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Plenarsitzung

des Nationalrates

Stenographisches Protokoll

 

215. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

Donnerstag, 25. Mai 2023

XXVII. Gesetzgebungsperiode

 

 

 

Nationalratssaal


Stenographisches Protokoll

215. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

XXVII. Gesetzgebungsperiode                         Donnerstag, 25. Mai 2023

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 25. Mai 2023: 9.04 – 16.34 Uhr

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Tagesordnung

1. Punkt: Erklärung der Präsidentin des Europäischen Parlaments Roberta Metsola gemäß § 19a der Geschäftsordnung des Nationalrates

2. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsverfassungsgesetz, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz und das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch geändert werden

3. Punkt: Bericht über den Antrag 3318/A der Abgeordneten Tanja Graf, Mag. Markus Koza, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsmarktservicegesetz geändert wird

4. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Berufsausbildungsgesetz und das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz geändert werden

5. Punkt: Bericht über den Antrag 3237/A der Abgeordneten August Wöginger, Bedrana Ribo, MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundespflegegeldgesetz geändert wird


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 2

6. Punkt: Bericht über den Antrag 3261/A(E) der Abgeordneten Fiona Fiedler, BEd, Kolleginnen und Kollegen betreffend Digitalisierung von Parkausweisen für Menschen mit Behinderungen

7. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über das Wirksam­werden der Verordnung (EU) 2022/858 über eine Pilotregelung für auf Dis­tributed-Ledger-Technologie basierende Marktinfrastrukturen und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 600/2014 und (EU) Nr. 909/2014 sowie der Richtlinie 2014/65/EU (DLT-Verordnung-Vollzugsgesetz – DLT-VVG) erlassen wird sowie das Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz und das Wertpapieraufsichtsgesetz 2018 geändert werden

8. Punkt: Antrag der Abgeordneten Mag. Andreas Hanger, Mag. Dr. Jakob Schwarz, BA, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Erdgasabgabegesetz, das Elektrizitätsabgabegesetz und das Bundesgesetz über den Energiekrisenbeitrag-Strom geändert werden

9. Punkt: Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Dr. Susanne Fürst, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz zur Stärkung des Interpellations­rechts, mit dem das Bundesgesetz vom 4. Juli 1975 über die Geschäftsordnung des Nationalrates (Geschäftsordnungsgesetz 1975), BGBl. Nr. 410/1975, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 141/2022, geändert wird (3360/A)

10. Punkt: Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Dr. Susanne Fürst, Kollegin­nen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz zur Stärkung des Interpella­tionsrechts, mit dem das Bundesgesetz vom 4. Juli 1975 über die Geschäftsord­nung des Nationalrates (Geschäftsordnungsgesetz 1975), BGBl. Nr. 410/1975, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 141/2022, geändert wird (3361/A)


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 3

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Inhalt

Personalien

Verhinderungen ......................................................................................................     24

Geschäftsbehandlung

Redezeitbeschränkung nach Beratung in der Präsidialkonferenz gemäß § 19a und § 57 Abs. 3 Z 2 GOG ............................................................................     72

Unterbrechung der Sitzung ....................................................................................     72

Wortmeldungen in Bezug auf die in der Zuweisungssitzung vorgesehenen Anträge auf Fristsetzung zur Berichterstattung über in der Sitzung eingebrachte Anträge:

Dr. Nikolaus Scherak, MA .......................................................................................  284

Mag. Jörg Leichtfried ...............................................................................................  285

August Wöginger .....................................................................................................  286

MMMag. Dr. Axel Kassegger ..................................................................................  288

Sigrid Maurer, BA .....................................................................................................  289

Fragestunde (21.)

Arbeit und Wirtschaft ...........................................................................................     25

Peter Haubner (267/M)

Dr. Christoph Matznetter (264/M); Norbert Sieber, David Stögmüller

Dr. Dagmar Belakowitsch (262/M)

Mag. Markus Koza (273/M); Michael Seemayer, Rebecca Kirchbaumer, Mag. Yannick Shetty


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 4

Mag. Gerald Loacker (271/M)

Bettina Zopf (268/M); Fiona Fiedler, BEd

Josef Muchitsch (265/M)

MMMag. Dr. Axel Kassegger (263/M); Mag. Dr. Maria Theresia Niss, MBA

Mag. Dr. Jakob Schwarz, BA (274/M)

Michael Bernhard (272/M); Tanja Graf

Christoph Zarits (269/M); Mag. Gerhard Kaniak, Mag. Verena Nussbaum

Mag. Dr. Petra Oberrauner (266/M)

Franz Hörl (270/M); Mag. Gerald Hauser, Barbara Neßler, Melanie Erasim, MSc

Bundesregierung

Vertretungsschreiben ............................................................................................     24

Ausschüsse

Zuweisungen ...................................................................................  70, 283, 283

Verhandlungen

1. Punkt: Erklärung der Präsidentin des Europäischen Parlaments Roberta Metsola gemäß § 19a der Geschäftsordnung des Nationalrates .....................     73

Roberta Metsola ......................................................................................................     73

Durchführung einer Debatte gemäß § 19a GOG ...............................................     78

Redner:innen:

Dr. Reinhold Lopatka ...............................................................................................     78

Mag. Jörg Leichtfried ...............................................................................................     81


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Dr. Susanne Fürst ....................................................................................................     84

Mag. Meri Disoski ....................................................................................................     87

Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES ..........................................................................     90

MEP Dr. Angelika Winzig ........................................................................................     93

Katharina Kucharowits ...........................................................................................     96

Petra Steger .............................................................................................................     99

MEP Thomas Waitz .................................................................................................  102

Dr. Nikolaus Scherak, MA .......................................................................................  105

Gemeinsame Beratung über

2. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regie­rungs­vorlage (2031 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsverfassungs­gesetz, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz und das Allgemeine bürger­liche Gesetzbuch geändert werden (2038 d.B.) .................................................  109

3. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 3318/A der Abgeordneten Tanja Graf, Mag. Markus Koza, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeits­marktservicegesetz geändert wird (2039 d.B.) ...................................................  109

Redner:innen:

Josef Muchitsch .......................................................................................................  109

Bettina Zopf .............................................................................................................  111

Dr. Dagmar Belakowitsch .......................................................................................  114

Mag. Markus Koza ...................................................................................................  116

Mag. Gerald Loacker ................................................................................................  119

Tanja Graf ................................................................................................................  124

Alois Stöger, diplômé ...............................................................................................  126

Peter Wurm ..............................................................................................................  128


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 6

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Gleiches Recht für alle statt Sonderpflanz Post-Betriebsverfassungsgesetz“ – Ablehnung ..........................................  121, 130

Annahme der beiden Gesetzentwürfe in 2038 und 2039 d.B. ........................  130

4. Punkt: Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über die Regierungsvorlage (2030 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Berufsausbildungsgesetz und das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz geändert werden (2037 d.B.) ................................................................................  131

Redner:innen:

Philip Kucher ...........................................................................................  131, 175

Eva-Maria Himmelbauer, BSc .................................................................................  135

Fiona Fiedler, BEd ....................................................................................................  137

Mag. Christian Ragger .............................................................................................  139

Josef Muchitsch ......................................................................................  146, 180

Bedrana Ribo, MA ....................................................................................................  152

Klaus Köchl ...............................................................................................................  155

Mag. (FH) Kurt Egger ...............................................................................................  156

Dr. Christoph Matznetter ........................................................................................  158

Bundesminister Mag. Dr. Martin Kocher ...............................................................  160

Maximilian Linder ....................................................................................................  163

Mag. Carmen Jeitler-Cincelli, BA ............................................................................  170

Laurenz Pöttinger ....................................................................................................  173

August Wöginger .....................................................................................................  176

Dr. Dagmar Belakowitsch .......................................................................................  181

Mag. Gerald Loacker ................................................................................................  183

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Christian Ragger, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Leistungsorientierte Lehrlingsentschädigung für Absolventen der Pflegelehre“ – Ablehnung ......................................  142, 184


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 7

Entschließungsantrag der Abgeordneten Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen betreffend „endlich wirksame Maßnahmen gegen den Pflegeper­sonalmangel setzen“ – Ablehnung ......................................................  149, 184

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Christian Ragger, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Zweiten Bildungsweg für Pflegekräfte auch finanziell absichern“ – Ablehnung .......................................................  167, 185

Annahme des Gesetzentwurfes in 2037 d.B. .....................................................  184

Gemeinsame Beratung über

5. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 3237/A der Abgeordneten August Wöginger, Bedrana Ribo, MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundespflegegeldgesetz geändert wird (2040 d.B.) ..........................................  185

6. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 3261/A(E) der Abgeordneten Fiona Fiedler, BEd, Kolleginnen und Kollegen betreffend Digitalisierung von Parkausweisen für Menschen mit Behinderungen (2041 d.B.) ...................................................................................  185

Redner:innen:

Bedrana Ribo, MA ....................................................................................................  185

Mag. Verena Nussbaum ..........................................................................................  188

Mag. Gerhard Kaniak ..............................................................................................  198

Mag. Ernst Gödl .......................................................................................................  200

Fiona Fiedler, BEd ....................................................................................................  205

Bundesminister Johannes Rauch ............................................................................  208

Heike Grebien ..........................................................................................................  212

Dietmar Keck ...........................................................................................................  213

Rosa Ecker, MBA ......................................................................................................  215

Kira Grünberg ...........................................................................................................  217

Petra Wimmer ..........................................................................................................  220


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 8

Mag. Christian Ragger .............................................................................................  221

Ing. Mag. (FH) Alexandra Tanda .............................................................................  223

Dipl.-Ing. Andrea Holzner ........................................................................................  226

Entschließungsantrag der Abgeordneten Josef Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Regierung muss endlich Blockadehaltung im Kampf gegen die Teuerung aufgeben!“ – Ablehnung ...................................  190, 228

Annahme des Gesetzentwurfes in 2040 d.B. .....................................................  228

Annahme der dem schriftlichen Ausschussbericht 2041 d.B. beigedruckten Entschließung betreffend „Digitalisierung von Parkausweisen für Menschen mit Behinderungen“ (325/E) ..............................................................  228

7. Punkt: Bericht des Finanzausschusses über die Regierungsvorlage (2029 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über das Wirksam­werden der Verordnung (EU) 2022/858 über eine Pilotregelung für auf Distributed-Ledger-Technologie basierende Marktinfrastrukturen und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 600/2014 und (EU) Nr. 909/2014 sowie der Richtlinie 2014/65/EU (DLT-Verordnung-Vollzugsgesetz – DLT-VVG) erlassen wird sowie das Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz und das Wertpapieraufsichtsgesetz 2018 geändert werden (2033 d.B.) ...............  228

Redner:innen:

Dr. Christoph Matznetter ........................................................................................  229

Mag. Ernst Gödl .......................................................................................................  231

Mag. Selma Yildirim .................................................................................................  234

Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer ..................................................................................  237

Annahme des Gesetzentwurfes in 2033 d.B. .....................................................  239

8. Punkt: Antrag der Abgeordneten Mag. Andreas Hanger, Mag. Dr. Jakob Schwarz, BA, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Erdgasabgabegesetz, das Elektrizitätsabgabegesetz und das


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 9

Bundesgesetz über den Energiekrisenbeitrag-Strom geändert werden (3373/A) ..................................................................................................................  239

Redner:innen:

Mag. Jörg Leichtfried ...............................................................................................  239

Mag. Andreas Hanger ..............................................................................................  243

Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer ..................................................................................  246

MMMag. Dr. Axel Kassegger ..................................................................................  249

Alois Schroll ..............................................................................................................  253

Mag. Dr. Jakob Schwarz, BA ...................................................................................  258

Gabriel Obernosterer ...............................................................................................  260

Lukas Hammer .........................................................................................................  263

Bundesminister Dr. Magnus Brunner, LL.M. ..........................................................  264

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Jörg Leichtfried, Kolleginnen und Kollegen betreffend „keine Vervierfachung der CO2-Steuer bis 2030“ – Ablehnung ...............................................................................  242, 270

Entschließungsantrag der Abgeordneten Alois Schroll, Kolleginnen und Kollegen betreffend „echte Übergewinnsteuer statt permanenter Regierungspfusch“ – Ablehnung .........................................................  256, 270

Annahme des im Antrag 3373/A enthaltenen Gesetzentwurfes ....................  270

9. Punkt: Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Dr. Susanne Fürst, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz zur Stärkung des Interpellationsrechts, mit dem das Bundesgesetz vom 4. Juli 1975 über die Geschäftsordnung des Nationalrates (Geschäftsordnungsgesetz 1975), BGBl. Nr. 410/1975, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 141/2022, geändert wird (3360/A) ..........................................................................................................  270

Redner:innen:

Dr. Susanne Fürst ....................................................................................................  271

Mag. Andreas Hanger ..............................................................................................  273


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 10

Mag. Andrea Kuntzl .................................................................................................  276

Mag. Agnes Sirkka Prammer ...................................................................................  278

Dr. Johannes Margreiter .........................................................................................  281

Zuweisung des Antrages 3360/A an den Rechnungshofausschuss ................  283

10. Punkt: Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Dr. Susanne Fürst, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz zur Stärkung des Interpellationsrechts, mit dem das Bundesgesetz vom 4. Juli 1975 über die Geschäftsordnung des Nationalrates (Geschäftsordnungsgesetz 1975), BGBl. Nr. 410/1975, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 141/2022, geändert wird (3361/A) ..........................................................................................................  283

Zuweisung des Antrages 3361/A an den Geschäftsordnungsausschuss .......  283

Eingebracht wurden

Anträge der Abgeordneten

Mario Lindner, Kolleginnen und Kollegen betreffend intergeschlechtliche Kinder und Jugendliche schützen – Verbot medizinisch nicht-notwendiger Operationen endlich umsetzen (3408/A)(E)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen betreffend Verhinderung von Ambulanzgebühren (3409/A)(E)

Mag. Wolfgang Sobotka, Doris Bures, Ing. Norbert Hofer, Mag. Dr. Jakob Schwarz, BA, Dr. Nikolaus Scherak, MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundes­ge­setz, mit dem das Parlamentsgebäudesanierungsgesetz geändert und ein Bundes­gesetz, mit dem eine Ermächtigung zur Überschreitung der Höchst­grenzen des Parlamentsgebäudesanierungsgesetzes erteilt wird, erlassen wird (3410/A)

Mario Lindner, Kolleginnen und Kollegen betreffend intergeschlechtliche Kinder und Jugendliche schützen – Verbot medizinisch nicht-notwendiger Operationen endlich umsetzen (3411/A)(E)


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 11

Mag. Christian Drobits, Kolleginnen und Kollegen betreffend Wissen über Daten­schutz und Datensicherheit für Kinder und Jugendliche ausbauen! (3412/A)(E)

Mag. Christian Drobits, Kolleginnen und Kollegen betreffend Wissen über Daten­schutz und Datensicherheit für Kinder und Jugendliche ausbauen! (3413/A)(E)

Mag. Christian Drobits, Kolleginnen und Kollegen betreffend Rechtsdatenbank datenschutzrechtlicher Entscheidungen (3414/A)(E)

Tanja Graf, Mag. Markus Koza, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ausländerbeschäftigungsgesetz geändert wird (3415/A)

Mag. Gerald Hauser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Arbeitskräftemangel im Tourismus bekämpfen – Beschäftigung von Pensionistinnen und Pensionisten in Branchen mit hohem Arbeitskräftemangel attraktivieren (3416/A)(E)

Mag. Gerald Hauser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Bestehende Beherber­gungsbetriebe erhalten, weitere „Bettenburgen“ verhindern (3417/A)(E)

Katharina Kucharowits, Kolleginnen und Kollegen betreffend umfassende KI-Strategie für den Schulbereich (3418/A)(E)

Petra Tanzler, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Sondertopf Kinderschutz“ (3419/A)(E)

Christian Oxonitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Schaffung eines Online-Tools zur Orientierung über mögliche Ausbildungsprogramme in der Elementarpädagogik. (3420/A)(E)

Walter Rauch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Klärschlamm als Rohstoff­quelle nutzen (3421/A)(E)


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 12

Petra Wimmer, Rosa Ecker, MBA, Michael Bernhard, Kolleginnen und Kollegen betreffend dringende Reform des Kinderbetreuungsgeldes (3422/A)(E)

Ing. Martin Litschauer, Johannes Schmuckenschlager, Michael Bernhard, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend geologische Auswertungen im Zuge der Baumaßnahmen für das AKW PAKS II (3423/A)(E)

Alois Stöger, diplômé, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Gewerbeordnung 1994 BGBl. Nr. 194/1994 geändert wird (3424/A)

Lukas Hammer, Tanja Graf, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundes­ge­setz, mit dem das Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz 2010 (EIWOG 2010) geändert wird (3425/A)

Lukas Hammer, Tanja Graf, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Energieeffizienzgesetz geändert wird (3426/A)

Norbert Sieber, Mag. Markus Koza, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über einen Ausgleich inflationsbedingt hoher Lebenshaltungs- und Wohnkosten (Lebenshaltungs- und Wohnkosten-Ausgleichs-Gesetz-LWA-G) geändert wird (3427/A)

Johannes Schmuckenschlager, Mag. Dr. Jakob Schwarz, BA, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den regionalen Klimabonus (Klimabonusgesetz – KliBG) geändert wird (3428/A)

Kira Grünberg, Heike Grebien, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über eine Bundeszuwendung an den Verein Licht ins Dunkel– Verein für Menschen mit Behinderungen und sozialer Benachteiligung (Licht-ins-Dunkel-Zuwendungsgesetz – LiDZG) erlassen wird (3429/A)


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 13

Anfragen der Abgeordneten

Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten betreffend Österreichs Beitrag zur Entminung in der Ukraine (15081/J)

Johannes Schmuckenschlager, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie betreffend des aktuellen Klimabericht des IPCC, Climate Change 2022: Impact, Adaption and Vulnerability. (15082/J)

Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend Fremdenführer: veraltete Hürden als Geldmacherei der Kammern? (15083/J)

Henrike Brandstötter, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien betreffend Wann wird der Bericht zu Frauenmorden veröffentlicht? (15084/J)

Michael Bernhard, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien betreffend Missstände beim Kinderbetreuungsgeld (15085/J)

Mag. Yannick Shetty, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Missstände beim Verein Auslandsdienst (15086/J)

Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Ehrenstaatsbürgerschaft für Polizeiretter der Terrornacht am 2.11.2020 wegen Gefährlichkeit verweigert? (15087/J)


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 14

Sabine Schatz, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Hitler-Rede, Heil-Hitler- und Sieg-Heil-Rufe in einem ÖBB-Zug (15088/J)

Sabine Schatz, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend „Remigrationstour“ der „Identitären“ bzw. „die Österreicher“ (15089/J)

Sabine Schatz, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend die Vorwürfe gegen den Obmann des Vereins Österreichischer Auslandsdienst (15090/J)

Sabine Schatz, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Klima­schutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie betreffend Hitler-Rede, Heil-Hitler- und Sieg-Heil-Rufe in einem ÖBB-Zug (15091/J)

Sabine Schatz, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend Hitler-Rede, Heil-Hitler- und Sieg-Heil-Rufe in einem ÖBB-Zug (15092/J)

Sabine Schatz, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Hakenkreuz-Schmierereien am Skatepark Rohrbach-Berg (15093/J)

Sabine Schatz, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend das faschistische Ustaša-Treffen in Bleiburg/Pliberk 2023 (15094/J)

Christian Oxonitsch, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien betreffend 15a-BVG Vereinbarung über die Kinder- und Jugendhilfe in Österreich (15095/J)

Sabine Schatz, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend die Vorwürfe gegen den Obmann des Vereins Österreichischer Auslandsdienst (15096/J)

Julia Elisabeth Herr, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Mehr Gerechtigkeit durch Millionärssteuern (15097/J)


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 15

Julia Elisabeth Herr, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport betreffend Mehr Gerechtigkeit durch Millionärssteuern (15098/J)

Julia Elisabeth Herr, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Mehr Gerechtigkeit durch Millionärssteuern (15099/J)

Rosa Ecker, MBA, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Trans-Lobby-Verein „Courage“ (15100/J)

Rosa Ecker, MBA, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Kosten für Transgender-Behandlungen und Fragen der Medizinethik und Gleichbehandlung (15101/J)

Walter Rauch, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Klima­schutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie betreffend Phosphorrückgewinnung aus Klärschlamm (15102/J)

Walter Rauch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft betreffend Phosphorrück­gewinnung aus Klärschlamm (15103/J)

Walter Rauch, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Klima­schutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie betreffend EAG-Investitionszuschüsse für Photovoltaikanlagen (15104/J)

Walter Rauch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft betreffend Maßnahmen zum Trinkwasserschutz (15105/J)

Christian Lausch, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend Externe Behandlung bei Therapien und Krankenhausaufenthalt von Häftlingen (15106/J)


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 16

Peter Schmiedlechner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie betreffend Wie umweltfreundlich sind erneuerbare Energien? (15107/J)

Peter Wurm, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Status über transparente, rechtssichere und angemessene Regelungen im Bereich der Inkassogebühren (15108/J)

Peter Wurm, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend Status über transparente, rechtssichere und angemessene Regelungen im Bereich der Inkassogebühren (15109/J)

Peter Wurm, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend Status über transparente, rechtssichere und angemessene Regelun­gen im Bereich der Inkassogebühren (15110/J)

Ing. Mag. Volker Reifenberger, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Landesverteidigung betreffend Übermäßige Vergabe von Kaltverpflegung anstelle warmer Verköstigung im ÖBH (15111/J)

Michael Schnedlitz, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten betreffend Besuch bei den Bilderbergern (15112/J)

Mag. Gerhard Kaniak, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend MTD-Gesetz-Novelle 2023 (15113/J)

MMMag. Dr. Axel Kassegger, Kolleginnen und Kollegen an die Bundes­ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie betreffend Förderungsbedingungen für „Raus aus Öl und Gas“ (15114/J)


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 17

Christian Hafenecker, MA, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport betreffend Parteipolitisch motivierte Instrumentalisierung und Finanzierung der Kunst- und Kulturszene (15115/J)

Christian Hafenecker, MA, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Wissen Blaulichtorganisationen und Innenministerium über radikale Klima-Proteste im Vorfeld Bescheid? (15116/J)

Hermann Brückl, MA, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Förderungen des BMSGPK für einen im pädosexuellen Milieu tätigen Verein (15117/J)

Hermann Brückl, MA, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung betreffend Bremsklötze für Junglehrer (15118/J)

Hermann Brückl, MA, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung betreffend Förderungen des BMBWF für einen im pädosexuellen Milieu tätigen Verein (15119/J)

Mag. Andrea Kuntzl, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung betreffend negative Folgen der Auslagerung der Pathologie an der Medizinischen Universität Innsbruck (15120/J)

Henrike Brandstötter, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Weshalb sind Ihre Kampagnenerfolge so schwer messbar? (15121/J)

Mag. Eva Blimlinger, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend rechtsextreme Anschlagspläne auf das Volksstimmefest (15122/J)


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 18

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend Ausländerarbeitslosigkeit und AMS-Schulun­gen Jänner bis April 2023 (15123/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend Gerichtliche Kuratorenbestellung über die Betriebsspargemeinschaft, AMS Währing (15124/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend Arbeitslosigkeitsentwicklung im Wirtschafts­sektor Arbeitsüberlassung Jänner bis April 2023 (15125/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Affen­pockenimpfstoffbeschaffung 2023 (15126/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Kriminelle Jugendbanden in Wien (15127/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend Arbeitslosigkeitsentwicklung und AMS-Unterstützung bei Personen mit Behinderung und sonstigen gesundheitlichen Einschränkungen Jänner bis April 2023 (15128/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend Arbeitslosigkeitsentwicklung im Wirtschaftssektor Beherbergung und Gastronomie Jänner bis April 2023 (15129/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend Arbeitslosigkeitsentwicklung im Wirtschafts­sektor Handel Jänner bis April 2023 (15130/J)


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 19

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend Arbeitslosigkeitsentwicklung im Wirtschafts­sektor Herstellung von Waren Jänner bis April 2023 (15131/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend Arbeitslosigkeitsentwicklung und Ausbil­dungsgrad Jänner bis April 2023 (15132/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend Arbeitslosigkeitsentwicklung im Wirtschafts­sektor Gesundheits- und Sozialwesen Jänner bis April 2023 (15133/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend Arbeitslosigkeitsentwicklung im Wirtschafts­sektor Bau Jänner bis April 2023 (15134/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend Arbeitslosigkeitsentwicklung im Wirtschafts­sektor Verkehr und Lagerei Jänner bis April 2023 (15135/J)

Katharina Kucharowits, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport betreffend Strategie Kulturerbe Digital (15136/J)

Michael Bernhard, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien betreffend Valorisierung der Volksgruppen­förderung (15137/J)

Dr. Johannes Margreiter, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend Auskünfte zu den gegenständlichen Erläu­terungen zum §10a WGG (15138/J)

Michael Bernhard, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien betreffend Digitalisierung und Vereinfachung der Förderabwicklung bei Volksgruppenförderung (15139/J)

Dr. Johannes Margreiter, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie betreffend


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 20

Wissenschaftliche Nutzungserhebung von Beförderungsleistungen des KlimaTicket Österreich (15140/J)

Henrike Brandstötter, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend Ziele und Ergebnisse der Afrikareise (15141/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend Fachkräftestipendium ab 1.1. 2023 gemäß § 34b Abs 3 AMSG (AMS-Bundesrichtlinie Fachkräftestipendium AMF/29-2021) (15142/J)

Mag. Christian Ragger, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Verwehrung des Behindertenpasses trotz neuer ärztlicher Befunde (15143/J)

Mag. Christian Ragger, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Genehmigung und Auszahlung des Verlustersatz III (COFAG) (15144/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend AMS-Aufstocker bei Arbeitslosengeld und Notstandshilfe Jänner bis April 2023 – Bundesland Salzburg (15145/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend AMS-Aufstocker bei Arbeitslosengeld und Notstandhilfe Jänner bis April 2023 – Bundesland Niederösterreich (15146/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend AMS-Aufstocker bei Arbeitslosengeld und Notstandhilfe Jänner bis April 2023 – Bundesland Vorarlberg (15147/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend AMS-Aufstocker bei Arbeitslosengeld und Notstandhilfe Jänner bis April 2023–Bundesland Oberösterreich (15148/J)


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 21

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend AMS-Aufstocker bei Arbeitslosengeld und Notstandhilfe Jänner bis April 2023–Bundesland Burgenland (15149/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend AMS-Aufstocker bei Arbeitslosengeld und Notstandhilfe Jänner bis April 2023–Bundesland Steiermark (15150/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend AMS-Aufstocker bei Arbeitslosengeld und Notstandhilfe Jänner bis April 2023–Bundesland Kärnten (15151/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend AMS-Aufstocker bei Arbeitslosengeld und Notstandhilfe Jänner bis April 2023–Bundesland Tirol (15152/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft betreffend AMS-Aufstocker bei Arbeitslosengeld und Notstandhilfe Jänner bis April 2023–Bundesland Wien (15153/J)

Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Distribution und Logistik des Covid-19-Impfstoffs mit türkisen Freunden? – Folgeanfrage zu 13894/AB (15154/J)

Peter Wurm, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend VKI startet Sammelaktion: Unzulässige Kick-back-Zahlungen bei Finanzprodukten (15155/J)


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 22

Peter Wurm, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend VKI startet Sammelaktion wegen unzulässiger Kosten bei Lebensversicherungen (15156/J)

Peter Wurm, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Long-Covid-Fälle in Österreich (15157/J)

Peter Wurm, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend VKI: BAWAG zahlt Sollzinsen für pandemiebedingte Kreditstundungen zurück (15158/J)

Peter Wurm, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Arbeiterkammer bringt über VKI Klage gegen TIWAG ein (15159/J)

Katharina Kucharowits, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für EU und Verfassung betreffend Verbot von TikTok auf Diensthandys von Mitar­beiter*innen (15160/J)

Katharina Kucharowits, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend Verbot von TikTok auf Diensthandys von Mitarbeiter*innen (15161/J)

Katharina Kucharowits, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Verbot von TikTok auf Diensthandys von Mitarbeiter*innen (15162/J)

Katharina Kucharowits, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Verbot von TikTok auf Diensthandys von Mitarbeiter*innen (15163/J)

Katharina Kucharowits, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport betreffend Verbot von TikTok auf Diensthandys von Mitarbeiter*innen (15164/J)

Katharina Kucharowits, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betref­fend Verbot von TikTok auf Diensthandys von Mitarbeiter*innen (15165/J)


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 23

*****

Dr. Susanne Fürst, Kolleginnen und Kollegen an den Präsidenten des Nationalrates betreffend Podiumsdiskussion „Medien. Macht. Meinungsvielfalt“ (75/JPR)

Dr. Susanne Fürst, Kolleginnen und Kollegen an den Präsidenten des National­rates betreffend Journalisten als Reisebegleiter (76/JPR)

Anfragebeantwortungen

der Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt auf die Anfrage der Abgeordneten Petra Steger, Kolleginnen und Kollegen (14139/AB zu 14609/J)

des Bundeskanzlers auf die Anfrage der Abgeordneten Petra Steger, Kolleginnen und Kollegen (14140/AB zu 14612/J)


 


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 24

09.04.43Beginn der Sitzung: 9.04 Uhr

Vorsitzende: Präsident Mag. Wolfgang Sobotka, Zweite Präsidentin Doris Bures, Dritter Präsident Ing. Norbert Hofer.

09.04.44*****


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, ich darf Sie recht herzlich zur 215. Sitzung des Nationalrates begrüßen. Die Sitzung ist damit eröffnet.

Mein Gruß gilt auch den Damen und Herren der Journalistik, unseren noch wenigen Gästen auf der Galerie und zu Hause vor den Bildschirmen!

Als verhindert gemeldet sind heute die Abgeordneten Mag. Wolfgang Gerstl, Martina Kaufmann, MMSc BA, Ing. Klaus Lindinger, BSc, Nico Marchetti, Dipl.-Ing. Georg Strasser, Julia Elisabeth Herr, Mag. Philipp Schrangl und Wolfgang Zanger.

Vertretung von Mitgliedern der Bundesregierung


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Für den heutigen Sitzungstag hat das Bundeskanzleramt über die Vertretung von Mitgliedern der Bundesregierung, die sich in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union aufhalten, folgende Mitteilung gemacht:

Bundesminister für Inneres Mag. Gerhard Karner wird durch Finanzminister Dr. Magnus Brunner, LL.M. vertreten.

*****

Ich gebe bekannt, dass die Sitzung von ORF 2 bis 13 Uhr übertragen wird, von ORF III bis 19.15 Uhr und anschließend in der TVthek.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 25

09.05.38Fragestunde


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir gelangen zur Fragestunde.

Ich begrüße den Herrn Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft, Mag. Dr. Martin Kocher, und die Frau Staatssekretärin für Tourismus, Mag. Susanne Kraus-Winkler, sie werden wechselnd auf die jeweils gestellten Fragen antworten.

Ich darf Herrn Bundesminister Kocher und die Abgeordneten bitten, die Plätze einzunehmen.

Arbeit und Wirtschaft


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die 1. Anfrage stellt Abgeordneter Haubner. – Bitte, Herr Abgeordneter. 09.06.03


Abgeordneter Peter Haubner (ÖVP): Herr Präsident! Guten Morgen, Herr Minister! Guten Morgen, Frau Staatssekretärin! Österreich ist ein sehr attraktiver Wirtschaftsstandort, wir haben ein gutes Wachstum im letzten Jahr gehabt, und wir müssen alles daran setzen, dass wir erfolgreich in die Zukunft kommen. Gerade eine Nation wie Österreich und eine Wirtschaft, die sehr stark auch vom Export abhängig ist, brauchen natürlich Unterstützung beim nach­haltigen und digitalen Wandel.

Deswegen komme ich schon zu meiner Frage, Herr Bundesminister:

267/M

„Welche Ziele verfolgen Sie mit der Klima- und Transformationsoffensive und wie ist diese bei Ihnen im BMAW aufgesetzt?“


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundesminister.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Schönen guten Morgen! Vielen Dank für die Möglichkeit, Fragen zu beantworten.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 26

Die Klima- und Transformationsoffensive ist natürlich eine sehr wichtige Antwort auf Maßnahmen, die es auch in anderen Teilen der Welt gibt, um unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig zu halten, damit es uns in dieser Übergangsphase, die sehr schnell erfolgen muss, gelingt, dass dieser schnelle Übergang auch dazu führt, dass die Chancen genutzt werden und Techno­logieführerschaft weiter erhalten werden kann.

Wir haben 5,7 Milliarden Euro bis Ende des Jahrzehnts zugesagt. Im Bundes­ministerium für Arbeit und Wirtschaft werden vor allem die Forschungsför­derung, der Bereich Investitionsförderung und Qualifizierungsmaßnahmen für Mitarbeiter verantwortet. Da geht es darum, über bekannte Maßnahmen, die es gibt, über unsere Agenturen Unternehmen in der Transformation sehr ziel­ge­richtet, auf Basis des europäischen Beihilferahmens zu unterstützen.

Wir haben uns einige Schwerpunkte gesetzt: Ein Schwerpunkt liegt im Bereich Mikroelektronik, der ein ganz wichtiger Bereich ist, weil da natürlich viele Voraussetzungen für die Technologieentwicklung in anderen Bereichen geschaf­fen werden. Ein anderer Bereich ist der Bereich Automotive; als Zulieferland geht es darum, den Umbau in die Elektromobilität zu schaffen. Der dritte Bereich, der uns wichtig ist, ist der Bereich Health und Lifesciences, weil auch da ganz große Energieverbräuche zu verbuchen sind und auch da der Umstieg sehr wichtig ist.

Im BMK wird vor allem auch die energieintensive Industrie betreut. Es wird also für alle eine Möglichkeit geben, Unterstützung zu bekommen, um den raschen Umbau zu gestalten.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage? – Bitte.


Abgeordneter Peter Haubner (ÖVP): Sie haben den Bereich Qualifikation und Qualifizierung der Mitarbeiter angesprochen. Wir wissen, dass wir einen Fachkräftemangel in Österreich haben, so wie in fast ganz Europa. Da geht es


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 27

also darum: Wie läuft das speziell im Bereich der Qualifizierung in dieser Initiative ab?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Ich habe bewusst gesagt, wir brauchen eine Schiene zum Thema Qualifizierung, weil tatsächlich in einzelnen Bereichen der Umbau sehr groß sein wird und ganz neue Qualifikationen gefordert werden. Wir haben im Rahmen des Arbeitsministe­riums natürlich Möglichkeiten, dass bei Arbeitslosigkeit Qualifizierungsmaßnah­men gesetzt und sehr stark unterstützt werden, aber nicht bei bestehender Beschäftigung.

Der Teil der Qualifizierungsoffensive in der Klima- und Transformationsoffensive gibt eben Unternehmen die Möglichkeit, Projekte unterstützt zu bekommen. Das sind Weiterbildungs-Labs, das sind teilweise auch individuelle Skills-Schecks – da geht es um Qualifizierungsprojekte in den Unternehmen. Wir haben da auch schon die ersten Projekte genehmigt: 1 Million Euro Förderzusagen seit 6. März, als die Ausschreibung begonnen wurde.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt Abgeordneter Matznetter. – Bitte. 09.09.34


Abgeordneter Dr. Christoph Matznetter (SPÖ): Herr Bundespräsident, ah, Herr Präsident! (Allgemeine Heiterkeit.) – Ich verspreche, ich wähle dich nicht, Wolfgang.

Herr Bundesminister, meine Frage lautet:

264/M

„Warum verweigert bzw. verhindert die Bundesregierung – wider besseren Wissens, Rat von Expert:innen und Erfahrungen aus anderen Ländern – ernsthafte ordnungspolitische Maßnahmen zur Bekämpfung der Inflation in


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 28

Österreich, die mittlerweile die höchste in Westeuropa ist und verschlechtert damit permanent Österreichs Position im Euroraum?“


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundesminister.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Matznetter. Das möchte ich gleich am Anfang zurückweisen. Wir haben natürlich einen sehr intensiven Austausch mit Expertinnen, Experten aller Ausrichtungen, und es liegt an der Bundesregierung, Entscheidungen zu treffen.

Vielleicht noch einmal ganz kurz, ich habe auch in der letzten Sitzung versucht, es zu erklären: Es gab letztes Jahr – bei sehr unsicherer Lage, bei massiv gestiegenen Großhandels- und Erzeugerpreisen – eine Strategie, die Wirtschaft und die Kaufkraft zu stabilisieren. Das ist uns gelungen angesichts dessen, was wir an Zahlen haben.

Jetzt sind die Erzeugerpreise geringer, und es geht jetzt darum, dass die gesunkenen Erzeugerpreise möglichst rasch auch an die Unternehmen und die Haushalte weitergegeben werden. Daher ist es jetzt wichtig, den Wettbewerb zu stärken – da haben wir ein Paket vorgelegt –, noch stärker auf den Energie­bereich zu schauen, als wir das bisher gemacht haben, die Grenze der Übergewinn-, der Zufallsgewinnsteuer runterzusetzen und bei Gebühren und bei staatlich reglementierten Preisen Zurückhaltung zu zeigen. Das wirkt sich direkt auf die Inflationsrate aus. Es ist klar, dass die Inflation eine Seite der Medaille ist, die zeigt, dass wir letztes Jahr ein höheres Wachstum gehabt haben und wir deswegen dieses Jahr eine etwas höhere Inflation in Österreich haben als viele andere europäische Staaten. Jetzt geht es aber darum, gemeinsam – und das tun wir in der Bundesregierung – alles zu tun, dass die Inflationsrate nach unten geht. Wir werden natürlich auch gemeinsam mit allen, die Einfluss auf die Preise haben, sprechen, wie das gelingen kann.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? – Bitte.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 29

Abgeordneter Dr. Christoph Matznetter (SPÖ): Herr Bundesminister Kocher, Sie wissen es ja schon aufgrund Ihrer Expertise und ich weiß es ganz genau, dass eine der wesentlichen Positionen im Warenkorb die Mieten für Wohnungen sind.

Warum hat die Bundesregierung den schon einmal zugesagten Weg, nämlich die Erhöhungen um 9 bis 10 Prozent in allen Verträgen zu Wohnraum rückwirkend für das heurige Jahr zivilrechtlich zu verbieten, nicht eingeschlagen? Wir würden die Rendite des Betongolds heruntersetzen und hätten sofort eine direkte Wirksamkeit bei der Reduktion der Inflationsrate.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundesminister.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Auch über die Mieten haben wir sehr intensiv mit Expertinnen und Experten gesprochen, auch dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Was die Regierung hätte machen können, wäre eine Beeinflussung der Richtwertmieten, das hätte ungefähr 400 000 Wohnungen betroffen. Eine Herabsetzung oder Aufteilung auf mehrere Jahre hätte, und das haben uns alle gesagt, eine Inflationsratenreduktion von 0,1 bis 0,2 Prozentpunkten bewirkt. Das kann man diskutieren.

Man hat sich für ein anderes Modell entschieden, das treffsicherer ist, nämlich für das Modell, dass die, die besonders große Schwierigkeiten haben, über die bestehenden Wohnkostenzuschüsse der Länder unterstützt werden, und hat noch einmal den Schirm, den es gegen Delogierungen gibt, ausgeweitet, ganz, ganz zielgerichtet für die Gruppen, die es wirklich brauchen.

Die andere Maßnahme wäre sehr, sehr breit gewesen, weniger treffsicher und auch nur für Richtwertmieten, für einen kleinen Teil der gesamten Wohnungen in Österreich.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage: Herr Abgeordnete Sieber. – Bitte.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 30

Abgeordneter Norbert Sieber (ÖVP): Guten Morgen, Herr Minister! Die Inflation und die Teuerung bewegen und belasten die Menschen in Österreich, und wenn man sich die Zahlen der Statistik Austria genau ansieht, dann sieht man, dass sogenannte Einelternhaushalte – also Haushalte mit einem alleinerziehenden Elternteil – von dieser Teuerung besonders betroffen sind und da vor allem auch die Armut sehr ausgeprägt ist, dicht gefolgt von Haushalten mit mehr als drei Kindern, also von kinderreichen Haushalten, die davon ebenso stark betroffen sind.

Meine Frage an Sie wäre: Welche aktuellen Maßnahmen setzt die Bundes­regierung, um gezielt diesen von der Inflation besonders betroffenen Gruppen die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundesminister.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Sieber. Wir haben ja von Anfang an den Fokus auf Familien und Menschen gelegt, die besonders bedürftig und dadurch stärker von der Inflation betroffen sind. Wir haben schon letztes Jahr im Sommer gemeinsam die sogenannte 13. Familienbeihilfe beschlossen. Wir haben – in diesem Jahr wirksam – die Indexierung der Familien- und Sozialleistungen beschlossen. Wir haben letztes Jahr beschlossen, dass die Abschaffung der kalten Progression zu zwei Drittel automatisch passiert, zu einem Drittel in den untersten zwei Einkommensklassen der Einkommensbesteuerung, das ist noch einmal eine Stärkung dieser Bereiche. Und wir haben jetzt, im Ministerrat letzte Woche, noch das Paket zur Bekämpfung der Kinderarmut mit einer Erhöhung der Notstandshilfe und der Arbeitslosenunterstützung und der Sozialhilfe für Kinder in den jeweiligen Materien geschnürt. All das versucht, genau da zu unter­stüt­zen, weil wir wissen, dass der Effekt der Inflation dort am stärksten ist.

Das, was wir an Zahlen haben, zeigt uns, dass gerade in diesen Bereichen die Kaufkraft letztes Jahr stark stabilisiert wurde, im Durchschnitt sogar gestiegen ist.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 31

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die Zeit!


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher (fortsetzend): Das heißt nicht, dass es nicht einzelne Familien gibt, die große Schwierigkeiten haben. Die werden jetzt aber auch noch einmal mit Spezialprogrammen über die Sozialhilfe, über die Länder, über viele andere Möglichkeiten unterstützt. – Danke, ich wurde darauf hingewiesen, dass die Zeit aus ist.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage: Herr Abgeordneter Stögmüller. – Bitte.


Abgeordneter David Stögmüller (Grüne): Sehr geehrter Herr Minister! Wir wissen ja aus den Statistiken, dass die Inflation der Republik Österreich über dem westeuropäischen Durchschnitt liegt, gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit sehr niedrig und die Beschäftigung hoch.

Mich würde besonders interessieren: Welche Daten liegen denn dem Wirtschaftsministerium hinsichtlich der Entwicklung der Kaufkraft und auch der verfügbaren Einkommen seit Beginn der Teuerungskrise vor? Zusätzlich vielleicht auch noch: Worauf führen Sie die österreichische Einkommens­entwicklung zurück, Herr Minister?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Wir haben Daten von der Statistik Austria, aber ich verlasse mich meistens auf die Daten der OECD, weil da die Vergleiche mit anderen Staaten besser sind. Die Statistik Austria hat natürlich sehr, sehr gute Daten, aber die Vergleichbarkeit ist dann eben etwas schwieriger gegeben, weil es da spezifische Auswertungen gibt.

Was die Daten der OECD zeigen, ist, dass es seit Beginn 2022 ein Plus von 3,4 Prozent bei den verfügbaren Haushaltseinkommen gegeben hat, real, das heißt also inflationsbereinigt. Polen hatte einen etwas stärkeren Zuwachs,


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 32

sonst sind wir Nummer zwei in Europa. Das heißt natürlich nicht, dass es keine Probleme gibt – das ist mir wichtig, ich habe es gesagt: die Verteilung ist natürlich entscheidend, auch innerhalb der verschiedenen Einkommensdezile –, aber es zeigt, dass über viele Einkommensschichten hinweg Kaufkraft erhalten wurde. Das liegt nicht nur an den Maßnahmen der Bundesregierung, sondern natürlich auch an den Lohn- und Gehaltsabschlüssen des letzten Jahres in den Kollektivvertragsverhandlungen.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt Frau Abgeordnete Belakowitsch. – Bitte. 09.17.05


Abgeordnete Dr. Dagmar Belakowitsch (FPÖ): Guten Morgen, Herr Bundes­minister! Kommen wir zu einem Problem, das ein tatsächliches Problem darstellt, eines, das Ihnen offensichtlich nicht ganz so wichtig ist, wie viele Anfragebeant­wor­tungen an Sie zeigen: Das ist das Problem sogenannter Scheinfirmen. Nur für die Zuseher: Scheinfirmen sind Firmen, die gegründet werden, um Förderungen zu kassieren. Es werden auch Mitarbeiter angestellt, jedoch wird für diese Mitarbeiter keine Krankenversicherung und auch keine Arbeitslosenversicherung abgeführt. Dann werden die Firmen liquidiert.

Die Problematik, Herr Bundesminister, und das wissen Sie, ist, dass es diese Zahl an Scheinfirmen gibt, die meines Erachtens immer mehr ansteigt. Durch die Coronaförderungen sind jetzt noch mehr Gelder in diese Firmen geflossen, und irgendwie hat man den Eindruck, dass Sie beziehungsweise das AMS diesen Firmen immer hinterherhoppeln.

Daher meine Frage:

262/M

„Wie wollen Sie zukünftig als Arbeitsminister verhindern, dass Scheinfirmen in Österreich Millionen an Arbeitsmarktförderung kassieren?“


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr


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Bundesminister.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Belakowitsch für die Frage. Wir haben im AMS ein laufendes Reportingsystem, das die Liste der Scheinfirmen mit der Liste im BMF abgleicht. Wir sind da natürlich auf das BMF angewiesen, weil die Finanzpolizei diese Daten hat. Das wird laufend gemacht, automatisch gemacht. Es gibt auch jähr­liche gemeinsam mit dem BMF entwickelte Prüfpläne, um genau das zu verhindern.

In der Covid-Zeit war natürlich die Auszahlungsgeschwindigkeit ein ganz wich­tiger Faktor, aber jetzt ist klar, dass das auf jeden Fall weniger werden wird und weniger werden muss. Wir haben ja schon viele parlamentarische Anfragen beantwortet. Es werden natürlich auch alle Gelder sofort zurückgefordert, sobald klar ist, dass es sich um Scheinfirmen handelt. Leider ist es natürlich manchmal so, dass dann keine Aktiva mehr verfügbar sind, denn sonst wären es keine Scheinfirmen. Manchmal gibt es Rückzahlungen, aber das kann man natürlich nicht im Vorhinein feststellen.

Das AMS zahlt natürlich auf Basis bestehender Ausschließungslisten Förderun­gen aus, und Scheinfirmen kommen dann, wenn klargestellt ist, dass es diesen Status gibt, auf diese Ausschließungslisten. Das passiert automatisch und laufend in einem Reportingsystem. Das ist in der jetzigen Abwicklung gut, aber es gab natürlich während der Coronazeit einige Herausforderungen, gar keine Frage.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Frau Abgeordnete? – Bitte.


Abgeordnete Dr. Dagmar Belakowitsch (FPÖ): Herr Minister, weil Sie dafür Danke gesagt haben: Ich stelle Ihnen gerne noch eine weitere Frage. Was aus diesen vielen Anfragebeantwortungen hervorgeht, ist, dass es sehr viele dieser Scheinfirmen gibt, die immer wieder an der gleichen Adresse gegründet werden. Das heißt, da ist offensichtlich tatsächlich auch ein Versagen in diesem Reportingsystem.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 34

Daher meine Frage: Bis wann, meinen Sie, werden Sie diese Zahl tatsächlich runterbringen, indem Sie auch die Adressen aufnehmen, an der Scheinfirmen eben gemeldet werden – denn das ist offensichtlich in diesem Reportingsystem noch nicht drinnen?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Wie gesagt, es gibt einen laufenden Austausch mit dem Finanzministerium, es gibt jährliche Prüfpläne mit genau spezifizierten Schwerpunktbereichen. Als AMS, als Bun­desministerium für Arbeit und Wirtschaft sind wir auf diese Prüfungen durch die Finanzpolizei, durch die Behörden, die es dafür gibt, angewiesen. Die sind streng, die werden immer strenger und die werden auch immer besser unter­stützt durch datengestützte Instrumente, Adressen zum Beispiel.

Ich bin optimistisch, dass uns das noch besser gelingen wird, wiewohl auch klar zu sagen ist, es wird nie vollständig ausgeschlossen sein, dass es Betrug gibt. Deswegen gibt es auch die Strafen dafür. Es beschränkt sich ja nicht nur auf das Zurückzahlen der jeweiligen Förderung, sondern es kommt auch zur Bestrafung der Betroffenen, die diese Scheinfirmen gegründet haben.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt Abgeordneter Koza. – Bitte. 09.20.47


Abgeordneter Mag. Markus Koza (Grüne): Sehr geehrter Herr Minister! Wir wissen, dass eine der zentralen Herausforderungen sowohl gesellschaftspolitisch als auch wirtschaftspolitisch die ökologische Transformation ist, das heißt der Wirtschaft, der Mobilität wie auch unserer Heizsysteme, Wärmesysteme. Natürlich stellt das auch den Arbeitsmarkt vor sehr große Herausforderungen, denn wir haben ja in vielen Branchen bereits einen ganz real existierenden Arbeitskräftemangel. Und wenn die sozialökologische Transformation gelingen soll, werden wir auch möglichst viele Arbeitnehmer:innen brauchen, die tatsächlich diese Wende vorantreiben, durchführen und umsetzen können.


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Daher meine Frage:

273/M

„Wie stellt sich der Fachkräftemangel bei Green Jobs dar – konkret: wie ist der aktuelle Stand an offenen Stellen im Bereich Green Jobs?“


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Koza. Es ist tatsächlich gar nicht so leicht, die Definition zu vorzunehmen. Es gibt von der OECD auch einige Vorgaben, es ist eine sehr breite Definition der Green Jobs. Es gibt auch eine engere Definition, es gibt auch Jobs, die im Moment vielleicht sogar das Gegenteil sind, Polluting Jobs, die in fünf Jahren dann Green Jobs sind. Die Transformation, die passiert, ist gar nicht so leicht zu verfolgen. Insofern muss man mit den Daten immer ein bisschen vorsichtig umgehen.

Wir haben in Österreich glücklicherweise mehr Green Jobs als im OECD-Durchschnitt, wir haben in dem Bereich aber auch einen sehr großen Mangel. Die aktuelle Zahl der offenen Stellen im Bereich der breiteren Definition der Klimaberufe liegt bei 14 588, das ist die Zahl von Ende April 2023. Das sind bei Weitem mehr als 10 Prozent aller gemeldeten offenen Stellen, und da sind auch noch einige dabei, die wahrscheinlich nicht gemeldet werden, weil nicht alle Stellen ans AMS gemeldet werden. Wenn man die sehr enge Definition hernimmt, ganz konkret etwa den Installateur, der PV-Anlagen installiert, dann sind es gut 1 000 gemeldete offene Stellen.

Es zeigt sich in der Vergleichsanalyse über die letzten Jahre, dass die Zahlen der offenen Stellen in diesen Bereichen besonders stark gestiegen sind. Wir sehen also einen größeren Bedarf, deshalb gibt es auch im Rahmen des AMS in viele Maßnahmen zur Qualifizierung diese Richtung.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? – Bitte.



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Abgeordneter Mag. Markus Koza (Grüne): Ja, die Zusatzfrage geht eh in diese Richtung. Sie haben es schon zuvor im Zusammenhang mit der Transfor­ma­tionsoffensive Industrie erwähnt, dass in den Betrieben sehr wohl auch Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen umgesetzt werden, aber konkret:

Welche gezielten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen gibt es, um den Fachkräftebedarf im Bereich der Green Jobs, beispielsweise Energiewende, wo auch immer, tatsächlich abdecken zu können, insbesondere was auch den unmittelbaren Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik für Menschen in der Arbeitslosigkeit in Österreich betrifft?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Wir haben ja viele bestehende, gut funktionierende arbeitspolitische Maßnahmen, die wir jetzt einsetzen, natürlich ganz konkret für die Bereiche, in denen es besonders große Knappheit gibt: Pflege, Gesundheit, aber natürlich auch im Bereich der klimarelevanten Berufe.

Wir haben das Fachkräftestipendium, wir haben vor allem die Umweltstiftung, die wir letztes Jahr eingerichtet haben, die ich gemeinsam mit der Frau Klima­ministerin eröffnet habe, damit natürlich auch in handwerklichen Berufen ausgebildet wird, um eben genau diesen Bedarf zu decken. Es geht jetzt darum, diese Berufe bekannter zu machen. Rein die Förderung und die Möglichkeiten zu haben ist die eine Sache, die Berufe bekannter zu machen, die Chancen aufzu­zeigen die andere. Das machen aber die AMS-Landesstellen und die zustän­digen Regionalstellen sehr gut. Es gibt in einzelnen Ländern auch schon ganz konkrete Initiativen, das noch sichtbarer in der Fort- und Weiterbildung zu machen, durch einzelne Einrichtungen, die ganz spezifisch diese Jobs ausrichten, neben der Umweltstiftung, die es österreichweit gibt.



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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Zusatzfrage stellt Abgeordneter Seemayer. – Bitte.


Abgeordneter Michael Seemayer (SPÖ): Herr Bundesminister! Anstatt immer wieder die Voraussetzungen für die Erteilung der Rot-Weiß-Rot-Karte nach unten zu schrauben, könnte man auch Maßnahmen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Inland setzen, damit der Fachkräftemangel entschärft werden kann, beispielsweise – Sie haben es angesprochen – hinsichtlich der Arbeitsbe­din­gungen in der Pflege oder im Gesundheitsbereich beziehungsweise auch im Tourismus.

Welche Vorschläge haben Sie, um mehr inländische Arbeitskräfte – und wir haben ein großes Potenzial an inländischen Arbeitskräften – für Mangelfach­bereiche zu gewinnen?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Diese Frage in einer Minute zu beantworten ist fast unmöglich. Wir wissen natürlich, wo die Potenziale sind: Wir brauchen gute Qualifizierung im Bereich der Arbeitslosigkeit, schnelle Vermittlung. Wir brauchen gute Bildung am Anfang des Berufslebens, um einsteigen zu können, um keine Jugendarbeitslosigkeit zu haben. Wir brauchen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie; das liegt jetzt nicht direkt in meinem Ressort, aber ich spreche mich immer dafür aus, die Vereinbarkeit zu verbessern, weil ich das für sehr wichtig halte. Wir brauchen Gesund­heits­vorsorge; das liegt zum Teil bei mir im Ressort. Wir haben da ein wichtiges Programm: Fit2work, das hilft, dass Menschen länger im Berufsleben stehen können, bis zum Pensionsantritt gesund bleiben und dann gesund in Pension gehen können.


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Wir brauchen auch Anreize, vielleicht ein bisschen länger im Berufsleben zu bleiben, und weiters brauchen wir auch qualifizierte Zuwanderung, aber das ist nur ein kleiner Teil. Es ist klar, dass das Hauptpotenzial im Inland liegt.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage: Frau Abgeordnete Kirchbaumer. – Bitte.


Abgeordnete Rebecca Kirchbaumer (ÖVP): Guten Morgen, Herr Bundes­minister! Frau Staatssekretärin! Die Rot-Weiß-Rot-Karte ist ja ein bewährtes Instrument, um qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Ausland auf den österreichischen Arbeitsmarkt zu bringen. Es ist bei der Rot-Weiß-Rot-Karte oft relativ schwierig, dass man bei allem bürokratischen Aufwand, den sie mit sich bringt, auch immer alles richtig ausfüllt und dass man auch die ent­sprechenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter findet, die man nach Österreich holen kann. Speziell im Tourismus fehlen massiv Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, besonders auch in Tirol.

Wir haben ja die Rot-Weiß-Rot-Karte mittlerweile evaluiert und auch schon verbessert. Meine Frage: Welche Verbesserungen kommen noch bezie­hungsweise was könnten wir noch machen, um die Rot-Weiß-Rot-Karte weiter zu verbessern? Und: Was war in der Vergangenheit schon positiv zu bemerken im Zusammenhang mit der Rot-Weiß-Rot-Karte? – Vielen Dank.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Ich glaube, die Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte war wirklich ein relativ großer Schritt, um die Rot-Weiß-Rot-Karte attraktiver zu machen. Jetzt geht es darum, das auch in die Fläche zu bringen, also in allen Bezirken die Verfahren zu beschleunigen, das ist sicher noch nicht überall gelungen. Es sind ja auch mehrere Behörden beteiligt. Es geht darum, es bekannter zu machen.

Wir haben mit der Rot-Weiß-Rot-Karte aus meiner Sicht ein Instrument, das durchaus vergleichbar ist mit dem Einwanderungssystem in Kanada. Es geht um


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qualifizierten Zuzug, spezifisch in den Bereichen, in denen wir ihn brauchen, besonders in Mangelberufen. In anderen Bereichen gibt es eine Einkom­mensuntergrenze und ein Punktesystem, das erfüllt werden muss.

Ich glaube, es ist uns gelungen, sie attraktiver zu machen. Wir haben in den letzten Monaten 50 Prozent Anstieg bei der Zahl der Bewilligungen der Rot-Weiß-Rot-Karten im Vergleich zu vor der Reform. Wir müssen jetzt noch besser werden, was die Verfahren und die Geschwindigkeit der Verfahren betrifft, natürlich gemeinsam mit den Bezirksbehörden im Ausländerbereich.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Frage stellt Herr Abgeordneter Shetty. – Bitte.


Abgeordneter Mag. Yannick Shetty (NEOS): Guten Morgen, Herr Minister! Der Mangel an Fachkräften, die für die Energiewende relevant sind, ist enorm, das haben wir heute schon mehrfach gehört – Politikerinnen und Politikern von gestern und vorgestern geschuldet, die eben nicht an morgen und an übermor­gen gedacht haben. Ich glaube, das sagt einem ja der Hausverstand, dass man schon vor zehn Jahren in Green Jobs hätte investieren müssen, hätte ausbilden müssen, sodass wir heute nicht diesen Fachkräftemangel hätten.

Sie haben im Jänner dieses Jahres eine Pressekonferenz zu einer Offensive im Bereich der Green Jobs gegeben und haben davon gesprochen, dass es 11 300 offene Stellen in klimarelevanten Bereichen gibt. Heute haben Sie eine aktuellere Zahl genannt.

Auf eine Anfrage, die wir dann gestellt haben, haben Sie geantwortet, dass es keine Definition, keine Liste Ihres Hauses gibt. Ich finde das schockierend. Wie kommt man auf eine Zahl, wenn es keine Definition gibt?

Deswegen wäre meine Frage, Herr Minister: Was ist der konkrete Plan, um zu einer Definition von Green Jobs, von Jobs in klimarelevanten Bereichen zu kommen?



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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Wir haben natürlich schon eine Liste von Berufen. Die Frage ist immer, wie genau sie ist. Ich habe versucht, ausheben zu lassen, wie die Berufsliste des AMS die klimarelevanten Berufe definiert. Es sind 358 Berufe insgesamt, die klimarelevant sind, natürlich mit einzelnen Abstufungen, manche sind relevanter, andere weniger. Der öffentliche Verkehr ist da übrigens nicht einbezogen; da könnte man auch sagen, dass das ein besonders klimarelevanter Bereich ist, in manchen Bereichen sicher, in anderen Bereichen vielleicht nicht so stark.

Eine Teilmenge von 128 Jobs sind sogenannte Green Jobs, in der Nomenklatur des AMS spezifische Jobs, zum Beispiel der Installateur mit spezifischen Fähigkeiten zur Installation von PV-Anlagen oder der Klimatechniker, die Klimatechnikerin, solche Jobs im Endeffekt.

Also es gibt das natürlich, aber in der Anfragebeantwortung haben wir immer darauf hingewiesen: Es ist immer eine Definition, die man mit Vorsicht genießen muss, weil eben die konkrete Ausgestaltung der Jobs dann durchaus unter­schiedlich ist, die Bezeichnung aber gleich ist.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt Abgeordneter Loacker. – Bitte. 09.30.09


Abgeordneter Mag. Gerald Loacker (NEOS): Herr Präsident! Guten Morgen, Herr Bundesminister! Wir haben ja mit Freude feststellen können, dass die Inflation zumindest zur Folge hatte, dass jetzt auch bei den linken politischen Verantwortlichen erkannt wird: Wettbewerb ist wichtig für eine gesunde Preisgestaltung, und gesunder Wettbewerb dämpft die Preise. Eine umso wichtigere Rolle kommt in der aktuellen Phase der Bundeswettbewerbs­behörde zu.


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Die Regierung hat einen großen Preisgipfel inszeniert, mit – aus oppositioneller Sicht – bescheidenem Erfolg. Meine Frage dazu:

271/M

„Ist mit den nach dem Preisgipfel angekündigten Änderungen des Wettbe­werbsrechts auch eine Erweiterung der Kompetenzen der Bundeswett­bewerbsbehörde bei Hausdurchsuchungen verbunden?“


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank. Also ich glaube, ich habe mich immer dafür ausgesprochen, dass Wettbewerb ein ganz wichtiger Faktor in einer ökosozialen Marktwirtschaft ist und Wettbe­werbsdurchsetzung ganz wichtig ist. Da gibt es viele Faktoren. Es ist ja nicht nur die Bundeswettbewerbsbehörde, die da eine wichtige Rolle spielt: Es gibt die Wettbewerbskommission, es gibt natürlich auch immer die E-Control – im Bereich der Regulierung für die Energie –, aber auch andere Regulierungsbehör­den, die ja auch dazu da sind, Wettbewerb zu fördern.

Ganz konkret jetzt: Was die Wettbewerbsbehörde betrifft, ist in dem Paket, das der Ministerrat vor, glaube ich, drei Wochen beschlossen hat, auch ein Punkt zu diesem Thema drinnen. Es geht darum, ganz spezifisch die Erweiterungen, die es für die Arbeit der Bundeswettbewerbsbehörde im Kartell- und Wettbewerbs­rechts-Änderungsgesetz 2021 schon gibt, noch einmal zu überprüfen. Da geht es um Fusionskontrolle, da geht es auch um die Möglichkeiten bei Branchen­untersuchungen, weil es da besonders wichtig ist, dass Information für die Bun­deswettbewerbsbehörde vorhanden ist.

Wichtig ist auch – und das ist, glaube ich, entscheidend –, dass die Bundeswett­bewerbsbehörde schlagkräftig und gut ausgestattet ist. Deshalb steht in diesem Paket auch eine Erweiterung der Stellenzahl um ungefähr 20 Prozent drinnen, also ein klares Bekenntnis zu einem starken Wettbewerb in


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Österreich und zur Unterstützung dieses Wettbewerbs über eine schlagkräftige Bundeswettbewerbsbehörde.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage? – Bitte.


Abgeordneter Mag. Gerald Loacker (NEOS): Die Wettbewerbsbehörde hat ja seit Längerem eine interimistische Leitung. Ihr Haus hat zur Klärung der Frage, was Wettbewerbsrecht überhaupt ist, ein Gutachten in Auftrag gegeben. Ich finde den Vorgang schon bemerkenswert. Das Gutachten wollen Sie nicht veröffentlichen, „um die Willensbildung [...] nicht [...] zu erschweren“ – das steht in der schriftlichen Anfragebeantwortung –, die Willensbildung für die Entscheidung über die Leitung der Wettbewerbsbehörde.

Warum schwächt die ÖVP die Wettbewerbsbehörde, indem sie unbedingt einen eigenen Parteikandidaten durchdrücken will, während die interimistische Amtsinhaberin sowohl innerhalb des Hauses als auch außerhalb höchstes Ansehen genießt? (Beifall bei den NEOS.)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Jetzt muss ich einmal zurückweisen, dass ein eigener Kandidat durchgedrückt werden sollte – wie auch immer das formuliert ist. (Abg. Scherak: Das ist Zufall!) Es ist so, dass die Besetzungen von Stellen, die auszuschreiben sind, einem Regelwerk folgen. Es gibt eine Besetzungskommission, die korrekt zustande gekommen ist. Es gibt dazu Gutachten aus der Kommission. Es gibt eine Liste, und es ist interessant, dass immer einzelne Positionen herausgegriffen werden und dann die Liste kritisiert wird und bei anderen gesagt wird, die Nummer eins auf der Liste soll so rasch wie möglich bestellt werden.

Ich glaube, wir brauchen Verfahren. Man kann über jede dieser Besetzungen diskutieren, aber wir brauchen Verfahren, die verlässlich sind. Deshalb gab es auch in diesem Verfahren noch zusätzliche Gutachten, um festzustellen, ob die Interpretation des Wettbewerbsrechts korrekt war. Dieses eine Gutachten, das


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das unterstützt, werden wir natürlich nach Abschluss des Verfahrens ver­öffentlichen, aber gerade bei personalpolitischen Entscheidungen, bei Beset­zungen, ist es, glaube ich, wichtig, dass diese so ablaufen, dass in der Öffent­lichkeit nicht über Details diskutiert wird, die aus dem Zusammenhang gerissen sind, weil ja nicht alles veröffentlicht werden kann, was dort gemacht wird. Deswegen wurde diese Vorgangsweise gewählt.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt Frau Abgeordnete Zopf. – Bitte. 09.34.27


Abgeordnete Bettina Zopf (ÖVP): Geschätzter Herr Minister! Wir haben ja derzeit die positive Situation, dass es am Arbeitsmarkt sehr viele offene Stellen gibt. Es gibt also in allen Bereichen zahlreiche Beschäftigungsmöglichkeiten, nicht nur im Fachkräftebereich. Im Gegensatz dazu haben wir aber natürlich auch sehr viele Langzeitarbeitslose. Wir wissen, dass Langzeitarbeitslosigkeit ein großes Problem ist.

268/M

„Welche Maßnahmen setzen Sie, um Langzeitarbeitslose im Hinblick auf die gesamte Arbeitsmarktsituation wieder in Beschäftigung zu bringen?“


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Zopf. Wir haben ja in den letzten Jahren einen sehr starken Fokus auf die Langezeitarbeitslosigkeit gelegt, weil sie in der ersten Phase der Lockdowns während der Coronapandemie massiv gestiegen war. Wir hatten Ende April 2021 einen Höchststand – nach der Definition, die wir benut­zen – von fast 148 000 Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos waren.

Wir haben dann das Programm Sprungbrett aufgesetzt und seitdem die Lang­zeitarbeitslosigkeit fast halbiert, auf knapp 77 000 Personen Ende April 2023. Das ist der niedrigste Wert an Langzeitarbeitslosigkeit seit 2013, also niedriger


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als in relativ guten Jahren – 2017, 2018, 2019 –, in denen es wirtschaftlich höhere Wachstumsraten gab.

Es wird weiter einen Fokus darauf geben, wir werden in diesem Jahr und auch im nächsten Jahr einen Fokus darauf legen. Langzeitarbeitslosigkeit hat massive negative Folgen für die Betroffenen, ist eine große Armutsgefährdung und natür­lich auch gesellschaftlich und wirtschaftlich schlecht. Es wird alles zu tun sein, um die Langzeitarbeitslosigkeit weiter zu senken, aber das Programm hat jetzt wirklich sehr stark gewirkt. Ich bin sehr froh darüber, weil die Lage, was das betrifft, im April 2021 tatsächlich dramatisch war.

Ich danke dem AMS, das dieses Programm sehr, sehr gut umsetzt hat, nämlich auch so, dass viele Menschen wirklich in Beschäftigung geblieben sind: Über 50 Prozent der Menschen, die im Programm waren, haben drei Monate nach Abschluss des Programms, nach der Förderung, noch einen Job in der gleichen Firma.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage? – Bitte.


Abgeordnete Bettina Zopf (ÖVP): Herr Minister, es gibt natürlich auch weitere Zielgruppen wie zum Beispiel ältere Arbeitnehmer, die langzeitarbeitslos sind, oder Menschen mit Beeinträchtigung. Gibt es auch Schwerpunkte für diese besonderen Zielgruppen?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Wir haben immer gesagt, dass das Programm Sprungbrett natürlich gerade auf besonders betroffene Gruppen fokussiert ist, auf Menschen, die zumeist auch länger als ein Jahr arbeitslos waren, also zwei Jahre und länger. Fast 50 Prozent der Geför­der­ten kamen aus dieser Gruppe.

Wir haben natürlich auch einen großen Anteil an Menschen mit gesundheit­lichen Einschränkungen oder mit Behinderung. Das waren 30 Prozent aller


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Geförderten. Ein Gutteil der Geförderten war älter, auch darauf war ein Fokus gelegt, neben einem Fokus auf Frauen. Wir haben glücklicherweise weniger langzeitarbeitslose Frauen als langzeitarbeitslose Männer, aber klarerweise gab es auch einen Fokus auf Frauen.

Das waren also die vier Gruppen, auf die wir den stärksten Fokus gelegt haben.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Zusatzfrage stellt Frau Abgeordnete Fiedler. – Bitte.


Abgeordnete Fiona Fiedler, BEd (NEOS): Sehr geehrter Minister! Der AMS-Definition von Langzeitarbeitslosigkeit entspricht es, über ein Jahr durchgehend, also ohne längere Unterbrechung, als arbeitslos vorgemerkt zu sein. Wir haben in Österreich eine Personengruppe, die zwar beim AMS nicht vorgemerkt ist, aber doch nicht unwesentlich groß ist. Ich weiß schon, dass das auch in den Sozialbereich hineinspielt, aber trotzdem sind wir an einem inklusiven Arbeits­markt interessiert, und es hängt auch ein bisschen mit der Zusatzfrage der Kollegin zusammen.

Welche konkreten Bestrebungen gibt es seitens Ihres Ministeriums, gerade in Zeiten des akuten Arbeitskräftemangels, losgelöst von Neba, Fit2work, Jobcoaching und Jugendcoaching Menschen mit Behinderung endlich inklusiv und effizient am Arbeitsmarkt einzusetzen, um auf diese wertvollen Ressourcen nicht verzich­ten zu müssen?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank für die Frage, Frau Abgeordnete. Das ist mir wirklich ein wichtiges Anliegen, weil wir auch im Ministerium gerade ein Projekt zur Inklusion in der Lehre gestartet haben. Wir versuchen natürlich, da jetzt auch gesetzlich Verbesserungen zustande zu bringen.


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Wir arbeiten – ich habe das auch schon öffentlich gesagt – sehr intensiv an einer Möglichkeit, dass die Feststellung der Arbeitsfähigkeit nicht sofort nach der Pflichtschule erfolgt, sondern es mehr Flexibilität bis zu einem gewissen Alter – 25 Jahre zum Beispiel – gibt, damit der Weg in den Arbeitsmarkt besser gelingt und es eben keinen versperrten Weg gibt.

Das erfordert natürlich auch zusätzliche Maßnahmen – Begleitmaßnahmen beim AMS und beim SMS. Dazu sind wir in der Vorbereitung. Das ist aus meiner Sicht ein wichtiger erster Schritt, um eben zu verwirklichen, was jahrzehntelang gefordert wird: Lohn statt Taschengeld als volle Inklusion von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt Herr Abgeordneter Muchitsch. – Bitte. 09.39.25


Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Die Finanzierung des Sozialstaates hängt in erster Linie von der arbeitenden Bevölkerung ab. Je mehr Versicherungsbeiträge und Steuern abgeliefert werden, umso besser ist die Finanzierung gesichert. Umso mehr verwundert es, dass Sie als Arbeitsminister angesichts von 47 Millionen unbezahlten Überstunden bis dato keine Vorschläge präsentieren, wie künftig geleistete Überstunden erfasst und auch bezahlt werden müssen.

Meine konkrete Frage, Herr Bundesminister:

265/M

„Welche konkreten Maßnahmen werden Sie setzen, um alle tatsächlich geleis­teten Arbeitsstunden zu erfassen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die ihnen zustehende Bezahlung für ihre Arbeit zu gewährleisten?“

Wie wird gewährleistet, dass diese Stunden auch tatsächlich bezahlt werden?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.



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Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Es ist ja so, dass es für die Erfassung von Arbeitszeit bei Unternehmen klare Regeln gibt. Es gibt auch Kontrollen dazu – über die Arbeits­inspektorate, auch über andere Kontrollinstanzen –, um sicherzustellen, dass die Arbeitsaufzeichnung umfassend und korrekt ist.

Es gibt auch – und das ist gut so – die Möglichkeit, sich an die Interessenver­tre­tungen zu wenden, wenn der Verdacht besteht, dass das nicht funktioniert. Wir stehen zu diesen Themen in laufendem Austausch mit den Sozialpartnern und mit dem Gewerkschaftsbund. Wir finanzieren auch gemeinsam Projekte, unter anderem für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Österreich, die besonders gefährdet für Lohn- und Sozialdumping sind, wie zum Beispiel ausländische Arbeitskräfte. Da gibt es zum Beispiel auch fremdsprachige Beratungsmöglich­keiten und andere Projekte, die wir in der Vergangenheit unterstützt haben und zum Teil noch unterstützen.

Aus meiner Sicht bedarf es im Moment keiner weiteren Maßnahmen in Bezug auf die Erfassung durch die Bundesregierung oder durch die öffentliche Hand, sondern es bedarf der Durchsetzung der bestehenden Regelungen im Lohn- und Sozialdumpingbekämpfungsgesetz.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage? – Bitte.


Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ): Ich möchte bei diesem Thema noch ein­mal nachhaken. Durch die Meldung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit gäbe es endlich auch konkrete Daten über Teilzeitbeschäftigung. Vielfach sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Teilzeit beschäftigt beziehungsweise angemeldet, eine Vielzahl davon arbeitet aber wesentlich mehr Stunden, leistet mehr Stunden. Viele sind tatsächlich eigentlich schon fast in Vollzeit beschäf­tigt. Sie haben vor einigen Wochen mit einer Aussage für Aufregung gesorgt, in der Sie Teilzeitbeschäftigten mit Kürzung oder Streichung von Sozialleistungen gedroht haben.


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Meine konkrete Frage: Was werden Sie unternehmen, damit Teilzeitarbeit für Arbeitgeber:innen wieder weniger lukrativ wird und dadurch wieder mehr Vollzeitarbeitsplätze angeboten werden?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Ich möchte es einmal korrigieren und klarstellen: Ich habe nicht gesagt, dass Teilzeit bestraft werden soll; ich habe gesagt, wir müssen sicherstellen, dass es uns gelingt, es für Menschen, die in Teilzeit arbeiten und mehr Stunden arbeiten können – die Voraussetzung muss nämlich zum Teil auch von der öffentlichen Hand geschaf­fen werden –, auch attraktiv zu machen, mehr Stunden zu arbeiten.

Ich glaube, da gibt es zwei Dinge: auf der einen Seite die Besteuerung, die Belas­tung durch Abgaben und viele andere Faktoren, die dazu führen, dass Menschen sich vielleicht für Teilzeit entscheiden, obwohl sie mehr Stunden arbeiten könn­ten. Es ist aber natürlich auf der anderen Seite auch – und das sage ich immer wieder – eine Aufgabe der Unternehmen. Es gibt tatsächlich Branchen und Bereiche, in denen Teilzeit sehr weit verbreitet ist. Da geht es darum, klar darauf hinzuweisen, dass diese Unternehmen, wenn sie über einen Arbeits- und Fachkräftemangel klagen, auch Vollzeitstellen oder höhere Stundenausmaße anbieten sollten. Da gibt es, glaube ich, keine Differenz zwischen uns. Das ist die große Herausforderung und muss die große Aufgabe werden.

Es geht aber auch darum – letzter Satz –, bei allen Regelungen darauf zu schauen, dass es für Unternehmen den Anreiz gibt, aufzustocken.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt Herr Abgeordneter Kassegger. – Bitte. 09.43.33


Abgeordneter MMMag. Dr. Axel Kassegger (FPÖ): Herr Bundesminister, meine Frage beschäftigt sich mit der Inflation und den Ursachen der Inflation, für die nicht Sie ad personam, aber Ihre Partei, die ÖVP, natürlich auch verantwortlich ist: für EZB-Geldschwemme, Nullzinspolitik, Schuldenpolitik, Lockdowns, die zu


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einem Nachfrageüberhang geführt haben. Da ist es ja grundfalsch, Geld ins System zu schütten, was Sie aber gemacht haben mit den Coronahilfen – Milliar­denbeträge –, mit den Energiehilfen – Milliardenbeträge –, mit dem Krieg – Milliardenbeträge. Darunter waren aus unserer Sicht keine inflations­dämpfenden Maßnahmen. Sie wissen, da gibt es Möglichkeiten: die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, auf Energie zu senken, die Mineralölsteuer zu senken. Sie machen mit der CO2-Steuer genau das Gegenteil. Sie wissen, man kann auch auf die Energieversorger Druck ausüben. Das alles machen Sie nicht.

Deswegen meine Frage:

263/M

„Wann werden Sie endlich inflationsdämpfende Maßnahmen setzen, um die unter der im EU-Vergleich überdurchschnittlich hohen Inflation und den ständig steigenden Preisen massiv leidende Bevölkerung spürbar zu entlasten?“


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kassegger. Ich glaube, es ist klar, dass wir natürlich inflationsdämpfende Maßnahmen setzen, dass aber die Bundesregierung auch nur begrenzte Möglichkeiten hat, das zu tun. Sie haben es angesprochen: Ein Gutteil der Inflation ist natürlich immer wieder auch auf eine Geldpolitik zurückzuführen, die nicht national verankert ist, sondern über die in Frankfurt bei der EZB entschieden wird. Die war aber in Österreich auch davor, als es noch den Schilling gab, natürlich unabhängig in der Notenbank verortet, und die Bundesregierung hatte auch keine Möglichkeit der Einflussnahme auf die Geldpolitik.

Natürlich ist es wichtig – und da, glaube ich, spreche ich genau das an, wovon Sie gesprochen haben –, dass wir in den nächsten Monaten, wenn die Erzeugerpreise und die Großmarktpreise zurückgehen, schauen, dass diese Preisrückgänge durch Wettbewerb und durch die stärkere Besteuerung von


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Zufallsgewinnen bei der erneuerbaren Energie weitergegeben werden. Das ist auch im Ministerratsvortrag klar definiert und wird dazu führen, dass die Energiepreise sinken und diese Senkungen damit an alle weitergegeben werden, wenn der Wettbewerb funktioniert. Das ist neben dem Stopp der Gebühren­erhöhungen im Bund eine ganz wichtige Maßnahme, und ich hoffe sehr, dass viele Gemeinden und Länder folgen werden.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage? – Bitte.


Abgeordneter MMMag. Dr. Axel Kassegger (FPÖ): Meine Zusatzfrage betrifft eine Entwicklung, die aus Sicht der Freiheitlichen Partei sowohl rechtsstaatlich als auch demokratiepolitisch sehr, sehr bedenklich ist, nämlich jene, dass bestimmte Leute, die selbstdefinierte gute Ziele verfolgen, offensichtlich glau­ben, sich über Recht hinwegsetzen zu können. Ich spreche von den Klima­klebern, denen offensichtlich jedes Mittel recht ist. Ich spreche jetzt nicht von dem berechtigten Ärger der Leute, ich spreche auch nicht von der gestohlenen Lebenszeit – das ist schwer messbar. Ich frage auch nicht nach dem ökono­mischen Schaden solcher Staus, sondern meine Frage ist folgende: Welchen volkswirtschaftlichen Schaden verursachen derartige Aktionen aus Ihrer Sicht?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank für die Frage. Mir ist keine Untersuchung bekannt, aber natürlich wissen wir, dass die Zeit, die man im Auto verbringt und im Stau steht, volkswirtschaftlich verlorene Zeit ist, weil in der Zeit Produktivität, Leistungen erfolgen könnten. Wie gesagt kenne ich keine Studie, aber natürlich ist es volkswirtschaftlich nicht zuträglich, wenn Menschen länger im Stau stehen, als das ohnehin schon der Fall ist.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Zusatzfrage stellt Frau Abgeordnete Niss. –Bitte.



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Abgeordnete Mag. Dr. Maria Theresia Niss, MBA (ÖVP): Herr Minister, Sie sind vorhin schon ein bisschen auf die Energiekosten eingegangen, aber da die hohen Energiekosten wirklich ein großer Treiber der Inflation sind, vielleicht noch einmal im Detail: Wie könnte man Ihrer Meinung nach die hohen Stromkosten und dadurch die Inflation – vor allem auch dauerhaft – senken?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Ich glaube, bei den Energiekosten ist es wichtig, zwischen Erdgas – da geht es um Angebot und Nachfrage – und den Stromkosten, von denen sich ein Teil aus der Preis­findung auf europäischer Ebene durch die sogenannte Meritorderregel ergibt, zu unterscheiden. Wir haben uns auf europäischer Ebene massiv für eine Entkop­pelung der Strom- und Gaspreisen bei der Verstromung von Gas eingesetzt. Das hätte den Strompreis nach unten gebracht.

Wir werden das weiter tun. Der Bundeskanzler hat das getan, die Klima­schutz­ministerin hat das getan, ich habe das getan. Derzeit gibt es dafür keine Mehrheit, aber wir müssen es schaffen, auf europäischer Ebene eine Lösung zu finden. Ich halte es ehrlich gesagt für nicht gut, Umwege zu finden – wie jetzt in Deutschland über einen Industriestrompreis diskutiert wird –, um wettbewerbsfähig zu bleiben, wenn wir es nicht schaffen, die Stromkosten insgesamt zu senken, die jetzt durch die Preisfindung durch den Marktmecha­nismus in gewisser Weise artifiziell erhöht werden.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt Abgeordneter Schwarz. –Bitte. 09.48.20


Abgeordneter Mag. Dr. Jakob Schwarz, BA (Grüne): Guten Morgen, Herr Minister! Die deutsche Automobilindustrie, die europäische Automobilindustrie steht vor einer großen Umwälzung. Wir wissen, dass die Produktportfolios auf elektrische Antriebe umgestellt werden. Mercedes möchte bis 2025 alle neuen Fahrzeugarchitekturen auf elektrisch umstellen. Auch bei VW und bei


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Audi gibt es quasi Ausstiegsszenarien – bis 2030 möchte man bei VW alle Antriebe elektrisch haben, bei Audi bis 2033. Angesichts der Entwicklungen in China ist das möglicherweise sogar noch nicht ambitioniert genug. Da gibt es ja einen extremen Boom in Bezug auf elektrische Antriebe.

Mich treibt ein bisschen die Frage um: Was hat das für Auswirkungen auf die vielen österreichischen Beschäftigten im Automotivebereich, in der Zuliefer­industrie? Können Sie mir sagen, wie viele Beschäftigte im Zusammenhang mit der Produktion von Verbrennungsmotoren in Österreich dadurch möglicher­weise einem gewissen Risiko ausgesetzt sind?

*****

Die schriftlich eingebrachte Anfrage, 274/M, hat folgenden Wortlaut:

„Wie viele Unternehmen in Österreich mit vielen Beschäftigten sind von dem Umstieg der Fahrzeughersteller auf elektrische Antriebsformen betroffen, da sie derzeit noch Produkte für Verbrennungsmotoren produzieren?“

*****


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Schwarz, für die Frage. Wir haben einen sehr engen Austausch mit den Unternehmen in diesem Bereich. Es sind derzeit ungefähr 41 000 direkt von Unternehmen im Autozulieferbereich Beschäftigte. Dieser ist sehr, sehr stark exportorientiert, dadurch natürlich auch abhängig von Entwicklungen, die woanders auf der Welt passieren – insbesondere in Deutsch­land. 87 Prozent der gefertigten Produkte aus diesem Bereich werden aktuell exportiert, und wir haben auch Schätzungen, dass das Beschäftigtenpotenzial in diesem Bereich wächst.


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Natürlich gibt es die Notwendigkeit der Transformation. In diesem Austausch sehen wir aber, dass viele Unternehmen schon jetzt zum Teil sowohl im Bereich des Verbrennungsmotors als auch im Bereich neuer Antriebstechno­logien oder neuer Technologien tätig sind, teilweise mit unterschiedlicher Ausrichtung.

Es gibt Unternehmen – in Graz die AVL List –, die beides machen, und es gibt Unternehmen wie BMW Steyr, die auf Elektromobilität umstellen werden. Wir werden das mit der Klima- und Transformationsoffensive unterstützen. Ich bin nach den Gesprächen sehr optimistisch, dass sehr viele Unternehmen sehr klare Pläne haben, wie sie diesen Umstieg gestalten. Die nächsten Jahre werden aber wichtig sein, weil genau da viele langfristige Entscheidungen – wie und wo produziert wird – getroffen werden, und da soll Österreich aus meiner Sicht ganz vorne stehen.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage? – Bitte.


Abgeordneter Mag. Dr. Jakob Schwarz, BA (Grüne): Die Zusatzfrage spielt ein bisschen darauf an, wie weit das BMAW diese Umschulung von Beschäftigten – die dementsprechend diese Umstellung von Verbrennungsmotoren auf Elektromotoren machen müssen – unterstützt.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Es ist kurz zuvor auch erwähnt worden: Bei der Qualifizierungsoffensive im Rahmen der Klima- und Transformationsoffensive gibt es genau diesen Schwerpunkt, zusätzlich öffentlich gefördert, um eben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Betrieben zu halten. Ich glaube, das wird die große Aufgabe sein, angesichts des Fachkräftebedarfs wollen das aber auch viele Unternehmen wirklich haben. Wir sind also optimistisch, dass es uns gelingt, sicherzustellen, dass die Mitarbeiter, die jetzt zum Beispiel an Verbrennungsmotoren arbeiten, dann auch in der Lage sind, die Schritte zu setzen, die man braucht, um Elektromotoren zu bauen.



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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt Abgeordneter Bernhard. – Bitte. 09.51.37


Abgeordneter Michael Bernhard (NEOS): Guten Morgen, Herr Bundesminister! Die hohe Inflation hat uns wieder auf eine Problematik aufmerksam gemacht, die ja schon lange bekannt ist: Wir haben in Österreich viel zu hohe Lohnneben­kosten. Die führen dazu, dass die Menschen, die in Österreich arbeiten, obwohl sie gleich viel arbeiten und gleich produktiv sind wie die Menschen in anderen europäischen Staaten, deutlich weniger netto herausbekommen. Nicht nur die Unternehmen bezahlen mehr für Arbeit, sondern auch die Menschen, die arbei­ten, bekommen weniger, obwohl sie gleich viel arbeiten.

Ein Beitrag zu dieser Ungerechtigkeit kommt aus Ihrem Haus, nämlich die Arbeitslosenversicherung. Die Arbeitslosenversicherung ist in Österreich mehr als doppelt so hoch wie in der Schweiz und in Deutschland. Konkret ist es so, dass man in Deutschland 2,6 Prozent bezahlt, in der Schweiz 2,2 Pro­zent, in Österreich aber sind es 6 Prozent. Meine Frage, Herr Minister, an Sie ist:

272/M

„Warum ist die Arbeitslosenversicherung in Österreich mehr als doppelt so teuer wie in Deutschland und der Schweiz?“


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank, Herr Abgeordneter, für die Frage, sie gibt mir die Gelegenheit, kurz zu erklären, worin die Unterschiede zwischen den Ländern bestehen. Ich stimme Ihnen natürlich zu, es ist wichtig, dass wir es schaffen, dass die Belastung des Faktors Arbeit idealerweise zurückgeht und nicht weiter steigt, denn sie ist in Österreich sehr hoch. Damit werden in Österreich aber auch sehr viele Leistungen finanziert – das ist der entscheidende Punkt –, und das sieht man auch, wenn man sich das im Vergleich zu Deutschland und der Schweiz anschaut. Man kann


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darüber diskutieren, woraus diese Leistungen finanziert werden sollen, aber sie müssen irgendwie finanziert werden.

Es ist natürlich so, dass in Deutschland aufgrund der Arbeitslosengeld-2-Reform, besser bekannt als Hartz-IV-Reform, ein Teil dieser Kosten, die in Österreich aus der Arbeitslosenversicherung getragen werden, aus anderen Töpfen getragen werden – deshalb geringere Arbeitslosenversicherungsbeiträge, weil eben die Notstandshilfe, wie sie in Österreich existiert, so in Deutschland nicht existiert. Ich halte es trotzdem so für gut, wie wir es haben, aber man muss immer berücksichtigen, welche Kosten damit verbunden sind.

In der Schweiz ist es zum Beispiel so, dass viele Arbeitsmarktausgaben, aktive Arbeitsmarktpolitik sich in den Händen der Kantone befinden und nicht auf Bundesebene liegen – dadurch natürlich auch geringere Beiträge zur Arbeits­losenversicherung.

Ich bin aber froh über die Vorstöße – auch immer aus Ihrer Fraktion –, die darauf hinweisen, dass die Belastung gerade durch Lohnnebenkosten besonders hoch ist. Ich glaube, das ist ein wichtiger Faktor, auf den wir in Zukunft noch stärker das Augenmerk legen müssen.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeordneter.


Abgeordneter Michael Bernhard (NEOS): Herr Minister, die Frage der weiteren Leistungen, die Sie auch angesprochen haben, ist, glaube ich, sehr zentral, denn diese 6 Prozent sind ja kein Naturgesetz, die könnten ja verändert werden. Die Bundesrepublik Deutschland verändert den Prozentsatz auch regelmäßig, beispiels­weise je nachdem, wie sich die Arbeitslosigkeit entwickelt.

Konkrete Leistungen wie beispielsweise die Bildungskarenz, für die die Aufwendungen 2021 300 Millionen Euro ausgemacht haben, werden nachweislich zu einem guten Teil nicht vorrangig für die Bildung verwendet, sondern zur Verlängerung von bestimmten Zuständen. Man sagt, man nimmt die Bildung mit, aber ist gleichzeitig auch noch zu Hause, verlängert eine –


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sozusagen – Situation. Da liegt viel an Potenzial, um Kosten zu sparen, um in weiterer Folge die Arbeitslosenversicherung zu reduzieren. Welche Ansätze verfolgt Ihr Haus da?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Ich muss vielleicht darauf hinweisen, dass die Mittel, die aus der Arbeitslosenversicherung kommen, also die Einnahmen, in den letzten 15 Jahren, glaube ich – ich nenne jetzt nicht eine genaue Zahl, weil ich es nicht genau vorliegen habe, aber seit sehr langer Zeit –, nicht für die Ausgaben ausgereicht haben. Wir hätten also, wenn wir kostendeckend sein wollten, sogar erhöhen müssen. Das ist genau das, was mich auch mit etwas Sorge erfüllt. Letztes Jahr war der Unterschied zwischen den Ausgaben und den Einnahmen schon relativ gering. Wir gehen also in eine bessere Richtung.

Natürlich gibt es auch Leistungen, die aus der Arbeitslosenversicherung bezahlt werden, wie die Bildungskarenz. Dazu gibt es einen ganz aktuellen Rechnungs­hofbericht, den wir gerade analysieren, und wir werden natürlich über die Frage der Effektivität der Bildungskarenz diskutieren müssen, weil Qualifizierung aus meiner Sicht wichtig ist, sie aber so effektiv wie möglich sein sollte. Da komme ich in der nächsten Zeit, wenn wir den Bericht analysiert haben, gerne auf alle Interessierten zu.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage? – Bitte, Frau Abgeordnete Graf.


Abgeordnete Tanja Graf (ÖVP): Dank der professionellen und guten Arbeit des AMS, das ja auch in Ihr Ressort hineinfällt, konnten wir die Coronakrise sehr gut meistern, und ein Instrument, um Arbeitsplätze abzusichern, war eben auch die Kurzarbeit.

Jetzt haben wir mit der Kurzarbeit Arbeitsplätze sichern können – das war wirklich sehr gut, auch für die Betriebe; wir haben dadurch die Betriebe und die


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Mitarbeiterarbeitsplätze schützen können –, und jetzt sind wir wieder im Normalbetrieb, gehen von der Kurzarbeit wieder in einen Normalbereich hinein.

Da stellt sich jetzt natürlich auch die Frage: Die Budgetuntergliederung 23, Arbeit, hat Ausgaben in der Höhe von 9,27 Milliarden Euro veranschlagt – die Coronamaßnahmen haben natürlich einiges gekostet. Wie lauten die größten Ausgabenpositionen dazu und wie entwickeln sich diese bei Ihnen?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank. Ich versuche, es ganz kurz zu machen, weil es eine Reihe von Ausgaben sind: Gut 2 Milliarden von diesen gut 9 Milliarden Euro sind Arbeitslosengeld, gut 1,5 Mil­liarden Notstandshilfe – also gesamt gesehen dann ungefähr 3,5 Milliarden. Dazu kommen noch die Pensionsversicherungsbeiträge für die Menschen in Arbeitslosigkeit, das sind noch einmal 1,3 Milliarden. Der Großteil geht also an Arbeitsuchende. Dann kommen Dinge wie Altersteilzeitgeld, Teilpension, Kranken- und Unfallversicherung, Weiterbildungsgeld und Bildungsteilzeit dazu. Insgesamt macht dieser Kostenteil fast 90 Prozent aus. Und dann sind noch die Ausgaben für die AMS-Verwaltung und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des AMS mit ungefähr 700 Millionen Euro, gesamt gesehen in Österreich, zu nen­nen.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt Abgeordneter Zarits. – Bitte. 09.57.23


Abgeordneter Christoph Zarits (ÖVP): Herr Bundesminister, ich möchte mich einem Thema widmen, das für uns alle, glaube ich, sehr, sehr wichtig ist, nämlich dem Thema Pflege. Da wurden in den letzten Wochen und auch gestern schon Maßnahmen präsentiert, um das Pflegesystem auch zukunftsfit zu machen. Meine Frage bezieht sich darauf, auf den Bedarf an Pflegekräften:

269/M

„Welche Maßnahmen ergreifen Sie gegen den Mangel an Pflegekräften?“



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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Zarits. Das war in der letzten Zeit immer ein Schwerpunkt. Wir kennen ja all die Studien zur Frage, wie groß der Bedarf in den nächsten fünf bis zehn Jahren ist. Wir haben versucht, dort, wo wir Einfluss haben, möglichst viele Maßnahmen zu setzen. Heute ist auch hier im Plenum ein Gesetzesvor­ha­ben auf der Tagesordnung: die Umsetzung der Lehre für die Pflegeassistenz und die Pflegefachassistenz.

Das halte ich für eine wichtige Maßnahme, über die wir sicher heute noch sprechen werden, es ist aber nicht die einzige: Wir haben das Pflegestipendium eingeführt. Wir haben im Bereich des Fachkräftestipendiums nachgebessert und das Pflegestipendium eingeführt. Das ist eine ganz besonders wichtige Maß­nahme: Es gilt eine Untergrenze von 1 400 Euro, wenn man in der Arbeitslosig­keit eine Pflegeausbildung macht. Es sind derzeit fast genau 3 000 Personen, die ein Pflegestipendium bekommen.

Und dann gibt es eine Reihe von Erleichterungen im Bereich der Rot-Weiß-Rot-Karte für Pflegeberufe: schnellerer Zugang, auch die Möglichkeit, vor der Nostrifizierung zu arbeiten – in einem Bereich, der knapp unterhalb der Stufe der Diplomierung ist –, und auch Erleichterungen zum Beispiel bei den Sprach­kenntnissen. Das, glaube ich, ist wichtig, um vor allem die Länder und die Träger, die dringend Pflegekräfte suchen, zu unterstützen.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Zarits? – Bitte.


Abgeordneter Christoph Zarits (ÖVP): Danke, Herr Bundesminister. Es sind viele Maßnahmen, die Sie jetzt auch erklärt haben und die sehr, sehr wichtig sind. Welche Maßnahmen sind in Zukunft weiter geplant?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 59

Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Wir wollen weiter in allen Bereichen die nächsten Schritte setzen. Die Umsetzung der Lehre für Pflegeassistenz und Pflegefachassistenz muss ja erst passieren. Es haben sich vier Bundesländer für das Pilotprojekt im Herbst gemeldet, die damit starten. Ich bin froh, wenn es mehr sind. Aber es wird natürlich darum gehen, das jetzt aus­zurollen, auch dafür Werbung zu machen, zu schauen, dass es zu einem Erfolgs­modell wird wie in der Schweiz, wo es der drittbeliebteste Lehrberuf ist. Wir werden natürlich auch das Pflegestipendium weiterentwickeln müssen. Wir brauchen alle Einflugschneisen, wenn man es so nennen darf, in den Pflegeberuf: aus der Arbeitslosigkeit, von jungen Menschen, von älteren Menschen, die dafür geeig­net sind.

Wichtig beim AMS ist natürlich auch die Auswahl. Es geht darum, dass nur Menschen den Beruf ergreifen, die diesen Beruf auch wirklich gut ergreifen können.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die Zusatzfrage stellt Abgeordneter Kaniak. – Bitte.


Abgeordneter Mag. Gerhard Kaniak (FPÖ): Herr Minister, es ist erfreulich zu hören, dass Sie nach drei Jahren Untätigkeit im Bereich der Pflege und angesichts eines derartig eklatanten Pflegekräftemangels, der zur Schließung von 10 bis 15 Prozent der Betten und Abteilungen in den Spitälern sowie Alten- und Pflegeheimen geführt hat, jetzt Ausbildungsinitiativen setzen. In den letzten drei Jahren war es ja eher so, dass die Menschen aus diesen Berufen vertrieben worden sind, durch Impfzwänge, durch versprochene Prämien, die dann nicht gezahlt worden sind, durch Überstunden sowie Zeitausgleich- und Urlaubs­ver­sprechungen, die aufgrund der Lücken in den Dienstplänen gar nicht erfüllbar gewesen sind.

Jetzt haben Sie angesprochen – und das hat auch Bundesminister Rauch in den vergangenen Monaten immer wieder gesagt –, dass auch außerhalb der EU eine große Rekrutierungsoffensive für Pflegekräfte stattfinden soll. Es häufen sich


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aber gleichzeitig die Meldungen, dass genau diese im Ausland für das Gesund­heitswesen rekrutierten Mitarbeiter bei Weitem nicht die notwendigen Qualifikationen haben. Nicht nur dass es sehr häufig an Sprachhürden scheitert, sondern auch die anerkannten Qualifikationen und Ausbildungen aus dem Ausland stellen sich in der Praxis als absolut unzureichend heraus.

Meine Frage, wenn Sie jetzt über weitere Liberalisierungen bei der Verteilung der Rot-Weiß-Rot-Card reden, ist: Wie wollen Sie die Kompetenzsicherung in diesem sensiblen Bereich, im Gesundheitswesen und in der Pflege, bei ausländischen Arbeitskräften sicherstellen, und welche Maßnahmen wollen Sie setzen, wenn sich in der Praxis herausstellt, dass die am Papier vorhandenen Qualifikationen in der Praxis nicht vorhanden sind?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundesminister.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Ich möchte zur Lehre in den Pflegeberufen, die jetzt startet, vielleicht noch ergänzen: Da war es wichtig, das sehr gut vorzubereiten, weil es schon um eine sehr, sehr wichtige Maßnahme geht, und es hat natürlich einen massiven Ausbau in den Ausbildungsstätten, bei den Pflegeschulen gegeben. – Das zum Bildungsbereich; da bin ich nicht verantwortlich, deswegen möchte ich es nur erwähnt haben.

Was die Qualität der Abschlüsse bei ausländischen Pflegekräften betrifft: Es gibt eben die Notwendigkeit der Nostrifizierung, der Anerkennung, und diese ist streng geregelt. Ich weiß, dass Herr Bundesminister Rauch da auch Initiativen setzt, das zu beschleunigen und besser zu machen, aber ich glaube, dass es auch wichtig ist, klar zu sagen: Diese Nostrifizierung muss immer streng sein. Es geht um Menschen, die in Österreich Menschen behandeln, pflegen, und Ausbildung und Qualifizierung sind wichtige Voraussetzungen. Deswegen kann man diese auch nicht abkürzen oder abschaffen.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Zusatzfrage stellt Abgeordnete Nussbaum. – Bitte.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 61

Abgeordnete Mag. Verena Nussbaum (SPÖ): Guten Morgen, Herr Bundes­minister! Der Mehrwert der von Ihnen jetzt vorgeschlagenen Pflegelehre ist für uns nicht ersichtlich, dauert diese doch jeweils um zwei Jahre länger als die klassischen Ausbildungen wie ein Jahr Pflegeassistenz oder zwei Jahre Pflege­fach­assistenz. Die Vermutung liegt daher nahe, dass junge Menschen als billige Arbeitskräfte über einen längeren Zeitraum im System gehalten werden sollen.

Wie wollen Sie das verhindern beziehungsweise sicherstellen, dass junge Lehr­linge nicht als Billigstarbeitskräfte für Reinigungsdienste oder sonstige Tätigkeiten herangezogen werden, die mit der Pflegeausbildung wenig bis gar nichts zu tun haben?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundesminister.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Ich glaube, das wäre jetzt schon eine gewissen Unterstellung den Betreibern von Pflege­einrichtungen gegenüber, dass das der Fall ist. Die Lehre ist ja kein Instrument, dass es jetzt bald nur in der Pflege, im Pflegebereich gibt, sondern es gibt sie auch in vielen anderen Bereichen, und es gibt da ja auch strenge Kontrollen, es gibt Unternehmensüberprüfungen in allen Bereichen. Das ist mir besonders wichtig.

Dazu, dass Sie gesagt haben, dass es so wäre, dass die Schulen in der Ausbildung kürzer wären: Ja, das stimmt natürlich. Der Unterschied ist aber auch, dass die Auszubildenden in der Lehre eine Lehrlingsentschädigung bekommen, die kollektiv­vertraglich festgelegt ist, und dass die Betriebe, die Ausbildner, auch eine ganz normale Lehrstellenförderung bekommen, wie andere Betriebe auch; und ich glaube, das ist durchaus attraktiv für beide Seiten.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt Frau Abgeordnete Oberrauner. – Bitte. 10.04.00


Abgeordnete Mag. Dr. Petra Oberrauner (SPÖ):


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 62

266/M

„Um wie viele Prozentpunkte wird das sogenannte Inflationsdämpfungspaket der Bundesregierung vom 10.5.2023 die Jahresinflationsrate 2023 in Österreich drücken?“


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Minister.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Oberrauner. Ich habe jetzt keine wissenschaftliche Schätzung; das hängt natürlich auch ein bisschen davon ab, wie sich die Preise auf den Großmärkten weiterentwickeln, deswegen wäre es, glaube ich, nicht seriös, eine Zahl zu nennen.

Es ist klar, dass davon ein dämpfender Effekt ausgeht. Warum? – Weil sich die Energiepreise, die ja der Fokus dieses Pakets sind, in vielen Bereichen auswirken und bis zu einem Drittel aller Preise in einer Volkswirtschaft beeinflussen. Wenn es uns gelingt – und das muss uns gelingen –, dass das weitergegeben wird, dann wird ein preisdämpfender Effekt zustande kommen.

Natürlich gibt es andere Faktoren – ich habe es zuvor kurz erwähnt – wie zum Beispiel die Geldpolitik, natürlich auch die Lohnpolitik, die bei der Inflation insgesamt langfristig eine Rolle spielen. Das heißt, es geht jetzt darum, dass wir es gemeinsam schaffen, die Inflation auf allen Ebenen zu drücken. Sie ist belastend für alle Haushalte, auch für die Unternehmen in Österreich. Es muss uns gelingen, die Inflation so rasch wie möglich zu reduzieren.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Frau Abgeordnete? – Bitte.


Abgeordnete Mag. Dr. Petra Oberrauner (SPÖ): Herr Minister, wie stehen Sie zu den weiteren Budgetkürzungen beim AMS, konkret in Bezug auf die Finanzie­rung der überbetrieblichen Ausbildungsstätten? Vom AMS Niederösterreich wurde mittlerweile ein sofortiger Aufnahmestopp verhängt. Das bedeutet aber,


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dass im Herbst laut Information circa 1 000 Jugendliche auf der Straße stehen. (Abg. Obernosterer: Aber wenn sie arbeiten wollen, sicher nicht!)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Minister.


Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Also ich möchte einiges klarstellen, weil es wichtig ist.

Wir haben in diesem Jahr im AMS das zweithöchste Budget für die aktive Arbeitsmarktpolitik, wovon natürlich auch die sozialwirtschaftlichen Betriebe profitieren. Wir hatten letztes Jahr das höchste, jetzt das zweithöchste. Ich bin seit zwei Jahren verantwortlich, es gab zweimal die jeweils höchsten Budgets pro Arbeitssuchendem, genau in dem Bereich, in dem es not­wendig ist; und wir haben im Vergleich zu 2019 die Mitarbeiterzahl beim AMS auch weiter erhöht.

Jetzt geht es in diesem Jahr um ganz, ganz geringe Anpassungen, weil eben glücklicherweise nicht mehr so viele Menschen arbeitssuchend sind. Ich möchte also den Eindruck zurückweisen, dass beim AMS oder vor allem bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik ein Sparpaket vorhanden wäre. Das ist nicht der Fall. (Abg. Kucharowits: Aber wenn Jugendliche auf der Straße sind ...!)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt Abgeordneter Hörl. – Bitte. 10.06.38


Abgeordneter Franz Hörl (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Frau Staatssekretärin! Der Tourismus hat eine Jahrhundertherausforderung hinter sich, die Herausforderung hört aber nicht auf. Wir konnten durch die Staatshilfen den Großteil der Unternehmen relativ gut durch die Krise bringen, aber es gibt neue Herausforderungen wie die Energiekosten, wobei sich da die Marktpreise wieder einregulieren und die Republik ja auch mit Strompreis­bremsen und so weiter hilft. Damit kann man arbeiten.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 64

Was bleibt und herausfordernd ist, ist der Arbeitsmarkt, in der Dienstleistung insgesamt, insbesondere natürlich im Tourismus. Dieser ist auch von der demografischen Entwicklung besonders betroffen, und am linken Rand tauchen am Horizont Forderungen wie die 32-Stunden-Woche auf, die durchs Land geistern und alle verunsichern.

270/M

„Wie sehen Sie die langfristige Perspektive des österreichischen Tourismus?“


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Staatssekretärin.


Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft Mag. Susanne Kraus-Winkler: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Vielen Dank für die Frage. Der österreichische Tourismus ist ein wesentlicher Teil der österreichi­schen Wirtschaft, und wir haben derzeit die drei großen Herausforderungen Arbeits­markt, Nachhaltigkeit, Digitalisierung.

Zum Arbeitsmarkt kann ich sagen, dass wir in den letzten zwölf Monaten extrem bemüht sind, mit der Branche strukturell über Lösungen zu diskutieren. Wir haben drei Ebenen, auf denen wir aktiv werden müssen: Das eine ist die Ebene der Ausbildung, das Zweite ist die Ebene Betrieb und das Dritte ist natürlich auch die Ebene Politik.

Wir haben noch immer die Situation, dass wir, obwohl der April jetzt der erste Nebensaisonsmonat nach der Wintersaison ist, jedes Monat mehr Beschäftigte haben, als wir es 2019 hatten, geschuldet der Tatsache, dass Österreich laut Plan T zwei große Herausforderungen oder zwei große Ziele hat: Das eine ist, dass das Wachstum nachhaltig ist, das andere ist, die Qualität des Angebots kontinuierlich zu steigern. Aus beiden heraus entsteht auch ein höherer Bedarf. Das heißt, wir haben mehr Qualität in den Betrieben, wir haben auch mehr qualitätsvolle Drei-, Vier- und Fünfsternebetriebe. Wir werden daher weiter intensiv daran arbeiten, dass wir in all diesen drei Bereichen entsprechende Aktionen setzen.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 65

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? – Bitte.


Abgeordneter Franz Hörl (ÖVP): Wir sind am Ende einer tollen Wintersaison. Die Menschen aus den Hauptmärkten Deutschland, Holland und wie sie alle heißen, haben hervorragend in Österreich Urlaub gemacht. Auch der Österreichurlaub im Inland hat sehr zum Erfolg der Wintersaison beigetragen.

Aber welche Maßnahmen – wir stehen vorm Sommer, gerade hier in Wien ist der internationale Markt sehr, sehr wichtig – setzt die Österreich-Werbung auf diesen Märkten, auf neuen Märkten, gerade auch um den Städtetourismus entsprechend zu stärken?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Staatssekretärin.


Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft Mag. Susanne Kraus-Winkler: Danke vielmals auch für diese Frage. Die Österreich-Werbung ist eines der wichtigsten Instrumente, die wir haben, um vor allem im Ausland das Standortmarketing für Österreich zu machen. Und da gibt es zwei große Aufgaben: Die eine Aufgabe ist die Markenpflege, die andere Aufgabe ist, auf den richtigen Herkunftsmärkten mit den richtigen Angeboten präsent zu sein.

Der Sommer steht vor der Türe. Die Sommerpotenzialstudie zeigt uns, dass die Nachfrage nach Urlaub in Österreich im Sommer sehr, sehr gut ist. Wir gehen also daher davon aus, dass es einen guten Sommer gibt.

Die Österreich-Werbung hat da jetzt natürlich die Sommeraktivitäten wie vor allem Radurlaub, aber auch das ganze Naturerlebnis in seiner gesamten Breite sehr, sehr stark auf den Märkten ausgerollt. Wir glauben, dass wir damit zumindest auf unseren Hauptherkunftsmärkten die Nachfrage und auch das Image Österreichs als Urlaubsdestination im Sommer sehr, sehr gut absichern können.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Zusatzfrage stellt Abgeordneter Hauser. – Bitte.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 66

Abgeordneter Mag. Gerald Hauser (FPÖ): Guten Morgen, Frau Staatssekretärin. Ein anderes Thema: Rahmenbedingungen. Der Trend derzeit ist, dass die Großbetriebe immer größer werden und die Kleinbetriebe vom Markt verschwin­den, hervorgerufen übrigens auch durch die desaströse Lockdownpolitik dieser Bundesregierung.

Franz Hörl, diese Bundesregierung hat die Betriebe fünf Mal mit langen Lock­downs zugesperrt, während in der Schweiz beim selben Virus die Betriebe offen­gehalten wurden. – Nur so viel dazu. (Abg. Schmidhofer: Zur Frage!)

Jetzt hat, Frau Staatssekretärin, der internationale Kapitalmarkt auch den Tourismus erreicht. Ich zitiere aus der „Tiroler Tageszeitung“: Alleine in Tirol sind 20 Investorenhotels geplant, die – Zitat – „nahe an der Illegalität“ sind. – So.

Frage: Ich selber setze mich seit Jahren für die Kleinbetriebe (Rufe bei der ÖVP: Zeit! 2 Minuten!), für die Mittelbetriebe ein und versuche, die organisatorischen Voraussetzungen zu verbessern. Allein für die Privatvermieter gibt es eine Obergrenze von maximal zehn Betten, seit den Fünfzigerjahren (Abg. Pfurtscheller: Das ist keine Vortragsstunde! Eine Fragestunde! – weitere Zwischenrufe bei der ÖVP), und da sträubt sich die Politik, diese Bettenanzahl zu erhöhen, und jetzt frage ich Sie - -


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die Zeit ist aus, Sie müssen die Frage stellen.


Abgeordneter Mag. Gerald Hauser (fortsetzend): Werden Sie, Frau Staatssekre­tärin, etwas unternehmen, dass unsere Klein- und Mittelbetriebe nicht weiterhin von den kapitalintensiven und kapitalfinanzierten Investorenmodellen et cetera zu Tode konkurrenziert werden? (Abg. Kucher: Das ist ja fast eine marxistische Rede! – Heiterkeit der Abg. Tomaselli. – Abg. Leichtfried: Das war jetzt fast marxis­tisch, ja! Jetzt sind die Marxisten bei der FPÖ auch schon! Das wird ja immer ärger! – Präsident Sobotka gibt das Glockenzeichen.)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau


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Staatssekretärin.


Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft Mag. Susanne Kraus-Winkler: Danke vielmals für die Frage. Diese Diskussion führen wir ja im Tourismusausschuss sehr intensiv gemeinsam.

Es ist auch bekannt: In Österreich sind 67 Prozent aller Betriebe familienge­führte und in Familienbesitz befindliche Betriebe. Das heißt, wir haben einen extrem hohen Anteil an kleinen, familiengeführten Betrieben, und zusätzlich haben wir auch einen hohen Anteil an nicht gewerblichen Betrieben – das ist alles das, was auch unter das Privatzimmervermietungsgesetz oder Urlaub am Bauernhof fällt.

Die Tourismuspolitik in Österreich und auch der Plan T haben darauf sehr, sehr stark Rücksicht genommen, im Sinne des Ökosystem Tourismus, alle immer zu integrieren und zu schauen, dass die Entwicklung in den Regionen immer in die richtige, nämlich in die nachhaltige Richtung geht und alle berücksichtigt werden. Das ist eine der Hauptaufgaben der österreichischen Tourismuspolitik, und daran arbeiten wir auch gemeinsam.

Zum Thema Betriebsgröße und Investoren aus dem Ausland: Ich kann nicht nachvollziehen, was eine Zeitung geschrieben hat. Wir schauen, dass wir sehr wohl die Kleinstrukturiertheit der Betriebe beibehalten, die für das öster­reichische Angebot auch wichtig ist. Wir haben den Privatzimmervermieter­prozess gestartet und ich hoffe, dass wir da in den Verhandlungen auch weiterkommen und zu Ergebnissen kommen werden.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Abgeordnete Neßler stellt die nächste Zusatzfrage. – Bitte.


Abgeordnete Barbara Neßler (Grüne): Geschätzte Staatssekretärin! Ohne Zweifel steht der Tourismus vor großen Herausforderungen, Kollege Hörl hat es schon angesprochen.

Gerade was den Mitarbeiter:innenmangel betrifft: Das größte Potenzial haben wir bei den Frauen, und da weiß ich, dass Sie eine gute Verbündete sind, wenn


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es um touristische Kinderbetreuungsplätze geht. Wir haben aber auch ein großes Potenzial bei den Schutzsuchenden, wobei ich sagen muss, es macht aus ökonomischer und menschlicher Perspektive keinen Sinn, wenn wir Menschen, die hier leben und arbeiten wollen, nicht arbeiten lassen.

Wir sind im Tourismus auch im Wettlauf mit der Klimakrise, und ich glaube, es ist wichtig, dass wir da altes Denken ablegen – also nicht: Wir machen weiter wie bisher!, sondern hin zu einer Tourismusvision.

Meine Tourismusvision ist, dass wir Österreich als nachhaltiges Urlaubsland Nummer eins in Europa etablieren, und darum stelle ich jetzt die Frage – im Gegensatz zu meinem Vorredner –: Welche Maßnahmen sind geplant, was die Resilienz und die Nachhaltigkeit im Tourismus anbelangt?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Staatssekretärin.


Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft Mag. Susanne Kraus-Winkler: Vielen Dank auch für diese Frage. Nachhaltigkeit ist wie schon gesagt eine unserer wichtigsten Herausforderungen. Wir haben auf der einen Seite die neue gewerbliche Tourismusförderung, was da gefördert wird, in allen drei Dimensionen ganz diesem Thema Nachhaltigkeit gewidmet, haben noch dazu einen Nachhaltigkeitsbonus integriert, sodass noch zusätzlich die Motiva­tion besteht, da aktiv zu werden.

Es gibt auch alle möglichen anderen Aktivitäten. Wir haben zum Beispiel den ESG Data Hub eingerichtet, der noch ausgebaut werden muss.

Wir arbeiten an der Kennzeichnungsstrategie, sodass noch mehr Betriebe und Destinationen mit Ökolabels versehen werden können. Man weiß, dass es in Europa 600 000 Beherbergungsbetriebe gibt, und davon haben nur 1 Prozent derzeit ein Ökolabel. Der Markt fragt es nach. Wir müssen da schauen, dass wir in Österreich die Nase vorne haben und dass wir das ganz, ganz weit treiben, aber ohne die Betriebe zu überfordern, weil Nachhaltigkeit auch Geld kostet und man sie sich leisten können muss.


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Wir arbeiten intensiv an all diesen Themen.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Zusatzfrage stellt Frau Abgeordnete Erasim. – Bitte.


Abgeordnete Melanie Erasim, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Frau Staatssekretärin! Fach- und Arbeitskräftemangel gepaart mit Energiekostenexplosion intensivieren das Gastronomiesterben, vor allem im ländlichen Raum.

Wir als Sozialdemokratie haben umfassende Vorschläge vorgelegt und ein­gebracht, um dem entgegenzuwirken. Geschehen ist in dieser Richtung leider noch nichts Konkretes, und schon gar nicht gibt es ein in Gesetz gegossenes Vorhaben.

Niederösterreich hat jetzt im Regierungsprogramm eine Wirtshausprämie, die sogar seitens der Wirtschaftskammer teils scharf kritisiert wurde.

Meine Frage an Sie: Wie sehen Sie diesen Vorschlag aus Niederösterreich bezie­hungsweise was gedenken Sie endlich zu tun, um dem Gastrosterben entgegen­zuwirken? (Abg. Wurm: Aha!)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Staatssekretärin.


Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft Mag. Susanne Kraus-Winkler: Die Wirtshausprämie, die in Niederösterreich angedacht ist, soll, soweit ich informiert bin – ich bin normalerweise auf der Bundesländerebene nur bedingt in diese Details involviert –, vor allem eben diesem Wirtshausster­ben entgegenwirken, indem die Kleinstwirtshäuser, die, auch wenn sie kein weiteres Angebot im Rahmen der Wirtshauskultur zu bieten haben, in den Orten aber erhalten werden müssen, mit Hilfe von Prämien erhalten werden.

So lange ich mich erinnern kann, haben wir im Tourismus über Wirtshaussterben diskutiert. Wirtshaussterben hängt auch sehr, sehr stark davon ab: Was bietet der Wirt an und wie schaut die Struktur im Ort aus?


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Das ist ein wichtiges Thema, aber ein Thema, das man in den diversen Regionen immer wieder sehr speziell betrachten und auch entscheiden muss.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Danke schön.

Da alle Anfragen zum Aufruf gelangt sind, darf ich die Fragestunde für beendet erklären. Ich bedanke mich bei Herrn Bundesminister Kocher und bei der Frau Staatssekretärin recht herzlich. – Vielen herzlichen Dank.

10.17.45Einlauf und Zuweisungen


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Hinsichtlich der eingelangten Verhandlungs­gegenstände und deren Zuweisungen darf ich gemäß § 23 Abs. 4 der Geschäftsordnung auf die im Sitzungssaal verteilte Mitteilung verweisen.

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:

A. Eingelangte Verhandlungsgegenstände:

1. Schriftliche Anfragen: 15081/J bis 15165/J

Schriftliche Anfragen an den Präsidenten des Nationalrates: 75/JPR und 76/JPR

2. Anfragebeantwortungen: 14139/AB bis 14140/AB

B. Zuweisungen in dieser Sitzung:

zur Vorberatung:

Gesundheitsausschuss:

Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über Zweckzuschüsse an Länder und Gemeinden für die Durchführung der Corona-Schutzimpfung (COVID-19-Impffinanzierungsgesetz) und ein Bundesgesetz, mit dem Übergangsbestimmungen für das COVID-19-Maßnahmengesetz getroffen werden, erlassen und das Epidemiegesetz 1950, das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz, das Beamten-


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Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, das Apothekengesetz, das Arzneimittel­gesetz, das Ärztegesetz 1998, das Psychotherapiegesetz, das Sanitätergesetz, das Gehaltsgesetz 1956, das Vertragsbedienstetengesetz 1948 und das Bundesgesetz, mit dem zur Abdeckung des Bedarfes zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie Ermächtigungen zur Verfügung über Bundesvermögen erteilt werden, geändert werden (COVID-19-Überführungsgesetz) (2048 d.B.)

Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz, mit dem nähere Regelungen zu einem Elektronischen Eltern-Kind-Pass getroffen werden (eEltern-Kind-Pass-Gesetz – EKPG) erlassen wird sowie das Gesundheitstelematikgesetz 2012, das Allgemeine Sozial­versicherungsgesetz, das Kinderbetreuungsgeldgesetz und das Familienlastenaus­gleichs­gesetz 1967 geändert werden (Eltern-Kind-Pass-Gesetz) (2049 d.B.)

Ausschuss für Land- und Forstwirtschaft:

Bundesgesetz, mit dem das Weingesetz 2009 geändert wird (2047 d.B.)

*****


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf informieren, dass die Gedenkstätte Mauthausen derzeit daran arbeitet, auf dem Gelände des ehemaligen Lagers Gusen, wo von der Republik Grundstücke angekauft worden sind, in einem Beteiligungsprozess eine neue und größere Gedenkstätte zu gestalten. Insbeson­dere unsere Abgeordnete Schatz ist dort auch sehr intensiv involviert, weil es ihre Heimatregion ist. Im Raum hinter dem Sitzungssaal finden Sie Information im Rahmen einer vorbereiteten Ausstellung, und ich darf alle Abgeordneten ersuchen, sich vielleicht im Laufe des Tages darüber zu informieren, weil vor allem der Beteiligungsprozess dort, das wirklich mit der Bevölkerung aufzuar­bei­ten, etwas ganz Neues ist. (Allgemeiner Beifall.)

Behandlung der Tagesordnung


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Es ist vorgeschlagen, die Debatten über die Punkte 2 und 3 sowie 5 und 6 der Tagesordnung zusammenzufassen.


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Wird dagegen ein Einwand erhoben? – Das ist nicht der Fall.

Redezeitbeschränkung


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir haben zwischen den Mitgliedern der Präsidialkonferenz einen Konsens über die Dauer der Debatten erzielt.

Für Tagesordnungspunkt 1 wurde gemäß § 19 der Geschäftsordnung folgende Dauer und Form festgelegt: zwei Redner:innenrunden nach Klubgröße zu je 5 Minuten.

Für die Tagesordnungspunkte 2 bis 10 wurde gemäß § 57 Abs. 3 Z 2 der Geschäfts­ordnung eine Blockredezeit von 6,5 „Wiener Stunden“ vereinbart, sodass sich folgende Redezeiten ergeben: ÖVP 127, SPÖ 88, FPÖ 72, Grüne 65 sowie NEOS 52 Minuten.

Gemäß § 57 Abs. 7 der Geschäftsordnung beträgt die Redezeit für jene Abge­ord­neten, die keinem Klub angehören, im Gesamten 26 Minuten, die Debattenredezeit wird auf 5 Minuten beschränkt.

Wir kommen gleich zur Abstimmung.

Wer dem dargestellten Redezeitentwurf die Zustimmung gibt, möge das mit einem Zeichen bekunden. – Das ist einstimmig angenommen, vielen herzlichen Dank.

Ich unterbreche bis etwa 10.27 Uhr die Sitzung. Um 10.25 Uhr wird Präsidentin Metsola eintreffen; sie ist bereits gelandet und auf dem Weg in das Haus.

Ich darf die Sitzung für 7 Minuten unterbrechen. – Vielen herzlichen Dank.

10.20.24*****

(Die Sitzung wird um 10.20 Uhr unterbrochen und um 10.30 Uhr wieder aufge­nommen.)


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10.30.11*****


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf die unterbrochene Sitzung wieder aufnehmen.

Wir gehen in die Tagesordnung ein.

10.30.131. Punkt

Erklärung der Präsidentin des Europäischen Parlaments Roberta Metsola gemäß § 19a der Geschäftsordnung des Nationalrates


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir kommen zum 1. Tagesordnungspunkt.

Ich darf jetzt auch die Gäste auf der voll besetzten Besuchergalerie recht herzlich begrüßen, noch einmal die Journalistinnen und Journalisten und vor allem auch die Zuschauer:innen vor den TV-Geräten zu Hause!

Frau Präsidentin! Es ist uns eine große Freude, dass Sie als Repräsentantin des Europäischen Parlaments hier mit einer Erklärung bei uns sind und dann vor allem auch in der Diskussion den Abgeordneten die Möglichkeit geben, gerade diese europäische Perspektive, die für Österreich große Relevanz hat, in beson­derem Maße in vielen Fragen auch wirklich zu erläutern.

In diesem Sinne: The floor is yours. Ich darf Sie um Ihre Erklärung bitten. (Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS.)

Mein Gruß gilt dem Vizekanzler, dem Außenminister und der Europaministerin, das hatte ich zuerst vergessen. – Herzlich willkommen! (Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS.)


10.31.26

Präsidentin des Europäischen Parlaments Roberta Metsola: Vielen Dank, Herr Nationalratspräsident! Sehr verehrte Mitglieder des Parlaments! Meine Damen


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und Herren! Es ist mir eine große Freude, wieder hier in Österreich, im magi­schen Wien zu sein. Es ist mir eine Ehre und ich bin dankbar, dass ich die Möglichkeit habe, hier vor dem Nationalrat zu sprechen. Es ist wunderbar, als Vertreterin des Europäischen Parlaments hier zu sein. Hier hat ja die Renovierung dieses wunderschöne Gebäude zu einem offeneren Raum, einem nachhaltigeren und zugänglicheren Leuchtturm der Demokratie gemacht.

In diesem Sinne der Veränderung, der Erneuerung, der Modernisierung, die hier symbolisiert wird, möchte auch ich Sie ansprechen. Wir können uns verändern, wir können uns erneuern, und wir können das tun, während wir die Grundlagen des europäischen Projekts stärken. Die Nostalgie kann wie eine gemütliche Decke sein, aber sie darf nicht die Triebkraft für Politik sein. Wir müssen zukunftsorientiert bleiben, und wir müssen vorausschauend sein; wir müssen verstehen, dass wir heute Entscheidungen treffen müssen, um die Herausforde­rungen von morgen zu bewältigen. Wir müssen das auf nachhaltige Weise tun, um nicht mehr Probleme für die Generationen, die uns folgen, anzuhäufen. (Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS.)

Wir befinden uns in einer Ära der vielfachen Krisen: der Angriff auf unseren Kontinent durch die illegale Invasion Russlands in die souveräne Ukraine; hohe Energiekosten, Preiserhöhungen; viele Menschen tun sich schwer, mit ihrem Geld auszukommen; die Rohstoffe werden reduziert; die Inflation ist eine Herausforderung, ein Problem für das Wachstum. Der Klimawandel kann nicht mehr ignoriert werden. Es gibt Herausforderungen im Bereich der Migration, wo es einen ganzheitlichen europäischen Ansatz braucht. Und die Erholung der Wirtschaft nach der Pandemie ist noch immer auf sehr schwachen Beinen. Aber nicht die Herausforderungen werden unsere Ära, unsere Zeit definieren, sondern unsere gemeinsame Antwort darauf.

Ich bin stolz darauf, wie Europa aufgestanden ist und wie es weiterhin zusam­men­steht. Diese Herausforderungen betreffen Österreich genauso wie den Rest der Europäischen Union. Es liegt an uns, dass wir hier Führungsstärke zeigen. Wichtig für unsere Antwort waren unsere Einheit, unsere Einigkeit, unser


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Verständnis, dass wir diese Herausforderungen nur bewältigen können, wenn wir gemeinsam handeln.

Der Überfall Russlands auf die Ukraine ist eine existenzielle Bedrohung für unsere Union, für unsere Lebensweise. Unsere Reaktion darauf muss angemes­sen und überlegt sein. Diese brutale Invasion ist die Linie, die nicht überschritten werden darf. Jede Generation hat solch einen Schicksalspunkt, das ist unserer. Wir wissen, worum es geht, wie viel auf dem Spiel steht; wir wissen, dass unsere Werte, unsere Sicherheit wichtig sind, dass wir Entscheidungen treffen müssen. Das, was in der Ukraine passiert, wird die globalen Beziehungen auf Jahre hinaus bestimmen.

Ich bin keine Absolutistin, aber für Europa ist es das, was wir seit Generationen als Versprechen hochhalten, dafür stehen wir: Wir stehen für Gerechtigkeit, wir stehen für Freiheit, für Rechtsstaatlichkeit – auch wenn es schwierig ist, diese hochzuhalten, besonders, wenn es schwierig ist. Denn wenn wir nicht für diese Werte einstehen, dann ist alles, wofür wir gekämpft haben, alles, was wir versprochen haben, alles, was wir geerbt haben, in Gefahr und kann zusammen­brechen. (Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS.)

Wir müssen beständig unsere Unterstützung leisten – das wird nicht leicht, aber es ist nötig. Das bedeutet, dass wir unsere Sicherheits- und Verteidigungspolitik überdenken müssen. Die Debatte über strategische Autonomie wurde zum wichtigsten Tagesordnungspunkt, auch unsere Reaktion auf die digitale Wende und die grüne Wende wird davon mitbestimmt – und das wird weiterhin der Fall sein.

Die grüne Wende können wir nur schaffen, wenn wir den richtigen Rahmen für nachhaltiges, umweltfreundliches Wachstum haben – so begleichen wir unsere Schuld, so gehen wir das generationenübergreifende Problem der Armut an, das wir in unseren Gesellschaften sehen, so geben wir jungen Menschen auch Hoffnung.


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Wie können wir das tun, während wir unsere ehrgeizigen Klimaziele erreichen? Denn da geht es nicht nur um die grüne Wende, sondern es geht um nach­haltiges Wachstum, um Sicherheit, darum, sicherzustellen, dass die Menschen mit ihren Einkommen besser auskommen. Es geht um die Zukunftssicherheit unserer Wirtschaft und darum, dass wir dieses europäische Projekt stärker machen, als wir es vorgefunden haben. Wir müssen die sozialen und wirtschaft­lichen Auswirkungen dieser Entscheidungen auch abfedern können. Wir müssen besser erklären, warum wir tun, was wir tun, wie wir es tun und warum es wichtig ist. Wir müssen mehr zuhören, wir müssen unseren Landwirten, dem Landwirtschaftssektor im Besonderen besser zuhören. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Wie jemand vor Kurzem zu mir gemeint hat: Es gibt eine unsichtbare Linie, über die man die Menschen nicht drängen kann. Die Menschen müssen Vertrauen in den Prozess haben, und sie müssen es sich auch leisten können, sonst wird es kein Erfolg. Das ist ein Beispiel des Europas der Erneuerung, von dem ich gesprochen habe. Wir möchten wieder den Gedanken der Zielsetzung Europas, des Enthusiasmus für Europa einfangen, ein Europa für alle, wo wir uns alle wohlfühlen, wo wir alle leben können.

Österreich und dieses Parlament haben ausgezeichnete Arbeit zum Beispiel in der Bekämpfung des Antisemitismus geleistet, haben dieses Thema auf die europäische Ebene gehoben und als Vorbild für uns alle gedient. – Danke, Herr Präsident, für Ihre Initiative, Ihre Führungsstärke in dieser Hinsicht! (Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS sowie des MEP Waitz.)

Die Europäische Union steht für etwas, wir müssen darauf stolz sein. Das Euro­päische Parlament gehört genauso den Österreicherinnen und Österreichern wie allen anderen. Keine Entscheidungen werden in Europa ohne Sie getroffen, viele werden wegen Ihnen getroffen. Und keine unserer Maßnahmen funktioniert, unsere Strategien funktionieren nicht, wenn wir die Leute nicht ins Boot holen. Das gilt auch für die Migration, bei der das Europäische Parlament einen schwie­rigen Weg vorwärts ausgehandelt hat, einen umfassenden Pfad, der unsere


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Grenzen schützt, aber gerecht gegenüber den Schutzbedürftigen ist, streng gegenüber jenen, die nicht schutzberechtigt sind und daher sicher zurückgeführt werden, und mit voller Härte gegen die Schleppernetzwerke.

Da bleibt noch viel Arbeit zu tun, vor allem bei den Rückführungen. Wir können diese Arbeit angehen, und wir können unseren Schengenraum stärken und sichern. Ein stärkeres Schengen bedeutet ein sichereres Europa. Ein enger zusammenrückendes Europa bedeutet ein besseres Europa. Unser Europa ist keine ferne Gestalt, es ist kein Europa, das alle gleichmachen möchte, das Homogenität bezweckt. Wir verstehen, dass wir alle anders sind. Wir haben verschiedene Kulturen, verschiedene nationale Realitäten, und unsere Fähigkeit, zusammenzukommen und diese Unterschiede zu überbrücken, ist es, was uns stark macht. Die 19 österreichischen Mitglieder des Europäischen Parlaments, darunter zwei Vizepräsidenten, wissen das ganz genau.

Das bedeutet nicht, dass unsere Union perfekt ist – weit gefehlt, das ist sie nicht. Ich verstehe den Frust bezüglich einiger unserer Verfahren, aber im Endeffekt ist Europa es wert. Wir können es verbessern. Europa ist es wert, es ist Ihre Zeit wert, Ihre Energie wert, Ihren Glauben, Ihr Vertrauen wert. Es ist auch den Frust wert, den es manchmal verursacht, und die Mittel wert, die es kostet.

Als Präsidentin des Europäischen Parlaments stelle ich die Gespräche mit Menschen in den Dörfern, in den Schulen, in der ganzen Europäischen Union ins Zentrum meines Mandats. Ich möchte den Europäerinnen und Europäern zuhören und erfahren, wie die EU für sie funktionieren kann, wie das Europä­ische Parlament näher an die nationalen Parlamente gebracht werden kann. Ich weiß, wie wichtig das besonders für dieses Parlament ist.

Was ich sagen will, ist: Wir müssen besser darin werden, den Wert Europas zu erklären und näherzubringen. (Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS sowie der Mitglieder des Europäischen Parlaments Waitz und Winzig.)


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Und wir dürfen keine Angst vor Veränderung haben. Die nächsten Wahlen finden von 6. bis 9. Juni 2024 statt. Ich weiß, dass die engagierten österreichi­schen Vertreter des Europäischen Parlaments dazu beitragen, dass wir das schaffen. Wir werden weiter zuhören, wir werden weiter Überzeugungsarbeit leisten, vor allem bei jungen Österreicherinnen und Österreichern, die im Alter von 16 Jahren nächstes Jahr erstmals bei einer EU-Wahl mitbestimmen dürfen.

Ich kann nicht widerstehen: Wolfgang Amadeus Mozart ist natürlich wichtig hier, und er sagte einmal, wir leben in dieser Welt, um immer zu lernen, fleißig zu lernen und einander durch Gespräche zu erleuchten. (Heiterkeit bei Abgeordneten von Grünen und NEOS.) Darum geht es im Europäischen Parlament. Darum geht es in Europa. – Danke. (Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS, bei Abgeordneten der FPÖ sowie der Mitglieder des Europäischen Parlaments Waitz und Winzig.)

10.43


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Vielen herzlichen Dank für diese umfassende und auch inhaltlich so wichtige Erklärung. Es ist das erste Mal, dass eine Präsidentin des Europäischen Parlaments hier spricht, und es war eine ganz tolle Premiere. Ich danke dafür recht herzlich.

Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Wir haben zwei Rednerrunden.

Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Lopatka. – Bitte.


10.44.05

Abgeordneter Dr. Reinhold Lopatka (ÖVP): Herr Präsident! Frau Präsidentin Metsola! Zuerst einmal danke – Sie werden es beim Applaus bemerkt haben, der von allen Fraktionen gekommen ist, was mich überrascht hat (Abg. Wurm: Wir sind höflich! – Abg. Belakowitsch: Das ist gutes Benehmen, Herr Lopatka!) – für eine klare Standortbestimmung, die Sie vorgenommen haben. – Bitte, Kollegen? (Abg. Wurm: Höflichkeit nennt man das!) – Ja, das war auch richtig, weil das Applaus


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verdient hat, was hier gesagt worden ist (Abg. Belakowitsch: Nein!), meine Damen und Herren, und das geht weit über Höflichkeit hinaus. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Sie haben das Entscheidende angesprochen, weil es die Stärke der Europäischen Union sein muss, dass wir eine Werte- und auch eine Sicherheitsgemeinschaft sind, denn diese Europäische Union ist von einem Ring an Krisen umgeben, diese Europäische Union hat zur Kenntnis nehmen müssen, dass wir in Europa Krieg haben, und da braucht es Mut. Die Europäische Union, die das manchmal nicht schafft, hat es geschafft, sich nach der Invasion Russlands in der Ukraine mutig und entschlossen auf die Seite der Demokratie, unserer Werte- und Rechtsord­nung zu stellen. Sie ist dadurch politisch stärker geworden und, was ganz, ganz wichtig ist, auch militärisch.

Diesen Mut brauchen wir auch in anderen Fragen, die noch nicht so gelöst sind, wie wir es als österreichisches Parlament gerne hätten. Die Migrationsfrage: Da müssen wir schon ehrlich sein, die Belastungen sind besorgniserregend, und wir brauchen einen robusten Außengrenzschutz. Wir brauchen da auch die Soli­darität aller Mitgliedstaaten. Daran müssen wir arbeiten.

Wir brauchen diesen Mut aber auch in Budget- und Wirtschaftsfragen, wollen wir im weltweiten Wettbewerb an der Spitze bleiben. Da sollte die Europäische Union schon auch im Auge behalten, dass dieses Next-Generation-Milliarden­paket eine Ausnahme bleiben sollte und nach der Coronakrise, nach diesen Belastungen durch den Krieg in der Ukraine dieser Schuldenberg auch wieder abgebaut wird. (Abg. Steger: Wie soll man ...? – Abg. Meinl-Reisinger: Das kommt von der Partei, die „Koste es, was es wolle!“...! – Neuerlicher Zwischenruf der Abg. Steger.)

Was ist für die Menschen wesentlich in dieser Europäischen Union? – Dass unsere Grenzen in der EU offen bleiben, und da brauchen wir diesen robusten Außengrenzschutz, und das Zweite: Erstmals hatten die Menschen die EU quasi in ihrer Hand, als sie den Euro gehabt haben, und wir müssen auch alles tun,


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damit der Euro eine starke Währung bleibt. (Ruf bei der FPÖ: „Bleibt“? – Abg. Belakowitsch: Wo ist denn der stark?) Daher ist meine Bitte, auch im Europäischen Parlament alles zu tun, damit dieser Schuldenberg nicht weiter anwächst.

Und wir brauchen den Mut, was die Europäische Union in den letzten Jahr­zehnten ausgezeichnet hat, neben der Vertiefung auch die Erweiterung realistisch voranzutreiben. (Ruf bei der FPÖ: ... sicher nicht mehr!) Sie wissen es, der Westbalkan ist für uns, für Österreich ein Herzensanliegen: Integration dieses Teils Europas in den Binnenmarkt einerseits, andererseits eine ehrliche und realistische Beitrittsperspektive. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten von SPÖ und Grünen.)

Sie haben das Zusammenwirken des Europaparlaments mit nationalstaatlichen Parlamenten angesprochen. Da hat es in den letzten Jahrzehnten eine Entwick­lung gegeben: Die Zahl der Verordnungen hat sich seit 2000 verdreifacht. Es sind immer mehr Regelungen auch durch sogenannte delegierte Rechtsakte erfolgt. Da gibt es aber keine Subsidiaritätsprüfung, keine Mitwirkung der nationalstaatlichen Parlamente. Wir wollen mitarbeiten, und ich glaube, die Europäische Union ist gut beraten, immer den Nachweis zu führen, dass es einen Mehrwert hat, auf europäischer Ebene Regelungen zu schaffen – dann braucht es aber auch diese Subsidiaritätsprüfungen, die jetzt abgenommen haben.

Ich will nicht zu lange sprechen. Ich ersuche Sie, dass Sie beim Green Deal alles machen, damit wir da auf technologische Regelungen setzen und damit die Wettbewerbsfähigkeit weiterhin gesichert bleibt. Wir sind ein verlässlicher Partner, ein aktiver Partner der Europäischen Union. Wo es allerdings Fehlent­wicklungen gibt, werden wir uns auch zu Wort melden, wie beim Migrations­thema. Der Unterschied zu Rechtspopulisten wie der FPÖ, das muss ich direkt sagen, ist aber, dass wir bereit sind, unseren Beitrag zu leisten, dass wir uns solidarisch verhalten. (Abg. Meinl-Reisinger: Wo?) Das ist eine Grundvorausset­zung für eine gute Weiterentwicklung der Europäischen Union: solidarisch zwischen den nationalstaatlichen Parlamenten und dem Europäischen Parlament zusammenzuarbeiten.


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In diesem Sinn: Herzlichen Dank für Ihr Kommen! Sie können sich auf das österreichische Parlament verlassen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

10.49


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Leichtfried. – Bitte.


10.49.30

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglie­der der Bundesregierung! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Herr Abgeordneter Lindner hat mir noch aufgetragen, die Schü­ler:innen der Mittelschule Weißenbach an der Enns recht herzlich zu begrüßen: Schön, dass Sie und alle anderen bei dieser Europadebatte anwesend sind! (Allgemeiner Beifall.)

Der regelmäßige Austausch der nationalen Parlamente innerhalb der Europäi­schen Union mit dem Europäischen Parlament und mit der Präsidentin des Europäischen Parlaments ist meines Erachtens ein wesentlicher Bestandteil des politischen Handelns und des politischen Agierens. Für Österreich war und ist es so, dass der Beitritt unter Bundeskanzler Franz Vranitzky und Außenminister Alois Mock ein wesentlicher Teil seiner Geschichte und ein wesentlicher Teil seines politischen Verständnisses ist.

Österreich hat sich immer als ein Mitgliedstaat verstanden, der Europapolitik aktiv mitgestalten möchte, der Engagement und Aktivität als Bestandteil seiner europäischen Politik gesehen hat. Europapolitik soll kein Lippenbekenntnis sein, Europapolitik soll aktives Gestalten und nicht Verwalten sein. Ich denke, Österreich ist einer jener Staaten, die dieses Prinzip schon relativ gut gelebt haben, obwohl es natürlich auch immer wieder Bedarf an Verbesserung gegeben hat.


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Es ist ja so viel zu tun in Europa. Es ist so viel zu tun in der Europäischen Union. Die EU muss souveräner, demokratischer und transparenter werden. Wir müssen unseren Industriestandort sichern. Wir müssen dafür sorgen, dass in Europa beispielsweise wieder Medikamente produziert werden, die ausreichen, um Europa zu versorgen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir weniger energieabhängig werden.

All das sind Dinge, die aktives europäisches Handeln und aktives europäisches Gestalten brauchen, die die Unterstützung der Mitgliedstaaten brauchen. Frau Präsidentin, ich glaube, ich kann für die meisten hier sprechen und sagen, dass es die Intention von uns allen ist, da etwas weiterzubringen. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abgeordneten Steinacker und Neßler.)

Ich glaube aber – Sie haben es angesprochen, Sie haben die Bürgerinnen und Bürger Europas angesprochen –, das Wesentliche bei allem Handeln, das Wesentliche im Umgang mit der Europäischen Union, das Wesentliche bei dem, was die Europäische Union tut, ist, dass jeder einzelne Bürger und jede Bürgerin das Gefühl hat: Dieses Europa nützt mir etwas, ich bin froh, Mitglied der Europäischen Union oder Bürgerin oder Bürger der Europäischen Union zu sein.

Ich habe schon das Gefühl, dass da noch Handlungsbedarf ist, beispielsweise bei der Steuergerechtigkeit: Es ist bis jetzt nicht gelungen, zu verhindern, dass große internationale Konzerne Steuerlücken nützen, während die Bürgerinnen und Bürger Europas brav ihre Steuern abliefern müssen. (Beifall bei der SPÖ.)

Bei der sozialen Gerechtigkeit: Es ist bis jetzt nicht gelungen, zu verhindern, dass beispielsweise Kollektivvertragsbestimmungen durch Scheinfirmengeflechte verletzt werden, dass das Sozialversicherungsrecht verletzt wird oder dass es zu Lohndumping kommt. Das ist auch etwas, das die Europäische Union – und nur die Europäische Union – angehen muss. Ich denke, auch da ist es hoch an der Zeit. Wenn wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, Europa nützt uns etwas, dann sind diese Dinge auch anzugehen. Europa muss


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gerecht und fair werden, geschätzte Damen und Herren. (Beifall bei SPÖ und Grünen, bei Abgeordneten der ÖVP sowie des Abg. Scherak.)

Frau Präsidentin, Sie haben auch den Überfall, den schrecklichen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine angesprochen. Ich kann Ihnen sagen: Unsere vollste Solidarität gilt der ukrainischen Bevölkerung, und unsere vollste Solidarität gilt auch dem entschlossenen Handeln der Europäischen Union.

Wir haben gesehen, dass ein geeintes Europa Dinge bewegen kann. Es gibt etwas, was zu tun ist; ich sage das auch ganz offen. In Europa gilt das Prinzip: Es gilt nicht das Recht des Stärkeren, sondern es gilt die Stärke des Rechts. Europa hat dazu beizutragen, dass das auch im Völkerrecht so ist. Es darf auch inter­national nicht das Recht des Stärkeren gelten, sondern die Stärke des Rechts, geschätzte Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Voglauer.)

Es ist lange her, da war ich noch ein junger Mann. (Allgemeine Heiterkeit.) – Das ist wirklich lange her. – Ich habe da einmal eine Diskussion geleitet, da hat es noch die Sowjetunion gegeben (allgemeine Heiterkeit), und da waren der amerikanische und der sowjetische Botschafter. Der Titel dieser Diskussion hat geheißen: Europa von außen – wie sehen die die Europäische Union? Ich habe die Frage gestellt: Was meinen Sie, geht das eher in Richtung Staatenbund oder Bundesstaat, oder was wird es?

Der sowjetische Botschafter hat etwas ganz Interessantes gesagt, er hat gesagt: Diese Frage stellt sich nicht. Europa ist etwas, was es in der gesamten Weltgeschichte noch nie gegeben hat. Deshalb ist es auch etwas, das etwas ganz Besonderes werden wird. – Tragen wir dazu bei, dass es wirklich etwas Besonderes wird, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

10.55


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Fürst. – Bitte.



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10.55.41

Abgeordnete Dr. Susanne Fürst (FPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Regierungsmitglieder! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank, Frau Präsidentin, für Ihre Ausführungen. Dass der Neuigkeitswert dieser Ausführungen für uns nicht so groß war, liegt daran, dass wir diese Worte, Sätze und Hülsen alle schon sehr gut von unserer Verfassungsministerin Edtstadler kennen.

Ihre Reden sind sehr gut abgestimmt, aber ich weiß nicht, ob Sie die Frau Präsidentin auf unangenehme Botschaften vorbereitet haben oder ob diese von unserem Gast ferngehalten werden. Daher möchte ich eingangs darauf hinweisen, dass beim letzten EU-Barometer im Juni 2022 weniger als die Hälfte der Österreicher der Meinung war, dass die EU für Österreich eine gute Sache ist. Ich denke, das ist nach fast 30 Jahren eine traurige Bilanz. (Abg. Meinl-Reisinger: Dank eurer Arbeit!) Ich bezweifle, dass es seit Juni 2022 besser gewor­den ist.

Daran sind nicht die Kritiker schuld, die Kritik und Skepsis äußern. (Widerspruch bei Grünen und NEOS. – Abg. Voglauer: Und was sonst? – Ruf bei den Grünen: Kindesweglegung! – Abg. Meinl-Reisinger: Die Brandstifter rufen Hilfe!) Der neue Weg der EU wäre ja, die Kritik auszulöschen, zu tilgen und zu zensieren, doch das ist nicht die Lösung, sondern eine gute Sache, ein Projekt (Abg. Schallmeiner: Die Welt, in der Sie leben! – Abg. Kassegger: Hört einfach zu!): Die EU-Institutionen müssen durch bedachtes, verantwortungsvolles und intelligentes Agieren überzeugen, dann werden sie mit einer großen Mehrheit akzeptiert. (Beifall bei der FPÖ.)

Frau Präsidentin des EU-Parlaments, Sie haben in Ihren Antrittsinterviews 2021 immer von der EU als Bastion der Demokratie, der Hoffnung und des Friedens gesprochen. Dafür würden Sie stehen und kämpfen: für die Werte der EU, für Freiheit, Justiz, Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte, Solidarität, Verantwortung, Wahrheit, Gerechtigkeit – nichts Geringeres.


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Warum ist dann Österreich so kritisch? Das ist ja etwas, was wir alle unterzeich­nen können.Das kommt daher – ich erkläre Ihnen, wie die Politik, wie Brüssel hier ankommt (Abg. Lukas Hammer: Erklär es uns!) –: ein hochmütiger Rechts­staatlichkeitsmechanismus, bei dem es heißt: Wer die Werte der Union nicht einhält, bekommt kein Geld – ein hohes Ross, wenn man dann die Korruptions­skandale im Europäischen Parlament oder in der Kommission hört. (Beifall bei der FPÖ. – Abg. Voglauer: Na ja, wegen eurer Partei! – Abg. Leichtfried: Wie war das in Graz?)

Die zwei, drei Jahre Coronazeit, eine hilflose, verantwortungsvolle Politik: kein Wort, keine Warnung, dass auch die Freiheit, die Eigenverantwortung und die Grundrechte ein Wert sind, den wir erhalten sollten. Ich greife nur die Presse- und Meinungsfreiheit heraus: die EU – ein Scharfmacher in Sachen Zensur, Unterdrückung, Kampf gegen Desinformationen und gegen Hass, was dazu führt, dass Regierungskritik und Kritik an Brüssel getilgt werden. (Beifall bei der FPÖ.)

Was bleibt aus der Coronazeit übrig? – Undurchsichtige Pfizer-Verträge, übrigens Millionenkosten für die Mitgliedstaaten. Den Aufklärungswillen sehe ich nicht.

Weiters eine Botschaft aus dem Europäischen Parlament: das Verbrenneraus, immer früher, immer radikaler. Die Leistbarkeit eines Autos – und zwar eines funktionierenden, nicht explodierenden Autos ohne Überwachung – für jeden, so wie wir sie für die breite Bevölkerung hatten, ist wirklich eine Errungenschaft und eine große Freiheit für jeden Einzelnen. Sie soll durch das Europäische Parlament mit vielen Unterstützern beseitigt werden. E-Autos für jeden bei Stromknappheit, das ist die Botschaft aus Brüssel. Da darf man sich nicht über Misstrauen wundern. (Beifall bei der FPÖ.)

Der gesamte Green Deal – diese englische Phrase würde ich mit Entrechtung, Wohlstandsvernichtung und Beseitigung unserer Freiheit übersetzen – ist im Übrigen wissenschaftsfeindlich. Ohne leistbare Energie für die EU-Bevölkerung


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und für die Wirtschaft gibt es keine Freiheit, Hoffnung und Gerechtigkeit, für die Sie stehen wollen. No hope, no freedom, no justice (Abg. Voglauer: Ah!) – dabei wollen Sie dafür kämpfen.

Seit Februar 2022 betätigen sich das Europäische Parlament und auch Sie, Frau Präsidentin, am Niederreißen der Bastion des Friedens, für die Sie kämpfen wollten. In keinem Ihrer Interviews zum Ukraine-Russland-Konflikt kommen Frieden, Deeskalation oder Verhandlungen vor. Die EU hat ihr Gewicht nicht genutzt, um da zu entschärfen, sondern – Beitrittskandidatenstatus für die Ukraine, scharfe Verfechterin der Sanktionen, mehr Panzer, mehr Waffen, mehr militärische, finanzielle Hilfe, Strafgerichtshof und so weiter – es wird an der Eskalationsspirale gedreht.

Vor acht Monaten, Frau Präsidentin Metsola, haben Sie in Richtung Russland gesagt: Wir dulden das nicht! – Was ist seitdem, in diesen acht Monaten, passiert? – Sie haben gesagt, Russland werde immer verzweifelter. Ich weiß nicht. Auf dem Schlachtfeld sind in diesen acht Monaten auf jeden Fall Hunderttausende junge Burschen, Männer den Jordan hinuntergespült worden. Das ist von der EU geduldet worden.

Haben Sie sich alle miteinander überlegt: Ein Krieg geht nicht immer so aus, wie wir das wollen. Es gewinnt nicht immer der, der im Recht ist. Es gewinnt der, der länger durchhält, und der Weg dorthin ist lang und mit viel Leid und Blut gepflastert. Wir sollten doch alle daran interessiert sein, diesen Weg abzukürzen. (Beifall bei der FPÖ.)

Ich komme zum Schluss. Die EU-Bürger, sagen Sie, tragen all diese Nachteile für uns mit, diese Sanktionspolitik gegen Russland. Haben Sie sie gefragt? Frau Präsidentin Metsola, to use your words: Make the European Union a project of democracy, hope and freedom again! It’s worth it. You can fix it. (Beifall bei der FPÖ.)

11.01



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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Disoski. – Bitte.


11.01.29

Abgeordnete Mag. Meri Disoski (Grüne): Sehr geehrte Mitglieder der Bundes­regie­rung! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Sehr geehrte Frau Präsidentin des Europäischen Parlaments! Ich darf uns alle nach dieser direkten Einspielung von Radio Moskau wieder hierher in die Realität des österreichischen Parlaments zurückholen. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von ÖVP und NEOS.)

Ich darf Sie, Frau Präsidentin, auch von meiner Seite herzlich hier begrüßen und mich für Ihre Rede bedanken. (Zwischenruf des Abg. Martin Graf.) Wir freuen uns sehr, dass Sie heute hier sind und dass wir uns heute mit Ihnen auch über die aktuellen Herausforderungen Europas austauschen können. (Abg. Martin Graf: Kriegstreiberin!)

Es ist sehr klar, dass wir in Europa vor sehr großen Herausforderungen stehen. Gerade als gewählte Vertreterinnen und Vertreter von kleineren EU-Mitglied­staaten wissen wir sehr genau: Wir können diese vielen multiplen Krisen nur gemeinsam im engen europäischen Verband lösen (Beifall bei den Grünen), nämlich auf den Grundlagen der Solidarität, der demokratischen Prinzipien und des Rechtsstaats. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der NEOS.)

Das betrifft sowohl den Umgang mit dem Völkerrechtsbruch und auch mit den grauenhaften Kriegsverbrechen Russlands, bei denen die EU der Ukraine durch die umfassende politische, finanzielle und auch militärische Unterstützung solidarisch zur Seite steht, und – wir haben es auch schon gehört – es betrifft ganz zentral natürlich auch den Kampf gegen die Klimakrise, die ökologische Transformation Europas, die wir mit dem Green New Deal erreichen wollen, die Stärkung unserer Unabhängigkeit von autoritären Ländern, von despotischen Regimen und deren Rohstoffen. Es betrifft Investitionen in Forschung und den


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Kampf gegen die Inflation, für soziale Sicherheit, um nur einige Bereiche zu nennen.

In all diesen Fragen sehen wir uns Krisen gegenüber, für die wir gemeinsame europäische Antworten brauchen, denn – und das sehen wir auch sehr schmerzhaft – die Zerstörung der europäischen Sicherheitsarchitektur durch Putin bedroht uns alle in Europa. Die Klimakrise kennt keine Ländergrenzen, wie wir auch ganz aktuell wieder durch diverse Umweltkatastrophen und durch die Zunahme von Extremwetterphänomenen sehen. Richten Sie Ihren Blick nach Italien! Das gilt auch für die wirtschaftlichen Krisen und für die sozialen Unsicher­heiten in unserer gemeinsamen Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion.

Das, was ich hier sage, ist eigentlich weder neu noch besonders schwer zu verstehen, doch während gemeinsames Handeln immer dringender wird, gibt es in der EU, in Österreich und auch hier im Hohen Haus – wir haben es gerade gehört – jene, die diese Logik leugnen. Ja, mehr noch: Es gibt Kräfte, die das Gegenteil behaupten. Doch auch, wenn diese Stimmen so laut rufen: Ihre Botschaften werden nicht wahrer. Kein einziges Problem ist durch Lügen und Leugnen gelöst worden, Kolleg:innen von der FPÖ. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von ÖVP und NEOS.)

Wir wollen gemeinsam und grenzüberschreitend für die besten europäischen Lösungen kämpfen: gemeinsam mit den Abgeordneten im Europäischen Parlament, gemeinsam mit den Abgeordneten in den Mitgliedstaaten, gemein­sam mit Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft, der Wissen­schaft und gemeinsam mit anderen Regierungen der Mitgliedstaaten.

Wohin ein Rückzug zum Nationalstaat führt, sehen wir gerade sehr schmerzhaft am Beispiel des Brexits. Der führt uns das sehr schmerzhaft vor Augen, und deshalb muss uns sehr bewusst sein, womit wir uns dann nächstes Jahr bei den Europawahlen beschäftigen, auseinandersetzen müssen, nämlich mit den verschiedensten Formen von Populismus: mit europafeindlichem Populismus und mit russlandfreundlichem Populismus (Abg. Wurm: ... einsperren ...!), mit


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Populismus, der die Klimakrise leugnet – ich höre gerade wieder, wie es mir entgegengebrüllt wird –, mit Populismus, der die Gesellschaft spalten und Zäune aufbauen möchte (Abg. Martin Graf: Was hat denn das mit dem Brexit zu tun?), und – auch das sei hier klar gesagt – mit frauen- und minderheitenfeindlichem Populismus. Wenn wir nach Ungarn und auch nach Polen schauen: Dort wird Frauen das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper gestohlen, und die Rechte von LGBTIQ-Personen werden mit Füßen getreten. (Abg. Hauser: Entscheidet das eine 5-Prozent-Partei ...?)

Wir werden uns dieser rückwärtsgewandten Ignoranz entschlossen und solida­risch entgegenstellen. (Abg. Belakowitsch: Mit Kleber? Anpicken?) Wir werden diese autoritären Tendenzen mit unseren demokratischen Freiheiten beant­wor­ten. Wir werden die Angstmache mit unserer Vision einer lebenswer­ten Zukunft in der Gesellschaft beantworten, nämlich in einer Gesellschaft, die auf Transparenz, auf Rechtsstaatlichkeit und auf Solidarität aufgebaut ist, ganz nach dem Motto: When they go low, we go high. (Beifall bei den Grünen.)

Die letzten so bewegten Monate haben gezeigt: Die EU wirkt. Putins Krieg hat die europäische Einigkeit nicht gefährdet, sondern maßgeblich gestärkt und den Einigungsprozess beschleunigt. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der NEOS.) Wir haben gezeigt, wie schnell und effektiv wir gemeinsam handeln können. Wir stehen stärker zusammen als je zuvor, und wir machen Europa gemeinsam unabhängiger. Wir sind auch die globalen Vorreiter:innen im Kampf gegen die Klimakrise, und das macht uns als EU handlungsfähig. (Beifall bei den Grünen.)

In diesem Sinne, Frau Präsidentin: Auf eine noch intensivere und fruchtbarere Zusammenarbeit zwischen den Parlamenten, für eine solidarische, für eine ökologische und auch für eine soziale Europäische Union! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

11.06



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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Klubobfrau Meinl-Reisinger. – Bitte sehr, Frau Klubobfrau.


11.06.43

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Mitglieder der Bundesregierung! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Herzlich willkommen bei uns im Hohen Haus! Ich freue mich, als offensichtlich einzige Klubobfrau heute hier sprechen zu dürfen.

Österreich ist seit nunmehr 28 Jahren Mitglied der Europäischen Union. Gestern habe ich hier eine recht flammende proeuropäische Rede gehalten und davon gesprochen, dass ich – obwohl natürlich noch jung an Jahren – schon alt genug bin, diesen Weg Österreichs in die Europäische Union damals miterlebt haben zu können, aber vor allem auch dieses Faktum, dass Österreich, das in meiner Kindheit noch am Rand Europas, an der Grenze zum Eisernen Vorhang gelegen ist, in die Mitte Europas gerückt ist, als Mitglied der Europäischen Union ins Herz Europas gerückt ist. Seitdem, würde ich sagen, tragen wir Österreich und Europa im Herzen.

Die Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union ist eine unheimliche Erfolgsgeschichte, eine Geschichte des Wachstums, des Wohlstands, des Aufstiegs, der Mitbestimmung, der Rechtsstaatlichkeit, des Durchlüftens und vor allem auch des eingelösten Versprechens des Friedens auf dem Kontinent. Daran müssen wir immer wieder denken.

Es hat mir sehr gut gefallen, Frau Präsidentin, dass Sie hier die Notwendigkeit der Veränderung und des Reinforcements, also der Stärkung der europäischen Institutionen und der Europäischen Union, angesprochen haben, denn ich bin überzeugt davon, dass nur in einer guten Begleitung dieses Wandels, in dem wir uns alle befinden, eine gute Zukunft für uns alle liegen kann.


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Dieses Versprechen, das Europa abgibt, ist ja enorm, so gewaltig, dass Men­schen, wie jetzt am Wochenende in Moldau, zu Zigtausenden auf die Straße gehen und dieses Versprechen, Teil dieses Raums des Friedens und der Freiheit und des Wohlstands zu sein, für ihr Volk, für ihr Land eingelöst haben wollen, wie auch die Menschen in der Ukraine sich Europa zugewandt und, ja, von Russland abgewandt haben, weil sie in einer liberalen Demokratie, einer offenen Gesellschaft, die auf dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit basiert, leben wollen.

Die Geschlossenheit Europas in der Ukrainefrage ist notwendig. Ich finde auch, dass es uns mit Stolz erfüllen kann, wie sehr wir da geschlossen agieren, aber es muss uns bewusst sein, dass wir einen langen Atem haben müssen, denn unser Lebensmodell steht auf dem Spiel. Es geht nicht nur um eine moralische Frage, sondern tatsächlich um die Frage: Können wir unsere Werte, unsere offene Gesellschaft, unsere liberale Demokratie gegenüber Autoritarismus und Faschis­mus verteidigen, und zwar as long as it takes? Ich glaube, es ist auch wichtig, das heute zu betonen. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der Grünen.)

An dieser Stelle möchte ich schon sagen, dass diese Kräfte, vom Kreml ausge­hend, natürlich auch in Europa bedauerlicherweise an Boden gewinnen: antidemokratische Kräfte, Kräfte, die geschlossene Gesellschaften wollen, die eigentlich nicht diesen European Way of Life wollen und damit auch nicht dieses Wohlstandsversprechen, das Europa abgibt. Sie sitzen mit der FPÖ auch hier im Haus, und ich muss an dieser Stelle sagen, dass, wenn sich ausge­rechnet die FPÖ hier darüber beschwert, dass die Zustimmungswerte zur Euro­päischen Union in Österreich nicht gerade stark sind, mir das so vorkommt, als wenn ein Brandstifter ruft: Huch, da gibt es ja ein Feuer! (Zwischenruf des Abg. Martin Graf.) – Das ist wirklich unglaubwürdig. (Beifall bei NEOS und Grünen sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

Vielleicht noch eines: Ich habe noch nie eine so große Ungeheuerlichkeit gehört wie heute von Ihnen, Frau Fürst, als Sie gemeint haben, dass die Beitrittsper-


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spektiven, die Europa der Ukraine oder auch den Ländern am Balkan gibt, Kriegs­handlungen seien – sozusagen eine Steigerung des Konflikts. (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) Ich finde das ungeheuerlich. Das ist kein selbstbewusstes Vertreten unserer europäischen Werte. (Abg. Kickl: Sie haben Ihre Meinung und wir haben unsere, ja? Wenn das noch erlaubt ist!) Sie treiben da ein ganz schäbiges Spiel am Rockzipfel Putins, und dafür sollten Sie sich wirklich schämen. (Beifall bei NEOS und Grünen sowie bei Abgeordneten der ÖVP. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Europa muss aber liefern. Europa muss liefern, der Change – dieser Wandel – ist gerade auch in sicherheitspolitischen Fragen notwendig. (Abg. Kickl: Es lebe die Einheitsmeinung!) Wir müssen unsere Werte schützen. Wir müssen unsere Länder schützen. Wir müssen unsere Bürgerinnen und Bürger vor den Gefahren von außen schützen (Abg. Wurm: Gefährlich!), gleichzeitig aber die Freiheiten im Inneren bewahren. Das ist mir sehr wichtig, und deshalb bin ich auch sehr froh, dass Sie Schengen angesprochen haben, weil ich es sehr kritisch sehe, dass die österreichische Bundesregierung die Schengenerweiterung blockiert hat. Ich hoffe, dass es da in den nächsten Monaten eine Lösung geben wird (Abg. Belakowitsch: Ich hoffe nicht!), denn die Freiheit im Inneren ist genauso wichtig wie der Schutz vor den Gefahren nach außen. (Beifall bei den NEOS.)

Abschließend: Die Zuversicht schöpfe ich daraus, dass wir noch immer hoch attraktiv sind. Wenn gut ausgebildete junge Menschen aus der ganzen Welt sagen – hoffentlich in der Zukunft noch öfter –: Ich möchte in diesem Europa leben, weil mir das Freiheit, Frieden und Wohlstand schafft!, dann haben wir vieles richtig gemacht. – Danke. (Beifall bei NEOS und Grünen sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

11.12


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist das Mitglied des Euro­päischen Parlaments Winzig. – Sie sehen, Frau Präsidentin Metsola, das Europäische Parlament ist auch in unserem Parlament nicht nur heute, sondern


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auch in vielen anderen Debatten immer wieder vertreten. – Frau Abgeordnete, Sie gelangen zu Wort.


11.12.31

Mitglied des Europäischen Parlaments Dr. Angelika Winzig (ÖVP): Madam President! Sehr geehrter Herr Präsident! (Zwischenruf des Abg. Hafenecker.) Geschätzte Mitglieder der Bundesregierung! (In Richtung Galerie:) Vor allem ist mit Herrn Dr. Selmayr heute auch die Europäische Kommission bei uns im Haus vertreten – auch Ihnen ein herzliches Willkommen!

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Große europäische Herausforderungen brauchen natürlich europäische Lösungen und vor allem europäische Zusam­menarbeit. In der letzten Zeit haben wir in Vielfalt geeint gezeigt, dass wir Krisen meistern können, wenn wir solidarisch zusammenhalten. Der Angriffskrieg Russlands hat natürlich unheimliches menschliches Leid verursacht, aber die Europäische Union stand von Anfang an der Seite der Ukraine, und die europä­i­schen Bürgerinnen und Bürger haben bei der Flüchtlingsaufnahme geholfen und dabei Großartiges geleistet.

Umso mehr war ich enttäuscht, als ich gehört habe, dass Teile der SPÖ, aber auch die gesamte FPÖ es nicht für nötig befunden haben, zum virtuellen Aus­tausch mit Präsident Selenskyj zu erscheinen. (Abg. Belakowitsch: ... Aus­tausch?!) Nach dieser Aktion kann man wirklich nur feststellen, dass Sie beide auf der falschen Seite der Geschichte stehen. (Abg. Kickl: Wir stehen auf der öster­reich­ischen Seite! Das ist immer die richtige Seite, Frau Kollegin!)

Frau Kollegin Fürst, Sie sollten sich vielleicht einmal die neuesten Zahlen geben lassen. Sie haben, was die Akzeptanz der Europäischen Union in Österreich betrifft, anscheinend alte Zahlen. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Hafenecker: Ihre Zahlen kommen von der Karmasin! ... Karmasin-Zahlen! – Heiterkeit der Abg. Belakowitsch.)


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Natürlich hat dieser schreckliche Krieg auch soziale und wirtschaftliche Auswirkungen auf alle Mitgliedstaaten. Jahrzehntelang waren wir verwöhnt mit billigem russischen Öl und Gas – sehr problemlos –, und jetzt fordern Sanktionspakete unsere Betriebe, die ebenso wie die Bevölkerung unter den hohen Energiepreisen und unter der hohen Inflation leiden. Mit dem gemein­samen Gaseinkauf am 10. Mai ist uns aber ein Meilenstein in der Geschichte der Europäischen Union gelungen. (Abg. Wurm: Da haben auch einige profitiert! – Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) Wir haben zum ersten Mal als Europäische Union unsere Marktmacht ausgespielt. (Abg. Wurm: Zahlen tun’s die Konsumen­ten! – Neuerlicher Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) Dies und die aktuelle Diversifizierung unserer Lieferketten, aber auch die steigenden Investitionen in erneuerbare Energie werden dazu führen, dass es wieder eine Normalisierung bei den Energiepreisen gibt. (Abg. Hafenecker: Glauben Sie das selber? – Neuer­licher Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.)

Nachhaltige Entwicklung ist für die EVP ein Leitmotiv, aber im Unterschied zu anderen Parteien möchten wir das mit der Stimme der Vernunft umsetzen: Dekarbonisierung statt Deindustrialisierung, Anreize statt Bestrafung, Reduktion statt Ausbau zusätzlicher Bürokratie, und vor allem Reportverpflichtungen.

Im Rahmen des Green Deals wurden unseren Landwirten mit der Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln, aber auch mit der Verordnung zur Wiederherstellung der Natur gemäß den 1950er-Jahren große Aufgaben aufgebürdet. Auch die Unternehmen haben mit der Industrieemis­sionsrichtlinie und jetzt auch noch mit dem Lieferkettengesetz Großes zu stemmen, ebenso werden den europäischen Bürgerinnen und Bürgern mit der Verpflichtung zur Gebäudesanierung Belastungen auferlegt. (Zwischenruf des Abg. Kassegger.) Unterstützung einer vernünftigen Transformation für alle ist das Ziel der EVP, und das passiert mit Sicherheit nicht mit praxisfernen Gesetzen. (Beifall bei der ÖVP.)

Ein wichtiges, großes Thema ist natürlich die Asyl- und Migrationspolitik. Ja, ich gebe zu, in den letzten zwei Jahren ist viel zu wenig passiert. Millionen


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Flüchtlinge befinden sich auf den Land- und den Seewegen und warten auf die Einreise in die Europäische Union. Es bleibt daher keine Zeit für eine Vogel-Strauß-Politik, wir müssen schnell handeln. – Danke vor allem an unseren Bundeskanzler Karl Nehammer, der sehr engagiert bei bilateralen Abkommen verhandelt, aber auch österreichische Betriebe bei Infrastrukturmaßnahmen in Afrika unterstützt. (Zwischenruf des Abg. Martin Graf.)

Ich begrüße auch das Asyl- und Migrationspaket des Europäischen Parlaments, das wir vor einigen Wochen beschlossen haben. (Abg. Belakowitsch: Das lehnen wir ab!) Es beinhaltet einen gemeinsamen europäischen Rahmen zur Steuerung von Migration, sieht ein umfassendes Screening (Abg. Hafenecker: 10 000 Illegale in Österreich, über 10 000 ...!) und viele, viele andere positive Schritte vor, aber weitere müssen folgen. (Abg. Belakowitsch: Ja, wir haben genug! – Zwischenruf des Abg. Hafenecker.)

Das gilt auch für die europäische Wirtschaft: Auch beim Green Deal haben wir noch nicht das erreicht, was wir wollten. Jetzt aber schaffen wir es mit dem Net Zero Industry Act, dass wir sowohl Klimaschutz als auch Wirtschaft vereinen können. Natürlich wird das nicht reichen, um China und Amerika die Stirn zu bieten. (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) Die haben billige Energie, die haben weniger Auflagen zu erfüllen (Abg. Kassegger: Richtig! Richtig!) und sind auch mit kritischen Rohstoffen gesegnet. Die Kommission ist aber bereit, die geplanten Maßnahmenpakete für KMUs, aber auch für die Industrie umzusetzen. (Abg. Kassegger: Ihr macht genau das Gegenteil!)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, uns stehen große Aufgaben bevor, die wir aber nur gemeinsam, miteinander lösen können. – Ich darf mich bei Ihnen, Frau Präsidentin, ganz herzlich für Ihr unermüdliches Engagement und vor allem auch für die gute Zusammenarbeit im Europäischen Parlament bedanken.

Ich darf mit einem Zitat von Konrad Adenauer schließen: „Die Einheit Europas war ein Traum von Wenigen. Sie wurde zur Hoffnung für Viele. Sie ist heute eine


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Notwendigkeit für uns alle.“ – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

11.18


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Kucharowits. – Bitte sehr.


11.18.10

Abgeordnete Katharina Kucharowits (SPÖ): Herr Präsident! Werte Frau Prä­sidentin! Geschätzter Herr Vizekanzler! Frau Ministerin! Herr Minister! Geschätzte Kollegen und Kolleginnen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Ich freue mich wirklich sehr, dass wir Sie, Frau Präsidentin, heute erstmals hier im Parlament zu Gast haben. Ich kann mich an sonst keinen Austausch mit einem Präsidenten, einer Präsidentin des Europäischen Parlaments in meiner Zeit als Abgeordnete erinnern, deshalb halte ich es für wirklich sehr, sehr positiv und wichtig, heute diesen Austausch zu pflegen.

Seit 1995 ist Österreich Mitglied der Europäischen Union, und peu à peu ist es gelungen, die Kommunikation zwischen den nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parlament und den Kommissionsmitgliedern zu intensivieren. Wir haben das gestern auch im Rahmen einer Aktuellen Europastunde erlebt, die ja mittlerweile viermal im Jahr stattfindet und in der eben auch Mitglieder des Europäischen Parlaments zu Wort kommen – was ganz, ganz wichtig ist –, oder auch im Rahmen unserer Ausschüsse, die tagen, in denen wir einfach ganz konkret über Vorhaben der EU-Institutionen diskutieren und debattieren und in denen wir unsere Regierungsmitglieder dementsprechend auch binden und mit Positionierungen ausstatten können, wenn sie dann in die Ratssitzungen gehen.

Das ist ganz, ganz wichtig, weil dort auch über die künftige Ausgestaltung und die Ausrichtung der Europäischen Union, nämlich auch über die Veränderung, die es dringend braucht, öffentlich und transparent diskutiert werden kann. Die Europäische Union, geschätzte Kollegen und Kolleginnen, muss definitiv sozialer werden. Sie muss souveräner und solidarischer werden. (Beifall bei der SPÖ.) Sie


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muss auch demokratischer und transparenter werden. Das ist dringend notwen­dig. Da sind wir in den nationalen Parlamenten gefragt, da sind das Europäische Parlament, aber vor allem auch die Bundesregierungen der jeweiligen Mitglied­staaten gefragt. Wir als EU-Bürger:innen fordern diese Transparenz, diese Stärke der Demokratie, dieses Sozialere ein, aber das fordern wir natürlich auch als Vertreter:innen der Nationalstaaten ein.

Apropos souveränes Europa – zu diesen Abhängigkeiten im Energiebereich oder auch im Technologiebereich, im Bereich der Digitalisierung: Wir sind noch immer Abhängig von Big Techs, die ihren Firmensitz nicht in Europa haben. Das muss endlich ein Ende haben. Dieses selbstbestimmte, souveräne Europa muss in allen möglichen Bereichen definitiv auch gelebt werden, auch im Bereich der Pro­duk­tion von medizinischen Versorgungsmitteln. Wir haben die Engpässe doch erlebt und erleben auch akut, wenn es bei einer leichten Halsentzündung keine Anti­biotika gibt. (Beifall bei Abgeordneten von SPÖ und Grünen.)

Auch die echte Sozialunion muss endlich auf den Boden gebracht werden. Wir propagieren das schon sehr, sehr lange. Denken wir an den Arbeitsmarkt inner­halb Europas: Dass Menschen ausgebeutet werden, für Hungerlöhne arbeiten, das muss doch bitte endlich der Vergangenheit angehören. Wir müssen alles dafür tun, dass das gestoppt wird. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Denken wir auch an armutsbetroffene Menschen innerhalb der Europäischen Union  Kinder, Frauen und Männer –: Ehrlich, es versteht niemand mehr, warum Menschen in der Europäischen Union von Armut betroffen sind, während Konzerne schöpfen, schöpfen, schöpfen (Abg. Wurm: Da habt ihr ...! ... Sozialdemokratie war dabei!) und dabei kein gerechter Steuerbeitrag geleistet wird. (Beifall bei der SPÖ.)

Außerdem, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, versteht auch niemand mehr, dass mitten in Europa tagtäglich Menschenrechtsverletzungen stattfinden.


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Wir wollen das nicht länger akzeptieren. Stoppen wir diese illegalen Push-backs, die mitten in Europa stattfinden! (Beifall bei der SPÖ.)

In all dem sind wir, aber vor allem auch die Bundesregierungen und die EU-Insti­tutionen in Summe gefordert. Schaffen wir eine fairere steuerpolitische Union! Schaffen wir eine Union, in der man Forschungsgelder in die Hand nimmt, sodass nicht mehr anderen die Entwicklungen im Bereich künstliche Intelligenz überlassen werden! Der AI-Act ist ein guter und wichtiger Ansatz auf europäi­scher Ebene, aber es braucht definitiv mehr.

Diese demokratische Union, diese klimafreundliche Union braucht auch bitte keine Regierungsmitglieder, die sich wieder auf die Verbrenner stützen. Das ist kinderfeindlich, wenn ich das so sagen darf. Es braucht eine echte ökologische und soziale Transformation. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Europa war oftmals ein Motor – denken wir an gleichstellungspolitische Fragen, wenn es um Lohntransparenz gegangen ist. Danke an Evelyn Regner, die das mitverhandelt hat! (Beifall bei der SPÖ.) Auch ein Danke an Sie, Frau Präsidentin, dass Sie, obwohl Sie persönlich wirklich anderer Meinung sind, hinter dem Fred-Matić-Report stehen, in dem es um die Selbstbestimmung von Frauen, die Selbstbestimmungsrechte von Frauen, um die sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte von Frauen geht ein Danke dafür! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abgeordneten Disoski und Neßler.)

Abschließend komme ich zu einem Thema, das uns aktuell natürlich am aller­inten­sivsten beschäftigt: der schreckliche Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Es gilt die volle Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, die volle Solidarität mit allen Opfern des Krieges  mit Frauen, Kindern und Männern. Gleichzeitig müssen wir aber die Gesprächskanäle offen halten (Beifall bei der SPÖ, bei Abgeordneten der Grünen sowie der Abg. Steinacker) und von dieser Kriegsrhetorik, von dieser Aufrüstungsrhetorik wegkommen. Europa und die Welt brauchen Frieden in der Ukraine. Alle haben das Recht auf Frieden. Dafür müssen wir arbeiten  national und auf europäischer Ebene. Wir müssen


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nämlich dem Friedensnobelpreis gerecht werden. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Neßler.)

11.23


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Steger. – Bitte.


11.23.46

Abgeordnete Petra Steger (FPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Prä­sidentin! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Regierungsbank! Hohes Haus! Sehr geehrte Frau Präsidentin, es freut mich, heute die oberste Vertreterin des EU-Parlaments und damit auch die oberste Vertreterin dieser weltfremden, bürgerfernen und über die Interessen der Nationalstaaten drüberfahrenden Politik, die wir seit vielen Jahren erleben und erleiden müssen, hier im Hohen Haus begrüßen zu dürfen. (Beifall bei der FPÖ. Zwischenruf der Abg. Disoski.)

Doch nicht nur das, mit Ihnen ist heute auch die oberste Vertreterin des Mittelpunkts der Korruption zu Gast (Abg. Meinl-Reisinger: Mutig, als FPÖ!) hier im Hohen Haus. Man darf nicht vergessen, dass es noch kein halbes Jahr her ist (Zwischenrufe bei der SPÖ), dass der größte Korruptionsskandal in der Geschichte der EU aufgeflogen ist, dass reihenweise EU-Abgeordnete, hauptsächlich Sozialdemokraten vielleicht ist deswegen die Aufregung von da drüben (in Richtung SPÖ) so groß , bis hin zur EU-Parlamentsvizepräsidentin die sogar verhaftet wurde  offensichtlich die Interessen Europas für einen Haufen an Geldsäcken aus Katar und sonstigen Ländern verkauft haben. Das ist ein absoluter Tiefpunkt, eine Schande und eine Bankrotterklärung für die selbst­ernannte moralische Elite. (Beifall bei der FPÖ.)

Viele fragen sich zu Recht, ob das damals nur die Spitze des Eisbergs war, ob das nicht vielmehr schon seit vielen Jahren gang und gäbe ist – Stichwort von der Leyen und Pfizer-Chats, die bis heute noch immer nicht offengelegt wurden. Ehrlich gesagt, Frau Präsidentin, hätte ich mir anlässlich dieser immensen


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Korruption heute von Ihnen schon zumindest ein paar kritische Worte erwartet. Sind das etwa die europäischen Werte, die Sie immer so gerne in die Welt tragen wollen? – Ich hoffe nicht, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei der FPÖ.)

Doch nicht nur in Sachen Korruption versagt die EU. Es freut mich, sehr geehrte Frau Präsidentin, heute die Möglichkeit zu haben, Ihnen einmal direkt – abseits Ihrer EU-Sprechblasen – die Meinung eines Großteils der Österreicherinnen und Österreicher mit auf den Weg zu geben, und dieses Zeugnis der Österreicher ist vernichtend. Österreich ist am 1. Jänner 1995 Mitglied der EU geworden. In der Zwischenzeit ist von den damaligen Versprechen überhaupt nichts übrig geblie­ben. Stattdessen vollzieht die EU eine schleichende Kompetenzerweiterung nach der anderen. (Abg. Steinacker: Geh bitte ...!)

Wir erleben eine schleichende Gesamtänderung unserer Verfassung mit Aus­höhlungen unserer Grundprinzipien, die alle unter den Tisch gekehrt werden. Als Nächstes soll das Einstimmigkeitsprinzip – das Vetorecht – fallen und damit der letzte Schutzanker Österreichs vor einem Drüberfahren Brüssels. Doch eines kann ich Ihnen versprechen: Das werden wir mit Sicherheit nicht hinnehmen! (Beifall bei der FPÖ.)

Damit sind wir auch die Einzigen, die wirklich für die ursprüngliche Idee eines starken Europas, der starken souveränen Nationalstaaten, für ein Europa der Vaterländer eintreten und nicht für dieses zentralistische Drüberfahrkonstrukt, das Sie versuchen, in die Welt zu setzen. (Beifall bei der FPÖ.)

Die eigentliche Aufgabe der Europäischen Union wäre es, für Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand zu sorgen. Das wäre ihre Aufgabe, doch gerade in diesen zentralen Bereichen versagt die EU auf ganzer Linie. Freiheit: Wo sorgt die Europäische Union noch für Freiheit? Wie wir in Zeiten von Corona gesehen haben, hält die EU nicht viel davon, weder von persönlicher Freiheit noch von Meinungsfreiheit. Stattdessen soll die Freiheit der Bürger mit Political Correct­ness, Chatüberwachungen, Internetzensuren bis hin zur Bargeldabschaffung


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immer weiter eingeschränkt werden. (Zwischenruf bei der ÖVP.) Das ist nicht die Freiheit, wie wir sie uns vorstellen. (Beifall bei der FPÖ.)

Frieden: Wo sorgt die EU für Frieden? Die EU hat sich spätestens seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine von der richtigen und wichtigen Idee der Friedenssicherung verabschiedet und ist mittlerweile zu einem kriegs­trei­be­rischen Nato-Vasallen mit Allmachtsfantasien geworden. Anstatt dass sich die EU für Frieden einsetzt, erleben wir seit Monaten ein ständiges Drehen an der Eskalationsspirale mit immer mehr Kriegsrhetorik, Waffenlieferungen und Sanktionen.

Dank der Zustimmung dieser Bundesregierung befinden wir uns als neutraler Staat schon mitten in einem Wirtschaftskrieg. Wir werden immer weiter in einen Krieg hineinmanövriert, dabei werden die eigenen Bürger mit immer mehr Sanktionspaketen belastet und unser Wohlstand hier in Europa vernichtet. (Beifall bei der FPÖ.)

Da wären wir schon bei der nächsten zentralen Aufgabe der EU: Wohl­standssicherung. Die EU sorgt nicht mehr für Wohlstand, sondern diese Politik vernichtet ihn in Österreich und in ganz Europa, zuerst mit Coronalockdowns, dann mit Sanktionen und mittlerweile mit einer vertragswidrigen Schulden- und Transferunion und, nicht zu vergessen, mit einer EZB-Geldpolitik, die vertragswidrig massenweise marode Staatsanleihen kauft, den Markt mit Geld überschwemmt und die Inflation so immer weiter anheizt, mit dem Ergebnis, dass der Euro mittlerweile auf mehr als wackeligen Beinen steht, Herr Kollege Lopatka. Wir erleben auch eine EU, die in einem unglaublichen Klima- und Bürokratiefanatismus die eigene Wirtschaft und Industrie zerstört, es ist keine Rede mehr von Wohlstandssicherung. (Beifall bei der FPÖ.)

Von Sicherheit brauche ich gar nicht zu reden zu beginnen, im Bereich Sicherheit gibt es auch reihenweises Versagen. Von einem effektiven Außengrenzschutz ist noch immer keinerlei Rede. Noch immer kommen Millionen illegale Migranten


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unkontrolliert über unsere Grenze, gemeinsam mit Extremisten, Terroristen und Gefährdern.

Was soll man von einer Europäischen Union halten, die sogar in ihren Kern­bereichen total versagt? Die einzige Lösung ist immer nur, mehr und mehr und noch mehr Kompetenzen nach Brüssel zu schieben, ganz nach dem Motto: Was nicht funktioniert, das muss man verdoppeln! Das Ganze passiert – das ist das wirklich Verwerfliche –, ohne die eigenen Bürger dazu zu befragen, ob sie das wirklich wollen. (Beifall bei der FPÖ.)

11.29


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gelangt Abgeordneter zum Europäischen Parlament Thomas Waitz. – Bitte sehr, Herr Abgeordneter.


11.29.52

Mitglied des Europäischen Parlaments Thomas Waitz (Grüne): Herr Präsident! Madam President, welcome to the Austrian Parliament! Geschätzte Bun­desregierung! Herr Vizekanzler! Frau Ministerin! Herr Außenminister! Es ist der Zusammenhalt innerhalb der Europäischen Union, der uns stark macht, und nicht das Polarisieren und das Auseinanderdividieren. Es ist das gemeinsame An-einem-Strang-Ziehen, mit dem wir auch unsere nationalen Interessen vertreten – nicht faktenwidrige Behauptungen und das Aufhetzen von Menschen gegeneinander mit genau diesen faktenwidrigen Argumenten. (Abg. Kassegger: Kannst du jetzt außer beschimpfen auch noch was?) Das ist das, was die Europäische Union in ihrem Zusammenhalt und in ihrer Handlungsfähigkeit schwächt, in ihrer Handlungsfähigkeit, jene Werte zu erhalten, welche, wie ich doch denke, alle Abgeordneten zum österreichischen Nationalrat hier verteidigen und zu verteidigen haben – Werte von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Zwischenrufe bei der FPÖ.) Diese Werte zu verteidigen in einer Welt, die sich zunehmend in Richtung autoritärer Regime entwickelt, das mag Ihnen vielleicht gefallen, aber es wird nicht die Interessen der Europäerinnen und Europäer am


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internationalen Parkett verteidigen, sondern ganz genau umgekehrt. (Abg. Kickl: Setzen Sie sich einmal mit dieser Kommission auseinander!)

Ja, es ist der Zusammenhalt, den wir brauchen, um die Transformation unserer Wirtschaft und die Transformation unserer Arbeits- und Lebensweise zu einer umwelt- und klimafreundlichen Arbeits- und Lebensweise hinzubekommen. (Abg. Kassegger: Sie wollen unsere Lebensweise transformieren!) Denn: Ganz egal, ob es einem politisch gefällt oder nicht, es gibt wissenschaftliche Tatsachen wie die Klimakrise, die Klimaerwärmung – diese ist eine wissenschaftliche Tatsache. Die Beweise sind derartig erdrückend, dass nicht einmal mehr die FPÖ das leugnet. (Zwischenruf des Abg. Deimek.)

Um diese Transformation hinzubekommen, um dem schlimmsten Artensterben der Erdgeschichte und der massiven Klimakrise, die es vielen Menschen erschweren wird und heute schon erschwert, auf diesem Planeten zu leben, entgegenzutreten, brauchen wir Zusammenhalt. Es braucht gemeinsames Vorgehen, und das ist das zentrale Prinzip der Europäischen Union, für das wir hier stehen. (Beifall bei den Grünen.)

Ja, ich unterstütze auch jene Redner:innen, die den Zusammenhalt in sozialen Fragen eingefordert haben, den Zusammenhalt, um Armut zu bekämpfen, um Armutsgefährdung anzusprechen und um dafür Sorge zu tragen, dass die Veränderungen, die wir in der Europäischen Union vornehmen müssen, derart gestaltet sind, dass wir alle Menschen auf die Reise mitnehmen können und niemanden zurücklassen (Beifall der Abg. Kucharowits), ganz besonders nicht jene Menschen, die sich am allerschwersten tun, am Ende des Monats mit ihrem Geld noch auszukommen. Dafür braucht es gemeinsames Vorgehen und gemeinsame Strategien. (Beifall bei den Grünen sowie der Abgeordneten Feichtinger und Kucharowits.)

Zusammenhalt bedeutet aber auch, die Leistungen innerhalb der Europäischen Union und unserer Mitgliedstaaten anzuerkennen und auf diesem Prinzip auch Entscheidungen zu treffen. Wenn Länder wie Bulgarien und Rumänien seit 2011


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alle Kriterien für einen Beitritt zum Schengenraum erfüllen – alle Kriterien! (Abg. Meinl-Reisinger: Ihr seids in der Regierung!) – und es nicht der Wahrheit entspricht, dass Migrationsströme, wie Sie das bezeichnen, durch diese Länder in Richtung Europäische Union oder Zentrum oder Österreich unterwegs sind – es ist faktenwidrig –, sind diese Länder aufgrund ihrer Leistungen auch in den Schen­gen­raum aufzunehmen. Wenn wir uns auf europäischer Ebene faktenwidrig gegen den Zusammenhalt stellen, dann unterminieren wir auch den Einfluss, den wir auf die Entscheidungsprozesse in der Europäischen Union haben. (Abg. Meinl-Reisinger: Wäre aber super, wenn die Grünen in der Regierung wären, oder? – Abg. Kassegger: Was ist die Grundbedingung für den Schengenraum? Gesicherte Außengrenzen!) Um unsere auch nationalen Interessen durchzusetzen, brauchen wir Bündnisse mit anderen Ländern in der Europäischen Union, und um übrigens auch unsere Wirtschaftsleistung aufrechtzuerhalten, brauchen wir Arbeitskräfte aus diesen Regionen. (Beifall bei Grünen und NEOS.) Wir brauchen Pflegekräfte, wir brauchen Mitarbeiter:innen in der Gastronomie. Wir brauchen die Hilfe dieser Länder und die Arbeitskräfte dieser Länder, aber diese verschrecken wir mit solchen Vorgangsweisen oder auch mit einer Rhetorik, wie Sie sie hier an den Tag legen – das ist auch eine wirtschaftspolitische Frage. (Beifall bei den Grünen.)

Wir brauchen Zusammenhalt, wenn es darum geht, jene Länder, die zu Europa gehören, die seit einem Jahrzehnt und länger den Beitritt in die Europäische Union anstreben, nämlich unsere Nachbarländer auf dem Balkan, aufzunehmen, im Prozess in Richtung Aufnahme in die Europäische Union zu unterstützen. Auch dazu braucht es Zusammenhalt. Es ist unsere unmittelbare Nachbarschaft und auch in unserem ureigensten österreichischen Interesse, diese Länder mit an den Tisch der Europäischen Union zu bekommen. (Beifall bei den Grünen.)

Let me change to English for my last sentence – this goes towards Roberta Metsola –: Madam President, thank you for showing respect to the Austrian Parliament by visiting today, holding a speech and discussing with us. This is a


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sign of respect from your side. It is also a sign of respect that nearly all members of the Austrian Parliament were present when you held your speech.

When it comes to decision making, when it comes to the participation of the national parliaments – for example as in the co-decision procedure needed for a controversial trade agreement like Mercosur –: The decision-making power of the national parliaments needs to be taken into account, please also ensure in your role as President of the European Parliament that the principle of the co-decision processes is kept alive and that the national parliaments are not circumvented by splitting this agreement, because this could undermine trust, solidarity, respect (Abg. Kassegger: Es gibt eh eine Übersetzung, Herr Kollege, das könntest auf Deutsch auch sagen!) and the will to contribute to the common decision making of this house. – Please let me give you this message.

Ich danke Ihnen herzlichst für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Martin Graf: Um den Zusammenhalt zu stärken, brauchen wir ein bissel mehr Waffen!)

11.35


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Als Letzter zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Scherak. – Bitte sehr.


11.35.54

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Herr Präsident! Frau Präsidentin! Herr Vizekanzler! Damen und Herren auf der Regierungsbank! Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie heute hierher nach Österreich gekommen sind und uns, wie ich glaube, wieder sehr klar gezeigt haben, dass die großen Herausforderungen, die insbesondere die nächsten Generationen betreffen, nur gemeinsam in einer Europäischen Union gelöst werden können.

Sie haben heute sehr augenscheinlich miterleben dürfen, wie der Populismus der FPÖ hier auch versucht, einfache Lösungen zu propagieren. (Abg. Kickl: Ah, das ist kein Populismus, dass die große Aufgabe, die große gemeinschaftliche


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Herausforderung nur gemeinsam gelöst werden kann? Das ist kein Populismus?) Das Problem ist leider, Frau Präsidentin – und deswegen bin ich sehr froh, dass Sie hier sind und dieses Gemeinsame angesprochen haben –, dass der Populismus nicht nur bei der FPÖ beheimatet ist, sondern dass auch so manch andere Partei im österreichischen Parlament oder in der österreichischen Regierung teilweise den einfachen populistischen Lösungen aufsitzt, wie beim Thema Schengen­erweiterung, wie beim Thema Freihandel. (Abg. Kassegger: Also das ist kein Populismus?) Insofern ist es wichtig, dass Sie hierher kommen und uns noch einmal klarmachen, dass es gemeinsame europäische Lösungen braucht. (Beifall bei den NEOS. – Abg. Kickl: Das ist auch Populismus!)

Ich glaube, eine der wesentlichen Herausforderungen – und die haben Sie auch angesprochen – ist die Frage, wie wir unseren Wohlstand auch für die nächsten Generationen erhalten können. Es ist in einer Zeit wie dieser, in der wir mit einer massiven Teuerung konfrontiert sind, mit einer Inflation konfrontiert sind und noch viele andere Herausforderungen zu bewältigen haben – wir in Österreich insbesondere den enormen Fachkräftemangel –, sehr wichtig, dass wir darüber sprechen, wie wir das weiterhin schaffen können.

Wir leben in einem Land, das noch enormen Wohlstand hat, aber wie Sie richtig gesagt haben, müssen wir vorausschauend denken, in die Zukunft denken und uns überlegen, wie wir gemeinsam, als Österreich in einer starken Europäischen Union, diesen Wohlstand für die nächsten Generationen erhalten können.

Ich bin überzeugt davon, dass es nichts Besseres gibt, als auf einem Kontinent zu leben, auf dem Demokratie herrscht, auf dem Menschenrechte geschützt werden, auf dem uns ein Leben in Freiheit ermöglicht wird, aber, und das ist sehr wichtig, wir dürfen diese Werte der Europäischen Union nicht als etwas Gegebenes und als etwas für immer da Seiendes annehmen, denn wir wissen – das wurde ja auch schon angesprochen –, dass es immer mehr autokratische Staaten gibt, die leider großen Zuspruch bekommen, nicht nur in den eigenen Staaten, sondern auch innerhalb von Europa. Es gibt immer wieder Parteien, die


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das Modell China, die das Modell Russland offensichtlich als etwas Besseres empfinden als das europäische Modell.

Wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen, dann müssen wir versuchen, dass wir uns auf internationaler Ebene so stark wie möglich aufstellen und versuchen, unsere Werte und unsere Standards auch in die Welt hinauszubringen.

Vor ein paar Wochen war der österreichische EU-Kommissar Gio Hahn hier im Parlament und hat anlässlich des Europatages auch davon gesprochen, wie wir denn die Verhandlungsmasse der Europäischen Union in die Welt bringen. Er hat in diesem Zusammenhang sehr eindrücklich vom Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Japan berichtet. Gleichzeitig mit dem Brexit hat die Europäische Union dieses Freihandelsabkommen mit Japan abgeschlossen, und Boris Johnson hat dann der eigenen Bevölkerung in Groß­britannien irgendwie vermittelt, na ja, er wird auch solch ein Abkommen abschließen. – Denkste!, kann man nur sagen. Die Japaner haben sich gedacht: Ja, das ist ganz nett, wir werden auch ein Abkommen mit England abschließen, aber natürlich zu ganz anderen Bedingungen als mit der Europäischen Union, weil Großbritannien viel weniger Einwohner als Japan hat.

Genau deswegen ist es so wichtig, dass wir als Europäische Union unseren Verhandlungsspielraum auch so einnehmen, wie wir ihn einnehmen können, und versuchen, unsere Standards international zu setzen, denn wenn wir sie nicht setzen, dann werden sie andere setzen. (Beifall bei den NEOS.)

Ich halte das deswegen für so essenziell, weil wir an einem gewissen Wende­punkt sind. Wenn wir das nicht jetzt machen, dann werden nach und nach autoritäre Staaten noch mehr an Einfluss gewinnen und versuchen, auf der ganzen Welt noch mehr andere Standards zu implementieren. Deswegen halte ich dieses populistische Nein Österreichs zum Mercosur-Abkommen auch für besonders gefährlich.


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Wir, die meisten österreichischen Parteien, werden hier von einer Kleingeistig­keit vorangetrieben – einerseits von einer populistischen Kleingeistigkeit der FPÖ, von einer protektionistischen Kleingeistigkeit des Bauernbundes, von einer Ängstlichkeit der Gewerkschaft, ohne dass offensichtlich irgendjemand begreift (Abg. Berlakovich: Frechheit!), dass es, Herr Kollege, essenziell ist, dass wir unsere Standards in die Welt exportieren, dass wir unsere ökologischen, sozialen Standards in die Welt exportieren, denn wenn wir es nicht machen, dann wird es diese Standards schlichtweg nicht geben. (Beifall bei den NEOS.  Abg. Meinl-Reisinger: ... sind die Chinesen eh dort!)

Sie vergessen dabei immer, dass Handel Wohlstand schafft, dass Handel Freiheit schafft, dass Handel Arbeitsplätze schafft, und die populistische Kleingeistigkeit tut nichts davon. (Abg. Berlakovich: Aber Handel bedeutet auch ...!)

Wir müssen uns jetzt entscheiden, Herr Kollege Berlakovich! Wir müssen uns jetzt entscheiden, in welcher Welt wir leben wollen. Wollen wir in einer autokra­tischen Staatenwelt leben, in einer Idee des chinesischen Überwachungsstaats, oder wollen wir in einem freien, demokratischen Europa leben, das seine Werte exportiert? Und wir werden das nur dann schaffen, wenn wir Abkommen mit anderen Ländern schaffen und nicht der populistischen Kleingeistigkeit anheim­fallen. (Beifall bei den NEOS sowie der Abg. Steinacker.)

11.41


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die Debatte ist damit geschlossen, da keine Wortmeldung dazu mehr vorliegt.

Ich darf mich bei der Frau Präsidentin ganz herzlich bedanken. Sie darf mit ihrer Premiere erstens einmal miterleben, wie breit und wie vielschichtig der österreichische Nationalrat das Thema Europa letzten Endes diskutiert und in dieser Breite auch Österreich repräsentiert.

Ich denke, dass ein gemeinsames Bekenntnis zu Europa ein starkes und ein verlässliches ist, und auf den Nationalrat können Sie sich in dieser Form auch verlassen.


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In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihr Kommen! (Anhaltender Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS.)

11.41.582. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (2031 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsverfassungsgesetz, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz und das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch geändert werden (2038 d.B.)

3. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 3318/A der Abgeordneten Tanja Graf, Mag. Markus Koza, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsmarktservicegesetz geändert wird (2039 d.B.)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir gelangen nunmehr zu den Punkten 2 und 3 der Tagesordnung, über welche die Debatten unter einem durchgeführt werden.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Muchitsch. – Bitte, bei Ihnen steht das Wort, Herr Abgeordneter.


11.42.44

Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich darf zu den Tagesordnungspunkten 2 und 3 Stellung beziehen.

Ich beginne mit Tagesordnungspunkt 2: Mit dieser Regierungsvorlage wird die EU-Richtlinie in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmel­zungen und Spaltungen in Unternehmen umgesetzt. Konkret geht es dabei um


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die Vorschriften, um die Mitbestimmung der Arbeitnehmer, wenn bei Kapital­gesellschaften grenzüberschreitende Veränderungen in den Unternehmens­strukturen stattfinden.

Diese Vorschriften werden nun im Arbeitsverfassungsgesetz nachvollzogen und geregelt. Es geht um die Anpassung und um die Schaffung von Rechten auf Mitbestimmung der Arbeitnehmer in diesen Gesellschaften, konkret um das Recht auf Mitwirkung im Aufsichtsrat, die Festlegung der Schwellenwerte bei der Anzahl der Arbeitnehmer.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, irritiert waren wir schon vom Versuch der Wirtschaftskammer, über diese Regierungsvorlage auch eine Bestimmung zum Kündigungsschutz von Arbeitern durch den Kollektivvertrag zu ermög­lichen. Geplant war, dass über diese Regierungsvorlage über den Kollektivver­trag Kündigungsfristen und Kündigungstermine abseits der bereits beschlos­senen gesetzlichen Bestimmungen festgelegt werden können. Diese Bestimmung ist nicht mehr Inhalt dieser Regierungsvorlage und somit ist die ursprüngliche Sozialpartnereinigung auch wieder in dieser Regierungsvorlage abgebildet. Daher wird es hier auch von unserer Seite die Zustimmung geben.

Zu Tagesordnungspunkt 3: Dabei geht es um die zukünftige Regelung der Kurz­arbeit. Dazu liegt ebenfalls eine Sozialpartnereinigung vor. Das Arbeits­marktservicegesetz wird dahin gehend wieder abgeändert, dass die bestehende Kurzarbeitsbeihilfe und die Möglichkeit der abweichenden Beihilfenhöhe bis Ende September 2023 verlängert werden. Das ist somit die Brücke, dass ab Oktober 2023 der Übergang zur ursprünglichen Regelung der Kurzarbeit, wie sie vor der Pandemie war, wieder gelten soll. Damit treten sämtliche Sonder­regelun­gen der Kurzarbeit für den Zeitraum der Pandemie mit Ende Septem­ber 2023 außer Kraft.

Herr Bundesminister, ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich bei allen beteiligten Interessenvertretern, Sozialpartnern und auch beim Arbeits­ministerium für diese Sonderregelungen der Kurzarbeit während der Pandemie


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zu bedanken. Diese hat vielen Tausenden Unternehmen und Hunderttausenden Arbeitnehmern die Beschäftigung sichern können, und das, glaube ich, war ein großer gemeinsamer Erfolg. Vielen Dank dafür. (Beifall bei der SPÖ, bei Abgeord­neten der ÖVP sowie des Abg. Koza.)

Herr Arbeitsminister, ich möchte aber auch noch die Gelegenheit nutzen, um heute von hier aus darauf aufmerksam zu machen, dass wir aufgrund dieser Rekordteuerung erste Konjunktureinbrüche in manchen Branchen haben – konkret in jenen betreffend den Wohnungsbau, in jenen, was das Schaffen von Eigenheimen betrifft. Wir haben Firmen, die Fenster produzieren, die Fertig­teilhäuser produzieren und die aufgrund der neuen Kreditregeln Probleme bekommen, weil sich die Menschen die Schaffung neuer Eigenheime nicht mehr leisten können, weil die Gemeinnützigen österreichweit nicht Wohnungen errichten können, damit die Familien ein Dach über dem Kopf haben.

Da ist großer Handlungsbedarf gegeben, und ich ersuche Sie von dieser Stelle aus, Herr Bundesminister, gemeinsam auch daran zu arbeiten, die betroffenen Branchen und die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu unterstützen, wenn wir Sonderregelungen brauchen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, und wie gesagt: Zu den Tagesordnungspunkten 2 und 3 wird es von uns die Zustimmung geben. (Beifall bei der SPÖ.)

11.46


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Zopf. – Bitte.


11.46.59

Abgeordnete Bettina Zopf (ÖVP): Herr Präsident! Geschätzter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher auf der Galerie, und da darf ich insbesondere im Auftrag von Laurenz Pöttinger den Seniorenbund Natternbach recht herzlich bei uns begrüßen! (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten von SPÖ, FPÖ und Grünen.)


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Wir leben den sozialen Dialog. Worum geht es heute?Kollege Muchitsch hat es eingangs ohnehin schon ein bisschen erklärt: Die Gesetzesvorhaben sollen neue Vorschriften für Unternehmen schaffen, die über mehrere EU-Länder umwan­deln, verschmelzen oder spalten. Betroffen sind davon Kapitalgesellschaften, in Österreich wären das klassisch zum Beispiel Aktiengesellschaften und GmbHs, im europäischen Kontext vor allem Societas Europaea, SE, auch Europäische Gesellschaft genannt.

Geklärt werden soll damit, wie mit den Rechten von Arbeitnehmern bei diesen Prozessen umgegangen wird. Verschiedene europäische Staaten haben verschiedene Mitsprache- und Beteiligungsformen für Mitarbeiter. Bei einer Umwandlung, Verschmelzung oder Spaltung sollen sowohl während des Prozesses als auch nach dessen Abschluss die Rechte der Arbeitnehmer gewahrt bleiben. Selbst wenn kein Betriebsrat bis dato eingerichtet ist, soll in die­sem Fall die Vertretung der Rechte in der Arbeiterkammer erfolgen.

Als Mitglied in der Eurofedop tausche ich mich auch öfter mit Gewerkschaftern aus anderen EU-Ländern aus. Der Vergleich macht mich sicher: Wir leben den sozialen Dialog.

Beim zweiten Punkt gab es Bedenken seitens der Gewerkschaftsvertretung Vida, das hat auch Kollege Muchitsch vorhin erklärt. Es gibt keinen Beschluss ohne sozialpartnerschaftliche Einigung, so unser Minister, und wie wir ja alle wissen, ist ein Großteil der Gewerkschafter SPÖ-dominiert, also sind wir auch da immer im Dialog. – Sie sind immer eingebunden, auch wenn Sie hier im Hohen Haus manchmal etwas anderes behaupten.

Sozialpartnerschaftliche Einigung steht bei unserer Arbeit nach wie vor im Vordergrund. Sachpolitik ist uns wichtig. Auch sehe ich es als meine Aufgabe, dass ich das der Bevölkerung sage. Wir leben den sozialen Dialog. (Ruf bei der SPÖ: Das ist die Sozialdemokratie!)


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Abschließend noch zum Entschließungsantrag Maßnahmen gegen den Pflege­personalmangel: Entlohnung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist Länder­sache. Die Pflegekräfte werden von den Ländern bezahlt. Ich habe einen Bundes­ländervergleich gemacht und in Oberösterreich verdienen die Pflege­kräfte mehr als in Wien.

Also bitte ich, treten Sie in den sozialen Dialog mit dem Land Wien (Abg. Köllner: Im Burgenland auch! Sagen Sie die Zahlen des Burgenlandes!) und schauen Sie, dass in Wien die Pflegekräfte höhere Löhne und Gehälter bekommen, dann bekom­men Sie vielleicht auch mehr Pflegekräfte! (Abg. Köllner: Sagen Sie die Zahlen des Burgenlandes! Burgenland! Burgenland!) Vielleicht müssen Sie auch fragen – dort haben Sie die finanzielle Verantwortung –, ob ihr euch denn das leisten könnt. Es schaut nämlich immer anders aus, wenn man beide Seiten betrachten muss und nicht nur eine. (Beifall bei der ÖVP.)

Unsere Maßnahmen sind auf dem Weg und werden schon im Vorhinein schlechtgeredet. Jetzt nehme ich die Pflegelehre her. Ich kenne zahlreiche junge Menschen, die diesen Beruf mit 15 Jahren schon ergreifen wollten. Sie sind dann in eine andere Lehre eingetreten und haben dann natürlich nicht mehr in die Pflege gewechselt. Diese Lücke mit der Pflegelehre zu schließen und den jungen Menschen zu ermöglichen, diesen Beruf zu ergreifen, ist sicher eine tolle Sache. (Abg. Kucher: Wer sagt denn das?) Das wird greifen! Wir werden es sehen, werden es analysieren. (Abg. Kucher: Probieren wir es einfach!) Das probieren wir, ja. (Abg. Kucher: Ja, genau!) Herr Kollege Kucher, wenn man nichts probiert und keine Maßnahmen setzt, wird man auch nicht sehen, ob sie greifen. Aber wie gesagt, Sie können ja mit Wien in den sozialen Dialog treten und schauen, ob dort die Pflegekräfte höhere Löhne und Gehälter bekommen. (Abg. Kucher: Aber da geht es um Menschen und nicht um eine Spielerei!)

Wir setzen Maßnahmen, und ich bleibe dem Wort treu, wie ich es als christlich-soziale Gewerkschafterin immer schon gesagt habe: Wir handeln – in eurem Interesse! (Beifall bei der ÖVP.)

11.51



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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Belakowitsch. – Bitte.


11.51.31

Abgeordnete Dr. Dagmar Belakowitsch (FPÖ): Herr Präsident! Herr Arbeits­minister! Sehr geehrte Damen und Herren hier hierinnen und vor den Fernseh­bildschirmen! Ja, es wurde jetzt schon viel gesagt zu diesen beiden Tages­ordnungspunkten. Ich möchte schon noch einmal auch die Sicht der FPÖ auf diese Tagesordnungspunkte lenken.

Zu Tagesordnungspunkt 1: Das ist eine Vorlage der EU. Wir haben ja jetzt gerade hier herinnen eine Diskussion über die EU gehabt, ob die EU tatsächlich bei den Bürgerinnen und Bürgern ist. In diesem Fall soll es zu einer Stärkung der Arbeitnehmerrechte kommen. Das ist ein prinzipiell positiver Aspekt. Allerdings hat die österreichische Bundesregierung tatsächlich wieder versucht, in eine Umsetzung einer EU-Richtlinie etwas reinzuschwindeln. Frau Kollegin Zopf, da können Sie sich jetzt dreimal herstellen und sagen, es ist nicht drinnen. Ja, es ist nicht mehr drinnen. Selbstverständlich wollte die österreichische Bundesregie­rung hier wieder reinschwindeln, dass die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten ausgehöhlt wird. – Das war Ihr Ziel. Sie haben das in den letzten Jahren unzählige Male verschoben, und jetzt wollten Sie es ganz aushebeln.

Das ist der Grund, warum wir gesagt haben, wir werden diesem Gesetz hier nicht zustimmen. Da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln. Lesen Sie nach! Das ist genau der Grund, warum wir als FPÖ dem nicht zustimmen. Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung immer wieder von hinten kommt und irgendwo Bestimmungen, die zulasten der Bevölkerung sind, reinschwindelt. Herr Arbeits­minister, das werden wir nicht dulden! So lassen wir Ihnen das nicht durchgehen, und daher werden wir dem die Zustimmung nicht geben. (Beifall bei der FPÖ.)

Bei Tagesordnungspunkt 2 geht es darum, einen Beschluss zu fassen, dass die sogenannte Coronakurzarbeit jetzt tatsächlich auch einmal ausläuft, nämlich mit


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September 2023. Es befinden sich derzeit, haben Sie im Ausschuss gesagt, noch 1 800 Personen in Coronakurzarbeit. Es ist jetzt Corona längstens kein Thema mehr, wir lassen das auslaufen. Dazu werden wir Ihnen selbstverständlich die Zustimmung geben.

Aber wenn wir schon darüber reden, dann muss ich Ihnen schon auch sagen, Herr Minister, mit diesen Maßnahmen, die Sie hier gesetzt haben, haben Sie Milliarden in ein Kurzarbeitssystem hineingepulvert, mit dem Sie tatsächlich immer wieder Betriebe mitgezogen haben und – wir haben uns heute in der Früh schon darüber unterhalten – dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet wurde. Es sind Dutzende Scheinfirmen, unzählige, die auch diese Coronakurzarbeitsförde­run­gen bezogen haben, neben allen anderen Coronaförderungen.

Sie haben heute in der Früh gesagt, Sie werden alles dafür tun, um das hintan­zuhalten, und auf meine konkrete Nachfrage, wann genau wir damit rechnen können, dass diese Maßnahmen greifen, dass es zu einer massiven, drastischen Abnahme von Scheinfirmen kommt, haben Sie gesagt, ganz werde man das nie ausschließen können.

Herr Bundesminister! Sie selbst haben in Ihren Anfragebeantwortungen geschrieben, dass es da Probleme gibt, dass Sie keine Daten von der Finanzpro­kuratur haben, dass Sie eigentlich nicht einmal genau wissen, wie viel von den zu Unrecht bezogenen Beträgen tatsächlich zurückbezahlt wurde. Wenn man sich Ihre Zahlen anschaut, dann sieht man, es ist ein Bruchteil dessen, was hier ausgeschüttet worden ist. Und kommen Sie mir nicht wieder mit der Ausrede, hier war Geschwindigkeit wichtiger als Prüfung! Nein, das kann es nicht sein! Viele dieser Scheinfirmen, die Sie uns genannt haben, sind ein paar Monate später wieder an der gleichen Meldeadresse gegründet worden.

Also seien Sie mir nicht bös, diese Zeit muss man doch haben! Es gibt doch Computerprogramme, die das sofort ausspucken, wo Scheinfirmen gemeldet waren, wo Gelder zu Unrecht bezogen worden sind. Das geht in Millionenhöhe. Das sind Steuergelder, AMS-Gelder, die verpulvert worden sind, an Betrüger


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ausbezahlt worden sind. Die sind schlicht und einfach weg, und Sie kriegen sie auch nicht mehr zurück. Das ist die Problematik, und da würde ich mir schon wünschen und erhoffen, Herr Bundesminister, dass Sie jetzt nicht nur in Ihren Unterlagen hier blättern, sondern dass Sie dieses Problem endlich erkennen. (Beifall bei der FPÖ.) Ich erkenne nämlich bei Ihnen kein Engagement, dass Sie sich dafür einsetzen, dass diesem Betrug endlich der Riegel vorgeschoben wird.

Ein Wort auch noch zur Pflege, weil das meine Vorrednerin jetzt hier so groß­artig gebracht hat: Geld allein wird es nicht sein. Geld macht natürlich jeden Job attraktiver, da brauchen wir nicht darüber zu reden. Die Pflegelehre, von der Sie jetzt so geschwärmt haben, Frau Kollegin Zopf, hätte schon 2017 eingeführt werden können, allein die ÖVP hat es damals blockiert, weil sie es nicht wollte, weil Sie gedacht haben, Sie werden das alles schon noch so schaffen. Jetzt sind Sie draufgekommen, dass dem nicht so ist.

Natürlich ist der Start der Pflegelehre eine gute Idee, allerdings die Umsetzung zu kritisieren. Herr Arbeitsminister, wenn man als Pflegelehrling etwa ein Drittel weniger verdient als in den meisten anderen Lehrberufen, dann werden sich junge Menschen viermal überlegen, ob sie wirklich eine Pflegelehre beginnen oder ob sie nicht in eine andere Branche wechseln, wo sie schon in jungen Jahren mehr verdienen. Das sollten Sie sich schon vor Augen halten. Es ist ein schwerer Beruf. Es ist ein wunderschöner Beruf, aber es ist ein sehr schwerer, ein sehr belastender Beruf. Und den Leuten im Bereich der Pflegelehre wieder weniger Geld zu geben, das halte ich für einen vollkommen falschen Ansatz. So, glaube ich, wird die Pflegelehre kein Erfolg werden. (Beifall bei der FPÖ.)

11.56


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Koza. – Bitte.


11.56.53

Abgeordneter Mag. Markus Koza (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte


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Zuseherinnen und Zuseher! Die Vorredner:innen haben bereits die beiden Gesetzesmaterien beschrieben, die wir heute hier im Hohen Haus beschließen werden.

Es sind zwei Gesetzesmaterien aus dem Arbeits- und Sozialausschuss, bei denen es darum geht, einerseits die Mitbestimmungsrechte der Belegschaften, der Betriebsräte, der Arbeitnehmer:innen in den Betrieben weiterhin zu sichern, wenn es zu grenzüberschreitenden Umwandlungen, zu Verschmelzungen, aber auch zu Spaltungen von Unternehmen kommt, sodass auf jeden Fall – das ist die sogenannte Mobilitätsrichtlinie, die umgesetzt wird – die Mitbestimmungs­rechte der Arbeitnehmer:innen beispielsweise in den Aufsichtsräten der Unter­neh­men gewährleistet und gesichert bleiben, wie gesagt auch dann, wenn es Verschmel­zungsprozesse gibt. Darum kommt es heute zu diesen Änderungen im Bereich der Arbeitsverfassung, aber auch im Bereich der Arbeits- und Sozial­gerichtsbarkeit.

Worum geht es da? – Es geht darum, dass festgelegt wird, wo der Gerichts­stand ist, nämlich am Sitz des verschmolzenen Unternehmens, des neu entstandenen Unternehmens, damit gesetzliche Konflikte, die sich aus den Mitbestimmungs­rechten ergeben, am festgelegten Gerichtsstand ent­sprechend ausgetragen werden können. Das ist der erste Teil, den wir heute beschließen.

Die zweite Materie bezieht sich auf die Kurzarbeit. Auch das wurde schon erwähnt: Die bisherige Coronakurzarbeit, die sich gerade in der Krise bestens bewährt hat, läuft mit Ende September aus. Ab Anfang Oktober gelten wieder die Kurzarbeitsregelungen aus der Zeit vor Corona. Auch da gab es eine Sozialpartnereinigung. Eine Änderung gibt es: Die Sozialversicherungsbeiträge werden künftig ab dem vierten Monat übernommen. Bislang ist es ab dem fünften Monat gewesen. Das ist durchaus sinnvoll, weil sich in der Coronazeit immer wieder gezeigt hat: Wenn diese Phasen des Kurzarbeitsbezugs länger dauern, tun sich die Unternehmen teilweise schwer, diese Sozialversicherungs­beiträge tatsächlich weiter zu leisten. Das ist künftig ab dem vierten Monat aus,


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weil dann diese Beiträge von der Kurzarbeitsbeihilfe übernommen werden, damit der Sinn der Kurzarbeit gewährleistet bleibt, dass die Menschen in den Betrieben in Beschäftigung gehalten werden können, damit dann, wenn eine längere Krise überwunden ist, die Unternehmen ihren Betrieb wieder hochfahren können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da jetzt bei diesem Tagesordnungs­punkt von der Absicherung betrieblicher Mitbestimmung die Rede ist und heute im Rahmen der Fragestunde mit dem Herrn Minister sehr viel von dieser Transformationsoffensive, vom notwendigen sozialökologischen Umbau die Rede war, erlauben Sie mir noch einen Hinweis auf den Start der Klima- und Transformationsoffensive Industrie, die am Freitag begonnen hat. (Präsidentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Ab Freitag können Industrieunternehmen im Rahmen der Umweltförderung aus einem Topf von circa 3 Milliarden Euro Förderungen beantragen, um ihre Produktion, ihre Unternehmen klimaneutral zu gestalten, um zu dekarbonisieren. Es ist tatsächlich ein ganz wesentlicher Punkt (Beifall bei den Grünen), ein ganz entscheidender Schritt, geradezu eine Zeitenwende in der österreichischen Industriepolitik, dass da der Weg in Richtung einer grünen Industrie beschritten wird.

Was mich als Arbeits- und Sozialsprecher ganz besonders freut, ist, dass in den Richtlinien zur Umweltförderung erstmals auch klare sozioökonomische Kriterien – soziale und ökonomische Kriterien – verankert werden. Unterneh­men, die Förderungen beantragen, um diese Dekarbonisierung durchzuführen, müssen nämlich einen sogenannten Transformationsplan vorlegen, der nicht nur beinhaltet, welche Maßnahmen, welche Investitionen, welche Schritte gesetzt oder getätigt werden, um 90 Prozent der Treibhausgase einzusparen, sondern dieser Transformationsplan muss unter anderem auch Informationen über die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze und die Beschäftigung am Standort beinhal­ten.


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Dieser Transformationsplan muss Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaß­nahmen für Arbeitnehmer:innen, die sich aus diesem Transformationsplan, aus diesen Transformationsmaßnahmen ergeben, beinhalten, weil mit neuen Technologien natürlich auch neue Kompetenzen gefragt sind. Bei der Erarbei­tung dieser Qualifizierungsmaßnahmen ist dezidiert der Betriebsrat einzubinden. Und zuletzt: In diesem Transformationsplan muss auch ein Nachweis darüber enthalten sein, dass mit dem Betriebsrat über die Transformationsmaßnahmen, über die Dekarbonisierungsmaßnahmen gesprochen wurde, dass er informiert worden ist, dass er Bescheid weiß.

Die wirtschaftlichen Mitbestimmungsrechte, die wirtschaftlichen Informations- und Beratungsrechte aus der Arbeitsverfassung sind da im Rahmen der Transformation also dezidiert erwähnt (Beifall bei Abgeordneten der Grünen), denn es ist einfach klar: Die wichtige ökologische Transformation, gerade auch der Industrie und der Betriebe, kann nur dann gelingen, wenn sie mit sozialer Verantwortung erfolgt und wenn insbesondere auch diejenigen eingebunden sind, die von diesem Transformationsprozess besonders betroffen sind, und das sind natürlich auch die Arbeitnehmer:innen in den Betrieben.

Klimagerechtigkeit braucht soziale Gerechtigkeit, braucht Mitbestimmung. Die Voraussetzungen dafür, dass diese im Betrieb gegeben sind, wurde mit diesen Richtlinien geschaffen. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

12.02


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Gerald Loacker. – Bitte.


12.02.37

Abgeordneter Mag. Gerald Loacker (NEOS): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Kollege Koza hat es schon erwähnt: Die Coronakurzarbeit findet ein Ende – spät, sehr spät, aber doch. (Beifall bei den NEOS.) Wir begrüßen das Ende, aber nicht den Termin. Es werden ein paar kleine Justierungen am


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Arbeitsverfassungsgesetz vorgenommen, und es herrscht großer Konsens, dass die Regeln, wie in Österreich Arbeitnehmervertretung funktioniert, sehr solide und im Europavergleich sehr großzügig sind.

Es gibt aber ein Unternehmen, das etwas noch Besseres hat, nämlich die Österreichische Post AG. Für die Österreichische Post AG gelten nämlich Regeln aus der Vergangenheit, aus der alten Beamtenlogik, die für die Post- und Telegraphenverwaltung gegolten haben. Da gibt es eine dreigliedrige Betriebs­ratsabstufung, und das führt dazu, dass die börsennotierte Österreichische Post AG und die börsennotierte A1 Telekom doppelt so viele freigestellte Betriebs­räte haben, wie sie hätten, wenn sie normal unter das Arbeitsverfassungsgesetz fallen würden wie jedes andere Unternehmen auch.

Das heißt aber auch, dass die Miteigentümer der Österreichischen Post AG, die Aktionäre, im Wesentlichen also die Republik Österreich und die Gemein­schaft der Steuerzahler, da freigestellte Betriebsräte durchfüttern. Das ist auch Ertrag, der am Ende fehlt, und das ist ein Konkurrenznachteil auf einem Markt. Inzwischen ist die Österreichische Post AG eben nicht mehr die Post- und Telegraphenverwaltung im öffentlichen Dienst, sondern eine Marktteilnehmerin, die börsennotiert ist, und für diese sollten daher dieselben Regeln gelten wie für alle anderen Unternehmen auch.

Ich bringe daher folgenden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Gleiches Recht für alle statt Sonderpflanz Post-Betriebsverfassungsgesetz“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Arbeit und Wirt­schaft, wird aufgefordert, eine Regierungsvorlage vorzulegen, mit der das Post-


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Betriebsverfassungsgesetz abgeschafft und die Österreichische Post AG, so wie alle anderen Unternehmen, dem Arbeitsverfassungsgesetz unterworfen wird.“

*****

Gleiches Recht für alle kann ja wirklich nur recht und billig sein. – Danke schön. (Beifall bei den NEOS.)

12.04

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Gleiches Recht für alle statt Sonderpflanz Post-Betriebsverfassungsgesetz

eingebracht im Zuge der Debatte in der 215. Sitzung des Nationalrats über Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (2031 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsverfassungsgesetz, das Arbeits- und Sozial­gerichtsgesetz und das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch geändert werden (2038 d.B.) – TOP 2

Die Österreichische Post AG ist ein seit 2006 börsenotiertes Unternehmen. Doch anders als alle anderen Unternehmen muss die Post auf Grund des Post-Betriebs­verfassungsgesetzes zirka doppelt so viele Betriebsräte vom Dienst freistellen wie Unternehmen, die unter das ArbVG fallen. Das hat historische Gründe, die längst weggefallen sind. Heute sollten für alle Unternehmen die selben Regeln des Arbeitsverfassungsgesetzes gelten.

Laut Geschäftsbericht 2022 gehören zur Österreichischen Post AG Unternehmen in Deutschland, Türkei, Serbien, Bosnien und Herzegowina, Ungarn, Montenegro, Bulgarien, Kroatien, Slowenien und Slowakei. Als internationales Unternehmen hat die Post erst im August 2020 ihren Anteil an der großen türkischen Gesellschaft Aras Kargo a.s. von 25 % auf 80 % aufgestockt. [1] [2]


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Um die Wettbewerbsfähigkeit der Österreichischen Post AG zu stärken und die Rahmenbedingungen an die Mitbewerber anzugleichen, sollte die Arbeitnehmer­vertretung der Post nicht mehr auf dem Post-Betriebsverfassungsgesetz basieren, das sich vom Beamtenrecht ableitet, sondern auf dem Arbeitsverfassungsgesetz, so wie das auch für alle anderen Unternehmen in Österreich auch gilt.

Durch das Post-Betriebsverfassungsgesetz hat die Österreichische Post AG zirka 50 freigestellte Betriebsräte. Durch eine Gleichbehandlung nach dem Arbeitsverfas­sungsgesetz würde sich die Zahl der freigestellten Betriebsräte in der Österreichi­schen Post AG halbieren. Außerdem ist völlig unverständlich, warum es bei der Post ein eigenes Entlohnungsschema für die vielen Betriebsräte gibt. Im Arbeitsverfassungs­gesetz wäre ein sogenanntes "Privilegierungsverbot" verankert, wonach Betriebsräte gegenüber ihren Kollegen nicht bessergestellt sein dürfen. [3] [4]

Mit dem Post-Betriebsverfassungsgesetz wurde für die Arbeitnehmervertretung der Post die Struktur des öffentlichen Dienstes kopiert. Das mag damals bei der Auslagerung aus dem Bund durch die hohe Zahl an Beamten in der damaligen Post noch gerechtfertigt gewesen sein. Doch inzwischen sind die Beamten eine klare Minderheit in der Post-Belegschaft. Im Jahr 2022 waren nur noch 24 % der Post-Mitarbeiter beamtet während es 2008 noch 55 % waren (siehe Abbildung). [1]


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Die Gewerkschaftsbosse Fritz Verzetnisch (S) und Fritz Neugebauer (V) hatten das Post-Betriebsverfassungsgesetz als Initiativantrag am 7. Mai 1996 im Nationalrat eingebracht, um die Interessensvertretung von Post und Telekom explizit zu regeln:

„Die sachliche Rechtfertigung ist darin zu sehen, daß von den vom PBVG erfaßten Unternehmen Tätigkeiten verrichtet werden, die von anderen Unternehmen nicht besorgt werden; weiters ist die besondere Struktur dieser Unternehmen sowie auch die der bisherigen Personalvertretungsorgane zu berücksichtigen, die entgegen der für das Arbeitsverfassungsgesetz typischen Zweistufigkeit dreistufig sind.“ [5]

Die sachliche Rechtfertigung war schon damals eher schwammig, aber heute ver­richten viele Unternehmen dieselben Tätigkeiten wie die Post. Auch die "besondere Struktur" lässt sich durch den Rückgang der Beamtenschaft innerhalb der Öster­reichischen Post AG nicht mehr argumentieren.

Die Österreichische Post- und Telegraphenverwaltung wurde 1866 als Sonder­ab­teilung im Handelsministerium eingerichtet. Nach der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft im Jahr 1996 und dem späteren Börsengang, wäre es nun höchste Zeit, auch die Rahmenbedingungen bei der Arbeitnehmervertretung an das 21. Jahrhundert anzupassen.

Quellen:

(1) Post Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichte, https://www.post.at/ir/c/geschaeftsberichte

(2) Post OTS, 25. August 2020, https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20200825_OTS0125/closing-zur-anteilserhoehung-an-aras-kargo-erfolgt-bild

(3) Kleine Zeitung, 19. Oktober 2019, https://www.kleinezeitung.at/wirtschaft/5708754/Laut-Profil_Rechtswidrige-Privilegien-bei-Post-und-Telekom


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(4) derStandard, 22. Oktober 2019, https://www.derstandard.at/story/2000110156409/betriebsratskaiser-sollen-entthront-werden

(5) Ausschussbericht 1996, https://www.parlament.gv.at/dokument/XX/I/166/fname_139048.pdf

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft, wird aufgefordert, eine Regierungsvorlage vorzulegen, mit der das Post-Betriebsverfassungsgesetz abgeschafft und die Österreichische Post AG, so wie alle anderen Unternehmen, dem Arbeitsverfassungsgesetz unterworfen wird."

*****


Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht daher auch mit in Verhandlung.

Als Nächste gelangt Frau Abgeordnete Tanja Graf zu Wort. – Bitte.


12.04.59

Abgeordnete Tanja Graf (ÖVP): Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Minister! Vorweg darf ich im Namen von Franz Hörl, meinem Kollegen aus Tirol, die Wirtschaftsbund-Mentoringgruppe mit Direktorin Daniela Kampfl herzlich in unserem Hause begrüßen. – Herzlich willkommen! (Beifall bei ÖVP, Grünen und NEOS sowie der Abgeordneten Belakowitsch und Wurm.)

Ich darf gleich kurz über den Antrag von Kollegen Loacker, was die Post und die Sozialpartnerschaft betrifft, reflektieren. Gewachsene Sozialpartnerschaften werden die NEOS nie begrüßen, sie werden sie immer ablehnen. Ich werde das


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jetzt einfach mit einem Satz abtun: Es war das die nächste Attacke des Kammerjägers, er hat wieder zugeschlagen, und wir freuen uns darauf, dann im Ausschuss weiter darüber zu sprechen. (Heiterkeit der Abg. Doppelbauer.)

Jetzt zu dem wesentlichen Thema, warum wir heute hier sind: Wir haben es schon gehört, es geht um die Kurzarbeit. Für mich als Unternehmerin ist das ein wesentlicher Punkt. Ich möchte die Gelegenheit auch nutzen, wie Kollege Muchitsch, um ein Danke an unseren Wirtschaftsminister auszusprechen, denn wir konnten mit der Kurzarbeit 1,3 Millionen Menschen vor der Arbeitslosigkeit schützen und damit auch 113 000 Betriebe dabei unterstützen, dass sie ihre Mitarbeiter behalten können.

Ein wesentlicher Punkt, der betreffend Kurzarbeit nicht besprochen worden ist, den ich hier aber schon hervorheben möchte, ist, dass wir während der Kurz­arbeit immer wieder die Möglichkeit haben, Schulungsmaßnahmen zu treffen. So bekommen unsere Mitarbeiter die Möglichkeit, nicht nur in Kurz­arbeit zu gehen und ihren Arbeitsplatz zu behalten, sondern auch Schulungen zu machen. Was bedeutet das? – Es ist eine Win-win-Situation. Mit einer Schulung qualifiziert man sich besser, hat bessere Aufstiegsmöglichkeiten und bekommt auch ein besseres Gehalt bezahlt. Diese Möglichkeit möchte ich auch jedem Unternehmer und allen Mitarbeiter:innen, die derzeit leider noch in Kurzarbeit sind, nahelegen. Für ein Unternehmen ist Kurzarbeit kein Normalzustand. Unternehmen suchen sich das nicht aus, aber Kurzarbeit ist leider Gottes ab und zu notwendig. Ich darf nochmals sagen, dass es trotzdem eine Win-win-Situation ist.

Zu einem Punkt, den Herr Koza angesprochen hat, zum Transformationsfonds: Der ist natürlich wichtig, auch für die Betriebe und für die Mitarbeiter, weil Transformation wichtig ist. Das haben wir gesehen. Ich darf auch die Gelegen­heit nutzen, um zu sagen: Beantragt die Möglichkeit, werden wir grüner! Ich darf von hier aber auch einen kleinen Appell abschicken: Schließen wir keine Unternehmer von diesem Transformationsfonds aus, denn jedes Unternehmen mit seinen Mitarbeitern sollte die Chance bekommen, sich zu transformieren und hier am Wirtschaftsstandort Österreich bleiben zu können. Das ist ganz wichtig


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für uns, das hilft unserem Standort und unserer Wirtschaft. – Danke. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abgeordneten Fischer und Lukas Hammer.)

12.07


Präsidentin Doris Bures: Nun ist Herr Abgeordneter Alois Stöger zu Wort gemeldet. – Bitte. (Abg. Rainer Wimmer: ... jetzt!)


12.07.52

Abgeordneter Alois Stöger, diplômé (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundes­minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ganz besonders begrüße ich die Bezirksgruppe Bau-Holz Wiener Neustadt–Neunkirchen. Mich freut es ganz besonders, dass viele Betriebsräte bei den Themen des Arbeits- und Sozial­ausschusses dabei sind, ebenso eine Betriebsrätegruppe von der Vida unter der Leitung von Bundesrätin Grossmann. Ganz besonders freut es mich, dass uns ein paar Gemeindebürger meiner Nachbargemeinde Puchenau hier zuhören. – Da seht ihr, wie es im Parlament abgeht. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen sowie der Abg. Belakowitsch. – Zwischenruf des Abg. Loacker.)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir haben heute einen Gesetzentwurf zu behandeln, dem eine Sozialpartnerregelung vorangeht. Sozialpartnerregelungen gerade im Bereich der Mitbestimmung, gerade im Bereich der Kurzarbeit sind sehr wichtig, weil die Sozialpartner diejenigen sind, die die Betriebe kennen, die wissen, wo es gerade im Bereich des Arbeitsmarktes drückt, wo Lösungen zustande kommen müssen.

Die Sozialpartner haben gerade im Bereich Corona wichtige Arbeit geleistet. Da haben wir es geschafft, dass wir vielen Menschen über die Form der Kurzarbeit Einkommen gesichert haben und – Herr Bundesminister, das war ganz besonders wichtig – dass die Arbeitssysteme, die wir gerade in der Schichtarbeit brauchen, funktionieren, dass der Produktionsfluss auch nach einer Kurz­arbeitsphase noch funktioniert, dass die Menschen dann, wenn es wieder gut und wirtschaftlich positiv weitergeht, auch noch da sind, um diese Tätigkeiten zu


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leisten. Das war ein Riesenerfolg, und damit haben wir uns eigentlich den notwendigen Aufschwung gesichert. Das ist gut so.

Die Ideen, die ich manchmal aus dem Ministerium höre – auch von Abgeord­netem Loacker habe ich das öfter gehört –: Hören wir mit der Kurzarbeit auf und zerstören wir diese Arbeitssysteme!, wären ein Riesennachteil. Es ist gescheit, Herr Bundesminister, wenn man auf die Sozialpartnerschaft hört, dann schafft man Lösungen, die in einer schwierigen Situation auch funktionieren. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Koza.)

Frau Abgeordnete Graf, ich habe nichts dagegen, wenn man in der Kurzarbeit auch Schulungen macht. Die Praxis zeigt, dass es vom zeitlichen Aufwand und von der Dauer der Kurzarbeit her oft sehr schwierig ist, qualifizierte Ausbil­dun­gen zu machen. Da sind wir alle gefordert, und wenn die Unternehmer mit­machen, geht das ganz, ganz gut.

Herr Bundesminister, eines muss ich noch sagen: Sie sind auch Wirtschafts­minister, und ein Wirtschaftsminister sollte sich darum kümmern, dass das Preisgesetz, das es in Österreich gibt, auch eingehalten wird. Der Herr Bundes­minister hat auch die Möglichkeit, etwas gegen die Teuerung zu tun, wenn er nur wollte – aber er will nicht. (Bundesminister Kocher schüttelt den Kopf.) Herr Bundesminister, tun Sie endlich einmal etwas! (Beifall bei der SPÖ.) Stoppen Sie die Mieterhöhungen, setzen Sie die Preiskommission ein, die die Preise runter­bringt! Tun Sie etwas, dass die Lebensmittelpreise runtergehen, schaffen Sie die Mehrwertsteuer darauf ab! Und machen Sie einen ganz klaren Eingriff in die Energiepreise! Die großen Konzerne brauchen nicht auf Kosten der Leute hohe Gewinne zu machen, die Aktionäre sind auch ohne sie reich genug. – Danke. (Beifall bei der SPÖ. – Ruf bei der ÖVP: Gratislebensmittel für alle!)

12.11


Präsidentin Doris Bures: Nun ist Abgeordneter Peter Wurm zu Wort gemeldet. – Bitte.



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12.11.44

Abgeordneter Peter Wurm (FPÖ): Frau Präsidentin! Herr Minister! Hohes Haus! Werte Zuseher! Ich weiß jetzt nicht, wer von denen, die diese Debatte zu Hause verfolgt haben, wirklich weiß, was hier genau diskutiert wird, aber ich kann Sie beruhigen, es geht eigentlich nicht um rasend viel. Das ist auch das Problem. Wir haben eine Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales gehabt, und das, was nach, ich glaube, 5 oder 6 Stunden Diskussion und weit über 20 Tagesord­nungs­punkten übrig geblieben ist, ist dieses bescheidene Häufchen. Es betrifft 99,9 Pro­zent aller Arbeitnehmer in Österreich nicht und im Übrigen auch 99,9 Prozent aller Betriebe in Österreich nicht.

Aber gerade für die Arbeitnehmer und für die Betriebe hätten wir aktuell, Herr Minister, ganz, ganz viel Handlungsbedarf – und Sie machen nichts! Das ist einfach ein Zeichen, dass diese Regierung von Grün und ÖVP schon seit vielen Monaten am Ende ist. Wir erleben das ja tagtäglich: Es tut sich nichts mehr, es kommt nichts Substanzielles auf den Tisch, was den Menschen oder den Betrieben hilft. Sie lösen keine Probleme, wir erleben jeden Tag eine Verlänge­rung des Leidens. Ich kann nur noch einmal darauf hinweisen: Besser, Sie machen heute als morgen Schluss, weil es für die Bevölkerung und für die Unternehmer in Österreich wesentlich besser wäre, es kommt ein schnelles Ende, als eine Verlängerung dieses Leidens.

Herr Minister, Sie sind ja zuständig für den Arbeitsmarkt. Wir haben es schon länger angekündigt, und es hat sich auch bereits gedreht: Es gibt bereits seit mehreren Monaten bei gewissen Gruppen einen Anstieg der Arbeitslosigkeit, obwohl wir einen Arbeitskräftemangel haben, also ein sogenanntes Mismatch, das wir auch schon lange kritisieren, Herr Minister. Das hat viele Gründe, ist mittlerweile auch vom Wifo eindeutig bewiesen. Das, was Sie in den letzten Jahren und Jahrzehnten durch unqualifizierte Zuwanderung auf den Arbeits­markt geholt haben, ist genau unser Problem. Diese Personen hängen in der Arbeitslosigkeit, wir müssen sie in den nächsten Jahren und Jahrzehnten dementsprechend erhalten, aber die Betriebe bekommen keine qualifizierten


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Arbeitnehmer. Das ist das Problem. Es wäre interessant, Herr Minister, welche Ansätze Sie konkret verfolgen, ob da irgendetwas kommt.

Was nicht sein kann, Herr Minister, ich darf es noch einmal erwähnen, ist der Angriff auf die Teilzeitarbeitskräfte. Herr Minister, das war komplett falsch. Wir Freiheitliche konnten Sie Gott sei Dank stoppen, weil das der komplett falsche Ansatz gewesen wäre. Nur, Herr Minister – die Grünen sind ja nicht vernunftbegabt, bei der ÖVP habe ich immer die Hoffnung gehabt, dass doch Vernunftbegabte dabei sind –: Wir werden überlegen müssen, wie wir es schaffen, zu den alten Tugenden zu kommen. (Ruf bei der ÖVP: Hört, hört!) Fleiß muss sich lohnen, Leistung muss sich lohnen, das ist wichtig. (Beifall bei Abgeordneten der FPÖ. – Abg. Höfinger: ... da kann ich dich beruhigen!)

Da wäre einmal ein Ansatz notwendig, aber da kommt ja gar nichts von der ÖVP. Dass die Sozialdemokratie mit der 32-Stunden-Woche komplett am falschen Dampfer ist, sei dahingestellt, aber ihr spielt da mit den Grünen ein Spiel, da kommt nichts. Wir haben gefordert: Arbeitnehmer, die fleißig sind, müssen auch dementsprechend verdienen können. Da kommt aber nichts in Richtung Überstunden, die Überstundenbesteuerung zu entlasten zum Beispiel. Da wäre es notwendig, dass etwas passiert; auch wenn jemand in Teilzeit einige Stunden mehr machen will, denn das machen viele nicht, besonders in der Pflege, weil sie am Ende des Tages nichts rausbekommen.

Herr Minister Kocher, Sie hätten in Ihrem Bereich ganz, ganz viele Möglichkeiten und ganz, ganz viele Notwendigkeiten, den Arbeitsmarkt für die Arbeitnehmer, aber auch für die Betriebe endlich nach vorne zu bringen. Da passiert nichts. Jetzt kommen wir in die Phase, dass wir eben eher Richtung Rezession gehen, mit einer steigenden Inflation, 10 Prozent, und wir wissen alle, was das für Auswirkungen haben wird: Das ist die berühmte Stagflation und das, Herr Minister, hat diese Bundesregierung zu verantworten. – Danke. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

12.16 12.16.10



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Präsidentin Doris Bures: Zu Wort ist nun niemand mehr dazu gemeldet. Damit ist die Debatte geschlossen.

Ist seitens der Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Damit kommen wir zu den Abstimmungen.

Abstimmung über Tagesordnungspunkt 2: Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsverfassungsgesetz und das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz geändert werden, samt Titel und Eingang in 2038 der Beilagen.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die dem zustimmen, um ein entsprechen­des Zeichen. – Das ist mit Mehrheit so angenommen.

Wir kommen sogleich zur dritten Lesung. – Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit Mehrheit angenommen.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Gleiches Recht für alle statt Sonderpflanz Post-Betriebsverfassungsgesetz“.

Wer ist für diesen Entschließungsantrag? – Das ist die Minderheit, abgelehnt.

Abstimmung über Tagesordnungspunkt 3: Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsmarktservicegesetz geändert wird, samt Titel und Eingang in 2039 der Beilagen.

Wer sich dafür ausspricht, den bitte ich um ein Zeichen. – Das ist mit Mehrheit so angenommen.

Wir kommen gleich zur dritten Lesung. – Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit Mehrheit angenommen.


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12.17.42 4. Punkt

Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über die Regierungsvorlage (2030 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Berufs­aus­bildungsgesetz und das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz geändert werden (2037 d.B.)


Präsidentin Doris Bures: Somit gelangen wir zum 4. Punkt unserer heutigen Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Erster Redner ist Abgeordneter Philip Kucher. – Bitte sehr.


12.18.13

Abgeordneter Philip Kucher (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Alle von uns, die mitten in der Coronakrise sozusagen die politische Bewertung vorgenommen haben, haben in unzähligen Wortmeldungen parteiübergreifend immer wieder die große Bedeutung der Pflege zum Ausdruck gebracht und haben von sehr, sehr viel Wertschätzung gesprochen.

Umso enttäuschender ist es für mich, dass heute hier in diesem Haus ÖVP, Grüne und FPÖ gemeinsam ein Zeichen dahin gehend setzen: Das, was die Menschen Tag und Nacht in der Pflege leisten, die Meinung und das Fachwissen dieser Personen sind uns völlig egal. Obwohl sämtliche Lehrstühle in Österreich im Bereich der Pflegewissenschaft, alle Fachgesellschaften im Bereich der Pflege, alle Menschen, die tagtäglich damit zu tun haben, im Bereich der Aus­bil­dung vor einer Pflegelehre in Österreich warnen, gibt es hier im Parlament Parteien, die sagen: Wir wissen es besser! Die Meinung der Menschen in der Pflege ist diesen Parteien völlig egal.

Herr Wirtschaftsminister, ich sage das ganz offen: Wenn in Österreich alle Ärztinnen und Ärzte, alle medizinischen Fachgesellschaften vor einer Operation


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warnen würden, würden Sie dann drüberfahren? Hätten Sie dann den Mut, als Wirtschaftsminister zu sagen: Ich weiß es besser!? Im Bereich der Pflege machen Sie genau das. Können Sie mir eine einzige Fachgesellschaft, einen einzigen Lehrstuhl für Pflegewissenschaft nennen, die das, was Sie jetzt machen wollen, begrüßen?

Von der ÖVP kam heute der Vorschlag: Probieren wir es halt einmal, schauen wir uns an, was wir bei der Pflege machen können! – Das ist genau der Zugang, den wir nicht brauchen. Wir wissen doch alle selber, und gerade die Grünen wissen es und der Gesundheitsminister am allerbesten, dass das, was diese Regierung heute hier vorlegt, nicht richtig ist, dass es nicht richtig ist, den Personalmangel jetzt mit einer Pflegelehre zu bekämpfen. (Beifall bei der SPÖ.)

Das würde man sich in keinem anderen Bereich trauen, aber in der Pflege fährt man über die Menschen in diesem Bereich drüber. Die Freiheitlichen sind ganz vorne mit dabei. Christian Ragger ist seit Jahren einfach der Meinung, wir brauchen eine Pflegelehre. (Abg. Ragger – Beifall spendend –: Bravo! Jawohl! Endlich haben wir das richtig erkannt!) Lieber Christian Ragger, vielleicht wäre es einfach sinnvoll, dass du reingehst in ein Pflegeheim und mit den Menschen redest, die dort arbeiten. (Abg. Ragger: Im Gegensatz zu dir habe ich 64 angesehen!) Die werden dich alle mit dem nassen Fetzen davonjagen, weil du von der Praxis keine Ahnung hast. Das ist leider die Lebensrealität, lieber Christian Ragger. Niemand würde, wenn wir bei der Polizei einen Personalmangel haben, auf die Idee kommen (Ruf bei der FPÖ: Keine Ahnung! Keine Ahnung!), zu sagen: Stecken wir 15-, 16-jährige Burschen und Mädels in eine Polizeiuniform und schaffen wir so eine Ausbildungsmöglichkeit, eine Lehre für Polizistinnen und Polizisten! – Bei der Pflege machen wir es auf einmal. (Zwischenruf des Abg. Obernosterer.)

Wie kann man 15-, 16-jährigen Menschen eine derartig wichtige Aufgabe aufbürden, wenn es viele, viele Alternativen gibt, eine Aufgabe, bei der man alle Phasen des Lebens abdecken muss: von der Betreuung von Babys auf der


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neonatologischen Intensivstation, die instabil sind, über schwer kranke onko­logische Patienten bis hin zu demenzkranken Patienten und Patientinnen auf der Geriatrie? All das bedeutet Pflege!

Alle Fachgesellschaften warnen davor, und die einzige Antwort der ÖVP ist: Muss man halt ein bisschen probieren! – Das aber kostet Vertrauen. Wir sind in Österreich in einer dramatischen Situation. Wir haben in einem massiven Ausmaß Bettensperren quer durch ganz Österreich, weil nicht nur Ärztinnen und Ärzte fehlen, sondern weil vor allem die Pflegekräfte fehlen. Wenn ihr nicht einmal bereit seid, den Menschen, die heute vor der Entscheidung stehen und sich überlegen, ob sie die Ausbildung in der Pflege beginnen oder nicht, wenn ihr nicht einmal den Respekt habt, ihnen zuzuhören und ihre Meinung wertzu­schätzen, was ist das für ein Zugang der Politik, um Menschen Hoffnung zu geben?

Gerade die Grünen müssten dazu etwas sagen. Ich weiß, dass Kollegin Ribo in diesem Bereich lange Zeit dagegen gekämpft hat. Da ist leider Kollegin Maurer umgefallen (Abg. Ribo schüttelt den Kopf) und hat mit August Wöginger hier fachfremd eine Entscheidung getroffen. Das gehört dann leider dazu, aber du weißt, dass das ein Fehler ist. (Abg. Disoski: Ich weiß, dass du Blödsinn redest!)

Und dann kommen die Beispiele, und dann heißt es: Machen wir das, was die Schweizer machen! – Dort beträgt die Drop-out-Rate 50 bis 60 Prozent! Wir haben jede Menge Ausbildungsmöglichkeiten im Bereich der Pflege (Abg. Ragger: Du musst deine Artikel zu Ende lesen!) und übernehmen aus der Schweiz ein Modell, das dort nicht funktioniert, und sagen, wir machen das, obwohl inter­national der Trend in eine ganz, ganz andere Richtung läuft.

Ich bitte wirklich: Wenn wir von Respekt sprechen, wenn wir von Respekt gegenüber Menschen sprechen, die in der Pflege arbeiten, dann kann man nicht drüberfahren. Es gibt keine einzige Fachgesellschaft, die diesen Vorschlag der Regierung begrüßt, keine einzige! Die können ja nicht alle falsch liegen. Die


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Leute, die Tag und Nacht für Patientinnen und Patienten da sind, sagen alle, dass das ein Fehler ist.

Es sitzt auch nicht der Gesundheitsminister hier, sondern es hat der Wirtschafts­minister diese Frage an sich gerissen. Der Wirtschaftsminister entscheidet das plötzlich! Das kann ja kein Zugang sein. (Abg. Obernosterer: Märchenstunde ist schon fertig!) Er hat beim Begutachtungsverfahren den Architektenverein um eine Stellungnahme zur Pflegelehre gebeten und er hat den Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverband vergessen, weil er nicht einmal weiß, wer die Menschen sind, die in diesem Bereich tätig sind. Er wird auch keine einzige Fachgesellschaft nennen können, die sagt, dass sein Vorschlag sinnvoll ist. Es gibt verheerende Stellungnahmen! (Abg. Michael Hammer: Ah geh!)

Man kann ideologisch der Meinung sein, und als Sozialdemokrat werde ich immer für die Lehre sein, aber wenn man es sich in der Praxis anschaut, dann wird klar (Abg. Michael Hammer: Ihr seid einfach gegen alles derzeit!): Es braucht die Mischung aus Theorie und Praxis. – Und welchen Sinn soll es denn machen, zu sagen, die ersten zwei Jahre arbeitet man eh nicht am Patienten? Was hat denn das mit Praxisbezug zu tun? Und, noch einmal: Wir reden da von schwer kranken Menschen. Wenn wir das jungen Menschen von 15, 16 Jahren aufbürden und dann eine Drop-out-Rate haben wie in der Schweiz, wo 50 bis 60 Prozent aufhören (Abg. Ragger: Das stimmt nicht! – Ruf bei der SPÖ: Was stimmt nicht?), dann werden diese Menschen nie mehr in der Pflege tätig sein (Abg. Ragger: Dann lies deine Berichte fertig!), und wir verlieren all diese Menschen.

Ich bitte also noch einmal: Wenn ihr von Respekt gegenüber der Pflege redet, dann hört den Menschen zu, die Tag und Nacht am Krankenbett für uns alle da sind! (Beifall bei der SPÖ.) Bitte stoppt die Pflegelehre! Finden wir andere Alternativen, und gehen wir wirklich einen gemeinsamen Weg mit den Men­schen, die es besser wissen! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Michael Hammer: Das ist kein Klubobmannformat! – Ruf bei der ÖVP: ... sich einmal aufschulen lassen dort! – Abg. Obernosterer: Ich hab’ noch nie was Gescheites gehört vom Kucher! – Abg.


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Kucher – auf dem Weg zu seinem Sitzplatz –: Aber jetzt kannst du einmal nachdenken! – Abg. Obernosterer: Denk einmal du nach: Mea culpa!)

12.24


Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Eva-Maria Himmelbauer.


12.24.10

Abgeordnete Eva-Maria Himmelbauer, BSc (ÖVP): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Personalmangel ist ein omnipräsentes Thema, aber gerade in Gesundheitsberufen – und ich glaube, da sind wir uns ziemlich einig – ist es ein besonders problematisches.

In den letzten Monaten hat diese Bundesregierung, wie auch wir hier im Hohen Haus, viele Maßnahmen beschlossen und gesetzt, um zum einen den in der Pflege tätigen und beschäftigten Personen ihre tatsächlich sehr wertvolle Tätig­keit zu honorieren und zum anderen auch mehr Menschen für diesen Aus­bildungsweg und den Berufszweig Pflege zu begeistern. So gibt es mehr Gehalt ebenso wie eine zusätzliche Entlastungswoche für die beim Bund oder auch in privaten Einrichtungen beschäftigten Pflegekräfte ab ihrem 43. Geburtstag, und das unabhängig davon, wie lange sie schon im Betrieb arbeiten und beschäftigt sind. Das ist eine enorme Entlastung bei einer psychisch und physisch doch sehr belastenden Tätigkeit und reduziert für die dort Beschäftigten auch insgesamt die Arbeitsbelastung.

Uns allen ist aber auch bewusst, dass es, um die Arbeitsbelastung für die Pflege­kräfte insgesamt zu reduzieren und um ihnen auch entgegenzukommen, not­wendig ist, dass wir mehr Beschäftigte in den Bereich der Pflege bringen. Das heißt, ein Schwerpunkt ist auch, die Ausbildung insgesamt zu attraktivieren.

Wir haben da in den letzten Monaten und Jahren gerade auch finanzielle Akzente gesetzt, denn für diejenigen, die sich umschulen lassen wollen, für diejenigen, die sich aufschulen lassen wollen, ist es natürlich auch eine Frage der Leistbarkeit,


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ob sie dies auch machen können. So gibt es einen Ausbildungszuschuss von 600 Euro für diejenigen, die in den Pflegeschulen sind, und ein Pflegestipendium für all jene, die sich vonseiten des AMS bereit erklären, in die Pflege zu gehen.

Heute setzen wir einen weiteren Baustein. Wir geben uns nicht der Illusion hin, dass die Pflegelehre, die uns heute hier zur Beschlussfassung vorliegt, allein die Situation bei den Pflegekräften verbessert, aber sie ist ein wichtiger Bau­stein, um Menschen für den Pflegebereich zu begeistern und auf eine Möglich­keit hinzuweisen, auch in einem sehr frühen Alter in die Ausbildung zu gehen.

Die Lehre wird vier beziehungsweise drei Jahre dauern und mit einem Lehr­abschluss entweder als Pflegefachassistenz oder als Pflegeassistenz enden, und das ermöglicht auch den Zugang zur Ausbildung zum diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger an Fachhochschulen oder Sonstigem. Im vierten Lehrjahr wird es eine Lehrlingsentschädigung von bis zu etwa 1 400 Euro geben. Auch das ist gerade für junge Menschen, die bereits in den Beruf einsteigen wollen, die bereits Geld verdienen wollen, ein sehr wichtiger Faktor: dass sie auch selbst Geld verdienen können.

Wir haben die Kritik im Vorfeld gehört, gerade auch von der Gewerkschaft, wie es Kollege Kucher angesprochen hat, wobei natürlich auch Bedenken geäußert worden sind im Zusammenhang mit Fragen wie: Was dürfen Jugendliche schon am Krankenbett machen? Wie ist die Situation im Umgang mit kranken Menschen? – Wir haben uns da auch an den Schweizern orientiert, die dies­bezüglich klare Jugendschutzrichtlinien etabliert haben. So dürfen Jugendliche beispielsweise bis zum Erreichen des 17. Lebensjahrs Folgendes: fachgerechte Mitwirkung im Rahmen des Medikamentenmanagements, Dispensierung von Medikamenten, jedoch keine Verabreichung, Unterstützung des diplomierten Pflegepersonals durch Bereitstellung von Informationen über die zu Pfle­genden. Das sind schon sehr wertvolle Tätigkeiten, mit denen sie in den Beruf einsteigen können, aber noch nicht gezwungen sind, direkt am Kranken zu arbeiten, und es wird natürlich auch der Aspekt der Fähigkeit berücksichtigt.


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Was wir auch vonseiten der Gewerkschaft gehört haben und was auch aus der Sicht der Pflegeberufe wichtig ist: Es gilt, eine Durchlässigkeit zu schaffen. Auch da ist sichergestellt – ich habe es ja schon erwähnt –, dass der Lehrabschluss dann anschließend auch zum Zugang zu einer Diplomausbildung berechtigt.

Und weil im Ausschuss auch die Kritik gekommen ist: Jetzt beschließen wir das, und ab Herbst soll es dann auch gelten? – Es ist klar, dass bereits Vorarbeiten dazu geleistet werden, um dieses System einer dualen Ausbildung auch bewältigen zu können. Das heißt, dass auch die Berufsschulen entsprechend darauf vorbereitet sind, dass Kooperationen gestaltet werden, um dieses Modell auch gut zu forcieren. Ich nenne als Beispiel Tirol: Dort wird der Unterricht in den allgemein bildenden Pflichtgegenständen in der Berufsschule integriert, und für die fachtheoretischen und fachpraktischen Unterrichtsgegenstände wird derzeit eine Kooperation mit dem Ausbildungszentrum West für Gesundheits­berufe in Innsbruck ausgearbeitet. Da wird also sehr viel Vorarbeit geleistet, damit das auch gut gelingen kann.

Ich glaube, wir sollten auch hier diesem Modell eine gute Chance geben. Die Schweizer zeigen es vor, und auch hier wird damit vielen jungen Menschen ein erfolgreicher Start in den Pflegeberuf ermöglicht werden. – Danke schön. (Beifall bei Abgeordneten der ÖVP sowie der Abgeordneten Disoski und Ribo.)

12.29


Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Fiona Fiedler. – Bitte.


12.29.13

Abgeordnete Fiona Fiedler, BEd (NEOS): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! (Die Begrüßung auch in Gebär­den­sprache ausführend:) Liebe gehörlose Menschen! Eigentlich bin ich es leid, hier am Rednerpult zu stehen und jedes Mal darüber sprechen zu müssen, was die Regierung nicht kann, nicht tut, nicht auf die Reihe bringt, denn ich brauche die


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Energie, die ich dafür aufwenden muss, für wichtigere Dinge. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Das Thema ist heute die Pflegelehre. Die Bedenken, was die Ausbildung betrifft, sind schon von Kollegen Kucher geäußert worden. Im Grunde genommen wünsche ich mir, dass ich unrecht habe, wenn ich sage, dass die Pflegelehre nicht der Schlüssel zum Erfolg ist. Ich wünsche mir, dass wir ausreichend quali­fizierte Pflegerinnen und Pfleger in unserem System haben, die zufrieden ihre Arbeit erledigen können, die ausreichend Zeit für jeden Patienten und jede Patientin haben, die ausreichend Ruhezeiten genießen können, die auch gerne wieder in den Nachtdienst gehen, weil sie sich darauf freuen, Zeit mit den Patienten und Patientinnen verbringen zu können. Ich wünsche mir auch so viel Personal, dass wir ausreichend Ausbildner haben, die dann die eventuellen Pflegelehrlinge gut und vor allem qualitativ hochwertig ausbilden können.

Was ich aber gelernt habe, ist, dass Politik kein Wunschkonzert ist. Wir haben keine drei oder vier Jahre Zeit, um auf diese Lehrlinge zu warten, bis sie dann fertig ausgebildet sind, deswegen brauchen wir jetzt Lösungen. Wir müssen jetzt qualifizierte Personen aus dem Ausland holen, die unsere Pfleger:innen im Inland unterstützen, die sie so entlasten, dass sie die eigentliche Arbeit verrichten können. Die Erleichterung bei den Nostrifikationen habe ich gesehen, ich hoffe, dass es auch so passiert. Was wir aber auch brauchen, ist ein Personalschlüssel, der unseren Patienten gerecht wird, so, dass sie eine qualitativ hochwertige Pflege erfahren; und wir brauchen auch einen Abrechnungskatalog für die mobile Pflege, denn auch da werden Personen gebraucht, damit Menschen so lange wie möglich zu Hause im Umfeld bleiben können. Auch da ist die Pflege­lehre nicht der Schlüssel zum Erfolg. Wir haben diese Zeit nicht, die Pflege steht wirklich am Abgrund, die in der Pflege Tätigen sind überlastet, sie haben die Schnauze im wahrsten Sinne des Wortes voll, gehen aus dem Pflegeberuf, weil sie es einfach nicht mehr schaffen.

Ich wünsche mir, dass ich das nächste Mal hier stehen und sagen kann, was für ein wunderbarer Beruf der Pflegeberuf ist und dass wir ausreichend Personal,


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Pflegerinnen und Pfleger in Österreich haben, um auch andere Menschen zu motivieren, in die Pflege zu gehen und diesen wunderbaren Beruf zu ergreifen. Das brauchen wir – mehr ist dazu nicht zu sagen. – (Den Dank auch in Gebär­densprache ausführend:) Danke. (Beifall bei den NEOS.)

12.32


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Christian Ragger. – Bitte. (Abg. Obernosterer: Jetzt erklär einmal, wie das geht!)


12.32.38

Abgeordneter Mag. Christian Ragger (FPÖ): Sehr geehrter Herr Minister! Geschätzte Frau Präsidentin! Liebes Auditorium! Ich glaube, dass das heute ein wichtiger Schritt ist, nachdem wir im Jahre 2017 gemeinsam mit der ÖVP diesen Ansatz geprägt haben, einen weiteren Ausbildungsteil herbeizuziehen.

Ich verstehe das sehr gut, dass die SPÖ ideologisch geprägt dagegen ist, aber sie hat bis zum heutigen Tag auch nicht verstanden, was Pflege bedeutet. – Wenn du da heraußen stehst, Philip, und sagst, es wird alles schlecht sein, wenn wir eine Pflegelehre einführen, dann verkennt die SPÖ Altwerden mit einer Krank­heit (Abg. Kucher: Das sagen alle Fachgesellschaften! Nicht ich! Alle Fachgesell­schaften!), und das ist der Fehler in der Einschätzung.

Ihr habt bis zum heutigen Tag nicht verstanden, warum wir eine Pflegediskussion haben: weil wir 75 000 Menschen, die letztendlich in die Ausbildung gehören, nicht dort haben; weil ihr nur eines fokussiert: Ihr nehmt die Akademisierung heraus, schaut euch aber nicht an, was heute in einer Pflege und einer Pflege­aus­bildung passiert. Und das ist euer Kernproblem.

Das war schon euer Kernproblem unter Rudi Hundstorfer, als wir zusammen­gesessen sind und mit der ersten Vorarlberger Landesrätin, aber auch mit der Landeshauptfrau von Niederösterreich darüber gesprochen haben, weil ihr immer nur euren Bereichen, eurer eigenen ideologischen Struktur verhaftet seid. (Beifall bei FPÖ und ÖVP. – Abg. Kucher – ein mehrseitiges Schriftstück in die Höhe


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haltend –: Alle Fachgesellschaften! Aber du weißt es besser!) – Nein! Schaut euch heute die Entwicklung in der Pflege an! Ich kann mich an Zeiten erinnern, in denen es einfach nur darum gegangen ist, Sozialdemokraten in ihren Sozialbe­reichen zu versorgen, damit man irgendwo in der Pflege dort oder da ein Alters- oder ein Pflegeheim hingeben kann.

Das ist nicht der Zugang! Die Pflegelehre ist der erste Schritt (Abg. Kucher: Wer sagt das? – Abg. Kassegger: Wir sagen das!); und hört doch endlich einmal mit eurer Mär auf, dass es da eine so hohe Drop-out-Rate gibt! Beginnt doch bitte damit, die Artikel ordentlich zu lesen! Ich empfehle dir auch den Artikel vom „Kurier“ aus dem Jahre 2020, da steht es auch explizit drinnen, dann müsst ihr nicht immer dagegenhalten. Weißt du, was in der Schweiz passiert? Dort gibt es Abschlüsse in der Höhe von 4 500 Lehrlingen pro Jahr. Natürlich gibt es eine Drop-out-Rate von einem Drittel, aber warum? Da musst du die Ausführungen dazu fertig lesen! – Weil sie sich aufschulen lassen! Sie lassen sich aufschulen, sie verbessern sich, sie gehen in die Assistenz (Zwischenruf des Abg. Matznetter), sie gehen in den diplomierten Bereich, sie gehen sogar so weit, dass sie akade­mi­siert werden (Abg. Kucher: Hör auf! Hör zur Gänze auf!), und das ist der Unterschied. Lies diesen Artikel zu Ende, dann weißt du, dass 80 Prozent der in der Pflege Ausgebildeten in der Schweiz in diesem Beruf bleiben, und das ist der Unterschied! Wenn wir das auf Österreich umlegen, dann werden wir 7 000 Pflegekräfte neu dazugewinnen können, und wenn wir bis 2030 rund 75 000 zu wenig haben, dann ist es nicht so, dass man irgendwelche Vietnamesen oder Kolumbianer oder irgendwelche Karibikleute importieren muss (Abg. Matznetter: Darum geht’s doch nicht!), sondern wir werden das erste Mal seit Langem wieder unsere eigenen Menschen einsetzen und unseren jungen Menschen eine Alternative in der Pflege geben können. – Das ist der erste Punkt. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Matznetter: Die Herkunft ...!)

Der zweite Punkt ist die Bezahlung. Wenn man sagt, das muss alles über die diplomierten Dienste abgewickelt werden: Man kann gerne einmal die Stellungnahme der diplomierten Kräfte einholen, aber man wird für die Pflege


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einmal eine neue Gehaltspyramide machen müssen und einen neuen Ansatz schaffen, sodass es auch einen Wert hat, in diesem Bereich zu arbeiten. Das ist die Grundlage, und das ist auch jetzt der Fehler und die Kritik am Minister gewesen, dass er diese Menschen viel zu niedrig einstuft, denn wenn man 650 Euro bis zu 1 500 Euro vom ersten bis zum dritten Lehrjahr bekommt, dann ist das der falsche Ansatz. Die Abgeltung muss höher sein, sonst wird man diesen Beruf nicht attraktiv gestalten können.

Ein zweites wesentliches Element ist – und das Problem habt ihr selber geschaf­fen und damit in dieser Republik einen volkswirtschaftlichen Schaden angerichtet, der unfassbar ist –, dass derzeit probiert wird, alle im Pflegeheim zu versorgen, anstatt dass wir so vorgehen, dass wir sagen: Wir unterstützen die mobilen Dienste, wir unterstützen die Übergangspflege, wir unterstützen heute!

Ihr (in Richtung SPÖ) seid beim Forum Alpbach immer alle brav und dick dagesessen und habt euch sogar den Schwerpunkt über Ambient Assisted Living angehört, das die EU seit fünf Jahren unterstützt. Ich habe noch keinen Ansatz von euch dazu gesehen, was man heute machen könnte, um ältere Menschen länger zu Hause zu versorgen und zu pflegen – das gibt es bei euch nicht! In keinem sozialdemokratisch geführten Bundesland gibt es das – nicht einmal im Ansatz. (Abg. Kucher: Die Frau Hartinger-Klein hat den übrigens nie vorgelegt!) Ich lade euch aber gerne ein, euch das in anderen Ländern anzuschauen, denn das würde eine Entlastung bringen, auch vom volkswirtschaftlichen Aspekt her. Das sind alles Ansätze, die ihr einfach jedes Mal so vom Tisch wischt.

Faktum ist: Diese Pflegelehre ist ein Schritt hin zur Veredelung im Ausbildungs­prozess (Abg. Kucher: Wer sagt das?) – Lehre, Assistenz, diplomierter Dienst und heute auch alle unterstützenden Fachhochschulen –, die für diesen Pflegeberuf einfach vor Ort und auch in dieser Struktur geschaffen werden muss. Daher, bei aller Kritik daran, wie man die Pflegelehre einführt: Sie ist einer der wesentlichen neuen Schritte in Österreich, damit wir eine Versorgungssicherheit umsetzen und gewährleisten können, und das wird man zur Kenntnis nehmen müssen. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)


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Dementsprechend darf ich noch einen Entschließungsantrag einbringen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Christian Ragger, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Leistungsorientierte Lehrlingsentschädigung für Absolventen der Pflegelehre“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Soziales, Gesund­heit, Pflege und Konsumentenschutz, wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage zuzuleiten, die folgende Eckpunkte umfasst:

– Die gesetzliche Festlegung einer Mindestlehrlingsentschädigung im Ausmaß von 900 Euro brutto im ersten und 2.000 Euro brutto im letzten Lehrjahr für Absolventen der Pflegelehre

– Die Berücksichtigung der Absolventen der Pflegelehre bei zukünftigen Pflegeprämien des Bundes und der Länder

– Die Gewährleistung der berufsrechtlichen Durchlässigkeit des Ausbildungs­moduls der Pflegelehre zur Pflegeassistenz beziehungsweise Pflegefachassistenz im Gesamtaufbau der Pflegeausbildung bei den einzelnen Qualifikationen“

*****

Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

12.38

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Christian Ragger, Rosa Ecker, MA, Mag. Gerhard Kaniak, Maximilian Linder

und weiterer Abgeordneter


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betreffend Leistungsorientierte Lehrlingsentschädigung für Absolventen der Pflegelehre

eingebracht im Zuge der Verhandlung über die Debatte zu Top 4) Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über die Regierungsvorlage

(2030 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Berufsausbildungsgesetz und das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz geändert werden (2037 d.B.) in der 215. Sitzung des Nationalrats am 25. Mai 2023.

Mit dem Bundesgesetz, mit dem das Berufsausbildungsgesetz und das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz geändert werden, wird nach vielen Jahren der Diskussion endlich das neue Ausbildungsmodul der Pflegelehre eingeführt:1

Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie

über die Regierungsvorlage (2030 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Berufsausbildungsgesetz und das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz geändert werden

Mit dem vorgeschlagenen Gesetzentwurf soll die eine duale Berufsausbildung nach dem Berufsausbildungsgesetz zum Erwerb eines Abschlusses zur Pflegeassistenz oder zur Pflegefachassistenz nach Erfüllung der Schulpflicht ermöglicht werden. Damit werden ergänzend zu den bestehenden Ausbildungsmöglichkeiten neue Optionen geschaffen.

In der Schweiz wurde bereits im Jahr 2003 eine duale Ausbildung im Gesund­heitswesen (Fachmann / Fachfrau Gesundheit) eingeführt, die zahlenmäßig an dritter Stelle sowohl der Lehrausbildungen als auch bei den Abschlüssen liegt (vgl. Merçay/Grünig/Dolder, Gesundheitspersonal in der Schweiz – Nationaler Versor­gungsbericht 2021, Obsan Bericht 03/2021). Mit der dualen Ausbildung als neue Form der beruflichen Erstausbildung der Sekundarstufe II sollen neue Perspektiven für interessierte Jugendliche und junge Erwachsene mit durchlässigen Bildungspfaden bis hin zum gehobenen Dienst der Gesundheits- und Krankenpflege geschaffen werden.


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Im Hinblick auf die Anforderungen an den Berufsschulunterricht für die Lehrberufe in den Pflegeassistenzberufen, insbesondere die Unterrichtserteilung nach den Standards der Pflegeassistenzberufe Ausbildungsverordnung – PA-PFA-AV, BGBl. II Nr. 301/2016, sollen weiters das Schulorganisationsgesetz und das Pflichtschul­erhaltungs-Grundsatzgesetz im Rahmen eines gesonderten Gesetzgebungsverfahrens angepasst werden.

Der Ausschuss für Wirtschaft, Industrie und Energie hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 10. Mai 2023 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneten Eva-Maria Himmelbauer, BSc die Abgeordneten Dr. Christoph Matznetter, Mag. Christian Ragger, Bedrana Ribo, MA, Mag. Julia Seidl sowie der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Mag. Dr. Martin Kocher.

Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf mit Stimmenmehrheit (dafür: V, F, G, dagegen: S, N) beschlossen.

Für die FPÖ ist eine leistungsorientierte Lehrlingsentschädigung für Absolventen dieser neu eingeführten Pflegelehre ein entscheidender Eckpunkt für den Erfolg dieses neuen Ausbildungsmoduls:2

Für den freiheitlichen Nationalratsabgeordneten Christian Ragger ist es ein Meilenstein in der österreichischen Pflegepolitik, dass die schwarz-grüne Bundes­regierung endlich eine langjährige freiheitliche Forderung umsetzt: „Zur Begegnung des Fachkräftemangels, wo wir bis 2030 zwischen 75.000 und 100.00 neue Pflegerinnen und Pfleger brauchen, gibt es keine einfachen Lösungen und auch die neue Lehre zur Pflegeassistenz beziehungsweise Pflegefachassistenz ist nur ein Mosaikstein. Sie ist aber ein Schlüsselmoment, wenn es darum geht, das Ausbil­dungsangebot zu erweitern und einem breiten Kreis zugänglich zu machen. Die Schweiz zeigt seit 2004 vor, dass der Versorgungsgrad durch die dort zweitbelieb­teste Lehre entschieden gestiegen ist“, sagte Ragger.


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Die Lehrlingsentschädigung müsse sich aber an körperlich fordernden Berufen orientieren: „Es wurde kolportiert, dass Lehrlinge mit lediglich 650 im ersten und 1.500 Euro brutto im letzten Lehrjahr zu rechnen hätten. Wenn wir wirklich engagierte Menschen bekommen wollen, die anpacken können, so muss man sich an Berufe wie Maurer, Installateur und Fliesenleger halten – und da sind wir dann bei 900 im ersten und 2.000 Euro brutto im letzten Lehrjahr. Der Pflegeberuf ist hart und auch emotional fordernd, weshalb vernünftig abgegolten werden muss“, erklärte Ragger.

ÖVP und Grüne haben mit der nur brutto ausgezahlten „Pflegeprämie“ für Negativschlagzeilen gesorgt. Von 2.000 Euro bar auf die Hand war man da weit entfernt. „Wer verspricht, muss halten. Es geht nicht an, die Menschen vor den Kopf zu stoßen. Die Pflegeprämie soll nicht nur auf alle Berufe mit Pflegebezug – etwa auch Behindertenbetreuer - ausgeweitet werden, sondern auch ein finanzielles ‚Dankeschön‘ für den unermüdlichen Einsatz bedeuten und entlasten. Dazu ist es wichtig, dass auch die Lehrlinge von Beginn an umfassend profitieren sollen. Und wenn etwa die Ärztekammer hergeht und eine ‚Bleibeprämie‘ in Höhe von 24.000 Euro für zwei Jahre fordert, so muss auch bei Pflegekräften deutlich nach oben korrigiert werden“, stellte Ragger klar.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage zuzuleiten, die folgende Eckpunkte umfasst:

•          Die gesetzliche Festlegung einer Mindestlehrlingsentschädigung im Ausmaß von 900 Euro brutto im ersten und 2.000 Euro brutto im letzten Lehrjahr für Absolventen der Pflegelehre


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•          Die Berücksichtigung der Absolventen der Pflegelehre bei zukünftigen Pflegeprämien des Bundes und der Länder

•          Die Gewährleistung der berufsrechtlichen Durchlässigkeit des Ausbildungs­moduls der Pflegelehre zur Pflegeassistenz beziehungsweise Pflegefachassistenz im Gesamtaufbau der Pflegeausbildung bei den einzelnen Qualifikationen“

1 https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/I/2037/fnameorig_1559064.html

2 https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20230515_OTS0101/fpoe-ragger-die-pflegelehre-muss-auch-finanziell-attraktiv-sein

*****


Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß einge­bracht und steht somit mit in Verhandlung.

Herr Abgeordneter Josef Muchitsch, Sie gelangen zu Wort. – Bitte.


12.38.57

Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Wenn man Abgeordnetem Christian Ragger jetzt zugehört hat, hat man schon auch zwischen den Zeilen lesen können, dass es für das, worum es hier geht – diese ganze Problematik im Pflegebereich zu lösen –, einfach zu wenige Schritte gibt und dass das, was gestern als sogenannter Teil zwei einer angeblichen Pflegereform präsentiert wurde, eindeutig zu wenig ist.

Von einem Teil zwei der Pflegereform kann man allerdings nicht sprechen. Das sagt jetzt nicht der Muchitsch, das sagt die Frau Direktorin der Diakonie, Maria Katharina Moser, und sie sagt weiter, diese Maßnahmen seien „lediglich als Ergänzungen zum Reformpaket 2022“ zu bewerten. Frau Moser sagt weiter: „Was fehlt, ist der Blick aufs Ganze, ein Herumdoktern an Einzelmaßnahmen ist zu wenig.“


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Genau so ist jetzt auch die Situation mit der Pflegelehre: Hier wird etwas zu präsentieren versucht, das die ganz große Lösung sein soll. Während die Personalnot in den Pflegehäusern und in den Spitälern immer größer wird und die Personalsituation dort immer dramatischer wird, beschränken Sie sich darauf, eine Pflegelehre mit einer längeren Ausbildung einzuführen, und sagen: Damit werden wir das Problem schon besser lösen können! – Das ist nicht unser Ansatz, und wir werden deswegen auch gegen diesen Entwurf stimmen, und ich sage Ihnen auch warum.

Wir lehnen das wirklich ab, weil es ausreichende Alternativen und bestehende Strukturen gibt. Junge Menschen haben nach Abschluss der allgemeinen Schulpflicht die Möglichkeit, Fachschulen mit dem Schwerpunkt Gesundheit und Soziales zu besuchen und danach die klassische Ausbildung in der Pflegeassis­tenz im Rahmen von ein bis zwei Jahren zu machen. Genau dort müssen wir ansetzen und genau dort müssen wir auch investieren, weil das Sinn macht. Dort gibt es bestehende Strukturen, die bereits funktionieren. (Beifall bei der SPÖ.)

Ein weiterer Kritikpunkt: Ihr Gesetzentwurf sieht keine Durchlässigkeit und Anrechnung der Pflegelehre vor, wenn man in eine andere Ausbildungsform umsteigen möchte. Was heißt das jetzt zum Beispiel? – Ein junger Mensch macht die Ausbildung zur Pflegefachassistenz, so wie Sie es vorschlagen, aber der junge Mensch schafft diese Ausbildung nicht und möchte dann in die Pflegeassistenz umsteigen. Das ist bei diesem Gesetzentwurf nicht möglich. Wenn ich da auf die Unternehmerseite schaue: Wir haben über 200 Lehrberufe in Österreich, bei denen es beim Umstieg in andere verwandte Lehrberufe eine Anrechnung gibt. Bei diesem Beruf habt ihr es nicht gemacht. Warum habt ihr das nicht gemacht? Warum ist das nicht möglich?

Das Schweizer Modell ist schon angesprochen worden. Ob das Schweizer Modell jetzt von Christian Ragger oder von Philip Kucher richtig dargestellt wurde – wisst ihr, was das Wesentliche ist? Und da hat Philip Kucher recht: Redet mit den Menschen, die schon jahrzehntelang in der Pflege tätig sind! (Abg.


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Kassegger: Und das tut der Ragger nicht, oder was? – Abg. Kucher: Nein, er weiß es ja besser, er muss ja nicht zuhören! – Abg. Kassegger: Das tut er nicht, der ist 15 Jahre - -! Was soll das?! – Abg. Ragger: Das stimmt ja nicht! Dann geh mit mir in ein Pflegeheim! – Abg. Kassegger: Dann geh einmal mit ihm mit!) Redet mit diesen Menschen und fragt sie, was sie von eurem Vorschlag eines Lehrberufs in der Pflege halten!

Christian Ragger, weißt du, was eine 55-jährige Pflegerin zu mir gesagt hat? – Die war auf Besuch, als wir da unten diskutiert haben, und die hat gesagt: Es ist schön, wie ihr über Pflegebonus, über Zusatzurlaubswochen diskutiert, das ist alles schön, aber wisst ihr, was das Wichtigste ist? – Wir brauchen mehr Pflegekräfte (Ruf bei der ÖVP: Eben!), aber nicht in Form von jungen Menschen, die da hineingedrängt werden (Abg. Obernosterer: Ach so! Sollen wir 30-Jährige herzaubern?), die das psychisch und physisch nicht schaffen. (Beifall bei der SPÖ.) Die schaffen das nicht, und das ist die Botschaft. (Abg. Ragger: ... Pflegeheime in der Steiermark sind halb leer!)

Wir brauchen insgesamt in der ganzen Pflegeproblematik – du hast es angeschnitten – wirklich wirksame Maßnahmen. Ich bringe daher folgenden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen betreffend „endlich wirksame Maßnahmen gegen den Pflegepersonalmangel setzen“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz und der Bundesminister für Finanzen werden aufgefordert, umgehend Maß­nahmen zur Verbesserung der Personalsituation im Pflegebereich zu ergreifen. Insbesondere muss eine echte Ausbildungsreform angegangen werden, indem die Ausbildung zu einem Pflegeberuf, ähnlich anderen Ausbildungen (z.B. Polizei), durch echte Entlohnung attraktiviert und eine Arbeitsplatzgarantie


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nach der Ausbildung geschaffen wird. Die Ausbildungsplätze müssen aufge­stockt und kostenfrei gestellt werden. Zusätzlich müssen weitere finanzielle Mittel für höhere Entlohnung und Verbesserungen der Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal zur Verfügung gestellt werden.“

*****

Wenn ihr diesem Antrag zustimmt, dann geht in der Pflegegeschichte wirklich etwas weiter. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Obernosterer: Das kann ich mir vorstellen! ...!)

12.44

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Philip Kucher, Josef Muchitsch, Genossinnen und Genossen

betreffend endlich wirksame Maßnahmen gegen den Pflegepersonalmangel setzen

eingebracht im Zuge der Debatte zum Bericht des Wirtschaftsausschusses über ein Bundesgesetz, mit dem das Berufsausbildungsgesetz und das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz geändert werden (2037 d.B.)

Rund ein Jahr nach dem Beschluss der, von der Regierung als größte der letzten Jahrzehnte bezeichneten, Pflegereform wird klar: das kann doch nicht alles sein, jetzt muss es dringend weitergehen. Es braucht langfristige Lösungen, eine Harmonisierung der Pflegelandschaft in Österreich sowie eine Personal- und Ausbildungsoffensive, denn die Pflegekrise ist nicht beendet.

Die Sicherstellung einer menschenwürdigen und hochwertigen Pflege nach dem Stand der Pflegewissenschaft und Medizin sowie die Unterstützung von pflegebedürftigen Menschen und deren Angehörigen müssen in Österreich höchste Priorität haben. Nach der Bevölkerungsprognose wird der Anteil der über 80-Jährigen bis zum Jahr 2030 von derzeit 5 Prozent auf 6,8 Prozent angestiegen sein. Bedingt durch diese


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Verschiebung der Altersstruktur in der Bevölkerung sagen sämtliche Studien und Prognosen für die nächsten Jahre einen steigenden Bedarf an Pflegepersonen voraus.

In unserer alternden Gesellschaft steigt der Bedarf schneller als Absolventen der Pflegeausbildung nachrücken. Bis 2030 werden 75.000 bis 100.000 Pflege- und Betreuungskräfte fehlen, außerdem steht auch in diesem Fachbereich eine Pensionierungswelle an.

Die Pandemie hat zusätzlich die Dropout-Quoten ansteigen lassen und die Teuerung hat pflegende Angehörige vor weitere Herausforderungen gestellt. Ziel muss es sein, möglichst viele Menschen für die Pflege zu gewinnen und im Beruf zu halten.

Die Befristung von Ausbildungs- und Gehaltsboni auf zwei bzw. drei Jahre trägt dazu allerdings nicht bei.

Bis zum Jahr 2050 ist in Österreich mit einem Anstieg pflegebedürftiger Menschen von derzeit 450.000 auf 750.000 Menschen zu rechnen.

Das derzeit beschäftigte Pflegepersonal ist bereits physisch und psychisch extrem belastet. Mehrere hundert Stellen können gar nicht besetzt werden. Der Mitar­beitermangel trifft auch Pflegeeinrichtungen im ganzen Land. Immer mehr Pflegehäuser und Einrichtungen haben mit Personalnot zu kämpfen, sodass es zwar die Betten, nicht aber die dafür nötigen Pflegekräfte gibt.

Die Pflegepersonalsituation in den Spitälern ist ähnlich dramatisch. Beispielsweise sind knapp zehn Prozent der Betten in Oberösterreichs Spitälern aktuell gesperrt, das sind in Zahlen ausgedrückt 720 von 7.927 Betten. Der Grund: Personalnot.

Ein weiteres Ausbildungsmodell für Pflegeassistenzberufe, nämlich die Pflegelehre, ist nicht sinnvoll, da die bestehenden Strukturen schon ausreichende Alternativen für Interessent*innen vorsehen. Bereits jetzt gibt es für die Zielgruppe („Pflege ab 14“) nach Abschluss der allgemeinen Schulpflicht die Möglichkeit Fachschulen mit Schwer­punkt Gesundheit oder Soziales zu besuchen, um die Zeit bis zur „klassischen“ PA-


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bzw. PFA-Ausbildung zu überbrücken. Der Mehrwert der vorgeschlagenen Lehrberufe ist nicht ersichtlich, dauern diese doch jeweils zwei Jahre länger als die klassischen Ausbildungen (ein Jahr PF, zwei Jahre PFA). Die Vermutung liegt nahe, dass junge Menschen als billige Arbeitskräfte über einen längeren Zeitraum ins System gebracht werden sollen.

Es braucht daher sofort eine echte Ausbildungsoffensive, mit der z.B. Personen, die eine Pflegeausbildung machen, eine Entlohnung (ähnlich den Polizeischülern) angeboten wird, mit der auch die Fachhochschulbeiträge erlassen und weitere Anreize geboten werden (z. B. Arbeitsplatzgarantie nach der Ausbildung).

Um einen Beruf mit Zukunftschancen zu ergreifen, ist es auch wichtig, dass die Arbeitsbedingungen ansprechend sind. Gerade die letzten Jahre der Gesundheitskrise haben uns gezeigt, dass Pflegekräfte oft unter dramatischen Bedingungen ihre Arbeit erbringen müssen. Es braucht daher einen Personalbedarfsschlüssel und mehr finanzielle Mittel, um ausreichend Personal beschäftigen zu können.

Es bedarf aber auch attraktiver Arbeitsplätze durch bessere Arbeitsbedingungen: faire Bezahlung und langfristig lebbare Arbeitszeitmodelle: z.B. Bonus für schlechte Arbeitszeit-Lage oder eine echte zusätzliche Erholungswoche. Damit kann auch die Drop-Out-Rate erheblich reduziert werden.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen nachfolgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz und der Bundesminister für Finanzen werden aufgefordert, umgehend Maßnahmen zur Verbesserung der Personalsituation im Pflegebereich zu ergreifen. Insbesondere muss eine echte Ausbildungsreform angegangen werden, indem die Ausbildung zu einem Pflegeberuf, ähnlich anderen Ausbildungen (z. B. Polizei), durch echte Entlohnung attraktiviert und eine Arbeitsplatzgarantie nach der Ausbildung geschaffen wird. Die


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Ausbildungsplätze müssen aufgestockt und kostenfrei gestellt werden. Zusätzlich müssen weitere finanzielle Mittel für höhere Entlohnung und Verbesserungen der Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal zur Verfügung gestellt werden.“

*****


Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht.

Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Bedrana Ribo. – Bitte.


12.44.21

Abgeordnete Bedrana Ribo, MA (Grüne): Frau Präsidentin! Geschätzter Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseher:innen hier auf der Galerie und natürlich auch zu Hause vor den Bildschirmen! Wie glaubhaft ist es, wenn Kollege Kucher, wenn die SPÖ sich hierherstellt und sagt: Hören wir doch auf die Menschen aus der Pflege!? – Vor zwei Wochen, am 10. Mai, hat der Bundesrat – Vorsitz: Burgenland, ist gleich SPÖ – hier in diesem Haus eine Enquete zum Thema Pflege veranstaltet. (Abg. Michael Hammer: Das ist aber eine andere SPÖ!) Und wer war nicht eingeladen? – Der ÖGKV. Die größte nationale berufspolitische Vertretung der professionellen Pflege war bei dieser Enquete nicht eingeladen. Erst auf Protest hin, auf starken Protest hin hat man sie zwei Tage vor der Veranstaltung noch eingeladen. (Zwischenruf der Abg. Erasim.) Also bitte, wenn wir schon von Respekt reden: Ich verstehe unter respektvoll etwas anderes. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Mich freut es sehr, dass ich heute über die Pflege reden darf, denn es sind wich­tige Tage für die Pflege in Österreich. Wir haben erst gestern das zweite Paket der Pflegereform – ja, und es ist ein großartiges Paket geworden – vor­gestellt. Ich möchte mich auch an dieser Stelle bei allen, die das möglich gemacht haben, bedanken. Diesmal wurde der Fokus stark auf die Verbesserung der 24-Stunden-Betreuung gelegt, aber natürlich gibt es auch weitere Maßnah­men für verbes­serte Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte.


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Wir haben die Pflegereform, die größte Pflegereform der letzten Jahrzehnte, letztes Jahr im Mai vorgestellt. Vieles haben wir angekündigt, hier beschlossen und vieles ist bereits in Umsetzung, und auch die Ergebnisse sind sichtbar.

Kollege Kucher! Lange, lange wurde bei der Pflege weggesehen. Ich erinnere ganz kurz – auch Kollege Muchitsch hat es gerade vorhin gesagt –: Es fehlt der Durchblick, es fehlt der große „Blick aufs Ganze“. 30 Jahre lang hattet ihr Zeit, diesen großen Blick zu finden – ihr habt es nicht gemacht. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Ihr habt weggeschaut! Viele, viele Jahre lang habt ihr im Bereich der Pflege weggeschaut, und jetzt stellt ihr euch hierher und sagt: Wow, wir haben so eine schwierige Situation in der Pflege, uns fehlen die Pflegekräfte, uns fehlen bis 2030 über 100 000 Menschen in der Pflege! – Ja, das hat man vor zehn Jahren auch gewusst. Aber was wurde gemacht? – Nicht viel. Aber wir machen etwas. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Kucher: Der Unter­schied ist: Wir haben gekämpft!)

Wir machen etwas. Eine Investition in ein breites Ausbildungsangebot ist unumgänglich. Mir wurde einmal von meiner Mama gesagt: Alles, was du lernst, kann dir niemand mehr wegnehmen. Und das stimmt. Mit der Pflegelehre wird ein weiterer wichtiger Hebel gegen den Pflegekräftemangel gesetzt. Mit einem – und bitte jetzt genau zuhören – angepassten Curriculum für Jugendliche wird über Ausbildungsverbunde eine altersadäquate Ausbildung geschaffen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Rufe und Gegenrufe zwischen den Abgeordneten Kucher und Ragger.)

Und ja, wir kennen die Bedenken, natürlich kennen wir die Bedenken. Wir haben uns ja auch das Modell in der Schweiz angeschaut, genau analysiert, und wir hoffen, dass wir es besser machen werden.

Auch was die mangelnde Durchlässigkeit, die hier jetzt kritisiert wurde, betrifft: Das stimmt einfach nicht. Genau das war uns total wichtig, dass wir da eine


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Durchlässigkeit schaffen, dass jemand, der die vierjährige Pflegeausbildung nicht schafft, eben auf die dreijährige umsteigen kann. (Zwischenruf des Abg. Matznetter.) Die Durchlässigkeit war uns in allen Ausbildungsangeboten ein wichtiges Anliegen.

Noch eines hier in aller Deutlichkeit: Niemand – niemand! – muss die Pflegelehre machen. Es gibt so viele andere Alternativen. Wir haben die drei- und fünf­jäh­rigen Schulen ins Regelschulwesen überführt. Das heißt, dort können die Schülerinnen – es sind nach wie vor viele Frauen, weil Pflege eben weiblich ist – Fachqualifikation erwerben und mit Matura abschließen. Somit ist eben auch dort die Durchlässigkeit gegeben, damit für die Frauen eine Karriere in der Pflege möglich ist.

Wir schaffen Angebot und – wie heißt es? – Angebot schafft Nachfrage. Durch die Schaffung dieser vielen Angebote ist es wirklich für jeden und jede sehr niederschwellig möglich, in die Pflege reinzukommen, dort Fuß zu fassen – sei es durch ein Studium, sei es durch das Pflegestipendium, durch die drei- oder fünfjährigen Schulen oder eben durch die Pflegelehre. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wir können es uns nicht leisten, ganz ehrlich, Kollege, wir können es uns nicht leisten, auf der einen Seite zu sagen, uns fehlen 100 000 Menschen in der Pflege (Abg. Kucher: Jetzt tun wir irgendwas!), und auf der anderen Seite nicht alles, alles Mögliche dafür zu tun, damit wir diese Menschen eben bekommen. (Abg. Kucher: Welche Fachgesellschaft kannst du nennen, die deinen Weg unterstützt? Wer unterstützt euren Weg?) Ein Teil davon ist die Pflegelehre, und ich freue mich, dass wir das heute hier beschließen. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Kucher: Du hast dich opfern müssen, das sehe ich! – Abg. Ribo – auf dem Weg zu ihrem Sitzplatz –: Das stimmt nicht!)

12.49


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Klaus Köchl. – Bitte.



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12.49.46

Abgeordneter Klaus Köchl (SPÖ): Geschätzte Präsidentin! Geschätzter Herr Minister! Hohes Haus! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist jetzt schon sehr viel darüber gesprochen worden. Es wird eine Lehre – zwei Jahre, vier Jahre – in einem Bereich geben, über die in der Vergangenheit eigentlich niemand nachgedacht hat, nämlich dass junge Leute mit 15 Jahren einen Pflegeberuf lernen können, weil man genau gewusst hat, dass das einfach nicht sinnvoll ist, dass man Jugendliche so einer Belastung aussetzt (Zwischenrufe der Abge­ord­neten Hörl und Zopf), wobei – das ist vielleicht das einzig Richtige – der Jugendliche zwei Jahre lang nicht am Krankenbett arbeiten darf. Damit sagt ihr ja schon selber, dass er zu jung ist, um seine Lehre richtig machen zu können. Was wird denn der im Prinzip die zwei Jahre machen? (Abg. Obernosterer: Vielleicht kann man mal was positiv sehen!) – Er wird putzen. Ihr schafft so billige Arbeitskräfte (Abg. Obernosterer: Ich weiß nicht, jetzt geht’s ja Tag und Nacht ...!), so wie euch von der ÖVP das immer am besten passt. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Kucher: Deswegen ist der Wirtschaftsminister da!)

Ihr macht billige Arbeitskräfte aus diesen Lehrlingen, die dann halt ganz einfach putzen werden, abwaschen werden oder – keine Ahnung. Wie soll denn das gehen? Es gibt Ausbildner in Pflegeheimen, Arbeiterinnen und Arbeiter, die jetzt schon so ausgebrannt sind, dass sie das gar nicht mehr schaffen. Die sind psychisch überlastet. Die Coronakrise hat das verursacht, dass die Leute von dort einfach weggehen, dass sie sagen: Ich schaffe das nicht mehr!

Profis schaffen es nicht mehr, und jetzt sollen das 15-jährige Jugendliche machen. Ich verstehe euren Weg wirklich nicht. (Abg. Obernosterer: Ich glaube, arbeiten ist inzwischen überhaupt nicht mehr ertragbar, oder?) Ich denke mir halt, es war schon in der Vergangenheit so, dass man das nicht gemacht hat. Man hat ja jetzt Ausbildungsstätten genug. Es gibt genug Möglichkeiten mit 17 Jahren, dass sie das machen können. Da braucht man die Lehrlinge nicht dort hinzuführen, nur weil ihr ganz einfach wollt, dass es dort billige Arbeitskräfte gibt. (Abg. Obernosterer: Was red’st denn für einen Blödsinn zusammen!?) – Es ist ja genau so!


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Das sind billige Arbeitskräfte, die ihr da schafft. (Abg. Obernosterer: Bitte schön, kommt einmal wieder auf den Boden der Tatsachen runter!)

Ich kann euch heute schon prophezeien, dass in den nächsten Jahren all jene, die ausgebildet werden (Abg. Obernosterer: Sag das dem Parteivorstand!), von dort wieder weggehen werden, weil sie ausgebrannt sein werden. Macht jetzt etwas für die, die bei uns im Land pflegen, bezahlt die anständig! Schaut, dass das passt! (Abg. Obernosterer: Hast das dem Kaiser in Kärnten schon gesagt? Hast du es ihm schon gesagt?) Ihr versäumt da ganz einfach wesentliche Dinge; aber so wie immer bei der ÖVP: Billigarbeitskräfte, das ist das Wichtigste für euch. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Obernosterer: Hast du daheim schon gesagt, oder? – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

12.52


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Kurt Egger. – Bitte.


12.52.25

Abgeordneter Mag. (FH) Kurt Egger (ÖVP): Frau Präsidentin! Herr Bundes­minis­ter! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseherinnen und Zuseher im Saal und zu Hause via Livestream! Ganz besonders darf ich die Senioren­bundgruppe aus Waidhofen an der Thaya begrüßen. – Herzlich willkommen! (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten von SPÖ, Grünen und NEOS. – Ruf bei der SPÖ: Das ist eine ÖVP-Organisation!)

Wir besprechen heute eine weitere Maßnahme des Pflegepakets. Wir sind uns, glaube ich, in der Zielsetzung insofern einig, als dass wir die notwendige Lücke, die es im Pflegebereich gibt, zu schließen haben. Ich bin dann aber schon etwas überrascht, wenn die SPÖ hergeht und eine Maßnahme, zu der wir uns ent­schieden haben, so schlechtredet. Versucht, etwas anderes zu bringen! – Fehl­anzeige. (Zwischenruf bei der SPÖ.) Das Einzige, das euch zu fehlenden Arbeits­kräften einfällt, ist, die Arbeitszeit zu verkürzen, sodass noch mehr Arbeitskräfte


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fehlen. Also das muss einem erst einmal als Antwort auf diese Heraus­forderung einfallen. (Abg. Heinisch-Hosek: Das ist ein Blödsinn! – Zwischenruf des Abg. Matznetter. – Abg. Heinisch-Hosek: ... keine Ahnung!) Herzlich willkommen, SPÖ, in der realen Welt! (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Matznetter: Das sind Menschen und kein Material!)

Wir haben damit die Möglichkeit, jungen Menschen den Pflegeberuf näher­zubringen. (Abg. Heinisch-Hosek: Na, die vergrault ihr nur!) Es entsteht damit die Situation, zu den 200 bestehenden Lehrberufen einen weiteren anbieten zu können. Das freut mich als ehemaligen Gas-Wasser-Installateur- und Technischer-Zeichner-Lehrling ganz besonders, weil damit die Vielfalt der angebotenen Lehrberufe ausgebaut wird.

Ich habe es schon angesprochen, es gibt aktuell 200 Lehrberufe. Die duale Ausbildung in Österreich ist ein Erfolgsmodell, das sich international einen großen Namen errungen hat. Wir sind bei den Euroskills und bei den Worldskills mit vielen Medaillen sehr erfolgreich. Das ist auf die duale Ausbildung zurückzuführen. Im März 2023 waren 31 356 Lehrlinge im ersten Lehrjahr. Das ist ein Plus von 5,7 Prozent zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres. Insgesamt sind aktuell in den österreichischen Betrieben 95 693 Lehrlinge in 28 553 Ausbildungsbetrieben beschäftigt. Ich darf die Gelegenheit nutzen, um mich bei diesen Ausbildungsbetrieben für die Verantwortung, die sie übernehmen, sehr, sehr herzlich zu bedanken. (Beifall und Bravoruf bei der ÖVP.)

Mittlerweile sind 40 Prozent der Jugendlichen eines Jahrgangs in einem Lehrberuf tätig (Ruf bei der SPÖ: Das waren schon mal mehr!), Tendenz steigend. Das ist auch gut so. Wir haben eine Herausforderung am Arbeitsmarkt, auf die wir Antworten brauchen. Die Antwort, liebe SPÖ, kann sicher nicht Arbeits­verweigerung sein, aber auch nicht die 32-Stunden-Woche. In diesem Sinne: Unterstützen Sie unser Paket! – Herzlichen Dank. (Beifall bei der ÖVP.)

12.55



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Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Christoph Matznetter. – Bitte. (Abg. Obernosterer: Ah, jetzt kommt einmal ein Wirtschaftler! – Heiterkeit bei Abgeordneten der ÖVP.)


12.56.07

Abgeordneter Dr. Christoph Matznetter (SPÖ): Frau Präsidentin! Meine Herren Bundesminister! Nur ein kleiner Nachsatz zu Kollegen Egger: Menschen sind kein Material! Wenn wir für unsere Betriebe und in der Wirtschaft, aber auch im öffentlichen Bereich Menschen brauchen, muss man sie menschenwürdig behandeln. (Beifall bei der SPÖ.)

Dazu zählt, dass wir auf die Work-Life-Balance schauen, und das wissen unsere Unternehmerinnen und Unternehmer sehr gut. Sie wissen auch, dass es bei den jungen Menschen nicht mehr geht, zu sagen: Wurscht was, wir teilen dich ein, bist du nicht mehr kannst!, denn dann fallen sie uns nämlich aus. Daher müssen wir Modelle finden, die das zulassen. Darunter fällt auch – Sie sehen ja, die Wirtschaft macht es; es gibt immer mehr Teilzeitarbeitskräfte – eine Work-Life-Balance. Also hören Sie auf, in der Frage Arbeitszeiten zu polemisieren! (Abg. Egger: Oje!)

Weil wir gerade beim Thema sind: Meine Frau ist heute früh um 7.20 Uhr gefahren, weil sie wieder überraschend für einen Nachtdienst im AKH in Wien als Oberärztin einspringen muss. (Zwischenruf der Abg. Zopf.) Wenn es schlechte Nachrichten gibt, wenn ich mich lustig mache und schlechte Scherze mit ihr mache – das mache ich manchmal –, sage ich: Du, warum macht man bei den Medizinerberufen eigentlich keine Lehrausbildung, das ist eh nur ein Handwerk?!

Käme ich auf die Idee, dass die Regierungsparteien uns im Jahr 2023 solche Experimente hier als Gesetz vorlegen (Zwischenruf bei der ÖVP), hoch qualifizierte Berufe in einer ungeeigneten Ausbildungsschiene? – Nein! (Abg. Egger: Er wird ja mit der Lehrabschlussprüfung nicht Arzt!) Nur die Bürger von Schilda bringen das


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zusammen (Abg. Egger: Na Entschuldigung!), Herr Kollege, dass man, wenn man einen schlechten Scherz macht, versucht, das in die Wirklichkeit umzusetzen.

Wir haben die Motive gehört. Christian Ragger stellt sich hierher und sagt: Damit ja nicht welche da sind, die vielleicht aus Vietnam stammen! – Und ihr seid die Steigbügelhalter für eine solche Politik!? (Abg. Kassegger: Hat er nicht gesagt! Erstens hat er es so nicht gesagt ...! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ. – Ruf bei der ÖVP: Themenverfehlung! – Zwischenruf des Abg. Ragger.) Als ob eine qualifi­zierte Pflegerin, auch wenn sie in Vietnam geboren ist, nicht ein wesentlicher Beitrag für unser Gesundheitssystem wäre. (Abg. Ragger: Wir haben euer Versäumnis aufgezeigt!) Danke diesen Arbeitskräften! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Ragger: Euer Versäumnis haben wir aufgezeigt!) Machen Sie eine Patienten­verfügung, dass Sie nur von Autochthonen behandelt werden wollen! (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPÖ.) Wenigstens nehmen Sie den anderen den Platz nicht weg. (Abg. Ragger: Ich habe eine Vorsorgevollmacht! – Abg. Heinisch-Hosek: Ja, genau!)

Kollegin Ribo sagte vorhin, wir haben uns jahrelang nicht gekümmert (Ruf bei der ÖVP: Habt ihr ja auch nicht!): Die Stadt Wien hat schon in den Siebzigerjahren für die von den Philippinen Kommenden für die Ausbildung gesorgt und Schwesternheime gebaut. (Ruf bei der FPÖ: Die Besetzung im AKH ...!) Die haben hervorragend unsere Elterngeneration gepflegt. Hört auf mit dieser fremdenfeindlichen Geschichte! (Abg. Schallmeiner: Redezeit!) Versuchen wir, etwas zu machen! (Zwischenruf bei der FPÖ.)

Zurück zu dem jetzigen Experiment: Für eines habe ich null Verständnis - - (Abg. Egger: Die SPÖ ist ein Experiment!) – Ja genau, auf solche Bemerkungen sind wir angewiesen! (Zwischenruf bei der ÖVP.) Sie gehen her und machen einen Versuch; Sie haben selber im Ausschuss gesagt: Wir probieren es einmal! – Auf dem Rücken 15-jähriger Menschen?! (Abg. Heinisch-Hosek: Wahnsinn!) Das ist unerträglich! Hören Sie auf, Experimente zu machen! Schicken Sie sie nicht in eine Sackgasse, dass sie einen Lehrberuf erlernen sollen, den sie in zwei


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Dritteln der Zeit praktisch gar nicht machen können! Ich erinnere an die Stel­lungnahme von Kollegin Himmelbauer: halt irgendwelche Medikamentenlisten führen.

Am Ende hat Kollege Köchl recht: Ihr wollt billige Arbeitskräfte! (Abg. Heinisch-Hosek: Genau!) Hört auf, 15-Jährige zu missbrauchen, und seht von dem Versuch ab, auf dem Rücken junger Menschen eine schlechte Maßnahme zu setzen! – Danke. (Beifall bei der SPÖ)

12.59


Präsidentin Doris Bures: Nun hat sich Herr Bundesminister Martin Kocher zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Minister.


12.59.40

Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Ich gehe eigentlich davon aus, dass wir alle – alle fünf Fraktionen – die gleichen Ziele verfolgen. (Präsident Hofer übernimmt den Vorsitz.)

Es geht darum, in einem Bereich, in dem es einen großen Personalbedarf gibt, in dem es natürlich auch Schwierigkeiten gibt, die durch die Pandemie und die Herausforderungen in diesem Bereich verstärkt wurden, Lösungen zu finden, die dazu führen, dass möglichst viele Menschen sich dafür entscheiden, in diesem Sektor zu arbeiten. Wir wissen, dass dieser Bedarf besonders groß ist, deshalb finde ich es in diesem Zusammenhang besonders schade, dass die Frage der Pflegelehre, die ja ein kleiner Bestandteil einer größeren Strategie der Bundes­regierung ist, jetzt ideologisiert wird und die Dinge nicht richtig abgewogen werden.

Auf der einen Seite verstehe ich, dass man durchaus skeptisch sein kann, auf der anderen Seite ist es, glaube ich, der richtige Weg, alle Möglichkeiten zu nutzen, um einen Notstand in der Pflege, was die Personalknappheit betrifft, abzu­wenden und eben auch auf andere Länder zu schauen, die mit der Pflegelehre


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positive Erfahrungen gemacht haben, wie eben die Schweiz. Deshalb bin ich dafür, dass wir diese Lehre zur Pflegeassistenz und zur Pflegefachassistenz einführen. Es ist eine Pilotlehre, wie bei so vielen anderen Lehrberufen auch – also nicht anders als bei vielen anderen Lehrberufen –, es wird eine wissen­schaftliche Evaluierung geben, und dann wird man die Erfahrungen dort bewer­ten.

Natürlich verstehe ich auch die Stellungnahmen einiger Berufsverbände. Da gibt es Sorgen um die Kapazitäten für die Ausbildung, es gibt Sorgen betreffend den Jugendschutz. All das haben wir in diesem Entwurf, in diesem Gesetz berück­sichtigt und werden es natürlich auch weiter in der Umsetzung begleiten. Ich glaube aber, es ist einfach wichtig zu sagen: Wir brauchen viele Zugänge – einige wurden ja genannt.

Es geht um Pflegeschulen – es geht um die drei- bis fünfjährigen Pflegeschulen, die ausgebaut wurden. Es geht um das Pflegestipendium, das jetzt seit Beginn des Jahres existiert und Menschen, die sich aus der Arbeitslosigkeit heraus für eine Pflegeausbildung entscheiden, 1 400 Euro garantiert. Es geht um die Coronajoboffensive, in deren Zusammenhang eine fünfstellige Zahl von Menschen in der Pflege ausgebildet wurde. Es geht um Erleichterungen – auch das ist wichtig, es ist gerade angesprochen worden – beim Zugang zur Rot-Weiß-Rot-Karte, damit wir qualifizierte Menschen aus anderen Ländern nach Österreich bringen, damit diese hier tätig sind, und es geht auch um weitere Dinge – im Paket gestern sind einige Dinge auch angeführt – bei Nostrifizierun­gen und bei vielen anderen Dingen.

Der Herr Gesundheitsminister und ich sind in engem Austausch – wir reden über alle Möglichkeiten – und unterstützen damit, auch das ist wichtig zu sagen, die Länder und die Trägereinrichtungen, weil die Pflege keine reine Bundes­aufgabe ist, und ich glaube eben, dass die Pflegelehre ein Baustein ist – ein wich­tiger Baustein, aber sicher nicht der einzige Baustein. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)


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Es geht um eine Lehre zur Pflegeassistenz und zur Pflegefachassistenz, deren Absolvent:innen natürlich nicht diplomierte Pflegekräfte ersetzen können. Diese gibt es ja weiterhin, und wir werden mehr davon brauchen; es geht um die Assistenz dazu.

Es geht um die Vorteile dieser Lösung: Die Lehrlinge in diesem Bereich werden ab dem ersten Tag ein Lehrlingseinkommen bekommen – das gilt nicht für diejenigen, die in Pflegeschulen sind; dort gibt es auch ein garantiertes Mindest­unterstützungsniveau, aber das ist geringer als das, was die Lehrlinge bekommen –, und auch die Betriebe, die Trägereinrichtungen bekommen eine betriebliche Lehrstellenförderung, so wie viele andere Betriebe auch, die die Lehre nutzen, um eben Fachkräfte auszubilden.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass das mit den Jugendschutzbe­stimmungen sehr ernst gemeint ist, weil das ein wirklich wichtiger Faktor ist, wir wissen aber gleichzeitig aus Studien, dass es viele junge Menschen auch schon im Alter von 15 und 16 Jahren gibt, die ein großes Interesse an Sozial-, Gesund­heits- und Pflegeberufen haben, und die Pflegelehre eröffnet diesen Menschen neben den bestehenden eine weitere Möglichkeit, in diesen Berufen tätig zu werden, und wir werden sehen, wie das genutzt wird. Wie gesagt, die Schweiz ist ein Land, das diese Lehre sehr früh eingeführt hat, das in dieser Zeit seit 2006 auch sehr viel gelernt hat, und mittlerweile ist es von allen Lehrberufen der drittbeliebteste Lehrberuf in der Schweiz. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Oh-Rufe bei der ÖVP.)

Ich möchte also noch einmal an alle appellieren, hier konstruktiv im Sinne der Pflege zusammenzuarbeiten, denn es geht um die Pflege, es geht um alle Beschäftigten dort, es geht um das Gesundheitssystem.

Ich möchte mich bei der Gelegenheit auch bei allen, die mitgearbeitet haben, bedanken. Das war mit vielen beteiligten Gruppen, auch betreffend die politische Abstimmung mit den Bundesländern ja keine ganz einfache Vorbe­reitung, und ich möchte mich bedanken, dass vier Bundesländer schon im


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Herbst, also sehr rasch jetzt nach diesem heutigen Beschluss, mit der Ausbildung starten werden. Es wird wahrscheinlich vier Berufsschulklassen geben – jeweils eine Klasse in Vorarlberg, Tirol, Oberösterreich und Niederösterreich –, und dann werden wir diese Möglichkeit weiter ausbauen.

Ich halte es für eine wichtige Zielsetzung, den Pflegeberuf aus allen Zugangs­möglichkeiten so attraktiv wie möglich zu gestalten. Die Pflegelehre beziehungsweise die Lehre für die Pflegeassistenz und die Pflegefachassistenz ist ein Schritt dazu, und ich bin froh, dass wir ihn heute gehen. – Danke sehr. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

13.05


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt nun Maximilian Linder. – Bitte schön, Herr Abgeordneter.


13.05.36

Abgeordneter Maximilian Linder (FPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Herren Minister! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Kollege Matznetter, weil Sie die ausländischen Pfleger:innen ansprechen (Abg. Matznetter: Eine gute Arbeitskraft!): In unserem Pflegeheim haben wir seit mittlerweile drei Jahren zwei Inderinnen und seit eineinhalb Jahren zwei Kolumbianerinnen. (Abg. Matznetter – Beifall spendend –: Das ist eine ...!)

Die Realität ist aber, dass die Damen mindestens fast zwei Jahre Ausbildung im Pflegeheim brauchen, bis sie auf dem Niveau sind, wie es unsere Personen hier sind. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.) Obwohl sie die Sprachprüfung machen müssen, sind die Sprachbarrieren zu eklatant. Meine Mutter ist selbst im Pflegeheim, und ich habe das tagtäglich beobachten können: Da ist man weit davon entfernt, dass sie kommen und als vollwertige Arbeitskräfte in diesen Heimen arbeiten. (Abg. Matznetter: Ja, aber der Ragger unterscheidet ...!)


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Liebe Damen und Herren, wir freuen uns darüber, und ich freue mich sehr, dass dieses Projekt Lehre zur Pflegeassistenz und Pflegefachassistenz umgesetzt wird, weil es zum einen eine langjährige Forderung von uns Freiheitlichen war, aber auch, weil ich glaube, dass wir endlich Maßnahmen setzen müssen, um diesen Problemen, die wir in der Pflege haben, entgegenzuwirken.

Reden wir bei den Pflegeheimen nicht nur von den überlasteten Mitarbeitern, sondern reden wir einmal auch darüber – und das erlebe ich als Bürgermeister wieder regelmäßig –, dass Pflegebetten leer stehen, diese nicht belegt werden dürfen, weil das Personal nicht vorhanden ist. Im Gegenzug kommen aber Angehörige verzweifelt zu mir und sagen: Bitte mach etwas! Ich schaffe es nicht mehr, meine Mutter, meinen Vater zu Hause zu pflegen. Bitte schauen wir, dass wir die Leute endlich wieder in einem Heim unterbringen können! In einem Pflegeheim mit 75 Betten sind vier, fünf, sechs Betten nicht belegt; die dürfen nicht belegt werden, weil wir das Personal nicht haben. Ich denke, da nur herzugehen und zu sagen: Nein, es passt eh alles, nur ja nicht etwas Neues versuchen!, das kann nicht der richtige Weg sein.

Liebe Kollegen von der SPÖ! Über 20 Jahre hat die SPÖ den Sozialminister gestellt, und das mit dem Ergebnis, dass uns heute 75 000 Leute in der Pflege fehlen, und, lieber Kollege Kucher, zehn Jahre lang habt ihr mit Beate Prettner die Sozialreferentin gestellt. Es ist nicht Christian Ragger, der mit dem Fetzen davongejagt wird: Ich habe es, weil ich vom Fenster aus zugeschaut habe, leider miterlebt, wie Beate im Zuge des Wahlkampfes in ein Pflegeheim gekommen ist, und die Pfleger sind draußen im Hof gestanden, weil sie geraucht haben. Sie haben die Referentin kommen sehen, haben sich umgedreht und sind gegangen, weil sie einfach gesagt haben: Nein, Chaos! Zehn Jahre SPÖ-Politik, Chaos! (Abg. Kucher: Die Beate ...!) Wir verzweifeln, und es gibt keine Maßnahmen! – So schaut die Realität aus, lieber Philip. (Beifall bei der FPÖ. – Abg. Ragger: Der Ragger hat ..., das war der Unterschied! Ich war ein Entwicklungshelfer für die Sozialdemokratie!)


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Der ständige Versuch, alles zu akademisieren, alles nur mehr mit einem Studium zu machen, zeigt, dass es nicht funktioniert. Ein kleines Beispiel, damit man sieht, wie es wirklich läuft, ist vielleicht die Situation bei den Kindergärtner:innen: Auch dort gibt es zum einen die akademisierte Ausbildung, und dann gibt es das Kolleg, wo praktisch Späteinsteiger ausgebildet werden. Von jenen, die die akademische Ausbildung machen, bleiben nur 54 Prozent in der Kinderbetreu­ung, der Rest wechselt, und von jenen aus dem Kolleg bleiben doch 87 Prozent. Dasselbe erwarte und erhoffe ich mir hier auch: dass die Leute, die die Ausbildung als Lehre machen, doch im Beruf bleiben, weil sie, wie ich glaube, einen anderen Zugang dazu haben. (Beifall bei der FPÖ.)

Ein ganz wichtiger Bereich sind die Berufsumsteiger, und da müssen wir schauen, dass wir die Berufsumsteiger noch mehr motivieren, denn wir werden sie brauchen. Die, die später den Beruf wechseln und sagen: Ich will in die Pflege gehen!, sind gefestigt, die wissen wirklich genau, was sie wollen. Wir müssen uns aber auch darüber im Klaren sein, dass die Ausbildung für diese Berufsumsteiger leistbar sein muss. Das sind meistens Familienerhalter, tragen zum Familien­einkommen bei, und deshalb ist es ganz wichtig, dass diese Personen in der Ausbildung mehr verdienen.  

Deshalb stellen wir heute einen Antrag dahin gehend, dass diese Berufsum­steiger in der Ausbildung im ersten Lehrjahr mindestens 2 000 Euro verdienen müssen.

Ich stelle folgenden Antrag:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Christian Ragger, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Zweiten Bildungsweg für Pflegekräfte auch finanziell absichern“

Der Nationalrat wolle beschließen:


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„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage zuzuleiten, die folgende Eckpunkte umfasst:

- Die gesetzliche Festlegung eines Pflegefachausbildungsstipendium im ersten Lehrjahr für Berufsumsteiger von 2.000 Euro brutto analog zur Abgeltung in der Polizeifachausbildung

- Die Berücksichtigung der Berufsumsteiger in die Pflegefachausbildung bei zukünftigen Pflegeprämien des Bundes und der Länder“

*****

Abschließend noch eines, lieber Kollege Matznetter, weil Sie vorher die Work-Life-Balance erwähnt haben: In der heutigen Morgenpost aus der Chefredaktion der „Kleinen Zeitung“ schreibt Redakteurin Carina Kerschbaumer, die bei Gott ideologisch weder mit uns noch der ÖVP etwas zu tun hat, zum Thema Pflege, Pflegeausbildung Folgendes – der letzte Satz –:

„Ebenso eine Realität? Mit lebenslangen 25 Stunden-Teilzeitjobs und viel Freizeit wird sich keiner erwarten können, die Basis zu schaffen, um später einmal entsprechend betreut zu werden. Aber das wollen wir vielleicht zum Frühstück nicht wirklich hören!“ – Und ich glaube, das ist die Realität. Wenn wir alle von 25 Stunden arbeiten reden und noch weniger, werden wir es nicht schaffen (Abg. Heinisch-Hosek: 32!), uns die Pflege leisten zu können und auch das Personal dafür zu haben. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

13.12

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Christian Ragger, Rosa Ecker, MA Mag. Gerhard Kaniak,


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Maximilian Linder

und weiterer Abgeordneter

betreffend Zweiten Bildungsweg für Pflegekräfte auch finanziell absichern

eingebracht im Zuge der Verhandlung über die Debatte zu Top 4) Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über die Regierungsvorlage (2030 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Berufsausbildungsgesetz und das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz geändert werden (2037 d.B.) in der 215. Sitzung des Nationalrats am 25. Mai 2023.

Mit dem Bundesgesetz, mit dem das Berufsausbildungsgesetz und das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz geändert werden, wird nach vielen Jahren der Diskussion endlich das neue Ausbildungsmodul der Pflegelehre eingeführt1:

Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über die Regierungs­vorlage (2030 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Berufsausbildungsgesetz und das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz geändert werden

Mit dem vorgeschlagenen Gesetzentwurf soll die eine duale Berufsausbildung nach dem Berufsausbildungsgesetz zum Erwerb eines Abschlusses zur Pflegeassistenz oder zur Pflegefachassistenz nach Erfüllung der Schulpflicht ermöglicht werden. Damit werden ergänzend zu den bestehenden Ausbildungsmöglichkeiten neue Optionen geschaffen.

In der Schweiz wurde bereits im Jahr 2003 eine duale Ausbildung im Gesund­heitswesen (Fachmann / Fachfrau Gesundheit) eingeführt, die zahlenmäßig an dritter Stelle sowohl der Lehrausbildungen als auch bei den Abschlüssen liegt (vgl. Merçay/Grünig/Dolder, Gesundheitspersonal in der Schweiz – Nationaler Versor­gungsbericht 2021, Obsan Bericht 03/2021). Mit der dualen Ausbildung als neue Form der beruflichen Erstausbildung der Sekundarstufe II sollen neue Perspektiven für interessierte Jugendliche und junge Erwachsene mit durchlässigen Bildungspfaden bis hin zum gehobenen Dienst der Gesundheits- und Krankenpflege


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geschaffen werden.

Im Hinblick auf die Anforderungen an den Berufsschulunterricht für die Lehrberufe in den Pflegeassistenzberufen, insbesondere die Unterrichtserteilung nach den Standards der Pflegeassistenzberufe Ausbildungsverordnung – PA-PFA-AV, BGBl. II Nr. 301/2016, sollen weiters das Schulorganisationsgesetz und das Pflichtschul­erhaltungs-Grundsatzgesetz im Rahmen eines gesonderten Gesetzgebungsverfahrens angepasst werden.

Der Ausschuss für Wirtschaft, Industrie und Energie hat die gegenständliche Regie­rungsvorlage in seiner Sitzung am 10. Mai 2023 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneten Eva-Maria Himmelbauer, BSc die Abgeordneten Dr. Christoph Matznetter, Mag. Christian Ragger, Bedrana Ribo, MA, Mag. Julia Seidl sowie der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Mag. Dr. Martin Kocher.

Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf mit Stimmenmehrheit (dafür: V, F, G, dagegen: S, N) beschlossen.

Neben der längst überfälligen Pflegelehre als zukunftsorientiertem Ausbildungsmodul muss aus Sicht der FPÖ aber auch der zweite Bildungsweg für Berufsumsteiger inklusive finanzieller Absicherung endlich umgesetzt und finanziell langfristig abge­sichert werden2:

In Österreich werden bis 2030 beinahe 100.000 Pflegekräfte fehlen. Neben der Pflegelehre und höheren Kollektivverträgen braucht es daher auch den zweiten Bildungsweg für Berufsumsteiger. Wir können unmöglich den Bedarf an neuen Pflegekräften decken, wenn wir den Kopf in den Sand stecken und unsere Strategien nicht anpassen“, erklärte heute der freiheitliche Nationalratsabgeordnete Mag. Christian Ragger.

„Die Pflegelehre ist gut und wichtig. Allein damit werden wir aber dem Defizit bei den Pflegekräften nicht Herr werden können. Einen Großteil der Pflegekräfte müssen wir nämlich unter den Berufsumsteiger lukrieren. Die geringe Abgeltung in der Ausbildung


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schreckt aber finanziell ab, weil man davon nicht leben kann. Im Grunde genommen muss man, wenn man keinen Pflegebanktrott will, einfach Geld in die Hand nehmen und die nötigen Anreize schaffen, damit man Leute in die Struktur bekommt“, sagte Ragger.

„Von 1.400 Euro brutto im Monat kann kaum ein Mensch in Österreich leben. Das wird besonders vor dem Hintergrund der von der schwarz-grünen Regierung mitverantworteten Teuerung sowie der Rekordinflation von 9,7 Prozent im April deutlich. Wenn ÖVP und Grüne glauben, dass Menschen, die weit über 20 Jahre alt sind und Haushalt sowie Familie haben, von einem Bagatellbetrag von 1.400 Euro leben können, dann irren sie sich aber gewaltig - da wird sich keiner für den Berufsumstieg interessieren!“, betonte Ragger.

„Es müssen wie bei der Polizei mindestens 2.000 Euro im ersten Ausbildungsjahr bezahlt werden und danach deutlich mehr“, verlangte Ragger und weiter: „System­erhalter von besonderem öffentlichen Interesse sind nämlich auch unsere Pflege­kräfte. Und Wertschätzung, bei all der Diskussion, die wir seit Jahren führen, und den Strapazen, die Pflegerinnen und Pfleger während der COVID-Krise ertragen mussten, damit mitgedacht der absolut miserable Betreuungsschlüssel, der die Men­schen fast zum Kollaps geführt hatte, soll da selbstverständlich sein. Wenn wir die Pflegeprob­lematik nicht ernst nehmen, dann wird man sich wundern, wenn man selbst pflege­bedürftig wird“, betonte Ragger.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage zuzuleiten, die folgende Eckpunkte umfasst:

•         Die gesetzliche Festlegung eines Pflegefachausbildungsstipendium im ersten


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Lehrjahr für Berufsumsteiger von 2.000 Euro brutto analog zur Abgeltung in der Polizeifachausbildung

•         Die Berücksichtigung der Berufsumsteiger in die Pflegefachausbildung bei zukünftigen Pflegeprämien des Bundes und der Länder“

1https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/I/2037/fnameorig_1559064.html

2 https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20230517_OTS0150/fpoe-ragger-schwarz-gruene-regierung-muss-zweiten-bildungsweg-fuer-pflegekraefte-ermoeglichen

*****


Präsident Ing. Norbert Hofer: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht mit in Verhandlung.

Zu Wort gelangt nun Mag.a Carmen Jeitler-Cincelli. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.


13.12.29

Abgeordnete Mag. Carmen Jeitler-Cincelli, BA (ÖVP): Herr Präsident! Sehr geehrte Herren Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ja, ich glaube –da sind wir uns jetzt einig –, es sind grundsätzlich alle Maßnahmen anzu­denken und wünschenswert, die dazu führen, dass wir diese riesige Herausfor­derung, eine Generationenherausforderung, lösen. Wir brauchen innerhalb von zehn Jahren – die Zahlen variieren – knapp 100 000 neue Pflegekräfte.

Jetzt kann man sich natürlich darüber unterhalten, wie richtig oder wie falsch es ist, diesen Ansatz zu wählen. Es gibt ein Best-Practice-Beispiel, die Schweiz, nach dem Modell man das umsetzen will. Dort funktioniert es gut. Ich glaube, es ist jetzt nicht so, wie es dargestellt wird, Philip (in Richtung Abg. Kucher), dass man da jetzt einmal etwas versucht, sondern es gibt ja bereits diese Ansätze.


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Das, was mir jetzt in der ganzen Diskussion total fehlt – ich habe selber drei Kinder, die sind 20, 17 und 14 Jahre alt –, ist: Traut doch den jungen Leuten ein bissel mehr zu! (Abg. Köchl: Frag die 14-Jährige, ob sie das macht! Mit 14?!) Also ich habe sehr viele Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene in diesen Altersgruppen um mich, das sind ganz starke Leute, die teilweise schon ganz genau wissen, was sie wollen, die in einer Selbstermächtigung sind.

Es ist ja nicht so, dass ich sage, jeder Fünfte muss das jetzt werden, sondern das sind Menschen, die sich selbst dafür entscheiden und sagen: Mich interessiert das, ich möchte mir das anschauen! Selbst wenn er es ein paar Jahre später nicht mehr macht, aber er sammelt unglaublich viele Erfahrungen für sein Leben. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Es ist ein krisensicherer Job, das muss man auch sagen. Es tut sich viel durch KI, durch Artificial Intelligence, durch Pflegeroboter. Da wird ganz, ganz vieles in Zukunft vereinfacht werden, und es werden irrsinnig viele Berufe in den nächs­ten Jahren wegfallen. Ich glaube, das, was da auf uns zurollt, ist vielen noch überhaupt nicht klar.

Das ist ein Beruf, der Beruf im Kern, den es wahrscheinlich immer in dieser Form brauchen wird. Warum? – Weil wir uns alle für unsere Eltern, für unsere Groß­eltern wünschen, dass am Schluss, bei den letzten Atemzügen, in den letzten Tagen, in den letzten Wochen, wenn wirklich ein schwerer Krankheitsfall in der Familie gegeben ist, jemand da ist.

Wir hatten so jemanden, unsere Suzana, bei unserer Omi. Sie ist ein Teil der Familie geworden. Das ist ein Mensch, der dann wirklich Teil der Familie wird – sie fährt heute noch mit meinen Eltern auf Ausflüge mit, wenn sie wieder hier ist –, weil das einfach jemand ist, der eine ganz wesentliche Zeit des Lebens die Familie mit begleitet hat.

Ich glaube, wir werten diesen Beruf immer ein bissel ab. Da bin ich jetzt auch voll bei Ihnen: Es braucht eine Aufwertung, auch finanziell. Das muss ein Beruf sein,


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von dem man sagt: Davon kann ich gut leben, da kann ich mir eine Existenz aufbauen. Dann macht es mir vielleicht auch länger Freude.

Es gibt viele junge Menschen – und das ist meiner Meinung das Allerwesent­lichste –, die ein unglaubliches Talent dafür haben, in der Kommunikation zu sein, die gerne die Hand eines alten Menschen halten, die gerne den Geschichten lauschen, von denen man sich vielleicht teilweise selber schon denkt, boah, jetzt höre ich schon wieder das Gleiche, die das gerne tun, die beim Loslassen helfen können, die eine wahnsinnige geistige Reife haben. Sie stellen das immer so hin – ich glaube ehrlich gesagt, es gibt viele junge Menschen, die viel mehr geistige Reife haben als viele hier in diesem Saal. Da geht es einfach um eine Einstellung im Leben. (Beifall bei Abgeordneten der ÖVP.)

Der letzte Vorwurf – und das ist etwas, was ich ganz traurig finde –, es gehe uns um billige Arbeitskräfte. Also das finde ich ehrlich gesagt nicht nur vermessen, sondern ganz daneben. Wissen Sie, was Sie damit unterstellen, Frau Heinisch-Hosek, wenn Sie sagen, es wäre so? (Abg. Heinisch-Hosek: Ich habe gar nichts gesagt!) – Dann unterstellen Sie jedem Betrieb, der Lehrlinge ausbildet, er mache das nur, um billige Arbeitskräfte zu haben. Das ist ganz einfach: Jeder einzelne Betrieb (Abg. Heinisch-Hosek: Das ist ja nicht wahr! Wider besseres Wissen sagen Sie das! – Abg. Köchl: Das ist zu einfach!), die Betriebe, die Unternehmerinnen und Unternehmer in Österreich bilden Menschen aus, jeder Betrieb bildet Menschen aus, um Kompetenzen weiterzugeben, damit auch das Bestmögliche aus jedem Talent herauskommt. Und das ist eine unglaubliche Aufgabe.

Ich finde es eigentlich komplett daneben, dass das von Ihrer Fraktion kommt, denn damit unterstellen Sie in Wahrheit: Da können wir gleich sagen, da nehmen wir doch irgendwie die Günstigen der Günstigen, holen wir sie aus dem Ausland, und die Sache hat sich. Das ist ja wohl kein Ansatz. (Beifall bei der ÖVP sowie des Abg. Schallmeiner.)


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Ich glaube, in Summe gesehen braucht es Wertschätzung für diesen Beruf. Es ist ein wunderbarer Beruf. Wir werden die richtigen Leute finden, die sich dann entscheiden, in diese Lehre zu gehen. Ich glaube, das wird von Erfolg gekrönt sein. In ein paar Jahren werden wir dann sehen, wie viele wir haben werden. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP, bei Abgeordneten der Grünen sowie des Abg. Lausch.)

13.16


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt nun Laurenz Pöttinger. – Bitte, Herr Abgeordneter.


13.16.59

Abgeordneter Laurenz Pöttinger (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Herren Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, gerade die Lehre ist in Österreich eine Ausbildung, die uns die hohe Qualität in verschiedensten Bereichen sichert. Wie erlerne ich einen Beruf? Im Leben gibt es viele wichtige Entscheidungen, manche Entscheidungen sind richtungsweisend für das spätere Leben.

Die Berufswahl ist mit Sicherheit eine dieser wichtigen Entscheidungen. Oft gibt es einen Berufswunsch, der vielleicht den Eltern nicht so zusagt. Manchmal ist man als Jugendlicher hin- und hergerissen, weiß nicht, ob eine weiterbildende Schule, eine weiterbildende höhere Schule oder vielleicht doch eine Lehre der richtige Weg ins Berufsleben ist. Ja, es ist auch eine Vielfalt der Möglichkeiten, die hier angeboten wird. Eine ganz neue Möglichkeit wird nunmehr die Pflegelehre bieten, und ich freue mich ganz besonders, dass es ab Herbst diese Möglichkeit der dualen Ausbildung auch im Bereich der Pflege geben wird. (Beifall bei der ÖVP.)

Was ist das Besondere an einer Lehre? Welche Vorteile bietet eine duale Ausbildung? Gibt es nur Vorteile? Aus meiner Sicht bietet die Lehre ein unglaublich gutes Fundament. Sie ist ein ausgezeichneter Weg, einen Beruf in vollem Umfang zu erlernen. Die Berufsschulen vermitteln die theoretischen


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Details sehr berufsnahe, die betriebliche Ausbildung zeigt den Beruf in seiner gesamten Vielfalt. Learning by Doing, ja, das zeichnet die Lehre wirklich ganz besonders aus. (Beifall bei der ÖVP.)

In Oberösterreich entscheiden sich 50 Prozent für die Lehre – und das ist gut so. Unsere Lehrlinge sind die Meister der Zukunft und sie werden auch das Leben gut meistern. Warum halte ich hier ein Plädoyer für die Lehre? – Ja, es ist lange her, es ist wirklich lange her – wenn ich Herrn Abgeordneten Leichtfried zitieren darf; hätte ich mir auch niemals gedacht, dass ich das einmal tue, aber gut (Heiterkeit bei Abgeordneten der FPÖ) –: Als ich ein junger Bursch war und mich für die Schlosserlehre entschieden habe und dann mit der Schmiedemeister­prüfung die Berufsausbildung abgeschlossen habe, habe ich diesen Ausbildungs­weg mit Freude und Begeisterung gewählt und biete diese Ausbildung im eigenen Betrieb auch in vollem Umfang und mit Freude an.

Auch da kann ich sagen: Die Jugendlichen sind oft hervorragend, und sie erlernen das Handwerk ganz, ganz großartig.

Das Fundament der Lehre ist ein gutes Fundament und auch im Pflegebereich wird es ein Erfolgsmodell werden. Ein großes Kompliment möchte ich all jenen aussprechen, die in der Pflege tätig sind. Ihnen gebührt Anerkennung und Dank für diesen großartigen Einsatz. – Danke dafür. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Es ist ein wichtiger, oft beschwerlicher, aber unglaublich sinnstiftender Dienst am Mitmenschen. Als ehemaliger Zivildiener im Altenheim Grieskirchen weiß ich, wovon ich da rede. Die Dankbarkeit der zu pflegenden Menschen entschädigt sehr, sehr oft für den unermüdlichen Einsatz.

Die Pflegelehre ist nun ein weiterer Baustein der Pflegereform, die durch den Einsatz vieler Abgeordneter der Regierungsparteien, insbesondere durch unseren Klubobmann der ÖVP, Gust Wöginger, eine Erfolgsreform werden wird. – Danke. (Beifall und Bravorufe bei der ÖVP. – Rufe bei der FPÖ: Genau, du


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bist großartig! Ja, genau, Gust! Danke, Gust! – Abg. Ragger: ... die FPÖ, die das ins Regierungsprogramm 2017 reingeschrieben hat! Das dauert halt ein bisschen immer bei der ÖVP! Im 2017er-Programm: Sechs Jahre später angefangen!)

13.21


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Abgeordneter Philip Kucher. – Bitte, Herr Abgeordneter.


13.21.25

Abgeordneter Philip Kucher (SPÖ): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte, die Sie alle mitverfolgt haben, war für mich eine der ehrlichsten Debatten seit langer, langer Zeit hier in diesem Haus, weil es wirklich eine Offenbarung war, wie sich die ÖVP Gesundheitspolitik vorstellt.

Der Wirtschaftsminister hält Reden, die Wirtschaftsfraktion der ÖVP tanzt hier an, verteidigt Maßnahmen, und der Gesundheitsminister, der zuständig ist, sitzt schweigend daneben: Das ist die Gesundheitspolitik in Österreich! Es hat früher einmal in der ÖVP so etwas wie den ÖAAB gegeben. Da hat es christliche Gewerkschafter gegeben. (Abg. Zarits: Was gibt es bei euch? Drei Lager! – Abg. Kassegger: Bei euch hat es auch einmal echte Sozialdemokraten gegeben! Das ist aber schon lange her! – Abg. Schmuckenschlager: Es hat ehrliche Sozialdemokraten gegeben! Ehrliche!) Die Leute, die draußen in der Pflege arbeiten, die Menschen in der Pflege vertreten, haben alle gesagt, dass die Pflegelehre in dieser Form nicht sinnvoll ist, aber die haben in der ÖVP keine Stimme mehr. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Schmuckenschlager: Das ist vielleicht im Doskolismus so!)

Es gibt Warnungen aller Gewerkschaften, aller Fachgesellschaften, und der Minister hat nicht einmal eine einzige Fachgesellschaft in Österreich nennen können, die gesagt hat, das, was er vorschlägt, ist sinnvoll. Das ist die Wirt­schaftslobby in der ÖVP, die jetzt am Ruder ist, und die sagt, Gesundheit ist nicht nur wichtig für die Menschen, sondern es ist auch ein Markt, mit dem man Geld verdienen kann.


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Und heute wissen wir, warum: 50 000 Euro von der Premiqamed-Gruppe, die in Richtung ÖVP gewandert sind. Und heute wissen wir, warum die ÖVP nichts tut, um die Zweiklassenmedizin in Österreich zu bekämpfen. Und heute wissen wir auch, wie die Freiheitlichen über die Menschen in der Pflege denken: Die Meinung jener Leute, die wir in der Coronakrise alle gelobt haben, ist der FPÖ egal. (Abg. Kassegger: Was redest denn du für einen Scheiß? Ganz ehrlich! So ein Schas!) Die wollen die Pflegelehre nicht, die wollen Verbesserungen für die Gesundheitsberufe haben. (Abg. Michael Hammer: Kriegst eh einen Posten, brauchst nicht so einen Blödsinn ...! – Abg. Kassegger: Du kannst ja nicht irgendeinen Blödsinn da behaupten!)

Diese Menschen sind der FPÖ egal. Christian Ragger, der weiß es besser, Christian Ragger, der in Kärnten die Pflegeheime privatisiert hat, damit man dort Geschäfte und Gewinne machen kann – noch heute räumen wir dort auf, lieber Christian Ragger! –, der weiß es besser als die Menschen, die Tag und Nacht am Krankenbett arbeiten. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Kassegger: Als du weiß er es auf jeden Fall besser!)

13.23


Präsident Ing. Norbert Hofer: Nächster Redner ist Klubobmann August Wöginger. – Bitte, Herr Klubobmann. (Abg. Ragger: Der muss jetzt noch einmal rausgehen zur tatsächlichen Berichtigung! ...! Wer hat denn privatisiert? Deine Frau Landeshauptmannstellvertreterin!)


13.23.37

Abgeordneter August Wöginger (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine geschätzten Herren Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kucher, es ist einfach unnötig, eine derartige Rede zu halten, wenn sich hier die Regierung mit Unterstützung auch von Oppositionsparteien darauf verständigt, dass wir den Lehrberuf der Pflege in Österreich mit Pilotprojekten einführen. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Es ist völlig unverständlich, was du hier aufführst, warum du das in Grund und Boden redest.


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Wir bieten jungen Menschen eine gute Zukunft an, auch im Bereich der Pflege, dass man diesen Beruf auch als Lehrberuf erlernen kann. Das ist eine tolle Sache und das lassen wir uns von dir auch nicht schlechtreden. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei Abgeordneten der FPÖ.)

Und zum Zweiten: Herr Kollege, du solltest vielleicht den Mund nicht ganz so voll nehmen. Ihr habt zehn Jahre den Gesundheits- und Sozialminister gestellt, von 2007 bis 2017. (Abg. Kollross: Aber jetzt haben wir 2023! Was habt ihr gemacht die letzten sechs Jahre? – Weiterer Ruf bei der SPÖ: Regress zum Beispiel!) Was haben wir dort zusammengebracht? – Einige Dinge: Den Pflegefonds erwähne ich positiv, der Pflegefonds hat sich wirklich gut entwickelt, aber das, was diese Bundesregierung im letzten Jahr im Bereich der Pflege weitergebracht hat, das hat es in zwei Jahrzehnten nicht gegeben. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen. – Abg. Heinisch-Hosek: Geh bitte! – Abg. Kucher: Erzähl das den Leuten in den Pflegeheimen! Das glaubt dir niemand!) Das sei der Sozial­demokratie wirklich einmal hinter die Ohren geschrieben.

Wir haben, und das ist derzeit der Fall - - (Zwischenruf des Abg. Kollross.– Ja, ich weiß schon, weil es euch einfach zu wenig interessiert, und immer, wenn ihr in der Regierung seid, dann herrscht ihr am Thron, aber arbeiten für die Leute tut ihr eigentlich nicht; das ist das Problem der Sozialdemokratie. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Eure Gewerkschafter haben auch die 570 Millionen Euro, die auf die Gehälter beim gesamten Gesundheits- und Pflegepersonal aufgestockt werden, zerrissen. Das sind 285 Millionen Euro pro Jahr. Und wissen Sie, wie sich das jetzt beim Pflegepersonal auswirkt? (Abg. Matznetter: Milliarden für die Aktionäre!) Es sind 175 Euro brutto pro Monat mehr. Das ist wie eine ganze Vorrückung, und das bleibt auch. Das heißt 175 Euro – vom Bund, von Bundesgeldern, von Steuergeldern. Es ist das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, mit dem wir hier aufstocken, weil es diese Anerkennung und Wertschätzung im Bereich der Pflegeberufe auch braucht. Das hat diese Regierung zustande


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gebracht, nicht eine sozialdemokratisch geführte. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Zwischenruf des Abg. Kollross.)

Gestern, meine Damen und Herren, haben wir ein weiteres Pflegepaket verabschiedet, und es ist auch sehr positiv angenommen worden, auch von den Pflegeorganisationen, die sich nämlich auch mit der Materie beschäftigen und sich damit auseinandersetzen.

Wir haben ja wesentliche Verbesserungen bei der 24-Stunden-Betreuung durchgeführt; wesentliche Verbesserungen werden hier umgesetzt: dass man nicht verwandt sein muss – und man kann trotzdem bis zu drei Personen mittels einer 24-Stunden-Betreuung betreuen –, dass der Fördersatz bei der selbst­ständigen 24-Stunden-Betreuung von derzeit 640 Euro auf 800 Euro angehoben wird und dass die Pflegegeldeinstufung jetzt von Pflegefachkräften vorgenom­men werden kann. Das sind Forderungen, die auch von den Pflegeverbänden kommen. (Abg. Kucher: Ihr wart ja lang genug dagegen!) Das setzen wir um, meine Damen und Herren!

Des Weiteren werden die Nostrifikationen vereinfacht. Die Bundesländer suchen in Kolumbien, auf den Philippinen oder im afrikanischen Raum händeringend nach Pflegekräften. Wir vereinfachen die Nostrifikationen auf Plattformen, damit klar ist: Wenn man zum Beispiel von den Philippinen kommt, dann hat man diese und jene Grundausbildung, und man kann schneller auch als Mitarbeiterin und Mitarbeiter in das Pflegesystem integriert werden. Das sind die Antworten, die wir den Menschen zu geben haben, und das tun wir hiermit auch. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Wir weiten auch die Kompetenzen im Bereich des Gesundheits- und Kranken­pflegepersonals aus, weil es wichtig ist – auch zum Beispiel bei der Anord­nung von Medikamenten –, dass wir da einen wichtigen weiteren Schritt setzen. Das ist auch das, was mit den Landessozialreferentinnen und -referenten eng abgestimmt wurde. Ich bin froh und dankbar – auch dem Minister, seinem


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ganzen Haus und dieser Bundesregierung –, dass wir diese wichtigen Punkte auf den Weg bringen.

Herr Kollege Kucher, eines sei dir noch ins Stammbuch geschrieben: Wenn du hier schon über die Pflegelehre eine derartig negative Stellungnahme abgibst (Abg. Kucher: Alle Fachgesellschaften, alle! Wer ist dafür? – weitere Zwischenrufe bei der SPÖ), dann würde ich dir empfehlen: Ich war vor ein paar Jahren im Kanton Bern in der Schweiz. In der Schweiz ist mittlerweile die Pflegelehre der zweitbeliebteste Beruf nach dem Kaufmann (Ruf bei der SPÖ: Drittbeliebteste, hat er gesagt!), und das heißt etwas in der Schweiz. (Abg. Kucher: 60 Prozent ...!) – Ja, der zweitbeliebteste Beruf. Das wurde vor fast zwei Jahrzehnten dort eingeführt, aber was der Unterschied zwischen euch und uns ist: Wir schauen uns das vor Ort an. (Abg. Kucher: Rede mit der Pflege in Österreich!) Ich habe mit 16-jährigen Pflegelehrlingen gesprochen, denen das auch Spaß macht, die das auch gerne machen.

Ja, man muss aufpassen, was sozusagen die Tätigkeit ist, die diese Lehrlinge ausüben dürfen, aber es ist wichtig, dass wir die jungen Menschen auch an diese wichtigen Sozial- und Pflegeberufe heranführen. (Zwischenruf des Abg. Matznetter.)

Das tun wir hiermit – ja, mit einem eigenen Curriculum, aber bitte reden Sie die Lehre auch im Bereich der Pflege nicht schlecht. Die Lehre insgesamt, die duale Ausbildung, die wir in unserem Land haben, ist ein Erfolgsmodell, und das gilt auch für die Pflege – merken Sie sich das! (Beifall bei der ÖVP und bei Abge­ord­neten der Grünen. – Abg. Heinisch-Hosek: Darum geht es nicht! Was nützt das ...?)

13.29


Präsident Ing. Norbert Hofer: Nächster Redner ist Abgeordneter Josef Muchitsch. – Bitte schön, Herr Abgeordneter.



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13.29.23

Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob das wirklich notwendig ist, dass man auf dieses untere Niveau geht und sich gegenseitig Vorwürfe macht. (Abg. Ragger – in Richtung SPÖ weisend –: Da musst du da rüberschauen! – Abg. Obernosterer – in Richtung SPÖ weisend –: Dort musst du rüberschauen! – Weiterer Ruf bei der ÖVP: Der Kucher ...!)

Ich muss euch wirklich die Frage stellen (Abg. Ragger – erheitert in Richtung SPÖ weisend –: Falsche Richtung! Da musst du da hinüberschauen!) – na, hört einmal zu! –: Warum geht ihr immer hier heraus, wenn ihr keine Argumente mehr habt, und macht den Vorwurf, die SPÖ hat im Bereich der Pflege nichts getan? (Beifall bei der SPÖ. – Heiterkeit bei der ÖVP. –Abg. Ragger – erheitert –: Also, jetzt habt’s die Hosen ...! – Abg. Maurer: Gerade ihr! Ihr habt nichts gemacht! Das stört euch! Das ist der Grund!)

Dann sagen wir es euch halt noch einmal: Wer hat das Pflegegeld eingeführt? (Abg. Stocker: Wer hat es valorisiert?) – Es war damals Jolly Hesoun. Wäre es nach der ÖVP gegangen, hätten wir heute noch kein Pflegegeld in diesem Land. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei der SPÖ.)

Wer hat den Pflegeregress abgeschafft? Wer hat die Pflegeausbildung refor­miert? (Abg. Matznetter: Nicht die ÖVP! – Abg. Loacker: Fehler, die wir abschaffen ...! Pflegeregress: Denk einmal nach!) Wer hat den Pflegefonds eingeführt? – Das waren alles die Sozialdemokraten. Das waren alles wir. (Beifall bei der SPÖ.)

Dann muss ich euch die Frage stellen: Was ist eure Leistung seit 2017 in der Pflege? (Abg. Kollross: Das muss sich die FPÖ auch fragen!) Was habt ihr in den Bundesländern gemacht, wo ihr durch die ÖVP-Regierer im Bereich der Pflege überwiegend Verantwortung tragt? (Abg. Schallmeiner: Und was ist mit euren eigenen Bundesländern? Was ist mit Wien?) – Nichts habt ihr gemacht.


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Hören wir bitte auf! Es ist das, was der Herr Sozialminister im Ausschuss zum Thema Pensionen gesagt hat: Das können wir nur der Sozialdemokratie verdanken, dass wir ein solches Pensionssystem haben. Das wird jetzt ergänzt: Dieses Pflegegeld und alles, was geschaffen wurde, verdanken wir nur der Sozialdemokratie. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Michael Hammer: Gibt’s die noch?)

13.31


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Frau Dr. Dagmar Belakowitsch. – Bitte, Frau Abgeordnete.


13.31.29

Abgeordnete Dr. Dagmar Belakowitsch (FPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Minister! Sehr geehrte Damen und Herren zu Hause und hier im Saal! (Abg. Matznetter: Aber da sieht man wieder ...!) Es ist ein bisschen ein unwürdiges Spiel, das jetzt hier passiert ist.

Ich bin sehr froh – das sage ich jetzt einmal gleich vorweg –, dass sich die Bundesregierung und allen voran die Österreichische Volkspartei endlich dazu durchgerungen haben, diese Pflegelehre einzuführen. Es ist eine uralte freiheitliche Forderung. (Abg. Loacker: Was zu denken gibt!) Das ist auch durch sehr viele Anträge nachweisbar. Wir haben seit dem Jahr 2007 jede Menge Anträge gestellt, damit die Pflegelehre auch in Österreich eingeführt wird.

Wir haben immer darauf hingewiesen, dass es dieses Modell, von dem Kollege Wöginger erzählt hat, in der Schweiz schon lange gibt. Wir haben auch schon lange vor dem Jahr 2017, als wir in die Bundesregierung eingetreten sind, immer wieder darauf hingewiesen, dass andere Länder eine Pflegelehre haben und dass diese Pflegelehre auch ein Erfolgsmodell ist, wenn man sie richtig und ordentlich ausgestaltet.

Die Reaktion der damaligen rot-schwarzen Bundesregierung war nichts anderes, als die Zugänge zur Ausbildung, zur Pflege, zu akademisieren und damit zu erschweren. Wir sind heute nicht mehr in einer Situation, in der wir sagen


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können: Ja, dann machen wir noch mehr Akademiker!, sondern wir brauchen einen niederschwelligen Zugang für alle jungen Menschen in unserem Land. (Oh-Rufe bei den Grünen.) Jeder, der Interesse am Pflegeberuf hat, soll die Möglichkeit haben, diesen Beruf zu erlernen. (Beifall bei der FPÖ sowie der Abgeordneten Pfurtscheller und Wöginger.)

Ich kenne selbst genügend junge Menschen, die das gerne machen oder das gerne schon vor Jahren gemacht hätten und die oftmals daran gescheitert sind, weil sie nicht genügend Schulbildung oder einen nicht genügend hohen Schul­abschluss hatten. Das ist der falsche Zugang.

Ich glaube, jeder, der Interesse an diesem wertvollen Beruf hat, soll auch die Möglichkeit haben, in diesen Beruf einzusteigen. Ich halte gar nichts davon, wenn wir Menschen im Alter von 15 Jahren verlieren, weil wir ihnen nicht die Möglichkeit und die Chance geben, in die Pflege einzusteigen. Die lernen etwas anderes, die sind weg. Die steigen dann auch nicht mehr um. Das ist etwas, was wir uns nicht leisten können. Wir haben viele, viele junge Menschen in unserem Land. (Zwischenruf des Abg. Matznetter.)

Ich möchte auch noch ein Wort zu Kollegen Wöginger sagen: Ich halte auch nicht viel davon, wenn wir jetzt in allen fünf Kontinenten nach Pflegepersonal suchen. Ich glaube, das ist ein Irrweg, den wir da gehen. Wir werden nicht mehr finden, als wir jetzt schon haben. Die Rot-Weiß-Rot-Karte ist dermaßen heruntergeschraubt. Es ist auch das Potenzial an Pflegern in anderen Ländern und in anderen Kontinenten beschränkt. Es gibt dort auch nicht unendlich viele Pfleger.

Das heißt, es ist wirklich dringend notwendig, auf unser eigenes menschliches Potenzial zurückzugreifen und tatsächlich auch unsere eigenen jungen Leute im Land zu motivieren und ihnen klarzumachen: Es ist ein krisenfester Beruf. Man sollte nie vergessen: Es gibt solche und solche Zeiten, und es sind auch jetzt weit über 300 000 Menschen arbeitslos. Es ist nicht alles so schön, wie es manche gerne darstellen.


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Das ist ein krisenfester Beruf, aber es ist vor allem ein wunderschöner, aber auch sehr anstrengender Beruf. Das sollte man den jungen Leuten auch ganz offen und ehrlich sagen: Ja, es ist ein anstrengender Beruf – körperlich und auch psychisch –, aber ein großartiger Beruf. Viele Pfleger haben in ihrem Beruf nicht nur einen sinnstiftenden Beruf gefunden, sondern tatsächlich auch die Berufung entdeckt, die ihnen vielleicht davor gefehlt hat. (Beifall bei der FPÖ sowie der Abgeordneten Obernosterer und Wöginger.)

Das, meine Damen und Herren, egal welcher Fraktion, muss uns doch allen wichtig sein. Es muss uns doch allen wichtig sein, jungen Menschen hier eine Sinn­stif­tung zu geben, ihnen eine Berufung zu ermöglichen und ihnen auch zu ermöglichen, in einen Beruf einzusteigen, den wir ganz, ganz dringend brauchen.

Wir alle, wie wir hier sind, brauchen zuweilen Pfleger. Wir alle wissen nicht, ob wir nicht einmal Altenpfleger brauchen, ob wir nicht einmal zu Pflegefällen werden. Das wissen wir alle nicht. Daher müssen wir jetzt für hinkünftige Generationen vorsorgen. Wir müssen auch das Bild des Pflegers positiv gestal­ten. Wenn hier Schreiduelle abgehen, glaube ich nicht, dass auch nur ein einziger junger Mensch motiviert wird, eine Pflegelehre zu beginnen oder auch Pflegeassistenz zu lernen.

Ich glaube, meine Damen und Herren, gerade in Bereichen wie Gesundheit und Pflege ist es dringend notwendig, dass wir jetzt wirklich alle Schienen nutzen und alle Kanäle öffnen, um auch jungen Menschen die Möglichkeit der Ausbil­dung zu geben. (Beifall bei der FPÖ. – Abg. Stocker: Sehr staatstragend!)

13.36


Präsident Ing. Norbert Hofer: Nächster Redner ist Mag. Gerald Loacker. – Bitte, Herr Abgeordneter.


13.36.30

Abgeordneter Mag. Gerald Loacker (NEOS): Herr Präsident! Geschätzte Herren Minister! Kollegin Belakowitsch hat es richtig gesagt: Mit der Pflegelehre setzt


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die Regierung eine FPÖ-Forderung um. Ich finde, das sollte zu denken geben. (Beifall bei NEOS und SPÖ. – Abg. Obernosterer: Mein Gott!)

13.36 13.36.49


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort ist dazu nun niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist daher geschlossen.

Wünscht die Frau Berichterstatterin ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf samt Titel und Eingang in 2030 der Beilagen.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die für diesen Gesetzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist mehrheitlich angenommen.

Wir kommen sogleich zur dritten Lesung. (Abg. Ragger – in Richtung Abg. Kucher –: Buh, Philip! Ihr habt euer Lehrschiff selber versenkt!)

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Gesetzentwurf auch in dritter Lesung ihre Zustimmung erteilen, um ein Zeichen. – Das ist die Mehrheit. Der Gesetzentwurf ist somit auch in dritter Lesung angenommen. (Abg. Zarits – in Richtung SPÖ –: Führungslos!)

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Christian Ragger, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Leistungsorien­tierte Lehrlingsentschädigung für Absolventen der Pflegelehre“.

Wer dafür ist, den bitte ich um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen betreffend „endlich wirksame Maß­nahmen gegen den Pflegepersonalmangel setzen“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. (Oh-Rufe bei der ÖVP in Richtung der sich


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erhebenden Abgeordneten der FPÖ. – Abg. Wurm: Wir sind pakttreu!) – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Christian Ragger, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Zweiten Bildungs­weg für Pflegekräfte auch finanziell absichern“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

13.38.185. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 3237/A der Abgeordneten August Wöginger, Bedrana Ribo, MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundespflegegeldgesetz geändert wird (2040 d.B.)

6. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 3261/A(E) der Abgeordneten Fiona Fiedler, BEd, Kolleginnen und Kollegen betreffend Digi­talisierung von Parkausweisen für Menschen mit Behinderungen (2041 d.B.)


Präsident Ing. Norbert Hofer: Wir kommen nun zu den Punkten 5 und 6 der Tagesordnung, über welche die Debatten unter einem durchgeführt werden.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Ich bitte nun Frau Bedrana Ribo um ihre Ausführungen. – Bitte, Frau Abgeordnete.


13.39.02

Abgeordnete Bedrana Ribo, MA (Grüne): Herr Präsident! Geschätzter Herr Minister! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Zuseher:innen auf der Galerie


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und zu Hause! Die Aufgabe, ein Familienmitglied zu pflegen, verlangt Angehörigen viel ab. Das wissen, glaube ich, viele aus eigener Erfahrung.

Pflegende Angehörige leisten oft Übermenschliches. Sie sind ein wichtiges Zahnrad in unserem Pflegesystem und sie halten unser Pflegesystem auch am Laufen. Ohne die Menschen, die in ihren Familien täglich Carearbeit machen, wäre das österreichische Gesundheitssystem, wie man so schön sagt, aufgeschmissen.

Was bekam man bis jetzt als pflegende Angehörige? – Nicht viel. Man ist für die Gesellschaft sehr oft unsichtbar. Es gibt wenig Unterstützung und noch weniger Wertschätzung für diesen wertvollen Beitrag, der für unsere Gesellschaft geleistet wird.

Wer sind pflegende Angehörige? – Auch im Jahr 2030 sind das nach wie vor viele, viele Frauen, die im Hintergrund pflegen, sich kümmern und sich bemühen, ihren Angehörigen ein Altern in Würde und auch ein Altern in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen.

Es freut mich deshalb umso mehr, dass der Angehörigenbonus nun noch mehr Menschen zur Verfügung steht. Mit der Aufhebung der Voraussetzung eines gemeinsamen Haushaltes profitieren circa 23 000 Menschen mehr von diesem Bonus und bekommen nicht nur diese wichtige finanzielle Unterstützung, sondern auch Anerkennung. (Beifall bei den Grünen.)

Ab sofort müssen nun pflegende Angehörige nicht mehr im gemeinsamen Haushalt wohnen oder gemeldet sein, um den Bonus zu bekommen. Wir wissen: Die Realität ist eine andere. Oft ist es vor allem im ländlichen Bereich, aber auch im städtischen Bereich so, dass die Schwiegereltern oder die Eltern im Haus daneben wohnen, und deswegen ist es wirklich eine gute Sache, dass die Bedingung des gemeinsamen Haushalts wegfällt und diese Maßnahme leichter in Anspruch genommen werden kann.


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Weil wir hier von der Arbeit der vielen pflegenden Angehörigen sprechen – wir wissen, in Österreich haben wir circa eine Million Menschen, die das machen; vorhin hat auch Klubobmann Wöginger hier einige Punkte vom neuen, zweiten Paket der Pflegereform genannt –, möchte ich auch auf ein paar Punkte eingehen.

Es freut mich sehr, dass vor allem auch pflegende Angehörige weitere Unter­stützung bekommen. Das Angehörigengespräch, welches wir schon im ersten Paket auf fünf Termine ausgeweitet haben, wird jetzt auf zehn Termine ausgeweitet. Auch zukünftig soll es Hausbesuche geben. Zwei Mal im Jahr sollen diplomierte Pflegekräfte vorbeikommen, um zu schauen. Das ist in erster Linie ein präventiver Ansatz, einfach um die pflegenden Angehörigen zu unterstützen und zu beraten.

Einen Punkt, der mir persönlich auch sehr wichtig ist, möchte ich hier auch erwähnen: Wenn wir von pflegenden Angehörigen reden, dann denken wir alle oft an erwachsene Menschen. Es gibt aber auch viele Kinder in Österreich, die ihre Eltern, ihre Großeltern, ihre Geschwister pflegen. Sie sind noch unsichtbarer als ihre großen Kolleg:innen. Die sogenannten Young Carers sind schwer erreichbar, es gibt eine sehr hohe Dunkelziffer pflegender Kinder in Österreich. Aus diesem Grund freut es mich wirklich, dass im Zuge dieses neuen Paketes auch eine Bewusstseinskampagne, eine sogenannte Awarenesskampagne, bei Hausärzt:innen und in den Schulen gestartet wird, um vor allem diese schwer erreichbaren Kinder niederschwellig zu erreichen und ihnen die Unterstützung, die sie brauchen, zu bieten. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wie Sie sehen, tut sich viel im Pflegebereich. Diese niederschwelligen Maß­nahmen wirken, kommen bei den Menschen an.

Noch einmal: Wir haben viel zu lange weggeschaut. Jetzt ist es an der Zeit, zu handeln, und das tun wir. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

13.43



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Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Mag. Verena Nussbaum. – Bitte, Frau Abgeordnete.


13.43.38

Abgeordnete Mag. Verena Nussbaum (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundes­minister! Sehr geehrtes Hohes Haus! Ich möchte die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Körösistraße aus Graz recht herzlich auf der Galerie begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)

Zuerst möchte ich zum Tagesordnungspunkt zur Digitalisierung von Park­ausweisen von Menschen mit Behinderungen sprechen. Meiner Meinung nach ist dieser Antrag sehr zu begrüßen, da es sich durch die Digitalisierung um eine Verwaltungsvereinfachung handeln kann. Die Bearbeitungszeit kann verkürzt werden, und auch einem potenziellen Betrug kann vorgebeugt werden.

Jetzt aber zum anderen Tagesordnungspunkt, zu den Änderungen im Bundes­pflegegeldgesetz: Ja, Pflegekräfte dürfen auch in Zukunft Ersteinstufungen im Zuge der Pflegegeldeinstufung vornehmen und pflegende Angehörige müssen nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit den zu Pflegenden wohnen.

Alles andere die nahen Angehörigen betreffend bleibt aber gleich. Das heißt, Pflegestufe 4 ist Voraussetzung dafür, dass man überhaupt diesen Bonus bekommt, und der ist 4,10 Euro am Tag. Unserer Meinung nach ist das nur eine symbolische Geste des Danks – es ist ein bisschen mehr als das Klatschen –, weil man sich mit 1 500 Euro im Jahr keine Entlastung kaufen kann. (Beifall bei der SPÖ.)

Unserer Meinung nach ist es notwendig, dass man die mobilen Dienste, Tageszentren, aber auch Betreuungseinrichtungen für stationäre Kurzzeitpflege ausbaut. Das wären Entlastungsmöglichkeiten für pflegende Angehörige.

Gerade diese Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen sind von der derzeitigen Teuerung besonders stark betroffen. Die Pflege an sich kostet schon sehr viel,


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die Valorisierung des Pflegegelds ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Medi­zinische und pflegerische Hilfsmittel, Medikamente und Heilbehelfe machen oft einen sehr großen Teil der monatlichen Ausgaben der Betroffenen aus. Für viele führt die exorbitante Teuerung von Energie, Wohnen und Lebensmitteln jetzt schon dazu, dass sie bei den Ausgaben für ihre Gesundheit sparen müssen. In einem reichen Land wie Österreich sollte es so etwas nicht geben.

Wir wissen, die türkis-grüne Regierung hat generell versagt und mit ihren Maßnahmen keinen einzigen Preis gesenkt. Ganz im Gegenteil: Die Ausschüt­tungen mit der Gießkanne haben die Teuerung noch weiter angefacht.

Seit Beginn der hohen Inflationsraten machen wir als SPÖ laufend Vorschläge, wie der Teuerung entgegengetreten werden kann. Leider haben die Regie­rungsparteien, obwohl sie selber keine Ideen dazu haben, keinen dieser Vorschläge aufgenommen. (Abg. Gödl: Wir sind jetzt bei der Pflege!) Ich fordere Sie auf: Geben Sie endlich ihre Blockadehaltung auf! Arbeiten Sie zum Wohle aller Menschen in Österreich (Beifall bei der SPÖ) und nicht nur für jene, die es sich sowieso selbst richten können! Ich bringe daher auch heute wieder einen Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Josef Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Regierung muss endlich Blockadehaltung im Kampf gegen die Teuerung auf­geben!“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert ihre Blockadehaltung zu beenden und dem Nationalrat ein umfassendes Inflationsdämpfungsgesetz vorzulegen, das zumindest folgende Sofortmaßnahmen umfasst:


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1. Rücknahme der April-Erhöhung der Richtwertmieten. Einfrieren aller Mieten bis Ende 2025. Danach Begrenzung des Mietanstiegs mit dem EZB-Leitzinssatz, maximal aber 2 % pro Jahr.

2. Sofortiges, temporäres Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel des täglichen Bedarfs.

3. Einsetzung einer schlagkräftigen Anti-Teuerungskommission, die u.a. sicherstellt, dass milliardenschwere Hilfszahlungen an Unternehmen in Form von sinkenden Preisen an die Menschen weitergegeben werden. Bei Nicht-Weitergabe von Hilfen bzw. von allen Mehrwertsteuersenkungen in Form von sinkenden Preisen soll es harte Sanktionen bis hin zur Rückzahlung der Energiehilfen geben.“

*****

Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

13.47

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Josef Muchitsch, Verena Nussbaum

Genossinnen und Genossen

betreffend Regierung muss endlich Blockadehaltung im Kampf gegen die Teuerung aufgeben!

eingebracht im Zuge der Debatte zum Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 3237/A der Abgeordneten August Wöginger, Bedrana Ribo, MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes­pflegegeldgesetz geändert wird (2040 d.B.)


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TOP 5

Die Teuerung in Österreich ist so hoch wie seit 70 Jahren nicht mehr – und sie steigt weiter. Die Preise explodieren. Immer mehr Menschen arbeiten immer härter und können sich trotzdem das Leben kaum noch leisten. Die Bundesregierung hat im Kampf gegen die Teuerung völlig versagt.

Immer mehr Familien können sich aufgrund der Teuerung kein warmes Essen mehr leisten, ihre Kinder nicht mehr gut versorgen und müssen an der Supermarktkasse feststellen, dass sie sich mit ihrem Geld immer weniger leisten können. Es wäre die Aufgabe dieser Bundesregierung, die steigende Armut zu verhindern und die ausufernde Geldentwertung strukturell zu bekämpfen. Es geht nicht nur darum einzelnen Gruppen Almosen zukommen zu lassen - wie zum Beispiel den Angehöri­genbonus für pflegenden Angehörige, der gerade einmal 4 Euro pro Tag ausmacht - sondern die Preise strukturell zu senken. Niemand soll sich an der Supermarktkasse arm fühlen.

Pflegebedürftige und deren Angehörige sind eine von der Teuerung besonders betroffene Gruppe, denn Pflege kostet an sich schon viel. Medizinische und pflegerische Hilfsmittel, Medikamente und Heilbehelfe sowie notwendige profes­sionelle Pflegeleistungen belasten das Budget dieser Personen enorm. Durch die exorbitante Teuerung von Energie und Lebensmittel muss oft schon an den für die Pflege notwendigen Dienstleistungen gespart werden. Natürlich zu Lasten der zu pflegenden Personen. Das ist ein unhaltbarer Zustand.

Türkis-Grün hat es jedoch im gesamten letzten Jahr nicht verstanden, Maßnahmen zu setzen, um die Rekordteuerung in Österreich zu drücken. Dabei hätte es genügend positive Beispiele in Europa gegeben, wie man Bevölkerung und Wirtschaft in der Krise schützt und unterstützt. Länder wie Frankreich, Spanien, Deutschland oder die Schweiz haben etwa die exorbitanten Energiepreise nicht ungezügelt auf die Men­schen losgelassen. Es gab entschlossene Eingriffe in den Markt. Dabei wurde in vielen Ländern auf einen Maßnahmen-Mix gesetzt. Mehrwertsteuersenkungen – etwa im Bereich von Gas in Deutschland – wurden mit preisregulatorischen Maßnahmen –


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deutscher Gas- und Energiepreisdeckel – verbunden. Auch bei einem der Haupt­preistreiber in Österreich, nämlich den Wohnkosten, hat man in anderen Ländern entschlossen gehandelt. Die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel wurde in anderen Ländern Europas gesenkt. Nur in Österreich hat die Regierung zugeschaut und absolut nichts gegen den Inflationstsunami getan. Im Ergebnis ist Österreich heute das Land mit der höchsten Inflationsrate –9,7 % im April 2023 - in Westeuropa.

Regierung hat Warnung der SPÖ ignoriert und sich nicht an guten Beispielen orientiert

Die SPÖ hat vor dieser Inflationsentwicklung schon vor mehr als einem Jahr gewarnt und immer wieder inflationsdämpfende Maßnahmen vorgeschlagen. ÖVP und Grüne haben diese Warnungen ignoriert, die Anträge der SPÖ wurden vertagt oder abgelehnt. In Spanien lag die Inflation im April bei 3,8 %, in Frankreich bei 6,9 % und in Deutschland bei 7,6 % - deutlich geringer als in Österreich. Ein wesentlicher Treiber der Inflationsrate – also des Verbraucherpreisindex – sind die Wohnkosten. Dass die gesetzlichen Mieten an den Verbraucherpreisindex gekoppelt sind, ist angesichts der Ursachen der Teuerung und des Auseinanderklaffens von Zinsen und Inflationsrate eine absolute Fehlkonstruktion, die als Inflationsbeschleuniger wirkt. Aus Sicht der Vermieter:innen sind Mieten ein praktisch risikoloses Kapitalein­kommen und sollten daher auch nicht anders behandelt werden. Sparer bekommen auf der Bank kaum mehr Zinsen für ihre Einlagen, Zinshaus-Besitzer erhalten hingegen eine jährliche Rendite in der Höhe der Inflationsrate (dabei ist die Wertsteigerung der Immobilie noch gar nicht berücksichtigt) – und das auf Kosten von Millionen von Menschen. Andere Regierungen haben dieses Problem längst erkannt und die Mieten vom Verbraucherpreisindex entkoppelt. In Spanien und Portugal wurden die Mieterhöhungen mit 2 % gedeckelt. In Frankreich gibt es einen eigenen Index für Mieterhöhungen, der allerdings mit 3,5 % gedeckelt ist. In der Schweiz dürfen die Mieten nur um höchstens 40 % der Steigerung des Verbraucher­preisindex valorisiert werden. In Schottland wurden die Mieten temporär eingefroren. Und in Österreich? Bei uns fließen 80 % der gesamten Mieteinnahmen an das


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oberste Einkommenszehntel. Es ist daher kein Wunder, dass die Teuerung die ohnehin hohe Vermögensungleichheit in unserem Land weiter dramatisch verschärft. Dass hier nicht gesetzlich gegengesteuert wurde, obwohl es ganz leicht möglich gewesen wäre, zeigt, dass die türkis-grüne Regierung am Ende des Tages auf der Seite der Immobilienspekulanten und nicht der Millionen Österreicherinnen und Öster­reicher steht. Auch auf die exorbitanten Steigerungen bei Lebensmittelpreisen wurde seitens der österreichischen Bundesregierung nicht reagiert, während Portugal, Spanien und Polen die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel auf 0 % gesenkt haben.    Während der Mikrowarenkorb für den täglichen Einkauf – also das, was jede Familie einkaufen muss und schwer vermeiden kann – im April sogar um 13,8 Prozent stieg, liefert sich die Bundesregierung einen monatelangen Streit um die partei­politische Besetzung der Bundeswettbewerbsbehörde - ein unwürdiges Schauspiel zu Lasten der Brieftaschen in Österreich.

Regierung mit Rekordausgaben, die keinen einzigen Preis senken

Wie schon zu Zeiten von Corona rühmt sich die Regierung damit, im internationalen Vergleich Rekordausgaben „gegen die Teuerung“ zu tätigen. Angesichts der Corona-Bilanz eine etwas kühne Herangehensweise. Denn tatsächlich gab es während der Corona-Pandemie Rekordausgaben, die zu Überförderungen von hunderten Millionen Euro geführt haben, wie sogar der Rechnungshof und die OeNB festgestellt haben. Die Regierung hat zwar das Geld der Menschen in Österreich mit beiden Händen ausgegeben, bei der Entwicklung des BIP in den Corona-Jahren 2020 und 2021 gab es jedoch nur 3 Länder in Europa, die schlechter abgeschnitten hatten als Österreich. Das heißt: die enormen finanziellen Hilfen haben den Zweck völlig verfehlt. Die Bundesregierung hat auf eine kurzsichtige Politik der Einmalzahlungen gesetzt. Diese Einmalzahlungen senken keinen einzigen Preis und zudem wurden die Krisenkosten auch noch falsch verteilt. Auch hier lügen die Zahlen nicht, auch wenn sie von ÖVP und Grünen gerne verschwiegen werden. Dass sich eine Regierung an Ankündigungen und nicht an tatsächlichen Verbesserungen messen lassen will, fällt den

Menschen in Österreich nun schon zum zweiten Mal auf den Kopf. Der IWF hat ausgerechnet, dass die österreichische Regierung zwar im europäischen Vergleich


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tatsächlich sehr viel Geld unter dem Titel „Anti-Teuerung“ ausgibt, aber 3/5 des Geldes nicht zielgerichtet ankommen. Gleichzeitig wurde dabei kaum ein Preis gesenkt. Viel Geld auszugeben, das weder zielgerichtet ankommt noch die Preise senkt, ist mit Sicherheit das Schlechteste aus beiden Welten. Das beste Beispiel für sinnlose Rekordausgaben ist der Energiekostenzuschuss II, der bereits scharf vom Fiskalrat kritisiert wurde. Für viele EPUs und KMUs kommen die Hilfen wieder zu spät oder sind zu klein, weil die Regierung die Energiepreise nicht regulieren wollte. Bei anderen großen Unternehmen wird dieser Zuschuss zu massiven Übergewinnen führen. Dort wo sich die Preissteigerungen ohne große Schwierigkeiten weitergeben lassen, ist es nämlich sehr wahrscheinlich, dass die Energiepreissteigerungen fast 1:1 auf die Preise aufgeschlagen werden. Gleichzeitig werden die verspäteten Hilfs­zahlungen 1:1 in die Gewinne der betroffenen Unternehmen fließen. Eine Regierung, die sich auch nur ein bisschen ernst nimmt, dürfte niemals zulassen, dass einzelne Unternehmen die Energiehilfen dafür verwenden, ihre Gewinne zu steigern. Es kann eigentlich nicht sein, dass die Menschen doppelt zahlen, zuerst einen höheren Preis – etwa für Lebensmittel – und dann auch noch die Energiehilfen für Unternehmen über ihre Steuern und Abgaben. 5 bis 8 Milliarden Euro an wertvollen Steuergeldern werden beim Energiekostenzuschuss II größtenteils sinnlos und völlig ohne Wirkung auf die Inflation ausgegeben.

Die Bundesregierung schaut weg –Unzählige Gipfel ohne ein zählbares Ergebnis

Wer Politik für die Menschen macht, schaut genau hin, wo der Schuh drückt – also wo die Teuerung am stärksten zuschlägt. Die größten Treiber der Teuerung sind: Energie, Lebensmittel und Wohnen. Es wäre verantwortungsvolle Politik und ökonomisch schlüssig, sich im Sinne der Menschen zu überlegen, welche Maßnahmen gesetzt werden müssen, um bei den größten Treibern der Teuerung den Preisauf­schwung zu stoppen bzw. zumindest zu dämpfen. Der Fiskalrat hat schon im Frühjahr 2022 berechnet, dass rund 35 % der Menschen ihre täglichen Ausgaben nicht (mehr) mit ihrem Einkommen bestreiten können. Der Bundesregierung waren diese Warnungen schon vor dem Sommer 2022 bekannt. Hochrangige Vertreter:innen aus Wirtschaft und Industrie wurden im letzten Jahr nicht müde zu betonen, dass die


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Teuerung bei den Energiepreisen die österreichische Wirtschaft und unseren Standort schwächt. Die ersten Vorboten der bevorstehenden Krise hat man bereits im Herbst 2022 gesehen. Ziegelwerke mussten ihre Produktion stilllegen, Bäckereien mussten schließen, Wirtshäuser kämpften ums Überleben. Die Wett­bewerbsfähigkeit Öster­reichs leidet enorm. Aber nicht nur die Wirtschaft, sondern vor allem auch die Menschen sind stark von der Teuerung betroffen. Die Statistik Austria hat jüngst am 4. Mai 2023 dargelegt, welche Auswirkungen das Nicht-Handeln der Regierung auf

den Wohlstand in Österreich hat. Im letzten Jahr haben mehr als 1/3 der Menschen in Österreich einen realen Einkommensverlust hinnehmen müssen. 27 % der Menschen in Österreich rechnen mit Zahlungsschwierigkeiten bei Mieten und Wohnen. 1,1 Mio. Menschen können sich nicht einmal Kleinigkeiten gönnen, 760.000 Wohnungen im Winter nicht warmhalten, 550.000 haben Schwierigkeiten sich eine warme Mahlzeit zu leisten. Diese Situation ist für ein Land wie Österreich unwürdig und für viele Familien längst untragbar geworden. WIFO-Chef Gabriel Felbermayr hat sich unter anderem für einen Mietpreis-Stopp ausgesprochen und Eingriffe in den Markt von der Regierung eingemahnt: „ […] die Mietpreisbremse muss überlegt werden, ich war ehrlich gesagt enttäuscht, dass sie nicht gekommen ist.“1 Die Regierung beobachtet aber nur weiter und lässt einen Gipfel nach dem anderen ohne konkretes Ergebnis verstreichen. Den Gipfel der Ergebnislosigkeit hat die Bundesregierung in einer denkwürdigen aber für die Bevölkerung sehr traurigen zweiten Maiwoche erreicht. Nachdem ein Lebensmittelgipfel am 8. Mai 2023 ergebnislos scheiterte, hat die Regierung am 10. Mai 2023 unter großem öffentlichen Druck in einer Panikreaktion im Rahmen einer Show-Pressekonferenz ein Nicht-Maßnahmenpaket angekündigt, das wieder keinen einzigen Preis senken wird. Weder wurden die Mieten reguliert und dadurch billiger, noch hat man in die Lebensmit­telpreise eingegriffen. Dem Wirtschaftsminister fällt nichts Besseres ein als eine Transparenzdatenbank für Lebensmittel anzukündigen. Und selbst dabei bleibt er im vagen Konjunktiv, es gibt weder einen konkreten Zeitplan, noch ist klar, was eine solche Datenbank überhaupt abbilden soll und von welchen Institutionen diese Daten erfasst werden sollen. Auch hier findet WIFO-Chef Felbermayr, dass die Regierung die


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Lebensmittelkonzerne stärker in die Pflicht hätte nehmen müssen: „Eine Trans­parenzinitiative, die sich auf wenige Produkte erstreckt, ist recht zahnlos. Der Staat muss ein bisschen mehr Muskeln zeigen!“2 So lange sichergestellt ist, dass diese weiter gegeben wird, kann sich mittlerweile auch er - wie von der SPÖ vorgeschlagen – eine Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel vorstellen. Im Interview mit der Krone vom 14. Mai 2023 plädiert auch Felbermayr dafür endlich stärker die Inflation selbst zu bekämpfen und nicht nur ihre Effekte.

Es wäre Aufgabe der österreichischen Bundesregierung, von den Besten zu lernen, verantwortungsvolle Krisenpolitik zu machen und nicht an einer fehlgeleiteten Politik festzuhalten – nur, weil man die eigenen Fehler nicht eingestehen will. Genau das passiert aber bei dem von der Regierung neuesten vorgestellten Maßnahmenpaket für Familien. Ein weiterer Tag vergeht, ohne dass die Inflation bekämpft wird. Wieder sinkt kein einziger Preis! Die Regierung rückt aktuell jeden zweiten Tag aus um den selbst verursachten Totalschaden mit Pflastern behelfsmäßig zu kaschieren. Wieder einmal sollen Sonderzahlungen die Fehler der Regierungspolitik kompensieren, aber die Inflation wird damit wieder nicht an der Wurzel bekämpft. Mit befristeten Zahlungen warden Menschen nicht nachhaltig aus der Armut geholt.

Gleichzeitig kommt von Bundesministerin Gewessler auch noch die Ankündigung, die Massen-CO2-Steuer für alle auch noch zu verdoppeln. Ein weiteres Regierungs­vorhaben, das die Inflation befeuert, statt reduziert.

Regierung muss endlich Blockadehaltung aufgeben!

Die beschleunigte Inflation ist eine sozial- und wirtschaftspolitische Katastrophe. Die Regierung muss endlich ihre Blockade gegen eine Politik, die die Inflation bekämpft und daher Preise senkt, beenden. Im Sinne der hart arbeitenden Menschen in unserem Land muss in den nächsten Wochen und Monaten ein Politikwechsel eingeleitet werden. Daher ist es notwendig, dass die SPÖ als stärkste Oppositions­partei alle parlamentarischen Möglichkeiten ausschöpft, um dahingehend Druck auf die Regierungsparteien auszuüben. Bevölkerung und Wirtschaft brauchen dringend


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Maßnahmen, die die Teuerung tatsächlich bremsen. Nicht immer ist das gleich­bedeutend damit, (noch) mehr Steuergeld auszugeben. Es gibt Sofort-Maßnahmen, die einfach und schnell umzusetzen wären: von einer Deckelung der Mieten, über scharfe Preiskontrollen durch eine schlagkräftige Anti-Teuerungskommission, bis hin zu einer Übergewinnsteuer für jene Unternehmen, die etwa Energiekostenzuschüsse nicht in Form von sinkenden Preisen an die Menschen weitergeben. Die SPÖ fordert daher zum wiederholten Male von der Bundesregierung die sofortige Vorlage eines umfassenden Inflationsdämpfungsgesetzes ein. Dieses Gesetz sollte das Ziel verfolgen, die Inflationsrate in Österreich mindestens um zwei bis drei Prozentpunkte zu drücken.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert ihre Blockadehaltung zu beenden und dem Nationalrat ein umfassendes Inflationsdämpfungsgesetz vorzulegen, das zumindest folgende Sofortmaßnahmen umfasst:

1.         Rücknahme der April-Erhöhung der Richtwertmieten. Einfrieren aller Mieten bis Ende 2025. Danach Begrenzung des Mietanstiegs mit dem EZB-Leitzinssatz, maximal aber 2 % pro Jahr.

2.         Sofortiges, temporäres Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel des täglichen Bedarfs.

3.         Einsetzung einer schlagkräftigen Anti-Teuerungskommission, die u.a. sicherstellt, dass milliardenschwere Hilfszahlungen an Unternehmen in Form von sinkenden Preisen an die Menschen weitergegeben werden. Bei Nicht-Weitergabe von Hilfen bzw. von allen Mehrwertsteuersenkungen in Form von sinkenden Preisen soll es harte Sanktionen bis hin zur Rückzahlung der Energiehilfen geben.“


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1 Kronen Zeitung, Sonntag 14.Mai 2023

2 Kronen Zeitung, Sonntag 14.Mai 2023

*****


Präsident Ing. Norbert Hofer: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht, er steht somit auch mit in Verhandlung.

Zu Wort gelangt nun Herr Mag. Gerhard Kaniak. – Bitte, Herr Abgeordneter. (Abg. Gödl: Wo war der Zusammenhang zum Thema?)


13.47.53

Abgeordneter Mag. Gerhard Kaniak (FPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geschätzte Zuseher! Kollegin Ribo hat es mit bemerkenswerter Offenheit zugegeben. Sie hat gesagt: Wir haben zu lange weggesehen.

Die Pflegemisere hat sich in den letzten drei Jahren eklatant verschärft, und die Bundesregierung hat jahrelang weggesehen. Gott sei Dank, muss man sagen, ist sie zumindest jetzt zum Handeln gekommen und setzt erste Maßnahmen wie den Beschluss der Pflegelehre im vorigen Tagesordnungspunkt oder jetzt auch die Ausweitung der Anspruchsberechtigung hinsichtlich des Angehörigenbonus beim Pflegegeld.

Das sind Schritte in die richtige Richtung, die wir Freiheitliche schon im Regie­rungsprogramm 2017 gefordert haben und die jetzt von der schwarz-grünen Bundesregierung mit drei Jahren Verspätung erfreulicherweise zumindest in Angriff genommen werden, obwohl sie uns noch nicht weit genug gehen. Warum? – Wir haben nicht nur einen eklatanten Pflegekräftemangel in Öster­reich, sondern auch eine zunehmend älter werdende und pflegebedürftige Bevölkerung. Wenn das System langfristig aufrechterhalten werden soll, dann müssen wir die Pflege zu Hause für die pflegenden Angehörigen und für die Betroffenen erleichtern und besser ermöglichen.


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Der Pflegekräftemangel in den stationären Einrichtungen hat die Belastung der pflegenden Angehörigen in den letzten Jahren darüber hinaus noch verschärft. Die Betten in den Pflegeeinrichtungen sind gesperrt, die Tagesbetreuungsplätze, die mobile Pflege kämpfen genauso mit Personalmangel, sodass die pflegenden Angehörigen wieder alles kompensieren müssen, was in den letzten drei Jahren von der Bundesregierung verabsäumt worden ist.

Was wir schon seit 2017 und darüber hinaus fordern, ist, dass das Pflegegeld vor allem dann, wenn Betroffene zu Hause gepflegt werden, deutlich erhöht werden müsste. Da ist dieser Angehörigenbonus grundsätzlich ein geeignetes Werkzeug, aber die Höhe, so wie es eine meiner Vorrednerinnen schon gesagt hat, ist deutlich zu gering.

Da braucht es deutlich mehr finanzielle Anreize und Entlastungen für die pflegenden Angehörigen, damit die Betroffenen, die Pfleglinge, nicht auch aus finanziellen Gründen in eine stationäre Einrichtung abgeschoben werden, sondern zu Hause betreut werden. Das ist auch der große Wunsch der meisten Menschen, die Pflege benötigen. Sie wollen so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden, in ihrem eigenen sozialen Umfeld, in ihrem familiären Umfeld bleiben und nicht in irgendein Alten- oder Pflegeheim abgeschoben werden.

Es gibt auch viele andere Möglichkeiten – Kollege Ragger hat das heute auch schon erwähnt –: technische Hilfsmittel, wie man die Wohnungen aufwerten, das Verbleiben in den eigenen vier Wänden ermöglichen und auch den Pflegebedarf reduzieren kann. Das ist auch beim Forum Alpbach vor fünf Jahren schon groß diskutiert worden, da stehen Millionen an EU-Geldern zur Verfü­gung, die von Österreich einfach nicht abgerufen werden.

Herr Bundesminister, ich weiß, Sie hören immer sehr aufmerksam zu und Sie kennen die Modelle wahrscheinlich auch. Ich möchte Sie dringlich ersuchen, auch in diesem Bereich Initiativen zu setzen. Da kann schnell geholfen werden, da liegen die Mittel parat. Die Problematik im Personalbereich werden wir so


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schnell nicht lösen können. Es wird eine größere Anzahl an Menschen geben, die zu Hause gepflegt und betreut werden müssen. Die technischen Hilfsmittel und die Pflege zu Hause durch die Angehörigen, durch mobile Dienste und die entsprechende technische Unterstützung ist ein Weg, damit die Menschen auch zu Hause gut versorgt sind, der Personalbedarf ein überschaubarer bleibt und damit auch bewältigbar ist.

Einen abschließenden Punkt möchte ich noch anmerken, der das Pflegegeld generell betrifft: Sie haben gesagt, Sie haben in vielen Punkten auf die Wünsche aus der Pflege gehört – auch, was zum Beispiel den Wunsch nach der Ersteinstufung durch qualifizierte Pflegekräfte anbelangt. Hören Sie doch bitte auch auf die Hilferufe aus der Pflege, die Ihnen sagen, dass die Einstufungen des Pflegegeldes, die Definition der Stufen, der darin veranschlagte Zeitaufwand für verschiedene Leistungen und die Entschädigungshöhe in den jeweiligen Stufen schon längst nicht mehr zusammenpassen und auch einer generellen Über­arbeitung bedürfen! In vielen Bereichen ist das Pflegegeld generell zu niedrig, ist der Aufwand unterbewertet, in einzelnen Bereichen ist das Gegenteil der Fall. Eine einfache Indexanpassung beim Pflegegeld – so, wie Sie das jetzt grundsätz­lich beschlossen haben – ist zwar schön, aber diese Gesamtevaluierung ersetzt diese Maßnahme nicht. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

13.52


Präsident Ing. Norbert Hofer: Nächster Redner ist Mag. Ernst Gödl. – Bitte, Herr Abgeordneter.


13.52.14

Abgeordneter Mag. Ernst Gödl (ÖVP): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine geschätzten Damen und Herren hier im Plenum, und ein Gruß auch an alle, die von zu Hause zuhören, und auch an alle hier auf der Galerie! Zum Thema Pflege: Die Regierung und die Regierungsparteien im Parlament haben es versprochen, und die Regierungsparteien halten Wort. (Beifall bei der ÖVP.)


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Es war eine klare Ansage, als diese Regierung gebildet wurde, dass wir dem Thema Pflege einen großen Schwerpunkt widmen und dass wir eine Pflegereform in Gang setzen. Dieses Versprechen halten wir und an diesem Versprechen arbeiten wir quasi von Sitzung zu Sitzung.

Wir haben genau vor einem Jahr das erste große Reformpaket mit 20 Maß­nahmen und einer Gesamtausgabe von etwas mehr als 1 Milliarde Euro eingebracht. Das war das größte Reformprojekt seit den großen Reformen, die es in den Neunzigerjahren zum Beispiel mit der Einführung des Pflegegeldes gegeben hat. Mit diesem Maßnahmenpaket haben wir drei große Bereiche adressiert: zum einen einmal an alle gerichtet, die in der Pflege arbeiten, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen; zum Zweiten die Rekrutierung von Personal, also die Frage der Verbesserung der Ausbildungsbedingungen; und natürlich zum Dritten auch die Betroffenen und die, die die Betroffenen pflegen, nämlich die pflegenden Angehörigen.

Heute sind wir wieder in einem Bereich, in dem wir die Maßnahmen, die wir vor einem Jahr angekündigt haben, auch in Umsetzung bringen: beim vorigen Tagesordnungspunkt, der Pflegelehre. – Es ist wirklich jammerschade, liebe Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokratie, dass Sie es nicht schaffen, über Ihren Schatten zu springen. Sie haben „sozial“ in Ihrer Parteibezeichnung und schaffen es nicht, wenn sozialpolitisch wichtige Maßnahmen – nämlich gerade im Bereich der Pflege – beschlossen werden, mitzustimmen. Das ist wirklich schade, das tut Ihnen nicht gut, das tut unserem Land nicht gut, denn eines, meine Damen und Herren, sage ich Ihnen: Die Menschen, die zuhören – hier oben und auch vor den Fernsehschirmen –, wollen nicht, dass wir streiten, dass wir dieses Thema so streitbar behandeln, sondern die wollen, dass wir Punkt für Punkt neue Lösungen suchen.

Diese Reformpakete – das erste wie das zweite, das gestern vorgestellt wurde – haben genau das zum Ziel: die Bedingungen für die Pflege, für die, die in der Pflege arbeiten, die von der Pflege betroffen sind, für die pflegenden Angehö­rigen massiv zu verbessern. (Beifall bei der ÖVP.)


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Die Pflegelehre ist ein solcher Punkt, der ganz wichtig ist, um auch diese Frage des Personals anzugehen. Es ist natürlich nur ein Mosaiksteinchen, es ist natürlich nur ein kleiner Beitrag, aber ein Beitrag, der unbedingt notwendig ist.

Ein anderer Bereich ist die Stärkung der Pflege zu Hause – ein ganz wichtiges Anliegen. Wir wissen, dass etwa 80 Prozent von jenen, die Pflegegeld beziehen – von den etwa 470 000 Menschen in Österreich –, den großen Wunsch haben, zu Hause bleiben zu können, in ihren eigenen vier Wänden die Unterstützung zu erfahren, die sie für die Bewältigung des Alltags brauchen. Dafür gibt es natür­lich ein Netzwerk, und dieses Netzwerk müssen wir ausbauen. Zum Beispiel die mobilen Dienste: Auch da haben die Bundesländer – egal ob rote oder schwarze Bundesländer – viel getan. Die Bundesländer haben in diesen Bereichen in den letzten Jahren viel geleistet. Ich denke da an die Steiermark, dort wurden zum Beispiel auch die Tarife gesenkt – dass eben die Inanspruchnahme für den Betroffenen einfach günstig ist: so günstig, dass es keine Frage sein kann, ob man es sich leisten kann oder nicht.

Ein Punkt, den wir unter diesem Tagesordnungspunkt beschließen, ist der Angehörigenbonus. Wir haben ihn prinzipiell ja schon auf den Weg gebracht: nämlich, dass all jene, die Angehörige pflegen, die in Pflegestufe 4 oder höher eingestuft sind, einen jährlichen Dankesbeitrag in der Höhe von 1 500 Euro erhalten. Da war es der große Wunsch, dass es nicht daran gekoppelt sein soll, dass man in einem gemeinsamen Haushalt wohnt. Das haben wir jetzt insofern verbessert und auch den Bezugsraum ausgeweitet, sodass in Summe – Frau Kollegin Ribo hat es schon ausgeführt – etwa 80 000 Menschen in Zukunft auch von diesem Bonus profitieren werden. Das ist ein guter Beitrag – auch für die Stärkung der Pflege zu Hause.

Ein Punkt, auf den ich auch im ländlichen Bereich ganz oft angesprochen werde, ist die Frage der 24-Stunden-Betreuung – auch ein Baustein in der Pflege. Etwa 5 Prozent jener, die Pflegegeld beziehen, nutzen die Betreuung durch 24-Stunden-Kräfte. Dazu gibt es seit 2007 auch einen Beitrag des Bundes. Eine


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Förderung des Bundes betrug bis vor einem Jahr 550 Euro pro Monat, wenn es eine Selbstständige war, wenn also die Leistung im Bereich der Selbstständigkeit erbracht wurde. Wir haben schon mit Jahresbeginn beschlossen, diesen Betrag auf 640 Euro zu erhöhen, und trotzdem gab es noch oft die Fragen: Warum ist das nicht mehr?, vor allem: Warum valorisieren wir nicht den Betrag von seinerzeit 550 Euro? – Das machen wir jetzt, indem jene, die in der Selbststän­dig­keit die 24-Stunden-Betreuung anbieten, mit 800 Euro Förderung unterstützt werden – eine wichtige Förderung für die Stärkung der Betreuung zu Hause.

Die 24-Stunden-Betreuung ist in diesem neuen Reformpaket, das der Herr Bundesminister gestern gemeinsam mit unserem Klubobmann vorgestellt hat, ein wichtiger Baustein. Es geht auch in diesem Bereich um den Ausbau der Qualitätskontrolle, weil wir auch sehen, dass diese Betreuungskräfte, die aus­schließlich aus dem Ausland kommen, natürlich auch einer gewissen Aufsicht bedürfen. Daher ermöglichen wir in Zukunft auch viermal den Hausbesuch durch diplomiertes Personal, um eben die Qualität abzusichern. Wir wollen in Zukunft auch eine Supervision und ein E-Learning-Programm für diese Kräfte anbieten.

Der zweite Punkt in diesem zweiten Reformpaket, das gestern präsentiert wurde, betrifft wiederum die Gesundheits- und Krankenpflegeberufe – und zwar im Konkreten die Erweiterung der Kompetenzen. Auch etwas, was ganz oft in der Praxis an uns herangetragen wurde: Bitte, geben Sie uns die Chance, mehr Kompetenzen zu haben, damit nicht immer eine Schleife über Ärzte gezogen werden muss! – Auch das gehen wir an und auch das werden wir verbessern.

Auch ein Punkt – um zum Personal zu kommen – ist die Frage der Nostrifi­kationen. Wir wissen, dass viele Trägerorganisationen bereits international nach Personal suchen. Auch das soll erleichtert werden, auch da möchten wir ein paar neue Bestimmungen einbringen.

Ich glaube, ein guter Ansatz ist auch, für die Zivildiener, die sich im Bereich der Pflege engagieren, in Zukunft eine Basisausbildung bereithalten zu wollen –


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nämlich ganz konkret die Unterstützung in der Basisversorgung von Pflege­be­dürftigen. Auch das soll beitragen, das Personal in der Pflege zu stärken.

Schließlich die Maßnahmen für Angehörige: Die Ausweitung des Angehörigen­bonus habe ich schon erwähnt und besprochen.

Auch wichtig: die schnellere Einstufung beim Pflegegeld. Auch das ist in der Praxis oft ein Problem, dass jemand, der Pflegegeld beantragt, oft monatelang auf die Einstufung warten muss. Das soll vereinfacht werden, indem diplomiertes Personal die Einstufung auch selbst vornehmen darf.

Insgesamt könnte ich also noch viele, viele weitere Punkte aufzählen. Die Bundesregierung hält, was sie versprochen hat: nämlich die Pflege umfassend zu reformieren. (Beifall bei der ÖVP.)

Ganz wichtig, meine Damen und Herren, ist aber – und das ist mir wirklich ein persönliches Anliegen –: Wir dürfen die Pflege nicht von Grund auf schlecht­reden. So vieles in unserem Land gelingt hervorragend – gerade auch in der Pflege. Es gibt so viele engagierte Menschen in der Pflege. Wenn immer wieder ein Personalnotstand behauptet wird: Ja, die Herausforderung ist groß, in Zukunft genug Personal zu finden.

Ich möchte aber trotzdem die Pflegedienstleistungsstatistik zur Hand nehmen, auch, um vielleicht ein paar Dinge einmal ins richtige Licht zu rücken. Wir hatten in Österreich im Jahr 2016, also vor sieben Jahren, in der Langzeitpflege – das betrifft die stationäre Pflege, die teilstationäre Pflege und die mobilen Dienste – 65 000 Beschäftigte. Glaubt ihr, dass wir im Jahr 2021 mehr oder weniger hatten? – Wir hatten um 4 000 mehr, nämlich 69 000 Beschäftigte.

Jetzt kann der Einwand kommen, na ja, das mag an Köpfen schon stimmen, aber sie arbeiten möglicherweise weniger, möglicherweise arbeiten mehr in Teilzeit. – Das stimmt nur zum Teil. Im Jahr 2016 waren es auf Vollzeitäquivalente umge­rechnet 47 000 Personen und im Jahr 2021, das ist die letzte statistische Aufzeichnung und Auswertung, 50 000 Vollzeitäquivalente. Also das zeigt, dass


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der Pflegeberuf nach wie vor attraktiv ist, dass es mehr Menschen in der Pflege gibt als je zuvor.

Damit will ich nichts schönreden. Wir haben große Herausforderungen, um die Pflegekräfte der Zukunft zu finden, weil eine große Pensionierungswelle ansteht, weil sich natürlich demografisch vieles verändert, weil der Bedarf an Pflege stark steigen wird, erstens aus der Demografie heraus, aber auch deshalb, weil sich die Familienstrukturen stark verändern. Die Erwerbsbeteili­gung im höheren Alter wird größer werden, sodass weniger Angehörige zu Hause pflegen können und dergleichen.

Also die Herausforderungen sind groß, keine Frage, aber man sieht an der Statistik, dass der Pflegeberuf ein Beruf ist, der durchaus geschätzt wird und der durchaus nachgefragt wird. Und da wäre es gut, wenn wir bereit wären, das auch anzuerkennen, und nicht immer nur von einem ganz großen Notstand und von einer Katastrophe, die bevorsteht, sprechen würden. Auch das sind wir, glaube ich, der Pflege insgesamt schuldig.

In diesem Sinne, meine Damen und Herren: Die Herausforderungen sind groß. Die Bundesregierung und das Parlament haben es versprochen und Wort gehalten: Wir setzen die Reformmaßnahmen im Bereich der Pflege um. Konse­quent, Sitzung für Sitzung werden wir weitere Schritte bringen, denn es ist unser Auftrag, uns für die Zukunft zu rüsten, um die Pflegereform wirklich umzusetzen. – Danke schön. (Beifall bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen.)

14.02


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Fiona Fiedler. – Bitte, Frau Abgeordnete.


14.02.20

Abgeordnete Fiona Fiedler, BEd (NEOS): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher auch zu Hause! (Die Begrüßung auch in Gebärdensprache ausführend:) Liebe gehörlose


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Menschen! Wie wichtig die Pflege ist, sieht man aktuell im Saal, es sind nämlich sicher weniger als die Hälfte der Abgeordneten im Raum. Dazu gratuliere ich einmal von Herzen – um damit zu beginnen. (Abg. Schmuckenschlager: Sie sind auch nicht immer hier!)

Zweitens werde ich wieder dem Angehörigenbonus nicht zustimmen können (Zwischenrufe der Abg. Erasim), weil wir generell gegen diese Bonuszahlungen nach dem Gießkannenprinzip sind, denn sie sind nicht zielführend. Ich möchte aber auch erklären, warum.

Im Grund genommen haben wir mit Pflegepaket eins und Pflegepaket zwei die Möglichkeit gehabt, da zu reparieren. Es wurde auch viel getan. Es wurde jetzt auch die 24-Stunden-Betreuung in den Himmel gehoben, gesagt, was da alles verbessert wurde. Dass jetzt eine 24-Stunden-Betreuung drei Personen betreuen darf, kann, muss, bemängeln auch die Personen selber, weil es einfach zu viel Belastung für diese Personen ist.

Um aber wieder auf den Angehörigenbonus zurückzukommen: Wir sollten da, glaube ich, besser schauen, dass wir die Last von den Privaten nehmen, anstatt sie auf die Privaten zu schieben, und den Ausbau der mobilen Pflege, aber auch der selbstständigen Pflege forcieren. Das wäre, glaube ich, die bessere Lösung.

Wie wir schon vorhin von Kollegin Ribo gehört haben, dürfen wir Angehörige – Kinder und Jugendliche, Eltern und Verwandte – nicht alleine lassen, gerade wenn es um Kinder und Jugendliche geht, die ohnehin schon psychisch belastet sind. Wir müssen schauen, dass wir sie ordentlich entlasten und unterstützen und eben auch mobile und selbstständige Pflege fördern.

Zudem ist die Pflege zunehmend weiblich. Wir haben viele Angehörige, die weiblich sind und pflegen müssen, die in eine Teilzeitfalle stolpern, wenn sie Angehörige pflegen, weil sie meistens ihre Arbeitszeit auf Teilzeit reduzieren. Ich glaube nicht, dass das wirklich förderlich ist, denn wir haben ohnehin einen


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akuten Arbeitskräftemangel. Und: Die großartigen 123 Euro im Monat so groß zu propagieren, das finde ich schon etwas vermessen.

Wir wollen den Menschen im Mittelpunkt haben: den zu pflegenden Men­schen, die Pflegerinnen und Pfleger, aber auch die Angehörigen – die sollen Freude haben, wenn sie nach getaner Arbeit nach Hause kommen und sich mit ihren Liebsten beschäftigen können und nicht dann auch noch Pflegearbeit leisten müssen, auch wenn sie das teilweise vielleicht gerne tun, sicher aber auch aus einer Verpflichtung heraus. Ich hätte gerne, dass wir qualitativ hochwertige Pflege für unsere Angehörigen haben, darum gibt es hier keine Zustimmung.

Der zweite Punkt, weil ich doch positiv schließen möchte, ist die Digitalisierung des Parkausweises: Da ist es uns gelungen, wieder einmal miteinander zu arbeiten, alle anzuhören. Es geht darum, dass wir den Parkausweis, der für Menschen mit Behinderungen ausgestellt wird, digitalisieren wollen. Es geht darum, dass da sehr oft Missbrauch betrieben wird und diese Parkausweise, wenn die betroffenen Personen zum Beispiel versterben, weiter verwendet werden. Dem wollen wir entgegenwirken, weil es eine leichte Möglichkeit ist, durch einen QR-Code, der platziert wird, dies zu tun.

Was ich dem Minister mitgeben möchte: Man sollte vielleicht in der Erarbeitung dieses QR-Codes gleich mitbedenken, dass es Menschen mit und ohne Rollstuhl gibt und dass für die Rollstuhlparkplätze ja breitere Parkplätze vorge­sehen sind. Man kann auch die Unterscheidung treffen, dass jemand, der keinen breiteren Parkplatz braucht, durchaus auch auf andere Parkplätze aus­weichen kann. –Danke schön. (Beifall bei den NEOS.)

14.06


Präsident Ing. Norbert Hofer: Bevor der Herr Bundesminister zu Wort gelangt, darf ich eine Seniorengruppe aus Hochwolkersdorf/Bromberg herzlich hier im Hohen Haus begrüßen. Ich hoffe, die Debatte findet Ihre Zustimmung. (Beifall bei Abgeordneten von ÖVP, SPÖ, FPÖ und Grünen.)


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Bitte, Herr Bundesminister.


14.06.50

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Herr Präsident! Hohes Haus! Geschätzte Abgeordnete! Werte Besucherinnen und Besucher! Vielleicht darf ich versuchen, auch die vorige Debatte noch mitzunehmen und ein paar Dinge einzuordnen.

Worum geht es? – Wir haben die Situation, nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa, dass wir eine alternde Gesellschaft sind. – Das ist Faktum. Wir werden in Zukunft mehr pflegebedürftige Menschen haben, und wir haben die Situation, dass der Bedarf an Fachkräften, die wir in der Pflege und im Gesundheitsbereich brauchen, hoch ist.

All das knüpft an ein Bedürfnis an, das Menschen, die älter und pflegebedürftig werden, haben: Sie möchten vor allem, solange es irgendwie geht, zu Hause im eigenen Umfeld gepflegt und betreut werden. Wenn sie das dann nicht mehr schaffen und in eine stationäre Einrichtung oder in eine Gemeinschaftswohnung kommen, dann wollen sie eine gute, qualitative Pflege haben, und das gilt es sicherzustellen.

Was braucht es dafür? – Wir müssen es für das Personal, das wir in der Pflege haben, schaffen – das ist Teil des Pflegepakets eins, das wir vor einem Jahr beschlossen haben, und jetzt auch Teil des Pflegepaketes zwei –, die Arbeitsbe­dingungen so zu erleichtern und so zu gestalten, dass es bleibt; die, die wir haben, müssen bleiben.

Wir haben es geschafft – über eine zusätzliche Urlaubswoche ab dem 43. Lebens­jahr, die Erhöhung der Gehälter, insgesamt bessere Arbeitsbedin­gungen –, im ersten Teil der Pflegereform mit 20 Maßnahmen Schritte zu setzen, die massiv dazu beitragen, dass wir diejenigen, die wir in der Pflege haben, dort auch halten können. (Beifall bei Abgeordneten von Grünen und ÖVP.)


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Da das nicht reicht, und das wissen wir, müssen wir alles dafür tun, dass wir Menschen dafür gewinnen, in den Pflegeberuf einzusteigen. Das hat damit zu tun, dass wir einen enormen Fachkräftemangel haben, eine große Konkurrenz zwischen den unterschiedlichen Berufsgruppen und Branchen auf dem Arbeits­markt haben, und das ist der Punkt, warum wir so sehr darum ringen, dass auch junge Menschen sich entscheiden, in den Pflegeberuf einzusteigen. Da ist die Pflegelehre ein Bestandteil, da ist die jetzt stattgefundene Verbesserung des Freiwilligen Sozialjahres ein Baustein, denn 70 Prozent der jungen Menschen, die dieses Jahr absolvieren, steigen dann in einen Gesundheits- und Pflegeberuf ein.

Das ist auch der Grund, warum wir im Pflegepaket beschlossen haben und auch hier das Hohe Haus beschlossen hat, die Ausbildung zu attraktivieren. Das heißt: 600 Euro Pflegestipendium, 1 400 Euro monatlich, wenn jemand die Ausbildung berufsbegleitend macht. Wir merken jetzt schon, dass die Nachfrage durch die beschlossenen Maßnahmen nach diesen Modellen steigt, dass es attraktiv ist, attraktiv wird, in die Pflege einzusteigen, und das soll fortgesetzt werden. (Beifall bei Abgeordneten von Grünen und ÖVP.)

Wir brauchen, und das ist der nächste Schritt, Maßnahmen, damit Pflegeper­sonen, die in diesem Sektor tätig sind, die Arbeit, die sie dort verrichten, vor allem dazu nutzen können, mit den Menschen zu arbeiten und Pflegeleistungen zu erbringen, und nicht mit anderen Tätigkeiten beschäftigt sind. Vor allem geht es darum, bürokratische Dinge hintanzuhalten.

Was heißt das konkret? – Wir erweitern jetzt im nächsten Schritt die Kom­pe­tenzen des Pflegepersonals. Tätigkeiten, die früher ein Arzt vornehmen musste, können dann auch vom Pflegepersonal erledigt werden. Die können das, die sind dafür ausgebildet, denen kann man vertrauen, und das verkürzt beispiels­weise die Pflegegeldeinstufung erheblich. Das macht es leichter, die Weiterver­ordnung von Medizinprodukten zustande zu bekommen, weil man einfach keinen Umweg mehr machen muss.


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Nächster Punkt: die Pflege zu Hause. Ja, wir wissen, wir brauchen alle diese Säulen. Überhaupt ist es bei der Pflege wichtig, einen Gesamtüberblick zu bewahren. Es braucht die Pflege zu Hause, es braucht die 24-Stunden-Betreuung, wir brauchen die mobilen Dienste und wir brauchen die stationären Dienste. Wir können auf keine dieser Säulen verzichten. Man kann die eine besser finden, die andere schlechter, die eine mehr forcieren, die andere weniger, es wäre aber ein Fehler, darauf zu setzen, auch nur eine dieser Säulen zu vernachlässigen. Wir brauchen sie nämlich alle, weil wir es sonst nicht schaffen.

Im Hinblick darauf sind wir dabei, auch die Pflege zu Hause zu verbessern, dort die Kostenabgeltungen für die 24-Stunden-Betreuung zu erhöhen, mehr Geld zur Verfügung zu stellen, den Angehörigenbonus zu erhöhen, um insgesamt eine Situation zu schaffen, dass es einfach von den Rahmenbedingungen her leichter möglich ist, finanziell und auch durch Beratungsgespräche und von der Unterstützungsleistung her, diese Pflege zu leisten, egal in welchem System. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Einen Satz noch, weil angesprochen worden ist, dass es europäische Mittel gibt, die abgeholt werden können: Das tun wir. Die Communitynurses sind ein Modellprojekt, das wir mit großem Erfolg gestartet haben. Da geht es einfach darum, nachgehende, aufsuchende pflegerische Arbeit zu leisten, im Sinne einer Einschätzung einer Gesamtsituation hinzuschauen, Menschen Hilfe anzubieten, und zwar bevor sie pflegebedürftig werden. Es soll so einfach deutlich länger möglich werden, zu Hause wohnen zu bleiben. Dafür wurden 52 Millionen Euro an europäischen Geldern eingesetzt.

Ist das alles, reicht das? – Nein, es reicht nicht. Jetzt wird es im Zuge des Finanz­ausgleichs darum gehen, die 30 Maßnahmen, die wir im Laufe des letzten Jahres mit dem ersten und dem zweiten Paket verabschiedet haben, auch langfristig abzusichern. Was heißt das? – Das heißt, die Finanzierung des Pflegefonds aufzustocken, es den Ländern zu ermöglichen, dass sie die gewährten Gehaltser­höhungen, die jetzt für zwei Jahre vom Bund vorfinanziert worden sind, weiterhin gewähren können. Das ist jedenfalls die erklärte Absicht und das wird


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im Finanzausgleich auch gelingen. Insgesamt ist die finanzielle Ausstattung von allen, die im Pflegesystem tätig sind, das sind Städte, Gemeinden, private Träger und Länder, so zu gestalten, dass es ihnen möglich ist, eine hohe Qualität in der Pflege zu halten.

Letzter und kritischster Punkt: die Personalfrage. Ich habe Ihnen dargelegt, dass wir versuchen, an all diesen Schrauben so zu drehen, dass es gut möglich ist, neue Menschen dafür zu gewinnen, die Ausbildung attraktiver zu machen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Dies alles wird nicht reichen. Wir werden es nicht schaffen, und zwar gesamteuropäisch nicht schaffen, dass wir mit dem Nachwuchs, den wir im eigenen Land gewinnen können, das Auslangen finden. Das heißt, wir brauchen im Pflege- und Gesundheitssystem qualifizierte Zuwanderung, qualifizierte Anwerbung von außen, um überhaupt den Bedarf decken zu können. Wenn wir nicht erkennen, dass wir das tun müssen, dann werden wir den Wettlauf mit anderen europäischen Staaten verlieren. Die sind allesamt unterwegs und haben eine Kultur entwickelt, die signalisiert: Ihr seid willkommen! Kommt zu uns! Wir bieten euch gute Arbeitsbedingungen. Wir schaffen es, dass ihr auch Ausbildungen machen könnt, Spracherwerb machen könnt. – Ohne diese aktive Akquise auch außerhalb Europas wird es nicht gelingen. Da sind wir dabei, jetzt in die Gänge zu kommen.

Ich erwähne noch einen letzten Aspekt: Wir haben einen Wettbewerbsnachteil im Ranking der europäischen Staaten. Wenn wir als Österreich auf die Reise gehen und versuchen, Menschen zu akquirieren, haben wir den Nachteil, dass wir in den letzten 15 Jahren eine Kultur entwickelt haben, die keine Willkom­menskultur ist. Jetzt rede ich nicht von Flüchtlingen, sondern von Personal, das wir brauchen. Wenn wir es nicht schaffen, da eine Kultur nach außen zu vertreten, die sagt: Ihr seid willkommen, wir brauchen euch, wir bieten euch gute Arbeitsbedingungen, dann werden wir diesen Wettbewerb unter den euro­päischen Staaten verlieren. Und die Leidtragenden werden die pflegebedürftigen Menschen in diesem Land sein, und das will ich jedenfalls nicht. – Danke schön.


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(Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Kassegger: Das war Angstmache, Herr Minister!)

14.15


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Heike Grebien. – Bitte, Frau Abgeordnete.


14.15.17

Abgeordnete Heike Grebien (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Kolleg:innen! Wertgeschätzte Zuseher:innen hier, aber auch zu Hause! Meine Rede dreht sich um TOP 6, die Digitalisierung von Parkausweisen für Menschen mit Behinderungen. Kollegin Fiedler von den NEOS hat da einen Entschließungsantrag eingebracht, den wir alle als gut erachtet haben, also wieder etwas Positives in der Zusammenarbeit. Es ist so, dass uns alle als Sprecher:innen für Menschen mit Behinderungen immer unterschiedliche Nachrichten zu dem Thema der Parkausweise für Menschen mit Behinderungen erreichen.

Viele davon sind Beschwerden wegen missbräuchlicher und unrechtmäßiger Verwendung. Auch aufgrund von mit dem Parkausweis verbundener Privi­legien – also kostenloses Parken, Steuerfreibetrag, Vignette – ist er ein sehr begehrtes Objekt. In vielen Fällen werden Parkausweise kopiert oder gefälscht. Immer wieder fliegen dann diese Betrugsfälle auf, bei denen Ausweise von längst verstorbenen Menschen verwendet werden, um ein Auto auf dem Behindertenparkplatz parken zu können, oder es werden die Parkausweise verwendet, ohne dass die Inhaber:innen tatsächlich mitbefördert werden.

Es ist auch so, dass bereits abgelaufene Parkausweise im Einsatz sind. Da sind die Menschen ganz kreativ, da werden die Parkausweise dann so angebracht, dass das Ablaufdatum verdeckt ist und die Kontrollorgane es somit nicht mehr sehen können. Das heißt, derzeit ist es so, dass eine Überprüfung der Gültigkeit dieser Ausweise in der Praxis de facto vielfach verunmöglicht wird.


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Bis Ende 2013 – das ist jetzt für Sie, damit Sie es einordnen können – waren die Magistrate in den Städten für die Ausstellung der Behindertenparkausweise zuständig. Da sind auch immer wieder einige Probleme aufgetaucht. Zum Beispiel konnte in der Stadt Salzburg nicht kontrolliert werden, wer einen Park­ausweis hat, da das Magistrat keine Auflistung der Ausweise geführt hat. Durch die Erweiterung des Begünstigtenkreises stieg dann schließlich auch die Anzahl der Ausweise, was dann wiederum ein Fehlen von ausreichend Stellplätzen zur Folge hatte.

Aufgrund der genannten Probleme wurde das Sozialministerium 2014 mit der Alleinzuständigkeit betraut. Bereits 2020 wurde eine Studie an die TU Wien in Auftrag gegeben, zwecks Evaluierung beziehungsweise Ausarbeitung eines Lösungskonzepts. Als zentralen Ansatz zur Lösung der vorhandenen Probleme sieht die Studie die Digitalisierung der Parkausweise. Das ist auch der Inhalt des Antrages von Kollegin Fiedler von den NEOS. Mit dem Anbringen eines QR-Codes wäre einerseits gesichert, dass man es von außen kontrollieren kann – man könnte feststellen, ob eine Berechtigung noch aufrecht ist –, und gleich­zeitig könnten abgelaufene Parkkarten für ungültig erklärt werden. An der technischen Umsetzung davon wird bereits gearbeitet.

Wir alle sehen da eine Riesenchance, im Rahmen der Digitalisierung ein neues, transparentes, faires System für die Parkausweise für Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Danke für die Initiative! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

14.18


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Abgeordneter Dietmar Keck. – Bitte, Herr Abgeordneter.


14.18.58

Abgeordneter Dietmar Keck (SPÖ): Herr Präsident! Herr Minister! Wir behan­deln unter diesen Tagesordnungspunkten zwei Maßnahmen, darunter eine, die wir am 14. Dezember 2022 in diesem Haus beschlossen haben. Das ist der


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Angehörigenbonus. Ich habe schon damals darauf hingewiesen, dass es für uns da zwei kritische Punkte gibt. Der erste kritische Punkt ist der gemeinsame Haushalt. Mit dieser Vorgabe des gemeinsamen Haushalts schließen wir sehr, sehr viele Betroffene aus. Ich habe Beispiele genannt. Ich habe das dann auch Klubobmann Wöginger gesagt, weil sein Bezirk großteils davon betroffen sein wird. Wenn zwei Generationen in einem Haus wohnen, wohnt eine im ersten Stock, die andere im Erdgeschoß, damit ist das dann kein gemeinsamer Haushalt, und die würden rausfallen. Er hat das aufgenommen. Da muss man Danke sagen. Das ist also geregelt worden, das wird jetzt abgeschafft, das haben wir nicht mehr.

Der zweite Punkt ist aber geblieben, und der betrifft die Bezahlung mit 1 500 Euro, meine Damen und Herren. Was macht das aus? – 4,10 Euro pro Tag! Ich sage das ein bisschen polemisch: 4,10 Euro, was kann man damit machen? – Damit werden, wenn man ein elektrisches Pflegebett hat und dieses sehr oft am Tag betätigen muss, nicht einmal die Stromkosten bezahlt. Das heißt, wenn man etwas für die pflegenden Angehörigen machen will, sollte man sich wirklich überlegen, in Sachleistungen zu investieren. (Zwischenruf des Abg. Loacker.) Sachleistungen heißt, man muss schauen, dass die mobilen Dienste mehr ausge­baut werden, man muss schauen, dass es mehr Tagespflegeheimstätten für diese Personen gibt. Das würde eine spürbare Entlastung für die Angehörigen bedeu­ten, aber diese 1 500 Euro im Jahr, die 4,10 Euro pro Tag ausmachen, sind ein bisschen wenig.

Wenn Kollege Gödl sagt, die Situation der Angehörigen sei massiv verbessert worden, kann ich dazu nur sagen: Nein, das sehen wir nicht so, und deswegen werden wir dem hier nicht zustimmen.

Das Zweite betrifft den von Kollegin Fiedler gestellten Antrag, dass die Park­ausweise, die laut § 29b StVO für Menschen mit Behinderung ausgestellt werden, überprüft und digitalisiert werden sollen. Wir unterstützen diesen Antrag, aber, Herr Minister, ich sage jetzt wieder: Passen wir auf, dass da auch wirklich das richtige Konzept kommt! Eines muss man nämlich beachten –


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meine Vorrednerin hat das zum Teil schon gesagt –: Nach dem 1.1.2001 ausgestellte Parkausweise sind jetzt noch gültig, andere haben ihre Gültigkeit verloren. Diese sind von den Magistraten und teilweise von den Bezirks­haupt­mannschaften ausgestellt worden und liegen, glaube ich, nicht im Sozial­minis­terium auf. Die Benützer dieser Parkausweise scheinen also bei den Magistraten, bei den Bezirkshauptmannschaften auf, und deshalb bitte ich, wirklich darauf zu achten, dass das funktioniert.

Ich kann nur sagen, dass wir hier im Hohen Haus auch einen solchen Fall gehabt haben, nämlich den des Abgeordneten Kapeller, der mit dem Ausweis seines zehn Jahre zuvor verstorbenen Schwiegervaters geparkt hat – er musste dann auf Druck der Öffentlichkeit sein Mandat zurücklegen.

Das heißt, wir sehen die Notwendigkeit, diesbezüglich dringend etwas zu machen, damit da Betrug – und ich sehe das als Betrug – wirklich verhindert werden kann. Ich bin selbst Besitzer eines §-29-Ausweises – es hat vorhin schon eine Abgeordnete gesagt, man sieht nicht jedem seine Behinderung an – und man muss sehr aufpassen, dass da nicht Betrug begangen wird – auch hinsichtlich Behindertenparkplätze. Diese sollen wirklich nur von Menschen in Anspruch genommen werden dürfen, die einen Behindertenausweis haben, der rechtmäßig vergeben worden ist – diese Menschen wurden ja von Gutachtern angeschaut. Ich halte es für sehr, sehr verwerflich, wenn jemand den Ausweis nicht rechtmäßig benützt und sich auf Parkplätze für Menschen stellt, die diese Parkplätze brauchen. (Beifall bei der SPÖ.)

14.22


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Rosa Ecker. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.


14.22.42

Abgeordnete Rosa Ecker, MBA (FPÖ): Herr Präsident! Geschätzter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren hier im Saal und zu Hause vor den Bildschirmen! Wir diskutieren wieder einmal eine der größten


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Herausforderungen unserer Zeit, das Thema Pflege. Es ist eigentlich schon egal, ob man von der häuslichen Pflege, von der mobilen Pflege oder von der stationären Pflege spricht, die Situation für die zu Pflegenden und für diejenigen, die mit der Pflege beschäftigt sind, ist überall bescheiden.

Es ist schön, dass die Regierungsparteien jetzt auch draufgekommen sind – alltagspraktisch –, dass Angehörige, die pflegen, nicht zwangsläufig im selben Haushalt mit den zu Pflegenden leben, denn auch in einem Haus kann es zwei Haushalte geben; die junge Generation wohnt vielleicht im Haus nebenan. Und ja, es gibt auch viele, die pflegen, die dafür in Kauf nehmen, mit dem Auto hinzufahren und wieder zurückzufahren.

Es gibt heuer eben diese 750 Euro und ab dem nächsten Jahr 1 500 Euro, wenn Pflegestufe 4 zuerkannt wurde. Wir wissen alle, dass die Pflegestufen sehr oft sehr ungerecht verteilt sind und dass viele, die zu Pflegende mit Pflegestufe 1, 2 und 3 pflegen, von diesem Angehörigenbonus nichts haben. Sehr verwunderlich und meiner Meinung nach eine eklatante Ungleichbehandlung ist es auch, dass dieser Angehörigenbonus nur einmal zum Tragen kommt, wenn zum Beispiel eine Frau, eine Tochter beide Elternteile pflegt. Ich glaube, niemand kann mir erklären, warum das so ist. Der Arbeitsaufwand, die Aufopferung und die Zeit, die dafür in Anspruch genommen werden, sind natürlich genauso hoch, als würde man zwei einzelne Personen pflegen. Warum dann kein doppelter Ange­hörigenbonus ausbezahlt wird, ist mir unverständlich.

Meine Damen und Herren, halten Sie sich einmal vor Augen: Wenn diese beiden Elternteile in einem Seniorenheim untergebracht werden müssten, dann würde das der Gesellschaft, unserem Staat im Monat ein Minimum von 6 000 Euro kosten. – Die Pflege zu Hause kommt viel, viel günstiger.

Ich habe auch eine Anfragebeantwortung von Ihnen, Herr Minister, aus der man wieder sieht, dass auch die Anrechnung der Pension für jene, die in der Pflege zu Hause tätig sind – meist Frauen –, eigentlich zum Fremdschämen ist. Wenn eine Frau ein behindertes Kind bekommt und sich dafür entscheidet, die


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Pflege selbst zu leisten, dann kann sie mit 480 Versicherungsmonaten in Pension gehen, mit vier Jahren Kindererziehungszeiten und mit einer freiwilligen bei­tragsfreien Versicherung für die restliche Zeit, aber nach 40 Jahren Pflege kom­men 954 Euro heraus; das ist weniger als die Ausgleichszulage. Wenn die Frau verheiratet ist, dann kriegt sie nicht einmal die Ausgleichszulage. Auch dazu wieder ein Rechenbeispiel – wirklich mit Minimum geschätzt –: Für 40 Jahre Pflege von einem Kind mit Behinderung und dann als Erwachsener können Sie im Ansatz mit 1,5 Millionen Euro rechnen – dafür stehen 954 Euro Pension zu.

Zum Thema Parkausweis: Zu kontrollieren, ob dieser auch tatsächlich noch in Verwendung sein darf, ist natürlich eine gute Sache, aber auch hier gilt – und ich habe diesbezüglich schon Anfragen von Menschen mit Behinderungen bekom­men, die auf diese Parkausweise sehr, sehr angewiesen sind –: Wann kommt das? Wie kommt das? Muss man noch einmal zur Untersuchung? Wird er auto­matisch zugeschickt? Muss man ihn beantragen? – Ich hoffe, dass die Regierung in der ihr verbleibenden Zeit wenigstens dieses Konzept noch erarbeitet und vorlegt und umsetzt. (Beifall bei der FPÖ.)

14.26


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Kira Grünberg. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.


14.27.00

Abgeordnete Kira Grünberg (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Wie oft haben Sie schon ein Auto auf einem Behindertenparkplatz stehen gesehen, in dem kein Behindertenparkausweis vorhanden war? – In meinem Alltag passiert das immer wieder. Wenn ich irgendwo in der Stadt auf Parkplatzsuche bin, finde ich immer wieder blockierte Behindertenparkplätze vor, und wenn ich dann genauer nachschaue, ist oft gar kein Behindertenpark­ausweis vorhanden. Wenn sich dann einmal die Möglichkeit ergibt, dass ich die Fahrerin oder den Fahrer auf frischer Tat ertappe und diese gerade zurück zu


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ihrem Auto gehen, stelle ich ihnen natürlich die Frage: Wieso parkt ihr da? – Die Ausreden sind dann sehr, sehr vielseitig. Sie reichen von: Ich war nur ganz kurz beim Bäcker, frische Semmeln holen!, oder: Ich habe nur ganz schnell Geld bei der Bank abgehoben!, aber sie gehen auch hin bis zu: Der Parkplatz ist sowieso immer frei, deswegen habe ich gedacht, ich besetze ihn einfach!, oder: Es war einfach kein anderer freier Parkplatz vorhanden! – Es ist eigentlich unvorstellbar, dass es immer noch so viele Menschen bei uns im Land gibt – wahrscheinlich ist das auf der ganzen Welt ähnlich –, die grundlos Behindertenparkplätze blockie­ren und uns dabei die Barrierefreiheit nehmen.

Das Parken ohne Behindertenparkausweis ist aber nicht der einzige Grund, wieso Menschen unberechtigterweise auf Behindertenparkplätzen parken. Wie wir heute schon gehört haben, verwenden sehr viele Menschen den Parkausweis von bereits verstorbenen Angehörigen weiter, und sie verwenden diesen dadurch missbräuchlich.

Mit dem heute vorliegenden Entschließungsantrag wird der Sozialminister aufgefordert, ein Konzept zur Digitalisierung von Parkausweisen für Menschen mit Behinderungen zu erarbeiten, damit der Missbrauch zukünftig so gut wie möglich eingeschränkt wird, denn die Behindertenparkplätze sind nicht einfach nur bequeme Parkplätze für jedermann, sondern sie sind extra für Menschen mit Behinderungen da. Wie der Kollege vor mir auch schon gesagt hat, sieht man nicht jedem Menschen seine Behinderung auf den ersten Blick an. Es gibt also auch Menschen, die nicht im Rollstuhl sitzen oder nicht offensichtlich eine Beinprothese haben, aber trotzdem den Behindertenparkausweis besitzen und auch Anspruch darauf haben.

Der Behindertenparkplatz ist meist etwas breiter konzipiert, damit man dann eben die Autotür beim Ein- und Aussteigen komplett öffnen kann. Das ist speziell für Menschen mit Mobilitätseinschränkung essenziell, denn nur so können wir aus dem Auto ein- und wieder aussteigen.


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Mir ist es auch schon öfters passiert, dass ich, wenn ich auf einem Behinder­tenparkplatz geparkt habe, dann links und rechts zugeparkt worden bin – meistens von Autos, die eben keinen Behindertenparkausweis haben –, und mir somit das Einsteigen danach nicht möglich gewesen ist. Man muss dann auch hin und wieder einmal den Abschleppdienst rufen und wartet die Zeit, bis der Parkplatz wieder freigeräumt ist. Das sind alltägliche Dinge, die wahrscheinlich vielen Menschen mit Behinderungen in Österreich schon passiert sind.

Die Behindertenparkplätze sind zudem ein Bestandteil der Barrierefreiheit und erleichtern es uns Menschen mit Behinderungen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Es ist schwer zu verstehen, wieso Menschen, die nicht auf Behindertenparkplätze angewiesen sind und eben auch keinen entsprechenden Parkausweis haben, diese blockieren. Sie schaffen damit doch nur zusätzliche Barrieren, denn wie wir alle wissen, gibt es schon genug Barrieren für uns, und wenn dann noch zusätzliche Barrieren geschaffen werden, ist das sehr, sehr schade.

Denken auch Sie vielleicht zukünftig daran, wenn Sie auf Parkplatzsuche sind, dass Sie dann eben nicht den Behindertenparkplatz blockieren, nur weil er frei ist, denn es gibt viele Menschen, die auf diesen angewiesen sind!

Ich möchte das jetzt aber gar nicht auf die Behindertenparkplätze beschränken. Es fängt schon bei den Behinderten-WCs an, denn auch diese sind immer wieder von Menschen blockiert, die nicht auf diese angewiesen sind. Ich möchte auch noch den Appell an alle richten: Diese einfach für die Menschen freizuhalten, die sie brauchen! Wir sind nämlich wirklich auf diese Dinge angewiesen. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

14.31


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Petra Wimmer. – Bitte, Frau Abgeordnete.



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14.31.45

Abgeordnete Petra Wimmer (SPÖ): Herr Präsident! Geschätzter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wie von meiner Vorrednerin bereits sehr ausführlich dargestellt wurde, da sie tatsächlich auch jeden Tag mit diesen Herausforderungen zu tun hat: Parkausweise erleichtern das Leben der Men­schen mit Behinderung und sind eine wesentliche Unterstützung, damit sie auch ihren Alltag bewältigen können. Dem vorliegenden Antrag zur Digitali­sierung der Parkausweise können wir nur zustimmen. Er soll die Handhabe und vor allem aber auch die Überprüfung vereinfachen, und das unterstützen wir natürlich. Damit wäre ein guter Schritt gemacht.

Einen weiteren Verbesserungsbedarf sehe ich bei der Bearbeitungsdauer der Anträge, wenn es um einen Behindertenpass geht. Laut einer aktuellen Anfra­gebeantwortung liegt die durchschnittliche Bearbeitungsdauer bei 98 Tagen, wenn man zum ersten Mal einen Behindertenpass beantragt, und bei 107 Tagen, wenn es um die Neufestsetzung des Grades der Behinderung geht. Drei bis vier Monate Wartezeit sind da eindeutig zu lange für die Betroffenen; und das ist eine Durchschnittszeit, in der Praxis gibt es nämlich auch noch längere Warte­zeiten, die dann wirklich problematisch sind.

Einer dieser Betroffenen hat sich an mich gewandt, da er über fünf Monate, fast sechs Monate auf die Verlängerung seines Behindertenpasses warten musste und damit auch auf seinen Parkausweis, auf den er angewiesen ist. Dieser ist in der Zwischenzeit natürlich abgelaufen, obwohl er rechtzeitig angesucht hatte. Begründet wurde die lange Wartezeit von der Servicestelle des Sozialministe­ri­ums damit, dass leider für die Untersuchung kein Arzt und keine Ärztin zur Verfügung stehe.

Herr Bundesminister, auch dieses Problem muss gelöst werden, damit Menschen mit Behinderung den für sie wirklich notwendigen Parkausweis auch zeitgerecht erhalten können. (Beifall bei der SPÖ.)


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Nun noch zu einem weiteren Thema: Im Sozialausschuss habe ich Sie, Herr Bundesminister, erneut gefragt – also nicht zum ersten Mal –, wann wir endlich mit dem Nationalen Aktionsplan Kindergarantie rechnen können. – Erneut wurde ich von den Regierungsparteien vertröstet. Laut einer Anfragebeant­wor­tung aus Ihrem Ressort ist dieser seit 15. September 2021 in Bearbeitung, wird von den Zuständigen, von Ihrem Ressort koordiniert, und das seit über einein­halb Jahren. Ihre Regierung betont immer wieder, wie wichtig ihr die Familien sind. Sie haben sich die Bekämpfung von Armut, ja die Halbierung von Armut ins Regierungsprogramm geschrieben: Diesen Worten müssen Taten folgen! Es braucht strukturelle Lösungen. Also nochmals: Legen Sie uns endlich den Natio­nalen Aktionsplan Kindergarantie vor! (Beifall bei der SPÖ.)

14.34


Präsident Ing. Norbert Hofer: Nächster Redner ist Abgeordneter Mag. Christian Ragger. – Bitte, Herr Abgeordneter.


14.34.48

Abgeordneter Mag. Christian Ragger (FPÖ): Geschätzter Herr Präsident! Geschätzter Herr Minister! Ich möchte meine Rede mit etwas Positivem beginnen, nämlich damit, dass ich es für positiv halte, dass das Bundespflegegeld von 640 Euro auf nunmehr 800 Euro angehoben wird, dieser Pflegebonus aber auch gleichzeitig für zwei Personen auf 1 600 Euro angehoben wird. Dann ist man aber schon am Ende der Fahnenstange, denn wir haben einen immanenten Systemfehler, der diesem gegenübergestellt werden muss, und diesen sollte man im Hohen Haus und auch für die Zuseher einmal erwähnen.

Die Sozialdemokratie rühmt sich immer damit, dass jetzt alle Pflegeheime gratis sind. – Grundsätzlich zahlt es die Volkswirtschaft, und derzeit besteht diese große Komponente daraus, dass man den Pensionisten 80 Prozent ihres Geldes wegnimmt, die Pflegegelder vereinnahmt, und wenn man damit kein Auslangen findet – und die meisten, die derzeit im Pflegeheim sind, sind leider Gottes


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Mindestsicherungsbezieher –, nimmt man auch das Mindestsicherungsgeld her, damit der jeweilige Pflegeplatz gesichert und finanziert ist.

Sie erhöhen jetzt dieses Pflegegeld von 640 auf 800 Euro, wovon wahrscheinlich das Gros der Menschen, die heutzutage in Österreich versorgt werden, zu Hause versorgt werden. Dort ist die Situation aber eine ganz andere. Da ist nicht allein die öffentliche Hand ausschlaggebend für die Finanzierung, denn da trägt das Gros dieser Kosten die Familie, und das ist bis dato in Österreich noch nicht aufgelöst worden. Das werden Sie auch mit diesem Bundespflegegeld und mit diesem Bonus, den Sie für diese Leute einführen, nicht lösen können, sondern Sie werden darüber nachdenken müssen, dass Sie hinkünftig, wenn Sie die Pflege zu Hause zur Gänze finanzieren und dort die Menschen versorgen wollen, den Pflegenden auch eine Wahlmöglichkeit einräumen werden müssen.

Wir Freiheitlichen haben Ihnen schon ein paar Mal das Modell vorgeschlagen, einen Pflegescheck einzuführen, damit man diese Wahlmöglichkeit bietet, damit man, wenn Menschen, die zu Hause nicht nur von dritter Seite, sondern vielleicht auch von Familienangehörigen versorgt werden, die Pflegenden auch unterstützt, damit diese sich auch versichern können und man ihnen letztlich am Ende des Tages – und das sind fast 750 000 Menschen in Österreich, die diese Pflegelast übernehmen – die Chance gewährleistet, dass sie, auch wenn sie ihre Mutter oder ihren Vater versorgen, trotzdem dementsprechend finanziell abgesichert sind.

Ich finde es positiv, dass Sie jetzt auf der einen Seite auch die gesetzliche Rege­lung so festgelegt haben, dass die Möglichkeit der Supervision, des Monitorings, des Mediationsverfahrens eingeführt wird.

Ich war vor Kurzem in einigen Pflegeheimen zu Besuch, und da habe ich auch gesehen, dass es den Menschen gar nicht so sehr darum gegangen ist, dass sie eine erhöhte Abgeltung für ihren Beruf bekommen haben – das ist schon wichtig und es ist auch entscheidend, dass sie auch finanziell abgesichert sind –, aber


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das, was den meisten gefehlt hat – und das ist bei vielen Pflegern und Pflege­rinnen der Fall gewesen –, sind ihre Teams, die haben sie verloren. Das heißt, das, was Sie heute mit Ihrer Überbürokratisierung in der Pflege, vor allem im Bereich der Krankenschwestern, des diplomierten Dienstes, aber auch der Pfleger:innen einführen, ist, dass diese eine so überbordende Verwaltung haben, dass für die Menschen, die zu pflegen sind, keine Zeit mehr bleibt.

Das sollte vielleicht auch ein Ansatz sein, darüber nachzudenken, neue Pflege­formen einzuführen, nämlich technischer Natur. Wir haben heuer bereits zehn Jahre Ambient Assisted Living, und das hätte man in Österreich besser nutzen können, diese Möglichkeiten auch in Österreich umzusetzen. Dafür hätte man Gelder aufbringen können, um mit dem Pflegegeld auch diese Möglichkeit heranzuziehen.

Ich glaube, da sind so viele Punkte offen, die in den letzten zehn Jahren umzu­setzen verabsäumt worden sind, vor allem unter sozialdemokratischer Herrschaft, sodass man das Pflegesystem einfach neu wird denken müssen. In einer neuen Regierung werden wir, dessen seien Sie versichert – es dauert immer ein bisschen, auch bei der ÖVP, dass es sickert –, bei der Pflege und auch bei der Pflegeentwicklung einen positiven Anreiz für ein neues Pflegemodell einbringen, wenn wir in die nächste Regierung gehen. (Beifall bei der FPÖ.)

14.39


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gemeldet ist Ing. Mag.a Alexandra Tanda. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.


14.39.25

Abgeordnete Ing. Mag. (FH) Alexandra Tanda (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Mitglieder des Seniorenbundes der Ortsgruppe Andorf – das ist die Nachbargemeinde unseres Klubobmanns Wöginger –: Herzlich willkommen bei uns im Parlament! (Beifall bei der ÖVP, bei Abgeordneten von SPÖ und Grünen sowie des Abg. Stefan.)


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Ich hoffe, dass die Debatte Ihnen heute doch auch einiges zeigt, nämlich: Die Pflegereform dieser Regierung trägt den Herausforderungen, die diese alternde Gesellschaft mit sich bringt und die uns alle betreffen, ausreichend und umfangreich Rechnung.

Zu der bereits im letzten Jahr beschlossenen Pflegemilliarde beschließen wir heute weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Pflege daheim durch Angehörige. Personen, die einen Angehörigen zu Hause pflegen, leisten einen unverzichtbaren Beitrag für unsere Gesellschaft. Das müssen wir uns immer wieder vergegenwärtigen. Neben der menschlichen Herausforderung bringt diese Fürsorgeleistung auch oft finanzielle Belastungen, vor allem dann, wenn sich Job und Pflege zeitlich nicht mehr vereinbaren lassen.

Zu Hause Angehörige zu pflegen ist wirklich eine enorme Herausforderung, und ich weiß wirklich, wovon ich spreche. Zu Hause heißt ja nicht, dass es der gleiche Haushalt sein muss. Eltern leben heutzutage nicht mehr bei ihren Kindern, sondern in einem eigenen Haushalt, und den wollen sie, wenn möglich, bis zum Schluss nicht verlassen. Es ist extrem wichtig, dass wir der älteren Generation das Verbleiben in der vertrauten Umgebung, im vertrauten Umfeld so lange wie möglich ermöglichen. Das fördert die Gesundheit, die Lebensfreude. Wie man so schön sagt: Einen alten Baum versetzt man einfach nicht!, das kann auch ich aus persönlicher Erfahrung bestätigen.

Weil zu Pflegende nicht unbedingt von einer mobilen fremden Pflege, so wichtig der Ausbau der mobilen Pflege ist, betreut werden wollen, sondern lieber von einem Familienmitglied, begrüße ich die Erweiterung der Maßnahme sehr, denn sie ermöglicht dann einem Angehörigen eher, diese Aufgabe zu übernehmen, wenn er es denn gerne macht. Deshalb möchten wir den Pflegebonus auch dann auszahlen, wenn der zu Pflegende nicht im gleichen Haushalt lebt. Nahe Angehörige mit einem niedrigeren monatlichen Durchschnittseinkommen von maximal 1 500 Euro erhalten somit ab Mitte 2023 einen jährlichen Pflegebonus von 1 500 Euro.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 225

Sie sehen, sehr geehrte Damen und Herren, die Regierung handelt so, wie sie gesagt hat, und das Pflegereformpaket ist wirklich ein großartiger Wurf. Durch diese heutige Änderung profitieren 22 500 Personen zusätzlich von diesem Zuschuss und kommen jetzt zu diesem Bonus.

Auch über die weiteren zahlreichen Maßnahmen wurde heute schon gesprochen: die Erhöhung des Ausmaßes der Angehörigengespräche auf zehn Einheiten pro Jahr; Eltern haben einen Rechtsanspruch auf Pflegekarenz während der Begleitung bei einer Reha.

Ich glaube, von Kollegin Fiedler ist das gekommen: Wenn man jemanden zu Hause pflegt, dann kann man nicht arbeiten gehen. – Angehörige pflegen ist Arbeit, schwere Arbeit. Ich habe als 14-Jährige meine Großmutter gepflegt, weil meine Mutter arbeiten ging. Vor zehn Jahren habe ich meine Mutter gepflegt. Zuletzt habe ich meinen Beruf dafür aufgegeben, weil es damals diese Möglichkeit eines finanziellen Anreizes nicht gab. Es war wirklich sehr eng. Ich bin sechs Monate zu Hause geblieben, habe eine ehrenamtliche Ausbildung als Sterbe- und Hospizbegleiterin absolviert, um meine Mutter zu Hause, im gewohnten Umfeld zu pflegen, um den Menschen einfach nicht zu verpflan­zen.

Ich finde, auch das ist Bestandteil eines Generationenvertrags, und daher ist es für mich so wichtig, dass wir die Pflegenden nicht nur immer beklatschen und ihnen eine große Wertschätzung aussprechen, sondern mit dem Angehöri­genbonus dieser Tätigkeit auch einen Wert in Form von Euros geben. Es mag schon sein, dass es mit 4,10 Euro vielleicht noch nicht so toll ist, aber das ist kein Grund, dem nicht zuzustimmen und zu sagen: Ich stimme dem nicht zu, weil dann die mobile Pflege nicht ausgebaut wird! – Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Das sind zwei Paar Schuhe. Man muss an vielen Säulen arbeiten. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Zusammengefasst bin ich daher sicher, dass in dieser Legislaturperiode die dafür aufgewendeten 120 Millionen Euro einen weiteren wesentlichen Beitrag zur


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Entlastung von pflegenden Angehörigen leisten, und das braucht unsere Gesellschaft. Unsere Gesellschaft braucht vor allem ein Mehr an Miteinander, anstatt aufgrund von irgendwelchen Parteigrundsätzen zu einem guten Paket Nein zu sagen, weil es einem gerade nicht in den Kram passt. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

14.44


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gemeldet ist Dipl.-Ing.in Andrea Holzner. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.


14.45.03

Abgeordnete Dipl.-Ing. Andrea Holzner (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundes­minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher auf der Galerie und vor den Bildschirmen! Zur Ermöglichung eines würdevollen Alterns und zur Erreichung besserer Arbeitsbedingungen in der Pflege ist das Pflegepaket eins bereits in Umsetzung: ein Gehaltsbonus von 2 460 Euro jährlich, eine sechste Urlaubswoche ab 43 Jahren und Anreize für die Pflegeausbildung mit zusätzlichen Modulen, Stipendien für Um- und Wiedereinsteiger:innen und der Pflegelehre.

Das Pflegepaket zwei sorgt nun für eine Ergänzung für die Pflege zu Hause: Es bringt eine erhöhte Förderung für die 24-Stunden-Betreuung von 800 Euro monatlich, und 24-Stunden-Betreuer:innen können nun auch bis zu drei Per­so­nen in einem Haushalt betreuen, die nicht miteinander verwandt sind, zum Beispiel in einer Alters-WG.

Es bringt mehr Kompetenzen für diplomiertes Pflegepersonal. Es darf nun auch die Ersteinstufung für das Pflegegeld vornehmen und Medizinprodukte wie Inkontinenzbedarf beim ersten Gebrauch verordnen. Weiters wird der Angehöri­genbonus für pflegende Angehörige auf Personen, die nicht im selben Haushalt leben, erweitert. Damit erhalten 22 500 Personen zusätzlich heuer die 750 Euro und das nächste Jahr 1 500 Euro. (Beifall bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen.)


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Es fehlen Pflegekräfte, auf einen Platz im Pflegeheim muss man warten und auch der mobile Dienst kommt nicht am nächsten Tag und auch nicht gleich nächste Woche. Daher, liebe NEOS und SPÖ: Gebt euch einen Ruck, unter­stützt diesen Antrag und unterstützt damit diejenigen, die die Pflege zu Hause leisten!

Ich möchte aber den Bogen noch weiter spannen. Es fehlen ja nicht nur Pflegekräfte, es fehlen in allen Branchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es ist schon nicht lustig, wenn ich zum Frisör gehen will und keinen Termin bekomme, es ist auch nicht lustig, wenn ich zum Wirt gehen will und der zu hat, aber in der Pflege wird es problematisch, wenn niemand da ist.

Und da gaukelt uns die SPÖ eine Scheinwelt vor, hält uns die Karotte mit der 32-Stunden-Woche vor die Nase. Das kommt mir irgendwie vor wie die Bilder aus einem Hochglanzmagazin mit lauter gestylten Männern und Frauen (Abg. Matznetter: Das habt nur ihr, Hochglanz!), die mit der Realität nichts zu tun haben, wo man sich aber trotzdem unzufrieden fühlt, wenn man dieses Bild nicht erreicht. Diese Stories, liebe SPÖ, mögen sich zwar alle hip anhören, aber mit der Realität hat die 32-Stunden-Woche nichts zu tun. Diese ist in den meisten Branchen und in Zeiten eines Arbeitskräftemangels einfach nicht erreichbar. Ich glaube, da läuft man dem falschen Bild hinterher.

Für mich persönlich ist es wichtig, dass meine Mutter auch in der Nacht und auch am Wochenende gepflegt wird. Die Arbeit – und das wird in der Pflege besonders spürbar – ist ein Dienst an Mensch und Gesellschaft – vielen Dank dafür. (Beifall und Bravoruf bei der ÖVP sowie Beifall bei Abgeordneten der Grünen.)

14.48 14.48.13


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort ist dazu nun niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Ist seitens der Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Nein, das ist nicht der Fall.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 228

Wir kommen zur Abstimmung, die ich über jeden Ausschussantrag getrennt vornehmen werde.

Wir gelangen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 5: Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundespflegegeldgesetz geändert wird, samt Titel und Eingang in 2040 der Beilagen.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die für diesen Gesetzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist mehrheitlich angenommen.

Wir kommen zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Gesetzentwurf auch in dritter Lesung ihre Zustimmung erteilen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Das ist die Mehrheit. Der Gesetzentwurf ist somit auch in dritter Lesung angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Josef Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Regierung muss endlich Blockadehaltung im Kampf gegen die Teuerung aufgeben!“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit, der Antrag ist abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 6, die dem Ausschuss­bericht 2041 der Beilagen angeschlossene Entschließung betreffend „Digitalisie­rung von Parkausweisen für Menschen mit Behinderungen“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dafür eintreten, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist einstimmig angenommen. (325/E)

14.49.297. Punkt

Bericht des Finanzausschusses über die Regierungsvorlage (2029 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über das Wirksamwerden der


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 229

Verordnung (EU) 2022/858 über eine Pilotregelung für auf Distributed-Ledger-Technologie basierende Marktinfrastrukturen und zur Änderung der Verord­nungen (EU) Nr. 600/2014 und (EU) Nr. 909/2014 sowie der Richtlinie 2014/65/EU (DLT-Verordnung-Vollzugsgesetz – DLT-VVG) erlassen wird sowie das Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz und das Wertpapieraufsichtsgesetz 2018 geändert werden (2033 d.B.)


Präsident Ing. Norbert Hofer: Wir gelangen nun zum 7. Punkt der Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gemeldet ist Herr Dr. Christoph Matznetter. – Bitte, Herr Abgeordneter.


14.50.16

Abgeordneter Dr. Christoph Matznetter (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister, schön, dass Sie bei uns sind! (Bundesminister Brunner: Danke!) Wir hätten Sie gestern bei der kurzen Debatte zur Anfragebeantwortung auch gerne gesehen. (Zwischenbemerkung von Bundesminister Brunner.)

Das Thema, das wir jetzt auf der Tagesordnung haben, Distributed-Ledger-Technology, ist ja etwas, was uns schon länger im Zuge all der Bitcoinent­wicklungen und anderem beschäftigt. Wir haben zunehmend mit einer neuen Form von Speicherung und Dokumentation von Transaktionen zu tun.

Es ist keine Frage, dass sich diese neue Technologie – Stichwort Blockchain – in entsprechender Art und Weise durchsetzt, und grundsätzlich ist es auch in Ordnung, dass sich die Politik Gedanken macht und Vorschriften erlässt, um sicherzustellen, dass solche Systeme nur unter Aufsicht operieren. Das heißt, dem Grunde nach würden wir einer solchen der EU-Verordnung 2022/858 folgenden Gesetzgebung zustimmen.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 230

Sie hindern uns daran, zuzustimmen, weil Sie als Regierungsparteien nicht bereit sind, entschiedene Maßnahmen gegen die Teuerung zu setzen. (Heiterkeit der Abgeordneten Gödl, Taschner und Schwarz.) Dieses Problem hat die Bevölkerung jetzt, nicht jenes der Blockchain, nicht die Frage der Energieeffizienz – die kann man im nächsten Monat auch beschließen. Was sie jetzt hat: Die Mieten sind um fast 10 Prozent gestiegen (Zwischenruf des Abg. Egger), weil ihr nicht in der Lage wart, entsprechende Maßnahmen zu setzen.

Ich sage euch gleich etwas dazu. (Abg. Schwarz: Was ist das für eine Willkür? Ent­scheidet euch! – Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Lieber Kollege Schwarz, ganz einfach: Heute in der Fragestunde hat der Herr Wirtschaftsminister auf meine Frage: Um wie viel würde die Inflation sinken, hätte man doch für alle Mieten von Wohnraum die Indexierung zivilrechtlich, ordnungspolitisch verboten und aufgeschoben?, geantwortet: Hätten Sie nur die Indexierung der Richtwert­mieten für 400 000 Verträge auf drei Jahre verteilt gemacht, wäre die Inflation alleine durch diese Maßnahme – und ich bleibe jetzt bei Prof. Kocher – bereits um 0,2 Prozent niedriger gewesen. (Abg. Eßl: 0,1! Tatsächliche Berichtigung!) – 0,1 bis 0,2 Prozent – das hat er gesagt. Nein, da bleiben wir beim Protokoll, und das verlesen wir notfalls. Sonst berichtigen wir den Zwischenruf. (Abg. Eßl: ... alles berichtigen ...!)

Was heißt das für alle zwei Millionen? Was würde das für alle zwei Millionen Verträge heißen, mit einer Aussetzung für drei Jahre, nicht verteilt auf drei Jahre? – Zwischen 0,5 und 1 Prozent weniger Inflation sofort. Diese Maßnahme setzt die Regierung nicht. Warum? – Weil da die einzige Pflege – weil wir das Kapitel gehabt haben – ja nicht Angehörigen oder anderen gilt, sondern den Shareholdern, den Betongoldbesitzern und den Renditen gilt. (Zwischenruf der Abg. Jeitler-Cincelli.) Das ist Ihre Politik, meine Damen und Herren! Und die Grünen können sich nicht durchsetzen. Es ist eine Schande für dieses Land! (Beifall bei Abgeordneten der SPÖ.)

Bleiben wir doch gleich auch bei diesem Thema rund um die Blockchaintechnologie! Am Ende des Tages steht ja dahinter, dass offensichtlich


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Private, ausschließlich an Profit Orientierte eine Währung erfinden, noch dazu eine, der nichts entgegensteht und hinter der auch keine Volkswirtschaft steht. Das heißt, das ist ein definitorisches Luftprodukt, dessen Wert ausschließlich darin besteht, dass das sogenannte Mining, nämlich neue Coins zu erzeugen, immer schwieriger wird.

Ehrlich gesagt: Einen Mangel von etwas, das nicht vorhanden ist, herzustellen ist eine grandiose Idee. Dass das auch noch Wert haben soll, ist absurd, aber dass es geregelt wird, weil dort Menschen investieren und auch daran glauben, dass ein Wert da ist, ist an sich eine Notwendigkeit.

Eine kurze Frage, nur am Rande: Wäre die Europäische Union nicht gut beraten, mit anderen zusammen einen digitalen Euro zu machen und dann vielleicht die privaten Spielereien doch einzuschränken? – Das wollte ich Ihnen mitgeben, der Herr Finanzminister kann ja darüber nachdenken.

Im Übrigen: Tun Sie endlich etwas gegen die Teuerung, dann können wir bei den Beschlussfassungen zu den Gesetzentwürfen wieder zusammenarbeiten! – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ. – Heiterkeit des Abg. Taschner. – Abg. Eßl: Da haben die eigenen auch nicht alle geklatscht!)

14.54


Präsident Ing. Norbert Hofer: Ich darf Finanzminister Dr. Magnus Brunner auch offiziell herzlich im Hohen Haus begrüßen und bitte nun Mag. Ernst Gödl zum Rednerpult. – Bitte, Herr Abgeordneter.


14.55.07

Abgeordneter Mag. Ernst Gödl (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren im Hohen Haus! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Das war wieder einmal ein Auftritt eines SPÖ-Politikers, die Themen setzen, die gar nicht auf der Tagesordnung stehen, und zu Themen andere Punkte vorbringen. (Abg. Leichtfried: Das war jetzt grammatikalisch nicht richtig!) Es ist teilweise wirklich beschämend, dass Sie das Rederecht hier immer


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wieder so missbrauchen, um dem aktuellen Tagesordnungspunkt völlig fremde Argumentationen vorzutragen, nur weil es Ihre Parteiideologie verlangt – wirklich schade. (Abg. Matznetter: ... die Menschen! ... Teuerung ...!)

Auch das Schauspiel gestern: Dass Sie, liebe SPÖ, mit Ihrer Sperrminorität verhindern, dass das Energieeffizienzgesetz in Kraft treten kann, ist wirklich, wirklich betrüblich. (Abg. Matznetter: Mietendeckel, Energie ...!) Das ist wirklich schade. Es gibt so viele Menschen in Österreich, die sich einen effektiven Klimaschutz erwarten. Sie setzen aus Ihrer parteipolitischen Logik heraus diesen Punkt.

Das gleiche Spiel auch vorhin bei der Pflegelehre: Da haben Sie einen Antrag wegen der Teuerung eingebracht und gegen die Pflegelehre gestimmt. (Abg. Schroll: Wir wollen soziale Gerechtigkeit!) Jetzt wiederum hat Herr Matznetter hier dem Thema völlig fremde Punkte vorgetragen – nun, es soll so sein. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Leichtfried: Weil du jetzt beim Thema bist! Jetzt hast du 2 Minuten Themenverfehlung! – Abg. Matznetter: Brauchst nur zuhören!)

Ich möchte auch im Sinne der Zuhörerinnen und Zuhörer erklären: Dieses Thema ist etwas sperrig, es betrifft die Umsetzung einer EU-Verordnung. Zweifelsohne, die Digitalisierung können wir nicht aufhalten, Herr Matznetter. Die Digital­isie­rung hat in all unseren Lebensbereichen Platz gegriffen. Ich persönlich erinnere mich zurück – da waren viele der jungen Menschen noch gar nicht auf der Welt –, als ich das erste Mal ein eigenes Handy in der Hand gehabt habe. Das war im Jahr 1997, als die Digitalisierung mit dem Mobiltelefon auch in der Telefonie Platz gegriffen hat. Es hat sich dann schnell zu Smart­phones weiter­ent­wickelt.

Heute haben wir in allen Bereichen Digitalisierung, die wir oft gar nicht oder kaum mehr wegdenken können. Aktuell diskutieren wir zum Beispiel über die KI, also die künstliche Intelligenz. Heute in der Früh habe ich den Bildungs­minister im Frühjournal darüber reden gehört, wie wir in Zukunft mit der künst­lichen Intelligenz im Bereich des Unterrichts umgehen.


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Auch in der Finanzwelt hat sich natürlich die Digitalisierung breitgemacht. Einige Stichworte wurden schon genannt: Bitcoin, Kryptowährungen, Block­chain. Das sind Begriffe, die heute nicht mehr aus der Finanzwelt wegzu­denken sind.

Bei diesem Tagesordnungspunkt geht es um neue Regelungen für die digitale Finanzwelt. Vor etwa einem Jahr hat die Europäische Union eine Verordnung erlassen, und zwar über eine Pilotregelung für auf Distributed-Ledger-Techno­logie basierende Marktinfrastrukturen – das muss ich vorlesen, weil es ein sehr zungenbrecherischer Begriff ist. Diese Verordnung soll ermöglichen, die Marktinfrastrukturen auf dieser neuen technologischen Basis einfach besser zu kontrollieren.

Was ist eigentlich diese Distributed-Ledger-Technologie? – Ein distributed ledger – wörtlich übersetzt ein verteiltes Kontobuch – ist ein öffentliches, dezentral geführtes Kontobuch. Diese Technik kann im Zahlungs- und Geschäfts­verkehr eingesetzt werden, Transaktionen können direkt von Nutzer zu Nutzer erfolgen. Sie werden in dieser Technologie auch aufgezeigt.

Da gibt es bereits sehr viele innovative Projekte. Viele Initiativen untersuchen derzeit, wo diese Technik überall eingesetzt werden kann, um Effizienzgewinne zu erzielen, ohne dabei wichtige Standards wie Sicherheit und Transparenz einzuschränken. Ziel ist es, mit diesen Marktinfrastrukturen einen Sekundär­markt für jene Kryptowerte – die Kryptowerte gibt es nun einmal und sie werden gehandelt –, die als Finanzinstrumente wie etwa Aktien oder Anleihen gelten, zu entwickeln.

Warum sind wir heute hier mit einem Tagesordnungspunkt aktiv? – Jede EU-Verordnung hat zur Folge, dass sie in den Mitgliedsländern unmittelbar in Kraft tritt, aber es bedarf für die Umsetzung, damit sie vollkommen wirksam werden kann, auch eines nationalen Gesetzes, und dieses schaffen wir heute mit diesem


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Beschluss, den wir dann fassen werden, nämlich das DLT-Verordnung-Vollzugs­gesetz – also ein Vollzugsgesetz, damit diese europäische Verordnung voll­ständig umgesetzt wird.

Was legen wir darin fest? – Wir legen darin fest, dass die FMA, die Finanzmarkt­aufsicht, die zuständige Behörde für die Erteilung einer besonderen Geneh­migung für diese neuen Marktinfrastrukturen sein wird und dass sie auch die laufende Aufsicht darüber übernimmt.

Es geht aber, wie bereits eingangs gesagt, um eine Pilotregelung, also eine versuchsweise Einführung einer Regel. Nach drei Jahren soll auf europäischer Ebene entschieden werden, ob die Pilotregelung geändert, verlängert, dauerhaft eingeführt oder vielleicht sogar einschließlich aller erteilten Geneh­migungen beendet wird.

Alles in allem kann zusammengefasst werden: Die Chancen der Digitalisierung auch in der Finanzwelt bestmöglich zu nutzen und die Risiken weitestgehend einzuschränken ist das Ziel dieser Verordnung, und das ist auch das Ziel des Gesetzes, das wir hier jetzt beschließen werden.

Damit ist, glaube ich, auch der Punkt erreicht, dass wir diese neuen Tech­niken in unseren Rechtsrahmen einpassen. Dafür bedarf es der Zustimmung der Mehr­heit. Leider stimmen (in Richtung SPÖ) Sie offensichtlich nicht mit, aber die Mehrheit in diesem Parlament ist gewährleistet, und ich danke allen, die diesem Gesetzentwurf die Zustimmung erteilen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abge­ordneten der Grünen.)

15.01


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gemeldet ist Frau Mag.a Selma Yildirim. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.


15.01.12

Abgeordnete Mag. Selma Yildirim (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren dort oben auf der


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Galerie und vor den Bildschirmen! Nun haben wir es mit einem recht komplexen Finanzthema zu tun. Es geht um die Regulierung des Onlinefinanzhandels.

Bei allem Verständnis dafür, dass EU-Recht natürlich umzusetzen ist und das entsprechende Vollzugsgesetz auch im Parlament beschlossen werden sollte, möchte ich grundsätzlich zu diesem Thema anmerken, dass die Mehrheit in diesem Haus ein Pilotprojekt beschließen soll, aber die langjährige Kritik, nämlich dass der Finanzdienstleistungssektor in der digitalen Welt seit vielen Jahrzehn­ten im Grunde genommen fast in einem rechtsfreien Raum – und zwar inter­na­tio­nal, nicht nur national – freien Lauf hat, nicht beachtet wird. Es ist eine unglaubliche Liberalisierung.

Wenn ich mir anschaue, was das weltweit für Auswirkungen haben könnte, nämlich dass man mit solchen Instrumenten ganze Wirtschaftssysteme zum Erliegen bringen könnte, dass immer dann, wenn einige wenige über Kryptowährungen oder Bitcoins Riesengewinne machen, anderen Menschen wieder etwas weggenommen werden kann, dann muss ich sagen, das hat mich im Finanzhandel und in der Finanzwirtschaft immer gestört. Anstatt die reale Wirtschaft zu entlasten, anstatt die Arbeit durch geringere Steuern zu entlasten und dort stärker zu belasten beziehungsweise den nationalen Staaten einen Solidarbeitrag zuzuführen, reden wir über Projekte und darüber, dass man ja vorsichtig herangehen und erste Versuche, zu regulieren, starten könnte.

Das ist uns zu wenig. Das ist uns wirklich zu wenig, weil ja all das, was so ver­meintlich niemandem wehtut, wo es eine eigene Welt zu geben scheint, selbstverständlich unser aller Leben tagtäglich belastet. Und das ist schon auch ein Grund dafür, dass wir sagen, jetzt müssen wir einmal auf die Bremse treten und darüber reden, wie es den Österreicherinnen und Österreichern in diesem Land geht. Wie geht es ihnen denn mit dieser exorbitanten Teuerung seit der Energiekrise in diesem Land, seit der tragische Angriffskrieg Russ­lands gegen die Ukraine auch im Bereich der Energiepreise uns alle und vor allem diejenigen, die wirtschaftlich schwach sind, so stark unter Druck bringt?


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Wir würden es begrüßen, würde endlich auch steuerpolitisch eingegriffen werden und würde es effektive Kontrollmaßnahmen geben, auch der Finanzmarktaufsicht, und zwar nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene und insbesondere auf Ebene der Europäischen Union.

Daher, finde ich, ist es wichtig, diese Themen nicht auseinanderzuhalten. Es hängt alles zusammen. Es ist wichtig, dass wir darauf schauen, dass sich die Menschen hier ihr Leben leisten können, dass es wirklich diese Mietpreisober­grenze gibt, dass wir für jene, die wirtschaftlich so schwach sind, zumindest befristet die Mehrwertsteuer auf die Grundnahrungsmittel herabsetzen bezie­hungsweise aussetzen. Wir brauchen einen Energiepreisdeckel auf Strom, auf Gas und wir müssen bei der Mehrheit der Gesellschaft – ob das zum Beispiel die Pensionist:innen betrifft, deren Pensionen jetzt aliquotiert werden, wodurch in Wahrheit ein Pensionsraub passiert –, wir müssen in der realen Welt ansetzen, dort die Hebel viel stärker und strenger ansetzen.

Das, glaube ich, wollen Sie nicht verstehen, und deswegen tun Sie so, als ob das eine Thema mit dem anderen nichts zu tun hätte. (Abg. Zarits: ... was Sie da machen!) Es hat etwas damit zu tun. Wir müssen für den Mittelstand endlich die Steuern entlasten (Abg. Eßl: Haben wir schon gemacht! Ökosoziale Steuerreform, haben Sie die verschlafen?), die reale Wirtschaft, die Arbeit entlasten und die Finanzmärkte regulieren und sie endlich in die Pflicht nehmen. (Beifall bei der SPÖ.)

In diesem Sinne ist auch schon vieles gesagt worden. Wir werden diesem Vorhaben nicht zustimmen. Es mag Symbolik sein – Sie haben die Mehrheit –, aber denken Sie auch darüber nach, wie es vielen, vielen Menschen in diesem Land geht! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Eßl: Wir haben eine Menge Entlastungs­maßnahmen beschlossen und umgesetzt! – Abg. Wöginger: Da wart ihr nicht dabei, bei der Steuersenkung!)

15.05



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 237

Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gemeldet ist Frau Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer. – Bitte, Frau Abgeordnete.


15.05.51

Abgeordnete Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer (NEOS): Herr Präsident! Herr Finanzminister! Ich fand, der Bogen der Rede war tatsächlich sehr weit gespannt, ich versuche, ihn ein wenig zurückzuholen.

Wir haben es schon gehört, es geht um die Distributed-Ledger-Technology, prinzipiell einfach eine Architektur, bei der Transaktionen im Finanzbereich dokumentiert werden können, und zwar dezentral gemacht. Das ist eigentlich eine sehr, sehr coole Sache, weil man tatsächlich in Echtzeit Updates sehen kann – wer sie gemacht hat, wie sie gemacht sind. Das ist meiner Meinung nach tatsächlich eine extrem spannende Technologie. Das sehe nicht nur ich so, das sehen ganz viele so, auch die absoluten Spezialisten in diesem Bereich.

Es ist auf jeden Fall in unserem Sinne, dass wir eine EU-Verordnung – nichts anderes ist es ja; und eine Pilotregelung, dass man sich das Ganze bis 2026 anschaut – unterstützen. Wir finden es auch gut, dass es bei der FMA ange­siedelt ist. Dort macht das auch Sinn. Deswegen werden wir diesem Gesetzentwurf, offenbar als die konstruktive Mitte in diesem Haus, auch zustimmen.

Ein anderer Punkt, und diesen kleinen Bogen möchte ich heute doch auch noch spannen, ist: Da geht es um sehr innovative Instrumente, Technologien, und Innovation brauchen wir tatsächlich auch in Österreich wieder. Wir brauchen innovatives Unternehmertum. Wir brauchen viel mehr Start-ups. Wir brauchen viel mehr Mut. Wir müssen das Unternehmertum wieder aufregend machen, den jungen Menschen und eigentlich allen Menschen sagen: Unter­nehmertum ist großartig – und nicht nur schwierig und kompliziert und voller Bürokratie.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 238

Ein ganz, ganz wichtiger Punkt, der uns fehlt, ist tatsächlich das Risikokapital. Ich habe schon mit Ihrem Vorgänger (in Richtung Bundesminister Brunner), mit Herrn Finanzminister Blümel, darüber gesprochen, wie wichtig es wäre, Wagnis­kapitalregelungen in Österreich festzulegen. Unser Kapitalmarkt muss tatsäch­lich innovativer werden, er muss potenter werden. Wir brauchen Risiko­kapital vor allem für junge Firmen.

Es gibt eine ganz großartige Forschungsquote in diesem Land. Es gibt unglaub­lich gute Universitäten. Es gibt wirklich tolle Forscher. Wir investieren viel Geld in diesen Bereich, richtigerweise, weil Österreich tatsächlich nur so überleben kann. Wir sind ein Hochsteuerland, wir müssen uns über Innovation abheben. Und was passiert? – Ganz viele dieser tollen innovativen Unternehmen wandern ab. Sie wandern ins Ausland, gehen zum Beispiel in die USA. Dort, liebe Grüne, fließen gerade Milch und Honig, wenn es um die grüne Energiewende geht. Alle innovativen Start-ups gehen gerade dorthin, und meiner Meinung nach zu Recht, weil wir es nicht schaffen, sie in Österreich zu halten und ihnen zumindest den Zugang zum Risikokapitalmarkt ein wenig leichter zu machen.

Wie gesagt, Ihr Vorgänger, der ehemalige Herr Finanzminister, hat mir damals – bevor er gegangen ist – versprochen, in drei Monaten werden wir es auf dem Tisch haben. Letztes Jahr haben Sie endlich etwas in die Runde geschickt, nämlich das Wagniskapitalfonds-Gesetz. Ende Jänner war die Begutachtung vorbei – und seitdem ist es auch wieder in der Versenkung verschwunden. Also wir würden uns wünschen, dass Sie im Sinne dieser innovativen Technologien der innovativen Firmen in diesem Land da endlich innovativ werden. – Vielen Dank. (Beifall bei den NEOS.)

15.09 15.09.02


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist daher geschlossen.

Der Herr Berichterstatter verlangt offenbar kein Schlusswort.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 239

Wir gelangen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf samt Titel und Eingang in 2029 der Beilagen.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die für diesen Gesetzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist mehrheitlich angenommen.

Wir kommen zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Gesetzentwurf auch in dritter Lesung ihre Zustimmung erteilen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Das ist die Mehrheit. Der Gesetzentwurf ist somit auch in dritter Lesung angenommen.

15.09.358. Punkt

Antrag der Abgeordneten Mag. Andreas Hanger, Mag. Dr. Jakob Schwarz, BA, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Erdgasabgabegesetz, das Elektrizitätsabgabegesetz und das Bundesgesetz über den Energiekrisenbeitrag-Strom geändert werden (3373/A)


Präsident Ing. Norbert Hofer: Wir kommen zum 8. Punkt der Tagesordnung.

Hinsichtlich dieses Antrages wurde dem Budgetausschuss eine Frist zur Berichterstattung bis 24. Mai 2023 gesetzt.

Ein Wunsch auf eine mündliche Berichterstattung liegt nicht vor.

Zu Wort gelangt nun Herr Abgeordneter Mag. Leichtfried. – Bitte, Herr Abgeordneter.


15.10.26

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, die bei dieser Debatte zuhören oder zusehen! Es geht hier um einen


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 240

Antrag der Regierungsparteien zum Erdgasabgabegesetz und zum Elektrizitätsabgabegesetz.

Bevor wir aber über diesen Antrag reden, sollte man, glaube ich, schon noch einmal festhalten, in welcher Situation wir sind. (Abg. Michael Hammer: Furchtbar, ja! Da habt ihr einen gescheiten Wickel beieinander!) Das hören Abgeordnete wie Abgeordneter Gödl oder wie Abgeordneter Hammer hier nicht so gerne, aber es ist so: Wir sind in Österreich in einer fürchterlichen Situation. (Rufe bei der ÖVP: Das kannst du wohl sagen, ja! Die SPÖ, die SPÖ ist in einer fürchterlichen Situation! – Abg. Hanger – erheitert –: Sie sprechen von der SPÖ, oder? – Weitere lebhafte Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Schauen Sie, wie die Herren hauptsächlich bei der ÖVP nervös werden, wenn man es anspricht, aber es ist so: Wir haben die höchste Inflation in ganz Westeuropa – und das haben Sie zu verantworten, da gibt es nichts zu grinsen! (Beifall bei der SPÖ.)

Da gibt es nichts, um höhnisch zu lachen. (Abg. Eßl: Jetzt habts den Doskozil!) Sie machen sich über die Menschen in diesem Land lustig, und das haben die Menschen in diesem Land nicht verdient. (Abg. Eßl: Jetzt habts den Doskozil!) Lassen Sie das!, sage ich Ihnen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Kirchbaumer: Das ist eine Anmaßung, eine bodenlose Anmaßung, eine Frechheit! Das ist unglaublich! – Abg. Eßl: Jetzt habts den Doskozil! Der hat das zu verantworten! – Abg. Michael Hammer: Der pannonische Sonnenkönig!)

1,5 Millionen Menschen können sich teilweise das Wohnen nicht mehr leisten. Eine halbe Million Menschen hat Mietschulden. – Ja, Ihnen ist das auch egal. Ich weiß, dass Ihnen das egal ist. – Einer halben Million Menschen fehlt das Geld für eine warme Mahlzeit. – Ja, Sie können sich das alle leisten, darum grin­sen Sie da drüben so hämisch. Aber das hämische Grinsen wir Ihnen auch noch vergehen, das sage ich Ihnen. (Abg. Pfurtscheller: Also bitte, hören Sie endlich mit dieser ... auf! – Ruf bei der ÖVP: Jetzt reicht es aber einmal!)

Die Bevölkerung kann diese Teuerung nicht mehr tragen. Warum ist das so? – Weil Sie immer zu spät das Falsche getan haben, geschätzte Damen und Herren


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 241

Regierungsvertreter hier im Hohen Haus! Zu spät und das Falsche! (Ruf bei der ÖVP: Ist das die Abschiedsrede als Klubobmann?)

Bei Ihrem Antrag haben Sie jetzt zumindest einmal nicht die Inflation verstärkt (Zwischenruf des Abg. Eßl) – das muss man ja positiv anmerken –, aber er wird nichts daran ändern, dass die Energieunternehmen wieder Rekordgewinne machen, und er wird nichts daran ändern, dass die Preise weiter steigen bezie­hungsweise nicht gesenkt werden. Das ist wieder das Resultat Ihrer Maßnahme: Die Preise werden wieder nicht gesenkt werden. Und dann wundern Sie sich, wenn Sie unseren Anträgen nicht zustimmen, dass wir Ihren nicht zustimmen? – Wir sind auf der Seite der Menschen in diesem Land und nicht auf jener der großen Konzerne. Merken Sie sich das einmal! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Abg. Kirchbaumer.)

Was machen Sie noch? – So nebenbei heben Sie die CO2-Besteuerung, die CO2-Bepreisung wieder an. Wenn es stimmt, was das „Profil“ recherchiert hat, soll es so sein, dass bis 2030 die CO2-Bepreisung vervierfacht werden soll. (Zwischen­rufe bei der ÖVP.) Wollen Sie das wirklich? Wollen Sie die Menschen schon wieder belasten? Wollen Sie die Inflation schon wieder hinauftreiben? Ich frage mich: Was wollen Sie überhaupt in diesem Land noch tun, nach dem, was Sie den Menschen bereits jetzt angetan haben? Die Preise sind bereits so hoch, und Sie wollen sie weiter hochtreiben. Das ist das, was Sie vorhaben! Das können Sie dann offen zugeben, und dazu können Sie dann auch stehen, wenn Sie das möchten.

Wir sehen das anders, und deshalb bringe ich einen Entschließungsantrag ein (Abg. Eßl: Welcher Flügel? Doskozil oder Babler?) – ich wende mich damit insbesondere an die ÖVP, die das vielleicht noch ein bisschen vernünftiger sieht als die Grünen –:


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 242

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Jörg Leichtfried, Kolleginnen und Kollegen betreffend „keine Vervierfachung der CO2-Steuer bis 2030“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, die medial kolportierten Pläne von Umweltministerin Gewessler, die CO2-Steuer bis zum Jahr 2030 auf 240 Euro pro Tonne zu vervielfachen, nicht umzusetzen.“

*****

Wenn Sie noch irgendetwas für die Menschen in Österreich übrig haben, dann stimmen Sie da mit! (Beifall bei der SPÖ.)

15.14

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Jörg Leichtfried,

Genossinnen und Genossen

betreffend keine Vervierfachung der CO2-Steuer bis 2030

eingebracht in der Sitzung des Nationalrates am 25. Mai 2023 im Zuge der Debatte zu TOP 8 Antrag der Abgeordneten Mag. Andreas Hanger, Mag. Dr. Jakob Schwarz, BA, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Erdgas­abgabegesetz, das Elektrizitätsabgabegesetz und das Bundesgesetz über den Energie­krisenbeitrag-Strom geändert werden (3373/A).

Die Bundesregierung hat Österreich zum Inflationseuropameister gemacht. Es gibt heute kein einziges Land in Westeuropa mit einer höheren Teuerung als Österreich. Alle Warnungen der Oppositionsparteien wurden in den Wind geschlagen. Man war


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nicht bereit regulatorisch in die Preise einzugreifen, sodass die Preise wie in anderen Länder wieder sinken, statt weiter zu steigen.

Wenn es allerdings darum geht Maßnahmen zu setzen, die preiserhöhend wirken, ist die österreichische Bundesregierung nicht so zimperlich. Man hätte die CO2-Steuer auf Antrag der SPÖ aussetzen können, stattdessen wurde sie mit 1.1.2023 sogar erhöht. Wie das Nachrichtenmagazin Profil aufdeckte, gibt es im Ministerium von Umweltministerin Gewessler konkrete Pläne, die CO2-Steuer bis zum Jahr 2030 sogar auf 240 Euro pro Tonne – im Vergleich zu 55 Euro pro Tonne im Jahr 2025 – mehr als zu vervierfachen.

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, die medial kolportierten Pläne von Umweltministerin Gewessler, die CO2-Steuer bis zum Jahr 2030 auf 240 Euro pro Tonne zu vervielfachen, nicht umzusetzen“.

*****


Präsident Ing. Norbert Hofer: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht somit auch in Verhandlung.

Zu Wort gelangt nun Mag. Andreas Hanger. – Bitte, Herr Abgeordneter. (Abg. Michael Hammer – in Richtung des sich zum Rednerpult begebenden Abg. Hanger –: Musst auch zur fürchterlichen Situation kurz Stellung nehmen!)


15.14.18

Abgeordneter Mag. Andreas Hanger (ÖVP): Herr Präsident! Herr Finanzminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Hohes Haus! Bevor ich zum eigentlichen Inhalt dieser Gesetzesvorlage komme, möchte ich ganz allgemein zur


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Teuerungsdiskussion Stellung nehmen. Ich würde schon darum ersuchen, denn das wäre schon wichtig, dass wir die gesamte Teuerungsdiskussion – Herr Kollege Leichtfried, ich glaube, da sollten Sie jetzt ein bisschen aufpassen – seriös und richtig einordnen. Von der freiheitlichen Fraktion würde ich mir ein bisschen mehr Aufmerksamkeit wünschen – denn von dieser ist fast gar niemand mehr da –, weil ich etwas Wichtiges zu sagen habe.

Ja, wir haben eine hohe Inflation, und die hat verschiedene Gründe. Und ja, eine hohe Inflation benachteiligt in erster Linie die unteren Einkommensgruppen, die sind stärker davon betroffen. Es gibt verschiedene Gründe, warum das so ist, aber wenn wir die Inflation seriös beurteilen, dann müssen wir uns bitte, Herr Kollege Leichtfried, auch auf der anderen Seite anschauen, wie die Einkommen gestiegen sind. Aus 2022 wissen wir mittlerweile, dass die Einkommen infla­tionsbereinigt gestiegen sind! Wir sind damit sogar im europäischen Spitzen­feld. Bei aller Problemlage, die durch die hohe Inflation da ist: Es sind auch die Einkommen gestiegen.

Wieso sind die Einkommen gestiegen? – Es hat natürlich hohe Lohnabschlüsse gegeben – das ist richtig und gut, dafür darf man sich auch einmal bei den Sozialpartnern bei uns in Österreich bedanken –, es hat natürlich auch Steuer­reformen gegeben, die das verfügbare Einkommen angehoben haben, und es hat insbesondere auch viele staatliche Hilfsmaßnahmen gegeben, die natürlich gerade auch den Menschen in den unteren Einkommensbereichen überdurch­schnittlich zugutegekommen sind. (Beifall bei Abgeordneten der ÖVP.)

Bei aller Diskussion über die Inflation darf man das nie vergessen. Was diese Schreckgespenster betrifft, so haben Sie da, glaube ich, irgendwie diese Probleme, die Sie in der SPÖ haben, verinnerlicht. (Heiterkeit des Abg. Zarits.) Die gibt es in der Volkswirtschaft in dem Ausmaß, in dem es immer wieder skizziert wird, nicht. (Beifall bei Abgeordneten der ÖVP.)

Ein zweiter wesentlicher Punkt, den ich schon auch anführen möchte: Ich möchte auch ein klares Bekenntnis zur freien Marktwirtschaft abgeben (Beifall


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bei Abgeordneten der ÖVP – Abg. Leichtfried: Jetzt klatschen nur mehr drei bei der ÖVP, wenn es um die freie Marktwirtschaft geht!) – natürlich ökologisch orientiert, natürlich sozial ausgewogen –, denn der Wohlstand, den wir bei uns in Öster­reich haben, ist schon ganz klar auch der freien Marktwirtschaft geschuldet. Da gibt es Unternehmertum, da gibt es Engagement, da geht es um Initiative, da geht es um Eigenverantwortung, da geht es um das Individuum. In dieser Grundhaltung haben wir diesen Wohlstand in der Zweiten Republik, das darf man nie vergessen.

Eines halte ich für die linken Träumer schon fest: Auch wirtschaftspolitisch sind der Marxismus und der Kommunismus gnadenlos gescheitert. Das soll man schon einmal in dieser Deutlichkeit festhalten. (Beifall bei der ÖVP.)

Konkret zum Gesetzentwurf – und jetzt komme ich auch zum Aber –: Märkte funktionieren nicht immer perfekt, das muss man auch ganz offen sagen. Auch meine persönliche Überzeugung ist die, dass der Strommarkt derzeit nicht perfekt funktioniert. Wir haben die Situation, dass die Großhandelspreise an der Leipziger Strombörse wieder herunten sind. Wir lesen täglich in den Zeitungen, dass die Gewinne der Stromerzeuger enorm hoch sind. Und wenn wir alle miteinander unsere Stromrechnungen sehen, dann fragen wir uns immer wieder: Was ist denn da derzeit los?

Deshalb ist es richtig und wichtig, hier jetzt auch indirekt – und die Betonung liegt auf indirekt – in den Markt einzugreifen. Ich darf daran erinnern: Das haben wir schon im Vorjahr gemacht. Wir haben im Vorjahr schon eine Übergewinn­steuer beschlossen, und jetzt schärfen wir noch einmal nach. Auf den Punkt gebracht ist es so, dass, wenn ein Energieversorger einen Arbeitspreis von über 25 Cent in etwa verlangt, der Preis, der darüber liegt, wegbesteuert wird. Das ist etwas, das mit meiner DNA gar nicht so einfach ist, weil wir uns ja prinzipiell zum freien Markt bekennen, aber in diesem Fall ist es dringend notwendig.

Ich halte noch einmal fest: Dieser Gesetzesvorschlag führt dazu, dass, wenn der Arbeitspreis über 25 Cent in etwa beträgt, das staatlich wegbesteuert wird. Das


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ist in der jetzigen Marktsituation eine dringend notwendige Maßnahme, damit wir die Märkte wieder ins Gleichgewicht bekommen. Deshalb bin ich übrigens auch der Meinung: Wenn man dem Markt Zeit gegeben hätte, ein Jahr, ein­einhalb Jahre – leider sind diese Marktmechanismen sehr verzögernd am Werk –, dann hätte das auch funktioniert. Es bestand aber Handlungsbedarf, die Inflation ist hoch, und diese Maßnahme wird dazu beitragen, dass auch die Inflation zurückgeht. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abg. Fischer.)

15.18


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Frau Dipl.-Ing.in Karin Doppelbauer. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.


15.18.52

Abgeordnete Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer (NEOS): Herr Präsident! Herr Finanzminister! Hohes Haus! Ich kann an das, was mein Vorredner gesagt hat, anschließen. Da geht es um die Großhandelspreise, darum, dass die Groß­han­delspreise im Augenblick nicht weitergegeben werden. Ich fand, das ist wirklich ein guter Punkt. Darauf möchte ich nämlich auch in meiner Rede zu sprechen kommen, denn: Was in diesem Paket vorgeschlagen wird, sind erstens eine temporäre Senkung der Energieabgaben auf Strom und zweitens die Abschöp­fung der Übergewinne. Das klingt ja fürs Erste einmal plausibel, wenn man sich das so anhört.

Dann aber schaut man es sich an und geht einen Schritt tiefer, und jetzt sind wir eben genau bei diesen Großhandelspreisen, die gesunken sind: Die Strom­preise sind relativ auf dem Weg nach unten, die Gaspreise sind schon wieder dort, wo sie vor der Krise waren. Diese Preise werden aber eben nicht an die Konsu­ment:innen, an die Bürger:innen, an die Unternehmen weitergegeben. Das ist das riesige Problem.

Und was zeigt uns das? – Das zeigt uns, dass wir in diesem Land einfach ein Wettbewerbsproblem haben. Es gibt nämlich keinen liberalisierten Strommarkt. Als das damals angegangen wurde, wurde sicher nach bestem Wissen und


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Gewissen gearbeitet, tatsächlich aber hätte man es jetzt weiterentwickeln sollen und müssen, denn so funktioniert es einfach nicht.

Warum sage ich das? – Die Landesgesellschaften als nur ein Beispiel, warum es da keinen Markt gibt, bieten nicht in ganz Österreich an. Die Landes­energie­erzeuger bieten in den eigenen Bundesländern an – die meisten zumin­dest.

Die zweite Geschichte ist: Die gehören sich gegenseitig. Da gibt es ganz, ganz viele Fälle gegenseitiger Beteiligungen – Energie AG, Tiwag, Verbund: Einfach nur nachschauen, wem das gehört! Die gehören sich gegenseitig, da gibt es ganz, ganz enge Verschränkungen.

Der nächste Punkt ist: Sie sind meistens im staatlichen oder im Landeseigentum. Der Staatsanteil an der Stromerzeugung im Jahr 2009 in Österreich – das ist allerdings eine alte Zahl, aber wir glauben nicht, dass sie sich sehr verändert hat –wird vom Statistikportal Statista mit 84 Prozent angegeben. Der Staats­anteil an der Stromerzeugung in Österreich ist also 84 Prozent! – Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Die Eigentümerstruktur hat sich tatsächlich seit 2009 nicht verändert, vielleicht sind es jetzt 75 Prozent, you name it, aber die Größenordnung stimmt.

Schauen wir uns das an: Jetzt wollen wir in diesem Maßnahmenpaket Überge­winne abschöpfen. Von wem schöpfen Sie diese denn ab? – Sie schöpfen von dem ab, was dem Staat und den Ländern eh gehört. Ich meine, da wird Geld von Beteiligungen abgehoben, die der öffentlichen Hand gehören, und dann gibt man sie dem Bund. Echt jetzt? – Das ist ja vollkommen absurd, was da passiert, oder? (Heiterkeit der Rednerin. – Beifall bei den NEOS.) Die Nutznießer von diesem teuren Strom sind also die Länder, und jetzt wird abgeschöpft und das Geld geht an die Republik oder an die Landesregierungen, je nachdem, wie man es sich dann halt ausrechnet.


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Es wäre daher wesentlich sinnvoller, über eine Beschränkung der gegenseitigen Beteiligungen der Länder, also der Lieferanten und der Produzenten, nach­zudenken, das heißt, den Markt wirklich zu liberalisieren, damit tatsächlich das passiert, was passieren sollte: In einem liberalisierten Markt würden die Preise nach unten gehen, da hätten wir nämlich einen Wettbewerb.

Um das zu lösen, müssten wir natürlich wirklich tief hineingreifen. Das wäre eine tiefgreifende Reform, die da notwendig wäre. Das könnte man tatsächlich auch im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen angehen. Man könnte im Rah­men der Finanzausgleichsverhandlungen auch angehen, dass man den Ausbau der Erneuerbaren ein bisschen nach vorne bringt, auch da hätte man eine Möglichkeit. (Abg. Hanger: Das ist halt ein hohes Risiko, Frau Kollegin! Das kann auch in die andere Richtung gehen!)

Ich weiß aber, das sind schwierige Themen, und soweit ich höre und sehe – wir haben es ja gerade auch im Zuge einer Anfragebeantwortung zurückbekommen, das sind die Fakten –, ist es halt nicht unbedingt vorgesehen, Kollege Hanger. (Abg. Schnabel: Der europäische Strommarkt ist liberalisiert!)

Ja, tatsächlich, die Maßnahmen – ich fasse es noch einmal zusammen – schauen auf den ersten Blick ganz interessant aus, sie sind es aber nicht, wenn man es weiter durchdenkt. Tatsächlich müssen Reformen angegangen werden, damit die Preise dort landen, wo sie hingehören, und wir nicht Geld von der linken Tasche in die rechte Tasche transferieren. (Beifall bei den NEOS.)

15.23


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gemeldet ist MMMag. Dr. Axel Kassegger– Bitte, Herr Abgeordneter. (Abg. Doppelbauer tritt im Anschluss an ihre Rede an die Regierungsbank und unterhält sich mit Bundesminister Brunner.) – Einen Moment noch, Herr Abgeordneter, bis die Aussprache beendet ist.

Nun gelangen Sie zu Wort, bitte schön.



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15.23.20

Abgeordneter MMMag. Dr. Axel Kassegger (FPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Es geht bei diesem Tagesordnungspunkt um eine Kleinigkeit, und zwar um die Verlängerung bestimmter Fristen beziehungsweise um die Aussetzung von Abgaben, dass die eben nicht eingehoben werden: Elektrizitätsabgabe, Erdgasabgabe und die Übergewinnbesteuerung, auf die ich noch eingehe. Diese ist meines Erachtens eine Nebelgranate, weil die Steuer­einnahmen aus diesem Titel – wir werden das dann in den nächsten Jahren sehen, ich mache jetzt eine Wette – sehr, sehr überschaubar sein werden, und ich werde Ihnen erläutern - - (Abg. Hanger: Was ist überschaubar? Ich halte dagegen! Was wetten wir?) – Ich werde versuchen, das zu erläutern.

Worum geht es aber im Wesentlichen? Das größere Thema ist ja – das ist auch in der Einleitung zu diesem Gesetz angeführt – die Umsetzung der Maßnahmen der Bundesregierung gegen die Teuerung; das ist ein Teil der Umsetzung.

Das gibt mir Gelegenheit, zum einen noch einmal darzulegen – und das ist ja das große Problem dieser Bundesregierung –, dass die Bundesregierung die Ursachen dieser Teuerung nicht erkennt, und zum anderen dann darzulegen, wie und mit welchen Maßnahmen sie auf die Teuerung, auf die Inflation reagiert hat, nämlich auch wieder falsch: durch Verteilen, durch noch mehr Geld-in-das-System-Schütten in einer Situation, in der wir einen Nachfrageüberhang über das Angebot haben. Das sagt Ihnen jeder Volkswirt, der diese Zusammenhänge einigermaßen erläutern kann und versteht.

Bezüglich der Ursachen ist wohl evident, dass selbstverständlich die ÖVP als Regierungspartei seit 36 Jahren auch Verantwortung trägt, nämlich auch für das, was auf europäischer Ebene passiert ist, weil die ÖVP da in der Masse der Zeit auch die wesentlichen Player, die auf der europäischen Ebene mitbestimmen, gestellt hat.

Selbstverständlich ist eine der wesentlichen Ursachen die Geldschwemme, die die Europäische Zentralbank, seit 2008 im Wesentlichen, durch eine Versieben-


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bis Verachtfachtung der Geldmenge verursacht hat, was überhaupt nicht mit dem Wirtschaftswachstum korreliert. Selbstverständlich ist das auch eine Ursache der Teuerung. Wir bekommen heute die Rechnung für zumindest 15 Jahre fehlgeleitete Geldpolitik präsentiert, die sich im Übrigen in Bereiche der Fiskalpolitik einmischt, wo sie eigentlich gar nichts verloren hat. Niemand von der ÖVP oder SPÖ hat aber jemals einen Einwand dagegen erhoben.

Was meine ich mit dieser Einmischerei in die Fiskalpolitik? – Nullzinspolitik kombiniert mit Quantitative Easing, sozusagen Angebote an die Finanz­minister. – Herr Finanzminister, auch an Sie, also nicht an Sie, aber an Blümel und seine Vorgänger: Greift rein in die Goldschatulle! Verschuldet euch! Es kostet auch nichts!

Das fliegt uns jetzt auf zweierlei Arten um die Ohren: einerseits weil wir Zins­belastungen haben – wir kennen die Budgetzahlen, ich hoffe, dass diese Prognosen überhaupt halten und nicht noch nach oben gehen –, wir zahlen Abermilliarden Euro an Zinsen. Die Freiheitliche Partei würde das Geld lieber für Kinder, Schulen, was auch immer ausgeben (Heiterkeit und Zwischenruf der Abg. Greiner – Abg. Taschner: Wir alle!), jedenfalls nicht für Zinsen als Preis für das Leben über die Verhältnisse. (Beifall bei der FPÖ.)

Diese Schuldenpolitik hat natürlich auch dazu geführt, dass die Europäer im Ver­gleich zu den Amerikanern, wenn es darum geht, Inflationstendenzen abzu­wehren, schlecht abschneiden. Hans-Werner Sinn sagt: Die Flamme der Inflation muss man austreten, solange sie noch klein ist. – Das hat die Fed durch notwendige Zinserhöhungen besser, viel besser gemacht. Die EZB schläft da in der Pendeluhr und bekommt auch aus diesem Grund die Inflation nicht in den Griff, was auch dazu führt, dass der Euro abwertet, dass wir teurer einkau­fen und noch mehr Inflation haben.

Ein dritter wesentlicher Grund ist selbstverständlich Ihre Lockdownpolitik: eine völlige Zerschlagung der Lieferketten, ein schwerer Anschlag auf eine grund­sätzlich funktionierende Marktwirtschaft, zu der wir Freiheitliche uns, wenn die


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soziale Komponente in ausreichendem Ausmaß vorhanden ist – also soziale Marktwirtschaft –, selbstverständlich auch bekennen. Selbstverständlich lag es auch an den Lockdowns, und da frage ich mich schon: Ich meine, die ÖVP war natürlich dabei, aber da war selbstverständlich auch die SPÖ dabei, also Sie können jetzt nicht so tun, als ob Sie für diese Inflation keine Verantwortung tragen würden. (Zwischenruf des Abg. Keck.) Sie waren da überall dabei. (Abg. Taschner: Am Anfang Sie auch!)

Ich habe vonseiten der SPÖ nie irgendeinen Einwand gegen die EZB-Geld­schwemme gehört, gegen die Nullzinspolitik, gegen die Verschuldungen, auch nicht gegen die Lockdowns. Also tun Sie jetzt bitte nicht so, als ob Sie für diese Inflation nicht die genau gleich große Verantwortung hätten wie die ÖVP! (Abg. Kucher: Der erste, der den Lockdown gefordert hat, war der Herbert Kickl!)

Das sind die Ursachen, und jetzt geht es um die Bekämpfung. Da sage ich, für die falsche Politik der Bekämpfung kann die SPÖ nichts, weil sie nicht in der Regie­rung ist – nämlich in so ein System, in dem wir definitiv einen Nachfrage­über­hang gegenüber dem Angebot haben, jetzt noch Geld reinzuschütten, und zwar nicht ein paar Euro, sondern Milliarden von Euro, die wiederum für Verschul­dung sorgen, die wiederum für die Zinsbelastung im Budget sorgen.

Ich spreche da von den Coronahilfen, bezüglich derer Sie ja glauben, es sei nach wie vor gut, wenn man da 50 Milliarden Euro verbrennt. Ich gehe jetzt gar nicht darauf ein – Gießkanne ist ja schon zigmal gesagt worden, aber auch bei den Energiehilfen: hohe Komponente an Gießkanne. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern das sagen auch IHS-Chef Neusser und verschiedene, durchaus renom­mierte und anerkannte Volkswirte. Das, also mit der Gießkanne zu agieren, können Sie nicht einfach wegwischen.

Es gäbe ja genug Möglichkeiten auf der Preisseite, und das empfehlen auch Volks­wirte. Das machen Sie als Regierung aber nicht, deswegen haben wir ja zusätzlich zu dieser europäischen Inflation eine noch höhere Inflation in Öster­reich. All diese Vorschläge, die wir seit eineinhalb, zwei, drei Jahren auf das


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Tablett bringen, predigen: Schauen wir uns das preisseitig an!, Senken wir doch die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel oder setzen wir sie ganz auf null!, Senken wir doch die Mehrwertsteuer auf Energie!, Senken wir doch die Mine­ralölsteuer! – all das wird ignoriert. (Zwischenbemerkung von Bundesminister Brunner.) – Na ja! (Bundesminister Brunner: Das ist Gießkanne!) – Nein, das ist nicht die Gießkanne, das führt dazu, dass Sie, Herr Finanzminister, ein paar Millionen Euro weniger im Taschl haben.

Es führt aber auch dazu, dass die Konsumenten diese Umsatzsteuer schlucken müssen, zu zahlen haben. Das ist der Punkt! Natürlich werden Sie sagen, das senke ich nicht, denn dann habe ich ein paar Milliarden Euro an Steuereinnah­men, die ja explodieren, weniger im Tascherl. Das wissen wir ja. Ihre Einnahmen explodieren ja in Wahrheit genau aus diesem Grund, über diese Steuern, und dann geben Sie als Sahnehäubchen noch eine CO2-Steuer drauf, die Frau Gewessler jetzt verdoppeln will. Ich bin gespannt, wie die ÖVP darauf reagieren wird.

Sie zocken die Leute ab und stopfen sich die Taschen voll, Sie und auch die Landesenergieversorger, zu denen ich noch komme, die – Kollegin Doppelbauer hat es schon gesagt – natürlich in überwiegender Anzahl, man kann das jetzt nicht lesen (ein Schriftstück in die Höhe haltend), aber in überwiegender Anzahl im Eigentum der öffentlichen Hand, also von Ihnen und von den Landesfürsten sind. Und es verbietet Ihnen niemand, dass Sie da über Ihre Eigentümerfunktion, über Aufsichtsrat und so weiter – ich will nicht sagen Druck ausüben – einmal ein bisschen darauf hinzielen, dass diese Energieversorgungsunternehmen sich auf der Preisseite zurücknehmen und nicht noch mehr Gewinne machen. Das tun Sie natürlich nicht. (Beifall bei der FPÖ.)

Im Übrigen sind aufgrund des europäischen Rechtssystems temporär auch Preisregulierungen, Preisdeckel in Ausnahmesituationen rechtlich möglich. Das machen Sie natürlich auch nicht! Sie geben auch überhaupt keine Anreize, zum Beispiel die Sparquote durch Zinserhöhungen auf die Einlagen zu erhöhen. Das wäre eine vernünftige Maßnahme. Da müsste man allerdings mit den Banken reden. (Abg. Schwarz: Ja, das hilft natürlich den Leuten am meisten!)


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Da haben wir ja auch wieder diesen Gap. Die Ausleihungszinsen werden sofort angehoben, und die Zinsen, die ich auf mein Sparbuch oder auf mein Konto bekomme, wenn ich es mit einer bestimmten Bindung habe, das dauert ewig. (Abg. Schwarz:  ... Sozialhilfe ... Sozialhilfe ...!) Dieser Gap ist ein schönes Körberlgeld für unsere Banken. Wer zahlt’s? – Die Bürger, und das ist nicht in Ordnung, Herr Finanzminister, das muss ich in aller Deutlichkeit sagen.

So viel grundsätzlich zur Teuerung und zur Inflation – wie gesagt, es gäbe viele, viele Möglichkeiten, Sie machen es nicht, Sie haben Ihre Motivlage. Die Freiheitliche Partei fordert diese Möglichkeiten jetzt seit Monaten, in Wahrheit fordern wir diese Möglichkeiten seit Jahren, Sie setzen sie aber nicht um. Sie haben die Macht dazu, Sie sind in der Bundesregierung.

Aus diesem Grund bin ich schon auch der Meinung, dass man irgendwann einmal dann auch zu Wahlen kommen könnte und vielleicht einmal diese Varianten etwa im Energiebereich ausprobieren sollte. Die Freiheitliche Partei ist dazu bereit. Ich glaube nicht, dass (in Richtung Bundesminister Brunner) Sie momentan dazu bereit sind, sich Wahlen zu stellen. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

15.32


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt nun Alois Schroll. – Bitte schön, Herr Abgeordneter. (Abg. Kassegger tritt im Anschluss an seine Rede an die Regierungsbank und unterhält sich mit Bundesminister Brunner.)

Wir warten noch kurz ab, bis der Weg frei ist. – Bitte, Herr Abgeordneter.


15.32.47

Abgeordneter Alois Schroll (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Geschätzte Zuhörerinnen und Zuhörer! Ja, gestern haben wir hier im Hohen Haus schon eine Märchenstunde gehabt und ein paar Gschichterln gehört, warum denn aus dem Energieeffizienzgesetz nichts geworden ist. (Ruf bei der SPÖ: Gödl!)


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Kollege Gödl – ich weiß nicht, ob er jetzt im Hohen Haus ist – hat das heute schon angesprochen. (Abg. Gödl: Da!) – Die Wahrheit, lieber Kollege Gödl (Abg. Michael Hammer: SPÖ-Blockade ist die Wahrheit!), warum wir als SPÖ nicht zugestimmt haben, ist (Abg. Schmuckenschlager: Steht im Protokoll! ... Abstimmung die Wahrheit! – Abg. Michael Hammer: Ist das Parteiinteresse der SPÖ!): Wir haben an den Verhandlungen teilgenommen, und wir haben von Anfang an gesagt, die Energie- und Klimawende kann natürlich nur auch eine sozial gerecht gestaltete Wende werden. Nur das gibt es mit der SPÖ. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Wahrheit ist auch, dass die von uns vehement geforderten Lieferanten­ver­pflichtungen unterbleiben, geschätzte Kolleginnen und Kollegen. Jene Konzerne, die in den letzten Jahren, Monaten Milliarden an Euro eingenommen haben, sollen jetzt nämlich nichts dazu beitragen, sondern es müssen wieder die Endkundinnen und Endkunden für die Energiewende und die Klima­wende zahlen. Nicht mit uns seitens der SPÖ! (Beifall bei der SPÖ.)

Eines, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, ist aber ganz klar, das sage ich Ihnen, und schreibt euch das ganz fest ins Stammbuch hinein: In den letzten ein­einhalb Jahren – und ich wiederhole mich – haben viele Konzerne viele Milliar­den Euro an Zufallsgewinnen gemacht. Auf der anderen Seite haben viele, viele Millionen Leute, KMUs, Klein- und Mittelbetriebe und letztendlich auch die Industrie Strompreise und Gaspreise in einer Höhe bis zum Achtfachen bezahlen müssen. Viele klein- und mittelständische Betriebe gibt es gar nicht mehr, weil sie das nicht überlebt haben, und ihr sitzt heute noch immer da und sagt: Das ist uns alles wurscht, die sollen einfach die Preise heben. (Beifall des Abg. Leichtfried.)

Und wenn man sich, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Folgende anschaut, und da nehme ich jetzt mein Heimatbundesland Niederösterreich her (Zwischen­rufe bei der ÖVP) – hört zu, ihr braucht da jetzt nicht nervös zu sein –: Über 100 Mil­lionen Euro hat mein Energieversorger in Niederösterreich jetzt der Landes­haupt­frau ausschütten und geben können. Und da sagt ihr, es ist


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alles okay, es ist alles richtig. Die Leute wissen nicht mehr, wie sie sich das Leben finanzieren und leisten sollen und können. (Beifall bei der SPÖ.)

Da, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, werden wir nicht mitmachen. Deswe­gen brauchen wir eine systematische Abschöpfung dieser Übergewinne.

Liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Hohen Haus, wenn man weiß, dass in der EU weit über 200 Milliarden Euro an Übergewinnen eingenommen worden sind und das bei uns in Österreich auch viele, viele Milliarden Euro waren – über 5 Milliarden Euro! –, dann kann man einfach nur sagen: Es kann doch nicht euer Ernst sein, dass man da nicht eingreift, dass man da nicht in das System und auch nicht in die Preisgestaltung eingreifen soll.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, ich kann euch nur eines sagen: Gestern hat die Frau Bundesministerin hier im Hohen Haus der Opposition ins Gewissen reden wollen, wir mögen doch dem Gesetzentwurf zustimmen. Wir stimmen dann einem Gesetzentwurf zu, wenn es nicht Verhandlungen in einer Sackgasse oder Einbahn sind, sondern wenn man Gesetze auf Augenhöhe verhandelt und vielleicht vorher, bevor man ins Hohe Haus geht, schon versucht, mit Gesprächen auf Augenhöhe eine Zweidrittelmehrheit zu bekommen.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, deswegen bringe ich folgenden Ent­schließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Alois Schroll, Kolleginnen und Kollegen betreffend „echte Übergewinnsteuer statt permanenter Regierungspfusch“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat umgehend ein Maß­nahmenpaket zuzuleiten, welches die Übergewinne von Energiekonzernen – auf Basis eines Gewinnvergleichs mit den Vorjahren – in Österreich tatsächlich


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abschöpft. Die Steuereinnahmen sind hierbei für die Finanzierung von Anti-Teuerungsmaßnahmen – wie der Etablierung einer schlagkräftigen Anti-Teuerungskommission – zweckzuwidmen“.

*****

Danke schön. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Leichtfried: Ein guter Antrag!)

15.37

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

des Abgeordneten Alois Schroll, Genossinnen und Genossen

betreffend echte Übergewinnsteuer statt permanenter Regierungspfusch

eingebracht in der Sitzung des Nationalrates am 25. Mai 2023 im Zuge der Debatte zu TOP 8 Antrag der Abgeordneten Mag. Andreas Hanger, Mag. Dr. Jakob Schwarz, BA, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Erdgas­abgabegesetz, das Elektrizitätsabgabegesetz und das Bundesgesetz über den Energie­krisenbeitrag-Strom geändert werden (3373/A).

Die Österreichische Bundesregierung hat die Einführung einer echten Übergewinn­steuer immer abgelehnt und versucht jetzt Nachbesserungen an ihrem schwachen Modell vorzunehmen, dass für Unternehmen absolut keinen Anreiz bietet Preise zu senken anstatt ihre Gewinne zu vervielfachen. Auch mit dem neuen Vorschlag wird es für Energiekonzerne problemlos möglich sein, Energie zum vielfachen des Herstel­lungspreises und damit völlig überteuert an die Menschen und Unternehmen in Öster­reich zu verkaufen, ohne auch nur im Ansatz von einer Übergewinnsteuer betroffen zu sein. Viele Länder, die echte Übergewinnsteuern eingeführt haben, stellen dabei auf einen Vergleich mit den Gewinnen der vergangenen Jahre ab. Das ist ein Modell, das international in solchen Krisenzeiten auch immer üblich war. Letztlich hat die Regierung, was die Mineralölindustrie betrifft nur die Minimalvorgaben der EU


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umgesetzt. Dabei durften die Mineralölkonzerne sogar im ersten Halbjahr 2022 – wo die Spritpreise an den Tankstellen besonders hoch waren – den gesamten Über­gewinn behalten. Die Regierung hat also weder in die Preisbildung eingegriffen, noch mit einer echten Übergewinnsteuer zumindest für einen sinnvollen budgetären Beitrag zur Finanzierung der Einmalzahlungen von den Energiekonzernen gesorgt.

Zumindest bis die strukturellen bzw. krisenbedingten Probleme des Energiemarktes gelöst werden, sollen die Übergewinne systematisch abgeschöpft werden. Der „normale“ Gewinn wird dabei weiterhin mit dem regulären KöSt-Satz besteuert. Zum Vergleich: In den USA wurden während des Zweiten Weltkriegs ebenso Übergewinn­steuern eingeführt. Der Steuersatz dafür betrug bis zu 90%.

Dabei ist auch zu bedenken, dass teilweise die gleichen Unternehmen, die über Jahre und Jahrzehnte hinweg mit Steuermittel subventioniert wurden nun diejenigen sind, die auf Kosten derselben Steuerzahler:innen heute Rekordgewinne schreiben. Dieser Vorgang treibt die Privatisierung von Gewinnen und die Sozialisierung von Verlusten in – selbst für marktwirtschaftliche Verhältnisse – bisher komplett unbekannte Höhen.

Diese Übergewinne zu besteuern und den Menschen zurückzugeben ist nicht nur eine Frage der ökonomischen Zweckmäßigkeit. Es ist vielmehr noch eine Frage der poli­tischen Moral und des viel zitierten „Anstands“.

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat umgehend ein Maßnah­men­paket zuzuleiten, welches die Übergewinne von Energiekonzernen – auf Basis eines Gewinnvergleichs mit den Vorjahren -  in Österreich tatsächlich abschöpft. Die Steuereinnahmen sind hierbei für die Finanzierung von Anti-Teuerungsmaßnahmen –


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wie der Etablierung einer schlagkräftigen Anti-Teuerungskommission zweckzu­widmen“.

*****


Präsident Ing. Norbert Hofer: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht somit auch in Verhandlung.

Zu Wort gelangt nun Mag. Dr. Jakob Schwarz. – Bitte, Herr Abgeordneter.


15.37.25

Abgeordneter Mag. Dr. Jakob Schwarz, BA (Grüne): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Hohes Haus! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Herr Abgeordneter Schroll, Sie regen sich über die Übergewinne auf, die die Unternehmen gemacht haben, und schaffen es im gleichen Atemzug, dagegen zu argumentieren, die Übergewinnsteuer zu erhöhen. Das muss man einmal zusammenbringen! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Krainer: Welche Übergewinnsteuer?)

Nämlich echt das Gesetz – und dann bringen Sie einen Entschließungsantrag ein, der denselben Zweck hat, statt dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Also bei der SPÖ kennt man sich wirklich nicht mehr aus. (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Neuer­licher Zwischenruf des Abg. Krainer.)

Wir beschließen heute Maßnahmen – die Senkung der Erdgasabgabe, der Elektri­zitätsabgabe und die Verschärfung der Übergewinnsteuer –, die dazu beitragen sollen, wichtige Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Teuerung, damit die Preise runtergehen, zu setzen. Und da sagt dann Abge­ordneter Kassegger, das sei eine Kleinigkeit. Die Kleinigkeit ist eine Entlastung von mehreren hundert Millionen Euro für die Menschen in Österreich. (Abg. Kassegger: Wie kommen Sie auf die mehreren hundert Millionen? Das würde mich jetzt interessieren! Wo sind die mehreren hundert Millionen Euro?)


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Und die SPÖ versucht, genau solche Maßnahmen mit einer Blockade der Zweidrittelmehrheit zu erzwingen, wie es zum Beispiel gestern beim Energie­effizienzgesetz geschehen ist. Abgeordneter Schroll hat es ohnehin ange­sprochen. Ich stehe ja jetzt noch unter dem Eindruck dieser Blockade. Wie kann es Ihnen nur einfallen, eines von drei verbleibenden wichtigen Klimaschutz­gesetzen zu blockieren und sich dann auch noch hierherzustellen und einen Antrag einzubringen, die CO2-Bepreisung abzuschaffen? Das zeigt, dass bei Ihnen der Klimaschutz komplett abgesagt ist, und zwar quer durch alle drei Lager, die sich sonst überall streiten. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Ruf bei der SPÖ: ... Klimaschutzpaket!)

Verantwortungslos ist das! Spannenderweise könnte man sich natürlich fragen: Was ist denn das für eine Strategie? Ich meine, viel Strategie erwarte ich mir ja sowieso nicht bei euch, aber dann kommt ihr wieder und sagt: Liebe ÖVP, wenn ihr jetzt nicht die Mietpreisbremse beschließt, dann schießen wir den Grünen in den Fuß! (Heiterkeit des Abg. Koza.) Wie soll das funktionieren? Das löst ja maximal Erheiterung dort drüben aus. Also ich glaube nicht, dass man so irgend­etwas erreichen kann. (Zwischenruf des Abg. Matznetter.) Das ist zwar eine Weiterentwicklung von Hergovichs: Ich hacke mir meine eigene Hand ab!, aber sehr erfolgreich wird das auch nicht werden. (Beifall und Bravorufe bei den Grünen sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

Deshalb stellt sich schon die Frage, ob Sie nicht genau wissen, dass diese Drohung überhaupt nichts bringt, um irgendetwas im Kampf gegen die Teuerung durch­zusetzen – davon gehe ich nämlich aus –, sondern dass das ein rein parteitaktisches Kalkül ist, mit dem man jetzt sozusagen angenehm ein paar Klimaschutzgesetze auf die Seite schieben kann. Das ist das, was passiert. Und der Antrag zur CO2-Bepreisung bestätigt das ja.

Hätte meine Aussage quasi noch Beweise gebraucht: Ich glaube, da braucht man nur zu schauen, was wir in diesem Antrag beschließen wollen: Senkung der Erdgasabgabe – direkte Auswirkungen auf die Höhe der Preise –, Senkung der Elektrizitätsabgabe – direkte Auswirkung auf die Preise.


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Das sind alles Maßnahmen, die Sie eigentlich gerne hätten (Abg. Matznetter: Zulasten der Steuerzahler!), und da stimmen Sie dagegen? (Abg. Matznetter: Das ist unglaublich!)

Also ich würde sagen: Heute zustimmen, und dann bitte die Blockade bei den Klimaschutzgesetzen aufgeben und auch dort zustimmen! – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Rufe bei den Grünen: Ja!)

15.40


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt nun Abgeordneter Gabriel Obernosterer. – Bitte, Herr Abgeordneter.


15.40.30

Abgeordneter Gabriel Obernosterer (ÖVP): Herr Präsident! Herr Finanz­minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren zu Hause und hier auf der Galerie, die zuschauen! Ich darf auch eine Besucher­gruppe aus Taufkirchen an der Trattnach recht herzlich begrüßen. (Ruf bei der ÖVP: Aus Oberösterreich!) – Schön, dass ihr hier im Parlament seid! (Allgemeiner Beifall.)

Jetzt aber zum Inhaltlichen: Ich weiß nicht, die wievielte Nationalratssitzung wir schon zu diesem Thema abhalten. Es kommen immer die gleichen Argumente daher. (Abg. Matznetter: Ihr habt immer noch nichts gemacht! – Weiterer Zwischen­ruf bei der SPÖ.) Es wird rundherum alles ignoriert. Ich sage immer, wir haben ja nicht einmal mehr eine Märchenstunde seitens der Oppositionsparteien, sondern wir haben schön langsam eine Gruselstunde. Anscheinend wisst ihr wirklich nicht, wie es am Markt draußen ausschaut. Anscheinend setzt ihr euch wirklich nicht mit diesen Themen auseinander (Zwischenruf der Abg. Erasim), was diese Regierung und der Herr Finanzminister in dieser schwierigen Zeit der Teuerung machen, und zwar im internationalen Vergleich – da könnt ihr hinschauen, wo ihr wollt.


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Ihr wisst eines genau – wer sich ein bisschen mit der Materie befasst –: Wo es ein starkes Wirtschaftswachstum gibt, dort ist die Inflation größer. Wo die Kaufkraft stark ist, ist die Inflation größer. Wo das Wirtschaftswachstum im Minus liegt, eine schlechte Kaufkraft ist, dort ist sie schwächer. Wollt ihr haben, dass wir Österreicher uns mit den Spaniern vergleichen, ohne jetzt Zahlen zu nennen?

Gerade die Freiheitliche Partei: Orbán in Ungarn macht ja das alles so super! – Ich befasse mich nicht damit, was er alles macht, aber eines weiß ich: Die Lebensmittelpreise sind in Ungarn um 40 Prozent gestiegen – um 40 Prozent in Ungarn! Wisst ihr, um wie viel die Lebensmittelpreise in Deutschland gestiegen sind? – Um 23 Prozent, im Jahresvergleich; nicht wie ihr das macht, immer einen Monat rausziehen, wo etwas Schlechtes ist, sondern im Jahresvergleich. (Abg. Kassegger: Das machst genau du jetzt! Du pickst die Zahlen heraus, die passen! Nicht uns das vorwerfen!)

Wisst ihr, um wie viel die Lebensmittelpreise im letzten Jahr in Österreich gestie­gen sind? – Um 14,6 Prozent. Wenn man sich die Grafik anschaut, dann kann man sehen, wir gehören in diesem Sinne, obwohl es immer noch zu hoch ist, im EU-Vergleich zu den Besten. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenruf des Abg. Kassegger.)

Dann sagt ihr, diese Regierung macht nichts. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Was wir heute hier bei diesen drei Tagesordnungspunkten beschließen, haben meine Vorredner, Herr Kollege Schwarz und Herr Kollege Hanger, schon ausgeführt. Das ist auch wieder etwas, bei dem der Herr Finanzminister eingreift, damit die Teuerung eingebremst wird. Auf 90 Prozent haben wir die Abgabe auf Energie und auf Gas abgesenkt – das Maximalste, was man tun kann, was EU-mäßig erlaubt ist.

Die Gewinnbesteuerung von denen, die momentan wirklich zu viel Gewinn gemacht haben – das sage ich auch dazu –, wurde sogar angehoben, um die Teuerung im Grunde genommen dann auszugleichen, da oder dort.


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Wenn es heißt, die Leute können sich die Mieten nicht mehr leisten oder was die Gewinne der Energiekonzerne sind (Abg. Leichtfried: Ist euch das wurscht!), dann muss ich sagen: Fragt einmal den Kaiser, was er mit dem Geld tut, fragt einmal den Häupl, was er mit dem Geld tut! (Abg. Taschner: Ludwig!) Macht ein­mal vor der eigenen Haustür Ordnung – verstehst mich?! (Zwischenrufe bei der SPÖ) –, bevor ihr so gescheit daherredet! (Beifall bei der ÖVP.)

Bei den Mieten könnt ihr euch das auch anschauen (Abg. Leichtfried: Ich glaube, der Häupl ist in der Pension!), auch im internationalen Vergleich. Man kann nicht ein hohes Wirtschaftswachstum haben, eine hohe Lebensqualität haben (Ruf bei der SPÖ: Was ist mit den Pensionisten?), ein hohes Einkommen haben und Mieten wie, von mir aus, irgendwo in einem Dritte-Welt-Land – Leute, das funktioniert nicht! Bitte akzeptiert einmal, dass wir mit beiden Füßen irgendwo am Boden stehen, und bringt nicht immer solche Träumereien daher! (Beifall bei der ÖVP.)

Die Mieten in Österreich – im internationalen Vergleich – sind unter dem EU-Schnitt, aber im positiven Sinne; und das sind keine Zahlen von mir, das sind keine Zahlen von der Regierung, sondern das sind Zahlen von unabhängigen Instituten.

Jetzt gebe ich euch noch ein paar Kommentare dazu, weil man da ja bald etwas erzählen kann – wir wissen eh, dass wir uns gegenseitig nicht mehr alles glauben:

Wisst ihr, was der Wifo-Chef, Direktor Felbermayr, am 10. Mai, also aktuell, gesagt hat (Ruf bei der SPÖ: Mietpreisbremse!)? – „Die Regierung ist nun schnell zu einer Einigung gekommen. Das ist positiv. Die Richtung passt; alle Maßnahme sind für sich genommen jeweils richtig.“ (Zwischenruf des Abg. Leichtfried.)

Wisst ihr, was der IHS-Chef, ebenfalls am 10. Mai, sagt (Ruf bei der SPÖ: Sinnlos! Sinnlos!)? – „Mit der höheren Abschöpfung von Gewinnen bei Energieunter-


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nehmen werde jedenfalls Druck auf die Branche erzeugt, die sinkenden Groß­handelspreise rasch an die [...] Kunden weiterzugeben“, das ist die richtige Richtung.

Fiskalratschef Badelt sagt: „All diese Vorschläge sind vernünftig“.

Das sind die Experten, und von euch, den Oppositionsparteien, geht irgendeiner hier heraus und glaubt, nur weil er im Nationalrat ist, hier herinnen sitzt, ist er zehnmal gescheiter als ein Experte. Haltet euch an die Experten und nicht an die eigene Befindlichkeit! – Danke schön. (Beifall und Bravorufe bei der ÖVP sowie Beifall bei Abgeordneten der Grünen. – Abg. Kollross: Was hat da eigentlich der Felbermayr gesagt?)

15.45


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt nun Abgeordneter Lukas Hammer. – Bitte, Herr Abgeordneter. (Abg. Kollross: Was hat da eigentlich der Felbermayr gesagt? Den hast du vergessen zu erwähnen! – Ruf bei den Grünen: Dass das Paket gegen Armut wirklich gut ist!)


15.45.53

Abgeordneter Lukas Hammer (Grüne): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte mich jetzt nur noch einmal zu Wort melden, weil wir heute wieder einmal ein Schauspiel erleben. Vor allem die SPÖ erwartet von uns – versucht sogar, uns zu erpressen –, sagt uns ständig, wir müssen (Abg. Kollross: Parlamentarismus nennt man das, Herr Kollege!) Antiteuerungsmaßnahmen beschließen (Ruf bei der SPÖ: Demokratie!), um den Menschen zu helfen. – Gut.

Heute beschließen wir die Senkung von Energieabgaben. Kollege Kassegger von der FPÖ sagt: „Kleinigkeit“. – 400 Millionen Euro Entlastung für die Bevölkerung: Das ist keine Kleinigkeit. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Zwischenruf des Abg. Hörl. – Abg. Kassegger: Ihr nehmt uns den ... nicht weg! Das ist keine Entlastung!)


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Wie ihr den Leuten erklären wollt, dass ihr dagegenstimmt, dass sie um 400 Millionen Euro entlastet werden, verstehe ich nicht mehr – 400 Millionen Euro Entlastung! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Ganz ehrlich: Mittlerweile ist es schon so, dass die SPÖ mit ihrer Anti­klimaschutzpolitik einfach vollkommen die Hüllen fallen lässt. (Widerspruch bei der SPÖ.) Das muss man schon einmal sagen. Ihr stellt euch da raus und macht wieder einmal einen Antrag gegen die CO2-Abgabe.

Ich sage euch eines: Der Budgetdienst des österreichischen Parlaments, dem ihr ja auch vertraut und der sehr, sehr gute Arbeit leistet (Beifall der Abg. Voglauer), hat sich den Klimabonus und die CO2-Abgabe im Rahmen der ökosozialen Steuerreform genau angeschaut. Wir haben, wie Sie wissen, einen ansteigenden CO2-Preis mit einer Rückverteilung mit Klimabonus beschlossen. Das steigt, und 2025 werden das 55 Euro sein. Wissen Sie, wer belastet wird und wer entlastet wird? – Einzig und allein die obersten 10 Prozent der Einkom­men werden mehr CO2-Preis zahlen, als sie Klimabonus bekommen. (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Obernosterer.) Die restlichen Einkommensschichten bekommen mehr Klimabonus, als sie CO2-Preis zahlen. Das ist eine Umvertei­lung von oben nach unten! (Beifall bei den Grünen. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Wie eine sozialdemokratische Partei im Jahr 2023 gegen Umverteilungsmaß­nahmen und gegen Klimaschutz sein kann, versteht niemand mehr. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

15.48


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu einer Stellungnahme zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister Dr. Magnus Brunner. – Bitte, Herr Bundesminister.


15.48.14

Bundesminister für Finanzen Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Teuerung ist ein Thema, das uns natürlich nicht nur in


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Österreich, sondern in ganz Europa, auf der ganzen Welt intensiv beschäftigt. Ich war deswegen gerade bei der Europäischen Zentralbank. Wer hat am Anfang kritisiert, dass ich nicht da war? Ich glaube, Kollege Matznetter. Das war der Grund – weil wir gestern in Frankfurt auch mit der EZB darüber diskutiert haben.

Kollege Kassegger, du hast natürlich recht, die EZB hat sicher nicht alles richtig gemacht. (Abg. Kassegger: Hat alles falsch gemacht!) Die Geldschwemme war auch zu einem großen Teil dafür verantwortlich. Der Kampf gegen die Teuerung und gegen die Inflation ist natürlich prinzipiell Aufgabe der EZB.

Dann komme ich zum zweiten Teil deines ersten Teiles – beim ersten Teil warst du ja relativ sachlich, beim zweiten dann weniger. Was kann man im Kampf gegen die Inflation tun? Was kann die EZB tun? – Das ist unter anderem, auch an der Zinsschraube zu drehen, du hast es erwähnt. Das geht nach oben. Ja, das belastet unsere Budgets ganz massiv.

Auf der anderen Seite kann man sich natürlich die Frage stellen: Hat sie schnell genug gehandelt? Hat sie intensiv genug gehandelt? (Abg. Kassegger: Nein, hast sie nicht!) – Hat sie eher nicht. (Abg. Kassegger: Hat sie nicht!) Aber was ist natürlich auch der Grund? – Da hast du auch recht: weil die Bud­gets nicht in Ordnung sind. Viele Mitgliedstaaten, insbesondere unsere südlichen Nachbarstaaten, haben Schuldenquoten von 140, 150 Prozent. Bei uns geht es Gott sei Dank bis 2026 in Richtung 72,5 Prozent hinunter. (Abg. Kassegger: Ja, aber ist das unser Thema? Und warum ist das unser Thema, weil der Euro ...!)

Die Inflation ist also, ja, zu hoch. Sie ist seit dem Winter bis in den März hinein Gott sei Dank nach unten gegangen, jetzt im April wieder leicht nach oben – wie überall, in ganz Europa, in allen Ländern der Eurogruppe, in der ganzen Euro­zone, auch in jenen Ländern, die manche vielleicht gerne als Vorzeigeländer im Kampf gegen die hohe Inflation sehen.


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Vielleicht auch noch ein Wort zur Klarstellung und zur Sachlichkeit: Wir waren 2022 bei der Inflation leicht unter dem europäischen Schnitt, jetzt sind wir leicht über dem europäischen Schnitt, aber noch lange nicht ganz oben. Ungarn hat 25 Prozent, die baltischen Staaten sind weit darüber. Also da auch etwas die Relationen aufzuzeigen ist, glaube ich, sinnvoll.

Damit komme ich zur zweiten Frage: Wer kann etwas dagegen tun – das ist die EZB –, und vor allem, woher kommt die Inflation? – Die hohe Inflation kommt ursprünglich aus der Lieferkettenproblematik, die du (in Richtung Abg. Kassegger) angesprochen hast, kommt aus dem starken Wachstum nach der Corona­pan­demie, der Überhitzung der Wirtschaft, die wir erlebt haben, und fußt natürlich auch auf den hohen Energiepreisen, weil Putin die Energie auch entsprechend als Waffe (Abg. Kassegger: Wo?) gegen Europa, gegen die ganze Welt und dadurch auch gegen Österreich verwendet. (Abg. Kassegger: ... nicht wahr! Wo als Waffe?)

Warum sind wir jetzt knapp über dem europäischen Schnitt? – Das ist, glaube ich, auch eine Analyse wert. Das hat im Wesentlichen – es gibt natürlich auch andere, aber im Wesentlichen sind es diese – drei Gründe.

Zum einen liegt es an der Zusammensetzung unseres Warenkorbes. Dieser ist sehr stark tourismusgetrieben, das heizt die Inflation noch weiter an, das ist selbstverständlich. Wir haben uns die Mühe gemacht, uns mit Deutschland zu vergleichen. Wenn wir den gleichen Warenkorb wie Deutschland hätten – das ist natürlich eine theoretische Diskussion –, dann wären wir um 1 Prozent niedriger, das ist auch interessant.

Der zweite Punkt sind die hohen Lohnabschlüsse. Wir haben – übrigens mit Belgien – die höchsten Lohnabschlüsse in Europa, und natürlich treiben die hohen Lohnabschlüsse auch die Inflation noch weiter nach oben. Auch da gibt es Berechnungen – übrigens von der Nationalbank, das ist auch interessant (Abg. Kassegger: Das sind vor allem die Automatismen, die ihr ...!) –: Jeder Prozentpunkt an höheren Lohnabschlüssen bedeutet eine um 0,3 Prozent höhere Inflation.


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Auch da wieder der Vergleich mit Deutschland: Bei den Metallern in Deutsch­land gab es 5 Prozent Erhöhung, 7 Prozent bei uns – 2 Prozent Unterschied, das macht eine um 0,6 Prozent höhere Inflation aus. Auch das ist in der Relation, glaube ich, klarzustellen.

Dritter Punkt – und das ist auch nicht uninteressant –: Wir in Österreich sind eines der wenigen Länder in Europa, die langfristige Energielieferverträge haben. Das ist ein Vorteil in „Friedenszeiten“ – unter Anführungszeichen –, weil man dann auch eine gewisse Sicherheit betreffend die Preisentwicklung hat; in Zeiten wie jetzt, in denen die Energiepreise volatiler sind, ist das natürlich ein Nachteil, weil die Preise dann erst später weitergegeben werden können.

Es gibt also kein Land, das die perfekte Lösung gegen die Teuerung hat; unsere Strategie war immer – das wurde vorhin schon erwähnt –, die Kaufkraft hochzuhalten, auch die realen Haushaltseinkommen hochzuhalten. Kollege Obernosterer hat es vorhin angemerkt: Es gibt kein Land auf der Welt, das eine niedrige Inflation, ein hohes reales Haushaltseinkommen, ein hohes Wachstum, eine hohe Kaufkraft (Abg. Kassegger: Schweiz! Die haben keine ...! Schweiz! Aber mit denen wollen wir uns nicht vergleichen!), hohe Lohnabschlüsse und vielleicht auch noch ein ausgeglichenes Budget hat. Das gibt es auf der ganzen Welt nicht. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Natürlich kann man vieles besser machen, das ist überhaupt keine Frage. Ich nehme jetzt nicht in Anspruch, dass wir alles zu 1 000 Prozent richtig machen – überhaupt nicht! Wir verlassen uns da selbstverständlich sehr stark auf die Empfehlungen der Expertinnen und Experten, nehmen diese Empfehlungen und die zum Teil berechtigte Kritik natürlich auch sehr ernst und versuchen da auch immer, besser zu werden, um Maßnahmen zu setzen, die natürlich insbesondere auch den sozial Schwachen zugutekommen. Das machen wir ganz intensiv.

Wir haben gerade letzte Woche auch wieder ein Paket auf den Weg gebracht, mit dem wir insbesondere Kinder, Alleinerziehende mit Kindern ganz massiv unterstützen, weil klar ist, dass wir zusätzlich zu den Unterstützungsmaßnahmen


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der Vergangenheit, als wir die Familienbeihilfe – die Sonderfamilienbeihilfe –, den Familienbonus, den Kindermehrbetrag erhöht haben, eine Valorisierung der Familienleistungen umgesetzt haben – also bereits viele Dinge auf den Weg gebracht haben –, jetzt zusätzlich noch einmal ganz intensiv, konkret und treffsicher auf diejenigen zugehen müssen, die besonders von der Teuerung betroffen sind. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Der Energiebereich wurde bereits erwähnt. Wir haben die Strompreisbremse auf den Boden gebracht, wir werden die Mehrpersonenhaushalte jetzt noch zusätz­lich unterstützen. Interessant betreffend die Erdgas- und Elektrizitätsabgabe – das ist nämlich genau etwas, das natürlich inflationsdämpfend wirkt –, die wir um 90 Prozent gesenkt haben – die Zahlen wurden vorhin erwähnt, jetzt verlän­gern wir das (Abg. Kassegger: ... eh dafür, aber das ist Peanuts!) –, ist: Das ist eine klassische inflationsdämpfende Maßnahme, und da nicht mitzustimmen verstehe ich leider auch nicht – aber da wird es schon Gründe geben.

Was interessanterweise noch zusätzlich inflationsdämpfend wirkt, ist die Aussetzung der Gebührenerhöhungen. Auch da sind wir als Bund Vorreiter, und ich würde mir wirklich wünschen, dass auch Länder und Gemeinden diesen Schritt mitgehen, weil damit wieder eine inflationsdämpfende Maßnahme auf den Weg gebracht worden ist, die, wie ich glaube, auch ganz entscheidend ist. Da geht der Bund voran. Es geht um eine Ersparnis für die Bürgerinnen und Bürger von insgesamt über 40 Millionen Euro.

Zu den Zufallsgewinnen und der Besteuerung der Zufallsgewinne: Da war auch interessant, von dir, Alois, zu hören, dass du auf der einen Seite die Zufalls­gewinne abschöpfen willst und einen entsprechenden Antrag einbringst – heute aber stimmst du dagegen. Das habe ich noch nicht ganz verstanden, vielleicht kannst du mir im Anschluss erklären, wie du das gemeint hast. Vielleicht ist es ein Missverständnis, das kann natürlich auch sein.

Sehr geehrte Damen und Herren, eines zu den Maßnahmen, die zum Teil auch heute diskutiert worden sind: Nicht alles, was auf den ersten Blick populär klingt,


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ist auf den zweiten Blick auch sinnvoll, und wir sehen das ja auch, wenn wir uns mit anderen europäischen Staaten vergleichen. Es wurde vorhin erwähnt: Eine Mehrwertsteuersenkung, ein Preisdeckel auf eh fast alles in einer Republik hatte in vielen anderen europäischen Staaten zur Folge, dass die Preise trotzdem nach oben gegangen sind. Spanien hat die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel gesenkt, die Lebensmittelpreise sind nach oben gegangen. Deutschland hatte in der Zwischenzeit einmal im Energiebereich auf Benzin und Diesel einen Deckel – 350 Millionen Euro Kosten. Kollege Lindner hat mir gerade gestern erzählt: Wenn er das rückgängig machen könnte, würde er es sofort machen. – Es war also ein Fehler, das muss man auch eingestehen. Es bringt einfach nichts, wenn es auf den ersten Blick vielleicht populär klingt, aber auf den zweiten Blick nicht wirklich gut ist. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Jetzt geht es darum, dass wir natürlich alle weiteren Entwicklungen beobachten müssen – selbstverständlich! Wir sind in einer schwierigen Situation, die Inflation muss nach unten gehen. Nun glaube ich auch nicht ganz das, was die EZB in ihrer Prognose so sagt, nämlich dass wir nächstes oder übernächstes Jahr wieder auf 2 Prozent unten sein werden – das kann ich mir ganz ehrlich gesagt nicht wirklich vorstellen –, aber es wird auf jeden Fall im kommenden Jahr nach unten gehen, zumindest bestätigen uns das alle Expertinnen und Experten – beginnend am Ende dieses Jahres, dann im kommenden Jahr noch mehr.

Wichtig ist, dass wir heute in einem großen Umfang Maßnahmen zur Entlastung der Menschen auf den Weg bringen – heute wieder und auch wieder in der nächsten Parlamentssitzung –, und ich hoffe, dass es in diesem Kampf gegen die Teuerung wirklich eine breite Zustimmung gibt, denn ansonsten würden das die Menschen in Österreich, glaube ich, auch nicht verstehen. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

15.57 15.57.42


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort ist dazu nun niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.


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Wünscht der Herr Berichterstatter ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Wir gelangen zur Abstimmung über den im Antrag 3373/A enthaltenen Gesetzentwurf samt Titel und Eingang.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die für diesen Gesetzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist mehrheitlich angenommen.

Wir kommen zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Gesetzentwurf auch in dritter Lesung ihre Zustimmung erteilen, um ein diesbezüglichen Zeichen. – Das ist die Mehrheit. Der Gesetzentwurf ist somit auch in dritter Lesung ange­nom­men.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Jörg Leichtfried, Kolleginnen und Kollegen betreffend „keine Vervier­fachung der CO2-Steuer bis 2030“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit, der Antrag ist abgelehnt.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeord­neten Alois Schroll, Kolleginnen und Kollegen betreffend „echte Übergewinn­steuer statt permanenter Regierungspfusch“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit, der Antrag ist abgelehnt.

15.58.549. Punkt

Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Dr. Susanne Fürst, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz zur Stärkung des Interpellationsrechts, mit dem das Bundesgesetz vom 4. Juli 1975 über die Geschäftsordnung des


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Nationalrates (Geschäftsordnungsgesetz 1975), BGBl. Nr. 410/1975, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 141/2022, geändert wird (3360/A)


Präsident Ing. Norbert Hofer: Wir gelangen nun zum 9. Punkt der Tagesordnung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gelangt Frau Dr. Susanne Fürst. – Bitte, Frau Abgeordnete.


15.59.16

Abgeordnete Dr. Susanne Fürst (FPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren hier einen Antrag der Freiheitlichen Partei zur Stärkung des Interpellationsrechts, also des Frage­rechts der Nationalratsabgeordneten an die Regierungsmitglieder, aber auch an den Präsidenten des Nationalrates und den Rechnungshofpräsidenten.

Es gibt ja immer wieder zu Recht Beschwerden über die Qualität von Anfrage­beantwortungen der Ministerien, weil Fragen häufig nur sehr oberflächlich, ausweichend oder mit fadenscheinigen Begründungen eigentlich gar nicht beantwortet werden. Darüber gibt es dann auch Diskussionen in der Präsidiale. (Präsident Sobotka übernimmt den Vorsitz.) Auch der Nationalratspräsident sagt zu, die Mitglieder der Bundesregierung dazu anzuhalten, bei diesen auch darauf zu drängen, auf eine bessere Qualität in den Anfragebeantwortungen zu achten.

Man muss sich aber auch einmal die parlamentarischen Anfragebeantwortungen durch den Nationalratspräsidenten und auch durch die Präsidentin des Rech­nungshofes ansehen. Das rückt ein bisschen in den Hintergrund, aber auch da gibt es Verbesserungspotenzial.

Anders als bei den Regierungsmitglieder hat der Präsident beispielsweise für die Beantwortung keine Zweimonatsvorgabe, das wird dann auch ausgiebig ausgenützt: Gerade bei den letzten Anfragen hat es bis zu vier Monate gedauert.


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Die Beantwortungen waren auch nicht sehr ausgiebig, daher thematisieren wir das heute auch. Zum Beispiel hat es betreffend die Anfragen an den aktuellen Nationalratspräsidenten zu seinem Medienimperium im Parlament oder zur Freunderlwirtschaft oder auch zu seinen Social-Media-Aktivitäten doch erheb­liche Zeit gedauert, bis Antworten gekommen ist; sie waren auch nicht so aufschlussreich, sodass wir der Meinung sind, dass man auch hier eine Debatte im Nationalrat darüber führen soll.

Das zweite Thema sind die Anfragebeantwortungen durch die Rechnungshof­präsidentin. Der Rechnungshof erhielt ja jetzt auch neue Kontrollrechte betreffend die Parteien durch die Novelle des Parteiengesetzes, auch zu Anfragen hinsichtlich illegaler Parteispenden. Da sollte doch auch der Rechnungshof in Anfragebeantwortungen entsprechend Auskunft geben, denn der Rechnungshof steht für Kontrolle selbst, für Transparenz selbst. Aber auch eine gewisse Kontrolle durch den Nationalrat ist ja auch dahin gehend berechtigt, dass der Rechnungshof in seinen Anfragebeantwortungen auch Aufschluss darüber gibt, wo er tätig wird und wo nicht. Wie geht er mit Vorwürfen hinsichtlich illegaler Parteispenden um? Manchmal wird da doch sehr proaktiv kommuniziert, auch seitens der Präsidentin des Rechnungshofes, manchmal wird sich verschwiegen, und das Interpellationsrecht wird sozusagen sehr, sehr eng interpretiert.

Zur Stärkung dieses Interpellationsrechts regen wir daher an, dass es hinkünftig möglich ist, im Nationalrat Debatten über Anfragebeantwortungen durch Nationalratspräsident und Rechnungshofpräsident zu führen, genauso wie es bei Regierungsmitgliedern der Fall ist, denn dadurch gelangt auch an die Öffent­lichkeit, wird thematisiert, warum da keine ausgiebigen Beantwortungen gekommen sind. Es kann zu einem Antrag auf Kenntnisnahme oder Nichtkennt­nis­nahme kommen und quasi einer Kontrolle durch die Öffentlichkeit. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

16.02



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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Hanger. – Bitte sehr, Herr Abgeordneter. Bei Ihnen steht das Wort.


16.02.49

Abgeordneter Mag. Andreas Hanger (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen, vor allem aber liebe Besucherinnen und Besucher im österreichischen Parlament! Ich darf im Auftrag meiner Kolleg:innen ganz besonders herzlich den Seniorenbund Burgschleinitz aus dem Bezirk Horn begrüßen. (Beifall bei ÖVP, FPÖ und Grünen.)

Ich darf auch sehr herzlich eine Abordnung der Straßenmeisterei Ostermiething aus Oberösterreich begrüßen. – Herzlich willkommen im österreichischen Parlament! (Beifall bei ÖVP, SPÖ, FPÖ und Grünen.)

Das österreichische Parlament ist das Haus aller Österreicherinnen und Österreicher. Das österreichische Parlament ist das Herz der Demokratie, und wir freuen uns, glaube ich, alle gemeinsam unglaublich über so viel Besuch. Ich glaube, wir können wirklich alle gemeinsam stolz darauf sein, dass wir so ein wunderbares, wunderschönes Haus haben. Es ist wie gesagt immer sehr schön, viele Besucherinnen und Besucher zu treffen.

Das passt auch ganz gut zu diesem Antrag. Vielleicht darf ich auch ganz kurz für die Besucherinnen und Besucher erklären, was hier jetzt passiert. Wir behandeln einen Antrag der Frau Kollegin Fürst, in dem es um die Stärkung des Interpel­lationsrechts geht – das Interpellationsrecht ist das Anfragerecht der Abgeord­neten an die Regierung. Wir haben aber hier jetzt eine erste Lesung, das heißt, es wird danach keine Abstimmung stattfinden, sondern der Antrag wird dem zuständigen Ausschuss zugewiesen, wird in diesem Ausschuss behandelt, wird wieder ans Plenum rücküberwiesen und kommt dann zur Abstimmung. Vor­ausgesetzt, es gibt dann die entsprechenden Mehrheiten, werden auch Beschluss­fassungen herbeigeführt.


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Das gibt mir auch die Gelegenheit, über das ganz wesentliche Verständnis des österreichischen Parlaments zu sprechen, nämlich die Grundlage in unserer Gewaltenteilung. Ein ganz wesentliches Element unserer Verfassung ist die Gewaltenteilung. Die Idee dahinter ist, dass man die Staatsmacht auf mehrere unterschiedliche Institutionen aufteilt. Da haben wir auf der einen Seite natürlich die Regierung, die aufgrund von Wahlergebnissen legitimiert ist, die die Exekutive bildet, gemeinsam mit der Verwaltung, die für das Staatshandeln an und für sich verantwortlich ist.

Wir hier im österreichischen Parlament haben im Wesentlichen zwei große Aufgaben. Das eine ist die Legislative, die Gesetze beschließt. Ich sage immer wieder: Als Parlamentarier ist es gut, wenn sich die Regierung auf ein Vorhaben einigt, keine Frage, aber die notwendigen Beschlussfassungen können nur hier bei uns im österreichischen Parlament passieren. Der zweite wesentliche Grundstein der Gewaltenteilung zwischen Parlament und Exekutive ist das Kontrollrecht. Da hat das Parlament – und das sind auch zum Teil sehr starke Minderheitsrechte – umfassende Kontrollrechte. Das ist natürlich – heute angesprochen – die Interpellation; jeder Abgeordnete kann zu jeder Zeit ein Regierungsmitglied mit einer Anfrage konfrontieren.

Wir haben aber auch noch schärfere Instrumente, wie zum Beispiel das Ver­lan­gen auf Durchführung einer kurzen Debatte. Wir haben die Möglichkeit – auch als Minderheitsrecht –, Dringliche Anfragen einzubringen. Das wird am Tag einer Parlamentssitzung entschieden. Ein Regierungsmitglied kann jederzeit ins Parla­ment zitiert werden, um die Dringliche Anfrage zu beantworten.

Das schärfste parlamentarische Kontrollinstrument ist der parlamentarische Untersuchungsausschuss. Da komme ich auch schon konkret zu Ihrem Antrag, Frau Kollegin Fürst: Wir sind sehr dafür, permanent über die Gewaltenteilung zu diskutieren, permanent natürlich auch über das Verhältnis zwischen Regierung auf der einen Seite und Parlament auf der anderen Seite zu diskutieren, aber wir müssen auch über eine qualitätsvolle Zusammenarbeit diskutieren. Ich sage auch ganz offen: In der Vergangenheit, wenn ich mir zum Beispiel die gestrige kurze


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Debatte anschaue, die von der SPÖ verlangt worden ist, wobei dann überhaupt keine fachliche, sachliche Substanz mehr für diese kurze Debatte da war, weil tatsächlich schon in der parlamentarischen Anfragebeantwortung alle Fragen präzise beantwortet wurden, dann müssen wir vielleicht auch über Qualitäts­siche­rung reden, wie wir mit diesem parlamentarischen Kontrollinstrument umgehen. (Zwischenruf der Abg. Greiner.)

Oder schauen wir uns zum Beispiel den letzten parlamentarischen Untersuchungs­ausschuss an, bei dem ein Kraut-und-Rüben-Untersuchungsgegenstand definiert wurde, wodurch eine aktenliefernde Stelle ja gar nicht mehr wusste, welche Akten und Unterlagen zu liefern sind! Wir müssen also auch darüber reden, wie wir das in der Geschäftsordnung definieren können, damit auch dieses parlamentarische Kotrollrecht sinnvoll, seriös, wichtig und auch gut ausgeübt wird.

Wir müssen auch bei der parlamentarischen Anfrage, glaube ich, manche Dinge diskutieren. Es gibt mittlerweile eine unglaubliche Fülle an parlamentarischen Anfragen. Ja, es ist unser Recht als Parlamentarier, aber wenn alleine an das Innenministerium in der Amtszeit zum Beispiel von Herrn Innenminister Karner beinahe 1 000 parlamentarische Anfragen gestellt werden, dann müssen wir schon auch sehen, dass diese Anfragen einen unglaublich hohen Aufwand im Ministerium verursachen, und dann müssen wir irgendwann auch über den Aufwand, Ressourceneinsatz im Verhältnis zum Ergebnis reden.

Die Qualität einer parlamentarischen Anfrage definiert sich natürlich auch über den Inhalt der parlamentarischen Anfrage und nicht nur über das, was dann quasi als Inhalt aus den Ministerien kommt. Ich bin aber sehr dafür, auch da quasi einen Rahmen zu diskutieren, welchen Inhalt parlamentarische Anfragen haben können, denn der zuständige Minister muss ja auch fachlich, inhaltlich zuständig sein, nur dann kann er diese parlamentarische Anfrage auch richtig und umfänglich beantworten.


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Ich habe das auch selber erlebt, wenn ich parlamentarische Anfragen sehr prä­zise, sehr klar stelle – und ich bekomme dann Antworten, die nur sehr im Überblick mit ganz wenig inhaltlicher Substanz ausgefüllt sind. Ich habe dann als Abgeordneter ganz wenige Möglichkeiten, mit dieser parlamentarischen Anfragebeantwortung etwas anzufangen, einen nächsten Schritt zu setzen, weil ich mit der Beantwortung dieser parlamentarischen Anfrage nicht zufrieden bin. Auch über dieses Thema müssten wir reden.

Konkret zu Ihrem Antrag: Ich glaube, der Rechnungshof und auch der adressierte Präsident des Nationalrates sind einmal ganz grundsätzlich extrem unverdächtig dahin gehend, dass man da etwas verzögern wollte. Es ist schon auch eine Ressourcenfrage, die dahintersteht. Ich darf schon noch einmal darauf hinwei­sen, dass die Zahl der parlamentarischen Anfragen auch in Richtung des Präsi­denten in den letzten Monaten und Jahren ganz stark gestiegen ist.

Ich möchte abschließend noch einmal wirklich auch unsere Gesprächsbereit­schaft zu diesem wichtigen Thema in der Gewaltenteilung bekunden. Ich möchte noch einmal betonen, dass das für uns ein Aspekt ist, der in der parlamenta­ri­schen Arbeit neben der Legislative enorm wichtig ist. Ich freue mich schon auf die interessanten Debatten in den zuständigen Ausschüssen. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

16.09


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Kuntzl. – Bei Ihnen steht das Wort. Bitte sehr, Frau Abgeordnete.


16.09.37

Abgeordnete Mag. Andrea Kuntzl (SPÖ): Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Besucher und Besucherinnen! Nach diesem Vernebelungsredebeitrag des Kollegen Hammer - - (Abg. Michael Hammer: Hanger! – Weitere Rufe bei der ÖVP: Hanger!) – Hanger. Entschuldigung, es war keine Absicht. (Heiterkeit der Rednerin.) Keine Absicht, Entschuldigung.


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Nach diesem Vernebelungsredebeitrag möchte ich darauf kommen, worum es in diesem Antrag wirklich geht, was die Intention dieses Antrages wirklich ist. Jawohl, es geht um das Kontrollrecht des Parlaments, es geht um das Interpella­tionsrecht des Parlaments (Abg. Hanger: Sie haben aber nicht aufgepasst, was ich gesagt habe!), das ein wesentliches Instrument zur Kontrolle durch das Parla­ment, die Abgeordneten ist, und es geht darum, dieses zu verbessern.

Warum ist das notwendig? – Es ist deshalb notwendig, weil wir zwar an den Präsidenten auch Anfragen stellen können, aber auf die Beantwortung dieser Anfragen müssen wir oft sehr, sehr, sehr lange warten, und wenn sie dann da sind, sind sie höchst unzureichend. Dieser Antrag beschäftigt sich damit, wie man da Hebel ansetzen kann, um das zu verbessern.

Es ist also so: Wenn wir an Minister, an Ministerinnen Anfragen stellen, gibt es eine Frist von zwei Monaten, dann muss die Anfrage beantwortet werden. Wenn sie als unzureichend empfunden wird, dann kann sie hier in einer kurzen Debatte mündlich diskutiert werden und der Minister, die Ministerin zur Rede gestellt werden.

Wir wollen also gleiches Recht für alle. Wir unterstützen Ihr Grundanliegen; der Antrag der Freiheitlichen möchte das: gleiches Recht für alle. Was für die Minister und Ministerinnen gelten soll, soll auch für den Präsidenten des Natio­nalrates gelten. Es soll eine Frist geben, innerhalb derer die Anfrage beant­wortet werden muss. Falls die Beantwortung als unzureichend eingeschätzt wird, dann soll sie hier im Plenum des Nationalrates auch entsprechend disku­tiert werden. Ähnliches soll für die Rechnungshofpräsidentin vorgesehen werden.

Wie gesagt, wir unterstützen diesen Antrag im Grundsatz. Was wir im Ausschuss diskutieren müssen, ist, ob Sie zum Beispiel dort, wo es um die Verbesserung des Interpellationsrechts gegenüber der Rechnungshofpräsidentin geht, den Hebel wirklich am richtigen Punkt ansetzen und ob wir nicht zur Verbesserung unseres Interpellationsrechts noch weitere Hebel brauchen, denn es ist ja auch so, dass


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die Anfragebeantwortungen von Ministern und Ministerinnen oft höchst unzureichend sind.

Wir haben das erst gestern in einer Anfragebesprechung durch den Finanz­minister gesehen, bei der es wieder einmal um das leidige Thema von Umfragen des Finanzministeriums gegangen ist. Wir hätten den Vorschlag eingebracht, dass man da den Verfassungsgerichtshof einschalten können soll, also einen zusätzlichen Hebel vorsehen soll.

Im Grundsatz gibt es also Unterstützung; wir freuen uns auf die Diskussion im Ausschuss. (Beifall bei der SPÖ.)

16.12


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Kollegin Prammer. – Bitte.


16.13.01

Abgeordnete Mag. Agnes Sirkka Prammer (Grüne): Sehr geehrter Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Ich darf zunächst einmal eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern aus dem Stifts­gymnasium Melk ganz besonders herzlich begrüßen. – Herzlich willkommen im Parlament! (Allgemeiner Beifall.)

Ich habe gehört, ihr seid heute mit dem Fach Politische Bildung hier. Es ist ganz toll, dass ihr gerade zu dieser Debatte gekommen seid, denn es geht um etwas, das wirklich ein sehr wichtiges Instrument im Parlamentarismus ist, das den schwierigen Namen Interpellationsrecht hat.

Es ist eh schon auch einiges dazu erklärt worden. Es ist tatsächlich ein sehr, sehr wichtiges Instrument, weil es dem Parlament eine sehr gute Möglichkeit gibt, die Verwaltung im Land, das Verwaltungshandeln zu kontrollieren. Insbesondere dann, wenn wir die Regierung – das sind die Minister, die Ministerinnen, die an der Spitze der Verwaltung stehen – kontrollieren, müssen die den Parlamenta­rier:innen Rede und Antwort stehen.


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Das bedeutet, man stellt eine schriftliche Anfrage – damit befassen wir uns hier jetzt. Man formuliert eine kleine Einleitung, einen kleinen Begründungsteil und dann konkrete Fragen. Diese konkreten Fragen müssen dann vom jeweiligen Minister oder der Ministerin beantwortet werden.

Der Antrag, mit dem wir uns hier beschäftigen, möchte, dass dieses Fragerecht, das es auch an den Präsidenten des Nationalrates und auch an die Frau Präsidentin des Rechnungshofes gibt, genauso ausgestaltet wird wie dasjenige an die Minister und Ministerinnen, was grundsätzlich ein guter Zugang ist. Also der Unterschied jetzt ist, dass Minister und Ministerinnen einen Zeitraum von zwei Monaten haben, um diese Anfragen zu beantworten.

Es ist auch sinnvoll, dass es diese Frist gibt, denn man kann sich darauf einstel­len, dass man innerhalb dieser Frist dann eine Antwort bekommt. Man stellt ja die Frage nicht aus Jux und Tollerei, sondern man stellt die Frage, um einen Sachverhalt erklärt zu bekommen, der im Verwaltungshandeln angelegt ist. Das Gleiche gilt natürlich auch, wenn man die Präsidentin oder den Präsidenten des Rechnungshofes oder die Präsidentin oder den Präsidenten des Nationalrates fragt.

Das ist ein bissel ein Punkt, an dem dieser Antrag zumindest in der Begründung etwas an der Realität vorbeigeht, denn man kann natürlich nicht alles fragen, sondern muss nach dem Verwaltungshandeln fragen – und da muss man beim Rechnungshof vielleicht ein bisschen ausholen. Der Rechnungshof ist ein Organ des Parlaments. Das heißt, das Parlament hat den Rechnungshof, um Hilfe­stellung bei der Finanzkontrolle, bei der Kontrolle über die Finanzgebarung in diesem Land zu haben. Das bedeutet, alles, was mit unserem Geld, mit Staats­geld, mit Steuergeld passiert, unterliegt der Kontrolle des Rechnungshofes. Das heißt, alles, was von der Regierung in der Verwaltung gemacht wird, alles, was Unternehmen machen, die dem Staat gehören, all das wird vom Rechnungshof geprüft. (Beifall und Bravoruf bei den Grünen.)


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Der Rechnungshof prüft, ob diese Mittel so verwendet werden, dass das den Grundsätzen der Sparsamkeit und der Zweckmäßigkeit entspricht. Das bedeutet: Weil es Geld ist, das uns allen gehört, muss es auch so eingesetzt werden, dass wir alle möglichst viel davon haben. Deshalb unterliegt dieses Finanzhandeln, dieses Geldausgeben der Kontrolle des Rechnungshofes.

Der Rechnungshof erstattet darüber Bericht und sucht sich unterschiedliche Themenbereiche aus, die geprüft werden. Der Rechnungshof macht vorher einmal einen Bericht, den Vorhabensbericht, stellt zusammen, was er so vorhat. (Abg. Stöger: Uhrzeit!) Am Ende des Jahres macht der Rechnungshof einen Tätigkeitsbericht und berichtet dem Parlament, was alles geprüft wurde, wo die Schwerpunkte gesetzt wurden und warum gerade welche Themenbereiche geprüft wurden. (Abg. Stöger: Zur Sache!)

Zwischendurch gibt es auch einen Ausschuss in diesem Parlament, den Rechnungs­hofausschuss, in dem Berichte des Rechnungshofes, die dem Parlament vor­gelegt werden, diskutiert werden. Das sind Prüfberichte, in denen drinsteht, was sie sich genau angeschaut haben, dann wird ein bisschen erklärt, warum sie sich das angeschaut haben, und dann wird erzählt, wo genau die Schwerpunkte sind, und auch, was gefunden wurde: Gibt es irgendwelche Missstände? Wurde irgendwo das Geld nicht fachgerecht eingesetzt? Ist irgendwo die Kontrolle nicht in Ordnung? Gibt es irgendwo zu wenige Überprüfungen? – All das stellt der Rechnungshof fest und gibt dann sogenannte Empfehlungen ab.

Diese Empfehlungen kommen dann in diesen Bericht, der dann dem Parlament vorgelegt wird. Dort gibt es einen Rechnungshofausschuss, in dem das dann inhaltlich diskutiert wird, dazu wird die Präsidentin des Rechnungshofes eingeladen. Sie erklärt dann gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbei­tern, die an dieser Prüfung beteiligt waren, was genau bei der Prüfung herausgekommen ist, was sie sich genau angeschaut haben, und steht dort für Nachfragen der Abgeordneten zur Verfügung.


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Da komme ich jetzt zu diesem Antrag betreffend das Interpellationsrecht an die Rechnungshofpräsidentin, denn genau da liegt die Verwechslung in diesem Antrag. Grundsätzlich ist die Rechnungshofpräsidentin für die inhaltliche Kon­trolle genau dieser Institution – nämlich dem gesamten Nationalrat – verant­wort­lich. Sie berichtet im Ausschuss, der Bericht kommt dann hier ins Plenum und wird hier debattiert. Das ist die inhaltliche Kontrolle. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

Diese inhaltliche Kontrolle monieren Sie, und deshalb geht dieser Antrag grund­sätzlich am Inhalt oder am Zweck vorbei. Grundsätzlich ist das Inter­pella­tions­recht aber sehr wichtig. Ich freue mich darauf, wenn wir es im Ausschuss dann ausführlich diskutieren können und hoffentlich zu einer guten gemein­samen Lösung kommen. – Danke sehr. (Beifall bei den Grünen.)

16.19


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bevor ich dem letzten Redner das Wort erteile, darf ich die Pensionisten der Voestalpine recht herzlich grüßen. Abgeordneter Keck hat mich darum ersucht. Wir sehen Sie nicht genau, weil es so spiegelt, vielleicht zeigen Sie sich. – Wir freuen uns, dass Sie da sind. (Allgemeiner Beifall.)

Nun gelangt Abgeordneter Margreiter zu Wort. – Bitte sehr, Herr Abgeordneter.


16.20.13

Abgeordneter Dr. Johannes Margreiter (NEOS): Wir haben jetzt schon sehr viel Staatsbürgerschaftsunterricht erhalten. Ich kann mir also weitere Ausführungen zum Thema selbst ersparen und möchte den Punkt daher von ein bisschen woanders anfliegen.

Diese Instrumente der Anfrage an den Herrn Präsidenten oder an die Präsidentin des Rechnungshofes kennen wir alle ja schon länger. Jetzt gibt es eine Geset­zesinitiative, auch diese Instrumente gleich zu regeln wie die Anfragen an Regierungsmitglieder. Wenn so eine Initiative aufkommt, muss man sich doch


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immer fragen: Was ist der Hintergrund? Warum ist das jetzt so? Diese Frage führt mich dazu, dass wir in diesem Haus viel zu oft aus dem Auge verlieren, wofür wir eigentlich gewählt sind, wofür wir ein Mandat haben.

Es geht darum, dass das große Ganze, das Allgemeinwohl zu fördern ist. Wenn jetzt Anfragebeantwortungen verschleppt werden, wenn Anfragebeantwor­tun­gen schlampig oder teilweise überhaupt nicht sinnvoll beantwortet werden, so unterläuft das genau den Sinn und den Auftrag, den wir als gewählte Mandatare und den natürlich auch die Exekutivorgane haben, nämlich im Sinne des Allgemeinwohls zu arbeiten und nicht im Sinne einzelner Parteien dieses Hauses.

Die Parteien sind wichtig, aber die Arbeit, die wir hier leisten und die die Regierungsmitglieder leisten, muss immer unter dem großen Gesichtspunkt stehen, das Gemeinwohl zu fördern – und zwar von allen Menschen.

Ich möchte folgenden Vergleich ziehen: Ich bin beruflich als Anwalt tätig, und wenn man als Anwalt tätig ist, bemüht man sich im Interesse des Mandanten, der einem das Mandat erteilt hat, möglichst effizient, möglichst erfolgreich und möglichst schnell zu arbeiten. Genau diesen Maßstab sollten wir eigentlich auch bei unserer parlamentarischen Arbeit anlegen. Der Mandant, für den wir da arbeiten, das sind Sie, das ist die Bevölkerung, das sind alle Wählerinnen und Wähler und alle Menschen, die in Österreich leben.

Genau diesen Punkt sollten wir uns genau anschauen: Warum ist es immer wie­der notwendig, uns selber noch schärfere Regeln zu geben? Warum begreifen wir aus dem Geist der Demokratie heraus nicht selber, dass wir einfach erfolgreich arbeiten müssen?

Es ist so: Wir müssen uns dieser Sache stellen, dass hier legistische Maß­nahmen notwendig sind, um die Arbeit effizienter zu gestalten. Daher werden wir dieses Ansinnen, dass die Anfragebeantwortungen schneller kommen, in den kommenden Debatten im Ausschuss natürlich sehr unterstützen. Zu überlegen ist natürlich auch eine Qualitätskontrolle in der Weise, wie es sie


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beispielsweise in Deutschland gibt, wo das Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines Organstreitverfahrens die Möglichkeit hat, völlig unzureichende Ant­worten auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Das wird allenfalls auch in Österreich zu überlegen sein. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der Grünen.)

16.23 16.23.34


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort ist dazu nun niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist damit geschlossen.

Ich darf den Antrag 3360/A dem Rechnungshofausschuss zuweisen.

16.23.4610. Punkt

Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Dr. Susanne Fürst, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz zur Stärkung des Interpellationsrechts, mit dem das Bundesgesetz vom 4. Juli 1975 über die Geschäftsordnung des Nationalrates (Geschäftsordnungsgesetz 1975), BGBl. Nr. 410/1975, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 141/2022, geändert wird (3361/A) 16.23.47


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Damit gelangen wir zum 10. Tagesordnungs­punkt.

Da dazu keine Wortmeldung vorliegt, wird die Debatte gar nicht eröffnet, und ich weise diesen Antrag 3361/A dem Geschäftsordnungsausschuss zu.

Die Tagesordnung ist erschöpft.

16.24.20Einlauf


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf bekannt geben, dass in der heutigen Sitzung die Selbständigen Anträge 3408/A(E) bis 3429/A eingebracht worden sind.


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*****

Die nächste Sitzung des Nationalrates, die geschäftsordnungsmäßige Mitteilun­gen und Zuweisungen betreffen wird, berufe ich für 16.45 Uhr ein. (Abg. Scherak: Nein, 16.25!) Das ist in etwa 20 Minuten, weil die Initiativanträge noch nicht im Intranet und im Internet sind. (Abg. Scherak hebt die Hand.)

Die Sitzung ist geschlossen. (Abg. Leichtfried: Geschäftsordnung! Geschäftsord­nung! – Abg. Krainer: Da war eine Wortmeldung! Rechtzeitig! Ich habe das gesehen! Sie müssen schon schauen!)

Die Sitzung ist geschlossen; aber ja, wenn er rechtzeit- - (Abg. Leichtfried: Ich weiß nicht! Du musst schon schauen auch!) Ja, ja, ich schaue eh. (Abg. Kassegger: Nein!) – Bitte, Herr Abgeordneter Scherak. (Abg. Kassegger: Ist jetzt die Sitzung geschlossen oder nicht? – Abg. Erasim: Nein!) Die Sitzung ist noch nicht geschlossen. Sie ist wieder eröffnet worden. (Heiterkeit bei der SPÖ.) Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Scherak. – Bitte.

*****


16.25.24

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS) (zur Geschäftsbehandlung): Herr Präsident, mir ist jetzt ehrlich gesagt nicht klar, welchen Zweck die etwas später einberufene Zuweisungssitzung haben soll. Wir wurden gerade vorhin von den Regierungsparteien informiert, dass bei mehreren Anträgen eine Frist gesetzt werden soll, auch bei solchen, die jetzt erst eingebracht wurden – unter anderem einem, der, so wie er mir vorliegt, 68 Seiten hat, wiewohl man mir zusichert, dass da nur die Verfassungsbestimmung des Energieeffizienzgesetzes nicht drinnen ist.

Ich erachte diese Art und Weise der Arbeit, die hier von den Regierungsparteien gemacht wird, für eine Zumutung. Es ist schlichtweg nicht möglich, sich diese


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Dinge durchzulesen. Daran ändert auch eine 20-minütige Unterbrechung nichts, Herr Präsident. (Beifall bei NEOS, SPÖ und FPÖ.)

Bei aller Liebe: Ich kann wahrscheinlich schnell lesen, aber in 20 Minuten ab­schließend zu beurteilen, was in den 68 Seiten drinnen steht, ist sinnlos. Es ist eh so und mir ist inhaltlich bewusst, wieso hier eine Fristsetzung gemacht wird, aber entweder hätte man halt vorher schauen müssen, dass man eine Zwei­drittel­mehrheit zustande bringt, oder man hätte versuchen müssen, dass wir endlich aus diesem Krisenmodus, der sich hier durch Corona eingeschlichen hat, heraus­kommen. So kann funktionierender Parlamentarismus schlichtweg nicht gehen.

Jetzt bin ich wahrlich kein Freund der Blockadehaltung der SPÖ, aber irgend­wann einmal fühlt man sich unglaublich gefrotzelt, wenn dann das Angebot ist, dass wir die Zuweisungssitzung 20 Minuten später machen.

An unserem Abstimmungsverhalten werden die 20 Minuten auch nichts ändern. Es ist vollkommen unmöglich, hier ernsthaft der Arbeit nachzugehen, wenn die Bundesregierung so arbeitet. (Beifall bei NEOS, SPÖ und FPÖ. – Abg. Leichtfried hebt die Hand.)

16.26


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zur Geschäftsbehandlung gelangt Herr Abgeordneter Leichtfried zu Wort. – Bitte. (Abg. Martin Graf: So zieht sich das!)


16.27.04

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ) (zur Geschäftsbehandlung): Herr Präsident, ich kann mich den Worten des Herrn Kollegen Scherak nur anschließen.

Ich glaube, man muss auch sagen: Was da jetzt vorhin passiert ist, ist ein bisschen eine Frotzelei der Zuseherinnen und Zuseher, die sich jetzt sehr, sehr lange fünfmal hintereinander denselben Text haben anhören müssen, weil die Regierungsparteien versucht haben, die Zeit ein bisschen hinauszu­zögern. (Abg. Pfurtscheller: Freie Rede, Herr Kollege!) Ich sage auch: Da darf man


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sich nicht wundern, dass man die Regierungsarbeit langsam als Pfusch bezeichnet, wenn jetzt das zweite Mal hintereinander dasselbe passiert. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Kassegger.)

Das letzte Mal haben wir es mit Vorlesen gelöst, aber ich glaube, es macht auch wenig Sinn, jetzt diese 70 Seiten vorlesen zu lassen, Herr Präsident. Ich sage auch: An unserem Abstimmungsverhalten wird sich jetzt sicher nichts ändern, ob das jetzt 20 Minuten länger dauert oder nicht.

Nur eines möchte ich auch sagen: Es ist nicht nur eine Frotzelei der Zusehe­rin­nen und Zuseher und eine Frotzelei des Parlaments und der Abgeordneten, sondern es ist auch äußerst unangenehm für die Parlamentsmitarbeiter:innen, diese Dinge unter solchem Druck abzuwickeln. Auch das ist etwas, was sich eigentlich nicht gehört. (Beifall bei SPÖ, FPÖ und NEOS.)

16.28


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zur Geschäftsbehandlung zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Wöginger, Klubobmann der ÖVP. – Bitte.


16.28.13

Abgeordneter August Wöginger (ÖVP) (zur Geschäftsbehandlung): Herr Präsident! Hohes Haus! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir reden hier von Fristsetzungsanträgen, und wir reden über diesen umfangreichen Gesetzentwurf, den Kollege Scherak erwähnt hat, das Energieeffizienzgesetz, bei dem wir dringend eine Richtlinie umsetzen müssen. Gestern ist ja eine Zweidrittelmaterie mit Verfassungsbestimmungen, die großteils den gleichen Inhalt hatte, hier im Haus abgelehnt worden.

Wir haben die Zweidrittelmehrheit nicht bekommen, weil sich die SPÖ vor einigen Wochen dazu entschlossen hat, keinen Gesetzentwürfen der Regierung mehr zuzustimmen, insbesondere keinen Zweidrittelmaterien. (Abg. Stöger: Falsch! – Abg. Erasim: Nein!)


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Dieser Gesetzentwurf wurde wochenlang verhandelt, auch mit der SPÖ, aber in dem Zustand, in dem sich diese Partei befindet, konnte leider nicht erreicht werden, dass dafür eine Zweidrittelmehrheit gefunden wurde.

Wir sind da in einem Vertragsverletzungsverfahren, bei dem der Republik hohe Strafen drohen. (Abg. Leichtfried: Das ist eine billige Geschäftsordnungs­mel­dung!) Daher sind wir eigentlich gezwungen, diesen Gesetzentwurf mit einer einfachen Mehrheit - - (Abg. Kollross: Hättet ja ein Jahr Zeit gehabt! – Abg. Erasim: Wer war denn die letzten 5 Jahre ...?) Das wurde umgearbeitet. Mit einer einfach Mehrheit können wir Punkte daraus beschließen – manche nicht, das muss man auch dazusagen, das sind sozusagen die Länderteile, die müssen herausgenom­men werden. Das wäre nur mit der Verfassungsmehrheit gegangen.

Jetzt geht es um die Fristsetzung, geschätzte Kolleginnen und Kollegen. Es geht darum, dass wir diesen Gesetzentwurf nächste Woche, am 1. Juni, beschließen können. Selbstverständlich sind wir bereit, am Tag zuvor eine Ausschusssitzung anzubieten. Das wird noch, wie es üblich ist, in einem Rundlauf der Klubs angeboten werden, damit dieser Gesetzentwurf erstens gesichtet werden und zweitens natürlich auch im Ausschuss, so wie es sich gehört, diskutiert werden kann. Am 1. Juni wird dieser Gesetzentwurf dann auf der Tagesordnung sein.

Da bitte ich schon auch um Verständnis: Die Regierung handelt da auch im Sinne der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, damit uns keine Strafe – bei Nicht­beschluss des Gesetzentwurfes – droht. (Abg. Krainer: Am Abend wird der Faule fleißig!)

Die SPÖ hat blockiert, hat nicht mitgestimmt (Zwischenruf des Abg. Schroll), daher sind wir gezwungen, diese Materie einf- - (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Schroll.) – Ja, Herr Kollege Schroll, du hättest dich vorher ein bisschen mehr bemühen sollen, statt jetzt zu schreien. Das muss man auch einmal sagen. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Zwischenruf der Abg. Cornelia Ecker.)


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Also dahin gehend bringen wir diesen Gesetzentwurf ein. Und ja, es ist heute, bei dieser Tagesordnung, die Zeit insgesamt sehr knapp. Ich bitte um Verständ­nis – auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich weiß natür­lich, dass das jetzt knapp ist, aber wir müssen es einbringen, damit uns diese Strafzah­lun­gen nicht ins Haus stehen. (Abg. Schroll: ... Jahre habt ihr geschlafen!)

Wir reden von einer Fristsetzung, wir bieten eine Ausschusssitzung an, und nächsten Donnerstag soll das auf der Tagesordnung sein. Das ist es, meine Damen und Herren, nicht mehr und nicht weniger. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

16.31


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zur Geschäftsbehandlung zu Wort gemeldet hat sich Abgeordneter Kassegger. – Bitte sehr.


16.31.10

Abgeordneter MMMag. Dr. Axel Kassegger (FPÖ) (zur Geschäftsbehandlung): Vorweg: Ich schließe mich seitens der Freiheitlichen Partei vollinhaltlich dem von Kollegen Scherak und Kollegen Leichtfried Gesagten zum Grundsätzlichen an.

Lieber Kollege Wöginger, du musst jetzt natürlich das Problem kleinreden, aber es ist schon ein Problem, ganz ehrlich.

Ich frage zum Beispiel, ob das eh alles so einfach ist. Das Energieeffizienz­­ge­setz haben wir gestern Vormittag verhandelt. Das heißt, Sie haben jetzt 30 Stunden oder was auch immer Zeit gehabt, um genau das zu machen, was Sie jetzt, 5 Minuten vor Torschluss, mit der Erklärung: Ja das ist ganz gleich wie das von gestern! Nur die Verfassungsbestimmungen sind weg! Es hat sich nichts geändert!, gemacht haben. So, das kann ich jetzt glauben oder nicht glauben.

Es ist auch relativ irrelevant, ob es ein Fristsetzer ist oder nicht. Es geht um die grundsätzliche Vorgehensweise und Professionalität, auch fußend auf einem wechselseitigen Vertrauen und einer parlamentarischen Usance, die jetzt zum zweiten Mal nicht eingehalten wurde. Wir sind über Ihre Vorgehensweise


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verwundert. Das geht so einfach nicht! Das hat keine Qualität – das hat auch Kollege Leichtfried festgehalten.

Wir haben auch gesagt, es ändert nichts an unserem Stimmverhalten. In Wahr­heit brauchen wir nicht bis Dreiviertel oder auf sonst etwas zu warten, sondern Sie könnten die Zuweisungssitzung gleich eröffnen. Dann ersparen wir uns die Warterei. Genauso wollen wir uns – und das hätten wir durchaus machen können; Sie wissen das; es ist genau das Gleiche wie letztes Mal – eine Lese­übung über 68 Seiten ersparen. Das wollen wir uns ersparen, weil es relativ mühsam und sinnlos ist. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

16.32


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet hat sich Abgeordnete Klubobfrau Maurer. – Bitte.


16.33.01

Abgeordnete Sigrid Maurer, BA (Grüne) (zur Geschäftsbehandlung): Ich möchte schon noch einmal darauf hinweisen, was das für ein Gesetzentwurf ist. Selbstverständlich, ja, es sind 60 Seiten, es ist natürlich nicht exakt der gleiche Gesetzentwurf wie gestern, sondern ein Abänderungsantrag (Abg. Kassegger: Na, eben!) zum alten Energieeffizienzgesetz, weil es nämlich gar nicht anders geht. (Abg. Belakowitsch: Das ist ja noch schlimmer!)

Der Inhalt, die Ziele, die Dinge, die wir monatelang – auch mit der SPÖ – ver­han­delt haben (Abg. Schroll: 13. März: erste Verhandlung! 13. März, Frau Klubobfrau, 13. März!), sind in diesem Gesetzentwurf jetzt enthalten, weil wir, nachdem die SPÖ beschlossen hat (Abg. Schroll: Ein soziales Gesetz zu machen, ein soziales Gesetz!), alles, was Klimaschutz betrifft, und auch viele andere Dinge zu blockie­ren, eine andere Möglichkeit suchen müssen (Abg. Schroll: 13. März: erste Verhandlung!), wie wir die Strafzahlungen in der Höhe von 7 Millionen Euro, die jetzt sofort auf uns zukommen würden, abwenden können. Deshalb machen wir nächste Woche eine Sondersitzung, und deshalb haben wir diesen Antrag eingebracht und setzen jetzt eine Frist.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll215. Sitzung, 215. Sitzung des Nationalrats vom 25. Mai 2023 / Seite 290

Wir sind nicht untätig herumgesessen, Herr Kollege (Abg. Schroll: Jetzt gibt es halt ein Pfuschgesetz, ein ...!), sondern selbstverständlich ist durch die Mitarbei­ter:in­nen in den Ministerien diese Umarbeitung passiert. Sie wissen, was das heißt: Man muss das alles anders nummerieren, Paragraphen neu nummerieren, das ganze Pipapo; Sie kennen das. Und ja, ich würde mir natürlich wünschen, dass wir das schon in der Früh gehabt hätten. Es war aber nicht so, und der Grund dafür sitzt (in Richtung SPÖ) in diesem Sektor. (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Ruf bei der SPÖ: Ja, genau! – Abg. Schroll: 13. März! Fünf Jahre verschlafen, Frau Klubobfrau, fünf Jahre, fünf Jahre!)

Eigentlich sollte die Sozialdemokratie uns in dieser Frage dankbar sein: Wir würden die Rechnung über 7 Millionen Euro nämlich sonst schon in die Löwelstraße bringen (Abg. Schroll: Fünf Jahre verschlafen! Fünf Jahre verschlafen!), wenn wir sie zahlen müssen. (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Abg. Krainer: Ja, das können Sie eh gerne machen! – Abg. Deimek: Für die Faulheit der Grünen sind jetzt die ...!)

16.34

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die Sitzung ist jetzt geschlossen.

16.34.49Schluss der Sitzung: 16.34 Uhr

 

 

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