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Stenographisches Protokoll

 

 

 

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851. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

 

Donnerstag, 10. März 2016

 

 


Stenographisches Protokoll

851. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 10. März 2016

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 10. März 2016: 9.02 – 19.09 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Punkt: Bundesgesetz, mit dem zur Linderung der Inflationsfolgen bei den Wohn­kosten das Richtwertgesetz geändert wird (2. Mietrechtliches Inflationslinderungs­ge­setz – 2. MILG)

2. Punkt: Jahresvorschau des BMJ auf Grundlage des Legislativ- und Arbeitspro­gramms der Europäischen Kommission für 2016 sowie des Achtzehnmonats­pro­gramms des niederländischen, slowakischen und maltesischen Ratsvorsitzes

3. Punkt: Außen- und Europapolitischer Bericht 2014 der Bundesregierung

4. Punkt: EU-Arbeitsprogramm 2016; Bericht des Bundesministers für Europa, Inte­gration und Äußeres

5. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Scheidemünzengesetz 1988 und das Bundes­haftungsobergrenzengesetz geändert werden

6. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz zur Schaffung einer Abbaueinheit geändert wird

7. Punkt: EU-Jahresvorschau 2016 des Bundesministeriums für Finanzen

8. Punkt: Bundesgesetz über den Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR-Gesetz)

9. Punkt: Strategische Jahresplanung 2016 des Bundesministeriums für Bildung und Frauen auf der Grundlage des Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission und des Arbeitsprogramms der niederländischen Präsidentschaft sowie des 18-Monats­programms der niederländischen, slowakischen und maltesischen Präsidentschaften

10. Punkt: Bericht der Bundesregierung betreffend den Abbau von Benachteiligungen von Frauen (Berichtszeitraum 2013–2014)

*****

Inhalt

Bundesrat

Erklärung des Landeshauptmannes von Salzburg Dr. Wilfried Haslauer gemäß § 38 Abs. 3 GO-BR zum Thema „Sicherheit, Planbarkeit und Verlässlichkeit“ – Bekanntgabe .............................. 9


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 2

Verlangen auf Durchführung einer Debatte gemäß § 38 Abs. 4 der Geschäfts­ordnung                  9

Landeshauptmann Dr. Wilfried Haslauer .................................................................... 9

Debatte:

Edgar Mayer ............................................................................................................ ..... 14

Mag. Susanne Kurz ................................................................................................ ..... 16

Gerhard Dörfler ....................................................................................................... ..... 20

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ..... 23

Schreiben des Generalsekretärs für auswärtige Angelegenheiten gemäß Arti­kel 50 Abs. 5 Bundes-Verfassungsgesetz betreffend Erteilung der Vollmacht zur Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Republik Kuba über die Rechtshilfe in Strafsachen durch den Herrn Bundespräsidenten ............................................................................. 59

Personalien

Verhinderungen ................................................................................................................ 9

Ordnungsruf ................................................................................................................. 141

Fragestunde (168.)

Justiz ............................................................................................................................. 26

Mag. Klaus Fürlinger (1881/M-BR/2016); Adelheid Ebner, Werner Herbert, David Stögmüller

Mag. Susanne Kurz (1878/M-BR/2016); Peter Oberlehner, Gerd Krusche, David Stögmüller

Monika Mühlwerth (1884/M-BR/2016); Ing. Andreas Pum, Ana Blatnik, David Stögmüller

Mag. Dr. Ewa Dziedzic (1885/M-BR/2016); Ferdinand Tiefnig, Inge Posch-Gruska, Peter Samt

Dr. Andreas Köll (1882/M-BR/2016); Elisabeth Grimling, Monika Mühlwerth, Mag. Nicole Schreyer, Mag. Gerald Zelina

Renate Anderl (1879/M-BR/2016); Marianne Hackl, Hans-Jörg Jenewein, Mag. Dr. Ewa Dziedzic

Armin Forstner, MPA (1883/M-BR/2016); Mag. Daniela Gruber-Pruner, Mag. Michael Raml, Dr. Heidelinde Reiter

Martin Weber (1880/M-BR/2016); Anneliese Junker, Werner Herbert, Dr. Heide­linde Reiter

Bundesregierung

Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Aufenthalt eines Mitgliedes der Bundesregierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ............................................................. 58

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse ............................................................................ 63


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 3

Ausschüsse

Zuweisungen .................................................................................................................. 57

Dringliche Anfrage

der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an den Bun­desminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend: Roter Pen­sionstransfer zwischen Bank Austria und Pensionsversicherungsanstalt (3130/J-BR/2016) ........................................................ 124

Begründung: Hans-Jörg Jenewein ............................................................................ 124

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ................................................................... 128

Debatte:

Ing. Bernhard Rösch .............................................................................................. ... 131

Mag. Klaus Fürlinger .............................................................................................. ... 133

Renate Anderl ......................................................................................................... ... 134

David Stögmüller .................................................................................................... ... 135

Rene Pfister ............................................................................................................. ... 136

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ... 137

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ................................................................ ... 138

Günther Novak ........................................................................................................ ... 139

Hans-Jörg Jenewein ............................................................................................... ... 140

Ana Blatnik .................................................................................................................. 141

Verhandlungen

1. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 24. Februar 2016 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem zur Linderung der Inflationsfolgen bei den Wohnkosten das Richtwertgesetz geändert wird (2. Mietrechtliches Inflationslinderungsgesetz – 2. MILG) (998 d.B. und 1010 d.B. sowie 9535/BR d.B.)                       63

Berichterstatterin: Renate Anderl ................................................................................. 63

Redner/Rednerinnen:

Gregor Hammerl ..................................................................................................... ..... 64

Mag. Susanne Kurz ................................................................................................ ..... 65

Ing. Bernhard Rösch .............................................................................................. ..... 67

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ........................................................................................... ..... 68

Mag. Gerald Zelina .................................................................................................. ..... 69

Bundesminister Dr. Wolfgang Brandstetter ........................................................ ..... 71

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 72

2. Punkt: Jahresvorschau des BMJ auf Grundlage des Legislativ- und Arbeits­pro­gramms der Europäischen Kommission für 2016 sowie des Achtzehnmonats­pro­gramms des niederländischen, slowakischen und maltesischen Ratsvorsitzes (III-577-BR/2016 d.B. sowie 9536/BR d.B.) ...................... 72

Berichterstatterin: Renate Anderl ................................................................................. 72

Redner/Rednerinnen:

Mag. Michael Raml ....................................................................................................... 72

Edgar Mayer .................................................................................................................. 74

Mag. Susanne Kurz ................................................................................................ ..... 75


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 4

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ........................................................................................... ..... 77

Bundesminister Dr. Wolfgang Brandstetter ........................................................ ..... 79

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-577-BR/2016 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................... 80

3. Punkt: Außen- und Europapolitischer Bericht 2014 der Bundesregierung (III-568-BR/2015 d.B. sowie 9542/BR d.B.) ................................................................................................................. 80

Berichterstatter: Peter Oberlehner ............................................................................... 80

Redner/Rednerinnen:

Christoph Längle .................................................................................................... ..... 80

Mag. Ernst Gödl ...................................................................................................... ..... 83

Hubert Koller ........................................................................................................... ..... 86

David Stögmüller .................................................................................................... ..... 89

Bundesminister Sebastian Kurz ........................................................................... ..... 90

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-568-BR/2015 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................... 91

4. Punkt: EU-Arbeitsprogramm 2016; Bericht des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres (III-576-BR/2016 d.B. sowie 9543/BR d.B.) ......................................................................... 92

Berichterstatter: Gerhard Schödinger ......................................................................... 92

Redner/Rednerinnen:

Christoph Längle .................................................................................................... ..... 92

Ing. Eduard Köck .................................................................................................... ..... 94

David Stögmüller .................................................................................................... ..... 97

Mag. Michael Lindner ............................................................................................. ..... 99

Bundesminister Sebastian Kurz ........................................................................... ... 102

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-576-BR/2016 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................. 105

Gemeinsame Beratung über

5. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 24. Februar 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Scheidemünzengesetz 1988 und das Bundeshaf­tungsober­grenzengesetz geändert werden (995 d.B. und 1001 d.B. sowie 9539/BR d.B.) .................................................................................... 105

Berichterstatter: Martin Weber ................................................................................ ... 105

6. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 24. Februar 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz zur Schaffung einer Abbaueinheit geändert wird (1002 d.B. sowie 9540/BR d.B.)              ............................................................................................................................. 105

Berichterstatter: Martin Weber .................................................................................... 105

Redner/Rednerinnen:

Mag. Reinhard PisecBA ....................................................................................... ... 106

Peter Oberlehner .................................................................................................... ... 108

Ewald Lindinger ...................................................................................................... ... 109

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ... 110

Peter Heger .............................................................................................................. ... 111

Bundesminister Dr. Johann Georg Schelling ..................................................... ... 112


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 5

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 5, gegen den vorlie­genden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 113

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 6, gegen den vorlie­genden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................. 113

7. Punkt: EU-Jahresvorschau 2016 des Bundesministeriums für Finanzen (III-583-BR/2016 d.B. sowie 9541/BR d.B.) ............................................................................................................... 114

Berichterstatter: Martin Weber .................................................................................... 114

Redner/Rednerinnen:

Gerd Krusche .......................................................................................................... ... 114

Sonja Zwazl ............................................................................................................. ... 116

Ewald Lindinger ...................................................................................................... ... 117

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ... 119

Bundesminister Dr. Johann Georg Schelling ..................................................... ... 121

Mag. Gerald Zelina .................................................................................................. ... 123

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-583-BR/2016 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................. 124

8. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 24. Februar 2016 betreffend ein Bun­des­gesetz über den Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR-Gesetz) (999 d.B. und 1007 d.B. sowie 9537/BR d.B.)                142

Berichterstatter: Rene Pfister ...................................................................................... 142

Redner/Rednerinnen:

Peter Samt ............................................................................................................... ... 142

Elisabeth Grimling .................................................................................................. ... 144

David Stögmüller .................................................................................................... ... 144

Sonja Zwazl ............................................................................................................. ... 146

Bundesministerin Gabriele Heinisch-Hosek ....................................................... ... 147

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................................................... 148

9. Punkt: Strategische Jahresplanung 2016 des Bundesministeriums für Bildung und Frauen auf der Grundlage des Arbeitsprogramms der Europäischen Kom­mission und des Arbeitsprogramms der niederländischen Präsidentschaft sowie des 18-Monatsprogramms der niederländischen, slowakischen und maltesischen Präsidentschaften (III-573-BR/2016 d.B. sowie 9538/BR d.B.) ............. 148

Berichterstatterin: Elisabeth Grimling ........................................................................ 148

Redner/Rednerinnen:

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ... 149

Inge Posch-Gruska ................................................................................................. ... 151

Anneliese Junker .................................................................................................... ... 154

Mag. Nicole Schreyer ............................................................................................. ... 156

Bundesministerin Gabriele Heinisch-Hosek ....................................................... ... 158

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-573-BR/2016 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................. 160

10. Punkt: Bericht der Bundesregierung betreffend den Abbau von Benach­teil­igungen von Frauen (Berichtszeitraum 2013–2014) (III-565-BR/2015 d.B. sowie 9544/BR d.B.) ............... 160


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 6

Berichterstatterin: Adelheid Ebner ............................................................................. 160

Redner/Rednerinnen:

Rosa Ecker .................................................................................................................. 160

Ana Blatnik .................................................................................................................. 162

Marianne Hackl ........................................................................................................... 164

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ........................................................................................... ... 166

Mario Lindner .......................................................................................................... ... 168

Bundesministerin Gabriele Heinisch-Hosek ....................................................... ... 170

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-565-BR/2015 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................. 171

Eingebracht wurden

Anfragen der Bundesräte

Gerd Krusche, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend Schubhaftzentrum Vordernberg (3114/J-BR/2016)

Mag. Michael Raml, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend Medienberichterstattung über ausländische Straftäter (3115/J-BR/2016)

Arnd Meißl, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend Einsatz von Mitteln der Breitbandmilliarde in der Steiermark (3116/J-BR/2016)

Peter Samt, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend Asylheim im ehemaligen Andritzer Seniorenzentrum (Bezirk Graz) (3117/J-BR/2016)

Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend Polizeieinsätze im Umfeld des Bacherplatzes (3118/J-BR/2016)

Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend Polizeieinsätze im Umfeld des Platzes „Am Hundsturm“ in Wien-Margareten (3119/J-BR/2016)

Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend Polizeieinsätze im Umfeld des Einsiedlerparks (3120/J-BR/2016)

Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend Polizeieinsätze im Umfeld der Wiener U-Bahnstation Margaretengürtel (3121/J-BR/2016)

Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend Polizeieinsätze im Umfeld des Bruno-Kreisky-Parks (3122/J-BR/2016)

Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend Polizeieinsätze im Umfeld des Willi-Frank-Parks (3123/J-BR/2016)

Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend Polizeieinsätze im Umfeld des Rudolf-Sallinger-Parks (3124/J-BR/2016)

Gottfried Kneifel, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien betreffend denkmalgeschützte Objekte (3125/J-BR/2016)


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 7

David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend Landesstraße B 148 und polizeiliche Kontrollen (3126/J-BR/2016)

David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend „Community Bürger“ (Pilotprojekt zur Stärkung des Sicherheitsgefühls) – im Bezirk Schärding (3127/J-BR/2016)

Mag. Dr. Ewa Dziedzic, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Justiz betreffend rechtliche Benachteiligung von Kindern in getrennten Regenbogenfamilien (3128/J-BR/2016)

Ferdinand Tiefnig, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Gesundheit betreffend Hausapotheken (3129/J-BR/2016)

Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend roten Pensionstransfer zwischen Bank Austria und Pensionsversicherungsanstalt (3130/J-BR/2016)

Dr. Magnus Brunner, LL.M, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Bildung und Frauen betreffend Bestellung einer Schuldirektorin der HLW Rankweil: Warten auf Godot? (3131/J-BR/2016)

Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend Reinigung (von) Flüchtlingsunterkünften (3132/J-BR/2016)

Mag. Dr. Ewa Dziedzic, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Bildung und Frauen betreffend Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans* und inter* (LSBTI) Jugendlichen und jungen Erwachsenen (3133/J-BR/2016)

Mag. Dr. Ewa Dziedzic, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Ge-sundheit betreffend psychische Gesundheit und Lebenswelten von lesbischen, schwu­len, bisexuellen, trans* und inter* (LSBTI) Jugendlichen und jungen Erwachsenen (3134/J-BR/2016)

Mag. Dr. Ewa Dziedzic, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Fa­milien und Jugend betreffend Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bi­sexu­el­len, trans* und inter* (LSBTI) Jugendlichen und jungen Erwachsenen (3135/J-BR/2016)

Anfragebeantwortungen

des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz auf die Anfrage der Bundesräte Sonja Ledl-Rossmann, Kolleginnen und Kollegen betreffend „ESF-Strategie Tirol 2020“ (2874/AB-BR/2016 zu 3100/J-BR/2015)

des Bundesministers für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien auf die Anfrage der Bundesräte Mag. Dr. Ewa Dziedzic, Kolleginnen und Kollegen betreffend Implemen­tierung von LGBT Rechten in den NAP Menschenrechte (2875/AB-BR/2016 zu 3101/J-BR/2015)

des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres auf die Anfrage der Bundesräte Mag. Dr. Ewa Dziedzic, Kolleginnen und Kollegen betreffend Implemen­tierung von LGBT Rechten in den NAP Menschenrechte (2876/AB-BR/2016 zu 3102/J-BR/2015)

der Bundesministerin für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Arnd Meißl, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend Vergewaltigung einer 13-jährigen Syrerin durch ihren 26-jährigen Ehemann (2877/AB-BR/2016 zu 3104/J-BR/2015)


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 8

der Bundesministerin für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend Dienst-Fahrzeuge (2878/AB-BR/2016 zu 3106/J-BR/2015)

der Bundesministerin für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen betreffend Verfügbarkeit der Tretgitter der LPD Wien (2879/AB-BR/2016 zu 3107/J-BR/2015)

der Bundesministerin für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Gerd Krusche, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend Missstände im „Asyl-Großquartier“ Leoben (2880/AB-BR/2016 zu 3103/J-BR/2015)

des Bundesministers für Justiz auf die Anfrage der Bundesräte Arnd Meißl, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend Vergewaltigung einer 13-jährigen Syrerin durch ihren 26-jährigen Ehemann (2881/AB-BR/2016 zu 3105/J-BR/2015)


 


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 9

09­.01.43Beginn der Sitzung: 9.02 Uhr

 


Präsident Josef Saller: Ich eröffne die 851. Sitzung des Bundesrates.

Das Amtliche Protokoll der 850. Sitzung des Bundesrates vom 11. Februar 2016 ist aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gilt daher als genehmigt.

Als verhindert gemeldet sind die Mitglieder des Bundesrates Gottfried Kneifel, Sonja Ledl-Rossmann, Arnd Meißl, Martin Preineder, Stefan Schennach und Sandra Kern.

Ich begrüße den Herrn Landeshauptmann von Salzburg Dr. Wilfried Haslauer sehr herzlich. (Allgemeiner Beifall.)

Ebenfalls sehr herzlich begrüße ich Herrn Bundesminister Dr. Wolfgang Brandstetter. (Allgemeiner Beifall.)

09.02.59Ankündigung einer Erklärung des Landeshauptmannes von Salzburg
gemäß § 38 Abs. 3 GO-BR

 


Präsident Josef Saller: Ich gebe bekannt, dass Landeshauptmann Dr. Wilfried Haslauer seine Absicht bekundet hat, eine Erklärung gemäß § 38 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates zum Thema „Sicherheit, Planbarkeit und Verlässlichkeit“ abzugeben.

Es liegt mir hiezu ein schriftliches Verlangen im Sinne des § 38 Abs. 4 der Geschäfts­ordnung des Bundesrates vor, im Anschluss an die vom Herrn Landeshauptmann abgegebene Erklärung eine Debatte durchzuführen. Das Verlangen ist ausreichend unterstützt, ich werde diesem daher stattgeben.

Ich erteile nunmehr Herrn Landeshauptmann Dr. Haslauer zur Abgabe seiner Erklä­rung das Wort. – Bitte, Herr Landeshauptmann.

09.03.33Erklärung des Landeshauptmannes von Salzburg zum Thema „Sicherheit, Planbarkeit und Verlässlichkeit“

 


9.03.37

Landeshauptmann von Salzburg Dr. Wilfried Haslauer: Sehr geehrter Herr Prä­sident! Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Es ist mir eine große Aus­zeich­nung, hier im Parlament vor dem Bundesrat sprechen zu dürfen – einem Bundesrat, der als Länderkammer für die föderalen Interessen der Republik eintritt, mit Bundes­räten und Bundesrätinnen, die sich im gleichen Maße beidem verpflichtet fühlen, nämlich sowohl ihrer politischen Zugehörigkeit als auch ihrem eigenen Bundesland.

Zugleich ist es mir ein Anliegen, Bundesrat Sepp Saller zur Übernahme des Vorsitzes im Bundesrat zu gratulieren und ihm für diese Funktion alles erdenklich Gute zu wünschen. Ich nütze die Gelegenheit, und es sei mir gestattet, auch die Salzburger Bundesräte herzlich zu grüßen: Susanne Kurz, Heidi Reiter, Dietmar Schmittner.

Trotz der klugen Konstruktion unseres Parlaments, das aus Nationalrat, Bundesrat und Bundesversammlung besteht, brauchen wir uns, meine Damen und Herren, nicht der Illusion hinzugeben, dass der Föderalismus und die Bundesländer als solche von medialem oder öffentlichem Rückenwind getragen werden. Dabei spielt möglicher­weise das Phänomen eine Rolle, dass jene Journalisten, Politiker oder führenden Be­am­ten, die aus den Bundesländern nach Wien kommen, mit der Zeit selbst zu aus­geprägten Zentralisten werden, was wohl – und das füge ich verständnisvoll hinzu – mit Gestaltungswillen und mühseligen Erfahrungen zu tun hat, gesamtstaatliche Notwendigkeiten über partikulare Länderinteressen hinweg umzusetzen.


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 10

Ich selbst bin allerdings ein überzeugter Föderalist. Das hat nicht nur mit der Tatsache zu tun, dass diese Republik zweimal von den Bundesländern gegründet wurde – was die Republik undankbarerweise immer wieder zu vergessen scheint –, nein, auch europäische Erfahrungen zeigen, dass föderal organisierte Staaten zu den besonders erfolgreichen zählen. Es sind dies vor allem folgende vier: Schweiz, Deutschland, Belgien und eben Österreich.

Auf das vielfach gehörte Argument, Österreich wäre doch viel zu klein, um sich neun Bundesländer mit neun Landesregierungen und neun Landesparlamenten zu leisten, möchte ich zunächst erwidern, dass dieser technokratische Ansatz ein beredtes Beispiel dafür ist, dass der Technokrat von allem zwar den Preis, aber nicht immer den Wert weiß.

Die Schweiz mit rund einer Million Einwohnern weniger als Österreich verfügt über 26 Kantone und ist offensichtlich nicht zu klein dafür. Das deutsche Bundesland Saarland ist kleiner als Vorarlberg; Thüringen und Schleswig-Holstein sind kleiner als die Steiermark; Hessen und Rheinland-Pfalz sind etwa gleich groß wie Niederöster­reich.

Schließlich geht es in der Verfasstheit eines Staates nicht nur um organisatorisches, infrastrukturelles sowie rechtliches Funktionieren, sondern auch um ein hohes Maß an Emotionalität, die letztlich das Genom der Identität eines Staatsvolks ausmacht.

Es ist nun einmal aufgrund der historischen Entwicklung eine Tatsache, dass ein Tiroler, ein Steirer oder ein Salzburger sich eben zunächst als Tiroler, Steirer oder Salz­burger fühlt – und dann erst als Österreicher und als Europäer. Den Menschen diese Form von Bindung – übrigens auch an die eigene Gemeinde – zu nehmen, indem die Bundesländer ihrer Funktion beraubt würden, würde bedeuten, die Men­schen in unserem Land ärmer zu machen, ihnen etwas zu nehmen, was ihnen bewusst oder unbewusst wichtig ist, sie stolz macht, Sicherheit und Halt, aber auch Aufgabe gibt.

Wie wichtig ist es etwa für einen Oberösterreicher oder für einen Vorarlberger, im nationalen Kontext sein Bundesland ganz vorne zu sehen? Wie viel Stolz liegt in den Menschen, wenn aus ihrem Bundesland besondere Leistungen in Sport, Kultur, Wis­senschaft und Forschung oder Wirtschaft erbracht werden? Ist nicht Stolz eine Basis dafür, zu bleiben, an Zukunft zu glauben, zu investieren und motiviert zu werden, noch besser zu sein?

Es gibt in dieser Republik Österreich keinen Quadratzentimeter und keine Person außerhalb einer Gemeinde und außerhalb eines Bundeslandes. Von jeher war Subsi­diarität, also das Zuteilen von Aufgabenverantwortlichkeiten in die jeweils nächste Ebene, also von der Familie über die Gemeinde, das Bundesland bis hin zur Republik und letztlich zur Europäischen Union, ein strukturelles Erfolgsgeheimnis. Und genau darum geht es: um Nähe, um das Wissen um Besonderheiten und Notwendigkeiten in einem Bundesland, um die eigenen Stärken, die ausgebaut, aber auch die Hilfsnot­wen­digkeiten, die unterstützt werden müssen.

In Wien, unserer prachtvollen Hauptstadt, leben rund 1,7 Millionen Menschen, also rund 20 Prozent von 8,5 Millionen Österreicherinnen und Österreichern. Mit anderen Worten: Außerhalb Wiens leben 80 Prozent der Menschen, und diese 80 Prozent leben in völlig anderen Lebensumständen als in einer Großstadt. Sie leben in Gemeinden unterschiedlicher Größe, mit unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen. Viele müssen zur Arbeit auspendeln, viele Gemeinden sind auch noch landwirtschaftlich geprägt, Brauchtum und Tradition spielen eine wichtige Rolle, Nachbarschaft und einander zu kennen, hat einen ganz anderen Stellenwert als die, oft auch befreiende, Anonymität der Großstadt.


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 11

Die Menschen prägt wohl am meisten über lange Zeitspannen das Klima und die Geografie. So kann für jedes Bundesland, für jede Region eine unterschiedliche Cha­rak­teristik festgemacht werden, die sich vom burgenländischen Weinbauern, dort, wo die Pannonische Tiefebene beginnt, bis zum Vorarlberger Sparmeister, vom tüchtigen Niederösterreicher bis zum heimatbewussten Steirer zieht. Auf dem Land gibt es lange Verkehrswege, schwierige Topografien, prägenden Tourismus, Naturkatastrophen wie Lawinen, Vermurungen, Überschwemmungen, oft auch das Nichterreichen einer kriti­schen Masse an Bevölkerung.

Dominiert der Rechenstift, dann müsste zum Beispiel im kleinen Bezirk Lungau im Salzburger Land mit nur 20 000 Einwohnern das Spital genauso zugesperrt, wie das Bezirksgericht geschlossen werden. Die hervorragenden Schulen in diesem Bezirk tragen nur zur Landflucht bei – also zusperren. Für Wahlergebnisse uninteressant, wirt­schaftlich kaum entwickelbar – das weitere Schicksal also: ein reiner Erholungsraum für die Städter und sonst nichts?

Nein, auch diese Menschen haben ein Recht auf Zukunft, auf Infrastruktur vor Ort, auf Entwicklung, auf Kranken- und Altenbetreuung, auf Rechtsprechung, auf eine eigene Identität, zum Beispiel eben jene der Lungauer, die nicht nur in einer folkloristischen Verklärung ihrer Region, sondern vor allem auch in Chancen und Lebensperspektiven bestehen muss.

Darum geht es: um Nähe, um das Erkennen von Stärken und Schwächen, um Erreich­barkeit, um Ansprechbarkeit, um rasche Entscheidungen. Dafür steht der Födera­lis­mus. Dafür müssen die Länder, ihre Landesregierungen und ihre Landtage stehen, denn das Gegenteil von Nähe heißt Entfernung oder politisch übersetzt Entfremdung.

Die kritische Frage muss gestellt werden: Wie weit hat sich Wien – und damit meine ich nicht die Stadt Wien und ihre Bevölkerung, sondern die Bundesregierung und mög­licherweise auch dieses Parlament – von diesen Regionen, von diesen Menschen in unserer Republik, also in den Bundesländern entfernt? Wie weit ist die Entfremdung bereits fortgeschritten? Diese Frage ist umso berechtigter, wenn man sie Richtung Brüssel adressiert.

Damit bin ich bei einem ganz wesentlichen Punkt angelangt, meine Damen und Her­ren, nämlich bei der gegenwärtigen Krise der repräsentativen Demokratie. Hat diese nicht vor allem auch damit zu tun, dass viele Menschen sich nicht mehr ausreichend vertreten, wahrgenommen oder in ihrem Tun und Sein wertgeschätzt fühlen? Hat es nicht auch damit zu tun, dass bei vielen Menschen ein Gefühl der Ohnmacht und der latenten Unzufriedenheit über die Organisation, die Reformkraft, aber auch die Ent­scheidungsstärke unseres Staatswesens empfunden wird?

Diese Phänomene sind eigentlich vor allem deshalb bemerkenswert, weil wir in einem im internationalen Vergleich insgesamt doch recht erfolgreichen Staat leben dürfen, mit einem in den Epochen unserer Geschichte bisher nie gekannten Wohlstand – nicht nur für wenige, sondern für sehr viele. Woran liegt es, dass Larmoyanz, Wohlstands­nörgelei und Empörungskultur immer mehr die Oberhand gewinnen, so als wären wir auf einem sinkenden Schiff, das keine Zukunft hat?

Der Versuch einer Antwort kann nur fragmentarisch sein; er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Der eine Grund liegt wohl in einem Missverständnis, nämlich dem, dass Glück mit Wohlstand zu tun hat. Die Werbung, vielmehr aber auch die Politik, verspricht den Menschen Glück. Es ist der große Irrtum unserer Generation, das Ziel unseres Lebens in der zwanghaften Jagd nach vermeintlichem Glück als angenehmem Dauerzustand zu sehen; es gibt – wenn man Glück hat – immer wieder Grund zum Glücklichsein,


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durch glückhafte Momente, die aus dem Alltag herausragen, die uns die Besonderheit und Einmaligkeit unserer Existenz wahrnehmen lassen. Wie groß ist doch die Ver­suchung für die Politik, den Menschen politisch vorzuschreiben, wie sie denn glücklich zu sein haben? – Was für eine wunderbare Voraussetzung für das eigene Scheitern!

Ein weiterer Grund mag darin liegen, dass die politischen Lager in Auflösung begriffen sind, eine Entwicklung, deren Kenntnisnahme politische Parteien und andere bedeu­tende Interessenorganisationen verweigern. Der politische Alltag besteht immer noch im Kampf unterschiedlicher Lager gegeneinander. Die gelebte Wirklichkeit geht aber in eine ganz andere Richtung, nämlich ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen, wie dies Bruno Kreisky einmal formuliert hat. Aus dieser Realitätsverweigerung stammt der lähmende politische Streit, der primär der Existenz- und Positionensicherung zu dienen scheint und weniger dem Ringen um gute Sachlösungen. Dazu kommt, dass jede in der Sache richtige Sachdiskussion medial sofort zur Spannung, zum Knatsch, zu einem Streit hochstilisiert wird und man sich auch medial des Eindrucks nicht erwehren kann, dass es vor allem darum geht, Auseinandersetzung und vermeintlichen Streit zu provozieren oder diesen in etwas hineinzuinterpretieren.

Übrig bleibt, dass die Sehnsucht nach Zusammenarbeit, Gestaltung, Lösung der Prob­leme, auch wenn diese Lösungen manchmal schmerzlich sind, nicht befriedigt wird. In der kurzlebigen Schlagzeilenkultur der politischen Gestaltung geht es oft um mehr Sprachpolitik als Sachpolitik, und es sollte doch genau umgekehrt sein. Manch­mal hat man den Eindruck, dass kurzfristige taktische Manöver strategisches Heran­gehen ersetzen, also den Weitblick auf langfristige Entwicklungen, die auch über die Bewäh­rungsprobe eines nächsten Wahltags hinausgehen.

Dies ist doppelt problematisch, weil wir in unserem Bevormundungs- und Behütungs­staat begonnen haben – über Jahrzehnte –, dem Einzelnen Verantwortung für sich selbst abzunehmen und die Gefühlslage vieler Menschen angesichts dieses Verant­wor­tungstransfers auf den Staat jetzt auf ein Vakuum stößt, nämlich dass Politik in den verschiedensten Bereichen als verantwortungsfrei oder gar verantwortungslos empfunden wird.

Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Zu Jahresbeginn habe ich den Vorsitz in der Landeshauptleutekonferenz übernommen. Ich habe den Vorsitz unter das Motto „Sicherheit, Verlässlichkeit und Planbarkeit“ gestellt. Aus den Defiziten unseres Staates, die ich vorhin erwähnt habe – ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständig­keit –, erschließt sich doch ganz klar die Erkenntnis, dass Vertrauen und Sicherheit, Verlässlichkeit und Planbarkeit die Währung unserer Zeit sind.

Permanente Gesetzesänderungen, Novellierungen in kurzer Abfolge, anlassbezogene Regelungen untergraben das Vertrauen in Rechtsstaatlichkeit, geben keine Investi­tions­sicherheit und greifen in Lebensplanung ein. Unverständliche Gesetzessprache, eine Gesetzesflut, die nur mehr eine kleine, auserwählte Schar von Spezialisten zu verstehen imstande ist, ist intransparent und undemokratisch.

Finanzielle Stabilität ist die Voraussetzung für Planbarkeit, womit ich beim Finanzaus­gleich angelangt bin. Die Aufgaben der Bundesländer im Bereich des Sozialwesens, der Gesundheit, der Bildung, der Kultur, der Agrarwirtschaft, des Landschafts- und Umweltschutzes, des Arbeitsmarkts sind umfassend; sie sind klassische Felder der Daseinsvorsorge, wie etwa auch im Bereich der Schulen, Kindergärten und Senioren­be­treuung.

Dies ist ohne ausreichende finanzielle Ressourcen nicht möglich. Ich möchte hier mit aller Klarheit betonen, dass der Finanzausgleich kein Geschenk des Bundes an die Länder und Gemeinden ist, sondern dass es um eine gerechte, aufgabenbezogene Verteilung der Ressourcen zur Bewältigung der vielfältigen Aufgaben, die zugunsten


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unserer Bürgerinnen und Bürger zu erfüllen sind, geht. (Beifall bei ÖVP und SPÖ, bei Bundesräten der Grünen sowie der Bundesrätin Ecker.)

Da ist auf Augenhöhe zu verhandeln, und da kann es keine an der Verfassung vorbei­laufende Zentralisierung geben.

Ganz kurz möchte ich auch auf das Thema Flüchtlingsproblematik eingehen, und zwar sowohl auf Transitflüchtlinge als auch jene Menschen, die bei uns um Asyl einkommen. Bitte machen Sie sich die Tatsache bewusst, dass von den rund 88 000 Grund­versor­gungsquartieren 81 000 von Ländern und Gemeinden geschaffen wurden, also im Bereich einer eindeutig dem Bund zustehenden Aufgabe! Bitte machen Sie sich ferner bewusst, dass aufgrund der Artikel-15a-Vereinbarung die Länder 40 Prozent der dabei auflaufenden Kosten übernehmen, obwohl dies ebenfalls eine eindeutige Bundesange­legenheit wäre!

Mir geht es darum, dass die Länder sich in Fragen gesamtstaatlicher Bedeutung, wie etwa in Angelegenheiten der Flüchtlingspolitik, der Bildungspolitik oder der Sicherheits­politik, konstruktiv einbringen. Dies ist im Wege der Vorbereitung zum Asylgipfel am 20. Jänner 2016 meines Erachtens gelungen. Auch die Bildungsreform ist auf einem guten, gemeinschaftlichen Weg, und was Sicherheit und Integration betrifft, müssen wir uns von der Illusion verabschieden, dass Sicherheit und Integration kein Geld kosten würden.

Sicherheit ist wie eine Feuerversicherungspolizze. Über die Zahlung der vorgeschrie­benen Prämie ärgert man sich jedes Jahr, wenn es aber brennt und man wäre nicht versichert, wäre die Katastrophe perfekt. Und Integration ist einfach keine Kosten­position, sondern eine Investition in Menschen, in die Zukunft. In beiden Bereichen müssen wir mehr Geld in die Hand nehmen, um gerüstet zu sein, aber auch um Zukunft zu ermöglichen, und zwar in unserem ureigensten Interesse.

Meine Damen und Herren! Heuer sind es 200 Jahre, dass Salzburg nach 500-jähriger staatlicher Selbständigkeit zu Österreich kam. In nur rund 15 Jahren – damals, um 1816 – ist dieses über 500 Jahre selbständige, selbstbewusste, aus Gold-, Silber- und Salzbergbau enorm vermögende, kulturell hochstehende Land durch Kriege, Beset­zungen und Plünderungen völlig verarmt und hat seine staatliche Selbständigkeit verloren, ist im Kaisertum Österreich aufgegangen. Daraus, aber auch aus dem Elend der Flüchtlinge heute, die mit nichts einer ganz ungewissen Zukunft entgegengehen, muss man lernen – lernen, dass unser Wohlstand, unsere Rechtsstaatlichkeit, unsere Freiheit, die Akzeptanz der Würde des Einzelnen, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, unsere sozialen Errungenschaften nicht gottgegeben sind, sondern eine höchst volatile Angelegenheit.

Wir müssen daraus den Schluss ziehen, dass wir uns all dieser Errungenschaften wieder bewusst werden und weiter um sie zu ringen und zu kämpfen haben, um uns nicht selbst aufzugeben.

Genauso ist es jetzt aber auch an uns, um Europa zu kämpfen, das in einer substan­ziellen Solidaritätskrise steckt, und mit Europa nicht das unglaublichste Friedens- und Wohlstandswerk unserer Geschichte aufzugeben.

Dieses Jubiläum, 200 Jahre Salzburg bei Österreich, ist für mich auch eine gute Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass diese Republik im Herzen Europas aus neun Bundesländern besteht – mit all ihren Unterschiedlichkeiten, ihren geschichtlichen, sozialen und kulturellen Besonderheiten. Dieses Jubiläum ist aber auch eine gute Ge­le­genheit, eigene Positionierungen, grotesk anmutende Zuständigkeiten zu hinterfra­gen, ob diese in einem doch überschaubaren Staat wie Österreich noch zeitgemäß


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sind, auch über das Lokalkolorit gelegentlich hinauszutreten und die Frage zu stellen: Was ist denn unsere Gemeinsamkeit?

Wie können wir denn unsere gemeinsame Republik besser dabei unterstützen, die Angelegenheiten dieses Staates effizienter, bürgernäher, zeitgemäßer und kosten­günstiger zu gestalten? Aber auch umgekehrt: Was kann die Bundesebene tun, um die Bundesländer zu unterstützen, die ihnen zugewiesenen Aufgaben bestmöglich zu erfül­len, ohne sie mit Zentralisierungstendenzen und grauem Finanzausgleich zu behin­dern?

Vielleicht gibt dieses Jubiläum Anlass, auch mehr über das Gemeinsame und nicht über das Trennende zu sprechen, etwas tiefer einzudringen. Unsere Zeit bietet Gelegenheit genug. Wie stehen wir etwa zur Würde des Menschen, zum Begriff der Freiheit, der Selbstverantwortung, der Solidarität, der Möglichkeit, jungen Menschen Wege über Bildung und soziale Kompetenz zu eröffnen? Was ist unsere Rolle in Europa und der Welt? – Vielleicht sollten wir vieles neu definieren, um uns mehr dort zu sehen, wo wir uns haben wollen, als in Selbstzweifel und Verdachtslagen zu erstar­ren und zu ersticken.

Wie hat es doch Goethe sinngemäß formuliert: Gehen wir miteinander so um, als wären wir, was wir sein sollten, und wir werden damit erreichen, dass wir werden, was wir sein könnten!

Dabei kommt dem Bundesrat und Ihnen allen, meine geschätzten Damen und Herren, eine wichtige Rolle zu, stehen Sie doch für etwas, auf das wir in der Welt stolz sein können, als Österreicher und Europäer! – Ich danke Ihnen. (Anhaltender allgemeiner Beifall.)

9.22


Präsident Josef Saller: Ich danke dem Herrn Landeshauptmann für seine Ausfüh­rungen.

Bevor wir in die Debatte einsteigen, begrüße ich alle anwesenden Gäste sehr herzlich, im Besonderen den mehrfachen Präsidenten des Bundesrates Ludwig Bieringer. Herz­lich willkommen! Ebenfalls sehr herzlich begrüße ich die Zuseher zu Hause vor den Fernsehgeräten. (Allgemeiner Beifall.)

Wir gehen nun in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mayer. – Bitte.

 


9.23.38

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Lan­deshauptmann! Herr Bundesminister! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Luggi Bieringer! Einen schönen guten Morgen all jenen Zusehern vor den Bildschirmen zu Hause, die die Sitzung des Bundesrates verfolgen!

Eingangs darf ich mich, Herr Präsident und Herr Landeshauptmann, nicht nur namens meiner Fraktion, sondern natürlich auch namens all jener, die gestern diesen wunder­baren Salzburger Abend im Parlament miterleben durften, herzlich für die Einladung bedanken, wissend aber auch, dass wir es mit der Tontechnik wahrscheinlich nicht bis zu den Salzburger Festspielen schaffen werden, aber wir arbeiten daran, Herr Landes­hauptmann. Das darf ich von hier aus versprechen.

Ich darf auch zum Jubiläum 200 Jahre Salzburg bei Österreich gratulieren. Schön, dass ihr sozusagen bei uns geblieben seid und einen wesentlichen Bestandteil unseres österreichischen Staatsgebiets bildet! Das wird sich auch mit verschiedenen Themen, mit verschiedenen Veranstaltungen während des ganzen Jahres hier manifestieren.


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Wir haben ja auch beschlossen, dass wir hier als Staat Österreich einen wesentlichen Beitrag zu diesen Festivitäten leisten werden.

Zu diesem besonderen Jahr gehört – wie sollte es anders sein? – auch die Präsident­schaft von Sepp Saller im Bundesrat, der Vorsitz in der Landeshauptleutekonferenz und zusätzlich auch der Vorsitz in der LandtagspräsidentInnenkonferenz.

Ich darf jetzt aber auch thematisch zur Flüchtlingskrise, so wie es der Herr Landes­hauptmann angesprochen hat, überleiten. Da hat er als Vorsitzender der Landeshaupt­leutekonferenz gezeigt, dass er sich auch im Namen der Länder sehr beim Zustandekommen des Asylgipfels eingebracht hat. Er war damit auch wesentlich daran beteiligt, dass es diesbezüglich mit der Regierung eine Einigung gegeben hat. Das ist wichtig, und es hat sich hier wieder manifestiert, dass dies ohne die verbindenden Kräfte der Länder und natürlich auch der österreichischen Gemeinden nicht in diesem Umfang zustande gekommen wäre.

Die Ergebnisse sind allgemein bekannt. Österreich hat derzeit eine maßgebliche Rolle in der Flüchtlingskrise in Europa eingenommen, insbesondere auch in Mitteleuropa. Ausständig ist das Verhandlungsergebnis mit den Türken, das wissen wir alle. Die einen sprechen von einem Deal, die anderen von einem Kuhhandel, der hier ange­deutet wird. Derjenige, der die Fäden in der Hand hat, ist Erdoğan, ohne die Türken wird eine Lösung der Flüchtlingskrise nicht möglich sein.

Die Bewältigung der Flüchtlingskrise bedeutet aber nicht nur die Kanalisierung der Flüchtlingsströme, sondern da geht es auch um Integration. Ich darf in diesem Zusam­menhang die besondere Rolle der westlichen Bundesländer im Rahmen der Integration hervorheben. So hat Vorarlberg bereits einen Integrationsvertrag beschlos­sen, der von jedem Asylwerber zu unterzeichnen ist. In Salzburg ist ein ähnlicher Vertrag im Entstehen, die sogenannte Integrationscharta, und die wird auch demnächst vorge­stellt. Dabei geht es insbesondere um fordern und fördern.

Die Flüchtlingskrise – das ist mir in diesem Zusammenhang auch besonders wichtig –, die unvorstellbare Ausmaße angenommen hat, wäre ohne die Einsatzorganisationen und die Freiwilligen, die dort Dienst versehen haben, niemals zu bewerkstelligen gewesen. Was Salzburg bei der Flüchtlingskrise insgesamt geleistet hat – ohne jetzt irgendjemanden besonders hervorheben zu wollen –, ist großartig und zeigt auch den humanitären Charakter dieses Bundeslandes. Da kann man applaudieren. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Zelina.) – Man kann alles über den Bundesrat sagen, aber nicht, dass er nicht spontan wäre, Herr Landeshauptmann. (Heiterkeit.)

Wenn es um Flüchtlingspolitik geht, geht es selbstverständlich auch um Sicherheits­politik. Die Flüchtlingskrise hat mehr als deutlich aufgezeigt, dass die Volkspartei mit ihrer Haltung zum Bundesheer und zur Wehrpflicht absolut richtig gelegen ist. Ich möchte hier auch besonders die sicherheitspolitische Rolle des Herrn Landeshaupt­manns Haslauer hervorheben. Was in kurzer Zeit in sehr guter Zusammenarbeit mit Minister Doskozil gelungen ist, nämlich eine Evaluierung der Heeresreform im Hinblick auf die erforderliche Mannstärke zur Bewältigung der Flüchtlingskrise, ist wirklich sehr bemerkenswert: die Rücknahme der Militärreform 2018; die Kasernenschließungen in Horn, Freistadt, Bleiburg, Tamsweg und Lienz werden zurückgenommen; die Verklei­ne­rung der Bataillone ist vom Tisch, Vorarlberg wird zum Beispiel seine Jägerkom­panie 23 behalten dürfen.

Ich sage das jetzt auch als Mitglied der Freunde der Militärmusik: Es wird auch eine Lösung geben, was die Militärmusikkapellen anbelangt. Ja, da kann jetzt der eine oder andere darüber lächeln, aber die Militärmusikkapellen sind ein Teil des Kulturguts Österreichs, ein Teil der kulturellen Identität des Landes und eine Ausbildungsstätte für


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sehr viele gute, junge Musiker. In Vorarlberg geht es um insgesamt 20 Soldaten; diese können auch in anderen Bereichen ihre Verwendung finden.

Das Bundesheer erhält 2016 im Rahmen eines Sonderinvestitionspakets etwa 90 Millionen € mehr als 2015. Diesen Trend gilt es beizubehalten und wenn nötig zu verstärken, denn Sicherheitspolitik braucht auch regionale Strukturen, und die gilt es aber auszubauen.

Eines sei auch allen Bundesräten, die ihre Länder hier im Bundesrat vertreten, ins Stammbuch geschrieben: Wehrpflicht und Freiwilligenwesen sind absolute Eckpfeiler der österreichischen Sicherheitspolitik und müssen endlich auch finanziell wieder entsprechend dotiert werden.

„Sicherheit, Planbarkeit und Verlässlichkeit“, das ist das Motto des Salzburger Vor­sitzes, der Salzburger Präsidentschaft im Bundesrat. Herr Landeshauptmann, ich gebe dir recht, dazu braucht es auch stabile Finanzen, einen Finanzausgleich, der es den Ländern ermöglicht, sich weiterzuentwickeln, und auch Unterstützung bei den Kosten, die auf die Länder zukommen; um ein paar Beispiele zu nennen: Gesundheit, Pflege, Finanzierung der Flüchtlingssituation. Was das anbelangt, braucht es stabile Finanzen und eine entsprechende Unterstützung durch den Bund. Wir sind da, wie schon erwähnt, nicht Bittsteller, sondern wir sind Partner und haben natürlich auch ein Recht auf einen entsprechenden Finanzausgleich. Das kann man nur immer wieder wieder­holen.

Auch im Hinblick auf die besondere Rolle des Tourismus im Westen zum Beispiel – da kann man Tirol, Vorarlberg und Salzburg wirklich in einem Atemzug nennen – ist zu sagen: Es gilt, auch die kleinstrukturierte und mittelbetrieblich strukturierte Wirtschaft zu stärken. Diesbezüglich gibt es auch durchaus Gemeinsamkeiten. Wenn angedacht wird, zusätzliche Belastungen für die Wirtschaft im Bereich der Lkw-Maut zu schaffen, so gibt es mit dieser inzwischen schon berühmten Westachse einen guten Ausgleich zwischen den westlichen Bundesländern, dass man hier auch gemeinsam an einem Strang zieht.

Das ist auch eine Chance, starke regionale Identität und gemeinsamen Einsatz für die ländlichen Regionen zu leben – auch ganz im Sinne, so wie erwähnt, Herr Landes­hauptmann, eines modernen Föderalismus.

Das Jahr 2016 möge für das Land Salzburg ein besonderes werden, das in die Ge­schichtsbücher eingehen soll. Alles Gute! In diesem Sinne, auch mit dem von dir beschriebenen Glück, Glücksgefühle für die Salzburger Präsidentschaft, für 200 Jahre Salzburg bei Österreich! Alles Gute. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie des Bun­desrates Zelina.)

9.31


Präsident Josef Saller: Als Nächste zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Mag. Kurz. – Bitte.

 


9.32.06

Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Landeshauptmann, ich freue mich über Ihr klares Bekenntnis zum Föderalismus und damit verbunden, was das für die Länder und auch für die Bevölkerung im Unterschied zur Bundeshauptstadt bedeutet. Daraus entnehme ich auch Ihr klares Bekenntnis zur Stellung des Bundesrates in unserer Verfassung.

Wir haben ja in Salzburg die besondere Situation, dass wir als kleines Bundesland nur vier Bundesrätinnen und Bundesräte haben, und noch dazu die besondere Situation,


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dass ich, aus der SPÖ kommend, hier im Bundesrat natürlich in einer Koalition mit der ÖVP stehe, im Bundesland Salzburg allerdings in Opposition bin, während die Grünen – meine Kollegin Reiter wird ja nachher noch sprechen – im Bundesland Salzburg in Koalition sind, während sie hier in Opposition sind, und die Freiheitlichen ihren Bundesrat an eine andere Partei verloren haben und somit heute die Freiheit­lichen durch einen ehemaligen Landeshauptmann aus Kärnten hier vertreten sein werden. Also doch eine besondere Situation, die nicht so oft vorkommt.

Aber nun zu Salzburg; ich beschäftige mich in der Hauptsache heute mit Salzburg, weil ich denke, so eine Rede eines Landeshauptmannes und der Vorsitz eines Bun­des­landes sind auch Anlass, sich mit dem eigenen Bundesland zu beschäftigen. Über die Geschichte hat ja der Herr Landeshauptmann schon einiges gesagt. Ich freue mich auch, dass wir dieses 200-Jahr-Jubiläum heuer begehen können, auch wenn ich nicht alle Bestandteile, die damit verbunden sind, für sinnvoll erachte. Aber ich stehe nicht an, zu sagen, dass es viele wichtige und wertvolle Beiträge in diesem Jahr geben wird.

„Sicherheit, Planbarkeit und Verlässlichkeit“ ist das Motto des Salzburger Vorsitzes. Ich denke, es ist ein gut gewähltes Motto, denn es ist das, was sich die meisten Menschen wünschen, nämlich in Sicherheit leben zu können, für sich und ihre Familien das Leben planen und sich darauf verlassen zu können, dass das auch so bleibt. Aber ist das überhaupt möglich in der heutigen Zeit? Und wenn, für wen ist das möglich? Und ist das eigentlich schon alles, was die Menschen von uns erwarten?

Österreich ist ein sicheres Land. Wir wissen das. Das trifft natürlich auch auf Salzburg zu. Ich denke, wir sollten dankbar dafür sein, dass wir seit Jahrzehnten in Sicherheit leben dürfen – ohne Kriege, ohne Terror und viele andere Dinge, die das Leben negativ beeinflussen – und dass wir eigentlich auch damit rechnen können, dass das auch in der kommenden Zeit so bleiben wird.

Haben wir nicht dadurch eine besondere Verantwortung für diejenigen, die nicht in Frieden leben können? Somit komme ich zur Flüchtlingssituation. Wir waren und sind – Kollege Mayer hat dankenswerterweise darauf hingewiesen – in Salzburg durch die Flüchtlingsströme besonders betroffen. Zirka 300 000 Flüchtlinge sind über Salzburg nach Deutschland weitergefahren, weitergereist. Viele, viele Salzburgerinnen und Salzburger haben wochenlang, monatelang bei der Betreuung geholfen. Die Bahnhofs­garage war das Notquartier, der Zugverkehr nach Deutschland eingestellt. Nach wie vor haben und hatten wir in den vergangenen Monaten Grenzkontrollen, lange Warte­zeiten an den Grenzen.

Herr Landeshauptmann! Während bei Ihrer Rede zur Eröffnung der Salzburger Fest­spiele vorigen Sommer noch der Aufruf von Ihnen erfolgte, uns nicht zu fürchten – was wir eigentlich auch nicht getan haben –, wurde ein paar Monate später von Ihnen sozusagen die Reißleine gezogen und auch das Grundrecht auf Asyl in Frage gestellt, was ich damals sehr bedauert habe. Und ich frage mich in diesem Zusammenhang, ob nicht auch Menschen, die aus Kriegsgebieten zu uns flüchten, das Recht auf Sicherheit, Planbarkeit und Verlässlichkeit haben. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Ja, es gibt eine Bundeszuständigkeit, aber es gibt auch eine Länderzuständigkeit. In Salzburg erfüllen wir leider die Quote für die Unterbringung von Asylwerbern nicht, sodass das Bundesministerium für Inneres immer wieder von seinem Durchgriffsrecht Gebrauch machen muss. Viele Gemeinden, auch im Bundesland Salzburg, haben noch immer keine Asylwerber aufgenommen. Als Ressortchef für die Gemeinden wäre es vielleicht gut, hier etwas engagierter zu agieren.

Während die Stadt Salzburg Geld in die Hand nimmt und alle Asylwerberinnen und Asylwerber einen Deutschkurs machen müssen, ist dies im Bundesland gesamt noch immer nicht möglich. So wichtig die Werte sind, zu denen ich auch stehe und die Sie


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 18

durch die Charta vermitteln wollen, so wird Integration doch nur gelingen, wenn der Spracherwerb so rasch wie möglich erfolgt. Die SPÖ in Salzburg hat ja bereits 2015 ein Positionspapier vorgelegt, das viele gute Anregungen und Vorschläge beinhaltet. Mit den meisten werden Sie sicher auch einverstanden sein. Ich denke, es wäre gut, das eine oder andere so rasch wie möglich zu verwirklichen. Salzburg hat genug Kapa­zitäten, finanzielle Mittel und Menschen, die bereit sind, zu helfen, damit diejenigen, die bei uns bleiben wollen, auch bei uns bleiben können und bestens integriert werden.

Vergessen wir nicht – und das gilt jetzt nicht nur für Salzburg –, dass Flüchtlinge der hiesigen Wirtschaft im günstigsten Fall bereits nach vier Jahren mehr Gewinn bringen, als sie Kosten verursachen! Die aktuelle Situation kann sowohl menschlich als auch volkswirtschaftlich eine Chance für uns sein. Damit uns das gelingt, müssen wir jetzt als Politik und Gesellschaft intensiv gemeinsam arbeiten.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Landeshauptmann! Heutzutage geht es nicht nur um Sicherheit, Planbarkeit und Verlässlichkeit, es geht auch mehr denn je um Fairness und Gerechtigkeit und in diesem Zusammenhang um qualitativ gute Arbeits­plätze und um Arbeitsbedingungen, die ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. In ganz Österreich lag die Arbeitslosenquote im Vorjahr bei 9,1 Prozent. Salzburg war im Bundesländerranking mit 5,9 Prozent Arbeitslosigkeit durchaus am besten und weist auch die niedrigste Frauenarbeitslosigkeit auf.

Auch wenn im Februar 2016 zum ersten Mal seit vielen Jahren ein leichter Rückgang der Arbeitslosenzahlen zu bemerken war, so dürfen wir nicht vergessen, dass es über 16 000 Menschen sind, die auch im Bundesland Salzburg nach Arbeit suchen und denen man vielleicht durch Konjunkturbelebung und Investitionen helfen könnte; zum Beispiel durch ein Sonderwohnbauprogramm, das nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch den dringend benötigten Wohnraum in Salzburg bringt. Salzburg hat ja – wir wissen das – die traurige Rolle des Spitzenreiters bei den Mietkosten in Österreich. Ein solches Konjunkturprogramm würde mehr Salzburgerinnen und Salzburgern helfen als wahrscheinlich der von Ihnen immer noch sehr stark favorisierte Gitzentunnel oder die Ortskernbelebung, die eigentlich als Ersatz für die nicht genehmigten Ausbauvorhaben großer Einrichtungen wie EUROPARK oder Outlet-Center gedacht ist.

Die Schaffung von Arbeitsplätzen muss in ganz Österreich, muss aber auch in Salz­burg oberste Priorität haben, und zwar Arbeitsplätze, von denen Frauen und Männer leben können. Salzburgs Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer liegen bei den Einkom­men im Bundesländervergleich nur an vorletzter Stelle. Das bedeutet, dass die Men­schen in Salzburg um ihren Lohn weniger kaufen können als früher. 1 412 € pro Monat hat jede Salzburger Arbeitnehmerin und jeder Salzburger Arbeitnehmer im zuletzt be­rech­neten Wirtschaftsjahr 2014 durchschnittlich verdient. Das liegt 80 € unter dem österreichweiten Schnitt. Seit dem Jahr 2004 sind die Einkommen um fast 1 Prozent gesunken. Die Wirtschaftsleistung in unserem Bundesland ist um 40 Prozent gestie­gen.

Demgegenüber liegt Salzburg aufgrund des teuren Wohnraums bei den Lebenshal­tungs­kosten im Spitzenfeld. (Zwischenruf des Bundesrates Tiefnig.) Bürgermeister Heinz Schaden tut alles und macht ein Wohnbauprogramm. Aber das Bundesland besteht wie auch Österreich, wie der Herr Landeshauptmann ausgeführt hat, nicht nur aus der Landeshauptstadt, sondern auch aus anderen Teilen, die über 500 000 Ein­wohner umfassen. Sehr groß ist es nicht. (Bundesrat Mayer: Das haben wir alles von euch geerbt, gell?)

Herr Kollege Mayer! Ich bin prinzipiell begeisterte Salzburgerin, kenne mein Bundes­land und stehe nicht an zuzugeben, dass es viele gute Dinge gibt, die im Bundesland verwirklicht worden sind, unter unserer Führung und auch unter der jetzigen Führung,


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aber es kann nicht sein, dass man nicht auch die anderen Dinge aufzeigt, ohne dass man gleich irgendwelche seltsame Bemerkungen hört.

Tatsache ist jedenfalls, dass die Lebenshaltungskosten in Salzburg aufgrund des teu­ren Wohnraums im Spitzenfeld liegen, und das kann ja niemand bestreiten.

Salzburg ist ein Hochpreisland, aber leider eben auch ein Niedriglohnland. Das liegt natürlich nicht nur am Herrn Landeshauptmann, das ist schon klar, sondern das liegt an der Wirtschaftslage und der Wirtschaftsstruktur, die Salzburg hat, mit einem über­proportional hohen Anteil im Dienstleistungssektor und da insbesondere im Tourismus. Wir müssen schon auch anmerken, wie sich das in Zukunft auswirken wird. Das bedeutet nämlich viele Arbeitsplätze ohne ganzjährige Beschäftigung. 2014 waren das erste Mal mehr als 50 Prozent, und das ist wirklich ein hoher Prozentsatz, der Arbeit­nehmerinnen und Arbeitnehmer nicht das ganze Jahr in Vollzeitbeschäftigung, Ten­denz weiter sinkend. Also die Hälfte aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Salzburg hat keine ganzjährige Vollzeitbeschäftigung. 100 000 Leute davon verdienen weniger als 1 000 €, und bei den Frauen ist es sogar nur mehr jede Dritte, die Vollzeit arbeitet.

Die Alleinerzieherinnen unter ihnen haben ein hohes Armutsrisiko. Mit einem hohen Armutsrisiko bei Frauen und jungen Familien einher geht ein hohes Risiko für Kinder und Jugendliche. Auch im reichen Salzburg sind Kinder und Jugendliche armuts- und damit auch ausgrenzungsgefährdet und brauchen Unterstützung und Hilfe. Um Frauen, die aufgrund ihrer Lebensumstände besonders benachteiligt und von Armut bedroht sind, stärker in Beschäftigung zu bringen, wird auch weiterhin die Veränderung der Rahmenbedingungen eine große Rolle spielen. Dazu zählen nach wie vor der flächen­deckende Ausbau leistbarer Kinderbetreuungsplätze und natürlich auch eine Verände­rung traditioneller Rollenbilder.

Auch junge Menschen verdienen im Bundesland Salzburg weniger als früher. Wer heute 19 Jahre alt ist, verdient im Durchschnitt um 10 Prozent weniger als ein 19-jähriger Salzburger vor zehn Jahren. Wer 25 bis 29 Jahre alt ist, bei dem sind es immer­hin noch fast 5 Prozent weniger Einkommen als damals. Die neueste Studie der Arbeiterkammer zeigt auch, dass 3 800 Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren sogenannte NEETs sind, also Jugendliche, die keine Ausbildung, keine Beschäftigung haben und in keiner Maßnahme stehen. Da herrscht eindeutig Handlungsbedarf.

Was den Ausländeranteil unter den Beschäftigten betrifft, muss gesagt werden, es waren im Jahr 2014 47 900, also fast 50 000 Nicht-Österreicherinnen und -Österreicher unselbständig erwerbstätig. Sie stellen damit ein Fünftel aller aktiven Beschäftigten. Im Tourismus stellen sie bereits 50 Prozent.

Sehr geehrte Damen und Herren! Hier schließt sich der Bogen wieder, denn vor die­sem Hintergrund bedeutet die Flüchtlingswelle eine gewaltige Herausforderung für den heimischen Arbeitsmarkt, dies in ganz Österreich und somit natürlich auch in Salzburg.

Schutzsuchende müssen Asyl bekommen. Das ist ein Menschenrecht. Und ich gehe davon aus, dass das außer Frage steht. Gerade deshalb braucht es natürlich auch klare und faire Regelungen, was den Zugang von Flüchtlingen und Asylwerbern zum Arbeitsmarkt betrifft. Um Spannungen zu vermeiden, braucht es neben dieser Arbeits­platzbeschaffung, neben einer Bildungsoffensive Investitionen in Wohnbau und Wohn­raum generell, damit jeder Mensch, der in Österreich ist und bleiben darf, auch tatsächlich eine Bleibe hat und auch die heimische Bevölkerung nicht darunter leidet. Parallel dazu ist diese aktive Arbeitsmarktpolitik mitsamt Grundqualifizierungsange­boten natürlich nötig.


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Nach wie vor gibt es viel zu tun in Österreich und auch viel zu tun in Salzburg, damit alle, die in Salzburg leben, das genießen können, was Sie vorgeben, nämlich Sicher-heit, Planbarkeit und Verlässlichkeit. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bun­desräten von ÖVP und Grünen.)

9.45


Präsident Josef Saller: Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Gerhard Dörfler. Ich erteile es ihm.

 


9.45.58

Bundesrat Gerhard Dörfler (FPÖ, Kärnten): Geschätzter Herr Präsident! Herr Nachbar-Landeshauptmann! Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst einmal, lieber Herr Landeshauptmann, darf ich mich bei dir dafür bedanken – ich glaube, wir duzen einander ja noch immer –, dass du ein klares Bekenntnis zum Föderalismus abgelegt hast. Ich will das nicht wiederholen, aber die Nähe zum Bürger ist letztendlich die Kernaufgabe der Politik. Wer zentralisiert, der entfernt sich vom Bürger. Wer zentralisiert, ist weit weg von den Sorgen der Menschen. Und genau der Föderalismus, den wir in Österreich haben, die Struktur Gemeinden, Bezirke, Länder und die Republik Österreich sind der gewohnte Umgang miteinander, damit wir auch entsprechende Zukunftsvisionen finden, aufbauend auf einer Vergangenheit, die ja nicht immer ganz einfach war, wie wir wissen.

Das aktuelle Beispiel zeigt auch, dass Landeshauptleute wesentlich näher am aktuel­len Thema, an den dringend anstehenden Problemen sind als Zentralisten. Ich kann mich noch gut an das Willkommenstraumpaar „Angie und Werner“ erinnern. Alle, die die Flüchtlingsfrage kritisch thematisieren wollten oder über Obergrenzen gesprochen haben, über Zäune geredet haben, eine vertretbare Integration und alles damit Verbun­dene zur Diskussion gestellt haben, wurden – wie hat es der Herr Bundeskanzler gesagt? – als Ausländerfeinde, als Hetzer und was weiß ich was abgetan.

Herr Landeshauptmann, du hast zeitgerecht bereits am 29.7.2015 nach einer Ober­grenze gerufen. Wie ich dich kenne, weiß ich, dass du dir das ja nicht einfach gemacht hast und nicht ein populistisches Asylgeschrei produzieren wolltest, sondern du wolltest zeitgerecht darauf aufmerksam machen, dass die, die die Probleme zu lösen haben, die Gemeinden und die Länder sind, während der Bund verteilt. Wie in Brüssel funktioniert das auch in Österreich nicht wirklich. Interessant ist ja in Salzburg, da gibt es eine grüne Flüchtlingsreferentin, dass ein grüner Gemeinderat in Salzburg gegen ein Massenquartier, das ihm der Bund aufs Aug drückt, protestiert. Dort, wo die Grünen – und das ist vielleicht ein Appell auch an die Grünen – politische Verant­wortung haben, versagen sie, auch wenn sie in der Flüchtlingspolitik alles ständig schönreden. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)

Sie reden alles schön, aber in Salzburg ist nicht der Herr Landeshauptmann Flücht­lingsreferent, sondern ein grünes Regierungsmitglied, das es nicht schafft, in allen Gemeinden die Quoten entsprechend fair aufzuteilen. Das einmal auch zur Politik der Grünen. In der Flüchtlingsfrage schön reden und nichts zusammenbringen, würde ich auf gut Kärntnerisch sagen. (Beifall bei der FPÖ. – Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)

Herr Kollege von den Grünen! Beweisen Sie, was Sie können, dann können Sie dazwi­schenreden! Aber Sie können nichts! Das hat man jetzt eindeutig anhand dieser Salzburger Situation gesehen. (Weitere Zwischenrufe des Bundesrates Stögmüller.)

„Hans im Glück“, schreibt die „Presse“. Ein Kollege, Hans Niessl aus dem Burgenland, wurde vom Wiener Bürgermeister und auch von Bundeskanzler Faymann quasi ins Out der SPÖ gestellt, weil er zeitgerecht auf die Probleme hingewiesen hat: Grenzschutz,


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Obergrenzen, entsprechende Kontrollen und, was ganz wichtig ist, auch der Arbeits­markt. Das sind Positionen, die sich mit den freiheitlichen Positionen decken. Warum? – Weil wir an der Pulsader der Probleme sind und nicht irgendwelchen Träumen nachhecheln. „Willkommen“ ist gescheitert!

In Österreich findet jetzt spät, aber endlich eine Trendumkehr statt. Der „Willkommens-Werner“ wird jetzt auf einmal zum Hardliner. Ich habe ja schon überlegt, ob wir ihm nicht die politische Ehrenbürgerschaft der FPÖ anbieten sollen, denn er hat spät, aber doch erkannt, weil Landeshauptmann Haslauer und auch Landeshauptmann Niessl ihn neben der FPÖ bekehrt haben, dass das notwendig ist. Und das ist ein Erfolg.

Es gibt noch einen zweiten Erfolg. Beim neuen Verteidigungsminister gibt es jetzt die Chance und jedenfalls die Hoffnung, dass es da ein neues Denken rund um das Bundesheer gibt, dies im Gegensatz zu seinen Vorgängern Darabos und dem Elasti­zitätsminister Klug, die das Bundesheer quasi sicherheitsunfähig gemacht haben. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)

Dazu darf ich dir, Herr Landeshauptmann, und deinem Kollegen Hans Niessl auch gratulieren, weil es eben so ist, dass der Föderalismus einmal mehr beweist, dass man dort die Probleme schneller erkennt als Zentralisten, die gerne Probleme schönreden, wegreden und dann an Länder und Gemeinden delegieren. So kann es nicht sein, ein starkes Österreich braucht starke Bundesländer! (Beifall bei der FPÖ sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

Zum Thema Sicherheit, Planbarkeit, Verlässlichkeit: Ja, wie ist es bei der Polizei vor sich gegangen? – Zuerst hat man Polizeiinspektionen geschlossen, den Polizeiapparat ziemlich niedergespart, weil wir ohnedies in einem sicheren Österreich sind. Jetzt kommt man drauf, wie wichtig die Polizei im Rahmen der ganzen Flüchtlingsprob­lematik ganz besonders für Österreich ist. Wir brauchen eine starke Polizei und keinen Aktionismus. Wenn 200 Pfeffersprays vor dem Parlament verteilt werden, dann ist das billiger Populismus, Aktionismus, der strengstens abzulehnen, zu hinterfragen ist. Die ÖVP hat im Jänner an Frauen am Praterstern in Wien Alarmgeräte verteilt. Das ist doch keine Sicherheitspolitik, wenn wir irgendwo Pfeffersprays verteilen, sondern wir brauchen eine starke, motivierte, gut ausgerüstete und finanzierte Polizei! (Zwischen­rufe bei den Grünen.)

Das Bundesheer habe ich schon erwähnt. Die Grenzkontrollen habe ich erwähnt, und jetzt komme ich zum Thema Verlässlichkeit. Herr Landeshauptmann, wie schaut es denn mit Verlässlichkeit aus? Ich nenne nur ein Thema: TTIP, Landwirtschaft. Das ist ja in Wahrheit die nächste große Geißel der Landwirtschaft. Man hat die Milchquote europaweit eingeführt, um den Milchsee zu beseitigen. Man hat die Milchquote wieder aufgehoben. Und was haben wir? – Wieder Milchsee, Niedrigpreise, Bauernsterben. Das Gleiche beim Schweinepreis. Dann machen wir Russland-Sanktionen, und damit sind gleichzeitig bäuerliche Betriebe nicht mehr existenzfähig.

Da stellt sich die Frage: Was ist denn Verlässlichkeit? – Verlässlichkeit ist, dass Öster­reich in seinen politischen Entscheidungen dafür Sorge trägt, dass diese jeden Tag auch gelebt wird und nicht gebrochen wird: Einmal sind es die Bauern, einmal ist es der Tourismus, einmal ist es der Arbeitsmarkt. Was den Arbeitsmarkt betrifft, Frau Kollegin, muss ich schon fragen: Haben Sie über Wien oder über Salzburg ge­sprochen? (Bundesrätin Kurz: Über Österreich und Salzburg!) Ich denke, das war doch Wien, denn Wien hat 13,5 Prozent Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosigkeit ist im Jahr 2015 im rot-grünen Wien um 16 Prozent gestiegen. Frau Kollegin, das Bundesland Salzburg ist der Bundessieger – Herr Landeshauptmann, dazu gratuliere ich auch der Salzbur­ger Wirtschaft –: 5,9 Prozent mit lediglich 4,1 Prozent Zuwachs an Arbeitslosigkeit.


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Wenn wir diese Zahlen in ganz Österreich hätten, dann wären wir alle sehr glücklich, Frau Kollegin. In Ihrer Rede kann, was den Arbeitsmarkt anlangt, nicht Salzburg ge­meint sein, da muss ich den Herrn Landeshauptmann unterstützen und auch die Wirtschaft in Salzburg, da kann nur Wien gemeint sein. (Beifall bei der FPÖ.)

Sorgen Sie dafür, dass dort, wo Sie politische Verantwortung tragen, der Arbeitsmarkt funktioniert! Zeigen Sie, wie es geht, und kritisieren Sie nicht dort, wo Sie auf der Oppositionsbank sitzen und Ihren Nachfolgern einige Probleme hinterlassen haben! (Zwischenruf bei den Grünen.) – Schwarz-Blau in Oberösterreich funktioniert, Herr Kollege! Es ist gut, dass die Grünen auf der Oppositionsbank sitzen, denn da geht etwas weiter in eurem Land, seitdem auch Blau mitregiert, das ist der Unterschied. (Beifall bei der FPÖ.)

Warten wir noch den kommenden Sonntag in Deutschland ab, dort wird es die nächste grüne Abfuhr geben, weil die grünen Träume einfach nicht beim Menschen ankommen. Sie sind eine Splittergruppe, Sie vertreten nicht die Mehrheit der Sorgen Österreichs. Nehmen Sie das endlich einmal zur Kenntnis! (Ruf bei den Grünen: Die FPÖ schon gar nicht!) Mit Sicherheit! Wenn wir den nächsten Bundespräsidenten stellen werden, dann werden Sie auch zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Bürger andere Entscheidun­gen und Entscheidungsträger favorisieren.

Zum Thema Arbeitsmarkt: Es ist auch, Herr Landeshauptmann, die Planbarkeit, über die wir zu diskutieren haben. Man weiß, dass in Österreichs Bankenlandschaft derzeit 75 000 Bankmitarbeiter noch vorhanden sind und in fünf Jahren ein Drittel davon, also 25 000, der Rationalisierung zum Opfer fallen werden. (Ruf bei der SPÖ: Hypo!)

Reden wir über die Bank Austria, Herr Kollege! Was gerade aktuell geschieht, wird ja heute noch Thema sein, wo man Milliarden an Pensionskosten dem österreichischen Steuerzahler umhängt. Das sind die Sanierungen der Stadt Wien, die auch mit bis zu 120 Milliarden für die Bank Austria gehaftet hat, die ein Volksvermögen wie die Zentral­sparkasse im Grunde verschleudert hat. Das ist um nichts besser als in Kärnten. Da brauchen wir uns gegenseitig überhaupt nichts vorzumachen, Herr Kollege! (Beifall bei der FPÖ.)

Planbarkeit, Verlässlichkeit: Ein Thema möchte ich noch ansprechen, die Steuerpolitik. McDonalds, Google und wie sie alle heißen verschieben Milliardengewinne über Euro­pa­zentralen irgendwohin auf eine Insel. Gerade Google hat ja gestanden, 11 Milliar­den, wenn ich es richtig im Kopf habe, Gewinne aus Europa weggeschafft zu haben. Das ist ein Drama, was da geschieht. Einerseits wird die österreichische Wirtschaft, vor allem Betriebe im Tourismus und in der Gastronomie, nahezu täglich mit neuen Belastungen und mehr Bürokratie bombardiert, sodass viele Betriebe aufgeben. Sie werden mit neuen Steuern belastet, ich sage nur 13 Prozent Mehrwertsteuer im Tourismus, und ständig mit neuen Kosten konfrontiert. Ich rede jetzt gar nicht über die Registrierkassen, die sollen nicht das Hauptproblem sein, sondern über die Auflagen. Jetzt kommt noch dazu, dass man den Gastronomen auch noch die Angabe der Herkunft der Eier verpflichtend vorschreiben will. Jetzt wird es schön langsam drama­tisch. Wenn wir so Politik machen, dann wird es in Österreich keine Wirtschaft mehr geben, die Steuern zahlt. Die internationalen Konzerne lassen ihre Gewinne abfließen, und die nationalen Mittelständler und Kleinbetriebe machen wir mit dieser Politik kaputt, hauptsächlich in der Landwirtschaft, im Tourismus, in der Gastronomie und Gewerbe.

Das ist auch eine Aufgabe, dass Planbarkeit, Verlässlichkeit, Motivation und Glück, Herr Landeshauptmann, sagen wir Zufriedenheit – suche das Glück und finde die Zufriedenheit! –, letztendlich auch im Bereich der Wirtschaft wieder die Grundlage dafür sind, dass es wieder einen Optimismus in Österreich gibt.


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So gesehen ist viel zu tun. Ich darf noch einmal festhalten, dass Salzburg ein starkes Bundesland ist, auch andere, auch Kärnten ist stark, mit manchen Schwächen, wie wir wissen. Das gilt aber auch für andere, da sollten wir nichts schönreden. Die jetzt aktu­elle Diskussion rund um die Hypo, wird dieses Schelling-Angebot halten oder nicht, ist eine Sorge, die wir alle haben. Das Problem ist generell, dass falsche Entscheidungen am Finanzmarkt global, europäisch und auch in Österreich getroffen wurden. Da müssen wir eines zur Kenntnis nehmen: Es gibt nicht nur die Hypo, es gibt auch die Volksbanken und die Kommunalkredit, die sind ja in Wahrheit um nichts besser. Nur sind sie halt nicht so politisch und gerade nicht in Kärnten. Das heißt, die Gewinne werden nach Mailand geschickt, wenn wir von der Bank Austria reden, und die Pensionskosten darf der österreichische Steuerzahler berappen. Es geschieht ja heute nichts Besseres.

In diesem Sinne, Herr Landeshauptmann, wünsche ich dir und deinem Bundesland alles Gute und hoffe, dass Österreich bald die gleichen Arbeitsmarktzahlen wie Salzburg hat. (Beifall bei der FPÖ sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

9.57


Präsident Josef Saller: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Reiter. Ich erteile es ihr.

 


9.57.35

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Herr Präsident! Herr Landes­hauptmann! Herr Minister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Werte Zuseher an den Fernsehschirmen! Nach so einer Rede ist von mir jetzt die Tour de Force gefragt durch die gesamte Politlandschaft von Hypo bis Arbeitslosigkeit, also durch all unsere Prob­leme. Nein, das werde ich nicht tun. Ich möchte zum Beginn etwas zurückkehren und etwas ausholen und in dieser Frage vielleicht noch ein anderes Licht einschalten.

Salzburg gehört erst seit 200 Jahren zu Österreich, etwas, das wir eben heuer feiern. Was feiern wir damit eigentlich? Den Verlust unserer Unabhängigkeit? Es ist so weit gegangen, dass bei der Anton-Wallner-Gedenkfeier mein Mann bemerkt hat: Wir feiern 200 Jahre Besetzung durch Österreich? (Heiterkeit.)

Tatsache ist, dass der Fürsterzbischof 1800 geflohen ist, dass dieser Flucht oder die­sem Verlassen Salzburgs sehr unruhige Jahre folgten, mit einem fünfmaligen Wechsel der kompletten politischen Konstruktion, auch der Größe. Um bis zu zwei Drittel hat sich die Größe dieses Gebildes in wenigen Jahren immer wieder geändert. Das ging so weit, dass zwei Mönche – das ist auch ein Teil der Ausstellung – von St. Peter nach Rom gegangen und dort zwei Jahre geblieben sind, das Herzogtum Salzburg verlas­sen haben und als Bayern zurückgekehrt sind.

Bezeichnenderweise haben die Feierlichkeiten zu dem Jubiläumsjahr mit einer Anton-Wallner-Gedächtnisfeier begonnen. Anton Wallner ist unser Andreas Hofer. Sein Kampf würde, übertragen auf heutige Verhältnisse, vielleicht von einigen als terroris­tisch eingestuft werden. Er scheiterte nicht militärisch, sondern am grünen Tisch. Er hat gegen Napoleon gekämpft. Es ist aber schwer zu sagen, ob er für Österreich oder für Salzburg gekämpft hat, wo sein Stand, der Bauernstand, übrigens nie in der Landschaft vertreten war, im Gegensatz zu Tirol und Kärnten. Die Bauern wurden in Salzburg nur einmal kurz geduldet bei den Landtagen, mussten aber stehen, durften sich nicht einmal niedersetzen. Aber unabhängig davon waren bei der Feier auch die damaligen Feinde mit großen Abordnungen vertreten, die Bayern und die Südtiroler.

Die Salzburger Sache konnte am Wiener Kongress gar nicht entschieden werden, sondern erst im Mai 1816 kam es zum Münchner Abkommen, und wir wurden öster­reichisch, mit bedeutenden Gebietsverlusten, die Salzach war plötzlich ein Grenzfluss


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und kein innerösterreichischer Fluss mehr, und Salzburg hörte auf zu existieren. Wir wurden ein Anhängsel von Oberösterreich und von Linz aus regiert.

Es dauerte bis 1850, also länger als eine Generation, bis Salzburg wieder eigenes Kronland wurde, und noch einmal 18 Jahre, bis es den ersten frei gewählten Landtag gab, gewählt von ungefähr 10 Prozent der Bevölkerung, denn mehr waren nicht wahl­be­rechtigt.

In den schrecklichen Jahren der Franzosenkriege, in denen das Land ein Drittel der Bevölkerung verlor – im Jahr 1816 gab es 220 Hungertote –, ist aber, vielleicht trotz oder wegen dieser Instabilität, so etwas wie ein Landesbewusstsein entstanden, das es vorher in dieser Form nicht gab.

Ich nehme als Beispiel dafür Mozart. War Mozart ein Salzburger? Sein Vater kam aus Augsburg, blieb in Salzburg hängen. Mozart wurde da geboren, war mehr als zwei Drittel seines Lebens nur unterwegs, in ganz Europa, ist dann nach Wien und nach Prag gegangen. Was er von den Salzburgern gedacht hat, ist in seinen Briefen gut dokumentiert. Ich glaube, er hätte die Frage gar nicht verstanden, ob er Salzburger ist oder nicht.

Noch 1825 kommt Schubert nach Salzburg, beschreibt die schreckliche Lage: Resi­den­zen von Bettlern bewohnt, das Gras wächst auf allen Straßen und auf allen Plätzen. Schubert besucht das Grab von Michael Haydn, vergießt dort eine Träne – und erwähnt Mozart mit keinem Wort, obwohl damals noch die Schwester und die Witwe von Mozart dort gewohnt haben. Man unterstellt ihm, er hätte nicht gewusst, dass Mozart ein Salzburger war. Ich glaube nicht, dass das der Tatsache entsprach. Es war ihm schlicht wurscht. Es war sozusagen nicht Identifikationsmerkmal für diesen Mann oder eine wesentliche Information zu seiner Person.

20 Jahre später errichtet man Mozart ein Denkmal in Salzburg. Der Heilige Michael muss dafür gehen. Das war den Leuten gar nicht recht: Michel, du musst gehen, der Mozart will da stehen! Also die Bevölkerung hatte das noch nicht wirklich mitgemacht. Mozart steht auf diesem Denkmal mit dem rechten Fuß auf einem Felsen, um seine Heimatverbundenheit damit zum Ausdruck zu bringen. Mit dieser seiner Heimatver­bundenheit machen wir seither auch sehr viel Geschäft, und diese ist für Salzburg und die Identität Salzburgs auch sehr wichtig.

Mit diesem sich entwickelnden Landesbewusstsein geht natürlich auch das wachsende Nationalbewusstsein im 19. Jahrhundert einher, ein Bewusstsein, das zu diesem schrecklichen Zusammenbruch im Ersten Weltkrieg führte, das zu den großen Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts geführt hat. Aber es war auch Teil dieses Bewusstseins, dass 1920 in Salzburg die Bundesländer sich in das neue Österreich eingebracht haben beziehungsweise dieses konstituiert haben, nachdem es gelungen ist, 1919 endlich ein allgemeines Wahlrecht zu haben.

Noch ein kleiner historischer Sidestep: Stefan Zweig, der erfolgreiche Schriftsteller, kaufte 1917 in Salzburg ein Haus, in dieser verschlafenen kleinen Stadt, als Rückzugs­ort. Die Verschlafenheit hörte auf mit der Gründung der Festspiele wenige Jahre später, durch Wiener. Im Sommer wurde Salzburg dann zu dem Treffpunkt der euro­päischen Intelligenz und der europäischen Kunstschaffenden, wurde zur Weltstadt. Sehr schön nachzulesen in der Autobiographie von Zweig, die nach seinem Tod, nach seinem Selbstmord in Brasilien 1944 veröffentlicht wurde. Diese Autobiographie trägt den Titel „Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers“, bezieht sich auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, in der Stefan Zweig selbstverständlich in ganz Europa reiste und auch lebte, in einem riesigen Schengen-Raum, würden oder könnten wir heute sagen, ohne dass es so etwas wie einen Pass gegeben hätte. So etwas war ihm völlig unbekannt, brauchte man damals nicht.


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Das Aufblühen in der Zwischenkriegszeit war kurz – allgemeines Wahlrecht mit Stän­destaat schon Geschichte, aber lassen wir das jetzt beiseite. Aber in der Beschäftigung mit diesen Fragen ist es doch auffällig, wie wichtig und bedeutsam dieses Landesbe­wusstsein wurde und noch immer ist. Mir fällt das auch bei Zeitungsmeldungen auf, zum Beispiel einer Meldung aus dem Justizbereich: Es wird ein Mann verurteilt, und dann wird gleich darauf hingewiesen, dass er in Wien lebt, aber aus der Steiermark kommt. (Bundesrat Gödl: Das kommt vor!) Ja, aber was ist da der Informationsgehalt? Aber gut.

Vieles geht aber auch nicht oder steht entgegen aufgrund dieses Landesbewusstseins oder dieses Gefühls gerade auch im Bereich Sicherheit und Stabilität, denn: Wie leicht ist es, aufgrund eines solchen Bewusstseins Zäune und Mauern zu bauen, die Men­schen einzuteilen in die drinnen und in die draußen?! Wie schwer ist es, damit umzu­gehen, wenn wir zum Beispiel daran denken, dass der Föderalismus dringend refor­miert werden müsste, weil er in seiner jetzigen Form auch sehr viel Geld kostet?! Aber die Vorschläge eines Österreich-Konvents, die unzähligen Gutachten und Experten­meinungen dazu haben uns nicht wirklich weitergebracht.

Und gerade daran droht auch jetzt die EU zu scheitern. Vielleicht bleibt ein unvoll­kommenes Konstrukt zurück, Resultat des Versuchs, einen Raum einer übernatio­nalen, länderübergreifenden Zusammenarbeit zu schaffen mit mehr Sicherheit, Ver­trauen und Solidarität.

Ich weiß, man lernt nicht aus der Geschichte, aber ich wollte trotzdem noch dieses Blitzlicht auf diese Fragen werfen, um aufmerksam zu machen, dass es zwei Seiten zu Länderbewusstsein und Stolz auf dieses Bundesland gibt und dass es nicht leicht ist für Politiker, damit auch konstruktiv umzugehen.

Gestatten Sie mir noch eine ganz kurze Bemerkung, obwohl das rote Licht hier schon aufleuchtet. Ostern steht vor der Tür, und ob Sie gläubig sind oder nicht, die Bilder der Bibel sind stark und einprägsam. Jesus war als Kind ein Flüchtling, auf der Flucht vor den Häschern des Herodes nach Ägypten, aber er kehrte als Mann ins Zentrum der Auseinandersetzung zurück, nach Jerusalem. Er wurde verraten von einem Mann, der enttäuscht war, dass er sich nicht an die Spitze einer Widerstandsbewegung gestellt hat. Bei der Verhaftung zog Petrus das Schwert, um die Verhaftung abzuwehren. Jesus befahl ihm, es wieder einzustecken: „Alle, die das Schwert nehmen, kommen durch das Schwert um.“

Fortsetzung mit anderem Copyright: Wer Mauern baut, wird im Gefängnis enden. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

10.09


Präsident Josef Saller: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Ich danke unserem Herrn Landeshauptmann Dr. Wilfried Haslauer für seine Erklärung und sein Kommen und darf ihn wieder verabschieden. – Wiedersehen, pfiat di! (Allgemeiner Beifall.)

*****

Bevor wir zur Fragestunde kommen, gebe ich bekannt, dass es heute zwischen 12 und 14 Uhr in der Säulenhalle die Möglichkeit gibt, den neuen Nationalratssitzungssaal im 3D-Verfahren zu sehen. Ich würde Ihnen sehr anraten, sich diesen neuen Saal anzu­sehen. Ich habe ihn mir im 3D-Verfahren angesehen und muss sagen, das ist äußerst


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interessant. Also heute zwischen 12 und 14 Uhr sind Sie eingeladen, sich zwischen­durch einmal den neuen Saal anzusehen. Ich weise aber gleichzeitig darauf hin, dass es, weil die Frage aufgetaucht ist, den neuen Bundesratssitzungssaal noch nicht zu sehen gibt.

10.10.15Fragestunde

 


Präsident Josef Saller: Wir gelangen nun zur Fragestunde.

Ich darf noch einmal Herrn Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter sehr herzlich bei uns im Bundesrat begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)

Bevor ich jetzt, um 10.10 Uhr, mit dem Aufruf der Anfragen beginne, weise ich darauf hin, dass ich die Fragestunde im Einvernehmen mit den beiden Vizepräsidenten, um die Behandlung aller mündlichen Anfragen zu ermöglichen, auf bis zu 120 Minuten erstrecken werde.

Bundesministerium für Justiz

 


Präsident Josef Saller: Wir kommen nun zur 1. Anfrage, 1881/M, an den Herrn Bun­desminister für Justiz, und ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Mag. Fürlinger, um die Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrat Mag. Klaus Fürlinger (ÖVP, Oberösterreich)|: Sehr geehrter Herr Bundes­minister! Die von Ihnen eingesetzte Arbeitsgruppe „Maßnahmenvollzug“ hat Ende Jänner 2015 ihren Abschlussbericht vorgelegt, der zahlreiche Empfehlungen enthält. Diese sehen etwa im legistischen Bereich die Schaffung eines eigenen Maßnahmen­vollzugsgesetzes vor. Weitere Empfehlungen zielen auf eine Verbesserung der inhalt­lichen Ausgestaltung sowie der Unterbringung im Maßnahmenvollzug ab. Zur Umset­zung dieser sind auch bauliche Maßnahmen erforderlich, die bekannterweise neben den erforderlichen finanziellen Mitteln auch einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen.

Meine Frage lautet:

1881/M-BR/2016

„Haben Sie im Zuge der Reform des Maßnahmenvollzuges Schritte zur Verbesserung der Situation der Untergebrachten geplant?“

 


Präsident Josef Saller: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat, ich möchte eingangs bemerken, dass ich mich freue, wieder hier im Bundesrat sein zu dürfen, und ich habe heute schon sehr viel gelernt durch die vorangegangenen Ausführungen. Ich bin auch froh darüber, dass meine tüchtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter heute so zahlreich hier vertreten sind. Und ich freue mich auch darüber, dass ich Ihnen heute im Rahmen der Fragestunde einiges über aktuelle Vorhaben im Justizbereich sagen kann.

Was den Maßnahmenvollzug betrifft – jetzt konkret auf die Frage, die hier gestellt wurde –, ist völlig klar, dass die Reform des Strafvollzugs im Allgemeinen und die Reform des Maßnahmenvollzugs im Besonderen eine ganz wichtige Aufgabe dar­stellen, der wir uns wirklich mit vollem Einsatz widmen.

Es ist vollkommen richtig, was hier vom Herrn Bundesrat schon gesagt wurde, es gab diese Arbeitsgruppe „Maßnahmenvollzug“, die interdisziplinär zusammengestellt war,


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und es gibt die Kompetenzstelle „Maßnahmenvollzug“ in der neu errichteten General­direktion für den Strafvollzug im Justizministerium. Das ist seit 1. Juli so, und das ist wichtig, weil wir damit in der Lage sind, mit dieser Kompetenzstelle „Maßnahmen­vollzug“ wirklich die nötigen Schritte für die umfassende Reform zu setzen.

Natürlich geht es hier nicht nur um eine Verbesserung der Situation insgesamt und generell. Es geht einfach darum, dass wir hier auch die Vorgaben, die letztlich auf internationalem Recht beruhen und die von der Volksanwaltschaft eingemahnt werden, entsprechend konsequent umsetzen. Das beginnt beim Abstandsgebot, also bei der Notwendigkeit der Trennung von Maßnahmeninsassen, von Patienten von anderen Strafhäftlingen, und geht bis hin zur bestmöglichen medizinischen Betreuung.

Wir haben im Rahmen unserer gesamten Standortreform und Standortoptimierung aller Justizanstalten ein Konzept ausgearbeitet, das vorsieht, dass es in Zukunft forensische Zentren geben wird, die sich speziell und ganz spezifisch mit der Betreuung von Maßnahmeninsassen beschäftigen.

Das werden im Wesentlichen medizinische Einrichtungen sein, von uns betrieben, weil sich das ursprüngliche Konzept, die Kompetenzträger des Gesundheitswesens, auch die Länder hier stärker einzubinden, letztlich als nicht wirklich zielführend erwiesen hat. Es ist, ich sage es ganz offen, zu schwierig, zu kompliziert, hier wirklich relativ rasch das zu erreichen, was wir erreichen müssen, also werden wir selbst diese forensischen Zentren betreiben. Sie sind auch an anderen Standorten nach dem Muster – nach dem Musterbeispiel, möchte ich fast sagen – von Linz-Asten geplant, konkret in Göllersdorf und Mittersteig.

Mit diesem Konzept der forensischen Zentren und der dort sichergestellten spezi­fischen Betreuung von Maßnahmeninsassen werden wir den wesentlichen Teil dieser Reform bewerkstelligen.

Wir brauchen für die Reform im Maßnahmenvollzug auch eine entsprechende recht­liche Grundlage, die sich im Detail als durchaus kompliziert darstellt. Es geht auch um viele grundrechtliche Fragen, die hier zu klären sind. Dieses Maßnahmen­vollzugs­gesetz ist in Ausarbeitung. Es wird, wie mir meine Fachabteilung sagt, wohl bis Som­mer so weit sein, dass wir einen Entwurf haben, aber es ist eine wirklich komplizierte Angelegenheit, das ist nicht so einfach. In dieses Maßnahmenvollzugsgesetz werden wir alles hineinpacken, was notwendig ist, um die nötigen Verbesserungen in diesem so sensiblen und auch grundrechtsrelevanten Bereich, die wir dort einfach brauchen, wirklich umsetzen zu können.

Das ist eine große Reform, aber ich bin wirklich überzeugt davon, mit Hilfe der General­direktion für den Strafvollzug und mit Hilfe meiner extrem tüchtigen Mitar­beiterin­nen und Mitarbeiter werden wir das tatsächlich schaffen.

 


Präsident Josef Saller: Zusatzfrage? – Bitte, Frau Bundesrätin Ebner.

 


Bundesrätin Adelheid Ebner (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Bundes­minister, derzeit sind psychisch Kranke oft im Maßnahmenvollzug untergebracht und nicht in psychiatrischen Anstalten. Daher meine Frage: Wird die Reform diesbezüglich Änderungen bringen?

 


Präsident Josef Saller: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Bundesrätin, auf diese Frage antworte ich besonders gerne.

Es ist so, dass wir natürlich Patienten haben, auch jetzt, die in psychiatrischen Kliniken untergebracht sind. Insgesamt wird es aber nicht möglich sein, auch in Zukunft nicht, alle Patienten dem Gesundheitswesen zu überantworten und sicherzustellen, dass sie


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alle in psychiatrischen Kliniken betreut werden können, weil das letztlich auch eine Frage der anderen Kompetenzträger ist. Es ist einfach faktisch – das hat sich deutlich gezeigt – nicht möglich, hier die nötige Unterstützung zu bekommen. Daher müssen wir die Betreuung für den wesentlichen Teil der Maßnahmeninsassen selbst machen. Wir haben aber mit der Anstalt in Linz-Asten bewiesen, dass wir es auch können. Dort sind nämlich genauso Fachärzte, Psychiater, Psychologen, Sozialarbeiter tätig wie in einer ganz normalen Klinik.

Das heißt, wir werden nach den wirklich notwendigen und bestmöglichen Maßstäben die Betreuung dieser Patienten in den forensischen Zentren selbst umsetzen. Aber natürlich wird es auch weiterhin unverzichtbar sein, dass in schwereren Fällen Einweisungen in psychiatrische Kliniken erfolgen, so wie das jetzt auch der Fall ist. Die Einrichtung in Linz-Asten, das Forensische Zentrum, arbeitet natürlich auch mit der psychiatrischen Klinik, mit der Wagner-Jauregg-Klinik in Linz, sehr eng zusammen, und so ist es auch gedacht.

Das heißt, wir planen eine Mischform, nämlich: Im Kern werden wir die Betreuung unserer Maßnahmeninsassen in speziell dafür ausgestatteten Einrichtungen selbst übernehmen, aber selbstverständlich muss auch in Zukunft sichergestellt werden, dass in schwereren Fällen natürlich die Einweisung in psychiatrische Kliniken erfolgen wird, so wie bisher auch.

 


Präsident Josef Saller: Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat Herbert.

 


Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Herr Bundes­minis­ter! Eine der Hauptursachen für die ausufernden Probleme im Maßnahmenvollzug sind die mittlerweile erschöpften Raumressourcen in den Haftanstalten. Ich darf hier an die überfüllten Gefängnisse, an die allgemein geringen Raumressourcen erinnern, aber auch an die aus diesen beengten Räumlichkeitsverhältnissen resultierenden Probleme bei den untergebrachten Häftlingen, Stichwort: ethische Konflikte.

Meine Frage daher an Sie: Ist es angedacht, neue Ressourcen, neue Haftanstalten für die Unterbringung von Haftinsassen zu schaffen? Und wenn ja, welcher Zeitraum schwebt Ihnen hier vor?

 


Präsident Josef Saller: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat, ich habe schon stichwortartig die derzeit laufende Standortoptimierung sämtlicher Justizanstal­ten erwähnt. Das ist Kern und Teil der Gesamtreform. Und natürlich ist hier auch eine Ausweitung der Kapazitäten vorgesehen. Wir haben ja kurzfristig auch schon Bauvor­haben in Angriff nehmen können, auch mit entsprechender budgetärer Bedeckung, insbesondere Ausbau des sogenannten Zöglingstrakts in Wien-Simmering und auch Ausbau der Kapazitäten in der Strafanstalt Hirtenberg. Wir werden demnächst, sicher­lich noch vor dem Sommer, auch eine Ausweitung der Kapazitäten, den Ausbau in Eisenstadt eröffnen können.

Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen, dass es vollkommen zutreffend ist, dass wir kapazitätsmäßig immer wieder an unsere Grenzen stoßen. Derzeit sind wir darun­ter, das möchte ich auch sagen, aber es hat diesbezüglich wirklich schwierige Situatio­nen gegeben, und im Hinblick darauf muss ich wirklich sagen, dass wir da der Justiz­wache und allen Angehörigen der Justizwache zu großem Dank verpflichtet sind. Das gilt insbesondere für Eisenstadt, wo wir die Höchstzahl an Schleppern in Haft hatten, nämlich knapp 600, und das in relativ kurzer Zeit. Diese Zahl muss man bei einer Gesamtkapazität von knapp unter 9 000 einmal verkraften! Rund 600 mussten plötzlich oder relativ kurzfristig zusätzlich untergebracht werden, da hat die Justiz­wache Großes geleistet! Das ist nämlich nicht so einfach mit all den Transporten, die hier notwendig


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sind, und der Differenzierung zwischen Untersuchungshäftlingen, die dem Gericht zur Verfügung stehen müssen, und Strafhäftlingen. Da ist wirklich Großartiges geleistet worden, daher an dieser Stelle noch einmal ein Dankeschön dafür.

Ich halte durchaus im Sinne dessen, was auch Sie gesagt haben, Herr Bundesrat, fest: Wir brauchen die Gesamtreform, und diese muss einen Ausbau der Kapazitäten, aber auch eine qualitative Verbesserung, insbesondere im Bereich Maßnahmenvollzug, inkludieren. Da haben Sie vollkommen recht. Deshalb muss das Abstandsgebot beach­tet werden und deshalb gibt es spezielle Einrichtungen, wo auch die medizinische Betreuung bestmöglich sichergestellt ist. Das wird in den forensischen Zentren der Fall sein.

Derzeit ist die Standortoptimierung in Ausarbeitung, und zwar in Zusammenarbeit mit dem Finanzressort, das sich diesbezüglich sehr kooperativ verhält. Wir führen wirklich sehr gute und konstruktive Gespräche. Das ist genau der Kern dessen, was ich immer angesprochen habe: Da wird kein Stein auf dem anderen bleiben! Es muss alles grundsätzlich in Frage gestellt werden. Wir brauchen eine wirkliche Optimierung der Struktur der Justizanstalten, und da wird sich einiges ändern.

Es wird neue Standorte geben und es wird manche in Zukunft vielleicht nicht mehr geben. Ich weiß – um auf Ihre letzte Frage zurückzukommen –, dass das natürlich ein langfristiges Projekt ist. Es wird schon einige Jahre dauern, bis das zur Gänze abge­schlossen ist, das wird weit über meine Amtszeit hinausgehen, aber es ist wichtig, dass wir jetzt einmal die Schienen gelegt haben, dass wir jetzt wirklich die Grundsätze ver­wirk­lichen konnten, was notwendig ist, um mit entsprechender budgetärer Bedeckung die richtigen Schritte zu setzen. Wir haben daher einerseits kurzfristige Maßnahmen gesetzt, um auch kurzfristigen Problemen begegnen zu können, aber langfristig läuft die große Reform des Strafvollzugs auf Schiene.

Ja, wir haben in diesem Bereich einen Reformstau gehabt. Ich möchte jetzt aber niemanden kritisieren, sondern ich bitte, zu bedenken, dass das ein allgemein politi­sches Problem ist. Der Strafvollzug ist grundsätzlich als politisches Thema etwas Unpo­puläres, das verstehe ich schon. Man kann sozusagen nicht wirklich populär wer­den, wenn man mehr Geld für den Strafvollzug fordert. Das ist leider so, und deshalb gibt es auch in allen Staaten – das ist ja nicht nur bei uns so – immer einen Reformstau in diesem Bereich. Das ist kein Zufall. Es ist eben nicht populär, in diesem Zusam­menhang etwas zu fordern, aber es ist notwendig, und zwar nicht nur, weil wir auch aufgrund internationaler rechtlicher Vorgaben dazu verpflichtet sind, sondern auch im Interesse der Menschlichkeit, im Interesse der Humanität. Wir müssen da das Best­mögliche erreichen.

Ich wünsche mir aber auch, dass es am Ende dieser Reform – wer immer dann an meiner Stelle stehen wird – möglich sein wird, zu sagen: Wir haben jetzt in Österreich einen Strafvollzug, der dort steht, wohin er gehört, nämlich an der Spitze Europas. Dorthin müssen wir, und wir sind mit Volldampf in diese Richtung unterwegs.

 


Präsident Josef Saller: Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat Stögmüller.

 


Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Justiz­minis­ter, auf diese Novellierung des Maßnahmenvollzugsgesetzes wird ja schon lange gewartet – seit über 70 Jahren –, darauf, dass da etwas geschieht. Sie haben gesagt, dass es im Sommer 2016 so weit sein soll.

Meine Frage an Sie: An welchen Eckpunkten wird sich das neue Maßnahmen­vollzugs­gesetz orientieren? Was meinen Sie mit „Optimierung“? Was ist damit genau gemeint?

 


Präsident Josef Saller: Bitte, Herr


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Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Das Maßnahmenvollzugs­gesetz wird sich vor allem an den Notwendigkeiten und Bedürfnissen der Insassen, die ja Patienten sind, orientieren. Das ist das ganz Zentrale und Wesentliche.

Ergänzend zu dem, was schon gesagt wurde, noch etwas, was vielleicht auch nicht uninteressant ist: Wir haben derzeit gerade 160 Patienten in psychiatrischen Kliniken untergebracht. Das heißt, es werden immerhin 160 Personen derzeit in psychiatrischen Kliniken in unserem Auftrag betreut, und es wird in Zukunft auch eine entsprechende Größenordnung in diesem Sinne geben.

Wir planen mit der Gründung und Betreibung dieser Spezialeinrichtungen in den foren­sischen Zentren die Verfolgung eines Konzepts, gemäß welchem einerseits der Grund­satz der Trennung und das Abstandsgebot befolgt werden, das also der Trennung zwischen Strafhäftlingen und Maßnahmenpatienten Rechnung trägt. Das ist einfach notwendig und sinnvoll, und dieses Konzept wird auch vom Rechnungshof in jeder Richtung unterstützt.

Das heißt, wir wollen jetzt die bisher nicht immer durchhaltbare Trennung wirklich konsequent verwirklichen. Das konnten wir bisher mit den alten Einrichtungen nicht schaffen, weil einfach die entsprechenden Kapazitäten nicht gegeben waren. Wir brauchen also eine Ausweitung der Kapazitäten, um auch die Spezialisierung in der Betreuung sicherstellen zu können. Das ist das Entscheidende, und das ist auch schon der Kern dessen, was im Maßnahmenvollzugsgesetz geregelt werden muss, dass es nämlich eine wirklich speziellere Regelung hinsichtlich dieser Maßnahmenpatienten gibt.

Das beginnt schon bei der Schaffung der entsprechenden organisatorischen Struk­turen. Es ist ja kein Zufall, dass wir jetzt in der Generaldirektion Strafvollzug eine Kom­petenzstelle „Maßnahmenvollzug“ haben, die interdisziplinär arbeitet und nicht nur mit Juristen besetzt ist, sondern auch mit Medizinern und Sozialarbeitern. Die wesentliche Neuerung besteht darin, dass man jetzt diese Maßnahmeninsassen nicht als eine Art Beiwerk zu den Insassen einer normalen Strafanstalt ansieht, sondern sich dessen bewusst ist, dass das etwas Spezielles ist, wofür auch eine spezielle Regelung – Maß­nahmenvollzugsgesetz – und auch eine spezielle Umsetzung durch entsprechende Kapazitäten mit Fachkräften vonnöten sind.

Der einzige Unterschied gegenüber der ursprünglichen Konzeption ist der, dass wir in diesem Bereich selbst mehr als Betreiber auftreten werden müssen, weil die Kooperation mit den Gesundheitskompetenzträgern, also konkret mit den Ländern, in der kurzen Zeit, in der wir das brauchen, nicht verwirklichbar ist. Daher machen wir das selbst, aber ich sage noch einmal – und das ist der Kern –: Drei forensische Zentren mit ausreichender Kapazität sind geplant, wo wir wirklich sicherstellen können, dass alle Regelungen, die es für Maßnahmenpatienten gibt, auch eingehalten werden kön­nen. Das ist der wesentliche Punkt.

Darüber hinaus ist es uns im Rahmen der Erweiterung der Kapazitäten in den Justiz­anstalten auch ganz besonders wichtig, dass es keine Zubauten, keine Neubauten und keine Erweiterungen der Kapazitäten mehr geben wird, ohne dass gleichzeitig auch die Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten erweitert werden. Das ist ganz zentral. Es ist ja auch ein ganz wesentlicher Kern unseres Strafvollzugsgesetzes, dass Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten vorhanden sein müssen. Ich muss sicherstellen, dass jeder Strafhäftling und, wenn möglich, auch jeder Untersuchungshäftling einer sinn­vollen Beschäftigung nachgeht. Das ist genauso wichtig.

Das heißt, wir müssen auch diesbezüglich relativ viel tun. Wir brauchen eine Moder­nisie­rung der Werkstätten, der Lehrwerkstätten und auch der Arbeitsmöglichkeiten. In diesem Zusammenhang müssen wir auch die Kooperation mit der Wirtschaft noch


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erweitern; das ist wirklich möglich. Und ich muss sagen, wenn ich zum Beispiel an Gerasdorf denke, wir planen eine entsprechende Verbesserung im Sinn einer Moder­nisierung der Lehrwerkstätten. Das ist wichtig, denn man muss feststellen, dass die Werkstätten zum Teil einfach auf dem Stand von vor 20 Jahren sind.

Das ist ein typisches Beispiel für den Reformstau, den wir haben, und genau da müs­sen wir ansetzen. Daher bilden aus meiner Sicht die Verbesserung und Erweiterung der Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten einen ganz wichtigen Schwerpunkt. Das ist ganz, ganz wichtig und auch ein ganz zentraler Punkt im Rahmen dieser Reform.

 


Präsident Josef Saller: Wir gelangen nun zur 2. Anfrage, 1878/M, und ich bitte die Anfragestellerin, Frau Bundesrätin Mag. Kurz, um die Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): Herr Bundesminister! Sie wissen, dass wir in den vergangenen Wochen und Monaten in sozialen Medien immer wieder mit Hasspostings, Shitstorms und anderen absolut verwerflichen Meldungen konfron­tiert waren.

Meine Frage an Sie lautet:

1878/M-BR/2016

Welche Möglichkeiten gibt es aus Ihrer Sicht, Hasspostings auf Facebook und ande­ren Onlineplattformen – insbesondere im Hinblick auf die derzeitige Flüchtlingskrise – zu löschen und strafrechtlich zu verfolgen?“

 


Präsident Josef Saller: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Bundesrätin, das gel­tende Recht, konkret das Medienrecht, gibt die Möglichkeit, derartige strafbare Inhalte löschen zu lassen. Konkret muss man diesfalls an den Medieninhaber herantreten. Dabei handelt es sich bei solch einem Account um jemanden, der eine Homepage auf Facebook betreibt und selbst bestimmte Inhalte hineinstellt, und nicht um Facebook selbst.

Wir haben, wie gesagt, die Möglichkeit, medienrechtlich vorzugehen, und das ge­schieht auch. Wir haben entsprechende Meldestellen im Bundeskriminalamt und auch beim BVT, da geschieht also einiges. Wir verzeichnen in diesem Bereich, wie allge­mein bekannt ist, in der letzten Zeit eine entsprechende Zunahme, und diejenigen, die damit beschäftigt sind, alles zu tun, was wir rechtlich tun können, um solche Inhalte zu entfernen, haben alle Hände voll zu tun.

Unabhängig davon gibt es Gespräche mit den Verantwortlichen von Facebook in die Richtung, dass man eventuell sozusagen auf der obersten Ebene, nämlich bei Face­book, ansetzen und erreichen kann, dass im direkten Kontakt mit den Behörden Löschungen vorgenommen werden können, und zwar unabhängig von demjenigen, der diese Inhalte tatsächlich hineingestellt hat. – Das wäre natürlich eine noch bessere Variante. An dieser arbeiten wir, und diese Gespräche laufen.

 


Präsident Josef Saller: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

 


Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): Ich würde gerne wissen, wie sich in diesem Zusammenhang die Zusammenarbeit mit der Bundesministerin für Inneres gestaltet und welche Optimierungen aus Ihrer Sicht erfolgreich sind.

 


Präsident Josef Saller: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Wie ich bereits erwähnt habe, gibt es die Meldestelle beziehungsweise eine entsprechende spezielle Einrich-


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tung im Bereich des Bundeskriminalamts, das ja dem Innenministerium zugeordnet ist und dorthin ressortiert. Die Zusammenarbeit mit dem Innenministerium ist nach allem, was ich höre und weiß, absolut problemlos. Wir arbeiten diesfalls wirklich sehr gut zusammen, ziehen an einem Strang, und das geht so weit, dass wir einander wech­selseitig jeweils auch darüber informieren, was wir konkret planen. (Vizepräsidentin Winkler übernimmt den Vorsitz.)

So gesehen kann ich nur sagen: Da gibt es völlige Übereinstimmung, was die Ziele und was die Bündelung unserer gemeinsamen Möglichkeiten betrifft.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat Oberlehner.

 


Bundesrat Peter Oberlehner (ÖVP, Oberösterreich): Herr Minister, mich würde inter­es­sieren, wie weit es zu dem Thema Hasspostings et cetera auch deinerseits Kontakte zu Facebook oder anderen Plattformen gibt und welche Ergebnisse das erbringt oder erbracht hat.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Es gibt solche Kontakte beziehungsweise gibt diese Kontakte seit Anfang Februar des Vorjahres, als wir im Rahmen einer Großtagung in Washington Gelegenheit hatten, auch mit einer Verant­wortlichen von Facebook zu sprechen, die damals den interessanten Satz geprägt hat: Jawohl, wir von Facebook haben verstanden, dass wir nicht nur Teil des Problems sein dürfen, sondern Teil der Lösung sein müssen. – Und wenn Facebook will, dann kann es auch Teil der Lösung sein.

Daran anknüpfend hatten wir heuer Anfang Februar wieder in Washington ein Ge­spräch mit führenden Verantwortlichen von Facebook. Dort habe ich etwas klargestellt, und das möchte ich auch hier klarstellen: Es geht dabei nicht um Verhandlungen – da gibt es nichts zu verhandeln! Wenn Facebook strafbare Inhalte weiter transportiert, dann riskiert natürlich auch Facebook, wie jedes andere Unternehmen, eine ent­sprechende strafrechtliche Verantwortlichkeit nach der Verbandsverantwortlichkeit. Das ist nicht verhandelbar, das ist geltendes Recht, das ist auch vollinhaltlich klarge­stellt worden.

Es kann nur darum gehen, dass man durchaus im Sinne einer sinnvollen Prävention erreicht, dass in direktem Kontakt mit den Verantwortlichen dann, wenn so etwas auf­taucht, was nach Einschätzung unserer Staatsanwaltschaft strafbar ist, auch Facebook sofort reagiert. Das macht Sinn, denn dann ist irgendwann einmal klar, dass die User, die solche Inhalte über Facebook verbreiten wollen, einfach keine Chance mehr haben und das nicht mehr tun können werden.

Darüber laufen die Gespräche, ich möchte aber dem Ergebnis jetzt nicht vorgreifen. Die Gespräche laufen aus meiner Sicht durchaus gut. Wir haben diesbezüglich wirklich einen guten Kontakt, und zwar auch unter der Voraussetzung, dass das klargestellt wurde, was klarzustellen ist, nämlich dass es mit Sicherheit keine Sonderregelung für Facebook gibt. Es gibt auch keine Sonderstrafe für Facebook, absolut nicht, aber es gibt die Möglichkeit, im Kontakt mit den Verantwortlichen präventiv mehr zu tun und mehr zu erreichen. Das macht Sinn, weil in diesem Bereich wirklich eine ent­sprechende Steigerung an entsprechenden Inhalten zu verzeichnen ist, und das wollen wir nicht.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Noch eine Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat Krusche.

 


Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Neben dem, was landläufig unter dem Begriff „Hassposting“ verstanden wird, hat bei-


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spiels­weise die Sons Caliphate Army, eine Hackergruppe des Islamischen Staates, von sich selbst behauptet, mehr als 10 000 Facebook-Profile, 150 Facebook-Gruppen und 5 000 Twitter-Accounts zu besitzen, um IS-Propaganda zu machen.

Meine Frage: Sind Ihnen solche Seiten in Österreich bis dato zu Bewusstsein gekom­men, und musste die Justiz hier bereits irgendwie einschreiten wegen solch IS-ge­steuer­ter Gruppen?

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat! Selbst­ver­ständlich ist mir bekannt, dass es solche Inhalte und solche Seiten gibt, und selbstver­ständlich ist völlig klar, dass Extremismus in jeder Form auch in dieser Richtung mit allen rechtlichen Mitteln bekämpft werden muss. Das ist überhaupt kein Thema für mich. Es muss hier alles geschehen, damit diese Inhalte entfernt werden, und das ge­schieht auch, wie Sie sicher wissen. Gerade entsprechende Inhalte des IS werden immer wieder entfernt, und das ist auch notwendig.

Wir haben in den letzten Jahren insgesamt eine Entwicklung zu verzeichnen, die es notwendig macht, stärker dagegen vorzugehen – das betrifft Extremismus in jeder Form. Wie Sie wissen, ist auch der Verhetzungstatbestand bewusst so angelegt, dass er gegen Verhetzung und Extremismus in jeder Form gerichtet ist. Das gehört natürlich auch dazu.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat Stögmüller.

 


Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Justiz­minis­ter, Sie haben ja schon den Verhetzungsparagraphen angesprochen, der unter § 283 Abs. 4 neu geschaffen wurde.

In welchem Umfang macht die Staatsanwaltschaft von diesem zurzeit Gebrauch, und wie wird das umgesetzt?

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat! Ich kann Ihnen sagen, dass dieser Tatbestand natürlich umgesetzt wird. Wir haben in diesem Bereich auch eine leichte Steigerung zu verzeichnen. Es gibt hier konsequent auch immer wieder eine entsprechende Zahl an Verfahren, Anklagen und auch Verurteilun­gen. Dieser Tatbestand greift also, und ich könnte Ihnen das, wenn Sie mir ein bisschen Zeit lassen, vielleicht später noch ergänzen und genaue Zahlen nennen. Aber es ist durchaus so, dass es hier einen Anwendungsbereich gibt.

Ich werde Ihnen gleich – mein mich begleitender Sektionschef kommt schon – die Zahlen nennen können. Interessant ist zunächst der Anstieg der Anzeigen im Zusam­menhang mit dem Verhetzungstatbestand. Das ist schon markant: Wir hatten 2009 noch 89 Anzeigen, 2015 hatten wir bereits 379 Anzeigen. Das zeigt aber auch, dass all diese Kontrollmechanismen durchaus funktionieren. Es wird wirklich aktiv dagegen vorgegangen.

Zu den Verurteilungen: Wir hatten im Jahr 2013 acht Verurteilungen, und wir hatten 2014 30 Verurteilungen. 2015 hatten wir wieder einen Rückgang auf 20 Verurteilungen zu verzeichnen. Das hat sich jetzt also auf einem etwas höheren Niveau einge­pen­delt. – Diese Zahlen zeigen jedenfalls, dass es notwendig ist, solch einen Tatbestand zu haben. Dieser hat einen Anwendungsbereich, der sich tendenziell leicht, aber doch gesteigert hat. – Danke für die aktuellen Zahlen.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nun zur 3. Anfrage, 1884/M, und ich bitte die Anfragestellerin, Frau Bundesrätin Mühlwerth, um die Verlesung der Anfrage.

 



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Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Minister! Wissend, dass das Gesetz geändert werden soll, stelle ich Ihnen trotzdem die Frage, wie sie ur­sprünglich konzipiert war:

1884/M-BR/2016

„Wie verantworten Sie die mittlerweile offenkundigen dramatischen Erschwernisse bei der Bekämpfung des Drogenhandels aufgrund der von Ihnen durchgepeitschten Straf­rechtsnovelle, obwohl gerade diesbezüglich rechtzeitig von der FPÖ, aber auch vom BMI Bedenken geäußert wurden?“

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Bundesrätin, dazu muss ich jetzt einiges sagen, und ich tue das auch gern.

Ich möchte zuerst einmal damit beginnen, dass ich frage, wie Sie dazu kommen, dass hier etwas „durchgepeitscht“ worden wäre. – Nur zur Klarstellung, um der Wahrheit die Ehre zu geben: Die Neuregelung, insbesondere der Gewerbsmäßigkeit, auf die Sie sich hier beziehen, beruht auf den Ergebnissen der Expertengruppe, die sehr lange tätig war. Es wurden unabhängige Experten noch von meiner Vorgängerin eingesetzt, und wir haben uns bei der Reform des Strafgesetzbuches natürlich an dem orientiert, was diese unabhängigen Experten uns gesagt und empfohlen haben.

Dazu gehörte auch eine Neuregelung der Gewerbsmäßigkeit allgemein für das ge­samte Strafrecht, damit etwas nicht mehr passiert – nach meiner Erinnerung gab es den letzten markanten Fall im September des Vorjahres –, was bis zuletzt auch immer wieder in den Medien zu lesen war und auf heftige Kritik stieß, dass nämlich Personen aufgrund von Ladendiebstählen mit relativ geringem Wert sofort in Untersuchungshaft gekommen sind, weil man von einem Ladendiebstahl darauf geschlossen hat, dass offensichtlich Gewerbsmäßigkeit vorliegt.

Man ist im Hinblick darauf auf breiter Basis und gestützt von allen Fachexperten zu der Meinung gelangt, dass wir betreffend Gewerbsmäßigkeit höhere Anforderungen im Gesetz brauchen, damit genau das nicht passiert, was bis zum Herbst von den Medien meiner Meinung nach zu Recht kritisiert wurde, dass nämlich jemand wegen des Diebstahls von vergleichsweise geringwertigen Gegenständen sofort in Unter­suchungs­haft kommt. Daran haben wir uns orientiert, und das halte ich auch nach wie vor für richtig.

Parallel dazu hat sich – da haben Sie schon recht – eigentlich intensiv erst ab Herbst und ganz massiv dann eben mit Beginn dieses Jahres diese Entwicklung im Bereich des Drogenhandels auf öffentlichen Plätzen ergeben. Das war ein neuartiges Phä­nomen, mit dem wir in dieser Form noch nie konfrontiert waren. Im Hinblick darauf haben sich natürlich wieder Experten zusammengesetzt und überlegt, was wir dage­gen tun können. Aber das hat nur indirekt mit Gewerbsmäßigkeit an sich zu tun. Natürlich könnte man sagen: Wenn wir die alte Gewerbsmäßigkeitsregelung hätten, täten wir uns da leichter!, aber man muss schon klar sehen, dass man immer dort speziell eingreifen muss, wo sich ein entsprechendes Problem zeigt, und diesfalls geht es um ein spezielles Problem des Drogenhandels auf öffentlichen Plätzen.

Das ist das Neuartige. Und daher macht es auch Sinn, das speziell, mit einem neu­artigen Tatbestand, scharf zu bekämpfen. Das tun wir auch.

Dass die Regelung der Gewerbsmäßigkeit mit dem Hinaufschrauben der rechtlichen Voraussetzungen dafür im allgemeinen Strafrecht Sinn gemacht hat und weiterhin Sinn macht, das bezweifelt niemand. Aber – da haben Sie schon recht – im Bereich des


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Suchtmittelhandels muss man etwas tun, aber ganz gezielt nur den Suchtmittelhandel betreffend. Daher soll es hier eine Neuregelung geben, an der wir auch mitgewirkt haben. Das, was jetzt, wenn alles so abläuft, wie ich mir das wünsche, kurzfristigst, so kurzfristig wie möglich Gegenstand eines Initiativantrages sein wird, beruht auf einem Entwurf meiner Fachabteilung, und das macht auch Sinn.

Ich möchte diese Gelegenheit dazu nutzen, Frau Bundesrätin, schon auf Folgendes hinzuweisen: Es wäre ein wenig zu kurz gedacht, wenn man glauben würde, man könnte damit, dass man die Voraussetzungen der Untersuchungshaft erleichtert, hinun­terschraubt, die Probleme schon lösen. Sehr weit gefehlt! Eine nachhaltige Prob­lemlösung kann man nur dann erreichen, wenn man die wirklichen Ursachen dieser Delinquenz erkennen und auch konkret bekämpfen kann. Und ich halte es da – so wie meine Fachexperten – mit dem nach wie vor gültigen Satz des berühmten Krimino­logen Franz von Liszt – dieser Satz ist schon hundert Jahre alt, aber er ist immer noch gültig –: Die beste Kriminalpolitik ist immer noch eine gute Sozialpolitik.

Wir haben nichts davon, wenn wir jetzt Leute rascher in Untersuchungshaft bringen können. Dann sind sie ein paar Monate dort, kommen wieder raus, und wie geht es dann weiter? Hoffentlich nicht so wie bisher. Und deshalb habe ich immer gesagt: Wir müssen deshalb in Verbindung auch mit der Strafvollzugsreform sicherstellen, dass diese Personen dann in der Haft wenigstens irgendetwas Vernünftiges tun, lernen kön­nen, arbeiten können – das ist wichtig! –, damit wir zumindest die Chance wahr­neh­men, dazu beizutragen, dass nicht dann, wenn sie herauskommen, alles wieder von vorne losgeht – denn dann war ja vom Aufwand her alles umsonst. Und das müssen wir sicherstellen.

Deshalb ist es so wichtig, dass man eben nicht bei der Frage Untersuchungshaft und ihre Voraussetzungen hängen bleibt. Das ist zu kurz gedacht. Wir müssen versuchen, das Problem nachhaltig zu lösen. Natürlich, man muss sich – und das haben wir in Auftrag gegeben – die Täterstruktur genau anschauen. Selbstverständlich! Da wird es auch Personen geben, die vielleicht abzuschieben sind – durchaus möglich, keine Frage. Aber man muss sich wirklich damit beschäftigen, dass man die Ursachen dieser Delinquenz auch bekämpft und nicht nur vordergründig die Möglichkeiten der Inhaf­tierung erleichtert. Es ist mir wichtig, das auch an dieser Stelle gesagt zu haben.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

 


Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Herr Minister, ich bin bei Ihnen, wenn Sie sagen, man muss die Dinge an der Wurzel packen. Aber gerade der Drogenhandel ist nicht nur eine Frage der Sozialpolitik, sondern schon auch eine Frage der Zuwan­derungspolitik. Wir brauchen uns ja nur anzuschauen, in wessen Händen der Drogen­handel ist: Da gibt es das eine, das haben die Nigerianer, das andere haben die Afghanen. Das ist jetzt nicht etwas, was hier auf unserem Grund und Boden entstan­den ist.

Trotzdem, allen Experten zum Trotz, hat doch – wenn Sie schon nicht den Freiheit­lichen glauben – Ihre Parteikollegin, die Innenministerin, befürchtet, zu Recht befürchtet, dass gerade das, was Sie beim Ladendiebstahl angemerkt haben, beim Drogenhandel eben auch zum Tragen kommen wird. Und jetzt haben wir den Salat, und Sie müssen jetzt eine Reform des Gesetzes vorantreiben. Also schade, dass das jetzt mit Verspätung geschieht.

Können Sie uns sagen, was genau da jetzt geändert werden wird?

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Bitte, Herr Minister.

 



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Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Bundesrätin, wir haben auch aus den Gründen, die Sie erwähnt haben, jetzt eine genaue Analyse der Täter­struktur in Auftrag gegeben. Das ist wichtig, das ist keine Frage.

Ich beschönige da gar nichts. Ich sage auch ausdrücklich: Ja, wir haben einen sehr hohen Ausländeranteil im Strafvollzug. Das schafft ja auch wieder Probleme – vom Bedarf an Dolmetschern beginnend bis hin zu verschiedenen anderen Dingen. Ja, da gibt es nichts zu beschönigen, und das will ich auch nicht tun, sondern das sind Fakten. Und das schafft auch Probleme, die man eben lösen muss.

Was jetzt die konkrete Lösungsmöglichkeit in diesem Bereich betrifft, muss ich Ihnen sagen: Der Drogenhandel in diesem Bereich ist ein spezielles Phänomen. Das hat Hintergründe, die natürlich auch in die Integrationspolitik hineinreichen werden. Das werden wir schon sehen, wenn wir das genau analysieren. Mit all dem haben Sie recht, das ist völlig in Ordnung, aber was jetzt das Innenministerium betrifft, möchte ich schon sagen: Die Änderung des Strafrechts, die Novelle zum Strafgesetzbuch, war akkordiert mit dem Innenministerium. Wir haben ja auch einige Hinweise des Innenministeriums umgesetzt und berücksichtigt. Und wir haben natürlich Anfang Jänner festgestellt, dass die Polizei eben dieses neue Phänomen beklagt und an uns herangetreten ist, und haben gesagt: Ja, da werden wir etwas tun müssen!

Die Frage ist nur: Was ist hier das Richtige? Jetzt einfach die Gewerbsmäßigkeit wieder so zu regeln, wie wir es früher gehabt haben, hätte wirklich bedeutet, das Kind mit dem Bade auszuschütten und letztlich genau wieder jene Fälle zu ermöglichen, für die wir zu Recht bis in den Herbst des letzten Jahres hinein medial kritisiert wurden. Das wäre auch sachlich nicht richtig gewesen.

Dieses neue Phänomen muss mit einem neuen Straftatbestand bekämpft werden. Das tun wir jetzt. Und dieser neue Tatbestand, der eben gezielt gegen den Drogenhandel im öffentlichen Raum gerichtet ist, wird es ermöglichen, dass natürlich auch die Ver­hängung der Untersuchungshaft in diesem Bereich der Delinquenz wieder leichter möglich sein wird. Ja, das wird so sein. Es wird eine entsprechende präventive Wir­kung davon ausgehen. Insofern werden wir unseren legistischen Beitrag zu dieser Problemlösung leisten.

Aber ich sage noch einmal, man muss trotzdem einen Schritt weiter denken und schauen: Was sind die tatsächlichen Ursachen? Die gehen in andere Bereiche hinein, so wie Sie es angedeutet haben. Da geht es auch um Integrationspolitik und alles, was damit zusammenhängt. Und daher glaube ich, dass wir damit jetzt einmal einen ersten Schritt gesetzt haben, aber es braucht mehr. Aber das, was wir zu einer nachhaltigen Problemlösung beitragen können, insbesondere auch in den Justizanstalten und im Rahmen der Reform, die wir jetzt schon seit fast zwei Jahren in Arbeit haben, das werden wir sicherlich auch leisten können.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bevor wir zu einer weiteren Zusatzfrage kommen, ist es mir eine Freude, hier im Bundesrat den Präsidenten außer Dienst Manfred Gruber zu begrüßen. Herzlich willkommen bei uns! (Allgemeiner Beifall.)

Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat Ing. Pum.

 


Bundesrat Ing. Andreas Pum (ÖVP, Niederösterreich): Geschätzter Herr Minister, zum Tatbestand Handel im öffentlichen Raum wurde ja bereits eine Zusatzfrage ge­stellt, die Sie hervorragend beantwortet haben, und Sie haben auch die Vorbereitungen für eine Gesetzesänderung dazu dargelegt. Damit ist meine Frage so weit auch beantwortet.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wird eine weitere Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Frau Bundesrätin Blatnik.

 



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Bundesrätin Ana Blatnik (SPÖ, Kärnten): Herr Minister! Gospod minister! Ich begrüße die gestrige Einigung zwischen SPÖ und ÖVP in puncto Änderung des Suchtmittelgesetzes sehr, bei der es um die Eindämmung des öffentlichen Drogen­dealens geht. Sie haben von Neuerungen gesprochen, Sie haben von nachhaltigen Lösungen gesprochen. Vielleicht können Sie uns ein bisschen detaillierter oder genauer sagen, was sich ändern wird.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Die geplante Regelung, die im Kern auf einem Vorschlag meiner Fachabteilung beruht, soll in etwa folgen­der­maßen lauten – natürlich vorbehaltlich des parlamentarischen Prozesses. Es wird einen Initiativantrag geben, damit wir die Umsetzung schneller schaffen. Wir planen oder hoffen, dass die Umsetzung mit Inkrafttreten am 1. Juni möglich ist. Das geht nur mit Initiativantrag und raschestmöglicher Erledigung der parlamentarischen Vorgaben.

Im Kern wird es um folgenden neuen Straftatbestand gehen: Im § 27 Suchtmittelgesetz soll ein neuer Absatz eingefügt werden, der folgendermaßen lautet:

„Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren ist zu bestrafen, wer vorschriftswidrig in einem öffentlichen Verkehrsmittel, in einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anlage, auf einer öffentlichen Verkehrsfläche, in einem öffentlichen Gebäude oder sonst an einem allgemein zugänglichen Ort“ – das sind auch offene Stiegenhäuser – „öffentlich oder unter Umständen, unter denen sein Verhalten geeignet ist, durch unmittelbare Wahr­nehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen, Suchtgift einem anderen gegen Entgelt anbietet, überlässt oder verschafft.“

Da ist nämlich genau das erfasst, worüber sich die Polizei seit einigen Wochen in Wien mit Recht beklagt, und damit müsste es möglich sein, eben genau dieses Phänomen zielgerichtet zu bekämpfen. Die Strafdrohung ist angemessen, und sie ermöglicht auch, in diesem Bereich leichter die Untersuchungshaft zu verhängen, als das derzeit der Fall ist. Es handelt sich hier um ein spezielles Problem der Suchtmitteldelinquenz, und dieses muss daher, glaube ich, auch speziell bekämpft werden. Es hat eigentlich nichts zu tun mit dem sonstigen generellen Strafrecht und der Gewerbsmäßigkeit, wie sie dort geregelt ist. Aber mit dem können wir ganz gezielt vorgehen.

Und das ist der Inhalt dessen, von dem ich hoffe, dass es möglichst bald Gesetz wird. Aber das hängt nicht von mir ab, das hängt letztlich auch von Ihnen ab. Aber soviel ich weiß, haben Sie eine Sitzung Ende Mai, da müsste sich noch etwas ausgehen. Es würde mich freuen.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat Stög­müller.

 


Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Werter Herr Minister Brandstetter! Vielleicht noch ganz kurz: Es ist immer wieder verwunderlich, dass die FPÖ immer irgendwelche Probleme oder Schwerpunkte mit Flüchtlingen in Zusammenhang bringt.

Ich gebe Ihnen ganz recht, dass Sozialpolitik, also Soziales natürlich mit der ganzen Problematik zu tun hat. Daher auch meine Frage an Sie: Sind Ihnen Studien bekannt, die sich genau mit den Ursachen und Hintergründen des Suchtmittelhandels an be­stimmten Hotspots in Wien auseinandersetzen? Vielleicht haben Sie dazu ja eine Studie für uns.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Sehr geehrter Herr Bundes­rat, selbstverständlich gibt es zum Thema Suchtmittel und zur Suchtmitteldelinquenz eine ganze Reihe von Studien, und selbstverständlich halten wir es hier genauso wie in


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allen anderen Themenbereichen: Wir stützen uns auf die Expertise von unabhängigen Fachleuten. Dazu gibt es einiges, und auf dem bauen wir auch auf.

Dieses Phänomen, mit dem wir jetzt an diesen öffentlichen Plätzen in Wien konfrontiert sind, entlang der U 6 und ähnlicher öffentlicher Einrichtungen, ist aber wirklich relativ neu, und dazu kann es daher noch keine aktuellen Studien geben. Aber im Prinzip ist das Problem ja bekannt, und ich hoffe, dass es insgesamt gelingt, das Problem auch mit einer gewissen Nachhaltigkeit zu lösen. Daran arbeiten wir, sicher in Ihrem Sinne.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Wir gelangen nunmehr zur 4. Anfrage, 1885/M, und ich bitte die Anfragestellerin, Frau Bundesrätin Mag. Dr. Dziedzic, um deren Verlesung.

 


Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Derzeit sind in der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft 32 Staatsanwälte tätig, aber eigentlich sind dort 40 Planstellen vorgesehen. Auch der Rechnungshof hat schon einmal bemängelt, dass es dazu keine Aufzeichnungen, keine Zahlen gibt.

Deswegen meine Frage an Sie, Herr Minister:

1885/M-BR/2016

„Wie viele StaatsanwältInnen waren der Wirtschafts- und Korruptionsstaats­anwalt­schaft seit deren Errichtung am 1.9.2011 bereits dienstzugeteilt?“

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Bundesrätin, ich glau­be, da muss man einige Kleinigkeiten klarstellen: Was die Ausstattung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft und auch ihre sonstige Tätigkeit betrifft, sind wir wirklich mit dem Rechnungshof im besten Einvernehmen. Ich glaube nicht, dass es da eine Kritik in der Form, wie Sie sie jetzt erwähnt haben, gibt. Man muss auch unterscheiden zwischen Dienstzuteilung und der Besetzung fixer Planstellen. Auch das macht einen Unterschied.

Tatsache ist, und das ist der ganz aktuelle Stand, wir haben derzeit von den 40 Plan­stellen, wie man weiß, noch immer nicht alle besetzen können. Das liegt aber nicht an uns, sondern man muss auch die entsprechenden Bewerberinnen und Bewerber bekommen. Das ist nicht so einfach. Die Ausbildung, die notwendig ist, um bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft tätig sein zu können, ist schon eine sehr qualifizierte. Es braucht auch eine entsprechende Erfahrung. Wir haben daher derzeit exakt 30,75 der insgesamt 40 Planstellen besetzt. Wir arbeiten natürlich laufend daran. Es ist ja in unser aller Interesse, diese Planstellen entsprechend zu besetzen. Ich habe erst vorgestern ein Gespräch mit der Leiterin, Kollegin Vrabl-Sanda, geführt, die das organisatorisch hervorragend macht.

Wir haben ja jetzt auch Außenstellen der Wirtschafts- und Korruptionsstaats­anwalt­schaft etabliert, in Graz und eine provisorische auch in Linz. Das hat auch eine Verbes­serung gebracht, nämlich insofern, als es manchmal leichter ist, qualifizierte Staats­anwältinnen und Staatsanwälte für Standorte in den Bundesländern zu bekommen als für Wien, das muss ich auch sagen. Das heißt, wir haben einfach momentan nicht voll besetzen können, weil der Markt, wenn man das so sagen darf, das einfach nicht hergibt. Aber trotzdem leistet die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hervor­ragende Arbeit, insbesondere die Einrichtung dieser eigenständigen Experten, die unmittelbar für die Staatsanwaltschaft arbeiten. Das hat wirklich viel gebracht, einerseits inhaltlich, aber vor allem auch, was die Verfahrensbeschleunigung betrifft.


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Ich weiß, dass wir auch in diesem Bereich noch viel vor uns haben – das ist schon klar –, aber an sich sind wir, glaube ich, gerade mit der Wirtschafts- und Korrup­tionsstaatsanwaltschaft auf einem guten Weg. Dass wir nicht immer alle Planstellen besetzen können, die es gibt, die es unbestrittenermaßen gibt – das Budget dafür ist ja vorhanden –, liegt einfach daran, dass die Voraussetzungen für eine Tätigkeit in diesem Bereich entsprechend hochgeschraubt sind, und das wird auch so bleiben.

Wir haben ein ähnliches Phänomen auch in manchen Bereichen der Justizwache. Ja, das ist keine einfache Aufgabe, da gehört viel dazu! Und auch das Ausbildungsmodul für die Justizwacheangehörigen ist sehr selektiv und sehr anspruchsvoll, und daher haben wir auch im Bereich der Justizwache derzeit nicht alle Planstellen besetzen können.

Aber es ist besser, hier wirklich, soweit es vom Betrieb her vertretbar ist, zu warten, bis man die wirklich Qualifizierten in ausreichender Zahl hat, als irgendwelche Provisorien zu installieren, die man nicht verantworten kann. Das halte ich nicht für sinnvoll.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

 


Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Meines Wissens ist das Haupt­problem oder der Hauptgrund dafür, dass es noch immer nicht in Vollbetrieb ist, auch die hohe Personalfluktuation. Und genau das hat der Rechnungshof 2014 kritisiert oder bemängelt, dass es dazu keine Aufzeichnungen gibt.

Sie sagen jetzt aber, dass es eher an einem Mangel an qualifizierten Bewerbern und Bewerberinnen liegt – und nicht an der Fluktuation selbst. Ist das so richtig?

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Ich kann dazu nur sagen, dass es natürlich für Personalfluktuation vielfältige Ursachen gibt, die durchaus auch erfreulicher Natur sind. Wir haben Gott sei Dank im öffentlichen Dienst relativ groß­zügige Karenzierungsmöglichkeiten insbesondere für Staatsanwältinnen, die ja dann auch die Möglichkeit haben, mit Halbtagsbeschäftigung zurückzukehren. Daraus ergibt sich schon relativ viel an Veränderung in der Personalstruktur. Aber das muss man einkalkulieren und das ist halt so, und das ist auch gut so.

Die Planstellenbesetzung als solche ist natürlich ein Vorgang, dessen Bedingungen ich gar nicht ändern kann und auch gar nicht ändern will. Da braucht es wirklich eine entsprechend qualifizierte Ausbildung. Und ja, es ist so, dass es auch innerhalb der Justiz natürlich immer wieder auch personelle Wechsel gibt. Ja, ich sage ganz offen, erst kürzlich, eben bei dem letzten Gespräch, hat die Leiterin der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sich ein bisschen scherzhaft bei mir darüber beklagt, dass schon wieder zwei ihrer Kollegen jetzt in Richtung Ministerium abwandern. Aber auch umgekehrt gibt es diesen Effekt. Hier gibt es also immer wieder eine durchaus natürliche Fluktuation, die ja an sich erfreulich ist.

Aber an sich, glaube ich, muss man die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft an der Arbeit messen, die sie leistet, und da gibt es überhaupt nichts zu bemängeln. Ganz im Gegenteil! Und die Ausweitung oder die Besetzung der offenen Planstellen kann und wird dazu führen, dass es zu einer weiteren Verfahrensbeschleunigung kommt. Das ist gut, wichtig und richtig so. Mein Gott, es ist halt immer so, dass diese Ausbildungszyklen, wie Sie ja wissen, in jährlichen Abschnitten stattfinden. Studienab­schluss ist normalerweise im Juni, und dann kommen sie in den Vorbereitungs­lehrgang, und üblicherweise kann man dann damit rechnen, dass es in Jahresschritten wieder eine entsprechende Aufstockungsmöglichkeit geben wird.


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Wichtig für mich ist, dass ich die Planstellen habe, und die gebe ich auch nicht mehr her. Die sind da und die werden besetzt. Und mit wem sie besetzt werden und wann, richtet sich ausschließlich nach Kriterien der Qualifikation.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat Tiefnig.

 


Bundesrat Ferdinand Tiefnig (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Bundes­minister, mit dem Inkrafttreten der Reform des Staatsanwaltschaftsgesetzes wurde die sogenannte Whistleblower-Homepage nach einem mehrjährigen oder zweijährigen Probebetrieb bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gesetzlich implementiert.

Meine Frage geht dahin: Wie beurteilen Sie den Erfolg dieser Einrichtung? Und warum ist es aus Ihrer Sicht notwendig, solche Einrichtungen zu implementieren?

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat, nach allem, was ich jetzt einfach nur im Kopf habe, kann ich schon sagen, dass sich diese Whistle­blower-Homepage auch durchaus im Einklang mit internationalen Vergleichsbeispielen einfach bewährt hat. Der Erfolg gibt uns mit diesem Konzept recht. Und auch die Befürchtung, die es ursprünglich gab, dass man da mit völlig substanzlosen Behaup­tungen zugemüllt werden würde, hat sich in dieser Form nicht bewahrheitet. Der Anteil jener Hinweise, die letztlich im Papierkorb landen mussten, ist relativ gering gewesen, geringer, als wir dachten.

Ja, mein Sektionschef Pilnacek hat wie immer sensationell aktuelle Daten an der Hand – vielen Dank dafür! –: Mit Stand vom letzten Stichtag waren insgesamt nur 7,39 Prozent substratlos. 38,26 Prozent haben zu einem Ermittlungsansatz geführt, aber noch zu keinem konkreten Verdacht gegen bestimmte Personen, und in 11,05 Prozent kam es zu Einstellungen. In 0,14 Prozent kam es zu Diversionen. Wir hatten insgesamt aufgrund von solchen Hinweisen durch die Whistleblower-Homepage schon neun Schuldsprüche. Wir hatten auch drei Freisprüche. Wir hatten sechs Fälle der Verfahrensabbrechung. Und eine relativ große Zahl – das ist schon auch sozio­logisch nicht uninteressant –, ein Drittel dieser Hinweise, die sich als durchaus nicht substanzlos erwiesen haben, wurde weitergeleitet an die Finanzbehörden. Das heißt, ein Drittel davon betraf Steuerdelikte, die natürlich von den Finanzbehörden ent­sprechend weiterzuverfolgen sind.

Man kann also nicht sagen, dass es hier nicht entsprechende Erfolge gebe, und inso­fern kann man nur sagen: Ja, die Einrichtung hat sich bewährt, und daher haben wir sie mit Recht, glaube ich, jetzt auch auf Dauer implementiert. Das wird auch weiter dazu führen, dass wir an bestimmte Fälle herankommen – und diese letztlich auch verfolgen können –, an die wir sonst nicht herangekommen wären.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Frau Bundesrätin Posch-Gruska.

 


Bundesrätin Inge Posch-Gruska (SPÖ, Burgenland): Sehr geehrter Herr Minister, meine Frage hätte eigentlich gelautet, welche Maßnahmen Sie wegen der großen Fluktuation beim Personal treffen. Die haben Sie aber, wie das Ihre Art ist, schon sehr ausführlich beantwortet, darüber bin ich auch sehr froh.

Jetzt würde ich aber gerne folgende Frage stellen: Können Sie sagen, wie groß die Verzögerungen durch die große Fluktuation in der Wirtschafts- und Korruptionsstaats­an­waltschaft waren? Wirkt sich das aus, dass es so oft Wechsel gibt und die neuen Leute gegenüber jenen, die schon dort gearbeitet haben, eigentlich wiederum aufholen müssen?

 



BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 41

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Sehr geehrte Frau Bundes­rätin, substanziell und so, dass man eine Verzögerung einem bestimmten Verfahren zuordnen könnte, wirkt es sich nicht aus, weil dann die Kollegen insgesamt, weil sie sehr tüchtig sind, auch zusätzliche Aufgaben übernehmen, einander helfen und unter­stützen. Man könnte also nicht sagen, dass es dort jetzt durch das noch nicht mögliche Besetzen aller Planstellen in Einzelfällen konkrete Verfahrensverzögerungen gegeben hätte. Nein, das kann man nicht.

Sie wissen, vieles bei uns ist ja ohnehin fristgebunden, und wenn es Fristen gibt, dann muss man laufen, das ist keine Frage, und dann laufen auch alle. Ich würde so sagen: Wenn wir es einmal geschafft haben werden, alle Planstellen zu besetzen, dann werden Sie allmählich merken, dass insgesamt die Parameter für die Verfahrensdauer deutlich und nachhaltig zurückgehen werden, aber jetzt, mit der Besetzung von etwas mehr als drei Vierteln der Planstellen, schaffen wir es doch einigermaßen. Aber es ist noch Luft nach oben bei den Planstellenbesetzungen und damit aber auch bei der Verfahrensbeschleunigung.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat Samt.

 


Bundesrat Peter Samt (FPÖ, Steiermark): Herr Bundesminister, meine Frage geht vor allem in Richtung Kommunalpolitik. Ich weiß jetzt nicht genau, ob es in der Steiermark besonders viele oder besonders wenig Fälle in dieser Richtung bei Anzeigen oder Vergehen von Bürgermeistern gibt, in den letzten Jahren gab es allerdings ein paar herausragende Fälle. Da ist vor allem eines auffällig gewesen, und insbesondere das hat bei der Bevölkerung auch sehr starken Unmut hervorgerufen, nämlich die lange Ermittlungs- oder Verfahrensdauer.

Meine Frage lautet: Wie viele Fälle sind Ihnen bekannt, in denen gegen Bürgermeister sozusagen ermittelt wurde oder Anzeigen vorliegen, und wie können Sie uns die durch­schnittliche Verfahrensdauer bei solchen Fällen erklären?

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat! Ich bin für die Frage dankbar, weil sie mir Gelegenheit gibt, noch kurz auf etwas einzugehen, was ich heute hier am Beginn gehört und auch mitgenommen habe.

Bundesländerspezifische Statistiken führen wir natürlich nicht, aber ich habe mich gefreut, als ich von Herrn Landeshauptmann Haslauer gehört habe, dass er vom „tüchtigen Niederösterreicher“ und vom „heimatbewussten Steirer“ spricht – wobei natür­lich völlig klar ist, dass das wechselweise genauso richtig ist, also dass die Steirer tüchtig sind und die Niederösterreicher heimatbewusst. Aber eine Statistik, die auf die Bundesländerzugehörigkeit abstellen würde, wie das auch kurz hier aufgetaucht ist, gibt es natürlich nicht.

Daher kann ich Ihnen nur sagen, dass es natürlich eine allgemeine Statistik darüber gibt, wie viele Verfahren es insgesamt gibt, die derzeit wegen Amtsmissbrauchs – um solche Fälle wird es wohl gehen – anhängig sind, aber ich kann das jetzt nicht herun­terbrechen auf eine bestimmte Zahl von Bürgermeistern, die mit solchen Verfahren konfrontiert sind. Das geht nicht, denn darüber haben wir keine entsprechenden Statistiken – und das ist auch gut so.

Insgesamt möchte ich aber schon sagen, dass gerade der Tatbestand des Amts­miss­brauchs, und ich denke, Ihre Frage hat diesen Hintergrund, oft durchaus schwierige Rechtsfragen aufwirft, und daher kann es schon sein, dass solche Verfahren länger dauern, bis die rechtlichen Fragen in dem Zusammenhang geklärt sind.


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Ich weiß, dass es Bürgermeister nicht einfach haben, sie haben auch als Behörde ein entsprechendes Risiko, das ist schon richtig. Ich habe mir in meinem früheren Tätig­keits­bereich oft gedacht, dass es vielleicht gar nicht so geschickt ist, dass die Bürger­meister auch als Baubehörden erster Instanz Entscheidungsorgan sind, weil das natür­lich immer gewisse Probleme mit sich bringt. Soviel ich weiß, gibt es auch Bürger­meister, die diese Kompetenz aus genau diesen Gründen, aus Compliance-Gründen, an die Bezirkshauptmannschaften delegiert haben. – Das aber nur, weil es gut dazupasst.

Das, was Sie ansprechen, ist schon ein allgemeines Problem. Das könnte man viel­leicht auch – allgemein – versuchen, in der Richtung zu lösen, die ich angedeutet habe, aber grundsätzlich gibt es keine spezifischen Statistiken – und was die Delin­quenz von Bürgermeistern betrifft, überhaupt nicht. Amtsmissbrauch ist aber oft nicht so einfach zu beurteilen, das stimmt schon, und wenn es da Verfahrensverzögerungen gibt, dann kann das auch daran liegen, dass die Rechtsfragen nicht einfach zu klären sind und dann auch im Rahmen der Fachaufsicht auf mehreren Ebenen genauer überprüft werden müssen. Ich denke, das ist der Grund und damit auch die Antwort auf Ihre Frage, so wie ich sie verstanden habe.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nunmehr zur 5. Anfrage, 1882/M, und ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Dr. Köll, um Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrat Dr. Andreas Köll (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Bundesminister! In den letzten Jahren ist die Zahl an Sachwalterschaften stark angestiegen. Das ist einerseits auf die demographische Entwicklung zurückzuführen, andererseits kommt es relativ rasch zur Bestellung von Sachwalterinnen und Sachwaltern, was auch mir als Bürgermeister nicht ganz verborgen geblieben ist. Aktuell planen Sie in Ihrem Haus eine Reform des Sachwalterschaftsrechtes.

Dazu meine konkrete Frage:

1882/M-BR/2016

„Wie lauten die wesentlichen Eckpunkte der geplanten Reform im Sachwalter­schafts­recht?“

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat und Bürger­meister, ich muss Ihnen vollinhaltlich recht geben, dass natürlich auch die demo­graphische Entwicklung dazu führt, dass es eine entsprechende Steigerung bei den Sachwalterschaften gibt, aber ich denke, dass das nicht der einzige Grund ist. Es gibt da schon ein Problem, dem wir uns stellen müssen – und ich beziehe mich jetzt eher auf etwas Handfestes, nämlich auf die doch zahlreichen Beschwerdefälle bei der Volksanwaltschaft, die uns immer wieder berichtet werden und die mir schon zu denken geben.

Ich habe den Eindruck, dass man sich manchmal des Gefühls nicht erwehren kann, dass die Bestellung eines Sachwalters oft auch deshalb erfolgt, weil es die für alle Beteiligten bequemste Lösung ist – aber es ist die für den Betroffenen ungünstigste. Daher versuchen wir im Rahmen der Sachwalterschaftsreform einfach von den Prämissen her sicherzustellen, dass die Interessen des Betroffenen im Mittelpunkt stehen und nicht die Bequemlichkeit aller sonstigen Beteiligten. Das halte ich für wichtig.

Das bedeutet natürlich, dass man sich dann genau anschauen muss, in welchem Umfang, wie genau und durch wen man die eingeschränkte Willensbildung des Betrof­fenen tatsächlich ersetzen muss. Und da muss man sich schon überlegen, was die


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Sachwalterschaft bedeutet. Die Sachwalterschaft bedeutet, dass die Geschäftsfähig­keit des Betroffenen substituiert wird durch einen anderen. – So.

Man hat das Gefühl, dass damit auch sichergestellt werden kann, dass jemand sozusagen nicht am Geschäftsleben teilnimmt, der eben nicht mehr geschäftsfähig ist, was ein Schaden für sonstige Beteiligte am Geschäftsleben wäre, weswegen man die Sachwalterschaft braucht. Das scheint mir etwas zu kurz gedacht zu sein. In Wirklichkeit geht es doch in vielen Fällen darum, dass einige wesentliche Entschei­dungen zu treffen sind, wo man die betroffene Person unterstützen kann und muss, aber es ist nicht notwendig, ihr gleich generell die Geschäftsfähigkeit abzusprechen und sie voll zu besachwalten.

Die Beschwerdefälle, die es diesbezüglich gibt, beziehen sich ja eigentlich auf zwei Dinge: einerseits darauf, dass immer wieder gesagt wird, es wird zu schnell und zu leichtfertig die volle Sachwalterschaft vom Gericht verhängt oder beschlossen, ande­rerseits aber auch – das darf man auch nicht vergessen! – auf die tatsächliche Umset­zung der Sachwalterschaft durch die beauftragten Sachwalter, was auch immer wieder Anlass zu Beschwerden gibt, weil – berechtigt oder nicht – viele Verwandte sagen, sie kommen gar nicht an den Sachwalter heran, er spricht nicht mit ihnen, weil er keine Zeit hat und Ähnliches mehr. In beiden Bereichen, so glaube ich, muss man ansetzen, und das wollen wir auch mit unserer Reform.

Wir wollen eine neue Form der Sachwalterschaft schaffen, die einfach die Geschäfts­fähigkeit nicht völlig negiert, sondern mit einer entsprechenden Unterstützung in der Entscheidungsfindung sicherstellt, dass die wesentlichen Entscheidungen von dem Betroffenen mithilfe einer anderen Person – im Idealfall einem Verwandten als Ver­trauensperson – getroffen werden können, so weit das geht und so lange es geht. Der Kern der Reform soll sein, dass die Freiheit der Willensbildung, die Autonomie der Betroffenen so lange wie möglich aufrechterhalten werden soll. Das ist unser Ziel, und ich glaube, dass das geht.

Wenn wir es schaffen, dass dann auch die Betreuung und die Unterstützung durch jemanden erfolgen kann, der eben ein Naheverhältnis zu der betroffenen Person hat, dann werden wir, meine ich, auch diesen zweiten Punkt der Kritik entsprechend berücksichtigen können mit einer neuen Form der Sachwalterschaft, die natürlich eine aufwendigere Betreuung bedeutet, das muss man auch klar sehen.

Das wird auch genau das sein, wo wir werden kämpfen müssen, weil natürlich mehr Budget erforderlich ist, wenn ich im Rahmen einer Sachwalterschaft eine persönliche Betreuung sicherstelle, als wenn ich als Richter in wenigen Minuten einfach eine Sach­walterschaft als gerichtlichen Beschluss diktiere. Das ist relativ schnell geschehen, das ist rasch geschehen, und Richter gibt es sowieso, das kostet nichts zusätzlich, aber die Vermeidung dieser letztlich doch zu zahlreichen Sachwalterschaften, die Sicherstellung eines menschenwürdigen Vertretungssystems in diesem Bereich, das, meine ich, wird aufwendiger sein.

Das wird mehr Aufwand verursachen – wenn Sie so wollen, mehr Geld kosten –, aber ich glaube, es ist eine gute Investition. Das ist eine Investition in die Betroffenen und deren Menschenwürde, und daher, so denke ich, müssen wir es tun und müssen es gegebenenfalls auch durchkämpfen.

Wir werden, glaube ich, bis Sommer so weit sein, dass wir auf Basis der Erfahrungen, die wir mit den Pilotversuchen, die es ja schon gibt, sammeln konnten, im Rahmen der Arbeitsgruppen konkrete Vorschläge erarbeitet haben. Im Sommer müsste es dann eigentlich auch möglich sein, dass wir etwas vorlegen, das auch begutachtet werden kann. Ich bin jetzt bewusst ein bisschen vorsichtig, weil es durchaus eine große Reform ist, die wir hier angehen wollen, und durchaus auch in Übereinstimmung und in


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Kontakt mit der Volksanwaltschaft und selbstverständlich auch in Kontakt mit den berufsrechtlichen Vereinigungen, die da natürlich letztlich auch gefordert sind – Notare und selbstverständlich Rechtsanwälte –, und natürlich müssen auch die betroffenen Personen stärker als bisher eingebunden werden. Daher ist es eine breit angelegte Erneuerung und Reform.

Insgesamt freut es mich, dass wir schon sehen, dass die Erfahrungen, die es bisher gab, dem Ansatz und dem Ziel wirklich recht geben. Die Frage ist jetzt, ob wir es schaf­fen werden, mit den Möglichkeiten, die wir haben und die wir hoffentlich dann auch bekommen, letztlich das zu verwirklichen, was es hier braucht, nämlich eine Neure­gelung im Sinn einer möglichst langen Aufrechterhaltung der Entscheidungsfreiheit der betroffenen Personen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wird eine Zusatzfrage gewünscht, Herr Bundesrat? (Bundesrat Köll: Nein, danke, Frau Präsidentin!)

Zusatzfrage? – Bitte, Frau Bundesrätin Grimling.

 


Bundesrätin Elisabeth Grimling (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Ist eine für ein Gelingen der in den Grundzügen sehr positiv zu beurteilenden Reform des Sachwalterschaftsrechts sehr wünschenswerte Erhöhung der Budgetmittel zu erwarten?

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Mit einer derart schwierigen Frage habe ich aber nicht gerechnet, Frau Bundesrätin! (Heiterkeit bei der SPÖ.) – Ich kann nur sagen, dass das, was für die Umsetzung dieser Reform an Budgetmitteln notwendig sein wird, eine gute Investition ist, daher werden wir darum kämpfen, dass wir im Rahmen unseres Budgets die Mittel freibekommen, die wir dafür brauchen.

Die budgetäre Situation ist auch in meinem Ressort alles andere als einfach, das wissen Sie. Sie wissen darüber hinaus, dass auch eigene Rücklagen nicht wirklich frei verwendet werden dürfen – das betrifft alle Ressorts –, sondern das bedarf der Zustim­mung des Finanzressorts. Aber bis jetzt, das darf ich schon sagen, ist es uns immer gelungen, mit guten Argumenten auch den Herrn Finanzminister zu überzeu­gen – auch im gesamten Bereich der Strafvollzugsreform, wo er sich sehr, sehr enga­giert und wo er sehr kooperativ ist. Daher glaube ich, dass es auch diesbezüglich gelingen wird, die nötigen Mittel sicherzustellen.

Es ist jetzt nicht so wahnsinnig viel, aber in budgetär angespannten Zeiten ist alles, was es zusätzlich an Aufwand gibt, immer schwierig zu finanzieren. Ich sage Ihnen aber ganz offen, da bin ich wirklich sehr optimistisch – wirklich sehr optimistisch! –, weil einfach die Erfahrungen für diese Reform sprechen und weil wir gute Argumente haben. So ist es doch, oder?

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Noch eine Zusatzfrage? – Bitte, Frau Bundesrätin Mühlwerth.

 


Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Minister, bis jetzt waren die Sachwalterschaften ja aufgeteilt: Ich glaube, es waren ungefähr zu einem Drittel Anwälte, die diese Sachwalterschaften übernommen haben, und zu zwei Dritteln Angehörige. Auf beiden Seiten gab es Klagen: Die Anwälte haben zum Teil gesagt: Wir haben so viele Fälle, dass wir sie unmöglich persönlich betreuen können!, weshalb die Betreuung dann telefonisch stattgefunden hat, bei den Angehörigen kam in verein­zelten Fällen wieder die Klage, dass diese mehr ihre eigenen Interessen wahrnehmen als die der ihnen Anvertrauten.

Wie werden Sie bei der Reform dieses Spannungsverhältnis aufarbeiten können?

 



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Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Sehr geehrte Frau Bundes­rätin, die Antwort ist ganz einfach: Wir hören nicht so sehr auf die Anwälte, wir hören nicht so sehr auf die Verwandten, wir hören auf die Betroffenen! Die muss man fragen und die muss man in ihrer Entscheidungsfindung durchaus unterstützen – und das geht. Da muss man sich ihnen einfach mehr widmen. Man wird mehr Zeit aufwenden müssen als bisher, um herauszubekommen, was die wirklich wollen. – Das ist genau das, was ich gemeint habe.

Das ist ein aufwendigeres System der Betreuung, aber ich denke, die Betroffenen haben das verdient, und es ist allemal jeden Aufwand wert, ihnen die Autonomie in ihrer Entscheidungsfindung so lange wie möglich zu erhalten. Das ist der Punkt. (Beifall der Bundesrätinnen Ebner und Anderl.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Frau Bundesrätin Mag. Schreyer.

 


Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Sehr geehrter Herr Minister, in Ihrer Beantwortung der Hauptfrage haben Sie es ohnehin schon kurz angeschnitten: Ist im Zusammenhang mit dieser Reform auch geplant, die bereits bestehenden Alternativen zur Sachwalterschaft zu attraktivieren, und wenn ja, wie können wir uns das ungefähr vorstellen?

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Vielen Dank für die Frage, Frau Bundesrätin! Es ist vollkommen richtig, dass natürlich auch eine Attraktivierung und Propagierung der Dinge, die Sie sicherlich jetzt gemeint haben, nämlich Vorsor­gevollmacht und Patientenverfügung, hier mitgedacht ist. Das wird in diesem Zusam­menhang selbstverständlich auch entsprechend mitgeregelt.

Wir wollen natürlich auch erreichen – auch in Kontakt mit den berufsrechtlichen Vereinigungen –, dass es da sehr kostengünstige Möglichkeiten gibt, dass es für so etwas wie Vorsorgevollmacht oder Patientenverfügung nicht irgendwelche Barrieren auch finanzieller Natur gibt, denn da gibt es schon eine gewisse Schwellenangst. Wenn man den Betroffenen aber diese Schwellenangst nehmen kann, indem man ihnen sagt: Du brauchst keine Angst zu haben, du wirst jetzt nicht besachwaltet, sondern wir wollen nur gemeinsam mit dir als Betroffener die bestmöglichen Wege für dich in deiner jetzigen Situation finden!, dann, so meine ich, kann das auch gelingen. Das ist letztlich auch eine Frage des Vertrauens.

Aber das, Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung, wird sicherlich auch geschehen, auch die Angehörigenvertretung als Normalfall. Das gehört hier dazu.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat Mag. Zelina.

 


Bundesrat Mag. Gerald Zelina (STRONACH, Niederösterreich)|: Sehr geehrter Herr Justizminister, wie hoch ist die Zahl der besachwalteten Personen in Österreich und wie hat sich diese seit dem Jahre 2000, 2005, 2010, 2015 verändert? Können Sie da einen Trend ablesen, und was sind die Hauptursachen dieses Trends?

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Es ist allgemein bekannt, dass sich in den letzten zehn Jahren insgesamt die Zahl der Sachwalterschaften, glaube ich, grob gesagt, verdoppelt hat. Wir haben derzeit 60 000 aufrechte Sach­walterschaften, das ist schon sehr, sehr viel! Und wenn ich mir den Trend anschaue –


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ich habe die entsprechende grafische Aufbereitung hier vor mir liegen –, na ja, dann sehe ich österreichweit insgesamt eine kräftige Steigerung.

Also der Trend geht ständig und permanent nach oben. Derzeit halten wir, wie gesagt, bei 60 000 insgesamt, es ist also sinnvoll, da von der Zahl her gegenzusteuern. (Bundesrat Zelina: Und die Hauptursachen?)

Die Hauptursachen wurden schon angesprochen, das ist einerseits natürlich vor allem die demographische Entwicklung, andererseits aber auch, wenn Sie mir die persön­liche Bemerkung erlauben, eine Zeitkrankheit, die darin besteht, dass keiner mehr Zeit hat und sich keiner mehr Zeit nimmt für Leute, die entsprechende Betreuung brauchen.

Ein Sachwalterschaftsbeschluss ist schnell gefällt, und es gibt einige wenige Fälle, in denen Personen als Betroffene einen Beschluss bekommen über eine Besachwaltung ihrer Person, die auch bei der Befragung durch das Gericht gar nicht wirklich mitbe­kommen haben, dass das droht – und plötzlich bekommen sie den Beschluss und verstehen die Welt nicht mehr. Wenn so etwas passiert, dann ist etwas falsch am System, dann stimmt etwas nicht. Da muss man ansetzen, und das ist eigentlich der wesentliche Punkt.

Also, wie ich schon gesagt habe: Die demographische Entwicklung einerseits, ja – das wurde bei einer Anfrage schon angesprochen –, ist sicher ein Hauptgrund, aber schon auch der Trend, solche Probleme halt möglichst einfach – um nicht zu sagen: bequem – zu lösen und ohne großen zeitlichen Aufwand. Und das ist genau der Punkt, der die Reform schwierig macht, aber auch lohnend.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Wir gelangen nun zur 6. Anfrage, 1879/M, und ich bitte die Anfragestellerin, Frau Bundesrätin Anderl, um die Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrätin Renate Anderl (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Bundesminister, uns ist Ihre unmissverständliche Haltung gegenüber dem Rechtsextremismus bekannt. Diese Haltung war ja auch bei der gelungenen Reform des Verhetzungsparagraphen deutlich merkbar.

Daher meine Frage an Sie:

1879/M-BR/2016

„Wie können menschenverachtende Beurteilungen in der Justiz, wie dies bei der Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Graz wegen des in der FPÖ-nahen Zeitschrift ‚Aula‘ erschienenen Artikels ‚Mauthausen-Befreite als Massenmörder‘ geschehen ist, in Zukunft verhindert werden?“

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Bundesrätin, wie Sie wissen, waren wir alle im Haus über diese Begründung – und um die ging es ja, weniger um die Sachentscheidung – wirklich betroffen. Unser Sektionschef hat auch unverzüglich und unmissverständlich das gesagt, was zu sagen war.

Was kann man tun, um so etwas in Zukunft zu verhindern? – Nun, im Kern – und das haben wir auch gestern in einem Gespräch, das wir aus diesem Anlass auch mit Ver­tretern des Mauthausen-Komitees und der Jüdischen Kultusgemeinde hatten, schön herausgearbeitet – ist klar, dass wir auch bei der Ausbildung der jungen Staatsan­wältinnen und Staatsanwälte, Richterinnen und Richter ansetzen müssen. Das haben wir jetzt beschlossen: Wir werden ein Ausbildungsmodul, das es bisher schon gab, aber nur rein fakultativ – Sektionschef Schwanda ist dafür verantwortlich –, jetzt ver­pflichtend machen.


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 47

Dabei geht es um die Auseinandersetzung und die Ausbildung im Zusammenhang mit Nationalsozialismus und seiner Aufarbeitung und der Zeitgeschichte. Das ist relativ aufwendig, aber da müssen jetzt alle durch. Ich glaube, das ist wirklich auch ein Aus­bildungsproblem. Für die Jungen sind einfach der Zweite Weltkrieg und alle seine Konsequenzen schon so weit weg. Wir in meiner Generation tun uns da relativ leicht, denn wir haben das im Kopf. Aber es braucht, um es wirklich in Zukunft verhindern zu können, eine entsprechende Ausbildungsoffensive; die haben wir beschlossen und die wird es geben.

Darüber hinaus haben wir gestern auch Einvernehmen darüber erzielt, dass wir genauer darauf schauen müssen, dass auch die Informationspflichten den Anzeigern gegenüber entsprechend wahrgenommen werden – das geschieht offenbar nicht immer und nicht immer lückenlos –, damit auch die allenfalls reagieren können. Es gibt ja, wie Sie wissen, auch die entsprechenden Meldestellen, die entsprechenden Institutionen, die da auch entsprechend reagieren.

Ich muss Ihnen ganz offen sagen: Ich habe mich durchaus gefreut über den an mich gerichteten offenen Brief in dieser Sache, weil er zeigt, dass es da eine sehr wache Zivilgesellschaft gibt, die genau darauf schaut, dass eben das, was im konkreten Fall mit der Begründung passiert ist, die entsprechenden Konsequenzen hat.

Ich glaube daher, dass wir da auf jeden Fall zukunftsträchtig agieren, wenn wir das Ausbildungssystem mit diesem verpflichtenden Punkt schwerpunktmäßig verändern. Alles Weitere werden wir im Rahmen unserer Möglichkeiten auch tun, um so etwas in Zukunft zu verhindern, das ist keine Frage.

Es hat uns betroffen gemacht, muss ich schon sagen, das ist richtig, insofern verstehe ich Ihre Frage sehr gut.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

 


Bundesrätin Renate Anderl (SPÖ, Wien): Meine Zusatzfrage wurde soeben beant­wortet. Ich wollte wissen, welche Maßnahmen in Zukunft zu setzen sind, dass sicher­gestellt wird, dass sich jede Staatstätigkeit daran orientiert, dass Nationalsozialismus kompromisslos abgelehnt beziehungsweise geahndet wird. Aber die Antwort habe ich schon bekommen. Herzlichen Dank.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bevor wir in der Fragestunde fortfahren, gestatten Sie mir aus meinem schönen Heimatbundesland Niederösterreich eine Gruppe aus Groß-Siegharts unter der Leitung von Frau Pasquali und Herrn Litschauer zu begrüßen. Herzlich willkommen bei uns im Bundesrat! (Allgemeiner Beifall.)

Zusatzfrage? – Bitte, Frau Bundesrätin Hackl.

 


Bundesrätin Marianne Hackl (ÖVP, Burgenland): Geschätzter Herr Justizminister! Meine Frage: Wie sind die Berichtspflichten seit 1. Jänner 2016 geregelt, und erlauben diese in jedem Fall ein Eingreifen in die Beurteilung der zuständigen Staats­anwalt­schaft?

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Bundesrätin, ich muss auch meine Waldviertler Landsleute aus Groß-Siegharts verabschieden, wenn sie schon hier sind – oder kommen Sie wieder? (Heiterkeit. – Eine Besuchergruppe betritt soeben den Sitzungssaal.) Habe ich Sie wieder hereingeholt?! (Ruf bei der ÖVP: 50 …!) 50 Waldviertler Landsleute – darüber freue ich mich. Willkommen!


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 48

Was die Thematik Berichtspflichten betrifft, so muss ich schon sagen, dass für mich ein Kern der Änderung und der Reform des Weisungsrechts natürlich auch darin bestanden hat – und dazu stehe ich –, dass wir die Berichtspflichten reduzieren.

Ich habe immer gesagt, ich will gar nicht so viele Akten im Ministerium haben, sondern ich möchte im Vertrauen darauf, dass die Staatsanwaltschaften ihre Aufgabe gut erfüllen werden, die Berichtspflichten zurückdrängen. Das haben wir mit 1. Jänner gemacht, jawohl. Deshalb war auch dieser Fall kein berichtspflichtiger Fall in diesem Sinne. Wir haben das erst im Nachhinein erfahren und sehen können.

Da ist schon die Frage, ob wir in diesem Punkt wirklich ansetzen sollten. Noch glaube ich, dass es richtig ist, auch im Interesse der Neuregelung des Weisungsrechts, dass ich dabei bleibe, dass wir die Berichtspflichten zurückdrängen und wir eine Aus­bildungsoffensive bei den jungen Staatsanwältinnen und Staatsanwälten, Richterinnen und Richtern starten. Wir überlegen aber noch, was man in diesem Bereich vielleicht tun kann, um in der Begründung so etwas, was hier passiert ist, zu vermeiden.

Aber eine generelle Rückkehr zu einer umfassenderen Berichtspflicht täte mir – ich sage es ganz offen – weh, weil das einfach meiner Überzeugung widerspricht und eigentlich auch ein Rückschritt wäre nach dem, was wir mit der Reform des Weisungs­rechts erreicht haben.

Also grundsätzlich bleibt es einmal dabei: Wir haben die Berichtspflichten reduziert, wir haben sie zurückgedrängt. Und in diesem speziellen und so hochsensiblen Themen­bereich, der hier mit der angesprochenen Entscheidung deutlich geworden ist, haben wir – abgesehen von der Ausbildungsoffensive und von der Sicherstellung der Infor­mation der Anzeiger von der jeweiligen Entscheidung – schon noch einige interne Überlegungen, wie wir hier vielleicht noch mehr tun können. Aber eine generelle Rückkehr zu einer umfassenden Berichtspflicht, sei es auch nur für diesen Bereich der betroffenen Delikte, scheint mir derzeit nicht notwendig und auch nicht sinnvoll zu sein.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Noch eine Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat Jenewein.

 


Bundesrat Hans-Jörg Jenewein (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Bundesminister, ich möchte der Intention der Anfragestellerin durchaus beipflichten, weil ich der Meinung bin, dass ein Gerichtssaal von Haus aus keinen geeigneten Ort für eine historische Debatte darstellt – das gilt im Übrigen auch für ein Parlament!

Wir haben heute schon bei der zweiten Frage über die steigenden Probleme, die wir in diesem Land mit Verhetzung und mit einem Anstieg des Antisemitismus im Zusam­menhang mit Hasspostings haben, gesprochen. Es gibt jetzt natürlich die entsprechen­den gesetzlichen Regelungen, die dazu da sind, diesen Anstieg zu bekämpfen.

Meine Frage an Sie, Herr Bundesminister, lautet daher: Wie kann auch künftig sicher­gestellt werden – bei aller Sensibilität, die dieses Thema ohne Zweifel verlangt; darin sind wir uns alle einig –, dass das hohe Gut der Meinungsfreiheit auch in Zukunft garantiert ist und dass wir uns nicht – Sie als Minister nicht, aber auch wir als Legislative nicht – dem Vorwurf aussetzen, dass wir hier mit Meinungszensur arbeiten? Denn: Die Debatte rund um das Stichwort „Lügenpresse“ kennen wir ja alle. Das ist keine erstrebenswerte Geschichte, und da müssen wir ebenfalls ein hohes Sensorium entwickeln.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat, die Antwort auf diese Frage ist sehr einfach: Sie besteht schlicht im Verweis auf unsere Verfas­sung, auf unsere verfassungsrechtlichen Regelungen. Wir haben einen entsprechen-


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den Spielraum, dieser ist in Österreich vielleicht anders als in anderen Staaten, ins­besondere in den USA, aber es ist ganz klar, dass unsere verfassungsrechtlichen Regelungen eine Abwägung treffen zwischen Meinungsfreiheit und strafrechtlicher Verfolgung von Äußerungen, die eben nach unserer Rechtsordnung und nach unserer Verfassung nicht als tolerabel qualifiziert werden. Das ist der Spielraum, und der ist mir genauso vorgegeben wie Ihnen. So gesehen macht es wenig Sinn, jetzt hier über etwas zu diskutieren, das in Wirklichkeit – und auch aus meiner Sicht – verfassungs­rechtlich klar geregelt ist. Da haben wir klare Vorgaben, und das ist gut so.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Frau Bundesrätin Mag. Dr. Dziedzic.

 


Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Für uns, für mich ist Faschismus keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Sie, Herr Minister, haben erst im Jänner anlässlich einer Veranstaltung am Bezirksgericht Meidling von einer mangelhaften Auseinandersetzung der österreichischen Justiz mit ihrer Rolle im Nationalsozialismus gesprochen und darauf hingewiesen, dass gerade in einem Europa, das von Bedro­hungen sozusagen heimgesucht wird, genau diese Auseinandersetzung sehr, sehr wichtig wäre.

Herr Minister, Sie haben jetzt gesagt, dass eine Ausbildungsoffensive geplant ist. Mich würde interessieren, inwiefern Sie das Gespräch mit Ihrem Rechtsschutzbeauftragten Gottfried Strasser gesucht haben, der ja genau diese Einstellung des Verfahrens als historisch rechtfertigte, und inwiefern Sie genau diese Begründung, die Auseinander­setzung rund um dieses Verfahren nicht als Anlass sehen, eine unabhängige Histori­ker­kommission einzurichten, die sich genau mit der Rolle der österreichischen Justiz während der NS-Zeit, aber auch mit deren Kontinuitäten nach 1945 auseinandersetzt, wie das zum Beispiel in Deutschland seit 2005 geschieht.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Sehr geehrte Frau Bundes­rätin, Ihre Frage gibt mir die Gelegenheit, hier sagen zu dürfen, dass ich wirklich stolz bin auf das, was an Arbeit innerhalb der Justiz in Richtung Aufarbeitung dieser The­matik geleistet wird. Ich denke dabei etwa an Persönlichkeiten wie den Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Wien Friedrich Forsthuber oder aber auch an den Bezirksgerichtsvorsteher von Wien Meidling Oliver Scheiber. Die leisten in diesem Bereich wahnsinnig viel.

Es macht mich stolz, dass diese Aufarbeitung aus der Justiz kommt, diese Aus­einan­dersetzung mit der nicht optimalen Aufarbeitung dieser Vergangenheit auch innerhalb des Justizapparates, insbesondere in den Sechziger- und Siebzigerjahren. Da ist vieles nicht optimal gelaufen, das kann niemand bestreiten. Aber das, was wir tun, ist, dass wir alles unterstützen, was der Aufarbeitung und was der Bewusstseinsbildung dienen kann – auch für die jungen Generationen! Das macht Sinn, auch im Rahmen dieser Ausbildungsoffensive.

Wir unterstützen selbstverständlich auch das Dokumentationsarchiv des Österreichi­schen Widerstandes und andere Institutionen, die sich damit beschäftigen. Das ist, glaube ich, auch der richtige Weg. Wir haben sehr viele, die da sehr viel tun, sowohl Institutionen als auch Einzelpersonen, und zwar Gott sei Dank auch aus der Justiz, sodass ich nicht glaube, dass man jetzt zusätzlich eigene Expertenkommissionen braucht. Mit den Experten in diesem Bereich, den Historikern, die hier führend tätig sind, kooperieren wir ohnehin schon die ganze Zeit, und das ist gut so. Ich glaube, dass es wichtiger ist, das zu fördern, was an Initiativen in diesem Bereich aus der Justiz kommt.


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Wenn man sich anschaut, was alles diesbezüglich geschehen ist – beim Landesgericht für Strafsachen mit dem Mahnmal und bei vielen anderen Dingen –, dann muss man schon sagen: Das zeigt, dass wir jetzt eine andere Erinnerungskultur haben als viel­leicht noch vor 10, 20 Jahren. Da hat sich in der Zwischenzeit sehr viel getan, ist sehr viel geschehen und wird auch weiterhin sehr viel geschehen – auch im Interesse einer noch besseren Ausbildung künftiger Generationen, eines größeren Problembewusst­seins, das wir in dieser Hinsicht erzeugen können.

Aber je mehr aus der Justiz selbst kommt, desto effektiver ist es. Und das ist, glaube ich, das Wesentliche, und das habe ich auch gelernt. Deshalb habe ich mich über die damalige Veranstaltung in Meidling, die Ihnen offenbar bekannt ist oder wo Sie auch dabei waren, so gefreut.

Das würde ich weiter massiv unterstützen und fördern: Initiativen, aus der Justiz kommend, für die Justiz! Das ist der richtige Weg. Und da sind wir, glaube ich, in der letzten Zeit ganz gut unterwegs.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nunmehr zur 7. Anfrage, 1883/M, und ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Forstner, um deren Verlesung.

 


Bundesrat Armin Forstner, MPA (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Minister! In letzter Zeit hört man im Justizumfeld immer öfter von einem Erneuerungsprojekt mit dem klingenden Namen „Justiz 3.0“.

Meine Frage an Sie, Herr Minister:

1883/M-BR/2016

„Was genau verbirgt sich hinter der Kurzbezeichnung ‚Justiz 3.0‘?“

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat, unter dieser Zauberformel „Justiz 3.0“ verbirgt sich ein Erfolgsprojekt. Wir haben in unserem Haus im Bereich der EDV-Abteilung aus der Justiz kommende Experten, die in der Lage waren, zu erreichen, dass im Bereich der Anwendung der EDV die österreichische Justiz wirklich international ziemlich an der Spitze liegt. Deshalb haben wir auch immer wieder Anfragen für Kooperationen mit anderen Ländern und mit der Justiz, zum Teil auch im internationalen Bereich. Und das zeigt, dass wir da einiges erreichen konnten.

Es geht dabei im Wesentlichen um eine Steigerung der Effektivität und der Effizienz durch Einsatz von EDV. Es geht um den Elektronischen Akt, um Vermeidung von Papier­akten, wo es nur geht. Was elektronisch vorhanden ist, kann im Prinzip gleich­zeitig von mehreren Personen eingesehen werden, man hat mehrfachen Zugriff, sofort, jederzeit. Was elektronisch verschickt wird, kann auch nicht in Verstoß geraten. Es geht auch viel schneller als ein Papierakt, der bisher bearbeitet werden musste.

Das heißt: Allgemein – ich muss mich jetzt kurz fassen – geht es darum, die Möglich­keiten der EDV-Technik für den Gerichtsablauf und auch für den Ablauf bei den Staats­anwaltschaften optimal einzusetzen. Das ist der Kern dieses Projekts „Justiz 3.0“.

Wie ich von meiner Fachabteilung weiß, geht es da noch weiter. Die denken da schon weiter, denn es ist wichtig, dass man auch in diesem Bereich, wo es technisch ja nie einen Stillstand gibt, auch wirklich dranbleibt. Wir sind mit diesem Projekt wirklich ganz weit vorne. Und ich muss sagen, es ist sehr angenehm, wenn man im Ausland unterwegs ist, dass man immer wieder, wenn man mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland spricht, erlebt, dass sie daran sehr interessiert sind. Das ist etwas, was


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wirklich großes Interesse weckt. Damit haben wir etwas, was wir sogar mit großem Erfolg exportieren können.

Die Entwicklung geht in dieser Richtung weiter. Im Kern geht es dabei, wie gesagt, um die Optimierung des Einsatzes der EDV im Bereich der Justiz. Wenn Sie einmal bei Gericht zu tun haben, dann werden Sie sehen, dass es überall schon die Möglichkeit gibt, Einvernahmen mehr oder weniger über Video durchzuführen. Das haben wir praktisch schon bei allen Bezirksgerichten. Da ist in den letzten Jahren also sehr viel geschehen, da sind wir wirklich, glaube ich, sehr, sehr gut unterwegs. Das verbirgt sich hinter „Justiz 3.0“ – eine Erfolgsgeschichte aus unserem Haus! (Beifall bei der ÖVP.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wird eine Zusatzfrage gewünscht, Herr Bundesrat? (Bundesrat Forstner: Danke, Frau Präsidentin, keine Zusatzfrage!)

Zusatzfrage? – Bitte, Frau Bundesrätin Gruber-Pruner.

 


Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Minister, meine Frage zielt auf die technische Ausstattung ab: Was ist von Ihrem Ressort geplant, damit nicht durch das Fehlen von simpler Hardware verhindert wird, dass die Errungenschaften der modernen Technologien auch für die Justiz genützt werden können?

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Bundesrätin, ich kann Ihnen versichern – auch gestützt auf die aktuellen Unterlagen, die mir mein Mitarbeiter gerade gegeben hat –, dass es da keinen Mangel gibt, auch nicht an der ent­sprechenden Hardware, die wir benötigen. Also dieses Projekt läuft gut. Es ist aus meiner Sicht und nach allem, was ich weiß, keinerlei Engpass vorhanden, der dieses Projekt und seine Fortführung gefährden würde. Da schauen wir schon drauf.

Man darf ja nicht vergessen, wenn man das unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit sieht, so bedeutet das auch nachhaltige Einsparungsmöglichkeit. Das heißt, da zu inves­tieren, das ist eine Investition in eine Effizienzsteigerung, und in Wirklichkeit macht das insgesamt die Justiz ja billiger und kostengünstiger. Daher wäre es völlig absurd, da irgendwelche budgetären Engpässe zuzulassen. Das mache ich sicher nicht, nein, denn das macht Sinn!

Das Projekt ist gut unterwegs. Und Gott sei Dank haben wir in der entsprechenden Fachabteilung die Experten, die das auch wirklich können und auch jahrelang weiter­entwickelt haben. Daher wird es keine Notwendigkeit geben, da irgendetwas zu kürzen. Überhaupt nicht! Das, was da an Ressourcen notwendig ist, ist vorhanden, und wir können und werden das weiterentwickeln.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Noch eine Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat Mag. Raml.

 


Bundesrat Mag. Michael Raml (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Justiz­minister, handelt es sich beim Projekt „Justiz 3.0“ um einen rein internen Ablauf, um ein internes Projekt, oder gibt es auch Auswirkungen – hoffentlich im positiven Sinn – auf die Rechtsunterworfenen? Wenn ja, wie wirken sich diese aus? Und wird da auch darauf Bedacht genommen, dass es auch Menschen gibt, die mit modernen Medien – gerade mit dem Internet – vielleicht noch nicht so gut vertraut sind?

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat, natürlich bindet dieses Projekt auch diejenigen mit ein, die üblicherweise von Berufs wegen mit dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft zu tun haben. Deshalb ist seit einiger Zeit der


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elektronische Zugang für Rechtsvertreter und selbstverständlich auch für Notare im Prinzip verpflichtend. Daher ist natürlich ganz klar, dass das System auch darauf aufbaut, dass alle, die mit dem Gericht von Berufs wegen in Kontakt treten, dies auf elektronischem Wege tun können und auch sollen.

Unabhängig davon ist es natürlich so, dass man nicht erwarten darf, dass der Bürger, der mit diesen Dingen nicht vertraut ist, dann überhaupt nicht mehr mit dem Gericht in Kontakt treten kann. So ist es nicht! Wir haben in den modernen Bezirksgerichten entsprechende Servicecenter, wo man auch darauf eingerichtet ist, solchen Personen zu helfen. Dafür haben wir ja diese Servicecenter, sonst bräuchten wir überhaupt keine mehr. Das wäre ja furchtbar.

Natürlich brauchen wir im Servicecenter auch Betreuungspersonal, Menschen aus Fleisch und Blut, die jedem, der kommt und ein Anliegen hat, dabei behilflich sind, sein Anliegen an die richtige Stelle zu bringen, denn man kann nicht davon ausgehen, dass das Einbringen eines Anliegens in allen Fällen auf elektronischem Weg erfolgt. Diese Option gibt es zwar, aber verpflichtend machen kann man das nur für die berufs­mäßi­gen Parteienvertreter, und das ist der Fall. Insofern funktioniert das im Regel­betrieb wirklich sehr, sehr gut und höchst effizient.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Frau Bundesrätin Dr. Reiter.

 


Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Herr Minister, vonseiten verschiedener Praktiker, die ich versucht habe dazu zu befragen, was es damit auf sich hat, habe ich sehr unterschiedliche Rückmeldungen bekommen: einerseits, dass immer wieder Arbeitsgruppen gebildet würden, die dann teilweise wieder einschlafen, und das dann wieder ad acta gelegt wird, dass die Praktiker teilweise keine große Freude haben, weil bei Pannen das Back-up fehlen und nichts mehr funktionieren würde, dass aber andererseits in Bereichen wie der zentralen Verwaltung von Verwahrstellen, die dringend notwendig wäre, eigentlich nichts mehr weitergeht und es da keine Priorität mehr gibt.

Meine Frage: Woran scheiterte die flächendeckende Einführung des Elektronischen Akts im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren bisher?

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Bundesrätin, ich denke, Sie beziehen sich auf etwas, was natürlich bei Innovationen nie ganz vermeidbar ist. Dass es immer wieder auch Pannen geben kann, die man dann beheben muss, das ist klar. Und deshalb haben wir ja auch die sogenannten Lenkungsausschüsse einge­richtet, wo alle Betroffenen im Boot sind und wo man Mängel in der Anwendung dieser Systeme besprechen und dann auch beheben kann. Selbstverständlich, das ist immer so: Wenn man mit einer Entwicklung ganz weit vorne ist, dann gibt es da oder dort immer wieder Pannen, die man beheben muss.

Ohne jetzt eine Marke zu nennen, aber wir haben erst kürzlich zwei neue Leasing­fahrzeuge einer sehr bekannten Automarke bekommen, und nach wenigen Tagen haben sich diese Fahrzeuge überhaupt nicht mehr bewegt, weil die Elektronik zusam­men­gefallen ist. Das Unternehmen versucht jetzt schon einige Tage hindurch, den Fehler zu finden.

Das ist natürlich im Bereich der EDV, im Bereich dieser Technologie immer möglich, aber wichtig ist, dass man dann auch wirklich offen auf den Partner zugeht und auch für jeden die Möglichkeit existiert, sich sofort – im Rahmen der Lenkungsausschüsse regelmäßig und institutionalisiert, aber auch sonst – an das BMJ zu wenden, wenn es irgendwo Mängel gibt oder irgendwo etwas nicht funktioniert.


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Natürlich kann auch einmal ein Server spinnen oder blockiert sein, das wird es immer wieder geben, aber insgesamt, das muss ich schon sagen, funktioniert das bei solch einer Hochtechnologie, wo man so weit vorne ist, sehr, sehr gut, abgesehen von solch nicht vermeidbaren Mängeln. In der allergrößten Zahl der Fälle, die vor allem die tägliche Anwendung betreffen, gibt es überhaupt keine Probleme. Aber die Weiter­entwicklung gibt es natürlich auch, wir sind da noch nicht am Ende. Nein, nein, das geht schon noch weiter, und das macht auch Sinn trotz der immer wieder auftretenden Kinderkrankheiten. Das ist so. Aber Kinderkrankheiten hören auch einmal auf – Gott sei Dank!

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nunmehr zur 8. Anfrage, 1880/M, und ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Weber, um deren Verlesung.

 


Bundesrat Martin Weber (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrter Herr Bundesminister, im heurigen Februar hat die Exekutive eine groß angelegte Razzia in österreichischen Gefängnissen und Strafvollzugsanstalten durchgeführt, teils mit besorgniserregenden und erschreckenden Ergebnissen.

Daher meine Frage an Sie, Herr Minister:

1880/M-BR/2016

„Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um in Zukunft den Schmuggel illegaler Gegenstände in Gefängnisse, siehe die Ergebnisse der Razzia am 8.2.2016, zu unter­binden?“

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat, wie Sie vollkommen zu Recht sagen, hat diese Schwerpunktaktion gezeigt, dass sie auch notwendig war. Es wurden relativ viele Gegenstände gefunden, die in Haftanstalten nichts verloren haben. Das zeigt, dass es notwendig war, dort solch eine Kontrolle natürlich überraschend und ohne Vorankündigung durchzuführen.

Wir können das machen, und das möchte ich schon auch einmal vorweg sagen, weil wir seit dem Vorjahr die neue Generaldirektion für den Strafvollzug im Haus haben. Damit kann man rasch und effizient vorgehen und auch sicherstellen, dass von solchen Vorhaben nichts nach außen dringt.

Wir haben aber auch gesehen – und noch sind noch gar nicht alle Detailanalysen abgeschlossen –, wo es konkret Schwachstellen gibt, wo es Anstalten, die besonders gut, und andere, die nicht besonders gut abgeschnitten haben, gibt. Und das ermög­licht es jetzt, hier wirklich Schwerpunkte zu setzen, über die ich mich jetzt im Detail natürlich nicht verbreitern werde. Das koordiniert auch unser Generaldirektor für den Strafvollzug mit seiner höchst effizienten Truppe.

Sie können sicher sein, dass natürlich alles, was da an Erkenntnissen gewonnen wurde, einfließen und dazu führen wird, dass wir die entsprechenden Maßnahmen setzen werden, alles, was nur möglich ist, um sicherzustellen, dass im Strafvollzug strikt gesetzeskonform agiert wird und dass auch wirklich all das unterbunden wird, was nach dem Strafvollzugsgesetz verboten ist. Das ist der Punkt. Und insofern war diese Kontrolle für uns ja nur der Beginn weiterer Maßnahmen, weiterer Tätigkeiten.

Wir haben da natürlich auch immer wieder die Justizwache eingebunden, das ist ganz wichtig. Ich glaube, dass es notwendig ist, dass wir da gemeinsam mit den Haupt­beteiligten, und das ist unsere Justizwache, wirklich alles tun, um die Gesetzeskon-


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formität des Strafvollzugs sicherzustellen. Da braucht es halt manchmal auch solche Maßnahmen.

Mir ist schon klar, das ist für niemanden angenehm. Es ist auch für niemanden von uns angenehm, wenn er auf einem Flughafen genauer kontrolliert wird oder gar gefilzt wird. Ja, aber das ist im Interesse des gesamten Systems notwendig, um sicherzustellen, dass eben so weit wie nur irgendwie möglich verhindert wird, dass etwas Verbotenes und unter Umständen auch sehr Gefährliches passiert.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

 


Bundesrat Martin Weber (SPÖ, Steiermark): Was unternehmen Sie, Herr Minister, um im Strafvollzug die Radikalisierung und Extremisierung von Gefangenen zu ver­hindern?

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Wir haben erst kürzlich auch darauf hinweisen dürfen, dass wir natürlich auch Experten im Boot haben, die uns dabei behilflich sind, diesbezüglich die nötigen Maßnahmen zu setzen. Auch da ist der wichtigste Partner die Justizwache.

Wir haben entsprechende Schulungen auf freiwilliger Basis. Wir haben eine ent­sprechende Unterstützung auch der Justizwache in diesen Bereichen. Und wir haben uns diese Sache nicht leicht gemacht. Wir haben durchaus lange gesucht. Wir haben uns auch international umgesehen und viel Kontakt gehabt. Ich selbst habe auch viel Kontakt mit Kollegen von Ländern gehabt, in denen es auch dieses Phänomen gibt. Und der Succus all unserer Vergleiche und Überlegungen war: Das Problem ist von der Genese, von der Ursache her ein sehr vielfältiges, und daher müssen auch die Maßnahmen vielfältig sein und auf mehreren Ebenen ansetzen. Niemand – niemand! – hat das Patentrezept für Deradikalisierung. Wer immer das behauptet, der arbeitet nicht seriös. Man muss sich wirklich mühsam weiterhanteln und nach den bestmög­lichen Strategien suchen, unter Einbindung von unabhängigen Experten, die da ganz besonders wichtig sind.

Noch ist es Gott sei Dank eine einigermaßen überschaubare Zahl von inhaftierten Dschi­hadisten, die wir haben, sodass wir die Möglichkeit haben, die Fälle einzeln genau zu analysieren. Und wenn man das tut, stellt man sehr bald fest: Es ist eine höchst unterschiedliche Struktur, die diesen Fällen zugrunde liegt. Und daher muss man auch multifaktoriell ansetzen, unterschiedliche Gegenstrategien entwickeln. Das tun wir wirklich mit Best Practice, mit bestmöglichen Experten, die wir da an der Hand haben, die wir uns natürlich, das möchte ich bei dieser Gelegenheit schon auch sagen, sehr sorgfältig ausgesucht haben und auch weiterhin sehr sorgfältig aussuchen. Nicht jeder, der von sich behauptet, dass er das Patentrezept hat, ist deshalb gleich ein Experte. Wir schauen da schon darauf, dass wir uns auf unsere Experten, die wir uns ausgesucht haben und denen wir vertrauen, stützen.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zusatzfrage? – Bitte, Frau Bundesrätin Junker.

 


Bundesrätin Anneliese Junker (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Minister, meine Zusatzfrage bezieht sich wieder auf den 8. Feber 2016, auf die Razzien. Solche Razzien sind ja sehr aufwendig an Beamten und kosten natürlich viel Geld.

Daher meine Frage: Ist ein ergänzender Einsatz technischer Maßnahmen zur Verhin­derung der Benutzung von Mobiltelefonen innerhalb einer Justizanstalt angedacht? Die Mehrheit der Gegenstände, die gefunden wurden, waren ja Mobiltelefone. Ist da ein technischer Einsatz angedacht?

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 



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Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Bundesrätin, es ist ein technischer Einsatz von Handyblockern und auch von Mobilfindern angedacht. Aber dazu muss ich schon sagen, dass das gar nicht so einfach ist, weil die Reichweite dieser Geräte nicht so leicht dosiert werden kann.

Und da bin ich jetzt wieder beim Themenbereich Standortoptimierung und Gesamt­reform, denn wir haben Haftanstalten, die etwa wie Krems/Stein in unmittelbarer Nach­barschaft einer Universität und eines Museums liegen – wir haben das alles schon getestet. Man kann das nicht so leicht und gut dosieren, dass dann nicht die Gefahr besteht, dass die ganze Uni daneben keinen Mobilfunkverkehr hat. Das geht nicht.

Wir arbeiten also daran, und es gibt auch immer wieder neue technische Entwick­lungen. Meine Fachleute sind wirklich voll dahinter, dass wir diese technischen Geräte optimal einsetzen, aber zum Teil scheitert es bei der derzeitigen technischen Entwick­lung einfach an den jeweiligen Strukturen der Justizanstalten und der Gebäude, die wir überwachen wollen und müssen.

Wir haben Anstalten, wo das kein Problem ist – da machen wir es auch. Aber überall dort, wo Nachbarschaft gestört werden kann, geht es halt nicht so, wie wir das gerne hätten.

Wir sind also dahinter, wir wenden es dort an, wo es geht, wir sind aber auch dabei, neue Geräte und neue technische Möglichkeiten zu testen. Es wird wahrscheinlich im Laufe des Jahres so weit sein, dass wir vielleicht da oder dort auch neue Geräte haben, die wir gezielt mit der nötigen Sensibilität in Bezug auf die Reichweite dieser Störfaktoren einsetzen werden können. Da ist wirklich alles und vieles im Fluss. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass wir unsere Generaldirektion für den Strafvollzug ja noch nicht einmal ein Jahr lang haben. Es ist schon sehr viel geschehen und es muss weiterhin viel geschehen in diesem Bereich, natürlich auch im Bereich der Technik.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat Herbert.

 


Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Herr Bundesminister, die gegenständlichen Razzien, die vor einem Monat stattgefunden haben, haben ja, und das muss man schon so erkennen, in erschreckender Weise die negative Sicherheits­lage in unseren Gefängnissen und Haftanstalten aufgezeigt.

Will man der Personalvertretung glauben, dann liegt das in erster Linie daran, dass einfach zu wenig Personal vorhanden ist, um dort umfassende Sicherungs- und Überprüfungsmaßnahmen jedenfalls – und das immer – sicherzustellen.

Meine Frage lautet daher: Ist von Ihrer Seite angedacht, die Personalressourcen im Justizwachebereich zu erhöhen? Ich meine da in erster Linie Planstellen. Wenn ja, in welchem Ausmaß und in welchem Zeitraum soll das stattfinden?

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat, Ihre Analyse ist vollkommen richtig. Wir haben dort eine sehr knappe Personalausstattung.

Es ist momentan ein bisschen leichter, das ist richtig, aber das kann sich sehr bald wieder ändern, wenn wir Pech haben. Natürlich. Ich bin aber, wie Sie wissen, regel­mäßig in Kontakt mit den Gewerkschaftsvertretern der Justizwache. Und es ist wirklich auch hier so ähnlich, wie wir es vorhin auch besprochen haben im Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft: Es ist nicht so leicht, die Plan­stellen zu besetzen. Es ist eine qualifizierte Ausbildung. Wir haben die 100 neuen Planstellen, die wir bekommen haben, immer noch nicht zur Gänze besetzen können. Wir haben jetzt einen Ausbildungslehrgang gehabt, bei dem die Ergebnisse insgesamt


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leider relativ schlecht waren. Das heißt, es sind viele bei den Tests nicht durchge­kommen.

Aber es ist, Sie werden mir recht geben, das Anforderungsprofil an einen Justizwache­beamten sehr hoch. Und da darf man nicht nachlassen, weil das eine wirklich wichtige und für die gesamte Gesellschaft enorm verantwortungsvolle Aufgabe ist. Daher haben wir auch da momentan einen gewissen Engpass an geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern, das muss ich ganz klar sagen.

Wir greifen auch auf das Mobilitätsprogramm des Bundes zurück. Ja, das führt da oder dort zu schönen Erfolgen, aber es gibt natürlich auch Fehlschläge, das muss man auch klar sagen. Es frisst auch wieder Zeit, wenn jemand aus einem anderen Ministerium kommt und nach einiger Zeit sagt – auch das haben wir schon gehabt –: Das ist doch nicht ganz meins, ich fühle mich da nicht so wohl! Dann hat es ja keinen Sinn, jemanden dazu zu zwingen, weiterzumachen.

Ich denke, das alles ist nur eine Frage der Zeit, auch das wird sich jahrgangsmäßig mehr und mehr verbessern.

Natürlich müssen wir, Herr Bundesrat, auch schauen – ich habe ganz vergessen, das zu erwähnen –: Bei der Gesamtreform des Strafvollzugswesens und bei der Stand­ortoptimierung geht es schon auch darum, dass wir im Interesse der Bediensteten auch bautechnisch optimieren müssen. Das ist ja auch nicht überall der Fall.

Wir haben Haftanstalten – Sie wissen es wahrscheinlich besser als ich –, die unter diesem Aspekt wirklich höchst „reformbedürftig“ sind. Wir müssen dort auch für die Bediensteten etwas tun. Es geht nicht nur darum, dass wir jetzt notwendigerweise und sinnvollerweise die Verhältnisse für die von uns zu betreuenden Personen optimieren, man darf auch auf das Justizwachepersonal nicht vergessen. Das Justizwache­personal hat zum Teil in den Anstalten Bedingungen, die alles andere als optimal sind. Deshalb ist das natürlich auch ein wichtiger Aspekt im Zuge der Gesamtreform, das ist vollkommen richtig.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Noch eine Zusatzfrage? – Bitte, Frau Bundesrätin Dr. Reiter.

 


Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Ganz wird es sich wahr­scheinlich nie unterbinden lassen, dass es hier zu Problemen kommt, solange es ein Besuchsrecht und so weiter gibt. Also Razzien und Kontrollen werden immer notwen­dig sein.

Ich stelle die Frage: Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um in Zukunft die Anwesenheit von Medienvertretern während der Durchsuchung von Hafträumen, wie es eben am 8. Februar geschehen ist, zu unterbinden, um so eine möglichst scho­nende Durchsuchung im Sinne des anzuwendenden § 102 Abs. 2 StVG sicherstellen zu können? Denn unserer Meinung nach haben sowohl die Häftlinge ein Recht auf Persönlichkeitsschutz als auch die Bediensteten, die unter Umständen bei solch einer Maßnahme durch die Anwesenheit von Medienvertretern direkt an den Pranger gestellt werden. Also was ist diesbezüglich angedacht?

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bitte, Herr Minister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Bundesrätin, dazu ist einmal Folgendes klarzustellen, und insofern bin ich da ganz bei Ihnen: Der Per­sönlichkeitsschutz aller Betroffenen, sowohl Insassen als auch Justizwachebedienstete betreffend, muss hundertprozentig sichergestellt sein. Das war er nach meiner Wahr­nehmung auch. Also das ist für mich völlig klar und außer Frage. Das ist das eine. Das ist in jedem Fall die Grundbedingung. Das heißt, die Beeinträchtigung darf nicht über


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das hinausgehen, was im Rahmen einer solchen durchaus notwendigen Kontrolle wirklich unbedingt notwendig und auch verhältnismäßig ist.

Das andere ist: Es ist mir schon wichtig, dass wir da entsprechende Transparenz nach außen haben. Man muss sich der Medienkritik in diesem Bereich durchaus stellen. Sie wissen ja – Sie alle wissen es –, die Kritik der Medien an bestimmten Erscheinungen im Strafvollzug ist immer wieder sehr intensiv und sehr heftig, und dieser muss ich mich einfach stellen. Das heißt, ich muss ja dann auch im Sinne der Transparenz sagen: Ja, wir haben da nichts zu verbergen!

Wir sind wirklich dabei, jetzt ein großes Reformvorhaben umzusetzen, das natürlich bei voller Transparenz. Alles andere hat keinen Sinn, glauben Sie es mir, sonst kommen immer nur irgendwelche Berichte des Inhalts, man weiß nicht genau, was da passiert. Nein, das ist nicht gut.

Es muss und soll solch eine Kontrolle, wenn man so will, Razzia – ich mag diesen Ausdruck an sich nicht, weil er irgendwie negativ besetzt ist –, so ablaufen, dass die Persönlichkeitsrechte aller Betroffenen so garantiert und eingehalten werden, dass man das auch vor jedem Medium vertreten kann – das ist ja auch ein Sinn dieser Transparenz –, damit nicht nachher gesagt werden kann, da sei dies oder jenes passiert. Nein, das hat keinen Sinn! Wir machen das und wir spielen das ganz offen, bei voller Transparenz. Da gibt es nichts zu verbergen. Und die Einbindung oder die Offenheit gegenüber Medien stellt ja auch sicher, dass es da zu keinen Rechtsver­letzungen kommen kann, die natürlich sofort medial aufschlagen würden.

Ich muss noch einmal sagen: Das ist aus meiner Sicht auch die richtige Konsequenz oder die richtige Reaktion darauf, dass die Medienberichterstattung über den Strafvoll­zug insgesamt immer sehr kritisch gewesen ist und nach wie vor auch kritisch ist. Ich sage ganz offen: Ich würde mir manchmal wünschen – aber das ist nur ein Wunsch eines Ressortministers –, Medien würden mit derselben Intensität über Erfolge im Bereich der Strafvollzugsreform, die wir ja auch haben, berichten. Aber das wird wohl ein frommer Wunsch bleiben und nicht mehr.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Die Fragestunde ist beendet.

11.57.45Einlauf und Zuweisungen

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Hinsichtlich der eingelangten, vervielfältigten und verteilten Anfragebeantwortungen 2874/AB bis 2881/AB sowie

eines Schreibens des Ministerratsdienstes des Bundeskanzleramtes betreffend den Aufenthalt eines Mitglieds der Bundesregierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union und

eines Schreibens des Generalsekretärs für auswärtige Angelegenheiten gemäß Art. 50 Abs. 5 B-VG betreffend Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss des Vertra­ges zwischen der Republik Österreich und der Republik Kuba über die Rechtshilfe in Strafsachen

verweise ich auf die im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates, die dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Die schriftlichen Mitteilungen haben folgenden Wortlaut:

Liste der Anfragebeantwortungen (siehe S. 7)

*****


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 58

Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Aufenthalt eines Mitgliedes der Bun­desregierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union:

*****


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 59

Schreiben des Generalsekretärs für auswärtige Angelegenheiten gemäß Art. 50 Abs. 5 B-VG:


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 60


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 61


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 62

*****

 



BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 63

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Eingelangt ist die EU-Vorschau 2016 des Bundes­ministeriums für Finanzen, III-583-BR/2016, die dem Finanzausschuss zugewiesen wurde. Dieser Bericht bildet bereits einen Tagesordnungspunkt in der heutigen Sitzung.

Weiters eingelangt sind und den zuständigen Ausschüssen zugewiesen wurden jene Beschlüsse des Nationalrates beziehungsweise jene Berichte, die Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind.

Die Ausschüsse haben die Vorberatung abgeschlossen und schriftliche Ausschuss­berichte erstattet.

Ich habe die zuvor genannten Verhandlungsgegenstände auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Es ist dies nicht der Fall.

Behandlung der Tagesordnung

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Aufgrund eines mir zugekommenen Vorschlages beabsichtige ich, die Debatte über die Tagesordnungspunkte 5 und 6 unter einem durch­zuführen.

Erhebt sich dagegen ein Einwand? – Das ist nicht der Fall.

Ankündigung einer Dringlichen Anfrage

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bevor wir in die Tagesordnung eingehen, gebe ich bekannt, dass mir ein Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend: Roter Pensionstransfer zwischen Bank Austria und Pensionsversicherungsanstalt (3130/J-BR/2016), vorliegt.

Im Sinne des § 61 Abs. 4 der Geschäftsordnung verlege ich die Behandlung an den Schluss der Sitzung, aber nicht über 16 Uhr hinaus.

12.00.391. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 24. Februar 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem zur Linderung der Inflationsfolgen bei den Wohnkosten das Richt­wert­gesetz geändert wird (2. Mietrechtliches Inflationslinderungsgesetz – 2. MILG) (998 d.B. und 1010 d.B. sowie 9535/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Tagesordnung ein und gelangen zu deren 1. Punkt.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Anderl. Ich bitte um die Berichterstattung.

 


12.01.12

Berichterstatterin Renate Anderl: Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Ich erstatte den Bericht des Justizausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 24. Februar 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem zur Linderung der Inflationsfolgen bei den Wohnkosten das Richtwertgesetz geändert wird (2. Mietrechtliches Inflationslinderungsgesetz – 2. MILG).

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 8. März 2016 mit Stimmen­einhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 



BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 64

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Hammerl. Ich erteile ihm dieses.

 


12.02.03

Bundesrat Gregor Hammerl (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mieterinnen und Mieter! Und falls noch Damen und Herren vor den TV-Geräten sitzen, wünsche ich ihnen ein herzliches Grüß Gott! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Ich finde den Na­men des uns vorliegenden Gesetzentwurfes klar und verständlich. Er heißt „Bundes­gesetz, mit dem zur Linderung der Inflationsfolgen bei den Wohnkosten das Richtwert­gesetz geändert wird“.

Meine Damen und Herren, es gibt keine Lösung; es gibt maximal eine Linderung der drückenden Wohnkosten. Im Nationalrat gab es eine wirklich sehr lebendige Dis­kus­sion mit A und B, aber am Schluss haben ziemlich alle da mitgestimmt. Herr Bundes­minis­ter, Sie haben das sehr gut vermittelt. (Vizepräsident Gödl übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren, beim Wohnen handelt es sich um ein grundsätzliches menschliches Bedürfnis. Wohnen ist ein Menschenrecht, das wissen wir, das heißt, es ist auch als Menschenrecht definiert. Das ist es nicht nur deshalb, weil Wohnen Schutz bedeutet, sondern auch deswegen, weil Wohnen einen wesentlichen Raum für das Menschsein und für die Ausbildung der Persönlichkeit in einem geschützten Raum bietet. Gerade deshalb muss Wohnen für Menschen auch leistbar sein – und da ist der Knackpunkt! Das bedeutet auch, dass es genug Motivation dafür geben muss, dass Wohnraum von öffentlichen, aber auch von privaten Vermietern zur Verfügung gestellt wird.

Dabei ist die Steigerung von Wohnkosten eine wesentliche Herausforderung, die nicht mit einem Schlag und diesem vorliegenden Gesetzentwurf alleine bewältigt werden kann. Deswegen ist der Titel des Gesetzes, meine Damen und Herren, auch sehr vorsichtig formuliert – was bei Gesetzen nicht immer der Fall ist. Da ist einmal die Tatsache zu bedenken, dass einfach zu wenig Wohnungen gebaut werden. Ebenso wichtig ist es jedoch, dass Wohnungen in Zukunft auch leistbar sind, besonders auch Mietwohnungen. Da ist das Angebot derzeit ein bisschen knapp.

Mit dem Stopp in Bezug auf Anpassung des Richtwertes an die Inflation für ein Jahr ist eine Verschnaufpause für die Mieter gegeben, aber bei Weitem noch nicht die notwendigen Strukturen und eine Reform. Damit ist aber auch keine Vernebelung der wirklichen Situation gegeben, so wie es in der Diskussion rund um den Gesetzentwurf leider behauptet wurde.

Meine Damen und Herren, ich wiederhole es: Wohnen ist als Menschenrecht definiert. Auch Flüchtlinge sollten wir in dieser Diskussion nicht vorschnell als den Faktor sehen, wie es in der Diskussion gemacht wurde. Eine zeitlich begrenzte Maßnahme, die aber nicht als Notverordnung tituliert werden sollte, wie es auch geschehen ist, kann ein Moment sein, um das Problem hinauszuschieben. So kann es aber auch sehr wichtig sein, ein Innehalten zu bewirken, das uns Zeit gibt, mehrere Elemente in einer um­fassenden Strategie mit Blick auf das Wohnen ins Auge zu fassen. Bei diesem Gesetzentwurf mit einem ehrlichen und bescheidenen Titel handelt es sich also nur um einen Schritt in einer umfassenden Strategie, die notwendig ist.

Herr Bundesminister, Sie haben auch in der Diskussion im Nationalrat zu Recht gesagt – ich zitiere Ihre Worte –: „Das nun vorliegende Gesetz (…) hat nicht nur einen ehrlichen Titel, sondern selbstverständlich auch einen ehrlichen Inhalt.“ – Danke.

Meine Damen und Herren, es geht auch um eine einjährige Aussetzung der Indexie­rung der Richtwerte. Das ist eine Entlastung für ein Jahr und für einen nicht unbe­trächt-


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 65

lichen Teil der Mieter, nicht mehr und nicht weniger. Die darauffolgenden Richtwerte­veränderungen werden dann in einem zweijährigen Rhythmus stattfinden und der neue Verbraucherpreisindex 2010 wird herangezogen.

Das Gesetz bewirkt, dass für rund 330 000 Haushalte die Wohnungskosten für einen Zeitraum von einem Jahr gesenkt werden. Das ist viel, aber das ist noch immer nicht die Lösung. Wir brauchen nämlich grundsätzliche Überlegungen in Bezug darauf, wie das Menschenrecht auf Wohnen in menschlicher Weise verwirklicht werden kann. Wir brauchen Überlegungen in Bezug auf sozialen Wohnbau, der mit leistbaren Wohnun­gen für alle verbunden ist. Ich wünsche mir nicht die alten Bassenawohnungen zurück, wie sie früher waren, als das Klosett draußen war, die Toilette irgendwo war. Das ist nicht der Punkt, meine Damen und Herren, aber wir müssen auch schauen, dass wir billige Wohnungen bauen – vielleicht mit weniger Komfort –, damit wir auch die Jugend unterbringen können.

Außerdem ist es wichtig, Singlewohnungen für die immer größer werdende Zahl von Singles auch zu einem Preis, der leistbar ist, anzubieten. Mir sind leistbare Wohnungen mit einem geringeren Komfort wichtiger. Es sind also viele grundsätzliche Über­legungen notwendig, und der vorliegende Gesetzentwurf sollte für uns auch Anlass sein, darüber nachzudenken und nach Lösungen zu suchen.

Wir haben in der Steiermark in der Universitätsstadt Graz fünf Universitäten und 37 000 Stu­denten, und da gibt es schon ein Problem mit den Wohnungen. Wir haben in der Steiermark 1,2 Millionen Einwohner und 346 000 über 60-Jährige. Wir haben Frauen und Männer älterer Generation, die in großen Wohnungen wohnen. Sie würden aber gerne in eine kleinere Wohnung umziehen, weil sie da weg wollen, weil sie es einfach nicht schaffen. Wir haben Damen und Herren der älteren Generation, die im dritten, vierten Stock wohnen, die gerne irgendwo in eine kleinere Wohnung einziehen möchten. Da müssen wir, glaube ich, ein bisschen nachsetzen, und da kann man viel helfen.

Noch ein Wort zur Diskussion: Sofort werden in der Debatte um Wohnungen und Wohnraum alte Gegenüberstellungen und Konflikte sichtbar – das ist auch heute ein wichtiger Punkt –: Wohnungsbesitzer gegen Mieter, öffentliche Bauträger gegen private Anbieter von Wohnraum. Natürlich gibt es, meine Damen und Herren, Interes­sen, die einander gegenüberstehen, aber da müssen wir durch. Vielleicht sollte man sich aber mehr daran orientieren, woran das Interesse aller liegt und wobei wir alle mitkönnen, als daran, woran wir verschiedener Meinung sind, und zwar berechtigter­weise.

Meine Damen und Herren, es geht um menschenwürdiges Wohnen! Und dieses Ge­setz – danke, Herr Bundesminister – wird sehr viel dazu beigetragen. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten von SPÖ und Grünen.)

12.08


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Kurz. Ich erteile es ihr.

 


12.08.20

Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Als Vorsitzende des Justizausschusses schätze ich sehr die Expertise und das Know-how Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die wirklich auf kompetente Art und Weise eigentlich auf alle Fragen im Justizausschuss eine Antwort wissen. Deshalb – Sie verzeihen, wenn ich das ein bisschen ironisch sage – verstehe ich auch, dass Sie diese Expertise während einer Anfragebeantwortung ganz nah bei sich haben wollen. Ich darf Sie aber doch bitten, in Zukunft aufmerksam darauf zu ach-


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 66

ten, dass die Regierungsbank doch den Regierungsmitgliedern vorbehalten ist, auch wenn im Bundesrat manches ein bisschen lockerer aussieht als im Nationalrat. Ich bin davon überzeugt, dass Sie das alles mit Ihrer Sach- und Fachkompetenz ganz hervor­ragend beantworten würden.

Zum Entwurf des mietrechtlichen Inflationslinderungsgesetzes: Mein Kollege Hammerl hat bereits gesagt, worum es da geht. Es geht um eine Änderung des Richtwert­gesetzes. Die heurige Erhöhung wird ausgesetzt. Diese Valorisierung findet alle zwei Jahre statt.

Wir setzen im Übrigen zum zweiten Mal und nicht zum ersten Mal in Österreich aus; und ab dem nächsten Jahr soll es dann wieder alle zwei Jahre stattfinden. Mein Kollege Hammerl hat auch zu Recht darauf hingewiesen – und ich möchte das auch betonen –, dass das eine kurzfristige Maßnahme ist, die sofort wirkt, aber natürlich längerfristig für das vorhandene Problem der Wohnungsnot, das in vielen, vor allen Dingen städtischen Bereichen Österreichs vorhanden ist, keine Auswirkungen haben wird – auch wenn davon jetzt ungefähr 1 Million Menschen betroffen sind. Es sind dennoch relativ viele, die von dieser Aussetzung der Indexanpassung profitieren, und es bedeutet zum Beispiel bei einer Wohnung mit 70 m² immerhin eine Einsparung von 120 €.

Wir wissen aber alle, dass wir beim Mietrecht wirklich etwas machen müssen. Wir brauchen eine Reform. Wohnen ist in Österreich in vielen Bereichen viel zu teuer. Vor allem für junge Menschen und junge Familien ist qualitativ hohes Wohnen unleistbar geworden. Die Mieten sind viel zu hoch, und von Eigentumswohnungen will ich gar nicht sprechen.

Ich habe heute am Anfang unserer Sitzung schon auf die Wohnpreise in der Stadt Salzburg und im Land Salzburg hingewiesen. In der Stadt Salzburg, die sicher zu den hochpreisigen gehört, beträgt die Miete derzeit zwischen 14 und 16 € pro Quadrat­meter. Das ist zwar inklusive Betriebskosten, aber Sie müssen sich vorstellen, für eine Wohnung mit 75 m² bezahlt man 1 200 € im Monat. Wer soll sich das leisten kön­nen? – Junge Familien können sich solche Mieten nicht mehr leisten; ich will von Alleinerzieherinnen gar nicht erst sprechen. Aus diesem Grund ist es auch nicht verwunderlich, dass die Zahl der Bezieherinnen und Bezieher von Mindestsicherung stetig im Steigen ist, ein Großteil davon wird einfach auch von den Wohnungskosten her dazu gezwungen.

Es geht darum, dass junge Menschen oft 50 Prozent ihres Gehaltes in das Wohnen – natürlicherweise in dieses Grundbedürfnis – stecken müssen. Es ist nicht nur ein Grundbedürfnis, sondern auch ein Grundrecht. Deshalb sollten wir in naher Zukunft wirklich daran arbeiten, diesen Zustand zu beenden.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die parlamentarische BürgerIn­nenini­tia­tive aufmerksam machen, die von meiner Kollegin im Nationalrat, der Nationalrats­abgeordneten Kucharowits, eingebracht worden ist und jetzt auch online unterstützt werden kann. Ich möchte diese Forderung auch heute hier unterstützen. Die Initiative trägt den Titel „Billiger wohnen jetzt! Junges Wohnen muss bezahlbar werden!“

Ich unterstütze alle Forderungen, die in dieser Initiative eingebracht worden sind, und ersuche deshalb alle, die auch der Meinung sind, dass Wohnen in Österreich wirklich leistbar werden muss, diese Initiative zu unterstützen. Sie hat zwar schon die erfor­derliche Unterstützung für die Behandlung im Nationalrat erreicht, aber ich denke, je mehr Menschen in Österreich sagen, dass ihnen das ein Grundanliegen ist, desto besser ist das für diese Initiative. – Danke. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

12.13



BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 67

Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Rösch. Ich erteile es ihm.

 


12.13.08

Bundesrat Ing. Bernhard Rösch (FPÖ, Wien): Sehr geehrtes Präsidium! Werter Herr Minister! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseher! Im Gesetzentwurf steht „zur Linderung“ der explodierten Wohnkosten. Linderung ist das richtige Wort, weil es nur eine Linderung ist. Wenn man sich dann fragt, warum wir das machen müssen, obwohl wir ganz genau wissen, dass wir das die nächsten zehn Mal nicht so machen können, weil sonst die Wohnungen irgendwann einmal auch nicht mehr saniert werden – man kann schon sagen, dass ein Vermieter etwas dabei verdient und man ihm deshalb mit Augenmaß etwas davon wegnehmen kann –, dann ist die Diagnose, dass Wohnen für viele nicht mehr leistbar ist. Wir wollen aber keine Diagnose behandeln, sondern, so wie es ein Mediziner macht, die Ursache. Die Ursachen sind fehlende Kaufkraft und Knappheit.

Wir lesen zwar, dass wir beim Export noch immer sehr gut sind, aber wir sehen auch, dass wir auf dem Inlandsmarkt ständig nachlassen, dass wir ständig an Kaufkraft für den Inlandsmarkt verlieren, dass die Nachfrage für die Produkte – eben auch der Wohnung – nicht mehr gegeben ist.

Die Firmen, die Lohndumping machen können, versuchen das auch, aber wir bemer­ken auch, dass wir in den letzten 20 Jahren in den KV-Verhandlungen zwar KV-Lohn­erhöhungen ganz einfach bekommen haben, aber keine Istlohnerhöhungen. Das heißt, dass wir also in einem sehr großen Segment der arbeitenden Bevölkerung stetig an Kaufkraft verloren haben. Wir sehen an 400 000 Vollzeitbeschäftigten, die an der Armutsgrenze leben und zum Teil sogar Ausgleichszahlungen aus der Mindestsiche­rung bekommen, dass sich diese Wohnen nicht mehr leisten können. Da und bei der Knappheit müssen wir ansetzen.

Wenn ich mir allein Wien anschaue, wo man 120 Millionen € aus der Rücklage für die Wohnbauförderung entnommen hat, um damit zum Beispiel das Krankenhaus Nord zu finanzieren, weil dort das Geld gefehlt hat, oder die vielen, vielen anderen ähnlichen Beispiele, die es nicht nur in Wien gibt, dann weiß ich, wo das Problem liegt, denn wenn Wohnen ein knappes Gut wird, dann kann ich zwar schreiben, dass ich um 1 100 € den Quadratmeter errichten kann, nur werde ich ihn nirgendwo um den Preis bekommen. Wenn es ein knappes Gut ist, dann kann ich auch höhere Preise verlan­gen. Da ist das riesige Problem!

Dann, wenn die öffentliche Hand nicht bereit ist, dem auch gegenzusteuern, ein bisschen mehr für den Markt in diese Richtung zu tun, bleiben die Wohnungspreise hoch, und dann sind ganz einfach auch die Mieten hoch. Wenn man es sich neutral ansieht, erkennt man, dass die Mieten gar nicht so heftig explodiert sind. Im inter­nationalen Vergleich ist Wien bei den Mieten an und für sich noch immer Mittelmaß. Was plagt dann aber die Bevölkerung? Warum können wir uns Wohnen nicht mehr leisten? Warum haben wir diese Debatte? Warum brauchen wir dieses Gesetz? – Wir haben das alles, weil ganz einfach auch die Nebenkosten gestiegen sind.

Ich habe mir angeschaut und über die letzten Jahre zusammengeschrieben, wie stark die ganzen Gebühren und Abgaben gestiegen sind. Der Wasserpreis ist um 50 Prozent gestiegen. Die Erhöhung des Gaspreises beträgt ungefähr 50 Prozent, also 470 €. Da kann keine Gemeinde und so weiter etwas dafür, das obliegt dem allgemeinen Markt, dem größeren internationalen Markt. Für das Auto und alles, was man da so braucht, bezahlt man 178 €, also 46 Prozent mehr. Die Erhöhung der Kanalgebühren beträgt im Jahr ungefähr 65 €, also 49 Prozent. Für die Müllgebührenerhöhung berechne ich im Jahr ungefähr 45 €, also 40 Prozent. Die Erhöhung des Wasserpreises liegt bei 80 €,


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 68

das sind 39 Prozent. (Bundesrätin Kurz: Welches Bundesland? – Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)

Falls man mit einer normalen Familie irgendwann einmal in ein städtisches Bad gehen möchte – auf dem Land ist man da gesegnet, weil es irgendwo gratis möglich ist –, rechne ich dafür ungefähr 30 €, das entspricht einer Erhöhung um 52 Prozent. Der Strompreis ist mit 14 Prozent gestiegen, das sind 252 €. Und so geht es weiter. Wenn ich das alles zusammenrechne, dann komme ich auf 1 787 € und bemerke, dass das, was uns bei der Steuerreform gesagt wurde, nämlich dass mehr im Sackerl ist, nicht stimmt, weil im breiten Umfeld alles teurer geworden ist. Die Steuerreform kommt bei der Masse der Bürger nicht an, sondern geht gleich eins zu eins durch.

Es kommen dann noch viele, viele andere Sachen, die wir zu bewältigen haben. Wenn ich mir bei der Mittelschicht ansehe, was sie früher abschreiben konnte, falls sie vorge­sorgt oder sonst gespart hat, damit man eben dann im Alter, wenn man nicht mehr so mobil ist, ein bisschen etwas für die Mobilität auf der Seite hat, dann erkenne ich, dass das alles von der Steuer weggestrichen wurde.

Das schmerzt die Leute. Sie schmerzt nicht nur das Wohnen, sondern auch die Ge­bühren, die Abgaben und alles, was darum herum ist. Deswegen muss man sagen, dass man diese Maßnahme zwar unterstützen kann, aber uns wäre eine Politik mit Augenmaß einfach wesentlich lieber, als dass wir da jetzt punktuell irgendwelche Placeboeffekte hervorrufen müssen. Ja, jeder Euro hilft dem, der ihn nicht hat, aber der große Wurf ist es nicht. Ich befürchte, dass es nur mit einem anderen Wahlverhalten möglich ist, sonst werden wir aus dieser Misere nicht herauskommen. (Beifall bei der FPÖ.)

12.19


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gemeldet hat sich Frau Bun­desrätin Mag. Dr. Dziedzic. – Bitte.

 


12.20.03

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Wertes Präsidium! Herr Bundesminister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Das Miet­recht­liche Inflationslinderungsgesetz ist keine neue Erfindung, und wie wir gehört haben, betrifft es 300 000 Personen in Österreich. Laut Bundeskanzler Werner Faymann ersparen sich die Betroffenen durch diese Maßnahme rund 150 € im Jahr.

Wichtig und bisher nicht erwähnt worden ist, dass diese Änderung lediglich den Bereich der Richtwertmieten umfasst und der Aufschub der Inflationsanpassung somit lediglich den Mieterinnen und Mietern von Altbauwohnungen und MieterInnen von Wiener Gemeindewohnungen zugutekommt. Deswegen sind es auch nur 300 000.

Dieses Gesetz ist sowohl dem Umfang als auch dem Inhalt nach nicht wirklich geeignet, um eine echte Entspannung auf dem Wohnungsmarkt herbeizuführen oder das Problemfeld leistbares Wohnen zu erreichen. Dazu würde es auf jeden Fall einer breiteren Reform beziehungsweise umfassender Reformmaßnahmen bedürfen, die auch bereits im Regierungsübereinkommen angekündigt sind.

Wir sind uns alle einig, dass Wohnen ein großes Thema ist und dass leistbares Wohnen sehr viele Menschen in Österreich betrifft, wenn es darum geht, eine Woh­nung zu finden, die sie sich überhaupt leisten können. Es ist auch so, dass es gesetz­liche Regelungen die Höhe des Mietzinses betreffend nur bei Altbauten gibt, die vor 1953 gebaut worden sind. Bei Häusern, die nach 1953 gebaut worden sind, darf – kurz gesagt – auf dem Markt eine entsprechend unterschiedliche Miete verlangt werden. Das heißt aber auch, dass immer weniger Wohnungen erfasst werden und sich somit nicht mehr in dem sogenannten Schutzbereich des Mietrechtsgesetzes befinden.


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 69

Notwendig sind weiters nachvollziehbare Mietzinsobergrenzen und auch ein neu geordneter Betriebskostenkatalog, bei dem die Kosten, die mit dem Grundeigentum direkt zusammenhängen, wie etwa Grundsteuern, Verwaltungskosten oder die Gebäu­de­versicherung, nicht mehr den Mietern und Mieterinnen weiter verrechnet werden können.

Eine Reform müsste weiters auch Transparenz herstellen. Für die Mieter und Miete­rinnen ist es sehr oft nicht klar, wo der Schutz seiner/ihrer Miethöhe im Gesetz fest­geschrieben ist. Das müsste aber nachvollziehbar sein, damit es überprüfbar ist.

In einem sind wir uns alle einig: Sehr vielen Menschen fällt es zunehmend schwer, leistbaren Wohnraum zu finden. Der Druck auf dem Wohnungsmarkt ist in den vergan­genen Jahren enorm gestiegen, allein die Wohnkosten – nicht die Betriebskosten – um 41 Prozent.

Wir könnten natürlich sagen: Alles wird teurer! Nur: Wohnen ist – auch das haben wir heute schon ein paar Mal gehört – keine Ware, Wohnen ist kein Produkt, Wohnen ist ein Grundrecht, ein Grundbedürfnis, und wenn wir wirklich möchten, dass es da zu einer Entlastung kommt, dann genügt diese Linderung nicht, sondern da brauchen wir auch – und da sind wir uns auch alle einig – tatsächliche Reformen.

Wäre die Fragestunde jetzt nicht vorbei, würde ich Sie, Herr Minister, natürlich an dieser Stelle fragen, wann mit diesen zu rechnen ist, nachdem wir alle hier bekräftigt haben, dass es diese dringend bräuchte. – Danke. (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

12.24


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Herr Mag. Zelina hat sich als Nächster zu Wort ge­meldet. – Bitte.

 


12.24.17

Bundesrat Mag. Gerald Zelina (STRONACH, Niederösterreich): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Zuschauer vor den Fernsehgeräten! Die Mieten sind in den letzten zehn Jahren mit durchschnittlich 3,6 Prozent pro Jahr doppelt so schnell gestiegen wie das allgemeine Preisniveau – 3,6 Prozent pro Jahr Steigerung über die letzten zehn Jahre, Jahr für Jahr! Das ist gigantisch.

Hauptverantwortlich für diese Mietpreisanstiege sind neben dem starken Zuzug von Migranten die Misswirtschaft und die unverantwortliche Schuldenmacherei unserer Regierungen. Eine Finanzkrise jagt die nächste, eine Bankenkrise folgt der anderen. Die Österreicher vertrauen den Staatsfinanzen nicht mehr. Die Österreicher vertrauen den Banken nicht mehr, und dem Euro trauen die Österreicher auch nicht mehr – und das mit Recht!

Nicht nur die Mieten steigen doppelt so schnell wie das allgemeine Preisniveau, auch die österreichischen Staatsschulden sind in den letzten zehn Jahren doppelt so schnell gewachsen wie die Wirtschaftsleistung unseres Landes. Das ist eine Katastrophe! Wenn wir diesen Verschuldungskurs nicht schleunigst in Richtung ausgeglichener Fiskalbudgets ändern, steuern wir mathematisch unabwendbar auf den finanziellen Super-GAU zu.

Wenn das Wachstum der Schulden nachhaltig über dem Wirtschaftswachstum liegt, ist der Staatsbankrott samt seiner zerstörerischen Kraft auf die Bankensysteme und Währungssysteme vorprogrammiert.

Jede Staatsschuldenkrise führt immer zuerst zu einer Bankenkrise und letzten Endes zu einer Währungskrise, weil die Staatsschulden nicht mehr durch Steuereinnahmen,


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 70

sondern nur mehr durch Inflationierung und Enteignung der Sparguthaben der Bürger beseitigt werden können.

Unsere Bürger erhalten bereits jetzt für ihre Sparguthaben bei den Banken keine Zinsen mehr, ja sogar negative Zinsen – negative Realzinsen unter der Inflationsrate. Die Folge ist: Die Menschen heben ihre Sparguthaben von den Banken ab und fliehen in Sachwerte und Immobilien. Das erhöht die Nachfrage von Wohnungen und führt unweigerlich zu steigenden Mietpreisen.

Die hohen Mieten sind die Folge der gigantischen Staatsschulden unserer Regierung. Profiteure dieser Verschuldungspolitik sind ausschließlich die Banken, und da insbe­son­dere die internationalen Großbanken. 80 Prozent unserer Staatsanleihen befinden sich in ausländischen Händen. Die Zinszahlungen auf diese Staatsanleihen und kom­munalen Schuldverschreibungen fließen vorwiegend in ausländische Steueroasen, wo die Investmentfonds der Banken ihren Sitz haben, anstatt bei den eigenen Bürgern zu landen. Das sind jährlich gigantische 10 Milliarden €, die wir vorher von unseren Bür­gern per Steuern einheben müssen, um sie anschließend ins Ausland weiter zu über­weisen.

Was müssen wir tun, um die Mieten wieder leistbarer zu machen? – Ich möchte da vier Hauptpunkte nennen.

Erstens: Wir brauchen einen Staat, der jährlich Überschüsse statt Schulden produziert. Die Staatsschulden dürfen Jahr für Jahr nicht aufgebaut, sondern müssen abgetragen werden. An den Gewinnen des Staates sollen die Bürger per Steuergutschrift beteiligt werden. Das erhöht das verfügbare Einkommen und die Kaufkraft der Mieter.

Die Finanzierung des österreichischen Staates soll in Zukunft über eine eigene Staatsinvestmentbank erfolgen, die zu 100 Prozent in österreichischen Händen ist, und nicht mehr über private internationale Geschäftsbanken.

Hinter den ausgegebenen Staatsanleihen steht als Deckung einzig und allein die Steuerkraft und Arbeitskraft unserer Bürger!

Österreich ist stark genug, um sich mit einer eigenen Staatsbank, mit eigenen öster­reichi­­schen Pensionsfonds, österreichischen Lebensversicherungen und österreichi­schen Sparfonds selbst zu finanzieren. Dazu brauchen wir keine ausländischen Geldgeber.

Dieser Unfug der Finanzierung über das Ausland gehört abgestellt. Die Zinszahlungen auf Staatsanleihen müssen zu 100 Prozent den Österreichern zugutekommen und nicht ausländischen Financiers. (Bundesrat Pisec: Es gibt ja keine Zinsen!)

Zweitens: Die Inflationierungs- und Geldentwertungspolitik der Europäischen Zentral­bank gehört beendet. Inflationierung führt unweigerlich zur Flucht in Sachwerte, zu Asset Price Inflation und zu steigenden Mieten.

Wir vom Team Stronach wollen eine wertstabile Währung, und wir wollen wertstabile Sparguthaben für unsere Bürger. (Zwischenrufe der Bundesrätinnen Dziedzic und Zwazl.) Derzeit haben wir keinen wertstabilen Euro, sondern einen im Wert verfallen­den „Teuro“. (Bundesrätin Kurz: Na geh!)

Drittens: Wir müssen Wohnungseigentum stark forcieren. Mehr Eigentum ist die beste Antwort auf hohe Mietpreise. Wenn jeder eine Eigentumswohnung oder ein Eigenheim besitzt, fallen die Mietpreise in den Keller. Wohnungseigentum ermöglicht mietfreies Wohnen und ist deswegen auch die beste Pensionsvorsorge.

Wir vom Team Stronach wollen ein Volk von Eigentümern und eine Homeownership Rate von über 85 Prozent. Wir forcieren vor allem soziale Mietkaufmodelle für einkom-


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 71

mensschwache Schichten, bei denen die Mietwohnungen nach 20 Jahren an Mietzah­lungen automatisch in das Eigentum der Mieter übergehen.

Viertens: Wir müssen massiv in den Wohnungsbau, in den Wohnungsneubau inves­tieren. Zusätzliches Wohnungsangebot wirkt mietpreissenkend.

Noch etwas ist zu sagen: Die Mietvertragsgebühr in Höhe von 1 Prozent der dreifachen Jahresbruttomiete gehört restlos gestrichen – dem steht keine staatliche Gegenleistung mehr gegenüber.

Der Gesetzesvorlage, mit der zur Linderung der Inflationsfolgen die Inflationsanpas­sung der Mieten einmalig ausgesetzt wird, stimme ich zu. – Vielen Dank. (Beifall bei Bundesräten der FPÖ.)

12.31


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bun­desminister Dr. Brandstetter. – Bitte, Herr Minister.

 


12.31.48

Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Präsident! Nur zur Kontrolle für mich: Sind wir noch beim Tagesordnungspunkt „2. Mietrechtliches Infla­tions­linderungsgesetz“? – Ich hatte zuletzt Zweifel daran. Aber wenn es so ist, dann sage ich gern ein paar Sätze dazu.

Das Wesentliche ist eigentlich schon gesagt worden, meine Damen und Herren Bundesräte! Es ist eine sozialpolitisch sinnvolle Maßnahme, es bringt eine Linderung an Mietkosten für einen doch erheblichen Teil der Mieter, aber es ist natürlich nicht das, was im Zusammenhang mit dem Mietrecht immer wieder gefordert wird: nämlich eine größere Reform.

Es ist nicht so, als wäre da nichts passiert. Ich erinnere nur daran: Im Vorjahr ist mit der Thermenregelung schon auch einiges gelungen, was sinnvoll und notwendig war.

Aber ich möchte in Beantwortung der Frage der Frau Bundesrätin von den Grünen sagen, dass ich mit meinen Fachleuten letztlich nur das umsetzen kann, was es an Konsens gibt. Und natürlich – das wissen Sie alle –: Das Mietrecht steht an der Schnitt­stelle von naturgemäß gegenläufigen Interessen zwischen Vermietern und Mietern, und da ist es sicher nicht einfach, einen Konsens zu finden.

Aber ich sehe auch, dass es sinnvoll wäre, diesen Konsens rasch zu finden, weil es nicht nur um die Schnittstelle zwischen diesen beiden Interessen geht. Es geht auch zum Teil um Interessen, die mir durchaus am Herzen liegen. Wenn es richtig ist, was manche Experten mir sagen, dass etwa auch durchaus noch gut sanierbare, schöne, ältere Häuser vor allem auch deshalb geschliffen werden, um mit Sicherheit der Anwendung des Mietrechts zu entgehen, weil diese Häuser eben schon vor 1953 errichtet wurden, dann tut mir das eigentlich auch weh, und ich denke, auch das ist ein Aspekt, auf den man nicht ganz vergessen sollte.

Es ist eine Vielzahl von Interessenabwägungen, die man da treffen muss. Ich kann nur sagen: Wir sind mit unseren Expertinnen und Experten natürlich zu jeder Hilfestellung und zu jeder Unterstützung bereit. Nur setzt die Umsetzung eben einen Konsens voraus, und solange es diesen Konsens auf politischer Ebene – konkret im Nationalrat und dann auch bei Ihnen im Bundesrat – nicht gibt, können wir nicht wirklich etwas tun, außer darauf hinzuweisen: Ja, es wäre schon gut, wenn es da mehr gäbe, als bisher gelungen ist! Aber ich hoffe, dass es vielleicht auch bald mehr wird geben können – ich würde es gern umsetzen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten von SPÖ und Grünen.)

12.33

12.33.50

 



BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 72

Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlos­sen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

12.35.032. Punkt

Jahresvorschau des BMJ auf Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2016 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des niederländischen, slowakischen und maltesischen Ratsvorsitzes (III-577-BR/2016 d.B. sowie 9536/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen nun zum 2. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Anderl. Ich bitte um die Berichterstattung.

 


12.35.10

Berichterstatterin Renate Anderl: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Ich erstatte den Bericht über die Jahresvorschau des Bundes­minis-teriums für Justiz auf Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europä­i­schen Kommission für 2016 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des niederlän­dischen, slowakischen und maltesischen Ratsvorsitzes.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher sogleich zur Antrag­stellung.

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 8. März 2016 mit Stimmen­mehrheit den Antrag, die Jahresvorschau des BMJ auf Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2016 sowie des Achtzehn­mo­natsprogramms des niederländischen, slowakischen und maltesischen Ratsvorsitzes zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Erster Redner dazu ist Herr Bundesrat Mag. Raml. – Bitte.

 


12.36.18

Bundesrat Mag. Michael Raml (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren im Kollegium! Meine sehr geehrten Damen und Herren zu Hause, die die Übertragung auf ORF III verfolgen! Schön, dass Sie heute bei der Länderkammer wieder mit dabei sind!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gleich in der Einleitung dieses Berichtes rühmt sich die Europäische Kommission damit, dass man künftig, gerade im Jahr 2016, auf Qualität statt Quantität setzen möchte. Man rühmt sich damit, dass man heuer „nur“ – unter Anführungszeichen – 23 Initiativen ins Leben rufen möchte.

Wenn ich mir den Bericht ansehe – und das ist jetzt wirklich vorwiegend keine Kritik an Ihnen oder an Ihrem Ministerium, Herr Minister, sondern an den Unionsorganen –, dann finde ich von Qualität sehr wenig, denn die Ausführungen, die uns im Bericht vorgelegt werden, sind äußerst vage. Da kann man alles hineininterpretieren oder auch nichts, und es ist sehr schwierig, da etwas klar herauszulesen.


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 73

Es ist auch interessant, wie das Justizministerium gewisse Initiativen einschätzt – es ist ja immer eine Bewertung dabei. Da wird teilweise ganz freundlich dazugeschrieben: „Österreich sieht“ der Initiative „mit Interesse entgegen“. Oder sehr oft steht einfach dabei: „Ein Vorschlag bleibt abzuwarten.“

Es ist schon so, dass mich das an so vieles erinnert, was wir in der Europäischen Union leider erleben müssen: dass Beamte seitenlange Papiere, Stellungnahmen, Gut­achten verfassen, die am Ende des Tages nichts aussagen und auch nichts wert sind, dass nur Gemeinplätze vermittelt werden – wie wir das leider auch jetzt in der Flücht­lingskrise erleben müssen, bei der es keine europäische Solidarität gibt, bei der aber alle große und sehr blumige Worte finden, und dann, wenn es darum geht, wirklich anzupacken, wirklich Lösungen anzubieten, ist die EU offensichtlich machtlos. Das ist im Allgemeinen von unserer Seite dazu zu sagen.

Inhaltlich, zum Teil des Strafrechts, halte ich für die freiheitliche Fraktion fest, dass wir eine Angleichung des materiellen Strafrechts quer über alle souveränen Staaten sehr kritisch sehen. Ich muss schon sagen: Ich vertraue viel lieber und viel eher in unser eigenes österreichisches Rechtssystem, als dass ich eine Nivellierung nach unten auf gesamter europäischer Ebene in Kauf nehmen möchte.

Ein Punkt aus dem Bericht, den wir klar ablehnen, ist die Einführung einer Euro­päischen Staatsanwaltschaft. Wir sehen das aus dem Grund kritisch, weil es auch darum gehen soll, dass die Europäische Staatsanwaltschaft anstatt der nationalen Staatsanwaltschaften eine Anklage erheben soll. Wenn man sich die Begründung ansieht, warum diese Europäische Staatsanwaltschaft notwendig sein soll, dann liest man, dass es vor allem um Betrugsdelikte zum Nachteil der EU geht und dass die Kritik anscheinend daran liegt, dass die nationalen Justizbehörden „unzureichend“ tätig sind.

Meine Damen und Herren, da wäre es aber schon sinnvoller, wenn man die nationalen Justizbehörden stärker in die Pflicht nähme, anstatt unsere nationalen Rechte teilweise und schrittweise immer mehr an die EU abzutreten. (Beifall bei der FPÖ.)

Bei aller Kritik gibt es aber auch einen Punkt, den wir durchaus positiv sehen – obwohl man auch hier nur abwarten und nicht sagen kann, wie es wirklich ausgehen wird. Als positiver Punkt ist zur Abwechslung die Einführung eines Strafregisterinformations­systems geplant, bei dem es darum geht, verurteilte Drittstaatsangehörige auf euro-päischer Ebene gesamthaft zu erfassen. Das wäre natürlich ein richtiger Schritt, aber wir wissen nicht, wie das Ganze weitergeht.

Zum Zivilrechtsteil ist die Argumentation von meiner Seite im Grunde genommen gleich. Es gibt auch da sehr wenige konkrete Vorschläge und es bestehen sehr viele Unklarheiten. Zudem besteht auch oft gar kein Bedarf an europäischen Regelungen – das ist auch in gewissen Punkten die Meinung des Justizministeriums, was man sieht, wenn man den Bericht liest. Ein Punkt beim Zivilrecht ist aus meiner Sicht – und ich sage das ganz klar – völlig sinnbefreit, wenn man plant, die Gründung einer euro­päischen GmbH zuzulassen, mit einem einzigen Euro Stammkapital – quasi keine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, sondern eine Gesellschaft ohne Haftung. Und dazu sagt, Gott sei Dank, auch unser Justizministerium, dass durchaus die Gefahr besteht, dass damit auf europäischer Ebene unseriöse Firmengründungen sozusagen unterstützt werden würden.

Wir können aus den genannten Gründen diesem Bericht keine Generalvollmacht ertei­len und werden dem Bericht in seiner derzeitigen Form nicht zustimmen. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

12.41



BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 74

Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Mayer. – Bitte.

 


12.41.53

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Einleitend beziehe ich mich kurz auf Kollegen Raml, denn bei diesem Bericht geht es eigentlich um eine Vorschau, und so steht es auch deutlich auf der Titelseite (ein Schriftstück in die Höhe haltend): „Jahresvorschau des BMF“. Das heißt also, wir setzen uns mit den Themen auseinander – in die Zukunft geschaut –, welche Vorhaben die EU, die Kommission, aber auch die Trio-Präsidentschaft im Bereich der Justiz haben, und das wird mit dieser Jahresvorschau auch von unserem Bundesminister für Justiz entsprechend unterstützt.

Jetzt also per se schon zu sagen, alles, was da drinnen steht, ist schlecht bezie­hungs­weise lehnen wir ab, ist meiner Meinung nach nicht richtig, denn wir sollen zunächst einmal abwarten, was die Ergebnisse sind, was in den einzelnen Forderungen, in den einzelnen Richtlinien steht. Und dann kann man sich damit entsprechend auseinander­setzen. Genau das macht natürlich auch der EU-Ausschuss, und da sind wir, glaube ich, auch auf sehr gutem Wege. Daher wäre es an und für sich der bessere Ansatz in diesem Zusammenhang, zuerst abzuwarten und dann das Ganze entsprechend zu beurteilen.

Es gibt aber doch einige wichtige Aspekte, die man aus dieser Jahresvorschau herausgreifen kann, wie zum Beispiel die Bewältigung aktueller Krisen, wie die Bedro­hung durch Terrorismus und organisierte Kriminalität. Subsidiarität und Verhältnis­mäßig­keit, Transparenz, Einfachheit und Grundrechtskonformität sind nach wie vor die Eckpfeiler für die Justizpolitik in der Europäischen Union. Dieser von unserem Minister vorgelegte Berichtet listet in diesem Sinne auch das auf, was den Raum der Freiheit, der Sicherheit, des Rechts als Schlüsselpriorität der europäischen Justizpolitik anbe­langt, und lenkt den Blick dabei auch auf die praktische Umsetzung und Durchsetzung bestehender europäischer Rechtsvorschriften und vor allem auch – und das ist wich­tig – auf die Qualität der Rechtsakte. Wie bereits in der Einleitung kurz angeschnitten, wird das laufende Jahr thematisch insbesondere auch von der Umsetzung der euro­päischen Sicherheitsagenda, dem Kampf gegen den Terrorismus – ein ganz wichtiges Thema – und dem Kampf gegen Radikalisierung, gegen organisiertes Verbrechen und gegen Cyberkriminalität geprägt sein.

Ein weiterer Themenschwerpunkt der Kommission geht in Richtung Schaffung eines vernetzten digitalen Binnenmarktes mit den entsprechenden Rechtsakten, insbeson­dere im Bereich des Onlinehandels und des Urheberrechtes. Gerade mit den zuletzt genannten Materien hat sich der EU-Ausschuss des Bundesrates in seiner letzten Sitzung auch befasst.

Große Probleme sehen die Mitglieder des EU-Ausschusses auch hinsichtlich der EU-Vorschläge zur Harmonisierung der Bestimmungen im Bereich des Onlinehandels. Dieser ist in den letzten vergangenen Jahren sehr stark gewachsen, hat ein wirklich großes Wachstumspotenzial, daher hat die EU-Kommission auch eine Strategie für den digitalen Binnenmarkt angenommen. So wie im Ausschuss beschlossen und wie auch heute beschlossen werden soll, werden wir diese Materien auch noch einmal besprechen, denn da geht es wirklich darum, dass wir mit dem Ziel, die unterschied­lichen Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten zu harmonisieren, einen besseren Zugang für KonsumentInnen und Unternehmer zu digitalen Waren und Dienstleistun­gen in ganz Europa sicherstellen. Betroffen von diesem schwierigen und komplexen Thema sind unter anderem der Verbraucherschutz und der Datenschutz.


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 75

Das Maßnahmenpaket ist Nachfolgeprojekt des gemeinsamen europäischen Kauf­rechts, das im Jahr 2011 von der Kommission vorgeschlagen wurde, jedoch aufgrund des massiven Widerstandes der Mitgliedstaaten im Rat, darunter auch von Österreich, zu Beginn des Jahres 2015 zurückgezogen wurde. Wir haben diesbezüglich auch vom EU-Ausschuss eine begründete Stellungnahme nach Brüssel geschickt. Im EU-Ausschuss hat Sektionschef Kathrein, der auch heute hier ist, referiert, dass die natio­nalen Koordinationsgespräche ergeben haben, dass der Vorschlag der Europäischen Kommission über den Fernabsatz von Waren sowohl von Unternehmern als auch von Verbrauchervertretern abgelehnt wird. Das vorgeschlagene Instrument würde unter anderem zu einer komplizierten und parallelen Gewährleistungssituation führen, zu einer sogenannten Zersplitterung. Das ist sachlich auch nicht gerechtfertigt.

Das bedeutet also, hier wachsam zu sein, damit das abgelehnte europäische Kaufrecht sozusagen nicht wieder durch eine Hintertür eingeführt wird. Da geht es primär auch nicht um ein Subsidiaritätsproblem im eigentlichen Sinn, sondern da haben wir wirklich inhaltliche Bedenken, da gilt es also rechtzeitig in den Verhandlungen darauf hinzu­weisen.

Deshalb nochmals, Herr Kollege Raml, abschließend: Harren wir der Dinge, die da kommen werden, und schauen wir, in welchen Bereichen Materien vorgelegt werden! In vielen Bereichen sind überhaupt noch keine Dokumente vorhanden. Dann, wenn die betreffenden Materien, Richtlinien, Verordnungen vorliegen, können wir auch ent­sprechend im EU-Ausschuss und hier im Bundesrat dagegen Stellung beziehen. Des­halb würde ich vorschlagen, heute dieser Vorschau zuzustimmen und dann die Ergeb­nisse abzuwarten. – Ich danke. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

12.47


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nächste Rednerin ist Frau Bundesrätin Mag. Kurz. – Bitte.

 


12.48.08

Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich möchte zuallererst einmal diese Gelegenheit nutzen, mich bei allen, die an der Erstellung dieser Jahresvorschau mitgewirkt haben, zu bedanken. Ich halte sie für eine sehr umfassende Jahresvorschau, aus der zumindest hervorgeht, was die Vorhaben der EU-Kommission in den nächsten Jahren sein sollen. Aufgrund dieses umfassenden Berichtes werde auch ich mich nur auf einige wenige Bereiche beschrän­ken, obwohl es natürlich interessant wäre, zu so gut wie allen Bereichen einen Kommentar abzugeben.

Das Arbeitsprogramm dieser Trio-Präsidentschaft bezeichnet ja den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts weiterhin sozusagen als Schlüsselpriorität für den Justizbereich, wie sie ja auch in den strategischen Leitlinien des Europäischen Rates aus 2014 postuliert wird. Ein Schwerpunkt dabei soll die Konsolidierung und Wirk­samkeit der bestehenden Instrumente in der Praxis sein.

Im Mittelpunkt der strafrechtlichen Aktivitäten werden Fortschritte bei den Verfahrens­rechten, im Strafverfahren sowie die Fortsetzung des Kampfes gegen Betrügereien, die sich jetzt gegen die finanziellen Interessen der Union richten, einschließlich der Arbeit der Europäischen Staatsanwaltschaft stehen – wie auch immer man zu dieser stehen mag.

Im Bereich des Privatrechtes liegt der Schwerpunkt auf dem Familienrecht – darauf gehe ich dann noch einmal ein –, gefördert werden sollen auch noch Lösungen im Bereich der E-Justiz – auch darauf hat mein Kollege Mayer schon hingewiesen.


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 76

Ganz oben auf der Agenda des Rates werden aber auch die Arbeiten an Initiativen zur Verwirklichung des digitalen Binnenmarktes angesiedelt sein, wobei die Trio-Präsident­schaft besonderes Augenmerk auf die Überarbeitung der Vorschriften für audiovisuelle Medien und des Urheberrechts und die Regeln für den grenzüberschreitenden elektro­nischen Handel legen wird.

Ich nehme aus dem Bereich des Strafrechtes zwei Punkte heraus, nämlich zuerst den Vorschlag einer neuen Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung. Dieser Vorschlag soll ja Durchsetzungslücken in den EU-Strafrechtsvorschriften schließen. Die Richtlinie sieht eine gemeinsame Definition terroristischer Handlungen vor, was eigentlich eine einheitliche Antwort auf das Phänomen der ausländischen terroristischen Kämpfer ermöglicht, die Abschreckung, so hoffen wir, in der gesamten EU erhöht und gewähr­leistet, dass Täter wirklich in allen Ländern auch effektiv geahndet werden.

Mit dieser neuen Richtlinie – und für mich ist sie schon sehr konkret, Herr Kollege – werden die geltenden Rechtsvorschriften der EU über die Verfolgung von Straftaten mit terroristischem Hintergrund überarbeitet. Außerdem sollen mit dieser Richtlinie inter­nationale Verpflichtungen, wie die Resolution des UN-Sicherheitsrates über auslän­dische terroristische Kämpfer – die kürzlich verabschiedet wurde –, das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen des Europarates zur Verhütung des Terrorismus und die Empfehlung des Financial Action Task Force zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzie­rung in EU-Recht umgesetzt werden.

Die Richtlinie sieht ja ganz konkrete Handlungen vor, die unter Strafe gestellt werden sollen, nämlich Reisen zu terroristischen Zwecken, die Finanzierung, Organisation und Erleichterung derartiger Reisen, die Teilnahme an einer Ausbildung für terroristische Zwecke und das Bereitstellen von Finanzmitteln für terroristische Straftaten. Zudem sollen die Vorschriften über die Strafverfolgung bei Anwerbung und Ausbildung von Personen für terroristische Zwecke und bei der Verbreitung terroristischer Propaganda auch im Internet verschärft werden.

Der Vorschlag enthält auch neue Vorschriften zur Ergänzung der Richtlinie über die Opferrechte aus dem Jahr 2012, damit Opfer von Terrorismus unabhängig von ihrem Wohnort in der EU einen raschen Zugang zu professioneller Unterstützung bei körper­lichen und psychosozialen Rehabilitationen sowie zu Informationen über ihre Rechte erhalten. – Wieweit sich das dann darauf auswirken wird, terroristische Angriffe hintan­zuhalten, wird die Zukunft weisen, aber ich denke, es sind wichtige Schritte zur Be­kämpfung von Terrorismus. Wir begrüßen das auch aus österreichischer Sicht durch­aus.

Das Zweite, auf das ich im Strafrecht eingehen möchte, sind Vorschlagsrichtlinien über die Verfahrensgarantie im Strafverfahren für verdächtigte und beschuldigte Kinder. In diesem Bereich sollen ja Rechte vorgesehen werden, die bisher in der EU nicht geregelt worden sind, nämlich zum Beispiel das Recht auf individuelle Begutachtung und medizinische Untersuchung, die audiovisuelle Aufzeichnung von Befragungen, die Tatsache, dass Freiheitsentzug bei Kindern und Jugendlichen natürlich möglichst kurz gehalten werden soll oder es überhaupt Alternativen dazu geben soll, der unbedingte Schutz der Privatsphäre und damit beinhaltend auch besondere Schulungen der Richter, Staatsanwälte et cetera, die mit Kindern zu tun haben.

Wie ich dem Bericht entnommen habe, ist die Haltung des Justizministeriums grund­sätzlich offen. Viele Bestimmungen sind ja bei uns im Jugendgerichtsgesetz bereits enthalten, aber es gibt doch einige Bestimmungen, die darüber hinausgehen, nämlich zum Beispiel Bestimmungen über das Recht auf individuelle Begutachtung und medi­zi­nische Untersuchungen sowie über die Reichweite der Verpflichtung zur audiovisuellen Aufzeichnung von Vernehmungen wie auch über den Anwendungsbereich auf Erwach-


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 77

sen­gewordene – manchmal ist es ja so, dass während der Dauer eines Strafprozesses ein Jugendlicher erwachsen wird –, über das Recht auf Rechtsbeistand, über Prozess­kostenhilfe und so weiter. – Das wird vonseiten des Bundesministeriums nicht nur positiv gesehen, sofern ich das richtig verstanden habe, sondern auch etwas kritisch, das hat sicher auch etwas mit Finanzen zu tun. Ich denke aber, gerade im Bereich von Kindern und Jugendlichen sollte man alles unternehmen, um ihnen wirklich den besonderen Schutz, dessen sie bedürfen, auch angedeihen zu lassen.

Ein Punkt noch im Zivilrecht: Es geht ja neben den Vorschlägen zum Urheberrecht, zum Onlinewarenhandel und dem schon von meinem Kollegen dargestellten, sehr problematischen Vorschlag über die GmbH mit dem einen Euro – der wirklich wenig sinnvoll erscheint – auch um die Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung in Eheangelegenheiten. Es geht um elterliche Verantwortung, um Entscheidungen im Ehegüterrecht, und zwar nicht nur im Bereich der Ehe, sondern auch bei eingetra­genen Partnerschaften, wobei es einige Problemfelder gibt, nämlich den freien Urteils­verkehr, die Verbesserung – eine wirklich dringende Maßnahme – effektiver und rascher Rückstellung entführter Kinder – ein Problem, das wir auch immer wieder den Medien entnehmen –, um angemessene Vollstreckungsmaßnahmen und natürlich um eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den zentralen Behörden.

Ich denke, dass diese Vorhaben aus österreichischer Sicht grundsätzlich zu begrüßen sind. Es gibt vielleicht auch den einen kritischen Punkt, der auch eine Subsidiaritäts­frage sein mag, nämlich inwieweit jetzt die Ehegüterverordnung auch auf gleichge­schlechtliche Ehen angewendet werden muss. Die Frage ist noch offen, ob das jetzt wirklich von der EU vorgegeben werden soll oder doch den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen werden soll. Ich denke, die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sind da sehr groß, auch was die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und Ehen betrifft, und insofern ist es wahrscheinlich sogar sinnvoller, das den National­staaten zu überlassen.

Insgesamt geht es bei den meisten Vorschlägen um wichtige Vorhaben. Natürlich müssen viele davon erst konkretisiert werden, aber sie sollen einfach den Zusam­menhalt der Union stärken, auch im Justizbereich. Und deshalb nehmen wir diesen Bericht auch gerne und wohlwollend zur Kenntnis. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

12.56


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Frau Bundesrätin Mag. Dr. Dziedzic gelangt zu Wort. – Bitte.

 


12.56.45

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Wertes Präsidium! Werte Kolleginnen und Kollegen! In der euro­päischen wie heimischen Justizpolitik dreht sich derzeit alles um die Bewältigung der Krise, die Bedrohung durch Terrorismus und auch Kriminalität. So ist es wenig über­raschend, dass die EU-Kommission im Bericht mit, wie es heißt, mehr „Fokussierung auf das Wesentliche“, mit der Umsetzung vor allem der europäischen Sicherheits­agenden Terrorismus, Radikalisierung und Cyberkriminalität entgegenwirken möchte.

Bei all diesen diesbezüglichen Vorschlägen lautet der Vermerk der österreichischen Regierung „begrüßenswert“. So befürwortet Österreich zum Beispiel den Richtlinien­vorschlag zur Terrorismusbekämpfung, wobei es hier weitgehend um eine Harmo­nisierung auf EU-Ebene geht und Österreich hier auch weitgehend die Richtlinie umgesetzt hat. Auf Nachfrage im Ausschuss hieß es auch, dass sich aus dieser Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung und zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 78

kein weiterer strafgesetzlicher Umsetzungsbedarf in Österreich ergeben wird. – Das wollen wir auch so hoffen.

Weiters will sich die Kommission auch verstärkt der operativen Zusammenarbeit als Fundament für das gegenseitige Vertrauen in einem Raum des Rechts und der Grundwerte widmen. Die Haltung der österreichischen Regierung dazu ist eher zurück­haltend, wenn nicht sogar ablehnend. Konkret wird das sichtbar, wenn es um Ehe, Scheidung, aber auch um die damit verbundenen Rechtsfolgen geht; die Kollegin von der SPÖ hat es vorhin schon erwähnt. Wenn wir uns anschauen, wie aktuell die europäischen und österreichischen Grundwerte und Freiheiten, wie Toleranz und Menschenrechte, wie im Zirkus aufgeführt werden, als Errungenschaften dargestellt werden, dann ist es schon fraglich, wieso wir hier einen Halt machen.

Bei etwaigen Anpassungen über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Voll­streckung von Entscheidungen in Ehesachen und auch in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung lesen wir sofort die Befürchtung heraus, dass die Diskussion um „same-sex-marriage“ ja auch in diese Brüsseler Verordnung importiert werden könnte.

Bei den Verordnungen im Bereich des Ehegüterrechts, die eine Erhöhung der Rechts­sicherheit bezwecken sollen, oder bei der Vereinheitlichung der Regeln des inter­nationalen Zivilverfahrensrechts und des internationalen Privatrechts – damit ist zum Beispiel gemeint, dass es Paaren erleichtert werden soll, ihre güterrechtlichen Bezie­hungen in Fällen mit Auslandsbezug zu regeln und ihre güterrechtlichen Ansprüche in ganz Europa auch durchzusetzen – ist die österreichische Haltung mehr als zurück­haltend.

In der Frage, ob und inwieweit diese Ehegüterverordnung auch auf gleichge­schlecht­liche Ehen angewendet werden müsste, wie Sie gerade vorhin erwähnt haben, heißt es, dass es eben den einzelnen Mitgliedstaaten freistehen müsse, zu bestimmen, was denn in Europa eine Ehe ist, was als Familie anerkannt wird, was eine Partnerschaft dazu berechtigt, Anerkennung und rechtlichen Schutz zu finden.

Ich finde, dass es in Europa im 21. Jahrhundert eigentlich nicht sein kann, dass 500 Kilo­meter weiter die Rechtsfolgen ganz andere sind und es 300 Kilometer weiter keinerlei Rechtssicherheit mehr gibt, wenn es um die Ehegüter geht, und da sind gleichge­schlechtliche Partnerschaften mit eingeschlossen.

Ich finde auch, Herr Bundesminister, dass sich Österreich hier tatsächlich einen Ruck geben sollte. Sie werden wissen, dass die Befürwortung der Eheöffnung in der öster­reichischen Bevölkerung mittlerweile bei 70 Prozent liegt; für viele ist das mittlerweile ein leidiges Thema. Und auch die Petition „Ehe gleich“ hat knappe 50 000 Unter­schrif­ten gesammelt.

Auch läuft jetzt gerade in Österreich ein Verfahren, in dem es sehr stark um das Kindeswohl geht, da seit Jahresanfang die Adoptionsrechte uneingeschränkt gelten, diese Kinder aber keine Eltern im Sinne der Ehe haben können.

An diesem Beispiel wird auch verständlich, wieso nicht nur in der Einleitung, sondern immer wieder im Text Folgendes vorkommt – ein Zitat; ich lese vor –: „Nur vollständig und einheitlich umgesetzte und in der Praxis korrekt angewendete Rechtsakte, die zudem auch keine finanziellen Mehrkosten für die Mitgliedstaaten verursachen, bringen den erwünschten Nutzen für die Bürger und Bürgerinnen.“

Das mag zwar korrekt sein, ist aber zugleich sehr wenig zukunftsorientiert, wenn nicht schon ein wenig geizig. – Danke. (Beifall bei den Grünen sowie der Bundesrätin Kurz.)

13.02



BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 79

Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Herr Bundesminister Dr. Brandstetter hat sich als Nächster zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Minister.

 


13.02.16

Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Bundesräte! Ich bin sehr froh über und dankbar für diese Diskussion, weil sie mir und unserem Haus auch gezeigt hat, wie unsere Jahres­vorschau und in Verbindung damit auch unsere Einschätzung der Planungen der EU-Kommission, auf die wir ja nicht unmittelbar Einfluss nehmen können, von Ihnen aufgenommen werden.

Das ist sehr wichtig, und da möchte ich hier schon auch festhalten: Es ist für uns wichtig, dass wir diesen Kontakt haben und dass Sie uns über den EU-Ausschuss, aber auch sonst natürlich jederzeit Informationen geben können, damit wir sie bei unserer Tätigkeit in Brüssel berücksichtigen können. Es ist sehr, sehr wichtig, dass es diesen Austausch gibt.

Ich möchte jetzt gar nicht mehr im Detail auf die Jahresvorschau eingehen. Sie haben sie ja alle, und Sie haben sich, soweit ich das jetzt den Ausführungen entnehmen konnte, sehr, sehr intensiv damit beschäftigt. Und ich nehme da schon auch einiges mit, einiges von Ihrer Einschätzung. Ich freue mich darüber, dass sich Ihre Einschät­zung in wesentlichen Dingen mit der Einschätzung meines Hauses völlig deckt, und das ist auch gut so.

Ich möchte nur noch eine ganz allgemeine Bemerkung dazu machen. Wir werden morgen ja wieder um 5 Uhr Früh nach Brüssel aufbrechen; wir haben morgen wieder Justizministerrat. Man muss aber schon berücksichtigen, dass das natürlich eine sehr heterogene Gruppe ist – gerade jetzt! Sie müssen einmal 28 Standpunkte unter einen Hut bringen. Und das muss man schon fair sein – ja, gerade heute haben wir wieder darüber gesprochen –, denn es ist schon für zwei Regierungsparteien schwierig, sich über ein neues Mietrecht zu einigen.

Es gibt auch immer wieder Unternehmer in Österreich, speziell in der Baubranche, die sich darüber beklagen, dass sie sich in unserem Land auf neun unterschiedliche Bauordnungen einstellen müssten, das wäre hinderlich für die wirtschaftliche Entwicklung. Man muss also schon auch berücksichtigen, dass man nicht erwarten kann, dass so eine heterogene Gruppe von Staaten, die sich im Rahmen der EU zusammenfinden müssen, so leicht auf eine gemeinsame Linie kommen kann. Für uns ist es wichtig, dass wir gerne zum Konsens beitragen, wenn wir davon überzeugt sind, dass es Sinn macht.

Für uns ist aber auch wichtig – und darin fühle ich mich bestärkt nach dem, was ich heute von Ihnen allen gehört habe –, dass wir schon auch dort vorsichtig sind, wo wir zu Recht den Eindruck haben, dass wir ein nationalstaatliches System haben, das im Vergleich ein qualitativ sehr hochwertiges ist. Und das wollen wir auch in keiner Weise beeinträchtigt wissen, auch in Zukunft nicht.

Als Beispiel ist heute genannt worden – über diese Äußerungen habe ich mich sehr gefreut, und ich fühle mich durch sie bestärkt –, dass die Voraussetzungen für eine GesmbH auf nahezu null heruntergeschraubt werden sollen. Das ist auch etwas, dem wir mit großer Skepsis und großer Vorsicht gegenüberstehen. So gesehen bin ich dankbar dafür; ich sehe das auch als Auftrag Ihrerseits, in diesem Sinne weiter zu agieren.

Da bleibt nur noch die große Idee, die nicht ganz verlorengehen sollte: Es geht um einen einheitlichen Raum der Freiheit, des Friedens und des Rechts. Und wie das hier auch gesagt worden ist: Natürlich ist es auch wirtschaftlich von großem Vorteil, wenn


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 80

es einen einheitlichen Rechtsraum gibt. Darum geht es! Das ist eigentlich das Anlie­gen, und dort, wo wir dazu beitragen können, dass das auch sinnvollerweise statt­findet, tun wir das gerne.

Ich danke für Ihren Input und werde aus Zeitgründen jetzt schon schließen. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.05

13.05.10

Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor. Damit ist die Debatte geschlossen

Wir kommen nun zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Ich darf Herrn Bundesminister Brandstetter für seine heutige lange Anwesenheit im Bundesrat herzlich danken. Sie sind damit für die heutige Sitzung entlassen. (Allge­meine Heiterkeit.)

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg morgen in Brüssel! (Bundesminister Brandstetter: Ich komme gerne wieder! – Neuerliche allgemeine Heiterkeit.)

13.06.333. Punkt

Außen- und Europapolitischer Bericht 2014 der Bundesregierung (III-568-BR/2015 d.B. sowie 9542/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen nun zum 3. Punkt der Tagesordnung, und ich darf dazu unseren Herrn Bundesminister Kurz sehr herzlich bei uns im Bun­desrat begrüßen. Danke, dass du heute da bist! (Allgemeiner Beifall.)

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Oberlehner. – Bitte um den Bericht.

 


13.07.04

Berichterstatter Peter Oberlehner: Sehr geehrter Herr Präsident! Wertes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Ich darf den Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten zum Tagesordnungs­punkt Außen- und Europapolitischer Bericht 2014 der Bundesregierung zur Kenntnis bringen.

Der Bericht liegt Ihnen allen in schriftlicher Form vor. Ich komme daher gleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten stellt mehrheitlich den Antrag, diesen Bericht zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Längle. – Bitte.

 


13.07.49

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Werte Besucher hier im Bundesrat, herzlich willkommen! Sehr geehrter Herr Minister! In Verhandlung steht der Außen- und Europapolitische Bericht. Ich darf mich zu Beginn recht herzlich bei all jenen bedanken, die für die Erstellung des Berichtes verantwortlich waren. Ich denke, dass dieser Bericht wieder sehr umfangreich ist und auch sehr viele Informationen enthält und von dem her doch auch positiv zu bewerten ist. (Vizepräsidentin Winkler übernimmt den Vorsitz.)


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 81

Unsere freiheitliche Haltung bezüglich der EU ist natürlich – bekannterweise, so denke ich – prüfend und differenziert. Daher möchte ich unsere Stellung und unsere Haltung als Freiheitliche hier noch etwas vertiefen. Wir Freiheitliche stehen ganz klar zu einer europäischen Einigung, nicht dass das hier falsch verstanden wird. Selbstverständlich sehen wir auch unser schönes Österreich als Teil Europas und begrüßen vor allem auch das Miteinander und nicht das Gegeneinander. Ebenso ist es unerlässlich, dass wir gemeinsam auf europäischer, aber auch auf internationaler Ebene alle Völker schätzen und respektieren.

Ich selbst war gerade in diesen Tagen hier in Wien unterwegs und habe mich mit dem Botschafter von Aserbaidschan getroffen. Dort haben wir einen sehr guten Konsens gefunden, haben die schwierige Lage in der Region Kaukasus besprochen und dis­kutiert und haben, wie ich meine, sehr gut miteinander kommuniziert.

Es ist aber auch sehr wichtig, dass Europa einen Zusammenschluss von freien Völkern und Staaten darstellt – und nicht zu stark reguliert und bevormundet wird. Schließlich sollte es doch auch so sein, dass jeder Staat eigene und unantastbare Parameter und Elemente für sich bestimmen sollte, ja eigentlich bestimmen muss. Ich darf den Grundsatz der Subsidiarität unterstreichen.

An dieser Stelle möchte ich auch ein, wie ich meine, passendes Zitat von Edmund Stoiber bringen: Europa ist wichtig für unsere Zukunft. Es kann unsere Vaterländer aber nicht ersetzen. – Zitatende.

Gerade die Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten zeigen, dass es innerhalb Europas und somit auch innerhalb der EU doch erhebliche Ungereimtheiten und auch Ungerechtigkeiten gibt und gegeben hat. Ich darf den sogenannten Britenrabatt erwäh­nen. Es wurde beschlossen beziehungsweise dieser besagt, dass sich Groß­britannien 66 Prozent des Nettobeitrags erspart. Rechnet man sich das jetzt bis ins Jahr 2014 zusammen, dann kommt man da doch auf die stolze Summe von 111 Mil­liarden €. Das soll jetzt bitte aber nicht heißen, dass ich das den Briten eventuell nicht gönne. Was ich aber ansprechen möchte, ist, dass eben keine Gleichberechtigung herrscht. Wie ich meine, hat auch Österreich in diesem Sinne das Recht, dies zu verlangen, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei der FPÖ.)

Ganz interessant ist auch, dass die Briten die Kürzung der Familienbeihilfe durchge­setzt haben und diese erst nach vier Jahren an Arbeitnehmer aus dem Ausland beziehungsweise aus dem EU-Ausland ausbezahlen. Ich darf auch einmal sagen, dass das übrigens eine alte FPÖ-Forderung ist.

Jetzt haben Sie selbst, Herr Minister, und auch der Bundeskanzler in den vergangenen Tagen – das ist auch durch diverse Pressemeldungen und dergleichen belegt – bestätigt, dass Sie diese Idee selbst auch als gut und positiv bewerten. Das finde ich schon recht nett, dass Sie eine FPÖ-Forderung aufgenommen haben und diese eben als Lösung sehen.

Bezüglich Großbritanniens ist noch kurz zu erwähnen, dass dessen Verbleib in der EU sich auf einem Scheideweg befindet, da im Juni dieses Jahres darüber eine Abstim­mung stattfinden wird. Ich hoffe jedenfalls vehement, dass dadurch keine neue Krise entsteht, denn wir haben schon genug davon.

Zur Übernahme von Ideen: Da scheint es mittlerweile so zu sein, dass das aufseiten der Regierungen, Regierungsparteien Mode geworden ist. Als Paradebeispiel möchte ich das Flüchtlingswesen nennen. Wir Freiheitlichen haben nämlich nicht nur letztes Jahr, sondern auch schon in den Jahren davor ganz klar Stellung dazu bezogen und eine Begrenzung beziehungsweise eine Obergrenze definiert und diese auch gefor-


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 82

dert. Das war nicht nur hier im Bundesrat so, sondern auch im benachbarten Raum des Nationalrats.

Jetzt auf einmal kommen da vonseiten der Regierung, insbesondere vonseiten der ÖVP und SPÖ selbst diese Maßnahmen – offensichtlich war die freiheitliche Haltung ja doch nicht so schlecht –, allerdings mit einer deutlichen Verspätung, wie ich meine.

Gerade vor Kurzem wurde auch von Ihnen, Herr Minister, das Verhalten der EU als ein Förderprogramm für Schlepper bezeichnet. Ich denke, dass das passend ist, und ich meine auch, dass die Schengengrenzen und ebenso die Dublin-Verordnungen eigent-lich schon längst hätten umgesetzt werden müssen. Das war und ist immerhin gültiges Recht. Ich deponiere hier noch einmal, dass es unerlässlich ist, dass sich Europa und die EU zu schützen haben. Ich appelliere an Sie an dieser Stelle. – Ja, dann haben wir das heute auch schon gehört.

Zur Übernahme von Ideen möchte ich weiter ausführen: Da komme ich doch gleich zum Bundesheer. Interessant ist schon, dass wir Freiheitliche letztes Jahr, aber auch schon vorletztes Jahr mehrere Anträge eingebracht haben, die diese Reform des ehe­maligen Ministers Klug als schlecht bewertet haben und die auch vehement unter­strichen haben, dass beim Bundesheer, gerade auch was die Mannstärke betrifft, nicht zu kürzen ist. Jetzt auf einmal, mit dem neuen Minister – ich bin zwar an dieser Stelle froh, dass er das jetzt endlich aufgegriffen hat – kommt von Ihrer Seite, vonseiten der Regierung: Ja, das ist alles super! Ja, das ist jetzt toll!

Ich kann Ihnen auch gerne aus den parlamentarischen Protokollen all jene Antworten heraussuchen, die wir auch noch letztes Jahr im Herbst bekommen haben, wo drinnen steht: Nein, diese Reform mit der Kürzung der Mannstärke, mit der Einsparung von diversen Kasernen und dergleichen ist super. – Also wie passt denn das zusammen? Das ist doch total unglaubwürdig! (Bundesrat Mayer: Wo habe ich das gesagt?)

Ja, Herr Mayer, Sie haben das heute in der Früh gesagt. Das haben Sie schon gesagt. (Bundesrat Mayer: Die Bundesheerreform … !) Ja, eben. (Bundesrat Mayer: Das mit den Kürzungen ist nicht von mir gekommen!) Von Ihrer Partei ist es aber sehr wohl gekommen, und das haben Sie auch immer wieder unterstrichen.

Und wenn Sie das schon anmerken von Ihrer Seite, dann möchte ich auch noch deponieren, dass mehrere Anträge auf Halde liegen, die eben genau in die Bresche dieser neuen Reform des neuen Verteidigungsministers Doskozil hineinbrechen, und die lassen wir einfach wieder auf Halde liegen.

In Sachen Außenpolitik möchte ich erwähnen, dass die ukrainisch-russische Krise meiner Meinung nach doch nicht ganz so gut verlaufen ist. Ich bin da nicht ganz der Meinung, die da im Bericht vertreten wird. Ich darf auch einmal sagen, dass es immer wieder einmal vorgekommen ist, dass sich Staats- und Regierungschefs getroffen, gewisse Dinge ausgehandelt und eine Lösung herbeigeführt haben. Dazu braucht es nicht unbedingt eine EU.

An dieser Stelle ist auch noch zu erwähnen, dass Russland seine im sogenannten Minsker Abkommen vereinbarten Zusagen erfüllt, die Ukraine aber leider nicht. Das darf hier auch einmal gesagt werden. Ich darf ebenso erwähnen, dass die Sanktionen, die die EU gegen Russland ausgesprochen hat, auch Österreich schaden. Das hat auch Herr Vizekanzler Mitterlehner bestätigt. Die Agrarwirtschaft beziehungsweise deren Preise werden dadurch sehr negativ beeinflusst.

Wünschenswert wäre sicherlich gewesen, dass Österreich eine Politik der Neutralität verfolgt hätte. Schade ist auch, dass vor wenigen Tagen ein entsprechender Antrag der FPÖ in Bezug auf die Sanktionen im Nationalrat abgelehnt wurde.


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Ein weiterer Aspekt ist, dass wir langsam eine Pilzlandschaft von sogenannten Vorfeld- und Nebenorganisationen bekommen. Es scheint wirklich so, also ob jeden Tag eine neue Organisation gegründet würde. Wenn man genauer drauf schaut, erkennt man dann oft auch nicht genau, welchen Zweck und welches Ziel diese Organisation ver­folgt. Faktum ist aber, dass das sehr kostspielig ist und rund 40 Millionen € dafür ausgegeben werden.

Ich möchte aber fairerweise auch gewisse positive Dinge hervorheben. Sicherlich ist die Stellung Wiens sehr positiv zu erwähnen. Ich denke, dass Wien ein guter Verhand­lungsort ist. Das ist auch historisch bedingt. Wien als Verhandlungsplatz ist ein Ort des Konsenses und des Friedens.

Positiv zu nennen ist auch das Bürgerservice und dessen Leistungen. Wir hatten über 13 000 betreute Österreicherinnen und Österreicher. Ebenso darf ich die Unterstützung durch die Amtshilfe und bei Rechtsschutzfällen erwähnen. Da gab es 782 Fälle beziehungsweise eine Betreuung für 6 979 Hilfesuchende.

Abschließend, am Ende – das Licht am Rednerpult leuchtet schon – darf ich festhalten, dass die Entwicklungen doch leider überwiegend negativ sind und wir daher diesem Bericht unsere Zustimmung nicht erteilen werden. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

13.18


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Gödl. – Bitte.

 


13.19.15

Bundesrat Mag. Ernst Gödl (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Bundesminister! Meine werten Kolleginnen und Kollegen hier im Bundesrat und vor allem auch alle Zuhörerinnen und Zuhörer und Zuschauerinnen und Zuschauer zu Hause! So schaut er aus, der Außenpolitische Bericht 2014. (Der Redner hält diesen in die Höhe.) Wenn wir ihn erst jetzt, 2016, debattieren, dann ist das natürlich ein wenig kurios, denn gerade auch Außenpolitik ist ja sehr schnelllebig gewor­den.

Ich darf aber vorweg wirklich ein herzliches Danke sagen für diesen wirklich kompakten und guten Überblick, den dieses Kompendium, dieser Bericht über die Geschehnisse im Jahr 2014 gibt, und darf vor allem auch den Damen und Herren im Außen­minis­terium den Dank aussprechen.

Der Bericht legt einerseits deutlich klar, wie viele Konflikte auf dem ganzen Kontinent eine außenpolitische Dimension auch für ein kleines Land wie Österreich haben, zeigt andererseits aber auch, und das ist das Besonderes dabei, wie engagiert unsere Außenpolitik in dieser Zeit auch gestaltet wird.

Für diese wirklich gute Rolle darf ich dir, lieber Herr Außenminister, ein großes Kom­pliment aussprechen, denn 2014 war ja dein erstes Jahr als Außenminister und schon in diesem Jahr hast du bewiesen, dass du ein äußerst talentierter und geschick­ter Politiker bist, mit diplomatischem Geschick, mit überzeugender Arbeit, und damit unserem Land auf dem internationalen Parkett wirklich einen sehr, sehr guten Dienst erweist.

Über das Jahr 2014 wäre vieles zu erwähnen, zum Beispiel die Vorsitzführung beim Europarat in der ersten Hälfte des Jahres. In diese Zeit fiel die große Eskalation im Zusammenhang mit Russland und der Ukraine. Zu erwähnen ist auch, dass es dir gelungen ist, eine Tradition weiterzuführen, nämlich Wien als Ort des Dialogs zu etablieren und auch die Stärken auszuspielen. Man denke da auch an das vergangene Jahr, an die Syriengespräche oder auch an das durchaus historische Abkommen hinsichtlich der Nuklearwaffen, Stichwort Iran und Atomgespräche.


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Dieser Bericht befasst sich eben mit der Vergangenheit. Natürlich gab es seit dem Jahr 2014 enorme Entwicklungen. Auch mein Vorredner hat schon sehr stark Bezug auf die Jetztzeit genommen, und ich glaube, dass wir die Zeit hier auch dafür nützen sollten, um über aktuelle Herausforderungen zu sprechen. Im nächsten Tagesord­nungspunkt geht es übrigens um die Zukunft, nämlich um die nächsten 18 Monate im EU-Arbeitsprogramm.

Wenn man jetzt nochmals einen kurzen Rückblick macht, dann muss ich sagen: Nicht das Jahr 2014, sondern das Jahr 2015 wird, meine ich, als eine echte Zäsur in die Geschichte unseres Landes eingehen, als ein Epochenjahr, als ein Jahr, in dem sich quasi die Fundamente verschoben haben. Im Jahr 2015, angesichts der Flüchtlings­krise wurde einem vor Augen geführt, dass das Chaos nicht mehr irgendwo weit fern draußen in der Welt ist, sondern dass es mitten hinein kommt in unsere wohlgeordnete Republik und mitten vor unserer Haustür quasi auch haltmacht.

Das zeigt, dass sich kein Land auf dieser Welt von den Krisen und Katastrophen irgend­wo auf einem anderen Kontinent mehr abkoppeln kann. Viele Bedrohungen kommen in Form von Terrorismus, mit den vielen Konflikten direkt an der Außengrenze Europas: Die Ukraine habe ich schon erwähnt, da geht es aber auch um Nordafrika und natürlich auch um Syrien.

In einer globalisierten Welt gibt es keinen voll akklimatisierten Rückzugsort mehr. Die Vorstellung, Österreich, Mitteleuropa oder vielleicht ganz Europa könne so quasi ein stiller Garten sein inmitten des durchaus großen Durcheinanders auf dieser Welt, vor allem auf anderen Kontinenten, diese Vorstellung hat sich endgültig als Illusion erwie­sen. In einer derartigen Zeit ist die Politik besonders gefordert, und in einem außeror­dentlichen Ausmaß ist die Außenpolitik gefordert.

So wie es einst ein deutscher Verteidigungsminister – das liegt schon Jahre zurück, ich weiß nicht mehr genau, wer es war – gesagt hat, die Verteidigung Deutschlands beginnt am Hindukusch, so kann man abgewandelt davon sagen: Die Zukunft unseres Landes, auch die Absicherung unseres Wohlstandes und die Gewährleistung der Sicherheit beginnt natürlich bei einer effektvollen und strategischen Außen- und Europapolitik. Also der Wohlstand der Zukunft hängt auch massiv von unseren außen­politischen Aktivitäten ab.

Es ist ja unser großer Auftrag in der Politik – zumindest verstehe ich meine Rolle so –, egal, in welcher Funktion, alles zu unternehmen, damit unsere Kinder einmal als Erben zu sehen sind und nicht als Hinterbliebene, nämlich als Erben eines florierenden, eines prosperierenden Landes, wo Wohlstand und Sicherheit herrschen, mit vielen Chancen, und nicht als Hinterbliebene einer zerrütteten oder devastierten Europäischen Union oder eines zerrütteten Europas. Eine der großen Künste der Außenpolitik ist es schlussendlich, Entwicklungen vorherzusehen und wenn möglich auch mit konkreten Aktivitäten zu antizipieren.

Meine Damen und Herren, es ist ein besonderes Verdienst unseres Herrn Außen­ministers – und das ist wohl auch der Grund, meine ich, für seine internationale Popularität –, bereits zu Beginn der massiven Flüchtlingsströme auf mögliche Entwick­lungen und überdimensionale Auswirkungen hingewiesen zu haben, darauf, dass diese Form der Willkommenskultur, die in Mitteleuropa ihren Ursprung nahm, auch eine Sogwirkung in einer sehr schwierigen weltpolitischen Lage hervorrufen wird und dass diese Flüchtlingsströme weit über das hinausgehen, was eigentlich in der UN-Flüchtlingskonvention niedergeschrieben ist, weil es eben auch andere Gründe gibt, warum sich Menschen auf die Reise machen.

Auf der Flucht zu sein und einen sicheren Ort zu suchen, ist natürlich die eine sehr wich­tige Perspektive. Es werden aber in wenigen Ländern dieser Welt, gezielt in Mittel-


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europa massiv Asylanträge gestellt, und auch das müssen wir im Blick haben. Ich war vor einigen Wochen bei einer Tagung des Europarates in Bulgarien, und da hat beispielsweise eine bulgarische Politikerin erzählt, sie haben konkret 5 000 Unterbrin­gungsplätze für Asylsuchende vorbereitet, aber es sind nur 15 Prozent belegt – und das, obwohl Bulgarien ein Nachbarland der Türkei ist.

Das ist ein Beweis dafür, dass Migration nicht nur mit Faktoren zu tun hat, die klare Fluchtgründe aufgrund kriegerischer Auseinandersetzungen sind, sondern dass, und so hat es der Bundesminister auch immer prophezeit, auch ökonomische Motive – die, wie du sagst, natürlich aus der Perspektive des Einzelnen verständlich sind – ein Grund dafür sind, dass gewisse Länder, konkret im großen Ausmaß drei Länder in der Europäischen Union, als Zielländer angestrebt werden.

Das wird auch so bleiben, wenn wir nichts unternehmen. Es gibt ein paar ganz nackte Zahlen dazu: Europa hat 8 Prozent der Weltbevölkerung, Europa erwirtschaftet 25 Pro­zent der Weltwirtschaftsleistung, aber in Europa, und da ganz speziell in Mitteleuropa, werden 50 Prozent aller Sozialleistungen weltweit ausbezahlt. Und natürlich ist es das Werbeprogramm der Schlepper und verständlicherweise der Traum vieler Menschen auch auf anderen Kontinenten, in anderen Regionen, in dieses System zuzuwandern und zu migrieren.

Es waren eben unser Außenminister und unsere Innenministerin, die gesagt haben, es kann so nicht weitergehen, dass zum Beispiel in Slowenien im Jahr 2015 zirka 1 000 Menschen Asylanträge gestellt haben, in Österreich aber 90 000. So war es auch ein besonderes Verdienst unseres Außenministers, auch unsere Regierungsspitze, sprich unseren Bundeskanzler davon zu überzeugen, dass wir da einen anderen Weg einschlagen müssen. Es ist die Ironie der Geschichte, dass auch Bundeskanzler Faymann jetzt beispielsweise das Wort „Obergrenze“ dauernd in den Mund nimmt und sie auch verteidigt, während er vor zwei Monaten noch anders geredet hat.

Jetzt, lieber Herr Außenminister, bist du auch in Europa gut unterwegs, wenn du sagst, wir müssen vom Reden ins Tun kommen, wir müssen zu europäischen Lösungen kommen, denn es zeigt sich eines leider in Europa, in der EU ganz deutlich: Europa ist weniger eine Wertegemeinschaft, wenn es darauf ankommt, sondern Europa ist im größeren Ausmaß eine Interessengemeinschaft; und Europa wird dann handeln, wenn es gemeinsame Interessen hat. Es ist richtig, dass wir aus unserer Perspektive aufzeigen müssen, dass dieses Flüchtlingsproblem nicht nur in wenigen Staaten inner­halb Zentraleuropas gelöst werden kann. Deswegen auch diese klare Haltung: Schließung der Balkanroute und ganz klar auch der Versuch der Rückkehr zu den Dublin-Verfahren.

Es geht einfach nicht an, dass viele Länder auf der Tribüne sitzen und zuschauen, wie wir uns auf dem Spielfeld der Migration abmühen – und der Großteil bleibt untätig. Auch hinsichtlich des schwierigen Punktes bezüglich des Abkommens mit der Türkei muss man unserem Herrn Außenminister dazu gratulieren, dass er schon vor langer Zeit gesagt hat, ein Vertrag mit der Türkei kann ein Mosaiksteinchen sein, aber wir brauchen auf jeden Fall, auch um nicht erpressbar zu sein, eine klare gemeinsame europäische Lösung.

Deswegen, lieber Herr Außenminister, Gratulation einerseits zu deinem ersten Jahr, das in diesem Bericht festgehalten ist. Der Bericht für 2015 wird dann folgen. Der wird aus außen- und europapolitischer Sicht ebenso spannend oder noch spannender und auch so positiv sein. Ich möchte dir einfach für die Zukunft viel Kraft und Durch­haltevermögen in deiner politischen Mission wünschen.

Eine erfolgreiche Europa- und Außenpolitik ist, wie anfangs schon erwähnt, das Funda­ment für eine gute Zukunft unseres Landes, auch damit wir schlussendlich das höchste


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 86

Ziel unseres politischen Auftrages erreichen können, nämlich dass unsere eigenen Kinder am Ende des Tages nicht Hinterbliebene, sondern Erben eines prosperierenden Europas sein können.

Lieber Herr Außenminister! Viel Erfolg und alles Gute für die Zukunft! (Beifall bei der ÖVP sowie der Bundesräte Kurz und Todt.)

13.30


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Koller. Ich erteile ihm dieses.

 


13.30.57

Bundesrat Hubert Koller (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Außenminister! Meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren zu Hause vor den Bildschirmen, die Sie uns via Livestream zusehen! Wir haben heute den Außenpolitischen Bericht vorliegen, der sehr umfangreich die internationalen Entwicklungen, die österreichischen Handlungen und die Positionen sowie die Politik der EU im Jahr 2014 aus österreichischer Sicht darstellt. Es ist leider kein Bericht der Freude, wie man lesen kann, und man hat gesehen, er ist sehr umfangreich – über 500 Seiten, der Kollege hat sie gerade hergezeigt. Es ist kein Bericht der Freude, weil die Jahre 2014 und vor allem 2015 von Krisen geprägt waren.

Der Bericht selber, das muss man zugeben, ist sehr professionell und in einer guten Form erarbeitet. Man spürt, dass sich die Experten dieses Ressorts sehr bemüht haben. Er ist sachlich, bewegt sich auch im Rahmen der im Regierungsüberein­kom­men festgelegten Positionen und er dokumentiert, wie du gesagt hast, lieber Kollege Gödl, das erste Arbeitsjahr von Außenminister Sebastian Kurz.

Der Bericht wurde in 18 Abschnitte gegliedert und enthält wirklich alle Elemente: die Serviceleistungen, die weltweit wichtig für unsere Österreicherinnen und Österreicher im Ausland sind, die Position Österreichs in der Europäischen Union, die Heraus­forde­rungen und Entwicklungen auf fünf Kontinenten, dann die gemeinsame Sicherheits­politik, die Position Österreichs in den anderen europäischen Foren, die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen.

Der Bericht beinhaltet auch die Position Österreichs als Sitz internationaler Organi­sationen und Institutionen, das wichtige Thema internationaler Schutz der Menschen­rechte, die österreichische humanitäre Hilfe und Katastrophenhilfe, die Außenwirt­schaft, die internationale Abrüstung, die österreichische Entwicklungszusammenarbeit, Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik, die Auslandskulturpolitik, das Thema der Inte­gration, wie mit Medien und Informationen umgegangen wurde, den österreichi­schen Auswärtigen Dienst und einen Überblick über die Dokumente, die dafür heran­gezogen wurden.

Bundesminister Kurz nennt im Vorwort vier Schwerpunkte der österreichischen Außen­politik. Der eine Schwerpunkt ist eben die Heranführung der Länder des Westbalkans an die Europäische Union. Hier bleibe das erklärte Ziel, die Westbalkanstaaten in die EU zu integrieren. Österreich hat deshalb, wie zu lesen war, die ADA-Mittel für den Westbalkan verdoppelt. Ebenfalls wurden die Auslandseinsätze in Bosnien und Herzegowina sowie Kosovo aufgestockt und das Kulturbudget der Botschaften dort erhöht. Österreich hat die EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien unterstützt und sich auch für die Anerkennung des EU-Kandidatenstatus für Albanien eingesetzt.

Als zweiten großen Schwerpunkt nennt Minister Kurz, dass Österreich speziell in Europa eine gute Nachbarschaftspolitik betrieben hat. In diesem Zusammenhang ist speziell die Ukraine-Krise beziehungsweise der -Konflikt zu erwähnen, und da hat Österreich zu einer Deeskalation zwischen der Ukraine und Russland beigetragen.


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 87

Österreich hatte zu diesem Zeitpunkt ja den Vorsitz im Ministerkomitee des Europa­rates.

Wir sollten uns also auch gut auf den Vorsitz in der OSZE vorbereiten, den wir 2017 haben, um erfolgreich dafür zu kämpfen, Blöcke und Konfrontationen zu überwinden und die umfassende Erneuerung der gemeinsamen europäischen und globalen Sicherheitsstruktur voranzutreiben.

Österreich ist aber auch stets dafür eingetreten, dass seine östlichen Nachbarstaaten und auch der Südkaukasus nicht auf eine Zerreißprobe – entweder Europa oder Russland – gestellt werden. Österreich tritt aktiv für eine Reform der EU-Nachbar­schafts­politik ein. Es ist aber auch notwendig, die Vereinten Nationen auf allen Ebenen zu stärken, zu unterstützen und vermehrt ins Zentrum unseres außenpolitischen Han­delns zu stellen.

Positiv bewertet Bundesminister Kurz im Bericht auch die von Großbritannien ge­stell­ten Forderungen für einen Verbleib in der EU – Kollege Gödl hat das vorhin ange­sprochen. Da stellen sich aber ein paar Fragen. Sie sagen, diese Forderungen sollen genutzt werden, „um den Standort Europa attraktiver zu machen, Subsidiarität und Bürgernähe voranzutreiben und einzelne Aspekte der Niederlassungsfreiheit in der EU nachzuschärfen (…).“

Inzwischen kennen wir die Ergebnisse der Verhandlungen und wir werden sehen, wie sich Großbritannien im Juni entscheiden wird. Aber hier stellen sich für mich zwei Fragen: Welchen Vorteil hat oder sieht Österreich durch diese Ergebnisse der Verhandlungen für Großbritannien? Wenn man nämlich in die Bürger hineinhorcht, ist es so, dass sie dann eher die Forderung stellen: Warum macht Österreich das nicht auch so strikt? Wenn aber alle Mitgliedstaaten mit Sonderforderungen daherkommen, muss man sich die Frage stellen: Wie halten dann die Grundverträge der Europäischen Union?

Als dritten Schwerpunkt hat Minister Kurz angeführt: „Dialog der Religionen und Integration“. In seinem Vorwort erwähnt er den „Dialogprozess mit den 16 in Österreich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften zum Thema Religionsfreiheit (…).“ Auch das neue Islamgesetz wird angeführt, nämlich als Zeichen des Dialogs. Öster­reich habe „im Kampf gegen den ISIL-Terrorismus sehr deutlich Position bezogen“ und sich von Anfang an der US-Allianz angeschlossen.

Als vierten Punkt führt Minister Kurz Österreich als „Ort des Dialogs und Amtssitz“ an. Hier erfüllt Österreich die Aufgabe, seine Wettbewerbsfähigkeit in diesem Bereich aufrechtzuerhalten. Bereits Bruno Kreisky hat damals ja durch eine sehr aktive Außen­politik Wien zu einem Amtssitz bedeutender Organisationen gemacht. Bundeskanzler Werner Faymann führt diesen aktiven Europaweg weiter.

Es freut mich natürlich, dass unser jetziger Außenminister einen sehr großen Wert darauf legt, die Bedeutung Wiens als Konferenz- und Kongressstadt aufrechtzu­er­halten. Als Beispiele wurden im Bericht die Nuklearverhandlungen mit dem Iran in Wien genannt und die Wiener Konferenz zu den humanitären Auswirkungen von Kernwaffen.

Auch bemüht sich das Bundesministerium, seine Serviceleistungen zu modernisieren. So wurde „die seit 20 Jahren erste umfassende Reform der BMEIA-Struktur und des Aufnahmeverfahrens für den diplomatischen Dienst eingeleitet.“

Seit 2014 ist viel passiert, da stellen sich uns einige Fragen. In der Türkei hat sich 2014 viel bewegt, wie aus dem Bericht zu erfahren war. Unter anderem gab es Kom­munalwahlen und Präsidentenwahlen, wobei in beiden Fällen die AKP, die Partei des Präsidenten Erdoğan, als Sieger hervorging. Dabei mutet die Bezeichnung dieser Par-


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tei als Fortschritts- und Gerechtigkeitspartei angesichts der Tatsache, wie diese Partei mit den Menschenrechten, der Medien- und Religionsfreiheit, der Kurdenfrage und vie­lem mehr umgeht, schon etwas sonderbar an.

Das wirft meiner Ansicht nach die brennende Frage auf – derzeit wird die Türkei als Partner in der Flüchtlingskrise dringend gebraucht und umworben; ich sehe die Forde­run­gen der Türkei als Gegenleistung für die Bestrebungen der EU in der Flüchtlings­frage schon extrem kritisch –: Wäre es nicht jetzt der richtige Zeitpunkt, der Türkei klarzumachen, dass die EU gerade in dieser Krisensituation sehr genau die Aktionen der Türkei beobachtet und verifiziert, wie europareif und europafreundlich die Türkei unter Erdoğan tatsächlich ist? (Präsident Saller übernimmt wieder den Vorsitz.)

Auch ein Blick in Richtung Libyen. Es gibt dort – wie im Bericht steht – eine sehr prekäre Situation. Inzwischen versucht man weltweit, eine Regierung zustande zu bringen, die tragfähig ist. Libyen selbst ist aber mit einer großen Anzahl an Flüchtlingen im Land völlig überfordert. Es gibt keine Armee, wie es sie in anderen Ländern gibt, sondern es gibt Stammessicherheitsdienste, eine verlockende Situation also für die Terrormiliz ISIS. Wenn sich die Lage in Libyen nicht verbessert, ist anzunehmen, dass sich auch diese Flüchtlinge in Richtung Europa bewegen werden.

Was gedenken Österreich und die EU zu tun, um dem vorzubeugen? Bezie­hungs­weise: Ist man sich dieser Situation bewusst? – Vielleicht bekommen wir auch dazu eine Stellungnahme von Herrn Außenminister Kurz.

Plan A hat das große Ziel, Europa dazu zu bewegen, hier einheitlich vorzugehen. Da aber die 28 EU-Mitgliedstaaten gerade in der Flüchtlingsfrage keine gemeinsame Linie und Betroffenheit erkennen lassen – in anderen Fragen, was die Wirtschafts- und Finanzkrise betrifft, sehr wohl –, wurde seitens der österreichischen Politik sozusagen der Plan B ausgerufen, der für die Zeit der Überbrückung, bis Plan A erfüllt werden kann, seine Gültigkeit haben wird.

Täglich wird die Bevölkerung mit neuen Tatsachen konfrontiert. Im Allgemeinen wer­den aber die Zwischenregelungen goutiert. Die vom Außenminister einberufene West­bal­kan­konferenz, der sogenannte Westbalkan-Flüchtlingsgipfel ohne Griechenland, wirft natürlich Fragen auf und hat auch Reaktionen hervorgerufen. Immerhin wurde die griechische Botschafterin zur Rücksprache von Wien abberufen.

Auch wurde eine formale Beschwerde vom griechischen Außenminister eingebracht. Nun stellt sich die Frage: Wie können wir das Flüchtlingsproblem ohne das ohnehin schwer gebeutelte Griechenland, das noch dazu die Schengen-Außengrenze bildet, lösen? Inwieweit können und werden Sie, Herr Minister Kurz, Ihre Fähigkeiten bei jenen Mitgliedstaaten einsetzen, die der vereinbarten Verteilung beziehungsweise den EU-Maßnahmen negativ gegenüberstehen?

Zum Abschluss noch zur österreichischen Außenpolitik – (auf das rote Licht auf dem Rednerpult weisend) das brennt schon –: Ziel der österreichischen Außenpolitik sollte es sein (allgemeine Heiterkeit Bundesrätin Mühlwerth: Die Außenpolitik …! Bun­desrätin Grimling: Jetzt brennt’s schon!) – das rote Licht hier brennt; ich komme schon zum Schluss! –, weit über den europäischen Tellerrand zu blicken.

Im Vorwort, Herr Bundesminister, gehen Sie ja mit diesen vier genannten Schwer­punkten darauf ein, aber die Ausführungen sind natürlich krisenbedingt auf Europa konzentriert. Das ist zwar aufgrund dieser Situation verständlich, steht aber im Widerspruch zu Ihren eigenen Zielsetzungen im Zuge der Neuausrichtung des Vertre­tungsnetzes. Demnach sollte Österreich künftig auch stärker im außereuropäischen Raum präsent sein.


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 89

Im Namen der sozialdemokratischen Fraktion möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für diesen umfangreichen und seriösen Bericht wirklich danken, aber auch für die geleistete Arbeit in diesen Jahren. Die SPÖ wird den Bericht zustimmend zur Kenntnis nehmen. – Danke. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

13.44


Präsident Josef Saller: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Stögmüller. – Bitte.

 


13.44.36

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Kurz! Ganz herzlich möchte ich auch die Schülerinnen und Schüler der Waldorfschule Klagenfurt begrüßen, schön, dass ihr da seid!

Bei dieser Debatte geht es um den Europapolitischen Bericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2014. Seit 2014 – Herr Kollege Gödl hat schon einiges erwähnt – hat sich ja tagtäglich etwas verändert. Ich werde dennoch versuchen, auf den vorliegenden Be­richt einzugehen und die aktuelle Außenpolitik dann eher im nächsten Tagesordnungs­punkt zu behandeln.

Worum geht es in diesem Bericht, ohne das jetzt unnötig auszuführen? – Es geht um langfristige Interessen und Schwerpunkte von Österreich. So ist der rote Faden der österreichischen Außenpolitik von 2014 die Heranführung der Länder des Westbalkans an die Europäische Union, die Europa- und Nachbarschaftspolitik, der Dialog der Religionen und Österreichs Rolle bei den Vereinten Nationen.

Auch wird die stärkere Verzahnung von außen- und wirtschaftspolitischen Interessen in diesem Bericht besonders hervorgehoben.

Spannend ist meiner Meinung nach auch die Neuausrichtung des Vertretungsnetzes, das heißt, wo Österreichs Präsenz in der europäischen Nachbarschaft, im Südkau­kasus sowie in den sogenannten Wachstumsmärkten und Innovationszentren gestärkt werden soll. So weit einmal zum Inhalt.

Wir von den Grünen stehen den bereits genannten thematischen Schwerpunkten prin­zipiell doch eher positiv gegenüber. Dennoch sehen wir den verstärkten Fokus auf die Verquickung der österreichischen Außenpolitik mit der Außenwirtschaft sehr kritisch.

Wir würden uns wünschen, dass unser Außenminister einen ganz klaren Schwerpunkt auf die Menschenrechte legt. Interessant ist nämlich, dass mit keinem einzigen Wort die Wirtschaftspartnerschaften als Instrument der österreichischen Entwicklungszu­sam­menarbeit genannt werden.

Ich möchte auch noch ganz kurz auf den Westbalkan eingehen. Die Verdoppelung der Budgetlinie der ADA – das ist die Austrian Development Agency – für den Westbalkan, die 2014 auf 4 Millionen € erhöht worden ist, sehen wir Grüne als verfehlte Entwick­lungszusammenarbeitspolitik an.

Die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit sollte sich verstärkt den Least Developed Countries, also den am wenigsten entwickelten Ländern, zuwenden. Da gehören Länder wie Afghanistan, Gambia, Burundi oder der Sudan dazu, und natürlich noch viel, viel mehr. Und man sieht gerade jetzt, was passiert, wenn diese Länder nicht unterstützt werden: Die Menschen fliehen in Kontinente wie Europa und Länder wie Österreich.

Was ich in diesem Bericht auch gefunden habe und für sehr bedenklich halte, war Ihre Befürwortung, Herr Minister Kurz, bezüglich des Reformanspruchs Großbritanniens in diesem Bericht in der Europäischen Union. Da reden Sie von einer Chance für eine


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 90

Weiterentwicklung der Europäischen Union. Der britische Ansatz fokussiert ja ganz stark auf eine Stärkung der nationalen Interessen innerhalb der Europäischen Union und weniger auf gemeinsames Handeln.

Wir Grüne sind ganz klar gegen Sozialleistungskürzungen, die auf nichts anderes abzielen, als EU-BürgerInnen aus anderen EU-Ländern zu benachteiligen. Das spricht gegen einen zukünftigen europaweit harmonisierten Raum, wo alle BürgerInnen nach gleichen Rechten und Pflichten arbeiten und leben möchten.

Aber da haben Sie, Herr Minister, schon Ihre ParteikollegInnen in den Bundesländern vorgeschickt, ich spreche da auch die Resolution zur Reduktion der Familienbeihilfe zum Beispiel in Oberösterreich an. Da wird dann gemeinsam mit der FPÖ Ihre Version à la Großbritannien sozusagen umgesetzt. Man sieht schon, in welche Richtung Sie gehen möchten.

Vielleicht können Sie uns das noch näher erklären, welche Ideen Großbritanniens „zur Weiterentwicklung der EU“ genützt werden sollten – so steht es ja in dem Bericht –, „um den Standort Europa attraktiver zu machen, Subsidiarität und Bürgernähe voran­zutreiben“ und so weiter. Kürzungen im Sozialsystem und Bürgernähe sind für mich nicht zu harmonisieren, ich weiß es nicht, wie es Ihnen dabei geht, vielleicht können Sie uns das ja erläutern.

Aber ich bin schon wieder zu weit in der Gegenwart angekommen. Auf die aktuellen Geschehnisse werde ich dann beim nächsten Tagesordnungspunkt betreffend das Arbeitsprogramm 2016 eingehen.

Vielleicht noch abschließend: Wir Grüne werden diesen Bericht aus 2014 trotz der kritischen Punkte und Ausführungen im Bundesrat zur Kenntnis nehmen. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen. Zwischenbemerkung von Bundesminister Kurz. Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.)

13.49


Präsident Josef Saller: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesminister Kurz. – Ich erteile es ihm. (Zwischenbemerkung von Bundesminister Kurz. Ruf bei SPÖ und FPÖ: Er hat es nicht gehört!) – Er hat es nicht gehört? Gut, dann noch einmal: Herr Bundesminister Kurz, ich erteile Ihnen das Wort. – Bitte.

 


13.49.24

Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Sebastian Kurz: Dann darf ich das gleich mit Mikrofon machen. Ich darf vielleicht nur ein paar Sätze zu Ihrer (in Richtung Bundesrat Stögmüller) Argumentation sagen. Dass die Entwicklungszusam­menarbeit ein ganz wesentlicher Bereich in unserer Arbeit ist, das steht ohnehin fest. Sie konkurriert aber nicht mit dem Wirtschaftsservice.

Die österreichische Außenpolitik hat zwei ganz wesentliche Aufgaben, nämlich das Eintreten für unsere Werte, aber natürlich auch das Eintreten für unsere Interessen. Ein Land, das wirtschaftlich schwach ist, hat wiederum auch keine finanziellen Möglich­keiten, um den Ärmsten der Armen zu helfen oder Entwicklungszusammenarbeit zu leisten.

Also von uns zu verlangen, die österreichische Wirtschaft im Ausland nicht zu unter­stützen, das wäre der absolut falsche Ansatz.

Was die EZA-Gelder betrifft und in welchen Regionen man investieren soll: Da bin ich ganz bei Ihnen, dass es ganz wesentlich ist, einen Beitrag auch in den Ländern zu leisten, wo die Ärmsten der Armen leben. Aber das heißt nicht, dass wir in Regionen, die in unserer Nachbarschaft liegen, die auch Entwicklungsbedarf haben, wie zum Beispiel der Kosovo, nicht auch aktiv sein sollten.


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 91

Es wäre ja paradox, dass wir in einer Region wie dem Westbalkan, in einer Region wie Südosteuropa, wo wir ganz besonders stark sind, weil wir eine historische, kulturelle und politische Verbundenheit haben, dass wir gerade in solch einer Region nicht aktiv sind. Das wäre aus meiner Sicht widersinnig.

Und wenn die Argumentation dann ist, dass aus diesen Staaten keine Flüchtlinge kommen, und aus anderen, ärmeren Staaten die Flüchtlinge kommen, weil man nicht hilft, kann ich nur sagen: Bitte, lesen Sie die Zahlen! Die größten Flüchtlingsbewe­gun­gen hatten wir nicht nur aus Syrien, dem Irak und aus Afghanistan – das sind auch nicht die ärmsten der armen Länder, da gibt es noch ganz andere –, sondern die größten Flüchtlingszahlen hatten wir zum Beispiel auch aus dem Kosovo, einem Land, wo wir Gott sei Dank aktiv sind.

Ich darf aber vor allem allgemein ein paar Worte zum Außen- und Europapolitischen Bericht sagen. Zunächst einmal möchte ich mich ganz herzlich bei den Mitarbeite­rinnen und Mitarbeitern des Außenministeriums nicht nur in der Zentrale sondern in der ganzen Welt bedanken, nicht nur für die Erstellung des Berichtes – das ist eine wesentliche Arbeit –, sondern vor allem für all das, was im Jahr 2014 geleistet wurde, in einem Jahr, das definitiv ein sehr unruhiges war.

Die Schwerpunkte sind von den unterschiedlichsten Rednern schon erläutert worden. Ich darf daher nur noch ganz kurz zusammenfassen, dass ich natürlich damit über­einstimme, was gesagt wurde, aber auch, was im Bericht steht, nämlich dass es vor allem natürlich einen Fokus auf die Krisenherde im Osten und im Süden der Europä­ischen Union gegeben hat: Im Osten mit dem Russland-Ukraine-Konflikt; im Süden mit dem IS-Terror in Syrien, im Irak und auch in Libyen.

Neben der Bewältigung der Krisen, die wir im Jahr 2014 erleben mussten, haben wir uns ganz besonders auch darum bemüht, Österreich wieder als Standort des inter­na­tionalen Dialogs, als Standort internationaler Konferenzen zu positionieren. Ich glaube, dass uns das ganz gut gelungen ist mit den Iran-Verhandlungen, die ja dann in weiterer Folge auch ein historisches Abkommen gebracht haben, aber auch mit den Syrien-Gesprächen, wo wir, glaube ich, gerade als kleines, neutrales Land einen ganz wesentlichen Beitrag leisten können.

Ganz besonders wichtig ist mir – und darum möchte ich damit schließen –, dass wir als Außenministerium uns als Serviceministerium verstehen. Unser Motto ist: „Weltweit für Sie da.“ Ich bin daher sehr froh, dass es uns als Team im Außenministerium gelungen ist  obwohl wir weniger Budget zur Verfügung haben als in der Vergangenheit –, das Serviceangebot laufend auszubauen. Wir haben mittlerweile die meisten Visaannah­me­stellen im gesamten Schengenraum, wir haben mittlerweile das Netz an Honorar­konsulen laufend ausgebaut und wir haben es im Jahr 2014 geschafft, insgesamt 580 000 Konsularfälle zu betreuen.

In diesem Sinne ein großes Danke an alle unsere MitarbeiterInnen im In- und Aus­land. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

13.54

13.54.10

 


Präsident Josef Saller: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 92

13.54.344. Punkt

EU-Arbeitsprogramm 2016; Bericht des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres (III-576-BR/2016 d.B. sowie 9543/BR d.B.)

 


Präsident Josef Saller: Wir gelangen zu Punkt 4 der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Schödinger. Ich bitte ihn um den Bericht.

 


13.54.50

Berichterstatter Gerhard Schödinger: Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über das EU-Arbeitspro-gramm 2016; Bericht des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres.

Dr Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher gleich zur Antragstel-lung.

Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 8. März 2016 den Antrag, das EU-Arbeitsprogramm 2016; Bericht des Bundesminis-ters für Europa, Integration und Äußeres zur Kenntnis zu nehmen.

 


Präsident Josef Saller: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster gelangt Herr Bundesrat Längle zu Wort. – Bitte.

 


13.55.31

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Grund­lage ist, wie in der Berichterstattung erwähnt, das 18-Monatsprogramm der EU.

Es wurde heute schon gesagt, dass die Niederlande den Vorsitz innehaben. Sie haben Luxemburg abgelöst, darauf werden dann die Slowakei und Malta folgen. Österreich selbst war das letzte Mal 2006 an der Reihe und wird im Frühjahr 2019 wieder den Vorsitz übernehmen.

Ich denke durchaus, dass es sehr sinnvoll ist, dass die Arbeitsprogramme aufeinander abgestimmt sind. Da ja eigentlich die Periode der einzelnen Länder mit sechs Monaten doch sehr kurz ist, ist es sehr wichtig, dass man sich da miteinander abspricht.

Ganz wichtige Punkte sind sicherlich die Integrations- und Sicherheitsaspekte sowie solide Finanzen. Ich meine, dass das aber nicht immer extra erwähnt werden sollte, denn das sollte schon obligatorisch zu den wichtigen Parametern gehören.

Zusätzlich wird auch noch auf die Klima- und Energiepolitik eingegangen. Das darf in einer modernen Zeit nicht fehlen.

Das Arbeitsprogramm selbst, wenn man sich das jetzt im Detail anschaut, scheint doch recht ambitioniert zu sein. Gerade die Wahlrechtsreform ist sicherlich grundsätzlich zu begrüßen. Wenn man bedenkt, wie viele Leute bei den vergangenen EU-Wahlen leider zu Hause geblieben sind, dann ist das schon eine, wie ich meine, traurige Entwicklung. Wir haben hier auch viele junge Zuhörer im Raum: Ich hoffe, dass von eurer Seite vom Wahlrecht Gebrauch gemacht wird.

Als Beispiel möchte ich auch noch die Vereinigten Staaten von Amerika nennen: Dort wird schon seit mehreren Jahrhunderten gewählt. Dort ist es aber leider so, dass die Wahlbeteiligung immer sehr, sehr gering ist. Gerade auch aktuell, wenn man dort schaut, wie das bei der Präsidentenwahl zugeht, dann denke ich, dass eine hohe Wahlbeteiligung doch sehr wichtig sein wird.


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Für Europa ist angedacht, ein sogenanntes Spitzenkandidatenmodell einzuführen. Ich meine, dass hier aber durchaus auch andere Lösungsansätze hätten mitbedacht wer-den sollen, denn zum Beispiel eine bessere Mandatsverteilung oder eine gleichberech­tigtere Stimmenverteilung innerhalb der EU – Stichwort: Malta  dürften doch auch Anreize für eine erhöhte Wahlbeteiligung liefern.

Ein anderer Punkt, den wir Freiheitliche sehr gerne begrüßen, ist die Bürgerinitiative, die auch als ein Instrument der Demokratie gehandelt wird. Etwas bedenklich oder erstaunlich ist, dass das eigentlich bis jetzt nur von Deutschland, von Luxemburg und von uns unterzeichnet wurde. Ich denke, dass es im Sinne einer besseren Einbin­dung – im Sinne eben dieser Bürgerinitiative  begrüßenswert wäre, wenn sich auch andere Staaten anschließen würden.

Beim vorhergehenden Tagesordnungspunkt bin ich schon etwas auf Großbritannien eingegangen, ich möchte aber noch einmal dieses Referendum beziehungsweise diese Abstimmung über den EU-Verbleib erwähnen. Dort ist angepeilt, dass das am 23. Juni dieses Jahres stattfinden wird. Richtet man den Blick nach Großbritannien, nach London: Da gibt es doch sehr viele Stimmen, die für einen EU-Austritt sind. Ich darf hier den Bürgermeister von London, Boris Johnson, erwähnen, der sich ja ganz klar auch in der Öffentlichkeit für einen sogenannten Brexit ausgesprochen hat.

Ich denke, dass ein möglicher Ausstieg Großbritanniens durchaus sehr bedenklich ist. Großbritannien ist sicher ein wichtiges Mitgliedsland der EU und ist natürlich auch eine sehr wichtige Wirtschaftskraft.

Ja, die Gründe für die Abstimmung sind natürlich vielfältig. Ich darf aber dennoch als einen Grund die meiner Meinung nach fehlgeleitete EU-Politik und die Maßnahmen bezüglich Sozialleistungen für Zuwanderer erwähnen. Das scheint doch in Großbritan­nien eine große Unstimmigkeit bezüglich der EU hervorgerufen zu haben.

Ich verweise auf das freiheitliche Parteiprogramm und auf unsere Forderungen, die bereits im Jahr 2013 gestellt wurden, denn dort haben wir schon davor gewarnt, dass sich die EU an einem Scheidepunkt befindet und – so wie wir meinen – leider zu sehr in Richtung eines zentralisierten Superstaats geht. Ebenso haben wir damals Lösun­gen aufgezeigt, wo wir eben auch klar definiert haben, dass wir ein Europa der freien Völker und Länder haben wollen.

Schlussendlich ist es natürlich die Entscheidung Großbritanniens. Wir hoffen, dass durch diese Abstimmung – egal, wie sie dann auch immer ausgehen mag – keine zusätzliche Krise gerade in Westeuropa, gerade im Kern der EU, ausgelöst wird, denn ich denke, dass wir derzeit schon genügend Herausforderungen und – leider doch auch – Probleme haben, Stichwort Arbeitslosigkeit, Zuwanderung und so weiter.

Die im Programm genannte Schaffung eines sogenannten Verteidigungsbinnen­mark­tes ist doch sehr erstaunlich, da gerade die EU-Befürworter immer für einen freien Zugang – auch von Nicht-EU-Bürgern – in den EU-Raum waren.

Die Statistik über die Arbeitslosenrate spricht jedenfalls eine ganz klare und eindeutige Sprache. Leider ist es so, dass bereits jeder vierte Arbeitslose Migrationshintergrund hat. Wenn ich in die vielen jungen Gesichter schaue, die heute hier sind, möchte ich auch einmal erwähnen, dass rund 38 Prozent aller Schulabgänger, die Migrationshin­tergrund haben, keinen Abschluss zustande bringen.

Das ist – wenn man das hochrechnet, dass über ein Drittel der Schulabgänger mit Migrationshintergrund keine richtige Ausbildung haben – doch sehr bedenklich. Und das, obwohl immer innerhalb der EU von tollen Programmen und dergleichen ge­sprochen wird.


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 94

Da fällt mir gerade etwas ein, was Albert Einstein gesagt hat: Wer immer das Gleiche tut und dann keine Wirkung erzielt, sollte sich doch mal das Ganze überlegen. – Das scheint da auch der Fall zu sein.

Wir Freiheitlichen sind an dieser Stelle schon stolz darauf, weil wir nämlich diese Forderung nach dem Schutz des Arbeitsmarktes innerhalb Österreichs und auch innerhalb der EU schon vor Jahren gestellt und mit mehreren Anträgen unterstrichen haben. Zumindest – so wie es scheint – ist das jetzt einmal in dieses Programm aufgenommen worden.

Etwas Erfreuliches ist aber natürlich auch noch zu erwähnen: Ich möchte das Thema der sogenannten Finanzhilfeprogramme aufgreifen. Es ist ja so, dass die Länder Irland, Spanien und Portugal, die diese Hilfe benötigt haben, diese Hilfsprogramme verlassen konnten.

Ein großer Problemfall ist sicherlich noch präsent und vorhanden: Das ist leider Griechenland. In Bezug auf die Flüchtlingskrise, die wir dort leider erleben müssen, stellt sich vielleicht auch die Frage, ob die vorgesehenen Gelder seitens der EU dort richtig eingesetzt werden. Und vielleicht könnte man sich auch einmal die Taktik neu überlegen und nicht unbedingt die Türkei unterstützen, sondern doch lieber Griechen­land, weil die Türkei irgendwie ein Katz-und-Maus-Spiel betreibt, ihre Forderungen ständig korrigiert und vor allem die Forderungen nach Geld ständig nach oben schraubt.

Zum Schluss halte ich fest, dass teilweise durchaus sehr gute Ideen vorhanden sind. Es kommt mir aber leider auch so vor, als ob viele leere Floskeln in diesem Programm stehen und vor allem auch die Anleitungen fehlen, wie das gehen soll.

In den 171 Artikeln werden viele Punkte angeführt, die Regelungen für Pazifikstaaten, gewisse Abläufe und Neuplanungen und sogar Anleitungen über den Verhaltenskodex für Weltraumaktivitäten beinhalten. Da stellt sich schon die Frage: Wie glaubwürdig ist das Ganze, können das die Länder überhaupt in einer so kurzen Zeit schaffen beziehungsweise bewältigen?

Dazu fällt mir natürlich wieder ein tolles Sprichwort ein, und zwar: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. – Ich denke, dass es sinnvoll wäre, eine Priori­tätenreihung zu machen, das Wichtige vom weniger Wichtigen zu trennen, sich auf die wichtigen und konkreten Herausforderungen zu konzentrieren und diese zu lösen. Dann sind diese abgehakt und man kann sich auf das Neue konzentrieren.

Bekannt ist auch der Ausspruch, dass Papier sehr geduldig ist. Wir Freiheitliche werden jedenfalls das Ganze genau beobachten und es nicht anhand eines Papiers beurteilen, sondern an den Taten messen. Ich wünsche mir natürlich schon, dass das mehr oder minder umgesetzt wird, aber, wie gesagt, hinschreiben kann man sehr viel.

Ja, wir stehen diesem Arbeitsprogramm ablehnend gegenüber, weil dieser ganze Katalog in diesem Rahmen und in dieser Hülle und Fülle einfach unglaubwürdig erscheint und auch unrealistisch ist. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

14.06


Präsident Josef Saller: Ich begrüße unter den Zuhörern im Saal den dreifachen Präsidenten Professor Dr. Herbert Schambeck. – Grüß Gott. (Allgemeiner Beifall.)

Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Ing. Köck zu Wort. – Bitte.

 


14.06.48

Bundesrat Ing. Eduard Köck (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Fernsehgeräten! Ein paar Worte zu meinem Vorredner: Gebe es kein Papier,


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könnten Sie nichts messen. Somit, denke ich, ist die Rechtfertigung für dieses Papier selbstverständlich gegeben.

Wir diskutieren heute den Bericht des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres betreffend das EU-Arbeitsprogramm. Ich denke, es ist ein sehr großes Vorhaben, das man sich vornimmt. Ich denke auch, dass es sehr gut abgearbeitet wird, denn wir sehen in unserer parlamentarischen Arbeit eigentlich schon die ersten Dinge, die aus diesem EU-Arbeitsprogramm auf uns zukommen.

Wir haben am Dienstag in der Sitzung des EU-Ausschusses, der ja seit dem Lissabon-Vertrag in Österreich dafür zuständig ist, an der europäischen Gesetzgebung mitzu­wirken, bereits einige Punkte abzuarbeiten gehabt, die in diesem Papier angeführt sind. Und wir haben auch zu einigen Punkten Stellung genommen.

Es gab zum einen den Punkt über die Bekämpfung des Terrorismus in Europa. Es gibt eine Vorlage von der Europäischen Kommission, die sehr gut und sehr umfangreich ist, bei der wir aber noch Möglichkeiten zu Verbesserung sehen. Das betrifft vor allem den Bereich des Zeugenschutzes. Wir haben diesbezüglich eine Mitteilung formuliert, die EU möge in diesem Bereich doch etwas weiter greifen und eine Verordnung erstellen, in der der Schutz der Zeugen besser gegeben ist, damit man überhaupt Zeugen gegen Terrorismus und terroristische Aktivitäten bekommt. Es wissen doch alle Bürger der Europäischen Union, dass die Terroristen mit Schläferzellen in allen Ländern sehr gut vernetzt sind. Da gibt es sicherlich einigen Schutzbedarf, sodass sich Menschen wirklich trauen, uns bei der Bekämpfung von Terrorismus zu helfen.

Ein zweiter Punkt: Mehrere Punkte waren Verordnungen bezüglich des Schutzes der europäischen Außengrenzen in den Küstengebieten. Es ist natürlich wünschenswert, dass jetzt doch einigermaßen Zug in diese Aktivitäten kommt, damit die Außengrenzen der Europäischen Union besser als in der Vergangenheit geschützt werden.

Weitere Verordnungen betrafen Neuerungen im Online-Handel, die wir gar nicht als richtig und gut ansehen. Es wurde uns eigentlich mitgeteilt, dass man das machen würde, damit die Klein- und Kleinstunternehmer auch gute Bedingungen im Online-Handel haben. Aber wir sehen das doch so, dass es eher eine Verordnung ist, die den ganz großen Spielern auf der Welt besser helfen würde. Deshalb lehnen wir das ab und werden auch diesbezüglich eine Mitteilung formulieren, weil wir meinen, dass ein kleiner Händler, ein kleines kommunales Unternehmen im Gegensatz zu größeren Unternehmen zwei Jahre Garantie nicht geben kann.

Da sehen wir vor allem in der Zukunft mehr Bedarf. Ich denke, das ist auch in diesem Arbeitspapier ausgedrückt. Wir haben es ja schon auf der Tagesordnung für die nächste EU-Ausschusssitzung, bei der es Verordnungen geben soll, die vor allem in der Besteuerung bei diesem Online-Handel ansetzen sollen.

Ich denke, das muss uns Österreichern ganz wichtig sein, denn es wird sehr viel im Internet gehandelt, es wird Umsatzsteuer verlangt. Wir wissen nicht, ob die irgendwo abgeführt wird. Wir fragen uns schon, wo die Registrierkasse für den Online-Handel ist. Das muss auch geregelt und klar gemacht werden. Es muss auch einmal nachvoll-zogen werden, wo diese Gewinnbesteuerung tatsächlich stattfindet. Ich denke, dass das sicherlich ein Schwerpunktprogramm in den nächsten Jahren zum Schutz unserer Wirtschaft in Österreich sein muss.

Nun sind auch die Fragen der Erweiterung der Europäischen Union angesprochen. Ich glaube, es ist auch so formuliert, dass wir momentan keinen Bedarf an großen Erwei­terungsschritten haben sollten. Momentan, denke ich, sind wir in der Europäischen Union eher sehr viel damit beschäftigt, die Europäische Union wieder besser als gemeinsame Union aufzustellen.


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Ein ganz großer Block ist natürlich der Punkt Migration. Das ist auch der wichtigste Punkt für die nächsten Jahre. Wenn ich so zurückdenke, dann sind wir mit dieser Reisefreiheit in den letzten zehn, 15 Jahren vielleicht doch etwas großzügig umge­gan­gen.

Ich komme aus einer Grenzregion, wo wir lange die Außengrenzen hatten. Wir hatten lange einen Grenzzaun, der natürlich auch nicht gut war, aber danach hatten wir Grenz­wachebeamte. Ich habe einen Freund, der dort gearbeitet hat. Die haben mit Infrarotkameras jeden Tag die Grenze überwacht, haben Leute aufgegriffen und in die Länder, aus denen sie gekommen sind, zurückgebracht. Dort hat jede Nacht der Hubschrauber patrouilliert.

Ich glaube nicht, dass das die Ostländer in dieser Qualität gemacht haben, wie wir das in den Jahren davor gemacht haben. Vielleicht hat das auch dazu eingeladen, dass es zu diesen Entwicklungen gekommen ist, die wir seit dem letzten Jahr haben und die uns natürlich vielleicht am Anfang auch einigermaßen überrascht haben, für die wir aber letzten Endes doch Konzepte gefunden haben.

Ich bin wirklich froh darüber, dass da auch der Regierungspartner jetzt mit uns gegangen ist, die notwendigen Maßnahmen zu setzen, damit dieser Strom einer bleibt, der für die österreichische Gesellschaft bewältigbar ist.

Vor allem die Einführung – ich zitiere wieder meine Worterfindung – der Richtwert­obergrenze war, meine ich, das Allerwichtigste. Ich habe schon gesagt, ich habe das im Migrationsausschuss im Europarat selbst gesehen, wie nervös die Balkanländer und die Griechen geworden sind, weil der Druck dort gestiegen ist.

Wir sehen jetzt alle, welches Spiel die Griechen gespielt haben. Sie haben vor einem halben Jahr schon unterschrieben, dass sie Hotspots machen werden. Sie haben dafür Geld bekommen, haben aber nichts gemacht. Sie haben gewartet, bis der Druck bei ihnen so groß geworden ist. Sie haben diese Hotspots erst dann geschaffen, als sie sie selbst gebraucht haben.

Ich habe heute oder gestern im Radio gehört, dass sie jetzt auch Auffanglager bauen werden, für die sie schon lange Geld bekommen haben. Da haben sie wieder ein Spiel gespielt und erst einmal gewartet, dass der Druck auf alle anderen so groß wird. Sie haben uns immer wieder diese Grenze bei Idomeni gezeigt, wo es den Flüchtlingen so schlecht geht. Und jetzt haben sie eingesehen, dass nichts helfen wird, dass sie diesen Umstand ganz einfach nicht los bekommen. Jetzt bauen sie diese Lager, für die sie schon lange Geld bekommen haben, in denen diese Menschen gut untergebracht werden können.

Und dann können alle anderen Dinge, die wir auf europäischer Ebene vereinbart haben – gegen die sich aber ganz viele Länder ein bisschen wehren –, angegangen werden. Ich denke, gerade wenn wir in den Osten sehen, sollten wir vor allem die Finanzen ins Spiel bringen, einerseits bei der Finanzierung der Bewältigung dieser Flüchtlingsströme, andererseits bei der Aufteilung.

Ganz gut finde ich in der Zusammenarbeit mit Afghanistan, dass dort jetzt Werbung betrieben wird, die die Leute vor Ort, in Afghanistan, aufklärt, dass diese Reise nach Europa nicht so schön und gut ist, wie es ihnen vor allem von Schleppern vorgemacht wird. Möglicherweise bewirkt das dasselbe wie im Kosovo vor einem dreiviertel Jahr, sodass diese Menschen sich nicht mehr in diesen Scharen aufmachen und zu uns kommen.

Ein ganz wichtiges Thema werden natürlich die Verhandlungen mit der Türkei sein. Ich muss ehrlich sagen, mir ist dabei gar nicht gut. Wir alle wissen, dass durch den Kauf des Öls die Türkei sicherlich ein guter Financier von Organisationen ist, die uns auf der


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Welt große Probleme bereiten. Mit diesen Ländern zu verhandeln, um unsere Prob­leme zu lösen, ist natürlich nicht einfach, aber wir werden sie bis zu einem gewissen Grad brauchen. Wir sollten aber auch einen Plan B im Hintergrund haben, indem wir ganz einfach unsere Präsenz der Küstenwache derart verstärken, damit wir das – wenn es mit der Türkei ganz einfach nicht machbar ist – auch selbst zustande bringen.

Auf dem Sektor Integration – aber auch Migration – möchte ich dir gratulieren, Herr Außenminister. Du hast in den letzten Wochen und Monaten die richtigen Dinge angesprochen und auch in Bewegung gebracht. Ich denke nur an die islamistischen Kindergärten in Wien, wo es am Anfang sicher auch sehr starken Gegenwind gegeben hat, aber letzten Endes war es – wie wir gesehen haben – doch sehr richtig. 

Ich denke auch, dass all die vorgeschlagenen Maßnahmen – Deutschkenntnis vor Schulbeginn und auch einige andere gute Ideen mit der Annahme unserer Gesell­schafts­form – letzten Endes umgesetzt werden müssen, damit wir diese Strömungen, die in Bewegung sind, so gut wie möglich – auch für unsere eigene österreichische Gesellschaft – bewältigen.

Danke, Herr Minister, für deine gute Arbeit! Ich wünsche dir viel Glück. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

14.16


Präsident Josef Saller: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Stögmüller zu Wort. – Bitte.

 


14.16.27

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Bild­schirmen! Sehr geehrter Herr Außenminister! Dieses vorgelegte EU-Arbeitspro­gramm 2016 ist meiner Meinung nach sehr mager. Man sieht es ja schon am Umfang, wie mager es geworden ist.

Der Bericht beinhaltet in vielen Kapiteln keine konkreten österreichischen Perspek­tiven, und wenn, dann nur sehr selektiv in einem eigenen Paragraphen oder als Textelement in den verschiedenen Abschnitten integriert.

Wir haben im vorherigen Tagesordnungspunkt über den Bericht von 2014 und über das Referendum in Großbritannien geredet. Dazumal gab es zumindest eine klare – wenn auch umstrittene – österreichische Position in diesem Bericht. In diesem Bericht jetzt kommt gar nichts mehr dazu vor. Antworten habe ich zuerst auch nicht auf die Frage hin bekommen, wie jetzt das Außenministerium dazu steht oder wie Sie als Minister dazu stehen.

Auch fehlen mir Ihre Positionen zum Europäischen Auswärtigen Dienst, zum Mehr­jährigen Finanzrahmen, zur EZA und humanitären Hilfe oder zu den Menschenrechten. (Zwischenruf bei der ÖVP.) Das ist eh gerade in der Situation, in der wir gerade sind, nicht wichtig für das Außenministerium. Und es könnte ja peinlich sein oder werden, wie wenig Österreich seit Jahren zur Entwicklungshilfe in den Ländern beiträgt.

Da muss man sagen, da findet man bei manchen Themen in Ihren Interviews und Zeitungsartikeln mehr zu den Positionen der österreichischen Bundesregierung als in diesem Arbeitsprogramm, das Sie uns vorgelegt haben. Das sei einmal gesagt.

Gehen wir auf ein paar Positionen in diesem Bericht ein! Ein zentrales Thema ist die aktuelle Flüchtlingssituation. Das ist schon angesprochen worden. Ihre Strategie, die Sie auch schon wieder in den Medien kundgetan haben, ist Abschotten und Absichern der EU-Außengrenzen sowie Minimierung der Flüchtlingszahl. Humanitäre Hilfe wird


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nur ganz kurz in diesem Kapitel angeschnitten, dafür gibt es umso mehr Details über Fortschritte bei der Rückführungspolitik und Maßnahmen zum Grenzschutz.

Dazu vielleicht eine ganz aktuelle Schlagzeile von der Tageszeitung „Österreich“ von heute: „Schlepper setzen wieder Menschen aus.“ Erstmals wieder Fälle seit Septem­ber. – Gratulation, Herr Minister, genau das passiert dann mit dieser Politik! Ich erin­nere nur ganz kurz: Experten haben ja schon lange davor gewarnt, dass durch diese Abschottungspolitik genau solche Schlepper wieder aktiv werden.

Ich erinnere nur an Parndorf und an die toten Menschen, die dort aufgefunden wurden. Gar nicht abzusehen ist die menschliche Tragik, die sich gerade an der griechisch-mazedonischen Grenze abspielt. Die trägt die Handschrift der österreichischen Bundesregierung – nichts anderes –, und damit auch Ihre. Da passt vielleicht auch Ihr Motto – vielleicht passt es nicht ganz so –: „Wir sind weltweit für Sie da!“ (Zwischenruf bei der ÖVP.) – Erst durch die Strategie und die Abschottungspolitik ist es so weit gekommen.

Bevor Sie wieder mit irgendwelchen Demonstrationen – ich habe noch Ihr „ZiB“-Interview im Kopf – und dem Argument kommen, dass es ja eh nur Männer sind, die da kommen, ich habe Ihnen die aktuellen Zahlen herausgesucht: Das UN-Flüchtlingswerk sagt, 36 Prozent der Flüchtlinge, die in Griechenland sind, sind Kinder, 21 Prozent sind Frauen und 43 Prozent sind Männer. Noch einmal: 36 Prozent Kinder, 21 Prozent Frauen und 43 Prozent Männer – niemand anderer. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Das muss einmal erwähnt sein. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Aber gut, gehen wir wieder zurück zu dem Bericht. Und was schreibt unser Außen­minister in das Arbeitsprogramm 2016? – Er attackiert dabei ganz offensichtlich auch Griechenland.

Ich zitiere: Der EU-Türkei-Aktionsplan „entbindet keinen (…) Mitgliedstaat von seinen Pflichten, insbesondere nicht vom Schutz der EU Außengrenzen“.

Gut nur, dass Griechenland pleite ist – ich glaube, das weiß noch jeder, wie das Ganze abgelaufen ist –, so toll supportet wird es von einer Europäischen Union und wird mit einer relativ gut zu sichernden Außengrenze, die quasi rundum aus Wasser besteht, alleine gelassen.

Ich bin gespannt, was Sie tun werden, um die aktuell angespannten Beziehungen mit Griechenland wieder zu kitten und auch die Rückkehr der griechischen Botschafterin nach Wien zu erreichen. Da bin ich gespannt. Vielleicht können Sie uns erläutern, wie Sie die Kommunikation mit Griechenland wieder stabilisieren werden.

Ein weiterer Punkt, der mir in diesem Bericht fehlt, ist die österreichische Position zu den Russland-Sanktionen. Der Kollege hat das schon angesprochen, vielleicht können Sie uns heute auch erklären, warum diese in schriftlicher Form – in dem Bericht – fehlen, beziehungsweise sie mündlich ergänzen.

Ich muss aber auch gleich noch dazu sagen, warum ich so viele Fragen stelle, nämlich weil im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Bundesrates kein Beamter Ihres Ministeriums anwesend war, der sich unserer Fragen angenommen hat – es war keiner da, daher bitte ich Sie, diese Fragen nun hier zu beantworten.

Da wir gerade bei der Wirtschaft waren, möchte ich auch noch auf ein anderes Thema im Arbeitsprogramm eingehen, nämlich auf das Thema TTIP. Zitiert wird da wieder die europäische Position – nicht eine österreichische, die fehlt neuerlich –, das Freihan­delsabkommen TTIP werde „Wohlstandsgewinne bringen, Wirtschaftswachstum för­dern und Arbeitsplätze schaffen“.


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Ja, es ist schon komisch: Es werden also Wohlstandsgewinne gemacht, das Wirt­schafts­wachstum wird gefördert und es werden Arbeitsplätze geschaffen. Ich möchte gerne von Ihnen wissen, was Sie von TTIP halten. Was ist die Position des Außen-ministeriums zu diesem TTIP? Dazu war ja leider keine Position in dem Arbeitsbericht zu finden. (Bundesrat Köck: … ist ja auch …!) – Nun, das Thema wird ja im Außen­politischen Bericht angesprochen, nur die Position von Österreich und vom Außen­ministerium fehlen.

Weiters fehlt mir eine Position zur Umsetzung der EU-Strategie zu Klein- und Leicht­waffen. Was ist dabei die österreichische Position? – Fehlt leider.

Abschließend möchte ich auf den Nationalen Aktionsplan Integration eingehen, den man nun auch auf bereits anerkannte Flüchtlinge ausdehnen will. Ich sehe das als sinnvoll an, das muss ich auch sagen. Wichtig wäre es jedoch, Deutschkurse ehestmöglich anzubieten, flächendeckend und auch in den ländlichen Regionen. Das wäre meiner Meinung nach eine ganz wichtige Sache. Nach wie vor obliegt die Organisation eines Großteils der angebotenen Deutschkurse der Zivilbevölkerung und den Ehrenamtlichen vor Ort. Meiner Ansicht nach sollte sich eigentlich der Österreichi­sche Integrationsfonds um die Organisation kümmern und dafür verantwortlich sein, doch dieser sieht sich eher als Verwalter von Datenbanken, eigene Kurse werden vom Österreichischen Integrationsfonds kaum angeboten.

Was wir dringend brauchen, sind massive Geldmittel für Deutschkurse. Die Menschen, die willig sind und die ihnen aufgezwungene Freizeit sinnvoll verbringen möchten (Bundesrat Mayer: … die Länder kümmern sich um das!) – dazu komme ich noch –, müssen dabei unterstützt werden, Deutsch zu lernen, das wäre ganz wichtig. So sieht man es nicht selten, dass Asylwerber auf Wartelisten stehen. Die stehen auf Wartelisten, und nicht selten ein Jahr lang! Vielleicht können Sie das bestätigen, viel­leicht haben Sie das schon gehört? Es gibt im ländlichen Raum, auch in Großstädten Wartelisten, wo AsylwerberInnen bis zu einem Jahr lang auf einen Deutschkurs warten. So sieht Integration sicher nicht aus. (Zwischenrufe der Bun­desräte Mayer und Gödl.)

Integration steht in einer ganz engen Verbindung mit dem Spracherwerb, und das Mit­ei­nander in der Gesellschaft entscheidet darüber, ob Österreich aus der Fluchtbe­we­gung jetzt eine Chance macht oder sich zukünftig Probleme einstellen. Daher braucht es finanzielle Mittel – ich weiß, da spreche ich nicht nur Sie an, Herr Bundes­minister Kurz – und klare Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern, damit Integration auch umsetzbar ist. Da spreche ich jetzt die ganze Bundesregierung an.

Sehr geehrter Herr Außenminister, vielleicht beantworten Sie mir noch ein paar der Fragen, die ich Ihnen jetzt gestellt habe. (Bundesrat Mayer: Ist ja keine Frage …!) Schließlich, wie erwähnt, war kein Beamter aus Ihrem Ministerium im Ausschuss, daher versuche ich es jetzt direkt beim Herrn Minister. (Zwischenruf des Bundesrates Köck.)

Wir Grüne werden dennoch dieses EU-Arbeitsprogramm im Bundesrat ganz klar ablehnen, uns fehlen einfach zu viele Positionen zur österreichischen Außenpolitik. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

14.24


Präsident Josef Saller: Herr Bundesrat Mag. Lindner ist als Nächster zu Wort ge­meldet. Ich erteile es ihm.

 


14.24.34

Bundesrat Mag. Michael Lindner (SPÖ, Oberösterreich): Geschätzter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Liebe KollegInnen und ZuseherInnen vor den Fernsehgeräten! Es ist ein spezielles Gefühl, als junger Bundesrat hier zu stehen und trotzdem älter zu


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sein als der Minister, deswegen ist die Situation ganz speziell. (Heiterkeit bei Bun­desminister Kurz.)

Doch kommen wir zum eigentlichen Thema: Mit den Vorschauen für die euro­pa­poli­tische Arbeit ist es ja derzeit so eine Sache, weil die aktuellen Ereignisse die Vorschau­berichte eigentlich tagtäglich überholen. Nichtsdestotrotz beschreibt Ihr Bericht zum EU-Arbeitsprogramm die wichtigsten Herausforderungen aus meiner Sicht ganz gut.

Bevor ich zu den zwei großen Kernpunkten – aus meiner Sicht – komme, möchte ich noch betonen, dass ich die im Bericht angesprochene Verbesserung der Europäischen Bürgerinitiative sehr begrüßen möchte. Ich glaube, mit der Bürgerinitiative ist es möglich, Europa noch näher zu den Menschen zu bringen, und wir haben, so glaube ich, auch in Österreich mit der Initiative Right2Water bewiesen, dass wir mit so einem Mittel sehr gut unser Recht auf sichere und öffentliche Wasserversorgung absichern können.

Bei einer Überarbeitung muss man jedoch meiner Meinung nach sehr stark daran arbeiten, dass es weniger formalen Aufwand braucht, um eine Initiative zu starten oder um sie zu unterstützen. Viele NGOs berichten, dass auch ein enormer finanzieller Aufwand nötig ist, um eine Initiative ins Laufen zu bringen. Da würde ich Sie bitten, sich auch auf diesem Wege dafür einzusetzen.

Angesprochen wird im Bericht auch das Europäische Transparenzregister für Organi­sationen und Interessenvertretungen, das ja vor allem LobbyistInnen und Interes­sen­vertretungen umfassen soll. Seit 1. März läuft dieser Konsultationsprozess zum Transparenzregister, und man muss ganz offen sagen: Das Transparenzregister hat bisher nicht funktioniert, weil es freiwillig und damit zahnlos war.

Juncker hat jetzt angekündigt, 2014 ein verpflichtendes Transparenzregister schaffen zu wollen. Aus meiner Sicht erfolgt da ein Schritt in die richtige Richtung. Es gibt Studien, die davon sprechen, dass es bis zu 15 000 LobbyistInnen in Brüssel gibt, und nur ein Bruchteil war bisher registriert. Das System hat also bisher nicht funktioniert. Ich glaube jedoch, die Menschen in der EU haben das Recht, zu erfahren, wer mit welchem Interesse und mit welchen finanziellen Mitteln versucht, politische Entschei­dungen zu beeinflussen.

Nun aber zu meinen eigentlichen zwei Kernpunkten des Berichts, nämlich zur Flücht­lingssituation und zu den Entwicklungen rund um die Freihandelsabkommen TTIP und CETA. Ich glaube, und da müssen wir offen reden, dass wir in Europa – man muss fast sagen: wieder einmal – am Scheideweg stehen, nämlich: Schaffen wir es, als Euro­päische Union zu bestehen, oder schaffen wir es nicht? Die Bewältigung der Flücht­lingsbewegungen ist aus meiner Sicht die Nagelprobe für das vereinte Europa, und auch wir, als vergleichsweise kleines Mitgliedsland, müssen uns die Frage stellen: Wollen wir es mit mehr Europa schaffen, oder wollen wir es mit weniger Europa schaffen?

Dabei habe ich in Österreich schon sehr oft das Gefühl, dass Außen- und Europapolitik sehr oft innenpolitisch diskutiert und betrieben wird, denn eigentlich müssten wir noch viel genauer die Fluchtursachen in den Blick nehmen und da echte Lösungen angehen.

Eines muss man da offen sagen: Das Dublin-System, das Dublin-Abkommen mit den sicheren Drittstaaten, hat legale Einreisemöglichkeiten, gerade nach Österreich, de facto abgeschafft. Wir haben uns vor dem Dublin-Abkommen nicht angeschaut, wie denn die Unterbringungsmöglichkeiten in den Zielländern aussehen, ob sie auch die finanziellen Mittel haben. Wir haben sie mit dieser Verantwortung aus meiner Sicht alleine gelassen. Das erzwingt illegale Fluchtbewegungen, weil sich verfolgte Men­schen einfach ihre Wege zu einem besseren Leben suchen, und das ist auch legitim


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so. Ich glaube, wir haben mit diesem Dublin-Abkommen das Schleppereiwesen ordent­lich angekurbelt, und irgendwann muss man auf europäischer Ebene auch sagen: Dieses Dublin-System ist gescheitert und hat versagt.

Zudem hat meiner Meinung nach die EU auch bei der Unterstützung der Flüchtlings­regionen vor Ort versagt. Im September 2014 hat das World Food Programme gewarnt, keine ausreichende lebenswichtige Unterstützung für knapp über sechs Mil­lionen Syrerinnen und Syrer mehr zu haben. Im Juli 2015 musste die Versorgung mit Lebensmitteln und Gutscheinen noch einmal drastisch reduziert werden. Syrische Flüchtlinge mussten sich mit 13 Dollar einen ganzen Monat lang vor Ort versorgen.

Juli 2015 ist auch der Zeitpunkt der großen Flüchtlingsbewegungen Richtung Deutsch­land, Österreich und Schweden. Wenn Flüchtlinge nicht mehr ausreichend zu essen bekommen, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn sie sich auf den Weg machen, und da wird es egal sein, ob das auf der Balkanroute ist oder dieses Jahr wieder der Weg über Italien. Diese zentrale Frage der Unterstützung vor Ort müssen wir auch mitbedenken, wenn es um eine Zusammenarbeit mit der Türkei geht.

Die Türkei beherbergt über 1,8 Millionen Flüchtlinge, ist natürlich ein Player, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen und mit dem wir eine Einigung brauchen. Ich glaube aber auch, dass wir genau hinschauen müssen, unter welchen Bedingungen Flüchtlinge in der Türkei leben müssen.

Die Türkei hat 1951 die Genfer Flüchtlingskonvention mitunterschrieben, lässt sie aber im Großen und Ganzen nur für Flüchtlinge aus Europa gelten. Es gibt genügend Berichte darüber, dass über 500 000 Flüchtlinge in Istanbul leben und teilweise Hun­derte Euro zahlen, um überhaupt in irgendwelchen Kellerzimmern wohnen zu können.

Man muss mit der Türkei auch über die Situation der Menschenrechte sprechen, über den Umgang mit den Kurden.

Gerade vor diesem Hintergrund, dass wir uns eben nicht zu abhängig machen dürfen von der Türkei, ist es wichtig, die Situation im Libanon, in Jordanien, in den Nach­bar­staaten dringend zu verbessern, und dort die Flüchtlinge ordentlich zu versorgen. Es wird nicht ausreichen, die Verantwortung jetzt balkanabwärts zu schieben, und Griechenland in die Pflicht zu nehmen. Das ist aus meiner Sicht schon ein bisschen absurd, wenn man in einem Jahr mit der EU-Troika fast 40 Prozent der Staats­bediens­teten in Griechenland entlässt und dann von Griechenland verlangt, Hunderttausende Flüchtlinge aufzunehmen.

Ich glaube, man muss zur Kenntnis nehmen: Griechenland kann einfach nicht mehr. Man kann von Menschen auf Inseln, auf denen wenige Tausend Menschen von Land­wirt­schaft und Tourismus leben, nicht verlangen, dass Sie Hotspots mit mehreren Zehntausend Flüchtlingen akzeptieren. (Bundesrat Mayer: Wir haben 90 000!)

Das heißt, wir werden als gesamte Gemeinschaft wesentlich mehr Geld in die Hand nehmen müssen, um vor Ort zu unterstützen. Da wird es nicht gehen, zu sagen: Sie dürfen nicht heraufkommen, aber mehr Geld zahlen wir auch nicht. (Zwischenruf des Bundesrates Hammerl.)

Ein zweiter wichtiger Bereich im vorliegenden Bericht sind die Entwicklungen rund um die Freihandelsabkommen. Die bisher sehr kritische Haltung der österreichischen Bundesregierung ist, glaube ich, mehr als berechtigt. Man muss ja als Mandatar aus meiner Sicht grundsätzlich schon sehr skeptisch sein, wenn diese Verhandlungen so geheim stattfinden. Als Zugeständnis hat man uns Lesesäle zugesichert. Man muss ganz offen sagen: Die formalen Vorschriften, wie man zu den Unterlagen kommt, sind schon alles andere als transparent – man kann keine Abschriften machen, es können keine MitarbeiterInnen in den Raum hinein, es gibt nur sehr eingeschränkte Öffnungs-


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zeiten und nur sehr zögerlich Übersetzungen –, also da braucht es dringend eine an­dere, transparente Vorgangsweise.

Jedenfalls: Wenn wir über TTIP reden, dann sollten wir natürlich auch über die Inhalte von TTIP reden. Im Bericht werden ganz allgemein Synergieeffekte, Wohlstands­ge­winn und Wirtschaftswachstum angesprochen. Ich weiß schon, das fällt natürlich auch in die Zuständigkeit des Wirtschaftsministers, aber mich würde dennoch auch Ihr Standpunkt, Herr Außenminister, interessieren.

Diese Nivellierungen nach unten – der Umweltstandards, Sozialstandards, Arbeitneh­mer­rechte –, die wir befürchten, sind natürlich nicht explizit im Abkommen enthalten, das ist schon klar. Ich glaube aber, ein zentrales Vehikel, über das diese Standards gefährdet sein könnten, ist die Investorenschutzklausel mit den dafür vorgesehenen Schiedsgerichten. Dazu muss ich ganz offen sagen: Es ist schon ein bisschen absurd, eine Möglichkeit schaffen zu wollen, dass ausländische Konzerne – internationale Unternehmen – wegen Gewinneinbußen einen Staat verklagen können. Da geht es ja nicht um irgendwelche böswilligen, unternehmerfeindlichen Gesetze, da geht es um Umweltstandards, da geht es um Sozialstandards, da geht es um berechtigte Besteue­rungen und Arbeitnehmerrechte.

Dann stellt sich natürlich noch die Frage, wie diese Verfahren und Klagen abgewickelt werden. Es gibt jetzt einen neuen Vorschlag der Europäischen Kommission für ein Investitionsgerichtssystem, das aber aus meiner Sicht die Kritikpunkte nicht entkräftet und erledigt. Ausländische Konzerne haben nach wie vor die Möglichkeit, Sonder­klagsrechte einzubringen und Staaten vor internationalen Schiedsgerichten zu verkla­gen. Konzerne können Staaten noch immer wegen indirekter Enteignung – so wird es genannt, gemeint sind Profitverluste – verklagen. Im neuen Vorschlag heißt es so schön: Staaten können „notwendige Maßnahmen“ einsetzen, um „legitime“ Ziele zu erreichen, damit also auch Gesetze vollziehen. Aber was für einen Staat „notwendig“ und was „legitim“ ist, entscheiden noch immer diese SchiedsrichterInnen in den Streitverfahren.

Aus meiner Sicht geht es bei meiner Kritik an TTIP nicht darum, dass man irgend­welche bürokratischen Hürden im internationalen Handel oder Handelshemmnisse verteidigt, sondern darum, dass wir gemeinsam dafür sorgen, dass die Entscheidungs­gewalt bei der Politik und bei den Staaten bleibt und nicht bei nebulosen unabhängigen Gerichten. In diesem Sinne bitte ich auch Sie, Herr Bundesminister, diese kritische Haltung aus Österreich mitzunehmen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

14.34


Präsident Josef Saller: Ich begrüße bei uns im Bundesrat Herrn Finanzminister Dr. Schelling. Grüß Gott. (Allgemeiner Beifall.)

Als Nächster gelangt Herr Bundesminister Kurz zu Wort. – Bitte.

 


14.34.37

Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Sebastian Kurz: Sehr geehr­ter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren im Bundesrat! Ich darf auch noch ein paar Worte zum EU-Arbeitsprogramm 2016 verlieren.

Ich beginne gleich mit einem Punkt, den Sie, Herr Bundesrat Lindner, angesprochen haben, nämlich mit der Situation der Flüchtlinge in Griechenland, der Suche nach der europäischen Lösung in der Flüchtlingskrise. Ich bin da mit vielem, was Sie gesagt haben, einverstanden und Ihrer Meinung, insbesondere wenn Sie sagen: Wenn wir die Menschen in Flüchtlingslagern in der Region, in den Herkunftsländern schlecht ernäh-


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ren und versorgen, dann werden sich mehr und mehr auf den Weg machen. – Damit haben Sie völlig recht. Das ist auch der Grund, warum ich stets dafür eintrete, dass wir das Ziel der unbeschränkten Aufnahme in Mitteleuropa verlassen sollten, und statt­dessen mehr in die Hilfe vor Ort investieren sollten.

Mit den Geldern, mit denen wir einen Flüchtling ein Jahr lang in Österreich versorgen können, können wir im Libanon 19 Menschen versorgen, in anderen Ländern der Region sogar noch mehr. Meiner Ansicht nach erkennt man da sehr schnell, wo nachhaltig am besten investiert werden kann.

Wo ich Sie nicht verstehe, ist bei der Kritik am Bundeskanzler (Zwischenruf des Bun­des­rates Stögmüller), denn wenn Sie das Weiterwinken nach Mitteleuropa an­sprechen, wenn Sie sagen, man kann Griechenland da nicht alleine lassen, man darf die Grenzen nicht schließen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Dieser Meinung bin ich nicht! Ich bin voll und ganz der Meinung, dass die Staats- und Regierungschefs beim Europäischen Rat die richtige Entscheidung getroffen haben, und ich bin froh darüber, dass der Bundeskanzler dem Text auch zugestimmt hat, in dem steht:

Das Weiterwinken muss beendet werden, und die Westbalkanroute nach Mitteleuropa ist, was die illegalen Migrationsflüsse betrifft, an ein Ende gelangt. – Ich unterstütze da voll und ganz die Entscheidung der Staats- und Regierungschefs und auch die Zustimmung des Herrn Bundeskanzlers. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

Was die Situation in Griechenland betrifft, so haben Sie völlig recht, wenn Sie sagen, man darf die Griechen da nicht alleine lassen, aber der Punkt ist: Niemand hat Inter­esse daran, die Griechen alleine zu lassen. Ich habe das Thema jetzt ein Jahr lang sehr genau in zahlreichen Sitzungen miterlebt, und es war eigentlich niemals so, dass die Griechen diesbezüglich alleine gelassen worden wären, sondern das Problem war viel eher, dass die Griechen nicht bereit waren, die europäische Hilfe anzunehmen. Es gab schon Beschlüsse, dass – europäisch finanziert – 50 000 Flüchtlingsunter­kunfts­plätze geschaffen werden sollten. All das ist leider Gottes nicht zustande gebracht worden.

Insofern bin ich froh darüber, dass Griechenland mittlerweile so weit ist, auch die europäische Hilfe anzunehmen, weil sich die Flüchtlinge in Griechenland eine ordent­liche Unterbringung verdient haben, und diese ordentliche Unterbringung wird es nur dann geben, wenn wir die Griechen finanziell und organisatorisch unterstützen.

Darum bin ich auch der Meinung, dass das Vorhaben der Staats- und Regierungs­chefs, rund 700 Millionen € an Unterstützungsgeldern in die Hand zu nehmen, absolut richtig ist, aber zum Zweiten braucht es natürlich auch die Bereitschaft der Flüchtlinge, in diese Quartiere zu gehen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe volles Verständnis für jeden Flüchtling, der an der mazedonischen Grenze ist, weil er darauf wartet, dass er nach Mitteleuropa durch­kommt und nicht in die Flüchtlingsquartiere in Griechenland gehen möchte, aber wir haben doch als Politik die Verantwortung, diesen Menschen nicht falsche Hoff­nungen zu machen oder bei diesen Menschen falsche Hoffnungen auszulösen – derart, dass sie an der Grenze warten in der Hoffnung, dass vielleicht doch die Grenze wieder aufgeht –, sondern wir sollten diesen Menschen ehrlich kommunizieren, dass der Weg nach Mitteleuropa nicht möglich ist, aber dass wir alles tun werden, um sie in Griechenland ordentlich zu versorgen. Das muss unser Ziel sein.

Das ist eine menschliche Lösung, es ist vor allem aber auch eine strategisch richtige Lösung, weil dadurch der Zustrom weniger werden wird. Es werden nur noch die Menschen kommen, die wirklich ausschließlich auf der Suche nach Schutz und


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Sicher­heit sind, und nicht mehr die Menschen, die auf der Suche nach einem besseren Leben in Mitteleuropa sind. Beide Ziele sind völlig legitim und menschlich nachvollziehbar, aber nur dem einen Ziel werden wir entsprechen können.

Das Hauptthema – und ich habe jetzt schon viel vorweggenommen – des Arbeits­programms für 2016 ist selbstverständlich die Bewältigung der Flüchtlingskrise. Auch die niederländische Präsidentschaft hat sich zu Recht diesen Schwerpunkt gesetzt. Ich darf aber vielleicht noch ganz kurz auf ein paar andere Themen eingehen, die ange­sprochen worden sind.

Meine Meinung zum Freihandel ist eine sehr klare: Gerade als exportorientiertes Land wie Österreich, das 6 von 10 € im Export beziehungsweise im Ausland verdient, sind wir natürlich davon abhängig, dass es die Möglichkeit zum weitestgehenden Frei­handel gibt, und insofern bin ich auch ein absoluter Befürworter des Freihandels.

Dass das nicht bedeutet, dass unsere Standards nach unten nivelliert werden sollen, das ist genauso klar. Ich hätte mir in den Verhandlungen oftmals mehr Transparenz gewünscht, aber ich bin durchaus der Meinung, dass es hier am Ende des Tages einen für uns auch positiven Abschluss geben kann. Ob dieser Abschluss von TTIP noch in dieser Legislaturperiode realistisch ist, das weiß ich nicht, da auch die Entwicklungen in den USA welche sind, die hier eine wesentliche Rolle spielen.

Was die Situation mit Griechenland betrifft, kann ich nur noch einmal wiederholen, was ich vorhin schon gesagt habe: Ich bin der Meinung, dass es notwendig ist, Griechen­land zu unterstützen. Aber nicht nur in der Finanzkrise, sondern auch in der Flücht­lings­krise haben wir erlebt, dass Griechenland leider Gottes ein Staat ist, der manch­mal auch ein Stück weit Druck braucht, um sich helfen zu lassen. In den letzten Wochen haben wir gesehen, dass eine starke Dynamik in Griechenland entstanden ist und diese Hilfe jetzt auch angenommen worden ist. Das ist im ganzen vergangenen Jahr 2015 nicht der Fall gewesen.

Dass es nicht möglich war, mit Griechenland an einem Strang zu ziehen, was das Beenden des Weiterwinkens betrifft, finde ich sehr schade. Aber leider Gottes hat uns Griechenland bei allen Sitzungen, bei denen ich war, ganz eindeutig signalisiert, dass es nicht bereit ist, darüber zu verhandeln, wie wir das Weiterwinken beenden können, sondern dass es nur bereit ist, darüber zu sprechen, wie das Weiterwinken perfek­tioniert werden kann. Das ist aus griechischer Perspektive verständlich, aber es ist mir als österreichischem Außenminister schon auch notwendig erschienen, auch hier auf die österreichischen Interessen zu schauen und vor allem auch nach einer euro­päischen Lösung für die Krise zu suchen.

Das Weiterwinken bis nach Mitteleuropa wird niemals die europäische Lösung sein, weil es nur dazu führt, dass sich mehr und mehr Menschen auf den Weg machen und einige wenige mitteleuropäische Staaten als Zielländer die allein Betroffenen sind. Alle anderen werden uns dabei zusehen, und das wird sicherlich am Ende des Tages keine europäische Lösung sein.

Die Griechen haben sich dazu entschieden, die Botschafterin zu Konsultationen nach Griechenland zu beordern. Das ist das gute Recht einer Regierung, das respektieren wir. Ich bin auch davon überzeugt, dass die Botschafterin die Möglichkeit wahrgenom­men hat, der griechischen Regierung zu schildern, wie groß die Herausforderungen für ein Zielland sind. Ich glaube, dass es auch eine Chance ist, in Griechenland ein Be­wusst­sein dafür zu schaffen, dass wir als Österreich ungefähr dreimal so viele Flücht­linge haben wie Griechenland derzeit, obwohl unsere Länder ungefähr gleich groß sind. Wir stemmen das ohne internationale Hilfe, ohne europäische Hilfe, ohne bilate­rale Hilfe.


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 105

Ich bin der Meinung, dass Griechenland hier nicht alleingelassen werden darf. Gott sei Dank gibt es ja internationale, europäische und auch bilaterale Hilfe aus Österreich: Nicht nur finanzielle Hilfe seitens des Auslandskatastrophenfonds, sondern auch 20 Ton­nen an Gütern zur Versorgung der Flüchtlinge, die gerade am Weg nach Griechenland sind. Es ist unsere Pflicht zu helfen, aber es ist auch unsere Pflicht, für eine euro­päische Lösung zu kämpfen. – Vielen Dank. (Allgemeiner Beifall.)

14.43

14.43.10

 


Präsident Josef Saller: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegen­ständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

14.43.385. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 24. Februar 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Scheidemünzengesetz 1988 und das Bundeshaftungsober­grenzen­gesetz geändert werden (995 d.B. und 1001 d.B. sowie 9539/BR d.B.)

6. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 24. Februar 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz zur Schaffung einer Abbaueinheit geändert wird (1002 d.B. sowie 9540/BR d.B.)

 


Präsident Josef Saller: Wir gelangen nun zu den Punkten 5 und 6 der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Weber. Bitte um die Berichte.

 


14.44.10

Berichterstatter Martin Weber: Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Finanzausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 24. Februar 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Scheidemünzengesetz 1988 und das Bundeshaftungsobergrenzengesetz geändert werden.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher sogleich zur Antrag­stellung.

Der Finanzausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 8. März 2016 mit Stimmen­mehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich darf auch den Bericht des Finanzausschusses über den Beschluss des National­rates vom 24. Februar 2016 betreffend ein Bundesgesetz bringen, mit dem das Bun­des­gesetz zur Schaffung einer Abbaueinheit geändert wird.

Dieser Bericht liegt Ihnen ebenso in schriftlicher Form vor; ich komme sogleich zur Antragstellung.

Der Finanzausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 8. März 2016 mit Stimmen­mehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsident Josef Saller: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mag. Pisec. Ich erteile es ihm.

 



BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 106

14.45.31

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Finanzminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Fernsehzuseher und Fernsehzuseherinnen! Ich habe mir erlaubt, aus diesen beiden Tagesordnungspunkten die drei Schwerpunkte herauszugreifen: die Münze Österreich AG, eines der österreichischen Paradeunternehmen, zwar im Staatsbesitz, aber trotz­dem ein Paradeunternehmen; den Haftungsrahmen, da wird es schon etwas schwieri­ger, etwas kritischer, gerade für uns Freiheitliche, die traditionellerweise für eine ord­nungs­gemäße Finanzgebarung stehen; und der dritte Punkt ist die Abbaugesellschaft, die nicht wirklich hier hineingehört. (Zwischenruf des Bundesrates Köck.) – Herr Finanzminister, Sie werden uns hier sicherlich mehr erzählen – Sie waren ja vor Kur­zem in Frankfurt wegen dieses Themas –, ich möchte das nur ganz kurz streifen.

Die Münze Österreich resultiert aus einem Hoheitsrecht, aus dem Münzregal, das immer dem Finanzministerium unterstanden ist und jetzt komischerweise oder para­doxerweise der Oesterreichischen Nationalbank untersteht, die als einziger Aktionär fungiert. Die Münze Österreich hat Weltruf, vor allem ihre geprägten und ausgege­benen Münzen. Der Wiener Philharmoniker, darf ich erinnern, hat den gleichen interna­tionalen Standard wie der Maple Leaf in Kanada oder der American Gold Eagle oder auch der Krügerrand, die spielen alle in der Weltelite mit. Österreich ist dafür bekannt und berühmt, vor allem die Münze Österreich, sowohl als Anlagemünze, aber auch als Sammlermünze. Sie erfüllt aber nach wie vor eine Funktion, weil sie auch für die Gestaltung des Euro, der Euro-Münze verantwortlich ist.

Kritisch wird es aber jetzt im Rahmen dieser Gesetzeslage, weil sie auch gut die Trendwende in der österreichischen Wirtschaftspolitik in Bezug auf die österreichische Unternehmenslandschaft aufzeigt. 1988 wurde mit dem Scheidemünzengesetz, im § 7, die KöSt-Befreiung manifestiert, festgesetzt, legalisiert. Das heißt, die ganzen Ge­winne, die die Münze Österreich macht – das differiert immer zwischen 70 Millionen und 100 Millionen € jährlich – sind steuerfrei. Das klingt natürlich sehr interessant, das ist ein tolles Gesetz, keine Frage, das wurde aber bereits 2014 geändert, indem die gesamten Gewinne nicht mehr in Form von Gewinnrücklagen 100 Prozent thesauriert werden dürfen, sondern an das Finanzministerium abgeliefert werden müssen. – Das war 2014.

Aber dem nicht Genüge getan, kommt jetzt dieses neue Gesetz, das dritte Gesetz, mit dem die Münze Österreich komplett ausgeräumt wird. Das Geld, das dort verdient wird, dass dort erarbeitet wird, muss komplett an das Finanzministerium abgeliefert werden, ich nehme an, aufgrund von Budgetschwierigkeiten. Also die Motivation der Vorstands­mitglieder dort möchte ich nicht haben. Welche Motivation hätten sie überhaupt noch, ein funktionierendes Unternehmen zu gestalten, wenn alles, zu 100 Prozent, abgelie­fert werden soll?

Man kann die Münze Österreich nur loben, wie sie ihre Homepage gestaltet hat, wie sie ihren Online-Handel gestaltet hat – das steht Amazon in überhaupt nichts nach –: Es ist wunderschön, mit dem Warenkorb online einzukaufen, und es wird auch genützt. Es ist auch ein gutes Zeichen – wie soll man sagen? –, das die kritische Betrachtung im heutigen Zeitalter widerspiegelt, weil die Umsätze vor allem in Gold steigen und steigen. Das sind gigantische Umsätze im Bereich der Goldmünzen, weil die Leute eben Angst haben, die Menschen in Österreich Angst haben, wie es weitergeht. Sie fragen sich, wie der österreichische Staat mit seiner gesamten Verschuldung über­haupt funktioniert.

Somit komme ich auch zu Punkt zwei, zum Haftungsrahmen. Im Rahmen dieses Gesetzes steigen die Haftungen Österreichs um weitere 2 Milliarden €, die man hier gegenüber der Münze Österreich begibt. Das Geld kommt, dagegen gibt es den Haft-


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ungsrahmen. Das ist natürlich jetzt recht lustig, denn der Haftungsrahmen in Öster­reich – und da danke ich für die sehr nette Auskunft des Finanzministeriums im Rahmen des Finanzausschusses vorgestern – beträgt bereits 181 Milliarden €. Das ist gigantisch. Wenn ich die explizite Staatsverschuldung in der Höhe von 300 Milliarden € hinzunehme, dann ist das noch gigantischer.

Und ganz gigantisch wird es, wenn ich die implizite Staatsverschuldung hinzunehme – Stichwort: gescheiterter Pensionsgipfel –, also die Leistungsversprechungen in die Zukunft. Na dann bin ich bei einer Summe, die ist unglaublich, die ist mehr als das Zweieinhalbfache der Wirtschaftsleistung Österreichs, die irgendwo bei 330 Milliarden, 350 Milliarden jährlich herumschwappt. Da wird es lustig. Das Lustige ist noch dazu, es ist kein Ende in Sicht. Die Trendwende wird immer, immer schwieriger, und es zeigt sich hier in diesem Gesetz, wie man heutzutage ein gut funktionierendes Unternehmen komplett ausräumt, weil das Finanzministerium – aber natürlich nicht Sie ad personam, sehr geehrter Herr Minister – beziehungsweise die gesamte Bundesregierung nicht wirtschaften kann. Das muss man einmal festhalten. (Bundesrat Köck: Na geh, das musst du nicht sagen!)

Interessant ist auch, dass dieses gesamte Eigentum – es ist Staatseigentum – zu 100 Prozent der Oesterreichischen Nationalbank zugerechnet wird. Interessanterweise steht auch im Gesetz, dass nur dann das Geld an das Finanzministerium überwiesen wird, wenn die Ergebnisse der Oesterreichischen Nationalbank entsprechend sind. Das wird in Zukunft lustig! Wir alle wissen, die Oesterreichische Nationalbank kommt aus der kritischen Betrachtung der letzten 20 Jahre überhaupt nicht mehr heraus. Sie hat mittlerweile mehr Mitarbeiter auf ihrer Payroll, die nicht arbeiten, als Mitarbeiter, die tatsächlich arbeiten. Sie hat eine unheimliche Personalbelastung, die eigentlich gar nicht notwendig ist, und die wird kritisch zu hinterfragen sein. Gerade in der aktuellen Zeitperiode – was du, lieber Kollege Zelina, gesagt hast, wo ich dich aber korrigieren muss –: Es gibt keine positive Verzinsung mehr auf Staatsanleihen. Der österreichi­sche Staat hat vorgestern erstmals eine Staatsanleihe mit einer negativen Rendite emittiert, und die Oesterreichische Nationalbank ist nach dem Gesetz von der EZB verpflichtet, Staatsanleihen in ihr eigenes Portfolio zu nehmen.

Heute um 14.30 Uhr – das ist schon gewesen – hat Herr Draghi eine Pressekonferenz gegeben. Es wird also lustig weitergehen mit den Käufen von Staatsanleihen. Jetzt hat die Oesterreichische Nationalbank erstmals eine negative Rendite drinnen, das heißt, die Nationalbank muss an das Finanzministerium Zinsen zahlen und nicht umgekehrt. Es wird in Zukunft noch interessant, wie es budgetmäßig mit der Oesterreichischen Nationalbank weitergeht. Daher wäre Ihnen dringend angeraten, sich der Oesterreichi­schen Nationalbank endlich einmal anzunehmen und zu schauen, was die dort überhaupt machen, denn die Bundesbank in Deutschland hat bereits 3,2 Milliarden € Gewinn gemacht – das wurde vor Kurzem präsentiert –, aber bei der Oesterreichi­schen Nationalbank frage ich mich, wie es dort in Zukunft weitergeht.

Was die Aktionärsstruktur betrifft, wäre es interessant, sich der Kapitalmarktunion, die von Brüssel ausgeht, auch zu widmen. Eine positive Einstellung, eine positive Meinung zum österreichischen Kapitalmarkt ist in Österreich nicht gegeben. Deshalb gibt es auch permanente Delistings von der österreichischen Börse, das nächste wird die Telekom sein, weil sich eh keiner mehr dafür interessiert. Man muss jede Menge Steuern zahlen, die Bundesregierung interessiert sich nicht dafür, irgendwelche Förder­modelle zumindest im Sinne von Lippenbekenntnissen zu entwerfen, und jeder verabschiedet sich von dort. Daher wäre es vielleicht interessant, Streubesitze von der Münze Österreich – unter 50 Prozent natürlich, damit das Staatseigentum erhalten bleibt, weil das Münzregal muss natürlich beim Finanzministerium angesiedelt blei-


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ben – zu begeben, damit man der Aktionärsstruktur eine positive Motivation gibt und nicht alles bei der Oesterreichischen Nationalbank belässt.

Zum dritten Punkt, der eigentlich nicht da hineingehört: Dieser Punkt wurde ja im Budget- oder Finanzausschuss des Nationalrates hier hineingepresst und erinnert mich eher an das, was der Herr Landeshauptmann Haslauer heute Vormittag gesagt hat, er betrifft eher das Thema schlechter werdende Gesetzgebung, weil es im Prinzip ein Reparaturgesetz ist, das die Bundesregierung – das ist recht skurril – für sich selbst beantragt hat. (Zwischenruf des Bundesrates Mayer.)

Das hat nicht unbedingt etwas mit dem Rest des Tagesordnungspunktes zu tun. Lustig wird es überhaupt erst morgen, wenn mitgeteilt wird oder nicht, ob der Schulden­schnitt – so wie vom Herrn Finanzminister vorgeschlagen – kommt oder eben nicht. Die Höhe weiß man noch gar nicht, auch nicht, wie es da weitergeht. Wie gesagt, Herr Minister, da wissen Sie sicherlich mehr als ich.

Wir lehnen dieses Gesetz ab, weil wir für die Münze Österreich sind und nicht für die Ausräumung einer guten österreichischen Werkstätte. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

14.54


Präsident Josef Saller: Herr Bundesrat Oberlehner ist als Nächster zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm.

 


14.54.35

Bundesrat Peter Oberlehner (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Werte Seherinnen und Seher zu Hause vor den TV-Geräten! Lieber Kollege Reinhard Pisec, unsere heute leider aus Krankheitsgründen fehlende Kollegin Sonja Ledl-Rossmann hat vor einigen Sitzungen einmal gesagt: Ob Sonne oder Regen, die Blauen sind dagegen! (Bundesrätin Mühlwerth: Aus gutem Grund! – Bundesrat Pisec: Immer für die Wirtschaft!)

Ich weiß, die Sonja schaut jetzt zu – an dieser Stelle darf ich ihr die besten Grüße ausrichten –, und auch wenn sie heute nicht da ist, so stimmt ihr Spruch wieder einmal. Ich denke mir, man kann wirklich tun, was man will, es gibt einen Grund, dagegen zu sein. Grundsätzlich möchte ich einmal festhalten, dass die hier zu diskutierende Änderung im Scheidemünzengesetz auf eine Anregung des Rechnungshofes zurück­geht. Der Rechnungshof hat bereits im Jahr 2010 darauf hingewiesen und 2013 noch einmal bekräftigt, dass man hier eine Änderung herbeiführen sollte.

Alle also, die sonst immer darauf hinweisen, dass man die Anweisungen oder Emp­fehlungen des Rechnungshofes umsetzen soll, sind zumindest jetzt wieder einmal, wenn etwas nicht in ihre Argumentationslinie passt, dagegen. Ich denke doch, dass man dazu stehen soll, dass man Empfehlungen des Rechnungshofes letztlich umsetzt, und das gilt eben auch in dieser Sache.

Man könnte jetzt sogar sagen, dass es relativ lange gedauert hat, bis man das umsetzt, immerhin gab es 2010 die erste Anregung. Unser jetziger Finanzminister hat, wie in so vielen Dingen, wieder einmal bewiesen, dass er ein Mann der Tat ist und dass er für die Umsetzung dieser Empfehlung des Rechnungshofes sorgt. Ich bedanke mich dafür bei dir, Herr Minister, sehr, sehr herzlich.

In der Sache selbst ist ja bekannt, dass der Bund die Haftung für die Schadloshaltung der Münze Österreich übernehmen wird und eben dadurch – das wurde jetzt auch bereits erwähnt und gesagt – die Auflösung der Rückstellungen, die von der Münze Österreich im Laufe der letzten Jahre gebildet wurden, in die Wege geleitet werden kann. In dieser Form ist es möglich, sie ins Budget überzuleiten.


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Immerhin werden dadurch Mittel in der Höhe von 436 Millionen € frei – und das ist keine unbedeutende Summe –, die dadurch ins Budget fließen können. Diese Erlöse können somit sinnvoll und produktiv in der Republik Österreich eingesetzt werden, und natürlich haben sie laut Maastricht-Rechnung auch eine positive Wirkung auf die Ver­schuldung Österreichs. Die öffentliche Verschuldung wird sich dadurch langfristig – in den nächsten Jahren – um zirka 0,15 Prozent reduzieren.

Richtig ist natürlich auch, dass die Republik Österreich im Gegenzug Haftungen zu über­nehmen hat. Die Haftungsgrenze muss daher gemäß Bundeshaftungsober­gren­zengesetz – und das wurde auch schon gesagt – um 2 Milliarden € erhöht werden, eben um jene 2 Milliarden €, mit denen die Republik Österreich jetzt für die Münze Österreich haften muss, weil die Münze ihre Rücklagen aufgelöst hat und diese nicht mehr zur Verfügung hat. Alle Experten, die da miteinbezogen wurden, bestätigen, dass das Risiko für die Republik Österreich dabei ein sehr überschaubares ist, weshalb ich überzeugt bin, dass dieses Gesetz, das hier vorliegt, ein gutes ist und wir es be­schließen sollten.

Ein Wort auch noch zum Bundesgesetz zur Schaffung einer Abbaueinheit. Da geht es, vereinfacht gesagt, im Prinzip darum, dass im Falle von zufälligen steuertechnischen Gewinnen aus dem Hypo-Abbau keine Körperschaftssteuer fällig wird, die man dann mit den Gemeinden und den Ländern teilen müsste. Wir wissen aber alle, die Hypo ist kein Geschäft, die Hypo war kein Geschäft und die Hypo wird nie ein Geschäft für den Steuerzahler sein, weshalb man auch keine Gewinnsteuer wegen der Hypo zu zahlen hat. (Vizepräsidentin Winkler übernimmt den Vorsitz.)

Das Prinzip ist aber, dass es zu keiner Schlechterstellung der Abbaueinheit gegenüber einer Insolvenz kommen darf. Die vorgeschlagene Gesetzesänderung führt genau dazu, dass es keine Schlechterstellung gibt, wir lösen das mit einer Körperschafts­steuerfreistellung. Da die Abbaueinheit am Schluss ohnehin liquidiert wird, ergibt sich eben keine Besserstellung gegenüber anderen Geschäften durch diese Vorgehens­weise.

Letztendlich führt diese Körperschaftssteuerfreistellung zu einer Reduktion von Haftun­gen des Landes Kärnten und damit wieder zu einer geringeren Zahlungswahr­schein­lichkeit für den Steuerzahler, die wir uns alle wünschen. Es wäre sehr gut, wenn es gelänge, dass hier weniger Zahlungswahrscheinlichkeit entsteht.

Beiden Gesetzen werden wir seitens meiner Fraktion die Zustimmung erteilen. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

14.59


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Lindinger. Ich erteile ihm dieses.

 


14.59.29

Bundesrat Ewald Lindinger (SPÖ, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Herr Bundes­minister! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Kollege Pisec, ich muss zu Ihren Aussagen schon etwas sagen: Ob für die Nationalbank oder Münze Österreich eine Motivation besteht, Gewinne zu machen oder nicht, das sehe ich ein wenig anders. Auch wenn man diese Gewinne abführen muss oder soll: Ich möchte einen Vergleich ziehen: Ein Polizist muss auch motiviert sein, wenn er auf der Straße ist und Verkehrs­sünder straft und damit dem Gesetz oder der Gerechtigkeit nachfolgt. Auch Geschäfts­führer, Aktionäre oder wer auch immer, die verantwortlichen Vorstände der National­bank und der Münze Österreich, müssen motiviert sein, auch wenn die Gewinne dem Staat abzuführen sind. Sie werden dafür auch gut bezahlt. (Bundesrat Pisec: Bei der


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Nationalbank sieht man das!) Wenn man das von einem Polizisten verlangt, kann man das von einem gut Bezahlten auch verlangen. – Soweit zur Motivation.

Aber bei der Änderung des Scheidemünzengesetzes und des Bundeshaftungsober­grenzengesetzes – das ist schon fast ein Zungenbrecher – wurde 2014 die Rück­lagenhöhe festgelegt und mit 30 Prozent des Münzumlaufes begrenzt, sodass man auch hier schon mit dieser Summe nicht das Auslangen finden konnte. Das war ja eine fiktiv errechnete Zahl, und man hat nicht damit gerechnet, dass so viel im Umlauf ist.

Ich möchte noch das Detail erwähnen, dass man auch noch die Schillingmünzen einberechnet. Das ist ja ein breites Band bei den Schillingmünzen, wir kennen die 25-Schilling-Münze, vielleicht auch noch die 10-Schilling-Münze, das Silber, das vielleicht noch etwas wert ist, oder den alten Fünfer, aber auch den Goldtausender, der für die Sammler sehr interessant ist und in vielen Kästchen und Alben verschwunden ist und nicht mehr als Zahlungsmittel aufgetaucht ist. Aber es gibt die Garantie dafür, dass man diesen Wert auch noch zurückbekommt, wenn man ihn bei der Nationalbank eintauscht.

Da gibt es dann österreichweit diesen Bus, der herumfährt und die alten Münzen einsammelt, auch beschädigte Münzen, aber auch beschädigte Geldscheine, und da hat man auch noch die Garantie.

Geschätzte Damen und Herren, Sie sehen, dass diese Rücklagen sehr sinnvoll sind. Und da wird mit einer Haftung neu begonnen, und diese Haftung wird der Münze Österreich mit 2 Milliarden € garantiert, damit sie schadlos gehalten wird.

Geschätzte Damen und Herren, ich verstehe Pro und Kontra bei diesem Tages­ordnungspunkt nicht ganz. Vertreter von drei Parteien, die hier im Haus vertreten sind, haben hier als Pro-Redner geredet, und es gibt eine Kontra-Partei, die gegen die Über­nahme dieser 2-Milliarden-Haftung und gegen die Auflösung der Rücklagen ist. Hat die Partei, die hier dagegen ist, schlechte Erfahrungen mit Haftungen der Finanzlandesräte  Pfeifenberger, Dobernig und Haider in Kärnten gemacht? Sind sie deswegen dage­gen?

Geschätzte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben Vertrauen in die Kompetenz der Bundesregierung, in die Kompetenz des Finanzministers und auch Vertrauen in die Münze Österreich und in die Oesterreichische Nationalbank. Wir werden dieser Gesetzesvorlage zustimmen. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bun­des­räten der ÖVP.)

15.04


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Frau Bundesrätin Dr. Reiter gelangt als Nächste zu Wort. – Bitte.

 


15.04.15

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Frau Präsidentin! Werte Kollegen und Kolleginnen! Herr Minister! Ich kann es ganz kurz machen. Wir werden dem Scheidemünzengesetz und dem Gesetz für Bundeshaftungsobergrenzen – noch viel schöner ist ja die Körperschaftssteuerfreistellung und Ähnliches als Zungen­brecher – zustimmen. Im Gegensatz zur FPÖ haben wir keine grundsätzlichen Beden­ken gegen dieses Gesetz. Wir finden es nachvollziehbar, dass es aufgrund der der­zeitigen Regelung zu einer übermäßigen Mittelbindung in der Münze Österreich kommt, und es ist logisch, dass das ein Betrieb ist, der dem Staat gehört, und dass diese Mittel sozusagen von staatlicher Seite auch entsprechend abgeschöpft werden.

Es konnte nicht wirklich geklärt werden, ob es durch diese Rücklagenauflösung tat­sächlich zu einer Senkung des strukturellen und des Maastricht-Defizits kommt, es gibt auch nach wie vor gegenteilige Meinungen. Wir werden am Ende des Tages sehen,


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 111

wie die Rechnung ausgeht, aber auch wenn es sich dabei um eine gewisse Wohl­fühlbudgetierung handelt, stimmen wir dem Ganzen zu.

Ganz verstehe ich ja auch die Argumentation nicht, wo man einerseits sagt, man räumt hier diesen Betrieb mit dieser Maßnahme aus, und auf der anderen Seite vorschlägt, diesen Betrieb doch zumindest teilzuprivatisieren, der aber offensichtlich auch als Staatsbetrieb sehr erfolgreich geführt wird und von dem wir uns ja auch weiterhin Gewinne und eine günstige Entwicklung erhoffen. Also das passt eigentlich auch nicht wirklich zusammen. (Bundesrat Pisec: Wieso? Da gibt es ja noch mehr Geld! Das ist ja Eigenkapital! Das ist unlogisch!)

Also: Wir sind dafür, dass die Münze weiter ein Staatsbetrieb bleibt und stimmen die­sen Bestimmungen zu. – Danke. (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

15.06


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Heger. – Bitte.

 


15.06.24

Bundesrat Peter Heger (SPÖ, Burgenland): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werter Herr Minister! Geschätzter Bundesrat! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Fern­sehern! Einige meiner Vorredner haben schon sehr deutlichgemacht, dass sie die Änderung des Scheidemünzengesetzes und des Bundeshaftungsobergrenzengesetzes positiv beurteilen und dieser Gesetzesänderung auch zustimmen.

Ich möchte aber zunächst einmal ein bisschen in die Vergangenheit schauen und mit einer Meldung der „Austria Presseagentur“ vom 28.4.1998 beginnen. Ich zitiere:

„Neues Scheidemünzengesetz macht es amtlich: Schillingmünzen für immer in Euro umtauschbar

Eine Änderung des Scheidemünzengesetzes setzt nun den Schlußpunkt hinter alle Diskussionen bezüglich der Umtauschfrist von Schilling- in Euromünzen. Damit können Scheidemünzen, deren Zahlungskraft erloschen ist – und somit auch die Schilling­mün­zen nach der Einführung der Eurowährung – ‚unbefristet bei der Münze Österreich AG und den Schaltern der Oesterreichischen Nationalbank gegen gesetzliche Zahlungs­mittel umgewechselt werden‘ … Diese Gesetzesänderung bedeutet, daß der Nennwert österreichischer Münzen, auch nach erfolgter Umstellung auf den Euro, nun für alle Zeiten gesichert ist.“

Durch gezielte Falschinformationen – so steht es in diesem Artikel – ist es „zu Verun­sicherungen im Hinblick auf die Wertbeständigkeit der Münzen gekommen. Es waren Befürchtungen aufgetreten, daß man die Umtauschfrist verpassen und damit der Wert der Münzen verlorengehen könnte. All diesen Sorgen ist nun mit der Änderung des Scheidemünzengesetzes ein Ende bereitet. Sammler dieser so traditionsreichen Mün­zensparte, ebenso wie von allen anderen Schillingmünzen, können auch in Hin­kunft ihrem Hobby unbesorgt nachgehen. Schließlich sammeln sie mit österreichischen Münzen eine Währung, die schon bald historischen Charakter haben wird, deren Wert aber dennoch für alle Zeiten offiziell gesichert ist.“

Soweit die APA-Meldung von 1998.

In den Euroländern ist der Umgang mit den früheren Währungen äußerst unterschied­lich geregelt. Auch nachdem diese nicht mehr gesetzliche Zahlungsmittel sind, gibt beziehungsweise gab es die Möglichkeit zum Austausch. Die Umtauschfristen unter­scheiden sich aber sehr deutlich, Scheine und Münzen sind nur in Deutschland, Estland, Irland, Lettland und Österreich unbefristet umtauschbar.


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 112

Dass die Gewinnrücklagen der Münze Österreich aufgelöst werden, aus denen die Nationalbanktochter den verpflichtenden Umtausch von Schillingmünzen oder Euro- und Centmünzen finanziert, wurde ebenfalls bereits mehrfach angesprochen.

Aus dieser Rücklage werden dem Bund 2016 einmalig 436,6 Millionen € zufließen, weitere 849 Millionen € werden es bis 2045 sein – so die Berechnungen und Pro­gnosen. Die Republik übernimmt im Gegenzug dafür die Finanzierung der Rücklöse­verpflichtungen der Münze Österreich. Das ist eine 1,5-Milliarden €-Haftung und erhöht die Bundeshaftungsobergrenze um 2 Milliarden €.

Es ist aber so, dass diese Gewinnrücklage beziehungsweise die Rücklösevorsorge dieser einbehaltenen Beträge andererseits auch einem hohen Veranlagungsrisiko unterliegt. Das macht es durchaus sinnvoll, dass mit diesem zu beschließenden Gesetz das Geld, das auf dieser Rücklage liegt, auch dem Bund zuzuführen ist. Dafür übernimmt eben der Bund auch eine Haftung.

Damit kann sich aber auch die Münze Österreich AG auf ihr ausschließliches Kern­geschäft konzentrieren. Natürlich ist – und das ist auch schon angesprochen worden – diese Vorgangsweise risikobehaftet. Das soll und kann gar nicht bestritten werden, denn diese Haftung wird bei einem negativen Ergebnis schlagend. Allerdings muss an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, dass es bis jetzt kein negatives Ergeb­nis aus diesem Münzregal gegeben hat.

Abschließend möchte ich festhalten, dass das Vorhaben also hauptsächlich die Um­wandlung der Rücklösevorsorge in eine Schadloshaltung umfasst. Die bestehende gesetzliche Beschränkung zur Bildung von Rücklagen und Rückstellungen zur Erfül­lung der Umtauschverpflichtungen der Münze Österreich AG wird hier erweitert und durch eine Schadloshaltung des Bundes ergänzt.

Durch dieses Verbot zur Bildung von Rücklösevorsorgen wird zudem die Bindung von Vermögen und ein damit einhergehendes Veranlagungsrisiko vermieden. Es ist also sinnvoll, dass der Bund hier die Haftung übernimmt. Zudem sind wir von unserer Haftungs­obergrenze weit entfernt, im Gegenteil, die Haftungen sind sogar zurück­gegangen. Daher sind diese 2 Milliarden €, die jetzt mit dieser Änderung des Haftungs­obergrenzengesetzes zu beschließen sind, noch immer überschaubar.

Ich denke, die vorliegenden Gesetzesänderungen sind gut durchdacht, zudem gibt es zahlreiche gute Gründe dafür, die auch ausreichend erläutert wurden. Meine Fraktion wird daher diesen Gesetzesänderungen die Zustimmung geben. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

15.12


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gelangt Herr Bundesminister Dr. Schelling. – Bitte.

 


15.12.47

Bundesminister für Finanzen Dr. Johann Georg Schelling: Sehr geehrte Damen und Herren im Bundesrat! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! In aller Kürze: Es ist nicht die Rolle der Münze Österreich, eine Investmentbank zu sein. Die soll sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, soll das, was sie bisher gemacht hat, erfolgreich weiter­führen können, aber es ist nicht die Aufgabe, dass wesentliche Teile der Bilanz aus Rücklagen im Investmentbankinggeschäft gemacht werden. Das ist die Empfehlung des Rechnungshofs gewesen, daher setzen wir die jetzt um.

Die Fragen, die sich daraus ergeben haben, sind zum Teil ja schon angesprochen worden. Bisher gab es nie einen Fall, es gab immer positive Ergebnisse. – Das zur Frage der Haftung. Wir müssen auch keine Rückstellungen bilden, denn es würden,


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 113

wenn es zu einem negativen Ergebnis kommen würde, zuerst die Gewinne der Münze zum Tragen kommen und erst dann die Haftung des Bundes.

Es wurde dann auch einmal die Frage aufgeworfen, warum wir kein Haftungsentgelt für diese Haftung verlangen. Dies deshalb, weil das den Gewinn schmälern würde, und so wird der Gewinn quasi als Haftungsentgeltprämie betrachtet. Daher werden dieses Scheidemünzengesetz und die Empfehlungen entsprechend umgesetzt.

Frau Bundesrätin Dr. Reiter, Sie haben völlig richtig gesagt: Wir wissen selbst noch nicht genau, wie das statistisch zu werten ist, ob das Maastricht-relevant anerkannt wird oder nicht. Ich glaube, das ist auch nicht wirklich so wichtig, aber es muss natürlich geklärt werden, wir sind ja auch im Gespräch.

Zum zweiten Punkt, dem Bundesgesetz zur Schaffung einer Abbaueinheit: Warum muss das so schnell gehen? Das wurde ja auch kritisiert, auch im Parlament im Aus­schuss.

Der Punkt ist, dass es – ganz egal, was wir am Montag oder Dienstag bekanntgeben werden, ob das Angebot angenommen wird oder nicht – zwingend zu einem Haircut kommen wird. Wenn die Gläubiger das Angebot jetzt nicht annehmen, dann wird die FMA als Abwicklungsbehörde bis spätestens 30. Mai einen vermutlich dramatischen Haircut per Bescheid erlassen.

Daher war es wichtig, dass wir diese Änderung durchführen, bevor diese Maßnahme gesetzt wird, um zu keiner Gläubigerbenachteiligung zu kommen. Den Fall gibt es auch in anderen europäischen Ländern, es wurde diese Korrektur in einem Land bereits durchgeführt. Ansonsten würden Sanierungsgewinne entstehen, die körperschafts­steu­er­pflichtig sind und damit auch den Gläubigern entzogen würden. Das ist der Grund, warum wir mit dieser Geschwindigkeit im Ausschuss mit einem speziellen Antrag ge­beten haben, diese Änderungen noch durchzuführen, bevor die FMA den endgültigen Bescheid zum Haircut herausgeben wird.

Wie gesagt, die Frist ist der 30. Mai, und ich nehme an, dass es vermutlich früher sein wird, aber ich kann das nicht abschätzen. Wir warten, wie die Angebotsstruktur am Montag durch den Kärntner Fonds dargestellt wird, ob das Rückkaufangebot ange­nommen wird oder nicht. Wenn es nicht angenommen wird, tritt dieser Fall ein, die FMA wird diesen Haircut machen, und daher haben wir mit diesem Gesetz Vorsorge getroffen. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

15.15

15.15.10

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Die Abstimmung erfolgt getrennt.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 24. Februar 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Scheidemünzengesetz 1988 und das Bundeshaftungsobergrenzengesetz geändert werden.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 24. Februar 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz zur Schaffung einer Abbaueinheit geändert wird.


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 114

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

15.17.027. Punkt

EU-Jahresvorschau 2016 des Bundesministeriums für Finanzen (III-583-BR/2016 d.B. sowie 9541/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nun zu Tagesordnungspunkt 7.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Weber. Ich bitte um den Bericht.

 


15.17.28

Berichterstatter Martin Weber: Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Finanzausschusses über die EU-Jahresvorschau 2016 des Bundesministeriums für Finanzen.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor.

Der Finanzausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 8. März 2016 den Antrag, die EU-Jahresvorschau 2016 des Bundesministeriums für Finanzen zur Kenntnis zu nehmen. – Danke.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Krusche. – Bitte.

 


15.18.10

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Frau Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseher zu Hause an den Bild­schirmen! Dieser Vorhabensbericht der EU für das Jahr 2016 ist schon fast als sen­sationell zu bezeichnen, er ist nämlich sensationell nichtssagend.

Herr Bundesminister, ich schätze Sie eigentlich, nicht zuletzt auch dank Ihrer privat­wirtschaftlichen Wurzeln, als einen Politiker ein, der sich wohltuend vom Einheitsbrei der übrigen, hohle Phrasen dreschenden Politiker und Regierungsmitglieder abhebt. (Bundesrat Lindinger: Du bist auch ein Politiker, Herr Kollege!) – Ich hebe mich natürlich auch ab. (Zwischenrufe bei ÖVP, SPÖ und FPÖ.)

Ich kenne Sie auch als jemanden, der klare Aussagen tätigt und durchaus ein ziel­orientiertes Handeln an den Tag legt. Das bringt mich zur Vermutung, dass Sie diesen Bericht wahrscheinlich selber gar nicht gelesen haben, denn dieser Bericht strotzt nur so vor Gemeinplätzen. Beispielhaft seien hier einige Punkte aus dem Pro­gramm des ECOFIN-Rates angeführt.

Da geht es an vorderster Stelle auch um Förderung von Wachstum und Beschäftigung. Die genannten Prioritäten der Europäischen Kommission sind wachstumsfreundliche Budgetkonsolidierung, Verringerung von Wachstums- und Beschäftigungshemm­nis­sen, Verbesserung der Tragfähigkeit von Pensions-, Gesundheits- und Pflegesys­te­men, die Verbesserung des unternehmerischen Umfeldes, die Verbesserung der Finanzierungsbedingungen für die Realwirtschaft. – Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, ohne Europäische Kommission wäre niemand auf diese bahnbrechenden Erkenntnisse gekommen.

Weitere Schwerpunkte beschäftigen sich mit der Verbesserung der makrofinanziellen Stabilität, der Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion – überhaupt viel Union soll vertieft werden: Bankenunion, Kapitalmarktunion, Fiskalunion.


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 115

Beim Thema Steuern darf natürlich die Finanztransaktionssteuer nicht fehlen, die schon seit dem Jahr 2011 herumgeistert. Kanzler Faymann hat bereits vor den letzten Nationalratswahlen für das Jahr 2014 500 Millionen € Einnahmen fürs Budget ver­sprochen. Mittlerweile sind im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit elf – oder vielleicht auch nur mehr zehn, weil Estland nicht mehr teilnimmt – Staaten übrig geblieben, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Aber man gibt sich optimistisch und sagt: Es sind nur mehr Detailfragen zu klären, und das wird man bis Juni 2016 erledigt haben. – Ich bin ja schon gespannt, ob es dann wirklich gelingt, bis Mitte des heurigen Jahres der Wiener Börse endgültig den Gnadenschuss zu verpassen. (Beifall bei der FPÖ.)

Bei all den Punkten, die hier in diesem Bericht angeführt werden, ist immer auch die Position des Bundesministeriums für Finanzen angeführt, was natürlich grundsätzlich durchaus begrüßenswert und löblich ist. Allerdings sind diese Positionen im konkreten Fall genauso inhaltsleer wie das davor Stehende. Es erschöpft sich meist in Bemerkungen wie: Man befürwortet das grundsätzlich, oder so ähnlich.

Ich komme auch noch zu einem Beispiel aus dem Kapitel Steuern, das man schon fast ein bissel als Schmankerl bezeichnen kann. Da heißt es, dass die Europäische Kom­mission Überlegungen anstellt „zur Ausgestaltung eines einfacheren, robusteren und weniger betrugsanfälligen Mehrwertsteuersystems“. Auch hier stellt das Ministerium dazu fest, dass man das unterstützt, und – bla, bla, bla – so weiter.

Ich habe dann im Ausschuss gebeten, ob es möglich wäre, diese Begrifflichkeit „einfach“ und „robust“ näher zu erläutern oder ein wenig zu beschreiben. Es war leider nicht möglich, weil es geheißen hat, die zugehörigen Unterlagen und Papiere würden erst im Laufe dieses Monats eintreffen. Auf meine daran anschließende Frage, warum man für etwas, von dem man eigentlich noch gar nicht weiß, worum es geht, die Unterstützung zum Ausdruck bringt, wurde sinngemäß geantwortet: Weil es ganz gut klingt. – Nur so viel zu den inhaltlichen Schwerpunkten und Gewichtigkeiten in diesem Bericht.

Natürlich ist auch der Europäischen Kommission die Tatsache nicht entgangen, dass die Bewältigung der Flüchtlingskrise ganz oben auf der Agenda stehen müsste, jedoch könnte man alles, was in diesem Bericht dazu steht, locker beim Studium von „Kronen Zeitung“, „heute“ oder „ÖSTERREICH“ ebenso erfahren. Dazu brauche ich keinen Vorhabensbericht der EU.

Ich stelle mir unter einer Jahresvorschau von Maßnahmen, von Vorhaben etwas mehr vor als ein Papier, das in der Strategiepyramide irgendwo zwischen Visionen und Zie­len stecken bleibt. Die klare Definition von Zielen und die Beschreibung der Stra­tegien, wie diese – hoffentlich messbaren – Ziele erreicht und umgesetzt werden sollen, bleibt man schuldig. Wobei ich ja eigentlich der Überzeugung bin, dass es solche Strategien in Wirklichkeit sogar gibt. Man schreibt sie nur nicht hinein.

Ich möchte nur an die Abschaffung des Bargeldes erinnern. Das scheint so ein Punkt zu sein. Da gibt es sehr wohl ganz klare Ziele, nämlich die Entmündigung aller Bürger und die totale Überwachung als ein Ziel und als zweites Ziel die Möglichkeit, jederzeit die Bürger faktisch per Mausklick enteignen und so die Banken oder die Budgets sanieren zu können. (Bundesrat Mayer: Wer unterstützt dieses Ziel?! In Österreich findest du da niemanden …!) Diese klaren Ziele stehen nicht drinnen. Das ist seltsam, denn das Thema wird nicht nur im Boulevard diskutiert, sondern sehr wohl auch von sehr vielen Fachzeitschriften und Wirtschaftswissenschaftern.

Abschließend kann ich nur sagen: Selten fällt es uns so leicht, einen Bericht über EU-Vorhaben abzulehnen, wie in diesem Falle. (Beifall bei der FPÖ.)

15.26



BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 116

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Zwazl. Ich erteile ihr dieses.

 


15.26.42

Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP, Niederösterreich): Frau Präsident! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Gerd Krusche, normalerweise glaube ich, dass du das, was du denkst, auch sagst, was nicht immer heißt, dass ich das auch nach­vollziehen kann. Aber wenn du sagst, dass es dir nur heute leicht fällt, einen EU-Vorschlag abzulehnen, glaube ich dir nicht, denn es ist ja eigentlich gelebte Praxis.

Aber ich möchte mich bei dir auch bedanken. Es hätte mich ja gewundert, wenn dir irgendetwas an der EU gefällt! Aber dass dir wenigstens unser Minister gefällt, dass du ihm Kompetenz und wirtschaftliches Denken zutraust, ist wichtig. Du weißt ja, dass er dann derjenige ist, der das alles mit Leben erfüllt. Also so gesehen wird es dir heute nicht leicht fallen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Zelina. – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) – Du brauchst ihn nicht zu unterstützen, das muss er schon selber tun!

Wenn wir jetzt über die EU-Jahresvorschau 2016 sprechen, ist für mich eines ganz klar, und das sind für mich keine Schlagworte: Für mich steht die Förderung von Wachs­tum und Beschäftigung im Zentrum. Beides ist untrennbar miteinander verbun­den. Denn: Nur eine brummende Wirtschaft schafft Arbeitsplätze. Deshalb gilt es alles zu vermeiden, was die Wirtschaft und unsere Betriebe bremst. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Wir brauchen nicht so viel Bürokratie und Regulierungen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch von den Freiheitlichen! Es ist so, derzeit stehen die Zeichen auf Erholung, was wichtig ist, weil wir auch den Optimismus brauchen. Und wenn wir jetzt wissen, dass wir optimistischere Prognosen haben, dann ist dies wichtig, denn Optimismus ist ein Schwungrad, das sich wirklich positiv auf die Konjunktur auswirkt. Und es ist fatal, immer alles nur schlechtzureden.

In ihren Prognosen stellt die Kommission unter anderem auch fest, dass die niedrigen Ölpreise und günstige Refinanzierungskosten wachstumsstützende Faktoren sind. Das ist aber kein Grund, dass wir uns zurücklehnen. Unser Ziel ist klar: Wir wollen in den Spitzenrängen Europas dabei sein: beim Wachstum, bei der Beschäftigung, bei Inno­vationen und beim Export. Da genügt es ganz einfach nicht, durchschnittlich zu sein. Die Rezepte dazu lauten ganz einfach: verantwortungsvolle Budgetpolitik, wachs­tums­fördernde Reformen und Investitionen. Gerade die Investitionen sind ja die Trieb­federn für den gesamten Wirtschaftsstandort. Das gilt nicht nur für Österreich, sondern ist für den gesamten EU-Bereich wichtig.

Die unsichere Wirtschaftslage in den letzten Jahren hat dazu geführt, dass unsere Unternehmerinnen und Unternehmer sehr vorsichtig waren, wenn es darum ging, Geld für Investitionen in die Hand zu nehmen. Deshalb ist alles, was Investitionen unter­stützt, willkommen. Dies gilt für unsere Betriebe genauso wie für Körperschaften. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir die EU-Investitionsoffensive rasch umsetzen. Erfreulich ist, dass sich der Rat und das Europäische Parlament bereits im Vorjahr auf die Errichtung eines Europäischen Fonds für strategische Investitionen geeinigt haben. Jetzt müssen wir alles unternehmen, damit dieser Fonds auch in Österreich optimal genützt werden kann.

Als Vertreterin der Wirtschaft halte ich es für ganz entscheidend für ein positives Inves­titionsklima, dass unsere Banken auch in der Lage sind, die Unternehmen bei ihren Inves­titionstätigkeiten zu unterstützen. Investitionsoffensiven zu wollen, gleichzeitig aber die Vergabe von Investitionsmitteln über die Banken zu bremsen, das passt nicht ganz zusammen. Ein wenig Unbehagen habe ich natürlich schon, wenn ich lese, dass man sich Maßnahmen zur weiteren Risikovermeidung bei den Banken überlegt. Ich


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 117

denke: Regelwerk haben wir schon genug, und es muss schon noch Aufgabe sein, unsere Banken zu befähigen, dass sie unseren Unternehmen Kredite geben können. Also ich hoffe, dass da ein bisschen ein Bremsen eintritt.

Neben Investitionen ist selbstverständlich auch ein Mehr an Flexibilität ein Mittel, um Wachstum und Konjunktur anzukurbeln. Auch diesbezüglich sind seitens der EU Schwerpunkte geplant, was ich für richtig halte, denn mehr Flexibilität ist eine Chance für die Beschäftigten genauso wie für die Unternehmen. Es muss nicht alles reguliert und überbürokratisiert werden. Mehr Flexibilität, weniger Bürokratie: Das ist ein wir­kungsvolles Gaspedal für das Wachstum. Mündige Menschen können vieles besser regeln, als es pauschalierte Regulierungen je könnten. (Bundesrätin Mühlwerth: Wann macht ihr das endlich?!) – Monika, wir machen Vorschläge, ihr kritisiert nur. Ihr habt noch nie einen einzigen Vorschlag gemacht, wir haben schon genug umgesetzt!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch die Steuergerechtigkeit wurde ange­sprochen. Dazu werden im EU-Arbeitsprogramm die richtigen Schwerpunkte gesetzt. Die steuerliche Entlastung der Arbeit soll forciert werden. Der Kampf gegen aggressive Steuerplanung und Steuerumgehung soll fortgesetzt werden. So wird die Kommission noch heuer einen Aktionsplan zum Kampf gegen den Mehrwertsteuerbetrug vorlegen. Es gibt bereits ein Konzept, das Reverse-Charge-System. Wir setzen es bei uns in Österreich bereits ein – im Bereich der Metalle – und müssen nun prüfen, wie es ankommt und ob es auch ein geeignetes Mittel ist. Denn: Ein Grundprinzip der euro­päischen Steuerüberlegungen ist, dass die Steuern dort bezahlt werden, wo die Ge­winne erwirtschaftet werden.

In diesem Zusammenhang – weil es uns ganz wichtig ist und wir sehr oft darüber gesprochen haben – erinnere ich daran, dass auch der internationale Internet- und Versandhandel seine Steuerverpflichtungen hat, die strikt zu überprüfen sind, was in der letzten Zeit weitaus intensiver gemacht wird. Da bedanke ich mich recht herzlich, weil gerade Österreich dazu beigetragen hat.

Ebenfalls wichtig ist mir und uns allen, dass grenzüberschreitende Vollstreckungs­mög­lichkeiten bei Verstößen im Hinblick auf Lohn- und Sozialdumping geschaffen werden. Auch das ist jetzt in der Vorschau enthalten und für uns ein ganz wesentlicher Punkt. Es geht dabei einfach um Fairness gegenüber der regionalen Wirtschaft. Die EU-Jahresvorschau enthält diesbezüglich Konzepte, für die ich mich bedanke und von denen ich hoffe, dass sie auch umgesetzt werden. In Österreich sage ich ein herzliches Dankeschön Herrn Finanzminister Schelling für die Initiative der verstärkten Kontrollen in Kärnten, in der Steiermark, im Burgenland und in Niederösterreich, denn ich denke, dass auf diese Weise ein fairer Wettbewerb in unseren Regionen und unter den Betrieben innerhalb der EU gewährleistet ist. – Ein herzliches Dankeschön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

15.34


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Lindinger. Ich erteile ihm dieses.

 


15.34.05

Bundesrat Ewald Lindinger (SPÖ, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Herr Bundes­minister! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Kollege Krusche, ich brauche jetzt nichts mehr zu sagen. Es ist schon geantwortet worden.

Die EU-Jahresvorschau des Bundesministeriums für Finanzen ist sehr umfangreich. Gut ist, dass wir diese Vorschau noch rechtzeitig zur Debatte hier im Bundesrat haben. Es gab auch schon andere Halbjahresvorschauen oder Jahresvorschauen, die wir erst im Nachhinein beurteilen konnten. Ich glaube, dass es in der aktuellen Situation sehr


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 118

gut für uns ist, über das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission und die Standpunkte der österreichischen Bundesregierung, des Bundesministeriums für Finanzen und insbesondere des Herrn Bundesministers zu sprechen.

Zum steuerlichen Bereich: Es ist schon gesagt worden, dass Druck bei der Mehr­wertsteuer gemacht wird, um ein Arbeitsprogramm und einen Aktionsplan vorzulegen, der auf einheitliche Sätze und auch auf transparentere Ermäßigungen abzielt und aufzeigt: Wo kann ein Staat Ermäßigungen geben? Wo trifft es insgesamt die steuer­liche Einheit, die wir Europa geben wollen, auch in dem Sinn, dass es nicht Länder in Europa gibt, die Steuerparadiese sind.

Ein zentrales Thema in diesem Bericht betrifft die Bewältigung der Flüchtlingskrise und den Standpunkt der Bundesregierung. Sie ist der Auffassung, dass die Europäische Union Leistungen an diejenigen Länder zahlen soll, die Flüchtlinge aufnehmen. Das sind zum Großteil Deutschland, Österreich und Schweden. Es handelt sich um 10 Mil­liarden €, die über das EU-Budget zur Verfügung gestellt werden sollen und, aufgeteilt nach der Anzahl der Flüchtlinge, an jene Länder gehen sollen, die den Großteil der Belastungen haben.

Sie kennen aber auch den Standpunkt der Bundesregierung, insbesondere von Bun­deskanzler Faymann, der gleichzeitig sagt: Es kann auch so weit gehen, dass man bestehende Zahlungen der Europäischen Union an jene Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen, einschränken oder einfrieren kann. Geschätzte Damen und Herren, das ist ein sehr, sehr wichtiger Weg, den wir in den letzten Tagen – und beim letzten Tages­ord­nungspunkt haben wir schon darüber gesprochen  mit unserem Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres, Sebastian Kurz, erörtert haben.

Heute gab es wieder eine Schlagzeile, welche die Wirtschaft belebt: Der Leitzinssatz wurde auf null gesetzt. Die APA-Meldung ist soeben hereingekommen. (Ruf: Lei­tzins?!) – Leitzins auf null. In der EU-Jahresvorschau kann hierzu gelesen werden, dass sich günstige Refinanzierungskosten positiv auf Export und Privatkonsum auswir­ken, weshalb diese Entwicklung sehr, sehr wichtig ist. Ich weiß das auch: Wenn die Zinsen niedrig sind, dann investiert man ins Haus, in Umweltmaßnahmen und, und, und, vielleicht in ein neues Heizsystem – obwohl: das Heizsystem scheint momentan nicht so günstig, weil die Treibstoffe so günstig sind. Ja, in sehr vielen Bereichen kann man investieren, und das Wachstum ist gewährleistet, wie es ja auch einer der Schwerpunkte der Bundesregierung beziehungsweise der Europäischen Union ist: Förderung von Wachstum und Beschäftigung.

Beschäftigung, geschätzte Damen und Herren, ist ein sehr, sehr wesentlicher Faktor. Ich habe mir dazu einige Zahlen und ihre Zusammenhänge angeschaut. Auf Seite 9 des Berichtes im Kapitel „Verbesserung der makrofinanziellen Stabilität“ liest es sich sehr schön. Erwähnt sind zunächst die Euro-Staaten Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Zypern. Wir kennen die Debatten um die Hilfen, die wir mit Griechenland ausverhandelt haben, und die Schwierigkeiten, die waren: die nächtelangen Sitzungen in Brüssel, in Athen, Neuwahlen in Griechenland sowie alles andere, was damit in einem Zusammenhang steht.

Bei den anderen Verhandlungen war es genauso schwierig, also jene mit Irland, Por-tugal, Spanien und Zypern.

Sieht man sich die Statistik der Jugendarbeitslosigkeit an, dann ist das bei diesen fünf Ländern beinahe das „Who is Who“ der größten Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Das sind jene Länder, denen die Europäische Union geholfen hat, die sie gestützt hat, bei denen sie versucht hat, sie zu stabilisieren und ihnen durch Krisenvorsorge eine solide Zukunft zu geben. Griechenland hat 48 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, Spanien hat 46 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, Portugal hat 31 Prozent Jugendarbeitslosigkeit,


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 119

Zypern hat 31 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Nur in Irland ist sie mit 19 Prozent ein wenig niedriger.

Kann man sich eine so hohe Jugendarbeitslosigkeit in einem Staat wie Österreich vorstellen?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da besteht die Gefahr, dass wir nicht nur das Problem des Flüchtlingsstroms von Osten nach Westen haben. Wohin gehen die Jugendlichen aus Spanien und Portugal, die keine Perspektiven haben? Kommen diese Jugend-lichen dann in die Länder, die eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit haben? In Deutsch-land liegt sie bei 7 Prozent, in Dänemark bei 10 Prozent, in Österreich bei 11 Prozent, in den Niederlanden bei 11 Prozent, in Malta bei 12 Prozent. Das sind die Länder mit einer Jugendarbeitslosigkeit unter 15 Prozent. Das Vereinigte Königreich hat 13,4 Pro-zent.

Wohin gehen die Jugendlichen, die in ihren Heimatstaaten keine Perspektiven haben? Sie haben vielleicht nicht einmal die Möglichkeit gehabt, einen Beruf zu erlernen, weil Schulgeld verlangt wird, weil es keine duale Ausbildung wie bei uns zwischen Lehrplatz und Berufsschule gibt, weil es ein anderes Schulsystem gibt.

Geschätzte Damen und Herren, das ist eine sehr wichtige Aufgabe, der sich die Euro­päische Union stellen muss, denn sonst haben wir in einigen Jahren dieselben Prob­leme mit den Jugendlichen, die zu uns flüchten oder um unsere Unterstützung ersuchen. Wenn wir ihnen in ihren eigenen Ländern keine Perspektiven geben, dann werden sie kommen und versuchen, hier Arbeit zu finden oder eine Ausbildung zu bekommen.

Meine Damen und Herren, es gibt aber noch ein zentrales Thema in dieser Vorschau, das mich ganz besonders interessiert. Zu sehr vielen Bereichen sind im Bericht der Hintergrund, der aktuelle Stand und die Position des Bundesministeriums für Finanzen beschrieben. Nur bei einem Punkt steht nur ein Absatz, und zwar bei der Finanztrans­aktionssteuer. Da gibt es keinen Hintergrund, da gibt es keinen aktuellen Stand und keine Position des Bundesministeriums für Finanzen. (Zwischenbemerkung von Bun­desminister Schelling. – Heiterkeit bei Bundesräten der ÖVP.)

Herr Bundesminister, mich hätte interessiert, wie es mit jenen Ländern aussieht, die sich bereit erklärt haben, daran zu arbeiten, einen gemeinsamen Standpunkt zu die­sem Thema zu finden.

In diesem Sinne danke ich für den Bericht und auch für die Positionen, die sehr zukunftsorientiert sind. Ich bedanke mich. Wir werden diese Jahresvorschau 2016 zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

15.43


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Reiter. Ich erteile ihr dieses. (Bundesrätin Reiter – auf dem Weg zum Rednerpult –: Ich eile, da ich einen gewissen Zeitdruck hier verspüre!)

 


15.43.55

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Meine Damen und Herren! Viele der Dinge, die in dieser Vorschau angeführt werden, kann man nur unterstützen und sich wünschen, sie mögen gelingen, auch wenn so manches etwas blauäugig daherkommt. Vielleicht soll aber auch bewusst Sand in die Augen gestreut werden, zum Beispiel wenn die Errichtung der Kapitalmarktunion damit begründet wird, dass sie ein Programm zur besseren Unterstützung von KMUs und Start-Ups sei. KMUs und Start-Ups scheitern in ihrer Finanzierung auf einem andern Level. Es ist zum Beispiel auch nicht geklärt, warum der Rechtsrahmen für Verbriefungen so zäh ist. Der Bericht bleibt also in vielen Bereichen die Antwort schuldig.


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 120

Ein „Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Steuervermeidung sowie zur Erhöhung der Steuertransparenz“ wäre dringend notwendig, am besten schon gestern. Leider fehlen in einem solchen Bericht immer Gründe für das bisherige Scheitern. „Standards zur Sicherstellung einer wirksamen Mindestbesteuerung“ – Ja!

Bezüglich einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrund­lage gibt es seit Längerem einen Vorschlag, der nun zurückgezogen werden soll und durch einen stufenweisen Ansatz ersetzt wird, „beginnend mit Maßnahmen gegen aggressive Steuerplanung und Steuervermeidung“. Das ist Feuerwehr! Oder ist es eine Kapitulation vor nationalen Einzelinteressen, die einen Erfolg bisher nicht zugelassen haben?

Zur Finanztransaktionssteuer steht schon etwas drinnen, und zwar relativ klar. Ich denke, da ist der österreichischen Initiative zu danken, die das überhaupt so weit ge­bracht hat. In der Vorschau steht, dass dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt werden soll, sobald sich die an der verstärkten Zusammenarbeit beteiligten Mitglied­staaten auf einen Kompromiss geeinigt haben. Das stimmt zwar nicht wahnsinnig optimistisch, aber es ist ziemlich klar, woran das scheitert und warum manche Dinge so zäh sind.

Was die Mehrwertsteuer betrifft, wird die Vorlage eines Aktionsplans angekündigt, um effiziente und betrugssichere Regelungen zu bekommen. – Woran ist es bisher gescheitert?

Es ist in diesem Bereich so wie in vielen anderen: Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man einen Arbeitskreis.

Die Wirtschafts- und Währungsunion soll vertieft werden, und „im Sommer 2016 soll ein hochrangiges Expertengremium eingesetzt werden, das die Grundlage für ein Weißbuch über die Vollendung der WWU erarbeiten wird“. Das ist ein bisschen Pfeifen im finsteren Wald, denn Expertenpapiere und Meinungen gibt es mehr als genug.

Ich war am Dienstag im Haus der EU, wo ein EU-Projekt vorgestellt wurde, das WWWforEurope heißt, wobei die drei Ws für Welfare, Wealth und Work stehen. Das WIFO hat dieses Programm vier Jahre lang gemeinsam mit 34 Forschungsinstitutionen und Stakeholdern erarbeitet. Die Ergebnisse sind für weite Teile akzeptabel, und sie werden auch akzeptiert. Bei vielen dieser Vorschläge, was geschehen müsste, denkt man: No na! Übrigens: Wachstum im herkömmlichen Sinne wird es laut WIFO nicht mehr geben. Die Methoden müssen also andere sein.

Die Fragen blieben und bleiben aber: Warum wird das nicht schon längst umgesetzt? Warum bleibt es bei „wir müssten“, „wir sollten“? Wer ist dieses „wir“? Und warum tut dieses „wir“ nicht? – So ist es eben auch in diesem Bericht.

Die Bewältigung der Flüchtlingskrise steht natürlich ganz oben auf der politischen Agenda mit der „Kooperation mit den Herkunfts- und Transitländern“, mit der „konzer­tierten Unterstützung von Flüchtlingen in Drittstaaten“, auch „finanzielle Mittel für huma­nitäre Hilfe“, „für Wirtschafts- und Stabilisierungshilfe in Syrien und in den Nachbar­staaten“, „Treuhandfonds für Syrien und für Afrika“, und so weiter. Multilaterale Institu­tionen sollen zur Bewältigung von globalen Konflikten proaktiv unterstützt werden. Es soll „auf alle zur Verfügung stehenden Instrumente und Finanzierungsmöglichkeiten zurückgegriffen werden“.

Aber nirgendwo steht: Was ist da schiefgegangen? Was geht da schief?

Folgendes ist eben vielleicht zu wenig: „Das Potential der Globalisierung soll im Wege einer aktiven Handelspolitik“ genutzt werden. Ja, vielleicht ist das sogar kontrapro­duktiv – Stichwort TTIP, Stichwort CETA. Verschärfen diese Dinge vielleicht die globale


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Ungleichheit in einem Ausmaß, das Menschen zum Aufgeben in ihren Regionen und schließlich zur Flucht bringt? Diese Fragen werden nicht gestellt, sondern bereits beschrittene Pfade sollen weitergegangen werden, teilweise mit einem Speed-up.

Die Klimakonferenz in Paris und die Umsetzung des Energie- und Klimapaketes, das uns viel abverlangen wird, bleiben eine Randnotiz. Betont wird die Entschlossenheit der Kommission, andere Dinge in Angriff zu nehmen und die Dinge anders anzugehen. Dazu hat sie zehn Punkte formuliert.

Ich möchte nur kurz Punkt 4 herausgreifen: „Ein vertiefter und fairerer Binnenmarkt mit gestärkter industrieller Basis“ soll geschaffen werden. Ein wichtiger Punkt dabei ist, dass es auch einen Europäischen Aktionsplan geben wird,  „um sicherzustellen, dass unser Verteidigungsmarkt in der Lage ist, künftigen Sicherheitserfordernissen gerecht zu werden“. Ist das der Aufruf an die Rüstungsindustrie?

Punkt 6: „Ein vernünftiges und ausgewogenes Freihandelsabkommen mit den Verei­nigten Staaten“. TTIP bleibt „Top-Priorität für 2016“, ebenso wie andere Freihandels­abkommen mit Australien, Neuseeland, den Philippinen und Indonesien. Das ist etwas, das wir sehr kritisch sehen. Wir glauben nicht, dass es ausreicht, dass – in dieser Unkonkretheit – „besonderes Augenmerk auf die KMU und die Unterstützung der Arbeitskräfte bei der Anpassung an den Wandel“ gerichtet werden soll.

Zuletzt noch Punkt 10: Angestrebt wird „eine Union des demokratischen Wandels“. Die Kommission beabsichtigt, aufbauend auf bereits 2015 gesetzte Initiativen „weitere Schritte zu unternehmen, um den nationalen Parlamenten eine starke Stimme in der europäischen Politik zu verleihen“. – Werte Kollegen und Kolleginnen, wir sind in diesem Punkt gefordert.

Wir werden den Bericht akzeptieren. Wie gesagt, hoffen wir, dass vieles gelingt. Wir hoffen aber auch, dass wir in zukünftigen Berichten teilweise auch eine klarere Analyse des Scheiterns finden. – Danke. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

15.50


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Herr Bundesminister Dr. Schelling ist zu Wort gemel­det. – Bitte, Herr Minister.

 


15.50.50

Bundesminister für Finanzen Dr. Johann Georg Schelling: Frau Präsidentin! Geschätzte Mitglieder des Bundesrates! Einige wenige Punkte: Ein Vorhabensbericht kann danach beurteilt werden, was am Schluss herausgekommen ist. Der Vorhabens­bericht ist ja die Vorgabe der jeweiligen Präsidentschaft. Es ist gut, dass er jetzt behandelt wird, weil ich so kurz darüber berichten kann, welche Punkte schon bear­beitet und abgearbeitet werden.

Der Rat der Finanzminister tagt monatlich. Das ist also kein Rat, der irgendwann zusam­menkommt, sondern er tagt monatlich, und zwar sowohl die Euro-Gruppe als auch die ECOFIN-Gruppe. Dort wird gemeinsam mit der niederländischen Präsident­schaft intensiv daran gearbeitet, das umzusetzen.

Zum ersten Punkt: Betreffend die Umsetzung des OECD-Projekts bezüglich BEPS liegt bereits ein konkretes Programm der Kommission vor. Das konkrete Programm der Kommission – aggressive Steuergestaltung, Vermeidung von Steueroasen, fairer Wettbewerb bei den Steuern – liegt vor.

Frau Bundesrätin Dr. Reiter, ich darf darauf hinweisen, dass es eine Einstimmigkeits­materie ist, da von Ihnen – natürlich zu Recht – die Frage kommt: Warum scheitert man? Weniger bei den Bemessungsgrundlagen, aber bei den Steuern selbst gibt es natürlich eine nationale sozusagen red line, dass alle sagen: Da darf niemand drein-


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reden. – Wir sind diesbezüglich auf gutem Wege, aber es wird für diese Umsetzungs­maßnahmen noch sehr viel benötigen.

Zweitens haben wir bereits den automatischen Datenaustausch fertig beschlossen und umgesetzt, der mit allen Ländern, auch mit den G 20, bereits ab 2018 laufen wird. Das sind Dinge, die bereits in konkreter Umsetzung sind.

Was die Mehrwertsteuerfrage anbelangt, so ist das ein Schwerpunktthema Österreichs und wurde von uns bereits vor über zehn Jahren eingebracht – Einführung eines Pilotprojektes für Reverse Charge. Die Kommission beschäftigt sich jetzt damit. Sie ist sich noch nicht einig, aber unser Projekt liegt wieder am Tisch und ist beantragt. Ich gehe davon aus, dass die Kommission diesmal zumindest solch einen Weg be­schrei­tet, dass wir weiter über das, das wir heute im Reverse-Charge-Bereich haben, näm­lich zum Beispiel Schrott oder Handys, weitere Maßnahmen im Business-to-Business-Geschäft setzen können.

Die Kommission wird einen Alternativvorschlag vorlegen. Ich kenne ihn bereits. Dieser Vorschlag ist realistisch, aber kompliziert. Das sage ich gleich dazu. In dem Fall würden wir gerne diese Pilotfunktion übernehmen und ausprobieren, ob dieser orga­nisierte Karussellbetrug bekämpfbar ist.

Ich sage noch einen Punkt dazu: Ich habe mit dem tschechischen Finanzminister darüber gesprochen. Tschechien ist sehr stark betroffen von Karussellbetrug. Der tschechische Finanzminister hat mir berichtet, dass die durchschnittliche Lebensdauer einer Firma, die an Karussellbetrug beteiligt ist, 24 Tage beträgt. Die kürzeste Dauer liegt bei acht Stunden. Wie sollen Sie ein Steuersystem steuern, wenn diese Firma innerhalb eines Monats wieder verschwindet? Das heißt, wir kämpfen darum, dass das gelingt.

Letzter Punkt: Finanztransaktionssteuer. Sie wissen, ich bin der sogenannte koor­dinierende Vorsitzende. Vorsitzender darf man nur sein, wenn alle Staaten an einem Tisch sitzen, deshalb heißt es Coordinating Chair. Wir arbeiten weiter daran. Wo ist zurzeit die Schwierigkeit? – Eine Schwierigkeit ist, dass wir in mehreren Ländern, die bei der verstärkten Zusammenarbeit mitmachen, ein Problem mit der Regierung haben. Wir haben in Spanien gerade ein Vakuum. Wir haben in der Slowakei gerade keine amtierende Regierung. Sie sind aber beide Mitglieder in der verstärkten Zusam­menarbeit. Wir haben in Portugal eine neue Regierung, die sich natürlich positioniert. Wir haben da durchaus Diskussionsbedarf, ob alle weiter mitmachen.

Die technischen Fragen, die noch zu klären sind, sind jetzt nur noch die, dass man schaut, welche Auswirkungen die Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf die reale Wirtschaft und vor allem auf die Pensionsfonds hätte. Es gibt viele europäische Länder, die ihre Pensionen über Pensionsfonds steuern. Welche Auswirkungen hat das?

Wir haben uns drei Monate Zeit gegeben, um diese Frage per Gutachten zu klären. Dann muss eine Entscheidung gefällt werden. Ich sage auch dazu: Das wird meine letzte Sitzung als Vorsitzender sein. Entweder wir haben dann eine Lösung oder nicht. Wir arbeiten also daran.

Sie sagen, das sei der „Gnadenschuss“ für die Wiener Börse. Ich erinnere nur daran, dass wir einmal eine weitaus höhere Börsenumsatzsteuer hatten – und die Börse hat sehr gut floriert. Um eine Börse zu beleben, kann man durchaus Maßnahmen setzen. Die Finanztransaktionssteuer wird das bei einem Satz von 0,1 und 0,01 kaum oder gar nicht beeinträchtigen.

Es geht darum, dass wir weiter vorankommen – die sogenannte Core Engine –, das heißt, welche Punkte sind zu bearbeiten, welche werden unter unserem Vorsitz abge-


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schlossen? Jetzt versuchen wir noch, diese Auswirkungen darzustellen, dann werden wir sehen, ob alle elf Länder, derzeit zehn, weiterhin mitmachen. Sie wissen, die ver­stärkte Zusammenarbeit braucht neun Ländern. Wenn zwei aussteigen, brauchen wir auch nicht mehr weiter zu verhandeln.

Das ist der kurze Bericht darüber, dass wir schon viel weiter sind, als der Vorhabens­bericht zeigt, und dass die Punkte systematisch abgearbeitet werden. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

15.55


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Tiefnig. Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, dass ich um 16 Uhr unterbrechen muss. (Bundesrat Tiefnig: Ich verzichte! – Bundesrätin Zwazl: Er hat schon zurückge­zo­gen!) – Gut.

Dann darf ich Herrn Bundesrat Mag. Zelina bitten. Herr Kollege, um 16 Uhr muss ich leider unterbrechen. (Bundesrat Mayer – in Richtung des sich zum Rednerpult bege­benden Bundesrates Zelina –: Musst den Turbo einschalten!)

 


15.56.08

Bundesrat Mag. Gerald Zelina (STRONACH, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Finanzminister! Liebe Zuschauer an den Fernsehgeräten! Man kann kritisieren, dass die Ausführungen im EU-Bericht sehr allgemein gehalten sind. Das Wesentlichste ist aber angeführt.

Die Hauptprobleme in Europa und auch in Österreich sind der Arbeitsmarkt, die hohe Arbeitslosigkeit und die instabilen Finanzen – vor allem die hohe Staatsverschuldung. Um dagegen vorzugehen, brauchen wir eben Wachstum, Wachstum und Wachstum. Wachstum ist einerseits über die Konsumentenausgaben definiert, andererseits über die Investitionen der Betriebe und über die Staatsinvestitionen im Infrastrukturbereich. Es ist auch über die Differenz zwischen Exporten und Importen definiert. Man muss mehr exportieren als importieren. Das alles schafft Wachstum.

Wir haben derzeit ein günstiges Umfeld. Die Ölpreise sind unten, das erhöht die Kaufkraft. Die Zinsen sind unten, das fördert die Investitionen auf der Geschäftsseite. Wichtig ist: Die Zinsen können noch so weit unten sein – die Betriebe werden aber nicht investieren, wenn sie nicht die Erwartung haben, dass sie mehr Produkte ver­kaufen. Wir brauchen wettbewerbsfähige Produkte und müssen mehr Produkte ver­kaufen.

Als der Herr Finanzminister früher noch bei Möbel Lutz war, wird er nicht einfach so mehr Leute eingestellt haben. Da muss er vorher noch tausend rote Sessel mehr verkaufen – dann erst wird er zusätzliche Mitarbeiter einstellen.

Und genau darum geht es: Wir brauchen Wettbewerbsfähigkeit und wettbewerbsfähige Produkte. Und der Staat kann dafür Rahmenbedingungen bieten, indem die Lohnn­eben­kosten gesenkt werden, die bürokratischen Auflagen vermindert werden und ein günstiges steuerliches Umfeld geboten wird.

Der Staat selbst muss natürlich auch investieren. Wo muss er investieren? – Vor allem in Humankapital, in Bildung, in Innovationen, in Forschung, in Hochtechnologie.

Wenn wir wettbewerbsfähig sein wollen, müssen wir international nicht nur auf der Kostenseite mithalten, wir brauchen auch Qualitätsprodukte. Wir brauchen vor allem Nischenprodukte, bei denen wir besser sind als alle anderen – also Hochtechnologie. Das ist wichtig. In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit beende ich hiermit die Rede. – Danke. (Bundesrätin Mühlwerth: Du hast noch 2 Minuten!)

15.58

 

15.58.10

 



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Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor. Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlos­sen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Ich unterbreche nun die Verhandlungen zur Tagesordnung.

15.59.29Dringliche Anfrage

der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an den Bun­desminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend: Roter Pen­sionstransfer zwischen Bank Austria und Pensionsversicherungsanstalt (3130/J-BR/2016)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über die Dringliche Anfrage der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an den Herrn Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz.

Da die Dringliche Anfrage inzwischen allen Mitgliedern des Bundesrates zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch den Schriftführer. 

Ich erteile Herrn Bundesrat Jenewein als erstem Anfragesteller zur Begründung der Anfrage das Wort.

 


16.00.07

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein (FPÖ, Wien): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jetzt wäre es schön, wenn der Bundesminister noch käme. (Bundesminister Stöger betritt den Sitzungssaal.) Und da kommt er gerade! Wir freuen uns alle und begrüßen den Herrn Minister recht herzlich.

Sehr geehrter Herr Bundesminister! Frau Präsidentin! Wir hätten uns mitunter die heu­tige Dringliche Anfrage sparen können, wenn wir vor vier Wochen ordentliche Antwor­ten vom Bundesminister bekommen hätten. Das ist leider nicht der Fall gewesen. Da wäre vielleicht schon vieles klarer gewesen, was wir heute wiederum von ihm an Auskunft begehren.

Ich möchte gleich vorwegschicken, dass das verfassungsmäßige Recht der parla­mentarischen Interpellation bei uns keine Soll-Bestimmung sein soll. Ich denke auch, dass alle Parlamentsparteien – völlig egal, welche politische Farbe sie haben – durch­aus daran Interesse haben sollten, dass gerade dieses Interpellationsrecht nicht nach Tagesverfassung ausgelegt werden kann, dass man sich als Abgeordneter schon auch darauf berufen kann und dass man auch durchaus darauf pochen kann, Antwort auf seine Fragen zu bekommen. – Das wollte ich nur einmal vorwegschicken. (Beifall bei der FPÖ.)

Vor vier Wochen ist einiges passiert. Wir haben vor vier Wochen die Dringliche Anfrage bezüglich dieses Bank-Austria-Pensionsdeals gestellt. Damals hat uns der Minister als eines der ganz wenigen Dinge, die wir von dieser Dringlichen Anfrage mitgenommen haben, gesagt: So, wie die Bank Austria sich das vorstellt, wird es nicht passieren, wir verhandeln weiter.

Dann hat man vier Wochen lang relativ wenig gehört – natürlich für uns als Opposition nicht gerade befriedigend! Das ist aber schon klar, jetzt kann ich mir sogar die Argu-


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mentation vorstellen, dass man sagt: Na ja, wenn Verhandlungen nach außen kommu­niziert werden, ist das vielleicht nicht so gut. – Ja, ja, aber auf der anderen Seite ist es auch eine Frage, wie man mit der Legislative in diesem Land umgeht, denn im Endeffekt ist es auch das Parlament, das hier über Gesetze zu bestimmen hat.

Dass Sie sich dann vielleicht eine Oppositionspartei für ein Linsengericht mit ins Boot holen, dass Sie womöglich doch noch eine Verfassungsbestimmung bekommen kön­nen, haben wir ja heute schon gehört: dass im nationalrätlichen Sozialausschuss die Grünen ohnehin mitgestimmt haben. Jetzt bleibt noch abzuwarten, ob Sie es nächste Woche ins Nationalratsplenum als Verfassungsgesetz einbringen werden oder ob dieser neu zu schaffende § 311a ASVG – um den geht es nämlich eigentlich – als einfaches Gesetz mit Unterstützung der Grünen beschlossen werden wird. Das wird noch einmal recht spannend werden.

Unabhängig davon bin ich mitten im Thema. (Bundesrat Stögmüller: … schon beant­worten!) Herr Kollege Stögmüller, wenn Zwischenrufe kommen, habe ich kein Problem. Zwischenrufe motivieren mich, sie bringen mein sprachliches Talent erst so richtig in Fahrt. (Zwischenrufe bei den Grünen.) Damit habe ich kein Problem, sie sollten nur intelligent formuliert sein. (Bundesrat Stögmüller: Dann müssten Sie …!) Ja, genau, genau. (Bundesrat Stögmüller: Nicht so wie Ihre!) Ja, selbstverständlich – na, ich kann mit Ihnen gerade noch mithalten.

Seit vorgestern haben wir zumindest die Regelung – seit heute im Sozialausschuss des Nationalrates beschlossen –, dass es einen § 311a ASVG geben wird, was natürlich – und ich möchte das jetzt noch gar nicht inhaltlich bewerten, ich möchte nur ganz kurz auf das Zustandekommen dieses Gesetzes hinweisen – schon nach typischer Anlassgesetzgebung riecht. Vor vier Wochen wurde uns noch mitgeteilt: Na ja, die Überführung der Bank-Austria-Mitarbeiter – es geht hier um 3 200 Personen – ins ASVG mit den 7 Prozent der Bemessungsgrundlage wird nicht funktionieren, denn dazu müsste das Arbeitsverhältnis beendet werden, und erst dann, wenn das Arbeitsverhältnis neu aufgemacht wird, könnte man mit den 7 Prozent überführen.

Jetzt wissen wir als gelernte Österreicher natürlich auch, wie man auf Arbeitnehmer Druck ausüben kann, um ihnen mitzuteilen, dass man schon auch mittels einer Ände­rungskündigung agieren kann. Wenn du als Mitarbeiter den Hinweis bekommst: Pass auf, wir machen eine Änderungskündigung, für dich ändert sich arbeitsrechtlich nichts, du hast nur einen anderen Versicherungsträger, sonst bleibt alles gleich, du hast deinen Arbeitsplatz weiter, du hast deine Pensionsansprüche, es ändert sich quasi nur das Vorzeichen – dann werden sich sehr viele finden, die sagen: Na ja, in Zeiten wie diesen, bei knapp 500 000 Arbeitslosen in dem Land, nehme ich lieber die Änderungs­kündigung hin und bin trotzdem in der 7-Prozent-Regelung. – Das nur einmal so nebenbei bemerkt.

Auf der anderen Seite schafft man hier ein Anlassgesetz, eine klassische Lex Bank Austria, die nur für die Bank Austria geschaffen wurde, wo man sagt: Nein, nein, die Bank Austria kann schon überführen, allerdings zur Bemessungsgrundlage von 22,8 Prozent. – Jetzt könnte man natürlich sagen: Das ist ja das, was wir eigentlich ursprünglich auch in unserer Intention hatten, wir wollen gar nicht, dass die Bank Austria bessergestellt wird, wir wollen auch nicht die italienische UniCredit – denn im Endeffekt sprechen wir ja von einer italienischen Bank – mit österreichischen Beitragsgeldern mitfinanzieren, und das wäre ja alles gar nicht so schlecht.

Das Aber kommt natürlich schon im zweiten Anlauf. Wir wissen ja seit Dezember Bescheid. Es wäre interessant, vom Herrn Minister einmal zu erfahren, seit wann eigentlich das Sozialministerium mit dieser Thematik befasst war. Da braucht mir doch keiner einzureden, dass die das erst seit Dezember gewusst haben! In der Bank redet


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man seit über einem dreiviertel Jahr darüber. Wir haben ja mittlerweile auch mit Leuten von der Bank gesprochen. Da werden jetzt schon Schriftsätze vorbereitet, da gibt es genug Mitarbeiter, die sagen: Nein, das lassen wir uns so nicht gefallen, und das wollen wir vielleicht auch gar nicht.

Wie auch immer – das heißt, das ist ja noch lange nicht gegessen! Es steht im Raume, dass es hier zu einer rechtlichen Handhabe auch gegen das neu zu beschließende Gesetz kommen wird. Da wäre es schön, wenn der Sozialminister sich einmal erklären und sagen würde: Na ja, wir wissen eigentlich seit September oder seit Juni oder seit über einem Jahr davon und haben halt so lange zugewartet. Nämlich: Wir haben so lange zugewartet, bis die Bank Austria die Möglichkeit hatte, am 31. Dezember ihre Pensionsrücklagen aus der passiven Seite aktiv zu stellen! Sprich, sie haben die Pensionsrücklagen aufgelöst und gesagt: So, mit Ende Februar/Anfang März, mit 1. März wird übergeführt – Punktum.

Das heißt, hier wurden Fakten geschaffen – und daraufhin gibt es dann ein Gesetz, das gemacht wird! Das heißt also: Sie wünschen, wir spielen. Sie wünschen sich ein Gesetz, sie sagen: Wir wollen es eigentlich mit den 7 Prozent. – Der Gesetzgeber sagt: Nein, da verhandeln wir, das wollen wir doch nicht, wir machen jetzt 22,8 Prozent.

Jetzt stelle ich mir die Frage: Wer hat eigentlich von der ganzen Geschichte profitiert? Wer ist da eigentlich derjenige, wo ich sage: das ist jetzt klass, dem geht es richtig gut? Die Bank Austria? – Eigentlich nicht, denn sie muss die 22,8 Prozent der Bemessungs­grundlage zahlen. Die Mitarbeiter der Bank Austria, sprich, die 3 200 Personen? – Die auch nicht! Die kriegen nämlich a) weniger Nettogehalt im Monat und b) wahrscheinlich auch eine geringere Pension.

Wer ist jetzt also der Profiteur? Ich muss mir da immer die Frage stellen: Wer profitiert denn davon? – Ein Einziger profitiert davon, und das ist die Gemeinde Wien! Wir wissen nämlich – das wissen Sie wahrscheinlich auch, und das wissen vor allem jene Leute, die dieses Gesetz auf den Weg gebracht haben –, dass die Gemeinde Wien die Ausfallshaftungen für die AVZ trägt. Die AVZ – für die, die es nicht wissen, erkläre ich es gerne – ist die Anteilsverwertung Zentralsparkasse. Das ist jene Stiftung, die ge­gründet wurde, als die seinerzeitige Zentralsparkasse verkauft wurde, zuerst an die HypoVereinsbank in Bayern und später nach Italien an die UniCredit.

Die AVZ, die ursprünglich von 1,8 Milliarden € gespeist war, hat ja heute nur noch einen Gegenwert von – je nach Aktienkurs – rund 60 bis 70 Millionen €. Also von 1,7 Milliarden auf 70 Millionen €! Da muss man sich auch einmal die Frage stellen: Wie ist es denn dazu gekommen? Was ist eigentlich der Grund dafür, dass alle diese Gelder weggegangen sind? – Wir haben uns schon einmal damit beschäftigt: Ein Teil davon wird sicher im Madoff-Moloch verschwunden sein.

Eine weitere Frage, die sich jetzt schon stellt, ist: Was passiert, wenn die AVZ, die ja eigentlich die Pensionen der Bank Austria garantieren soll, diese nicht mehr berappen kann? Was passiert dann? Wer tritt dann in Erscheinung? – Da ist eben die Gemeinde Wien mit der Ausfallshaftung drinnen. Und die Gemeinde Wien kann mit diesem Gesetz, das heute im nationalrätlichen Sozialausschuss beschlossen wurde und das jetzt auf den Weg gebracht wird, rund 1,8 Milliarden € an Schulden aus der passiven Seite, die sie nämlich für die Pensionsrückstellungen drinnen hatte, herausstreichen. Das heißt, das Parlament verschafft der Gemeinde Wien einen Schuldenabbau in der Höhe von 1,8 Milliarden €!

Dass die Grünen da mitstimmen, ist nicht weiter überraschend, da sie ja in Wien mit der SPÖ in einer Landesregierung sitzen; das ist mir ganz klar. Was mich viel mehr verwundert, ist, dass jetzt die ÖVP hier so locker-lässig die Mauer macht. Es wäre auch nicht uninteressant, zu erklären, warum denn das eigentlich passiert. Ich weiß


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schon, der Finanzminister – noch vor ein paar Minuten saß er ja hier – hat in seiner ursprünglichen Stellungnahme natürlich folgerichtig gesagt: Er wird keiner gesetzlichen Regelung zustimmen, bei der die Steuerzahler oder die Beitragszahler in irgendeiner Form zur Kasse gebeten werden. – Absolute Zustimmung! Das kann ich ebenfalls teilen.

Was er natürlich nicht gesagt hat, ist, das man jetzt hier eine Regelung schafft, um Leute ins ASVG hinüberzuschaufeln – wofür es eigentlich auch keine Notwendigkeit gegeben hätte, denn diese Leute sind ja verbeamtet, sie sind unkündbar, sie können gar nicht auf die Straße gestellt werden. Es braucht mir keiner zu sagen: Wenn wir das nicht gemacht hätten, dann wären die Leute arbeitslos geworden. – Nein, die sind definitiv gestellt, und wir wissen auch – und das ist durchjudiziert; da braucht auch keiner in irgendeiner Märchenstunde irgendwelche Geschichten zu erzählen –, selbst bei einer Änderungskündigung würde diese Definitivstellung weitergeführt werden. Das heißt, es ist gar nicht möglich, diese Leute loszuwerden.

Das heißt also, man hat hier ein Gesetz geschaffen, das einen einzigen Profiteur kennt: Das ist die Gemeinde Wien und das ist der Michael Häupl, der sich dadurch 1,8 Milliarden € an Schulden erspart hat! Das ist die ganze Geschichte, und darum stehen wir heute hier.

Es gibt natürlich auch noch weitere Aspekte, die nicht ganz irrelevant sind und die in diesem Zusammenhang durchaus erwähnt werden müssen. Die Gemeinde Wien versucht schon die längste Zeit, ihre teuren Beamten zu verschieben. Für die, die es nicht wissen: Viele – rund 24 000 – der knapp 60 000 Vertragsbediensteten und Ge­mein­debediensteten der Gemeinde Wien sind eben nicht im ASVG-System, sondern in einem wesentlich teureren Versicherungssystem versichert. Viele dieser teuren oder sehr teuren Beamten werden heute schon in die ausgelagerten Bereiche der Stadt Wien verschoben.

Da gibt es zum Beispiel – es ist ganz nett, das als Beiwerk zu wissen, damit man diese Handlungsweise auch einmal zu verstehen beginnt – die sogenannte E-Control. Da war ein gewisser Martin Graf – das ist nicht der Martin Graf, den Sie vielleicht als Martin Graf kennen, sondern das ist ein anderer Martin Graf, der nur zufällig so heißt –, da war ein gewisser Martin Graf der Chef, und er musste gehen. Dieser Martin Graf war ein Vertrauter von Minister Hundstorfer, aber der Michael Häupl wollte den Martin Graf nicht mehr da drinnen haben. Warum wollte er ihn nicht mehr haben? – Der hat sich nämlich darüber aufgeregt, dass die Gemeinde Wien die ganzen teuren Beamten in die E-Control überträgt und dass dadurch die Kosten in der E-Control laufend höher werden. Dafür hat dann der Herr Häupl einen seiner engen Vertrauten, den Herrn Dr. Eigenbauer, involviert.

Das heißt, die Gemeinde Wien macht derzeit nichts anderes, als die ganzen weißen Elefanten, die sie irgendwo in der Umgebung herumschweben hat, in die ausgela­gerten Bereiche auszulagern, damit sie dann auch der parlamentarischen Kontrolle im Wiener Gemeinderat entzogen sind, damit man nicht sieht, was mit denen im Endeffekt passiert, und damit sie aus dem Wiener Pensionssystem wegkommen. Das ist die eigentliche Crux daran. Bei den Kindergärten der Gemeinde Wien, der MA 11, macht man es wesentlich ungenierter: Da wird laufend ins ASVG-System übertragen.

Herr Minister, bevor Sie dann in der Beantwortung vielleicht mit irgendwelchen Märchen daherkommen – dass Sie sagen, diese Leute hätten erst in zehn Jahren wieder Pensionsansprüche, wenn wir diese Regelung nicht gemacht hätten –, sage ich Ihnen schon jetzt: Diese Argumentation können Sie sich gleich … die können Sie sofort wieder streichen. Das stimmt nämlich nicht, weil selbstverständlich durch die Haftungs­kette – hier AVZ, da Gemeinde Wien – die Gemeinde Wien diejenige gewesen wäre,


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die die Pensionsansprüche für diese Menschen hätte bezahlen müssen. Das heißt, die Geschichten, die Sie uns da jetzt erklären – wir haben ja einen Handlungsbedarf gehabt und wir mussten diese Regelung machen –, die ziehen so nicht! Das können Sie also gleich vergessen.

Ein nächstes Argument, das ich auch immer wieder höre, lautet: Das ist ja interessant, dass die Freiheitlichen sich jetzt für Sonderpensionen bei der Bank Austria stark­machen. – Bitte schön, das sind keine Sonderpensionen! Die sind im Äquivalent zum ASVG, und zwar spätestens seit dem Jahr 1992, denn mit der damaligen Fusion der Zentralsparkasse mit der Länderbank zur Bank Austria hat seinerzeit die Bank Austria Mitarbeiter der Länderbank aus dem ASVG übernommen. Damals wurde die Pensions­regelung überhaupt auf neue Beine gestellt, auch in der Bank Austria. Das heißt, diese Pensionen sind schon so ähnlich berechnet wie im ASVG. Der einzige Unterschied ist, dass die Mitarbeiter definitiv gestellt sind, dass sie unkündbar sind.

Darum stellt man sich eben die Frage, wenn man alle diese Informationen kennt: Warum macht man so ein Gesetz? – Diejenige, die wirklich davon profitiert, habe ich Ihnen schon genannt: Das ist die Gemeinde Wien! Darum geht es, und ich muss leider Gottes feststellen, dass Herr Bundesminister Stöger – der ja wirklich ein Multitalent ist, der alle Ministerien in dem Land besetzen kann – hier ganz einfach die Auftragsarbeit seines Vorgängers, die Auftragsarbeit von Rudi Hundstorfer, weiter übernommen hat.

Und welch Wunder: Welche Tätigkeit hat Rudi Hundstorfer gehabt, bevor er Minister wurde? Welche Tätigkeit hat er gehabt, bevor er Politiker wurde? – Er war unter anderem zufälligerweise der Chef der Beamtengewerkschaft in Wien! Das heißt, er hat genau diese Leute gewerkschaftlich vertreten, und natürlich hat er ein Interesse daran, dass das System in Wien so weit weiterfinanziert wird, dass man die immensen Kosten tragen kann, die dadurch entstanden sind, dass sich die Gemeinde Wien und das Land Wien jahrelang geweigert haben, ins ASVG überzuwechseln, sodass man jetzt ver­sucht, das still und heimlich überzuführen. Nichts anderes ist der Fall, und so ganz nebenbei erspart sich die Gemeinde Wien 1,8 Milliarden € – das ist ja auch nicht schlecht, so im Drüberstreuen, im Abstauben!

Darum sage ich Ihnen, sehr geehrter Herr Bundesminister: Was Sie hier gemacht haben, das war ein verfrühtes Osterei, das Sie uns gelegt haben! Sie haben hier nichts anderes gemacht, als die Interessen Ihres Landeshauptmanns in Wien zu vertreten. Das mag parteipolitisch vertretbar sein – ob das wirklich eine anständige Form der Politik ist, ob das wirklich anständig ist, was Sie hier gemacht haben, das steht auf einem anderen Blatt. Das werden wir spätestens bei den nächsten Wahlgängen, die auch Sie und auch Ihre Form der Politik betreffen werden, dann wirklich wissen. (Beifall bei der FPÖ.)

16.15


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zur Beantwortung hat sich der Herr Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Stöger zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Minister.

 


16.16.09

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir macht es heute ja richtig Spaß, das Thema Bank Austria zu besprechen, weil ich es schon den ganzen Tag habe. Am allermeisten ist es deshalb spannend, weil man mir nicht zuge­traut hat, dass ich hier eine ganz klare und immer am Interesse der Beitragszahle­rinnen und Beitragszahler orientierte Politik gemacht habe.


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Ich habe am Tag meines Amtsantrittes als Sozialminister ganz klar gesagt: Wenn wir in Österreich mit Pensionen und, ich sage jetzt, mit Sonderformen der Pensionen um-gehen und es da zu einer Veränderung kommen soll, dann müssen wir die Gleichstel­lung aller Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, aller Unternehmerinnen und Unter-nehmer sicherstellen. Das war mein Zugang. Ich sage das noch einmal ganz deutlich und ganz klar: Wenn ich in Österreich etwas möchte, dann ist es das, dass wir gleiche Bedingungen auch gleich behandeln!

Jetzt ein bisschen zur Geschichte: Das ASVG hat in der Stammfassung bereits vorgesehen gehabt, dass manche Personengruppen nicht im ASVG beinhaltet sind; das war die Ausnahme. Im Normalfall sind alle Beschäftigten in Österreich im ASVG drinnen gewesen. Eine Ausnahme war im § 5 Abs. 1, nämlich dass Religionsgemein­schaften, die Salzburger Sparkasse, aber auch die Bank Austria – damals hat sie anders geheißen – für manche Personen, nicht für alle, für manche Beschäftigte aus-ge­nommen worden sind, nämlich für jene Beschäftigten, die ein unkündbares Dienst-verhältnis zur Bank Austria gehabt haben. Das ist der Tatbestand, und dieser Tat­bestand ist vorgelegen.

§ 311 ASVG sieht vor: Wenn jemand ausscheidet aus einem Dienstverhältnis, das pensionsversicherungsfrei gestellt worden ist – Hausnummer: ein Beamter der Republik Österreich, der dann eben Direktor der Bundesforste wird; um so einen Fall zu sehen –, dann gibt es Ausgleichszahlungen, weil im Regelfall nur Beamtinnen und Beamte der Länder, der Gemeinden, der Gemeindeverbände, aber auch des Bundes von der Pensionsversicherung nach dem ASVG ausgenommen sind.

Jetzt haben die Organe der Bank Austria für sich Entscheidungen getroffen. Sie haben Entscheidungen getroffen, die in die Richtung gehen, mit ihren Arbeitnehmern kollektiv oder individuell zu entscheiden, dass sie diesen Vorteil, dass die Bank eine eigene Ausnahme gehabt hat, verändern und ins normale ASVG zurückfallen.

Die Bank hat sich ausgerechnet: Dann brauchen wir nur 7 Prozent des letzten Ge­haltes als Beitrag zu zahlen, anstelle von anderen, die 22,8 Prozent gezahlt haben. Vor diesem Hintergrund habe ich am ersten Tag meines Amtsantrittes gesagt: So geht das nicht! Ich habe der Bank Austria öffentlich – auch persönlich – ausgerichtet: Da schaue ich als Sozialminister nicht zu! (Beifall bei der SPÖ, bei Bundesräten der Grünen sowie der Bundesräte Gödl und Mayer.)

Ich habe nicht zugesehen, sondern ich habe den Organen der Bank Austria ganz klar gesagt: Wenn ihr glaubt – und da gibt es immer Rechtsanwälte, die unterstützen das –, ihr könnt euch auf diesem Weg zulasten der Pensionsversicherung Vorteile ver­schaffen, werde ich alles dahin gehend unternehmen, um das nicht zuzulassen!

Wie sind die Möglichkeiten und Bedingungen, die man als Minister einer Republik hat? – Ich habe erstens gesagt: Ich sehe die Anwendbarkeit des § 311 ASVG nicht, denn da müssten die Arbeitsverhältnisse gelöst werden. Dann würde – das ist völlig richtig, das ASVG ist ein Schutzgesetz – jeder individuell in diese Regelung hinein­fallen. Kollektiv sieht das anders aus. Tatsache ist, dass die Bank Austria keinen einzigen Arbeitsvertrag dieser Personengruppe gelöst hat, sondern sie wollte nur diese Verpflichtung, die sie eingegangen ist, einseitig ändern – und das geht nicht!

Damit wir diesbezüglich auch Rechtssicherheit schaffen, ist es notwendig, eine gesetz­liche Änderung herbeizuführen. Diese gesetzliche Änderung führt dazu, dass von den Organen der Bank Austria – wenn sie mit ihren Arbeitnehmern eine Regelung treffen, dass diese aus diesem Status herausfallen – ein Überweisungsbetrag zu zahlen ist, der hätte gezahlt werden müssen, wenn diese Personengruppe so wie andere Bank-Austria-Angestellte immer im ASVG gewesen wären.


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Die Entscheidung, ob dieser oder jener im ASVG war oder nicht, haben immer die Bank und der Arbeitnehmer getroffen, und insofern ist es mir wichtig, dass wir diese Zielsetzung auch umsetzen. Mit dem Vorschlag, der heute im Sozialausschuss des Nationalrates beschlossen worden ist, ist diese Rechtssituation auch eingetroffen.

Daher sage ich ganz klar: Mir geht es um Gleichbehandlung aller Unternehmen. Mir geht es um Gleichbehandlung aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und mit diesem Gesetzesvorschlag der Bundesregierung, der heute den Sozialausschuss des Nationalrates erreicht hat, der auch in Kürze zur offiziellen Behandlung zu Ihnen kommen wird, ist dieser Schritt gesetzt worden.

Ich darf jetzt konkret auf die zwölf Fragen antworten.

Zu den Fragen 1 bis 3:

Ab Ende Jänner 2016 wurden Gespräche mit der Bank Austria geführt. Ich sage bewusst „Gespräche geführt“, um den Rechtsstandpunkt des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz zur gegenständlichen Problematik klarzu­stellen. Ich habe darüber mit Herrn Zadrazil gesprochen und habe die Rechtsmeinung unseres Hauses dort klar dargelegt und auch besprochen. Es hat ein weiteres Gespräch gemeinsam mit Bundesminister Schelling gegeben, in dem wir beide die Auffassung vertreten haben, es geht nur, wenn wir eine Gleichbehandlung von allen Versicherten und von allen Unternehmen haben.

Zur Frage 4:

Wir haben den Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes zur Diskussion beige­zogen und haben uns von diesem auch hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Fragen beraten lassen.

Zur Frage 5:

Es ist ein Recht in der Republik – und das macht eine Demokratie aus –, dass jedes Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüft werden kann. Es macht auch ein Recht in Europa aus, dass man jede Rechtsmaßnahme auch beim Europäischen Gerichtshof infrage stellen kann. Das ist möglich. Wie ein solches Verfahren ausgeht, das kann niemand vorhersehen.

Ich sage Ihnen: Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen jene Maßnahmen ge­setzt, die dazu notwendig sind, um die Gleichheit herzustellen. Die Beschäftigten, die Betroffenen haben sich bisher – ich sage das auch so deutlich – eines Sonderrechts im ASVG bedient. In der Zukunft wird es der Normalzustand sein, so, wie er bei allen anderen Versicherten zutrifft, und mir entzieht sich, wo da eine Verfas­sungs­widrigkeit stattfinden kann. Aber bitte – das müssen die Verfassungsgerichte klären.

Zu den Fragen 6 und 7:

Sollte der § 311a ASVG nicht beschlossen beziehungsweise nach Beschluss des Verfassungsgerichtshofes aufgehoben werden, so wäre zu prüfen, ob ein Fall des § 311 ASVG vorliegt, was nach der Ansicht, der Konstellation und dem Sachverhalt, von dem wir jetzt ausgehen, zu verneinen ist. Für die Betroffenen wäre jedenfalls Rechtsunsicherheit gegeben, und mögliche Leistungslücken würden entstehen.

Zur Frage 8:

Im Gesetz wird kein Überweisungsbetrag von 728 Millionen € genannt. Wir haben in den finanziellen Erläuterungen diesen Betrag genannt. Ich kann es Ihnen auch erklären: Der Betrag ergibt sich daraus, dass man bei den Zahlen, die der Pensions­versicherung zur Verfügung gestanden sind, von 3 068 Personen ausgegangen ist, man davon ausgegangen ist, wie hoch das Durchschnittseinkommen dieser Personen


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ist und wie viele Monate sie im Lauf ihres Lebens im ASVG versichert gewesen sind. Aus dieser Multiplikation ergibt sich der Betrag von 728,7 Millionen €.

Wenn die Bank Austria eine andere Zahl nennt oder wenn andere Beitragsgrundlagen vorhanden sind, muss man das dann überprüfen, wenn der konkrete Fall eingereicht wird. Dann kann es sich etwas ändern. Aber als Richtschnur ist dieser Betrag richtig. Der Überweisungsbetrag ist dann für jeden einzelnen Versicherten getrennt zu be­rechnen.

Zur Frage 9:

Diese Frage stellt einen Vergleich mit Äpfeln und Birnen dar. Das eine sind nämlich Auflösungen von Rücklagen, die die Bank bilanztechnisch macht. Es ist auch spannend, wie sie das machen, aber das ist ein Sonderfall, der nicht in meinen Zuständig­keitsbereich fällt.

Aber aus meiner Sicht muss man völlig klar sagen: Wir haben ein umlagefinanziertes Pensionsmodell. Damit ist klar: Jeder zahlt Beiträge ein, und die Beiträge sind mit 22,8 Prozent der Bemessungsgrundlage definiert. Die Bemessungsgrundlage ist unstrittig bekannt – § 49 ff. ASVG regelt das. Nach diesem Betrag ist das geregelt. Daher ist für mich nicht von Belang, wie viele Rückstellungen aus welchen Gründen auch immer gemacht worden sind, sondern für uns ist entscheidend: Wird der Betrag bezahlt, der hätte bezahlt werden müssen, wenn diese Menschen vom ersten Tag ihres Arbeitslebens an im ASVG beschäftigt gewesen wären?

Zur Frage 10:

Warum gehen wir von 3 068 Mitarbeitern aus? – Das ist die Zahl, die die Bank Austria der Pensionsversicherung genannt hat, und daher haben wir sie angenommen. Der Gesetzestext sieht aber keine Pauschalierung vor, sondern jeder Einzelne wird gerechnet. Insofern ist das nur eine Annahme. Die Zahl resultiert aus den Angaben der Bank Austria.

Die Fragen 11 und 12 müssten Sie der Bank Austria stellen. Der Gesetzesvorschlag meinerseits ist so offen, dass bei jenen Personen, die in diese Regelung einbezogen werden, konkret abgerechnet wird.

In diesem Sinne ersuche ich schon jetzt bei Ihnen um Zustimmung zu diesem Gesetz. Ich glaube, wir haben die wichtigsten Schritte gesetzt, nämlich Gleichbehandlung aller Beitragszahlerinnen und Beitragszahler und – was mir ganz wichtig ist – Rechtssicher­heit für die mehr als 3 000 betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bank Austria. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten der Grünen.)

16.29


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen nunmehr in die Debatte ein. Ich mache darauf aufmerksam, dass gemäß § 61 Abs. 7 der Geschäftsordnung die Redezeit eines jeden Bundesrates mit insgesamt 20 Minuten begrenzt ist.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Ing. Rösch. Ich erteile ihm dieses.

 


16.30.33

Bundesrat Ing. Bernhard Rösch (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Werte Zuseher vor den Fernsehgeräten! Die Beantwortung der Dringlichen Anfrage war diesmal etwas ausführlicher, nachdem wir das letzte Mal gar nichts gehört haben und Sie jetzt doch einige Zeit hatten, sich auf dieses Thema einzustellen. (Vize­präsident Gödl übernimmt den Vorsitz.)


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Wir haben von Bundesrat Hans-Jörg Jenewein schon gehört, worum es sich bei die­sem Szenario handelt und wo unsere Bedenken liegen – diese konnten durch die Antworten nicht ganz ausgeräumt werden.

Wir fragen uns dann schon, wie es in solchen Verhandlungen zugeht. Vor allen Dingen haben wir am Anfang immer gehört: Wir haben noch nichts, wir haben mit niemandem geredet! Jetzt haben Sie, Herr Bundesminister, wenigstens gesagt, dass im Jänner schon mit Herrn Zadrazil gesprochen wurde. Sie haben ganz am Anfang gesagt, Sie haben mit den entsprechenden Organen gesprochen. Da wäre interessant, ob das nur Herr Zadrazil ist oder ob Sie da vielleicht auch noch andere Gremien beigezogen haben.

Wir haben jedenfalls nach unseren Anfragen nichts erfahren oder nichts erfahren dürfen. Das ist sehr unbefriedigend. Aber wenn auch der Verfassungsjurist Theo Öhlinger oder der Arbeitsrechtler Franz Marhold gesagt haben, dass sie wesentliche Bedenken haben – und das sind immerhin namhafte Wissenschaftler, denen man schon ein bisschen Vertrauen schenken kann, wenn sie sagen: Da ist die Rechts­sicher­heit nicht gegeben, da wird für eine Gruppe etwas herausgenommen, was die anderen nicht bekommen! –, dann würde ich das ein bisschen ernster nehmen, und das würde ganz einfach auch hierhergehören, damit wir unsere Beratungen darüber ausgiebig führen können.

Sie sagen: Die 728 Millionen € sind ungefähr das, was wir ohnehin wollten. Es stimmt: 22,8 Prozent vom letzten Gehalt, das ist immer so im Raum gestanden, weil es an und für sich sonst 7 Prozent gewesen wären. Aber wenn ich mir die Lebensdurch­rech­nungszeit dieser Personen, um die es geht, ansehe, dann muss ich sagen: Es gibt da auch Berechnungen, wo man auf 2,1 Milliarden € kommt. Da kommt man dann schon ungefähr auf die 1,9 Milliarden €, bei denen man sagen kann: Da wurden die Rück­lagen in der richtigen Höhe gebildet!

Es ist natürlich nicht unsere Aufgabe, für irgendeine Firma zu schauen, dass diese irgendwelche Rücklagen auflöst, damit sie ihr Budget ein bisschen auffetten kann, aber wir haben ganz einfach dafür zu sorgen, dass es den Österreichern und Österreiche­rinnen, den Arbeitnehmern, um die es da geht, nicht schlechter geht.

Eines muss man auch dazusagen, und das habe ich bisher nicht gehört: Wenn man diese Beträge überweist, wird es in weiterer Folge – und davon gehe ich aus – so sein, dass die Betroffenen, wenn sie im ASVG sind, ganz einfach schlechtere Pensionen haben. Sie bekommen weniger. Da muss es zum Beispiel einen Ausgleich geben, und da habe ich gehört – ich weiß nicht, ob Sie das gehört haben –, dass es da Abschlags­zahlungen von 150 000 € geben soll.

Wir haben uns ausgerechnet, dass es insgesamt um ungefähr 1 Milliarde € gehen müsste, wenn man das nicht in ein System einbringt, das umlagegesteuert ist, sondern ganz einfach sagt: Wir fordern die Bank auf, diese Differenz bereitzustellen und nicht einfach einen fixen Betrag einzuzahlen oder mit einem fixen Betrag abzufertigen!

Diesbezüglich wollen wir schon auch noch einige Antworten haben, denn wir wissen – und das haben wir heute auch von verschiedenen Seiten gehört –: Die Bankenbranche befindet sich im Umbruch. Wir rechnen damit, dass 20 000 Mitarbeiter abgebaut wer­den.

Da schauen die Banken natürlich als Erstes darauf, dass sie jene wegbringen, die am teuersten sind. Das ist so. Da brauchen wir uns nichts vorzumachen. Ich komme aus der Versicherungsbranche. Ich habe es miterlebt, wie definitiv gestellte Mitarbeiter abgebaut werden, wie sie gelitten haben, weil sie unter Druck gesetzt worden sind, weil sie in Kammerln gesetzt worden sind, mit einem Schreibtisch, einem Sessel und ohne


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Arbeit, und Tag für Tag erleben mussten, dass sie nicht mehr gebraucht werden, bis sie dann endlich unterschrieben haben.

So darf es in dieser Situation nicht sein! Da müssen wir wesentlich behutsamer vor­gehen. Und wenn wir fordern, dass wir da ganz genau hinschauen und dass wir da wirklich alles ausräumen, dann ist das nicht, wie Sie letztens gesagt haben, das Schlagen von politischem Kleingeld, sondern einfach politische Redlichkeit, und diese würde ich einfordern. (Beifall bei der FPÖ.)

16.35


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bun­desrat Mag. Fürlinger. – Bitte.

 


16.35.56

Bundesrat Mag. Klaus Fürlinger (ÖVP, Oberösterreich): Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Zwangsläufig kann ich nichts dazu sagen, was wer wo vorher mit wem besprochen hat und warum. Ich kann natürlich auch als Linzer nicht zu Wiener Verhältnissen Stellung nehmen. Ich möchte das Thema aber auf die juristische Ebene herunterbrechen und Ihnen da vollkommen assistieren, Herr Minister Stöger, denn was ich nicht verstehen kann, ist die massive Kritik an diesem Gesetz, die hier gekommen ist.

Nehmen wir einmal an, wir machen kein Gesetz. Es gibt Oppositionsparteien, die gefordert haben, dass die Pensionskassen Negativbescheide ausstellen sollen. Dann schauen wir uns die Negativbescheide einmal zwei, drei Jahre an, und wir laufen bei solchen Verfahren Gefahr, dass eine Instanz ganz oben – und wenn es irgendwann ganz spät ist, der EuGH – uns Jahre später sagt: Na ja, wenn die kollektiv gemeint sind, dann ist das mit der Lösung des Dienstverhältnisses nicht ganz so ernst zu meinen, und dann pickt die Sache!

Was ist die Folge davon, wenn sie pickt? – Dann kriegen wir 7 Prozent. Das sind 150 bis 200 Millionen €, rechne ich jetzt einmal Pi mal Daumen, und das deckt genau gar nichts ab. Daher ist das Gesetz, das eine Gleichheit mit allen anderen im ASVG herstellen soll, der richtige Ansatz. (Bundesrat Jenewein: Warum ändern wir dann nicht das Gesetz? Warum ändern wir nicht den …? Den haben Sie …!) – Lieber Kollege Jenewein, darf ich zu deiner Frage Stellung nehmen? – Dann kommt das Gleiche, was ihr in den anderen Ausschüssen gesagt habt: Das ist verfassungswidrig, weil man ja wieder Anlassgesetzgebung macht!

Es gibt ja mittlerweile Rechtsprofessoren, die für alles zuständig sind und die zu jedem Rechtsgebiet eine profunde Meinung haben und auch gegen Bezahlung nach dem Motto „Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing’“ dann die Meinung vertreten. Aber dann kommt einer und sagt: Das ist auch eine Anlassgesetzgebung!

Ich halte es grundsätzlich für richtig, wenn ein Gesetz die Intention hat, die Gleichheit herzustellen – und das ist mit 22,8 Prozent der Fall. Ich sage auch dazu: Die 728 Millionen €, die da in unser System einfließen, sind nicht gerade eine Kleinigkeit. Wenn man es hochrechnet, kommt man da durchaus in Richtung einer Deckung. Wir können bei einem Pensionssystem wie dem unseren nie sagen, ob das im Endeffekt ein Plus oder ein Minus ist, aber Tatsache ist, dass es da mit Sicherheit keine groben Benachteiligungen oder großen Vorzüge zugunsten der Bank Austria gibt.

Dieses Gesetz ist aus meiner Sicht eine richtige und eine gerechte Lösung. Wir können alle nicht wissen, ob irgendjemand dieses Gesetz bekämpfen wird, was am Ende des Tages herauskommt, aber eines ist sicher: Die Lösung, die da getroffen wird, ist richtig! Es ist auch richtig, wenn Bundesminister Schelling sagt, er möchte keine Lösung, bei


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welcher der Steuerzahler draufzahlt. Und das sieht bei diesem Gesetz im Endeffekt auch nicht so aus.

Kleine Fußnote: Wenn es die AVZ zahlen müsste und dafür haftet, dann pickt es bei der Stadt Wien. Ich kann nicht sagen, ob die Finanzen der Stadt Wien gut oder schlecht sind. Eines ist sicher: Die Summe daraus würde auch wieder beim Steuerzahler picken bleiben. Ob es dann über den Finanzausgleich geht oder aus der Bundeskasse direkt kommt, ist die nächste Frage.

Daher ist diese Argumentation, meiner Meinung nach, auch jetzt eine überschaubar logische. Noch einmal: Wir haben bei diesem Verfahren ohne dieses Gesetz keine Sicherheit, dass wir am Schluss nicht billigst abgespeist werden. Dann ist es wirklich ein Plus für ein Unternehmen, das es in dieser Form nicht verdient.

Zum Zweiten: Das Gesetz stellt die Gleichheit her.

Zum Dritten, und das muss man auch dazusagen: Für diejenigen, die im Betrieb sind – ich glaube, das wirst du (in Richtung Bundesminister Stöger) sicher nachher noch bringen –, gibt es eine Betriebsvereinbarung. Das heißt, so einfach kann sich auch die Bank Austria nicht von ihren Verpflichtungen gegenüber den Bediensteten freikaufen. Da wird es entweder Abschlagszahlungen oder Zuzahlungen geben müssen.

Damit erkenne ich in dieser Situation, meine Damen und Herren, niemanden – weder den Staat noch die Bediensteten –, der benachteiligt ist. Daher ist dies meiner Meinung nach eine runde Lösung, und es ist umso schöner, wenn wir es schaffen, das als Verfassungsgesetz zu beschließen, damit wir nicht der Bank Austria noch irgendein Schlupfloch aufmachen.

Ich glaube, dass es eine gerechte Lösung ist, eine richtige Lösung, und dass all jenen, denen ein Nachteil drohte, kein Nachteil drohen wird. In diesem Sinne verstehe ich die Anfrage in diesem Punkt weniger und kann reinen Herzens dann in drei bis sechs Wochen, je nachdem, wann es hier vorliegt, diesem Gesetz meine Zustimmung ge­ben. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

16.40


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Anderl. – Bitte.

 


16.41.00

Bundesrätin Renate Anderl (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehr­ter Herr Bundesminister! Ich kann mich eigentlich in vielen Worten meinem Vorredner anschließen, auch ich verstehe diese Dringliche Anfrage jetzt nicht mehr.

Ich verstehe sie insofern nicht mehr, denn wir haben das letzte Mal hier darüber dis­kutiert, dass nicht der Steuerzahlen diese 7 Prozent zahlen muss, dass nicht dieje­nigen, die jetzt schon im ASVG sind, mitzahlen müssen.

Dann steht in Ihrem Antrag (Bundesrat Jenewein: Das ist kein „Antrag“!) – in Ihrer Anfrage, das wurde verhindert „durch die öffentliche Debatte und auch durch die Geheimverhandlungen“ – ich weiß zwar nicht, was genau Geheimverhandlungen sind (Bundesrat Jenewein: Wenn das Parlament nicht informiert ist!) „zwischen der Bank und dem Ministerium“. – Ich bedanke mich dafür, dass in der Klammer noch steht: „mit tatkräftiger ‚Unterstützung‘ der Gewerkschaften“. (Bundesrat Jenewein: Das steht unter Apostroph!) Laut Ihrer Anfrage steht hier auch, das Sozialministerium, der Sozial­minister, habe sich dafür eingesetzt, dass es jetzt 22,8 Prozent sind. Es ist natürlich auch unser Anliegen, dass sich ein Unternehmen seiner Verantwortung nicht entziehen kann. Das ist keine Frage.

Ich möchte auch noch ein bisschen näher darauf eingehen – da es auch Kollege Rösch wieder erwähnt hat und ja auch in der Anfrage darauf eingegangen wird –, dass


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es Verfassungsjuristen gäbe, die Bedenken haben. Hier steht wirklich „Bedenken“. Hier steht, dass das „Gesetz höchst problematisch“ sein könnte“. Und daher weise ich wirklich diese Unterstellung zurück, dass der Sozialminister hier bewusst eine Rege­lung fände, die nicht verfassungskonform sei. Ich weise sie insofern zurück, wenn wir (Bundesrat Jenewein: Sie wissen es?! Sind Sie Juristin?!) – Ich bin keine Juristin, aber ich glaube, es gibt ganz, ganz viele Meinungen von Experten und Expertinnen. Wenn wir auf die immer hören würden, dann bräuchten wir keine Gerichte mehr, denn dann würden die Experten das entscheiden. (Bundesrat Jenewein: Dann brauchen wir keine Politiker mehr, dann haben wir nur Experten!)

Ich möchte vielleicht, wenn wir schon lauter Zwischenrufe haben, die Freiheitlichen darauf aufmerksam machen, es gibt einen Experten Öhlinger. Und ich glaube, genau das wurde jetzt gerade vom Kollegen Rösch gesagt, nämlich einen namhaften Wissen­schaftler, der gerade die Freiheitlichen darauf aufmerksam macht, dass es verfas­sungswidrig ist, die Mindestsicherung in Oberösterreich zu kürzen. Er sagt tatsächlich, es ist verfassungswidrig. Ich gehe jetzt davon aus, dass ihr alle auf diesen Experten hört und daher davon abgeht, die Mindestsicherung zu kürzen. – Das wird wahr­schein­lich nicht passieren, das heißt, auch ihr nehmt diese Experten nicht ernst, sondern man schaut sich das selbst an. Und ich glaube, entscheiden muss es tatsächlich dann das Gericht und nicht die Experten und Expertinnen.

Mir als Sozialdemokratin geht es auch um die Beschäftigten. Mit geht es darum, dass sie kranken- und sozialversichert sind. Mir geht es darum, dass die Beschäftigten auch einen Arbeitsplatz haben. Mir geht es darum, dass eine Rechtssicherheit auch für die Beschäftigten gegeben ist. Das ist meines Erachtens mit diesem Gesetz gemacht worden. Und daher begrüße auch ich, dass dieses Gesetz zustande gekommen ist, und bedanke mich bei all jenen, die heute im Sozialausschuss diesem zugestimmt haben. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesräte Mayer und Zwazl.)

16.44


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Stögmüller. – Bitte.

 


16.44.50

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehr­ter Herr Sozialminister! Ich möchte nur ganz kurz darauf eingehen, da auch wir Grünen ja immer wieder vom Herrn Kollegen Jenewein in dieser Sache erwähnt wurden.

In einer Situation, in der die Bank Austria die Republik unter Druck setzt, stärken FPÖ, NEOS und Team Stronach noch das moralische Erpressungspotenzial des Bankkon­zerns. Und ja, das tun Sie! Nichts anderes! Nicht anderes machen Sie. (Bundesrat Jenewein: Willst du mir die OTS von deiner Abgeordneten vorlesen?!) – Natürlich mache ich das.

Und ich frage mich, was ist, wenn das nicht gemacht worden wäre, liebe FPÖ! Was hätten Sie dann gemacht? Würden Sie das gleiche sagen wie Ihre NEOS-Kollegen? (Bundesrat Jenewein: Was werden sie?!) – Na, was werden sie? – Im Bankensektor verlieren – das haben die NEOS gesagt – eh alle ihren Job.

Das darf nicht passieren, wir Grüne sehen das skeptisch. Daher unterstützen wir Grüne den Sozialminister Stöger, da Handeln jetzt dringend notwendig ist. Das tun wir! (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

Nichts zu tun, heißt, dass SteuerzahlerInnen das Sanierungsprogramm der Bank Austria finanzieren und Tausende Menschen ihren Job verlieren. Nichts anderes heißt das. (Bundesrat Jenewein: Wer verliert denn den Job?!) – Warten kann dazu führen. (Bundesrat Jenewein: Sie haben keine Ahnung!) Es würden 3 000 Menschen aus dem


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Versicherungsschutz herausfallen. (Bundesrat Jenewein: Das stimmt doch nicht!) – Nein, es würde so sein. (Bundesrat Jenewein: Es haftet doch die Republik dafür!) –Jedenfalls zahlen immer die MitarbeiterInnen und die Republik Österreich drauf. Daher ist ein dringendes Handeln doch notwendig in diesem Fall. (Bundesrat Jenewein: Ja, vielleicht?!) – (In Richtung Vizepräsident Gödl:) Kann man da einmal etwas sagen, dass es ein bisschen ruhiger sein soll? Herr Jenewein … Entschuldigung! (Bundesrätin Mühlwerth: Das ist ja Unsinn!) – Nein, komm! Vielleicht ist das ja ein Unsinn, was Sie sagen.

Aber ich verstehe den Vorwurf der FPÖ nicht, dass dadurch ein Geschenk an eine Großbank entsteht. Die Regierungsvorlage von Herrn Bundesminister Stöger bedeutet, dass die Kosten der Bank Austria für die zukünftigen Pensionen ihrer MitarbeiterInnen erheblich erhöht werden, nämlich von 7 auf 22,8 Prozent. Schade, dass die anderen Oppositionsparteien das Spiel der Bank-Austria-Führung mitspielen. Hier im Bundesrat sind ja nur zwei vertreten. Das sind die FPÖ und das Team Stronach, das gerade nicht da ist. Diese parteipolitischen Spiele würden 12 000 Beschäftigte der Bank Austria und die SteuerzahlerInnen bezahlen.

Eine Bitte hätte ich dann dennoch, Herr Stöger: Wir Grüne würden uns noch eine Änderung des § 311 Abs. 5 wünschen. Würde das noch in Erfüllung gehen, wären wir sehr froh. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und SPÖ sowie des Bundesrates Mayer.)

16.47


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Meine Damen und Herren, ich darf schon um eine gewisse Ordnung und Disziplin hier im Hause bitten. Der Debattenredner ist am Wort. Es gehört natürlich dazu, dass es Zwischenrufe gibt, aber bitte in der gebotenen Kürze und in der gebotenen Ordnung.

Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Pfister. – Bitte.

 


16.47.56

Bundesrat Rene Pfister (SPÖ, Niederösterreich): Werter Herr Präsident! Sehr geehr­ter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde natürlich auch sehr brav sein, so wie Sie das jetzt schon angekündigt haben.

Unser Sozialminister, Bundesminister Stöger, hat klar gesagt, dass 22,8 Prozent der Bemessungsgrundlage zu bezahlen sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben bei der letzten Bundesratssitzung doch sehr, sehr heftig darüber diskutiert, und es ist heute ein Gesetz auf den Weg gebracht worden, das solche Übertritte ein für alle Mal klar regeln soll. Wir begrüßen es auch, dass es hier eine klare Regelung gibt. Und hier Kolleginnen und Kollegen zu unterstellen, dass sie wissentlich einen Verfassungsbruch begehen oder vorhaben, wenn sie heute im Sozialausschuss des Nationalrates ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das sehe ich nicht als sehr demokratisch an. Den Kolleginnen und Kollegen des Nationalrats ausrichten zu lassen, dass sie hier wis­sentlich einen Gesetzesbruch betreiben, finde ich nicht in Ordnung.

Vorstände von Managements oder das Management in den verschiedensten Unter­nehmen haben ihre Verpflichtungen genauso wie Belegschaftsvertreter ihre Verpflich­tungen haben, genauso wie Geschäftsführer in Firmen ihre Verpflichtungen haben. Auch hier, Klagen hin oder her, das alles gibt es nicht erst seit gestern oder seit heute, sondern das passiert ja schon. Und das ist ein sehr, sehr großer Zweig, wie der Kollege Fürlinger schon ausgeführt hat.

Recht haben und Recht bekommen sind – das habe ich schon in der Schule gelernt –immer zwei Paar Schuhe. Ich sehe hier aber ein richtiges Gesetz, das die Arbeit­neh­merinnen und Arbeitnehmer davor schützt, dass sie nicht in die Versicherungslosigkeit, in die Schutzlosigkeit oder in die Versicherungsfreiheit abrutschen. Und diese Verant-


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wortung muss auch ganz klar sein, liebe Kolleginnen und Kollegen: Kein Management in Österreich kann sich seinen Mitarbeitern gegenüber aus der Verantwortung stehlen, so dass diese einfach auf der Strecke bleiben.

Lieber Herr Bundesminister, wir kennen dich als akribischen und genauen Arbeiter, der hier nicht nur mit vollster Unterstützung des Bundesrates, sondern auch des Sozialaus­schusses im Nationalrat an einer hervorragenden Lösung dieses Problems gearbeitet hat, in Windeseile sehr genau und sehr klar ein Gesetz auf den Weg gebracht hat, dass die Sicherheit für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ermöglicht und auch den Schutz davor, dass andere Unternehmungen einfach ein Schlupfloch finden. Das ist ein Gesetz, das in die richtige Richtung geht, das auch die Sicherheit für die Mitar­beiterinnen und Mitarbeiter in den verschiedenen Unternehmungen betrifft, die viel­leicht Gewinne einfach privatisieren und die Verluste dann sozialisieren wollen.

Lieber Herr Bundesminister, du hast die vollste Unterstützung des Bundesrates dabei, weiterhin so zu arbeiten und unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Öster­reich zu schützen. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

16.51


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Mühlwerth. Ich erteile es dir.

 


16.51.32

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren vielleicht noch zu Hause an den Bildschirmen! Also erstens einmal, Herr Kol­lege Pfister, nicht übertreiben, es gibt nicht die Zustimmung des gesamten Bundes­rates. Ganz sicherlich nicht. Die Freiheitlichen werden das sicher nicht unterstützen.

Zum Zweiten, ich verstehe Sie ja überhaupt nicht, auch nicht die Grünen, außer dass die Grünen offensichtlich so ein bisschen liebdienen. Ihr wollt immer gestreichelt werden, damit alle sagen, Ihr seid eh so gescheit und so nett, denn man könnte ja in eine Regierungsbeteiligung gehen wollen. (Zwischenrufe.) Daher stellt man sich mit möglichst allen gut. Sie haben es ja schon versucht, ein bisschen Probesitzen bei der SPÖ kann nicht schaden. Haben wir vorhin ja schon gesehen.

Ich verstehe nicht, dass Sie das gutheißen und auch nicht verstehen wollen, worum es eigentlich geht: Die UniCredit macht ein Wunschkonzert. Die UniCredit will ihre Bilan­zen auffetten, beschließt einfach, 3 300 oder 3 200 Mitarbeiter – da können wir jetzt ja über die Zahlen auch noch diskutieren – ins ASVG überzuleiten, unter Zuhilfenahme eines Paragraphen, der dafür in der Form überhaupt nicht gedacht war. Und Sie sagen: Na ja, das ist eigentlich eh nicht schlecht!, und die Republik hüpft und verhan­delt mit denen und sagt: Aber natürlich machen wir das!, vielleicht sagen wir auch noch, ob es ein bisschen mehr sein darf. – Ja bitte, wo sind wir denn? Das nennt man normalerweise Erpressung! Und da sind Sie die Ersten, die sonst sagen: Nein, da machen wir nicht mit! Aber in diesem Fall machen Sie interessanterweise schon gerne mit und sind wie immer die Steigbügelhalter, wenn es darum geht, der SPÖ in irgendeiner Form zu helfen.

Denn es ist auch nicht so, wie Sie gesagt haben, Herr Kollege Stögmüller, es ist nicht so, dass die nicht versichert sind. Die AVZ haftet dafür, und für die AVZ hat die Gemeinde Wien die Ausfallshaftung übernommen. Da kann überhaupt nichts pas­sieren. Letzten Endes – und der Kollege Jenewein hat ja versucht, das vor allem Ihnen auch nahezubringen, aber es ist halt schwierig, das zu verstehen – ist es so, dass sich mit dieser Hilfe die Gemeinde Wien entschulden will, und zwar um diese 1,8 Milliar-


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den €, von denen mein Kollege gesprochen hat. Ich verstehe nicht, dass Sie jetzt sagen: Das ist aber eh gut, wenn wir so ein Gesetz machen!

Dann möchte ich Ihnen noch eines mitgeben: Sämtliche Bedenken werden ja beiseite­gewischt. Der Verfassungsjurist Theo Öhlinger, der das gesagt hat, ist kein der FPÖ nahestehender Professor. Er wird ja von Ihnen ansonsten ganz gerne zitiert, aber jetzt passt es halt gerade nicht, also ist er halt offensichtlich auf der falschen politischen Seite. Der bezweifelt im ORF-Morgenjournal am 7. März die Rechtmäßigkeit dieses Gesetzes, zum einen im Hinblick auf die offensichtliche rückwirkende Dimension die­ses Vorschlages und zum anderen, da möglicherweise eine unsachliche Differen­zierung gegenüber anderen Rechtsträgern besteht und all das im Lichte des Gleich­heitsgrundsatzes fragwürdig wäre.

Was heißt das jetzt im Klartext? – Öllinger glaubt nicht, dass diese 22,8 Prozent, die Sie jetzt so forcieren und von denen Sie sagen: Nein, das machen wir schon!, halten werden. Und dann sind wir wieder bei den 7 Prozent angelangt. Und ins gleiche Horn stößt übrigens der Arbeitsrechtler Marhold, der die gleichen Befürchtungen hat. (Bun­desrat Mayer: Und was tun wir dann?!)

Ja, was machen Sie denn dann, wenn wir wieder bei 7 Prozent sind? Warum müssen wir uns denn überhaupt auf diesen Deal einlassen? Nur weil die UniCredit ein Wunschkonzert spielt und sagt: Dann kündigen wir die halt!, was ja sowieso nicht geht, da sie definitiv gestellt sind und ja, wie wir wissen, im Rücken die Gemeinde Wien haben.

Also, wozu machen Sie eine Anlassgesetzgebung ohne Not und ohne Grund? Das verstehen wir nicht. Und da wir das letzte Mal von Ihnen überhaupt keine Antwort bekommen haben, haben wir wenigstens heute doch bemühte Antworten bekommen, und daher war auch diese zweite Dringliche Anfrage notwendig. Es geht hier um das Geld der Steuerzahler. Das ist nicht etwas, was Sie aus der Privatschatulle Ihres Ministeriums zahlen.

Herr Minister, da frage ich Sie am Ende doch noch: Können Sie garantieren, dass dann für den Steuerzahler kein Schaden entsteht? Können Sie heute hier und jetzt sagen: Ich garantiere, dass kein Schaden für den Steuerzahler besteht!, und können Sie sich dann auch daran halten? Das ist nämlich wirklich ein wichtiger Aspekt. Und über diesen einfach so drüberzugehen und zu sagen: Na ja, das machen wir schon irgend­wie, wir haben das eh besprochen!, ist etwas, wo ich mich hier frage, wozu Sie das überhaupt besprochen haben.

Das, Herr Bundesminister, würden wir gerne wissen, und das würde vor allem der Steuerzahler gerne wissen! (Beifall bei der FPÖ.)

16.56


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als vorläufig letzter Redner dazu hat sich Herr Bundesminister Stöger zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


16.57.02

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da ich so konkret gefragt worden bin: Wenn wir nichts tun, dann ist es ganz sicher, dass man entweder 7 Prozent bezahlt und das ein riesiges Geschäft für die Bank Austria wird. (Bundesrat Jenewein: Warum?! Es geht ja nur um die Änderungs­kündi­gun­gen!) – Ich habe klar gesagt, ich möchte gesetzliche Regelungen haben, dass dieser Weg nicht zugelassen wird. Die Organe der Bank können nach wie vor entscheiden, beim Alten zu verbleiben – auch das ist möglich –; wenn aber der Druck auf die Arbeit-


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nehmer und die Situation im Unternehmen so ist, dass es zu einem Wechsel kommt, dann gibt es eine Regelung, die vorsieht, dass 22,8 Prozent gezahlt werden.

Ich kann Ihnen versichern, dass das Ziel – und ich bedanke mich auch bei allen, die das so gesehen haben – die Gleichbehandlung aller Beitragszahlerinnen und Beitrags­zahler ist. Ich möchte, dass die Bank Austria so gestellt wird, als hätte sie immer in den ASVG-Topf eingezahlt. Mit dieser gesetzlichen Regelung wird das möglich sein, und damit wird sie gleichbehandelt. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Ich bin kein Verfassungsjurist – ich sage das auch deutlich –, ich habe hohen Respekt vor der österreichischen Verfassung und halte es auch für sehr wichtig, dass alle ein Recht haben, Verfassungsgerichte in Anspruch zu nehmen. Ich sage aber, dass Gleichbehandlung eines der großen Güter in dieser Republik ist, und wir haben einen Beitrag zu mehr Gleichbehandlung geschaffen. Daher bitte ich Sie, wenn es so weit ist, um Zustimmung für dieses Gesetz. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

16.58


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Es liegt nun doch eine weitere Wortmeldung vor. Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Novak. – Bitte.

 


16.59.02

Bundesrat Günther Novak (SPÖ, Kärnten): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Mühlwerth, wir von der SPÖ brauchen Sie nicht als Steigbügelhalter. (Bundesrätin Mühlwerth: Das machen wir eh nicht!) Das sollten wir einmal grundsätzlich feststellen.

Ich glaube, Herr Bundesminister Stöger hat heute sehr klar und deutlich festgestellt, dass er im Interesse der Beitragszahler handelt. Er hat gerade wieder gesagt, dass die Gleichbehandlung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Vordergrund steht und dass es ihm vor allem auch darum geht, im Zuge seiner Möglichkeiten und im Zuge dieses Gesetzes zu verhindern, dass die Bank Austria so agiert, wie sie sich das jetzt vorstellt.

Herr Kollege Jenewein, Sie sagen, Sie haben vier Wochen nichts gehört. Man muss eben auch einem Bundesminister zugestehen, dass er darüber nachdenkt, wie man das Problem löst. So wie das heute mehrfach und auch von Juristen ausgeführt worden ist, denke ich, dass das in die richtige Richtung geht.

Wissen Sie – und ich bin eigentlich deswegen herausgekommen, um diesen einen Satz hier an diesem Tag anzubringen –, ich hätte mir von Ihnen als Freiheitliche Partei gewünscht, uns in Kärnten, was das Hypo-Problem anbelangt, in der Intensität, wie sie Herr Jenewein vor diesem Mikrofon immer wieder an den Tag legt, zu unterstützen. Das steht ihm natürlich zu – keine Frage –, er ist in der Opposition. Da sind wir aber von euch alleingelassen worden. Ihr habt in Kärnten einen Flächenbrand verursacht und bis zum heutigen Tag versucht, das mit Benzin zu löschen. Das war euer Beitrag dazu. (Bundesrätin Mühlwerth: Und was ist mit dem Untersuchungsausschuss?)

Wir werden morgen um 17 Uhr wissen, ob dieses Angebot angenommen werden wird. Das wissen wir morgen. Es wird für Kärnten schwierig genug werden, diese 1,2 Milliar­den € für die HETA-Gläubiger aufzubringen, um das mit dem Finanzminister und dem Bund in diese Richtung zu lösen. Wenn das morgen nicht angenommen wird, wenn wir in weiterer Folge zehn Jahre Prozesse führen, dann sind Sie mit schuld an dieser Situation. Das ist ganz klar! (Beifall bei der SPÖ, bei Bundesräten der ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller. – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)


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Über diese Causa könnte man stundenlang reden. Lassen Sie mich aber noch einen letzten Satz sagen! Die Hypo wurde der BayernLB verkauft. Die Haftungen habt ihr bei Kärnten zurückgelassen. Es ist ja relativ klar, warum: Weil man 150 Millionen € Spiel­geld gehabt hat, um damit in Kärnten Brot und Spiele zu veranstalten und durch­zuführen, so wie das gemacht worden ist. (Bundesrätin Mühlwerth: Da wart ihr dabei!) Ich denke da an einen Satz – dann höre ich auf und werde von hier weggehen –, den Landeshauptmann Haider am 24. Mai 2007 gesagt hat: „Es gibt keine Investmentbank, die uns nicht schon gratuliert hat. Der Neid der Besitzlosen soll unsere Freude nicht trüben.“

Die nachfolgenden Generationen und Kinder im Lande Kärnten werden sich noch an diesen Superdeal erinnern. – Morgen sind wir so weit! (Beifall bei der SPÖ, bei Bundesräten der ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller.)

17.03


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Es liegt nun noch eine weitere Wortmeldung vor, und zwar jene von Herrn Bundesrat Jenewein. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


17.03.23

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein (FPÖ, Wien): Jetzt fühle ich mich einmal so wie der Kollege von der ÖVP und gehe ohne Redeunterlage heraus, aber die brauche ich dafür auch nicht. Wenn Sie jetzt glauben, Herr Kollege, da die Hypo Alpe-Adria ins Spiel bringen zu können, dann können wir das gerne machen. Darf ich Sie an das Jahr 2005 erinnern? – Ich glaube, Herr Ambrozy wird Ihnen noch etwas sagen; Sie schauen ihm sogar ein bisschen ähnlich. Herr Ambrozy war damals Landeshauptmann-Stellvertreter und hat im Jahr 2005 eine Wandelanleihe mit der damaligen Haider-Regierung be­schlossen. (Zwischenruf des Bundesrates Novak.) – Hören Sie zu, dann regen Sie sich auf!

Diese Wandelanleihe war mit 500 Millionen € dotiert. Herr Ambrozy sagte im Juni dazu, dass 10 000 neue Arbeitsplätze das Ziel sind und Kärnten gut auf dem Weg ist. Das sagt Ihr Landeshauptmann-Stellvertreter Ambrozy. Das war die Wandelanleihe, die dann zufällig knapp eine Woche, bevor es zu einer Notverstaatlichung ohne Not ge­kom­men ist, fällig gestellt worden ist. Das war auch Ihr Mitarbeiter, Ihr Landeshaupt­mann-Stellvertreter Ambrozy. Erzählen Sie nicht einen solchen Holler, wenn Sie da herauskommen, sondern halten Sie sich an die Fakten! (Beifall bei der FPÖ. – Zwi­schenrufe bei der SPÖ.)

Diese Wandelanleihe, die Pre-IPO, war selbstverständlich nichts anderes als der Versuch, für Kärnten Fresh Money zu generieren. Das sind jene 500 Millionen €, die dann im Zukunftsfonds gelandet sind.

Und weil wir gerade dabei sind, und die ÖVP so tut, als wüsste sie davon nichts: Wer war der Lead Manager? Wer hat das Lead Management für diese Wandelanleihe innegehabt? – Das war Vienna Capital Partners, und der damalige Geschäftsführer war ein gewisser Ernst Strasser. Der dürfte euch auch nicht ganz unbekannt sein.

Zeigen wir also nicht mit dem Finger auf irgendjemanden (Zwischenruf des Bun­des­rates Novak), und vor allem, wenn Sie mit dem Finger auf mich zeigen, dann müssen Sie auch das Echo vertragen, Herr Kollege! Und das Echo werden Sie spätestens bei der nächsten Landtagswahl in Kärnten zu vertragen haben, denn dann wird abge­rechnet. Und dann werden wir einmal schauen, was vom Herrn Kaiser überbleibt. Dann werden wir schauen, was von eurem Versagen überbleibt, da ihr Kärnten jetzt ganz zupflastert, und wo in Kärnten alles steht. In Kärnten lichten sich mittlerweile die Nebel, und man sieht ganz klar, wer denn da in diesem Land eigentlich genug Dreck am


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 141

Stecken hat. Das werden wir uns dann anschauen! (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Novak: 4 Milliarden € plus 1,2 Milliarden €!)

17.05

17.05.10*****

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Bevor ich das Wort der nächsten Rednerin erteile, darf ich darum bitten, die Debatte mit dem gebotenen Anstand abzuhalten, und darf vor allem auch das Wort „Holler“, das Herr Bundesrat Jenewein in den Mund genommen hat, in dem Ausmaß kritisieren, dass ich hiemit einen Ordnungsruf erteile. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

Ich darf trotz dieser spannenden Thematik bitten, die Würde des Hauses zu wahren, indem wir hier ordentlich debattieren und auch die richtigen Worte finden. (Unruhe im Sitzungssaal.)

*****

Wenn es im Saal wieder ruhig wird, erteile ich Frau Bundesrätin Blatnik das Wort. – Bitte.

 


17.06.45

Bundesrätin Ana Blatnik (SPÖ, Kärnten): Herr Präsident! Herr Minister! Gospod minister! Frau Ministerin! Gospa ministrica! Liebe Kolleginnen und Kollegen, Drage kolegice in kolegi! Es fällt mir sehr schwer, weil es mich trifft, weil ich betroffen bin, weil mir Kärnten nicht wurscht ist. Ihr polarisiert mit Kärnten, und das hat Kärnten nicht verdient – überhaupt nicht.

Es geht jetzt nicht darum, wer schuld ist und wer nicht schuld ist. Ihr seid mit schuld! Wir haben leider vertraut, und wir haben – und das habe ich immer wieder gesagt – damals, als es um die Haftungen gegangen ist, mitgestimmt, weil wir vertraut haben. Wir haben da leider einen Fehler gemacht – auch das möchte ich hier sagen! (Bun­desrat Herbert: Eine gute Einsicht!)

Ihr seid aber diejenigen, die mit das Feuer gelegt haben, und jetzt seid ihr diejenigen, die zumindest noch Öl ins Feuer gießen, damit es richtig entflammt. Kärnten hat das nicht verdient! (Bundesrat Herbert: Kärnten hat die SPÖ nicht verdient!) Kärnten braucht eine Lösung für die Kärntnerinnen und Kärntner; und das lasse ich einfach nicht zu! (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Lieber Werner Herbert, mir ist nicht zum Lachen zumute. (Bundesrat Herbert: Mir auch nicht!) Du lächelst. Vielleicht ist es irgendwie eine andere Wahrnehmung, aber du hast jetzt gelächelt. Ich muss euch sagen, die Situation bei uns daheim ist eine sehr, sehr schwierige, und ich muss euch ehrlich Folgendes sagen: Die Kärntnerinnen und Kärntner haben diese Situation nicht verdient, die ihr mitverursacht habt!  Danke. Hvala. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

17.08


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen hiezu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Dem ist nicht so. Damit ist diese Debatte ge­schlos­sen.

Danke, Herr Minister, für Ihr Kommen.


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 142

17.09.158. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 24. Februar 2016 betreffend ein Bundesgesetz über den Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR-Gesetz) (999 d.B. und 1007 d.B. sowie 9537/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen zum 8. Punkt der Tagesordnung.

Ich darf dazu auch unsere Bildungsministerin, Frau Heinisch-Hosek, hier im Plenum herzlich begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)

Berichterstatter zu diesem Punkt ist Herr Bundesrat Pfister. Ich bitte um den Bericht.

 


17.09.46

Berichterstatter Rene Pfister: Werter Herr Präsident! Liebe Frau Bundesministerin! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Unterricht, Kunst und Kultur über den Beschluss des Nationalrates vom 24. Februar 2016 betreffend ein Bundesgesetz über den Nationalen Qualifikationsrahmen, kurz NQR-Gesetz.

Der gegenständliche Beschluss des Nationalrates zielt auf eine verbesserte Koordi­nation der segmentierten nationalen Qualifikationslandschaft ab. Unter gleichbleiben­der Zuständigkeit der einzelnen Ressorts wird mit dem NQR ein gemeinsames nationales Referenzsystem geschaffen, das Synergien und Durchlässigkeit erleichtern kann.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor.

Der Ausschuss für Unterricht, Kunst und Kultur stellt nach Beratung der Vorlage am 8. März 2016 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Samt. – Bitte.

 


17.10.45

Bundesrat Peter Samt (FPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Frau Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseher vor den Fernsehgeräten und dem Live­stream! Da ich der Erstredner zu diesem Thema bin, darf ich es vielleicht kurz erklären: Was ist das NQR-Gesetz, der Nationale Qualifikationsrahmen? – Das kann an sich eine sehr sinnvolle Angelegenheit sein. Es geht darum, die schulische Bildung, die Universitätsausbildung beziehungsweise die berufliche Qualifikation im EU-Raum zu standardisieren und vergleichbar zu machen.

Dafür hat man eine Einteilung in acht Bewertungsklassen vorgenommen, also von eins bis acht. Da geht es um die Zuordnung des persönlichen Wissens, der Kenntnisse, die man in seiner Ausbildung – in der schulischen, aber auch in der beruflichen Aus­bil­dung – erworben hat. Das ist also, wie ich schon gesagt habe, im Grund genommen eine sehr sinnvolle Sache, allerdings derzeit ohne faktische Auswirkung. Es geht um keine Zugangsberechtigung zu einem Studium oder Ähnliches; es ist vor allem, so kann man es sehen, eine Imageaufwertung der einzelnen Berufsstände beziehungs­weise auch eine Feststellung des persönlichen Bildungsstands.

Übrigens gibt es dieses Projekt auch auf EU-Ebene, dort heißt es dann EQR, dort ist es allerdings, und das haben wir auch im Ausschuss gehört, immer noch mehr oder weniger in der Entwicklungsphase. Das heißt, es ist zurzeit nicht absehbar, wann dieser Nationale Qualifikationsrahmen auf europäischer Ebene in einen Europäischen Qualifikationsrahmen einfließen wird.


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Bleiben wir jedoch bei der österreichischen Ebene: Start dieses Projektes war 2008. Jetzt haben wir 2016. Wenn also Geschwindigkeit ein Indiz für die Professionalität der Bundesregierung, insbesondere des Bildungsministeriums, ist, dann gibt es da keine guten Noten.

So, wie es dargestellt worden ist, ist es ein relativ einfaches Ding, das offensichtlich schon sehr lange verschleppt wurde, und das ist tatsächlich, so kann man sagen, eine reife Leistung. Was dazukommt, ist, dass es auch mit massiver Bürokratie in Verbin­dung stehen wird. Wir haben dafür die NQR-Koordinierungsstelle, das sind drei neue Planstellen, die geschaffen worden sind.

Dann gibt es den NQR-Beirat. Das sind sieben Fachexperten, 50 Prozent Frauen­quote. Ich hoffe, es sind dann vier, Frau Minister! Dann gibt es noch die NQR-Steue­rungs­gruppe – und da ist jetzt wirklich Österreich am Zug, da jubelt der Amtsschimmel wirklich, kann man sagen –; diese Steuerungsgruppe, die aus allem besteht, was in diesem Land Rang und Namen hat, ist 30 Personen stark. Die Sozialpartner, die Kam­mern, das AMS, alle Ressorts und auch die Bundesjugendvertretung sind da da­bei, wie wir im Ausschuss gehört haben. Diese Steuerungsgruppe entscheidet dann mit einer Zweidrittelmehrheit über die Anträge. Die Kosten, auch das haben wir in Erfahrung gebracht, liegen bei 190 000 € im Jahr für zirka – und das ist die Annahme – 100 Anträge.

Unsere Kritik richtet sich aber auch gegen die Basisqualifikationen und die Einteilungen ab der Stufe sechs, in der ja derzeit der Bachelor, der Master, der ehemalige Magister, und der PhD, also der akademische Doktor, angesiedelt sind, und zwar fix angesiedelt sind. Ich kann zwar verstehen, dass ein Werkmeister, das ist eine klassische öster­reichi­sche Berufsausbildung, ein Berufswegs- und ein Ausbildungsziel, dort nicht enthalten sein kann, aber, meine Damen und Herren, dass der HTL-Ingenieur, eine wirklich weit über die österreichischen Grenzen hinaus bekannte, geschätzte und am Arbeitsmarkt auch sehr begehrte Ausbildung, die vom Beginn der schulischen Aus­bildung an berufsbildend ist und nach Erlangung der dreijährigen Qualifikation im Berufsleben eben mit der Verleihung des Ingenieurpatents endet, oder eigentlich dort erst beginnt, nicht grundsätzlich in der Stufe sechs verankert ist, das finden wir nicht korrekt.

Dazu gibt es auch einen Antrag der FPÖ aus dem Jahre 2012, der übrigens von unse­rem Dritten Nationalratspräsidenten Ing. Norbert Hofer, also unserem Präsident­schafts­kandidaten, eingebracht wurde. Und er wird Präsident! (Beifall bei der FPÖ. – Bundes­rätin Zwazl: Er ist es ja jetzt schon!) – Ja, aber dann wird er noch Bundespräsident! Irgendetwas wird er dann wohl aufgeben müssen, glaube ich. Das wird die Intention sein.

Trotzdem, um beim Thema zu bleiben: Wir glauben also, dass es wirklich schade ist, dass dieser HTL-Ingenieur nicht per se der Stufe sechs zugeteilt wurde, und ich halte das auch persönlich für ein bedenkliches Zeichen der mangelnden Wertschätzung dieses Ausbildungsziels.

Daher gibt es von unserer Seite keine Zustimmung zu diesem Gesetz. Unsere Schul­noten: 4 bis 5, Frau Bundesminister. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FPÖ.)

17.16


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Grimling. – Bitte.

 



BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 144

17.16.49

Bundesrätin Elisabeth Grimling (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Herr Kollege, ich wundere mich nur, warum wieder die HTL-Frage angesprochen wird. Ich war auch im Ausschuss, und eigentlich ist dort gesagt worden, dass man sich das noch ganz genau anschauen wird, wo die eingereiht werden. Also ich weiß nicht, vielleicht bin ich woanders gesessen – aber okay.

Ich möchte auch auf den NQR eingehen und Folgendes sagen: In den bereits sieben Jahre andauernden Bemühungen um eine umfassende Reform der Bildungsbereiche mit Blick auf die europäische Einordnung von österreichischen Bildungszugängen ist mit der Beschlussfassung des Nationalen Qualifikationsrahmens, Kurzbezeichnung NQR, ein wesentlicher Schritt gelungen. Damit werden Bildungsabschlüsse im schuli­schen, außerschulischen und tertiären Bereich durch Einordnung in ein Register euro­paweit vergleichbar.

Hierbei wird auch die berufliche Praxis in völlig neuer Form einbezogen. Analog zu den akademischen Abschlüssen werden berufsbezogene Abschlüsse bewertet. Somit hat dieses Gesetz für die österreichische Berufsbildung eine große Bedeutung, aber auch die vielfältigen Angebote der Erwachsenenbildung lassen sich nun besser einordnen und damit vergleichen.

Vom Pflichtschulabschluss bis zum Doktorat werden die erworbenen Qualifikationen in acht Stufen bewertet. Anlass war eine EU-Empfehlung zur Einrichtung des Euro­päischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen 2008/2009, was wir ja schon gehört haben, die die Schaffung eines nationalen Registers für österreichische Bil­dungs­abschlüsse anregt. Wie in vielen anderen europäischen Staaten wird es auch in Österreich acht Niveaus geben, die in die Bereiche Kenntnisse, Fertigkeiten und Kom­petenzen gegliedert sind.

Sie dienen als gemeinsame europäische Basis für die Zuordnung. Dadurch wird das Bildungswesen übernational transparent, und man fördert somit die Prinzipien und Methoden der gegenseitigen Anerkennung. Die Zuordnung der Qualifikation zu einem Qualifikationsniveau erfolgt durch eine Koordinierungsstelle, erforderlichenfalls auch unter Einholung von Expertisen sachverständiger Personen sowie einer Stellungnahme eines einzurichtenden Beirats.

Ein Nebeneffekt ist die damit verbundene Weiterentwicklung der Lernergebnisorien­tierung, das sind Wissen und Fertigkeiten, Fähigkeiten – Englisch: Skills – und soziale Kompetenz. Ort, Dauer und Art der Ausbildung rücken in den Hintergrund. Wichtig ist das Ergebnis des Lernprozesses und damit der Nutzen für die betreffenden Bildungs­werberInnen. Es handelt sich also bei dem vorliegenden Gesetzentwurf um eine sinn­volle Neuregelung im Interesse jener Maßnahmen, die die anstehende große Bildungs­reform wirkungsvoll unterstützen sollen.

Um die Worte der Frau Bundesministerin zu unterstreichen: Es ist mit der Beschluss­fas­sung des NQR ein Meilenstein gelungen. Meine Fraktion wird daher dem vorliegen­den Gesetzentwurf ihre Zustimmung geben. – Danke. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

17.20


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Stögmüller zu Wort. – Bitte.

 


17.21.07

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach der Aufregung


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 145

bei den letzten vier Tagesordnungspunkten möchte ich, bevor ich zum NQR-Gesetz komme, ganz kurz von meinem Wochenende erzählen.

Ich war gemeinsam mit den grünen BildungssprecherInnen und KollegInnen aus ganz Österreich – vom Nationalrat angefangen bis zu den Landtagsabgeordneten, manche mit Regierungsverantwortung, manche ohne – in Südtirol auf Fact Finding Mission.

Wie Sie vielleicht wissen, Frau Bildungsministerin, wird dort bereits seit Jahren gemein­same Schule gelebt. Wir fanden dort neue Lernformen, individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler, effiziente Raumnutzung in den Schulen sowie gelebte Inklusion. Es war richtig ergreifend, zu sehen, wie weit fortgeschritten unsere Nachbarn diese Art der gemeinsamen Schule schon leben.

Ich würde mir das so gerne auch in Österreich wünschen. Aber was ist bei uns? – Die werten BundesrätInnen aus Vorarlberg werden das ja wissen, dass es da ein Abkommen aller Parteien zwischen der ÖVP, der SPÖ, den Grünen und ja, sogar der FPÖ gibt. Die hat das unterschrieben und prägt das mit. Sie prägen mit, dass Vorarlberg eine Modellregion für eine gemeinsame Schule werden soll. Nur hapert es an der kolportierten 15-Prozent-Grenze. Ich kann nur hoffen – und appelliere auch hier wieder –, dass die Unterstützung des Vizekanzlers Mitterlehner da auch greift und dass wir wirklich bald eine Modellregion für ganz Österreich zusammenbringen.

Jetzt komme ich aber zum gegenständlichen Thema, dem Nationalen Qualifikations­rahmen: Ich finde, grundsätzlich war er schon sehr überfällig. Wir, die Grünen im Bun­desrat, begrüßen es, dass dieser Schritt endlich umgesetzt wird, weil dadurch die ver­schiedenen Ausbildungsniveaus, wie zum Beispiel Lehre, Meister, Matura, Bachelor, Master – die wurden schon angeführt –, endlich europaweit vergleichbar werden.

Neben den formalen Qualifikationen werden auch nichtformale Qualifikationen, zum Beispiel durch institutionelle Weiterbildung erworbene Qualifikationen, berücksichtigt. Das halten wir auch für sehr gut und begrüßenswert. Was wir aber bemängeln, und das wissen Sie ja schon, ist die Organisationsstruktur, die hinter diesem Gesetz steckt. Ich möchte das ganz kurz ausführen.

Das beginnt mit einer Koordinierungsstelle, geht hin zu einem NQR-Beirat mit einem ExpertInnengremium und schlussendlich zu einer Steuerungsgruppe. In dieser Steue­rungsgruppe sitzen dann 28 MitarbeiterInnen, und davon sind wieder 84 Prozent der MitgliederInnen vom Bund, aus bundesnahen Einrichtungen und von den Ländern. (Ruf bei der ÖVP: Innen oder außen?! – Heiterkeit bei der ÖVP.) Erklären Sie mir also bitte, Frau Bildungsministerin, warum diese Aufgaben nicht gleich von der Bundes­behörde übernommen werden sollen!

Ich halte das Ganze für ein Gesetz, das nur einen informativen Charakter hat: sehr aufgebläht und kostenintensiv. Auch die Kosten für die Validierung von Ausbildungen am großen profitorientierten Weiterbildungsmarkt sind nicht geklärt und für mich nach wie vor nicht klar nachvollziehbar.

Daher können wir trotz der positiven Richtung, in die dieses Gesetz geht, heute im Bundesrat unsere Zustimmung nicht geben. Wir wünschen uns da ein wesentlich schlankeres und transparenteres System. Das würden wir uns wirklich wünschen. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 146

17.24


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Zwazl. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


17.24.48

Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Frau Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ja, ich stimme mit euch überein, lange hat es gedauert; aber wir von der Wirtschaft sind froh, dass es jetzt so weit ist.

Ich bedaure sehr, denn: Als David zu reden begonnen hat, habe ich mir gedacht, er hat heute so einen Fluss, dass er über seinen Schatten springt, und habe gehofft, dass ihr über euren Schatten springt und sagt, ja, wir haben das jetzt. Dass es ein bisschen bürokratisch ist, wollen wir ja nicht abstreiten. Es war ja die ganze Entwicklung auch nicht leicht, denn da gibt es ja so viele Befindlichkeiten. Und endlich einmal ist es so zustande gekommen, und da wäre es doch wirklich schön, wenn wir alle uns dazu entschließen könnten, dem die Zustimmung zu geben.

Für uns von der Wirtschaft ist es ganz wichtig, denn das Ziel von den NQR ist es ja, ein umfassendes Bild der österreichischen Qualifikationslandschaft zu zeichnen, und es geht um die Transparenz und Vergleichbarkeit im internationalen und im nationalen Kontext. Gerade wir in Österreich haben drei große Besonderheiten innerhalb der europäischen Länder.

Wir haben etwas, worauf wir irrsinnig stolz sind, nämlich unsere duale Ausbildung. Wir haben da weltweit die höchste Anerkennung. Und wir wissen alle, das ist gerade der Garant dafür, dass wir eine vergleichsweise geringe Jugendarbeitslosigkeit haben. Auf die duale Ausbildung als fachliche Krönung setzt ja der Meister beziehungsweise der Werkmeister.

Wir haben ständig ausländische Delegationen da, die fragen und die das System auch übernehmen wollen. Und wir von der Wirtschaft sind sehr begeistert und stehen voll und ganz dazu, nämlich zu dieser einzigartigen Verknüpfung von theoretischer und praktischer Ausbildung, die wir da haben.

Wir sind sehr stolz auf unsere Jugend, die diese Ausbildung macht, und wir sind auch Vorzeiger. Drei Mal hintereinander ist unsere Jugend Europameister geworden in der dualen Ausbildung, das muss uns einmal einer nachmachen. Beim letzten Mal haben wir Österreicher beziehungsweise unsere Jugendlichen doppelt so viele Goldmedaillen als Europameister bekommen wie die anderen auf dem zweiten und dritten Platz. Und auch bei den WorldSkills.

Dann haben wir noch ein Zweites: Die berufsbildenden mittleren und höheren Schulen sind in einer Dimension, wie wir sie haben, auch eine österreichische Besonderheit. Es zeigt sich immer wieder, dass wir eine andere Ausbildung haben. Wir bilden nahe an der Wirtschaft aus.

Es ist ja heute schon die HTL angesprochen worden. Der Ingenieur, die Ingenieurin ist ein praxisbezogener Titel und hat bis jetzt eigentlich keine richtige Anerkennung im europäischen Vergleich gefunden. Aber damit funktioniert es, geht es doch jetzt. (Zwischenruf des Bundesrates Samt.) – Nicht matschkern, es ist so!

Drittens, wir haben eine wirklich hervorragende Infrastruktur für die berufliche Weiter­bildung, und auch darauf bin ich als Vertreterin der Wirtschaft stolz. Wir haben mit unseren WIFIs zum Beispiel eine wirklich gute, hervorragende Erwachsenenweiter­bildung. Wir haben da wirklich unzählige Kurse. Da können die Leute umfassende Abschlüsse machen, und auch diese Abschlüsse haben bis jetzt eigentlich keine richtige Zuordnung gefunden. – Genau das sind die drei Punkte, wo das vorliegende Gesetz ansetzt.

Wir haben endlich erreicht, dass Abschlüsse aus allen Bildungsbereichen und auch sogenannte nicht formale Qualifikationen einem einheitlichen Rahmen zugeordnet werden. Es wird unsere gesamte österreichische Qualifikationslandschaft abgebildet,


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Abschlüsse der allgemeinen und der Hochschulbildung, der Berufsbildung und der Erwachsenenbildung. Es ist endlich so weit, dass die Abschlüsse wie Meister, Werk­meister oder Ingenieur und auch Abschlüsse der Erwachsenenbildung wie der Bilanz­buch­halter endlich formal abgebildet und damit auch in ihrer Wertigkeit sichtbar werden.

Eines sage ich auch noch: Es ist für uns ein ganz wesentlicher Punkt, dass wir das jetzt haben, weil unsere heimischen Unternehmen, die sich bei europäischen Aus­schrei­bungen bewerben, für die eingesetzten Mitarbeiter Bildungsnachweise vorbrin­gen müssen. Das ist bis jetzt sehr schwierig gewesen, jetzt wird das einfacher werden.

Dieses Gesetz hatte eine schwierige, langwierige Geburt. Jetzt haben wir es, und ich freue mich darüber. Wir werden auch die letzten Hürden noch gut bewältigen. Ich bitte um Zustimmung. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie der Bundesrätin Schreyer.)

17.29


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Frau Bundesministerin Heinisch-Hosek hat sich als Nächste zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Ministerin.

 


17.30.02

Bundesministerin für Bildung und Frauen Gabriele Heinisch-Hosek: Herr Prä­sident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das meiste bei den positiven Wortmel­dungen ist schon gesagt worden. Ich glaube, dass es unglaublich wichtig ist. Jetzt bin ich zwei Jahre Bildungsministerin. Es hat acht Jahre gedauert, aber man hat vor acht Jahren begonnen, Dinge zusammenzuführen, die vielleicht ein bisschen länger ge­braucht haben, denn da musste sich einmal die Wissenschaft mit der Wirtschaft auch auf eine gemeinsame Vorgehensweise der Anerkennungen einigen.

In Österreich ist es manches Mal so, dass wir sagen, Qualität vor Tempo, daher dauern manche Dinge länger, aber jetzt ist es so weit – diese Anerkennung, die Ver­gleichbarkeit der Abschlüsse. Wir sind ja kein gallisches Dorf, um das herum die Welt eine andere ist.

Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir stolz sein können auf unsere Qualifikationen, nämlich auf jene der Leute, die in der Berufsbildung tätig sind, aber auch auf jene der Akademikerinnen und der Akademiker, die ein Uni-Studium absolviert haben. Gut, dass das jetzt europaweit vergleichbar ist.

Dass Österreich ein relativ kleines – obwohl einige von Ihnen es großgeredet haben – Konstrukt der Organisation hat, mag vielleicht verwunderlich erscheinen, ist aber die Wahrheit. Es gibt viel größere Apparate. Gut, dass diese acht Kategorien – bei uns sind es eben acht, nicht in allen Ländern sind es diese acht Kategorien – jetzt einzu­ordnen sind, zu vergleichen sind.

Um auf den HTL-Ingenieur, die HTL-Ingenieurin einzugehen: Bevor ich die Steue­rungs­gruppe eingerichtet habe, kann ich eine Gruppe noch nicht zuordnen. Das gebietet die Logik, Herr Kollege. Daher bitte ich Sie, noch etwas Geduld aufzubringen, bis man weiß, wie dieser Ingenieur, diese Ingenieurin einzuordnen ist, bis man sagen kann, in welcher der acht Stufen diese Ausbildung eingeordnet werden kann – wahr­scheinlich Stufe fünf oder sechs, das werden wir sehen.

Dazu braucht es ein Handbuch für diese Steuerungsgruppe. Dieses ist quasi fertig. Und der erste Beschluss dieses Gremiums wird sein, das Handbuch zu beschließen, nach dem eingeteilt und vorgegangen wird. Dann wird man sukzessive schauen, was eingereicht wird.

Es ist ja ein Register, das haben auch schon einige gesagt. Das ist kein Gesetz, aus dem ich etwas ableiten kann, sondern ein Register, wo ich mich endlich einordnen


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 148

kann in diesem Ypsilon, in diesen zwei Strängen: Uni-Absolventinnen und –Absolven­ten, aber auch Werkmeister, Werkmeisterin und die berufsbildenden Ausbildungen.

Ich bin recht stolz darauf, denn ich glaube, die Spitzenleistungen – und auch das haben einige schon gesagt – in Österreich, gerade im berufsbildenden Bereich, können sich allemal sehen lassen. Wir gewinnen da immer wieder Gold- und andere Medaillen und können uns so – egal, ob es ein tertiärer oder ein außerschulischer Abschluss ist, ob es ein formaler, normaler Leistungsnachweis einer schulischen Ausbildung ist oder ein nonformaler Abschluss, ein informeller Abschluss – einzuordnen beginnen.

Es wird noch einige Jahre dauern, bis wir die einzelnen Kategorien einordnen können, aber es ist eine lernergebnisorientierte Angelegenheit, wo man das, was man gelernt hat, zeigen kann, sich einordnen lassen kann.

Dieser Nationale Qualifikationsrahmen, dieses elektronische Register war nötig, glaube ich, um innerhalb Österreichs, aber auch innerhalb der Europäischen Union unseren Stellenwert auf diesem Gebiet festlegen zu können.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, in diesem Sinn hoffe ich doch, dass Sie dieser Gesetzesmaterie Ihre Zustimmung geben können. Dieses Register ist von namhaften Persönlichkeiten auch der Wirtschaftsuniversität Wien mitentwickelt worden, und ich glaube doch, dass sich die Zeit gelohnt hat, damit wir jetzt sagen können, wie wir unsere Qualifikationen in Österreich einordnen können. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller.)

17.33

17.33.10

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Dem ist nicht so. Damit ist die Debatte geschlos­sen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

17.34.249. Punkt

Strategische Jahresplanung 2016 des Bundesministeriums für Bildung und Frauen auf der Grundlage des Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission und des Arbeitsprogramms der niederländischen Präsidentschaft sowie des 18-Monatsprogramms der niederländischen, slowakischen und maltesischen Präsidentschaften (III-573-BR/2016 d.B. sowie 9538/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen nun zum 9. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Grimling. – Bitte um den Bericht.

 


17.34.50

Berichterstatterin Elisabeth Grimling: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der gegenständliche Bericht des Ausschusses für Unterricht, Kunst und Kultur liegt Ihnen schriftlich vor; ich komme daher sogleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Unterricht, Kunst und Kultur stellt nach Beratung der Vorlage am 8. März 2016 den Antrag, die Strategische Jahresplanung 2016 des Bundesminis­te­riums für Bildung und Frauen auf der Grundlage des Arbeitsprogramms der Euro­päischen Kommission und des Arbeitsprogramms der niederländischen Präsidentschaft sowie


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 149

des 18-Monatsprogramms der niederländischen, slowakischen und maltesischen Präsidentschaften zur Kenntnis zu nehmen.

17.35


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke für den Bericht. – Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erste hat sich Frau Bundesrätin Mühlwerth zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihr.

 


17.35.50

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Minister! Sehr geehrte Damen und Herren hier im Saal und zu Hause vor den Fernsehgeräten! Ich sage es gleich vorweg: Bei diesem Vorhabensbericht gibt es nur wenig, das unsere Zustimmung findet (Heiterkeit der Bundesrätinnen Dziedzic und Zwazl), aber er setzt sich auch aus Teilen zusammen, über die wir in Einzelbereichen schon verschiedentlich Debatten geführt haben und festgestellt haben: Da kommen wir zu keiner Einigung.

Positiv anmerken möchte ich – es gibt ja in jedem Bericht ein paar Dinge, die durchaus positiv zu sehen sind – unser Bemühen, wobei wir da ja auf einem guten Weg sind, die Abbrecherquote bei den Schülern auf unter 10 Prozent zu senken. Österreich hat, wenn ich das jetzt richtig im Kopf habe, laut diesem Bericht schon 7 Prozent.

Da sind wir ja wirklich auf einem guten Weg, was auch richtig und wichtig ist. Denn jeder Schüler, der uns da irgendwo auf dem Wege verloren geht, ist ein Verlorener in seinem Bildungsfortkommen, aber auch auf dem Arbeitsmarkt und damit auch in seinem persönlichen Fortkommen.

Was immer schon positiv war, ist das Erasmus-Programm. Dieses Angebot wird ja immer mehr genützt und hat ja auch wirklich Sinn. Es ist eine gute Sache, sich auch einmal woanders umzusehen, zu schauen, wie es dort funktioniert, wie man so tickt, wie die anderen es machen.

Was natürlich nicht unsere Zustimmung findet – und das ist einer der Punkte, über die wir auch mit der Familienministerin schon diskutiert haben –, ist: Es steht in jedem Papier drinnen, dass es so wichtig ist, die Erwerbsbeteiligung der Frauen zu erhöhen. (Ruf bei der SPÖ: Ja!) – Ja, durchaus, wenn die Frauen es wollen, ja.

Was ich immer vermisse, ist aber, dass all jene benachteiligt sind, die das nicht wollen oder die sagen, ich möchte eine Zeit lang bei meinen Kindern bleiben, oder jene, die einen längeren Zeitraum teilzeitbeschäftigt sein wollen.

Da ist sich ja die Bundesregierung mit sich selber nicht ganz einig. Auf der einen Seite hat man ein Gesetz beschlossen, nach dem es ein Recht auf Teilzeitarbeit gibt, auf der anderen Seite heißt es natürlich immer wieder: Das ist nicht gut. – Ja, das stimmt ja auch, weil es sich auf die Pensionen der Frauen auswirkt.

Aber ich halte Frauen schon für selbständig genug, zu entscheiden und auch diesen Weitblick zu haben und zu sagen: Das ist es mir wert, ich möchte eben bis zum Eintritt der Kinder in den Kindergarten oder bis zum Schuleintritt zu Hause bleiben. – Frauen, die solche Wünsche haben, werden aber immer stiefmütterlich behandelt.

Ein weiterer Punkt ist für mich, dass in jedem Papier drinnen steht: Wir müssen diese Geschlechterstereotype aufheben. (Ruf bei der SPÖ: Genau!) – Ja, auch ich bin gegen Geschlechterstereotype, wenn man versucht, die Kinder, was ihre Verhaltensweisen anbelangt, so einzuzementieren. Aber in vielen Fällen, kann ich Ihnen sagen, sind Mädchen Mädchen und Buben Buben. Und Mädchen ticken anders und die Buben ticken auch anders, und das setzt sich bis ins Erwachsenenalter fort.


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Ja, warum denn auch nicht? Ich bin froh, dass es Buben gibt; ich bin froh, dass es Mädchen gibt; ich bin froh, dass es Männer gibt; ich bin froh, dass es Frauen gibt. Man darf nur nicht den Fehler machen, zu sagen: Das, was der/die andere ist, ist schlecht. Nein, jeder ist so, wie er ist, und das ergänzt sich ja auch oft genug.

Daher würde ich nicht unbedingt sagen, die werden quasi dazu gedrängt, Mädchen zu sein. Also ich kann Ihnen sagen: Ich habe zwei Enkelbuben und zwei Enkelmädchen, und auch die Enkelmädchen werden ganz und gar nicht in diese Richtung gedrängt, und trotzdem: Meine vierjährige Enkelin liebt die Farben Pink und Rosa, und das ist ihr auch nicht auszutreiben. Wir wollen das ohnehin alle nicht, aber sie will es so. Das wäre jetzt aber nach Ihrem Dafürhalten so ein typisches Geschlechterstereotyp, zumin­dest der Beginn davon.

Was wir immer abgelehnt haben, war die Quotenregelung in den Aufsichtsräten. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass es nichts bringt. Wenn Sie schon so eine Quotenregelung wollen, dann frage ich mich immer: Warum eigentlich nur in den Aufsichtsräten? Wieso denn nicht an den Schaltstellen, den wirklichen Schaltstellen der Macht? Da wäre es doch eigentlich viel wichtiger als nur in einem Aufsichtsrat.

Da vorhin vom grünen Kollegen schon wieder die Gesamtschule so gebracht wurde: Nein! Ich bleibe bei unserem Nein zur Gesamtschule! Ich kann Ihnen Dutzende Bei­spiele bringen, die zeigen, dass es nicht funktioniert. Schauen Sie nach Deutsch­land! – Ich sage das jetzt, glaube ich, zum 27 000. Mal: In Deutschland sind die Ge­samt­schüler bildungsmäßig zwei Jahre hinter den Gymnasiasten. Die sozialen Diffe­renzen sind nicht aufgehoben, sondern eher verstärkt worden.

Und weil heute auch schon Italien so lobend erwähnt worden ist: Auch das ist nur die halbe Wahrheit. Man nimmt sich halt das raus, was man gerne hat. In Italien haben wir die Deutschen und die Italiener. Die Deutschen gehen aber in eine andere Schule, nämlich in ein in sich differenzierteres Schulwesen. In deutschen Schulen gibt es einen Ausländeranteil von 3,4 Prozent. In den italienischen Schulen gibt es einen Auslän­deranteil, vor allem außereuropäischer Herkunft, von 13,5 Prozent. Und die deutsche Schule schneidet bei jeder PISA-Studie besser ab als die italienische. Also wo ist da jetzt die Gesamtschule so toll? Es funktioniert auch in Italien nicht.

Sie können sich in Deutschland auch die Bundesländer mit differenziertem Schulwesen anschauen und werden feststellen, dass sie bei jedem PISA-Test besser abschneiden als die Gesamtschulen.

Übrigens, Schweden hat das gleiche System wie Finnland. Aber Schweden hat auch einen sehr hohen Migrationsanteil und ist immer so ziemlich gleichauf mit Österreich. Dieses Modell der Gesamtschule, das alles regelt und alles richtet, funktioniert einfach nicht.

Drei Prioritäten, welche die Wirtschaft betreffen, sind im Vorhabensbericht genannt. Da steht drin: „Wiederbelebung der Investitionstätigkeit, Vorantreiben von Strukturrefor­men und eine verantwortungsvolle Haushaltspolitik“. 

Verantwortungsvolle Haushaltspolitik finde ich ja sehr lobenswert, aber das steht nur da am Papier, gemacht wird es nicht. Bislang haben wir es jedenfalls noch nicht erlebt. Wir haben immer noch 15 Milliarden € an Förderungen, die ausgeschüttet werden, wobei man nicht genau weiß, wer, was, wann, wie, wo, von wem, warum.

Da komme ich wieder auf die Transparenzdatenbank der ÖVP zu sprechen, die ja ein durchaus richtiger Beschluss war, aber nie mit Leben erfüllt worden ist. Da könnten Sie wirklich einmal ein bisschen schauen, dass Ihre Transparenzdatenbank in Fahrt kommt.


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Zur Wiederbelebung der Investitionstätigkeit hat die Kollegin Zwazl ja heute schon vom Optimismus gesprochen, den die Wirtschaft braucht, damit Unternehmen gegründet werden und damit diese weiterbestehen. Ja, aber gerade auch Ihre Partei tut gemein­sam mit der FPÖ alles dazu, dass das eben nicht so ist! (Bundesrätin Zwazl: Mit der „FPÖ“, hast du gesagt!)

Bei der Registrierkassenpflicht richten Ihnen die Wirtsleute nach und nach aus, wie unsinnig und wie destruktiv sie ist. Also wo sollen diese den Optimismus hernehmen, wenn Sie eine solche Politik machen (Bundesrätin Zwazl: Wer ist bei der Wirtschaft, du oder ich?) und Sie als Vertreterin der Wirtschaft da auch regelmäßig zustimmen?

Und dann möchte ich Ihnen auch noch ins Gedächtnis rufen – das ist nämlich diese Woche über die Medien gegangen –, dass Ihre Betriebe, die Sie ja mit Optimismus erfüllen wollen, gesagt haben, sie bekommen keine Lehrlinge. Und sie haben auch gesagt, warum sie keine Lehrlinge bekommen: weil es kaum noch Lehrlinge gibt, die ausreichend lesen und schreiben können. – Das ist auch eine Folge unseres Schulsystems. (Neuerlicher Zwischenruf der Bundesrätin Zwazl.)

Einen positiven Punkt möchte ich noch erwähnen, das sind die Niederlande. Das gefällt mir wirklich gut – denn das ist mir schon lange ein Anliegen –, dass sie sich explizit vorgenommen haben, Bildung als Schwerpunkt zu nehmen, aber Bildung als Schwerpunkt so zu verstehen, dass Bildung nicht nur ein Lieferant für den Arbeitsmarkt ist. Ich glaube auch, dass Bildung mehr ist – und davon bin ich zutiefst überzeugt –, als dass man die Kinder zu Lieferanten für den Arbeitsmarkt ausbildet.

Der Kampf gegen die Radikalisierung Jugendlicher ist eine solche No-na-Sache, dass Sie niemanden finden werden, der sagt, dass er dagegen ist – also durchaus positiv.

Die Gleichstellung von Männern und Frauen ist richtig, und da sind wir ja auch dabei, aber wir sind noch nicht am Ende des Plafonds angelangt. Es ist noch immer einiges zu tun. Auch am Weltfrauentag, am 8. März, war gleicher Lohn für gleiche Arbeit ein Thema. – Ja, natürlich, selbstverständlich. Und wo sind wir da? – Auch Sie als Ministerin beklagen immer, dass die Schere immer noch offen ist.

Also wo sind da jetzt die Ansätze? Wo ist der Erfolg? Vielleicht reden Sie einmal mit den Sozialpartnern, die könnten ja auch etwas dazu beitragen; das betrifft jetzt ÖVP und SPÖ.

Insgesamt ist aus unserer Sicht in dem Vorhabensbericht sehr viel kritische Masse enthalten, und daher werden wir ihn auch nicht zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der FPÖ.)

17.45


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gemeldet hat sich Frau Bun­desrätin Posch-Gruska. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


17.45.53

Bundesrätin Inge Posch-Gruska (SPÖ, Burgenland): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Monika Mühlwerth, du wirst wahr­scheinlich auch nicht erstaunt sein, wenn ich sage, ich habe damit gerechnet, dass ihr diesen Vorhabensbericht nicht zur Kenntnis nehmt.

Ich möchte mich gerne auf den Teil betreffend Frauen spezialisieren. Unter anderem gibt es in diesem Vorhabensbericht einen Abschnitt, der „Neuer Start für erwerbstätige Eltern“ heißt. Hier ist ganz speziell der Mutterschutz aufgegriffen. Ich denke mir, dass es für die Europäische Union ein sehr wichtiges Thema sein wird. Wenn wir davon ausgehen, dass wir in Österreich 1957 den Mutterschutz mit sechs Monaten befristet hatten und keinen Anspruch auf ein Wochengeld hatten, haben wir jetzt, 2015, mit


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Beginn der Schwangerschaft bis acht Wochen nach der Geburt des Kindes einen Mutterschutz. In sehr vielen anderen europäischen Ländern haben wir das noch nicht. Und das ist – jetzt ist die Kollegin Mühlwerth hinausgegangen – unter anderem ein Verdienst der sozialdemokratischen, aber vor allem der Gewerkschaftspolitik, dass wir hier sehr fortschrittlich sind.

Ein Punkt heißt „Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben“. Das hat mir eigentlich sehr gut gefallen. Wir sprechen immer von Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aber Ver­ein­barkeit von Beruf und Privatleben impliziert ja trotzdem, dass jeder Vater und jede Mutter neben Vater und Mutter auch noch Mensch ist und ein Privatleben hat. Also das ist eigentlich ein sehr schöner Begriff. Und hier wird vor allem auch auf die wirt­schaftliche Unabhängigkeit gedrängt und deren Notwendigkeit hervorgehoben.

Unter anderem wird bei der Vereinbarkeit aber auch darauf hingewiesen, dass es mehr Anreize für Väterbeteiligung in der Erziehung geben muss. Die Väterbeteiligung in der Erziehung ist eines dieser Themen, Frau Ministerin, ich weiß nicht, wie lange schon, aber sehr, sehr viele Jahre. – „Männer in Karenz sind auch Helden“, oder wie hat das Plakat geheißen? (Bundesministerin Heinisch-Hosek: Warte, lass mich nachdenken!) Oder „Männer in Karenz sind cool“? – Es hat jedenfalls eine Kampagne von deinem Ministerium mit diesem Plakat gegeben. Und die Väterbeteiligung ist noch lange nicht dort, wo wir sie haben wollen, aber sie ist schon sehr viel weiter, als sie wäre, wenn es nichts gegeben hätte.

Daher bin ich jetzt, Kollegin Mühlwerth, wirklich etwas entsetzt – entsetzt nicht, eigent­lich verstehe ich es ja fast, dass du das so sagst, aber es ist komisch. Wenn man nicht hinschauen will, dann sieht man auch nicht, dass wirklich etwas weitergegangen ist. Klar ist es noch immer nicht so, wie wir es gerne hätten, keine Frage. Auch wir wün­schen uns mehr. Aber es ist schon etwas weitergegangen. Und hätte es diese Kam­pagne nicht gegeben, wäre wahrscheinlich die Väterbeteiligung nach wie vor bei 2 Prozent. Natürlich gefällt es mir nicht und ich hätte gerne, dass der Papamonat schon lange verwirklicht wäre und dass der Papamonat in der Privatwirtschaft endlich anerkannt und dort auch bezahlt wird und dass diese Väterbeteiligung nicht nur der öffentliche Dienst sponsert, sondern auch die Wirtschaft hier mithilft und mitmacht, weil es notwendig und wichtig ist.

Im Endeffekt, liebe Sonja Zwazl, hat auch die Wirtschaft etwas davon. Denn wenn die Eltern glücklich sind beim Arbeiten, geht viel mehr weiter. Das weißt aber du ohnehin ganz genau. Ihr habt zuerst das familienfreundliche Unternehmen in Niederösterreich vorgestellt und gesagt, wie toll und wie wichtig das ist. Die Väterbeteiligung ist es ganz sicherlich und somit der Papamonat. (Bundesrätin Zwazl: Den Papamonat muss jemand bezahlen!) Hier ist der Papamonat ganz sicherlich ein Teil davon, der ganz, ganz wichtig ist, vor allem weil der Papamonat ja in jener Zeit stattfindet, in welcher in der Familie die meisten Umstellungen sind. Ich habe das schon einmal hier gesagt, aber ich finde es sehr wichtig.

In dieser Zeit, in der das Kind auf die Welt kommt, wenn die Mutter mit dem Kind vom Krankenhaus nach Hause kommt, ändert sich der ganze Lebensablauf, alles wird anders. Es müssen sich die Zeiten ändern, es müssen sich die Gewohnheiten ändern.

Liebe Monika, die Wirtschaft sollte sich einen Stoß geben und endlich etwas tun! (Zwischenruf der Bundesrätin Zwazl.) Aber nicht nur die Väterbeteiligung mit dem Papa-Monat ist da entscheidend, sondern auch die Förderung der Erwerbsbeteiligung.

Und Monika – warte, ich habe es mir aufgeschrieben –, du bist bei der Erwerbs­betei­ligung … (Bundesrätin Zwazl: Sonja!) – Monika, nicht! Jetzt möchte ich fertig reden. (Bundesrat Mayer: Sonja! Sonja heißt sie! – Bundesrätin Zwazl: Du sagst immer


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„Monika“ zu mir!) – Echt? Ich habe „Monika“ gesagt? Liebe Sonja, entschuldige! Aber du hast dich eh angesprochen gefühlt. Du hast eh gewusst, wen ich meine.

Monika, aber jetzt meine ich dich (in Richtung Bundesrätin Mühlwerth – allgemeine Heiterkeit), bei der Erwerbsbeteiligung, dass du da so ein großes Problem damit hast, dass Frauen sich auch im Beruf so verankern können, dass sie davon leben können, ist mir wirklich unverständlich. (Bundesrätin Mühlwerth: Wenn sie es wollen!)

Wenn ich dir zuhöre, bleibt uns als Alternative über, wenn du jetzt nicht haben willst, dass die Frauen im Erwerbsleben so viel verdienen, dass sie auch davon leben können und sie wirklich gut verankert sind, und wenn du sagst, die Frauen sollen auch zu Hause bleiben (Bundesrätin Mühlwerth: Aber nur, wenn sie es wollen!), dass wir das Mutterkreuz wieder austeilen.

Das wäre jetzt die andere Variante, denn dazwischen fällt mir eigentlich sehr wenig ein. (Neuerlicher Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Ich denke mir wirklich, da sollte man darüber nachdenken. (Bundesrätin Mühlwerth: Da bin ich heikel!) – Ich auch, darum sage ich es ja.

Die Niederlande haben aber im Bericht vorgegeben, dass sehr gute Praktiken, nämlich praktische Beispiele auch vorgestellt und dort gemeinsam mit den anderen EU-Ländern diskutiert werden. Ich denke, hier werden wir auch einen guten Weg finden.

Ein Schwerpunkt im Vorhabensbericht ist auch „Frauen, Friede, Sicherheit“. „Frauen, Friede, Sicherheit“ bringt uns natürlich automatisch auf das Thema, das uns zurzeit alle sehr beschäftigt: Frauen auf der Flucht. Fluchtgründe von Frauen werden ja leider fast nirgends anerkannt. Frauenspezifische Fluchtgründe fallen unter die Kategorie Verfol­gung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. Die Bewertung der Fluchtgründe sieht aber in der Praxis vor allem in erster Instanz ganz anders aus. Sexuelle Gewalt­taten, die Frauen durch Staatsorgane angetan wurden, würden einer Frau eigentlich nur von einer Einzelperson angetan worden sein und sind deshalb keine staatliche Verfolgung wert. Gravierende Frauenrechtsverletzungen im häuslichen Bereich seien private Bedrohungen, und daher sind sie auch asylrechtlich nicht relevant.

Aber auch im Asylverfahren, also einen Schritt weiter, gibt es gerade eine Bestim­mung, die auf Frauen gesondert Rücksicht nimmt, aber nur bei der Ersteinvernahme. Bei der Ersteinvernahme werden Menschen, die eine geschlechtsspezifische Verfol­gung geltend machen, von Personen des gleichen Geschlechts einvernommen. Das gilt allerdings erst, nachdem die geschlechtsspezifischen Fluchtgründe genannt wur­den. Es gilt aber nicht für die Dolmetscher.

Eine Frau, die Gewalt erfahren hat, wird sich nicht leichttun, das zu sagen, vor sehr vielen Menschen zu sagen, und vor allem nicht leichttun, das vor Menschen zu sagen, von denen sie vorher vielleicht gerade Gewalt erfahren hat.

Diesbezüglich gibt es sehr, sehr viel zu tun. Ich möchte dieses Thema jetzt nicht ganz aufwärmen, aber die Europäische Union hat, was die Flüchtlingspolitik, Friedenspolitik und vor allem Solidarität betrifft, sehr viel zu lernen. Mit sehr großer Hoffnung sind wir in die EU gegangen, in eine Friedensunion, in eine soziale Union, und da ist, denke ich, sehr viel aufzuholen.

Frauenarmut ist auch ein Teil in diesem Bericht. Frauenarmut wird unter dem slowa­kischen Vorsitz im zweiten Halbjahr 2016 behandelt werden. Wir diskutieren in Öster­reich zurzeit gerade die Bedarfsorientierte Mindestsicherung, ob es notwendig ist, dass diese so hoch ist, und ob sie nicht vielleicht herabgesetzt werden kann, oder ob sie vielleicht Flüchtlingen gar nicht zugestanden werden soll.


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Schauen wir uns die Zahlen an, die Frauen betreffen, die in Armut leben. Es sind in erster Linie Frauen, die in diese Armutsfalle tappen. Es sind Alleinerzieherinnen, die so leben müssen. Hier ist die Bedarfsorientierte Mindestsicherung das Minimum. Ich bin wirklich nicht dafür, dass wir diese Bedarfsorientierte Mindestsicherung in irgendeiner Form angreifen und nur eine Kleinigkeit kürzen, denn dann geht es vor allem diesen Frauen noch viel schlechter. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Ich komme schon zum Schluss, denn das rote Licht hier leuchtet schon wieder.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben hat nicht nur etwas mit gesetzlichen Rahmenbedingungen zu tun, sondern hat auch etwas mit einer Wertehaltung zu tun; mit einer Wertehaltung, die notwendig ist, damit man sich das, was man gerne leben möchte, auch zu leben traut. Es gibt von der Agenda Austria – man kann jetzt nicht unterstellen, dass die Agenda Austria eine SPÖ-nahe Institution wäre – eine Umfrage. Diese Grafik (ein Blatt, auf dem ein Balkendiagramm zu sehen ist, in die Höhe haltend) berücksichtigt nur Antworten der befragten Frauen und ist auf europäische Länder beschränkt: Leidet ein Vorschulkind unter der Berufstätigkeit der Mutter?

Die Balken oben bedeuten, sie leiden nicht, und die Balken unten bedeuten, sie leiden schon. Österreich liegt am drittletzten Platz, wo die Frauen sagen, es könnte sein, dass die Kinder an der Berufstätigkeit der Mutter leiden.

Ich glaube, dass das mit dieser Wertehaltung zu tun hat – wir sind im Jahr 2016 ange­kommen –, wo eine Frau in Vorarlberg Bürgermeisterin werden möchte und nicht Bürgermeisterin werden kann, weil sie weggemobbt wird, weil manche Menschen, vor allem Männer, befinden, dass sie mit drei Kindern lieber zu Hause bleiben sollte und schauen sollte, dass ihre Kinder gut erzogen sind.

Das hat etwas damit zu tun, dass den Frauen gesagt wird: Ihr sollt nur Teilzeit arbeiten gehen, denn sonst werden eure Kinder nicht gut genug erzogen.

Das müssen wir wegbekommen! Hier müssen wir offen werden: nicht nur gesetzliche Rahmenbedingungen, sondern vor allem auch Wertehaltungen. Diese Wertehaltungen würde ich mir wirklich von uns allen wünschen. – Danke. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

17.55


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Junker zu Wort. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


17.55.56

Bundesrätin Anneliese Junker (ÖVP, Tirol): Geschätzter Herr Präsident! Frau Bun­desminister! Meine Damen und Herren! Ich darf sagen, in allem kann ich dir jetzt nicht wirklich zustimmen, in vielem ja (Bundesrätin Posch-Gruska: Das denk’ ich mir!), wobei ich es sehr differenziert sehe.

Bildung, Bildung, Bildung – geht an und für sich aus dem Papier hervor. Ohne Bildung passiert gar nichts. Bildung muss bei jedem sein, ob männlich oder weiblich oder welchen Geschlechts auch immer. Bildung ist der Schlüssel zu einem positiven Leben, das man selber gestalten kann, damit man auch Chancen in der Arbeitswelt hat.

Ich glaube, wir haben auch im Bundesrat schon einiges initiiert, vor allem im ersten Halb­jahr 2015, als Sonja Zwazl die Präsidentschaft innehatte. Thema ihrer Präsident­schaft war „Begabungen erkennen, Begabungen fördern“. Wir haben in dem Zukunfts­papier auch drinnen, dass wir die Schulabbrecher wieder irgendwo einfangen müssen, dass auch sie einen Beruf erlernen oder ausüben können.

Dazu zitiere ich jetzt Sonja Zwazl:


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„Wir müssen in der Bildungspolitik raus aus dem ‚Kastldenken‘. Es geht nicht um ein Match Gymnasium gegen Gesamtschule. Es geht darum, wie wir die Begabungen unse­rer Kinder bestmöglich erkennen und fördern.“

Ich glaube, in diese Richtung sollen unsere Parteien, die in der Regierung sind, arbeiten, um das Bestmögliche für die Ausbildung der Kinder zu tun.

Es ist, glaube ich, jetzt auch schon ein Fortschritt, dass wir das Gesetz über den Nationalen Qualifikationsrahmen beschlossen haben, wodurch es eine bessere Ver­gleich­barkeit der Ausbildung gibt. Denn überall schreibt die EU, wir brauchen mehr in der tertiären Ausbildung, 40 Prozent müssen wir erreichen. Nur, die EU rechnet unsere Lehrlinge als nicht ausgebildet, unsere Meister als nicht vorhanden. Und im Grunde genommen, wenn wir gut ausgebildete Facharbeiter haben, die ihr Fach kennen und dann noch Meister ihres Berufes werden, ja, womit will man das noch toppen?! Wir brauchen auch Menschen, die handwerklich arbeiten können, die aber auch eine schulische Ausbildung haben, um Pläne zu lesen, um Fertigkeiten einfach auch begreifen zu können.

Es nützt nichts, wenn wir sagen, ja, der/die Jugendliche soll halt Lehrling werden. Ja, wenn der/die Jugendliche die Zusammenhänge nicht erkennt, wird er auch kein guter Facharbeiter, wird sie keine gute Facharbeiterin. Das steht in diesem Papier auch drinnen, dass wir diese Möglichkeiten schaffen müssen. Diese Möglichkeiten können wir schaffen, denn wir haben jetzt auch die Chance dazu.

Wenn man sagt, Beruf und Familie oder Beruf und Privatleben unter einen Hut zu bringen: Ich arbeite jetzt seit 45 Jahren. Ich war nie in Karenz, weil ich es nicht wollte, weil ich einfach weiterkommen wollte. Ich musste mich ewig und drei Tage verteidigen, warum ich arbeiten gehe und warum ich nicht bei den Kindern daheim bin. Nur, die Qualität der Erziehung von meinen Kindern hat nicht gelitten, denn ich habe mich danach mit meinen Kindern beschäftigt. Ich habe geschaut, dass ich pünktlich heimge­kommen bin. Das hat mir meine Mama schon beigebracht: Pünktlich heimkommen ist wichtig. Du kannst alles tun, nur eine Regelmäßigkeit muss vorhanden sein. Und das war auch gut, das streite ich überhaupt nicht ab. Das sage ich jetzt auch meinen Enkeln, denn das zu lernen ist für alle wichtig. (Präsident Saller übernimmt wieder den Vorsitz.)

Eines war bezeichnend: Ich habe vor zwölf Jahren für das Amt des Bürgermeisters kandidiert, und da war dann schon zu hören: Eine Frau? Was will sie? Der Mann ist ihr noch nicht davongelaufen, zwei Kinder hat sie, und die sind auch nicht ganz daneben. Nein, so etwas geht schon gar nicht!

Dann kam eine der Frauen zu meiner Tochter, weil sie wusste, dass sie in der Schule eine Tracht genäht hat, die Kinder zur Prozession eine Tracht haben müssen und dass Melanie zur Prozession nicht da ist. Meine Melanie hat mit ihren 13 Jahren zu der Frau gesagt: Nein, ich borge sie dir nicht! Ich habe dann meine Tochter gefragt, wieso sie ihr die Tracht nicht borgt, wenn sie eh nicht da ist. Ihre Antwort: Mama, das ist die Frau, die gesagt hat, du hättest uns nicht erzogen. Da habe ich mir gedacht, ganz schlecht kann es doch nicht sein, wenn man arbeiten geht und das will – und auch Kinder haben will und die Kinder auch entsprechend begleitet. Aber es braucht eine Begleitung, und ich glaube, nicht alle sind da der gleichen Meinung.

Ich habe kleinere Geschwister, noch zwei Schwestern, die eine ist 40, die andere 38, die wollten eine Zeit lang einfach bei ihren Kindern sein. Und die sollen auch die Möglichkeit haben, es zu tun. (Bundesrätin Mühlwerth: Genau das haben wir gesagt!) Die haben mit Teilzeitbeschäftigung nach wie vor den Fuß in ihrer Arbeit, damit sie dann auch wieder zurückkehren können. Ich glaube, das ist der Kernpunkt. Wir müs­sen schauen, dass wir es so schaffen, dass die Frauen entscheiden können: Will ich


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arbeiten gehen? Was will ich arbeiten, und wie will ich arbeiten? Der Kern dabei ist: Ausbildung, Ausbildung, Weiterbildung.

Es gibt natürlich auch viele Alleinerziehende. Die haben es schwer, die haben es wirklich schwer. Selbst wenn man einen Mann hat, der nicht hundertprozentig mitar­beitet, oder die 50 Prozent, ist er aber wenigstens vorhanden, und ab und zu kann man maulen. Aber wenn man Alleinerzieherin ist, kann man gar nichts tun, da kann man die Wände anmaulen. Ich glaube, da müssen wir schon eingreifen und helfen, dass alle ihren Teil haben und auch arbeiten können. Ich glaube, Teilzeit ist nicht schlecht. Solange man einen Fuß in der Wirtschaft, in der Arbeit hat, während man die Kinder erzieht, hat man eine Chance, zurückzukehren.

Zum Schluss möchte ich einfach sagen: Bildung, Bildung, Bildung, dann sind wir Frau­en auch irgendwann ganz oben! – Danke. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

18.02


Präsident Josef Saller: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Schreyer. – Bitte.

 


18.02.52

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Präsidium! Sehr geehrte Frau Ministerin! Kolleginnen und Gäste! Auch wir von den Grünen gehen mit den Inhalten der Strategischen Jahresplanung – jetzt wollte ich schon fast sagen: komplett d’accord – ziemlich d’accord. Es ist aus unserer Sicht kein Punkt in der Planung des Ministeriums für Bildung und Frauen falsch, aber in fast allen Fällen ist es für uns einfach nicht weit gehend genug.

Die Bildungsteile sind schon weitgehend durchbesprochen worden, auch die Frauen­teile sind angesprochen worden, trotzdem werde ich mich auch hauptsächlich auf die Frauenteile im Bericht konzentrieren, obwohl es nur vier Seiten sind. Drei Viertel des Berichtes nimmt der Bildungsteil ein, nur ein Viertel der Frauenteil, und zwei Tage nach dem Weltfrauentag am 8. März ist es schon sehr, sehr erschreckend, wie wenig sich die Kommission und die Präsidentschaften für die nächsten Jahre in Frauenangelegen­heiten vorgenommen haben.

Bei Legislativvorhaben, wo es dann also wirklich zu einer Richtlinie kommen soll, hat sich die Kommission für 2016 vorgenommen, einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates für Quoten in Aufsichtsräten börsennotierter Gesellschaften zu machen. Das sollte eigentlich noch in diesem Jahr verabschiedet werden, der Rat sträubt sich aber sehr dagegen, und es ist sogar zu erwarten, dass der gesamte Vorschlag zurückgezogen wird.

Die Niederländer arbeiten in der ersten Hälfte 2016, also jetzt gerade, ebenso an dieser Quotenrichtlinie weiter und an der Antidiskriminierungsrichtlinie, die schon seit einigen Jahren in Bearbeitung ist. Die Slowakei hat sich bis jetzt noch gar keine legis­lativen Vorhaben für das Programm der Präsidentschaft, die ja immerhin in dreieinhalb Monaten beginnt, vorgenommen.

Das ist alles, was die Europäische Kommission, die niederländische Präsidentschaft und das 18-Monatsprogramm der niederländischen, slowakischen und maltesischen Präsidentschaften an legislativen Vorhaben vorsehen, und das ist wirklich sehr, sehr dürftig.

Aus österreichischer Sicht kommt noch sehr erschwerend dazu, dass alle Verhand­lungen in diesem Bereich nicht vom Frauenministerium durchgeführt werden, zuständig ist dafür das Sozialministerium. Aber ich bin mir sicher, dass Sie (in Richtung Bundes­ministerin Heinisch-Hosek) da sehr gut auf den Herrn Sozialminister einwirken werden, dass er in den Verhandlungen mehr Tempo und mehr Mut und vor allem mehr Ziel-


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orien­tierung und Zielanvisierung einfordern wird, damit da auch einmal etwas zustande kommt.

Bei den nichtlegislativen Vorhaben ist auch sehr, sehr wenig Greifbares dahinter. Die Initiative „Neuer Start für erwerbstätige Eltern“ der Kommission soll die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung für Frauen fördern. Das ist auch schon angesprochen worden.

Die Mutterschutzrichtlinie soll in diesem Rahmen auch wieder aufgegriffen werden, auch etwas, was EU-weit schon lange diskutiert wird. Wir in Österreich leben diesbe­züglich wirklich auf der Insel der Seligen, EU-weit bestehen hier riesengroße Unter­schiede. Das große Manko dabei ist: Es gibt zu dieser Initiative überhaupt keine Details, daher bin ich natürlich schon sehr, sehr skeptisch, wie viel in dieser Initiative wirklich passiert und vor allem, wann das passiert.

Im ersten Halbjahr 2016 der Präsidentschaft der Niederlande stehen die Ratsschluss­folgerungen zum Strategischen Engagement der Europäischen Kommission für Ge­schlechtergerechtigkeit 2016 bis 2019 und die Maßnahmen zur Förderung der Gleich­behandlung von LGBTI-Personen am Plan. Die Niederlande sind da generell sehr engagiert im LGBTI-Bereich, und ich hoffe, dass da wirklich was weitergeht, denn das sind Projekte, die schon relativ lange in der Pipeline sind.

In den Ratsschlussfolgerungen und auch im Bericht des Ministeriums selbst werden verstärkte Anstrengungen gefordert, viel mehr, als derzeit passiert, und dem schließen wir uns natürlich auch an.

Die Slowakei hat für die Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2016 überhaupt keine legislativen Vorhaben, sie widmet sich in ihrer Präsidentschaft vor allem Frauen und Armut. Was Kollegin Posch-Gruska schon angesprochen hat, dem möchte ich voll­kommen beipflichten. Also die Mindestsicherung kommt ja auch davon, dass das Wort „mindest“ drinnen ist, also das Mindeste, was man zum Leben braucht. Und wenn man vom Mindesten etwas wegnimmt, dann ist es halt weniger als das Mindeste, das man zum Leben braucht.

Zum Thema Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben gibt es eine große Konfe­renz im nächsten Halbjahr. Ich bin mir sicher, dass es da einen sehr guten Output geben wird, und hoffe, dass dann auch wirklich engagiert daran weitergearbeitet und engagiert weiter umgesetzt wird.

Ein Vorredner von mir – ich weiß jetzt nicht mehr, wer – hat beim EU-Bericht des Außen­ministeriums gesagt, er kann sich nicht vorstellen, dass das alles umgesetzt wird, weil in dem Bericht alles so umfangreich ist. Dem kann ich mich bei dem Bericht nicht anschließen, denn ich kann mir durchaus in allen Bereichen – im Bildungsbereich und auch im Frauenbereich – vorstellen, dass das alles umgesetzt wird. Es ist auch noch reichlich Luft nach oben, um motivierter und engagierter dranzugehen.

Aber die Bewertung aller Vorhaben durch das Ministerium greift sehr, sehr viel von unserer Kritik, von unserer Meinung dazu auf, es deckt sich teilweise sogar, und daher bin ich mir sicher, dass da das Engagement in Österreich ausgebaut wird.

Wir nehmen den Bericht natürlich sehr, sehr gern zur Kenntnis. – Danke schön. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

18.08


Präsident Josef Saller: Zu Wort gelangt Frau Bundesministerin Heinisch-Hosek. – Bitte, Frau Ministerin.

 



BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 158

18.08.48

Bundesministerin für Bildung und Frauen Gabriele Heinisch-Hosek: Herr Präsi­dent! Hohes Präsidium! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bedauere auch – ich beginne mit dem Kapitel Frauenangelegenheiten und Gleichstellung –, dass es nicht gelungen ist – viele Staaten haben unterzeichnet, unter anderen Österreich und weitere 19 Mitgliedstaaten –, die Europäische Strategie zur Gleichstellung von Frauen und Männern bis 2020 fortzusetzen. Es ist daraus eine Arbeitsgruppe oder Anstren­gungen der Europäischen Kommission zu einem Arbeitspapier „Strategisches Engage­ment für Geschlechtergerechtigkeit 2016 bis 2019“ geworden.

Das ist natürlich nicht so bindend, wie wenn die Gleichstellungsstrategie – die fünf Jahre gegolten hat  weiter fortgeführt worden wäre, denn da wären wir in unseren Berichten, Forderungen und auch Maßnahmen vehementer gewesen. Aber nichts­des­to­trotz ist es so, dass wir auch weiterhin für Gleichstellung von Frauen und Män­nern nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch im gesamtgesellschaftlichen Kontext eintreten werden und Strategien gegen Gewalt an Frauen weiterhin unterstützen werden. 

Eine erfreuliche Geschichte, etwas, das wir schon 2013 erledigt haben: Betreffend Ratifizierung der Istanbul-Konvention eine Konvention des Europarates, um Diskri­minierung und Gewalt gegen Frauen zu eliminieren  ist es in Österreich so, dass dieser Beschluss längst aufrecht ist. Wir konnten in einem groß angelegten, auch euro­päisch mitfinanzierten Projekt „GewaltFREI LEBEN“ viele, unzählige Veranstaltungen durchführen, die Bundesjugendvertretung war in sehr vielen Schulen unterwegs, und wir konnten auch für Jugendliche im Bereich Gewaltprävention sehr viel machen. Demnächst wird ein Leitfaden für Krankenhäuser zum Umgang mit Patientinnen, die von Gewalt betroffen sind – aber auch im Hinblick auf den Umgang des Kranken­hauspersonals untereinander, wenn solche Fälle auftreten –, freigegeben werden.

Also es hat viele, viele Auswirkungen gehabt, dass wir mit dieser Istanbul-Konvention, mit dieser Anti-Gewalt-Konvention in Österreich schon einige Jahre jetzt, möchte ich fast sagen, hantieren können.

Ich begrüße auch außerordentlich ein Thema, das sehr gerne ausgespart wird, das von der niederländischen Präsidentschaft aufgegriffen wurde, aber natürlich nicht sehr gerne gesehen wird, weil es Personen betrifft, die genau die gleichen Rechte haben sollten wie alle Personen. Es geht um lesbische, schwule, bisexuelle, Transgender- und intersexuelle Personen. Ich werde auch demnächst wieder an einem europäischen Gipfeltreffen teilnehmen. Vor allem am Arbeitsmarkt werden einige dieser Menschen – vor allem Transgender-Personen – maximal diskriminiert, sodass es darum geht, dass wir nicht nur Bewusstsein schaffen, sondern auch die Situation dieser Menschen konkret verbessern.

Ich glaube, wenn die Slowakei die Richtlinie zu den Quoten übernimmt, wird die Geschichte fortgesetzt, ich hätte sie auch schon gerne beendet. Unter Kommissarin Reding, wenn Sie sich erinnern, ist dieser Vorstoß für europäische Quoten in Unternehmen initiiert worden. Für Österreich darf ich berichten, dass wir bei unseren staatsnahen Unternehmen mittlerweile in Aufsichtsräten einen durchschnittlichen Frau­enanteil von 38 Prozent erreichen konnten. Es ist in den letzten fünf Jahren – seitdem diese Selbstverpflichtung, diese Quotenregelung für den halböffentlichen Bereich sozusagen Gesetz ist – sehr gut gelungen, dort, wo wir als Bund mehr als 50 Prozent Anteil halten, eine hohe Steigerungsrate bei Frauen in Aufsichtsratspositionen zu er­reichen.

Bekämpfung von Armut, das ist ein zentrales Anliegen: Ich kann nur auf alle positiv eingehen, die die Bedarfsorientierte Mindestsicherung als ein Instrument für ganz


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wenige Prozent von Menschen in diesem Land genannt haben. Das betrifft auch nicht wenige Kinder, auf die dürfen wir nicht vergessen. In der Bundeshauptstadt Wien müssen 90 Prozent der Leute, die Mindestsicherung beziehen, das draufbekommen, da sie zu wenig verdienen, um – wenn sie alleine leben – überhaupt auf diese 832 € Mindestsicherung zu kommen.

Im Frauenbereich: Ja, die Einkommensunterschiede sind nach wie vor sehr groß. Ich glaube, es ist wichtig, dabei zu helfen, die Situation der Männer und der Frauen auf dem Arbeitsmarkt ein bisschen zurechtzurücken: Männer würden gerne reduzieren, Frauen würden gerne um bis zu drei Stunden pro Woche mehr arbeiten. Die vielen Überstunden versus der hohen Anzahl an Teilzeitfunktionen, Teilzeitarbeitsplätzen von Frauen, das ist nicht in einem Gleichgewicht.

Im Übrigen: Die Aktion hat seinerzeit „Echte Männer gehen in Karenz“ geheißen. (Bundesrätin Posch-Gruska: Genau so!) Und ich stehe auch dazu, ich bin der Auffassung – das ist in Endabstimmung mit der Frau Familienministerin –, ein Konto für ein Kinderbetreuungsgeld hat nur dann Sinn, wenn wir den Einstieg für Väter erleich­tern. Der Papa-Monat, mit 700 € dotiert – also er ist bezahlt, er ist nicht nicht bezahlt –, ist ein erster Schritt, aber die Männer müssen sozialversichert und krankenversichert sein und können nicht ohne Motivkündigungsschutz auskommen, denn sonst wird ihn fast niemand in Anspruch nehmen. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.) Genau das braucht es noch in der Endabstimmung, dann ist dem Konto auch nichts mehr im Wege. Wenn das nicht der Fall ist, sehe ich dieses Konto nicht gut ausgehen.

Zum Bildungsbereich noch ganz kurz: Die EU, die EU-Kommission gibt ja wirklich viel Geld aus für Erasmus+, Schülerinnen-/Schüleraustausch, Studierendenaustausch, Lehrlingsaustausch, Erwachsenenbildung, viele, viele Projekte. Wir sind stolz, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen: Im Jahr 2015 waren es über 13 000 Mobilitäten mit über 400 Projekten. Wir holen immer alles Geld von der EU ab, können unsere jungen Leute sehr gut ausstatten und sie innerhalb der Europäischen Union zirkulieren und Erfahrungen sammeln lassen, um sich weiterzubilden und Selbstbewusstsein, vor allem dieses, zu erlangen.

Wir können stolz sein, dass wir bei den SchulabbrecherInnen schon unter 7 Prozent liegen. Nichtsdestotrotz wollen wir das Gesetz zur Ausbildungspflicht demnächst verabschieden. Die Begutachtungsfrist hat ja schon geendet, die Stellungnahmen müssen eingearbeitet, die Änderungen vorgenommen werden. Wir wollen die zirka 5 Prozent  um die geht es, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen  der jungen Leute, die ihre Schule abgebrochen haben, die keinen weiteren Ausbildungsweg gegangen sind, erreichen. Die 95 Prozent, die etwas tun, um die brauchen wir uns nicht so zu sorgen, sondern die 5 Prozent, die vielleicht aus psychischen Gründen in der Früh nicht aufstehen können, die wirklich Hilfe brauchen, die wollen wir mithilfe ihrer Eltern anleiten, etwas zu tun, damit sie nicht ohne Hoffnung daheim herumlungern müssen.

Die brauchen natürlich Unterstützung, die brauchen Jobcoaching, die brauchen Beglei­tung, und genau das wird das Gesetz zur Ausbildungspflicht bringen. Die Eltern wer­den verpflichtet, sich um ihre Kinder so zu sorgen, dass sie in eine Ausbildungsschiene kommen können. Dadurch wird die SchulabbrecherInnenquote noch geringer werden.

Im Bereich Hochschulbildung haben wir durch die Neuberechnung die vorgegebenen 40 Prozent schon erreicht, weil wir auch die berufsbildenden höheren Schulen als eine Art von tertiären Abschlüssen dazuzählen dürfen, daher sind auch in diesem Bereich die Zahlen längst erreicht.

Bei den neuen Kompetenzen, die die Europäische Agenda vorgibt, darf ich nur zwei nennen: die Pflichtmodule zu Politischer Bildung – sie sind fertig, sie werden ja in einigen Schulen schon erprobt, ab dem nächsten Schuljahr sind sie für alle Schulen


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Pflicht – und unsere digitalen Kompetenzen, die wir laufend in unseren österreichi­schen Schulen ausbauen. Da geht es nicht nur um elektronische Schulbücher, sondern sehr wohl um viel, viel mehr. Wir haben einige hundert Schulen, die auch eLSA-Schu­len sind, also elektronisch ausgestattete und mit diesen Medien arbeitende Schulen.

Der Herr Sozialminister war gerade da, unter seinem Vorgänger als Infrastruktur­minister haben wir damit begonnen, Schulen 2 000 Tablets zur Verfügung zu stellen, 2 000 Stück, wobei immer eine Schule mit zwei anderen Schulen kooperiert und so das digitale Lernen weiter verbreitet. Wenn nichts dagegen spricht, wird das sogar noch ausgebaut, und ich glaube, auch hier sind wir in Österreich für diese neuen Kompeten­zen, die die Europäische Agenda beschreibt und vorgibt, wirklich gut gerüstet. Wir sollten unser Bildungssystem nicht schlechtreden, es ist besser als sein Ruf und besser, als manche hier meinen. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

18.18

18.18.20

 


Präsident Josef Saller: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

18.18.4110. Punkt

Bericht der Bundesregierung betreffend den Abbau von Benachteiligungen von Frauen (Berichtszeitraum 2013–2014) (III-565-BR/2015 d.B. sowie 9544/BR d.B.)

 


Präsident Josef Saller: Wir gelangen nun zu Punkt 10 der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Ebner. Ich bitte um den Bericht.

 


18.19.07

Berichterstatterin Adelheid Ebner: Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundes­minis­terin! Bericht des Gleichbehandlungsausschusses über den Bericht der Bundesregie­rung betreffend den Abbau von Benachteiligungen von Frauen für den Berichts­zeit­raum 2013–2014.

Dieser Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Gleichbehandlungsausschuss stellt den Antrag, den Bericht der Bundesregierung betreffend den Abbau von Benachteiligungen von Frauen (Berichtszeitraum 2013–2014) zur Kenntnis zu nehmen.

 


Präsident Josef Saller: Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Ecker. – Bitte.

 


18.19.52

Bundesrätin Rosa Ecker (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Minister! Ge­schätztes Präsidium! Liebe Kollegen! Liebe Damen und Herren im Publikum! Grund­sätzlich muss die Bundesregierung seit 23 Jahren – und das ist schon lang – zweijähr­lich einen Bericht abliefern, in dem die gesetzten Maßnahmen zum Abbau der Benach­teiligung von Frauen angeführt sind.

Wie sollten denn diese Maßnahmen aussehen beziehungsweise was sollten sie denn erreichen? Es sollen Einrichtungen geschaffen werden, damit die familiären Verpflich­tungen mit der Berufstätigkeit vereinbar sind, es sollen sozialpolitische Maßnahmen


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 161

gesetzt werden, die die Benachteiligungen aufgrund des Mutterseins abbauen, aktive Frauenförderungsmaßnahmen im Bereich des Arbeitsmarktes, der Wissenschaft und der Kunst, Maßnahmen zur Gleichbehandlung im Arbeitsleben und allgemeine Maß­nahmen zur Existenzsicherung auch im Alter, bei Invalidität oder Arbeitslosigkeit.

Wir haben diese Woche den 105. Internationalen Frauentag im Kalender stehen gehabt. (Bundesrat Stögmüller: Außer die FPÖ! – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Wie schaut es denn tatsächlich im Leben der Frauen aus? (Bundesrat Stögmüller – in Richtung Bundesrätin Mühlwerth –: Du warst dagegen!) Durch das Muttersein, sprich Vorhandensein von Kindern, reduziert sich die Erwerbstätigkeit. (Neuerlicher Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Wir haben es gerade gehört, jede dritte Frau arbeitet Teilzeit. Bei den Männern wirkt sich das Vatersein total umgekehrt aus: Die Teilzeitquote sinkt, und die Erwerbsbeteiligung steigt. Also da bleibt nicht mehr sehr viel Zeit für Väterbeteiligung.

Die bevorzugte Variante beim Kindergeld ist nach wie vor bei sehr vielen Frauen das längere Modell, weil sie sich das natürlich selbst aussuchen und es ihnen offensichtlich wichtig ist, in den ersten Zeiten bei den Kindern zu Hause zu bleiben und diese Zeit zu genießen. Wie immer das jede Frau für sich entscheidet: Es ist richtig. Es ist ihre Entscheidung. Es ist die Entscheidung der Familie, dort wird sie getroffen. Ich glaube nicht, dass es Aufgabe des Staates ist, eine Entscheidung vorwegzunehmen oder manche Richtungen so vorzugeben, dass Frauen diese tatsächliche Wahlfreiheit dann nicht mehr haben, weil sie es sich nicht leisten können.

Wir fordern – damit es eben nicht so große finanzielle Auswirkungen bei den Frauen gibt –, dass alle vier Jahre bei den Kindererziehungszeiten angerechnet werden, also nicht nur die Zeit bis zur nächsten Geburt eines Kindes, wenn diese früher stattfindet. Dadurch wäre der Unterschied in der Pensionshöhe geringer. 2014 betrug die durch­schnittliche Frauenpension 1 000 € und die durchschnittliche Männerpension 2 000 €. Das sind sage und schreibe 48 Prozent Unterschied, und das ist schon unbeschreib­lich.

Die Alleinerzieherinnen sind weiterhin noch immer am stärksten armutsgefährdet, wie wir heute auch schon gehört haben. Und die Einkommensschere klafft noch immer. Leider verdienen österreichische Frauen noch immer um 23 Prozent weniger als Männer. Damit befindet sich Österreich am vorletzten Platz in der EU, gerade noch vor Estland. Das Binnen-I und andere gendergerechte Umformulierungen, die noch dazu oft grammatikalisch falsch sind, haben noch keiner Frau einen einzigen Euro mehr ins Geldbörsel gebracht. Das kann man einfach einmal so feststellen. (Bundesrätin Kurz: Aber sie ins Bewusstsein gerufen!)

Laut einer Studie der Allianz Versicherung sind 90 Prozent der Frauen der Meinung, sie verdienen wenig oder zu wenig. Was in Bezug auf die Perspektive noch viel erschüt­ternder ist, ist, dass sieben von zehn Frauen sagen, sie erwarten sich nicht, dass es in den nächsten fünf Jahren besser wird. Also wo bleibt da die Perspektive für die Frauen? Ich finde das wirklich schlimm.

Wenn man dann in diesen Bericht schaut, bei den diversen Maßnahmen und Aktivi­täten, die zum Abbau von diesen besagten Benachteiligungen gefördert werden, dann liest man auf Seite 89 „Bewaffnet mit Kugelschreiber und Mikrofon – Medien als Werkzeug sozialer Entwicklung“ (mehrmals mit einem Kugelschreiber auf das Mikrofon klopfend), und auf Seite 98 findet man die Qualifizierungsmaßnahme „Tricky Women – aktuelle Animationen österreichischer Künstlerinnen“. Da frage ich mich schon, wie denn zum Beispiel diese zwei Maßnahmen die Benachteiligung der Frauen aus­gleichen sollen.


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 162

An oberster Stelle steht noch immer – das ist das Allertraurigste – die sexuelle Beläs­tigung von Frauen, und das nicht nur im Berufsleben. Das Sicherheitsgefühl dürfte sich aufgrund der letzten Vorfälle … (Bundesrat Stögmüller: Po-Grapschen?) – Ja, ich finde das auch besonders lustig, wenn ich das von deiner Seite höre, gefällt mir. (Bun­desrat Stögmüller: Das war ja nicht von mir, das war ja von wem anderen!) Aufgrund der letzten Vorfälle kann man davon ausgehen, dass es sich auch nicht zum Besseren wenden wird. Ganz im Gegenteil: Es werden noch ganz andere Probleme auf die Frauen – auf alle Frauen – in Österreich zukommen.

Wenn ich mir auf der Zunge zergehen lasse, dass ein Tschetschene ganz offen ins Puls 4-Mikrofon sagt: Wenn meine Schwester kein Kopftuch trägt, würde ich sie töten! – Das ist eine Frau, die in Österreich lebt. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Und er reicht der Reporterin nicht einmal die Hand. Wir müssen schon einmal feststellen, dass ein Händedruck in Österreich ein traditionell freundlicher Gruß ist, gleichermaßen für Männer und für Frauen.

Also der FPÖ ist die Verbesserung der sozialen Situation von Frauen schon ein großes Anliegen. Von den selbsterklärten Feministinnen höre ich nichts, was das muslimische Frauenbild und das muslimische Verständnis von Gleichbehandlung betrifft. (Zwi­schenruf der Bundesrätin Dziedzic.) – Ich habe dazu nichts gehört, die ganze Woche nicht. (Zwischenrufe der Bundesrätin Kurz.) Ich hätte wirklich darauf gewartet (Zwi­schenruf des Bundesrates Stögmüller), weil das auch Frauen sind, die in Österreich leben – wenn wir schon alle davon reden. Das sind auch Frauen, die in Österreich leben! Und wenn, dann schon bitte alle gleich behandeln! (Zwischenruf der Bun­desrätin Dziedzic.) – Genau. (Beifall bei der FPÖ.)

Wir sind der Meinung, dass den Frauen am meisten geholfen ist, wenn man dem Lohngefälle gegensteuert, wenn man Lohn- und Pensionsverluste abbaut, und zwar zwischen Frauen mit Kindern und Frauen ohne Kinder und den Männern – also nicht nur zwischen Männern und Frauen. Es gibt sehr viele Ungleichstellungen. Die Betreuung darf zu keinem Nachteil führen. Frauen haben oft sehr große Sorgearbeit, die unbezahlt ist. Die gehört gesellschaftlich noch besser anerkannt und auch finanziell besser anerkannt. Das ist eine riesige Benachteiligung, die zum großen Teil Frauen trifft.

Es ist nicht zu dulden, dass Mütter im Bereich der Pensionszeiten und Beitragszah­lun­gen riesige Verluste einfahren. Wenn man bedenkt, dass eine Mutter rund 70 € pro Kind und Monat durch den Durchrechnungszeitraum in der Pensionszeit verliert, so ist das eigentlich für ein Land wie Österreich absolut unmöglich. Das ist überhaupt nicht einzusehen.

Zusammengefasst ist unbestritten, dass die Gleichstellung noch fern ist. Wenn man sich den Frauenmonitor anschaut, gibt es zwar da und dort Verbesserungen, aber die Maßnahmen zur Herstellung der Chancengleichheit bewirken wenig. Im Gegenteil: Österreich ist unter jenen acht Ländern, in denen sich der Indexwert verschlechtert hat. Da weiß ich jetzt wirklich nicht, was ich da so positiv zur Kenntnis nehmen sollte. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

18.27


Präsident Josef Saller: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Blatnik zu Wort. – Bitte.

 


18.27.29

Bundesrätin Ana Blatnik (SPÖ, Kärnten): Herr Präsident! Gospod president! Liebe Frau Bundesministerin! Gospa zvezna ministrica! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drage kolegice in kolegi! Ich möchte zuerst – obwohl zwei Tage danach – allen Frauen zum Internationalen Frauentag alles Gute wünschen. Ich möchte mich aber bei allen


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Frauen und Männern bedanken, die etwas für den Abbau der Benachteiligungen beigetragen haben. Ich bin mir dessen bewusst, dass nur wir gemeinsam etwas verän­dern können, wenn es um Gesetzesänderungen geht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Internationalen Frauentag bin ich als Landes­frauenvorsitzende der SPÖ Kärnten interviewt worden. Ein Journalist hat mich gefragt: Hat das eigentlich noch einen Sinn, den Frauentag zu feiern? Es ist eh alles in Ord­nung, warum dieser Feiertag?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist es. Ich glaube, das größte Problem ist, dass man sich dessen nicht bewusst wird oder bewusst ist, dass Frauen benachteiligt sind. Es ist eh normal, dass die Frauen unbezahlte Arbeit zu Hause machen. Obwohl – das muss man auch sagen – sich auch da vieles verbessert hat. Es ist zum Beispiel im öffentlichen Dienst, wo die Möglichkeit besteht, gesetzlich geregelt, dass Väter in Karenz gehen. Und durch diese gesetzliche Regelung gehen auch mehr Väter in Karenz. Ich glaube, hinsichtlich dieses Bewusstseins, dass Frauen wirklich benach­teiligt sind, sind Maßnahmen unbedingt erforderlich.

Liebe Monika Mühlwerth, ich bin voll bei dir, wenn du sagst, jede Frau soll selbst ent­scheiden können, dürfen und müssen, was sie tut. (Bundesrätin Mühlwerth: Genau!) Wenn sich eine Frau entscheidet, dass sie zu Hause bleibt und nicht erwerbstätig ist und praktisch keine bezahlte Arbeit macht, sondern sich für unbezahlte Arbeit – so ist es – entscheidet, dann wird mein Hauptaugenmerk darauf liegen, ihr zu sagen, was das heißt. Es sind nämlich gerade diese Frauen – ich weiß, wovon ich spreche –, die, wenn sie zu Hause bleiben, weil sie sich selbst dazu entschieden haben, nachher in die Armutsfalle tappen. Und Armut ist weiblich. (Bundesrat Dörfler: Meine Mutter war nie arm, die hat acht Kinder großgezogen und nie gearbeitet!) – Lieber Herr Landes­hauptmann außer Dienst, du kannst nachher herauskommen und deinen Beitrag dazu leisten, oder wir treffen uns draußen und diskutieren weiter!

Genau das ist der Punkt: Wenn eine 47-jährige Frau, die vier Kinder bekommen hat, die bis zum 47. Lebensjahr daheim geblieben ist und für die Kinder gearbeitet hat, einen Arbeitsplatz haben will, dann haben wir Probleme. (Bundesrätin Mühlwerth: Ja, aber warum? Das ist ja nicht nötig!) Dann haben wir deswegen Probleme (Zwischenruf bei der ÖVP), weil sie große Probleme beim Wiedereinstieg hat (neuerlicher Zwi­schenruf der Bundesrätin Mühlwerth), weil sie beispielsweise überqualifiziert ist und keinen Job kriegt. Das ist die Tatsache.

Ich sage es noch einmal: Mein Augenmerk liegt nicht darauf, zu urteilen, was gut und was schlecht ist, denn die Frauen sind mündig, sie können selbstständig entscheiden. Mein Augenmerk wird immer darauf liegen, was das für die Frauen heißt.

Ich bin auch eine, die hundertprozentig sagt, dass vieles passiert ist, dass auch in den Köpfen der Männer vieles passiert ist. Das muss man auch sagen. Es ist vieles passiert! Wenn ich nur daran denke: Als mein Mann vor 30 Jahren mit dem Kinder­wagen mit unserer Tochter durch Ludmannsdorf spaziert ist, hat es geheißen, er ist ein Pantoffelheld, sie hat die doppelten Hosen an, und was weiß ich nicht was alles. Ja, das war damals so. Heute ist so etwas eigentlich ganz normal. Und zu Zeiten einer Johanna Dohnal zum Beispiel waren sehr viele Sachen, die jetzt etwas ganz Normales sind, im Alltag nicht lebbar und politisch nicht durchsetzbar.

Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns am Internationalen Frauentag der Frauen erinnern, die sehr viel für die Gleichstellung, sehr viel für die Chancengleichheit, sehr viel für die Gleichbehandlung gemacht haben, und sie ehren. Auf das können wir stolz sein. Ich weiß aber auch, wie viel noch zu tun ist.


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 164

Genau dieses Abbauen der Benachteiligung von Frauen ist in diesem Bericht integriert. Er ist für mich ein umfassendes Nachschlagewerk. Ich möchte mich bei allen Mitar­beitern und Mitarbeiterinnen, bei dir, Frau Ministerin, und bei allen Ministerien – es betrifft ja praktisch alle Ministerien – für dieses detaillierte und gute Auflisten von Maßnahmen bedanken. Es wurden 246 externe Maßnahmen gemacht. Diese Maßnah­men erfolgten – das ist für mich auch so wichtig – durch Publikationen und Studien, durch die Gesetzesänderungen, durch Förderungsprogramme und vor allem aber durch Beratung, Qualifikation und Öffentlichkeitsarbeit. Gerade diese Öffentlichkeits­arbeit ist es, die bewusst macht, dass Frauen benachteiligt sind.

Meine Vorrednerin hat schon gesagt, an welchen fünf Punkten sich diese Maßnahmen orientieren. Ich möchte nur sagen, dass die meisten Maßnahmen vom Frauenminis­terium gemacht worden sind. Dazu möchte ich dir, Frau Minister, erstens gratulieren und mich zweitens dafür im Namen der SPÖ-Frauen bei dir bedanken. Du hast vieles geleistet! Ich möchte als Beispiel den Einkommensbericht erwähnen und die zwin­gende Angabe der Löhne bei Stelleninseraten. Ich möchte den Ausbau von Kinder­betreuungseinrichtungen erwähnen. Das ist die Perspektive, weil Sie gesagt haben, es gibt keine Perspektive, dass Frauen arbeiten. Eine Perspektive der Frauen, dass sie arbeiten können, wenn sie wollen und sich dafür entscheiden, ist der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen, ist der Ausbau der Ganztagsschule und ist die partnerschaftliche Erziehung. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich möchte kurz auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eingehen. Es stimmt und es ist leider noch immer so – wir können die Augen nicht davor verschließen –, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch immer ein Frauenproblem ist. Wenn eine Frau ein Kind hat, ist es so, dass sie die Arbeitszeit minimiert. Beim Mann ist es so – wenn in der Familie die Kinder da sind –, dass die Arbeitszeit erhöht wird. Ich glaube, Teilzeit ist eine Möglichkeit, wenn die Frau das will, nur ich werde immer davor warnen. Aber was die Frau macht, entscheidet sie selbst. Die lange Version ist nicht so ratsam, weil Teilzeit heißt weniger Lohn, weniger Pension.

Vielleicht noch etwas zur Gewalt: Gewalt – ganz egal, wen es trifft – ist kein Kavaliers­delikt. Gewalt hat mit Macht nichts zu tun. Gewalt ist seit 1. Jänner 2016 strafbar. Dafür auch recht herzlichen Dank, liebe Frau Bundesministerin! (Beifall bei der SPÖ.)

Gewalt ist leider Gottes noch immer ein Tabuthema. Die meiste Gewalt passiert daheim, in den eigenen vier Wänden, Gewalt an Frauen und Kindern. Und das darf man auch niemals vergessen. Deswegen sind die ganzen Gewaltpräventionen, die in diesen zwei Jahren 2013 und 2014 gemacht worden sind, so wichtig für Frauen und vor allem für alle in der Gesellschaft, damit man sich bewusst wird, dass Gewalt nicht etwas Normales und kein Kavaliersdelikt ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Abschließend noch einmal recht herzlichen Dank für deine Initiative, Frau Minister, und Dank an deine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die diesen Bericht erstellt haben. Vieles haben wir erreicht, darauf können wir stolz sein, aber vieles steht noch bevor. Dazu brauchen wir viel Mut, viel Kraft, viel Idealismus, und wir brauchen einander alle, Männer und Frauen!

(Die Rednerin setzt ihre Ausführungen in slowenischer Sprache fort.)

Danke. Hvala lepa. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

18.38


Präsident Josef Saller: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Hackl zu Wort. – Bitte.

 


18.38.27

Bundesrätin Marianne Hackl (ÖVP, Burgenland): Geschätzter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Minister! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Liebe Zuseher zu Hause!


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 165

Als Frau ist es mir ein großes Anliegen, dass man immer wieder auf die Benach­teiligung der Frauen aufmerksam macht. Wir Frauen warten aber nicht darauf, dass irgendjemand irgendetwas für uns richten wird, sondern wir übernehmen selbst die Verantwortung für die Erfüllung unserer Bedürfnisse, unserer Ansprüche und Rechte – auch, wenn das oft unbequeme Auseinandersetzungen für uns bedeutet.

In vielen Gesellschaften sind Frauen und Mädchen rechtlich, sozial und wirtschaftlich benachteiligt. Bis heute ist Chancengleichheit von Frauen und Männern in keinem Land der Welt wirklich umgesetzt worden. Deshalb muss alles daran gesetzt werden, die Lebenswirklichkeit von Frauen nachhaltig zu verbessern. Schließlich muss es selbstverständlich sein, dass man Frauen auch überall dort, wo es um wesentliche Entscheidungen geht, in den obersten Etagen, teilhaben lässt. Frauen sind inzwischen genauso gut oder besser qualifiziert als die Männer und haben den höheren Anteil an Studienabschlüssen, dennoch sind ihre beruflichen Perspektiven immer noch schlech­ter, und sie verdienen nach wie vor weniger. Die Unterschiede resultieren unter ande­rem aus schlechten Einstiegsgehältern und aus Arbeitsunterbrechungen sowie durch Pflege- oder Elternkarenz. So verdient die Frau im Jahr 2014 laut Statistik Austria 18 Prozent weniger als Männer, bezogen auf das Einkommen von Vollzeitbeschäf­tig­ten. Zudem hat sich die Gehaltsschere zwischen Frauen und Männern seit 2011 nur um 1,5 Prozent verringert. Erfreulich ist aber, dass die Erwerbsquote von Frauen von 1995 bis 2013 um fast 9 Prozent gestiegen ist – von 62,3 auf 71,1 Prozent –; die der Männer stieg von 80,8 auf nur 81,2 Prozent. Die Unterschiede bei den Pensionsleistun­gen gehen zwar zurück, aber die noch bestehenden Benachteiligungen in Österreich und deren Auswirkungen auf soziale und finanzielle Teilhabechancen sind ganz beson­ders deutlich.

Deshalb braucht es ein Bündel an Maßnahmen. Dazu muss man sich zunächst die Gründe für die Benachteiligung anschauen. Ein Teil der Lücke ist dadurch zu erklären, dass Frauen öfters in niedrig entlohnten Branchen und Berufen arbeiten, wie zum Beispiel im Dienstleistungssektor. Außerdem spielen, wie wir schon gehört haben, längere familienbedingte Erwerbsunterbrechungen und der anschließende Wiederein­stieg in Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse eine große Rolle. Das Großziehen von Kin­dern, aber auch das Pflegen von Familienangehörigen – und das ist etwas, das sehr viel Arbeit und sehr viel Verantwortung mit sich bringt – sind wichtige Beiträge für unsere Gesellschaft, für die es viel zu wenig Anerkennung gibt.

So bekommen Frauen, die aufgrund ihrer Kinder lange Zeit nicht gearbeitet haben, im Alter eine geringe Pension, weil ihre Arbeit als Hausfrau und Mutter in der Gesellschaft im Gegensatz zu einem Beruf, bei dem man offiziell Geld verdient, nicht wirklich aner­kannt wird. Deshalb muss unbedingt auch die Leistung von Frauen, die Kinder bekom­men und großziehen, anerkannt und finanziell berücksichtigt werden. Ein richtiger Schritt wäre es, die Anrechnung der Karenzzeit bei den Gehaltsvorrückungen in den Kollektivverträgen zu verankern. Außerdem müssen flexible Kinderbetreuungs­möglich­keiten sowie die Betreuung durch Tageseltern oder Oma/Opa-Dienst weiter ausgebaut werden, um einen Wiedereinstieg ins Vollzeitberufsleben zu erleichtern. Die genannten Ungerechtigkeiten sind nämlich im gesamten Berufsleben nicht mehr aufzuholen, wirken sich in Folge auf die Pensionen aus, und das bringt ein wachsendes Armuts­risiko.

Unbestritten ist, dass die Wirtschaft zunehmend weiblicher wird. Nicht nur wird jedes dritte Unternehmen von einer Frau geführt, auch bei Unternehmensgründungen ist ein Anstieg des Frauenanteils zu verzeichnen. Um die Zahl der Unternehmens­gründerin­nen weiter zu steigern, habe ich bei uns im Südburgenland im Bezirk Güssing gemein­sam mit einer starken Persönlichkeit, Frau Mag. Helga Galosch, und „Frau in der Wirt-


BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 166

schaft“ ein Pilotprojekt gestartet, das sich „Non.Plus.Weiblich – unternehmen strengs­tens erlaubt“ nennt.

Es richtet sich an Frauen, die Bewegung in ihre regionale Wirtschaft bringen wollen. Wir treffen uns monatlich, um in Gesprächen Erfahrungen und Ideen auszutauschen. Dabei erzählen Unternehmerinnen aus den Regionen ihre persönlichen Erfolgsstories. Die Teilnehmerinnen erhalten so einen Überblick über die Möglichkeiten und Heraus­forderungen der Selbstständigkeit, die von den Expertinnen, vom Gründerservice der Wirtschaftskammer und anderen Institutionen unterstützt wird.

So ist es auch mein persönliches Ziel, die weibliche Präsenz bei uns im Südburgen­land, einer ländlich strukturierten Region, zu stärken, damit wirtschaftliches und kreatives Know-how vor den Vorhang geholt und so die Region wiederbelebt wird. Wichtig sind dabei nicht nur die Impulse durch die Ideen der Frauen, sondern auch das Tun, das unsere Wirtschaft stärkt und unseren ländlichen Raum durch die Frauen leben lässt, weil bei uns die Männerwelt doch noch sehr stark in die Ballungszentren auswandert und auspendelt, während die Frau zu Hause „nur“ den Laden schupft.

Wir müssen die Rahmenbedingungen ändern und anpassen, denn Chancengleichheit darf nicht nur ein Schlagwort sein. Deshalb sind alle Männer und Frauen aufgerufen, diese erwähnten Ungerechtigkeiten zu beseitigen und entsprechende Rahmenbedin­gungen zu schaffen.

Ich danke allen, die dem Bericht zustimmen. Frau Minister, Ihnen danke für Ihre Arbeit. Unsere Fraktion wird natürlich auch zustimmen. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie der Bundesräte Stögmüller und Dziedzic.)

18.46


Präsident Josef Saller: Nächste Rednerin: Frau Bundesrätin Mag. Dr. Dziedzic. – Bitte.

 


18.46.16

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrtes Präsidium! Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Werte Kollegen und Kolleginnen! Als Erstes: Der Frauentag ist kein Feiertag, es ist ein Kampftag! (Bundesrätin Posch-Gruska: Genau! – Ruf bei der FPÖ: Richtig! – Heiterkeit bei Bundesräten der FPÖ.)

Der Grund dafür ist, dass die Lohnschere, die ungleiche Verteilung von Fürsorge- und Betreuungspflichten sowie weibliche Gratisarbeit tatsächlich kein Mythos sind, sondern die wirtschaftlichen, die sozialen, die politischen und ökonomischen Strukturen nach wie vor sehr stark prägen. Diese Verschärfung der ökonomischen Unterschiede hat auch konkrete Auswirkungen – Frauenarmut wurde heute bereits einige Male erwähnt.

Vieles dessen, was im Bericht festgehalten wurde, haben wir heute schon gehört, aber auch wenn heute kein Frauentag mehr ist, will ich die Fakten gerne nochmals wieder­holen, denn das kann man gar nicht oft genug tun: Frauen verdienen in Österreich durchschnittlich 23 Prozent weniger als Männer. Sie sind am Arbeitsmarkt nach wie vor massiv beteiligt. In jedem Lebensabschnitt gibt es Armutsfallen und auch Stolpersteine für Frauen.

In der Pension, auch das haben wir gehört, schlägt sich das deutlich nieder. Das Armuts­risiko unter den alleinlebenden Pensionistinnen beträgt 30 Prozent, bei den Pensionisten sind es 14 Prozent. Zudem waren im Jahr 2014 im elftreichsten Land – in Österreich – 491 000 Frauen ab 20 Jahren, das sind 14 Prozent, armutsgefährdet und 516 000 Frauen – 15 Prozent – definitiv arm.

Die unbezahlten Pflege- und Betreuungsleistungen werden überwiegend, das heißt, zu 80 Prozent, von Frauen erbracht, und bei der Pflegeteilzeit sind 88,89 Prozent – fast


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90 Prozent – Frauen. Das heißt aber auch, dass Frauen nicht nur ihre Angehörigen pflegen, sondern daneben sehr oft erwerbstätig sind. Der Väteranteil, auch das haben wir heute schon gehört, liegt nach wie vor bei 5 Prozent. Da gibt es auf jeden Fall sehr viele Maßnahmen, die noch greifen müssen, denn umgekehrt bedeutet das, dass 95 Prozent der BezieherInnen Frauen sind.

Ebenfalls schon gehört haben wir, dass dies vor allem daran liegt, dass Frauen in Branchen arbeiten, die niedrig entlohnt werden, und es deshalb zu gravierenden Lohn­unterschieden kommt, aber sie werden auch schon bei ihrem Jobeintritt sehr oft nied­riger eingestuft als Männer – das heißt: geringerer Lohn für die gleiche Arbeit. Durch Babypausen, Familienbetreuungs- und Pflegearbeit sind Frauen zudem vielfach auf Teilzeitarbeit angewiesen.

Ja, ich vertrete die Forderung nach einer grundsätzlichen Arbeitszeitverkürzung für Frauen und Männer, aber vor ein paar Jahren gab es eine Studie, wonach 53 Prozent der teilzeitarbeitenden Frauen gesagt haben: Hätte ich einen Betreuungsplatz für mein Kind, würde ich Vollzeit arbeiten.

Das heißt, Frauen haben nach wie vor aufgrund dieser Hürden weniger Aufstiegs­mög­lichkeiten. Ihr Einkommen steigt weniger stark an als das der Männer, und Frauen bekommen seltener Notstandshilfe oder Ausgleichszulage in der Pension, weil das Einkommen des Partners oder Unterhaltsleistungen angerechnet werden.

Dazu gibt es im Bericht ganz konkrete Zahlen, und zwar wurden durch die Berück­sich­tigung des Partnereinkommens bei der Bewilligung und Berechnung der Not­stands­hilfe im Jahr 2014 über 16 000 Anträge abgewiesen. 82 Prozent dieser Ableh­nungen entfie­len auf Frauen. Die Regelung in der derzeitigen Form stellt also die eigenständige Absicherung von Frauen grundsätzlich in Frage.

Damit die Gleichstellung tatsächlich vorankommt, reicht es nicht, nur ein paar Maß­nahmen zu treffen. Es braucht eine Umverteilung von Zeit, Arbeit und Einkommen genauso wie eine steuerliche Entlastung, die vor allem Frauen zugutekommt – das wird sehr oft vergessen. Ein ganz wichtiger Schlüssel ist meiner Meinung nach auch eine Umverteilung der Sorgearbeiten, damit Frauen nicht nur entlastet werden, sondern auch mehr Chancen am Arbeitsmarkt bekommen, denn Frauenerwerbsein­kommen sind schon lange nicht mehr oder waren noch nie ein reiner Zuverdienst.

Wir brauchen nach wie vor sehr vieles. Zum einen müssen wir die Lohnerhöhungen in Niedriglohnbranchen angehen, zum anderen brauchen wir natürlich auch elternfreund­liche Beschäftigungsverhältnisse. Wir brauchen einen Ausbau der sozialen Infrastruk­tur – ob es um Kinderbetreuung, Pflege oder Bildung geht. Wir brauchen eine tat­sächliche Reform des Kinderbetreuungsgeldes genauso wie transparente Ausschrei­bungen und Bewerbungsverfahren, aber auch die Besserstellung von Teilzeitarbeit und den Ausbau von qualifizierter Teilzeitarbeit, weil Teilzeitarbeit ja nicht grundsätzlich schlecht ist.

Auf zwei Aspekte möchte ich noch kurz näher eingehen, und zwar auf die Einkom­menstransparenz in Österreich und das sogenannte Gender Budgeting. Abgesehen davon, dass Österreich hinsichtlich der Einkommensschere nach wie vor diesen stol­zen vorletzten Platz vor Malta belegt, hat sich auch bezüglich Transparenz bei den Einkommen sehr wenig getan. Auf Ihre Initiative hin, Frau Bundesministerin, wurden 2010 die verpflichtenden Einkommensberichte eingeführt.

Was geschieht, wenn Unternehmen dem nicht nachkommen? – Nichts. Und was ge-schieht, wenn sie dem nachkommen? – Auch nicht viel mehr. Die Berichte erhalten nämlich nur die Betriebsräte oder gar der Zentralbetriebsrat, die damit – unter Strafan­dro­hung – natürlich nicht an die Öffentlichkeit gehen dürfen, aber auch de facto keine


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wirklichen Ansprechpersonen haben, die sich mit diesen Berichten auseinandersetzen. Das bedeutet: Transparenz ohne transparente Handhabe, ohne Kontrolle, ohne Sanktionen ist zahnlos.

Im Übrigen braucht es auch mehr Frauen – da schaue ich in die Richtung der Gewerk­schaftsvertreterinnen (die Rednerin deutet in Richtung SPÖ) – in den Kollektivvertrags­teams. Da fehlt Männern nämlich tatsächlich sehr oft der Blick dafür, dass es nicht nur um Lohnerhöhungen geht, sondern sehr oft auch um die Bemessungsgrundlage, beispielsweise bei den Zulagen. Sie müssen sich vorstellen, dass selbst beim Reini­gungspersonal, wo bekanntlich mehrheitlich oder fast nur Frauen arbeiten, in den Kollektiv­vertragsverhandlungen dann nur Männer drinnen sitzen!

Der zweite Aspekt betrifft Gender Budgeting – so sperrig das klingen mag, geht es hier um die öffentlichen Budgets und damit um in Zahlen gegossene Politik. Bund, Länder und Gemeinden sind laut österreichischer Verfassung auch dazu verpflichtet, ihre Budgetpolitik so zu gestalten, dass sie eine tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern fördert. Kommen sie dem nach? – Das ist eher eine rhetorische Frage, ich glaube, Sie kennen die Antwort.

Wo merkt man jetzt die ungleiche Verteilung der Budgets am meisten? Zum Beispiel im Verkehrs- und Mobilitätsbereich – Frauen sind viel stärker auf öffentliche Verkehrs­mittel angewiesen, da sollte man hinschauen – oder auch im Bereich der Kunst und Kultur: Nur 20 bis 25 Prozent des österreichischen Filmförderbudgets bekommen Frauen, und das ist nur ein Beispiel. Das Sportbudget macht diesen Gender Gap am besten sichtbar: Fußball bekommt immer die höchsten Förderungen – und verstehen Sie mich nicht falsch, ich schaue und spiele selber gerne Fußball (demonstrativer Beifall des Bundesrates Zelina) –, aber mit Investitionen in ausschließlich diesen Bereich werden wir unsere begabten, talentierten Sportlerinnen nicht fördern.

Weil nicht allen klar ist, was selbstverständlich sein sollte: Es geht nicht darum, mehr auszugeben, es geht wirklich nur darum, das vorhandene Budget so gerecht zu gestalten, dass es eben Männern und Frauen gleichermaßen zugutekommt. Ich bin mir dessen bewusst, dass der Appell jetzt nicht ausschließlich an Sie, Frau Bundes­ministerin, gerichtet werden kann – im Gegenteil, ich finde, Sie waren und sind stets bemüht, frauenpolitische Maßnahmen zu setzen, das ist nur leider, wie der Bericht zeigt, viel zu wenig.

Damit sich ein reiches Land wie Österreich beim nächsten Bericht nicht genieren muss, immer diese letzten Plätze zu belegen, müssen nicht nur Sie, sondern auch die anderen Ressorts etwas tun, vor allem was Gender Budgeting anbelangt. Wir alle – im Bund und in den Ländern – sind gefordert, uns Tag für Tag, vom 8. März bis zum nächsten 8. März, kontinuierlich für Chancengerechtigkeit und eine gerechte Aufteilung der öffentlichen Gelder einzusetzen. Für diesen Einsatz danke ich schon jetzt allen, die bereit sind, das zu tun. (Beifall bei den Grünen, bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Zelina.)

18.56


Präsident Josef Saller: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Lindner. – Bitte.

 


18.56.19

Bundesrat Mario Lindner (SPÖ, Steiermark): Geschätzter Herr Präsident! Geschätzte Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich bin doch etwas verwun­dert, und zwar über die anderen Fraktionen: Wenn ich mir die RednerInnenliste bei den Tagesordnungspunkten „Strategische Jahresplanung“ und „Bericht betreffend den Abbau von Benachteiligungen von Frauen“ ansehe, dann stelle ich fest, dass sich von


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den anderen Fraktionen kein Kollege zu Wort gemeldet hat. (Beifall bei SPÖ und Grünen. – Bundesrat Herbert: Dafür haben wir ja eh dich, Kollege!) – Bei der FPÖ wundert mich das ja nicht so ganz (Zwischenrufe bei der FPÖ), beim Quotenmann und meinem lieben Kollegen David Stögmüller wundert es mich schon ein bisschen, aber, David, wenn es dir recht ist, dann rede ich für uns beide! (Heiterkeit des Bundesrates Stögmüller.)

Ich wurde vor ein paar Tagen von einem Journalisten gefragt, was ich zur Quoten­rege­lung sage, und ich habe dem Journalisten gesagt: Ganz ehrlich, wenn es nach mir geht, dann brauchen wir diese Quotenregelung nicht, und ich würde mir auch wün­schen, dass wir keine Quotenregelung bräuchten, aber ich glaube, dass in der momen­tanen Situation die Quotenregelung das einzige Instrument ist – speziell bei den Aufsichtsrätinnen und Aufsichtsräten und bei gewissen MandatarInnen –, das mehr Gerechtigkeit schaffen kann. Deswegen auch ein klares Bekenntnis zur Quotenrege­lung.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Frauenpolitik kann nicht nur Sache von Frauen sein, Frauenpolitik muss ein Schwerpunkt von Frauen und Männern sein. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie des Bundesrates Gödl.) Auch Gleichstellungspolitik kann nicht nur Sache von Frauen sein, sondern muss ebenfalls ein Schwerpunkt für Frauen und Männer sein.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Im Bericht geht es vor allem um die Situation von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt, die Ungleichheit bei den Einkommen. Es geht um die Armutsgefährdung der Frauen, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, um Gesundheit und Pflege. Es geht um das Leben der Frauen auf dem Lande, um die Situation der Frauen mit Migrationshintergrund, um die Beharrlichkeit der Bilder, der Rollenklischees, der Rollenbilder und um einige Punkte mehr.

Liebe Kollegin Mühlwerth, liebe Kollegin Junker: Ja, wir brauchen die Gleichstellung von Frauen und Männern, und ja, die Frauen sollen sich natürlich alles aussuchen können, aber wenn ich speziell an den Teil mit der geforderten Gleichstellung denke oder an gewisse Rahmenbedingungen, dann ist es Frauen momentan nicht möglich, sich alles wie gewünscht auszusuchen. Ich denke da natürlich insbesondere an die Teilzeit: Wenn wir nicht die nötigen Vollarbeitsplätze zur Verfügung stellen, dann können sich Frauen sehr oft nicht aussuchen, ob sie in Vollzeitarbeitsplätzen beschäf­tigt sein wollen.

Deswegen brauchen wir mehr Kinderbetreuungsplätze. Wir brauchen die Ganztags­schule. Wir brauchen die gemeinsame Schule – eine langjährige Forderung der Sozial­partnerinnen und Sozialpartner (Bundesrätin Mühlwerth: Ach so?), wir brauchen mehr Pflegeplätze, wir brauchen ein Mehr an partnerschaftlicher Erziehung, sprich: mehr Väter in Karenz. Seit das Gesetz im öffentlichen Dienst verwirklicht wurde, ist ja die Zahl der Väter in Karenz gestiegen.

Diese Regelung brauchen wir natürlich auch in der Privatwirtschaft und natürlich brauchen wir gleichwertigen Lohn für gleichwertige Arbeit.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es gibt Fortschritte bei der Gleichstellung von Frauen und Männern, aber der Bericht zeigt auch, dass es noch viel zu tun gibt. Liebe Frau Bundesministerin, liebe Frau Frauenministerin, unsere, meine Unterstützung hast du auf alle Fälle. Johanna Dohnal hat gesagt: „Aus taktischen Gründen leise zu treten, hat sich noch immer als Fehler erwiesen.“

Es gibt noch viel zu tun, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lasst uns gemeinsam laut sein! (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

19.00



BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 170

Präsident Josef Saller: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesministerin Heinisch-Hosek. – Bitte.

 


19.00.50

Bundesministerin für Bildung und Frauen Gabriele Heinisch-Hosek: Hohes Prä­si­dium! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! So ernste, so viele und so gute Argu­mente zwei Tage nach dem Internationalen Frauentag hier zu hören, das ist wirk­lich wichtig.

Ich möchte zum Abschluss drei Begriffe – zwei Begriffe, die heute gefallen sind und einen, den ich einbringen möchte – aufgreifen, denn ist es vieles gesagt worden. Diesen Bericht zum Abbau der Benachteiligungen von Frauen gibt es nicht umsonst. Seit Beginn der neunziger Jahre, das ist ja damals auch mit der Verfassungs­gesetz­gebung gegen die vorzeitige Anhebung des Frauenpensionsantrittsalters einhergegan­gen, nämlich des gesetzlichen Frauenpensionsantrittsalters, wenn Sie sich erinnern, gibt es diese Berichte.

23 Jahre danach gibt es diese Berichte noch, darüber hinaus bis 2018 wird es sie noch geben, dann wird man sich entweder etwas Neues überlegen oder sagen, wir haben Gleichstellung und brauchen sie nicht mehr – also so optimistisch sollten wir sein. Aber einige Zeit werden wir diese Berichte auch noch hören müssen, um unsere Schlüsse zu ziehen. Diese Berichte – jetzt sind es halt 246 Einzelmaßnahmen gewesen, wieder um 44 mehr als beim letzten Bericht –, mehr oder weniger in Form von Studien, Berichten, aber auch tiefgreifendere Maßnahmen waren dabei, sind da, um zu hören, was sich denn im Bereich Gleichstellung zwischen Frauen und Männern nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch in anderen Bereichen tut.

Da heute „Tricky Women“ genannt wurde: Das ist ein nicht nur national, sondern international anerkanntes Trickfilm-Festival von Frauen für Frauen, wo mit der Kunst­form des Trickfilms Lebensrealitäten von Frauen aufgezeigt werden. Gerade vor zwei Tagen hatte ich in meinem Ressort „Tricky Women“ zu Gast. Es wurde ein Kurzfilm gezeigt, weil wir die Themen Frauenflucht und Solidarität behandelt haben, dies dis­kutiert haben und dort eine Frau mit Fluchthintergrund mit dem Kunstmittel des Trickfilms ihre Geschichte und ihr Schicksal erzählt hat. – Das war sehr bewegend.

Und warum erwähne ich gerade „Tricky Women“? Weil es eigenständige Regisseurin­nen, Filmmacherinnen sind – das wurde heute auch schon gesagt –, die ihr Leben oft sehr prekär fristen müssen. Nicht nur die, die selbständig sind, denn, Frau Präsidentin Zwazl, du weißt es, wir loben zwar immer wieder – und das ist auch gut so –, dass immer mehr Frauen Gründerinnen sind, aber wir beide, und nicht nur wir beide, wir alle wissen aber auch, dass sich viele Frauen aus einer verlorenen Erwerbstätigkeit, unselbständigen Erwerbstätigkeit heraus in die Gründerinnenszene begeben, weil sie sich natürlich irgendein Standbein erarbeiten wollen.

Wir wissen auch, dass gerade im Bereich der Selbständigen, wenn wir uns die Schere zwischen Männern und Frauen im Alter anschauen, diese genauso groß, wenn nicht größer ist als bei unselbständig Erwerbstätigen. Das heißt, das ist nichts nach dem Motto: Ich werde jetzt halt selbständig und bin erfolgreich. Es ist für Frauen oft unglaublich schwierig, hier auch Fuß zu fassen und davon leben zu können.

Der zweite Begriff: Das Gesetz zur Einkommenstransparenz ist erwähnt worden. Selbst­verständlich – gerade heute habe ich meinen Appell wieder erneuert – gehören die Einkommensberichte nachgeschärft. Selbstverständlich gehören diese Instrumente, die ein erster Hebel waren, jetzt so konstruiert, dass sie nicht nur die Gehalts­bestand­teile von Männern und Frauen mitaufzeigen – nicht nur: Was verdient wer? –, sondern


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auch welche Bonitäten, welche Überstunden, also welche Anteile das Gehalt auch beinhaltet.

Zweitens sollten sie lesbarer werden. Sie sind für einige Menschen wie irgendwelche japanischen Schriftzeichen, die man nicht entziffern kann, daher: einheitliche Vorlagen für Einkommensberichte, einfache Vorlagen für Einkommensberichte. Ich möchte, dass zumindest einmal im Jahr verpflichtend in den Unternehmen über diese Berichte gesprochen werden muss. Es gibt Wirtschaftsgespräche, die können jedes Quartal stattfinden, sie müssen sogar stattfinden, und einmal im Jahr will ich, dass auch über diese Einkommensberichte gesprochen wird, dass man daraus auch Ableitungen schließen muss, und dass hier mit den Erkenntnissen, wenn Gehaltsunterschiede festgestellt werden – denn es geht ja um die, die man sich nicht erklären kann, nicht um die, die man anhand der Einstufung erklären kann –, auch etwas passiert.

Der dritte Begriff, der heute nicht gefallen ist: Ich habe mir heute erlaubt, den Gehalts­rechner – ich lade alle ein, auf www.gehaltsrechner.at reinzuschauen – in einer zweiten Auflage zu präsentieren. Wir sammeln zigtausende Daten – Statistik Austria; Mikrozen­sus –, Erhebungen, anhand derer wir abbilden, was Männer und Frauen mit einer gewissen Betriebszugehörigkeit wirklich verdienen. Wenn man da reinschaut und seine Profession hineinstellt, dann sieht man, ob man in etwa richtig eingestuft ist oder zu hoch – da wird man sich nicht aufregen –; ist man zu niedrig eingestuft, ist es dann ein guter Hebel, damit zum Arbeitgeber zu gehen und zu sagen, ich glaube, ich bin falsch eingestuft. Hier sollten wir etwas tun.

Genau fünf Kollektivverträge wurden in diesem Bericht zum Abbau der Benachteiligung von Frauen angeschaut. Es ist festzustellen, es tut sich doch etwas. Danke an die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter. Ich stehe zur Sozialpartnerschaft, ich stehe zu den Kollektivvertragsverhandlungen. Gerade im Niedriglohnbereich ist es so, dass die untersten Lohngruppen in den letzten Jahren wirklich stärker erhöht wurden als die oberen Lohngruppen. Das ist zwar im Sinne der Frauen jetzt nicht zufriedenstellend, weil die genau in diesen frauenspezifischen Branchen arbeiten, die grundsätzlich vom Wert her und von der Einstufung her schlechter eingestuft sind als andere Branchen, wie die Metallbranche zum Beispiel. Mehr Frauen in die Technik ist sowieso ein Thema, an dem ich ständig arbeite.

Aber auch hier ist positiv anzumerken, dass sich die Kollektivvertragspolitik im Sinne der Frauen verbessert hat. Wir müssen noch daran arbeiten, das ist keine Frage, aber in Summe sind solche Berichte, glaube ich, immer gut, um sich den Status quo anzu­schauen, und um dorthin zu schauen, wo angesetzt wird, werden muss und wo Ver­besserungen einfach notwendig sind. Vielen herzlichen Dank, wenn Sie diesen Bericht zur Kenntnis nehmen. (Allgemeiner Beifall.)

19.07

 

19.07.10

 


Präsident Josef Saller: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuchen jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist angenommen.

Die Tagesordnung ist erschöpft.


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19.07.41Einlauf

 


Präsident Josef Saller: Ich gebe noch bekannt, dass seit der letzten beziehungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt 22 Anfragen, 3114/J-BR/2016 bis 3135/J-BR/2016, eingebracht wurden.

*****

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates erfolgt auf schriftlichem Wege. Als Sitzungstermin ist Donnerstag, der 31. März, 9 Uhr, in Aussicht genommen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen insbesondere jene Beschlüsse in Be­tracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit diese dem Ein­spruchs­recht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Ausschusssitzungen sind für Dienstag, 29. März, 14 Uhr vorgesehen.

Ich wünsche allen einen guten Nachhauseweg!

Diese Sitzung ist geschlossen.

19.08.31Schluss der Sitzung: 19.09 Uhr

 

 

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