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Stenographisches Protokoll

 

 

 

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859. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

 

Dienstag, 25. Oktober 2016

 

 


Stenographisches Protokoll

859. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Dienstag, 25. Oktober 2016

Dauer der Sitzung

Dienstag, 25. Oktober 2016: 9.04 – 14.56 Uhr

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Tagesordnung

1. Punkt: Erklärung des Ersten Vizepräsidenten des Ausschusses der Regionen Karl-Heinz Lambertz gemäß § 38a GO-BR zum Thema „Die Rolle der Regionen in der europäischen politischen Agenda“

2. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Versorgungssicherungsgesetz 1992 geändert wird

3. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Mineralrohstoffgesetz geändert wird

4. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Maschinen-Inverkehrbringungs- und Notifizie­rungsG – MING geändert wird

5. Punkt: Bundesgesetz über die Qualifikationsbezeichnungen „Ingenieurin“ und „Inge­nieur“ (Ingenieurgesetz 2017 – IngG 2017)

6. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Hochschülerinnen- und Hochschüler­schafts­gesetz 2014 und das Fachhochschul-Studiengesetz geändert werden

7. Punkt: Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Irak andererseits

*****

Ergänzung der Tagesordnung ........................................................................................ 36

8. Punkt: Antrag der Bundesräte Mario Lindner, Mag. Ernst Gödl, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamenta­ri­schen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema „#DigitaleCourage“ (221/A-BR/2016)

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Inhalt

Bundesrat

Schreiben des Generalsekretärs für auswärtige Angelegenheiten gemäß Artikel 50 Abs. 5 Bundes-Verfassungsgesetz betreffend Erteilung der Vollmacht


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 2

zur Aufnahme von Verhandlungen über einen Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Republik Kolumbien über die wechselseitige Vollziehung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen durch das gemäß Artikel 64 Abs. 1 BV-G die Funktionen des Bundespräsidenten ausübende Präsidium des Natio­nalrates ........................................ 32

Absehen von der 24-stündigen Frist für das Aufliegen der gegenständlichen schriftlichen Ausschussberichte gemäß § 44 (3) GO-BR ................................................................................................. 35

Antrag der Bundesräte Mario Lindner, Mag. Ernst Gödl, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen, den Selbständigen Antrag 221/A-BR/2016 der Bundesräte Mario Lindner, Mag. Ernst Gödl, Mag. Nicole Schreyer, Kollegin­nen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema „#DigitaleCourage“ gemäß § 16 Abs. 3 GO-BR ohne Vorberatung durch einen Ausschuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen – Annahme ...............................................  35, 36

Personalien

Verhinderungen ................................................................................................................ 6

Fragestunde (169.)

Bildung ............................................................................................................................ 6

Ana Blatnik (1887/M-BR/2016); Martin Preineder, Rosa Ecker, Mag. Nicole Schreyer

Sonja Zwazl (1891/M-BR/2016); Stefan Schennach, Mag. Reinhard Pisec, BA, Dr. Heidelinde Reiter

Monika Mühlwerth (1886/M-BR/2016); Marianne Hackl, Mag. Susanne Kurz, Mag. Dr. Ewa Dziedzic

David Stögmüller (1890/M-BR/2016); Josef Saller, Ing. Hans-Peter Bock, Monika Mühlwerth

Adelheid Ebner (1888/M-BR/2016); Ferdinand Tiefnig, Hans-Jörg Jenewein, MA, Mag. Nicole Schreyer

Angela Stöckl-Wolkerstorfer (1892/M-BR/2016); Inge Posch-Gruska, Mag. Micha­el Raml, Dr. Heidelinde Reiter

Christoph Längle (1894/M-BR/2016); Peter Oberlehner, Mag. Michael Lindner, Mag. Dr. Ewa Dziedzic

Renate Anderl (1889/M-BR/2016); Anneliese Junker, Rosa Ecker, David Stögmüller

Gregor Hammerl (1893/M-BR/2016); Elisabeth Grimling, Monika Mühlwerth, David Stögmüller

Bundesregierung

Vertretungsschreiben ..................................................................................................... 34

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse ............................................................................ 35


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 3

Ausschüsse

Zuweisungen .................................................................................................................. 35

Verhandlungen

1. Punkt: Erklärung des Ersten Vizepräsidenten des Ausschusses der Regionen Karl-Heinz Lambertz gemäß § 38a GO-BR zum Thema „Die Rolle der Regionen in der europäischen politischen Agenda“                   36

Erster Vizepräsident des Ausschusses der Regionen Karl-Heinz Lambertz ....... 37

Durchführung einer Debatte gemäß § 38a GO-BR ....................................................... 44

Redner/Rednerinnen:

Edgar Mayer ............................................................................................................ ..... 44

Stefan Schennach ................................................................................................... ..... 47

Gerhard Dörfler ....................................................................................................... ..... 49

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ..... 52

Mag. Klaus Fürlinger .............................................................................................. ..... 54

Inge Posch-Gruska ................................................................................................. ..... 56

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ..... 58

Mag. Nicole Schreyer ............................................................................................. ..... 61

Erster Vizepräsident des Ausschusses der Regionen Karl-Heinz Lambertz ....... 64

Gemeinsame Beratung über

2. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 12. Oktober 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Versorgungssicherungsgesetz 1992 geändert wird (1261 d.B. und 1276 d.B. sowie 9647/BR d.B.)          ............................................................................................................................... 68

Berichterstatterin: Marianne Hackl ................................................................................ 68

3. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 12. Oktober 2016 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Mineralrohstoffgesetz geändert wird (1249 d.B. und 1277 d.B. sowie 9648/BR d.B.)                       68

Berichterstatterin: Marianne Hackl ................................................................................ 68

4. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 12. Oktober 2016 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Maschinen-Inverkehrbringungs- und Notifizie­rungsG – MING geändert wird (1259 d.B. und 1278 d.B. sowie 9649/BR d.B.) ................................................................................................................. 68

Berichterstatterin: Marianne Hackl ................................................................................ 68

Redner/Rednerinnen:

Dr. Magnus Brunner, LL.M .................................................................................... ..... 69

Günther Novak ........................................................................................................ ..... 70

Gerd Krusche .......................................................................................................... ..... 71

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ..... 72

Ing. Andreas Pum ......................................................................................................... 73

Ing. Hans-Peter Bock ................................................................................................... 74

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 2, 1. gegen den vor­liegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben und 2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 44 Abs. 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen ...................... 75


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 4

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 3, gegen den vorlie­genden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................... 75

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 4, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................... 76

5. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 12. Oktober 2016 betreffend ein Bun­desgesetz über die Qualifikationsbezeichnungen „Ingenieurin“ und „Inge­nieur“ (In­genieurgesetz 2017 – IngG 2017) (1254 d.B. und 1279 d.B. sowie 9650/BR d.B.) ...................................................................................... 76

Berichterstatterin: Marianne Hackl ................................................................................ 76

Redner/Rednerinnen:

David Stögmüller .................................................................................................... ..... 76

Sonja Zwazl ............................................................................................................. ..... 78

Adelheid Ebner ....................................................................................................... ..... 80

Peter Samt ............................................................................................................... ..... 81

Staatssekretär Mag. Dr. Harald Mahrer ................................................................ ..... 82

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 83

6. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 12. Oktober 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Hochschülerinnen- und Hochschülerschafts­ge­setz 2014 und das Fachhochschul-Studiengesetz geändert werden (1258 d.B. und 1281 d.B. sowie 9652/BR d.B.) ................................................ 83

Berichterstatter: Ing. Andreas Pum .............................................................................. 84

Redner/Rednerinnen:

Mag. Michael Raml ....................................................................................................... 84

Josef Saller .............................................................................................................. ..... 86

Elisabeth Grimling .................................................................................................. ..... 87

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ..... 88

Ana Blatnik .............................................................................................................. ..... 89

Staatssekretär Mag. Dr. Harald Mahrer ................................................................ ..... 90

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 91

7. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 13. Oktober 2016 betreffend Part­nerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Irak andererseits (1253 d.B. und 1264 d.B. sowie 9651/BR d.B.) .................. 91

Berichterstatter: Ing. Eduard Köck ............................................................................... 91

Redner/Rednerinnen:

Mag. Ernst Gödl ...................................................................................................... ..... 92

Hubert Koller, MA ................................................................................................... ..... 94

Christoph Längle .................................................................................................... ..... 96

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ........................................................................................... ..... 96

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 98

8. Punkt: Antrag der Bundesräte Mario Lindner, Mag. Ernst Gödl, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamen­tari­schen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema „#DigitaleCourage“ (221/A-BR/2016) ....................................................................... ..... 98


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 5

Redner/Rednerinnen:

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ..... 98

Mag. Nicole Schreyer ............................................................................................. ..... 99

Annahme des Antrages 221/A-BR/2016 ........................................................................ 99

Eingebracht wurden

Antrag der Bundesräte

Mario Lindner, Mag. Ernst Gödl, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema „#DigitaleCourage“ (221/A-BR/2016)

Anfragen der Bundesräte

Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Familien und Jugend betreffend Ergebnisse der vom Bundesministerium für Familien und Jugend organisierten High Level Global Conference am 1. und 2. Juni 2016 in Wien (3179/J-BR/2016)

David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend ÖBB Hausruckbahn (3180/J-BR/2016)

Sandra Kern, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend Vorwurf der Zweiklassengesellschaft in der Arbeiterkammer Niederösterreich (3181/J-BR/2016)

 


 


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 6

09.04.01Beginn der Sitzung: 9.04 Uhr

 


Präsident Mario Lindner: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolle­ginnen, liebe Kollegen! Einen wunderschönen guten Morgen!

Ich eröffne die 859. Sitzung des Bundesrates und darf ganz herzlich unsere Bil­dungsministerin Frau Dr. Sonja Hammerschmid in unserer Mitte begrüßen. Einen wunderschönen guten Morgen! (Allgemeiner Beifall.)

Das Amtliche Protokoll der 858. Sitzung des Bundesrates vom 6. Oktober 2016 ist aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gilt daher als genehmigt.

Als verhindert gemeldet sind die Mitglieder des Bundesrates Gerhard Schödinger, Robert Seeber und Mag. Gerald Zelina.

09.04.42Fragestunde

 


Präsident Mario Lindner: Wir gelangen nun zur Fragestunde.

Bevor ich jetzt – um 9.05 Uhr – mit dem Aufruf der Anfragen beginne, weise ich darauf hin, dass ich die Fragestunde im Einvernehmen mit den beiden Vizepräsidenten, um die Behandlung aller mündlichen Anfragen zu ermöglichen, auf bis zu 120 Minuten erstrecken werde.

Bundesministerium für Bildung

 


Präsident Mario Lindner: Wir kommen nun zur 1. Anfrage, 1887/M-BR/2016, an die Frau Bundesministerin für Bildung. Ich bitte die Anfragestellerin, Frau Bundesrätin Blatnik, um die Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrätin Ana Blatnik (SPÖ, Kärnten): Herr Präsident! Gospod president! Liebe Frau Bundesministerin! Draga gospa ministrica!

Meine Frage lautet:

1887/M-BR/2016

„Was sind die wesentlichen Punkte des am 18. Oktober 2016 im Ministerrat beschlos­senen Autonomiepakets?“

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglieder des Bundesrates! Auch von meiner Seite einen wun­derschönen guten Morgen. Ich darf gleich direkt auf die Frage Bezug nehmen.

Wie Sie alle wissen, haben wir aus diversen Befunden – ob das jetzt der OECD-Bericht, der Nationale Bildungsbericht oder andere Berichte sind – zwei große Heraus­forderungen in Österreich: Das ist zum einen die Bildungsvererbung, die noch sehr drastisch ausgeprägt ist, und zum anderen – wie wir wissen –, dass wir hohe Risiko­grup­pen haben, beispielsweise in Deutsch, Mathematik und in den Naturwissen­schaften. Das heißt, viele Jugendliche können nicht sinnerfassend lesen. Das wissen wir aus den Befunden.

Wir wissen aber auch, dass die Spitzengruppen, die wirklich talentierten Jugendlichen, viel zu wenig ausgeprägt sind. Das sind so die Grunddiagnosen, die wir da haben und die wir auch adressieren müssen, um da besser zu werden: also Risikogruppen mini-


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mieren und Spitzengruppen ausbauen, verdoppeln – das wäre das Ziel. Dieses Auto­nomiepaket, das wir letzte Woche verabschiedet haben, adressiert das in jedem seiner Punkte.

Wie schaut dieses Autonomiepaket ganz grob skizziert aus? – Es ermöglicht den Schulen wirklich weitgehenden Gestaltungsspielraum. Wir geben den Schulen die Freiheit, vor Ort pädagogisch, organisatorisch, personell, finanziell zu gestalten, weil wir davon überzeugt sind, dass unsere Lehrerinnen und Lehrer, unsere Direktorinnen und Direktoren sehr genau wissen, was unsere Kinder brauchen, auch sehr genau wissen, wie quasi die Verfasstheit in den Regionen ist, um diese Themen auch vor Ort zu bearbeiten und bestmöglich zu gestalten. Das heißt, wir machen Freiräume auf. Das ist es im Wesentlichen.

Die Eckpfeiler dieses Autonomiepakets sind folgendermaßen: Wir schaffen die Mög­lichkeit zur Clusterbildung. Wir wissen, dass wir in Österreich ein sehr, sehr klein­teiliges Schulsystem haben. Wir wissen, dass mehr als 70 Prozent unserer Pflicht­schulen weniger als 200 Schülerinnen und Schüler haben. Wir wissen, dass 16 Pro­zent der Bundesschulen weniger als 200 Schülerinnen und Schüler haben.

Das heißt, hier ist die Möglichkeit zu schaffen, dass sich Schulen zusammenschließen können: zwei bis maximal acht Schulen. Das wird auch sehr stark in den Regionen abzustimmen sein. Das ist nichts, was wir von oben verordnen, sondern das soll aus den Regionen heraus wachsen, aus den Bedarfen der Regionen heraus wachsen, nämlich diese Verbünde zu schaffen.

Die einzelnen Schulen werden zusammengefasst, bekommen auch einen Clusterleiter vor Ort. An den einzelnen Schulstandorten bleiben Standortleiter implementiert – das sind die jetzigen Direktorinnen und Direktoren, die ja weiter koordinativ tätig sind und die dort weiter pädagogisch gestalten.

Wir wollen – und das möchte ich wirklich betonen – keine Kleinschulen abschaffen, sondern der Cluster ist genau die Möglichkeit, diese Kleinschulen zu erhalten und besser zu gestalten. In dem Cluster kann der Clusterleiter jetzt aber mit den vor­han­denen Ressourcen anders agieren, weil er einen Pool an Pädagoginnen und Päda­gogen hat. Und er kann zum Beispiel diese Pädagoginnen und Pädagogen wieder das tun lassen, was sie gut können, nämlich ihren erlernten Fachberuf auszu­üben, wieder jene Fächer zu unterrichten, für die sie ausgebildet sind, und nicht mehr fachfremd zu unterrichten.

Es ist dann auch keine Pädagogin, kein Pädagoge mehr an einem kleinen Schul­standort völlig alleingelassen, an dem er sich nicht austauschen kann, sondern es ist dieses Netzwerk an Pädagoginnen und Pädagogen gegeben; der Austausch unter Pädagoginnen und Pädagogen ist ein ganz wichtiger Punkt in diesem Clusterpaket.

Was mit dem Cluster aber auch mitkommt, sind Infrastrukturnutzungen, die viel effi­zienter machbar sind. Es muss dann nicht jede Schule ihren Turnsaal bauen, sondern es können Turnsäle, infrastrukturelle Möglichkeiten und Freizeitplätze einfach gemein­sam genutzt und auch gestaltet werden, und das ermöglicht Spielräume, massive Spielräume.

Was da noch mitkommt, ist, dass mit dem Clusterpaket natürlich auch die Durch­gängigkeit zwischen den Schulstufen adressiert wird, denn darüber hinaus: Cluster können sich wiederum zu einem Campus in der Stadt und in den urbanen Regionen oder zu einer Bildungsregion zusammentun; das heißt, dass auch Kindergärten in diesen Verbund mitaufgenommen werden können. Andere Schultypen – alles, was es in der Region braucht und was für das Thema Schule gut ist – können in diese Bildungsregion aufgenommen werden.


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Das, was ich mir erwarten würde, ist, dass sich diese Bildungsregion oder dieser Campus in den urbanen Regionen viel stärker vernetzt, auch mit der Gemeinde, mit der Kommune, dass er auch Ideen und Problemfelder aus der Kommune aufnimmt, zur Bearbeitung an den Schulen beispielsweise, sich auch stärker mit der Wirtschaft vernetzt, um auch Anforderungen, die seitens der Wirtschaft da sind, stärker im Schulkonzept und in den Schulstrategien abzubilden. Also diese Verankerung in den Regionen wird mit diesem Bildungsregionspaket, das die Cluster wieder zusam­men­fasst und im Rahmen dessen man auch Pflichtschulen und Bundesschulen clustern kann, ermöglicht. Da erhoffe ich mir eine sehr viel intensivere Zusammenarbeit und eine Strategieentwicklung in der Bildungsregion, im Campus, passend zur Region. Das ist damit aufgemacht.

Die autonome Unterrichtsorganisation ist ein weiterer Punkt. Da flexibilisieren wir weitgehend, um Unterricht auch wirklich neu gestalten zu können, neu denken zu können. Ich hebe hier immer als Beispiel hervor, dass wir eigentlich viel, viel stärker themenspezifisch unterrichten, projektorientiert unterrichten müssen, weil wir in der Zukunft auch andere Skills brauchen, die mit dem – unter Anführungszeichen – „normalen“ Unterricht in dieser Form nicht adressiert werden können.

Was meine ich damit? – Ich stelle mir vor, dass unsere Schulen zum Beispiel beim Thema Klimawandel gemeinschaftlich unterrichten, dass der Geografielehrer sich gemeinsam mit dem Biologielehrer, mit dem Chemiker, mit dem Mathematiker das Thema Klimawandel im Zusammenhang mit den Schülerinnen und Schülern überlegt, vielleicht in größerer Runde einen Input gibt, um dann die Kinder und Jugendlichen in Kleingruppen am Thema, an Fragestellungen arbeiten zu lassen, die erarbeiteten Lösungs­vorschläge in einem größeren Plenum wieder zusammenbringt, um Zusam­menhänge viel, viel besser zu vermitteln. Das adressiert Skills wie Problemlösungs­orientierung, Selbstorganisation, Teamfähigkeit, auch, kreativ zu denken, neugierig zu sein, und, einfach dieses Lernen zu lernen. Das steht da ganz stark dahinter.

Es sind ganz andere Skills, die in der Zukunft ganz stark gefordert werden. Diese kann man mit themenspezifischem Unterricht, projektspezifischem Unterricht in vielerlei Gestaltung ermöglichen. Da muss man aber aufmachen, da muss man die 50-Minuten-Grenze aufmachen, da muss man auch Klassengrößen und Teilungszahlen auf­machen. Das muss man gestalten können. Wir wollen da keineswegs Ressourcen herausziehen, sondern wir wollen Gestaltungsmöglichkeiten geben. Die Pädagoginnen und Pädagogen sollen wirklich neu denken können. Sie sind dafür ausgebildet, sie wissen, was zu tun ist. Also da in der Organisation entsprechende Freiheiten zu geben, das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt.

Was ich aber wirklich betonen möchte, ist die Ressourcenausstattung an den Schulen: Die Berechnungsgrundlagen bleiben unverändert, aber die Gestaltung mit den Res­sourcen ist dann an den Schulstandorten frei.

Der Punkt Auswahl der Lehrkräfte ist ja schon massiv durch die Medien gegeistert. Wenn wir so unterrichten, wenn wir themenspezifisch unterrichten, wenn wir sehr viel interdisziplinärer unterrichten, Schwerpunkte setzen, dann muss der Schulleiter, die Schulleiterin auch die Möglichkeit haben, Teams zu gestalten – im besten Sinne. Deshalb wollen wir dieses Entscheidungsrecht, sich an den Schulstandorten Lehre­rinnen und Lehrer auch wirklich aussuchen zu können.

Wir wissen, dass es in einigen ländlichen Regionen, in abgelegenen Regionen an der einen oder anderen Schule damit Probleme geben könnte. Deshalb bleibt auch die Behörde in der Verantwortung. Überall dort, wo das gut gelingt, wo es mehrere Bewer­berinnen und Bewerber für einen Schulstandort gibt, soll der Direktor, die Direktorin gemeinsam mit dem Kollegium auswählen. Überall dort, wo sich niemand meldet,


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muss die Behörde nachsteuern. Es darf keine Schule ohne Lehrerin, ohne Lehrer enden. Das darf nicht sein. Das heißt, die Behörde hat nach wie vor eine steuernde Funktion.

Was auch nicht vergessen werden darf: Die Verwaltungsteile bleiben in der Behörde. Das Anstellungsverhältnis bleibt in der Behörde, sonst müssten wir jeden einzelnen Schulstandort mit einer riesigen Personalverwaltung ausstatten, die dann am Standort erfolgt. Das wäre die falsche Lösung. Das heißt, das Anstellungsverhältnis, das Dienst­verhältnis bleibt bei der Behörde implementiert; das wird dort gesteuert, und auch die Kriterien bei der Formalauswahl werden von der Behörde her adressiert.

Die Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte ist auch ein wesentlicher Punkt. Gerade wenn es um neue Pädagogik geht, wenn es um neue Lern- und Lehrkonzepte geht, wird die Fort- und Weiterbildung der Pädagoginnen und Pädagogen auch ein ganz wesentliches Thema sein. Wir gehen weg davon, dass sich einzelne Lehrerinnen und Lehrer – so war es ja weitgehend der Fall – einfach an den Pädagogischen Hoch­schulen Kurse aussuchen und diese dann absolvieren. Wir gehen hin zu einem viel stärker standortgesteuerten Weiterbildungssystem, in dem die Weiterbil­dungs­möglich­keiten von der Schule her breit definiert werden, vom Kollegium definiert werden, vom Direktor, von der Direktorin definiert werden. Sie können direkt bei der Pädagogischen Hochschule, zugeschnitten auf ihre Fragestellungen und auf ihre Problemfelder, Unterstützungsmaßnahmen, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen anfordern. Diese finden dann in Form von SCHÜLFs und SCHILFs an den Schulstandorten direkt statt, also das wird in Zukunft sehr viel stärker an den Bedarfen des Schulstandortes orientiert, zugeschnitten auf die jeweiligen Problemfelder, stattfinden.

Die Qualifikation der Schulleiterinnen und Schulleiter und auch der Objektivierungs­prozess sind das nächste Thema. Wenn wir das Autonomiepaket in der Breite imple­mentieren, heißt das auch für den Schulleiter, für die Schulleiterin, für den Clusterleiter, für die Clusterleiterin, echte Führungskraft zu sein, die die Personalentwicklung und die Schulentwicklung machen, die Organisation gestalten und die pädagogischen Kon­zepte entwickeln muss. Das ist ein anderes Berufsbild. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir diese Schulleiterinnen und Schulleiter ausbilden. Wir dürfen sie dabei nicht alleinlassen, wir müssen sie ausbilden.

Dazu sind jetzt schon Teile von Ausbildungskonzepten an Pädagogischen Hoch­schulen implementiert, aber das müssen wir weiter gestalten, für die neuen Anforde­run­gen an den Schulen ausbauen, um da treffsicher zu sein und die Direktoren ent­sprechend zu unterstützen. Daran wird intensiv gearbeitet.

Die DirektorInnenauswahl ist der nächste Punkt. Da wollen wir sehr viel transparenter und sehr viel objektivierter arbeiten. Wir haben zurzeit den Fall, dass es in den Bun­des­ländern komplett unterschiedliche Auswahlverfahren gibt, die in keinster Weise miteinander vergleichbar sind. Da wollen wir wirklich einen einheitlichen, standardisier­ten Rahmen mit klaren Kriterien, mit klaren Anforderungsprofilen hinterlegen. Wir wollen auch eine Kommission einsetzen, der durchaus, wenn es nach mir geht, auch jemand Externer, externe Experten angehören können, um das zu objektivieren. Das ist wirklich das Thema. Wir wollen ein qualitätsgesichertes, ein objektiviertes Verfahren implementieren.

Zum Unterstützungspersonal: Ja, wir haben besondere Herausforderungen an unseren Schulen, wir sind an den Schulen immer stärker gefordert. Deshalb ist es auch wichtig, dass Unterstützungspersonal treffsicher für den Standort – was der Standort eben braucht – angefordert werden kann und dass auch Unterstützungspersonal zur Verfügung steht. Deshalb wird auch da die Gestaltungsfreiheit ein Stück weit offener sein, um punktgenau zu agieren und die Schulen so auszustatten, dass sie, wenn sie


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einen Psychologen oder einen Sozialarbeiter brauchen, diesen auch bekommen. Diese Wahlfreiheit, um zu unterstützen, ist ganz wichtig.

Die Steuerungsstruktur und das Qualitätsmanagement sind auch noch ein wesent­liches Thema. Was heißt Autonomie? – Autonomie heißt Verantwortung am Schul­standort, ausgeprägte Verantwortung am Schulstandort, das heißt aber auch im Nachzug: Wir brauchen qualitätssichernde Instrumente, wir brauchen ein entsprechen­des Controlling dazu, damit wir auch sehen, ob Autonomie am Schulstandort gut gelingen kann.

Da haben wir zwei wesentliche Punkte zu adressieren: Die Schulaufsicht bekommt eine neue Rolle dahin gehend, dass sie sehr viel mehr Begleiter, Berater, Unterstützer, Mentor von Schulen sein wird, um neue Pädagogik, um Autonomie an den Standorten wirklich gut ins Leben zu bekommen und dort zu implementieren. Das ist die eine Geschichte.

Wir brauchen aber auch Controllinginstrumente im Sinne von Messung: Was passiert an den Schulstandorten? Erreichen die Kinder und Jugendlichen das Wissen, das sie haben sollten, die Kompetenzen, die sie haben sollten? Wir müssen dazu in der Dia­gnostik quasi zusätzliche Monitoringinstrumente implementieren. Wir haben ja die Bildungsstandards nach der vierten Schulstufe und in der achten Schulstufe. Da braucht es noch ein Stück mehr, aber wir sind dabei, diese Instrumente zu entwickeln, um zu sehen, ob sich die einzelnen Schulstandorte gut entwickeln. Also diese Controllinginstrumente sind noch ein Stück weit zu entwickeln.

Wir müssen zeitgleich auch Diagnostikinstrumente entwickeln – Diagnostikinstrumente, die wir den Lehrerinnen und Lehrern geben können, mit denen sie vor Ort arbeiten können, damit sie jederzeit nachschauen können, ob ihre Schülerinnen und Schüler dort sind, wo sie sie im Sinne der Kompetenzentwicklung und der Wissensentwicklung haben wollen. Da ist also noch ein Bündel an Maßnahmen zu setzen.

Zusätzlich wünsche ich mir für die Pädagogischen Hochschulen auch noch, dass sie auch noch ein Stück weit Begleiter sein werden, vor allem in der strategischen Entwicklung.

Ich merke, ich rede zu lange; ich höre schon auf. (Allgemeine Heiterkeit.) – Aber Sie sehen meine Begeisterung für dieses Paket.

 


Präsident Mario Lindner: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

 


Bundesrätin Ana Blatnik (SPÖ, Kärnten): Danke für diese ausführliche Beantwor­tung. Das Paket ist sicherlich zukunftsorientiert. Mich würde jetzt Folgendes interes­sieren: Wann startet dieses Schulautonomiepaket an den Schulen?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Ich habe gerade auch das Bild der Rahmenmaßnahmen gezeichnet, die noch gebraucht werden, damit wir Autonomie gut an unsere Schulen bekommen. Das heißt, dieses Paket ist jetzt schnellstmöglich zu entwickeln. Was wir tun wollen, ist, wirklich mit den ersten Schulen im nächsten Schuljahr durchzustarten, vor allem mit jenen Schulen, die Autonomie schon ein Stück weit implementiert haben, weil sie beispielsweise über Schulversuche schon damit gearbeitet haben. Das sind für uns die Leuchtturmschulen, mit denen wir voranschreiten sollen.

Das Modell wäre, da wirklich ein Buddy-System zu entwickeln, in dessen Rahmen ein erfahrener Schulstandort einen weniger erfahrenen in der Umsetzung coacht und begleitet. Deshalb ist das auch nichts, was von heute auf morgen passieren kann. Es


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wäre gefährlich, wenn man das einfach umstellt, sondern es muss begleitet werden und es muss gut ausgerollt werden.

Ich sage immer, meiner Ansicht nach ist das, realistisch gesehen, ein Projekt, das sich über fünf bis zehn Jahre erstreckt. Wenn wir schneller sind, bin ich die Letzte, die sich dagegen sträubt. Ich werde alles daransetzen, dass wir schneller sind, aber in der Realität müssen wir uns an einem längerfristigen Projekt orientieren, damit das in hoher Qualität ankommen kann – und das ist mir wichtig: in hoher Qualität!

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Preineder. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrat Martin Preineder (ÖVP, Niederösterreich)|: Frau Bundesminister! In Niederösterreich ist es uns sehr wichtig, die Kleinschulen vor allem in den ländlichen Regionen zu erhalten. Wird das mit diesem neuen System der Schulcluster und der Bildungsregionen auch möglich sein? Wie können Sie die Qualität vor allem bei der Auswahl der Lehrkräfte sicherstellen?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Genau das adressiert die Möglichkeit zu clustern, nämlich dass wir eben Kleinschulen wirklich erhalten können; aber wie gesagt: Mir ist wichtig, dass auch die PädagogInnen, die in solchen Kleinstschulen arbeiten, nicht irgendwie allein auf weiter Flur und verlorenem Posten stehen, sondern dass sie in einem Cluster integriert werden, in dem sie sich auch austauschen können, in den man aber auch einmal einen Lehrer hinschicken kann, der in Mathematik oder Physik ausgebildet ist, und in dem die Person nicht völlig fachfremd unterrichten soll; das ist ja auch das Ziel dieses Clusters. Da liegt ja das Qualitätsthema drinnen, dass wir da mit den Personalressourcen einfach viel besser arbeiten können.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ecker. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrätin Rosa Ecker (FPÖ, Oberösterreich): Bis wann ist die Umsetzung der weiteren Punkte, wie zum Beispiel die Verwaltungsreform beziehungsweise die Schaffung von Bildungsdirektionen, geplant?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Das Herzstück all dieser Dinge war das Autonomiepaket, denn nur, wenn wir wissen, wie das Autono­miepaket funktioniert, können wir all die anderen Dinge dazubauen – wenn ich das einfach so sagen darf –, weil das natürlich auf die Behördenstruktur Einfluss hat. Ich habe es bereits erwähnt: Die Schulaufsicht bekommt jetzt eine andere Rolle, eine andere Bedeutung. Das hat sich ja auch aus der Entwicklung dieses Autonomiepakets ergeben. Das heißt, wir haben damit das Herzstück definiert, und jetzt können wir auch alle anderen Teile der Bildungsreform andocken, sodass diese Systeme dann auch zusammenpassen. Das heißt, wir sind in all den Themen intensiv am Arbeiten, um sie jetzt schnell nachzuziehen.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Schreyer. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Meine Zusatzfrage ist: Welche genauen Mitbestimmungsrechte werden die SchulpartnerInnen künftig bei wesent­lichen und detaillierten Fragen der Gestaltung des Schulalltags haben, zum Beispiel beim Unterrichtsbeginn oder eben spezifisch bei der Auswahl der Lehrfächer oder bei den Gruppengrößen? Wie soll das genau ablaufen? Wie genau sollen die Cluster, die


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Sie vorher schon groß erklärt haben, initiiert werden? Gibt es da Beauftragte oder BeraterInnen vor Ort oder müssten da die DirektorInnen wirklich immer selbst tätig werden und sich dabei eigentlich fast selbst beschneiden und einschränken?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Zu den Clustern: Das wird in der Tat an die Regionen und die Bundesländer delegiert, aber dort brennen witzigerweise schon sehr viele darauf, dass sie das endlich tun können. Da nehme ich schon sehr viel Positives wahr, insbesondere in der Steiermark, wo man auf diese Clusterbildung schon vorbereitet ist. Im Burgenland gibt es jetzt schon einige wenige Cluster, wo das schon ausprobiert wurde.

Dabei kann sich aber das Land gemeinsam mit den Schulstandorten neu gestalten, muss ich sagen. Es wäre schlecht, wenn wir das verordnen würden; das wäre ganz falsch. Das muss aus den Regionen, das muss aus den Ländern kommen. Da habe ich also wenig Sorge, dass das nicht kommt, weil ich da eben schon vieles höre, was unterwegs ist und schon überlegt wird.

Zu den Mitbestimmungsrechten: Wenn wir sagen, Autonomie ermöglicht weitgehende Handlungsfreiheit am Standort, an der Schule und in den Clustern, dann heißt das meiner Meinung nach auch, dass durch die Direktion wirklich Verantwortung getragen wird, und das heißt meiner Ansicht nach auch, dass Konsequenzen getragen werden. Was macht man – wenn wir das logisch denken und den Gedankengang weiter­spinnen –, wenn etwas am Schulstandort nicht passt? Haftet dann die Schulpart­nerschaft? – Das heißt, der Direktor, die Direktorin muss ein Stück weit Gestaltungs­spielraum bekommen, damit aber auch die Verantwortung und die Konsequenz tragen, denn im neuen Ministerratsvortrag ist ja schon skizziert, dass die Direktorinnen und Direktoren auf fünf Jahre bestellt und deren Performances einem Monitoring unterzogen werden. Das ist schon klar; das heißt auch, Konsequenzen zu setzen.

Wir haben aber jetzt die Schulpartner nicht komplett aus der Verantwortung heraus­genommen, keineswegs. Es sind einige wenige Punkte berührt, bei denen wir sagen, da muss die Direktorin, der Direktor die Entscheidungsmöglichkeit haben – beispiels­weise bei der Umstellung auf einen neuen Schwerpunkt oder bei der Definition eines neuen Schwerpunktes, zum Beispiel dann, wenn man sagt: Ich mache jetzt Digitali­sierung und IKT als Schwerpunkt an der Schule. Das unterliegt immer noch der Mitbestimmung der Schulpartner – immer noch! Auch zum Beispiel die Umstellung von Nachmittagsunterricht auf eine verschränkte ganztägige Schule unterläge der Mitbestimmung der Schulpartner.

Wir haben da also viele ganz zentrale, starke Strategieänderungen weiterhin der Mitbe­stimmung überlassen, aber andere Dinge wie Klassengruppen, also Teilungszahlen und solche Dinge, von der Mitbestimmung ausgenommen, denn da müssen der Lehrer und die Lehrerin, die Pädagogen agieren können. Sie müssen agieren können, sonst sind sie wieder lahmgelegt. Da muss man also schnell reagieren können.

Gewisse Punkte haben wir rausgenommen, gewisse Punkte haben wir gelassen; große strategische Entscheidungen liegen immer noch bei der Schulpartnerschaft. Und wenn man das gegenüberstellt, dann sieht man, dass das nicht wahnsinnig viele Themen berührt. Uns ist wirklich wichtig – das möchte ich schon noch betonen –, dass die Schulpartner weiterhin breit eingebunden sind; und der Manager, der Direktor, die Direktorin wäre echt falsch und schlecht beraten, wenn er oder sie das nicht tun würde, denn dann wäre er oder sie in fünf Jahren auch weg. – Das ist auch klar. Das heißt: Ein gutes Management bedeutet immer, im Team zu arbeiten; es heißt immer, mit den Interessenvertretungen, in diesem Falle den Schulpartnern, zu arbeiten, denn sonst kann das nicht gut gelingen.

 



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Präsident Mario Lindner: Wir gelangen nun zur 2. Anfrage, 1891/M-BR/2016, und ich bitte die Anfragestellerin, Frau Bundesrätin Zwazl, um die Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP, Niederösterreich): Frau Bundesminister! Sie haben den Kontakt zwischen Wirtschaft und Schule schon angesprochen. Es geht ja darum, wie wir unsere Kinder für ihr späteres Leben vorbereiten.

Deshalb meine Frage:

1891/M-BR/2016

Wie weit sind Ihre Bemühungen zur Sicherstellung einer umfassenden, alters­adä­quaten, individuellen und gendergerechten Bildungs- und Berufsorientierung für Kinder und Jugendliche vom Beginn bis zum Ende ihrer Schulzeit gediehen?“

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Einen gelingenden Übergang vom Schulsystem hin zum Erwerbsleben in der Arbeitswelt zu schaffen, ist mir ein wirkliches Anliegen. Davon können Sie ausgehen. Das hat viel mit Unterricht zu tun, das hat viel mit Pädagogik und mit unseren Schulen zu tun, aber es ist schon auch in der Gesamtheit zu sehen, also auch im Verbund mit den Schülerinnen und Schülern und vor allem auch mit den Eltern. Was wir in der Tat in der Schule machen – und intensiv machen! –, ist, dass wir die SchülerInnen- und Bildungsberater in den Sekun­darstufen I und II wirklich implementiert haben, und zwar flächendeckend. Die legen ganz besonders Wert darauf und sind dafür abgestellt, dass Kinder und Jugendliche beraten werden, was zu ihnen passt, wo ihre Talente, wo ihre Neigungen liegen.

Wir haben beispielsweise die im Stundenplan der Neuen Mittelschule vorgesehene Pflichtstunde Berufsorientierung überall implementiert, nämlich dem bereits seit dem Jahr 2012 in der dritten und in der vierten Schulstufe jeweils eine Wochenstunde gewidmet. Im AHS-Bereich – das wissen wir – haben wir noch etwas nachzuholen. Da liegt unsererseits seit Frühling 2015 ein neuer Lehrplan vor; und wir sind dabei, uns mit dem Koalitionspartner abzustimmen. Ich hoffe aber wirklich, dass wir da auch den entsprechenden Schritt weiterkommen, um das Thema auch besser zu implemen­tieren.

Was mittlerweile auch Realität ist, ist, dass wir diese Schnuppertage, also diese berufspraktischen Tage, weitgehend ermöglichen. Diese fünf Tage Schulfreistellung sind ja am Leben und werden auch breit genutzt. Es gibt jede Menge Bildungsmessen und punktuelle Maßnahmen, die flankieren.

Um das Thema abzurunden: Es gibt auch den Girls’ Day oder Töchtertag, um eben in Bezug auf beispielsweise die Themen Technik und Naturwissenschaften besonders auch Mädchen und Frauen zu adressieren, um da Anreize zu schaffen, dass sich insbesondere Mädchen dem Thema stellen. Dabei müssen wir immer danach trachten, dass wir noch besser werden und noch mehr tun, aber da sind viele Maßnahmen bereits implementiert.

Ich glaube, das Portfolio ist jetzt schon ein recht schönes, aber wichtig ist, dass die SchülerInnen- und BildungsberaterInnen an den Schulen sind und auch wirklich ausgebildet werden. Ich war im August bei ihrer Ausbildung selbst dabei, um mich davon zu überzeugen. – Das gelingt mittlerweile ganz gut.

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin. (Allgemeine Heiterkeit. – Bundesrätin Zwazl: Ich habe meine Karriereplanung schon abgeschlossen! – Bundes­ministerin Hammerschmid: Man soll niemals nie sagen!) – Verzeihung: Bitte, Frau


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Bundesrätin.

 


Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP, Niederösterreich): Ich hätte gerne noch eine Zu­satzfrage gestellt: Frau Bundesminister, wir haben voriges Jahr hier im Bundesrat einen Schwerpunkt auf die duale Ausbildung und Berufsorientierung gelegt, und Sie haben die Pädagogischen Hochschulen ja auch in Ihren ersten Ausführungen ange­sprochen.

Jetzt ist meine Frage, weil auch die Jugendlichen gesagt haben – wir haben eine Umfrage gemacht –, dass sie eine verstärkte und bessere Berufsorientierung und -information brauchen: Sehen Sie eine Möglichkeit, dass man da den Pädagogen flächendeckend eine verpflichtende Grundausbildung im Fach Berufsorientierung gibt, sodass das wirklich flächendeckend für alle angehenden Pädagoginnen und Päda­gogen gemacht wird?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Das ist in den Details, wie Sie sie sich vorstellen, noch nicht implementiert, aber es geht ja viel stärker auch um das Thema Skills, Fähigkeiten, Fertigkeiten. Ich habe vorher versucht, es schon ein bisschen zu skizzieren. Da sind wir in der Tat mit der Pädago­gInnen­bildung Neu neu aufgestellt, um genau diese Skills und diese Fertigkeiten und Fähig­keiten besser zu adressieren, um dann auch zu schauen, wo die Talente der einzelnen Kinder und Jugendlichen liegen und wie man sie bei ihren Entscheidungen besser begleiten kann. Das ist aber in der Tat bereits in Kraft und mit der PädagogInnen­bildung Neu adressiert.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schennach. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Ich finde es ja toll – man sieht, die Welt bewegt sich –, wenn Frau Zwazl von der ÖVP nach Gendergerechtigkeit fragt. Ich glaube, das ist super: ein Kompliment für diese Frage! (Heiterkeit bei der ÖVP. – Zwischenruf der Bundesrätin Zwazl.)

Meine Frage ist: Angesichts der Zahlen im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit sehen wir doch, dass wir ein massives Problem haben, das Personen mit Migrations­hintergrund betrifft. Das von Ihnen angesprochene Programm für Berufs- und Bildungs­wegorientierung, das ja verbindlich ist, sieht auch vor, externe Experten und Expertin­nen einzubinden: Wie sieht das aus? Denkt man da auch daran, speziell bei Jugend­lichen und Kindern mit Migrationshintergrund tätig zu werden?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: In diese Berufs­orientierung externe Experten einzubinden, das geschieht zum Beispiel über die Schnuppertage. Da schicken wir die Jugendlichen ja raus zu den Betrieben. Ich glaube, das ist auch ganz wichtig.

Dass da auch neue Kooperationen mit der Wirtschaft gefunden werden, zeigt beispiels­weise in der Steiermark das neue Talentcenter, das gerade eröffnet wurde, das wirklich sensationell gut gelungen ist; ich habe es mir selbst angeschaut. Da wird mir berichtet, dass sie auch schon mit den Schulen wirklich ganz engen Kontakt haben, dass die 13- bis 14-Jährigen auch kommen und diesen Parcours durchlaufen. Der ist auf der einen Seite sehr dahin gehend gestaltet, die manuellen Fertigkeiten und Fähigkeiten zu sehen, aber es sind da auch sehr viele kognitive Tests implementiert. Es ist schön, zu sehen, was gehen kann.

Da also die Kooperation auf allen Ebenen zu fördern, ist mir ein Anliegen; und das wird auch an den Schulen gerne und gut wahrgenommen. Das kann sicher noch vertieft


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werden, aber das würde ich mir auch noch unter dem Thema Autonomie wünschen, dass man diese Kooperationen stärker sucht.

Das Flüchtlingsthema: Da adressieren wir ja mit dem Integrationstopf – früher I, jetzt II – das Thema ganz besonders, weil wir da insbesondere auf die Sprachkompetenzen der Flüchtlingskinder abzielen. Das heißt, da haben wir intensiv Mittel – für heuer noch einmal 40 Millionen €, für nächstes Jahr 80 Millionen € – bekommen, um diese Sprach­startkurse in den Klassen flächendeckend ankommen zu lassen, die Sprachkompetenz wirklich zu fördern, denn das ist das zentrale Element, um Unterricht gut gestalten zu können, das Thema Sprachkompetenz an die Schulstandorte zu bringen und auszubreiten.

Wir haben zehntausend Lehrerinnen und Lehrer zusätzlich im Bereich Deutsch als Zweitsprache ausgebildet, wir haben in dem Integrationstopf II auch ein höheres Kontingent an SozialarbeiterInnen drinnen, wir haben zusätzliche Integrationslehrer und die mobilen Teams drinnen, die 75 Stellen, glaube ich, haben und die unterwegs sein werden, um insbesondere Schule im Kontext mit Flüchtlingen gelingen zu lassen, und zwar nicht nur mit den Flüchtlingen selbst, sondern auch im Kontext der dahinterstehenden Eltern. Dazu kommen auch jede Menge Maßnahmen, wie Über­brückungsklassen hin zu den weiterführenden Schulen und eine Reihe an zusätzlichen Maßnahmen, die aus der Erwachsenenbildung kommen.

Das heißt: Ich glaube, wir haben jetzt ein Paket, mit dem wir gut arbeiten können, um diese Kinder und Jugendlichen wirklich in die Gesellschaft zu holen, in die Klassen zu integrieren, um ihnen bestmögliche Bildungswege aufzumachen. Mit der Ausbildungs­pflicht bis zum 18. Lebensjahr adressieren wir ja nochmals insbesondere jene Jugendlichen, die nach der Pflichtschule aus dem System fallen, sprich, nirgendwo auftauchen, in keine Lehre gehen und auch in keine weiterführenden Schulen gehen. Auch das ist noch einmal ein Bündel an Maßnahmen. Ich glaube, wir haben damit ein Portfolio, das das Thema gut adressieren kann.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Pisec. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Ministerin! Die Sicherstellung einer guten Schulausbildung für unseren Nachwuchs zählt zu den Elementaraufgaben eines Staates, vor allem des österreichischen Staates. Dafür erhalten Sie – Sie repräsentieren ja die Bundesregierung – die viel zu hohen Steuern, die das persönlich verfügbare Einkommen jeder Österreicherin und jedes Österreichers stark schmälern. Wie erklären Sie sich anlässlich einer Umfrage unter 3 000 Betrieben, dass 24 Prozent der Unternehmen ihre offenen Stellen wegen fehlender Fachkräfte nicht besetzen können? – Als Grund wird fehlende oder unpassende Qualifikation angegeben.

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Das wir da ein Thema haben, wissen wir. Da müssen wir es gemeinsam schaffen, das Thema Lehre einfach wirklich attraktiver zu machen. Ich glaube schon, das wird ein gemeinsames Unterfangen sein, wieder mehr Jugendliche für das Thema Lehre und Fachkräfte zu motivieren. Lehre mit Matura ist ein schönes Instrument, mit dem man beide Möglich­keiten gut verbinden kann, nämlich eine höhere Schulbildung mit der Lehre oder der Berufsausbildung im Speziellen.

Das wissen wir, wir wissen aber auch – und das habe ich ja zu Beginn schon adres­siert –, dass die Risikogruppen zu stark sind, das war ja genau damit gemeint. Das heißt: In der Schule Neu mit unterschiedlichen Maßnahmen – wie etwa Diagnostik-


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instrumenten, damit Lehrerinnen und Lehrer frühzeitig sehen, wo ihre Kinder und Jugendlichen stehen, um Gegenmaßnahmen ergreifen zu können – nachzusteuern, ist das Ansinnen dieses Autonomiepaketes, aber das ist auch die Chance. So muss man es, glaube ich, auch sehen.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Reiter. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Ich möchte mit meiner Frage noch eine andere Gruppe Jugendlicher adressieren: Wie kann der Zugang zu schu­lischer Bildung für Jugendliche mit Behinderungen bis zum 18. Lebensjahr, für die es aber solche Angebote – integrativ und an Sonderschulen – derzeit längstens bis zum zehnten Schuljahr gibt, entsprechend dem Ausbildungspflichtgesetz sichergestellt werden?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Die Integration beziehungsweise vielmehr die Inklusion ist mir ein wirklich wichtiges Anliegen. Das Commitment dazu kann ich gerne abgeben und gebe ich gerne ab; das ist überhaupt keine Frage. Es ist mir bewusst, dass wir damit ein Thema haben. Wir arbeiten in der Zusammenschau mit dem Inklusionsthema per se daran, weil wir da ja auch die Modellregionen, die bis 2020 laufen, und die Erfahrungen, die wir aus den Modell­regionen zum Thema Inklusion bekommen, haben.

Das Themenpaket ist in Bearbeitung; es ist mir bewusst, dass da einiges zu machen ist, aber ich bin erst seit fünf Monaten im Amt. Ich bitte um Nachsicht.

 


Präsident Mario Lindner: Wir gelangen zur 3. Anfrage, 1886/M-BR/2016, und ich bitte die Anfragestellerin, Frau Bundesrätin Mühlwerth, um die Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Minister! Seit Be­kannt­gabe dieses Schulautonomiepakets war in den Medien Thema, dass die Aufhe­bung der Klassenschülerhöchstzahl ein Sparpaket durch die Hintertür sein könnte, was Sie allerdings verneint haben. Ich stelle die eingereichte Frage trotzdem so, wie wir sie eingereicht haben:

1886/M-BR/2016

„Will die Bundesregierung mit der geplanten Aufhebung der Klassenschüler­höchst­zahl – unter Ausschaltung der Mitbestimmung des Schulgemeinschaftsausschusses – das Bildungsbudget sanieren?“

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Ministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Wenn man den Ministerratsvortrag aufmerksam liest, dann sieht man, dass das kein Sparpaket ist, weil dezidiert drinsteht, dass es kein Sparpaket ist.

Ich kann das nochmals zusammenfassen: Unsere Intention ist es, den Schulen Gestaltungsspielraum zu geben. Die Bemessungsgrundlagen, die Berechnungsgrund­lagen der Ressourcenzuteilung ändern sich nicht. Es wird Spielraum an den Schulen ermöglicht, und der möge genutzt werden oder auch nicht – das fällt unter die Autono­miehoheit der Schulstandorte –, aber da neu gestalten zu können, heißt wirklich, dass sich die Pädagoginnen und Pädagogen überlegen sollen, was gescheit ist. Die sind dazu ausgebildet, dass sie das gut gestalten, da vertraue ich auch den Pädagoginnen und Pädagogen, dass sie das richtig machen.

 


Präsident Mario Lindner: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

 



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Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Frau Minister, Sie wissen ja auch, dass es natürlich unzählige Fragen gibt, wenn etwas Neues auf den Tisch gelegt wird. Auch ich hätte eine Menge Fragen – die den Rahmen dieser Fragestunde übersteigen –, eine davon betrifft nach wie vor das Thema Schulpartnerschaft.

Ihrem Vortrag im Ministerrat entnehme ich Folgendes – ich lese das jetzt vor –: „Auf Klassenebene bekommt nun auch die AHS Unterstufe die Möglichkeit der schulpart­nerschaftlichen Mitbestimmung. Auf Ebene der Schulcluster wird ein Schulpartnerbeirat (Schulclusterbeirat) mit beratender Funktion der Schulclusterleitung geschaffen.“

Können Sie näher erklären, was ich mir darunter vorstellen kann?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: In der AHS-Unter­stufe ist das bis dato in der Tat nicht implementiert. Das ist die einzige Ausnahme, bei der die Schulpartner nicht einbezogen werden, das heißt, da soll nachgezogen werden. Wenn wir im Sinne von Clustern neue Strukturen schaffen, braucht es natürlich auch auf der Clusterebene ein Beratungsgremium, in das Schulpartner und weitere Partner eingebunden werden können. Das setzt sich dann auch zu den Behörden, Landes­behörden und dann auch zum Bund fort. Es soll also wirklich eine konsequente Einbindung der Schulpartner auf allen Stufen gewährleistet werden, deshalb auch die Neuschaffung des Clusterbeirats. (Bundesrätin Mühlwerth: Was bedeutet das mit der AHS? Das gibt es ja jetzt auch schon!) – Nur in der Unterstufe der AHS ist das nicht der Fall, sondern dort ist es freiwillig.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Hackl. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrätin Marianne Hackl (ÖVP, Burgenland): Frau Bundesministerin! Sie haben in der Beantwortung der ersten Frage bereits ausgesagt, dass ein Schuldirektor gut beraten ist, sich mit den Schulpartnern in wichtigen Fragen abzusprechen. Jetzt ist meine Frage: Ist es für Sie konkret vorstellbar, im Rahmen der legistischen Umsetzung der neuen Eröffnungs- und Teilungszahlenregelung eine Verpflichtung für den Direktor vorzusehen, vor seinen Entscheidungen im Schulgemeinschaftsausschuss eine Meinungsbildung durchzuführen?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Dass der Cluster­leiter, der Direktor, mit den Schulpartnern darüber spricht, ist – beziehungsweise wäre meiner Ansicht nach – naheliegend. Dass er am Ende des Tages mit dem Kollegium entscheidet, wie er Pädagogik neu gestaltet – er oder sie und das Team haben auch gelernt, wie das zu gestalten ist –, das meine ich schon auch. Also Partner in all die schulischen Aspekte einzubeziehen, das ist überhaupt keine Frage, darum geht es gar nicht, das soll auch weiter so gesichert sein, aber die Entscheidung über klare Teilungs- und Klassenzahlen muss in der Verantwortung des Direktors, der Direktorin und des Kollegiums liegen, denn sie tragen die Verantwortung und sie müssen dann auch die Konsequenzen tragen.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Kurz. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): In dieser Hauptfrage der Frei­heitlichen geht es ja eigentlich um die KlassenschülerInnenhöchstzahl, die angeblich aufgehoben werden soll. Jetzt wissen wir ja, dass diese KlassenschülerInnen­höchstzahl gesetzlich vorgegeben ist: Ich würde Sie ersuchen, ein bisschen näher zu


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beschreiben, was es bedeutet, dass das jetzt in die Autonomie der Schulen übertragen wird. Wie ist das zu verstehen?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Ich habe vorhin versucht, dieses Thema des themenspezifischen Unterrichts ein wenig anzureißen und auch ein Bild davon zu geben, wie das aussehen kann: Wenn ich das Thema Klima­wandel unterrichten will, dann kann ich das Thema beispielsweise klassenübergreifend angehen, Klassen zusammennehmen, den Schülerinnen und Schülern Input aus den unterschiedlichen Perspektiven geben, um sie dann in Kleingruppen weiter an ausgewählten Fragestellungen arbeiten zu lassen. Da ist der Lehrer plötzlich der Coach, der Betreuer der Kinder in der Selbstorganisation, in der Abarbeitung dieser Fragestellungen.

Das heißt, wir haben Großgruppe und Kleingruppe: Da sollen die Pädagoginnen und Pädagogen gestalten können, wirklich gestalten können. Sie haben die Pädagogik gelernt, sie sind dafür ausgebildet. Was wir wollen, ist, ihnen diese Gestaltungsfreiheit einfach zu geben, um die Themen wirklich neu adressieren zu können. Ich höre da auch seitens der Direktorinnen und Direktoren, die sagen: Endlich darf ich das!, sehr viel positive Resonanz.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Dziedzic. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrte Frau Ministerin! Mich würde interessieren, wie groß die Finanzierungslücke im Bildungsressort tat­sächlich ist. Es wird kolportiert, dass es zwischen 100 und 150 Millionen € sind, die fehlen. Das ist doch ein gravierender Unterschied, wenn wir uns anschauen, wie man diese Gelder einsetzen könnte; deswegen bitte ich um eine Beantwortung.

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Wir haben die Finanzierungslücke für heuer in der Tat komplett schließen können. Wir haben für die Folgejahre bis 2020 mit dem Finanzminister ein zusätzliches Mehr an Budget von jedenfalls 300 Millionen € verhandelt, um dann das Delta nach dem Finanzausgleich – denn die Bildungsbudgets in den Ländern orientieren sich am Finanzausgleich – zu klären – nicht mehr und nicht weniger –, weil die Finanzausgleichsverhandlungen nicht abgeschlossen sind.

 


Präsident Mario Lindner: Wir gelangen nun zur 4. Anfrage, 1890/M-BR/2016, und ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Stögmüller, um die Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Guten Morgen, Frau Minis­terin! Da ich Sie hier wieder treffe, wollte ich Ihnen und Ihren Mitarbeitern ganz kurz zu Ihrer Veranstaltung, der Verleihung des Österreichischen Schulpreises, gratulieren. Das war eine tolle Veranstaltung. Man hat gesehen, wie viele engagierte Schulen und wie viele motivierte LehrerInnen und PädagogInnen es in Österreich gibt. Das wollte ich Ihnen mitteilen.

Zu meiner Frage:

1890/M-BR/2016

„Welche wesentlichen Änderungen sind bei der Finanzierung des Pflichtschulwesens im Wege des Finanzausgleichs (z.B. hinsichtlich Einführung eines Chancenindex,


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Transparenz in der Mittelverwendung, Abbau von Doppelgleisigkeiten in der Verwal­tung etc.) zu erwarten?“ 

Danke schön.

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Wie soeben schon ausgeführt, sind der Finanzausgleich und die Verhandlungen dazu noch voll im Laufen. Das liegt auch in der Verantwortung des Finanzministers, das möchte ich auch einmal betonen. Wir sind da in Abstimmung, wir sitzen aber nicht am Tisch, sondern es ist der Finanzminister, der die Verhandlungen führt.

Uns ist es wichtig, klare Kriterien und eine Vereinfachung dieser Einrechnungszahlen zu schaffen. Mir ist zum Beispiel die Einführung der Landeslehrer-Controllingver­ordnung ein wichtiges Anliegen, aber da sind wir im ständigen Austausch mit dem Finanzminister und mit dem Finanzministerium. Das Thema Chancenindex ist auch eines, das mir besonders wichtig ist, wie Sie sich vorstellen können, aber da laufen, wie gesagt, die Verhandlungen und ich kann diesen Verhandlungen nicht vorgreifen.

Die Transparenz der Mittelverwendung: Ja, das ist mir – mir speziell – immer ein großes Anliegen, das ist ganz klar, aber es wurde auch im Vorjahr, am 17. November, ein Bündel an Maßnahmen beschlossen, und da ist auch die Anbindung der Bun­desländer an das Bundesrechenzentrum zur zentralen und erstmals transparenten Abwicklung der LehrerInnenkosten vorgesehen. Das heißt, da sind wir, in Abstimmung mit unserem Partner, in Vorbereitung der weiteren Schritte und Maßnahmen – ich habe das vorher auch schon kurz ausgeführt –, und da folgen jetzt die nächsten Schritte.

 


Präsident Mario Lindner: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? (Bundesrat Stögmüller: Ich verzichte darauf!)

Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Saller. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrat Josef Saller (ÖVP, Salzburg): Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Wir alle wissen, dass es zwischen Bund und Ländern in vielen Bereichen finanzielle Verflechtungen gibt. Ich darf Sie fragen, wie es um Ihre Gespräche mit den Ländern zur Behördenreform im Schulwesen steht.

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Wie gesagt, das Herzstück war jetzt das Autonomiepaket, um alles zu definieren, was Schule ausmachen soll, und jetzt müssen wir die weiteren Teile der Bildungsreform – so auch das Behördenmodell – dazubauen, damit das schlüssig ist, damit das zusammenpasst.

Das Behördenmodell – ich habe es ja auch erwähnt –, das Schulaufsicht neu definiert, ist ja genauso ein Zahnradstückchen, das dazupassen muss. Das heißt, jetzt folgen die weiteren Schritte, um auch das Behördenmodell entsprechend abzuarbeiten, und da stehen wir im Diskurs und in Verhandlung.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Bock. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrat Ing. Hans-Peter Bock (SPÖ, Tirol): Die Mittel aus dem sogenannten Integrationstopf II wurden bereits anhand eines Chancenindex vergeben. (Bundes­ministerin Hammerschmid: Genau!) Frau Bundesministerin, welche Kriterien wurden da angewandt und welche Unterstützung gibt es für Schulen, die vor besonderen Heraus­forderungen stehen?

 



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Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Da einen Chancen­index zu hinterlegen, war genau unser Ziel, um punktgenau jenen Schulen zusätzliches Personal zu geben, die das auch wirklich brauchen. Die Kriterien sind einfach: Deutsch als Nicht-Muttersprache, sprich Deutsch als Zweitsprache, ist das eine Kriterium, und das zweite Kriterium ist der Pflichtschulabschluss der Eltern.

Mit diesen zwei Kriterien sind wir, glaube ich, ziemlich treffsicher in der Zuteilung der Mittel. Wir probieren das jetzt aus und sammeln die Erfahrungen damit, um dann weiter zu gestalten.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mühlwerth. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Ministerin, wir wissen ja, dass in Ihrem Ressort die Personalkosten auch einen nicht ganz unwesent­lichen Faktor ausmachen. Der Herr Finanzminister hat in seiner Budgetrede moniert, dass von 1 € nur 50 Cent im Klassenzimmer ankommen, und keiner weiß, wieso. Frau Ministerin, jetzt ist die Frage an Sie – vielleicht können Sie Auskunft geben –, wo die restlichen 50 Cent bleiben.

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Wir wissen, dass 81 Prozent unserer Mittel in Lehrerinnen- und Lehrergehälter gehen, das ist klar und das ist transparent. Wir wissen auch, dass 8 Prozent der Mittel in Mieten für Schul­gebäude gehen, und wir wissen auch, dass die gesamten Verwaltungskosten – näm­lich Ministerium plus die Länderverwaltungen, Länderbehördenmodelle – in Summe 3,6 Prozent der Mittel ausmachen. – Also es ist eigentlich recht klar. LehrerIn­nengehälter und Miete landen unweigerlich im Klassenzimmer.

 


Präsident Mario Lindner: Wir gelangen zur 5. Anfrage, 1888/M-BR/2016, und ich bitte die Anfragestellerin, Frau Bundesrätin Ebner, um die Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrätin Adelheid Ebner (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Bundes­ministerin, die Digitalisierung wird in Zukunft auch an den Schulen ein wichtiges Thema sein.

Daher meine Frage:

1888/M-BR/2016

„Wo sehen Sie die zentralen Herausforderungen im Bereich Digitalisierung?“

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Vielen Dank, hier treffen Sie auch ein Thema, dass ich mit gleicher Leidenschaft vertrete wie das Autonomiethema, weil mir klar ist, dass wir da einiges zu tun haben, aber zum Glück gibt es bereits wirklich vieles: Wir haben letzte Woche den media literacy award verliehen; 500 Schulen haben da ihre Konzepte eingereicht, es war sensationell. Es ist wirklich gut, wir müssen es in die Breite bekommen.

Wo sind aber die Herausforderungen? – Es ist genau diese Breite, diese Fläche, die uns noch fehlt. Wir machen zurzeit im Ministerium ein Gesamtkonzept für die Digita­lisierung, weil mir das ein ganz wichtiges Thema ist. Sprich, wir schauen uns vier große Themen an:


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Infrastrukturelle Ausstattung der Schulen – also sprich Breitband, WLAN, Laptops et cetera –: Da sind wir eigentlich verblüffend gut ausgestattet, es ist noch einiges zu tun, aber es ist gar nicht so schlecht.

Das zweite Thema ist die PädagogInnen-Weiter- und Fortbildung, dabei ist die Digitalisierung ganz ein zentrales Thema: Wir können noch so viele Laptops in die Klassen stellen, aber wenn die Pädagoginnen und Pädagogen nicht damit arbeiten, haben wir auch ein Problem. Das heißt, wir müssen die Pädagoginnen und Pädagogen dazu anhalten, sich weiterzubilden und entsprechend fortzubilden. Es gibt ja mit der Virtuellen PH auch schon Module – bei der Pädagogischen Hochschule im Burgenland implementiert –, mit denen genau das angeboten wird – entsprechende Weiterbil­dungsmaßnahmen an den Schulen –, und das müssen wir noch viel stärker ausbauen und viel stärker in die Breite bringen. – Das ist die eine Geschichte.

Das dritte Thema ist: Wir brauchen Lerntools und Lernmaterialien, die wirklich gut sind. Das heißt, Materialen, die sehr spielerisch sind, auch Lernmaterialien, die individu­alisiertes Lernen gut unterstützen, denn das ist ja mit der Digitalisierung auch die Riesenchance in der Klasse, die besonders Begabten auf einem ganz anderen Level zu fordern und zu fördern und die Schwächeren auch entsprechend zu unterstützen. Mit einem digitalen Tool geht das viel leichter, ich habe das auch schon gesehen, da sieht dann der Lehrer am Tablet, wo der einzelne Schüler steht und kann entlang der Talente diese Schüler auch mit neuen Aufgaben besonders unterstützen. Das heißt, genau diese Lernmaterialien sind gefordert.

Da sind wir zum Glück auch schon recht weit, nämlich dahin gehend, dass zum Beispiel auch da wieder das Burgenland, aber auch Oberösterreich mit unterschied­lichen Lernplattformen eine Vielzahl an solchen Tools entwickelt haben, die auf einer gemeinsamen Plattform auffindbar sind und mit denen die LehrerInnen und Pädago­gInnen arbeiten können.

Dabei müssen wir stark auf die Qualitätssicherung abzielen, damit auch die Qualität der Kompetenzen, die sie haben sollten, und des Wissens, dass sie vermitteln sollten, parallel zum Schulbuch abgesichert wird; aber da ist schon viel unterwegs.

Das vierte Thema, das mir ganz besonders wichtig ist, ist das Thema Content. Wir bekommen mit dem Internet einfach einen Wust an Wissen zu einzelnen Personen, und da ist es ganz, ganz wichtig, die Kinder und Jugendlichen darauf vorzubereiten, wie sie mit diesem Inhalt umzugehen haben: Bewertung von Inhalten, kritisches Hinterfragen von Inhalten – das Thema Cybermobbing ist ja mit den sozialen Medien ganz schnell da, auch Hasspostings – et cetera. Da müssen wir unsere Kinder und Jugendlichen ganz besonders darauf vorbereiten, wirklich kritisch zu denken, kritisch zu hinterfragen und dafür gewappnet zu sein. Also diese ethische Reflexion der Inhalte und des Contents kommt da auch noch mit.

Da wird gerade ein Bündel an Maßnahmen entwickelt und das Gesamtkonzept geschrieben, das ist hoffentlich Anfang nächsten Jahres fertig, dann können wir auch bewerten, was noch fehlt und welche Kosten damit verbunden sind, und dann können wir einfach in die Planung gehen. Was schon implementiert ist, sind diese digitalen Kompetenzen: Die sind in allen Lehrplänen schon drinnen und breitflächig imple­mentiert, die sind da, und auch – wie gesagt – bereits einzelne Bausteine. Wir sind da aber, wie gesagt und wie ich glaube, auf einem guten Weg, wiewohl wir schnell sein müssen; das ist mir komplett bewusst.

 


Präsident Mario Lindner: Wird eine Zusatzfrage gewünscht?

 


Bundesrätin Adelheid Ebner (SPÖ, Niederösterreich): Nein, meine Frage ist eigent­lich beantwortet. – Danke schön.

 



BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 22

Präsident Mario Lindner: Zu einer Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Tiefnig. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrat Ferdinand Tiefnig (ÖVP, Oberösterreich): Frau Ministerin! Sie haben Oberösterreich schon erwähnt. Das Thema in Oberösterreich ist natürlich auch das Breitband, und meine Frage geht in diese Richtung: Oberösterreich gibt ja 1 Milliarde € aus, damit Regionen, die bisher schlecht versorgt waren, mit Breitband erschlossen werden. Wie schaut das in den Schulen aus? Sind die Schulen infrastrukturtechnisch für die neuen Herausforderungen aufgrund der Digitalisierung gerüstet oder vorbe­reitet?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich die einzelnen Zahlen mitgenommen. Wir haben diese Erhe­bung schon vorliegen, und die Ergebnisse sind viel besser, als ich eigentlich erwartet hätte. Sie können mir einfach ein E-Mail schreiben, dann schicke ich Ihnen die Zahlen sehr gerne. Größere Sorgen machen mir eigentlich wirklich die Weiterbildung der Pädagoginnen und Pädagogen und die Lernmaterialien – das ist das Thema. Bei der Ausstattung sind wir relativ weit.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Jenewein. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrat Hans-Jörg Jenewein, MA (FPÖ, Wien): Frau Bundesminister! Ich möchte mich noch einmal dafür bedanken, dass Sie die Frage der digitalen Kompetenz angesprochen haben, weil ich glaube, dass nicht nur bei den Schülern, sondern auch bei den Lehrern, vor allem jenen, die etwas fortgeschritteneren Alters sind, durchaus noch Nachholbedarf besteht. Ich finde es sehr gut, dass auch Augenmerk darauf gelegt wird.

Zu meiner Zusatzfrage: Meine Vorredner haben es bereits angesprochen, wir haben in den Regionen, in den Bundesländern, in den einzelnen Schulen unterschiedlichste Ausstattungsmerkmale, sowohl, was die technische Ausstattung, was die Software betrifft, als auch, was die Verbrauchsmaterialien betrifft. Das ist in manchen Schulen sehr gut geregelt, in manchen Schulen ist es vielleicht nicht ganz so gut geregelt. Wie schaut es in Zukunft aus? Denken Sie da etwa an neue Finanzierungsmethoden – wir wissen ja, dass das meistens ein relativ großer Finanzaufwand ist – wie zum Beispiel an Public-private-Partnership-Modelle? Ist so etwas angedacht? Wie kann man den Versuch, einen einheitlichen Standard, ein einheitliches Level zu erreichen, zumindest einmal auf Sicht abschätzen?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Genau auf diesem Weg sind wir. Wir versuchen jetzt mit den vier Punkten, die ich angesprochen habe, zu erheben, wo genau wir wirklich stehen, um dann ein Gesamtkonzept zu bauen. Bei den Devices, weil Sie sie angesprochen haben, kann man auch unterschiedliche Wege gehen. Bring-your-own-Device ist zum Beispiel in Hamburg die Methode der Wahl. Dort werden Apps auf den Smartphones der Kinder – die die Kinder sowieso alle haben – implementiert. Man kann aber auch hergehen und sagen, man kauft ein Tablet, und das ist die Methode der Wahl.

Ich glaube, da müssen wir einfach schauen, was sich bewährt hat, was möglich ist; da müssen wir dann aus Gesamtsicht – Konzept und Finanzierungsbedarf, den wir errech­nen – abwägen, was wir tun und welchen Weg wir gehen. Bring-your-own-Device ist eine Option, Public-private-Partnership wäre ein denkbarer Weg, aber das müssen wir in der Strategie- und in der Konzepterarbeitung überlegen.

 



BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 23

Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Schreyer. – Bitte.

 


Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Sie haben gerade angesprochen, welche Materialien zum Einsatz kommen. Wir stellen uns die Frage, wer im Endeffekt die Kosten für die Digitalisierung tragen wird, also die Kosten für Computer, Laptops, Tablets, E-Books, für den Internetzugang und so weiter. Wird das an die Eltern delegiert werden? Gerade das Beispiel mit den Smartphone-Apps, das Sie jetzt gebracht haben, weil die Kinder ohnehin Smartphones haben, wäre ein Beispiel dafür, dass dann die Eltern die Kosten dafür tragen müssten, und das ist sozial einfach nicht so verträglich.

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Genau das ist, wie gesagt, jetzt der Weg: Wir machen ein Konzept, wir bewerten es finanziell und schau­en, was dann zu tun ist. Wir müssen überlegen, was in pädagogischer Hinsicht gescheit und was machbar ist, auch im Sinne des effizienten Mitteleinsatzes; dem kann ich jetzt aber nicht vorgreifen. Wir werden uns Strategien überlegen und diese entsprechend bewerten müssen. Es kann nicht auf die Eltern hinauslaufen, das ist mir schon klar.

 


Präsident Mario Lindner: Wir gelangen nun zur 6. Anfrage, 1892/M-BR/2016. Ich bitte die Anfragestellerin, Frau Bundesrätin Stöckl-Wolkerstorfer, um die Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrätin Angela Stöckl-Wolkerstorfer (ÖVP, Niederösterreich): Frau Bundes­minister! Im Regierungsprogramm ist die Einbindung von Jugendlichen in politische Entscheidungsprozesse bereits vorgesehen.

Meine Frage lautet:

1892/M-BR/2016

„Wann ist mit der generellen Verankerung beziehungsweise Einführung von Schü­ler/in­nenparlamenten auf Landes- und Bundesebene zu rechnen?“

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Das ist ein Thema, das schon vor längerer Zeit an uns herangetragen wurde. Wie kann man SchülerIn­nenparlamente gestalten?

Ich hatte erst gestern ein Treffen mit der BundesschülerInnenvertretung, um das Thema anzusprechen und zu diskutieren. Es gibt diesbezüglich noch unterschiedliche Konzepte und Vorstellungen. Mein Wunsch ist es, ein gemeinsames, ein generelles Konzept zu entwickeln, wie SchülerInnenparlamente gut gelingen können, und auf diesem Weg befinden wir uns. Da bin ich in der Abstimmung mit der Bundes­schülerIn­nenvertretung.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Posch-Gruska. – Bitte.

 


Bundesrätin Inge Posch-Gruska (SPÖ, Burgenland): Sehr geehrte Frau Ministerin! Meine Frage wäre gewesen, ob Sie schon in Gesprächen mit der BundesschülerIn­nenvertretung sind, weil wir auch in den Medien gehört haben, dass da Kritik geübt wurde.


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 24

Meine Frage ist daher: Wie weit gibt es nicht nur Gespräche, sondern für die Schüler- und Schülerinnenvertretung auch die Möglichkeit, mitzuarbeiten, und zwar auch auf Landesebene und auch auf Klassenebene? Gibt es da auch eine Möglichkeit, mitzuarbeiten?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Wie gesagt, was das SchülerInnenparlament anlangt, habe ich erst gestern das Gespräch mit der neuen BundesschülerInnenvertretung geführt, mit der Bitte, mit einem ganz konkreten und abgestimmten mehrheitsfähigen Konzept zu uns zu kommen. Es gibt noch ganz unter­schiedliche Vorstellungen in den verschiedenen Fraktionen der BundesschülerIn­nenvertretung, und da war die Bitte, sich auf ein mehrheitsfähiges Konzept zu ver­ständigen. Ich bin gerne bereit, als Sparringspartner beziehungsweise als Ge­sprächs­partner zur Verfügung zu stehen, das ist überhaupt keine Frage.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Raml. – Bitte.

 


Bundesrat Mag. Michael Raml (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Bun­desminister! Sie haben in Ihrer Beantwortung zur Hauptfrage reichlich abstrakt gesprochen. Mich würde Folgendes interessieren – das hat mich auch schon im Vor­feld interessiert –: Sie haben gesagt, Sie hätten möglicherweise einen Vorschlag für SchülerInnenparlamente, auch von der Bundesvertretung gebe es verschiedene Kon­zepte. Könnten Sie zumindest ganz kurz in Schlagworten umreißen, was Sie sich darunter vorstellen, wie Schülerparlamente in Österreich aussehen könnten?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Da geht es um SchülerInnenparlamente, und da will ich wirklich die Schülerinnen und Schüler gestalten lassen, da schreibe ich nichts vor. (Beifall bei der SPÖ, bei Bundesräten der ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller.)

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Reiter. – Bitte

 


Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Frau Minister! Ist im Rahmen der Bildungsreform auch die Abschaffung der parteiproporzmäßig besetzten Kollegien der Landeschulräte und die Schaffung von demokratisch legitimierten Schul­partner­räten vorgesehen?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Zum Thema Behör­de, weil Sie das angesprochen haben, da sind wir – und dem will ich auch gar nicht vorgreifen – im Diskursprozess.

 


Präsident Mario Lindner: Wir gelangen zur 7. Anfrage, 1894/M-BR/2016. Ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Längle, um die Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Meine Frage lautet:

1894/M-BR/2016

„Welche Einsparung erwarten Sie durch die Schaffung eines neuen Postens, den ‚Clustermanager‘, und die Degradierung der jetzigen Direktoren zu Bereichsleitern?“

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 25

Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Ich erwarte mir keine Einsparungen, weil der Clustermanager die Ressourcen, die freigespielt werden, vor Ort wieder verwenden soll; das heißt, ich ziehe kein Geld aus dem System.

Fakt ist, dass durch den Wegfall von Einrechnungen an den jeweiligen Schuldstan­dorten bei den zukünftigen Standortleitern Ressourcen frei werden, die der Cluster­leiter, der Direktor beispielsweise für Verwaltungspersonal einsetzen soll. Wir ziehen kein Geld aus dem System.

 


Präsident Mario Lindner: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Herr Bundesrat.

 


Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Mich würde interessieren, ob die Vizedirektoren, die es jetzt gibt, beziehungsweise die zukünftigen Vizeclusterleiter dann mehr Gehalt bekommen.

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Welche Vizecluster­leiter? Es gibt einen Clusterleiter. (Bundesrat Längle: Es gibt Vizedirektoren?!) – Es gibt Standortleiter; meinen Sie die? (Bundesrat Längle: Ja!) Betreffend die Gehalts­frage: Mir ist klar, dass ein Clusterleiter eine wirklich hohe Verantwortung hat, und dass das auch entsprechend honoriert werden muss, ist auch klar. Da sind wir noch in Verhandlungen, darüber müssen wir reden, keine Frage.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Oberlehner. – Bitte.

 


Bundesrat Peter Oberlehner (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Minister! Veränderungen führen generell zu vielen Fragen: nach Rahmenbedingungen, nach Abgrenzungen, danach, wie das funktioniert.

Meine Frage ist daher: Wie werden sich Ihrer Vorstellung nach die Aufgaben der Schulaufsicht, der Clusterleitung und der Schulstandortleitung künftig voneinander abgren­zen?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Die Frage, ob das funktioniert, kann ich gerne beantworten: Ich war gerade zwei Tage in Südtirol, und es war unglaublich, was ich dort gesehen habe. Da ist die Autonomie seit 16 Jahren in Kraft, und alle anderen Konzepte, die damit einhergehen, sind auch in Kraft. Das wird dort gelebt, und man sieht extrem gut, wie sich das bewährt, und man sieht auch beim Abschneiden bei PISA und all den Testungen, dass sich das wirklich bewährt.

Zur Rollenteilung, zu den Elementen quasi: Der Clusterleiter, der Direktor bezie­hungsweise die Direktorin soll wirklich Gestaltungshoheit haben und auch tatsächlich strategische Entwicklung an der Schule für den Cluster machen können; das ist überhaupt keine Frage. Ich habe auch gesagt, dass wir sie aber nicht alleinlassen dürfen, das heißt, wir müssen flankierend Instrumente schaffen, die die Clusterleiter unterstützen.

Das wird zum einen die Schulaufsicht sein, die im Sinne der Beratung auf Augenhöhe mit dem Clusterleiter, mit den Direktorinnen und Direktoren eine neue Rolle bekommt, die ihnen in der Implementierung, in der organisatorischen Umsetzung der neuen Konzepte auch helfen soll. Auf der anderen Seite wird die Pädagogische Hochschule ins Spiel kommen. Schulentwicklung ist ja ein Kernthema aus den Pädagogischen Hochschulen heraus, auch aus der Bildungswissenschaft heraus, und da sollen die Ergebnisse aus der Bildungswissenschaft wieder hineinspielen, sodass neue Entwick­lungen in den neuen Konzepten auch mitgedacht werden können. Das heißt, da ist die


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 26

Pädagogische Hochschule auch Partner, wenn der Wunsch und der Bedarf da ist, die Schulleitungen entsprechend zu unterstützen.

Die strategisch-konzeptionelle Verantwortung liegt also beim Clusterleiter, diese soll dort bleiben. Die Standortleiter müssen in der Entwicklung mit dabei sein, das ist auch klar; daran führt eigentlich kein Weg vorbei, wenn das ein gutes, gemeinsam getra­genes Konzept werden soll. Der Standortleiter ist dann natürlich hinsichtlich Ausfüh­rung, Implementierung am Standort verantwortlich. Die Schulaufsicht hat, wie gesagt, eine beratende Funktion.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Lindner. – Bitte.

 


Bundesrat Mag. Michael Lindner (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Bil­dungsministerin! Welche Vorteile erhoffen Sie sich vom Modell der Schulcluster insbesondere für den ländlichen Raum?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Ich erhoffe mir insbesondere für den ländlichen Raum, dass wir eben – und ich weiß das – die Kleinschulen nicht schließen müssen. Die Pflichtschulen – also Volksschulen und Neue Mittelschulen – können sich zusammenschließen, um gemeinsame Konzepte zu ent­wickeln, beziehungsweise sollen in den jeweiligen Regionen die Bundesschulen im Verbund der Bildungsregion einfach gemeinsame Strategien und Ziele entwickeln; das wäre der Wunsch.

Auch die Nahtstellen kann man ganz anders bespielen, wenn sich die Schulen stärker zusammenschließen, wenn sie gemeinsam ein Konzept entwickeln. Es gibt dann erstmals ein durchgängiges Konzept vom – hoffentlich – Kindergarten weg. Der Kin­dergarten ist dann ein Teil der Bildungsregion, und dann kann man auch diese Nahtstellen besser definieren, im besten Fall bis zur Matura.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Dziedzic. – Bitte.

 


Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Mich würde interessieren, in welchem Ausmaß zusätzliches Verwaltungspersonal für die Führung und Verwaltung von Schulclustern bereitgestellt wird, was da geplant ist.

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Es ist klar, dass größere Verbünde Verwaltung haben sollen, das ist keine Frage, und da können die Verwaltungen aus den jeweiligen Schulstandorten gebündelt werden, das soll auch so sein. Und – ich habe es schon erwähnt – die Einrechnungen bei den jetzigen Direk­torinnen und Direktoren fallen dann weg, das heißt, aus diesen Kontingenten kann man zusätzliches Verwaltungspersonal dazunehmen, aber das liegt in der Gestaltungs­hoheit der Cluster.

 


Präsident Mario Lindner: Wir gelangen zur 8. Anfrage, 1889/M-BR/2016. Ich bitte die Anfragestellerin, Frau Bundesrätin Anderl, um die Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrätin Renate Anderl (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Meine Frage lautet:

1889/M-BR/2016

„Wie ist derzeit das Angebot an ganztägigen Schulformen in Österreich?“

 



BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 27

Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Vielen Dank für diese Frage. Der Iststand ist so, dass wir in Wien hinsichtlich Schülerinnen- und Schülerzahlen 40 Prozent haben, in Vorarlberg beispielsweise 32 Prozent; in Tirol sind es aber etwa nur 12 Prozent und in Kärnten 13 Prozent. Das ist pro Bundesland ganz unterschiedlich gestaltet.

Wir haben aber mit dem Ganztagsschulpaket, das im Juli verabschiedet wurde, den Ministerrat passiert hat, die Möglichkeit, die Zahlen entsprechend zu erhöhen. Es war ja auch die Absicht, quer über das Bundesgebiet auf 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler zu kommen, die eine ganztägige Schulform in Anspruch nehmen. Wir haben einen Radius von 20 Kilometern hinterlegt, innerhalb dessen Familien die Möglichkeit haben sollten, pro Schultyp ganztägige Betreuung für ihr Kind zu bekommen. Das ist das Ziel, und da wollen wir hin.

Mit dem 750-Millionen-€-Paket können infrastrukturelle Maßnahmen gesetzt werden, damit ganztägige Schule auch gut gelingen kann. Da reden wir von Freizeitmög­lichkeiten, aber auch von Möglichkeiten für Lehrerinnen und Lehrer, vernünftige Arbeits­plätze zu bekommen – das ist ein ganz wichtiges Thema, damit das Ganze erleichtert wird –, bis hin zu personellen Maßnahmen, zum Beispiel zusätzliche Frei­zeit­pädagoginnen und -pädagogen, die es dann ja auch braucht.

Im besten Fall ist das gut gestaltet, auch da erwarten wir uns Konzepte aus den Regionen und von den Schulen – im Sinne der neuen Autonomie –: Was braucht der Standort? Welche Formen braucht es? Wie bindet man zum Beispiel Musikschulen und Vereine so ein, damit ganztägige Schule angesichts der Vielzahl an Möglichkeiten gut gestaltet werden kann und gut gelingen kann.

 


Präsident Mario Lindner: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Frau Bun­desrätin.

 


Bundesrätin Renate Anderl (SPÖ, Wien): Der Ministerratsvortrag, der im Sommer beschlossen wurde, wurde heute schon erwähnt, und wenn man genau nachliest, zeigt sich, dass das bei Weitem kein Sparpaket ist – vollkommen richtig! Es sind begrüßens­werte Maßnahmen enthalten, wie auch der weitere Ausbau der ganztägig geführten Schulformen.

Meine Frage lautet daran anschließend: Kann man abschätzen, wie lange es dauern wird, beziehungsweise wann will man eigentlich die angesprochenen 40 Prozent er­reichen?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Das Paket reicht bis 2025, da sollen diese 40 Prozent jedenfalls erreicht sein, aber es wird an den Standorten ganz unterschiedlich sein: Wenn man bauen muss, dauert es länger, wenn man nicht bauen muss, kann es schneller gehen. Da wird es in der Realisierung unter­schiedliche Modelle geben, und ich hoffe, dass es einige Standorte geben wird, an denen wir sehr schnell rauskommen, damit wir sehen können, wie gut das gelingen kann.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Junker. – Bitte.

 


Bundesrätin Anneliese Junker (ÖVP, Tirol): Sehr geehrte Frau Bundesminister! Vom Ausbau der Ganztagsschulen erwarten Sie sich ja, dass durch Stützpersonal auch die Freizeitbetreuung verbessert wird. Was mich aber in diesem Bereich auch noch interessiert: Erwarten Sie sich, dass durch den Ausbau der ganztägigen Schulform


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 28

eine bessere Betreuung auch für verhaltensauffällige Kinder gewährleistet wird, und wer gibt die Anweisung, dass das gewünschte Stützpersonal – ob in psychologischer oder welcher Hinsicht auch immer – eingestellt wird?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Inklusion ist mir ein wichtiges Thema, auch hinsichtlich Ausbau der ganztägigen Schulformen. Es ist Teil der Kriterien und wird Teil der Kriterien sein, da besonders hinzuschauen und Inklusion an diesen ganztägigen Schulen auch zu leben.

Die Zuteilung erfolgt entlang der Kriterien, die es jetzt schon gibt, aber das ist dann am Standort zu entscheiden, auch abhängig von der Anzahl der Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf. Die Zuteilung von pädagogischem Personal für diese Schulen ist aber jetzt schon geregelt, da gibt es Kriterien, die hinterlegt sind.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ecker. – Bitte.

 


Bundesrätin Rosa Ecker (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Minister! Im Pflichtschulbereich sind die Kosten für die Ganztagsbetreuung für die Eltern sehr unterschiedlich, im Bundesschulbereich ist das einheitlich geregelt.

Gibt es Ihrerseits Bestrebungen, mit den Ländern in Verhandlung zu treten, damit auch im Pflichtschulbereich die Kosten für die Eltern irgendwie einheitlich geregelt werden?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Im 750-Millionen-€-Paket ist das genau das Thema. Wir wollen, wenn es nach uns geht, jedenfalls Kostenfreiheit haben, um es vor allem auch den Eltern sozial schwächerer Kinder – die brauchen wir ja ganz besonders an den ganztägigen Schulen, die wollen wir ja auch insbesondere adressieren – zu ermöglichen, ihre Kinder an diese Schulen zu schicken. Das heißt: Kostenfreiheit, aber jedenfalls soziale Staffelung.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Stögmüller. – Bitte.

 


Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Mich würde interessieren: Welche Bundesländer haben eigentlich für 2015 und 2016 die bereitgestellten Förder­mittel des Bundes zum Ausbau der ganztägigen Schulen nicht zur Gänze abgerufen? Haben Sie da Zahlen für uns?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Im Ministerium! Ich habe sie jetzt nicht vorliegend. Sie meinen jene gemäß Artikel-15a-Vereinbarung? (Bundesrat Stögmüller: Ja!) – Da muss ich jetzt passen, das kann ich nachliefern. (Bundesrat Stögmüller: Bitte!)

 


Präsident Mario Lindner: Wir gelangen nun zur 9. Anfrage, 1893/M-BR/2016. Ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Hammerl, um die Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrat Gregor Hammerl (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrte Frau Bundesminister! Ein ganz wichtiger Punkt am Schluss der heutigen Fragestunde: Sie waren heute sehr fleißig, ich habe bemerkt, Sie haben heute nicht einmal Zeit gehabt, ein Glas Wasser zu trinken. (Heiterkeit bei der SPÖ. – Bundesministerin Hammerschmid: Stimmt!) Das gehört auch dazu.

Frau Bundesminister, meine Frage lautet:


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 29

1893/M-BR/2016

„Welche Maßnahmen haben Sie getroffen, um die bei der Verabschiedung des neuen Lehrerdienstrechts zeitgleich beschlossenen Entschließungsanträge des Nationalrates umzusetzen?“

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Die vier Ent­schließungsanträge damals waren jene betreffend: Schwerpunkt innere Schulreform, Arbeitsplätze für Lehrerinnen und Lehrer, Entlastung von Verwaltungsaufgaben und Unterstützungssysteme.

Hinsichtlich Arbeitsplätze für Lehrerinnen und Lehrer beispielsweise haben wir ja bereits bei den Schulbaupaketen ab 2008 darauf abgestellt, dass Arbeitsplätze für LehrerInnen entsprechend berücksichtigt werden müssen, damit alle PädagogInnen einen ansprechenden und adäquaten Arbeitsplatz bekommen. Das ist nicht nur im Schulbau ab 2008 berücksichtigt worden, sondern ist auch Thema des soeben erwähnten Ganztagsschulpakets. Es müssen Arbeitsbedingungen geschaffen werden, die es den Lehrern möglich machen, gut zu arbeiten und gut zu gestalten.

Zum Thema Entlastung von Verwaltungsaufgaben: Da ist es so, dass es mit den Clustern und mit dem Autonomiepaket eine weitreichende Gestaltungsmöglichkeit gibt, das Thema Verwaltung neu zu denken und neu anzugehen. Das wird eine neue Form bekommen.

Unterstützungssysteme zur besseren Bewältigung psychologischer, gesundheitlicher und sozialer Herausforderungen – auch das habe ich schon erwähnt –: Es ist ganz besonders wichtig, dass wir dort hinschauen. Wir haben neue Herausforderungen, wir haben ganz andere Herausforderungen als noch von zehn, zwanzig Jahren, und da entsprechend zu reagieren, ist in der Tat notwendig.

Gestaltungsspielraum bietet sich beispielsweise durch Clusterstandorte und im Zuge des Autonomiepakets. Wir haben aber auch Unterstützungspersonal für die Standorte bekommen – das habe ich ja schon ausgeführt –, im Zuge beispielsweise der Integrationstöpfe I und II, damit eben besondere Herausforderungen gut adressiert werden können; ob das jetzt Sprachkompetenz oder Probleme an den Schulen sind, wo es Psychologen braucht, wo es Sozialarbeiter braucht. Das ist in der Tat ein Stück weit besser geworden und gelungen.

 


Präsident Mario Lindner: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

 


Bundesrat Gregor Hammerl (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrte Frau Minister! Ich habe hier ein ganzes Konvolut an Entschließungsanträgen, Schwerpunkt ist das neue Lehrerdienstrecht.

Sehr geehrte Frau Minister! Wann werden die in den Entschließungen ersuchten Berichte an das Parlament übermittelt werden? Es sollte doch in Zukunft ein Signal an die Lehrer folgen.

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Könnten Sie die Frage wiederholen, die habe ich jetzt nämlich nicht verstanden?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Herr Bundesrat.

 


Bundesrat Gregor Hammerl (ÖVP, Steiermark): Wann werden die in den Ent­schließungen ersuchten Berichte an das Parlament übermittelt werden? Diese Ent­schließungsanträge sollten doch zu einem Signal an die Lehrer führen.

 



BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 30

Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Dem muss ich nachgehen, da kann ich jetzt, ehrlich gesagt, gar nichts dazu sagen.

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Herr Bundesrat.

 


Bundesrat Gregor Hammerl (ÖVP, Steiermark): Die Entschließungsanträge des Nationalrates, Schwerpunkt: das neue Lehrerdienstrecht – meine Frage ist: Wann werden diese Entschließungsanträge bearbeitet? (Ruf: Wird nachgereicht!)

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Ich kann das nur nachreichen, ich kann es jetzt nicht ausführen. Ich kann das nur nachliefern. Ich kann mir das nur anschauen und schauen, was da verabsäumt wurde.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Grimling. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrätin Elisabeth Grimling (SPÖ, Wien): Frau Bundesministerin! Im Dezem­ber 2013 wurde vom Parlament mit der Dienstrechts-Novelle 2013 das neue LehrerIn­nendienstrecht beschlossen, am Freitag ist dazu der Rechnungshofbericht 2016/16 veröffentlicht worden. – Wie sehen Sie die Kritikpunkte in diesem Bericht?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Dieses Dienstrecht wurde 2013 verhandelt; eigentlich früher, 2012, 2013, es hat ja mehrere Jahre gedauert, dieses neue Dienstrecht auszuverhandeln. Es hat 36 Verhandlungsrunden gebraucht, um zum neuen LehrerInnendienstrecht zu kommen. Wenn ich die Unter­lagen richtig interpretiere, auch aus diesen Verhandlungsrunden heraus, war es dazu­mal ja weniger Thema, Einsparungen zu treffen, sondern einfach eine Weiterent­wicklung dahin gehend zu bewerkstelligen, dass – erstmals – die Pädagoginnen und Pädagogen in der Sekundarstufe I gleichgestellt sind, dass – erstmals – Unterrichts­zeiten entsprechend verteilt und gestaltet werden. Das hat zu einem Gutteil päda­gogische Hintergründe. Dass Übergangsfristen gemacht wurden, wie sie gemacht wurden … (Zwischenruf bei der FPÖ.) – Ja, aber, wie gesagt, ich will jetzt gestalten und mich nicht wieder in eine Dienstrechtsdiskussion verstricken. Wir wollen, dass Autonomie in den Klassenzimmern ankommt, dass das gut gestaltet wird. Die Priorität liegt auf den Maßnahmen, die jetzt im Klassenzimmer ankommen.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mühlwerth. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Minister! Seit der Einführung des Lehrerdienstrechts haben sich nicht gerade sehr viele für dieses neue System interessiert; 48 von 1 477 haben für das neue System optiert. Das heißt, wenn man das gleich eingeführt hätte, hätte man sich 1 Milliarde € erspart – 1 Milliarde €, die Ihnen im Bildungsbudget ganz dringend fehlen.

Was werden Sie jetzt also tun? Ich weiß, 2018 wird es ohnehin eingeführt, aber warum hat man das überhaupt so gemacht, wenn man im Bildungsressort ohnehin – wie man in Wien sagt – kracht wie eine Kaisersemmel? Was werden Sie tun, um den Schaden bis zur endgültigen Einführung zu minimieren?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 31

Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Da müssen Sie in der Tat meine Vorgänger fragen. Ich habe es nicht verhandelt, ich saß nicht am Tisch, ich war nicht dabei.

Die Logiken, die dahinterstanden, da ein Stück weit anders zu gestalten, habe ich aus­zuführen versucht. Jetzt die Diskussion wieder aufzumachen, um die Übergangsfristen zu verkürzen?! – Also wenn es wieder 35 Runden beziehungsweise zwei Jahre braucht, sind wir automatisch dort. Also stellt sich schon die Frage, ob wir uns in diese Diskussion begeben sollen, wiewohl ich diese Argumentation verstehe. Ja, das ist mir schon klar, aber ich glaube, der Fokus sollte jetzt wirklich darauf gerichtet sein, Maßnahmen zu setzen, wovon die Kinder etwas haben, wovon die Jugendlichen etwas haben, wovon die Pädagoginnen und Pädagogen etwas haben, und zwar schnell. Deshalb ist es mir so wichtig, die Maßnahmen zu setzen, die ich schon erwähnt habe.

 


Präsident Mario Lindner: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Stögmüller. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Abschließend noch eine Frage: Ist eine echte Zusammenführung der Ausbildung der LehrerInnen für die Sekun­darstufe I, ohne Differenzierung zwischen AHS und Neue Mittelschule, geplant?

 


Präsident Mario Lindner: Bitte, Frau Bundesministerin.

 


Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: In der PädagogIn­nenbildung Neu ist das eine gemeinsame Ausbildung für die Sekundarstufe I. Das ist so. (Bundesrat Stögmüller: Und den AHS? Die Zusammenführung?) – Sie können alles unterrichten. Mit dieser PädagogInnenbildung Neu können Sie sowohl in der Neuen Mittelschule als auch beispielsweise in der AHS-Unterstufe unterrichten. Das ist jetzt komplett flexibel, macht auch viel Sinn, das gleichzuschalten, weil die Curricula auch extrem ähnlich sind.

 


Präsident Mario Lindner: Ein herzliches Dankeschön an unsere Frau Bildungs­ministerin Dr. Sonja Hammerschmid. Die Fragestunde ist beendet. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

10.26.42Einlauf und Zuweisungen

 


Präsident Mario Lindner: Hinsichtlich des eingelangten Schreibens des General­sekretärs des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten gemäß Artikel 50 Abs. 5 B-VG betreffend Aufnahme von Verhandlungen über einen Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Republik Kolumbien über die wechselseitige Vollzie­hung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen verweise ich auf die im Sitzungssaal verteilte Mitteilung gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates, die dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen wird.

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:


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Schreiben des Generalsekretärs für auswärtige Angelegenheiten gemäß Art. 50 Abs. 5 B-VG:

 

 


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*****

Ich begrüße ganz herzlich den Ersten Vizepräsidenten des Ausschusses der Regionen Karl-Heinz Lambertz. Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Vertretung von Mitgliedern der Bundesregierung

 


Präsident Mario Lindner: Weiters eingelangt sind Schreiben des Ministerratsdienstes des Bundeskanzleramtes

betreffend den Aufenthalt des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Tech­no­logie Mag. Jörg Leichtfried vom 23. bis 28. Oktober 2016 in Mexiko bei gleichzeitiger Beauftragung des Bundesministers für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien Mag. Thomas Drozda mit dessen Vertretung,


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betreffend den Aufenthalt des Bundesministers für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter vom 22. Oktober bis 1. November 2016 in Chile, Argentinien und Uruguay bei gleichzeitiger Beauftragung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter mit dessen Vertretung,

betreffend den Aufenthalt der Bundesministerin für Familien und Jugend MMag. Dr. Sophie Anna Karmasin-Schaller am 25. und 26. Oktober 2016 in Tel Aviv bei gleichzeitiger Beauftragung des Bundesministers für Inneres Mag. Wolfang Sobotka mit deren Vertretung sowie

betreffend den Aufenthalt des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres Sebastian Kurz in der Zeit vom 23. bis 27. Oktober 2016 in Johannesburg und Nairobi bei gleichzeitiger Vertretung des Bundesministers für Inneres Mag. Wolfgang Sobotka am 23. und 24. Oktober 2016 und des Bundesministers für Finanzen Dr. Johann Georg Schelling vom 25. bis 27. Oktober 2016.

*****

Eingelangt ist und dem Umweltausschuss zur Vorberatung zugewiesen wurde der Elfte Umweltkontrollbericht (III-600-BR/2016 d.B.).

Eingelangt sind und den zuständigen Ausschüssen zugewiesen wurden jene Be­schlüsse des Nationalrates, die Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind.

Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen abgeschlossen und schriftliche Ausschuss­berichte erstattet.

Absehen von der 24-stündigen Aufliegefrist

 


Präsident Mario Lindner: Es ist mir der Vorschlag zugekommen, von der 24-stündigen Aufliegefrist der gegenständlichen Ausschussberichte Abstand zu nehmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die mit dem Vorschlag der Abstand­nahme von der 24-stündigen Aufliegefrist der gegenständlichen Ausschussberichte einverstanden sind, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Vorschlag ist mit der nach § 44 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates erfor­derlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

Antrag gemäß § 16 Abs. 3 GO-BR

 


Präsident Mario Lindner: Ich gebe bekannt, dass von den Bundesräten Mario Lindner, Mag. Ernst Gödl, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 66 der Geschäftsordnung des Bundesrates der Selbständige Antrag 221/A-BR/2016 auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete zum Thema „#DigitaleCourage“ eingebracht wurde.

Des Weiteren wurde gemäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates beantragt, diesen Selbständigen Antrag ohne Ausschussvorberatung in Verhandlung zu nehmen.

Ich lasse daher über den Antrag der Bundesräte Mario Lindner, Mag. Ernst Gödl, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen, den gegenständlichen Selbständigen Antrag 221/A-BR/2016 auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates ohne Vorberatung durch einen Aus­schuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen, abstimmen.


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 36

Hiezu ist eine Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen erforderlich.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem vorliegenden Antrag der Bun­desräte Mario Lindner, Mag. Ernst Gödl, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen ihre Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenein­helligkeit. Der Antrag, den Selbständigen Antrag 221/A-BR/2016 ohne Vorberatung durch einen Ausschuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen, ist somit mit der erfor­derlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

Ich werde daher die Tagesordnung um den Antrag 221/A-BR/2016 ergänzen und ihn als 8. Tagesordnungspunkt in Verhandlung nehmen.

*****

Ich habe die zuvor genannten Verhandlungsgegenstände sowie die Erklärung des Ersten Vizepräsidenten des Ausschusses der Regionen Karl-Heinz Lambertz zum Thema „Die Rolle der Regionen in der europäischen politischen Agenda“ auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Das ist dies nicht der Fall.

Behandlung der Tagesordnung

 


Präsident Mario Lindner: Aufgrund eines mir zugekommenen Vorschlages beab­sichtige ich, die Debatte über die Tagesordnungspunkte 2 bis 4 unter einem durchzu­führen.

Erheben sich dagegen Einwände? – Das ist nicht der Fall.

10.32.161. Punkt

Erklärung des Ersten Vizepräsidenten des Ausschusses der Regionen Karl-Heinz Lambertz gemäß § 38a GO-BR zum Thema „Die Rolle der Regionen in der europäischen politischen Agenda“

 


Präsident Mario Lindner: Wir gehen in die Tagesordnung ein und gelangen zu deren 1. Punkt.

Bevor ich dem Herrn Vizepräsidenten des Ausschusses der Regionen das Wort erteile, gebe ich bekannt, dass gemäß § 38a GO-BR im Anschluss an diese Erklärung eine Debatte stattfindet.

Es wurde in der Präsidialkonferenz Einvernehmen darüber erzielt, dass in der ersten RednerInnenrunde pro Fraktion je eine Rednerin beziehungsweise ein Redner zu Wort kommt, deren beziehungsweise dessen Redezeit grundsätzlich jeweils 10 Minuten nicht überschreiten soll.

Im Anschluss daran soll eine weitere Fraktionsrunde folgen, wobei die Redezeit ebenfalls 10 Minuten nicht überschreiten soll.

Schließlich wird der Herr Vizepräsident des Ausschusses der Regionen Karl-Heinz Lambertz die Möglichkeit zum Schlusswort erhalten.

Ich darf den Herrn Vizepräsidenten des Ausschusses der Regionen noch einmal ganz herzlich bei uns im Bundesrat begrüßen, und erteile ihm nun das Wort. – Bitte.

 



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10.33.12

Erster Vizepräsident des Ausschusses der Regionen Karl-Heinz Lambertz: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Bundesrätinnen und Bundesräte! Es ist ein ganz besonderes Vergnügen, an dem Tag in Wien sein zu können, an dem sich der Geburtstag des großen Komponisten Johann Strauß zum 191. Mal jährt. Ich habe aber nicht vor, zu singen (allgemeine Heiterkeit), ich werde es bei einer Rede belassen.

Der 25. Oktober 2016 ist auch der Tag, an dem vor 37 Jahren in Spanien dem Baskenland und Katalonien weitgehende Autonomierechte verliehen wurden. Der 25. Oktober 2016 ist der Tag, an dem klar werden wird, dass die Konferenz zwischen der EU und Kanada kein CETA-Abkommen unterschreiben kann, weil sich eine belgische Region dem widersetzt. Dieser 25. Oktober ist auch ein Tag, an dem man in vielen Presseorganen lesen kann, wie kompliziert die Verhandlungen zum Brexit werden, weil politische Regionen andere Auffassungen als die britische Regierung haben. Und ob der neue spanische Premierminister, der ja eine Minderheitsregierung führen wird, so ohne weiteres mit den Katalanen klarkommen wird, ist auch noch eine Frage, auf die man heute keine Antwort geben kann. (Vizepräsident Gödl übernimmt den Vorsitz.)

Warum erzähle ich Ihnen das? – Ich erzähle das deshalb ganz bewusst am Anfang meiner Ausführungen, weil daran deutlich wird – wenn wir einmal von Johann Strauß absehen –, dass die regionale Wirklichkeit in Europa eine durchaus relevante und manchmal übrigens keineswegs unproblematische Rolle spielt.

Ich freue mich aber auch deshalb, heute hier bei Ihnen sein zu dürfen, weil ich selbst trotz meiner schon relativ längeren Laufbahn – ich bin eher in der Abenddämmerung denn am Morgengrauen meiner politischen Laufbahn angelangt – erst vor genau zwei Wochen Mitglied des belgischen Senats geworden bin. Das ist die Zweite Kammer in Belgien und hat mit Ihrem Hause wahrlich vieles gemeinsam, abgesehen von einer Zahl, nämlich der Mitgliederzahl. Sie sind 61, wenn Sie alle hier sind, und der Senat in Belgien besteht aus 60 Mitgliedern. Es gibt auch bei uns eine große Diskussion, ob die Befugnisse des belgischen Senats stark genug sind – auch das kennen Sie aus Ihrer Debatte –, und es gibt in Belgien auch sehr viele, die meinen, diese Zweite Kammer sei überflüssig. Auch das habe ich schon einmal in Österreich gehört oder in Schriften gelesen. Wir sind also in einer Schicksalsgemeinschaft.

Vor diesem Hintergrund lässt sich in der Tat das Thema Europa aus einem ganz besonderen Blickwinkel analysieren, nämlich dem Blickwinkel der staatlichen Ebene, die unter den nationalstaatlichen Ebenen tätig ist und die es in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union, aber auch des Europarates auf die eine oder andere Weise gibt, wenn man einmal von Andorra, San Marino, dem Vatikan und noch ein paar anderen Kleinstaaten absieht.

Apropos Europarat: Wenn man über die Rolle der Regionen in Europa spricht, denkt man natürlich in unseren Breitengraden immer zuerst an die Europäische Union. Es gibt aber viele gute Gründe, in dieser Frage auch den Blick etwas auf den Europarat zu lenken. Das hat mit Geschichte zu tun, das geht aber auch ganz direkt in das Herz der aktuellen Politik auf unserem Kontinent, denn wenn wir uns die Debatten um die Türkei, um die Ukraine, um Russland etwas näher anschauen, dann werden wir interessanterweise feststellen können, dass das alles Mitgliedstaaten des Europarates sind und folglich die Debatte mit diesen Staaten einen ganz anderen Rahmen hat, als wenn man sie aus der Sicht der Europäischen Union führt, zumal es auf dieser Ebene ja ganz andere Beziehungen zu diesen Staaten gibt.

Dem Europarat und der Europäischen Union gemein ist die Tatsache, dass regionale Themen eine große Rolle spielen. Der Europarat zählt zu seinen prominenten Produk-


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 38

ten die Entwicklung der Charta der lokalen Autonomie und den Referenzrahmen für regionale Demokratie; sehr interessante Dinge, die auch einen festen Bestandteil der Debatten über den Inhalt und die Weiterentwicklung des Rechtsstaates ausmachen. Und in der Europäischen Union ist die Regionalpolitik natürlich ein Kernstück euro­päischer Gestaltung, über deren Zukunft wir uns übrigens zurzeit wieder richtig vernünftig und vertieft Gedanken machen sollten, denn die Entwicklung der Regional­politik läuft ja nach den Zeitvorstellungen der Europäischen Union. Wir befinden uns jetzt gerade so knapp in der Mitte einer Förderperiode, aber jetzt werden die Weichen für die Periode nach 2020 gestellt, und wenn wir da als Region beziehungsweise als Vertreter von Regionen nicht mit dabei sind, können plötzlich Entscheidungen gefällt werden, die uns dann gar nicht gefallen.

Gemeinsam haben Europarat und Europäische Union auch jeweils ein Gremium, in dem die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften vertreten sind. Im Europarat ist das der Kongress der Gemeinden und Regionen, dem seit genau einer Woche jetzt eine Österreicherin für zwei Jahre vorsteht, Frau Gudrun Mosler-Törnström, Vizeprä­sidentin des Salzburger Landtages. Bei der EU ist das der Ausschuss der Regionen, der 2019 schon ein Vierteljahrhundert alt sein wird und eine reiche Erfahrung aufweist.

Ehe ich mehr zur Rolle der Regionen bei der Gestaltung der Europapolitik sage, er­scheint es mir sinnvoll, noch einen kleinen Augenblick auf den Begriff Region einzu­gehen. Was ist eigentlich in Europa – sei es der Europarat, sei es die Europäische Union – eine Region? – Wenn wir uns da in die Innereien der verschiedenen Staaten hineinbegeben, werden wir feststellen, dass es fast überall Regionen gibt, wie ich eben sagte, dass aber deren Ausgestaltung, deren Zuständigkeiten und deren Verhältnis zu den zentralstaatlichen Strukturen äußerst vielfältig und unterschiedlich sind.

Einfache Kategorien gibt es da nicht. Man könnte sagen, es gibt die erste Kategorie – die Formel 1, wenn ich das einmal im Rennfahrerjargon sagen darf – der Regionen, das sind die Regionen mit Gesetzgebungshoheit, speziell diejenigen, die in Bundes­staaten bestehen. Dann gibt es die anderen Regionen, die überall anderswo sind, die manchmal reine Verwaltungsstrukturen sind, manchmal aber auch größere Eigenstän­digkeiten haben.

Wenn man aber genau hinter die Kulissen schaut und sich mit Zuständigkeiten, mit Finanzmitteln und auch konkret mit Macht beschäftigt, dann wird man feststellen, dass das keineswegs immer nur davon abhängt, wie die Staatsform ist. Niederländische Provinzen oder die neuen französischen Regionen, die eigentlich keiner gewollt hat, weil sie so groß geworden sind, spielen mittlerweile in der niederländischen und auch in der französischen Politik eine ganz starke Rolle.

In den Bundesstaaten Europas, die ja im Wesentlichen Deutschland, Österreich, die Schweiz und Belgien sind, spielen die Regionen auch eine sehr starke, aber durchaus unterschiedlich gestaltete Rolle. Gerade die Zweiten Kammern sind dann für diese Regionen, die man im deutschen Sprachraum meistens Länder nennt oder Kantone in der Schweiz, ganz besonders wichtige und manchmal auch sehr delikate Organe, weil dort die Meinungsbildung im Verhältnis zur zentralstaatlichen Ebene erarbeitet werden kann. Das geschieht aber nicht im luftleeren Raum, sondern in der jeweiligen politischen Situation der einzelnen Staaten. Da ist dann immer die Frage, wie stark ein Mitglied einer Zweiten Kammer seine Region oder aber die Fraktion, deren Mitglied er politisch ist, vertritt. Das sind sehr, sehr spannende Fragen, die es überall gibt. Da kann man im Austausch sehr viel voneinander lernen; zumindest ist das meine Erfah­rung, die ich gemacht habe.

Regionen sind auch deshalb so vielfältig und unterschiedlich, weil sie fast alle einen sehr starken Bezug zur Geschichte haben. Die Geschichte der Regionen ist meistens


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sehr viel älter als die der Nationalstaaten, und das macht die ganze Konstellation so spannend, insbesondere wenn die Frage auftaucht: Soll man denn Grenzen von Regio­nen ändern, soll man Regionen zusammenlegen, weil große und kleine neben­einander sehr unterschiedlich geworden sind? Das alles sind sehr spannende Fragen. Da erlebt man sehr oft ähnliche Dinge wie bei Gemeindefusionen: Wer an dieses Thema herangeht, der tangiert das Herz der Menschen, ihre Gefühle, und da ist das Überleben solcher Fusionsprojekte meistens eine ganz große Herausforderung. Ich weiß ein ganz klein wenig, wovon ich da rede.

Beeindruckt war ich persönlich am meisten von dem Tag der Volksbefragung zur Fusion von Berlin und Brandenburg. Ich habe live vor Ort miterlebt, wie der regierende Bürgermeister von Berlin und der Ministerpräsident von Brandenburg in Eisenhütten­stadt die Brandenburger überzeugen wollten, doch für diese Fusion zu sein. Das ist so etwas von danebengegangen, wie etwas gar nicht danebengehen kann, obschon die gesamte Parteienlandschaft dafür war.

Was will ich damit sagen? – Wenn ich über Regionen spreche, rede ich auch immer über Stärke, über regionale Identitäten, über Verankerungen, die eine große Rolle spielen. Das hat für das Lebensgefühl der Menschen selbst und vielleicht vor allem in Zeiten zunehmender Globalisierung eine große Bedeutung, denn diese regionale Verankerung spielt für viele Menschen eine ganz große Rolle für ihr Selbstverständnis und für ihre Lebensbedingungen.

Deshalb kann man bei diesen vielfältigen Regionen festhalten, dass eigentlich zwei Dinge sie prägen: einerseits diese regionale Verankerung, die Identität, und anderer­seits die Frage, ob das eine Identität, ein Selbstverständnis ist, das nur auf sich selbst bezogen ist oder das auch bereit ist, sich zu öffnen, das Querverbindungen, Kontakte, Vernetzungen eingeht. Meine Erfahrung und auch die vieler anderer lässt sich in einem einfachen Satz zusammenfassen: Erfolgreiche Regionen sind zu Hause tief verwurzelt und international gut vernetzt. Wer diese beiden Merkmale mit sich bringt, der gehört meistens zu den erfolgreichen Regionen.

Kommen wir nun zu Europa, und da werde ich ausschließlich von der Europäischen Union reden: Die Europäische Union war zweifellos eine der großen, wenn nicht sogar – wie es Barack Obama bei seinem letzten Europabesuch als amerikanischer Präsident gesagt hat – die größte Verwirklichung des 20. Jahrhunderts auf unserem Kontinent. Das ist nicht von Zufällen gekommen, sondern aus den leidvollen Erfah­rungen zweier Weltkriege erwachsen. Auf den Scherben dieser Weltkriege hat man – man kann schon sagen visionär – die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl aufgebaut, wobei ja Leute wie Schuman und Monnet  eine besondere Bedeutung haben.

Wenn man sich einmal überlegt, warum gerade Kohle und Stahl die ersten ausge­suchten Themen waren, so stellt man fest, dass das viel damit zu tun hat, dass man mit Kohle und Stahl Krieg führen kann. Wenn man Kriege führt, zumal damals, braucht man Stahl und auch Kohle. Das in eine gemeinsame Verwaltung zusammenzubringen war natürlich der Königsweg, um zukünftige Kriege zu verhindern.

Danach ist eine ganze Menge geschehen. Das können wir im Einzelnen heute hier nicht vertiefen, Sie wissen es übrigens genauso gut wie ich selbst. Die Republik Öster­reich ist ja zu einem gewissen Zeitpunkt dann auch Mitglied der Europäischen Union geworden, vor der größeren Erweiterung, die im Jahr 2004 stattfand.

Das wäre eigentlich ein idealer Rahmen gewesen, um die friedenssichernde und auch die den Lebensstandard positiv beeinflussende Erfolgsgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in das neue Jahrhundert hineinzubringen.


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Was erleben wir jedoch heute? – Einen Paradigmenwechsel: Für viele ist Europa heute nicht mehr die Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen, sondern die personifizierte Angst vor der Verschlechterung derselben. Alles, was irgendwo nicht richtig läuft, wird sehr schnell Europa in die Schuhe geschoben. Das kann natürlich auf Dauer nicht gut gehen, und das ist auch nicht gut gegangen.

Europa steckt zurzeit in einer ziemlich komplexen Krise oder, besser gesagt, einer Vielzahl von Krisen – in einer Multikrise, wenn Sie so wollen. Das ist so ähnlich wie bei Patienten: Wenn Sie einen Patienten haben, der viele Krankheiten auf einmal hat, dann ist der Fall besonders schwierig.

Wir haben zurzeit über den Brexit zu diskutieren. Das gehört natürlich auch zum Leben. Zwangsehen sind nie gut, und wenn jemand eine Gemeinschaft verlassen will, dann muss er eben gehen. Nur wird das jetzt Monate und Jahre das Interesse in Europa fokussieren, das wir eigentlich für ganz andere Dinge brauchen. Dann hatten wir eine sehr heftige Finanzkrise, die wir übrigens immer noch haben, die nur deshalb nicht so prominent im Vordergrund steht, weil es mittlerweile andere Krisen gibt, die noch größer geworden sind. Das ist einerseits die gesamte Flüchtlingsproblematik, die Sie ja gerade in Österreich auch sehr hautnah erleben, und andererseits die sehr schwierig gewordenen Verhältnisse zur Nachbarschaft, unter anderem zur Russischen Föderation oder zur Türkei, um einmal zwei Beispiele zu nennen.

Wenn Sie das alles dann noch damit verbinden, dass wir mit großer Begeisterung eine Währungsunion beschlossen haben und damit die Staaten dazu verpflichtet haben, auf das Abwertungsinstrument oder auf Einflüsse auf die Inflationsentwicklung zu verzich­ten, ohne aber gleichzeitig auch die Wirtschaftspolitik, die Steuer- und Abgabenpolitik besser zu integrieren, dann haben Sie genügend Themen, mit denen Sie sich beschäftigen können und wo eine Krise die andere jagt. Das Ganze zusammen ist ein sehr, sehr unbekömmlicher Cocktail.

Sollte man da nicht, wie viele sagen, auch in Österreich die Europäische Union abschrei­ben und feststellen: Da haben wir historisch den falschen Weg beschritten, wir wollen da raus, wir machen etwas anderes, wir kommen wieder zurück zu der Nationalstaatenpolitik früherer Jahrhunderte? – Diese Frage ist legitim. Sie kann aber meiner Meinung nach nur mit Nein beantwortet werden. Wenn wir uns nämlich die Welt anschauen, dann werden wir feststellen, dass wir weltweit vor einer ganzen Menge großer Herausforderungen stehen – von der Friedenssicherung über die Umweltpolitik bis zur demographischen Entwicklung und noch vielem mehr –, die man auf keinen Fall alleine als Nationalstaat meistern kann. Da ist es absolut notwendig, mindestens auf kontinentaler Ebene zusammenzuarbeiten, und das gilt ganz bestimmt für die Posi­tionierung Europas in der Welt.

Dieser Eurozentrismus, wo wir der ganzen Welt zeigen, wo es langgeht, ist schon längere Zeit vorbei. Es hat sich in der Welt vieles verschoben. Wenn man einmal die Weltkarte auf den Tisch legt und schaut, wie klein Europa eigentlich im Vergleich zum Rest der Welt ist und wie sehr Europa dann auch noch durch Grenzen zerstückelt ist – das ist der Kontinent mit der höchste Dichte an Grenzen –, dann wird einem relativ schnell dämmern, dass da Zusammenarbeit und Gemeinsames wahrscheinlich die einzig wünschenswerte Alternative zum Herangehen an die großen Herausforderungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts darstellen.

Was muss denn nun geschehen? – Meiner Meinung nach brauchen wir eine ziemlich schonungslose Analyse der Schieflagen, in die Europa geraten ist und aus denen Europa wieder heraus muss, wenn es die Zukunft erfolgreich gestalten will. Wenn man sich diese Schieflagen etwas näher anschaut, dann wird man feststellen, dass gerade den Regionen bei der Bewältigung dieser Herausforderung eine durchaus wichtige und


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positive Rolle zufallen kann. Das möchte ich im letzten Teil meiner Ausführungen noch etwas vertiefen.

Schieflagen haben wir eine ganze Menge. Ich spreche jetzt gar nicht von der Zer­brechlichkeit der vermeintlich vorhandenen europäischen Werte, um die wir uns alle gruppieren. Da hat man gerade in der Flüchtlingskrise doch einiges erlebt, das sehr skeptisch macht. Aber ohne gemeinsame Werte hat die Europäische Union auf Dauer keine politische Zukunft.

Da muss man aber auch akzeptieren, dass durchaus unterschiedliche Befindlichkeiten im Norden Europas, im Osten Europas, im Süden Europas und in der Mitte Europas bestehen, und das muss man irgendwie auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Am besten bleibt man bei der Suche nach diesen Gemeinsamkeiten nicht in Europa, sondern man geht besser mitten nach Afrika, mitten nach Asien oder mitten nach Südamerika und schaut sich an, wie die Welt dort funktioniert. Dann wird man doch merken, dass es ein paar Gemeinsamkeiten in Europa gibt, bei denen es sich vielleicht lohnt, sie zu einer starken Wertegemeinschaft zusammenzuschmieden.

Schieflagen haben wir im Bereich des Demokratiedefizits, das die Struktur der Euro­päischen Union zurzeit aufweist. Wir haben auch eine sehr sonderbare Situation, dass Europa gleichzeitig – was ein Mensch ansonsten ja nicht hinkriegt – ein Riese und ein Zwerg ist: ein Riese beim Regeln von Kleinigkeiten, die man eigentlich besser in Anwendung des Subsidiaritätsprinzips den Staaten und Regionen überließe, und ein Zwerg bei den großen Herausforderungen der Weltpolitik, wo die Europäer wegen mangelnder Gemeinsamkeit – außenpolitisch etwa – nur sehr begrenzt Einfluss auf eine ganze Reihe von Dingen haben. Jetzt kann man sagen, dass das gar nicht so schlimm ist, weil ja auch ein Zwerg einen langen Schatten wirft, wenn die Sonne tief genug steht, aber daran, ob das die Lösung für die europäische Zukunft sein kann, mag ich ein klein wenig zweifeln.

Wir haben auch eine Schieflage bei der Währungsunion, die ich schon angesprochen habe. Für die Länder, die im Euroraum sind, gibt es eben keine komplette gemeinsame Politik, um wirklich auch effektiv eine sinnvolle Währungsgemeinschaft sein zu können.

Wir haben auch Schieflagen bei der Frage, wie wir Wettbewerb und Daseinsvorsorge oder Dienstleistung und öffentliches Interesse in einem Gleichgewicht halten können. Da hat gerade die Daseinsvorsorge sehr oft große Schwierigkeiten, ihre Handlungs­möglichkeiten gegen die europäischen Wettbewerbsrichtlinien und -regeln zu verteidi­gen.

Wir haben auch im Bereich der Austeritätspolitik, beim dringend notwendigen Sanieren von Staatshaushalten und Abbau von Staatsverschuldungen einen Weg beschritten, der sehr stark von der bundesdeutschen Politik bestimmt wurde. Man betreibt da eine ziemlich blinde Austeritätspolitik, die am Ende zur Folge hat, dass die Investitions­fähigkeit der Gebietskörperschaften nachhaltig eingeschränkt, wenn nicht sogar zerstört wird. Das könnte man jetzt im Einzelnen noch begründen, das möchte ich aber aus Zeitgründen nicht weiter machen. – Das ist so meine Analyse aus der Sicht der Regionen, so wie ich Europa zurzeit erlebe.

Ich bin fest davon überzeugt, dass dieser neue Schub, dieser Wandel, den wir brauchen, dieser Paradigmenwechsel in gewissen Bereichen, nur dann gelingen kann, wenn man die regionale Ebene sowohl beim Konzeptionieren als auch beim Umsetzen von Europapolitik anders und intensiver beteiligt, als das zurzeit der Fall ist.

Warum? – Europapolitik wird von den Menschen vor Ort erlebt. Immer von denen da in Brüssel oder denen in Straßburg oder denen in Luxemburg zu reden, ist eine verhäng­nisvolle Fehlentwicklung. Europa wird nicht nur in Brüssel, Straßburg und Luxemburg


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gemacht, sondern Europa findet überall dort statt, wo die Menschen leben. Europa findet hier statt und muss hier stattfinden – in den einzelnen Regionen, in den Bundes­ländern, in den Kommunen –, wenn wir wollen, dass dieses Europa eine Zukunft hat!

Das setzt einen Verhaltenswandel bei der Politik voraus, die sehr leicht sozusagen eine Metamorphose im Flugzeug zwischen Brüssel und Wien oder Brüssel und Berlin oder Brüssel und Brüssel, wenn es die Belgier sind, erlebt. In Brüssel beschließt man fleißig mit, und zu Hause erklärt man, dass alle positiven Beschlüsse natürlich von einem selbst stammen, und alles, was dann schwieriger ist, machten die in Brüssel. Das ist so ähnlich schief gewickelt wie Cameron und sein Brexit: Er hat immer nur über Europa geschimpft, mit dem Ausstieg aus der EU gedroht, und als es dann zum Referendum kam, wollte er die Briten überzeugen, dass sie drinbleiben sollen. Da fehlt dann die Glaubwürdigkeit! Das muss man anders machen! Man muss zu Europa und zu dem, was man selbst dort macht, stehen.

Die Bürger erleben das ganz konkret. Europapolitik ist ja durch die Richtlinien und sonstige Anwendungen europäischer Verordnungen mittlerweile schon sehr weit in die nationale Politik miteingewoben, und die Bürger erleben das alles als Politik schlechthin. Der Bürger macht sich keine Gedanken, ob eine Entscheidung jetzt europäischen, nationalen, regionalen oder lokalen Ursprungs ist, der Bürger nimmt die Politikerin oder den Politiker beim Schopf, der am nächsten ist – und das ist selten der Präsident des Europäischen Rates oder der Präsident der Europäischen Kommission, das sind meistens die Landes- und Kommunalpolitiker –, und macht sie oder ihn verantwortlich für das, was ihm gefällt, oder – vor allem – für das, was ihm nicht gefällt.

Deshalb müssen wir verstehen, dass Europapolitik nur dann überleben kann, wenn sie von den Bürgern als etwas Positives erlebt wird – und das nicht nur durch den Verstand, durch den Kopf, sondern auch durch das Herz und die Gefühle. Nur so kann man Menschen für Europa begeistern und den Mehrwert Europas auch deutlich machen. Das setzt aber voraus, dass in Europa eine Politik gemacht wird, auf die die Regionen und Gebietskörperschaften auch Einfluss haben, damit sie sie mitbestimmen können, damit da am Ende etwas herauskommt, was eben zur Verbesserung der Lebensbedingungen und nicht zur Vergrößerung der realen oder gefühlten Bedrohung, die die Menschen in Europa sehen, führt. Das ist eine ganz, ganz große Heraus­forderung, und da haben die Regionen meines Erachtens eine entscheidende Rolle zu spielen.

Die Themen, die wir da prioritär anpacken müssen, sind die Themen der Subsidiarität – das ist eben, das Riesen- und Zwergverhältnis einmal auf eine normale Körpergröße zu bekommen –, das sind auch die wesentlichen Dinge der Daseinsvorsorge, die gerade auf regionaler und lokaler Ebene so unmittelbar von den Menschen erlebt werden, und das ist auch die Investitionspolitik, insbesondere jene, die von den Strukturfonds der Europäischen Union mitbeeinflusst wird. Da ist es ganz wichtig, dass die Impulse zur Weiterentwicklung eben in Synergie zwischen Regionen, Staaten und Europa zustande kommen.

Ganz besonders wichtig ist da natürlich die territoriale Kohäsionspolitik, das ist das eigentliche Kernstück der Regionalpolitik, und da brauchen wir eine sehr gründliche Folgenabschätzung im Vorfeld von Entscheidungen, wo man auch zusammen mit den Regionen klärt, ob denn Entscheidungen auf europäischer Ebene nötig sind und was deren Folgen vor Ort sind. Da ist schon einiges gemacht worden, aber da muss noch intensiv weitergearbeitet werden, und ganz besonders spannend wird das dann, wenn man sich in Grenzregionen aufhält, von denen ja Österreich wie alle Staaten auch eine ganze Reihe um seine Staatsgrenzen herum hat.


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Bei der Verwirklichung dieses politischen Ansatzes haben Landtage, Landesregie­run­gen, regionale Verantwortliche eine sehr große Rolle zu spielen. Sie verkörpern diese Vielfalt, und sie sind am ehesten in der Lage, die Auswirkungen vor Ort zu beurteilen.

Das kann jetzt aber nicht jeder nur für sich alleine machen und dann in einem Chor, der keinen Dirigenten hat, mit 400, 500 Stimmen auf die Europäische Union einsingen, um dann etwas zu bewirken, diese Vielfalt muss auch noch in eine gewisse Vernet­zung und Synergie gebracht werden, damit das nicht immer nur chaotisch wird, so ähnlich wie asynchrone Musik oder Ähnliches – für diejenigen, die das genauso mögen wie ich –, und deshalb ist es so wichtig, dass es auch Orte gibt, wo nach Synergien gesucht wird, wo man zusammenarbeitet, wie etwa im Ausschuss der Regionen. Aber auch die Beziehungen multilateraler Art zwischen Landesregierungen, zwischen Land­tagen untereinander und das gemeinsame Vorgehen in genau definierten Politikbe­reichen spielen da eine ganz entscheidende Rolle.

Diesbezüglich haben wir gerade vor wenigen Wochen auf Betreiben des Landeshaupt­manns von Niederösterreich, Herrn Pröll, ein schönes Beispiel erlebt, als er zum zweiten Mal eine Initiative mobilisiert hat, bei der Vertreter der Regionen mit Fahnen bestückt vom Ausschuss der Regionen zur bayerischen Vertretung – das sind 150 Meter – marschiert sind und dann nach einem Tag der Diskussionen den Behörden der EU eine starke Resolution zur zukünftigen Gestaltung der Regionalpolitik übergeben haben. Das sind Dinge, die wichtig sind! Sie haben natürlich einen starken Symbol­charakter, aber wichtig ist natürlich das, was dahinter geschieht.

Solche Politikansätze können auch in Europa etwas bewirken. Da kann der stärkste Landeshauptmann alleine nach Brüssel gehen – man sagt ja immer, es gibt gewisse Landeshauptleute in Österreich, denen es egal wäre, wer unter ihnen Bundeskanzler ist; das gibt es aber auch in anderen Staaten –, aber alleine können selbst die stärks­ten und größten Regionen weniger bewirken als durch dieses gemeinsame Vorgehen. Das muss man eben geschickt einsetzen, koordinieren, und da kann natürlich der Ausschuss der Regionen eine ganz relevante Rolle spielen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich spreche jetzt schon genau 33 Minuten und 40 Sekunden. Sehr viel länger ist mir hier nicht zugestanden worden – und das ist gut so, wir wollen ja auch noch etwas diskutieren. Lassen Sie mich also zu meiner Abschlussbemerkung kommen!

Ich habe in meinem knappe vier Jahrzehnte dauernden politischen Leben bisher immer wieder erlebt, wie wichtig Europa ist. Ich selbst bin sogar aus europäischen Motiva­tionen in die Politik gegangen: Ich werde niemals vergessen, wie ich 1968, zu dem Zeitpunkt, als die Russen in die Tschechoslowakei einfielen, an einem Jugendseminar in Bonn teilnahm und mit jungen Menschen aus Prag zusammen war. Das hat mich sehr stark beeindruckt. Ich habe in all diesen Jahrzehnten aber auch erlebt, wie schwierig – manchmal zum Verzweifeln – diese Arbeit an einer europäischen Zusam­menarbeit sein kann, und ich bin fest davon überzeugt, dass die jetzige Krise, die wir erleben, eine Bewährungsprobe ist, die wir überstehen müssen, und dass es jetzt gilt, entscheidende Weichen für die Zukunft zu stellen.

Das ist keine einfache Sache. Da gibt es auch kein einfaches Erfolgsrezept, da muss ganz einfach mehr Mut zu mehr Europa da sein, und das hat der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, Joachim Gauck, in einer bedeutenden europapolitischen Rede im Februar 2013 in Berlin sehr gut formuliert. Er hat Folgendes gesagt:

„Mehr Europa fordert mehr Mut bei allen! Europa braucht jetzt keine Bedenkenträger, sondern Bannerträger, keine Zauderer, sondern Zupacker, keine Getriebenen, sondern Gestalter.“ – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Allgemeiner Beifall.)

11.08



BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 44

Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke, Herr Vizepräsident Lambertz, für Ihre Aus­führungen.

Wir gehen nun in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mayer. – Ich erteile dir das Wort.

 


11.09.03

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Präsident Lambertz, ich darf Sie im Namen meiner Fraktion sehr herzlich im Bundesrat begrüßen! Ich darf Ihnen für Ihre Ausführungen danken und vor allem auch dafür, dass Sie sich so gut über Österreich informiert haben. Zumindest den Satz über die Landeshauptleute, den kennen wir, und wir wissen ihn auch entsprechend einzuordnen.

Ich werde jetzt ebenso wenig wie Sie, Herr Präsident, zu Ehren von Johann Strauss singen, denn Sie möchten ja Wien mit guten Eindrücken verlassen. Sie reisen morgen nach Italien; vielleicht gibt es dort bessere Sänger, als ich einer wäre.

Sie sind ja nach Ramón Luis Valcárcel Siso der zweite Präsident des AdR, der dem Bundesrat sozusagen die Aufwartung macht, also unsere Kammer besucht, und mit uns Themen der Europäischen Union und in dem Zusammenhang vor allem auch Themen der Regionen Europas diskutiert. Dafür sind wir dankbar, und wir freuen uns auch auf die Zukunft, und zwar auf eine gemeinsame Zukunft.

Österreich hat nämlich den Zuschlag für die 9. Subsidiaritätskonferenz des AdR erhalten, und da werden wir dann gemeinsam, Herr Präsident, im nächsten Jahr, so wahr uns Gott helfe (Bundesrat Stögmüller: Keine Wahlwerbung!) – ich mache keine Wahlwerbung! (Beifall bei Bundesräten von ÖVP, SPÖ, FPÖ und Grünen) –, so wahr uns Gott helfe – und uns gesund erhalte, wollte ich anfügen –, gemeinsam diese 9. Subsidiaritätskonferenz eröffnen.

Dies sei auch aus dem Blickwinkel gesagt, dass der EU-Ausschuss des Bundesrates im Hinblick auf Subsidiaritätsprüfungen eine der aktivsten Kammern in der Euro­päischen Union ist, und wir, was Subsidiaritätsprüfungen anbelangt, zum Beispiel 2013 hinter Schweden an zweiter Stelle und 2014 mit England zusammen an erster Stelle gelandet sind; für 2015 liegen die Werte nicht vor.

Die Kontakte des Bundesrates, der Austausch mit den Bundesländern gilt auch als Best-Practice-Modell im Rahmen der EU und im Rahmen dieses Subsidiaritäts­prü­fungsverfahrens. Lassen Sie mich dies auch im Hinblick darauf sagen, dass Sie erwähnt haben, Herr Präsident, es gäbe eine Schicksalsgemeinschaft bezüglich der Abschaffung der Zweiten Kammer – in Österreich also des Bundesrates –, die auch immer wieder einmal in Diskussion ist.

Wie Sie ausgeführt haben, Herr Präsident – wir alle wissen das –, beginnt Europa nicht in Brüssel, in Straßburg oder in Luxemburg, sondern Europa beginnt in den Kom­munen, in den Ländern, in der Region, und gerade dort braucht es auch eine starke Zuordnung zu dem großen gemeinsamen europäischen Projekt, einen entsprechenden Support. Wenn ich den Zustand der EU momentan betrachte – auch da gebe ich Ihnen recht –, befinden wir uns aber nicht nur in einer Krise, sondern, wie ich denke, in einer der größten Krisen, die die EU bisher erlebt hat, was die Identifikation anbelangt, was die Subsidiarität anbelangt und was die Solidarität anbelangt.

Das nächste Thema wurde gleichfalls von Ihnen angesprochen – es hat ja fast den Anschein, als ob wir unsere beiden Reden abgestimmt hätten –, und auch ich komme zum Brexit: Mit England – auch ein Nettozahler – wird eine der ganz großen Nationen Europa verlassen, wobei die Engländer selbst nicht wissen, wie sie damit umgehen.


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Das belebt natürlich auch den Nationalismus in England, denn die Schotten denken bereits an eine zweite Abstimmung, um sich von England loszulösen, weil sie unbe­dingt in der EU bleiben wollen und weil sich Schottland in dieser Abstimmung ganz klar für die Europäische Union ausgesprochen hat. Auch die Europäische Union hat meiner Meinung nach keinen Plan, was das Ausstiegsszenario anbelangt.

Wenn man jetzt die Situation in England ganz kurz nach dieser Brexit-Entscheidung betrachtet, haben wir doch Probleme mit dem Pfund: Das Pfund hat eine Talfahrt nie geahnten Ausmaßes angetreten. Der Bankenplatz ist gefährdet. Die Lobbygruppe der britischen Finanzwirtschaft TheCityUK rechnet mit mehr als 70 000 Arbeitsplätzen, die dann verloren gehen würden, wenn sich der Bankenplatz schlecht entwickelt. Dies mag Warnung und Mahnung für all jene sein, die ähnliche Gedanken in ihren Parteiprogrammen formuliert haben.

Wenn ich dann an die Solidarität im Rahmen der EU denke, kommen mir gleichfalls einige Bedenken. Die EU soll nicht nur das größte Friedensprojekt der Gegenwart sein, sondern sie soll auch Solidargemeinschaft sein, wenn es darum geht, Probleme wie die Flüchtlings- und Asylkrise zu lösen. Sie haben schon erwähnt, dass die Finanzkrise nicht gelöst ist. – Ja, sie ist nicht gelöst. Wir haben zumindest einiges zur Banken­rettung beigetragen, einiges zur Eurorettung beigetragen, wenn wir aber so viel Energie in die Flüchtlings- und Asylkrise wie in die Finanzkrise investiert hätten, dann wären wir auch in diesem Bereich auf einem besseren Weg. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

Die EU kann Beschlüsse fassen, wie sie will: Wenn die Nationalstaaten, wie zum Beispiel die Visegrád-Staaten, Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn, Beschlüsse nicht umsetzen und sich sogar mit Klagen dagegen wehren, die beschlossenen Quoten zu erfüllen, wenn dann auch Volksabstimmungen lanciert werden, um – sinngemäß – zu verhindern, dass Flüchtlinge im eigenen Land aufgenommen werden, wie in Ungarn geschehen, dann kann man das Wort Solidarität aus dem Wortschatz des betreffenden Landes streichen. Die schweigende Mehrheit der Ungarn hat das Referendum bekanntlich ignoriert.

Auch die Tschechen sind auf diesem Weg. Der tschechische Ministerpräsident Miloš Zeman hat das Parlament in Prag sogar aufgerufen, die EU-Quoten zu ignorieren und keine Flüchtlinge aufzunehmen – Zitat Zeman: „Mit der Aufnahme von Migranten würden wir den Nährboden für barbarische Angriffe auf dem Gebiet der Tschechischen Republik schaffen“.

Eines ist aber schon gewiss: Die Schweden, die Deutschen und die Österreicher, die sich in hohem Maße in diese Asyl- und Flüchtlingskrise eingebracht haben, können das Problem in Europa nicht alleine lösen.

Zur Solidarität innerhalb der EU gehört für mich auch der CETA-Vertrag, der Vertrag mit Kanada. Eine Delegation des Bundesrates mit Präsident Josef Saller an der Spitze, mit Vizepräsident Gödl und Vizepräsidentin Winkler – auch die Kollegin Fraktionsvorsitzende Mühlwerth und meine Wenigkeit waren dabei –, hat sich in Kanada in mehreren, in vielen Gesprächen davon überzeugen können, dass es den Kanadiern nicht um Daseinsvorsorge, um Wasserwerke, um Schiedsgerichte geht, sondern die Kanadier haben uns erklärt, ihnen geht es wirklich um ein Freihandels­abkommen: Sie wollen mit Europa einen Freihandelsvertrag. Es ist ihnen bewusst, dass das ein großes Abkommen, ein gemischtes Abkommen ist, und sie haben in einen fertigen Vertrag noch zusätzlich Änderungen eingebracht – und jetzt stehen natürlich auch sie vor den Trümmern dieser Situation.

Die kanadische Wirtschaftsministerin Chrystia Freeland hat sich, um mit den Öster­reichern in Kontakt zu treten, zusätzlich ins Protokoll hineinreklamiert, um die öster-


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reichische Delegation von den Intentionen der Kanadier zu überzeugen. Für mich war damals klar: Es kann niemals Absicht einer linksliberalen kanadischen Regierung Trudeau sein, den Spekulanten dieser Welt über den Umweg Kanada und über mysteriöse Briefkastenfirmen die Übernahme von Europa zu ermöglichen.

Damit sind wir wieder bei der Solidarität im Rahmen der EU: Siebenundzwanzigeinhalb Staaten der EU haben sich zu CETA durchgerungen, auch Österreich nach einer ganz intensiven Diskussion (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller) – Grüne ausgenom­men, Herr Kollege Stögmüller, ja. Aber trotzdem hatten wir eine intensive Diskussion, und es gibt in einem Land, in dem gewählte Mandatare darüber entscheiden, Mehr­heitsfindungen. Das muss man in der Demokratie auch anerkennen. (Weitere Zwi­schenrufe des Bundesrates Stögmüller.)

Die Wallonen – Herr Präsident, ich hätte beinahe „die Gallier“ gesagt, um bei Asterix und Obelix eine Anleihe zu nehmen – haben das verhindert oder werden das verhindern. Ich denke, die nächsten Tage werden zeigen, wie lange das dauern wird, und sie werden sich das auch sicher teuer abkaufen lassen. Ich habe gestern gehört, dass sich nun auch die Region Brüssel dagegen wenden wird – also das ist jetzt auch eine neue Dimension, in der Brüssel, Standort vieler EU-Institutionen, natürlich mit in die Ziehung kommt.

Klar ist das ein Teil gelebter Regionalität – zugegeben! –, nur werden da jetzt anschei­nend auch nationale Probleme wirtschaftlicher und sozialer Art mit in die Ziehung gebracht und sozusagen doch Äpfel und Birnen verglichen.

Wenn ich richtig recherchiert habe, Herr Präsident, dann hat der Regierungschef Charles Michel dazu beigetragen, dass die Regionen gestärkt werden, dass in die Regionen „mehr Macht kommt“ – unter Anführungszeichen –, dass dort mehr Kom­petenz hineinkommt, und das ist auch aus der Sicht der Regionalität durchaus so zu sehen. Ich würde mir als Vertreter der Länder für die Länder gleichfalls derartige Rechte wünschen, nur wenn ich dann die Situation in Österreich betrachte: Wohin das führen würde, das auszuführen erspare ich mir jetzt. Insgesamt möchte ich festhalten: Um handlungsfähig zu bleiben und in der Welt als starker und verlässlicher Partner auftreten zu können, müssen der EU-Entscheidungsfindungsprozess und die Kompe­tenz­verteilung überdacht werden, auch wenn man dafür das Einstimmigkeitsprinzip infrage stellt. Zusätzlich bin ich aber für eine Stärkung des Europäischen Parlaments und eine verstärkte Mitsprache des AdR.

Abschließend zur Subsidiarität: Die EU braucht auch einen normalen Zugang zur Subsidiarität. Oft geht die Kommission mit überbordenden Richtlinien und Verordnungen hinaus in die Nationalstaaten, die wilde Diskussionen nach sich ziehen, den lokalen Medien dann auch die Möglichkeit geben, die EU niederzuschreiben, und die das Ansehen in der Wahrnehmung der Bevölkerung stetig nach unten ziehen.

Das Ansehen der EU ist in vielen Ländern dramatisch gesunken. Und wenn ich daran denke, dass wir recht bald wieder Wahlen zum Europäischen Parlament haben und die europakritischen Stimmen dort schon recht stark sind, diese Fraktion schon recht groß ist, dann kann man sich vielleicht das Szenario ausmalen, dass nach der nächsten EU-Wahl eine der stärksten Fraktionen im EU-Parlament die EU-Gegner sein werden – und das erschreckt mich in einem gewissen Maße schon.

Es braucht also ein vernünftiges Maß, ein Bekenntnis in Richtung Regionalität, wobei es um die Frage geht: Können Länder, Regionen und Gemeinden Materien nicht selber regeln, ohne von der EU in ein Korsett gezwängt zu werden? Moderne Subsidiarität verbunden mit Herz und Hausverstand – das haben Sie schon angesprochen, Herr Präsident –, daran sollten wir mit Unterstützung des AdR arbeiten.


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Danke für Ihren Besuch, Herr Präsident, ich darf Ihnen alles Gute wünschen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

11.21


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schennach. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


11.21.41

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Auch im Namen meiner Fraktion darf ich Sie sehr herzlich hier im Bundesrat willkommen heißen. Sie wissen, das ist die hohe Weihehalle des Föderalismus in Österreich. Sie haben beim Thema Regionen die Vielfalt angesprochen. Ich glaube, dass die Vielfalt der Regionen letztlich die Lebendigkeit und die Vielfalt der Europäischen Union darstellt, insbesondere wenn die Regionen nicht nur innerhalb eines nationalstaatlichen Gebietes sind, sondern – wie es eigentlich die EU vorsieht, was sie vor allem auch mit Kohäsionsfondsmitteln fördert – wenn sie die nationalen Grenzen überschreiten und sozusagen niedriger machen. Ich sage hier nur Alpe-Adria, TransTirolia; nach mir wird ein native Senza-Confini-Mann sprechen, da geht es um die Region Friaul, Slowenien, Kärnten.

Das ist ein Zusammenwachsen dessen, was zusammengehört – auch in seiner Mehr­sprachigkeit –; das ist Europa, und das ist dieser kulturelle Austausch, das ist der Austausch von Menschen, die in einem Lebensraum sind, dessen Grenzen sich früher als unüberwindbar darstellten.

Ich werde ein Erlebnis, das ich hier im Bundesrat hatte, nie vergessen: Als Tschechien damals den Beitritt zur Europäischen Union fixierte, sind Vertreter des Bundesrates gemeinsam mit Vertretern des tschechischen Senats in Oberösterreich von Grenz­übergang zu Grenzübergang gefahren, die zum Teil noch mit Stacheldrähten abge­zäunt waren, wo die Straßen seit 1945 geendet haben. Damals hat diese gemischte Kommission zweier Senate Straße für Straße erklärt: Hier öffnen wir, hier bauen wir eine Straße! – Ich hoffe für die Oberösterreicher, das Programm läuft noch und man hat Lehrer und Lehrerinnen ausgetauscht, sodass deutschsprachige in den Gemeinden über der Grenze und tschechischsprachige in oberösterreichischen Gemeinden unterrichten. Das nenne ich einen Austausch in den Regionen, das ist die Vielfalt von Regionen!

Wenn wir über Krisen der Europäischen Union sprechen, sollen wir uns gerade auch an solche Stärken erinnern. Ich glaube, das wird auch für die Zukunft maßgeblich sein.

Und da komme ich schon zu einem wichtigen Punkt: Mit dieser Austeritätspolitik, die wir derzeit verfolgen, werden Gemeinden, Städte und Regionen nahezu erwürgt, was die Amerikaner nie machen würden. Die Nationalstaaten und auch die EU können Regelungen für den Arbeitsmarkt schaffen, ich erwähne nur den Juncker-Fonds, aber die wirkliche regionale Wirtschaftsnachfrage, die wirklich echten Arbeitsplätze entste­hen in den Regionen, in den Gemeinden und in den Städten. Und die derzeitige europäische Austeritätspolitik, auf Deutsch auch Sparkurs genannt, erwürgt die Städte, Gemeinden und Regionen und schafft alles andere als Arbeitsplätze, und dann wundern wir uns, wenn wir Regionen mit einer Arbeitslosigkeit von über 50 Prozent vorfinden.

Ein Thema, das ich in der Diskussion mit Ihnen hier auch ansprechen möchte, ist Folgendes: Als Vorsitzender des Monitoring Committee im Europarat, bei dem es um die Bewältigung von Konflikten zwischen Mitgliedstaaten geht, versuche ich ja immer, in den Konfliktregionen, zum Beispiel auf der Krim, in Transnistrien, Lösungsmodelle in der Richtung vorzuschlagen, wie wir sie im Rahmen des Föderalismus gut kennen und


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schätzen: Deutschland, Schweiz, Italien, Spanien, Österreich. Und da lernt man dann, dass Föderalismus für andere Staaten ein extrem gefährliches Wort ist, indem man dann ganz schnell auf das Wort Dezentralisierung schwenkt. Und ich glaube, das, was wir hier machen und was alle Zweiten Kammern in Europa vorbildlich machen und nahezu eine neue Qualität ihrer Arbeit ist, ist genau dieser innereuropäische Föde­ralismus, den wir hier durch die Subsidiarität, durch die Verhältnismäßigkeitsprüfungen leben.

Mein Kollege Edgar Mayer hat es schon gesagt: Sie sind hier beim Europameister zu Gast, und ich hoffe, dass auch die Zahlen von 2015 dem EU-Ausschuss des Bundes­rates diese Position wieder einräumen. Das heißt, das ist eine unserer ganz wichtigen Tätigkeiten. Wenn wir schauen, wer in diesem Ranking aller ganz vorne ist – House of Lords, tschechischer Senat, italienischer Senat –, dann zeigt das, dass wir etwas können, nämlich Subsidiarität und Föderalismus zu leben. Und Föderalismus und Subsidiarität sind Dinge, die der Europäischen Union sehr guttun.

Was allerdings dazukommt, ist, dass sich die Europäische Union mehr denn je be­wusst sein muss, dass auch eine große Zukunftsfrage die großen Ballungsräume sind. Erstmals mit der Mobilitätsrichtlinie vor, glaube ich, zwei Jahren hat die Kom­mission diese großen Ballungsräume als Motor der Entwicklung anerkannt. Egal, ob es jetzt um die Ballungsräume um Paris, um Wien oder um Barcelona geht – Barcelona ist übri­gens ein ganz ausgezeichnetes Beispiel dafür –, da passiert mehr als in manchen Nationalstaaten; und deshalb muss – das ist ja wieder ein Thema von Ihnen – genau da auch ein neuer Fokus geschaffen werden. Insgesamt erkenne ich für die Zukunft der Europäischen Union weniger den Rat und weniger die Nationalstaaten, sondern mehr die Regionen als wichtig.

Kommen wir zu dem, was Sie ganz am Beginn angeschnitten haben: Wir haben gestern ein gemischtes Abkommen zwischen der Europäischen Union und dem Irak verabschiedet. Wir haben das sehr gerne gemacht und hören, dass in diesem Programm auch der Ausbau der Demokratie drinnen ist. Ist das eine Schande, wenn nun eine Teilregion Europas Nein zu einem Abkommen sagt? – Nein! Das ist nämlich genau jene gelebte Demokratie, die wir uns eigentlich erwarten. Wenn wir gemischte Abkommen haben, dann sind das ja nicht Durchwinkpositionen durch alle Parlamente.

Auch wenn Kollege Edgar Mayer in diesem Fall, zu CETA, eine andere Meinung vertritt als ich, möchte ich schon darauf hinweisen, dass es der EU-Ausschuss des öster­reichischen Bundesrates war, der vor fünf Jahren die erste kritische Stellungnahme zu diesem sogenannten Wirtschaftsabkommen – es ist ja nur zu 10 Prozent ein Wirt­schaftsabkommen – beschlossen hat. Und die Europäische Union wäre gut beraten, mehr auf die Diskussionen ihrer nationalen Parlamente zu hören – bei CETA war seit fünf Jahren klar, dass das in der Form in Europa gegen eine Mehrheit der Bevölkerung ist, vor allem in der Koppelung mit TTIP – und sich im Klaren darüber zu sein, dass man ein Regionalparlament nicht einem solchen Druck aussetzen kann und es unangebracht ist, dabei von einer Schande zu sprechen. (Bundesrat Mayer: Das habe ich nicht gesagt!) – Nein, nein, ich habe nicht von dir gesprochen.

Das ist Demokratie. Wir werden sehen, wie das weitergeht. Es wird auch Demokratie sein, wie sich nach diesem unglücklichen Brexit-Referendum die Färöer, Schottland oder Nordirland verhalten. Das könnte und wird wahrscheinlich den Zusammenhalt des Vereinigten Königreiches schwer infrage stellen.

Was allerdings nicht unter Föderalismus verstanden werden kann, ist, dass wir sogenannte Steuerparadiese innerhalb Europas aufrechterhalten, Steuerparadiese, in denen legales oder illegales Geld der Besteuerung entzogen wird – das ist nämlich


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Steuergeld, von dem wir unsere Bildung, Infrastruktur, medizinische Versorgung und so weiter finanzieren. Solche Steuerparadiese halte ich vom Standpunkt der Steuer­gerechtigkeit aus für kriminell; das verstehen wir nicht als Föderalismus, diese gehören in Europa beseitigt.

Herr Präsident, ich danke Ihnen für Ihr Kommen! Ich hoffe, Sie finden die Diskussion zu Europafragen hier im Bundesrat ähnlich angeregt, so wie wir uns auch immer wieder europäischen Fragen stellen. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ und bei Bun­desräten von ÖVP und Grünen.)

11.32


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dörfler. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


11.32.07

Bundesrat Gerhard Dörfler (FPÖ, Kärnten): Geschätzter Herr Vizepräsident Lambertz! Ich darf Sie mit der neuen Flagge des Aufbegehrens (eine Abbildung der wallonischen Flagge in die Höhe haltend), der Freiheit oder der Demokratie, wenn ich Kollegen Schennach zitieren darf, herzlich hier begrüßen. Ich darf mich auch für Ihre Analyse der europäischen Situation herzlich bedanken, weil Sie als neutraler internationaler Gast bei uns im Hause die Problemstellungen, den Widerspruch gegen ein zentrales Europa und die Stärke der Regionen Europas durchleuchtet haben.

Der gallische Hahn ist momentan in aller Munde. Ich war gestern in einem Reisebüro und habe versucht, Reiseunterlagen über Belgien zu bekommen, und habe mir auch den „Baedeker“ gekauft (besagtes Buch in die Höhe haltend), und es ist hoch­inter­essant, was als Erstes am Umschlag steht: „Föderaler Staat – Unregierbares Bel­gien?“ – Diese Frage wird aufgeworfen, und das in einem Reiseführer; das ist hochinteressant. (Allgemeine Heiterkeit.)

Ich glaube, Ihre Analyse hat eines glasklar und deutlich aufgezeigt – und das ist auch von den zwei Vorrednern Mayer und Schennach beleuchtet worden –: einerseits glühende Befürworter der Europäischen Union, blindlings in das Nirwana; auf der anderen Seite doch auch eine politische Verantwortung, die eine Fraktion unserer Bundesregierung doch etwas anders sieht als die ÖVP. (Bundesrat Mayer: Wir sind konstruktiv-kritisch und nicht glühend!) – Herr Mayer, jetzt lass mich einmal ausreden! Du bist ja immer der Mann mit großem Stil. (Zwischenrufe bei FPÖ und ÖVP.)

Das kleine gallische Dorf Wallonien hat eben gezeigt, dass man etwas, das jahrelang im Geheimen verhandelt wurde, dann nicht ganz einfach überfallsartig beschließen kann. Was ist denn CETA letztendlich? – In Wirklichkeit ist es TTIP über die Hintertür oder eine andere Tür. Man hat TTIP verhandelt, gesehen, das geht nicht, dann hat man gesagt: Machen wir CETA, dann gründen die amerikanischen Unternehmen, die noch keine Firmen in Kanada haben, dort Firmen, dann haben sie TTIP sozusagen auf neuer Ebene! Das ist das Problem.

Die föderale Architektur Belgiens ist wirklich hochinteressant. Herr Präsident, ich darf Ihnen gratulieren, Sie haben 2010 gemeint, als es damals die große Regierungskrise in Belgien gegeben hat, dass durchaus zu überlegen ist, dass die deutschsprachige Gemeinschaft sich unter Umständen wieder an Deutschland anschließt, an Luxemburg anschließt oder überhaupt ein eigener Nationalstaat werden soll. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.) Das habe ich gestern am Abend noch durch Wikipedia erfahren. Ich denke, das ist hochinteressant, dass Sie eine Krisensituation in der belgischen Regierung dazu genützt haben, um auch eine Diskussion zu führen, inwie­weit man sich auch abkoppeln kann.


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Nun zu Europa: Der Caritas-Chef Landau kritisiert – und das, würde ich meinen, wird vielleicht sogar die ÖVP so sehen –: Die Politik hat den Blick auf die Not der Menschen verloren.

Es ist ebenfalls hochinteressant, was der österreichische Bundeskanzler dazu zu sagen hat, er hat nämlich gesagt – ich zitiere –: „Denn das Wohlstandsversprechen der EU ist zerbrochen, jedenfalls für den größeren Teil der Bevölkerung. Dass es den eigenen Kindern eines Tages besser gehen wird als der eigenen Generation, glauben heute in Europa nur noch wenige. Die Massenmigration und die damit einhergehende Verunsicherung breiter Bevölkerungsschichten tut ihr Übriges.“ – Das sagt der österreichische Bundeskanzler Kern.

Genau das ist das Problem! Das Friedensprojekt Europa, das zu verteidigen ist, das auszubauen ist, das ist ohne Zweifel der größte Erfolg nach zwei Weltkriegen, das stellen wir außer Diskussion. Schade nur, dass für viele Menschen Frieden anschei­nend schon selbstverständlich ist. Ich war letztes Wochenende wieder in Redipuglia; 32 000 italienische Soldaten sind dort beigesetzt. Da wird man sehr nachdenklich, was Krieg bedeutet, wenn man das größte Denkmal des Ersten Weltkrieges in Italien sieht.

Ich bin dann nach Kroatien weitergefahren, und dort sieht man auch die Segnungen der Europäischen Union: Die Werften werden zerstört. Wir bauen die Schiffe in China, wir bauen die Schiffe in Korea und nicht mehr in Pula und nicht mehr in Rijeka. Genau das verunsichert die Menschen! Wir können, wie es der Bundeskanzler in seiner richtigen Analyse sagt, den Menschen das Wohlstandsversprechen nicht mehr einlö­sen, und das macht auch diese Freihandelsverträge so verdächtig. Es ist anscheinend Hauptaufgabe, dem Kapital wie mit einer Schubraupe die Landschaft zu planieren und alles zu ermöglichen. Wer die Kohle hat, macht das Geschäft – der Mensch zählt nicht mehr!

Die Wallonen und der Weltgeist; ich darf aus der „Süddeutschen Zeitung“ von heute zitieren – es ist hochinteressant, Herr Präsident –: „CETA ist tot, für’s Erste zumindest.“ Die Millionen „Arbeitsplätze und Milliarden Euro, die der Kontinent durch das Freihan­delsabkommen mit Kanada gewinnen könnte, sie waren“ den Wallonen schnurzegal.

Das ist eine hochinteressante weitere Analyse, wenn da steht, dass sich Wallonien in dieser einzigartigen „historischen Situation als Agent des Weltgeistes versteht. Dieser Geist, da hat er recht, ist kritischer geworden gegenüber dem Freihandel, er fragt, wo der Mensch bleibt in der Globalisierung (…)“.

Ich frage mich auch – und viele fragen sich das –, wo der Mensch in der Globalisierung bleibt. Letztendlich hat Politik die Verantwortung, für Gerechtigkeit zu sorgen. Das Wort Steuergerechtigkeit ist gerade angesprochen worden. Wir sehen, die Großen richten es sich, und das darf Europa nicht zulassen, dass wir zwei Steuerschauplätze haben. Auf der einen Seite ist der kleine Mittelstandsbetrieb, der fast schon täglich den Steuerprüfer im Hause hat, den Krankenkassenprüfer im Hause hat, Gesetze und Auflagen zu erfüllen hat, die auch die Wirtschaftskammer ständig hinterfragt, bald nicht mehr lebensfähig. Es ist ein Drama, was sich im unternehmerischen Mittelstand teilweise abspielt. Da geht es aber um den Heimmarkt, die Gastronomie gehört nicht zum Exportbereich, den Tourismus ausgenommen. Und auf der anderen Seite sind die Multis, die es sich richten und unser Gesundheitssystem, unser Sozialsystem und unsere Nachhaltigkeit nicht finanzieren. Die wollen bei uns nur ihr Geld machen und dann damit steuerfrei auf irgendeine Insel abhauen. Und das ist auch Aufgabe der Europäischen Union, dem ein Ende zu machen.

Sie haben von Riesen und Zwergen gesprochen. Wir Europäer wollen zumindest ein Mittelstand sein, der in der Lage ist, im Wettbewerb wieder mitmachen zu können.


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Ein weiterer zentraler Punkt ist, dass wir die Jugend nicht mehr beschäftigen können. Und das ist für mich überhaupt das Hauptproblem Europas, dass in den OECD-Ländern 40 Millionen Menschen zwischen 15 und 29 Jahren keine Arbeit mehr haben. Da bin ich wieder bei der Analyse des Bundeskanzlers: Wir können den Menschen keine Zuversicht mehr geben, und deshalb gibt es das Misstrauen gegen den Zen­tralismus, und deshalb gibt es auch das Misstrauen gegen derartige Freihandels­ab­kommen, die jahrelang im Geheimen verhandelt werden.

Ich bin der Meinung, dass das nur eine weitere Planierraupen-Aktion ist, mit der man den Großen den ungebremsten Raubzug des Kapitals ermöglicht. Wo ist der Mittel­stand, der unternehmerische Mittelstand, der Mittelstand unserer Gesellschaft? – Be­denken Sie, dass vor einigen Jahren ein Ehepaar – sie Lehrerin, er irgendwo in einem Büro tätig – eigentlich ein gutes Mittelstandsfamilienunternehmen war. Ver­gleichen Sie das Einkommen von vor 20 Jahren mit dem von heute, und Sie werden sehen, dass dieser Mittelstand schon lange nicht mehr existiert – vom unternehmerischen will ich gar nicht reden.

Diese Abkommen richten sich auch gegen die Umwelt, denn Globalisierung heißt gnadenlos: Transport, Transport, Transport. Im Burgenland werden die Kartoffeln ge­erntet, in Bozen in Südtirol werden sie gewaschen, in Belgien werden sie zu Pommes frites verarbeitet und in Spanien dann verkauft. Das ist doch bitte keine Nachhaltigkeit, aber genau das ist der Zweck dieser Abkommen!

Diese Abkommen wirken auch gegen eine ökologische Landwirtschaft. Wenn man etwa nur an das Beispiel Saatgut denkt, so muss es da der ÖVP, zumindest den Agrariern in der ÖVP, doch die Haare aufstellen! In Wirklichkeit geht es darum, dass nicht mehr derjenige, der Grund und Boden besitzt, eine Ernte einfahren kann, sondern derjenige, der das Saatgut besitzt – weil nämlich nach zwei Ernten dort nichts mehr wächst, wenn man nicht bei Raiffeisen und seinen internationalen Freunden das Saat­gut einkauft. Und wer das zulässt, verbrät den ländlichen Raum, wer das zulässt, verbrät gesunde Lebensmittel, und wer das zulässt, ist sozusagen der Motor der bäuerlichen Rückentwicklung dahin gehend, dass wir überhaupt nur mehr eine Lebensmittel- und Agrarindustrie, die international agiert, haben.

Was die Auswirkungen auf die europäische Lebenskultur betrifft, so richten sich diese gegen den Sozialstaat. Also ich möchte, wenn ich an TTIP und CETA denke, Öster­reich nicht mit den USA vergleichen. Das Gesundheitssystem sei da als ein Beispiel angeführt, ebenso die McJobs. Wie viele Slums gibt es in den USA, und wie viele gibt es in Österreich? – Noch haben wir keine, zumindest keine größeren, außer einige Stadtviertel von Wien, wo auch die Zustände aufgrund der Zuwanderung sicher nicht gerade erfreulich sind.

Das ist die Problematik! Herr Präsident, Sie haben gesagt, es gibt die Diskussion, die Europäische Union abzuschreiben. Nein, ich sage, man muss die Europäische Union neu schreiben! So wie Bosnien und Herzegowina ein Dayton II benötigt, brauchen wir ein neues Europa: ein Europa des Vertrauens, ein Europa der Zuversicht, ein Europa der Regionen und vor allem auch ein Europa der Menschlichkeit. Das ist das Dilemma, das derzeit, weil eben dieses Zukunftsversprechen, dass es den Menschen besser geht, überhaupt nicht mehr vorhanden ist … – Das ist kein Grund zu lachen, Frau Bun­desrätin (in Richtung Bundesrätin Schreyer), das ist die Sorge der Menschen, die sie jeden Tag haben, um auch Landau zu zitieren. Und diese Technokraten in Brüssel machen lieber Freihandelsabkommen mit den Kanadiern und US-Amerikanern als eine Politik für Menschen und für Europa!

Dafür stehen wir, und deshalb, Herr Präsident, bin ich Ihnen als deutschsprachigem Wallonen und Ihrer Region sehr dankbar, dass Sie jetzt die Reißleine gezogen haben


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und die EU gezwungen ist, sich doch auch neu zu erfinden im Sinne von mehr Zuversicht, mehr Menschlichkeit und einem sozialeren Europa – und nicht, dass Cater­pillar wieder den Abbau von 2 000 Arbeitsplätzen in Ihrer Region durch die Schließung eines Werkes in den Vordergrund stellt, sondern dass wir ein Europa der Mensch­lichkeit sind.

Das wird die Aufgabe sein: Wenn wir Menschlichkeit, Frieden und Zuversicht haben, dann wird dieses Europa eine Chance haben. Wenn wir Verträge mit den Ausbeutern machen, dann gute Nacht, Europa! (Beifall bei der FPÖ und bei Bundesräten der SPÖ.)

11.42


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, darf ich den Sozialdemokratischen Wirtschaftsverband aus Wiener Neustadt herzlich hier bei uns im Bundesratssitzungssaal begrüßen. – Herzlich willkommen in der Län­derkammer des österreichischen Parlaments! (Allgemeiner Beifall.)

Ich darf nun Frau Bundesrätin Dr. Reiter zum Rednerpult bitten, sie ist als Nächste zu Wort gemeldet.

 


11.43.02

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Hohes Präsidium! Werte Kollegen und Kolleginnen! Werte Zuhörer! Ich bin das Thema eigentlich anders ange­gangen, denn die Problemlage in der EU ist uns ja bekannt, dass vieles unter den Nägeln brennt, vieles sich auch ständig wandelt. Für mich war die Frage: Inwieweit ist der Ausschuss der Regionen eine Institution, ein Gremium, das an einer positiven Lösung mitarbeiten kann oder das auch tut?

Als Gremium ist er natürlich – Sie haben das Wort „delikat“ verwendet – ein ähnlich delikates Organ wie auch der Bundesrat, also viel umstritten in seiner Bedeutung und Notwendigkeit, konfrontiert mit Forderungen nach seiner Abschaffung oder mit Vor­würfen, eine Alibiorganisation zu sein, und so weiter.

Wenn man sich im Netz anschaut, was der Ausschuss der Regionen in der letzten Zeit so gemacht hat, ist ganz klar: Die derzeitigen Herausforderungen werden dort auch formuliert. Konkrete Umsetzungsschritte oder ‑aussichten fehlen allerdings, und ich muss sagen, die Flüchtlings- und Migrationsproblematik ist offensichtlich überhaupt noch nicht angekommen, zumindest im Internet und soweit dies an der dort bereit­gestellten Information abzulesen ist. Es wird aber klargestellt, dass die Städte und Regionen die Schlüsselelemente für die weitere Entwicklung und für die Lösungen darstellen.

Im Oktober hat es eine große Oktobersession gegeben, bei der Hunderte Kommunal- und Regionalpolitiker sich getroffen haben, in 130 Workshops gearbeitet haben, be­gleitet von 150 Veranstaltungen in ganz Europa. Donald Tusk meinte dazu bei seiner Rede, er zähle auf die Hilfe der Regionen und Städte, damit die EU lerne, den Bürgern zuzuhören und den wirklichen Belangen Rechnung zu tragen. – Also die Kommission tut sich schwer beim Zuhören und kennt auch die wirklichen Belange nicht.

Fazit des Meetings – oder zumindest das, was sich aus den Pressemitteilungen erfah­ren lässt –: Man wolle die zentrale Bedeutung der Kohäsionspolitik mit 637 Milliarden € beibehalten, aber die Mittel besser verwenden.

Dazu möchte ich sagen: Die Nutzung dieses wichtigsten Investitionsinstruments, das ja natürlich auch in den Regionen ankommt und mit dem gearbeitet wird, wird immer komplexer. Die Städte und Regionen forderten deshalb auch, das öffentliche Auftrags­wesen, die staatlichen Beihilfen und die Finanzmarktregulierung in den Mittelpunkt der weiteren Überlegungen zu stellen. Um sich vor Augen zu führen, wie kompliziert das


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Ganze jedoch geworden ist, genügt es, einen Blick auf die österreichischen Verhält­nisse zu werfen.

Für die vierte Programmperiode, 2014–2020, steht für Österreich ein Betrag von 5,18 Mil­liarden € zur Verfügung. Es gibt vier verschiedene Fonds – EFRE, ELER, EMFF und der Sozialfonds ESF –, und das Ganze wird ja dann durch nationale Mittel kofinanziert. Damit überhaupt gestartet werden konnte, wurde eine Partnerschaftsvereinbarung zwischen Kommission und Österreich erarbeitet: STRAT.AT 2020. Dadurch soll ein hohes Maß an Abstimmung und Kohärenz der unterschiedlichen Programme sicher­gestellt werden. Auch der Erstellungsprozess selber war ein partnerschaftlicher. – Also es gab viel Bemühen, viel Engagement, auch viel Hirnschmalz, das da hineingeronnen ist.

Abgesehen davon, dass sich mittlerweile vieles, was in diesem Abkommen steht, überholt hat, steht dort zur Analyse der Ausgangslage zum Beispiel, dass Österreich im EU-Vergleich ein relativ hohes Einkommensniveau und die geringste Arbeits­losigkeit mit einem prognostizierten stabilen Verlauf aufweist. Wie kann dieses Papier beziehungsweise sein Inhalt irgendjemandem verständlich gemacht oder so, dass es relevant wird für die Menschen, so, dass jemand, der das liest, sich angesprochen fühlt oder die Relevanz dieses Papiers auch erkennt, übersetzt werden? – Ich weiß es nicht.

Dies gilt allein schon für seine sprachliche Gestaltung. Ich darf dazu ein kurzes Beispiel bringen: Abgeleitet von den festgestellten Herausforderungen ist die Auswahl der thematischen Ziele und der Förderungsprioritäten in einer wechselseitigen Abstimmung zwischen den Ebenen der Partnerschaftsvereinbarung und der Programme getroffen worden. – Zitatende.

Was sagt Ihnen das? – Sie sind wahrscheinlich alle an Politik-Speech und auch das Lesen solcher Programme gewöhnt. – Oder zum Schluss: Im Sinne des verstärkten Koordinierungsanspruchs sehen die ESF-Verordnungen verpflichtende Umsetzungs­berichte und zahlreiche Koordinierungsbedarfe – das ist in der Mehrzahl zu verwen­den – im gemeinsamen strategischen Rahmen vor. – Zitatende.

Für jeden, der sich ein bisschen damit beschäftigt, klingt das wie eine massive Dro­hung, was die Möglichkeit betrifft, sich überhaupt darauf einzulassen und das auf die Reihe zu kriegen.

Das Klimaschutzabkommen von Paris ist beim Ausschuss der Regionen auch angekommen und bietet Hoffnung. Das heißt, die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind schon klar, sie schimmern zumindest durch. Klar ist aber auch – und das wird auch formuliert –: Es braucht eine neue Governance.

Diese Einschätzung teile ich mit dem AdR, aber leider wird nicht einmal angedeutet, wie an einer neuen Governance gearbeitet werden soll. Ich denke, wir brauchen eine neue Governance in Europa. Das Aushandeln von immer neuen Verträgen mit Kontrollen, mit Abstimmungsbedarfen, mit Evaluierungen hat zu einem riesigen Regelwerk geführt, das unflexibel ist, das uns alle in den Regionen, in den Städten auch unflexibel macht, das fesselt, das hemmt, das Misstrauen schürt – siehe CETA. Ich glaube ja auch nicht, dass die kanadische Regierung eine Ausbeutungsorgani­sation ist, die versucht, dem zum Durchbruch zu verhelfen.

Auch wenn man in unserem Land schaut, also das Ganze runterskaliert, ist es ja offensichtlich nicht mehr möglich, vertrauensvoll und mit dem Blick auf das Wohl des Ganzen Dinge auszuhandeln oder auch neu aufzusetzen – siehe Finanzausgleich. Das heißt, auch da fehlt ein System, fehlen Orte und Methoden, partizipativ – das heißt, unter Beteiligung von vielen –, lösungsorientiert Macht, Kompetenzen und natürlich auch Geld entsprechend zu verteilen und dabei zumindest eine demokratisch akzep-


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table Akzeptanz zu erreichen. Man beschränkt sich dann auf kosmetische Korrekturen des Bestehenden, überlässt vieles den Gerichten und verliert dabei die Menschen. Man lässt ihre Innovationskraft, ihren Wunsch nach Beteiligung und ihre Empathie ins Leere laufen.

Ich darf da ein Erlebnis erzählen, das ich letzte Woche hatte: Ich hörte einen Vortrag von Thoma, einem Salzburger Unternehmer, der Holzhäuser baut. Er hat – sein Vater ist gestorben – eine kleine Schreinerei im Pinzgau übernommen und begonnen, das gesunde Haus zu bauen. Er besitzt inzwischen zahlreiche Patente auf diese Bauten. Er schafft es, Passivhausbauten herzustellen, ohne die entsprechende Technik dazu. Seine Bauten sind zu 100 Prozent wiederverwertbar – also er produziert keinen Müll –, sie sind total zerlegbar und so weiter. Er hat inzwischen europaweit fünf Produktions­stätten, ist also inzwischen ein Konzern, muss man sagen, und ist ganz faszinierend auch in seinem Anspruch an sein Handeln und diesbezüglich sehr motivierend.

Aber zum Schluss fragte ihn jemand, wie er das finanziert hat, diesen Aufstieg von einem winzigen Familienbetrieb im Pinzgau zu einem europaweit tätigen Konzern; und er antwortete darauf: Das ginge heute nicht mehr! – Es hat begonnen mit der örtlichen Raiffeisenkasse, die ihm die ersten Kredite gegeben hat, und so weiter. Aber er sagt, so wie das damals noch gelaufen ist, ginge das heute nicht mehr.

Es sind diese Aussagen, denke ich, die uns zum Denken bringen müssen und ange­sichts deren wir überlegen müssen: Wie schaffen wir es, die Innovationskraft, die die Menschen nach wie vor haben, die Wünsche der Menschen, sich zu beteiligen, zu gestalten, und auch ihre Empathie, die gerade in der ganzen Flüchtlingsbewegung und Migrationsbewegung ja auch immer wieder deutlich zum Ausdruck kommt, nicht ins Leere laufen zu lassen aufgrund des überbordenden Regelungsmechanismus, der natürlich nicht böswillig, sondern mit auch viel gutem Willen aufgebaut wurde?

Wir brauchen eine New Governance, aber dieser Begriff muss mit Leben, mit Hoffnung und mit Effizienz erfüllt werden, damit das Alte uns nicht überholt und damit nicht Konkurrenz und Feindschaft zwischen den Regionen, den Städten und Gemeinden uns wieder Mauern errichten lassen und das Faustrecht wieder gilt. Für die Entwicklung einer solchen New Governance braucht es auch entsprechende Räume, entsprechen­de Gremien, und bei mir besteht die Hoffnung, dass wir diese Gremien und diese Räume haben und dass es gilt, diese auch entsprechend zu nutzen. In dieser Hoffnung und auch in der Hoffnung, dass der Ausschuss der Regionen sich in dieser Weise weiterentwickeln kann, möchte ich meinen Beitrag beenden.

Nur ein Wort noch zu CETA: Es gibt ja auch den Beschluss der Landeshaupt­leute­konferenz, der nicht verändert wurde und den es nach wie vor gibt, gegen CETA. (Bundesrat Dörfler: Das vergisst die ÖVP! – Heiterkeit des Bundesrates Dörfler.) Also in einer gewissen Art und Weise demonstriert sich auch da die Schwierigkeit, die es gibt, Regionen entsprechend einzubinden.

Da, glaube ich, gibt es, was die politische Umgangsweise und Kultur betrifft, auch vieles zu tun. Die Dinge wandeln sich. Aber ich glaube, wir sollten diese Wandlung auch mit viel Kraft und Optimismus annehmen und versuchen, sie weiter zu ge­stalten. – Danke. (Beifall bei Grünen und SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

11.55


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Mag. Fürlinger zu Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


11.55.21

Bundesrat Mag. Klaus Fürlinger (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Prä­sident! Sehr geehrter Herr Präsident Lambertz! Meine Damen und Herren! Danke


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zunächst einmal für die sehr sachliche Rede von Frau Kollegin Reiter. Richtig ist, wir bewegen uns permanent in einer Auseinandersetzung, in einer politischen Auseinan­der­setzung, in der oftmals durchaus faktenfrei aber ideologische Egoismen über das große Ganze gestellt werden.

Ich möchte aber nicht das Thema verfehlen, natürlich schwebt über der Glaubwür­digkeit der EU, schwebt über der Glaubwürdigkeit der Mitgliedstaaten und Regionen auch das Thema CETA, das aber zweifelsfrei nicht das Hauptthema einer Debatte über die Zukunft der EU sein soll. Ich möchte Ihnen bei allem Respekt, Herr Vizepräsident Lambertz, mitgeben: Ich bin mir nicht sicher, ob es ein Akt der Demokratie ist, wenn eine Region mit 3,6 Millionen Einwohnern einen gesamten Markt oder die gesamte EU mit 500 Millionen Einwohnern, ich würde jetzt nicht sagen, in Geiselhaft nimmt, aber … (Bundesrat Dörfler: Oft ist der Zwerg gescheiter als der Riese!) – Ich bin mir nicht sicher, ob das demokratisch ist oder eher unverantwortlichem Egoismus, den es bei vielen gibt, zuzuschreiben ist. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.) – Herr Kollege Stögmüller, wenn du dich da jetzt echauffierst, dann können wir die Debatte natürlich auch emotional führen. Ich glaube jedoch, dass das nicht gut ist, denn es wäre einmal ganz geschickt, wenn man sich mit den Fakten auseinandersetzt und nicht immer nur diese nahezu intelligenzfreien ideologischen Sprechblasen durch die Gegend pustet.

Wichtig wäre es, abseits von diesen Dingen natürlich die Europäische Union – auch auf Basis der Regionen, Herr Vizepräsident – neu zu denken. Das ist gar keine De­batte. Wir müssen sie neu denken, denn, ich sage es auch persönlich, der von Ihnen – als Wissendem, als Sachverständigem – erstellte Befund der Europäischen Union hat mich gleichermaßen ein bisschen erschreckt wie auch bestätigt in dem, was wir hier zumeist nur durch medialen Transport wahrnehmen. Die Frage ist: Wie finden wir hinaus, hinaus aus dieser Situation, deren Sinnbild wir ja auch im Gesellschaftlichen haben, wo sehr oft Einzelinteressen, Partikularinteressen, Lobbyismus über das Wohl der Allgemeinheit und das große Ganze, wie auch Frau Kollegin Reiter es richtig gesagt hat, gestellt werden?

Wir leben in einer Gesellschaft, die sehr stark von diesen Einzelinteressen geprägt ist. Das ist in den kleinsten Einheiten so, bis hin zu Bürgerinitiativen, womit man oft zu zehnt das, was tausend Menschen brauchen, verhindert – ganz wertfrei, egal, was die Gründe sind. Und wir erleben es eben auch in einem größeren Kontext. Wir erleben eine politische Debatte, in der die äußeren, ideologisch stark besetzten Ränder lauter werden und in der im Wust, im Staub der ideologischen Diskussionen der Blick aufs Große und Ganze verloren geht. Und wir erleben das eben auch in der Europäischen Union als einer supranationalen Organisation – zumindest war das der Wunsch der Gründer: eine supranationale und keine internationale Organisation –, die zurzeit in Partikularinteressen zerfällt, wobei 28 Staaten kaum noch je das gleiche Lied singen, kaum noch Europa, die Europäische Union als Großes und Ganzes wahrnehmen. (Vizepräsidentin Winkler übernimmt den Vorsitz.)

Es wird unsere Aufgabe und es wird Aufgabe von europäischen Führungsmächten, aber auch von allen anderen gemeinsam sein, allenfalls auch das Regelwerk neu aufzusetzen. Wir werden – und das gilt in gleicher Weise für Österreich mit seinen Bundesländern und mit den einzelnen Regionen, wie es für die Europäische Union gilt – die Kompetenzen meiner Meinung nach neu regeln müssen, und wir werden sie klar regeln müssen. Es wird immer Themen geben, die auf Ebene einer Region, in der kleinen Einheit deutlich besser zu regeln sind, da die Unterschiede zwischen Nord und Süd und West und Ost zu groß sind, aber es wird auch Grundspielregeln geben, Statuten geben, die man anhand unserer Werte, die Sie ja auch richtig angesprochen haben, über die gesamte Europäische Union ziehen kann.


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Ideologischer Egoismus und Krankjammern hilft uns dabei nicht und hilft auch denen nicht, die dadurch möglicherweise später an die Macht kommen, weil sie natürlich gleichzeitig Erwartungshaltungen wecken, die sie auch mangels Lösung oder mangels Lösbarkeit mancher Dinge gar nicht erfüllen können.

Ich unterschreibe, was Sie gesagt haben: Die Regionen sind wichtige Bestandteile. Sie sind Identifikation, sie sind ein Anker, und sie geben den Menschen letztlich etwas, was sehr gefragt ist: Sicherheit. In diesem Sinn meine ich, dass wir die Regionen würdigen, hegen und pflegen sollen, ihnen aber auch mitgeben, dass es über der Re­gion noch etwas gibt: ein großes, gemeinsames Ganzes, eine europäische Werte­kultur.

Wenn wir das entsprechend transportieren und auch wieder einmal in einem gemeinsamen Chor transportieren können, dann werden wir gewisse Ängste der Menschen, die zweifelsohne bestehen und die in manchen Dingen auch zu Recht bestehen, auch nehmen können, indem wir ihnen zeigen, dass wir uns Tag für Tag bemühen, sie ernst zu nehmen und daran zu arbeiten, dass das, wovor sie sich fürchten, nicht eintritt. Ich glaube, das muss ein Ziel einer starken, guten Europäischen Union sein. – Danke. (Beifall bei ÖVP und Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

12.01


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Posch-Gruska. – Bitte.

 


12.01.23

Bundesrätin Inge Posch-Gruska (SPÖ, Burgenland): Frau Präsidentin! Herr Prä­sident! Bevor ich mit meinen Ausführungen beginne, möchte ich mich bei Ihnen für die sehr kritische Sicht auf unser Europa und auf die Arbeit des Ausschusses der Regio­nen bedanken. Ich glaube, dass Kritik für uns alle sehr wichtig ist, denn daraus können wir nur lernen und damit auch weiterarbeiten.

Ich möchte mit einem Zitat von Frau Eva Twaroch beginnen. Sie hat gesagt: „Europa ist für mich der einzige Weg um die Herausforderungen und Probleme des 21. Jahr­hunderts zu meistern. Der zentrale Satz den die politischen Verantwortlichen aller Couleur und aller EU Staaten endlich lernen müssen lautet: EUROPA das sind WIR und nicht die Anderen.“ (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

In diesem Sinne haben Sie auch schon davon gesprochen, dass sehr viele Politiker und Politikerinnen in der EU mitstimmen und dann zu Hause erklären: Das ist alles die EU, und das sind eigentlich die Schlechten.

Für mich ist es ganz klar und eindeutig: Es gibt keine Alternative zu Europa. Aber genauso klar und wichtig ist es für mich, dass Europa nur so stark sein kann, so stark auch die einzelnen Regionen sind. Ich persönlich fühle mich als Europäerin. Für mich ist es sehr wichtig, da auch so groß zu denken. Aber zu Hause bin ich in meiner Region. Zu Hause fühle ich mich in meiner Region, und dort ist auch dieses, ich sage einmal, Nest, das sehr viele Menschen suchen.

Gestern habe ich eine sehr liebe Freundin getroffen und ihr erzählt, dass heute der Präsident des Ausschusses der Regionen bei uns ist und ich bei dieser Gelegenheit reden darf. Und sie hat gesagt: Bitte, sag ihm, dass das Thema Einsamkeit ein immer größeres wird, und das nicht nur bei uns in Österreich! – Darauf habe ich entgegnet: Na gut, aber: Was soll das Thema Einsamkeit im Ausschuss der Regionen? – Darauf hat sie gesagt: Inge, überall leben die Menschen. Wir werden immer mehr, aber der Mensch selbst bleibt immer mehr allein und einsam. – Auch das sollten wir in unserer Politik, und da meine ich nicht nur den Ausschuss der Regionen, sondern auch uns hier im Bundesrat, ganz sicherlich mit bedenken.


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Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass Europa nicht mehr ein Europa der Banken wird. Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass das, was in den letzten Jahren ge­schehen ist, mit Vorsorgemaßnahmen verhindert wird, dass wir nicht mehr die Banken finanzieren, sondern dass wir auf das soziale Europa schauen, dass wir auf unsere Jugend schauen und dass wir eine soziale Union werden. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Es ist heute schon von einigen Vorrednern und Vorrednerinnen angesprochen worden, Kollege Dörfler hat es gesagt, Kollegin Reiter auch: Durch diese Überregulierung können wir in den Gemeinden und in den Städten, also in unseren Regionen, in den Regionen, in denen wir leben, eigentlich dort, wo wirklich Investitionen passieren, und dort, wo wirklich auch gearbeitet wird, nicht mehr für unsere Leute da sein, weil wir vor lauter Überregulieren darauf vergessen, dass es die kleinen Unternehmer sind, die mittleren Unternehmer sind, die das Handwerkzeug auch wirklich brauchen.

Dazu möchte ich ein kleines Beispiel aus meiner Nachbargemeinde bringen. Wir hatten dort einen Tischler mit drei Beschäftigten, der immer sehr gut gearbeitet hat; er hat dann seinen Betrieb an den Sohn übergeben. Ich glaube, einer der drei Beschäftigten hat sogar bei ihm gelernt und ist bis dahin bei ihm geblieben. Da es eine Übergabe gegeben hat, sind alle Rechtsvorschriften, die es gibt, teilweise von Europa, teilweise natürlich auch von Österreich, über ihn gekommen, sodass der Sohn gesagt hat: Ich sperre jetzt zu. Ich gehe als Hausmeister in eine Schule. Ich kann das nicht mehr. Ich kann mir das schlichtweg nicht leisten. – Überregulieren darf nicht sein (Bundesrat Pisec: Steuern! Zu hohe Steuern!) – nicht die Steuern, es waren nicht die Steuern, es war das Überregulieren! –, das können wir uns wirklich nicht mehr leisten. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Ganz wichtig für uns in Europa – und da bin ich auch beim Thema CETA, das zuvor schon ein paar Mal angesprochen wurde – ist die Daseinsvorsorge. Für uns in Öster­reich ist es wichtig und notwendig, dass wir uns für die Daseinsvorsorge starkmachen, dass es keine Privatisierung geben darf. Das ist mit ein Grund, warum CETA sehr große Angst macht. Man kann Kanada oder den Kanadiern, wie es Kollege Mayer gesagt hat, vielleicht glauben, und wahrscheinlich sind auch die Menschen, mit denen ihr zusammengetroffen seid, davon überzeugt. Aber solange es nicht niedergeschrie­ben ist, solange dort nicht steht, dass wir wirklich auf die Regionen schauen können, dass wir wirklich auch bei CETA keine Angst haben müssen, dass unsere Daseins­vorsorge in irgendeiner Form gefährdet ist, so lange wird es keine Zustimmung geben können.

Und da bin ich gänzlich anderer Meinung als Kollege Fürlinger, der gesagt hat, dass es auf die Größe ankommt und dass es ein unverantwortlicher Egoismus von den Wallonen ist, dass sie gegen CETA sind. Das kann es nicht sein. Ich kann mich nicht hier herstellen und sagen, wie wichtig die Regionen sind, und dann gleichzeitig behaupten, es ist ein Egoismus, wenn eine Region ihre Meinung kundtut und diese auch sehr lautstark sagt. (Beifall bei den Grünen.)

Wir müssen auch, Herr Kollege Mayer, auf unsere Regionen schauen. (Bundesrat Mayer: Es hat nichts mit der EU zu tun, sondern mit wirtschaftlich-sozialen Problemen in der Region!) Sehr viele unserer Gemeinden haben ein Volksbegehren gegen CETA beantragt. Das sind unsere Regionen. Wenn ich vom Ausschuss der Regionen erwarte, dass er auf die Länder achtet und schaut, welche Meinungen die Länder haben, müssen wir Österreicherinnen und Österreicher auch darauf schauen, vor allem bei uns im Bundesrat, was unsere Gemeinden wollen.

Die Arbeit des Ausschusses der Regionen – ich habe sie mir auch angeschaut, wie die Kollegin Reiter – ist eine, von der ich glaube, dass sie bekannter gemacht werden


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müsste. Sie müsste bei uns in den Ländern, in allen Mitgliedsländern wirklich be­kannter gemacht werden. Ich habe den großen Vorteil, dass der Vertreter des Burgen­lands, Landtagspräsident Christian Illedits, jemand ist, der in einem Monat drei Presseaussendungen über seine Arbeit macht. Das heißt, bei uns ist das Thema Ausschuss der Regionen schon eines, das man angreifen kann, aber davor wusste keiner, dass es diesen Ausschuss gibt, was dieser Ausschuss macht. Ich glaube, dass da sehr viel mehr Öffentlichkeitsarbeit gemacht werden sollte.

Ich bin aus dem Burgenland. Wir haben 100 Prozent unserer Förderungen ausge­schöpft. Wir haben 210 Millionen € für 7 400 Projekte von der EU bekommen. Wir haben diese in unserem Land auch sehr gut umgesetzt. Wir haben auf die Zukunft geschaut, mit dem Ausbau des Breitbandinternets, in Bezug auf Umweltschutz und Klimawandel, aber vor allem auch, was erneuerbare Energie betrifft. Es wird bei uns ganz eindrucksvoll bestätigt, wie notwendig und wichtig die Europäische Union bei der Förderung der Projekte ist. Aber wenn ich wiederum mit den Leuten diskutiere und das Wort EU sage, dann ist die Skepsis sofort da und riesengroß. Das heißt, dieses Gleichgewicht zwischen dem, was wir durch die Europäische Union wirklich erreicht und bekommen haben, und dem, was wir den Leuten dahin gehend sagen, wie wichtig und richtig diese Arbeit ist, haben wir nicht geschafft.

Ich möchte noch kurz auf die friedenssichernde Arbeit unseres Europas eingehen. Wir sind eine Generation, die bis jetzt ohne Krieg gelebt hat. Wir sind eine Generation, die dieses Projekt des friedenssichernden Europas sicher auch sehr gut leben konnte. Was für mich jetzt sehr erschütternd ist, ist, dass wir in Nachbarländern Krieg haben und es nicht schaffen, dieses friedenssichernde Europa auch dazu zu bringen, dass alle Länder ihren Beitrag leisten, um Menschen, die Schutz und Hilfe suchen, um Menschen, die bei uns Geborgenheit suchen, um Menschen, die bei uns vielleicht auch eine neue Heimat suchen, auch wirklich aufzunehmen und diesen Menschen zu helfen. 

Als Burgenländerin wohne ich sehr nahe an der Grenze zu Ungarn, von meinem Heimatort fahre ich zehn Minuten bis zur nächsten Grenze. In ein paar Monaten begehen wir feierlich den 60. Jahrestag der „Brücke von Andau“. Damals sind sehr viele Ungarn ins Burgenland gekommen, haben hier Hilfe bekommen, wurden unter­stützt. Sehr viele sind auch bei uns geblieben. Und dieses Land bringt es nicht zusam­men, Menschen, die Hilfe und Schutz suchen, aufzunehmen, auch diese Solidarität zu beweisen, die sie einmal erhalten haben.

Ich glaube, dass wir in unserem Europa mehr darauf drängen müssen, ein friedens­sicherndes, solidarisches und soziales Europa zu werden. Das wird die große Heraus­forderung werden, nicht nur die wirtschaftliche Sicht. – Danke. (Beifall bei SPÖ und Grünen und bei Bundesräten der ÖVP.)

12.10


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte.

 


12.10.55

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man so weit hinten in der Rednerliste ist, ist ja vieles schon gesagt worden, man hat aber auch die Gelegenheit, auf das eine oder andere einzugehen, was eben vor einem schon ausgeführt worden ist.

Kollegin Posch-Gruska, dir, die du jetzt gerade deine Region, das Burgenland, und Ungarn genannt hast, möchte ich schon auch noch etwas auf den Weg mitgeben, was du vielleicht vergessen hast zu erwähnen: Der Landeshauptmann des Burgenlandes,


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ein Angehöriger deiner Partei, hat sich sehr wohl auch Sorgen um die Region gemacht und eine Resolution verabschiedet, in der er auf gewisse Schutzabkommen für die eigenen Arbeitnehmer Bezug genommen hat. (Bundesrätin Posch-Gruska: Das habe ich nicht vergessen, ich hab’s nicht gesagt!) Und auch der Landeshauptmann des Burgenlandes hat festgestellt, dass nicht jeder aufgenommen werden kann, der herkommen möchte. – Ich möchte das nur wieder ins Gedächtnis rufen.

Betreffend Brexit, den Sie, Herr Vizepräsident, ja heute auch erwähnt haben, bin ich immer sehr erstaunt, dass es hier offensichtlich Hellseher gibt. Ich wage zu bezweifeln, dass irgendjemand jetzt sagen kann, wie es nach einem Brexit, der ja erst einmal wirklich erfolgen muss, mit Großbritannien weitergehen wird. In Österreich schaffen es unsere Wirtschaftsforscher nicht einmal, die Steigerungsprognose für das nächste Jahr richtig vorauszusagen. Diese wird jedes Jahr regelmäßig dann nach unten korrigiert. Wer wagt es also heute zu sagen, wie Großbritannien in zehn oder zwanzig Jahren dastehen wird? Natürlich kann das ins Auge gehen, das kann aber auch genau das Gegenteil sein. Jetzt, da noch nicht einmal ein Austrittsgesuch gestellt worden ist, kann man das überhaupt nicht sagen. Und zweitens schauen wir einmal, ob sie dann auch tatsächlich austreten. Auch da haben wir schon die eine oder andere Überraschung bei Verhandlungen erlebt.

Was die Flüchtlingsproblematik oder, wie wir ja immer sagen, die sogenannte Flücht­lingsproblematik anbelangt – da es natürlich Flüchtlinge gibt, aber auch etliche, die halt die Chance auf ein besseres Leben nützen wollen, was man ihnen ja nicht verübeln kann; man muss ihnen aber trotzdem sagen, dass nicht jeder, der kommt, auch bleiben können wird –, habe ich schon ein gewisses Verständnis für die Visegrád-Staaten. Diese werden eigentlich regelmäßig, obwohl wir ja alle so solidarisch sein sollen, an den Pranger gestellt, genauso wie Viktor Orbán, als er versucht hat, die Außengrenzen der EU zu schützen, was ja eine der ureigensten Aufgaben der Europäischen Union ist, wenn wir schon innerhalb Europas freie Grenzen haben wollen.

Die Visegrád-Staaten sind ja mit ein Opfer der Politik von Angela Merkel, die voriges Jahr im Sommer gesagt hat: „Wir schaffen das!“, und dann haben sich Millionen aufgemacht, weil sie ein besseres Leben wollen, und die deutsche Bundeskanzlerin hat gesagt, das gehe. Sie wollten alle nach Deutschland, nach Skandinavien, und erst an dritter Stelle nach Österreich. Nachdem man gesehen hat, dass dieser Zustrom so groß ist, dass er von diesen drei Staaten allein nicht zu bewältigen ist, hat die Europäische Union gesagt, dann muss man das auf ganz Europa verteilen. Und da haben einige Staaten nach unserem Dafürhalten zu Recht gesagt: Wieso eigentlich? Wir haben nicht gesagt, die sollen alle kommen! Es ging doch längst nicht mehr darum, dass syrische Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten geflüchtet sind.

Jetzt werden sie aller Solidarität zum Trotz an den Pranger gestellt, weil sie sich eben nicht gefügt haben. (Bundesrat Mayer: Es geht auch um Fairness!) Das ist aber genau das, woran die Europäische Union unter anderem krankt: Sie hört ihren Bürgern nicht zu. Sie ignoriert die Ängste – es wird zwar in Sonntagsreden angesprochen, aber es wird nichts in die Tat umgesetzt. Und das macht die Leute verdrossen und auch unzufrieden mit einer europäischen Politik. (Beifall bei der FPÖ.)

Das Gleiche gilt natürlich auch für CETA. Kollege Mayer hat das richtig zitiert, ich war bei der Delegation dabei, in der uns die Kanadier dringend ersucht haben, uns dafür einzusetzen, diesem Handelsabkommen zuzustimmen: Wir bräuchten uns nicht zu fürchten, denn ihre Standards seien zum Teil viel höher, und, und, und. Ich kann mich sehr genau daran erinnern. Es war eigentlich eine Diskussion, und ich habe darauf hingewiesen, dass das schwierig werden wird – das haben meine Kollegen zum Teil auch getan. CETA war ja schon ausverhandelt, das ist ja erst aufs Tapet gekommen, als über TTIP gesprochen wurde.


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Das ist auch so eine Vorgehensweise: Das ist ja eigentlich im Geheimen verhandelt worden, abseits der Öffentlichkeit. Daher ist die Kritik auch an den Staatschefs natür­lich durchaus berechtigt, die ja alle dem Mandat der Europäischen Kommission zuge­stimmt haben, aber als sie gesehen haben, dass es Menschen gibt, die sich dagegen zu wehren beginnen, haben sie die Reißleine gezogen und sind kräftig zurückgerudert. Diese Kritik, Herr Vizepräsident, die Sie heute geäußert haben, ist natürlich völlig berechtigt. Die Staatschefs fahren allzu gern nach Brüssel, und wenn es positiv ist, sagen sie, das war meine Initiative, wenn es negativ ist, ist Brüssel daran schuld. Das ist natürlich auch eine unredliche Vorgehensweise, würde ich meinen. Aber bei CETA und besonders bei TTIP hat niemand gewusst, worum es eigentlich geht.

Dann mussten nach und nach Informationen herausgegeben werden, und die Men­schen haben festgestellt, es geht eben nicht nur allein um Handelshemmnisse, son­dern es ist schon eine Sorge da, dass Umweltstandards, Sozialstandards, Nahrungs­mittelstandards, Nahrungsmittelsicherheit in Gefahr sein könnten. Und was hat man gemacht? Statt das ordentlich zu kommunizieren, hat man das Motto „Fürchtet euch nicht!“ ausgegeben. Man ignoriert nach wie vor völlig, dass die Regionen, über die wir ja heute sprechen, in einer nicht so kleinen Zahl dagegen sind. EU-weit sind es 2 000 Kommunen, die sich dagegen ausgesprochen haben. Allein in Österreich sind es 400 Städte und Gemeinden, die sich dagegen ausgesprochen haben. Und jetzt hat sich ja nicht nur die Wallonie, sondern auch die Region Brüssel dagegen gewehrt und gesagt, dass das nicht geht.

Und was ist jetzt die Antwort darauf? Auf der einen Seite stehen die Kritiker, die sagen, das kann aber nicht sein, dass zwei Regionen Belgiens die ganze Europäische Union in Geiselhaft haben, und dann kommt der Wirtschaftskammerpräsident Leitl und sagt, wir brauchen ganz dringend die Vereinigten Staaten von Europa. – Das ist aber das Allerletzte, was die Menschen in den europäischen Ländern wollen! (Beifall bei der FPÖ.)

Die Menschen in Europa haben nichts gegen die EU, außer kritische Anmerkungen. Das trifft ja für die Freiheitlichen wie uns genauso zu. Wir sind sehr kritisch, ja, zu Recht, und wir erleben es oft, dass auch andere Parteien ähnlich kritisch sind, aber es läuft dann nach dem Motto: Wenn zwei das Gleiche sagen, ist es halt doch nicht dasselbe!

Man muss kritisch sein, zu Recht. Sie selbst waren ja auch in Ihren Ausführungen nicht unkritisch, dass die EU zu viel reguliert und sich um Staubsauger und Glühbirnen et cetera kümmert, aber nicht um die wichtigen Dinge, wie zum Beispiel eine gemein­same Grenzsicherungspolitik, bei der es um das Thema Sicherheit, Verteidigung et cetera geht. Das wären die wichtigen Dinge. Diese kleinen Dinge muss die EU überhaupt nicht regeln. Und das ist ja das, was die Menschen stört und auch irritiert. Denn was wollen denn die Menschen in den Regionen? Sie wollen dort leben können – wie Sie gesagt haben –, tief verwurzelt sein. Was nicht heißt, dass man sich abschot­ten soll; das sehe ich auch so. Das tiefe Verwurzeln heißt aber auch, dass ich mit meinen Wurzeln dort bleiben kann. Das heißt, ich brauche dort Arbeitsplätze, ich brauche dort Kinderbetreuungsplätze. Es gibt viele Regionen, die ausgezeichnet aufgestellt sind, es gibt aber auch viele Regionen, die von Abwanderung bedroht sind, weil ihnen die elementarsten Dinge fehlen.

Eine Region stirbt immer dann, wenn die Frauen abwandern. Und wann wandern die Frauen ab oder bringen ihre Familien dazu, abzuwandern? – Wenn es zu wenige Arbeitsplätze gibt, wenn es zu wenige Kinderbetreuungsplätze gibt, wenn es mit dem Bildungssystem beziehungsweise mit dem Bildungsangebot nicht stimmt. Und dort müssen wir ansetzen.


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 61

Wir haben in Österreich eine sehr kleinräumige Landwirtschaft, die ja auch immer wieder gefährdet ist – wir werden das noch weiter besprechen. Pro Tag sperren sechs Bauernhöfe in Österreich zu, das muss einem ja zu denken geben. Die Menschen wollen aber dort bleiben, ihre landwirtschaftlichen Produkte erzeugen. Sie wollen sie auch verkaufen, aber natürlich zu einem Preis, von dem sie und ihre Familien leben können. Das ist in einer globalisierten Welt unglaublich schwierig, und auch die Europäische Union hat darauf noch keine Antwort gefunden.

Man tut immer so, als ob das vom Himmel gefallen wäre, ob es gottgewollt wäre, dass es diese Globalisierung gibt. Aber es gibt keine Antwort darauf, außer dass man sagt: Man muss den Wettbewerb stärken! – Ja was heißt denn das? – Ja, wir sind uns, glaube ich, in einem einig: dass es auf jeden Fall Bildung heißt. Das ist schon klar. Aber darüber hinaus fehlen schon Antworten, die, glaube ich, eben auch die Euro­päische Union, aber natürlich auch die Nationalstaaten, die Länder, die Gemeinden geben müssten.

Wenn wir nicht wollen, dass sich die Menschen auf große Wanderschaft begeben, dass es große Wanderbewegungen innerhalb der Europäischen Union oder darüber hinaus gibt, dann müssen wir, glaube ich, mit den Ressourcen der Regionen sehr sorgsam umgehen, vor allem aber müssen wir dafür sorgen, dass unser Land sicher bleibt und sich die Menschen nicht plötzlich als Fremde im eigenen Land fühlen. (Beifall bei der FPÖ.)

12.22


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Mag. Schreyer zu Wort. – Bitte.

 


12.22.12

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Präsident Lambertz! Ich möchte zu Beginn meiner Rede ganz kurz auf die Aussagen von Kollegin Mühlwerth eingehen und nur ein paar Sachen aus unserer Sicht klarstellen.

Es sind gerade die Visegrád-Staaten aufgezählt worden, und es ist gesagt worden, dass diese Staaten ja nur ihrer europäischen Verpflichtung zur Grenzsicherung nach­kommen wollten, sich aber nicht solidarisch zeigen möchten und auch der euro­päischen Verpflichtung zur Aufnahme von Flüchtlingen nicht nachkommen möchten. – Frau Bundesrätin Mühlwerth geht jetzt leider, schade!

Ich muss sagen, für ein Mitglied der Europäischen Union steht Solidarität mit dem Rest der EU ganz oben auf der Liste. Man kann sich nicht die Rosinen herauspicken. (Demonstrativer Beifall bei Bundesräten der SPÖ sowie der Bundesrätin Zwazl.) Man kann nicht die Aufgaben, die man gerne erledigt, erfüllen und den Aufgaben, denen man nicht gerne nachkommt, nicht nachkommen.

Zur Kritik an Frau Merkel – das werden wir dann auch noch einmal besprechen –: Soll sich eine europäische Staatschefin, soll sich die Bundeskanzlerin des größten Staates der Europäischen Union hinstellen und sagen: Wir schaffen das nicht!? – Ich hätte gerne gehört, was die FPÖ dazu gesagt hätte.

Wir haben jetzt von meinen VorrednerInnen schon sehr viel zur Bedeutung der Re­gionen für Europa gehört, und als neunte Rednerin dazu tue ich mich natürlich schwer, etwas Neues zu bringen. Ich möchte mit meinen Ausführungen auch gar nicht mehr in die Breite gehen, sondern ich möchte aus gegebenem Anlass ein sehr aktuelles und brisantes Beispiel dafür bringen, wo Regionen wichtig sind und wo Regionen wirken können.


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 62

Wir hätten ja bei der heutigen Debatte auch gerne EU-ParlamentarierInnen dabei­gehabt, um eben auch den Blickwinkel unserer Europaabgeordneten auf die euro­päischen Regionen in die Debatte miteinfließen lassen zu können. Der Grund dafür, dass unsere EU-ParlamentarierInnen heute nicht mit dabei sind, ist, dass in dieser Woche das Europäische Parlament in Straßburg selbst tagt. Und gerade gestern und heute stand und steht dort eine Abstimmung an, die die Europaregion, aus der ich komme, nämlich die Europaregion Tirol – Südtirol – Trentino, massivst beeinträchtigen würde.

Gestern am späten Abend ist dort nämlich ein Antrag diskutiert worden (Bundesrat Dörfler: Alemagna!), der in den neunziger Jahren schon einmal aufs Tapet gebracht worden ist und jetzt gerade von italienischen Abgeordneten wieder eingebracht wurde: nämlich – der Herr Kollege hat es schon gesagt – der Ausbau der sogenannten Alemagna-Autobahn, also die Erweiterung der italienischen A27 von Venedig Richtung Norden bis hin zur österreichischen Grenze bei Lienz in Osttirol. Und dort, an der Grenze, würde eine italienische Autobahn auf eine österreichische Bundesstraße treffen.

Konkret wird in diesem Antrag die Schaffung eines neuen europäischen Korridors gefordert, der das Drehkreuz Venedig direkt an Nordosteuropa anbindet. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, aber es gab schon in den neunziger Jahren massive Proteste der Bevölkerung und der Umweltverbände gegen diese Pläne, die damals eben schon eingebracht worden sind, auch im Europaparlament. Eine ganz prominente Stimme aus Südtirol gegen diese Ausbaupläne war damals jene des Extremberg­steigers Reinhold Messner. Und diese Pläne konnten damals abgewendet werden.

Genau diese Projektidee ist aber jetzt, wie gesagt, wieder auf der Tagesordnung des Europaparlaments und hat im zuständigen Ausschuss des Europäischen Parlaments auch schon die Mehrheit bekommen. – Unvorstellbar, wie schnell so etwas geht!

Was eine Zustimmung im Europaparlament bedeuten würde, ist klar: Es würde eine neue Transitachse quer über die Alpen entstehen. Es würde eine neue Transitachse entstehen, die die Europaregion, vor allem natürlich die Menschen, die dort wohnen, und die Luft extrem belasten würde. Osttirol, Nordtirol, Teile Südtirols, Teile Salzburgs und Kärntens würden vom Verkehr massiv überschwemmt werden. Es würde alles, was derzeit verkehrspolitisch im Alpenraum geschieht – ich meine damit den Brenner Basistunnel, generell den Ausbau der Schieneninfrastruktur –, komplett konterkarieren. Es werden sehr viele Bemühungen, aber auch finanzielle Mittel – und wir reden hier von Milliarden – in die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene investiert. Die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene muss oberste Priorität haben. Es geht um die Entlastung der Bevölkerung und des Alpenraumes, diese muss oberste Priorität haben.

Diese Pläne stehen aber auch in krassem Gegensatz zum Verkehrsprotokoll der Alpenkonvention, das ja auch Italien unterzeichnet hat. Das ist ja immerhin ein völker­rechtlicher Vertrag – das ist ja nicht nichts. Das ist ein bindendes Gesetz für Österreich und auch für die EU. Und darin steht auch dezidiert, dass keine alpenquerenden Autobahnen oder ähnliche Straßen gebaut werden dürfen.

Ganz nebenbei erwähnt: Österreich führt seit der letzten Woche auch den Vorsitz der Alpenkonvention.

Trotz all dieser rechtlichen und strategischen Widersprüche ist es eben passiert, dass dieser Antrag im Ausschuss positiv behandelt wurde. Und – da überholt uns jetzt gerade die Geschichte – gerade jetzt, im Abstimmungsblock nach zwölf Uhr, also schon seit einer halben Stunde – ich weiß nicht, ob darüber schon abgestimmt worden ist oder ob es erst drankommt –, wird im Europaparlament darüber abgestimmt.


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Und gerade in diesem Zusammenhang möchte ich die fundamentale Bedeutung der Regionen für Europa einbringen: Regionen sind grenzüberschreitend zwischen europäischen Ländern, aber auch zwischen Verwaltungseinheiten innerhalb der Staaten, und Regionen sind verbunden über Gemeinsamkeiten. Das kann die Sprache sein, das sind aber auf jeden Fall auch die geographische Lage und die Heraus­forderungen, die dadurch entstehen, oder auch eine gemeinsame historische Entwick­lung. Bei meinem Beispiel Europaregion Tirol – Südtirol –Trentino, Trentino ist ja das ehemalige Walschtirol, ist es einfach die gemeinsame historische Entwicklung, wo diese Region zusammengewachsen ist.

Durch diesen grenzüberschreitenden Verkehrszuwachs würde die gesamte Region massiv beeinträchtigt werden. Daher hat sich jetzt auch der Vorstand der Europa­region, die Landeshauptleute von Tirol, Südtirol und Trentino, massiv dafür starkge­macht, mit genau diesen Begründungen, die ich Ihnen gerade genannt habe – Ver­kehrs­zuwachs, strategisch komplett gegen alles geltende Recht laufend, Alpenkon­vention und so weiter –, und hat auch gegen diese Ausbaupläne gekämpft, sich für die Region in der Europäischen Union, in Brüssel und in Straßburg starkgemacht.

Es ist ein sehr wichtiges Zeichen – nach außen, nach oben und auch nach innen –, wenn sich die Länderchefs grenzüberschreitend gemeinsam für die Region, für die Bevölkerung einsetzen, weil sich der Verkehr an der Grenze ja nicht in Luft auflöst, sondern die gesamte Region betrifft.

Das Thema Verkehr wurde in der Europaregion schon früh als entscheidender gemein­samer Nenner erkannt. Im Rahmen des Projekts Montiraf haben sich Arbeits­gruppen aus Fachleuten aus dem Alpenraum Gedanken darüber gemacht, wie man das Problem des alpenquerenden Verkehrs lösen kann. Es hat auch viele gemeinsame Projekte zum Klimaschutz, zur Energiepolitik, zu Tourismusentwicklungen, zur Touris­mus­lenkung gegeben. Also alles nationalstaatsübergreifende Themen, die nicht an Grenzen gebunden sind, sondern eher an geographische Gegebenheiten. Und das ist genau der Punkt, auf den ich zu sprechen kommen möchte: Regionen sollen ergänzen, wo es sinnvoll ist, wo Interessen, die genau diese Region betreffen, verwaltungs­grenzenübergreifend gegeben sind, für die gemeinsamen Ziele eintreten und nach unten, für die Basis, für die Menschen, da sein und sich auf der anderen Seite nach oben hin, in der Europäischen Union und im Ausschuss der Regionen, für Subsidiarität starkmachen. Regionen sollen also genau diese Mittelfunktion einnehmen: gemein­same Interessen nach oben sichtbar machen und nach unten umsetzen und gemein­sam vertreten.

So, das hätte jetzt eigentlich mein Schlusssatz sein sollen (Beifall bei Bundesräten der ÖVP), aber nein, ist es noch nicht. Ich habe gestern noch einmal nachgeschaut, wer eigentlich Österreich im Ausschuss der Regionen vertritt (Bundesrätin Posch-Gruska: Das wollte ich auch sagen!), und das ist jetzt mein neuer Schlusssatz: Österreich hat zwölf Mitglieder im Ausschuss der Regionen, es sind zwölf Männer. (Bundesrat Mayer: Es haben sich keine Frauen gemeldet!) – Gemeldet und tatsächlich vertreten, das kann schon einmal auseinandergehen.

Ich hoffe auf jeden Fall stark, dass für Österreich im Ausschuss der Regionen, wo es auch jetzt schon sehr prominent vertreten ist und sehr gut vertreten ist, künftig auch die anderen 51 Prozent der Bevölkerung stärker vertreten sind und auch die weibliche Sicht Österreichs im Ausschuss der Regionen mit eingebracht werden kann. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

12.31


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bevor ich den Herrn Vizepräsidenten des Aus­schusses der Regionen Lambertz um die Abgabe seines Schlusswortes ersuche, darf


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 64

ich Herrn Staatssekretär Dr. Mahrer in unserer Mitte begrüßen. Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Bitte, Herr Vizepräsident.

 


12.31.30

Erster Vizepräsident des Ausschusses der Regionen Karl-Heinz Lambertz: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die acht Redner, die nach mir an dieses Rednerpult getreten sind, haben so vieles gesagt, dass ich gar nicht erst den Versuch wagen will, auf jeden einzelnen einzugehen.

Ich fange mit dem zuletzt angesprochenen Thema an: Das mit der Delegation der Österreicher im AdR können die Österreicher selbst ändern (Bundesrätin Schreyer: Ja!), aber wenn es Ihren Schmerz vorläufig etwas lindert, darf ich Ihnen vielleicht sagen beziehungsweise Sie darauf hinweisen, dass die acht Ländervertretungen Österreichs, die in Brüssel tätig sind, mehrheitlich von Frauen geleitet werden, die das sehr, sehr kompetent machen – aber das eine schließt das andere ja sicherlich nicht aus.

Zweite Bemerkung: Bei der Suche nach Quellen ist es manchmal sehr schwierig, fündig zu werden, und da hilft das Internet natürlich ganz gewaltig. Man sollte aber beim Zitieren von dem, was man dort liest, immer sehr kritisch sein, vor allem angesichts der Möglichkeit, dass es Dinge gibt, die dort nicht stehen,.

Was über den Ausschuss der Regionen nachrecherchiert wurde, war nicht vollstän­dig – aber das kann durchaus am Informationsdefizit vonseiten des AdR liegen, denn mit dem Flüchtlingsthema etwa haben wir uns dort unzählige Male intensiv, stun­denlang beschäftigt. Was auf Wikipedia irgendjemand, der es da nicht so gut mit mir meint, hineingeschrieben hat, was meine Meinung zur Auflösung Belgiens betrifft, damit kann ich mich natürlich nicht identifizieren.

Ich werde dafür sorgen, dass da einmal etwas anderes hineinkommt, das ist jetzt das zweite Mal, dass ich so etwas bemerke. Ich bin jetzt kein Internetfreak, der jeder Zeile dort nachläuft, aber es scheint mir doch so zu sein, dass ich der Menschheit einen Gefallen täte, wenn ich das einmal richtigstelle, was da über meine Aussagen nieder­geschrieben ist.

Ich möchte noch eine weitere Vorbemerkung machen: Was mich bei dieser Debatte hier sehr beeindruckt hat, ist die Tatsache, dass bei aller zu erwartenden Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Meinungen doch ein ganz massiver Grundtenor hier bei allen acht Rednern und Rednerinnen festzustellen war, also niemand hat die Europäische Union abgeschrieben.

Alle scheinen darin einen Sinn zu sehen, dort weiterzumachen, aber alle sind auch der tiefen Überzeugung, da muss reformiert werden, da muss sich etwas ändern, und genau das entspricht auch meiner Meinung. Deshalb habe ich ja auch, obschon ich viele Minuten kritisch geredet habe, am Ende sehr deutlich gesagt, dass ich ein bedingungsloser Befürworter der Fortsetzung und Vertiefung der europäischen Inte­gration bin.

Ich wollte jetzt abschließend noch zu drei Dingen etwas sagen. Erstens zu CETA und Belgien – das kann ich ja nicht vermeiden. Ich habe es bewusst am Anfang nicht gemacht, weil ich mir ziemlich sicher war, dass jemand darauf eingehen würde. Dann würde ich gerne zum veränderten Europa, zum neu zu erfindenden Europa oder zum weiterentwickelten Europa etwas sagen und die eine oder andere Idee hier aufgreifen. Letztlich möchte ich Ihnen hier noch ganz wenige Worte zum AdR selbst mit auf den Weg geben.


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 65

Kommen wir zu CETA! CETA ist eine sehr folgenschwere Neuorientierung der handelspolitischen Beziehungen Europas und der Mitgliedstaaten. Man nennt CETA nicht zu Unrecht das erste Freihandelsabkommen der neuen Generation. Wir haben Hunderte Handelsabkommen abgeschlossen, auch Hunderte Schiedsgerichte einge­setzt, ohne irgendeinen Gedanken darüber zu verlieren, und wir erleben jetzt bei CETA, verstärkt durch die Verknüpfung mit TTIP, dass da grundsätzliche Probleme auf dem Tisch liegen. Diese werden noch dadurch vergrößert, dass es sich um geheime Verhandlungen – oder besser gesagt um eine schwer nachvollziehbare Geheimnis­tuerei um diese Verhandlungen – handelt. Wenn ich diesen Zirkus sehe, den man bei der Konsultierung zu den Dokumenten macht, dann frage ich mich schon: Was soll das?

Es geht jedoch um etwas ganz Fundamentales: Ein Europa, das mit dem Rest der Welt nicht mehr in Handelsbeziehungen eintritt, wird sich schon eine Reihe großer Probleme einhandeln und es wird auf der weltweiten Karte noch unwichtiger werden, als es mitt­lerweile schon geworden ist, im Vergleich zu früher. Das muss man sehr deutlich sagen. (Beifall bei der ÖVP, bei Bundesräten der SPÖ sowie der Bundesrätin Schreyer.)

Etwas ganz anderes ist die Frage: Wie kommt man zur richtigen inhaltlichen Ge­staltung? – Da könnte man jetzt stundenlang diskutieren, das möchte ich ganz bewusst nicht machen. Eines ist jedoch meines Erachtens jetzt schon klar: Wenn wir solch fundamentale Dinge in Europa auf die Reihe bringen wollen und sagen, das ist etwas Gemischtes – etwas, wo die Staaten und die EU gleichermaßen zuständig sind –, dann müssen wir uns von Anfang an so aufstellen und so an die Sache herangehen, dass alle, die da irgendwann mitbeschließen müssen, daran beteiligt sind.

Das ist in diesem Fall, glaube ich, ungenügend gelungen, obschon das nicht immer nur die Verantwortung der Verhandlungsführer oder der zuständigen Kommissarin ist. Man hätte sich an vielen Stellen auch früher damit beschäftigen können, auch etwa in Belgien. Dafür, wie man in Zukunft damit umgehen wird, werden sich daraus sicherlich wertvolle Lehren ziehen lassen.

Wir werden aber auch daraus eine Lehre ziehen müssen, wie man in Europa über so etwas entscheidet. Die entscheidende Frage ist nicht, ob die Wallonie dafür oder dagegen ist, und ob da ein kleiner Gliedstaat eines auch nicht sehr großen Bundes­staates so etwas Entscheidendes sagen darf. Genauso wenig das Thema, wie wir darüber befinden, ob die sieben Mitgliedstaaten der EU, die kleiner sind als die Wallonie, überhaupt mitreden dürfen – das ist nicht die richtige Frage.

Die richtige Frage ist: Wie soll bei dieser Thematik – wie bei vielen anderen – das Entscheidungsverfahren in der EU gestaltet werden, wie soll der Vertrag von Nizza, der damals nicht gelungen ist, so hinbekommen werden, dass wir ein entschei­dungsfä­higes Europa haben? Das gilt auch für die Flüchtlingspolitik, dass da Entscheidungen der EU-Kommission nicht möglich sind, und die wenigen, die dann getroffen werden, nicht umzusetzen sind. Das ist etwas, das sich ändern muss, wenn wir ein funktions­fähiges, ein handlungsfähiges Europa brauchen. Das ist eine grundsätzliche Ge­schichte, und da ist vieles mangelhaft.

Jetzt zu Belgien. – Haben Sie noch drei Stunden Zeit? Dann kann ich damit begin­nen. – Es wäre etwas ganz Schönes, Ihnen jetzt einmal den belgischen Föderalismus darzustellen. (Allgemeine Heiterkeit.) Laden Sie mich noch einmal ein, dann mache ich das sehr gerne!

Ich habe ein halbes Jahrhundert meines Berufslebens damit verbracht, deshalb möchte ich zuallererst richtigstellen: Ich bin kein deutschsprachiger Wallone – das würde, wenn es von einem Wallonen gesagt würde, als Beleidigung betrachtet wer-


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den –, nein, ich bin ein deutschsprachiger Belgier, ich stamme aus jenem Bundesland in Belgien, wo die Deutschsprachigen leben. Daneben gibt es Wallonien, Brüssel und Flandern, es ist aber so – aber das wird jetzt zu detailliert –, dass die Wallonie gewisse Zuständigkeiten noch im Gebiet deutscher Sprache ausübt, das ist aber eine Sache, die nach und nach abgebaut wird.

In Belgien wäre es durchaus so: Selbst wenn die Brüsseler, die Flamen und die Wallonen einverstanden wären, die Deutschsprachigen aber sagen würden: Nein, wir sind nicht dafür!, könnte Belgien dieses Abkommen nicht unterschreiben und auch nicht ohne Zustimmung des Parlaments in Eupen ratifizieren. Das hat etwas mit innerbelgischer Verfassungslage zu tun. Das Problem ist da ganz einfach: Egal, ob Belgien zustimmt oder nicht, die innerbelgischen Regeln sagen – das ist eine rein innerbelgische Sache, die übrigens auch im Europarecht durch entsprechende Klauseln verankert ist –, dass bei gemischten Verträgen alle Beteiligten einverstanden sein müssen, sonst ist man nicht in der Lage, zuzustimmen. Dasselbe gilt auch für die Ratifizierung.

Das ist natürlich etwas, was man diskutieren kann, aber das ist innerbelgisches Verfassungsrecht, das ziemlich speziell ist und das beweist, in welchem Maße in Belgien die politische Macht bei den Regionen und nicht auf Bundesebene liegt. Wenn man dann auch noch weiß, dass es in Belgien keine Bundesparteien gibt, dass es in Belgien durchaus sein kann, dass eine wallonische sozialdemokratische oder christdemokratische oder liberale Partei in der Bundesregierung sitzt und die flämische nicht oder umgekehrt, dann kann man sich ein bisschen den Kontext dieser Geschichte vorstellen.

Aber eines muss man zu CETA wissen: Auch die Wallonische Region hat klar gesagt, dass sie nicht gegen das Freihandelsabkommen an sich ist, sondern dass sie nur mit gewissen Dingen, die da drinnen stehen, nicht oder noch nicht zufrieden ist und noch irgendwelche Klärungen erwartet. Insofern gehe ich persönlich davon aus, dass wir am Ende ein positives Ergebnis haben werden, aber sicherlich nicht in der nächsten Woche. – Das nur zu Belgien.

Jetzt zu: Europa neu erfinden: Das ist umso notwendiger, als die Herausforderungen der Globalisierung und vor allem – mehr noch vielleicht – die Herausforderungen der dritten industriellen Revolution grundlegende Veränderungen im gesellschaftlichen, im wirtschaftlichen und vor allem auch im Bereich der Arbeit mit sich bringen werden. Da stehen wir vor ganz großen Herausforderungen – vieles davon ist hier gesagt worden –, und zu all diesen Dingen kann man in Europa sehr klare Fortschritte machen.

Wir haben einen Bedarf an Solidarität – völlig klar! Kleines Zitat in diesem Zusam­menhang: 2006 hat Juncker, als er den Karlspreis in Aachen bekam und noch nicht Präsident der EU-Kommission war und als es auch noch keine Finanzkrise gab, gesagt, wenn zu dem erfolgreichen Wirtschaftsprojekt Europäische Union – das war vor der Krise, wie gesagt – in den nächsten zehn Jahren nicht auch eine erfolgreiche Sozialunion kommt, dann wird Europa scheitern. – Also wenn diese Zeitschiene stimmt, dann haben wir noch genau zwei Monate und ein paar Tage Zeit.

Dass wir ein soziales Europa brauchen und mehr Solidarität, das ist meines Erachtens ganz fundamental. Wir brauchen auch eine neu durchdachte und vor allem anders angepackte Praxis der Subsidiarität. Und wir brauchen auch richtige Lösungen für das schwierige Thema städtische Ballungsräume und ländliches Umland, dafür, wie das zusammengebracht werden soll. Das geht dann in viele Bereiche, bis hin in die Connecting Europe-Problematik mit den großen Kommunikationsschienen, von denen im letzten Beitrag hier die Rede war, wobei ich nicht sicher bin, ob eine Abstimmung im Europaparlament in der Sache schon das letzte Wort ist, aber es ist natürlich immer


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ganz wichtig, bei solchen Dingen sehr gut aufzupassen beziehungsweise präsent zu sein. Das gilt gerade dann, wenn es um grenzüberschreitende Dinge geht, denn da ist die Gefahr sehr groß, dass sich keiner verantwortlich fühlt oder nur einer einseitig seine Interessen durchsetzt, und da ist grenzüberschreitende Zusammenarbeit, getragen von den Regionen, wie es etwa in der Europaregion Nordtirol, Südtirol und Trentino ja in sehr hervorragender Weise geschieht, wichtig.

Wir werden uns auch bei der gesamten Problematik der Austerität positionieren müssen. Wenn wir den Euro halten wollen, wenn wir überhaupt in Europa richtig zusammenarbeiten wollen, dann müssen wir Gemeinsamkeiten beim Umgang mit Staatsfinanzen haben, dann muss klar sein, wie man mit Defiziten und Schulden umgeht. Da muss aber auch klar sein, dass man keine einseitigen Wege gehen kann und dass aus technischen Gründen, die sowohl mit den europäischen Haushalts­normen 2010 zu tun haben als auch mit den Bestimmungen des Stabilitätspaktes und, besser noch, mit der Kombination aus den beiden, da Situationen entstehen, die, so wie sie jetzt sind, nicht fortgeführt werden können. Und daran wird gerade im Ausschuss der Regionen sehr intensiv gearbeitet. Das ist sogar mein persönliches Steckenpferd, aber gerade weil es das ist, gehe ich jetzt nicht die Gefahr ein, darüber noch etwas mehr dazu zu sagen.

Europa kann sich an gewissen Dingen orientieren, die meines Erachtens geteilt werden, und das hat sehr viel mit Selbstverständnis, sehr viel mit Werten und sehr viel mit Dingen zu tun, die eigentlich in Europa auch Alleinstellungsmerkmale sind. Die müssen wir durch Zusammenarbeit und durch angepasste Umsetzung vor Ort voran­treiben, und da haben wir eine begeisterungsfähige Aufgabe vor uns. Genauso wie der Frieden Europa mobilisiert hat, müssen wir Antworten auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts finden und uns ebenfalls damit gemeinsam – bei aller Vielfalt und Unterschiedlichkeit – mobilisieren, um Ergebnisse zu erzielen. Das ist die große Herausforderung, und der sollten wir uns stellen.

Und da kann auch der AdR eine Rolle spielen. Der AdR ist ein Beratungsgremium, aber eines, das man befragen muss – das hat Vorteile! –, und es ist auch eines, das zum selben Thema mehrmals aktiv werden kann: bei einer Kommission, beim Minis­terrat und beim Parlament – auch das hat Vorteile! Wenn Sie Jäger sind, was ja nicht jedermanns Sache ist, dann wissen Sie, dass man selten mehrmals auf dasselbe Ziel schießen kann. Bei diesem Gremium kann man das dreimal, und das Ziel kann sich auch nicht so viel bewegen, das hat den Vorteil, auch zu treffen. Da gibt es eine wichtige Arbeit zu machen, die muss man natürlich richtig kommunizieren.

Eben wurde aus diesem komplexen EU-Jargon zitiert, das, was hier gesagt wurde, war ja noch relativ verständlich, es gibt viel schlimmere Passagen in Texten. Daher muss man daran arbeiten, die Inhalte so zu vermitteln, dass die Menschen sie auch verstehen können, und da gibt es eine Menge Arbeit zu leisten. Da kann der AdR, gerade auch weil Vertreter der Regionen in ihm sitzen, sicherlich den einen oder anderen Bürokraten auf eine Sprache bringen, die jedermann versteht.

Wir müssen im AdR auch viel mehr den Brückenschlag zu den Regionen und Gebiets­körperschaften finden. Das geschieht etwa jedes Jahr mit den Open Days, mit der Woche der Gemeinden, Städte und Regionen, die parallel zu einer Sitzung des AdR stattfindet. Das ist ein Riesentreffen von allen Leuten, die irgendwo in Europa etwas organisieren und die dort die Gelegenheit haben, sich auszutauschen. Das ist sehr wichtig, aber das kann nur ein Symbol, eine Impulsgeschichte sein.

Viel wichtiger ist es, dass die Arbeit, die im AdR geschieht, viel intensiver rückge­koppelt wird mit dem, was in den Regionen stattfindet, und das ist meiner Meinung nach etwas, wo es noch sehr viel zu leisten gibt, da hat der AdR jetzt fast ein Viertel-


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jahrhundert Erfahrungen gesammelt, aber da ist noch ein richtig weiter Weg zu be­schreiten, bis das gut funktioniert.

Ich persönlich sehe eine meiner Aufgaben darin, bei diesem Zustandekommen der direkten Kontaktschienen mit den Entscheidungsfindern vor Ort und mit der öffent­lichen Meinung vor Ort intensiv voranzukommen. Das ist unter anderem der Grund dafür, dass ich heute sehr gerne Ihre Einladung angenommen habe. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Allgemeiner Beifall.)

12.49


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich danke Ihnen, Herr Vizepräsident, für Ihre Ausfüh­rungen und ganz besonders für Ihren heutigen Besuch bei uns im österreichischen Bundesrat.

12.49.402. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 12. Oktober 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Versorgungssicherungsgesetz 1992 geändert wird (1261 d.B. und 1276 d.B. sowie 9647/BR d.B.)

3. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 12. Oktober 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Mineralrohstoffgesetz geändert wird (1249 d.B. und 1277 d.B. sowie 9648/BR d.B.)

4. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 12. Oktober 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Maschinen-Inverkehrbringungs- und NotifizierungsG – MING geän­dert wird (1259 d.B. und 1278 d.B. sowie 9649/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nun zu den Punkten 2 bis 4 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem durchgeführt wird.

Berichterstatterin zu allen drei Punkten ist Frau Bundesrätin Hackl. Ich bitte um die Berichte.

 


12.50.55

Berichterstatterin Marianne Hackl: Ich bringe den Bericht des Wirtschaftsaus­schus­ses über den Beschluss des Nationalrates vom 12. Oktober 2016 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Versorgungssicherungsgesetz 1992 geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, daher komme ich sogleich zur Antrag­stellung.

Der Wirtschaftsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 24. Oktober 2016 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag,

1. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben,

2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 44 Absatz 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

Nun komme ich zur Berichterstattung zum 3. Tagesordnungspunkt: Bericht des Wirt­schaftsausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 12. Oktober 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Mineralrohstoffgesetz geändert wird.


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 69

Auch dieser Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, daher komme ich sogleich zur Antragstellung.

Der Wirtschaftsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 24. Oktober 2016 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des National­rates keinen Einspruch zu erheben.

Ich komme zur Berichterstattung zum 4. Tagesordnungspunkt: Bericht des Wirtschafts­ausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 12. Oktober 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Maschinen-Inverkehrbringungs- und NotifizierungsG – MING geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen gleichfalls in schriftlicher Form vor, daher komme ich sogleich zur Antragstellung.

Der Wirtschaftsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 24. Oktober 2016 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des National­rates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Brunner. – Bitte.

 


12.52.49

Bundesrat Dr. Magnus Brunner, LL.M (ÖVP, Vorarlberg)|: Hohes Präsidium! Herr Staatssekretär! Ich werde mich bei diesen drei Tagesordnungspunkten auf das Maschinen-Inverkehrbringungs- und Notifizierungsgesetz, also das MING, und das Versorgungssicherungsgesetz konzentrieren. Mein Kollege Pum wird sich im An­schluss auch noch mit dem MinroG beschäftigen.

Prinzipiell regelt das MING die Inverkehrbringung technischer Erzeugnisse, die Bereitstellung auf dem Markt oder eben die Inbetriebnahme. Bisher waren Maschinen, wie Aufzüge oder Sportboote, EU-weit harmonisiert, und dabei gibt es Pflichten für den Hersteller auf der einen Seite, wie zum Beispiel die Erklärung, dass die Produkte eines Herstellers auch den entsprechenden Gesundheits- und Sicherheitsbestimmungen entsprechen zu haben, und auf der anderen Seite gibt es auch Sorgfaltspflichten für die Einführer dieser Produkte oder für die Händler, beispielsweise, ob die notwendigen Unterlagen überhaupt vorliegen oder ob die Händler auch den sicheren Transport und sichere Lagerbedingungen gewählt haben.

Mit dieser Novelle kommen jetzt zwei neue Produktgruppen dazu: auf der einen Seite Gasgeräte, zum Beispiel Boiler, Gasheizungen oder Heizkanonen, und zum anderen auch persönliche Schutzausrüstungen, wie Rettungswesten, Ofenhandschuhe und andere Produkte. Diese Novelle wird in dieser Form dem fairen Wettbewerb im euro­päischen Binnenmarkt dienen und schafft auch – gerade für österreichische Her­steller – eine gewisse Rechtssicherheit, nicht nur für Hersteller, sondern auch für Importeure und Händler. Diese EU-Vorgaben sichern die sichere Verwendung von Produkten, denn sie schützen die Hersteller von hochwertigen europäischen Produkten vor Billigimporten, wie beispielsweise aus China. In diesem Zusammenhang gelten europaweit dieselben Maßstäbe, es gibt also auch kein Gold Plating, wie oft befürchtet wird. Zudem werden gleichzeitig bisherige nationale Verordnungen zu diesen Produk­ten aufgehoben, das heißt, es kommt in diesem Bereich zu keiner Überreglemen­tierung.

Mit dem Versorgungssicherungsgesetz haben wir die rechtliche Grundlage für die Bewirtschaftung in außergewöhnlichen Krisenzeiten, zu denen es beispielsweise aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen kommen kann, wie Kriege, Naturgewalten


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und anderes, denn bei schweren Versorgungsstörungen muss die Versorgungs­sicherheit – und das regelt das Versorgungssicherungsgesetz – gewährleistet sein. Das ist anders als in Deutschland, wo auch Private beispielsweise zur Lagerung von Vorräten aufgefordert werden; in Österreich ist das nicht der Fall. Das hätte hier über die jeweiligen Zivilschutzverbände der Länder zu erfolgen.

Da wir beim Thema Länder und Kompetenzen sind: Das ist der Grund dafür, warum wir in dieser Novelle wieder eine begrenzte Geltungsdauer, allerdings von bisher fünf Jahren auf in Zukunft zehn Jahre verlängert, beschließen werden. Eine unbefristete Verlängerung – das kann man in dieser Kammer natürlich auch offen ansprechen – ist aus Sicht der Länder nicht unbedingt zielführend, denn man will nicht, dass über eine Kompetenzdeckungsklausel eine dauerhafte Kompetenzverschiebung in Richtung Bund möglich gemacht werden soll.

Mit diesen zehn Jahren, glaube ich, kann man leben, man kann mit diesen zehn Jah­ren auch ausreichend planen. Man muss die Geltungsdauer dieses Gesetzes nicht so oft verlängern, und es ist sicher – auch in Richtung Deregulierung – zumindest ein kleiner Beitrag. Außerdem erfolgt die Verlängerung auf zehn Jahre auch im Gleich­klang mit dem Lebensmittelbewirtschaftungsgesetz, das aus dem Lebensminis­terium kommt, also hier macht diese Angleichung sicher auch Sinn.

Also liebe Kolleginnen und Kollegen: Es ist nichts wahnsinnig Nervenaufreibendes, aber jedenfalls Notwendiges, was wir heute beschließen. Und es spricht nichts gegen eine Zustimmung. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

12.57


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Novak. – Bitte.

 


12.57.31

Bundesrat Günther Novak (SPÖ, Kärnten): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Die Debatte über die Rolle der Regionen in Europa wird ein bisschen spannender gewesen sein als das, was wir heute vom Herrn Dr. Brunner über das Versorgungssicherungsgesetz gehört haben. Es gibt natürlich einige Gedanken dazu, die man sagen will und soll: Wir wissen alle, dass wir großes Glück haben, in Österreich zu leben – in demokratischen Verhältnissen, in einem Staat, in welchem die Versorgungssicherheit in außerordentlich hohem Maß gewähr­leistet ist. In weiterer Folge leben wir in einer globalisierten Welt, wo die Staaten politisch und wirtschaftlich engstens miteinander verbunden sind. Aber wir wissen auch um die Krisen und Konflikte, die es auf der Welt gibt. Wir wissen, dass das geografisch zwar ein bisschen weiter von uns weg liegt, aber es ist uns bewusst, dass – so wie es jetzt ist – diese Flüchtlingsbewegungen natürlich auch bewältigbar sein müssen.

Es gibt auch Naturkatastrophen: Man muss nur daran denken, was Wasser alles anrichten kann oder technische Gebrechen, wenn man beispielsweise an Tschernobyl denkt und an das, was dort passiert ist. Ich möchte den Teufel nicht an die Wand malen, aber wenn man sich vorstellt, dass einmal in ganz Europa der Strom ausfällt und kein Licht brennt, dann weiß man sehr wohl, dass es notwendig ist, für die Zukunft Vorsorge zu treffen und Richtlinien festzusetzen. Das machen wir mit diesem Ver­sorgungssicherungsgesetz – ich sage es jetzt einmal so: mit diesem Krisengesetz –, das mit Ende des Jahres abläuft und dessen Geltungsdauer um zehn Jahre verlängert werden soll. Gleichzeitig sollte im Gleichklang die Verlängerung der Geltungsdauer des Lebensmittelbewirtschaftungsgesetzes erfolgen. – Das ist das eine.

Das andere ist das Mineralrohstoffgesetz. – Zur Änderung dieses Gesetzes sei ange­merkt, dass damit vor allem die vollständige Umsetzung der CCS-Richtlinie erfolgt und


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das in weiterer Folge für die Europäische Union erfüllt wird, wobei Österreich das unter Artikel 4 eingeräumte Recht dahin gehend umsetzt, dass die geologische Speicherung von Kohlenstoffdioxid auf eigenem Gebiet nicht zugelassen wird. Die Abscheidung von Kohlenstoffdioxid zum Zwecke der geologischen Speicherung ist ein Verfahren, das in Österreich nicht angewandt wird.

Weiters wird in dieser Novellierung noch die Dauer der einschlägigen, praktischen Verwendung der Betriebsleiter und der Betriebsaufseher im Bergbau miteingebracht und in weiterer Folge damit auch geregelt.

Das dritte Gesetz, kurz MING – Dr. Brunner hat es bereits ausführlich erklärt –, ist vor allem aufgrund von Anpassungen an die EU-Verordnung zu ändern. Versucht man, es noch einmal auf den Punkt zu bringen, so geht es hierbei um das Inverkehrbringen, die Bereitstellung auf dem Markt, die Inbetriebnahme und die Marktüberwachung diverser Maschinen, Geräte und Ausrüstungen.

Es wird damit, wie bei den anderen Gesetzen, die Durchführung der EU-Verordnung auf Basis des nationalen Rechts ermöglicht. Diese Harmonisierung bringt hohe Sicher­heits­standards und eine Aktualisierung der Sicherheitsbestimmungen.

Wir werden diesen drei Gesetzen zustimmen. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

13.01


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gelangt nun Herr Bundesrat Krusche. – Bitte, Herr Kollege.

 


13.01.30

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Frau Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Meine Vorredner haben es bereits anklin­gen lassen: Es handelt sich nicht gerade um drei große Aufreger, die uns heute zur Diskussion vorliegen.

Beim ersten, beim Versorgungssicherungsgesetz, ist eigentlich das einzig Neue die Ausdehnung des Gültigkeitszeitraums von fünf auf zehn Jahre. Dies wird mit weniger Bürokratie begründet. Dagegen ist grundsätzlich nichts zu sagen. Vom Lebensmittel­bewirtschaftungsgesetz, das ebenfalls mit Ende dieses Jahres ausläuft, habe ich bis jetzt noch nichts gehört, ich bin aber guter Hoffnung, dass wir das heuer noch über die Bühne bringen werden.

Beim zweiten Gesetz, beim MinroG, sind zwei Punkte enthalten – diese wurden bereits angesprochen –, wobei es beim ersten eigentlich nur um eine Begriffsbestimmung geht: Was ist ein CO2-Strom, wie ist dieser definiert? – Das wurde unter Androhung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die Europäische Union gemacht. De facto kann man aber sagen, es handelt sich eigentlich um totes Recht, das wir hier schaffen, da wir ja, wie bereits erwähnt, die Speicherung verboten haben und auch derzeit keine Pläne vorhanden sind, das zu Forschungszwecken auszunützen.

Der zweite Punkt im MinroG betrifft die Verkürzung der Dauer der praktischen Ver­wendung von Betriebsleitern und Aufsehern in Bergbaubetrieben mit geringem Gefähr­dungspotenzial, also beispielsweise Heilstollen und Schaubergwerken. Auch dagegen ist nichts einzuwenden. Es ist nur für die Zukunft vielleicht anzudenken, ob man sich da nicht überhaupt das Anforderungsprofil etwas genauer anschauen sollte. Die Verkür­zung ist gut und schön, denn wir haben es da, gerade wenn ich jetzt an Schauberg­werke denke, nicht mit produzierenden Betrieben zu tun. Das heißt, es fällt ein wesentliches Gefahrenpotenzial weg. Das Gefahrenpotenzial beschränkt sich, wenn man es jetzt vom Bergmännischen her betrachtet, nur auf die Sicherung der Aus­bruchs­querschnitte, sodass es da nicht zu Nachfall, Verbrüchen oder Ähnlichem kommt. Allerdings muss man sagen, dass die Situation ja eine grundsätzlich andere ist,


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da man es da mit Menschen zu tun hat, die dem Ganzen völlig fremd gegenüber­stehen, also Besucher und teilweise Kinder. Aus dieser Tatsache ergibt sich eigentlich ein anderes Gefährdungspotenzial und auch ein anderes Anforderungsprofil an die entsprechenden Organe.

Ich möchte nur an das Unglück im Jahr 2004 in der Seegrotte Hinterbrühl mit immerhin fünf Toten erinnern. Schlussendlich wurden die Geschäftsführer ja auch rechtskräftig, ich glaube, zu 15 Monaten bedingter Haft, verurteilt. Das könnte man sich vielleicht einmal anschauen, ob man da nicht zusätzliche Schulungen für diese Personen, gerade in Schaubergwerken, einführen soll.

Beim Maschinen-Inverkehrbringungs- und Notifizierungsgesetz geht es eigentlich nur um die Rechtssicherheit. Schlussendlich handelt es sich um eine EU-Verordnung, die sowieso unmittelbar rechtsgültig ist, und eigentlich ist die Umsetzung in nationales Recht nicht erforderlich. Es geht hierbei wirklich nur um Klarstellungen und um Rechtssicherheit für die heimischen Betriebe. – Wie gesagt, es ist alles sehr unspek­takulär.

Da fragt man sich natürlich schon, wenn man diese Materien des Wirtschafts­minis­teriums hier vorliegen hat, ob wir nicht vielleicht doch spektakulärere Themen zu behandeln haben. Haben wir wirklich keinen Bedarf an Reformen im Bereich der Wirtschaft? – Mitnichten, meiner Meinung nach.

Wir wissen, dass wir in Österreich als Wirtschaftsstandort nur mehr Mittelmaß sind, und die Problemfelder sind hinlänglich bekannt: hohe Lohnnebenkosten, hohe Arbeits­kosten, Bürokratie – Stichwort Gewerbeordnung – und teilweise auch überschießende Umweltgesetzgebungen. Ich möchte nur den aktuellen Fall in der Obersteiermark in Erinnerung rufen, bei dem ein Unternehmen immerhin 80 Millionen € investieren, 70 Arbeitsplätze in Zeltweg schaffen will und bereits bisher in die Entwicklung und in die Behördenverfahren 4,3 Millionen € gesteckt hat; und jetzt wird – skurrilerweise auch unter Beteiligung der vom Land Steiermark bezahlten Umweltlandesrätin – die eigentlich bereits gültige UVP wieder beeinsprucht.

Ich glaube, wir hätten Bedarf, wichtigere Gesetzesvorlagen intensiv zu diskutieren. Auch wenn wahrscheinlich Ihr Minister, Herr Staatssekretär Mahrer, jetzt gerade im Ministerrat ein neues Wirtschaftspaket präsentiert, das Investitionsanreize, eine Ausbil­dungsgarantie bis zum 25. Lebensjahr und eine Reform der Rot-Weiß-Rot – Karte, die sich ja als ziemliche Totgeburt herausgestellt hat, bieten soll, so werden auch da wieder die großen Brocken und auch die angekündigten größeren Brocken, wie die Abschaffung der kalten Progression oder die Flexibilisierung der Arbeitszeiten, ausge­klammert.

Ich hoffe wirklich sehr – wir werden diesen drei Materien natürlich zustimmen –, dass wir hier in Zukunft vielleicht doch etwas mit mehr Inhalt im Sinne der österreichischen Wirtschaft zu diskutieren haben werden. (Beifall bei der FPÖ sowie des Bundesrates Schmittner.)

13.08


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Dr. Reiter zu Wort. – Bitte.

 


13.08.55

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Hohes Präsidium! Herr Staats­sekretär! Werte Kollegen und Kolleginnen! Der Inhalt der drei vorliegenden Gesetze wurde bereits dargelegt. Auch wir stimmen allen drei Bestimmungen zu. Aber – um auf meinen Vorredner etwas einzugehen – es ist leider auch so, dass man selbst bei


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diesen Gesetzen mehr hätte tun können, auch sinnvollerweise, was Deregulierung und Vereinfachung und so weiter betrifft.

Zum Beispiel das Versorgungssicherungsgesetz: Dieses läuft heuer aus, und dass das heuer ausläuft, war ja wahrscheinlich länger klar. Wir finden die Verlängerung auf zehn Jahre sinnvoll, aber warum man das jetzt nicht genutzt hat, um nicht nur die Minis­teriumsbezeichnungen zu ändern, das Transportwesen aufzunehmen, was ja sinnvoll ist, und die Verlautbarungsregeln zu modernisieren, sondern auch die Krisenversor­gungsgesetze gesamthaft zu überarbeiten, das ist eigentlich kritikwürdig. So wurden die dem Gesetz unterliegenden Warengruppen nicht aktualisiert, und auch die Regeln, in welchem Fall Notverordnungen auf Basis dieses Gesetzes erlassen werden, sind nach wie vor sehr schwammig. Aber in der Hoffnung, dass wir das Gesetz nie brauchen werden, stimmen wir zu.

Zum Mineralrohstoffgesetz: Es stimmt, dass diesbezügliche EU-Klagen laufen, wes­halb die Regeln über die geologische Speicherung von Kohlendioxid umgesetzt werden mussten. Für uns ist es wichtig, dass hier die geologische Speicherung von CO2 verboten bleibt. Wir halten sie für einen teuren und riskanten Vorstoß der fossilen Industrie, ihrem Ende zu entgehen oder es hinauszuschieben, der hoffentlich nicht gelingt.

Zum MING: Auch da wurde eigentlich nur das von der EU geforderte Notwendigste getan, sodass die Gewerbeordnung, die in vielen Bereichen die Grundlage für das Inverkehrbringen von Maschinen darstellt, weiter so bestehen bleibt. Von einer Verein­fachung oder einer größeren Klarheit kann hier keine Rede sein. Es bleiben auch die Probleme der Umsetzung, was die Bezirksverwaltungsbehörden betrifft, die nicht über die notwendigen Ressourcen für eine effiziente Marktüberwachung verfügen. Auch dieses Problem ist bekannt, wird aber nicht wirklich effizient angegangen.

Wir stimmen den drei Gesetzesvorlagen zu. (Beifall bei Grünen und SPÖ sowie des Bundesrates Saller.)

13.11


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Pum. – Bitte, Herr Kollege.

 


13.11.53

Bundesrat Ing. Andreas Pum (ÖVP, Niederösterreich): Geschätzte Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Werte KollegInnen des Bundesrates! Beinahe fehlen mir die Worte. Es wurde alles gesagt, nur noch nicht von mir. Daher in aller Kürze zu diesem Thema, das politisch nicht allzu viel an Spannungen birgt.

Ich darf mich auf das Mineralrohstoffgesetz konzentrieren und noch einmal und noch eingehender auf die zwei Punkte, die hier bereits erwähnt wurden, Bezug nehmen. Das ist zum einen die Speicherung von Kohlenstoffdioxid, zum anderen die Frage der praxistauglichen Regelung von Lösungen betreffend Schaubergwerke, Heilstollen und all jene Projekte, die letztlich dazu dienen, Bauwerke und Gruben aus der Vergan­genheit heute für touristische, museale Zwecke zu nutzen und dort auf eine sehr einfache Art und Weise Personal einzusetzen. Dies birgt auch immer wieder eine Kostenfrage in sich. Mit der Regelung wird vor allem in praktischer Hinsicht der Einsatz von Personen gebilligt, die mit der Praxis sehr stark verbunden sind und dadurch auch die Berechtigung besitzen, Führungen und Lehrgänge zu leiten und Informationen zu geben.

Das Thema, mit dem ich schließen möchte, weil es ein sehr brisantes ist, ist die Kohlenstoffdioxidspeicherung, deren Regelung nur in einer gesetzlichen Erweiterung


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geändert wird. Sie hat in Österreich auch keine Relevanz in der Praxis, weil es derzeit gar keine solche Speicherung gibt. Auf österreichischer Ebene ist sie darüber hinaus durch eine gesetzliche Regelung verboten. Die Ausnahme, für Forschungszwecke bis zu 100 000 Tonnen Kohlenstoffdioxid speichern zu dürfen, bleibt weiterhin aufrecht, wenngleich auch dies in der Praxis keine Relevanz hat.

Trotz alledem darf die CO2-Problematik nicht in Vergessenheit geraten. Sie wird uns in den nächsten Jahren, und ich sage auch – sehr detailliert –, bis ins Jahr 2050, mit enormer Sicherheit begleiten, denn es geht um die Frage des Klimaschutzes und vor allem auch um die Frage der Verbrennung von fossilen Energieträgern bis hin zur Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen, was bis ins Jahr 2050 der Vergangenheit angehören wird. Damit werden wir viele Lösungen brauchen, um des CO2 Herr zu werden. Es gibt viele Ansätze. Bodenspeicher ist einer von all dem, was da zu Ver­suchs­zwecken immer wieder in der Praxis probiert und umgesetzt wird. Letztlich zeigt dies aber, dass wir mit Sicherheit noch am Beginn stehen und uns die Frage der CO2-Speicherung auch in den nächsten Jahren begleiten wird.

Am 14. Juli wurde das Abkommen von Paris ratifiziert. Mit diesem weitreichenden Schritt in die Zukunft, glaube ich, haben wir erkannt, dass wir für unsere Umwelt selbst verantwortlich sind und all die Maßnahmen, die auf gesetzlicher Ebene einen Rahmen erfahren, auch umsetzen müssen. Diese Umsetzung bedarf wesentlich größerer Anstrengungen, als hier ein Gesetz zu beschließen.

Ich glaube, es ist notwendig, neue Ideen zu haben, sich neue Ziele zu setzen und ganz einfach diesbezüglich jede Maßnahme, sei sie auch noch so klein, umzusetzen. Daher sei unterm Strich gesagt: Wir werden dieser Gesetzesänderung natürlich zustimmen und freuen uns auf diesen Beschluss. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.16


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Ing. Bock. – Bitte, Herr Kollege.

 


13.16.07

Bundesrat Ing. Hans-Peter Bock (SPÖ, Tirol): Herr Staatssekretär! Hohes Präsidium! Nachdem wirklich fast alles gesagt ist, darf auch ich noch ein paar Sekunden darauf verwenden, auf das Versorgungssicherungsgesetz zu sprechen zu kommen.

Ich bin froh, dass wir dieses Gesetz, obwohl es schon lange besteht, nie voll anwenden mussten. Ich denke da an Tschernobyl, ich denke aber auch an die Erdölkrise. Es wurde eigentlich nie so richtig schlagend, aber dennoch ist man froh, wenn es eine derartige Einrichtung gibt, die nicht nur – es wurde auch schon erwähnt – auf Bundesebene, sondern auch auf Landesebene sowie im Katastrophenfall auch auf Gemeinde- und Bezirksebene wirksam wird. 

Um nur zwei Beispiele zu nennen, mit denen man die Anwendung in etwa erahnen könnte: Das eine ist die Lawinenkatastrophe 1999 in Galtür. Da gab es mehrere Tage lang keine Zufahrt, weil das ganze Gebiet lawinengefährdet war. Gleichzeitig waren in etwa 25 000 Betten in diesem Tal belegt – keine Zufahrt, keine Zubringer. Zu diesen 25 000 Gästen kamen noch 5 000 Einheimische, die ebenfalls eingeschlossen waren. Die Versorgung war also nicht ganz gewährleistet, und man hat es schätzen gelernt, wenn Einrichtungen funktionieren. Damals hat es funktioniert, obwohl der Hubschrau­ber des Bundesheeres aufgrund der Witterungsverhältnisse keine Fluggenehmigung erhalten hatte. Aber das Zusammenspiel von Bundesheer, Feuerwehr und anderen Einrichtungen hat damals sehr gut funktioniert, aber es war notwendig, dass man diese Transporte mit dem Hubschrauber durchführt.


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 75

Ein paar Jahre später, wieder im Paznaun: Es war eine ähnliche Situation – nicht im Winter, sondern im Sommer – mit einem Unwetter. Sämtliche Straßen wurden so beschädigt, dass sie nicht befahrbar waren, und auch da hat es wieder gut funktioniert.

Das sind jetzt zwei kleine Beispiele, wofür dieses Gesetz vorgesehen ist. Ich bin froh, dass es zumindest im kleinen Feld gut funktioniert hat, und hoffe auch, dass es in Zukunft nicht zur großen Anwendung kommt.

Kollege Novak hat bereits mitgeteilt, dass wir, also unsere Fraktion, die Sozialdemo­kraten, allen drei Gesetzen sehr gerne zustimmen. – Danke. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

13.18

13.18.55

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Die Abstimmung erfolgt getrennt.

Zunächst kommen wir zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 12. Oktober 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Versorgungssicherungs­gesetz 1992 geändert wird.

Dieser Beschluss des Nationalrates ist ein Fall des Artikels 44 Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz und bedarf daher der in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen zu erteilenden Zustimmung des Bundesrates.

Ich stelle zunächst die für die Abstimmung erforderliche Anwesenheit der Mitglieder fest.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist angenommen.

Nunmehr lasse ich über den Antrag abstimmen, dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 44 Abs. 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gemäß Artikel 44 Abs. 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes die verfassungsmäßige Zustim­mung zu erteilen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist angenommen.

Nun kommen wir zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 12. Ok­tober 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Mineralrohstoffgesetz geändert wird.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist angenommen.

Wir gelangen schließlich zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 12. Oktober 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Maschinen-Inverkehr­bringungs- und NotifizierungsG – MING geändert wird.


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 76

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist angenommen.

13.21.345. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 12. Oktober 2016 betreffend ein Bundesgesetz über die Qualifikationsbezeichnungen „Ingenieurin“ und „Ingenieur“ (Ingenieur­gesetz 2017 – IngG 2017) (1254 d.B. und 1279 d.B. sowie 9650/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir kommen nun zu Punkt 5 der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Hackl. – Ich bitte um den Bericht.

 


13.22.08

Berichterstatterin Marianne Hackl: Ich bringe den Bericht des Wirtschaftsausschus­ses über den Beschluss des Nationalrates vom 12. Oktober 2016 betreffend ein Bun­desgesetz über die Qualifikationsbezeichnungen „Ingenieurin“ und „Ingenieur“.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, daher komme ich gleich zur Antrags­stellung.

Der Wirtschaftsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 24. Oktober 2016 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Stögmüller. – Bitte, Herr Kollege.

 


13.22.51

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Damen und Herren! Herzlich willkom­men! Es ist ganz ungewöhnlich für mich, heute hier als Erstredner zu stehen und Ihnen ein Gesetz beziehungsweise die Regierungsvorlage näherzubringen. Normalerweise ist es immer die FPÖ, heute sind wir es. (Zwischenruf des Bundesrates Mayer.) Ich werde daher ganz kurz auf die Regierungsvorlage eingehen.

Mit dieser Regierungsvorlage möchte man den Ingenieurstitel in Stufe 6 des Natio­nalen Qualifikationsrahmens einordnen. Durch diesen Nationalen Qualifikationsrahmen werden verschiedene Ausbildungsniveaus, wie zum Beispiel die Lehre, der Meistertitel, die Matura, der Bachelor oder der Master im europäischen Raum vergleichbar ge­macht.

So ist zum Beispiel die AHS-Matura, also das Gymnasium, auf Stufe 4 eingeordnet, die BHS, also alle berufsbildenden Schulen – zum Beispiel Tourismusschule, HBLA, BAKIP – sind auf Stufe 5. Der Bachelor, also der Universitätsabschluss, die Fachhoch­schulen, also alles was in den tertiären Bereich fällt, ist auf Stufe 6. Genau dort möchte man jetzt auch die HTL-Maturanten nach drei Jahren Arbeit und einem 45-minütigen Fachgespräch mit zwei Expertinnen und Experten einordnen – und bei diesem Fach­gespräch liegt die Betonung wirklich auf „‑gespräch“. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Bitte? (Bundesrätin Zwazl: Wir diskutieren nur!) – Ihr diskutiert ein bisschen nebenbei; okay, sehr gut.

Also bei diesem Fachgespräch liegt die Betonung wirklich auf „-gespräch. Worum geht es dabei? – Da gibt es keine Prüfung und keine Benotung, es müssen einfach nur ausreichende fachspezifische Kenntnisse und Fertigkeiten festgestellt werden, und das ist für uns eindeutig zu wenig.


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 77

Diese Kritik kommt nicht nur von mir – ich habe jetzt leider das Dokument liegen lassen –, diese Kritik kommt zum Beispiel auch vom Verein TU Austria. Dieser schreibt in einer Stellungnahme: „Eine generelle Zuordnung ohne valides Verfahren ist ent­schieden abzulehnen.“

Die JKU Linz, die, sage ich jetzt einmal, nicht gerade immer auf unserer Linie ist, schreibt in einer Stellungnahme:

„Ein Stufensprung in der Dimension ‚Kenntnisse‘, insbesondere der Erwerb des für Stufe 6 geforderten ‚kritischen Verständnisses von Theorien und Grundsätzen‘, ist unrealistisch. Deshalb ist sorgfältig darauf zu achten, dass das Fachgespräch schu­lische und hochschulische Prüfungsrituale nicht imitiert.“

Weiters heißt es, dass ein Stufensprung von EQR 5 auf EQR 6 auf Grundlage einer dreijährigen Berufserfahrung „nicht standardmäßig, sondern nur in günstigen Fällen gelingen“ wird. – Wie Sie also sehen, Herr Staatssekretär, sehr geehrte Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen: Wir sind nicht allein mit dieser Kritik, die wir heute äußern.

Für mich auch noch unklar sind die Expertinnen und Experten, die zur Prüfung herangezogen werden, das ist meiner Meinung nach auch ein bisschen schwammig formuliert. Einerseits sind da Wirtschaftskammer und Arbeiterkammer drinnen, die sich dort hineinreklamieren können. Auch die ExpertInnen, die das wirtschaftliche oder betriebliche Umfeld kennen sollen, sollen das beurteilen können. Dann sitzt da gegebenenfalls auch ein HTL-Lehrer dabei, der dann dieses Fachgespräch führen soll. Für mich ist das Ganze einfach ein bisschen schwammig.

Jetzt aber zu einem anderen Punkt: Warum kommt dieses Gesetz überhaupt? Warum diskutieren wir überhaupt darüber? – Die Regierung sagt, dass die HTL-Abschlüsse offensichtlich bei internationalen Ausschreibungen viel zu niedrig bewertet werden – das ist das eine. Das andere liegt aber auch auf der Hand: Man will wohl ein wenig die Statistik schönen, nämlich mit mehr Akademikerinnen und Akademikern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit Sie mich jetzt nicht falsch verstehen: Natürlich bin auch ich ein Befürworter der berufsbildenden höheren Schulen. Ich bin ja selbst auch auf eine gegangen, wohl nicht auf eine HTL, sondern auf eine HLT – hört sich ähnlich an, ist aber eine Tourismusschule. Ich bin auch der Überzeugung, dass man auf einer BHS extrem viel lernt und mit einem sehr guten, detaillierten Wissen in die Praxis entlassen wird, aber es ist und bleibt noch lange kein Studium. Auch nicht nach drei Jahren Arbeit, nach drei Jahren Praxis – das ist kein Studium!

In einem Studium muss man wissenschaftlich arbeiten, man muss regelmäßig Prüfungen absolvieren, man muss immer wieder Hausübungen, Laborberichte schrei­ben und so weiter und so fort. Es gibt einen Studienplan. (Zwischenruf des Bundes­rates Rösch.) Das ist also etwas ganz anderes, als wenn man drei Jahre in einem Planungsbüro arbeitet und dann nur mehr ein 45-minütiges Fachgespräch mit irgend­welchen Experten von der HTL, Arbeiterkammer oder Wirtschaftskammer führen muss.

Wir hätten uns ja wirklich eine Prüfung erwartet, bei der Innovationsfähigkeit, Leitungs- und Entscheidungskompetenzen abgeprüft werden und nicht nur ein einfaches Fachgespräch geführt wird.

Was mich auch wundert, ist das gesamte Vorgehen bei diesem Gesetz, das heute hier liegt; mich wundert das ein bisschen. Ich kann mich noch ganz gut erinnern: Im März 2016 haben wir im Bundesrat das NQR-Gesetz beschlossen, damals noch unter Bildungsministerin Heinisch-Hosek. Auch wir Grüne haben damals nicht zugestimmt, weil wir das ganze Konstrukt als sehr aufgebläht empfunden haben.


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Vielleicht noch einmal ganz kurz zurück, damit man es sich vorstellen kann: Da bringt man einmal ein Zuordnungsansuchen bei der NQR-Koordinierungsstelle ein, dann geht es weiter und es wird durch den NQR-Beirat überprüft. Der prüft und schreibt dann eine Stellungnahme. Dann kommt das Ganze zu einer 28 Frau und Mann starken Steuerungsgruppe, die wohl kein Zustimmungsrecht, sondern nur ein Vetorecht hat – und dann erst kommt das zu uns und wird im Plenum besprochen. Das wurde jetzt einfach umgangen, also dieser ganze megaaufgeblähte Apparat wurde einfach umgangen – auch ein bisschen komisch.

Vielleicht ging es auch darum, etwas Zeit zu sparen. In den Erläuterungen steht ja auch das 100-Jahr-Jubiläum der Kaiserlichen Verordnung zur Führung der Standes­bezeichnung „Ingenieur“, das kann man nachlesen. Das wäre natürlich einen großen Applaus wert, wenn man dann auch ein bisschen den Ingenieur upgradet und das dann den Leuten verkünden kann. Ich meine, das wäre natürlich auch ein Grund, dass das jetzt so schnell gehen muss.

Ich will jetzt aber nicht nur zynisch werden. Wir werden natürlich heute im Bundesrat nicht zustimmen. Wenn schon eine Aufwertung stattfinden soll, hätte ich mir eine höhere Anforderung beziehungsweise überhaupt eine richtige Prüfung erwartet. Auch müssen wir dann über die Erweiterungen auf alle BHS reden: Warum soll es nur den – zu knapp 90 Prozent männlichen – HTL-Absolventen ermöglicht werden, höher eingestuft zu werden? Was ist mit den BAKIP? Was ist mit den HLW? Was ist mit den HAK? Was ist mit der HLT und so weiter? Das muss dann auch diskutiert werden.

Wie ich also schon gesagt habe: Für uns ist das ein unüberlegtes Gesetz, mit dem man wahrscheinlich nur wieder Statistiken schönen will – nichts anderes –, daher gibt es heute keine Zustimmung von uns Grünen. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

13.29


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Zwazl. – Bitte.

 


13.30.04

Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Herr Staats­sekretär! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Wir haben ja gestern im Ausschuss schon eine sehr lebhafte Diskussion zu diesem Thema gehabt. David, es wundert mich, wenn ich mir die Diskussionen anschaue, die es oft um die Gewerbeord­nung gibt, dass es da um Qualifikationen geht, denn in diesem Fall wird eine Qualifi­kation nicht richtig anerkannt. Ich bedauere das schon sehr. Noch dazu haben wir heute ja auch zum Beispiel von dualer Ausbildung gesprochen, die wir befürworten.

Gerade in der Wirtschaft brauchen wir für unsere Produktions- und Gewerbebetriebe ganz einfach die Absolventen der HTL. Schauen wir uns einmal das Bild in der Arbeitswelt an: 150 000 Menschen, die derzeit erwerbstätig sind, haben einen HTL-Abschluss. Wo sind die? – Du findest sie nicht beim AMS, sondern sie sind im mittleren und höheren technischen Management zu finden. Wir haben derzeit circa 60 000 Ju­gendliche, die unsere 76 technischen, gewerblichen und kunstgewerblichen Lehr­anstalten besuchen. Jedes Jahr gibt es 9 000 Absolventen dieser HTL. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)

Natürlich ist die HTL im Grunde ein Austriacum, aber ein äußerst positives, denn wie bei der Lehre werden wir auch um unsere HTL europaweit beneidet. Da gibt es sehr viele Länder, denen wir ganz einfach in dieser Richtung ein Vorbild sind. Wir Österreicher stehen für praxisorientierte Ausbildung, und diese ist für uns ganz wichtig, weil sie ein Garant für die Wettbewerbsfähigkeit ist.


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 79

Wir haben heute davon gesprochen, wie es mit der Globalisierung aussieht, wie wir uns da durchsetzen können. Wir wissen, dass das nur mit Qualifikation, mit Ausbildung geht. Wir sehen auf der einen Seite, dass wir sehr vom Export abhängig sind: Sechs von zehn Euro verdienen wir im Export, deshalb sind für uns Freihandelsabkommen auch sehr wichtig. Auf der anderen Seite sind aber auch unsere gut ausgebildeten und wirklich qualifizierten jungen Menschen wichtig. Ich würde mir auch sehr wünschen, da bin ich bei dir, dass mehr Mädchen eine HTL besuchen – warum auch nicht, wir sind ja nicht technisch unbegabter! (Demonstrativer Beifall der Bundesrätin Blatnik.)

Wichtig ist ganz einfach, dass bei öffentlichen internationalen Ausschreibungen unsere Betriebe auch zum Zug kommen. Der österreichische HTL-Ingenieur hat eben keine Anerkennung seiner Qualifikation im internationalen Umfeld, und diese erreichen wir nun damit. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)

Wir wollen ja genauso auch, dass unsere Meister – David, da auf Level 6, wo sie jetzt auch eingestuft sind – anerkannt werden, dass sie dann auch die Chancen haben, da auch noch weiterzugehen. Diese Ausbildung, die qualitativ hochwertige Ausbildung, die wir anbieten, muss ganz einfach auch gewürdigt werden. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)

Ich denke, dass das ein ganz wichtiger Schritt ist, dass die HTL-Ingenieurin und der HTL-Ingenieur als dem Bachelor gleichwertig anerkannt werden. Ich sage gleichwertig und nicht gleichartig, das ist ein großer Unterschied. Es geht darum, dass wir auch, und da hast du recht, in der Bereinigung der heimischen Akademikerquote im euro­päischen Vergleich nicht immer wieder das Schlusslicht sind, denn ich finde das ehrlich gesagt lächerlich, dass wir da als Nachzügler hingestellt werden.

Es wäre wirklich ganz gut, wenn man da einmal nachliest bei Dr. Nida-Rümelin, der geschrieben hat: Stoppt den Akademisierungswahn!, und der sagt, dass man diese hochwertigen Berufsausbildungen gleichwertig machen und dafür sorgen soll, dass da die Anerkennung da ist.

Angesprochen hast du das Fachgespräch, und du hast bedauert, dass es keine Prüfung ist. Ich freue mich, dass es ein Fachgespräch ist, weil diese jungen Leute fünf Jahre hindurch eine äußerst hochwertige Ausbildung bekommen. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.) – Schau dir das bitte einmal an: Die müssen während ihrer Ausbildung schon Praktika in den Betrieben absolvieren. (Bundesrat Stögmüller: … Zentralmatura!) – Nein, nein! Du musst dir das einmal anschauen, David, seien wir nicht immer so geringschätzig. Die HTL ist wirklich eine beinharte Ausbildung.

Unsere jungen Leute können sehr viel, und ich finde, dass es Zeit ist, dass ihre Ausbildung einem Bachelor gleichgestellt wird. (Bundesrat Stögmüller: Die anderen nicht?!) Wenn sie dann noch drei Jahre Praxis machen und dann zu diesem Fach­gespräch gebeten werden, sitzt ja dort nicht einer, der von allem keine Ahnung hat, egal, ob es jetzt die Arbeiterkammer oder die Wirtschaftskammer ist – ich würde mich natürlich freuen, wenn wir von der Wirtschaftskammer diese Fachgespräche mit unseren Experten durchführen dürften. Das sind dann jedenfalls Experten aus der Praxis und nicht jemand, der von der Materie keine Ahnung hat. Und dann kommt ja noch entweder von der Hochschule oder von der HTL die zweite Person, die dieses Gespräch führt.

Um die Wettbewerbsfähigkeit und die Anerkennung der Ausbildung unserer öster­reichischen Jugend und Fachleute sicherzustellen, sodass diese auch im internatio­nalen Wettbewerb die Anerkennung bekommen, die ihnen zusteht, halte ich das für ganz wichtig und freue mich, dass wir heute hier diesen Beschluss fassen.


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 80

Wenn es darum geht, den Wirtschaftsstandort abzusichern, wenn es darum geht, unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig zu halten, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass die hohe Ausbildung – und für die sind wir in Österreich bekannt, auch bei den internationalen Ausschreibungen – auch ihre Anerkennung findet. Ich bitte deshalb um Zustimmung. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.36


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ebner. – Bitte, Frau Kollegin.

 


13.36.20

Bundesrätin Adelheid Ebner (SPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Staatssekretär! Hohes Haus! Österreich ist, wie wir wissen, ja schon seit über 20 Jahren in der EU, und ich meine, es ist jetzt an der Zeit, dass auch der Titel Ingenieur aufgewertet, europäisiert und dem Bachelor-Abschluss gleichgestellt wird.

Unsere HTLs, und das ist auch schon angesprochen worden, sind sicherlich hoch qualifizierte Ausbildungsstätten, und nach Abschluss dieser Ausbildung ermöglicht die Wirtschaft diesen Absolventen sowohl eine Anstellung als auch gute Aufstiegschancen, und wir wissen, dass die HTL-Abgänger wirklich nicht beim AMS zu finden sind. Daran sieht man, dass eine qualitativ hochwertige Ausbildung auch Zukunftschancen auf dem Arbeitsmarkt bringt.

Die Ausbildung, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis, schafft eine fundierte Grundlage, um gut vorbereitet in das Berufsleben einsteigen zu können. Unsere Inge­nieure und Ingenieurinnen sind in der heimischen Wirtschaft absolut hochgeschätzt. Wenn man bedenkt, dass Österreich 5 000 Mal im Jahr diesen Titel vergibt, erkennt man, dass die HTLs Ausbildungsstätten sind, die von den Jugendlichen – leider noch zu wenig von Frauen – doch gerne angenommen werden.

Die zukünftige Gleichstellung mit dem Bachelorabschluss bringt auch den Betroffenen eine höhere Einstufung, wobei im Anschluss an die HTL-Matura diese dreijährige Praxis erfolgt und dann ein Fachgespräch mit Experten und Expertinnen erforderlich ist. Frau Präsidentin Zwazl hat schon ausgeführt, dass das wirklich Experten sind, vor denen sich diese Absolventen, die schon drei Jahre im Berufsleben stehen, bewähren müssen.

Auch die österreichische Wirtschaft profitiert von dieser neuen Regelung: Bei den diversen Ausschreibungen kann diese hohe Qualifikation beziehungsweise das hohe Niveau dargestellt und auch besser eingestuft werden. Österreich wird somit im internationalen Vergleich bei den qualifizierten Arbeitskräften noch wettbewerbsfähiger.

Natürlich wissen wir auch, dass es einen starken Facharbeitermangel gibt, in diesem Zusammenhang stellt die Berufsausbildung in Form der Lehre mit Matura ein ebenso wichtiges Angebot dar. Die Lehre hat in der Gesellschaft keinen so hohen Stellenwert und müsste auch noch attraktiver gestaltet werden. Leider wird sie auch in der Bevölkerung zu selten als ein idealer Berufseinstieg gesehen; auch vom Elternhaus her wird eine Lehre nicht immer empfohlen, und auf viele Kinder wird eingewirkt, doch eine höhere Schule zu besuchen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist für die Zukunft unseres Wirtschafts­standortes Österreich sehr wichtig, dass wir unsere Berufsgruppen, und dazu gehören auch die Ingenieure und Ingenieurinnen, noch mehr in den Mittelpunkt unserer Stärken rücken, um den österreichischen Arbeitsmarkt auch international wettbewerbsfähiger zu machen. Ich denke, das vorliegende Gesetz ist ein Vorteil für die österreichischen Exportunternehmen und auch für den Wirtschaftsstandort Österreich. Damit wird eine


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österreichische Spitzenausbildung international transparenter und vergleichbarer. Unsere Fraktion stimmt diesem Gesetz zu. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.40


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Samt. – Bitte, Herr Kollege.

 


13.40.00

Bundesrat Peter Samt (FPÖ, Steiermark): Frau Präsident! Herr Staatssekretär! Ge­schätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne diese Rede jetzt anders, als ich sie eigentlich halten wollte. Damit keine Irrtümer entstehen: Wie in meiner Rede deutlich werden wird, werden wir diesem Gesetz zustimmen. Ich werde aber auch erklären, warum wir das tun. Alle meine Vorredner hier – ich nehme jetzt einmal Kollegen Stögmüller aus, der sich ja gegen das Gesetz ausgesprochen hat – haben meiner Meinung nach – und ich lasse mich da jetzt gern aufklären – doch etwas nicht richtig dargestellt, denn nach meiner Sicht des Gesetzes ergibt der Vollzug dieses Gesetzes nicht die Gleichstellung des HTL-Ingenieurs mit dem Bachelor. Das ergibt er eindeutig nicht!

Meine Einschätzung oder meine Lesart ist die, dass – und es steht auch so drinnen – nach Absolvierung dieses Fachgespräches, wie wir es nennen – ich sehe es auch ein bisschen als Prüfung, weil es ja immerhin noch abgelehnt werden kann, denn wenn da zwei drinsitzen, und der eine sagt nein, dann hat man als Absolvent noch genau eine Chance, dieses Fachgespräch zu wiederholen, und dann ist der Zug abgefahren –, nur durch dieses Prozedere allein noch keine Gleichstellung des Ingenieurs mit dem Bachelor erfolgt. Der muss nämlich wiederum diese Bedingungen erfüllen, die wir im März im NQR, innerhalb dieses Qualifikationsrahmens, beschlossen haben. Wir haben dort gleich wie die Grünen aus jenen Gründen dagegen gestimmt, die auch schon erwähnt worden sind: weil wir der Meinung sind, dass diese NQR-Zertifizierungsstelle ein aufgeblähter Bürokratismus ist und sonst nichts.

Wenn ich jetzt davon ausgehe, dass wir mit diesem neuen Gesetz beziehungsweise der Abänderung des bestehenden Ingenieurgesetzes eine Besserstellung des Inge­nieurs gemäß NQR schaffen, dann stelle ich auch dort eigentlich einen für mich unnötigen Bürokratismus fest, und zwar deswegen, weil wir ja damals im März schon – wenn Sie sich erinnern können – gesagt haben, es wäre doch sinnvoll, wenn wir das schon vorhaben, ihn gleich von Haus aus in die Klasse 6 einzustufen. Ich werde dann auch sagen, wie ich das begründen kann, nämlich weil ich ja selber so eine ähnliche Ausbildung habe.

Wir sind im Gegensatz zu den Grünen schon der Meinung, dass der Ingenieur in Österreich, wie es die Kollegin Zwazl schon gesagt hat, ein sehr, sehr hohes Ansehen genießt, und zwar jetzt schon. Da geht es jetzt nicht darum zu sagen, der muss jetzt noch hochgehoben werden. Wir wissen das. Nicht alleine die Arbeitslosenstatistiken zeigen das, sondern im internationalen Vergleich sind unsere Ingenieure jetzt schon – egal, wo man hinschaut, in Deutschland, im Ausland, in der Automobilindustrie – sehr, sehr hoch qualifiziert, in hohen Positionen und leisten dort erstklassige Arbeit, so wie auch in Österreich. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.) Sie dienen der Wirt­schaft als bestausgebildete, fachausgebildete Menschen, die natürlich oftmals – und deswegen habe ich es erwähnt – schon vor vielen Jahren oder Jahrzehnten einen dualen Ausbildungsweg gewählt haben so wie ich, der zuerst eine Lehre gemacht und dann sozusagen im zweiten Zug in der Abendschule diese HTL-Ausbildung absolviert hat.

Ich bleibe aber dabei, wir waren damals, also im März dieses Jahres, schon der Meinung, diesen HTL-Ingenieur – um sich etwas einzusparen, und genau der Meinung


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sind wir, nämlich dieses Gesetz jetzt einzusparen – in den NQR 6, in die Klasse 6 des Nationalen Qualifikationsrahmens, einzustufen. Was machen wir jetzt? – Jetzt haben wir, wie gesagt, dieses Parallelgesetz, wie wir es nennen, damit man die Möglichkeit schafft, den Ingenieur auf die Stufe 6 zu bringen. Für mich ist er das von Haus aus, ich habe das schon erwähnt.

Ich habe das mit diesem Fachgespräch auch schon erwähnt. Ja, das kann man jetzt sehen, wie man will. Die wesentliche Änderung ist ja: Früher hat es gereicht, wenn man die HTL-Abschlusszeugnisse und entsprechende Praxis vorgewiesen hat. Wenn der Dienstgeber diese Praxis bestätigt hat, wurde der Ingenieurtitel verliehen. Jetzt brauchen wir dieses Fachgespräch, um so vermutlich diese Qualifikation nach dem NQR zu schaffen.

Da sind wir jetzt genau beim Punkt. Das ist der Grund, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, warum wir zustimmen, denn wenn wir das jetzt nicht tun, dann ist der Sechser für den Ingenieur „gestorben“, um es auf Steirisch auszudrücken. Das ist der Grund, warum wir dem jetzt tatsächlich zustimmen, auch wenn es uns nicht wirklich leichtfällt, weil wir der Meinung wären, wir hätten uns dieses Gesetzeswerk in Wirklich­keit sparen können.

Zusätzlich kommen natürlich Kosten zwischen 290 und 380 € dazu, je nachdem, wie umfangreich die Unterlagenfindung ist. So sehe ich es: 150 000 HTL-Ingenieure, die bereits am Werkeln sind, in besten Positionen, mit guten Ausbildungen, 4 900, die jährlich dazukommen.

Ich kann mich gut erinnern, wie damals so ein Ministerialsekretär gestöhnt hat, als ich ihn gefragt habe, wie das ist, wie man den Arbeitstitel „Ingenieur“ verliehen bekommt. Der hat gestöhnt, der hat gesagt: Lieber Kollege, „Ingenieur“ ist eine Standesbezeich­nung! Für den Klingelknopf brauche ich es nicht! – Wir haben jetzt eine neue Bezeichnung. Es ist eine Qualifikationsbezeichnung, und der Rest, das Vorverfahren, ist gleich geblieben – und auch das, was danach kommt, nämlich die Zertifizierung, wenn man so sagen will, im NQR ist gleich geblieben. Es ist also ein zusätzlicher Aufwand. Man kann das jetzt geteilt sehen. Ich glaube, es hat ein bisschen Irritationen im Ausschuss wegen dieser WKO-Geschichte gegeben. Da steht es ja auch so drinnen: Gleichstellung des Ingenieurs mit dem Bachelor. Ja, aber erst, wenn ich die NQR-Geschichte erledigt habe, und nicht vorher, also nicht per se. Es ist ein bisschen so kommuniziert worden.

Summa summarum, glaube ich, habe ich recht gut dargestellt, warum wir dafür sind: also nicht, weil wir das Gesetz so klass finden, sondern weil es de facto – ich sehe es, glaube ich, relativ klar, und ich sehe es am Nicken der Kolleginnen und Kollegen – die einzige Möglichkeit ist, dass uns nicht das blüht, was Herr Finanzminister Schelling schon einmal angemerkt hat – er hat ja gemeint, den Ingenieur könnten wir uns überhaupt einsparen –, sondern dass wir bei einem erfolgreichen Ausbildungsmodell, bei einem erfolgreichen System bleiben, das dazu führt, dass unsere Arbeitslosen­statistiken nicht noch weiter nach oben gehen und die Wertigkeit in der Wirtschaft auch weiterhin gegeben ist. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

13.48


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet hat sich nun Herr Staatssekretär Dr. Mahrer. – Bitte, Herr Staatssekretär.

 


13.48.11

Staatssekretär im Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft Mag. Dr. Harald Mahrer: Hohes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren Mitglieder des Bundesrates! Vielleicht nur ein ganz kleiner Hinweis dazu, weil ich


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schon versucht habe, das der Abgeordneten Maurer im Nationalrat näherzubringen: Wir nehmen keinem Akademiker mit einer tertiären Ausbildung irgendetwas weg. (Bundesrat Stögmüller: Na eh nicht, das hat ja keiner behauptet!) Mitnichten geht es darum, in einer Art und Weise irgendetwas anderes zwangsweise aufzuwerten und eine Art fiktive Vergleichbarkeit herzustellen, sondern wenn man sich den gesamten Entwicklungsprozess – Bologna, Qualifikationsstufen, Qualifikationsrahmen – europaweit ansieht, dann gibt es eben auch die Möglichkeit, im Bereich der dualen Qualifikation etwas zu machen.

Das muss man einfach von einer formalen Qualifikation auf Basis einseitigen, nur theoretischen Aufbaus unterscheiden, denn das steht in Verbindung mit praktischem Erwerb von Wissen im unternehmerischen Alltag. Die Kombinatorik macht es aus. Genau um diese Kombinatorik geht es, wenn es um die gemeinsame Einstufung nach Ablegen dieses Fachgesprächs geht, nicht mehr und nicht weniger.

Hatten wir also bisher eine reine Standesbezeichnung, so ändert sich das nun in eine vernünftige Qualifikationsbezeichnung, nicht mehr und nicht weniger. Die ganze Aufregung, die es vonseiten (in Richtung Bundesrat Stögmüller) Ihrer Fraktion bislang dazu gegeben hat, ist meiner Meinung nach nicht angebracht, weil die Kritik, die geäußert wird, im Kern nicht stimmt. Sie stimmt einfach nicht. (Zwischenruf des Bun­desrates Stögmüller.)

Der Punkt ist: All diejenigen, die bis jetzt den Titel als Standesbezeichnung haben, müssen ja, so sie in den Rahmen eingestuft werden wollen, dieses Gespräch auch noch nachmachen. Es gibt eben keine automatische Überführung. Warum? – Wir haben gesagt, wir wollen das Formalerfordernis, diese Praxiserfahrung auch noch überprüft haben. Es entspricht also dieser Systematik der dualen Qualifikation, und es spricht überhaupt nichts gegen dieses Verfahren. Man kann sich im Detail darüber streiten, sollen da zwei Person überprüfen oder drei, über so etwas kann man immer trefflich reden, aber die Grundherangehensweise ist, glaube ich, sehr, sehr klug. Darüber braucht man nicht zu debattieren. Daher danke ich allen Fraktionen, die dem Gesetz zustimmen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Samt. – Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)

13.50

13.50.08

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist ge­schlos­sen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

13.51.056. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 12. Oktober 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftsgesetz 2014 und das Fachhochschul-Studiengesetz geändert werden (1258 d.B. und 1281 d.B. sowie 9652/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Wir kommen nun zu Punkt 6 der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Pum. Ich bitte um den


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Bericht.

 


13.51.41

Berichterstatter Ing. Andreas Pum: Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Ich kom­me zum Bericht des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung über den Be­schluss des Nationalrates vom 12. Oktober 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftsgesetz 2014 und das Fachhoch­schul-Studiengesetz geändert werden.

Der Inhalt des Berichts liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Wissenschaft und Forschung stellt nach Beratung der Vorlage am 24. Oktober 2016 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Raml. – Bitte, Herr Kollege.

 


13.52.28

Bundesrat Mag. Michael Raml (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Meine sehr geehrten Damen und Herren zu Hause vor den Bildschirmen! Bei der vorliegenden Novelle geht es vorwie­gend um eine Anpassung der letzten ÖH-Wahlordnung, nämlich jener aus 2014, und das Ganze ist notwendig, weil es bei der letzten ÖH-Wahl Mängel gegeben hat, vor allem bei der berühmten Briefwahl, die uns ja nicht nur bei der ÖH-Wahl, sondern auch vor allem bei der Bundespräsidentschaftswahl sozusagen weiter belästigt und be­schäftigt hat. Es gab nämlich damals auch bei der ÖH Defizite bei den Kuverts, und daher müssen wir heute hier nachadaptieren.

Dass die Freiheitliche Partei eine Novelle dieses Hochschülerschaftsgesetzes ablehnt, hat mehrere Gründe. Vor allem aber ist uns eines zuwider, nämlich dass bei dieser Novelle, wie so oft in unserer Republik, ganz einfach mit zweierlei Maß gemessen wird, und zwar wenn wir uns das in Hinsicht auf die Briefwahl ansehen.

Man hat uns Freiheitlichen im Zusammenhang mit der Bundespräsidentenwahl immer vorgeworfen, wir würden die Briefwahl einschränken oder überhaupt gar abschaffen wollen. Warum wollen wir das Ganze angeblich? – Wir wollen das, damit wir weite Bevölkerungskreise von der Stimmabgabe ausschließen können. Wir wissen natürlich, wenn wir das objektiv betrachten, dass das so nicht stimmt. Beim Hochschüler­schafts­gesetz aber, wo Rot, Schwarz, aber auch die Grünen zustimmen … (Bundesrat Stögmüller: Das war ja eine Aussage von der FPÖ!) – Ich glaube nicht, dass es eine Aussage der FPÖ war, dass wir weite Bevölkerungskreise ausschließen wollen. Da würde ich mich jetzt sehr wundern.

Abgesehen davon, dass das eine sehr polemische Darstellung ist, geht der vorliegende Entwurf zum Hochschülerschaftsgesetz in diesem Punkt noch viel weiter, aber nie­mand kritisiert dieses Problem. Wenn wir uns die Wiederholung der ÖH-Wahl anschauen, sehen wir, dass es da überhaupt keine Briefwahl mehr gibt – keine adap­tierte, wie wir sie in Bezug auf das generelle Wahlsystem gefordert haben, nämlich dass man da mit großer Vorsicht vorgehen muss. Das ist ein Problem. Bei der ÖH-Wahl sagt man offensichtlich, wenn es bei der Wahlwiederholung gar keine Briefwahl mehr gibt, dann passt das.

Ebenfalls ein Punkt, der uns nicht gefällt, ist, dass vorzeitige Wahltage bei der ÖH-Wahl möglich sein sollen, aber bei der Bundespräsidentschaftswahl oder auch bei anderen Bundeswahlen nicht. Das ist für uns völlig unverständlich, vor allem, weil man zum Beispiel in der Steiermark damit schon ganz gute Erfahrungen gemacht hat.


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Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir heute schon über die Öster­reichische Hochschülerschaft debattieren, dann muss ich als Freiheitlicher natürlich auch etwas zu diesen unsäglichen Zwangsgebühren loswerden, die mit der Zwangs­mitgliedschaft eines jeden Studenten bei der Österreichischen Hochschülerschaft ver­bun­den sind.

Massiv kritisieren wir in diesem Zusammenhang, dass es bei dem Gesetz aus 2014 dazu gekommen ist, dass man auch Studierende von Privatuniversitäten zu Zwangs­mitgliedern der Studierendenvertretung gemacht hat. Ich darf in diesem Zusammen­hang daran erinnern, wenn wir schon über die Zwangsmitgliedschaft bei der ÖH sprechen, dass die Wahlbeteiligung bei diesen Wahlen, die wir hier thematisieren, eine äußerst geringe ist.

Wissen Sie, wie hoch die Wahlbeteiligung bei der Österreichischen Hochschülerschaft ist? – Wir liegen bei ungefähr einem Viertel der Wahlberechtigten (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller), die künftig unsere geistige Elite darstellen sollen. Da muss man sich einmal anschauen – ich bin ja an der Universität –, warum das so ist. Warum ist es wohl uninteressant, dass man zur ÖH-Wahl geht? Sie müssen wissen, das Ganze findet ja nicht an einem Tag statt, sondern da gibt es drei ganze Tage, und da wird immer wieder, manchmal auch durchaus lustig, mit Freibier, geködert. Das möchte ich ja nicht kritisieren. Alles ist uns recht, wenn man die Wahlbeteiligung erhöhen kann. (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.) Insgesamt lag die Wahlbe­teiligung aber nur bei einem Viertel.

Eine weitere Zahl: Wenn wir uns die größte Hochschule des Landes, die Hauptuni­versität Wien, anschauen, so lag dort die Beteiligung 2015 gar nur bei 21,7 Prozent. Es geht aber noch viel, viel weniger. Es geht noch viel weiter hinunter.

Schauen wir uns die Privatuniversitäten an und wie die die ÖH schätzen, denn die Wahlbeteiligung ist ja quasi eine Wertschätzung oder Geringschätzung einer Institu­tion. Wenn mir etwas etwas bedeutet, dann möchte ich da gerne mitbestimmen. Also schauen wir uns etwa die Donau-Uni Krems an, eine sehr, sehr renommierte Uni­versität, glaube ich, mit wirklich vielen gescheiten Studenten. (Bundesrat Stögmüller: Nur berufsbegleitend, ja!) – Sind Studenten eines berufsbegleitenden Studiums als geringer einzuschätzen? (Bundesrat Stögmüller: … nicht ganz so viele!) Stimme ist Stimme und Studierender ist Studierender. Wir haben auf der JKU auch viele Stu­den­ten, die berufsbegleitend studieren. Ich möchte die überhaupt nicht herunter­machen.

Wissen Sie, wie hoch die Wahlbeteiligung an der Donau-Uni Krems war? – 0,54 Pro­zent! Oder, mit anderen Worten: Nur jeder 200. Studierende hat die Wahl dort für sinnvoll erachtet. Warum wird das wohl so sein? – Offensichtlich ist den Studierenden diese selbsternannte Interessenvertretung nichts wert, und daher treten wir Freiheitlichen immer auch dafür ein, dass diese Zwangsmitgliedschaft, die mit den Zwangsgebühren verbunden ist, abgeschafft werden soll.

Wir haben einen ganz anderen Zugang dazu. Wir sind der Meinung, dass Studierende unterstützt werden müssen, aber Studierende sollen beim Studium unterstützt werden und nicht vorrangig bei der Gesellschaftspolitik, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der FPÖ.)

Es heißt ja dann immer wieder – das wird uns entgegengehalten –, ja, aber das funktioniert dann alles nicht, wenn das freiwillig ist. Da kann ich nur sagen, schauen wir uns die Autofahrerclubs an: ÖAMTC, ARBÖ. Die haben ein gutes Leistungsangebot, die helfen einem, wenn man Hilfe benötigt, in Rechtsangelegenheiten, wenn das Auto auf der Straße liegen bleibt und so weiter.


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 86

Es gibt an den Universitäten, und da kann ich ganz besonders vom Juridicum der Linzer Universität sprechen, tolle Einrichtungen und tolle Serviceangebote der ÖH. Die helfen einem wirklich weiter. Ich bin überzeugt, die Studenten würden auch freiwillig ein bisschen etwas dafür bezahlen, wenn sie dieses Angebot nutzen dürfen. Das ist aber hier anscheinend nicht recht, sondern man will ja viel mehr weg von der Service­leistung gehen, hin zu gesellschaftspolitischer Agitation. Es gefällt dir natürlich, lieber Kollege Stögmüller, wenn ihr quasi auf Kosten der Beitragszahler auf Demonstrationen gehen könnt, wo Steine auf die Polizei geworfen werden, wo die Leute in Bussen hingekarrt werden. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)

Das ist euch natürlich recht, zum Selberzahlen reicht es eh nicht, aber in einem warmen Autobus hingebracht und dann wieder abgeholt zu werden und wahrscheinlich noch ein Wurstsemmerl in die Hand zu bekommen, das ist natürlich klass. Dann engagiert man sich natürlich wirklich für die Interessen der Studenten, da habt ihr ja völlig recht. (Beifall bei der FPÖ.)

Oder ich erinnere an das Projekt Café Rosa der Österreichischen Hochschülerschaft: Das Konzept vom Café Rosa war, dass jeder für seine Konsumation so viel zahlt, wie er halt glaubt. Na ja, das Ganze war ein ziemlicher Reinfall. Mittlerweile, glaube ich, ermittelt auch die Staatsanwaltschaft oder hat ermittelt, denn da wurden Hundert­tausende Euro in den Sand gesetzt, weil es den Genossen offensichtlich halt nichts wert war, was die Genossen serviert haben. Wahrscheinlich wird daran auch nur der böse Kapitalismus in Form des bösen Lieferanten schuld sein, der sich halt erlaubt hat, für die Kiste Bier auch tatsächlich Geld zu verlangen, wenn er sie anliefert. – Das kann ja alles nicht funktionieren. (Beifall bei der FPÖ.)

Daher, meine sehr geehrten Damen und Herren, zur Österreichischen Hochschüler­schaft: Unser Motto, das Motto generell bei der ÖH, muss künftig lauten: Service statt Demos.

Wir werden daher diesem vorliegenden Gesetz, nicht nur, weil wir die ÖH in der der­zeitigen Form generell ablehnen, sondern auch, weil wir dieses Wahlsystem für sehr, sehr durchwachsen ansehen, nicht zustimmen. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

14.00


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Saller zu Wort. – Bitte.

 


14.01.07

Bundesrat Josef Saller (ÖVP, Salzburg): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wissenschaft und Forschung sind in der heutigen schnelllebigen Zeit unerlässlich und wichtig, um auch entsprechend neuen Anforderungen und Veränderungen begegnen zu können und das Ganze auch auf rechtlich sichere Beine zu stellen. Polemik hat hier nichts verloren, es geht auch nicht um Zwangsmitgliedschaften. Die Zusammenarbeit zwischen den Universitäten und den Pädagogischen Hochschulen hat eine neue Situation geschaffen und manches verändert.

Nach den Debatten um die Bundespräsidentenwahl hinsichtlich der Briefwahl und auch anderer Abläufe ist der Ruf nach Präzision verständlicherweise unheimlich groß geworden; da gebe ich dem Vorredner recht. Man muss also hier etwas tun, und das betrifft natürlich auch – neben anderen Dingen – die Wissenschaft. Neben rechtlichen Neuerungen, Weichenstellungen für eine reibungslose Briefwahl wird es auch eine detaillierte Regelung mittels Verordnung geben. Das ist auch ein wichtiger Faktor in diesem Ablauf.


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 87

Im Vorfeld dieser Gesetzeswerdung ist auch die Einbindung der Betroffenen besonders wichtig; das ist in diesem Fall geschehen. Es ist nicht überall selbstverständlich, im Vorfeld Kommunikation zu pflegen, Betroffene miteinzubinden – ob das in dem Fall die ÖH-Bundesvertretung, die Aktionsgemeinschaft und andere waren. Das ist sehr, sehr wichtig, und man kann für künftige Gesetzeswerdungen nur empfehlen, im Vorfeld vieles zu klären und viele miteinzubinden.

Einer der wichtigsten Eckpunkte, wie wir sie hier haben, ist also die Sicherung des Datenschutzes. Wir alle wissen, Datenschutz ist keine Selbstverständlichkeit, dazu muss man auch etwas beitragen. Gerade der Datenschutz ist in der heutigen Zeit eine äußerst sensible Sache, und dem wurde hier Rechnung getragen. Bei zweckwidriger Verwendung von Daten gibt es entsprechende Strafen, die massiv verschärft worden sind, und das ist auch gut so.

Ein weiterer Punkt ist die Wahlbeteiligung – diese betrug im Jahr 2015 26 Prozent –, dies muss natürlich zum Nachdenken anregen. Gerade die Fachhochschulen haben dieses Wahlrecht sehr wenig genutzt, und das ist eine Sache, der man sich stellen muss. Das ist keine Selbstverständlichkeit. So wurde also auch die Möglichkeit ge­schaf­fen, einen der beiden Wahltage vorzuziehen – auf Freitag oder Samstag, je nachdem –, um wieder einen zusätzlichen Anreiz zu geben und zum Wählen anzu­regen.

Im Rahmen der PädagogInnenbildung NEU gibt es die Möglichkeit der Wahlberechti­gung für Studierende eines an mehreren Bildungseinrichtungen gemeinsam eingerich­teten Studiums, an diesen Einrichtungen zu wählen. Es ist auch wichtig, neben der Einrichtung, wo man ursprünglich wahlberechtigt ist, auch an der zweiten Ausbildungs­stätte noch zusätzlich wählen zu können, um seine Meinung kundzutun. Das schafft wieder einen Anreiz, auch zur Wahl zu gehen.

Weiters sind Rechtsbereinigung und Rechtsklarheit bei der Zusammensetzung der Wahlkommissionen wichtig. Die Vereinfachung des Briefwahlprozesses muss über­haupt absoluten Vorrang haben, darf das Ganze nicht erschweren, sondern soll auch zusätzlich motivieren. Das Ganze hört sich vielleicht nicht so spektakulär an, ist aber ein wichtiger Baustein in der Bildungspolitik. Wir werden der Gesetzesvorlage natürlich zustimmen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

14.05


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Grimling. – Bitte.

 


14.05.49

Bundesrätin Elisabeth Grimling (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Das vorliegende Bundesgesetz basiert auf den Ergebnissen der verpflichtend vorge­sehenen Evaluierung des Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftsgesetzes 2014 und der Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftswahlordnung 2014 durch das Bun­desministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, und zwar durch spezielle Evaluierungsworkshops mit den Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsit­zen­den der Wahlkommissionen, welche für die Organisation der ÖH-Wahlen an den einzelnen Bildungseinrichtungen zuständig sind. Daraus ergaben sich verschiedene erforderliche Adaptionen und Ergänzungen.

Im Wesentlichen umfasst die Neuregelung folgende Bereiche: erstens die Klärung der Wahlberechtigung für Studierende, die im Rahmen der PädagogInnenbildung ein gemeinsam eingerichtetes Studium an zwei Bildungseinrichtungen belegen; zweitens die Behebung aktueller Probleme der Briefwahl als Vorsorge im Sinne einer Abwen-


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 88

dung möglicher Anfechtungen bei den kommenden ÖH-Wahlen sowie adaptierte Bestimmungen, die die Zusammensetzung von Wahlkommissionen und deren Unter­kommissionen betreffen; drittens die Möglichkeit von vorgezogenen Wahltagen für berufsbegleitende Studien und duale Studiengänge, die die Wahlbeteiligung stärken sollen; viertens die Klarstellung der Art und des Umfangs des Vertretungsrechtes für Studierende durch die ÖH; fünftens die Vorgangsweise für die Bestellung einer Wirt­schaftsprüferin oder eines Wirtschaftsprüfers für die Prüfung des Jahresab­schlus­ses der ÖH sowie Festlegungen über die Einhebung von ÖH-Beiträgen und eine erhöhte Transparenz bei deren Verwendung.

Die neuen Regelungen verstärken weiterhin die demokratische Legitimation der Studierenden und sind zu begrüßen. Es muss aber leider neuerlich angemerkt werden, dass in einigen Bildungseinrichtungen weiterhin ein Mangel an Studienplätzen in ver­schie­denen Bereichen besteht. Durch die damit verbundenen Zugangsbeschrän­kungen bleibt vielen bildungswilligen jungen Leuten eine akademische Ausbildung versagt. Diesbezüglich ist der Herr Wissenschaftsminister weiterhin nachdrücklich gefordert. Meine Fraktion wird dem vorliegenden Gesetzentwurf ihre Zustimmung erteilen. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

14.09


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Reiter. – Bitte.

 


14.09.20

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Hohes Präsidium! Herr Staats­sekretär! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist doch völlig klar, dass die Universitäten – und damit natürlich auch die ÖH und die Studierenden – immer in vielen Bereichen Vorreiter waren, auch, dass die Universität immer ein Experimentier­feld ist, ein Ort der vielen Diskussionen. Ich denke, das ist schlicht und einfach auszuhalten. Es ist wichtig, dass es das gibt, und das ist auch zu unterstützen. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

Wir finden es äußerst vorbildlich, dass diese jetzigen Bestimmungen nach einer Evaluierung in Kooperation mit der ÖH erarbeitet wurden und sozusagen auch der entsprechende Austausch und die entsprechende Abstimmung erfolgt sind. Das finden wir äußerst vorbildlich.

Versuche, die ÖH zu schwächen, hat es immer wieder gegeben. Das ist natürlich auch klar verständlich, denn dort, wo es sich reibt und wo Gegensätze auftreten, gibt es eben auch Versuche, solche Gremien zum Schweigen zu bringen oder eben mit anderen Methoden als der offenen Auseinandersetzung zu arbeiten. Solchen Ver­suchen werden wir immer wieder klar entgegentreten. Wir halten die ÖH für sehr wichtig und sehr bedeutsam, um die Interessen der Studierenden auch entsprechend zu vertreten. Auch das ganze Unterstützungsangebot, das es vonseiten der ÖH gibt, halten wir für wichtig und für unentbehrlich.

Zu den 18,70 € – diesem unglaublich hohen Betrag, den die FPÖ abschaffen will (Bundesrat Raml: Fragen Sie einmal einen Studenten! – Bundesrat Stögmüller: Was ist mit den Studiengebühren?) –: 70 Cent davon sind für eine Versicherung für die Studenten, und zwar für den Fall, dass ihnen auf ihrem Weg zur Hochschule etwas passiert oder dass das Chemielabor explodiert und ähnliche Dinge mehr passieren. Nur 12,5 Prozent von den 18 € gehen an die Bundesvertretung, an der sich die FPÖ wahrscheinlich ganz besonders reibt, also das sind 12,5 Prozent des Restbetrages. Der große Rest wird für die Universitätsvertretungen, für die Studienvertretungen, die die Arbeit in den Senaten, in der Curricula-Kommission wahrnehmen, ausgegeben. Ich


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 89

habe herausgehört, dass Kollege Raml diese Arbeit auch durchaus schätzt, dort geht nach wie vor auch das meiste Geld hin.

Die politische Arbeit der Vertretung der Studierenden auf Bundesebene in der Öffent­lichkeit, in den Medien und gegenüber dem Ministerium halten wir aber auch für ganz wichtig und auch entsprechend unterstützenswert, und die sollte auch weiterhin stattfinden. Sie ist aber eindeutig der geringere Part der finanziellen Absicherung.

Eine Sorge ist in dieser Hinsicht noch bei den ÖH-Vertretern zurückgeblieben, das ist die Möglichkeit – die jetzt besteht – vonseiten der Universität, bei Veranstaltungen Beiträge und auch Kautionen einzuheben. Hier wird die gelebte Praxis zeigen, inwieweit daraus ein Willkürinstrument vonseiten der Universität entsteht oder ob das in einem entsprechenden Rahmen gehandhabt wird. Da, denke ich, wird man sehen, wie sich das weiterentwickelt, aber wir hoffen, dass keine Willkürakte stattfinden.

Wir werden dem Gesetz gerne unsere Zustimmung geben. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

14.13


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Blatnik. – Bitte.

 


14.13.55

Bundesrätin Ana Blatnik (SPÖ, Kärnten): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Gospa president! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Gospod zvezni sekretar! Liebe Kolle­ginnen und Kollegen! Drage kolegice in kolegi! Ich möchte das noch einmal betonen, was du gesagt hast, liebe Heidelinde: Es ist wichtig, dass die Studenten und Studentinnen eine starke, entsprechend unterstützte und bestens ausgestattete politi­sche Interessenvertretung haben, und das ist die ÖH. Die ÖH ist keine selbsternannte Interessenvertretung. Ich glaube, unser Ziel muss es sein, diese zu stärken und niemals zu schwächen. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Im heutigen Gesetz geht es darum, Änderungen und Anpassungen durchzuführen, um für einen korrekten Ablauf der ÖH-Wahl, die 2017 stattfindet, zu sorgen, Rechtsklarheit zu schaffen und Rechtsbereinigung vorzunehmen. Ich möchte nicht mehr ins Detail dieses Gesetzes eingehen – das haben Frau Kollegin Grimling und auch Herr Kollege Saller hervorragend gemacht –, ich möchte aber zwei oder drei Punkte betonen, die für mich wichtig sind.

Ich bin voll dafür und meine ganze Kraft geht dahin, dass auch berufstätige Studenten und Studentinnen wählen dürfen, denn bis dato war es so, dass, wenn die Wahl am Dienstag und Mittwoch stattgefunden hat und sie gearbeitet haben, sie ihrem demokratischen Recht nicht Folge leisten konnten, das heißt, sie durften nicht wählen. (Beifall bei SPÖ und Grünen.) Sie konnten nicht wählen, und das ist meiner Meinung nach eine Schwächung der Demokratie. Es ist unbedingt notwendig, dass das geän­dert wird.

Vielleicht noch einen Satz zur Einhebung des ÖH-Beitrages: 70 Cent für die Unfall- und Haftpflichtversicherung. – Das ist ein Schutz für die Studierenden, das sind 70 Cent, die einen Schutz für Studenten und Studentinnen bedeuten. Vielleicht noch dazu, wie das restliche Geld verteilt wird, weil du das auch erwähnt hast, liebe Heidelinde: Von diesem restlichen Geld – das muss man auch betonen – wird ein Sozialfonds finan­ziert, ein Sozialfonds für Studentinnen und Studenten, die in Not geraten, sich zum Beispiel in einer problematischen Wohnsituation befinden oder die Versorgung der eigenen Kinder nicht mehr gewährleisten können. Es ist wirklich wichtig, dass diesen Studenten und Studentinnen geholfen wird. Das Geld wird nicht nur einfach so verteilt, für diesen Sozialfonds gibt es ganz klare Richtlinien.


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 90

Zur Arbeit, die die Universitätsvertretung und die Studentenvertreter und -vertreterin­nen machen: Diese Vertretung wird von hochqualifizierten Experten und Expertinnen gemacht, die diese Serviceleistungen begleitend anbieten, die eine politische Arbeit machen, die in Gesprächen mit dem Ministerium vieles ausverhandeln, was vielleicht auch ab und zu unbequem ist – aber sie haben ganz einfach das Recht dazu –, die mit den Medien verhandeln und die in der Öffentlichkeit stehen. Diese Arbeit, liebe Kollegen und Kolleginnen, darf etwas kosten und diese Arbeit ist das auch wert. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Ja, da bin ich beim Redner der FPÖ und auch bei dir, lieber Herr Kollege Saller: Wir müssen uns wirklich Gedanken darüber machen, warum die Wahlbeteiligung so niedrig ist, aber nicht nur bei den ÖH-Wahlen. Ich mache darauf aufmerksam, dass die Zahl der Nichtwähler und Nichtwählerinnen immer wieder steigt und wir darüber diskutieren müssen, wie wir diese Menschen, diese wahlberechtigten Menschen motivieren, dass sie das demokratische Recht, wählen zu gehen, mitzuentscheiden und mitzugestalten, auch nutzen. Es gibt nicht nur bei der ÖH-Wahl das Problem der Nichtwähler und Nichtwählerinnen, sondern im Allgemeinen.

Liebe Kollegen und Kolleginnen, wenn ich Aussagen wie „Zwangsbeitrag“ höre, wenn ich Aussagen höre, dass die Studenten und Studentinnen diese Vertretung nicht so in Anspruch nehmen, oder wenn man einfach über den ÖH-Beitrag diskutiert – man will ihn von 18,70 € auf 4,50 € kürzen, was ich so gelesen habe –, dann muss ich mich schon fragen, was die FPÖ will. (Bundesrat Dörfler: Ein besseres Österreich! – Bundesrat Stögmüller: Keine Demokratie!) Ich kann mich noch erinnern, es hat einmal den Satz gegeben, die Gewerkschaften gehören abgeschafft. Und davor warne ich. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Tätigkeit der Interessenvertretungen der Studenten und Studentinnen geschmälert wird oder vielleicht überhaupt gestrichen wird. Wir, ich und meine Fraktion, sind für eine Stärkung und niemals für eine Schwächung der Interessenvertretung. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

(Die Rednerin setzt ihre Ausführungen in slowenischer Sprache fort.)

Danke. Hvala lepa. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

14.20


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet ist Herr Staatssekretär Dr. Mahrer. – Bitte, Herr Staatssekretär.

 


14.20.39

Staatssekretär im Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft Mag. Dr. Harald Mahrer: Wertes Präsidium! Werte Mitglieder des Bundesrates! Gestatten Sie mir am Schluss dieser Debatte eine politische Einschätzung, denn zu den Vorlagen der Bundesregierung ist alles gesagt worden, aber als ehemaliger Vorsitzender einer Hochschülerschaft muss ich mich zum vorliegenden Gesetz einfach zu Wort melden.

Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten – man kann beiden Positionen etwas abgewinnen. Aufgrund der Tatsache, dass ich damals in der bundesweiten Vertretung auch Vorsitzender des Sonderprojekte-Ausschusses gewesen bin, weiß ich aus eige­ner Erfahrung, wofür manche gerne Geld verwendet hätten. So etwas kommt immer wieder vor, aber das gibt es in allen Institutionen. Die Kernaufgabe ist natürlich Beratung und studentische Interessenvertretung. Die werden wohl an nahezu allen Hochschulen sehr gut wahrgenommen.

Es obliegt natürlich den jeweils tätigen Personen, wie weit sie ihr Mandat auslegen. Darüber kann man durchaus unterschiedlicher Ansicht sein, und da soll man bei einer demokratischen Debattenkultur die Karten auf den Tisch legen. Es gibt zum Beispiel


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unterschiedliche Ansichten, wie sehr man sich gesellschaftspolitischen Themen widmet und wie sehr die mit der Arbeit an den Hochschulen selbst zu tun haben. Darüber ist beispielsweise im Zusammenhang mit den Ereignissen bei „Uni brennt“ wunderbar debattiert worden. Da gab es Menschen, die der Meinung waren, dass es total gut ist, dass man Obdachlose ins Audimax der Universität holt und dort betreut. Andere – damals sogar eine Vielzahl – haben da keinen besonders großen Zusammenhang zur studentischen Interessenvertretung feststellen können. Da gibt es also durchaus ein Spannungsfeld.

Im Kern geht es um die aktive Mitwirkung im Rahmen der Mitbestimmung an den österreichischen Hochschulen, und die gibt es ja nach wie vor. An dieser sollte man auch nicht rütteln, denn das macht unter anderem die Universitäten aus. Wir haben mit dem UOG 1975 nach der Öffnung der Hochschulen 1968 und in den frühen Sieb­zigerjahren auch eine Mitbestimmung bekommen. Die hat sich bewährt, so wie sich übrigens die Mitbestimmung im Bereich der Sozialpartnerschaft in bestimmten Be­reichen sehr bewährt hat. Seither ist an den Hochschulen neben der Professorenschaft auch die Assistentenschaft und Studentenschaft miteingebunden.

Mit dem Universitätsgesetz 2002 hat man die Rektorate und die Universitätsräte sehr gestärkt, um im Rahmen der Autonomie vernünftige Managementstrukturen einzu­führen. Die Dualität dieser Strukturen im Zusammenwirken mit den drei Gruppen an den Hochschulen funktioniert perfekt, und daran sollte man nicht rütteln. Für ein gelebtes gemeinsames Gestalten der Hochschulen macht es Sinn, dass die Studentenschaft in all diese Dialoge miteinbezogen wird. Daher meine politische Bewertung: Daran sollte man nicht rütteln. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

14.23

14.23.11

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen dazu liegen mir nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

14.23.397. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 13. Oktober 2016 betreffend Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Irak andererseits (1253 d.B. und 1264 d.B. sowie 9651/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir kommen nun zum 7. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Ing. Köck. Ich bitte um die Berichterstattung.

 


14.24.29

Berichterstatter Ing. Eduard Köck: Sehr geehrte Frau Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Besucher! Ich erstatte den Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Be­schluss des Nationalrates vom 13. Oktober 2016 betreffend Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Irak andererseits.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antrag­stellung.


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Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 24. Oktober 2016 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsident Mario Lindner (den Vorsitz übernehmend): Vielen Dank für die Bericht­erstat­tung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gelangt als Erster Herr Bundesrat Mag. Gödl. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.25.24

Bundesrat Mag. Ernst Gödl (ÖVP, Steiermark): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde es in aller Kürze abhandeln, da dieses Abkommen, das übrigens im Sinne der Ratifizierung auch ein gemischtes Abkommen ist, anders als das CETA-Abkommen ja unstrittig ist. Das CETA-Abkommen war heute schon Teil der Debatte mit dem Herrn Vizepräsidenten des Ausschusses der Regionen, Lambertz. Unstrittig ist das gegenständliche Abkommen deswegen, weil wir in der Stoßrichtung einig sind, dass es Aufgabe der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten ist, gemeinsame Strategien zu entwickeln.

Ich möchte jedoch diese Chance nutzen, auch ein paar Worte zu CETA zu sagen, denn es ist nicht so, dass die Europäische Union da von sich aus tätig wird. Man muss mit ein paar Märchen in diesem Zusammenhang aufräumen. Heute hat der Vize­präsident der Regionen zu meiner Überraschung gemeint, dass so viel geheim sei. Es stimmt zwar schon, dass die Verhandlungen auch zu diesem Abkommen hinter verschlossenen Türen stattgefunden haben, es gibt jedoch für jede Verhandlung zu jedem Abkommen auf europäischer Ebene ein Verhandlungsmandat. Dieses Verhand­lungsmandat vergeben die 28 Regierungschefs, und dies auch nicht, weil es lustig ist oder ihnen nichts anderes einfällt, sondern weil es dazu Beschlüsse der Bundesregie­rungen gibt.

Handelsabkommen oder auch dieses Kooperationsabkommen sind schwierige Themen, wenn man sie an die Bevölkerung vermitteln will. Wie immer man zu solchen Materien steht, wäre meine ganz große Bitte, wirklich einen sachlichen Zugang zu wählen.

Sie, Frau Reiter, haben heute gesagt: Ich erinnere die Landeshauptleute an den Beschluss von 2014 und auch 2016 – der ist ja wiederholt worden und den haben Sie, glaube ich, auch gemeint. Lesen Sie diesen Beschluss bitte durch! Darin sind Bedin­gungen formuliert, die nunmehr erfüllt sind.

Was steht in diesem Beschluss der Landeshauptleute drinnen? – Es steht drinnen, dass es als gemischtes Abkommen zu sehen ist. Das war ja ursprünglich nicht ganz klar. Da hat es ja mehrere Interventionen in Brüssel gegeben, angefangen vom Vize­kanzler über unseren Landeshauptmann der Steiermark bis hin zum Herrn Bundes­kanzler, die allesamt vertreten haben, dass sie das aufgrund verschiedener Maßnah­men – Stichwort Sondergerichte zum Investitionsschutz – als gemischtes Abkommen sehen, obwohl Handelsabkommen an sich prinzipiell Materie der Europäischen Union sind. Und so wird es jetzt auch umgesetzt. Daher muss es ja, wenn CETA jetzt überhaupt beschlossen wird, erst zur Ratifizierung in den Parlamenten kommen.

Interessant war in diesem Zusammenhang auch (in Richtung Grüne) eure 30-Jahr-Feier im Parlament. Ich war dankenswerterweise eingeladen und auch dabei und konnte das so erste Reihe fußfrei mitverfolgen. Es war interessant, dass über CETA an diesem Vormittag keine Silbe verloren wurde, während es ansonsten in diesen Tagen in ganz Europa thematisiert worden war. Dies für alle, die da nicht dabei waren. Bei dieser 30-Jahr-Jubiläumsfeier der Grünen gab es zu CETA keine einzige Silbe. Ich weiß nicht, ob euch das aufgefallen ist; mir ist es jedenfalls aufgefallen. Ich habe mir


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das ganz genau angehört, weil am Tag darauf die Grünen im Steiermärkischen Landtag eine Dringliche Anfrage an den Landeshauptmann der Steiermark gestellt haben.

Warum war es kein Thema, warum war das CETA-Abkommen bei der 30-Jahr-Feier kein Thema? Weil euer Gastreferent, euer Festredner, eure Galionsfigur der deutschen Grünen, Herr Winfried Kretschmann, ein starker Befürworter nicht nur von CETA, sondern auch von TTIP ist. (Zwischenruf bei den Grünen.) – Ja das ist so, auch wenn ihr das nicht glaubt. Lest zum Beispiel im „Berliner Tagesanzeiger“ nach, dem er vor einigen Monaten ein Interview zu diesen Handelsabkommen gegeben hat!

Das ist deswegen so, weil Regieren nun einmal ein Rendezvous mit der Realität ist, und Winfried Kretschmann in der Gesamtverantwortung eines Regierungschefs in Deutschland natürlich genau seine Betriebe, seine Arbeitsplätze sehen muss. Er sagt, dass der Freihandel, so wie er auch durch das Abkommen mit Kanada geregelt wird, für ihre Wirtschaft, für ihre Arbeitsplätze gut ist.

Darauf wollte ich heute noch replizieren, weil ich vorhin zu dem Thema nicht sprechen konnte, weil ich gerade den Vorsitz zu führen hatte.

Zu diesem Abkommen mit dem Irak: Auch da bitte, nur, damit man das richtig einordnet: Das Verhandlungsmandat wurde im Jahr 2006 erteilt, und 2006 gab es tatsächlich noch eine andere Lage. Trotzdem ist es ein gutes Zeichen, wenn alle Staaten der EU und eben auch wir in Österreich dieses Abkommen, das seit 2012 vorläufig in Kraft ist, auch ratifizieren, weil es uns aus außenpolitischer Sicht ganz wichtig sein muss, alle Maßnahmen, die zur Stabilisierung beitragen können – ich sage bewusst: können –, zu setzen. Und es ist auch schön, dass dieser Beschluss hier einstimmig gefasst wird. Er ist nämlich im Nationalrat nicht ganz einstimmig gewesen, wie man im Stenographischen Protokoll nachlesen kann, weil zwei oder eine grüne Abgeordnete erklärtermaßen aus Menschenrechtsgründen dagegen gestimmt haben.

Die Grünen thematisieren vor allem den Artikel 105 im Abkommen – und vielleicht werden Sie das jetzt auch hier noch tun –, nämlich die Migrationsklausel. Auch das ist wichtig, dass sie darin enthalten ist. Es ist einfach wichtig, zu signalisieren, dass wir unseren Beitrag leisten möchten, damit diese Region – in diesem Fall eben der Irak – stabilisiert wird und ihre Bevölkerung wieder eine Lebensgrundlage hat. Dazu gehört auch, dass diejenigen, die geflüchtet sind, vielleicht auch die Chance bekommen oder vielleicht dann auch mit Rückführungsübereinkommen dazu gezwungen werden müssen, dorthin zurückzugehen. Das mag schon sein.

Jetzt ist uns aber wichtig, das Zeichen zu setzen, dass es für uns wertvoll ist und die Europäische Union ein Bekenntnis dazu abgibt, sich in dieser Region einzumischen und einen jährlichen politischen Dialog anzubieten – einer der großen Punkte in diesem Abkommen. Das ist ein wichtiges Zeichen, dass wir mit der Ratifizierung in unserem Nationalrat und jetzt hier in unserem Bundesrat setzen. Dazu gehört eben auch diese mögliche Rückführung, natürlich immer unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte, der Sicherheit und dergleichen mehr. Das muss, wenn man die Genfer Flüchtlingskonvention ernst nimmt, außer Streit stehen.

Daher glaube ich, dass wir einen guten Beschluss fassen, und hoffe, dass dieses Abkommen auch in allen 28 EU-Mitgliedstaaten ratifiziert wird. Es ist Symbol und Signal für eine hoffentlich gute Zukunft im Irak, denn wir wissen, dass es keine stille Nische mehr auf dieser Welt gibt, in die sich irgendein Land oder eine Region zurückziehen könnte, sondern alles ist miteinander verwoben. Kriegerische Auseinan­dersetzungen im Nahen Osten spielen auch ganz stark nach Europa hinein, wie wir wissen. Daher mein Appell: Alle Kraft, alle Anstrengung und auch alle notwendigen


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Maßnahmen und Abkommen, damit wir bei der friedlichen Gestaltung dieses Raumes mithelfen können!

Daher hoffe ich und danke auch dafür, dass es eine einstimmige Beschlussfassung geben wird. Ich glaube, dass das auch der Europäischen Union insgesamt guttut. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

14.33


Präsident Mario Lindner: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Koller. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.33.12

Bundesrat Hubert Koller, MA (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Lie­ber Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach einem Ausschweifen in die CETA-Debatte ist der Herr Vizepräsident wieder auf dieses Abkommen zu sprechen gekommen, das wir jetzt behandeln, eine Ratifizierung dieses Vertrags zur Partnerschaft und Kooperation mit dem Irak. Dies geschieht zu einer Zeit, in der eine internationale Anti-IS-Koalition, wie sie unterschiedlicher wohl nicht sein kann, um die Befreiung der am rechten Ufer des Tigris gelegenen Stadt Mossul kämpft. Ein Kampf, der an Symbolik nichts zu wünschen übrig lässt. Man rechnet damit, dass die seit Juni 2014 unter Kontrolle der Extremisten stehende Millionenmetropole als letzte IS-Bastion im Land fällt. Wie bekannt ist, befanden sich das Zentrum und der Westen des Landes bereits unter Kontrolle der Dschihadisten-Miliz. Erst in letzter Zeit gelang es, den IS territorial zurückzudrängen und wichtige Städte und Ortschaften von der Terrorherrschaft zu befreien.

Gestern hat man in der „ZIB 2“ gesehen und konnte man vernehmen, dass die Befreiung von Mossul keine Angelegenheit von ein paar Tagen sein wird, sondern dass sich diese Befreiung über Wochen, ja vielleicht sogar Monate hinziehen wird. Das wird einerseits mit der Kampfform der IS-Miliz begründet und andererseits – und das ist sehr wichtig – mit der Rücksichtnahme auf die zivile Bevölkerung in Mossul. Was das für die betroffene Bevölkerung bedeutet, brauche ich wohl nicht zu erklären. Dass man Flüchtlingsströme besser verstehen kann, wenn solche Dinge passieren, liegt auf der Hand. Deshalb ist auch die Migrationsklausel in diesem Abkommen im Artikel 105 wichtig und richtig, denn wir fordern sie durch unseren Außenminister ja auch von anderen Ländern immer wieder ein. Die Beurteilung jedes einzelnen persönlichen Schicksals vor der Rückführung bleibt jedoch eine der schwierigsten Entscheidungen und Herausforderungen.

Zu hoffen bleibt, dass es nicht zu Konflikten innerhalb der Anti-IS-Koalition kommt und das gemeinsame Ziel schwerer wiegt. Immerhin verwahrte sich der Premierminister des Irak erst gestern wieder gegen eine Beteiligung der Türkei, die im Irak die kur­dischen Freischärler, die Peschmerga-Einheiten nicht nur unterstützt, sondern sie sogar ausbildet, während sie in Syrien Kurdenstellungen angreift. Das hat mit der ideologischen Ausrichtung der verschiedenen Kurdengruppen und mit der regionalen Machtbalance zu tun.

Wir wissen aus der Geschichte, dass dieses reiche Erdölland, also die heutige Republik Irak, immer schon im Fokus des Interesses europäischer Mächte gestanden ist. Vor allem Großbritannien kann man hier nicht ganz aus der Verantwortung ent­lassen. Durch Saddam Hussein, der das Land diktatorisch regiert und auch Kriege gegen den Iran und gegen Kuwait geführt hat – den Iran-Krieg haben die Weltmächte sogar unterstützt –, kam es zu immer mehr Schwierigkeiten im Land. 2003 wurde das Regime Hussein unter amerikanischer Führung zwar gestürzt, doch gelang es nicht, stabile Strukturen für die Nachkriegsära aufzubauen. Während der Besatzung kam es immer wieder zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen.


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Heute ist der Irak de facto in ethnische Zonen unterteilt und davon bedroht, weiter zu zerfallen. Die drei Volksgruppen – die Schiiten, die Sunniten und die Kurden – kamen bis heute zu keiner nationalen Identifikation. Nur in jenem Teil, in dem die kurdische Bevölkerung die Mehrheit hat, gibt es relativ stabile Strukturen. Auch der Wunsch nach Eigenstaatlichkeit eines Kurdenstaates steht immer wieder auf der Agenda. Die Kurden sind jedoch auf verschiedene Länder – Türkei, Syrien, Iran und Irak – verstreut und in dieser Frage uneinig.

Man muss sich also die Geschichte vor Augen führen, um zu begreifen, wie wichtig das vorliegende Abkommen ist, um das Vertrauen in Partnerschaft und Kooperation mit dem Irak wieder aufzubauen. Bei dem gemischten Abkommen geht es um ein Ver­trags­werk, das auf die politische, kulturelle und soziale, aber auch auf die wirt­schaftliche Ebene abzielt, ein Abkommen „light“, das den Irak auf seinem Weg begleitet und ihn in Richtung eines demokratischen Staates führt. Frieden, Demokratie und Menschenrechte werden ebenso angesprochen wie Handel, Investitionen und Wiedereingliederung in die Weltwirtschaft. Dazu möchte ich einfordern, dass Wirt­schaftsprogramme sowie kulturelle und soziale Hilfsprogramme unbedingt an die Einhaltung der Menschenrechte geknüpft werden müssen.

Klar ist, dass zurzeit die humanitäre Hilfe im Vordergrund steht. Derzeit überlagert der Kampf um Mossul in den Kontakten verständlicherweise alle Sachthemen. Die Wirtschaft des Landes befindet sich in einer Krise, die Arbeitslosigkeit besonders unter jungen Leuten ist sehr hoch. Schon in der zweiten Generation ist man im Krieg, und Arbeitsplätze gibt es nur dort, wo man eine Waffe in der Hand hält, oder in der Erdölindustrie. Deshalb wird es danach einen Masterplan geben müssen, wie zum Beispiel zerstörte Infrastruktur aufgebaut werden kann, ohne durch weitere Unruhen gleich wieder der Zerstörung anheimzufallen. Hiebei könnte das Know-how der öster­reichischen Wirtschaft mit nachhaltigen grünen Techniken eine entscheidende Hilfe sein. Weiters geht es auch um den Wiederaufbau zerstörter Wohnungen und Bildungseinrichtungen, wodurch Arbeitsplätze für die Irakerinnen und Iraker geschaffen werden. Gleichzeitig muss die Gleichberechtigung der Frau eingefordert werden.

Wir kennen das aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als die sogenannten Trümmerfrauen einen wesentlichen Beitrag zum Aufbau unseres heutigen Landes geleistet haben.

Zur Politik im Irak: Wir wissen, dass der derzeitige Premierminister Haider al-Abadi keinen stabilen Rückhalt in seiner Regierung hat. Deshalb ist es auch notwendig, dass er diese schwierige Situation in Mossul durchsteht und dass man sich solidarisch zeigt. Gleichzeitig darf man aber nicht die Autonomiebestrebungen der Kurden aus den Augen verlieren. Wie wir im Ausschuss gehört haben, hat die EU im Rahmen dieses Abkommens bereits Gespräche geführt, bei denen der Abgesandte der kurdischen Regionalregierung wie auch der irakische Außenminister dabei waren, um das Signal zu verstärken.

Abschließend möchte ich sagen: Es geht also darum, den Wiederaufbau und die Demokratiebemühungen von unserer Seite aus so weit wie möglich zu unterstützen, damit Stabilität und Demokratie in dieser gebeutelten Region so rasch wie möglich einkehren können.

Ein gewisser Kontrollmechanismus zwischen Hilfe in dieser schwierigen Lage und Botschaft in Richtung Menschenrechte und Frauengleichstellung ist mit diesem Abkommen verbunden, und das ist gut. So gelingt es uns, über die jährlichen Dialogforen, die in diesem Abkommen vorgesehen sind, einen der schwierigsten Dialo­ge zu führen, der zum Gelingen führt, den Terrorismus an seiner Ursache zu be­kämpfen.


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 96

Deshalb wird unsere Fraktion diesem Abkommen natürlich zustimmen. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)

14.41


Präsident Mario Lindner: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Längle. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.41.59

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär, herzlich willkommen! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt schon sehr viel über dieses Vertragswerk, über dieses Abkommen gehört. Ich unterstreiche, dass wir Freiheitliche in der Vergangenheit diese Abkommen alle unter­stützt haben, wie es auch der Kollege vorhin erwähnt hat. Von unserer Seite wird es auch hier eine Unterstützung und eine Zustimmung geben.

Ganz kurz noch – es wurde jetzt ohnehin schon lange erklärt –: Die Zustände im Irak sind leider nicht sehr gut. Wir wissen, dass dort speziell im Norden große, gefährliche Dinge passieren – Krieg, Terror und dergleichen. Der Region im Süden geht es etwas besser. Wir hoffen selbstverständlich auch von freiheitlicher Seite, dass Ruhe und Frieden auf dem gesamten Staatsgebiet des Irak einkehren. Ich denke, das wäre auch für die Menschen, die dort leben, von großem Vorteil.

Mit diesem Vertragswerk werden wir nun eine Verbesserung in diese Richtung erzielen. Gerade auch der Dialog über Menschenrechte ist uns besonders wichtig. In diesem Zusammenhang sind ja auch die Frauenrechte zu erwähnen, die dort leider nicht so umfangreich sind wie hier in Österreich. Wir wünschen uns da schon, dass auch in diesem Bereich eine Verbesserung eintreten wird.

Dann haben wir noch ein paar Punkte. Einer davon ist, dass die Standards der WTO angenommen werden beziehungsweise dort mehr und mehr greifen sollten. Das ist gerade auch im Hinblick auf Firmen und Investoren schon ein großer Vorteil, wenn dort eben auch Stabilität und Sicherheit einkehren, was ja auch eine Grundlage für jede funktionierende Wirtschaft ist.

Abschließend, ich habe es gesagt: Wir werden gerne zustimmen und hoffen auf eine Verbesserung. – Danke. (Allgemeiner Beifall.)

14.44


Präsident Mario Lindner: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Dziedzic. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


14.44.11

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Wertes Präsidium! Herr Prä­sident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Werte Kollegen und Kolleginnen! Wir haben es schon gehört, wie es zu diesem Abkommen kam. Auch aus grüner Sicht ist vieles daran positiv zu bewerten, gerade die Einführung dieses jährlichen Dialogs auf Minis­terebene und auf Ebene der Beamten – ich gendere hier bewusst nicht – über Friedens-, Außen- und Sicherheitspolitik, aber auch Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, verantwortungsvolle Staatsführung, regionale Stabilität, Integration, aber auch Klauseln zur Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen und des un­erlaubten Handels mit Klein- und Leichtwaffen wären hier positiv hervorzuheben.

Besonders wichtig für mich, für uns ist natürlich auch die Klausel über die Zusam­menarbeit bezüglich Menschenrechte, die ja heute schon ein paar Mal angesprochen worden ist, die einen Vorbehalt umfasst, dass sich Versäumnisse seitens des Iraks, Menschenrechte zu achten, negativ auf Programme für die Zusammenarbeit und


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wirtschaftliche Entwicklung auswirken können. Ich würde mir wünschen, dass hier „werden“ stünde, aber auch „können“ ist schon einmal ein guter Schritt.

Wieso ist das so wichtig? – Weil alle die Menschenrechte erwähnt haben. Ich empfehle allen, die sich mit der Menschenrechtssituation im Irak näher beschäftigen wollen, den Bericht von Amnesty International „Ein Jahrzehnt der Menschenrechtsverletzungen“, einen wirklich guten Bericht zu lesen, der einen Überblick darüber gibt. Er ist eine erschreckende Chronologie von Folter, Misshandlung, vom Versagen der Behörden und von Hinrichtungen. Wir wissen, dass im Irak nach wie vor sehr viele Hinrichtungen, auch öffentlich, stattfinden und besonders – und das ist mir ganz wichtig, das her­vorzuheben – Lesben, Schwule und Transgenderpersonen einem regelrechten Terror und Verfolgung samt Todesstrafe ausgesetzt sind. Aber genauso werden auch Frauen verfolgt, weil sie nicht dieses sozusagen traditionelle Leben führen möchten.

Ich weiß auch nicht, ob Sie zum Beispiel wissen, dass das mit der Homosexualität im Irak so weit geht, dass sogar Kinder ermordet werden, wenn vermutet wird, dass sie homosexuell sein könnten. NGOs im Irak, aber auch außerhalb sprechen von einer Art sexueller Säuberung.

Und so komme ich auch zum Thema Flucht und damit zu der bereits erwähnten Migrationsklausel. Im Artikel 105 des Kooperationsabkommens zur Zusammenarbeit im Bereich Migration und Asyl ist anfangs von einem umfassenden Dialog zu Migration, irregulärer Migration und Schlepperei die Rede, wie wir gehört haben. Der Kern der Sache ist jedoch nichts anderes als eine wirksame Präventionspolitik und auch Verhin­derungspolitik der illegalen Migration, von Schleuserkriminalität und Menschenhandel, wie es hier heißt. Rück- und Abschiebungen sollen bereits auf Basis dieses Abkom­mens forciert werden und der Grenzschutz verstärkt von der EU und den EU-Mitgliedstaaten unterstützt werden.

Wir wissen auch, dass die EU genau solche Kooperationsabkommen auch dazu benutzt, diese Rückübernahmeforderungen zu koppeln, und dass diese Rückführun­gen sehr oft leider auch in unsichere Bürgerkriegsstaaten oder Staaten mit autoritären Regimen stattfinden.

Deshalb wäre es uns ganz, ganz wichtig – und wir fordern das auch in einem Ent­schließungsantrag ein –, dass zum einen bei diesen Partnerschafts- und Koopera­tionsabkommen zwischen der EU, ihren Mitgliedstaaten und Drittstaaten, die sich in bürgerkriegsähnlichen oder menschenrechtlich kritischen Lagen befinden, diese Migrationsklausel nicht angewendet wird und zum Zweiten, dass, solange diese Migrationsklausel Teil eines Partnerschafts- oder Kooperationsabkommens ist, die Umsetzung dieser Klausel hinsichtlich der Einhaltung aller menschenrechtlichen Stan­dards in regelmäßigen Abständen von einem unabhängigen Gremium eigens überprüft wird. Und sollte dieses Gremium eine Verletzung von Menschenrechts­standards bei der Durchführung von Rückführungen feststellen, muss sich – und das ist unsere Forderung – die österreichische Bundesregierung mit aller Kraft dafür einsetzen, diese Migrationsklausel mit sofortiger Wirkung außer Kraft zu setzen.

Wieso mir das persönlich so wichtig ist? – Ich kenne viele Menschen, die aus dem Irak geflüchtet sind, Frauen, die vor Gewalt und Folter geflüchtet sind, aber auch homosexuelle Männer und Frauen, die in Österreich um Asyl angesucht haben, die, kurz gesagt, vor einer Hinrichtung geflüchtet sind. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass Verfolgung aufgrund von Geschlechtsidentität oder der Zugehörigkeit zu einer Gruppe mit einer bestimmten sexuellen Orientierung kein expliziter Asylgrund ist. Diese Menschen werden einer sozialen Gruppe zugeordnet, die eben verfolgt wird. Das macht es oft sehr, sehr schwierig, dass diese Menschen hier Asyl bekommen.


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 98

Wenn wir also auf der einen Seite solche Abkommen daran koppeln, also unsere Hoffnung daran koppeln, dass sie mit einer Demokratisierung verbunden sind, mit einem Dialog und vor allem mit einer Verbesserung der Menschenrechtslage in den jeweiligen Ländern, dann müssen wir, finde ich, auch konsequent genug sein zu sagen, dass Abschiebungen nicht möglich sein dürfen, wenn genau diese Menschen­rechtsverletzungen vorliegen, nämlich wenn wir wissen, dass jene Länder diese Menschen, die wir abschieben, kurz gesagt, töten.

In diesem Sinne: Demokratisierung ohne Menschenrechte funktioniert für uns nicht. Es ist ein gutes Kooperationsabkommen, aber für mich persönlich weniger ein Part­nerschaftsabkommen, denn ein Partner ist immer ein Gegenüber, das genau diese menschenrechtlichen Standards nicht missachtet.

Wir werden hier im Bundesrat ähnlich wie im Nationalrat abstimmen. Wir unterstützen größtenteils dieses Abkommen, ich werde mich aber mit einer Stimme dagegen aussprechen. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen.)

14.51

14.51.13

 


Präsident Mario Lindner: Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Dies ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

14.51.438. Punkt

Antrag der Bundesräte Mario Lindner, Mag. Ernst Gödl, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema „#DigitaleCourage“ (221/A-BR/2016)

 


Präsident Mario Lindner: Aufgrund der ergänzten Tagesordnung gelangen wir nunmehr zum 8. Punkt.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


14.52.05

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ja gestern in der Präsidiale schon kurz darüber gesprochen. Diese Enquete an sich ist ja in Ordnung. Digitale Courage ist sicher ein Thema, das uns heute mehr beschäftigt denn je, und das auch zu Recht.

Allerdings: Der Grund unserer Ablehnung, und das ist der Grund meines Redebeitrags, ist der, dass wir finden, dass die Zusammensetzung sehr einseitig ist, und dass darüber hinaus leider von der Gepflogenheit abgegangen wurde, auch mit den anderen Klubs zu reden, ob sie Experten hätten, die dabei zu Wort kommen könnten, um auch bei einer solchen Enquete ein Meinungsspektrum und eine Meinungsvielfalt zu repräsentieren. Das hat leider nicht stattgefunden. Und das ist der Grund dafür, warum wir nicht auf dem Antrag drauf sind und diesem Antrag auch nicht zustimmen werden. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

14.53



BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 99

Präsident Mario Lindner: Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Frau Bundesrätin Mag. Schreyer, bitte.

 


14.53.28

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich nur ganz, ganz kurz dazu melden. Ich finde, einige Einwände sind vielleicht gerechtfertigt. Man hätte in diesem Fall auch ein bisschen früher vor allem die Präsidiale miteinbeziehen können, aber ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass im kompletten TeilnehmerInnenkreis und Vortragen­denkreis keine einzige Person jemals ein Amt bei einer politischen Partei in Österreich innegehabt hat.

Ich möchte auch noch einmal darauf hinweisen, dass wir uns vonseiten der grünen Fraktion extrem darüber freuen, dass gerade, wo es um digitale, um neue Medien geht, der Frauenanteil bei den Vortragenden extrem hoch ist und sogar über 50 Prozent beträgt. Und das sollte eigentlich normal sein.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass vor allem die Expertise der Personen zur Auswahl beigetragen hat und dass diese deswegen so getroffen worden ist. Ich möchte mich dagegen wehren, dass da etwas parteipolitisch besetzt ist. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen. – Bundesrat Jenewein: Das hat auch keiner gesagt! – Bundesrätin Mühlwerth: Das hab’ ich auch nicht gesagt!)

14.54

14.54.46

 


Präsident Mario Lindner: Weitere Wortmeldungen hiezu liegen mir nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Dies ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen daher zur Abstimmung über den Antrag 221/A-BR/2016 der Bundesräte Mario Lindner, Mag. Ernst Gödl, Mag. Nicole Schreyer, Kolleginnen und Kollegen auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 der Geschäftsordnung des Bundesrates.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag ihre Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag auf Abhaltung der gegenständlichen Enquete ist somit angenommen.

Hinsichtlich des Termins, der Tagesordnung und des Teilnehmerkreises für die soeben beschlossene Enquete darf ich auf den bereits allen Mitgliedern des Bundesrates zugegangenen Selbständigen Antrag 221/A-BR/2016 verweisen.

Die Tagesordnung ist erschöpft.

14.55.48Einlauf

 


Präsident Mario Lindner: Ich gebe noch bekannt, dass seit der letzten bezie­hungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt drei Anfragen, 3179/J-BR/2016 bis 3181/J-BR/2016, eingebracht wurden. 

*****

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Wege erfolgen. Als Sitzungstermin wird Donnerstag, der 17. November 2016, 9 Uhr, in Aus­sicht genommen.


BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 100

Die Ausschussvorberatungen sind für Dienstag, 5. November 2016, 14 Uhr, vorge­sehen.

*****

Ich wünsche einen schönen Nationalfeiertag.

Die Sitzung ist geschlossen.

14.56.21Schluss der Sitzung: 14.56 Uhr

 

 

 

 

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