiters bringe ich den Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsumen­tenschutz über den Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitszeitgesetz, das Arbeitsruhegesetz und das Apothe­kengesetz geändert werden.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich danke für die Berichte.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster ist Herr Bundesrat Stögmüller zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Kollege.

 


15.50.01

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Werte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Kolleginnen und Kollegen! Bei TOP 14 werden einige Gesetze rund um das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz novelliert. Es wird auch eine Anpassung bei der Meldevorschrift der Teilzeitkräfte geben. Laut BUAK gibt es um die 10 000 Teilzeitbeschäftigte im Baubereich. Das ist doch eine höhere Anzahl, als ich, ehrlich gesagt, eigentlich geglaubt habe, weil die Baubranche nicht als Teilzeitbranche bekannt ist.

Da sich der Zuschlag für die BUAK nach dem Stundenausmaß richtet und auch die Meldepraxis jetzt im Folgemonat stattfindet, besteht hier ein deutlicher Spielraum für flexible Praxen, die sich auch der Kontrolle entziehen. Die Beweislastumkehr stärkt sicherlich auch die Arbeitnehmerrechte beziehungsweise das Sozialversicherungs­system, doch sind wir Grüne der Meinung, da braucht es bei Vermutung oder Ver­dachtsmomenten seitens der BUAK klare Kriterien, um dem Argument der Willkür standzuhalten.

Durch diese Novelle wird auch eine Sicherstellung der schnellen Auszahlung der Ansprüche von Hinterbliebenen festgeschrieben. Der hohe Verwaltungsaufwand und lange Wartezeiten für die Hinterbliebenen werden als Gründe für die Neuregelung bei der Auszahlung an Hinterbliebene angeführt. Die Regelungen betreffend den Zugang der Hinterbliebenen zur Anwartschaft sind für mich nachvollziehbar. Diesem Punkt können wir auch zustimmen.

Bei den Lehrlingen gibt es eine Klarstellung für die Mischverwendung. Sie werden in Zukunft vom Geltungsbereich des Bauarbeiterschutzgesetzes ausgenommen. Jeder, der die Praxis draußen kennt, weiß aber, dass das nicht die optimale Lösung ist. Aber gut, es gibt zumindest einmal eine Klarstellung dazu.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 118

Das Absenken der Verzugszinsen könnte man als kleines Geschenk an BUAK-pflichtige Betriebe interpretieren, aber insgesamt werden wir der Novelle zustimmen.

Negativer sehe ich die Novelle zum Arbeitszeitgesetz und zum Apothekengesetz. Es geht hier vorwiegend um eine Änderung in § 19a des Arbeitszeitgesetzes, in dem es um eine Sonderregelung für ApothekerInnen/LeiterInnen in öffentlichen Apotheken geht. Dieser Paragraph war nicht mit der Arbeitszeitrichtlinie konform, deswegen wurde Österreich 2014 von der EU-Kommission aufgefordert, dies zu ändern. Ab 2020 wird das dann so sein.

Abgesehen davon, dass an dieser Novelle erkennbar ist, wie ausgeweitet Arbeits­zei­bestimmungen bereits sind, ist es bedenklich, dass es in Österreich noch immer Regelungen gibt, die sogar weitreichender sind, als es die EU-Arbeitszeitrichtlinie aus dem Jahr 2003 vorgibt; auch dass es wiederum Jahre dauert, bis diese Regelungen überhaupt zurückgefahren werden, also dieser überspannte Rahmen zurückgefahren wird, ist für mich schwer nachvollziehbar.

Der Grund dafür, dass wir das ablehnen, ist ganz einfach: Ich und wir Grüne unter­stützen kein Gesetz, das eine Arbeitszeit von bis zu 25 Stunden vorsieht, bis 2020 sogar noch 32 Stunden. Ich möchte hier nur an die Debatte zum Arbeitszeitgesetz der Ärzte erinnern. Der Durchrechnungszeitraum wird sogar von 13 auf 17 Monate ange­hoben, und so weiter und so weiter. Hier gibt es also meiner Meinung nach sehr viele Verletzungen auch im Arbeitszeitgesetz.

Liebe SPÖ, ihr sagt: „Keinen 12-Stunden-Tag!“, wollt aber hier zustimmen. Sorry, mit uns Grünen wird das nicht gehen. Wir stimmen heute diesem Gesetz nicht zu. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

15.53


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Anderl. – Bitte.

 


15.53.39

Bundesrätin Renate Anderl (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrter Herr Bundesminister! Ich spreche jetzt über die sogenannte BUAG-Novelle. Auch das ist wieder ein Gesetz, bei dem es um Menschen geht, bei dem es um die Bekämpfung von Sozialbetrug im Zusammenhang mit Teilzeit geht. Das hat ja mein Vorredner David Stögmüller schon angesprochen.

Auch für mich ist es unverständlich, dass dies ein Bereich ist, wo man leider immer wieder bei Proben oder Kontrollen draufkommt, dass Menschen dort ausgebeutet werden, Menschen, die ihre Arbeit manches Mal unter sehr schwierigen Bedingungen verrichten. Ich glaube, es ist allen bekannt, dass Teilzeit sowieso massiv im Zunehmen ist, dass Teilzeit im Großen und Ganzen eigentlich ein Frauenphänomen ist, und es ist bekannt, dass Teilzeit viele Risiken und Nachteile hat. Teilzeit reduziert das Einkom­men, und es sinkt dabei nicht nur das Lebenseinkommen, sondern es sinken – was dabei ganz wesentlich ist – auch die Beiträge, die in die Sozialversicherung einbezahlt werden. Dadurch werden dann natürlich auch Beiträge von der Pension oder Arbeits­losen­geld geschmälert.

Dass dieses Phänomen am Bau um sich greift, ist etwas, wo bei uns auf jeden Fall die Alarmglocken läuten sollten – und die haben geläutet! Daher gibt es hier jetzt eine Novelle, in der es darum geht, die Meldevorschriften zu verändern.

Ich weiß nicht, wer von Ihnen/euch wann das letzte Mal eine Baustelle besucht hat. Bei mir ist es noch gar nicht so lange her, dass ich in meiner Tätigkeit auch als Ge­werkschafterin auf einer Baustelle unterwegs war. Ich muss ehrlich gestehen, ich habe dort niemanden getroffen, keinen Kollegen getroffen, der mir erzählt hätte, dass er


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 119

teilzeitbeschäftigt ist, beziehungsweise auch niemanden getroffen, der mittags oder um 14 Uhr sein Werkzeug hätte fallen gelassen, um nach Hause zu gehen. Daher bin ich überzeugt davon: Wenn dort Teilzeit angegeben wird, dann muss man wirklich genau hinschauen, ob es sich nicht tatsächlich eben um Sozialbetrug handelt, und diesem müssen wir natürlich entgegenwirken.

Ich erlaube mir, hier ein paar Beispiele von unserem Vorsitzenden der Bau-Holz-Ge­werkschaft, Abgeordnetem Beppo Muchitsch, zu bringen, die er im Nationalrat ge­bracht hat und die uns zeigen sollen, dass es hier wirklich an der Zeit ist, dass die Alarmglocken läuten und dass wir auch entsprechend handeln sollten.

Wenn ein österreichischer Baumeister in Niederösterreich 26 Arbeiter gemeldet hat, davon aber 25 als teilzeitbeschäftigt, dann kann man wohl sagen: Da stimmt etwas nicht! Wenn ein Parkettleger in der Steiermark von 35 Arbeitern, die er beschäftigt hat, 27 als Teilzeitbeschäftigte genannt hat, dann stimmt da etwas nicht. Diese Liste ist leider noch länger, ich könnte die Aufzählung fortsetzen, daher ist es der richtige Schritt, dass die Erstmeldung spätestens bei der Aufnahme der Tätigkeit unter Angabe des Ausmaßes, der Lage der Arbeitszeit sowie des Einsatzortes des Arbeitnehmers erfolgen muss.

Ich habe es eingangs schon erwähnt: Wir sprechen hier von einer Berufsgruppe, die ihre Tätigkeit – und es ist so, ich glaube, das können Sie alle mir bestätigen – oftmals unter sehr schwierigen Bedingungen verrichtet. Daher ist es genau bei dieser Berufs­gruppe wichtig, dass der Gesetzgeber ein Auge darauf hat. Genau deswegen wird meine Fraktion dieser Novelle auch zustimmen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

15.57


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Die nächste Wortmeldung liegt mir von Herrn Bun­desrat Oberlehner vor. – Bitte, Herr Kollege.

 


15.57.37

Bundesrat Peter Oberlehner (ÖVP, Oberösterreich)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Im vorliegenden Gesetzesbeschluss, mit dem das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz geändert wird, geht es, wie wir schon gehört haben, primär darum, einen weiteren Schritt, was die Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping betrifft, zu setzen. Vor allem soll das im Bereich der Baubranche geschehen, und da wurden jetzt von meiner Vorrednerin ja schon einige gute Beispiele gebracht.

Bei Erhebungen hat sich ergeben und herausgestellt, dass sehr viele MitarbeiterInnen und Beschäftigte teilzeitbeschäftigt sind. Ich kann mich auch diesbezüglich nur meiner Vorrednerin oder meinen Vorrednern anschließen: Auch ich war sehr überrascht, dass das so viele sind, und wäre nie auf die Idee gekommen, dass gerade in der Bau­branche so viele Menschen teilzeitbeschäftigt sind. Es geht dabei – das hat man auch festgestellt und wurde auch schon gesagt – eben überwiegend um ausländische ArbeitnehmerInnen, was man natürlich auch noch besonders beachten sollte.

Durch die Anpassung der Meldepflichten soll nun dem Umstand entgegengetreten werden, dass nur ein Teil der Arbeitsleistung offiziell abgegolten wird. Vor allem sollte dafür gesorgt werden, dass es nicht zur Unterentlohnung kommt. Auch ähnliche an­dere Dinge in diesem Bereich müssen verhindert werden.

Natürlich hat diese gesetzliche Grundlage aber nur dann einen Sinn, wenn ihre Ein­haltung seitens der Behörden entsprechend konsequent verfolgt wird und die Probleme dort auch angegangen werden. Wenn es – wie es offenbar im Magistrat Linz ge­schehen sein soll – Hunderte Akte gibt, in denen es um Lohn- und Sozialdumping geht


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 120

und die leider liegen gelassen werden, bis sie verjährt sind, dann ist das natürlich nicht der richtige Weg, um dieses Problem tatsächlich in den Griff zu bekommen.

Eine weitere wichtige Verbesserung ist aber auch, dass der Unterstützungsfonds Zuschüsse vorsehen kann für Vereinbarungen, die der Altersteilzeit nachgebildet sind. Das ist vor allem für jene Kolleginnen und Kollegen in der Arbeitswelt wichtig und notwendig, die gesundheitlich nicht mehr voll einsatzfähig sind und die damit auch eine entsprechende Absicherung bekommen.

Im zweiten Beschluss, mit dem das Arbeitszeitgesetz, das Arbeitsruhegesetz und das Apothekengesetz geändert werden, geht es – das wurde auch schon gesagt – um eine Anpassung an EU-Recht. Analog zu den Krankenanstalten sollen verlängerte Dienste hinkünftig auch dort nur noch 32 Stunden dauern, und die durchschnittliche Wochen­arbeitszeit sollte 60 Stunden nicht mehr überschreiten. Diese Regeln gelten natürlich nur für die Apothekerinnen und Apotheker, nicht für das übrige dort beschäftigte Per­sonal. Da gelten natürlich weiterhin, wie bisher, die Regelungen der Arbeitszeitgesetze.

Offen ist es, in einer weiteren Novellierung auch eine Regelung für die Apotheker­bereit­schaftszeiten zu finden, weil auch da eine entsprechende Regelung noch fehlt oder nicht in dem Ausmaß vorhanden ist, wie man es sich wünschen würde.

Wir werden seitens meiner Fraktion den beiden Gesetzesbeschlüssen des Natio­nalrates, die insgesamt sehr viele sinnvolle Maßnahmen enthalten, vor allem – und das wurde auch schon mehrfach erwähnt – für die Menschen in der Arbeitswelt, zustim­men. Es ist immer ganz wichtig, dass wir die Menschen als Allererstes sehen. Daher werden wir hier sehr gerne unsere Zustimmung erteilen. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

16.00


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ecker. – Bitte, Frau Kollegin.

 


16.01.03

Bundesrätin Rosa Ecker (FPÖ, Oberösterreich): Geschätzter Herr Minister! Sehr geehrtes Präsidium! Liebe Damen und Herren hier im Saal! Als Viertredner habe ich gerade mit Herrn Kollegen Stögmüller gequatscht, aber es gibt noch immer etwas, das noch nicht gesagt wurde. Darauf werde ich mich auch beschränken.

Was noch nicht erwähnt wurde – und das finde ich ganz gut –, ist, dass auch im Zu­sammenhang mit dem Bezug von Überbrückungsgeld jetzt die Abfindungen ausbezahlt werden, weil auch bei Urlaubsersatzleistung oder im Todesfall die Leistungen – das darf man nicht vergessen – keine Geschenke sind, sondern erworbene monetäre Ansprüche der Arbeitnehmer, die ihnen zustehen und auf einem Konto stehen und die aufgrund der Rahmenbedingungen jetzt nicht so ausbezahlt werden konnten.

Was auch wichtig wäre, ist, dass diese Förderung der BUAK Anreize schaffen soll, im Baubereich die Altersteilzeit vermehrt in Anspruch nehmen zu können, eben des­wegen – und da braucht man nur den heutigen Tag herzunehmen –: Wir sitzen hier herinnen im Kühlen; ältere Arbeitnehmer, die nicht mehr so weit zur Pensionierung haben, stehen draußen in der Hitze und schaufeln. Hier wäre ein vermehrter Zugang zur Altersteilzeit für manche Personen sicher sehr sinnvoll und wahrscheinlich auch gewollt.

Ja, damit hätten wir es. Ich denke mir, das reicht auch bei der langen Tagesordnung von heute. – Danke. (Beifall bei der FPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

16.02



BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 121

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Bundesminister, darf ich Sie um Ihre Stel­lungnahme bitten.

 


16.02.33

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé|: Hohes Präsidium! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Zuse­herinnen und Zuseher! Ja, das sind zwei Gesetze, wo es so wichtig ist, dass die Sozialpartnerschaft in Österreich funktioniert. Wir merken das am Bau: Wenn die Sozialpartner hinsichtlich der Bauarbeiter-Urlaubskasse Regelungen entwickeln, dann sind das Regelungen, die Praxisbezug haben. Und die wissen, dass es auf Baustellen eben keine Teilzeitbeschäftigten gibt. Wenn es dann manche trotzdem probieren, hier Lohn- und Sozialdumping zu betreiben, dann muss man die Gesetze nachschärfen – das tun wir, danke für Ihre Zustimmung! –, damit Lohn- und Sozialdumping in Österreich nicht geht. Das ist das Entscheidende, das ist wichtig.

In der zweiten Regelung, auch mit den Sozialpartnern vereinbart, geht es darum, dass wir die Medikamentenversorgung insbesondere auf dem Land stärken, indem wir die Bereitschaftsdienste in den Apotheken ermöglichen, gerade in den Regionen ermöglichen. Das geht auch nur dann, wenn ein entsprechender Kollektivvertrag zur Verfügung steht und die betroffenen Apothekerinnen und Apotheker wissen, wie ein Bereitschaftsdienst bei ihnen aussieht. Das sind Bereitschaftsdienste, und das ist keine durchgehende Arbeitszeit.

Ich wollte das insgesamt noch dazusagen und bedanke mich für Ihre Zustimmung. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

16.04

16.04.10

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Danke, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist ge­schlos­sen.

Die Abstimmung erfolgt getrennt.

Wir gelangen zunächst zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz und das Bauarbeiter-Schlechtwetterentschädigungsgesetz 1957 geändert werden.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Nun kommen wir zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitszeitgesetz und weitere Gesetze geändert werden.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Auch das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit ange­nom­men.

16.05.1916. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialver­siche­rungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz und das Einkommen-


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 122

steuergesetz 1988 geändert werden (Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz – SV-ZG) (1613 d.B. und 1698 d.B. sowie 9828/BR d.B. und 9837/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir kommen nun zu Punkt 16 der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Anderl. Ich bitte um den Bericht.

 


16.05.46

Berichterstatterin Renate Anderl: Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über den Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversiche­rungs­gesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungs­gesetz und das Einkommensteuergesetz 1988 geändert werden.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, ich komme daher gleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag,

1. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben,

2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Art. 44 Abs. 2 B-VG die ver­fassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich danke für die Berichte.

Bevor wir in die Debatte eingehen, möchte ich sagen, dass es mir eine Freude ist, das Mitglied des Verfassungsgerichtshofes Dr. Johannes Schnizer mit einer Delegation recht herzlich bei uns begrüßen zu dürfen. (Allgemeiner Beifall.)

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Todt. – Bitte, Herr Kollege.

 


16.07.23

Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolle­ginnen, liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Pflege ist Bundeslän­der­sache. Kommt jemand in ein Pflegeheim, holen sich die Länder in unterschiedlicher Weise die Kosten von den Betroffenen zurück.

Zuerst die guten Nachrichten: Österreich verfügt über ein Pflegesystem, das es vergleichbar in keinem anderen Land der Welt gibt: staatliches Pflegegeld in sieben Stufen, je nach Pflegebedürftigkeit; eine finanzielle Förderung bei einer 24-Stunden-Pflege zu Hause; sozialrechtliche Unterstützung für die pflegenden Angehörigen und vieles andere mehr.

Auch gibt es, über ganz Österreich verteilt, rund 850 Pflegeheime, die von unterschied­lichen Trägern geführt werden: die öffentlichen in den Bundesländern; konfessionelle, wie zum Beispiel die der Barmherzigen Brüder; Heime der Hilfsorganisationen Caritas oder Volkshilfe; aber auch solche von privaten Firmen. Rund 80 000 Menschen leben in Pflegeheimen.

Besonders wenn es sich um Pflege in einem Pflegeheim handelt, kostet Pflege viel Geld. Die Höhe hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem vom Grad der Pflege­bedürftigkeit. Um die Kosten des Heimplatzes zu decken, werden die Pensionen und das Pflegegeld herangezogen. Nur 20 Prozent der Pension sowie 45 € vom Pflegegeld verbleiben den Heimbewohnern als sogenanntes Taschengeld.

Reicht das nicht zur Deckung der Kosten aus, gibt es zwei Möglichkeiten. Erstens: Hat der oder die Pflegebedürftige kein Vermögen, zum Beispiel Sparbücher, Eigentums­wohnungen, Grundstücke, Haus, springt die Sozialhilfe aus der öffentlichen Hand bei den Beiträgen ein. Zweitens: Besitzt ein Heimbewohner ein verwertbares Vermögen,


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 123

steht es dem Sozialamt zu, auf dieses Vermögen zuzugreifen beziehungsweise es grundbücherlich sicherzustellen. Das ist der sogenannte Eigenregress.

Weil Pflege eben Ländersache ist, gibt es je nach Bundesland unterschiedliche Regelungen. Ich möchte zwei Beispiele bringen, ein Beispiel aus Vorarlberg und ein Beispiel aus Wien.

In Vorarlberg gibt es einen Freibetrag von 10 000 €. Rückgriff: zehn Jahre gegen Hilfsempfänger – also gegen den, der die Hilfe empfangen hat –, sonst drei Jahre bei grundbücherlicher Sicherstellung, und bei grundbücherlicher Sicherstellung ist es unbegrenzt. Ersatz durch die Geschenknehmer oder Geschenknehmerinnen: keine eigenen landesgesetzlichen Regelungen, jedoch vorrangige Geltendmachung zivil­recht­licher Ansprüche insbesondere nach § 947 ABGB. Regress: an den Ehegatten, an die Ehegattin und an die eingetragenen Partner oder Partnerinnen.

In Wien ist es so, dass es 4 000 € als Freibetrag gibt. Rückgriff: drei Jahre gegen den Hilfsempfänger beziehungsweise zehn Jahre gegen Erben. Diese Fristen gelten nicht für sichergestellte Rückersatzansprüche. Ersatz durch die Geschenknehmerinnen oder Geschenknehmer: Forderungen gegen den/die Geschenknehmer werden im Zivil­rechts­weg geltend gemacht, ein Freibetrag von bis zu 3 000 € kann berücksichtigt werden. Der Regress richtet sich an Ehegatten oder eingetragene Partner, jedoch nur für den Fall, dass ein zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch besteht. Kein Zugriff bei den Ehepartnern auf das Vermögen.

Also: Sehr, sehr unterschiedliche Regelungen in den Bundesländern!

Dieser Eigenregress kommt einer hundertprozentigen Erbschaftssteuer gleich. Das ist eine große Belastung für die Betroffenen und deren Familien, und er gehört daher abgeschafft! (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Der Pflegeregress betrifft auch die Nachkommen, denn: Auch wenn zum Beispiel eine Liegenschaft an Familienmitglieder übertragen wurde, greifen die Länder mit unter­schiedlichen Fristen und unterschiedlich geregelt darauf zurück. Einzige Ausnahme: ein dringendes Wohnbedürfnis des Ehegatten.

Der Pflegeregress führt oft dazu, dass sich Betroffene, die ihr Leben darauf aus­ge­richtet haben, den Kindern und Enkelkindern eine sichere Basis zu schaffen, auch noch schuldig fühlen, die Zukunft der Nachkommen durch die Pflegebedürftigkeit zu gefährden. Als ob die psychische und physische Belastung nicht schon groß genug wären, kommt auch noch die Sorge um die Zukunft der Nachkommen auf die Men­schen zu.

Wir haben auch hier eine klare Position, wenn es um eine Finanzierung darüber hinaus geht, weil uns gerade die Pflege auch in den nächsten Jahren noch stärker heraus­fordern wird. Es geht um zusätzliche Mittel, die aufzubringen sind, weil wir immer älter werden – das ist ein gutes Zeichen – und weil wir in einem schönen Land leben. Es gibt da eine klare Position für eine Erbschaftssteuer, mit der wir von jenen einen Beitrag haben wollen, die es sich wirklich leisten können, nämlich von Menschen, die mehr als 1 Million € erben. Das sind nicht die klassischen Häuslbauer und das sind nicht die Mindestpensionisten, sondern das sind jene, die es sich wirklich leisten kön­nen! (Beifall bei der SPÖ.)

Dieses Gesetz ist ein Meilenstein, und wir Sozialdemokraten freuen uns im Namen der Betroffenen. (Beifall bei der SPÖ.)

16.14


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Preineder. – Bitte, Herr Kollege.

 



BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 124

16.14.32

Bundesrat Martin Preineder (ÖVP, Niederösterreich): Geschätzte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den wir diskutieren, beschäftigt sich mit der Absicherung der Ab­grenzung zwischen selbständiger und unselbständiger Arbeit; nur gab es im Zuge dieser Diskussion bei der zweiten Lesung die Einbringung des Antrages auf Abschaf­fung des Pflegeregresses.

An sich ist das etwas, was wir sehr gerne unterstützen, nämlich auch deshalb, weil unsere Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann ihre Präsidentschaft unter das Thema Pflege und Leistbarkeit der Pflege gestellt hat. Es war ein zentrales Thema, dieses Thema hat sich entsprechend weiterentwickelt, und darauf dürfen wir gemeinsam auch als Bundesrat stolz sein.

Das Thema der Bundesrats-Enquete „Pflege: Schaffbar, sichtbar, leistbar“ hätte sicher­lich eine entsprechende Fortsetzung verdient, und wir hätten uns gewünscht, dass hier der entsprechende Entschließungsantrag zustande gekommen wäre. Leider war das nicht möglich. Das tut uns leid, das schmerzt uns, weil es eine gute Tradition war, dass Präsidenten mit ihrem Thema eine Fortsetzung in Form eines Ent­schließungsantrages finden.

Die Pflege und die Art der Pflege haben sich in den letzten Jahren extrem gewandelt. War sie früher grundsätzlich nur eine Aufgabe der Familie, so hat sie sich in der Zwischenzeit wesentlich breiter aufgestellt. Kollege Todt hat darauf hingewiesen, dass es schon verschiedenste Möglichkeiten gibt, nämlich die Form der mobilen Pflege – und ich danke allen Hilfsorganisationen, die diese betreiben –, jene der 24-Stunden-Betreuung oder 24-Stunden-Pflege und die Pflegeeinrichtungen, die großteils die Länder betreuen und betreiben. In Niederösterreich sind das 48 Landespflegeheime.

Wenn die Kosten, die bei so einer stationären Pflege entstehen, die Höhe der Pension und des Pflegegeldes überschreiten, dann kommt es zu einem Pflegeregress. Das ist etwas, was nicht ausgewogen und nicht klar verständlich ist. In Niederösterreich haben wir uns schon 2008 zu einem Teil gegen diesen Pflegeregress ausgesprochen, ihn nämlich im Bereich der Kinder und Ehepartner abgeschafft. Verschiedene Länder – weil Pflege eben Länderangelegenheit ist – haben verschiedene Regelungen, und es ist gut, wenn wir hier zu einer gemeinsamen Lösung kommen, unter anderem, weil die Kosten der Pflege sehr unterschiedlich sind. Im „Kurier“ gab es einen Vergleich: Das Bundesland Wien hat Pflegekosten pro Tag von im Durchschnitt 238 €, in Ober­österreich sind es 111 € – also mehr als 100 Prozent Unterschied!

Auch die Kosten, die durch die Abschaffung des Pflegeregresses entstehen, beziffern die Bundesländer sehr unterschiedlich. Herr Bundesminister, die Landesrätin von Vorarl­berg, Frau Wiesflecker, rechnet mit 60 Millionen € an Kosten. In Niederöster­reich – mein zuständiger Landesrat hat mir das mitgegeben – werden die Kosten in etwa bei 22 Millionen € liegen, und Kärnten beziffert sie mit 1,1 Millionen €.

Es ist gut, dass wir diesen Pflegeregress abschaffen, weil es dadurch eine Gleich­stellung gibt, eine Gleichstellung, durch die es egal ist, ob jemand Eigentum in seinem Leben geschaffen hat, ob jemand Kinder oder eine Familie hat – oder eben nicht. Darum werden wir das auch entsprechend unterstützen.

Was wir von der ÖVP gerne gemacht hätten, wäre, eingehender über die Finanzierung zu reden, weil neue Steuern für uns nicht infrage kommen. Eine Studie der Arbeiter­kammer besagt, dass immer noch 53 Prozent aller Pflegebedürftigen in Familien, im familiären Bereich gepflegt werden, 29 Prozent durch die mobilen Pflegeeinrichtungen, 16 Prozent durch stationäre Einrichtungen und 2 Prozent durch die sogenannte 24-Stunden-Betreuung. Wenn wir über die Erbschaftssteuer diskutieren wollen, dann


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 125

dürfen wir dabei nicht vergessen, dass wir damit vielleicht gerade die Familien belasten, die selbst die Pflege durchführen. (Bundesrat Stögmüller: Das sind dann schon sehr reiche Familien!)

Wir müssen auch darüber reden, wie Verteilungsgerechtigkeit ausschaut, wenn es darum geht, jemanden zu belasten. Es sollen nämlich nicht jene, die im Beruf stehen, die eine Familie haben und vielleicht auch noch Freiwilligenleistungen für die Gesell­schaft erbringen, zu jenen gehören, die stärker belastet werden. An dieser Stelle darf ich auch ein Dankeschön dafür sagen, dass in dieser Gesetzesmaterie die Gratis-Hepatitis-Impfung für die Angehörigen der freiwilligen Feuerwehren inkludiert ist.

Es sind circa 100 Millionen € vorgesehen, die über Missbrauchsbekämpfung herein­kommen sollen. Es wird intensiver Gespräche mit den Bundesländern bedürfen, um klare Regelungen zu schaffen, weil eben die Ausgangssituationen unterschiedlich sind, aber auch die Finanzierung klarer diskutiert gehört. Aus unserer Sicht wäre es wün­schenswert gewesen, über eine 15a-Vereinbarung – und wir wollten diesbezüglich auch einen Entschließungsantrag akkordieren, leider ist das nicht möglich gewesen – Klarheit zu schaffen. Es wird, das ist mir gesagt worden, entsprechende Gespräche Ihrerseits, Herr Bundesminister, mit den Bundesländern geben, um zu einem bud­getären Ausgleich beziehungsweise zu den entsprechenden Überlegungen zu kom­men. Ich hoffe, dass diese Gespräche gut verlaufen.

Wir seitens der ÖVP sind für eine Abschaffung des Pflegeregresses, wir sind deshalb dafür, weil es die Familien entlastet und das Eigentum sichert. (Beifall bei der ÖVP.)

16.21


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Ing. Rösch zu Wort. – Bitte.

 


16.21.10

Bundesrat Ing. Bernhard Rösch (FPÖ, Wien): In Bezug auf die Vereinheitlichung und den Fall des Pflegeregresses wird wahrscheinlich niemand da sein, der dem nicht zustimmen will. Das ist eine gescheite Sache – und ich will das Gesagte meiner Vorredner jetzt nicht wiederholen –, auch wir werden dafür sein. Ich nehme aber noch ein bisschen Zeit in Anspruch, um noch einmal auf die Beschäftigungsaktion zurückzukommen.

Wir werden uns das sehr genau anschauen, und als gelernter Österreicher – wie wir schon in vielen Fällen gesehen haben; und ich hoffe, dass ich unrecht habe in der Sache, ich hoffe wirklich, dass ich unrecht habe – glaube ich den Beteuerungen nicht, dass es der SPÖ um die Menschen geht. Es geht der SPÖ darum, dass ein Budget lockergemacht wird. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) – Wir haben das in so vielen Fällen gesehen, auch in Wien: Der Herr Minister wird die Frau Brauner kennen, die die Schulden in Wien versechsfacht hat.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Herr Kollege, ich bitte Sie, zum Tagesordnungspunkt zu sprechen!

 


Bundesrat Ing. Bernhard Rösch (fortsetzend): Ja, ich komme dann noch einmal dazu und vergleiche das gleich noch einmal.

Man muss das eine und auch das andere sehen: Das mit dem Pflegeregress ist ja positiv. Aber das andere? – Ich glaube eben, dass wir am Schluss wieder keine Eva­luierung brauchen werden, sondern eher einen Untersuchungsausschuss, und ich möchte davor warnen. (Bundesrat Schennach: Ich habe gedacht, du bist friedlich! Jetzt machen wir das gemeinsam! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 126

Schaut euch Flexwork an! Das muss euch noch in Erinnerung sein. Sieht man sich an, was da alles passiert ist am Rücken der Betroffenen – daran war aber auch die SPÖ mit den Sozialpartnern maßgeblich beteiligt –, dann kann man nur sagen, das war wahrlich kein Ruhmesblatt. Man muss darauf achten, wenn es über solche Träger läuft, dass sich dort im Dunstkreis nicht Firmen auftun, die alle Nutznießer werden – anstatt derjenigen, bei denen das Geld ankommen sollte. (Bundesrat Schennach: So negativ!)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir sind bei Tagesordnungspunkt 16.

 


Bundesrat Ing. Bernhard Rösch (fortsetzend): Ja, ich habe gesagt, ich nehme mir ein bissel Zeit und erlaube mir, das auszuführen. Ich bin auch schon fertig.

Wie gesagt, ich hoffe, dass ich unrecht habe, aber anhand der Anzahl der Unter­suchungs­ausschüsse haben wir ja gesehen, wie oft das notwendig ist. (Beifall bei der FPÖ.)

16.23


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich darf alle Kollegen ersuchen, immer zu den Tagesordnungspunkten zu sprechen, die gerade behandelt werden. – Vielen Dank.

Die nächste Wortmeldung liegt mir von Bundesrat Stögmüller vor. – Bitte.

 


16.24.02

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Es geht ja nicht nur um den Pflegeregress in diesem Gesetz, sondern es geht um das Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz, mit dem auch das Ausgangsproblem gelöst wird: die Umqualifizierung in der Sozial­versicherung. Es melden sich zunehmend Menschen als Selbständige bei der SVA an. Im Zuge der GPLA-Prüfung, also der Gemeinsamen Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben, stellt sich dann heraus, dass diese scheinselbständig sind. Dieses Verfahren wird dann von der GKK durchgeführt.

Bisher waren SVA oder SVB nicht Teil des Verfahrens. Nunmehr müssen sie über das Verfahren und das verbindliche Verfahrensergebnis informiert werden. Außerdem ist die verfahrensführende Einrichtung verpflichtet, auf die Argumente der anderen Ver­sicherungsträger einzugehen.

Da dann so eine Umqualifizierung notwendig ist, werden die bisher entrichteten Beiträge an die Gebietskrankenkasse weitergeleitet. Zu viel entrichtete Beiträge wer­den dann aber auch wieder zurücküberwiesen.

Außerdem wird die Möglichkeit geschaffen, bei der Anmeldung quasi überprüfen zu lassen, ob die Person auch richtig angemeldet ist. Eine derartige Entscheidung gilt dann, bis ein neuer Sachverhalt hinzutritt.

Das Problem entsteht primär, weil es für Unternehmen einfach billiger ist, Menschen als Selbständige zu betrachten. Es gibt nämlich auffällig viele falsche Zuordnungen in den letzten Jahren. Für die Betroffenen ist es selbstverständlich mühsam, weil sie bisher neuerlich Beiträge an die GKK entrichten mussten.

Natürlich ist die Falschzuordnung aus Sicht des Staates ebenfalls ein Problem, weil Selbständige über die sogenannten Partnerbeiträge wie etwa über den FLAF oder in der Unfallversicherung erheblich aus Steuermitteln subventioniert werden. Die nun­mehr vorgeschlagenen Änderungen sind meines Erachtens pragmatisch sinnvoll. Eigentlich sollte sich ja auch die Frage stellen, warum es nicht schon immer so war.

Aber es löst das Problem jedoch nur dem Schein nach, das Grundproblem der Mehrfachversicherung und der Zuordnung wird sich erst wirklich lösen lassen, wenn es eine einheitliche Sozialversicherung für alle Menschen in Österreich gibt.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 127

Sie kennen ja unsere grüne Forderung nach einer Sozialversicherung, und ich richte diese wieder einmal an Sie, Herr Minister.

Zum Abänderungsantrag im Nationalrat möchte ich auch auf ein paar Punkte ein­gehen. Bei der Abänderung betreffend § 31a geht es um das Bild auf der e-card. Ich finde das Ganze ehrlich gesagt ein bisschen lächerlich. Es ist meines Erachtens schon fast fahrlässig, wie hier mit Steuergeld umgegangen wird. Diese Maßnahme, das Foto auf der e-card, kostet Geld und bringt eigentlich nichts. Jetzt schon haben Arztpraxen und Krankenhäuser Ausweise verlangt, wenn irgendetwas nicht gepasst hat oder wenn dem Arzt-/Pflegepersonal etwas komisch vorgekommen ist. Das Ministerium beziffert den Schaden, der durch Missbrauch entsteht, mit knapp 20 000 €, die Produktion mit Foto kostet 18 Millionen €, also in etwa 3 € pro Karte.

Also wie gesagt, ich finde es nicht sehr sinnvoll, ich glaube, wir hätten andere Prob­leme.

Der größte und wichtigste Brocken in diesem Abänderungsantrag ist natürlich die Abschaffung des Pflegeregresses. Es geht hier um den Zugriff auf das Vermögen der Klienten, der Erben, der Kinder und so weiter. Das wird nun abgeschafft, das ist schon lange eine grüne Kernforderung. Also das ist von unserer Seite als positiv zu bewerten.

Negativ – und das muss ich gerade hier in der Länderkammer erwähnen – ist der Ausgleich für den Entfall der Einnahmen für die Sozialhilfeverbände für die Länder beziehungsweise für die Gemeinden. Der Pflegefonds wird zusätzlich 100 Millionen € zur Ausschüttung erhalten. Ich bin ziemlich optimistisch – ich weiß, das sind nicht alle – und denke, es gibt vielleicht keinen zu erwartenden Run auf die Pflegeheime, dennoch bin ich mir ganz sicher, dass die 100 Millionen € nicht ausreichen werden, bei Weitem nicht. Vorarlberg rechnet mit einem Entgang, das hat der Kollege schon gesagt, von 60 Millionen € jährlich. Das allein nur in Vorarlberg!

Es wurden null Kostenabschätzungen gemacht, es gibt überhaupt keine Vereinbarung mit den Ländern, das muss ich hier als Ländervertreter massiv kritisieren. Ungeplante und nicht mit den Betroffenen abgeklärte Wahlschnellschüsse ohne eine wirkliche Gegenfinanzierung kann ich nicht wirklich gutheißen, wenn ich auch für eine Abschaffung des Pflegeregresses bin – aber nicht ohne Konzept, wie die Pflege auch zukunftsfit und finanzierbar bleibt.

Ich spreche mich hier auch ganz klar für eine Vermögensbesteuerung aus. (Beifall bei Bundesräten der SPÖ.) Es gibt jetzt die Chance, gegenzusteuern und eine Absiche­rung der Pflege auch in Zukunft zu gewährleisten.

Wir Grüne werden der Abschaffung des Pflegeregresses heute zustimmen, aber mit massiver Kritik, Herr Minister, von den Ländern. Nehmen Sie diese ernst, und über­legen Sie sich rasch, wie Sie das lösen können. Unseren Vorschlag dazu kennen Sie. Vielleicht schaffen wir es doch noch, diesen umzusetzen. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

16.29


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Posch-Gruska zu Wort. – Bitte.

 


16.29.17

Bundesrätin Inge Posch-Gruska (SPÖ, Burgenland): Danke, Frau Präsidentin! – Kollege Stögmüller! Ich war vorige Woche beim Gemeindetag in Salzburg, und diese Ängste der Länder beziehungsweise Gemeinden, dass die 100 Millionen € zu wenig sind, sind dort auch sehr intensiv diskutiert worden. Ich bin wirklich davon überzeugt, dass wir diesen ersten Schritt gehen müssen, weil die Abschaffung des Pflege­regresses eine der wichtigsten sozialen Maßnahmen, die wir jetzt setzen, ist und das


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 128

für die Leute draußen sehr, sehr wichtig ist. Ich bin aber ganz deiner Meinung, dass wir mit der Vermögensteuer oder auch mit der Erbschaftssteuer ab einer 1 Million € sicher­lich auch helfen können.

Meine Wortmeldung gilt in erster Linie zwei kleinen Zusätzen mit großer Wirkung, die der Abänderungsantrag, der im Nationalrat eingebracht wurde, enthält.

Das eine ist die beitragsfreie Selbstversicherung für Menschen, die ein behindertes Kind zu Hause pflegen. Durch die Änderung eines kleinen Wortes – „vollständige Beanspruchung“, wie es vorher geheißen hat, wird jetzt auf „überwiegende Bean­spruchung“ geändert – haben diese, auch wenn sie Teilzeit arbeiten gehen, keine Verluste mehr bei der Pension. Das ist ein ganz wichtiger Schritt für diese Menschen und auch ein Solidaritätszeichen und eine Anerkennung dieser Arbeit.

Das Zweite, worüber ich auch sehr froh bin, wobei es auch nur ein kleiner Schritt ist, das gebe ich schon zu: Es ist für mich trotzdem auch ein Zeichen der Anerkennung für den Einsatz, den die Feuerwehrleute in Österreich leisten – es sind zirka 330 000 Feu­erwehrfrauen und Feuerwehrmänner, die ihren Einsatz für die Gesellschaft leisten –, wenn sie die Hepatitis A- und Hepatitis B-Impfung in Zukunft von der AUVA bezahlt bekommen. Ich glaube, dass auch das ein kleiner, aber wichtiger Schritt für die Aner­kennung dieser Arbeit ist, und sage daher ein herzliches Dankeschön. (Vizepräsident Gödl übernimmt den Vorsitz.)

Ich sage aber auch ein herzliches Dankeschön dafür – auch wenn das manche Par­teien sehr belustigend finden und meinen, es sind nur Wahlkampfreden – und bin sehr froh, dass ich in einem Land wie Österreich leben kann, das ein sehr gutes Sozial- und Gesundheitssystem hat.

Wir werden dem gerne zustimmen, und ich freue mich über diesen wirklich, wirklich gelungenen Antrag, über den wir heute abstimmen können. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

16.31


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Frau Bundesrätin Ledl-Rossmann gelangt als Nächste zu Wort. – Bitte, Frau Präsidentin außer Dienst.

 


16.31.52

Bundesrätin Sonja Ledl-Rossmann (ÖVP, Tirol): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Natürlich ist der Pflegeregress für uns alle ein sehr wichtiges Thema, über das wir sprechen müssen, wobei ich schon noch einmal darauf hinweisen möchte, sosehr uns das am Herzen liegt, es ist ein Teil von dem ganz großen Pflegethema, auch ein Teil von dem ganz großen Finanzierungs­thema. Es wurde schon mehrmals angesprochen, dass es wichtig ist, diesen Weg mit den Ländern weiterzugehen. Es war ja heute nicht der einzige Antrag, der leider nicht möglich war.

Ich möchte jetzt schon noch einmal darauf zurückkommen – das wurde von Edgar Mayer und auch von Martin Preineder heute schon angesprochen –, dass es nach einem halben Jahr intensiver Beschäftigung mit dem Pflegethema nicht möglich war, wirklich ein gemeinsames Bekenntnis vom Bundesrat hinzubekommen.

Ich habe es bei meiner Abschiedsrede schon gesagt und habe mein Unverständnis dafür kundgetan. Da ich eigentlich eine Optimistin bin, habe ich mir gedacht, ich lasse ein wenig Zeit vergehen, bis sich manche aktuellen Themen vielleicht wieder etwas beruhigt haben, und starte einen zweiten Versuch. Dieser zweite Versuch ist aber leider nicht gelungen, ein zweiter Versuch, einen Antrag einzubringen, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, eine Expertenkommission unter Einbeziehung der Länder einzurichten, zu dem wichtigen Thema Zukunft der Pflege, und um weiters


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 129

anzuregen, dass in der nächsten Gesetzgebungsperiode eine Enquete-Kommission zum Thema Pflege eingesetzt wird. Mir ist es sehr wichtig, dass Expertinnen und Experten, jene, die das Thema Pflege leben, wirklich mit eingebunden sind und an diesem großen Thema mitarbeiten können.

Jetzt bin ich lange genug in der Politik, um die Situationen zu kennen, ich weiß, dass es parteimäßige Unterschiede gibt, dass es Wahlkampfzeiten gibt, die in diese Themen hineinspielen. Aber was mich wirklich ärgert, ist, wenn ich an einen Punkt komme und merke, das ist gar nicht einmal mehr das Hauptthema, sondern in Wahrheit ist das Thema, dass es anscheinend persönliche Befindlichkeiten oder auch persönliche Blockaden sind, die ein Weiterkommen behindern. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenruf des Bundesrates Todt.)

Herr Fraktionsobmann Reinhard Todt! Mir ist es deshalb wichtig, dass ich es jetzt so klar anspreche, weil ich trotz meines ganzen Unmutes nicht unfair sein will und nicht alle in einen Topf werfen möchte. Ich bin jetzt vier Jahre im Bundesrat und kenne die Kolleginnen und Kollegen sehr gut, auch die Kolleginnen und Kollegen der SPÖ, und ich kenne sie so gut, dass ich der Überzeugung bin, dass es sehr viele gegeben hätte, die dies mitgetragen hätten, weil es in Wahrheit keinen sachlichen und keinen fachlichen Grund gibt, diesen Antrag nicht mitzutragen. (Beifall bei der ÖVP.)

Es wurden zwar immer wieder Argumente ins Treffen geführt. Ein Argument war: Wir haben ja Neuwahlen, da kann man so einen Antrag nicht einbringen, wobei ich da eine andere Meinung vertrete: So wichtig es ist, dass die jetzige Regierung daran arbeitet, umso wichtiger wird es sein, dass auch die neue Regierung daran arbeitet und ar­beiten muss.

Das nächste Argument war die Reformarbeitsgruppe Pflege 2012, die es gegeben hat. Sie hat eine Summe von Maßnahmen ausgearbeitet, bloß ist das 5 Jahre her. Wenn man sich diese Maßnahmen jetzt durchliest, hat die Zeit viele davon überholt, es gibt viele Maßnahmen drinnen, die sehr allgemein gehalten sind, es gibt das Bekenntnis, dass mobile und stationäre Pflege weiter ausgebaut wird. Keine Frage, es ist wirklich einmal an der Zeit, auch diese große Landkarte zu machen.

Es steht drinnen, wie wichtig das Hospiz-Thema ist, auch sehr allgemein gehalten. Inzwischen hat es ja Gott sei Dank diese Enquete-Kommission zum Thema „Würde am Ende des Lebens“ gegeben, und aus dieser Enquete-Kommission sind sehr klare und deutliche Empfehlungen hervorgegangen, wie wir mit dem Thema Hospiz und Palliativ in Zukunft umgehen sollen und müssen. Und so etwas würde ich mir auch für die Pflege wünschen.

Es sind Maßnahmen die Ausbildung betreffend drinnen. In der Zwischenzeit haben wir ein neues Ausbildungsgesetz, was ja die Länder wieder vor neue Herausforderungen stellt, die man nicht mehr mit dem Zeitpunkt 2012 vergleichen kann. Es sind dort die Zahlen bis 2020 hochgerechnet – inzwischen haben wir die Zahlen bis 2030, die die Dramatik noch einmal mehr verdeutlichen und klarmachen, wir müssen uns noch mehr für diesen Pflegebereich überlegen.

Auch die Finanzierung ist mit Maßnahmen angeführt, aber in erster Linie im Hinblick auf den stationären Bereich. Die Pflegefinanzierung ist ein großer Bereich, denn da geht es wirklich von der Betreuung zu Hause bis zum stationären Aufenthalt.

Am Schluss hat noch die Pflege-Enquete in die Diskussion hineingespielt, eine Enquete, die Anfang April stattfand, die auf einem Allparteienantrag basierte. Und ich habe es immer wieder erwähnt, wie froh ich war, dass es dieses gemeinsame Be­kenntnis aus dem Bundesrat gibt, und jeder, der bei dieser Enquete dabei gewesen ist, hat gesehen, wie breit sie aufgestellt war: von den Referentinnen und Referenten her,


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 130

aber auch von den teilnehmenden Personen über alle Parteien hinweg. Und das ist ja bei solchen Enqueten das Wichtigste, dass jene ExpertInnen zu Wort kommen, die das leben. Und da darf es auch keine Rolle spielen, wo unter Umständen ein Nahe­verhältnis sein kann oder nicht. Ich glaube, diese Diskussion, dieser ganze Tag hat bewiesen, dass es allen, die dort dabei waren, wichtig ist, an diesen Themen zu arbeiten, und das war auch die große Einigkeit. Das war der Konsens aus dieser Pflege-Enquete: Wir müssen uns diesem Thema stellen.

Das ist die Summe der Dinge. Und wenn ich dann noch ein saloppes Argument höre: Es wird ja eh daran gearbeitet! – ja, natürlich wird daran gearbeitet, aber dann verstehe ich nicht, warum es vonseiten des Bundesrates, der Länderkammer nicht gelingt, die­sem Thema wirklich Nachdruck zu verleihen, ihm diesen Schwung zu geben, um hier weiterzukommen. Ich komme zum Punkt, für mich war es eindeutig: Man will es einfach nicht!

Man könnte das Thema jetzt weiterspielen, man könnte vielleicht manche Abstim­mungsspiele machen, aber genau das will ich bei diesem Thema nicht, das haben sich die Menschen, die dieses Thema betrifft, nicht verdient, dass sie zum politischen Spielball gemacht werden. Was sie sich verdient haben, ist, dass wir sie ernst nehmen, dass wir das Thema ernst nehmen und dass wir es ehrlich meinen. (Beifall bei der ÖVP.)

Und wenn man es wirklich ehrlich meint mit der Pflege, mit den Menschen, die es betrifft, wenn es einem wirklich auch ein Anliegen ist, dass wir daran arbeiten, dann müsste es möglich sein, dass dieses Bekenntnis zustande kommt. Das ist leider nicht der Fall.

Aber eines kann ich zum Abschluss sagen: Ich habe jahrelang gepflegt, ich habe über viele Jahre viele Menschen auf ihrem letzten Lebensweg begleitet, nicht nur die Betrof­fenen, sondern auch die Familien, und ich glaube, keiner kann mir absprechen, dass mir dieses Thema ein echtes Herzensanliegen ist, dass ich es ehrlich meine und dass ich es auch nicht parteimäßig sehe, sondern dass es mir wichtig ist, dass wir für die Menschen in Österreich wirklich etwas tun. Und auch wenn das in Wahrheit für mich persönlich wirklich ein Tiefschlag war, dass dies in dieser Form nicht funktioniert hat, es wird mich nicht davon abhalten, mich weiter für das Thema einzusetzen. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP.)

16.40


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster ist Herr Bundesminister Alois Stöger zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Minister.

 


16.40.23

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé: Herr Präsident! Lieber Andrä Rupprechter! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute mit dem Thema Sozialrechtsänderung, Abschaffung des Pflegeregresses ein wichtiges sozialpolitisches Thema auf der Tagesordnung. Das ist heute sozialpolitisch ein ganz wichtiger Tag für Österreich. Ich bedanke mich bei Ihnen für die angekündigte Zustimmung. Ich bedanke mich auch und sage das mit Respekt und auch mit Freude, es hat der Bundesrat hier eine wichtige Funktion im April erfüllt. Das war eine gute Diskussion. Danke auch dafür. Ich glaube, dass es viele Menschen in Österreich gibt, die auf das Thema der Pflege blicken, weil wir wissen, dass das ein Thema ist, das wir alle brauchen und das auch zukunftsfähig sein muss.

Ich möchte generell zu dieser Gesetzesbestimmung sagen, wir schaffen heute zweimal Rechtssicherheit und einmal Perspektiven. Wir schaffen Rechtssicherheit bei diesem Gesetz, wenn es um die Zuordnung zur Sozialversicherung geht. Das ist eine wichtige


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 131

Rechtssicherheit, die wir damit schaffen. Wir schaffen auch Rechtssicherheit, wenn es darum geht, dass Schwerarbeiterinnen und Schwerarbeiter eine Antwort darauf erhal­ten, ob sie eine entsprechende Pension bekommen. Auch das ist wichtig. Sie können zehn Jahre bevor sie das Pensionsantrittsalter erreichen, feststellen lassen, ob sie in die Schwerarbeit hineinfallen. Und wir machen heute mit der Abschaffung des Pfle­geregresses einen ganz großen sozialpolitischen Schritt.

Wir schaffen, dass Menschen die Freiheit haben, selber zu entscheiden, wo sie ge­pflegt werden, wie sie gepflegt werden, und sie müssen nicht fürchten – ich habe heute noch mit vielen gesprochen, die Angst haben, dass sie sich ihre Pflege nicht leisten können –, dass ihr Erspartes, ihr Lebenswerk verloren geht. Das ist das Entschei­dende: Wir geben den Menschen diese Freiheit zurück. (Bundesrätin Mühlwerth: Das ist keine Freiheit! Das ist Sicherheit!)

Jetzt können wir durchaus darüber streiten, ob die Gegenfinanzierung funktioniert oder nicht. Das wird noch eine wichtige Auseinandersetzung sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden noch viel darüber diskutieren, wie wir in der Zukunft die Pflege organisieren werden. Ich habe mit den Landessozial­referentinnen und -referenten eine gute Tagung gehabt, wo wir dieses Thema in den Mittelpunkt gestellt haben. Ich habe zu einem Pflegegipfel eingeladen. Das war sehr produktiv. Ich bedanke mich bei allen, die daran mitgewirkt haben. Ich sage es auch dazu, weil das heute angesprochen worden ist: Diese 100 Millionen €, die die Ab­schaffung des Pflegeregresses kostet, das ist die Summe jener Zahlen, die uns die Landessozialreferenten zurückgemeldet haben. (Bundesrat Stögmüller: 60 Millionen in Vorarlberg!)

Ich sage, das ist die Zahl, die uns offiziell genannt worden ist. Das ist die Zahl, was den Pflegeregress betrifft. Anders ist es mit den Kosten der Pflege, die sind sicher höher als die Kosten, die die Abschaffung des Pflegeregresses insgesamt ausmacht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eine Herzensangelegenheit, auch von mir, dass wir bei der Pflege etwas weiterbringen. Wir machen hier heute etwas für viele Menschen, und vor allem schaffen wir auch für uns Rechtssicherheit, denn wir werden alle älter. Wir wissen alle nicht, wie es bei uns einmal sein wird, ob wir Pflege brauchen oder nicht, und daher ist es wichtig, dass wir hier eine klare Regelung machen.

Und ich sage das noch einmal: Viele Menschen scheuen sich davor, Pflegeleistungen in Anspruch zu nehmen, weil sie Angst haben, dass ihr Lebenswerk dabei draufgeht. Deshalb haben manche die Pflege nicht in Anspruch genommen.

Mich freut es auch, dass das ein Umsetzungsprojekt des Plans A von Christian Kern ist. Da sieht man, wenn man Energie hineinsteckt, dann schaffen wir etwas gemein­sam, und ich sage auch danke dafür ... (Bundesrat Stögmüller: Keine Wahlkampf­reden!) Ich sage auch danke dafür, dass es im Nationalrat möglich geworden ist, das umzusetzen. (Beifall bei der SPÖ.)

Der Herr Abgeordnete Rösch hat gesagt, der SPÖ geht es nicht um Menschen. – Herr Abgeordneter Rösch, ich kann es Ihnen noch einmal sagen: Die Sozialdemokratie in Österreich hat seit 128 Jahren den Menschen im Mittelpunkt. Die Sozialdemokratie in Österreich hat seit 128 Jahren die Freiheitsgrade der Menschen dadurch erhöht, dass wir ihnen kollektive Sicherheiten ermöglicht haben. Das waren nicht nur die Sozial­demokraten, die da mitgemacht haben, es waren auch die Christlich-Sozialen, die da mitgemacht haben – ich sage das mit hohem Respekt – und die Freiheit der Menschen dadurch erhöht haben, indem wir kollektive Sicherheiten entwickelt haben.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 132

Das war die Krankenversicherung, das war die Pensionsversicherung, das ist die Unfall­versicherung, das sind aber auch der gemeinsame Kindergarten und die Ausbildung. Auch das hat den Menschen die Freiheit gegeben. Und heute geben wir den Menschen gemeinsam ein Stück mehr Freiheit, weil wir ihnen auch die Sicherheit bieten, eine gute Pflege zu haben.

Danke an diejenigen Menschen, die heute zustimmen. Danke an die Menschen in Österreich, die tatsächlich die Pflegeaufgaben erfüllen. Das sind, das muss man auch sagen, zu 80 Prozent die Frauen in den Familien, die hier Außerordentliches leisten, sehr oft unbedankt und manchmal auch zu ihrem eigenen Nachteil. Das soll man auch sehen. Mit der Abschaffung des Pflegeregresses schaffen wir eine Win-win-Situation für viele. – Danke Ihnen für Ihre Zustimmung. (Beifall bei der SPÖ.)

16.47

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Reiter zu Wort. – Bitte.

 


16.47.41

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Es wird nicht lange werden, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nur einen relativ konkreten Beitrag dazu leisten: Im Salzburger Regierungsübereinkommen wurde festgelegt, dass das Schon­vermögen, also das, was den Altersheimbewohnern bleibt, wenn der Regress schla­gend wird, von derzeit 4 500 € auf 7 200 € erhöht wird. – Eine bescheidene Angele­genheit, aber das ermöglicht den Bewohnern zum Beispiel, die Begräbnisversicherung zu behalten, die viele haben. Diese hätte den Betrag in vielen Fällen schon über­stie­gen, und natürlich ist das schwierig für diese Menschen.

Vier Jahre haben wir das verhandelt! Der Finanzbedarf: 1,6 Millionen €. Es war nicht möglich! Es war nicht möglich wegen dem Gemeindeverband, dem Städtebund, die dazu ihre Zustimmung verweigert haben.

Ich freue mich sehr, dass nun dieser Regress abgeschafft wird. Aber das zeigt mir, wie schwierig es sein wird, was jetzt an Aufgabe vor Ihnen liegt, was aber auch an Aufgabe vor den Verwaltungen und den Ländern liegt, nämlich die Finanzierung sicherzustellen. Das wird sicher ein riesiges, ein großes Problem werden, und da ist es schlicht und einfach nicht ausreichend, das Thema im Herzen zu haben, sondern wir werden dieses Problem auch in vielerlei Art und Weise im Kopf haben müssen, denn die finanziellen Herausforderungen im Bereich der Pflege sind groß. Denken wir nur an den Bericht der Volksanwaltschaft, in dem es natürlich hieß, es muss mit den Gehältern etwas passieren, mit der Ausbildung etwas passieren.

Denken wir daran, dass es mit der Abschaffung des Regresses unter Umständen zu einem stärkeren Druck auf die Altenheime kommt, zur Nachfrage nach neuen Plätzen. Und dass der Finanzbedarf weit über die 100 Millionen € hinausgehen wird, haben auch Schätzungen in Salzburg gezeigt.

Ich glaube also, wir werden sehr viel Einsatz und auch sehr viel Kopf brauchen, um hier einen guten Weg in die Zukunft zu gehen, der es tatsächlich den Menschen ermöglicht, frei zu wählen, wie sie und wo sie gepflegt werden, ob in der Familie oder in der 24-Stunden-Pflege und so weiter.

Wie gesagt, ich wollte diese Befindlichkeit, wie schwierig das in Salzburg war, hier deponieren und unterstreichen, dass die Herausforderungen für die Länder und die Verwaltungen in den Ländern große sind. Eine entsprechende Vorlaufzeit hätte für viele Verwaltungen eine große Erleichterung gebracht. – Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

16.51

16.51.27

 



BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 133

Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Der gegenständliche Beschluss ist ein Fall des Art. 44 Abs. 2 Bundes-Ver­fas­sungs­gesetz und bedarf daher der Zustimmung des Bundesrates bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder des Bundesrates und einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen.

Ich stelle zunächst die für die Abstimmung erforderliche Anwesenheit der Mitglieder des Bundesrates fest: Sie ist gegeben.

Wir gelangen zuerst zur Abstimmung über den Antrag, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

Nunmehr lasse ich über den Antrag abstimmen, dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Art. 44 Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz die verfassungs­mäßige Zustimmung zu erteilen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist ebenso die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit unter Berücksichtigung der besonderen Beschlusserfordernisse angenommen. (Allgemeiner Beifall.)

Ausdrücklich stelle ich die verfassungsmäßig erforderliche Zweidrittelmehrheit fest.

Bevor wir zu den nächsten Punkten kommen, darf ich jetzt offiziell Herrn Bundes­minister Rupprechter herzlich begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)

Gleichzeitig verabschiede ich Herrn Bundesminister Stöger.

16.53.0317. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Personenkraftwagen-Verbraucherinformationsgesetz geändert wird (1630 d.B. und 1708 d.B. sowie 9879/BR d.B.)

18. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Fluorierte Treibhausgase-Gesetz 2009 geändert wird (1666 d.B. und 1709 d.B. sowie 9880/BR d.B.)

19. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 geändert wird (2256/A und 1710 d.B. sowie 9819/BR d.B. und 9881/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen nun zu den Punkten 17 bis 19 der Tagesordnung.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 134

Berichterstatterin zu diesen Punkten ist Frau Bundesrätin Ebner. Ich bitte um die Berichte.

 


16.53.49

Berichterstatterin Adelheid Ebner: Herr Präsident! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe folgende Berichte:

Bericht des Umweltausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Personenkraftwagen-Verbraucherinfor­mationsgesetz geändert wird.

Dieser Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, daher komme ich zur Antrag­stellung.

Der Umweltausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stim­me­neinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Bericht des Umweltausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Fluorierte Treibhausgase-Gesetz 2009 geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen ebenfalls in schriftlicher Form vor, daher gleich die Antrag­stellung.

Der Umweltausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stim­meneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Bericht des Umweltausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Umweltverträglichkeits­prüfungsgesetz 2000 geändert wird.

Dieser Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, daher komme ich zur Antrag­stellung.

Der Umweltausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stim­menmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke für die Berichte.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Samt. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


16.55.31

Bundesrat Peter Samt (FPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich melde mich zum Tagesordnungspunkt 19 zu Wort, nämlich zur Änderung des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes. Bezüglich des Fluorierte Treibhausgase-Gesetzes beziehungsweise des Pkw-Verbraucherinfor­mationsgesetzes wird sich noch Kollege Längle zu Wort melden. Mein Redebeitrag wird sehr kurz sein.

Als Eröffnungsredner darf ich den Inhalt des Gesetzesvorhabens kurz darlegen. Mit der Berichtigung dieses Gesetzes soll ein legistisches Versehen, so wie es hier zu lesen ist, bereinigt werden und dem Bundesverwaltungsgericht weiterhin die Heranziehung von nichtamtlichen Sachverständigen ermöglicht werden.

Jetzt könnte ich es mir relativ einfach machen. Meine Partei hat bereits im Mai 2013 die damalige Regierungsvorlage 2252 der Beilagen zum Umweltverträglichkeits­prü­fungs­gesetz abgelehnt. So einfach mache ich es mir aber sicher nicht, und zwar schon


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 135

allein aus dem Grund, weil ich als Sachpolitiker solche Vorgangsweisen als nicht wirklich sinnvoll erachte.

Was ich aber auch nicht als sinnvoll erachte, ist genau der Punkt, dass damit weiter die Praxis der nichtamtlichen Sachverständigen gefördert oder bevorzugt werden sollte, wobei wir bereits im Ausschuss festgestellt haben, dass wir über die Länder hinweg sehr gute und auch – würde ich sagen – eine fast ausreichende Zahl an Amtssach­verständigen für fast alle Fragen, die im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung im Raum stehen, haben.

Diese Amtssachverständigen gehörten meiner Meinung nach – und da sind wir einmal ausnahmsweise einer Meinung mit den Grünen – eher aufgewertet, ihre Bereiche ausgeweitet, anstatt dem entgegen laufende Maßnahmen wie eben die Freigabe von nichtamtlichen Sachverständigen zu setzen.

Wir erleben natürlich auch – und ich habe es in meinem Bundesland selbst gesehen –, dass ein im Rahmen eines Projekts vom Projektwerber eingebrachtes Gutachten von einem nichtamtlichen Sachverständigen zum Beispiel wegen Befangenheit des Gut­achters abgelehnt wird, was dazu führt, dass der Projektwerber ein zweites Gutachten von einem Amtssachverständigen einholen muss. Er hat damit die dop­pelten Kosten, und das Verfahren wird dadurch oft um Monate verzögert.

Das ist ein Grund, warum wir sagen, dass hier auch einmal eingegriffen werden sollte. Dafür werden wir eintreten und deswegen dieser Gesetzesnovelle heute nicht zustim­men. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

16.58


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Bevor ich dem nächsten Redner, Herrn Bundesrat Ing. Pum, das Wort erteile, darf ich Herrn Ortsteilbürgermeister August Nußmüller aus der Gemeinde Wies in der Weststeiermark samt Familie herzlich bei uns im Bundesrat willkommen heißen. (Allgemeiner Beifall.)

Bitte, Herr Bundesrat Ing. Pum, du bist der nächste Redner.

 


16.58.56

Bundesrat Ing. Andreas Pum (ÖVP, Niederösterreich): Geschätzter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Ich darf zu den drei Materien kurz Stellung nehmen und in aller Kürze ein paar Informationen anfügen.

Vielleicht zuerst zur Änderung des Personenkraftwagen-Verbraucherinformations­ge­setzes: Sie wird vor allem dann, wenn Sie Kraftstoff tanken, ihre besondere Aus­wirkung zeigen. Möglicherweise ist dem einen oder anderen schon passiert, dass Sie zur Tankstelle fahren, volltanken und dann mit dem Auto stehen bleiben. Sie haben falsch getankt, den falschen Treibstoff gewählt. Das kann Ihnen in Zukunft auch pas­sieren, nur: Mit dieser Richtlinie werden die Kennzeichnung und vor allem die Klarheit, was Sie tanken, stärker in den Mittelpunkt gerückt. Es soll klar erkennbar sein, was Sie tanken und wie diese Treibstoffe zusammengesetzt sind.

Wir wissen, dass Dieseltreibstoffen bis zu 7 Prozent Biodiesel beigemengt werden. Wir wissen, dass manche Motoren oftmals Treibstoffe nicht vertragen. Eine klare Kenn­zeich­nung soll gewährleisten, dass Sie den richtig zusammengesetzten Treibstoff tanken.

Zur zweiten Gesetzesänderung betreffend das Fluorierte Treibhausgase-Gesetz: Da wird vor allem dem Treibhausgas als einem großen Klimakiller unserer Zeit eine gesetzliche Änderung zuteil. EU-Recht wird im Bereich der fluorierten Treibhausgase auch bei uns regional umgesetzt, es soll vor allem die Emission fluorierter Kohlen­was-


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serstoffe effizient gesenkt werden. Hierbei ist natürlich schon lange in Diskussion und letztlich für uns alle ein klares Ziel, fluorierte Treibhausgase zu reduzieren, was mittels dieser Änderung stärker umgesetzt wird.

Das dritte Änderungsvorhaben gilt, wie bereits erwähnt, der Umweltverträg­lich­keits­prüfung. Es handelt sich vor allem um eine verwaltungstechnische Änderung und eine legistische Bereinigung. Auch dem können wir zustimmen.

Wir geben all diesen Materien unsere Zustimmung und hoffen damit natürlich auch weiterhin auf verbesserte Voraussetzungen im Sinne der Umwelt. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

17.01


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Reiter. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


17.01.52

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Herr Präsident! Herr Minister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Dem Personenkraftwagen-Verbraucherinfor­mations­gesetz stimmen wir gerne zu.

Natürlich ist es wichtig, zu wissen, ob ich jetzt das Ding in die Steckdose oder in den Tank stecken soll. (Heiterkeit.) Diese Richtlinie ist wichtig, weil man auch den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe weiter betreiben und fördern will. In diesem Sinne ist das eine wichtige Regelung.

Die Frist der Umsetzung dieser Richtlinie war übrigens der 18. November 2016. Nicht immer hat man es mit den Umsetzungen hier in Österreich eilig.

Ich hätte allerdings gerne noch einige andere Dinge gewusst, zum Beispiel, was die Zusatzstoffe beim Diesel betrifft, in dem Sinn, dass ich als Verbraucherin weiß, welche Additive oder wie viele dieser Additive in dem Diesel enthalten sind, den ich tanke. (Zwischenbemerkung von Bundesminister Rupprechter.) – Wenn ich hier im Sinne von ich spreche, meine ich das verallgemeinernd: ich als Verbraucherin.

Außerdem wäre es, glaube ich, wichtig, Verbraucher in Bereichen zu informieren, wie wir sie gerade im Zusammenhang mit den Abgasskandalen erlebt haben, wo falsche Verbrauchszahlen von Autofirmen herausgegeben wurden. Es geht um Informationen, wie das Fahrzeug tatsächlich in seinem Verbrauch ist, wie klimaschädlich es ist oder wie es mit Stickoxidwerten aussieht. Diesbezüglich würde ich mir eine sehr massive Informationspolitik wünschen.

Dem zweiten Gesetz betreffend teilhalogenierte Fluorkohlenwasserstoffe stimmen wir auch gerne zu.

Was die Fluorkohlenwasserstoffe betrifft, so sind sie im Montrealer Abkommen be­rücksichtigt. Dieses Abkommen, das mittlerweile verändert wurde, ist das wirklich erfolgreichste internationale Umweltabkommen, das je erfunden und geschlossen wurde. Es geht schon auf das Jahr 1987 zurück und zielte damals auf das Schließen des Ozonlochs ab, es stand also im Kampf gegen das Ozonloch.

1987 haben es 24 Regierungen und die EU unterzeichnet, 2009 waren es schon 197 Vertragsstaaten. Sie haben bewirkt, dass heute 95 Prozent weniger FCKW ausgestoßen werden als im Jahr 1987. Das, denke ich, ist ein gewaltiger Erfolg. Wir alle können uns nur wünschen, dass es uns mit dem Klimaschutzabkommen auch so ergeht und dass wir da ähnlich erfolgreich sein werden.

Das Ganze hat also das Klimaabkommen als Folgeabkommen erreicht, weil Fluorkoh­lenwasserstoffe ein sehr starkes Treibhauspotenzial haben, das 150 Mal stärker als


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CO2 ist. Es kommen diese Stoffe immer noch zum Beispiel in Kühlanlagen, in Klimaanlagen, in Pkws vor, wo sie ab 1. Jänner verboten sind.

Der Reduktionsbedarf in Österreich ist nicht sehr hoch, wir sind hier gut unterwegs. Es ist aber bemerkenswert, dass solch internationale Abkommen eine derartige Dynamik entfalten können, was uns auch Optimismus verleihen sollte, um wirklich ganz konsequent die entsprechenden Maßnahmen auch in Österreich zu setzen.

Das dritte Gesetz, das jedoch nicht unsere Zustimmung finden wird, ist jenes bezüglich der UVP. Es handelt sich hier nur um eine Korrektur, aber ich schließe mich da meinem Kollegen von der Freiheitlichen Partei an. Auch wir waren gegen die ursprüngliche Gleichstellung von Sachverständigen aus dem Privatbereich mit den Amtssachverständigen, und zwar aus folgendem Grund: Es beschleunigt die Verfahren keineswegs, und wenn man mit Projektwerbern spricht, sagen sie, das größere Problem sei der mangelnde Sachverstand im Amt. Das heißt, es ist einfach notwendig, dass hier aufgerüstet wird, weil ja auch von amtlicher Seite die Kontrollen gemacht und die Verfahren entsprechend begleitet werden müssen. Dieser Sachverstand vonseiten des Amtes ist notwendig, er gibt auch den Menschen mehr Vertrauen in die Verfahren, wenn Amtssachverständige tätig werden und nicht Sachverständige, die einmal für Projektwerber und sozusagen im privaten Bereich arbeiten und dann wieder für das Amt.

Durch diese Gleichstellung wird es, glaube ich, noch viel schwieriger sein, die Ämter entsprechend aufzurüsten und diesen Sachverstand direkt in die Ämter zu bringen. Da wir schon ursprünglich gegen diese Bestimmung waren, können wir auch dieser Korrektur nicht zustimmen. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

17.07


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Novak. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


17.08.03

Bundesrat Günther Novak (SPÖ, Kärnten): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bun­desminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Für mich als Vorsitzenden des Umwelt­ausschusses sind das wichtige Beschlüsse, die heute gefasst werden beziehungs­weise im Nationalrat schon gefasst wurden, vor allem für die Umwelt in Österreich, der sie zugutekommen.

Die drei Gesetzesvorhaben wurden bereits mehr oder weniger ausführlich beschrie­ben. In Bezug auf das Personenkraftwagen-Verbraucherinformationsgesetz möchte ich noch ein paar Details ansprechen.

Ich glaube, dass es für den Fahrzeugnutzer zu wirklich klaren und leicht verständlichen Informationen über die Tankstellen und über die verfügbaren Kraftstoffe führen wird, und das ist auch richtig so. Es geht da nicht nur um die Kraftstoffe, sondern auch um die zukünftige E-Mobilität.

Dieses Gesetz ist notwendig geworden, da sich das Angebot an Kraftstoffen verviel­facht hat und für den Konsumenten nicht immer leicht überschaubar ist. Darüber hinaus gibt es diesen Artikel 7 der EU-Richtlinie, wobei ich denke, dass es wichtig ist, Maßnahmen zum Aufbau einer Infrastruktur für alternative Kraftstoffe zu setzen, zumal wir selbst den Wunsch haben, mit 2050 fossilfrei zu sein – ja, das ist der Wunsch –, und in diese Richtung arbeiten wir, sodass wir nicht mehr von Erdöl abhängig sind beziehungsweise die Abhängigkeit von Erdöl ein Stück weit verringern, um die Umweltbelastung durch den Verkehr zu begrenzen.

Das Vorhaben bringt, wie ich schon gesagt habe, Vorteile für den Kunden durch ver­besserte Information und ist ein Mittel, dem Wirkungsziel der Reduktion der Treibstoff-


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gasemissionen und der Steigerung des Einsatzes von erneuerbarer Energie näherzu­kommen.

Das Fluorierte Treibhausgase-Gesetz 2009 ist auch schon angesprochen worden. Wär­mepumpen, Klimaanlagen, Kälteanlagen, Brandschutzsysteme, Feuerlöscher ver­ur­sachen diesen Ausstoß. Ich würde mir wünschen, dass man sich bei Kälte- und Klimaanlagen – weil einfach der Trend dorthin geht – über Alternativen unterhält und schaut, dass man Baustoffe oder andere Energieträger einsetzt, um in diesem Bereich sparsam umzugehen.

Wie versucht man, dieser Situation Herr zu werden? – Zum einen über Vorschriften für Dichtheitskontrollen, Beschränkungen und Verbote, aber vor allem auch durch Quali­fizierungs- und Zertifizierungsmaßnahmen, um in diesem Bereich tätig zu werden beziehungsweise der Entwicklung Einhalt zu gebieten.

Das Ziel dieser Maßnahme soll schlussendlich sein, die Klimaerwärmung zu verlang­samen, wobei wir damit circa 0,5 Grad Celsius erreichen können; das ist inzwischen auch so berechnet worden.

Meine Damen und Herren, zum Abschluss möchte ich erwähnen, dass Bundesminister Rupprechter und Bundesminister Leichtfried ein Zeichen in diesem Sinn gesetzt haben, indem sie 72 Millionen € – also diese Anschubförderung – für die E-Mobilität bereitge­stellt haben. Dies wird auch sehr gut tun, da es einfach der Beginn ist, in diese Richtung etwas zu tun. Ich bin überzeugt davon, dass wir, wenn wir in fünf oder zehn Jahren darüber reden werden, davon berichten werden, dass das der erste Teil eines tollen Gedankens war.

Darüber hinaus gibt es das kommunale Investitionspaket, mit dem 60 Millionen € für klimarelevante Maßnahmen in Gemeinden bereitgestellt sind. Das sollte man auch nicht vergessen, denn es ist sehr viel Geld für uns Bürgermeister und Bürgermeis­te­rinnen – das sage ich jetzt einmal so; derer sind ja viele hier –, um in diesem Bereich tätig zu werden.

Meine Damen und Herren, all diese Maßnahmen sind für den österreichischen Um­weltschutz ein guter und großer Schritt in die richtige Richtung, akkordiert mit Bestim­mungen der EU, abgestimmt auf die weltweiten Vereinbarungen zum Klima­schutz und zum Wohle der Bevölkerung hier in Österreich. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

17.12


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Längle. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


17.12.50

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Herr Vizepräsident! Geschätzte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister! In Bezug auf das Personen­kraft­wagen-Verbraucherinformationsgesetz und das Fluorierte Treibhausgase-Gesetz wer­den wir Freiheitliche selbstverständlich gerne unsere Zustimmung geben. Unserer Meinung ist es sehr wichtig, dass die Umwelt geschützt wird, denn Umweltschutz ist auch Heimatschutz, und die Heimat steht bei uns an oberster Stelle.

Insbesondere sind Maßnahmen zur Schaffung von Infrastruktur, die es ermöglichen, dass gewisse Tankstellen umgestellt werden beziehungsweise auch neu gebaut werden, die Treibstoffe wie Erdgas, Elektro- und Wasserstofftankmöglichkeiten bieten, zu befürworten.

Im Zusammenhang mit den Elektrofahrzeugen ist negativ zu erwähnen, dass nach wie vor ein großes Problem mit den Autobatterien herrscht, da diese sehr umweltschädlich sind und es nach wie vor einen großen Aufwand bedeutet, diese Batterien zu ent­sor-


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gen. Ich denke, dass das noch nicht die endgültige Lösung beziehungsweise das Ende der Fahnenstange sein wird. In diesem Bereich wird es sicherlich noch neue Tech­nologien und Derartiges brauchen.

Zum Treibhausgase-Gesetz: Dem werden wir, wie erwähnt, auch zustimmen. Die Ein­führung beziehungsweise ein Vorschriftenregelwerk, was Dichtheitskontrollen, Be­richts­pflichten sowie die Schulung von Fachpersonal betrifft, sehe ich durchaus sehr positiv, wir werden dort eine Verbesserung bemerken.

Was ich allerdings etwas negativ sehe, sind zum einen das Pariser Klimaschutz­abkommen und das Protokoll von Kyoto. Da haben sich zwar sehr viele Staaten und sehr viele Menschen getroffen und gute Maßnahmen vereinbart, die dem Umwelt­schutz, dem Klimaschutz dienen. Leider gibt es zum einen Staaten, die auch sehr viel gegen die Umwelt arbeiten, große Umweltverschmutzer sind und diesen Abkommen nicht beigetreten sind, und zum anderen gibt es Staaten, die zwar offiziell sagen, sie sind dort dabei, sich aber trotzdem nicht daran halten. Ich denke, das ist nicht sehr zielführend. Wenn man derartige Abkommen schließt und solche Protokolle erstellt, wäre es schon auch gut, sich daran zu halten.

Wie gesagt, diesen beiden Gesetzen werden wir unsere Zustimmung erteilen, weil wir beide als positiv erachten und die Umwelt geschützt gehört. – Danke. (Beifall bei FPÖ, ÖVP und SPÖ.)

17.15


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Unser Herr Bundesminister Dipl.-Ing. Rupprechter gelangt nun zu Wort. – Bitte, Herr Minister.

 


17.15.30

Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Bei den beiden Regierungsvorlagen, dem Pkw-Verbraucherinformationsgesetz einerseits und dem Treibhausgase-Gesetz andererseits, handelt es sich um zwei sehr wichtige Teile zur Umsetzung der Pariser Beschlüsse im Bereich des Klimaschutzes. Das wurde auch in der Debatte erläutert.

Es ist richtig, dass insbesondere das Pkw-Verbraucherinformationsgesetz einen wich­tigen Beitrag zum Nationalen Strategierahmen „Saubere Energie im Verkehr“ leistet, der zwischen dem Verkehrsressort, meinem Ressort, dem Wirtschaftsressort und den Ländern erarbeitetet wurde. Die Änderung ist auch Teil des gemeinsam mit dem Verkehrsressort und meinem Ressort entwickelten Aktionspakets zur Förderung der E-Mobilität.

Es ist in der Debatte völlig richtig angesprochen worden: Gerade im Bereich des Ver­kehrs gibt es nach wie vor eine sehr große fossile Abhängigkeit, deswegen ist der Ansatz mit dem Förderungs- und Anschubpaket für die E-Mobilität, auch der Ausbau der Ladeinfrastruktur beispielsweise, sehr wichtig, um einen kräftigen Impuls zu setzen. Das ist mit den 72 Millionen €, die wir für dieses und nächstes Jahr bereitgestellt haben, tatsächlich auch gelungen.

Die Novelle zum Treibhausgase-Gesetz ist ein wichtiger Beitrag zur Umsetzung des Kigali-Abkommens im Rahmen des Montrealer Protokolls. Das Kigali-Abkommen ist vergangenes Jahr, am 15. Oktober, in Kigali beschlossen worden, nach Vorarbeiten hier in Wien im Juli letzten Jahres, wo wir im Rahmen des Montrealer Protokolls die Verhandlungen geführt haben.

Um den Stellenwert dieser Gesetzgebung darzulegen: Wenn das Kigali-Abkommen vollständig umgesetzt wird, dann wird das zu unserem maximalen Erwärmungsziel von 1,5 Grad einen Beitrag von 0,5 Grad erbringen. Damit ist es eine sehr wichtige Materie,


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die wir hier im Sinne des österreichischen Umwelt- und Klimaschutzes und auch im Sinne des Beitrages zur Umsetzung des Pariser Abkommens beschließen. Ich be­danke mich für die sehr breite Unterstützung auch hier im Bundesrat. – Danke. (Allge­meiner Beifall.)

17.17

17.18.06

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Die Abstimmung erfolgt getrennt.

Wir gelangen zunächst zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Personenkraftwagen-Ver­braucherinformationsgesetz geändert wird.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist Einstimmigkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

Nun kommen wir zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Fluorierte Treibhausgase-Gesetz 2009 geändert wird.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist wiederum Einstimmigkeit. Der Antrag ist somit ange­nom­men.

Nun kommen wir zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Umweltverträglichkeits­prüfungs­ge­setz 2000 geändert wird.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

17.19.1820. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung 1975 geändert werden (Strafgesetznovelle 2017) (1621 d.B. und 1737 d.B. sowie 9875/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir kommen nun zum 20. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Lindner. Ich bitte um den Bericht.

 


17.19.38

Berichterstatter Mario Lindner: Bericht des Justizausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Straf­gesetzbuch und die Strafprozessordnung 1975 geändert werden, Strafgesetz­novel­le 2017.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor. Ich komme sogleich zur Antragstellung.

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stimmen­mehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Raml. – Bitte, Herr Bundesrat.

 



BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 141

17.20.17

Bundesrat Mag. Dr. Michael Raml (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Prä­sident! Herr Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzesbeschluss wird das Strafgesetzbuch in verschiedener Weise novelliert. Ich möchte ganz kurz auf ein paar Aspekte davon eingehen.

Zunächst einmal soll die sexuelle Integrität als ein notwehrfähiges Rechtsgut einge­richtet werden. Das ist etwas, das wir absolut mittragen, wir finden das völlig richtig, und das entspricht auch den freiheitlichen Forderungen, die wir schon lange dazu eingebracht haben.

Zum Zweiten gibt es einen neuen Straftatbestand, der lautet: sexuelle Belästigung in der Gruppe. Nun, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, woran erinnert das? Erinnert uns das an den Franzerl, an den Hans, die auf dem Zeltfest etwas zu auf­dringlich werden? Oder erinnert uns das an Vorkommnisse in Köln oder auch an Vor­kommnisse, wie sie auch in Österreich immer mehr stattfinden?

Dazu müssen wir eines festhalten, und das hat überhaupt nichts mit Hetze oder so zu tun, das ist die blanke Wahrheit: Wir benötigen diese laufenden Verschärfungen des Strafrechts – und ich habe das hier schon sehr, sehr oft erwähnt – nur deswegen – oder zum Großteil deswegen, um es ganz exakt zu sagen –, weil in den letzten Jahren Menschen zu uns hereingekommen sind, die sich mit unseren Werten überhaupt nicht anfreunden können (Zwischenrufe der Bundesrätinnen Kurz und Dziedzic), weil Menschen zu uns hereingekommen sind, vor allem aus dem arabischen Raum – auch das ist Fakt –, die mit unserem bestehenden Strafrecht offenbar nicht angehalten werden konnten, sexuelle Übergriffe auf oder Belästigungen von Frauen hintanzu­halten. Ich finde es ausgesprochen traurig, dass wir fast alle paar Monate im Strafrecht an ein paar Schrauben drehen müssen, damit man diesen Herrschaften aus dem arabischen Raum hoffentlich einmal Einhalt gebieten kann.

Zum Dritten gibt es auch eine Verschärfung des Strafrechts, nämlich – und das tragen wir auch inhaltlich völlig mit – dass Körperverletzungen gegen Bedienstete im öffent­lichen Verkehr härter bestraft werden. Jetzt kann man sagen: Auch Übergriffe gegen Schaffner und so weiter hat es immer wieder gegeben!; ein signifikanter Anstieg hat aber eigenartigerweise in den Jahren stattgefunden, in denen Menschen aus aller Herren Länder zu uns nach Österreich gekommen sind.

Ich sage Ihnen, ich bin selbst Aufsichtsrat der Linz Linien Gesellschaft, einem Ver­kehrs­dienstleister in Linz, auch dort – und da breche ich keine Vertraulichkeit – haben wir immer wieder Probleme. Wir haben in Linz auch Probleme – wenn wir schon bei diesem Thema sind – mit rumänischen Bettlerbanden, die täglich in der Früh die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, keinen Fahrschein mithaben, und da gibt es auch ein Video von einem Kontrolleur, dem vor zwei Jahren einmal der Kragen geplatzt ist und der gesagt hat: Ihr müsst euch einmal vorstellen, was da tagtäglich bei uns passiert! Wir strafen jeden Tag in der Früh dieselben Menschen ab! Das gibt es auf Video, wie der Bettler den Strafzettel zerreißt, nachher ganz arm dreinschaut, dem Kontrolleur noch den Mittelfinger zeigt, den Strafzettel in die Luft schmeißt, und sich dann umdreht und geht. Dieses Schauspiel erleben die Kontrolleure tagtäglich, und es gibt auch regelmäßig Übergriffe auf Kontrolleure, vor allem von Menschen aus diesem Kulturkreis.

Es ist ja schön, dass insgesamt dieser Straftatbestand für alle gelten soll. Dazu hätte ich eine Anregung, aber leider ist der zuständige Ressortminister nicht hier: Wir sollten an dieser Stelle schön langsam auch einmal über Erschwerungsgründe im Strafrecht diskutieren. Da gibt es bekanntlich den § 33 im Strafgesetzbuch, der sieht als Erschwe­rungsgrund beispielsweise vor, wenn eine Tat aus Gründen der Fremdenfeindlichkeit,


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des Rassismus oder auch aus besonders verwerflichen Beweggründen verübt wird. Meine sehr geehrten Damen und Herren, dazu halte ich schon eines fest: Wir als Gesetzgeber sollten uns einmal überlegen, ob wir es nicht als besonders verwerflichen Beweggrund verstehen, wenn jemand zu uns kommt – um jetzt die Worte des Innen­ministers sinngemäß wiederzugeben –, alles wegschmeißt, alle Dokumente, bis auf sein Smartphone, und dann dieses Gastrecht missbraucht, sich an Frauen vergreift, Körperverletzungen begeht, Eigentumsdelikte begeht. Da frage ich mich schon – nicht als Jurist, sondern als ganz normaler Mensch mit durchschnittlichem Hausverstand –: Ist das nicht ein besonders verwerflicher Beweggrund, der schon allein als Straf­erschwerungsgrund gelten soll und deshalb strenger bestraft werden soll? – Ich bin der Meinung: Ja, das wäre dringend an der Zeit. (Beifall bei der FPÖ.)

17.26


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Fürlinger. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


17.27.02

Bundesrat Mag. Klaus Fürlinger (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Minister! Hohes Präsidium! Lieber Kollege Raml, ich bin dankbar für deinen Input, denn ich hänge dann mein kleines ... (Zwischenruf des Bundesrates Samt.) Ich mache es differenziert, ich hänge mich auf das auf, das ihr ablehnt, weil das für mich eigentlich einer der wesentlichsten Punkte der Novelle ist.

Wir haben in Österreich in den letzten 30 Jahren einen Rechtsstaat begründet, der das Rechtssubjekt, den Rechtshilfesuchenden, den Anspruchsteller in jeder Hinsicht schützt und gut durchträgt. Ich glaube, darin sind wir uns alle einig. Die De-facto-Rechtskraft haben wir ohnehin fast abgeschafft, denn es gibt ja gegen jeden Be­schluss, gegen jedes Urteil die Möglichkeit des Ganges zur nächsten Instanz, dann gibt es noch einmal die Möglichkeit einer Instanz, dann gibt es eventuell noch den Europäischen und andere Gerichtshöfe. Teile des Verfahrens können gesondert ange­fochten werden, sowohl im Zivil- als auch im Strafverfahren, sodass Gerichtsverfahren oftmals sehr, sehr lange dauern, ganz egal, ob Straf- oder Zivilverfahren. Und wenn das nicht funktioniert, gibt es noch immer einen Bürgeranwalt und einen Volksanwalt. Irgendwann einmal aber, nach einigen Jahren, tritt dann doch Rechtskraft ein.

Und wenn diese Rechtskraft eintritt, gibt es gewisse Menschen, die sich nicht daran halten, die sagen: Ist mir egal! – Dann habe ich die Möglichkeit, mit dem rechts­kräf­tigen Urteil Exekution zu führen, wie es so schön heißt, Vollzug, ich kann versuchen, mir das Geld zu holen. Das scheitert bei Mittellosen in der Regel auch. Mancher ist mittellos, weil er arm ist, es gibt allerdings auch Mittellose, die diesen Zustand durch­aus in irgendeiner Form bewusst herbeiführen – das möchte ich auch einmal dazu­sagen, in Anlehnung an ein anderes Gesetz, das wir heute noch besprechen werden –, die in Wirklichkeit nicht mittellos sind, das aber gut verstecken können. Und dann gibt es noch welche – und das ist jetzt die Neuerung; das ist das, was wir unter Staats­feinden verstehen –, die nicht nur die Judikatsschuld, die rechtskräftig zuerkannt ist und in Exekution steht, nicht bezahlen, sondern denjenigen, der zur Pflege des Rechts­staates als Exekutor dorthin geht, glatt auch noch bedrohen, anzeigen, verleum­den, in Furcht und Unruhe versetzen, ganz egal, ob das jetzt ein Gemeinde­beamter ist, der öffentliche Schulden eintreibt, ob er Strafen oder zivile Forderungen eintreibt.

Und da, meine Damen und Herren, glaube ich, ist das Ende der Fahnenstange er­reicht. Erstens schulden wir es unseren Rechtspflegeorganen, dass wir sie unter besonderen Schutz stellen, würde ich sagen – Kollege Werner Herbert ist nicht hier, der würde mir hier jetzt stehend applaudieren, wenn ich Ihnen sage, dass die Beamten besonders geschützt gehören (Heiterkeit der Bundesräte Todt, Mayer und Zwazl) –,


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zum anderen meine ich, dass, wie du gesagt hast – du hast das Wort abstrus verwen­det –, gut die Hälfte dieser Personen, das haben wir auch bei den Gerichtsverfahren dazu gesehen, sicherlich neurologisch auffällig ist und möglicherweise andere Mittel als die amtliche Justiz braucht, aber es gibt da durchaus auch welche, die sich daraus einen Spaß machen, die das organisiert machen, von denen man durchaus auch den Eindruck haben könnte, dass sie jedenfalls wissen, was sie tun.

Ich glaube schon, dass dem ein Riegel vorgeschoben werden sollte. Der Gesetzes­be­schluss ist eine Absichtserklärung. Kollege Raml, ich gebe dir recht, es hätte die bis­herigen Verfahren nicht gegeben, wenn wir nicht schon Mittel gehabt hätten. Aber wir versuchen halt mittlerweile auch im Strafrecht – ob es gut ist oder nicht, darüber können wir diskutieren –, die einzelnen Sachverhalte doch sehr eng zu fassen und immer weiterzuentwickeln.

Ich glaube aber, dass in diesem Fall eine Absichtserklärung da ist, dass der Staat sein Monopol durchsetzen will und wird und dass jeder Angriff darauf, sei er geplant oder aus neurologischen Gründen, strikt zurückgewiesen wird. Daher glaube ich, dass diese Bestimmung einen Sinn hat. Über die anderen Bestimmungen herrscht, glaube ich, ohnehin Einigkeit, sodass aus unserer Sicht diese Erklärung des Staates notwendig ist: Das ist die Gewalt des Staates, die hat lange für dich Zeit und viel Geduld. Sie nimmt sich Zeit, hört dich an, hört dich in drei Instanzen an, aber irgendwann einmal ist es vorbei, dann tritt Rechtskraft ein, und dann musst du erfüllen, und wenn du nicht erfüllst, dann ist das unter Umständen auch ein strafbarer Tatbestand. – Für diesen Tatbestand bin ich sehr zu haben, und wir stimmen dem Gesetz zu. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

17.31


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nun darf ich Frau Bundesrätin Mag. Dr. Dziedzic das Wort erteilen. – Bitte.

 


17.31.29

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Minister! Herr Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Jede fünfte Frau in Österreich ist von Gewalt betroffen, und es ist wirklich traurig, dass es diese Vorfälle wie in Köln ge­braucht hat, damit dafür überhaupt ein breiteres Bewusstsein entsteht und wir genau diese Lücke jetzt endlich schließen, wenn es um Notwehr bei sexueller Belästigung oder auch bei Gruppenbelästigung geht. In Zukunft wird sozusagen die Integrität und Selbstbestimmung, wie wir gehört haben, ein notwehrfähiges Rechtsgut sein, und das ist gut so.

Was wir im Rahmen dieser Novelle weniger gut finden, ist dieser „Gesinnungs­straftat­bestand“ – unter Anführungszeichen –, aber auch das unverhältnismäßige Vorgehen bei Angriffen auf Beamte und Beamtinnen und Kontrolleure. Nicht, dass wir nicht möchten, dass es Schutz für diese gibt, sondern – das hat man auch schon beim Minis­terialentwurf gesehen, wo zuerst zwei Jahre vorgesehen waren, was jetzt auf sechs Monate reduziert worden ist –, dass wir nicht glauben, dass der Straftatbestand so tatsächlich dazu führen könnte, dass sich die Situation bessert.

Was die staatsfeindlichen Bewegungen anlangt – und ich glaube, Sie alle können davon ausgehen, dass ich mit Reichsbürgern nichts am Hut habe –, so finde ich, dass es einfach nicht tragbar ist, eine Gesinnung als Maßstab für Rechtsstaatlichkeit zu nehmen. Wieso? – Bestraft wird eine Gesinnung, eine tatsächliche Rechtsgutbeein­trächtigung ist hingegen nicht erforderlich.

Positiv möchte ich trotzdem hervorheben, dass es auch da eine Klarstellung gegeben hat, welche Folgen eine staatsfeindliche Gesinnung haben muss, damit es zu einem


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Straftatbestand kommt. Das ist durchaus als positiv zu bewerten. Nichtsdestotrotz kommt es da zu einer Vorfeldkriminalisierung, und mir ist es zu vage, zu sagen, wann eine Gesinnung das Kriterium erfüllt, staatsfeindlich zu agieren.

Alles in allem würde ich zusammenfassend sagen, dass, was die sexuelle Belästigung anlangt, das Schließen dieser Lücke notwendig war. Was alle anderen Novellierungen anlangt, bleiben wir weiterhin skeptisch, und deshalb gibt es unsere Zustimmung nicht. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen. – Zwischenruf der Bundesrätin Kurz.)

17.34


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nun darf ich Frau Bundesrätin Mag. Kurz das Wort erteilen. – Bitte.

 


17.34.20

Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das jetzt vorliegende Strafrechtspaket ist aufgrund vieler Einwände mehrfach verändert worden, aber ich schicke gleich voraus, dass die jetzt vorliegende Fassung unsere Zustimmung findet.

Die Eckpunkte sind ja im Großen und Ganzen gleich geblieben. Ich komme gleich zum jetzt schon mehrfach angesprochenen Paragraphen, diesem sogenannten Reichsbür­ger­paragraphen. Frau Kollegin, es geht um die Hoheitsrechte der Republik Österreich. Und das Verhalten dieser Menschen, wie auch immer sie sich nennen, Freemen oder Souveräne Bürger oder Terranier, Reichsbürger, Erdenmenschen, begründet sich auf Verschwörungstheorien. Sie erfinden irgendwelche rechtlichen Konstrukte, sie bilden eine Art Parallelgesellschaft und entziehen sich völlig ihrer sozialen Verantwortung, die wir ja alle für unser gemeinsames Zusammenleben haben.

Es sind in der Zwischenzeit mehr als 1 000, 1 100, glaube ich, die sich bereits solchen Bewegungen angeschlossen haben, und es geht damit eine gesteigerte Bereitschaft zu gefährlichen Drohungen einher und direkte schwere Gewalt. Es kommt zu richtig schweren Gewaltdelikten.

Und ja, es stimmt, es war der dringende Wunsch der SPÖ, diese staatsfeindlichen Tatbestände wirklich zu präzisieren, und dem wurde Rechnung getragen. Insofern ist völlig klar, was darunter zu verstehen ist, nämlich eine Gruppe von vielen Menschen – mindestens 30 müssen es sein –, die die Hoheitsrechte der Republik rundweg ableh­nen oder sich solche selbst anmaßen. In den Erläuterungen steht ganz ausdrücklich, dass gewaltfreie Proteste oder Aktionen – wortwörtlich erwähnt ist die Besetzung der Hainburger Au –, die sich kritisch mit Politik oder Behördenentscheidungen auseinan­dersetzen, natürlich nicht darunterfallen, es ist also ganz klar definiert, was damit gemeint ist.

Man darf ja nicht vergessen: Zielscheibe dieser Gruppe sind Leute wie Gerichts­voll­zieher in der Hauptsache, Richter, Staatsanwälte, Justizbeamte, Polizisten. Es kommt zu Körperverletzung, es kommt zu Widerstand, und es kommt, was besonders schlimm ist, zu diesen Eintragungen in diese internationalen Schuldenregister in den Ver­einigten Staaten. Im österreichischen Konsulat in San Francisco ist ein eigener Mann dafür abgestellt, um Menschen zu beraten, wie sie wieder aus diesem Schulden­register herauskommen. Es kann ja nicht sein, dass wir da untätig zuschauen und sagen, das ist nicht wirklich wichtig. Das ist Mobbing auf höchster Ebene (Bundesrat Schennach: Das Anheuern eigener Sheriffs!), und es ist wirklich angebracht, dass die Republik Österreich sich dagegen wehrt.

Dann noch der Punkt aggressives Verhalten gegen Beamte: Es geht da in Wirklichkeit natürlich um alle Beamten, also auch um PolizistInnen, LehrerInnen et cetera. Aber in der Hauptsache gibt es diese Übergriffe auf Zugbegleiter. Die ÖBB sagen, dass es fast


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 145

jeden Tag zu irgendeinem Übergriff auf einen Zugbegleiter kommt, und ich denke, diese Personengruppe – ich selbst bin eine ständige Benützerin der Bahn – ist wirklich eine schützenswerte, und insofern wird das von uns begrüßt.

Ich denke, summa summarum ist das mit all diesen Einwendungen, denen Rechnung getragen worden ist, eine gute Novelle. Es wurde auch gezeigt, dass man gemeinsam zu einer Lösung kommen kann, wenn alle guten Willens sind, eine gemeinsame Lösung zu finden, und eine solche ist dieses Gesetz, ist diese Novelle. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

17.38


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nun darf ich Herrn Bundesminister Dipl.-Ing. Rup­prechter das Wort erteilen. – Bitte sehr.

 


17.38.19

Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Ich darf zu diesem Tagesordnungspunkt den Herrn Justizminister, der heute außer Landes weilt, vertreten. Ich möchte daher nur in aller Kürze Stellung nehmen.

Die Strafgesetznovelle 2017 enthält sehr wichtige Fragen und auch zahlreiche Ant­worten auf drängende Fragen unserer Zeit. Ich möchte insbesondere zu den staats­feindlichen Tätigkeiten Stellung nehmen. Wir erleben ja eigentlich seit 2014 eine stetig anwachsende Gruppe von Menschen, die glauben, sich nicht nur von unserer Demo­kratie verabschieden zu können, sondern auch ihre eigenen Regeln durchaus auch mit Gewalt durchsetzen zu können. Wir sind der Überzeugung, dass der Schutz der Demokratie auch den Schutz jener umfassen muss, die zur Durchsetzung dieser demokratisch legitimierten Rechte bestellt worden sind. Sie schützen unsere Freiheit, was durch das Strafrecht abgesegnet wird.

Der nun definierte Straftatbestand zielt exakt auf jene Menschen und Gruppierungen ab, die glauben, sich nicht nur vom Staat abwenden zu können, sondern diesen und seine Organe auch aktiv bekämpfen.

Es genügt dafür nicht, einzelne Entscheidungen nicht anzuerkennen oder sich kritisch mit politischen Fragen auseinanderzusetzen, vielmehr müssen die Hoheitsrechte in ihrer Gesamtheit nicht anerkannt werden. Nicht unter diese Definition fallen beispiels­weise gewaltfreie Proteste, Demonstrationen oder Aktionen wie die Besetzung der Hainburger Au – der Herr Justizminister und ich waren dort ja selbst dabei. Der Zweck der Bewegung muss längerfristig auf die Verhinderung der Vollziehung oder auf Anmaßung von Hoheitsrechten ausgerichtet sein.

Ich glaube, wir leisten mit dem Straftatbestand gegen staatsfeindliche Bewegungen wirklich einen wichtigen Beitrag, unsere Demokratie so zu schützen, wie es einer demokratischen Selbstachtung entspricht. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

17.40

17.40.28

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlos­sen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Mehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 146

17.40.4921. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Insolvenzordnung, das Gerichtsgebührengesetz, das Insolvenz-Ent­gelt­sicherungsgesetz und die Exekutionsordnung geändert werden (Insolvenz­rechts­änderungsgesetz 2017 – IRÄG 2017) (1588 d.B. und 1741 d.B. sowie 9876/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir kommen nun zum 21. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Lindner. Ich bitte um den Bericht.

 


17.41.01

Berichterstatter Mario Lindner: Bericht des Justizausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Insol­venzordnung, das Gerichtsgebührengesetz, das Insolvenz-Entgeltsicherungs­ge­setz und die Exekutionsordnung geändert werden (Insolvenzrechtsänderungs­ge­setz 2017).

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor. Ich komme zur Antragstellung.

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stimmen­einhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Brunner. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


17.41.46

Bundesrat Dr. Magnus Brunner, LL.M (ÖVP, Vorarlberg): Hohes Präsidium! Herr Bundesminister! Gerade in Zeiten, wie wir sie momentan erleben, sind die USA nicht unbedingt Vorbild, aber was die Kultur des Scheiterns betrifft, waren sie das in den letzten Jahren schon und sind es nach wie vor.

Mit diesem Gesetz leisten wir, glaube ich, zumindest einen Beitrag und gehen in eine Richtung, diese Kultur des Scheiterns auch in Österreich etwas akzeptabler zu machen. Natürlich müssen auf der anderen Seite auch diejenigen, die dann durch einen Privatkonkurs, durch dieses Verfahren entschuldet werden, dazu angehalten werden, auch einen sorgsamen Umgang in ihrem täglichen Handeln und Tun zu pflegen.

Wir geben aber auf der anderen Seite mit diesem Gesetz all jenen Schuldnern, die redlich agieren, eine zweite Chance, die Chance auf einen wirtschaftlichen Neustart.

Es war – das muss man offen ansprechen – für die ÖVP nicht ganz einfach, die verschiedenen Hürden zu überwinden. Aber wir haben uns durchgerungen, weil wir eben diesen redlichen Schuldnern, auch den zahlreichen Start-ups, die es in Öster­reich gibt, eine faire zweite Chance geben wollen, falls sie beim ersten Anlauf scheitern sollten.

Für uns war es auch wichtig, dass die dreijährige Nullquote auf fünf Jahre verlängert wird, weil die Gläubiger mit dieser Verlängerung auch eine echte Chance bekommen, zumindest einen Teil ihres Geldes zurückzubekommen.

Der Privatschuldner auf der anderen Seite, der ja am Ende dieses Verfahrens dann auch seine Schulden los sein wird, muss sich eben redlich verhalten. Er muss sich bemühen, die Vorgaben, die während des Verfahrens bestehen, zu erfüllen, zum Beispiel, dass er sich, wenn er arbeitslos ist, in diesen fünf Jahren wirklich um eine Arbeitsstelle bemüht.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 147

Ganz wichtig ist aus unserer Sicht, dass Missbrauch verhindert werden muss. Für die Verhinderung des Missbrauches brauchen wir strenge Regeln, sowohl während als auch vor allem vor diesem Privatkonkursverfahren, weil wir natürlich für eine zweite Chance sind, aber auch gegen ein verantwortungsloses Schuldenmachen.

Insgesamt ist dieses Gesetz aus unserer Sicht eine gute Balance zwischen den Interessen der Gläubiger, die auf Rückzahlung aus sind, auf der einen Seite, und den Interessen des Schuldners, eben nachhaltig von den Schulden loszukommen, auf der anderen. Wir stimmen daher natürlich gerne zu. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

17.44


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Mag. Kurz. – Bitte.

 


17.44.49

Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es ja schon gehört: Das neue private Insolvenzrecht soll es Schuldnern ermöglichen, sich einfacher zu entschulden. Kernpunkte dabei sind die kürzere Entschuldungsdauer und keine zwingende Quote mehr.

Es ist auch schon gesagt worden, dass natürlich die Einhaltung der Verpflichtung Voraussetzung ist, dass es zur Restschuldbefreiung kommt, eben ohne Erfüllung der bisherigen Mindestquote, und somit kann es eigentlich kein Scheitern der Abschöpfung mehr geben. Bisher war es ja so, dass alle Schulden und Zinsen wieder aufgelebt sind, und ich denke, dass künftig mit diesem Entfall der Quote durchaus fix eine Entschul­dung geschafft werden kann.

Wir SozialdemokratInnen haben uns natürlich auch bewegt, nicht nur die ÖVP. Wir wollten ja eigentlich die Mindestquote komplett weglassen und die Zeit auf drei Jahre verkürzen. Das, was herausgekommen ist, ist ein Kompromiss, aber ich denke, es ist ein guter Kompromiss, der besser ist als alles, was bisher war, denn die Hälfte der Betroffenen, die es nicht in den Privatkonkurs geschafft haben, weil sie eben diese 10-Prozent-Quote nicht erfüllen konnten, sind eben die Menschen, die mit Zinsen und Zinseszinsen immer weiter in diesen Schuldenstrudel hineingezogen worden sind.

Wir haben halt versucht, uns um jene zu kümmern, die bisher gar keine Chance auf einen Privatkonkurs und damit auch keine Chance gehabt haben, jemals wieder aus diesem Strudel herauszukommen.

Ich möchte auch bemerken, dass sehr, sehr viele Frauen mit geringem Einkommen darunter waren, die in diesen Strudel – wie auch immer – hineingezogen worden sind, und dass es eine Dunkelziffer von 325 000 betroffenen Haushalten gibt, die jetzt eine zweite Chance haben sollen, wieder Fuß zu fassen, einen Arbeitsplatz zu bekommen und diesem aussichtslosen Exekutionsverfahren zu entkommen.

Ich denke, es ist ein wirklich positiver Aspekt, diesen Menschen eine zweite Chance zu geben, und unsere Zustimmung erfolgt deshalb aus Überzeugung. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

17.47


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


17.47.11

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Meine beiden Vorredner haben ja schon fast alles gesagt und durchaus auch Richtiges.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 148

Was ich noch anmerken möchte, ist Folgendes: Sowohl Kollegin Kurz als auch Kollege Brunner haben recht. Worauf ich mich jetzt konzentrieren möchte, ist: Erstens wollen wir nicht ganz vergessen, dass die Richtervereinigung und auch der KSV es schon ein bisschen kritisch gesehen und gesagt haben, man muss aufpassen, dass man da nicht Tür und Tor öffnet, so auf die Art: Holladrio, ich verschulde mich, und dann gehe ich eh in Privatkonkurs!

Zweitens: Es gibt schon auch jene, die einen Firmenkonkurs haben, auch wenn sie eigene Fehler gemacht haben. Da würde im von Magnus Brunner gelobten USA-Vorbild das Chapter 11 greifen, das besagt: Die Fehler, die jemand einmal gemacht hat, wird er hoffentlich nicht wiederholen, und daher hat er eine zweite Chance ver­dient. – Ja, da bin ich dabei.

Die zweite betroffene Gruppe sind Frauen, die gutgläubig für einen Kredit haften und im Fall einer Scheidung dann darauf sitzenbleiben und diese Schulden nicht bedienen können.

Die dritte Gruppe dürfen wir aber auch nicht ganz vergessen, das sind jene, die halt, weil es so leicht ist, über den Onlinehandel – nicht nur an einer Stelle, sondern an mehreren – den Fernseher, den Geschirrspüler, den Eisschrank, das Gewand und was weiß ich was alles noch kaufen. Ich finde, dass man die nicht ganz aus der Pflicht nehmen sollte. Die meisten landen ja bei der Schuldnerberatung – die wir übrigens aus staatlichen Mitteln finanzieren und die einen Rückstau hat, der ganz gewaltig ist, weil es einen so großen Andrang gibt –, deren Mitarbeiter uns dann sagen: Da kommen Menschen, die nach ihren Vermögensverhältnissen schwer überschuldet sind, und denen man erst beibringen muss, dass man zuerst die Miete zahlen muss, die Energie, das Telefon, also die Fixkosten, und erst dann darüber nachdenken kann, ob man sich sonst noch irgendetwas leisten kann.

Aber es sind auch Versandhäuser, Onlinehandel et cetera gefragt, vielleicht einmal bei der Bonität ein wenig mehr nachzufragen und nicht einfach zu sagen: Ja, gut, du kannst das auf Raten kaufen! – Da gibt es Leute, die sich durchaus etwas leisten können, die dann sagen: Na ja, das Dirndl kann ich mir ja eh auf Raten kaufen, ist egal, dann bestelle ich mir gleich drei Dirndln um 1 000 €! – 1 000 € wollen aber auch zurückgezahlt werden, und das ist dann meistens auch nicht so einfach. Da sind also auch die Firmen gefragt, es den Menschen nicht so einfach zu machen, in diese Falle zu geraten.

Wir werden dem Gesetz aber zustimmen, denn das, was uns eint, ist: Wir wollen nicht, dass Menschen, die das nicht bedienen können, als U-Boot leben und nie wieder aus der Armutsfalle herauskommen, sondern dass sie tatsächlich eine zweite Chance bekommen. Man muss das aber trotzdem beobachten und verhindern, dass das so ein Renner wird, und jeder glaubt, dass er auf Kosten der Allgemeinheit Schulden machen kann und sie ihm dann schon aus der Patsche hilft. Das wollen, glaube ich, wir alle nicht. (Beifall bei FPÖ, ÖVP und SPÖ.)

17.50


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Dr. Dziedzic. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


17.50.38

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Minister! Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! 2016 haben knapp 60 000 Men­schen in Österreich bei einer der zehn Stellen um Unterstützung angesucht. Das heißt, das ist ein Phänomen, das nicht ganz groß, aber auch nicht ganz klein ist.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 149

Im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt haben diese Menschen monatlich circa 1 120 € zur Verfügung. Der Grundbetrag, also der Betrag für das nicht exekutierbare Existenzminimum, lag, wie wir wissen, im Vorjahr bei 882 €. Ein knappes Drittel der Menschen, die sich an die Schuldnerberatungen wandten, hatten weniger als diesen Betrag zur Verfügung. Das heißt, ein Schuldenabbau, eine Sanierung war für diese Menschen bisher gar nicht möglich.

Das Modell des Privatkonkurses sollte genau diesen Menschen helfen, ihnen auch einen Neustart ermöglichen, wenn sie nicht nur einen Fernseher gekauft haben, son­dern tatsächlich so tief abgerutscht sind, dass sie da nicht mehr herauskommen. In vielen Fällen hat das auch recht gut funktioniert, in vielen hat das nicht funktioniert, wir wissen auch wieso, und deshalb gibt es diese durchaus begrüßenswerte Änderung.

Eine Entschuldung über den Privatkonkurs ist – bald kann man sagen: war – bisher nur möglich, wenn zumindest 10 Prozent der Schulden innerhalb von sieben Jahren abbezahlt werden. Gelingt das nicht, kann man die Zeit noch um drei Jahre verlängern. Menschen, bei denen man das Erreichen dieser Quote aufgrund ihrer hohen Schulden und ihres niedrigen Einkommens im Vorfeld für nicht sicher hielt, hat man zum Privatkonkurs gar nicht erst zugelassen. Das wird sich jetzt ein wenig ändern.

Wir haben uns grundsätzlich immer für eine Reduzierung – nicht auf fünf, sondern sogar auf drei Jahre – eingesetzt. In diesem Sinne werden wir natürlich auch zustim­men und hoffen, dass es jenen Menschen, die sich jetzt in der Schuldenfalle befinden, helfen wird, einen Neustart zu machen. Ich würde ihnen ungern unterstellen, dass sie alle nur Schulden machen, um sich einen Fernseher zu kaufen. (Bundesrätin Mühlwerth: Habe ich nicht gesagt!) Wir wissen, dass diese Menschen sehr oft wirklich nicht mehr aus ihrer Situation herauskommen, weil es komplexe Gründe dafür gibt, dass sie überhaupt in Privatkonkurs gehen müssen.

In diesem Sinne freuen wir uns über diese Änderungen und stimmen hier zu. – Danke. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

17.53

17.53.40

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

17.54.0222. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Aktiengesetz, das GmbH-Gesetz, das SE-Gesetz, das Genossen­schafts­gesetz und das Arbeitsverfassungsgesetz zur Erreichung einer gleichberech­tigten Vertretung von Frauen und Männern im Aufsichtsrat geändert werden (Gleichstellungsgesetz von Frauen und Männern im Aufsichtsrat – GFMA-G) (2226/A und 1742 d.B. sowie 9877/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen nun zum 22. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Schennach. – Ich bitte um den Bericht.

 


17.54.22

Berichterstatter Stefan Schennach: Sehr geehrter Herr Präsident! Da sich an der nachfolgenden Debatte nur Frauen beteiligen und ich als Berichterstatter der einzige


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 150

Mann bin (Zwischenruf des Bundesrates Preineder), möchte ich in einer Vorbe­mer­kung festhalten, dass auch die Männer dieses Hauses in überwiegender Mehrheit dieses Gesetz im Ausschuss willkommen geheißen haben und ich daher auch im Namen der Männer diesen Bericht des Justizausschusses über das sogenannte Gleich­stellungsgesetz von Frauen und Männern im Aufsichtsrat bringe.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antrag­stellung.

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit großer Stim­menmehrheit von Männern und Frauen im Ausschuss den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte.

 


17.55.32

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Schennach, das hoffe ich doch sehr, dass es Männer und Frauen waren, denn an der Gleichstellung und dem Anspruch, dass es so sein soll, und der Tatsache, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind, besteht ja kein Zweifel, auch bei uns nicht. (Bundesrat Schennach: Super!)

Wir sind halt keine Quotenfreunde, daraus haben wir ja noch nie ein Hehl gemacht, und gut, Sie sind es schon, das ist Ihnen ja auch unbenommen; eine Demokratie ermöglicht es, dass wir unterschiedliche Meinungen haben.

Sie sagen jetzt, in börsennotierten Unternehmen und Großunternehmen mit mehr als 1 000 Mitarbeitern muss es eine Frauenquote von 30 Prozent im Aufsichtsrat geben, und glauben, dass das hilft. Gut, es gibt auch andere Länder, die das schon eingeführt haben und sagen, ja, das ist alles ganz wunderbar. Es wird auch das Beispiel kommen, dass das im Bundesdienst eigentlich ohnehin schon gegeben ist.

Norwegen hat diese Quote auch eingeführt. Wenn man das googelt, dann liest man, dass 70 Frauen 300 Aufsichtsratsposten besetzen, wofür sie Goldröcke genannt wer­den. Also frage ich mich jetzt: Wie ist das in Norwegen, haben die zu wenige Frauen oder wollen die Frauen einfach nicht? Bekommen deshalb 70 Frauen 300 Aufsichts­ratsposten oder gibt es dort einen Frauenklüngel? Sie sagen ja immer, es ist der Männerklüngel, der die Frauen nicht ranlässt. Gibt es jetzt einen Frauenklüngel, der die Männer und auch andere Frauen nicht ranlässt? Also das erscheint mir schon ein bisschen merkwürdig.

Außerdem finde ich es interessant, warum es nicht um die echten Führungspositionen und um Managementpositionen geht – Sie reden ja seit Jahren davon, dabei geht es aber immer nur um den Aufsichtsrat –, da könnten Sie sich ja für eine mindestens 30-Prozent-Quote genauso stark machen.

Ich habe mir angesehen, wie das in staatsnahen Unternehmen – wo Vertreter der Regierung ja die Möglichkeit hätten, genau das zu leben, was gefordert wird – ausschaut, und habe mir gedacht, die ÖBB werden vom Staat sehr gut subventioniert, da schaue ich einmal, wie es dort ausschaut.

ÖBB-Infrastruktur AG – es betrifft das Management, also die Führungspositionen, nicht den Aufsichtsrat –: zwei Männer, eine Frau. In der ÖBB-Holding AG: zwei Männer, null Frauen. In der BCC GmbH: ein Mann, keine Frau; im Aufsichtsrat: vier Männer, zwei


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 151

Frauen – das ist auch nicht halbe-halbe. Im Immobilienmanagement: drei Männer, null Frauen; im Aufsichtsrat: drei Männer, eine Frau. Die einzige Ausnahme ist der Per­sonenverkehr: ein Mann, zwei Frauen.

Im Management der Wien Energie GmbH, auch ein von der Stadt Wien stark ge­stütztes Unternehmen: drei Männer, null Frauen.

Das sind ja nur Beispiele und ich frage Sie: Wenn Sie das so ernst nehmen und wenn es Ihnen so wichtig ist, wieso funktioniert das dann in genau diesen Unternehmen nicht, dass man dort auch sagt, wir machen halbe-halbe, wir machen 50 Prozent Männer und 50 Prozent Frauen? – Man sieht also, dass dort auch nicht so heiß gegessen wie gekocht wird.

Ich sage Ihnen, wie anfangs schon erwähnt, die Freiheitlichen sind keine Freunde der Quote, was aber nicht heißt, dass wir nicht für eine völlige Gleichberechtigung von Mann und Frau sind.  Das werden wir immer unterstützen, aber eben nicht über die Quote. (Beifall bei der FPÖ.)

17.59


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Junker. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


17.59.33

Bundesrätin Anneliese Junker (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Als ich mich bei diesem Tagesordnungspunkt als Rednerin gesehen habe, habe ich gesagt: Oh mei!

Ich bin jetzt schon lange Zeit in der Politik und war zu Beginn eine vehemente Geg­nerin der Quote. Das Wort Quote ist an und für sich schon so übel. Lesen wir aber von Gleichstellung zwischen Frauen und Männern, bekommt es eine ganz andere Bedeutung: Im Grunde genommen ist es eine Gleichstellung, man muss ja nicht für alles die Bezeichnung Quote verwenden.

Wir haben vorhin die Schuldenquote thematisiert, wir haben Quoten bei den Man­dataren, und überall gibt es eben die Quote. Warum soll es im Aufsichtsrat nicht auch eine Quote geben? (Präsident Mayer übernimmt den Vorsitz.)

Tatsache ist, wenn eine Frau kommt, kann der Sessel von einem Mann eben nicht mehr besetzt werden. Die Männer haben natürlich schon seit Jahrhunderten ein wesentlich besseres Netzwerk, und in das Netzwerk müssen wir Frauen erst ein­dringen, wir müssen auch unsere Netzwerke aufbauen.

In diesem Sinne kann ich dem Antrag, dass in Aufsichtsräten mindestens 30 Prozent Frauen vertreten sein müssen, zustimmen. Ich glaube, das ist ein erster Schritt, ein Schritt, der nicht kommen hätte müssen, wenn die Gleichstellung von Frauen und Männern in Aufsichtsräten funktioniert hätte, aber das hat es nicht, und daher muss man ein bisschen nachhelfen.

Die Quote muss auch bei den Gewerkschaften Einzug halten – nicht nur auf Arbeit­geberseite, sondern auch bei der Vertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer; es sind gleich viele Frauen wie Männer berufstätig, daher müssen auch entsprechend viele Frauen in den Gewerkschaften vertreten sein –, dann können wir mit ruhigem Gewissen zustimmen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

18.01


Präsident Edgar Mayer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Blatnik. – Bitte.

 



BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 152

18.01.55

Bundesrätin Ana Blatnik (SPÖ, Kärnten): Herr Präsident! Gospod president! Herr Bundesminister! Gospod zvezni minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drage kolegice in kolegi! Auch ich setze mich zu 100 Prozent für Gleichstellung, Gleich­berechtigung, Chancengleichheit von Männern und Frauen ein, denn es kann ja nicht sein, und das ist auch nicht so, dass Gleichstellung, Chancengleichheit, Gleichbe­rechtigung nur für Frauen oder nur für Männer gelten sollte.

Ich setze mich für eine Quote für Männer ein, wenn es so sein soll oder bezeichnen wir es anders –, ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, für eine Notwendigkeit, für eine Verantwortung, für eine Pflicht, dafür zu sorgen, dass es mehr Männer in den Sozialberufen gibt. (Bundesrätin Mühlwerth: Machen wir bei Schulen …!) – Ja, das möchte ich, ich setze mich dafür ein, dass es mehr Männer als Volksschullehrer gibt.

Dieses Gesetz aber schreibt vor und beinhaltet, dass Frauen eine Chance bekommen, gleichberechtigte Teilhabe in den Toppositionen zu erlangen, und das, liebe Kolle­ginnen und Kollegen, ist keine Bevorzugung, das ist Fairness und Gerechtigkeit und müsste eigentlich im 21. Jahrhundert eine Selbstverständlichkeit sein.

Warum betone ich, dass das so wichtig ist? Weil wir tatsächlich sehen, dass dort – und ich möchte den öffentlichen Dienst hernehmen –, wo „Quote“ – unter Anführungs­zeichen – gesetzlich verankert ist, die Quote, also der Frauenanteil, auch stimmt. Nehmen wir den öffentlichen Dienst her: praktisch 50 Prozent Frauen und Männer. (Bundesrat Herbert: Im öffentlichen Dienst gibt es keine Quote!) Herr Minister Brandstetter hat im Nationalrat gesagt, wenn es keine Quote gäbe, kann er sich nicht vorstellen, dass der Anteil der Frauen so hoch wäre. Deswegen ist eine Quote wichtig. (Bundesrat Herbert: Das Dienstrecht kennt keine Quote!)

Wenn man sagt, wir sind gegen die Quote: Benennen wir es doch anders, sagen wir ganz einfach: Wir treten für die Selbstverständlichkeit ein, dass es eine gleich­berechtigte Teilhabe von Frauen und Männern gibt! (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Treten wir dafür ein, übernehmen wir die Verantwortung und die Pflicht, dass diese gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern funktioniert!

Reden wir nicht darüber, suchen wir bitte keine Ausreden, denn es ist genau das Wort „Quote“, das als Ausrede gilt. Benennen wir es ganz einfach anders! Wenn das gegeben ist, bin ich die Erste, die sagt: Okay, wir brauchen keine Quote mehr, denn das ist eine Selbstverständlichkeit und Notwendigkeit.

Der nächste Punkt ist, ich höre immer Ausreden wie: Das ist unfair den Männern gegenüber, die Frauen sind überfordert oder nicht qualifiziert es geht ja um Qualifikation , die Quote ist kontraproduktiv. Das sind Ausreden, liebe Kolleginnen und Kollegen, die uns nicht weiterbringen. Ich glaube aber, dass wir Taten setzen und sagen sollten, die Quote ist wichtig, sie ist gerecht und fair.

Wir haben genug Frauen, die bestens ausgebildet sind. Wir haben mehr Maturantinnen als Maturanten, wir haben mehr Universitätsabsolventinnen als -absolventen, und diese Frauen machen eine hervorragende, hochqualifizierte Arbeit. Wir wissen auch, dass mehr Meinungen besser sind als eine, und jede Statistik besagt, dass Unter­nehmen, die sowohl von Frauen als auch Männern geführt werden, nachhaltiger, besser und erfolgreicher sind.

Das sagen nicht wir, das ist Faktum! Deswegen bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen: Gleichberechtigung, Chancengleichheit, Gleichstellung gelten für Mann und Frau. Auch wir Frauen haben ein Recht auf Chancengleichheit, ein Recht auf Gleichstellung und ein Recht auf Gleichberechtigung. Frauenrechte sind Menschenrechte. Man kann dies leben oder nicht, aber im 21. Jahrhundert erwarte ich ganz einfach, dass wir das leben.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 153

(Die Rednerin setzt ihre Ausführungen in slowenischer Sprache fort.) 

Danke, hvala lepa. (Beifall bei der SPÖ.)

18.07


Präsident Edgar Mayer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Dr. Dziedzic. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


18.07.50

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Minister! Nochmals: Werter Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! In aller Kürze: Die Quote ist eine Frage der Machtverhältnisse, und tatsächlich ist es so, dass die glä­serne Decke für viele qualifizierte Frauen nach wie vor ein Hindernis ist.

Die Argumente, die man dagegen hört, verflüchtigen sich langsam. Ich freue mich sehr, dass zum Beispiel nicht nur Maria Fekter eine flammende Rede gehalten hat, sondern dass es sich auch in konservativen Kreisen immer mehr herumspricht, dass man da niemandem etwas wegnimmt, sondern dass man Gerechtigkeit schafft und vielen Frauen ermöglicht, in Positionen zu kommen, in die sie sonst vielleicht nicht gekommen wären. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Wir haben nicht umsonst wieder ein neues Frauen-Volksbegehren: Es gibt tatsächlich noch viele Diskriminierungen am Arbeitsplatz, wir haben es immer noch damit zu tun, dass Frauen gerade in Berufen, wo vorwiegend Männer arbeiten – in diese Män­nernetzwerke nur schwer hineinkommen. Das heißt, es braucht Förderung, es braucht gewisse Hebel, damit all diese tollen Frauen überhaupt sichtbar werden.

Ich finde, wir brauchen 2017 eine Art Commitment darüber, dass dort, wo politische Entscheidungen getroffen werden, Frauen gleichermaßen in diese Entscheidungen involviert werden müssen.

Was – auch mir selbst  sehr wichtig wäre festzuhalten, ist, dass wir uns über diese 30-Prozent-Quote freuen, aber dass sie uns natürlich nicht weit genug geht. Frauen machen 51 Prozent der österreichischen Bevölkerung aus. Wir wissen, in skandina­vischen Ländern hat man sich auf die 40-Prozent-Quote geeinigt, und auch dort ist niemandem die Krone vom Haupt gefallen. Wir sind überhaupt dafür, dass es in Leitungsgremien staatlicher und börsennotierter Unternehmen eine Frauenquote von 50 Prozent gibt (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth– 50!, fallen Sie nicht vom Stuhl! – sowie entsprechende Sanktionen bei Nichteinhaltung. Wir möchten auch, dass die Parteien- und Klubförderung an diese Quoten gekoppelt ist. (Neuerlicher Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Da gibt es noch einiges zu tun.

Bei einem gebe ich Ihnen schon recht: Wir können es natürlich nicht vom Zaun brechen, dass jetzt alle Leitungsgremien mit Frauen aufgefüllt werden, solange wir nicht darauf achten, dass sie die Möglichkeit haben, überhaupt in diese zu kommen. (Bundesrätin Mühlwerth: Typisch Grüne!) Solange Frauen noch immer weniger verdienen, solange wir noch immer darüber reden, dass es gerade im ländlichen Raum nicht genügend Kinderbetreuungsplätze gibt, solange wir wissen, dass Männer, wenn Kinder im Haushalt sind, eigentlich dazu neigen, noch mehr Überstunden zu machen (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth), so lange müssen wir uns das alles an­schauen.

Wir haben jedenfalls genügend qualifizierte Frauen – nicht nur 30, sondern 51 Pro­zent –, und ich freue mich auf weitere Debatten und weitere wichtige Schritte. – Danke. (Beifall bei Grünen und SPÖ sowie der Bundesrätin Zwazl.)

18.11



BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 154

Präsident Edgar Mayer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Präsidentin Anderl. – Bitte.

 


18.11.26

Bundesrätin Renate Anderl (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minis­ter! Ich werde wirklich versuchen, es kurz zu machen, ich möchte nur ergänzend zur einen oder anderen Vorrednerin etwas sagen.

Frau Bundesrätin Mühlwerth! Ich bin stolz darauf, eine Quotenfrau zu sein. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Ich sehe das Wort auch nicht negativ. Ich habe in meinem täglichen Leben damit zu tun, dass wir Frauen leider sehr häufig vergessen werden, weil die Netzwerke der Männer – das sollten wir uns einmal anschauen – weitaus besser funktionieren als die von uns Frauen.

Auch Frau Bundesrätin Junker hat gemeint, dass die Quote ein schreckliches Wort ist. Ich finde dieses Wort nicht schrecklich und möchte hier vielleicht etwas anbringen: Es gibt überall Quoten, ob wir von einer Liste der SPÖ sprechen, einer Liste der ÖVP, wenn es um Wahlen geht, ob es um eine Liste im ÖGB geht, welches Bundesland wie viele Mandate bekommt. Das, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, sind alles Quoten, die werden positiv besetzt. Immer dann aber, wenn es um Frauen geht, wird das Wort Quote negativ besetzt.

Selbst ich habe diese Diskussionen geführt und habe es sehr spannend gefunden, dass meine Kollegen zu mir gesagt haben: Wenn wir Listen besetzen und uns ansehen, wie viele Mitglieder ein Bundesland hat, wie viele Personen ein Anrecht haben, einen Platz in einem Gremium zu bekommen, dann sind das keine Quoten, das sind Kennzahlen. Man sieht also, da ist die männliche Welt schon ganz anders und erfinderischer. Ana Blatnik hat ja auch erwähnt, dass es immer die Frage ist, wie man etwas bezeichnet.

Was ich auch im Laufe der Diskussion, bis wir es geschafft haben, dass hier heute dieses Gesetz beschlossen wird, erleben musste, war, dass hin und wieder die Aus­sage getroffen wurde und auch medial nachlesbar war: Frauen müssen sich ja erst qualifizieren.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Das weise ich aufs Schärfste zurück, denn wir wissen, und auch das ist heute schon angesprochen worden, dass wir Frauen im 21. Jahrhundert bestens, wirklich bestens qualifiziert, bestens ausgebildet sind. Wir verfügen häufiger als Männer über Studienabschlüsse. Das zeigen uns alle Studien, das habe nicht ich erfunden. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir haben die Frauen an den Universitäten, aber ich sage euch, wir verlieren sie im Arbeitsleben. Leider geht es nicht ohne diese Quote, daher freue ich mich, dass wir sie heute umsetzen können. Natürlich kann man sagen, dass die Quote definitiv kein Universalmittel ist, sondern sozusagen ein Mittel zum Zweck und vor allem ein enorm wichtiges politisches Steuerungsinstrument und ein Signal – das wurde heute auch schon angesprochen – für eine gendergerechte Arbeitswelt. Ich glaube, es ist schon längst an der Zeit und äußerst notwendig, dass die Wirtschaft endlich das Potenzial der weiblichen Führungskräfte ausnützt.

Glaubt mir: Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass kein einziger Sessel in irgend­einem Aufsichtsrat frei bleiben wird. Das haben uns andere Länder schon bewiesen. Und nicht nur das: Ich habe auch so ein Gremium, wo es immer darum geht, wenn die Quote nicht passt, dann bleiben Sessel frei. Ich kann euch von dieser Stelle aus berichten, dass seit sechs Jahren kein einziger Sessel frei geworden ist.


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Wenn es darauf ankommt, dass wir Frauen brauchen, dann finden wir sie. Glaubt mir: Jede Frau ist gleich qualifiziert wie ein Mann, um kein Deka weniger. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

18.15


Präsident Edgar Mayer: Auch die Männer kommen bei diesem Tagesordnungspunkt zu Wort.

Als Nächster ist Herr Bundesminister Dipl.-Ing. Rupprechter zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Minister.

 


18.15.33

Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Lassen Sie mich nur ganz kurz Stellung nehmen zu diesem – aus meiner Sicht – sehr wich­tigen Gesetz und der sehr wichtigen Regierungsvorlage, für die ich auch großes Verständnis habe. Als Vater von zwei Töchtern und zwei Söhnen ist mir die Gleich­behandlung von Männern und Frauen ein sehr wichtiges Anliegen. Im Jahr 2017 muss uns das allen ein sehr wichtiges Anliegen sein. (Bundesrätin Mühlwerth: Ist es eh!)

In der österreichischen Privatwirtschaft liegt der Frauenanteil in Aufsichtsräten derzeit leider bei nur 18 Prozent. Die österreichischen Regierungsparteien sehen daher in einer gesetzlichen Mindestquote für Frauen in Aufsichtsräten ein wichtiges Instrument, um eine möglichst gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in ent­schei­denden Funktionen bedeutender Unternehmen zu erreichen.

Daher wird nach dem Vorbild der deutschen Rechtslage ab 1. Jänner 2018 in Auf­sichts­räten von börsenotierten Unternehmen sowie von Unternehmen mit mehr als 1 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Frauenquote von 30 Prozent festgelegt, die bei Neubestellungen verpflichtend einzuhalten ist. Damit wollen wir ein sehr wichtiges Signal für die gesamte Privatwirtschaft setzen.

Die Geschlechterquote wird bei allen nach dem 1. Jänner 2018 zu wählenden und zu entsendenden Aufsichtsräten zu beachten sein, bestehende Aufsichtsratsmandate sind davon nicht berührt. Bereits gewählte oder entsandte Personen können sohin bis zum Ende ihrer Funktionsperiode Aufsichtsratsmitglieder bleiben.

Ich bin aber davon überzeugt, dass mit diesem Entwurf ein erster wichtiger Schritt zur Förderung der Chancen und Karrieremöglichkeiten von Frauen gesetzt wurde und es daher ein sehr gutes Gesetz ist. – Danke. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

18.17


18.17.21Präsident Edgar Mayer: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

18.17.4923. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 28. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Außerstreitgesetz, die Jurisdiktionsnorm, das Gerichtsgebührengesetz, das Sicherheitspolizeigesetz und das Auslandsunterhaltsgesetz 2014 geändert werden sowie das Bundesgesetz vom 9. Juni 1988 zur Durchführung des Über-


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einkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte interna­tionaler Kindesentführung aufgehoben wird (Kinder-RückführungsG 2017 –KindRückG 2017) (2243/A und 1743 d.B. sowie 9878/BR d.B.)

 


Präsident Edgar Mayer: Nun kommen wir zum 23. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Schennach. – Ich bitte um den Bericht.

 


18.18.08

Berichterstatter Stefan Schennach: Ich erstatte den Bericht des Justizausschusses über das Kinder-Rückführungs-Gesetz 2017.

Der Bericht über diese sensible Materie liegt Ihnen in schriftlicher Form vor. Deshalb komme ich gleich zur Antragstellung.

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stimmen­mehr­heit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsident Edgar Mayer: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erste zu Wort gemeldet ist Frau Dr. Dziedzic. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


18.18.43

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Der Europäische Gerichtshof für Men­schenrechte hat bereits im Jahr 2015 eine Vereinfachung und Beschleunigung des österreichischen Regimes der Rückführung widerrechtlich verbrachter oder zurück­gehaltener Kinder, wie es heißt, gefordert.

Tatsächlich besteht in Österreich im Rahmen des Rückführungsverfahrens im Ver­gleich zu anderen Staaten ein Defizit an effizienten Erhebungsmaßnahmen, was sich insbesondere dann zeigt, wenn mangels Tatbestandserfüllung der Kinderentziehung keine Fahndungsmaßnahmen veranlasst werden können. So sind nun eine Reihe von Maßnahmen erlassen worden, die vielleicht in Extremfällen greifen können, aber nicht unbedingt immer sinnvoll sind. Ich möchte nun begründen, wieso wir das Ganze hier auch ablehnen werden.

Erstens verlangen weder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der Anlass für diesen Entwurf war, noch irgendwelche anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen genau diese vorgenommenen Verschärfungen.

Zweitens orientieren sich diese Verschärfungen nicht am konkreten Kindeswohl, son­dern explizit an einem abstrakten Wohl des Kindes, das in der Rückführung in das Land, in dem sich der andere Elternteil aufhält, gesehen wird, und zwar ohne Differen­zierung immer angeordnet und demgemäß auch zum Teil mit unverhältnismäßigen Mitteln durchgesetzt. Der Gesetzgeber müsste zum Ausgleich den Gerichten so weit wie möglich das Differenzieren im Einzelfall gestatten. Das wäre eine wichtige For­derung unsererseits.

Drittens kann eine Gefährdung des Kindeswohles auch im Zuge der Rückführung erfolgen. Dem wird hier auch nicht Genüge getan beziehungsweise wird das überhaupt nicht beachtet.

Ein wichtiger Grund für uns, wieso wir dem nicht zustimmen können, ist, dass es hier eine Pauschalisierung gibt, die nämlich besagt, dass Kindesentführungen immer Ent­führungen sind und nicht vielleicht andere Gründe haben könnten.

Wir wissen aus Datenbelegen, und darauf verweist auch der Verein österreichischer Juristinnen, dass in 75 Prozent der Fälle die Väter einen Antrag auf Rückführung stel-


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len und sich diese Gesetzesänderungen, von denen wir sprechen, besonders auf Frauen auswirken.

Die Auswertung bestätigt die Tendenz, dass Kindesentführung oft nichts anderes ist als die Rückkehr einer Mutter in ihre Heimat nach dem Scheitern einer Beziehung, nämlich in den meisten Fällen. Wir wissen auch von Frauen aus Frauenhäusern, von der Interventionsstelle, dass hier sehr oft Gewalt im Spiel ist, das heißt, auch die Kin­der von Gewalt betroffen sind, und deshalb die Frauen zu ihren Familien in ihre Heimatländer zurückgehen.

Solang diese Differenzierung hier nicht möglich ist, sondern pauschal Kindesent­führung als Entführung betrachtet wird, wird das auf dem Rücken von vielen Frauen ausgetragen werden, und deshalb wäre unser Wunsch gewesen, hier eine Differen­zierung zulässig zu machen und nicht pauschal immer von bösartigen Entführungen zu sprechen. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen.)

18.22


Präsident Edgar Mayer: Bevor ich Herrn Vizepräsidenten Gödl das Wort erteile, darf ich unsere Staatssekretärin Muna Duzdar herzlich im Bundesrat begrüßen. – Willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Zu Wort gelangt Herr Vizepräsident Gödl. – Bitte.

 


18.23.03

Bundesrat Mag. Ernst Gödl (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Herr Bundesminister! Frau Kollegin, ich bin schon etwas überrascht über Ihre Haltung, vor allem über die Interpretation dieses Gesetzes, das wir jetzt hier beschließen, des Kinder-Rückführungs-Gesetzes, denn in vielerlei Hinsicht geht es ja um formelle Änderungen. Einerseits lösen wir damit ja auch das Durch­führungsgesetz für das Haager Übereinkommen auf und integrieren diesen familien­rechtlichen Teil in jenes Stammgesetz, in dem wir insgesamt die familien- und verfah­rens­rechtlichen Angelegenheiten untergebracht haben, nämlich in das Außer­streitgesetz. Das ist jetzt einmal eine rein formelle Angelegenheit.

Wir haben übrigens vor drei Monaten auch an dieser Stelle über dieses Haager Über­einkommen debattiert, weil damals zehn weitere Länder beigetreten sind und wir dem als Vertragsstaat auch zustimmen mussten. Nur zur Information: Derzeit sind über 50 Länder diesem Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung aus dem Jahr 1980 beigetreten.

In Zuge dieser Änderungen – du hast es schon angesprochen – reagieren wir auch auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der uns sehr wohl, gerade als Anspruch an das Kindeswohl, mitgeteilt hat, dass wir in vielerlei Hinsicht unsere Verfahren ändern sollen, beschleunigen sollen. Es soll eben gerade in dieser ersten Phase, wenn ein Kind seinem zweiten Elternteil rechtswidrig entzogen wird, mit kurzen Verfahrensdauern die dringende Möglichkeit geschaffen sein, die Rückführung des Kindes durchzusetzen, damit sich das Kind eben nicht an eine neue Umgebung gewöhnt.

Das Haager Übereinkommen regelt übrigens auch das relativ eindeutig, wenn ein Kind von einem Elternteil entführt wird und sich dann an eine neue Umgebung gewöhnt. Da gibt es einen Zeitraum, wenn ich das richtig im Kopf habe, von einem Jahr, nach dem es im Sinne des Kindeswohles besser sein kann, dass das Kind dort bleibt, wohin es entführt wurde.

Es gibt also viele Aspekte, die hier jetzt zu beachten sind, und ich bin schon etwas überrascht, dass ihr, liebe Grüne, jetzt all diese Maßnahmen, zur Konzentration der Behörden zum Beispiel, alles, was wir hier beschließen, ablehnt. Konzentration der


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Behörden heißt, dass nur mehr zwei Bezirksgerichte für die Abwicklung zuständig sind. Auch das ist sinnvoll, denn es sind ja keine Fälle, die oft auftreten, damit wir das auch ins richtige Licht rücken. Zum Glück hat die ganz große Mehrheit unserer Familien ja nie mit diesem Gesetz zu tun. Schön wäre es, wenn niemand damit zu tun hätte. Es sind circa 60 Fälle im Jahr, in denen Kinder von Österreich ins Ausland entführt werden, und circa 30 Ansuchen pro Jahr, in denen Eltern von anderen Ländern bei uns um eine Verfahrenshilfe ansuchen, um das Kind rückzuführen.

Wir regeln in diesem neuen Gesetz auch zum Beispiel Folgendes, und das ist ganz wichtig: Sollte während dieser Entführungszeit das Sorgerecht im betreffenden Staat, wo das Kind herkommt, zugunsten des entführenden Elternteils entschieden werden, dann wird das Verfahren sofort eingestellt. Auch das wird neu geregelt.

In jeder Hinsicht steht also das Kindeswohl im Mittelpunkt dessen, was wir hier neu und verfeinert im Sinne des Haager Übereinkommens regeln, das wir ja schon sehr lange ratifiziert haben. Daher ist es aus meiner Sicht völlig unverständlich, dass wir hier in Österreich keine einstimmige Beschlusslage zusammenbringen. Ich habe höchstes Vertrauen in unseren Rechtsstaat, dass wir hier so gut wie möglich handeln, nämlich auch insofern, als wir jetzt die Bestimmungen so anpassen, dass wir eine effiziente Verwaltung, eine effiziente Nachverfolgung in diesen sehr, sehr schwierigen, sehr sensiblen Fällen gewährleisten können.

Daher werden wir seitens der Volkspartei natürlich dieser Novelle, diesem Gesetz zustimmen, eben gerade im Interesse des Kindeswohls in den sensiblen Fällen einer Kindesentführung im familiären Bereich. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

18.27


Präsident Edgar Mayer: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Weber. – Bitte, Herr Kollege.

 


18.27.52

Bundesrat Martin Weber (SPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ein Kind entführt wird, ist das für die Eltern und für das Kind immer ein ganz dramatisches und tragisches Ereignis. Ich glaube, so ein Fall gehört wohl zu den schlimmsten Ereignissen, die einer Familie überhaupt passieren können. Auch der Öffentlichkeit geht so ein Ereignis emotional immer sehr nahe und verursacht immer sehr viel seelischen Schmerz.

Entführungen durch Fremde sind eher eine Seltenheit, aber Entführungen im Familien­kreis sind gar nicht so selten. Ich war eigentlich, muss ich sagen, schon erschüttert, als ich am Dienstag im Ausschuss nach der Zahl von Entführungen gefragt habe: Rund 30 Kindesentführungen aus und nochmals rund 30 Kindesentführungen nach Österreich gibt es Jahr für Jahr, die Tendenz ist leicht steigend.

Von diesen rund 60 Fällen können – und das ist auch gut so – circa 50 Fälle innerhalb von zwölf Monaten einvernehmlich gelöst werden. Der sogenannte Fall Oliver ist eher die negative Extremausnahme. Es ist ein unbeschreibliches Martyrium, das Marion Olivia Weilharter, die Mutter von Oliver, durchleben musste. Die Steirerin hatte nicht nur einen Kampf um ihr Kind zu führen, seit ihr Ex-Mann den Kleinen gegen ihren Willen nach Dänemark brachte, sondern auch einen Kampf gegen die Mühlen und Windmühlen der unterschiedlichen Rechtsprechungen zweier Länder. Oft konnten keine Erhebungen oder Fahndungen in Österreich durchgeführt werden, wenn beide Elternteile mit der Obsorge betraut waren, wenn die Rechtslage im jeweiligen Her­kunfts­land ebenso gestaltet war. Das soll sich nun schrittweise ändern, wenn eine Entführungssituation vorliegt.


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Laut Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte von 2015 – wir hörten es schon zuvor – weist eben das österreichische Verfahrensrecht bei Rückfüh­rungssituationen Mängel auf, die mit dieser Novelle beseitigt werden. Gerade deshalb kann ich die grüne Ablehnung überhaupt nicht verstehen, denn ganz wichtig ist – und das ist auch bei den Verhandlungen gelungen –, das Kindeswohl natürlich ganz vorrangig zu verankern und auch durch diese Novelle wirklich durchgängig präsent zu halten, ist doch das Kindeswohl wirklich das höchste Gut, das es hier zu beachten gilt. Deshalb wird meine Fraktion diesem Gesetz sehr gerne zustimmen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

18.31


18.31.16Präsident Edgar Mayer: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit, der Antrag ist angenommen.

Wir verabschieden uns vom Herrn Minister und wünschen ihm einen schönen, erholsamen Sommer. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

18.31.5924. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 geändert wird (2247/A und 1764 d.B. sowie 9827/BR d.B. und 9859/BR d.B.)

 


Präsident Edgar Mayer: Wir gelangen nunmehr zu Punkt 24 der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Seeber. Ich bitte um den Bericht.

 


18.32.35

Berichterstatter Robert Seeber: Hohes Präsidium! Frau Staatssekretärin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 geändert wird, zur Kenntnis bringen.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, ich komme daher gleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsident Edgar Mayer: Danke, Herr Kollege Seeber, für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gelangt Herr Kollege Beer. – Bitte, Herr Kollege.

 


18.33.24

Bundesrat Wolfgang Beer (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Sehr geehrte Bundesräte! Wir behandeln hier eine Änderung des Beamten-Dienstrechts­gesetzes 1979. Es ist ein wirklich sehr umfassendes Werk. Warum ist diese Änderung notwendig geworden? – Bis dato wurden den Zeitsoldaten nicht alle Dienstzeiten für die Pensionierung angerechnet, sie wurden ganz einfach als pensionsrelevante Zeiten ignoriert. Geschehen ist das Ganze im Jahr 2005 mit dem Pensionsanpassungsgesetz. Damals wurde eine Regelung getroffen, die den Zeitsoldaten nur 30 Monate zur An-


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rechnung bringt. Alles andere ist eigentlich, wenn sie längere Zeit Zeitsoldaten waren, verloren.

Diese Regelung trifft aber nicht nur Zeitsoldaten. Im Zuge der Verhandlungen und auch in den Ausschüssen ist bekannt geworden, dass nicht nur Zeitsoldaten dieses Problem haben, sondern auch Landeslehrer und dass auch Richter und Staatsanwälte das Problem der Nichtanrechnung von Pensionszeiten haben.

Man hat sich dann entschlossen, einen Abänderungsantrag aufzusetzen, der auch von allen Fraktionen, von allen Parteien mitgetragen wurde, um diese Ungerechtigkeit zu beheben. Es ist nicht eine Kleinigkeit, denn es sind immerhin 17 000 Menschen davon betroffen. Es wird auch in weiterer Folge auf den Richtverwendungskatalog beim Bundesheer im Ministerium Rücksicht genommen. Weiters hat man sich überlegt, ob der ASVG-Bereich nicht auch davon betroffen ist und es diesem zugutekommen soll.

Es ist dies eine gute Novelle, die wieder etwas mehr Gerechtigkeit für unsere Men­schen, die nicht nur Dienst an der Waffe, sondern überhaupt Dienst für die Allgemein­heit und für die Sicherheit unseres Landes leisten und geleistet haben. Daher bin ich sehr froh, dass ich hier dieser Novelle zustimmen kann. (Beifall bei der SPÖ.)

18.36


Präsident Edgar Mayer: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Kollege Oberlehner. – Bitte, Herr Kollege.

 


18.36.49

Bundesrat Peter Oberlehner (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Präsidium! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Liebe Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Mit dem vorliegenden Beschluss zur Änderung des Beamten-Dienst­rechtsgesetzes 1979 wird grundsätzlich der Strukturreform im Verteidigungsminis­terium und beim Bundesheer Rechnung getragen. Vor allem aber soll eine klare Aufgabenzuordnung auf allen Ebenen durch eine Änderung des Richtverwendungs­katalogs erfolgen und dadurch die Zusammenarbeit auf vielen Ebenen zwischen den militärischen und den zivilen Organisationen verbessert und optimiert werden. Mit dem vorliegenden Gesetzesbeschluss wird aber auch, wie schon von meinem Vorredner angesprochen, eine Schlechterstellung von Zeitsoldaten im Pensionsrecht beseitigt und damit eine Verbesserung erreicht für circa 17 000 Zeitsoldaten und – das wurde auch schon angesprochen – für weitere Berufsgruppen, die ebenfalls von dieser Regelung umfasst sind.

Ohne Übertreibung kann man sagen, dass damit eine völlig absurde Situation für diese 17 000 Zeitsoldaten und auch die übrigen Bediensteten beendet wird. Nach bisher geltendem Recht wurden nämlich Zeiten der Leistung des Präsenzdienstes für die Inanspruchnahme der Langzeitversichertenregelung, Hacklerregelung im Volksmund, nur im Ausmaß von höchstens 30 Monaten berücksichtigt. Da der freiwillig verlängerte Grundwehrdienst beziehungsweise der Dienst als Zeitsoldat in vielen Fällen aber weit über diese 30 Monate hinaus dauert – im Extremfall kann er bis zu 15 Jahre dauern –, kam es zu großen Nachteilen bei der Anrechnung von Pensionszeiten für die betrof­fenen Kolleginnen und Kollegen des öffentlichen Dienstes.

Dies ist eine langjährige Forderung der GÖD, die hiermit auch umgesetzt wird, eine Forderung sicherlich nicht nur der GÖD, sondern auch anderer, und ich bin mir sicher, dass es auch zu Urheberstreitereien kommen wird, wer denn jetzt derjenige war, der das wirklich gefordert hat. Ich denke, es waren tatsächlich mehrere Gruppierungen und Organisationen, und es ist ja nicht verboten, dass eine gute und berechtigte Sache auf mehreren Ebenen gefordert wird. Ich meine, es können sich mehrere darüber freuen, dass das jetzt wirklich gelungen ist.


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Eigentlich war es schon ein recht unwürdiges Schauspiel, dass in den letzten Jahren dieses Problem zwischen dem Ministerium für Landesverteidigung und dem Sozial­ministerium immer wieder hin- und hergeschoben wurde. Umso wichtiger ist es meiner Meinung nach, dass es heute – und das noch dazu einstimmig, das freut mich – gelingt, dieses Problem tatsächlich aus der Welt zu schaffen, und es damit zu keinen weiteren Benachteiligungen bei der Pensionsanrechnung für die Zeitsoldaten, aber auch andere öffentlich Bedienstete kommt.

Dieser Erfolg hat natürlich viele Väter und auch Mütter, wie wir schon mehrfach gehört haben. Ich bedanke mich bei allen, die dabei mitgewirkt haben, ganz besonders aber bei der Bundesheergewerkschaft der GÖD, die immer wieder auf dieses Thema hingewiesen hat, immer wieder an diesem Brett gebohrt hat, sodass es jetzt gelungen ist, diesen Erfolg zu erreichen.

Ich bedanke mich aber auch bei allen Verantwortlichen auf der Regierungsebene, dass dieses Problem noch in der laufenden Legislaturperiode gelöst werden konnte. Es ist ein weiteres Beispiel dafür, dass trotz turbulenter Zeiten, in denen wir uns befinden, viele sinnvolle Regelungen in diesen letzten Wochen noch gelungen sind und umge­setzt werden konnten. Auch das ist eine dieser sinnvollen Regelungen.

Sehr gerne werden wir daher seitens meiner Fraktion dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates unsere Zustimmung erteilen. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

18.40


Präsident Edgar Mayer: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Kollege Längle. – Bitte, Herr Kollege.

 


18.40.37

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, seien wir doch froh, dass es eine Freiheitliche Partei gibt! (Allgemeine Heiterkeit und Beifall bei der FPÖ.)

Ich zitiere: „Der“ FPÖ-„Abgeordnete zum Nationalrat Mario Kunasek, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Initiativantrag am 29. Jänner 2014 im National­rat eingebracht“, Herr Kollege. (Zwischenruf des Bundesrates Oberlehner.) Das ist über drei Jahre her. Dann macht man eine genaue Recherche und dann ist da zu lesen: „Auf Antrag des Abgeordneten Mag. Wolfgang Gerstl wurden die Verhandlungen vertagt.“ – Wie es halt so üblich ist bei der ÖVP.

Rund ein halbes Jahr später kam es dann wieder zur Debatte, und es wurde wieder vertagt. (Bundesrat Beer: Bitte, hör auf, sonst melde ich mich noch einmal!) Jetzt, dreieinhalb Jahre später, hier herauszugehen und zu behaupten, wie schön und wie toll und wie super wir das gemacht haben, hier endlich diese Ungerechtigkeit abzu­schaffen – das ist schon sehr zu hinterfragen und sicherlich nicht in Ordnung, Herr Kollege!

Dass es eine Ungerechtigkeit ist, wurde gesagt, wenigstens haben wir da jetzt eine Übereinstimmung. (Zwischenruf des Bundesrates Krusche. – Bundesrätin Grimling: Wer hat es eingebracht?) Das wäre schon längst überfällig gewesen, Herr Kollege! – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 162

18.42


Präsident Edgar Mayer: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Dr. Reiter. – Bitte, Frau Kollegin.

 


18.42.24

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Herr Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Eigentlich wollte ich gar nichts sagen, außer dass wir zustimmen. Irgendwie fühle ich mich jetzt aber so als Quotenfrau (allgemeine Heiterkeit) bei dieser Rednerliste zu diesen Angelegenheiten, und vielleicht ist es als solche meine Aufgabe, vielleicht doch etwas zu sagen.

Im Ausschuss habe ich mir noch aufgeschrieben, dass es diesen Antrag schon seit 2008 im Ausschuss gibt. (Bundesrätin Mühlwerth: Ja, genau!) Da ist also histo­risch das Verdienst der FPÖ ja noch um einige Jahre mehr zu würdigen, wenn das nicht ein Irrtum war, dass sich das schon seit 2008 hinzieht.

Es betrifft ja sehr viele Menschen, 17 000 Menschen, und so, wie ich das verstanden habe, ist es laut Gesetz noch nicht ganz genau klar, wer davon jetzt wirklich aller mit Inkrafttreten betroffen ist. Ich hoffe, dass es da nicht zu viele Brösel gibt in Bezug darauf, wer dann wirklich diese Pensionsanrechnung bekommt. Es fehlen im Gesetz auch Inkrafttretensbestimmungen. Es ist also zu hoffen, dass das Inkrafttreten möglichst zeitnahe erledigt wird und nicht ähnlich lange dauert wie die Behandlung dieses Antrags. – Danke. (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

18.43


Präsident Edgar Mayer: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Herbert. – Bitte, Herr Kollege.

 


18.43.54

Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich)|: Herr Präsident! Frau Staats­sekretärin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Vieles ist schon gesagt worden, der grundsätzlich positive Ansatz in diesem Gesetz ist uns, glaube ich, allen bewusst. Eine Unrechtsbestimmung, nämlich dass die Pensionsansprüche für Zeitsoldaten mit 30 Mona­ten gedeckelt waren und zusätzliche Zeiten nicht anerkannt wurden, ist mit dieser Novelle, so hoffe ich, Geschichte.

Was ich vollständigkeitshalber auch erwähnen möchte, ist, dass es mit der Umsetzung dieses Antrags auch zu einer Aufwertung von rund 670 Fach- und Inspektionskom­mandanten bei der Polizei kommen wird, womit erhöhten organisatorischen und administrativen Aufwendungen der Dienststellenleiter Rechnung getragen wird. Das freut mich insofern, als dieser Ansatz ja auch Teil eines ausverhandelten Pakets zwischen dem Zentralausschuss des BMI und dem Bundesminister für Inneres war, wo es darum ging, das Projekt Gemeinsam Sicher für alle Beteiligten in einem homogenen und ausgewogenen Maß auf die Beine zu stellen.

Eine Forderung, die damals noch zugesagt wurde und deren Verwirklichung noch aussteht, ist die Aufwertung der Nachtzeitguthaben. Da der Nationalrat im September ja noch eine Sitzung haben wird, gehe ich aber einmal davon aus, dass wir es vielleicht erleben werden, dass diese Forderung doch noch umgesetzt wird.

Kollege Oberlehner von der GÖD schaut schon interessiert – auch eine Frage, wo sich die GÖD anhängen kann. Dir ist die Forderung wahrscheinlich auch bekannt, es sind dir auch die Verhandlungsergebnisse vom Zentralausschuss wahrscheinlich bekannt. So gesehen würde es mich freuen, wenn wir das als Gesamtpaket, das damals verhandelt wurde, zu einem positiven Abschluss bringen könnten – wenn nicht, be­kommt, glaube ich, der Wahlkampf wahrscheinlich auch in dienstrechtlicher Hinsicht eine interessante Dimension. So weit will ich aber gar nicht gehen, ich will nichts Negatives präjudizieren.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 163

Ich freue mich, dass wir hier für den öffentlichen Dienst eine entscheidende Verbes­serung zustande gebracht haben, und hoffe, dass wir die vielen anderen Baustellen, die wir hier noch vorfinden und wo es noch viel zu tun gibt, auch bald einer guten und gerechten Lösung zuführen können. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

18.46


Präsident Edgar Mayer: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor. (Bundesrätin Grimling: Oh ja!) – Bitte, Herr Kollege Beer.

 


18.46.37

Bundesrat Wolfgang Beer (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Sehr geehrte Bundesräte! Ich habe extra darauf verzichtet, darauf hinzuweisen, wer 2005 in der Regierung war: Das waren die ÖVP und die Freiheitliche Partei. (Bundesrat Längle: Das war das BZÖ, Herr Kollege!) Im Jahr 2005 wurde dieses Gesetz von diesen beiden Parteien geändert, was den Bediensteten zum Nachteil gereicht hat. (Bundesrätin Mühlwerth: Ja, das war das BZÖ!)

Sie stellen sich dann hier her und sagen: Gott sei Dank gibt es die Freiheitliche Partei, die das jetzt verändert hat! – Nein, sie hat das ja überhaupt erst eingeführt! Sie hat es eingeführt, dadurch haben wir überhaupt den Schlamassel! (Bundesrat Rösch: Es ist zwar falsch, aber es ist wurscht!) Wäre das damals von euch nicht eingeführt worden, dann hätten wir uns das heute erspart. (Beifall bei der SPÖ.)

18.47


Präsident Edgar Mayer: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Kollege Herbert. – Bitte.

 


18.47.53

Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich)|: Eigentlich wollte ich mich heute nicht mehr zu Wort melden, aber Kollege Beer hat mich da quasi indirekt heraus­gefordert, da muss ich schon zwei Dinge richtigstellen: 2005, als dieses Gesetz beschlossen wurde, war nicht die FPÖ in der Regierung, sondern das BZÖ. (Heiterkeit bei ÖVP und SPÖ. – Rufe und Gegenrufe zwischen Bundesräten von SPÖ und FPÖ. – Präsident Mayer gibt das Glockenzeichen.) – Nicht aufgeregt sein, Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eh bald aus!

Das mag vielleicht bei manchen eine fraktionelle Unschärfe darstellen, Fakt ist aber, dass, wie ich gesagt habe, nicht die Freiheitliche Partei diesen Gesetzentwurf oder diese Schlechterstellung für die Beamten zu verantworten hat, sondern einzig und allein die ÖVP und das damals mitregierende BZÖ.

Zum Zweiten, meine Damen und Herren von der SPÖ, wenn es Ihnen so ein großes Anliegen gewesen wäre, diese Unrechtsbestimmung – was sie ja zweifellos ist, da bin ich ganz bei Ihnen – zu beseitigen: Sie hätten zwölf Jahre Zeit gehabt, das zu ändern, zwölf Jahre Regierungsbeteiligung! (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Rösch: Warum habt ihr es nicht geändert? – Weitere Zwischenrufe bei SPÖ und FPÖ.) Kollege Beer, zwölf Jahre! Was hast du in den zwölf Jahren gemacht? Darum finde ich es einiger­maßen verwegen, sich herauszustellen, uns nicht nur einer falschen Regierungs­beteili­gung zuzuordnen, sondern auch noch zu sagen: Ihr seid schuld, dass das damals so beschlossen wurde!

Ich lade Sie, Kollege Beer, und auch die anderen Mitglieder der Fraktionen der Regie­rungsparteien ein, da den Finger, mit dem Sie gerne auf die anderen zeigen, auf sich selbst zu richten. Ihr habt es in den letzten Jahren zu verantworten gehabt, was alles nicht umgesetzt wurde! (Bundesrat Novak: Das ist ja wie bei der Hypo! – Weitere Zwischenrufe bei ÖVP, SPÖ, FPÖ und Grünen.) Darum denke ich, solche An­schuldigungen ...

 



BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 164

Präsident Edgar Mayer: Bitte, am Wort ist Kollege Herbert! – Danke.

 


Bundesrat Werner Herbert (fortsetzend): Gehen wir gemeinsam daran, die Verbesse­rungen für den öffentlichen Dienst auch tatsächlich sicherzustellen. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

18.49


Präsident Edgar Mayer: Gibt es dazu weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen. (Unruhe im Sitzungssaal.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte darum, das Ganze jetzt wieder auf einen normalen Pegel zurückzufahren.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

18.50.4025. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das E-Government-Gesetz geändert wird (2227/A und 1765 d.B. sowie 9860/BR d.B.)

 


Präsident Edgar Mayer: Nun kommen wir zu Tagesordnungspunkt 25.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Seeber. Ich bitte um den Bericht.

 


18.50.58

Berichterstatter Robert Seeber: Hohes Präsidium! Frau Staatssekretär! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich darf den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den Beschluss des Nationalrates vom 29. Juni 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das E-Government-Gesetz geändert wird, zur Kenntnis brin­gen.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor; ich komme daher gleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Juli 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsident Edgar Mayer: Ich danke für den Bericht, Herr Kollege.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Raml. – Bitte, Herr Kollege.

 


18.51.50

Bundesrat Mag. Dr. Michael Raml (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit werde ich mich kurz fassen und lade auch meine Nachrednerinnen oder Nachredner ein, es mir gleichzutun.

Wir begrüßen grundsätzlich die Änderungen im E-Government-Gesetz, werden aber heute gegen den Gesetzesbeschluss stimmen, und zwar aus drei Gründen:

Erstens werden die sogenannten Zertifikate und die identitätsstiftenden Daten von Vertrauensdiensteanbietern, das sind private Unternehmen, verwaltet. Wir hätten uns gewünscht, dass das in der öffentlichen Hand, zum Beispiel beim BMI, bleibt.


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 165

Zweitens ist im E-Government-Gesetz vorgesehen, dass das Ganze auf Freiwilligkeit basiert. Wenn wir aber Freiwilligkeit annehmen, verstehen wir darunter, dass man in so ein System hineinoptieren muss. Tatsächlich muss man aber mit diesem Geset­zes­beschluss hinausoptieren.

Zum Dritten hätten wir uns gewünscht – das ist eine technische Geschichte, auf die will ich gar nicht näher eingehen –, dass eine verpflichtende zweifache Codierung von Abfragen im Gesetz vorgesehen ist. Das BKA hat uns die Auskunft gegeben, dass das zwar grundsätzlich in der Praxis so läuft, wir hätten das aber gerne auch im Gesetz gehabt.

Aus diesen Gründen lehnen wir den Gesetzesbeschluss ab.

Ich wünsche euch allen an dieser Stelle einen schönen und erholsamen Sommer! (Allgemeiner Beifall.)

18.53


Präsident Edgar Mayer: Als Nächster ist Kollege Beer zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Kollege.

 


18.53.30

Bundesrat Wolfgang Beer (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Sehr geehrte Bundesräte! Man muss immer hinterfragen, warum das überhaupt notwendig ist. – Weil es dazu eine EU-Richtlinie gibt. In Wirklichkeit werden die Bürgerkarte und die Handy-Signatur zur E-ID, einem elektronischen Identitätsnachweis.

Die schwierige Aufgabe war es aber, diese E-ID vor missbräuchlicher Verwendung zu schützen und so benutzerfreundlich wie möglich zu gestalten. Ich glaube nicht, dass es ein Nachteil ist, dass man hinausoptieren muss, wenn man diese E-ID-Karte nicht haben möchte.

Grundsätzlich wird, wenn man in Zukunft einen neuen Reisepass beantragt – jetzt gibt es nur einen Probebetrieb –, diese E-ID-Karte automatisch ausgestellt. Wie die For­mulare aussehen werden, wissen wir noch nicht, es ist alles noch im Entstehen; man kann bei der Beantragung aber auf alle Fälle bekannt geben, dass man die E-ID-Karte nicht möchte.

Die E-ID-Karte wird länderübergreifend Gültigkeit haben. Es werden die Menschen, die diese Karte, diesen Ausweis besitzen, die Möglichkeit haben, die Weitergabe ihrer Daten zu beschränken und ganz genau einzugrenzen. Man hat auch die Möglichkeit, nachzusehen, was alles protokolliert wurde. Das kann man als Inhaber dieser Karte machen. Dazu braucht man keine Behörde, sondern man kann selbst, persönlich jederzeit nachschauen.

Es wird dadurch also Erleichterungen im digitalen Bereich und die Vernetzung in Euro­pa geben, und das bringt uns in puncto modernes Österreich wieder ein Stückchen weiter. (Beifall bei der SPÖ.)

18.55


Präsident Edgar Mayer: Als Nächste ist Frau Bundesrätin Dr. Dziedzic zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


18.56.04

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrte Frau Staatssekre­tärin! Werter Präsident! Kollegen, Kolleginnen! Als Kind der Achtzigerjahre, das dann in den Neunzigerjahren die neu gewonnene Freiheit in Europa, sich überall niederlassen zu können, sehr genoss, ist Europa tatsächlich so etwas wie meine Heimat. Ich sage das auch deshalb, weil mir jegliche Maßnahme, die sozusagen zu einer Identifikation


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 166

mit diesem Europa beiträgt, sehr am Herzen liegt; aber – und hier komme ich zum Aber – diese Identifikationskarte ist es noch nicht. Weshalb?

Laut Entwurf wird bei der Ausstellung eines neuen Reisepasses automatisch eine Registrierung vorgenommen. Diese sollte unserer Meinung nach auf freiwilliger Basis erfolgen und nicht unter Zwang. Ob es einen polizeilichen Zugriff auf diese Daten und die Logdateien geben wird, bleibt im Entwurf auch offen. Eine explizite Ausnahme wäre aus unserer Sicht wünschenswert.

Weiters: Für die Feststellung der Identität sind Daten wie Mobiltelefonnummer und E-Mail-Adresse definitiv nicht notwendig. Zudem wissen wir, dass diese zu den sogenannten fluiden Daten gehören, die sich häufig ändern.

Weiters: Die erhobenen Daten und deren Protokollierung, die Sie erwähnt haben, bergen für uns die Gefahr einer zentralen Beobachtungsstelle. Die Logdateien geben Auskunft über Nutzer- und Nutzerinnenverhalten, das können wir nicht verneinen. Die Dienstleister – auch das ist uns wichtig – mit Interessenkonflikten wären oder sind zu exkludieren. Schlussendlich ist im Gesetz vorgesehen, die Stammzahlenregister­be­hörde soll sich selbst beaufsichtigen – Kontrolle sieht bekannterweise anders aus.

In diesem Sinne: Europa sollte nicht nur Freiheit bedeuten, sondern auch Rechts­sicher­heit, und gerade bei dieser BürgerInnenkarte gibt es noch ein paar Dinge, die aus unserer Sicht nachgeschärft werden müssen. Deshalb gibt es vorläufig keine Zustim­mung von uns.

Da das die letzte Sitzung ist, nicht nur vor dem Sommer, sondern auch in diesem Saal, wünsche ich natürlich auch gute Erholung und vielleicht ein wenig andere Perspektiven über den Sommer. – Danke. (Allgemeiner Beifall.)

18.58


Präsident Edgar Mayer: Als Nächster ist Bundesrat Köck zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


18.58.58

Bundesrat Ing. Eduard Köck (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge­ehrte Zuseher und Zuhörer! Das E-Government-Gesetz ist ein Teil des EU-eGovern­ment-Aktionsplans 2016–2020, den wir hier in Österreich umsetzen. Ziele dieses Aktionsplans sind eine Modernisierung der öffentlichen Verwaltung, die Umsetzung des digitalen Binnenmarktes und eine qualitativ hochwertige Dienstleistung für Bürger und Unternehmen.

Ich denke, dieser neue elektronische Identitätsnachweis wird in Zukunft für jeden selbstverständlich sein. Auch wenn wir hin und wieder etwas davor Angst haben, wie uns die Informationstechnologie im alltäglichen Leben umschließt, wird das in Zukunft doch immer selbstverständlicher werden. Unsere Jungen wachsen mit einer Selbstver­ständlichkeit damit auf, sodass wir uns dem nicht entgegensetzen können und, denke ich, auch nicht entgegensetzen sollen.

Wir Österreicher wollen, dass unser Land ein modernes ist, wir reden ja auch immer davon, ein bisschen wie Silicon Valley sein zu wollen, und da können wir, denke ich, einen derartigen Schritt nicht verhindern. Natürlich sind mit diesem elektronischen Identitätsnachweis immer Ängste verbunden, dass Daten eventuell in falsche Hände gelangen könnten. Das kann natürlich immer sein, und man kann ein Gesetz natürlich auch immer besser machen, aber der Datenschutzrat, in dem ja alle Parteien vertreten sind, hat in seiner Sitzung am 22. Mai 2017 einstimmig festgestellt, dass dieses Gesetz ein gutes Gesetz ist. In seiner abschließenden Feststellung heißt es:


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 167

„Der Schutz digitaler Identitäten ist zentrale Voraussetzung für das Funktionieren eines digitalen europäischen Binnenmarktes. Die Einrichtung eines elektronischen Identitäts­nachweises (E-ID) nach dem E-Government-Gesetz stellt daher ebenso eine Notwen­digkeit dar (…)“.

Wie gesagt, da sitzen auch Vertreter von FPÖ und Grünen drinnen, und die alle haben das dort als gut erachtet. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Ich denke, so hätte man das auch hier machen können, aber natürlich müsst ihr hin und wieder auch ein bisschen Theaterdonner machen, sonst kann man euch ja von uns nicht differenzieren. So sehen wir das heute. Ich denke, der Datenschutzrat hat hier eine ganz gute Stellung­nahme abgegeben. Deshalb können wir dieses Gesetz ruhigen Gewissens umsetzen.

Auch von meiner Seite muss ich sagen, es ist doch ein historischer Punkt heute: Ich bin der letzte Debattenredner im letzten Plenum in diesem historischen Saal. Wenn wir uns nächstes Mal in diesem Haus sehen, werden wir ganz woanders sein. Wir müssen den von uns liebgewonnenen Saal jetzt verlassen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche euch einen schönen Sommer! – Danke. (Allgemeiner Beifall.)

19.02

19.02.10

 


Präsident Edgar Mayer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Die Tagesordnung ist erschöpft.

19.02.33Einlauf

 


Präsident Edgar Mayer: Ich gebe noch bekannt, dass seit der letzten beziehungs­weise in der heutigen Sitzung insgesamt eine Anfrage, 3252/J-BR/2017, eingebracht wurde.

*****

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Wege erfolgen. Als Sitzungstermin wird Donnerstag, 5. Oktober 2017, 9 Uhr, in Aussicht genom­men.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen insbesondere jene Beschlüsse in Be­tracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit diese dem Ein­spruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Ausschussvorberatungen sind für Dienstag, den 3. Oktober 2017, 14 Uhr, vorge­sehen.

*****

Bevor ich die Sitzung schließe, möchte ich noch ein paar Worte an Sie richten. Herr Köck und andere haben es schon angesprochen: Es ist wirklich ein Abschied von diesem historischen Bundesratssaal, der uns so vertraut geworden ist. Wir werden,


BundesratStenographisches Protokoll871. Sitzung / Seite 168

wenn wir zurückkehren – meine Wenigkeit nicht, das kann ich vorausschicken –, im Budgetsaal unseren neuen Sitzungssaal haben. Der neue Saal wird größer, offener, breiter sein, auch mehr Platz für Zuschauer, mehr Schutz und mehr Sicherheit bieten. Es wird also sicherlich eine Aufwertung, was den Sitzungssaal anbelangt, das konnten wir im Nutzerbeirat erreichen.

Ich darf auch noch im Namen der Parlamentsdirektion allen für das Verständnis und das Entgegenkommen danken. Wir mussten jetzt doch einiges an Improvisation zur Kenntnis nehmen, was Ausschusslokale und Unterbringung anbelangt. Dafür bedanke ich mich auch im Namen der Parlamentsdirektion.

Frau Staatssekretärin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche einen schönen, erholsamen Sommer. Danke, es hat mich sehr gefreut. (Allgemeiner Beifall.)

Die Sitzung ist geschlossen.

19.04.18Schluss der Sitzung: 19.04 Uhr

 

Impressum:

Parlamentsdirektion

1017 Wien