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Stenographisches Protokoll

 

 

 

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867. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

 

Donnerstag, 11. Mai 2017

 

 


Stenographisches Protokoll

867. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 11. Mai 2017

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 11. Mai 2017: 9.03 – 17.04 Uhr

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Tagesordnung

1. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Ausländerbeschäftigungsgesetz und das Allge­meine Sozialversicherungsgesetz geändert werden

2. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz und das Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz geändert werden

3. Punkt: Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Albanien über soziale Sicherheit

4. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Versammlungsgesetz 1953 geändert wird

5. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bundesstraßen-Mautgesetz 2002 geändert wird

6. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Güterbeförderungsgesetz 1995 geändert wird

7. Punkt: Gemeinwirtschaftlicher Leistungsbericht 2015 des Bundesministers für Ver­kehr, Innovation und Technologie

8. Punkt: Bericht der Bundesanstalt für Verkehr über technische Unterwegskontrollen im Jahr 2016

9. Punkt: Wahl eines Mitgliedes des Ständigen gemeinsamen Ausschusses des Natio­nalrates und des Bundesrates im Sinne des § 9 des Finanz-Verfassungsgesetzes 1948

*****

Inhalt

Bundesrat

Schreiben des Präsidenten des Kärntner Landtages betreffend Wahl eines Er­satzmitgliedes in den Bundesrat ........................................................................................................................................... 9

Schreiben des Generalsekretärs für auswärtige Angelegenheiten gemäß Arti­kel 50 Abs. 5 Bundes-Verfassungsgesetz betreffend Erteilung der Vollmacht zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Abkommen zwischen der Republik Albanien, der Republik Österreich, Bosnien und Herzegowina, der Republik Bulgarien, Un­garn, der Republik Mazedonien, der Republik Moldau, Montenegro, Rumänien, der


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Republik Serbien und der Republik Slowenien über den automatisierten Austausch von DNA-, Fingerabdruck- und Fahrzeugregisterdaten durch den Herrn Bundesprä­sidenten ................................. 45

Personalien

Verhinderungen ................................................................................................................ 8

Fragestunde (171.)

Justiz ............................................................................................................................. 11

Mag. Klaus Fürlinger (1909/M-BR/2017); Mag. Daniela Gruber-Pruner, Monika Mühl­werth, Mag. Nicole Schreyer

Mag. Susanne Kurz (1904/M-BR/2017); Ing. Eduard Köck, Hans-Jörg Jenewein, MA, Da­vid Stögmüller

Mag. Reinhard Pisec, BA (1907/M-BR/2017); Peter Oberlehner, Stefan Schen­nach, Dr. Heidelinde Reiter

Mag. Dr. Ewa Dziedzic (1912/M-BR/2017); Ing. Andreas Pum, Inge Posch-Grus­ka, Werner Herbert

Armin Forstner, MPA (1910/M-BR/2017); Mag. Michael Lindner, Christoph Läng­le, Mag. Nicole Schreyer, Mag. Gerald Zelina

Reinhard Todt (1905/M-BR/2017); Josef Saller, Werner Herbert, David Stögmüller

Werner Herbert (1908/M-BR/2017); Armin Forstner, MPA, Renate Anderl, Dr. Hei­delinde Reiter

Dr. Magnus Brunner, LL.M (1911/M-BR/2017); Peter Heger, Mag. Reinhard Pi­sec, BA, Mag. Dr. Ewa Dziedzic

Adelheid Ebner (1906/M-BR/2017); Sandra Kern, Werner Herbert, Mag. Nicole Schreyer

Bundesregierung

Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Aufenthalt eines Mitgliedes der Bundesregierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ............................................................. 50

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse ............................................................................ 50

Ausschüsse

Zuweisungen .................................................................................................................. 43

9. Punkt: Wahl eines Mitgliedes des Ständigen gemeinsamen Ausschusses des Nationalrates und des Bundesrates im Sinne des § 9 des Finanz-Verfassungsge­setzes 1948 ...................... 104

Dringliche Anfragen

der Bundesräte Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen an den Bundes­minister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend Pflegeheimmise­re in Österreich (3239/J-BR/2017)                        105


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Begründung: Monika Mühlwerth ................................................................................ 105

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ................................................................... 108

Debatte:

Rosa Ecker .................................................................................................................. 113

Angela Stöckl-Wolkerstorfer ...........................................................................  116, 131

Mag. Susanne Kurz .................................................................................................... 118

Dr. Heidelinde Reiter .................................................................................................. 120

Ferdinand Tiefnig ....................................................................................................... 123

Inge Posch-Gruska .................................................................................................... 125

Hans-Jörg Jenewein, MA .......................................................................................... 127

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ................................................................... 128

Gregor Hammerl ......................................................................................................... 129

Entschließungsantrag der Bundesräte Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kol­legen betreffend Behebung der Pflegeheimmisere – Ablehnung ....................................................................  116, 131

der Bundesräte David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesmi­nister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien betreffend Vergaberechtsre­formgesetz 2017 (3240/J-BR/2017)                            131

Begründung: David Stögmüller .................................................................................. 131

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ................................................................... 133

Debatte:

David Stögmüller ........................................................................................................ 135

Edgar Mayer ................................................................................................................ 136

Reinhard Todt ............................................................................................................. 137

Monika Mühlwerth ...................................................................................................... 138

Mario Lindner .............................................................................................................. 139

Entschließungsantrag der Bundesräte David Stögmüller, Kolleginnen und Kol­legen betreffend Erhalt des etablierten Rettungsverbundsystems – Annahme (E 250-BR/2017) ..................  136, 141

Verhandlungen

1. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 26. April 2017 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Ausländerbeschäftigungsgesetz und das Allgemeine Sozial­versicherungsgesetz geändert werden (1516 d.B., 693/A und 1602 d.B. sowie 9785/BR d.B. und 9787/BR d.B.) ....................................... 51

Berichterstatter: Hubert Koller, MA .............................................................................. 51

Redner/Rednerinnen:

Ing. Bernhard Rösch .................................................................................................... 51

Renate Anderl ............................................................................................................... 54

Monika Mühlwerth ........................................................................................................ 56

Edgar Mayer .................................................................................................................. 58

David Stögmüller .......................................................................................................... 59

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ..................................................................... 60

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 62

2. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 26. April 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz und das


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Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz geändert werden (1589 d.B. und 1603 d.B. so­wie 9788/BR d.B.) ............................................................. 62

Berichterstatterin: Inge Posch-Gruska ......................................................................... 62

Redner/Rednerinnen:

Ing. Bernhard Rösch .................................................................................................... 62

René Pfister .................................................................................................................. 63

David Stögmüller .......................................................................................................... 65

Sonja Zwazl ................................................................................................................... 67

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ..................................................................... 69

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 70

3. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 26. April 2017 betreffend Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Albanien über soziale Sicher­heit (1478 d.B. und 1604 d.B. sowie 9789/BR d.B.)   ............................................................................................................................... 70

Berichterstatterin: Inge Posch-Gruska ......................................................................... 70

Redner/Rednerinnen:

Thomas Schererbauer ................................................................................................. 71

Hubert Koller, MA ......................................................................................................... 72

Peter Oberlehner .......................................................................................................... 73

David Stögmüller .......................................................................................................... 74

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ..................................................................... 74

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 75

4. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 26. April 2017 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Versammlungsgesetz 1953 geändert wird (2063/A und 1610 d.B. sowie 9786/BR d.B.)                75

Berichterstatterin: Sandra Kern .................................................................................... 75

Redner/Rednerinnen:

Werner Herbert ............................................................................................................. 75

Martin Weber ................................................................................................................. 77

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ................................................................................................. 79

Mag. Klaus Fürlinger .................................................................................................... 80

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 81

5. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 27. April 2017 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Bundesstraßen-Mautgesetz 2002 geändert wird (1587 d.B. und 1591 d.B. sowie 9790/BR d.B.)               ............................................................................................................................... 81

Berichterstatter: Ewald Lindinger ................................................................................. 81

Redner/Rednerinnen:

Wolfgang Beer .............................................................................................................. 81

Dr. Andreas Köll ........................................................................................................... 82

Gerd Krusche ............................................................................................................... 83

Mag. Nicole Schreyer ................................................................................................... 83

Bundesminister Mag. Jörg Leichtfried ...................................................................... 85

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 8


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6. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 27. April 2017 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Güterbeförderungsgesetz 1995 geändert wird (2093/A und 1592 d.B. sowie 9791/BR d.B.)                        86

Berichterstatter: Wolfgang Beer ................................................................................... 86

Redner/Rednerinnen:

Ewald Lindinger ........................................................................................................... 86

Christian Poglitsch ...................................................................................................... 87

Peter Samt ..................................................................................................................... 88

Mag. Nicole Schreyer ................................................................................................... 88

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 89

7. Punkt: Gemeinwirtschaftlicher Leistungsbericht 2015 des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie (III-618-BR/2017 d.B. sowie 9792/BR d.B.) .............................................. 89

Berichterstatter: Wolfgang Beer ................................................................................... 89

Redner/Rednerinnen:

Gerd Krusche ............................................................................................................... 89

Ewald Lindinger ........................................................................................................... 91

Gerd Krusche (tatsächliche Berichtigung) ................................................................... 92

Mag. Reinhard Pisec, BA ............................................................................................. 93

Martin Preineder ........................................................................................................... 95

Mag. Nicole Schreyer ................................................................................................... 96

Bundesminister Mag. Jörg Leichtfried ...................................................................... 97

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-618-BR/2017 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................... 99

8. Punkt: Bericht der Bundesanstalt für Verkehr über technische Unterwegskon­trollen im Jahr 2016, vorgelegt vom Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie (III-619-BR/2017 d.B. sowie 9793/BR d.B.) ................................................................................................................. 99

Berichterstatter: Ewald Lindinger ................................................................................. 99

Redner/Rednerinnen:

Günther Novak ............................................................................................................. 99

Armin Forstner, MPA ................................................................................................. 100

Christoph Längle ........................................................................................................ 101

Bundesminister Mag. Jörg Leichtfried ...........................................................  102, 103

Mag. Nicole Schreyer ................................................................................................. 103

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-619-BR/2017 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................. 104

Eingebracht wurden

Anfragen der Bundesräte

Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betref­fend Polizeieinsätze im Asylheim St. Andrä-Wördern (3233/J-BR/2017)

Mag. Dr. Ewa Dziedzic, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres betreffend brutale Verfolgung und Menschenrechtsverletzun­gen gegen Homosexuelle in Tschetschenien (3234/J-BR/2017)


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Arnd Meißl, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Moscheevereine und Koranschulen in der Steiermark (3235/J-BR/2017)

David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft betreffend: Grenzkontrollen Bayern–Region Innviertel. Was bedeutet das für die Wirtschaft? (3236/J-BR/2017)

David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres be­treffend Enteignung Liegenschaft Salzburger Vorstadt 15, 5280 Braunau – „Hitlers Ge­burtshaus“ (3237/J-BR/2017)

David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres be­treffend Grenzkontrollen Bayer–Region Innviertel (3238/J-BR/2017)

Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit, So­ziales und Konsumentenschutz betreffend Pflegeheimmisere in Österreich (3239/J-BR/2017)

David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien betreffend Vergaberechtsformgesetz 2017 (3240/J-BR/2017)

David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft betreffend Bundesimmobiliengesellschaft und das Schiller­park-Tiefgaragenprojekt in Linz (3241/J-BR/2017

Anfragebeantwortungen

des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz auf die Anfrage der Bundesräte Gerd Krusche, Kolleginnen und Kollegen betreffend Sozialbetrug am stei­rischen Arbeitsmarkt (2967/AB-BR/2017 zu 3211/J-BR/2017)

des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz auf die Anfrage der Bundesräte Arnd Meißl, Kolleginnen und Kollegen betreffend Integration von Asylbe­rechtigten in den steirischen Arbeitsmarkt (2968/AB-BR/2017 zu 3208/J-BR/2017)

der Bundesministerin für Bildung auf die Anfrage der Bundesräte Peter Samt, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend Investitionen in das Bundesschulzentrum Deutschlands­berg (2969/AB-BR/2017 zu 3207/J-BR/2017)

der Bundesministerin für Bildung auf die Anfrage der Bundesräte Peter Samt, Kollegin­nen und Kollegen betreffend Einhaltung der Schulpflicht in der Steiermark (2970/AB-BR/2017 zu 3214/J-BR/2017)

des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie auf die Anfrage der Bun­desräte Arnd Meißl, Kolleginnen und Kollegen betreffend Geisterfahrer in der Steier­mark (2971/AB-BR/2017 zu 3205/J-BR/2017)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Mag. Michael Raml, Kolleginnen und Kollegen betreffend Demonstrationen in Linz 2016 (2972/AB-BR/2017 zu 3213/J-BR/2017)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte David Stögmüller, Kol­leginnen und Kollegen betreffend rechtsextreme Straftaten in Oberösterreich im Jahr 2016 (2973/AB-BR/2017 zu 3204/J-BR/2017)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Arnd Meißl, Kollegin-nen und Kollegen betreffend Delikte gegen fremdes Vermögen in der Marktgemeinde Langenwang (2974/AB-BR/2017 zu 3206/J-BR/2017)


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des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Gerd Krusche, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend Schubhaftzentrum Vordernberg 2016 (2975/AB-BR/2017 zu 3212/J-BR/2017)

des Bundesministers für Justiz auf die Anfrage der Bundesräte Arnd Meißl, Kollegin­nen und Kollegen betreffend Problemstellungen in steirischen Justizanstalten (2976/AB-BR/2017 zu 3210/J-BR/2017)

des Bundesministers für Justiz auf die Anfrage der Bundesräte Arnd Meißl, Kollegin­nen und Kollegen betreffend Einstellung eines Verfahrens gegen einen Arzt wegen des Verdachts des Vergehens einer gefährlichen Drohung gegen eine Wahlbeisitzerin durch die Staatsanwaltschaft Leoben (2977/AB-BR/2017 zu 3215/J-BR/2017)

des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie auf die Anfrage der Bun­desräte Arnd Meißl, Kolleginnen und Kollegen betreffend Struktur der Post AG in der Steiermark (2978/AB-BR/2017 zu 3209/J-BR/2017)


 


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 8

09.03.15Beginn der Sitzung: 9.03 Uhr

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Ich eröffne die 867. Sitzung des Bundesrates und begrüße den Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter sehr herzlich in un­serer Mitte. Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Die nicht verlesenen Teile des Amtlichen Protokolls der 866. Sitzung des Bundesrates vom 6. April 2017 sind aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gelten daher als ge­nehmigt.

Als verhindert gemeldet sind die Mitglieder des Bundesrates Ana Blatnik, Anneliese Junker, Mag. Michael Raml, Gerhard Schödinger und Robert Seeber.

09.04.01Einlauf

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Ich gebe das Einlangen eines Schreibens des Präsidenten des Kärntner Landtages betreffend die Nachwahl eines Ersatzmitgliedes des Bundesrates bekannt, da Bundesrätin Jutta Arztmann ex lege auf das durch das Ausscheiden von Bundesrat Gerhard Dörfler frei gewordene Mandat nachgerückt ist.

Hinsichtlich dieses Schreibens verweise ich auf die im Sitzungssaal verteilten Mitteilun­gen gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates, die dem Stenographi­schen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.


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Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:

Schreiben des Kärntner Landtages betreffend Wahl eines Ersatzmitgliedes:


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BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 11

09.04.34Fragestunde

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wir gelangen nun zur Fragestunde.

Bevor ich jetzt – um 9.04 Uhr – mit dem Aufruf der Anfragen beginne, weise ich darauf hin, dass ich die Fragestunde im Einvernehmen mit den beiden Vizepräsidenten, um die Behandlung aller mündlichen Anfragen zu ermöglichen, auf bis zu 120 Minuten erstre­cken werde.

Bundesministerium für Justiz

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wir kommen nun zur 1. Anfrage, 1909/M-BR/2017, an den Herrn Bundesminister für Justiz. Ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Mag. Fürlinger, um die Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrat Mag. Klaus Fürlinger (ÖVP, Oberösterreich)|: Sehr geehrter Herr Bundes­minister! Wir haben in den letzten Wochen und Monaten mehrere Verfahren gegen Per­sonen miterlebt, die meinen, nicht Mitglied unseres Staates zu sein, die den Rechtsstaat nicht anerkennen und sich mit subtilsten Mitteln den Zugriffen des Staates entziehen. Wir haben Verhaftungen miterlebt, wir haben Strafverfahren miterlebt.

Was ist jetzt bereits gegen diese Personen möglich? Und was wird durch die Regie­rungsvorlage, die ins Parlament gekommen ist, an dieser Situation verbessert?

*****

Die schriftlich eingebrachte Anfrage, 1909/M-BR/2017, hat folgenden Wortlaut:

„Welche konkreten Verschärfungen schlagen Sie betreffend staatsfeindlichen Bewegun­gen in der jüngst dem Parlament zugeleiteten Regierungsvorlage vor?“

*****

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Bundesräte! Ich freue mich – das möchte ich eingangs sa­gen –, heute wieder hier in meiner Lieblingskammer des Parlaments sein zu dürfen. (All­gemeiner Beifall.)

Was die Frage betrifft, wie wir nun speziell gegen diese staatsfeindlichen Bewegungen und Gruppierungen, die unter verschiedenen Titulierungen auftreten, vorgehen wollen, ist einmal vorweg zu sagen: Es gibt seit jeher einen Tatbestand gegen staatsfeindliche Ver­bindungen. Dieser ist allerdings so gestaltet, dass die Phänomene, mit denen wir jetzt konfrontiert sind, damit nicht ausreichend erfasst werden können. Auch die herkömmli­chen Tatbestände Widerstand gegen die Staatsgewalt und gefährliche Drohung setzen ja zumindest eine gefährliche Drohung oder Gewaltanwendung voraus.

Das Besondere an diesen neuartigen Gruppierungen ist, dass sie sozusagen generell dem Staat den Krieg erklärt haben – mit sublimen Mitteln, mit Mitteln, die man mit den bisherigen Tatbeständen nicht so leicht erfassen kann. Sie wissen ganz genau, durch­wegs auch juristisch versiert oder gut beraten, wie weit man gehen kann, um einerseits den Staat und seine Organe massiv zu behindern, aber andererseits die herkömmli­chen Tatbestände eben gerade noch nicht zu erfüllen. Daher ist es wichtig, dass wir einen neuen Tatbestand auch im Ministerrat beschließen konnten, der davon ausgeht, dass es sich um eine Gruppierung handeln muss, die den Staat wirklich generell in all seinen Ausprägungen ablehnt und die wirklich durch aktive Handlungen gegen Organe


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des Staates, gegen Beamte vorgeht. Und genau das ist das Phänomen, mit dem wir kon­frontiert sind.

Für die betroffenen Organwalter, für die Beamten – das muss man auch sagen –, ist es alles andere als lustig, wenn sie damit konfrontiert sind, dass sie etwa in irgendwelche obskure Schuldnerlisten eingetragen werden, dass sie mit irgendwelchen rechtlichen Maß­nahmen gegen sie bedroht werden, dass sie persönlich behindert werden, dass es et­wa durch faktische Verunmöglichung von Amtshandlungen wirklich dazu kommt, dass letztlich die Umsetzung des Rechtsstaates massiv behindert wird.

Da haben wir auch ein prinzipielles Problem. Das prinzipielle Problem ist, dass ja ei­gentlich die Durchsetzung des Rechtsstaates nichts anderes ist als die Umsetzung des­sen, was letztlich dem Gesetz entspricht; das ist demokratisch legitimiert. Das heißt, der Rechtsstaat lebt auch von seiner Durchsetzbarkeit: Das, was an demokratisch legiti­mierten Gesetzen da ist, muss man auch umsetzen können. Wenn sich jemand dage­gen wendet, nämlich prinzipiell und generell, dann ist das etwas, wogegen sich der Rechtsstaat im Sinne einer wehrhaften Demokratie auch wehren muss.

Der zweite, individuelle Aspekt ist der Schutz unserer Beamten. Ich meine damit natür­lich insbesondere Polizeibeamte, Justizwachebeamte, aber auch die Exekutionsbeam­ten bei Gericht, die auch damit konfrontiert sind, dass ihnen immer wieder Hindernisse in den Weg gelegt werden, dass sie durchaus in irgendeiner Form insultiert, attackiert werden, auf eine Art und Weise versucht wird, auch Amtshandlungen wie etwa den ord­nungsgemäßen Ablauf einer Gerichtsverhandlung zu sabotieren, zu boykottieren, wo man sagen muss, das kann man so nicht hinnehmen, dagegen muss man etwas tun: maßvoll, aber doch so, dass klar ist, jemand, der wirklich dem Staat mit subtilen Mitteln den Krieg erklärt, muss auch mit entsprechenden Konsequenzen rechnen.

Wichtig ist mir – und das ist ja im Zuge der Verhandlungen auch mit dem Koalitions­partner ausdrücklich klargestellt worden –, dass von Anfang an klar war, auch für mich selbstverständlich, dass damit nicht etwa eine Einschränkung von Grundrechten, eine Einschränkung von Demonstrationsrechten, eine Einschränkung von zivilem Ungehor­sam verbunden ist. Da gab es aus meiner Sicht von Anfang an etwas übertriebene Be­fürchtungen; diese konnten wir durch Klarstellungen im Text und vor allem auch durch Klarstellungen in den Erläuterungen ausräumen.

Ich sage Ihnen ganz offen, ich habe mir in einem Punkt sehr leichtgetan, was die Be­fürchtung betroffen hat, dass etwa Aktionen wie der Protest gegen das Kraftwerk Hain­burg nun durch so einen Tatbestand kriminalisiert werden könnten, und kann ganz of­fen sagen: Ich kann als Zeitzeuge bestätigen, dass dem nicht so wäre. Ich war damals selbst in der Au in Hainburg demonstrieren, aus meiner Sicht auf der richtigen Seite, als junger Uni-Assistent. Da war ich nicht allein, es waren mehrere von uns dort.

Aber der wesentliche Unterschied war: Wir waren nicht gegen den Staat an sich, über­haupt nicht, sondern wir wollten mit den Mitteln des gewaltfreien Widerstandes darauf aufmerksam machen, dass der Staat Gefahr läuft, eine wirklich fatal falsche Entschei­dung zu treffen. In dem Augenblick, in dem die damaligen Organe des Staates – konkret damals Bundeskanzler Sinowatz – eingelenkt und erklärt haben: Okay, Schluss, wir über­legen uns das, wir werden das nicht so verwirklichen!, in dem Augenblick hatten wir über­haupt keinen Grund mehr für weitere Proteste.

Das ist eben der Unterschied! Hier wollen wir nur die generelle staatsfeindliche Bewe­gung, die generelle Ablehnung des Staates erfassen, die sich vor allem auch in aktiven Handlungen gegen die Vertreter des Staates, gegen unsere Beamten richtet, die tag­täglich für uns tätig sein müssen, um den Rechtsstaat umzusetzen, dass wir das eben wirklich entsprechend maßvoll mit einem Straftatbestand verfolgen. Das ist der Sinn des neuen Tatbestandes. Ich bin froh darüber, dass wir ihn durchgebracht haben, und


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bin auch froh darüber, wenn er dann schon – wie es aussieht – mit September in Kraft sein kann. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer Zusatzfrage hat sich Frau Bundesrätin Mag. Gruber-Pruner zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Minister! Soweit ich das verstanden habe, haben Sie meine Zusatzfrage genau jetzt beantwor­tet. Ich danke Ihnen. (Allgemeine Heiterkeit.)

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Bun­desrätin Mühlwerth zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Minister! Bevor ich meine Zusatzfrage stelle, hätte ich eine Bitte: Wenn Sie die Frage beantworten, könn­ten Sie bitte mehr Richtung Mitte sprechen?! Ich weiß, dass Kollege Fürlinger von drü­ben die Frage gestellt hat, es ist hier aber wirklich schwer zu verstehen. (Bundesmi­nister Brandstetter: Das ist eine Frage der Höflichkeit!) – Das ist keine Kritik, sondern wirklich nur eine Bitte, denn je weiter man drüben sitzt, desto schwerer ist es zu verste­hen.

Es ist inakzeptabel, was diese Gruppen, von denen hier die Rede ist, machen. Zum Teil sind es auch wirklich staatsfeindliche Maßnahmen, die sie ergreifen.

Daher meine Frage: Haben Sie sich gemeinsam mit Ihren Kollegen schon einmal über­legt, ob Sie nicht Möglichkeiten schaffen wollen, den Leuten, die so agieren, auch die Staatsbürgerschaft zu entziehen?

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Bundesrätin, Sie wis­sen, dass das Staatsbürgerschaftsrecht nicht in meinen Zuständigkeitsbereich fällt. Ich kann daher dazu nichts sagen, habe mich daher auch mit dieser Frage noch nicht be­schäftigt.

Was wir tun, ist, wir stellen natürlich den betroffenen Beamten Hilfe zur Verfügung. Man kann auf der Homepage des Justizministeriums ein Formular herunterladen, mit dem man sich normalerweise erfolgreich aus diesem amerikanischen Schuldenregister he­rausreklamieren kann. Wir unterstützen jeden Beamten, der davon betroffen ist. Wir ha­ben auch dafür Sorge getragen, dass auch durch Beamte unseres Hauses jeder unter­stützt wird, der da entsprechende Probleme hat.

Wir haben jetzt mit diesem Straftatbestand einmal ein Instrumentarium, um derartige staatsfeindliche Gruppierungen dort, wo sie wirklich gefährlich werden können, straf­rechtlich zu bekämpfen. Es gibt natürlich, wie Sie wissen, grundsätzlich auch die Mög­lichkeit, im Gefolge von strafrechtlichen Verurteilungen auch Konsequenzen in Bezug auf jenen Bereich zu ziehen, der eben nicht in meine Zuständigkeit fällt, sondern im Be­reich des Innenressorts angesiedelt ist. Dort müsste man allenfalls ansetzen.

Aber, wie gesagt: Ich kann nur sagen, was meinen Zuständigkeitsbereich betrifft, bin ich mit dem, was wir jetzt zusätzlich an Regelungen geschaffen haben, vorläufig zufrie­den. Aber gleichzeitig schaue ich natürlich auch gemeinsam mit dem BMI darauf, dass wir jenen Beamten helfen, die davon betroffen sind. Sie verdienen da jede Unterstüt­zung. Das ist der Punkt, auf den wir jetzt den Fokus richten.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Bun­desrätin Mag. Schreyer zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Guten Morgen! Sie haben schon re­lativ viel von dem beantwortet, was ich fragen wollte. Die Abänderung in der Vorlage kommt deswegen, weil die Regelung anscheinend nicht ausreichend ist.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 14

Inwiefern genau sind die derzeitigen strafrechtlichen Tatbestände nicht ausreichend, um gegen staatsfeindliche Bewegungen wirklich gezielt vorgehen zu können?

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Bundesrätin, das hat zwei Gründe. Zum einen: Betreffend staatsfeindliche Verbindungen herkömmlichen Rechts – gemäß § 246 StGB – müssen Sie eine feste Organisationsstruktur von einer doch rela­tiv großen Zahl an Menschen nachweisen. Das entspricht nicht mehr den heutigen Ge­gebenheiten. Die Staatsfeinde melden sich nicht als Verein an und sind nicht so leicht als festgefügte Organisationseinheit zu fassen. Nein, die organisieren sich halt locker mit­tels der neuen Medien. Sie wissen, wie das funktioniert. Daher sind diese herkömmli­chen Möglichkeiten eben nicht mehr ausreichend.

Der zweite Grund ist schon auch der, dass es neue Formen auch des Behinderns von staatlichem Handeln gibt, die entwickelt wurden. Die bisherigen strafrechtlichen Hürden sind darauf beschränkt, dass es zu gefährlichen Drohungen oder überhaupt Gewalt kom­men muss. Damit hat man den Widerstand gegen die Staatsgewalt, dann kann man ein­schreiten. Die bisherigen Fälle und auch die Inhaftierungen, die wir jetzt haben, beru­hen auf solchen Tatbeständen. Selbstverständlich! Aber wir sehen, dass das nicht aus­reichen wird. Deshalb brauchen wir etwas, um wirklich gezielt und doch maßvoll gegen diejenigen vorgehen zu können, die eben das derzeitige strafrechtliche Instrumentari­um bewusst vermeiden – das geht –, aber trotzdem ordentlich Sand ins Getriebe des Staates streuen. Darum geht es.

Mit diesem neuen Tatbestand, glaube ich, wird das gelingen. Wir merken es ja auch schon. Ich habe den Eindruck, dieser neue Tatbestand wirkt schon präventiv, bevor er überhaupt in Kraft getreten ist. Die Szene hat sich offensichtlich etwas beruhigt – und das ist gut so.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wir gelangen nun zur 2. Anfrage, 1904/M-BR/2017. Ich bitte die Anfragestellerin, Frau Bundesrätin Mag. Kurz, um die Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrter Herr Minister! Es ist ja allseits bekannt, dass die Anzahl der Verurteilungen nach dem Verbotsgesetz seit rund zehn Jahren stark steigt. Es gab letztes Jahr 213 Anklagen. Aber auch die rechtsextre­men Tathandlungen sind von 2015 auf 2016 um 13,5 Prozent gestiegen.

Deshalb meine Frage:

1904/M-BR/2017

„Welche Maßnahmen gedenken Sie angesichts der massiv gestiegenen rechtsextremen Tathandlungen zu setzen?“

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Sehr geehrte Frau Bundesrä­tin! Sie haben vollkommen recht mit dem, was Sie in Ihrer Fragestellung an Fakten dar­gestellt haben. Man muss aber auch dazusagen – auch das wissen Sie –, dass es na­türlich im Bereich dieser Tatbestände – Verbotsgesetz, Verhetzung – auch ein deutli­ches Ansteigen der Zahl der Verfahren, der Anklagen und auch der Verurteilungen gibt. Das heißt: Die Justiz reagiert, wir haben darauf reagiert.

Wir haben auch durch organisatorische Maßnahmen reagiert, die auch wichtig sind. Konkret haben wir schon mit Wirkung 1. Jänner 2017 die Möglichkeit geschaffen, dass es für extremistische Straftaten spezielle staatsanwaltschaftliche Teams geben soll, die sich diesem Thema widmen und damit auch eine gewisse Spezialisierung in diesem


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Feld, in diesem Deliktsbereich ermöglichen. Und auch das, glaube ich, kommt ja schon zum Tragen.

Im Übrigen bin ich gerade bei diesem Themenbereich wirklich in enger Abstimmung mit Frau Staatssekretärin Muna Duzdar. Wir haben da einiges an gemeinsamen Aktivi­täten vor. Ich unterstütze auch alles, was sie bisher in diesem Bereich getan hat. Das ist sehr gut und sehr sinnvoll. Auch die Meldestelle und die Informationskampagne auf der Homepage des BKA sind sehr sinnvoll. Vor allem hat letztlich auch aufgrund ihrer Initiative etwas stattgefunden, was mir sehr gut gefällt, nämlich dass wir fünf zusätzli­che Planstellen, jedenfalls einmal vom Bundeskanzleramt, speziell für die Bekämpfung dieser Delikte bekommen haben. Und das fügt sich jetzt sehr gut mit den Regelungen, die wir im organisatorischen Bereich getroffen haben. Jetzt haben wir durchaus die Mög­lichkeit, Sondereinheiten bei den größeren Staatsanwaltschaften zu schaffen. Wir wer­den fünf weitere Planstellen bekommen, die wir da einsetzen wollen. Ich denke, wir sind in der Bekämpfung dieser Delikte gut aufgestellt – alle Statistiken zeigen das ja auch.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Frau Bundesrätin Mag. Kurz.

 


Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): Herr Minister, Sie wissen, zu un­serem großen Bedauern ist ja der Rechtsextremismusbericht der Bundesregierung un­ter der damaligen schwarz-blauen Regierung abgeschafft worden, den gibt es nicht mehr. Wie stehen Sie zu einer Wiedereinführung? (Demonstrativer Beifall des Bundes­rates Stögmüller.)

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Ich kann dazu nur sagen: Das ist ja nicht allein in meiner Ingerenz. Ich kann nur sagen, dass wir natürlich – und dafür ist gerade mein Haus bekannt – gerade bei parlamentarischen Anfragen beson­ders intensiv alle Daten und Fakten liefern, weil mir das auch wichtig ist. Also: Ich glau­be nicht, dass es irgendwelche Daten und Fakten gibt, die nicht publik werden, auch in diesem Bereich – das glaube ich nicht –, denn dazu sind der Fleiß der Abgeordneten und Bundesräte in Bezug auf parlamentarische Anfragen und die Mühe, die wir mit deren Be­antwortung haben, viel zu groß.

Ich weiß daher, dass da eigentlich alles an Daten und Fakten, was sinnvoll und not­wendig ist, öffentlich ist, und weiß nicht, ob es jetzt zusätzlichen Informationswert hätte, diesbezüglich auch noch einen eigenen Bericht der Regierung zu initiieren. An mir wür­de es nicht scheitern, aber ich habe mit den Anfragebeantwortungen, die mir wichtig und auch persönlich wirklich ein Anliegen sind, alle Hände voll zu tun. Deshalb geht da auch nichts hinaus, ohne dass ich das nicht selbst noch angeschaut und allenfalls er­gänzt habe. Mir fällt auf, dass es gerade zu diesem Themenfeld sehr viele Anfragen und daher auch entsprechend viele Beantwortungen gibt. Ich glaube, sagen zu dürfen, so­weit ich das überblicken kann, bleibt gerade in diesem Themenbereich von unserer Seite nichts an Informationen oder Fragen offen; und ich denke, das gilt auch heute.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bun­desrat Ing. Köck zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrat Ing. Eduard Köck (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Bundesmi­nister! Wie viele rechtskräftige Verurteilungen gab es in diesem Deliktsbereich in den letz­ten Jahren?

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat! Dazu gibt es eine Statistik, auf die ich mich beziehen kann – es dauert ein bisschen, aber ich möch­te es Ihnen möglichst genau sagen –: Nach dem Tatbestand der Verhetzung gab es im


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Jahr 2015 49 Verurteilungen, 2016 54 Verurteilungen und 2017 bis jetzt schon 28 Ver­urteilungen. Es gab natürlich auch immer wieder Freisprüche, 2015 waren es neun, 2016 waren es 23 und 2017 waren es acht.

Es ist völlig normal, dass es immer eine gewisse Relation zwischen Verurteilungen und Freisprüchen gibt. Tatsache ist, die Zahl der Verurteilungen ist tendenziell steigend, und sie ist auch gestiegen.

Nach § 3d Verbotsgesetz hatten wir im Jahr 2016 eine Verurteilung und 2017 bereits zwei. 2015 gab es danach noch gar keine Verurteilung.

Nach § 3f Verbotsgesetz gab es 2015 zwei Verurteilungen, 2016 auch, 2017 haben wir noch offene Verfahren.

Nach § 3g, dieser ist relativ häufig in der Anwendung, gab es im Jahr 2015 67 Verur­teilungen, 2016 78, und heuer, 2017, haben wir bisher schon 21 Verurteilungen.

Nach § 3h gab es 2015 zehn Verurteilungen, 2016 vier, und 2017 haben wir bis jetzt schon drei Verurteilungen.

Das heißt, es ist das, was ich vorhin gesagt habe, auch mit der Statistik dokumentier­bar. Wir haben in diesem Bereich eine Steigerung der Anzahl an Anklagen, und wir ha­ben auch eine Steigerung der Anzahl an Verurteilungen. – Sie können es auch gerne in schriftlicher Form haben, dann haben Sie es noch detaillierter.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bun­desrat Jenewein zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrat Hans-Jörg Jenewein, MA (FPÖ, Wien): Herr Bundesminister, herzlichen Dank für diese Statistik, denn genau darauf bezieht sich auch meine Zusatzfrage. Sie haben soeben die Statistik der Verurteilungen gebracht. Wenn man sich die Statistik der An­zeigen anschaut, dann stellt man fest, die Zahl der Anzeigen ist im Verhältnis doch we­sentlich stärker gestiegen als die Zahl der Verurteilungen.

Im Vorfeld dieser Bundesratssitzung ist mir dazu die Aussage des Landespolizeidirek­tor-Stellvertreters Alexander Gaisch aus der Steiermark unter die Finger gekommen, der mitgeteilt hat, dass selbstverständlich gerade in einem Wahljahr, wie 2016 eines war, in dem wir fast ein Jahr lang Wahlkampf hatten, jede Hakenkreuzschmiererei, je­des Hitlerbärtchen, das sich auf einem Wahlplakat wiedergefunden hat, ebenfalls, wenn es denn zur Anzeige gebracht wurde oder wenn die Staatsanwaltschaft von sich aus aktiv geworden ist, in die Statistik der rechtsextremen Taten hineinfällt, obwohl die Mo­tivation laut Aussage des Herrn Landespolizeidirektor-Stellvertreters da mit Sicherheit ei­ner anderen politischen Gesinnung entspricht.

Meine Frage an Sie: Wird im Ministerium eine Statistik erstellt beziehungsweise sind Ih­nen persönlich Urteile beziehungsweise Erhebungen darüber bekannt, wo man im Zu­ge dessen wohl von einer rechtsextremen Tat ausgegangen ist, die sich aber im Nach­hinein nicht als solche herausgestellt hat?

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat! Die Frage ist durchaus berechtigt, aber sie lässt sich insofern relativ leicht beantworten, als man na­türlich immer zwischen Anzeigenstatistik und Verurteilungsstatistik unterscheiden muss. Die Anzeigenstatistik ist immer mit einer gewissen Vorsicht zu genießen, das ist klar.

Das Anzeigeverhalten hat sich sicher auch in diesem Bereich durch mehr Problem­bewusstsein und mehr Aktivitäten entsprechend gesteigert. Daher ist es auch die Auf­gabe der Justiz, da die Spreu vom Weizen zu trennen und letztlich das, was an straf­rechtlich relevantem Verhalten übrig bleibt, im Rahmen der unabhängigen Justiz einer


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Entscheidung zuzuführen. Man muss also die Anzeigenstatistik von der Verurteilungs­statistik strikt trennen.

Die Anzeigenstatistik ist auch etwas, das primär das BMI betrifft. Ich glaube aber, es würde keinen Sinn machen, abgesehen von der ohnehin evidenten Differenzierung die­ser beiden Statistiken, sich jetzt noch näher mit der Frage zu beschäftigen, warum aus einer bestimmten Zahl von Anzeigen eben nichts geworden ist. Da müsste man eigent­lich auf alle Fälle einzeln eingehen. Es ist letztlich immer auch eine Frage der Entschei­dung der unabhängigen Justiz. Das würde meines Erachtens keinen Sinn machen. Aber wir haben ohnehin diese strikte Unterscheidung der Statistiken, und ich glaube, wenn man das entsprechend beachtet – jeder, der sich näher mit der Materie beschäftigt, weiß, dass man das strikt unterscheiden muss –, ergeben sich die Antworten auch auf Ihre Fra­ge von selbst.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bun­desrat Stögmüller zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Herr Bundesminister! Sie ha­ben gesagt, dass es neue StaatsanwältInnen gibt. Ich glaube auch, dass die Staatsan­wältInnen zurzeit mit sehr viel Arbeit konfrontiert sind, gerade was Hasspostings und die Neuen Medien betrifft.

Meine Zusatzfrage lautet: Ab wann werden die fünf neuen StaatsanwältInnen eingesetzt? Ab wann stehen diese bereit, um sozusagen gegen Hasspostings vorzugehen? – Danke.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Was es bereits gibt, sind die­se, wenn Sie so wollen, Ermittlungsgruppen im Bereich der Staatsanwaltschaft bei den Staatsanwälten, die wir schon haben. Die fünf Planstellen haben wir vom Bundeskanz­leramt zugesagt bekommen, aber sie sind noch nicht umgesetzt, das heißt, diese fünf Staatsanwälte gibt es noch nicht. Wann es sie gibt, kann ich Ihnen jetzt nicht wirklich beantworten. Das hängt von einigen Faktoren und auch von einigen Imponderabilien ab, die ich derzeit nicht einzuschätzen vermag. Erst letzte Woche hat mir aber Frau Staatssekretärin Muna Duzdar, mit der ich auch in diesem Punkt ständig in Kontakt bin, gesagt, es wird gerade die Budgetierung dieser fünf Staatsanwälte verhandelt und auch sichergestellt. Das heißt, man kann davon ausgehen, dass das, wenn das budgetär ein­mal abgesichert ist, so bald wie möglich umgesetzt werden kann. Aber realistisch be­trachtet werden diese fünf neuen Staatsanwälte heuer ihre Tätigkeit wohl noch nicht auf­nehmen können. Das, denke ich, wird sich nicht ausgehen. Aber, wie gesagt, das hängt von vielen Faktoren ab, die ich derzeit nicht einzuschätzen vermag.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wir gelangen nun zur 3. Anfrage, 1907/M-BR/2017, und ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Mag. Pisec, um die Verlesung der An­frage.

 


Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Bundesminis­ter! Meine Frage lautet:

1907/M-BR/2017

„Welche Maßnahmen werden Sie gegebenenfalls unter Beteiligung weiterer zuständi­ger Regierungsmitglieder setzen, um die Überstellung von drittstaatsangehörigen Häft­lingen in ihren Heimatstaat, insbesondere nach Algerien und Nigeria, zu forcieren?“

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat! Die Frage ist wirklich berechtigt, denn es ist natürlich höchst unbefriedigend, dass wir immer wieder


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damit konfrontiert sind, dass wir auch Straftäter mit einer entsprechenden Staatsange­hörigkeit aus diesen Ländern haben, die wir aus verschiedensten Gründen nicht im We­ge der Überstellung zum Zweck des Strafvollzugs in ihre Heimatländer zurückbringen können.

Das hat zum Teil rechtliche Gründe, dabei denke ich insbesondere an Algerien und Ni­geria, das hat zum Teil aber auch faktische Gründe. Ich muss in Erinnerung rufen, dass wir an die Regelungen der Europäischen Menschenrechtskonvention, die in Österreich Verfassungsrang hat, gebunden sind. Das heißt, die Möglichkeit der Überstellung hängt bis zu einem gewissen Grad auch von den Verhältnissen in dem jeweiligen Land, in das überstellt werden soll, ab.

Weiters stellt sich die Frage, ob es überhaupt entsprechende Rechtsgrundlagen gibt. Ich sage Ihnen dazu ganz offen meine persönliche Meinung, ich habe das schon mehrfach so gesagt: Das ist ein Themenbereich, bei dem sich natürlich die Europäische Union als Institution viel leichter tut, entsprechende Regelungen mit solchen Staaten zustan­de zu bringen. Als Einzelstaat tut man sich da deutlich schwerer. Ich will aber nicht ver­hehlen, dass es Kontakte oder Versuche von Kontaktaufnahmen gibt. Ich habe auch persönlich schon einmal ein Gespräch mit dem Justizministerkollegen in Nigeria ge­habt. Wir haben auch Kontakte angebahnt, von denen ich hoffe, dass sie sich irgend­wann einmal tatsächlich positiv bemerkbar machen. Aber ich sage Ihnen ganz offen, es ist extrem schwierig und es ist unbefriedigend, weil man sich da auf einzelstaatlicher Ebene extrem schwertut. Da ist man in einer Situation, die extrem unbefriedigend ist, in der man eigentlich ansteht. Letztlich muss man schon sagen, dieses Problem sollte man, wenn es sich ergibt, sinnvollerweise, wenn rechtlich möglich, an der Wurzel bekämpfen.

Das Problem ist, dass es offenbar relativ leicht möglich ist, dass relativ viele Menschen aus solchen Staaten, in die wir sie nicht zurückstellen können, in unser Land kommen können. Da muss ich sagen, wir alle wissen, dass gerade mein Ministerkollege vom In­nenressort wirklich alles tut, um genau dieses Problem an der Wurzel anzupacken.

Ich kann das nur unterstützen, denn wenn jemand aus solchen Ländern einmal in Ös­terreich straffällig geworden ist und in Österreich in Haft ist, bin ich an ein Regelwerk gebunden, an das ich mich zu halten habe; ich tue das natürlich auch. Die Möglichkei­ten der Überstellung von Strafgefangenen zum Zweck des Strafvollzugs hängen dann nicht zuletzt von der Qualität des Strafvollzugs in diesen Ländern ab, gemessen an der Europäischen Menschenrechtskonvention, der ich natürlich verpflichtet bin.

So gesehen sind die Möglichkeiten begrenzt, aber Sie können sicher sein, die Mög­lichkeiten, die wir vorfinden, die wir haben und die wir wirklich aktiv suchen, die neh­men wir wahr. Wir haben im letzten Jahr bei der Überstellung in EU-Staaten schöne Erfolge gehabt, auch in Nicht-EU-Staaten wie Serbien. Da gibt es auch ständig Kon­takt, um den man sich persönlich bemühen muss, und ich tue das wirklich. Ich spreche immer mit den dortigen Kollegen, und das nicht nur einmal, sondern da muss man stän­dig dahinter sein. Im Vorjahr waren wir sehr erfolgreich bei Rumänien. Die Situation hat sich dann insofern verschlechtert, als es dort rasche Ministerwechsel gab. Daher se­hen Sie auch an diesem Beispiel, dass rasche Ministerwechsel im Justizressort nicht gut sind, weil sie sich in diesem Bereich absolut negativ auswirken; das muss ich schon sagen. (Heiterkeit bei der ÖVP.)

Jetzt gibt es einen neuen Kollegen in Rumänien, ich habe ihn bereits kennengelernt und mit ihm über das Thema Überstellungen gesprochen. Dieses Jahr werden wir uns auf Bulgarien – ich denke, da ist noch mehr möglich – und auch auf Serbien konzen­trieren. Ich bemühe mich um Kontakte zu den Staaten, die von Ihnen angesprochen worden sind, das ist im Fall von Marokko noch einfacher als im Fall von Algerien, aber ich persönlich empfinde die Situation, so, wie wir sie haben, das muss ich ganz offen und ehrlich sagen, als Staatsbürger auch als unbefriedigend.

 



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Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

 


Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA (FPÖ, Wien): Herr Bundesminister! Sie haben in Ihrer ausführlichen Erklärung alles gesagt. Ich habe nur noch eine ganz kurze Frage: Ich nehme an, Sie sprechen die fehlenden Rückführungsabkommen an. Verstehe ich das richtig? Sehen Sie da keine Chance, dass wir diese mit diesen beiden Ländern, die ich in der Fragestellung erwähnt habe, eines Tages erhalten können?

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Da gibt es einige Entwicklun­gen, die im Fluss sind. Man darf nicht vergessen, dass auch die Judikatur des Europäi­schen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg etwas ist, das sich immer wieder entwickelt, das sich verändert, auch solche Staaten betreffend. Sie wissen, dass sich etwa im Bereich des Innenressorts die Praxis der Abschiebungen, etwa nach Afghanis­tan – das geht mich jetzt nichts an, aber es ist interessant, das im Vergleich zu sehen –, verändert hat. In Deutschland hat sie sich schon vorher massiv verändert.

Das heißt, ich kann Ihnen nur sagen, wenn ich die Möglichkeit sehe, eine sinnvolle Rück­führung von Strafgefangenen in ihre Heimatländer zu organisieren – und nur das ist mein Zuständigkeitsbereich –, dann nehme ich sie natürlich wahr, selbstverständlich. Und wir sind aktiv auf der Suche nach diesen Möglichkeiten, wir warten nicht, bis sich so etwas ergibt.

Ein Aspekt noch: Man darf auch nicht vergessen, dass diese bilateralen Abkommen, sofern es sie gibt oder sie machbar sind, wechselseitig sind. Natürlich haben wir größ­tes Interesse daran, österreichische Staatsbürger, die in solchen Ländern in Haft gera­ten, möglichst rasch nach Österreich zu bringen. Das muss man auch sehen, das ist ei­ne wechselseitige Vereinbarung.

Der Zustand ist nicht so, wie er sein sollte, das sage ich Ihnen ganz offen, und es gibt da auch nichts zu beschönigen. Da wäre noch viel zu tun, es ist noch viel Luft nach oben. Aber auch wenn das eine kritische Anmerkung ist, muss ich sagen, das ist typi­scherweise ein Bereich, in dessen Richtung vielleicht auch die Europäische Union ihre Prioritäten stärker lenken sollte.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bun­desrat Oberlehner zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrat Peter Oberlehner (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Bundesmi­nister! Mich würde interessieren, wie sich diese Überstellungen von drittstaatsangehöri­gen Häftlingen in den vergangenen Jahren zahlenmäßig entwickelt haben.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Meinen Sie jetzt alle Dritt­staaten, auch die EU-Staaten, oder meinen Sie nur die Nicht-EU-Staaten? (Bundesrat Oberlehner: Eigentlich alle Staaten!)

Aus dem Gedächtnis kann ich Ihnen nur sagen, dass wir in Bezug auf die EU-Staaten im Vorjahr eine doch größere Zahl überstellen konnten. Aus dem Gedächtnis – meine Mitarbeiter suchen gerade die genauen Zahlen – waren es auf jeden Fall über hundert Personen, die wir im Vorjahr überstellen konnten. Noch eine Zahl, die ich im Kopf ha­be – aber ich bekomme gerade die genauen Zahlen. (Ein Mitarbeiter überreicht Bun­desminister Brandstetter schriftliche Unterlagen.) Also: Wir haben eine Gesamthaftka­pazität von knapp 9 000. Wir haben aber doch einige Hundert Strafgefangene, die für eine Überstellung in ihre Heimatländer in Betracht kommen. Das ist ungefähr die Re­lation. Das ist daher durchaus eine beachtliche Anzahl.

Ich habe hier eine genaue Statistik nach Staatsangehörigkeit jener Personen, die sich in Haft befinden, also aufgelistet nach Staaten. Wenn ich mir diese Gesamtzahl verge-


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 20

genwärtige – aller Staaten, nicht nur der EU-Staaten –, dann sind wir schon bei einer sehr hohen Zahl, nämlich insgesamt 2 000. Das heißt, wir haben 2 000 Strafgefangene, die aus Drittstaaten inklusive der EU-Staaten stammen. Und 2 000 in Relation zur Gesamt­kapazität von 9 000, das macht schon etwas aus. Nach den heutigen Kriterien würden 2 000 Strafgefangene normalerweise fünf Strafanstalten modernen Typs füllen. Das ist jetzt ein bisschen ein vereinfachter Vergleich, aber das ist natürlich auch ein Grund da­für, weshalb wir uns da massiv bemühen.

Die Zahlen betreffend die Überstellungen, die wir geschafft haben, sind hier nicht ent­halten, aber ich weiß, im Vorjahr, 2016, waren wir speziell gegenüber Rumänien sehr erfolgreich. Und wir haben in EU-Staaten Überstellungen geschafft, deren Größenord­nung im Bereich einiger Hundert Personen anzusiedeln ist.

Aber es ist so, wie ich gesagt habe, es ist da noch Luft nach oben. Natürlich ist das für uns auch deshalb wichtig, weil das ein entsprechender Kostenfaktor ist und spezifische Probleme mit einer entsprechenden Struktur der Insassenpopulation zusammenhän­gen. Das brauche ich Ihnen gar nicht aufzulisten.

Wir sind da wirklich gefordert und tun auch alles, damit wir mit dieser Situation entspre­chend fertig werden. Das erfordert viele Maßnahmen, das erfordert viele strukturelle Änderungen. Das ist letztlich auch mit einer der Gründe, weshalb wir, wenn wir ehrlich sind, mit Beginn meiner Amtszeit mit einer Strafvollzugsreform begonnen haben, die wahrscheinlich etwas Permanentes sein wird müssen, auch in Anbetracht der Verände­rungen, die sich bei der Insassenpopulation ergeben.

Ich kann nur sagen, dass wir bei den Überstellungen aktiv auf diese Staaten zugehen und alles tun, um diese Möglichkeiten zu nützen. Da bin ich auch im Einvernehmen mit dem Herrn Innenminister, da ziehen wir an einem Strang. Das muss ja auch so sein, denn Sie können sich vorstellen, es ist immer auch ein praktisches Problem: Wenn wir etwa auf dem Landweg Strafgefangene in ihr Heimatland Rumänien überstellen, dann brauche ich auch immer die Polizei dazu, denn die Möglichkeiten der Justizwache en­den an der Grenze. Der Weitertransport wird dann immer im Einvernehmen mit der Poli­zei organisiert. Da gibt es also eine enge Zusammenarbeit, eine enge Kooperation, und das ist auch wichtig.

Schaffen wir Überstellungen aus verschiedensten Gründen, die ich Ihnen erläutert ha­be, nicht, müssen wir wenigstens dafür sorgen, dass in den Justizanstalten, in denen wir eine sehr stark von Personen geprägte Population haben, die aus Staaten stam­men, gegenüber denen große Sprachbarrieren und große Mentalitätsunterschiede herr­schen, die sich dann auch niederschlagen, entsprechende Maßnahmen gesetzt wer­den. Und das tun wir. Das ist letztlich auch einer der Faktoren für die Maßnahmen, die wir zuletzt im Bereich der Justizwache, im Bereich der Aufstockung und im Bereich der Ausstattung der Justizwache, gesetzt haben, keine Frage.

Bisher konnten wir das Problem lösen, wir haben es geschafft, aber ich will nicht den Eindruck erwecken, wir hätten da kein Problem. Nein! Ich habe es auch immer gesagt, das ist ein gravierendes Problem, und es braucht entsprechende Maßnahmen. Bisher konnten wir es einigermaßen bewältigen, das schon.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bun­desrat Schennach zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Nach­dem man aus der Hauptfrage die Sorge nach der richtigen Resozialisierung für Häftlin­ge aus Drittstaaten heraushört, ist ja auch die Frage ... (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) – Das spürt man ja heraus, Kollegin. Kollege Pisec unterstreicht das ja.

Sie haben es angeschnitten, ein Thema ist ja auch, wie der Strafvollzug in Drittstaaten ausschaut.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 21

Meine Frage ist: Von den 2 071, glaube ich, ausländischen Häftlingen ist ja fast ein Vier­tel aus Serbien. Sollte man sich hier nicht eher auf Serbien konzentrieren? Das ist sehr nahe, und das wäre bereits ein Viertel dieser Häftlinge. Aus Nigeria sind es weniger als 140, aus Algerien noch weniger, deshalb meine ich, diese wären doch eher nicht so stark zu berücksichtigen.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat! Sie haben na­türlich völlig recht. Ich konzentriere mich auf jene Staaten, wo ich eine echte Chance se­he, Überstellungen vornehmen zu können. Selbstverständlich konzentriere ich mich ge­rade in letzter Zeit auch besonders auf Serbien. Selbstverständlich hat es da auch schon Kontakte mit den Vertretern Serbiens gegeben. Ich habe jetzt den Termin nicht im Kopf, aber ich glaube, es ist auch ein Besuch in Belgrad geplant. Und hier sehe ich Möglich­keiten, hier sehe ich Chancen. Daher wollen wir uns auch verstärkt darum bemühen. Da haben Sie völlig recht.

Es gibt natürlich Länder und Staaten, wo ich von vornherein weiß, da ist eine Überstel­lung rechtlich nicht möglich, denn würden wir das tun, würden wir in Straßburg verur­teilt werden. Das ist so. Das ist eine Vorgabe, das habe ich zu akzeptieren, das ist über­haupt keine Diskussion wert. Daher konzentriere ich mich natürlich auf die Staaten, in die eine Überstellung rechtlich möglich ist. Da muss man schauen, dass man es fak­tisch zustande bringt.

Aber Sie haben völlig recht, wie ich schon gesagt habe: Bulgarien und Serbien sind heuer ein gewisser Schwerpunkt.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer Zusatzfrage hat sich Frau Bundesrätin Dr. Reiter zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Mich würde noch interessieren, wie das eigentlich innerhalb der EU-Mitgliedstaaten gehandhabt wird. Ich habe heraus­gehört, dass es auch dort der persönliche Kontakt von Justizminister zu Justizminister ist. Werden hier sozusagen Übereinkünfte mit den einzelnen Staaten angestrebt, gibt es so etwas? Oder wird das innerhalb der EU als solches behandelt?, denn Menschen­rechtsprobleme dürfte es da ja nicht geben. Also: Wie schaut es da ganz konkret mit Rumänien, Bulgarien, der Slowakei und Ungarn zum Beispiel aus?

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Ja, was die EU-Staaten be­trifft, ist es ganz klar: Da gibt es ein entsprechendes Regelwerk der Europäischen Uni­on, an das alle Mitgliedstaaten gebunden sind. Da haben wir rechtlich überhaupt keine Probleme, es sei denn, es gäbe im Einzelfall Entscheidungen des Europäischen Gerichts­hofs für Menschenrechte in Straßburg, die uns sagen würden, dass man in bestimmte Staaten, auch EU-Staaten, derzeit nicht überstellen könnte, weil dort die Zustände un­ter dem Aspekt der EMRK nicht wirklich befriedigend wären oder jedenfalls nicht so, dass man EMRK-konform überstellen könnte.

Solche Entscheidungen gibt es immer wieder, auch einzelne EU-Staaten betreffend. An diese bin ich dann natürlich auch gebunden. Aber wie ich schon gesagt habe: Auch in diesem Bereich ist die Judikatur in Straßburg etwas, das im Fluss ist. Natürlich re­agieren solche Staaten, ist es doch mehr als peinlich, wenn man in Straßburg verurteilt wird, und man kann davon ausgehen, dass es dann doch innerhalb relativ kurzer Zeit entsprechende Verbesserungen gibt. Dann kann man wieder einen Anlauf machen.

Aber primär ist in so einem Fall einmal zu klären: Ist da rechtlich irgendwo ein Hin­dernis in Bezug auf die EMRK-Judikatur in Straßburg zu sehen?, und wenn das nicht der Fall ist, dann muss man die faktischen Möglichkeiten entsprechend nützen.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 22

Ich sehe übrigens gerade, die Statistik, die mir vorhin gegeben wurde, bezieht sich nur auf die Nicht-EU-Staaten. Das heißt, die Zahl 2 000, die ich genannt habe, betrifft nur Nicht-EU-Staaten, unter anderen eben auch Serbien. Und da hat der Herr Bundesrat völ­lig recht mit seinem Hinweis: Wir haben derzeit 427 Strafgefangene aus Serbien. Das ist eine relativ hohe Zahl, und auch das ist einer der Gründe, weshalb ich mich natür­lich auch auf dieses Land konzentriere.

Aber Sie sehen, ich muss immer schauen: Gibt es ein EMRK-Hindernis? Das ist na­türlich etwas ganz, ganz Wesentliches. Und wenn es keines gibt, dann können wir wei­tertun, und dann ergeben sich im Regelfall viele, viele faktische Probleme, die man halt dann auch überwinden muss. Es ist wirklich mühsam, ist aufwendig, kostet viel Kapa­zität. Aber, wie gesagt, gerade im Vorjahr war ich wirklich zufrieden mit dem, was wir da geschafft haben. Heuer wird es ein bissel zäher. Aber bei den Staaten, auf die ich mich jetzt konzentrieren will und die ich auch genannt habe, werden wir, denke ich, et­was zustande bringen.

Dort, wo es nicht um EU-Mitglieder geht, braucht es bilaterale Vereinbarungen. Mit den Staaten, wo es chancenreich ist, gibt es entsprechende Vereinbarungen, keine Frage, und mit den Staaten, die zuvor genannt wurden, da ist es mühsam. Ja, es ist so. (Bundes­rätin Reiter: Können Sie Zahlen für Rumänien, Bulgarien zum Beispiel nennen?)

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Eine weitere Zusatzfrage ist nicht möglich, Frau Bundesrätin!

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter (fortsetzend): Das kann ich Ih­nen gerne zukommen lassen, da gibt es genaue Zahlen. Wie gesagt, wir bewegen uns da im Bereich einiger Hundert. Wenn ich es vorher gewusst hätte, hätte ich es Ihnen mitgenommen. Das können Sie gerne bekommen. Ich habe die Zahl 116 für 2016 im Kopf, aber ich kann es jetzt nicht genau zuordnen, in welche EU-Staaten diese Über­stellungen erfolgt sind, wie sich diese Zahl aufteilt. Aber Sie können es gerne kriegen, wir haben die Statistik nur momentan nicht hier.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Vielen Dank, Herr Minister.

Wir kommen zur 4. Anfrage, 1912/M-BR/2017. Anfragestellerin ist Frau Bundesrätin Dr. Dziedzic. Ich bitte um die Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Minister! Wir wissen vom SPÖ-Justizsprecher, dass dieser sogenannte Bundestrojaner, der einige Zeit lang im Gespräch war, jetzt nicht kommen wird, dass sich aber die Regierung ge­einigt hat, eine Software anzuschaffen, die vor allem die Internettelefonate und WhatsApp-Nachrichten überwachen soll.

Was uns natürlich interessiert, ist, ob das innerhalb der bestehenden Gesetzeslage um­setzbar sein wird oder ob es doch Änderungen brauchen wird, wenn diese Software kommen soll. Können Sie dazu schon irgendetwas sagen?

*****

Die schriftlich eingebrachte Anfrage, 1912/M-BR/2017, hat folgenden Wortlaut:

„Soll eine Software, zu der sich ÖVP und SPÖ laut Medienberichten zufolge verstän­digt haben, die Internet-Telefonate bzw. Whatsapp-Chats überwachen kann, auf Basis der bestehenden Gesetze eingesetzt werden oder sind dafür weitere gesetzliche Ände­rungen geplant?“

*****

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 23

Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Bundesrätin! Die Ant­wort auf Ihre Frage muss sowieso länger ausfallen. Gestatten Sie mir daher, Frau Prä­sidentin, einen Nachtrag zur Frage von vorhin.

Ich habe jetzt die genauen statistischen Zahlen bekommen: Wir haben im Jahr 2016 nach Prüfung der rechtlichen Zulässigkeit 27 Ersuchen um Überstellung von Häftlingen an Drittstaaten gerichtet. 27, also nicht an EU-Staaten, sondern an Drittstaaten. Davon waren sechs erfolgreich. Sie sehen, da ist Luft nach oben, das ist unbefriedigend, aber immerhin: 27 Mal haben wir es probiert, und in sechs Fällen waren wir erfolgreich.

Und bei den EU-Staaten ergibt sich für 2016 folgende Zahl – in etwa habe ich es eh richtig im Kopf gehabt –: Rumänien: 91 erfolgreiche Überstellungen, Slowakei: 31 – gut, da haben wir nicht so viele –, Ungarn: 41. Das sind die aktuellen Zahlen aus dem Jahr 2016.

Ich erwarte für heuer geringere Zahlen im Fall von Rumänien aus den faktischen Grün­den, die ich genannt habe, aber wir sind da weiter wirklich dahinter und bemühen uns mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wirklich. Davon können Sie ausgehen.

Was jetzt die Frage nach dem sogenannten Bundestrojaner betrifft, muss ich ganz ehr­lich sagen: Ich bin froh über die Gelegenheit, hier noch einmal sagen zu können: Den Bundestrojaner gibt es nicht! Das ist eine Schimäre, das ist ein Gespenst, das immer wieder an die Wand gemalt wird von manchen Medien, von Leuten, die halt immer nach der Methode vorgehen: Man malt ein riesiges Gespenst an die Wand, dann bekämpft man dieses Gespenst, und dann lässt man sich als der große Ghostbuster und Geis­terjäger medial feiern. Aber es ist ein Gespenst, mehr ist es nicht! Das ist nichts Realis­tisches!

Worum geht es denn wirklich? – Und da muss ich wirklich sagen: Bleiben wir auf dem Teppich! Ich möchte das mit einem ganz einfachen historischen Beispiel erklären, das alle von uns im Kopf haben. Es ist völlig unbestritten, dass die Telekommunikation auch über Handys überwacht werden kann, mit allen rechtsstaatlichen Kautelen, mit allen Si­cherheitseinrichtungen, mit richterlicher Kontrolle, mit nachfolgender Kontrolle durch Rechtsschutzbeauftragte, was auch immer. Es geht um die Möglichkeit der Überwa­chung bei einem normalen Anschluss, bei einem Festnetzanschluss, aber auch bei ei­nem normalen, angemeldeten Handy.

Vor etwa 15 Jahren – ich kann mich noch gut daran erinnern – hat der damalige Poli­zeichef Alarm geschlagen und hat gemeint, die Wertkartenhandys, die damals neu auf den Markt gekommen sind, stellen eine Überwachungslücke dar, wir können sie nicht überwachen. Wir können normale Handys, das heißt angemeldete, überwachen, aber nicht die Wertkartenhandys. So war es damals.

Daraufhin war völlig klar, diese Lücke der Überwachung muss man schließen, es kann nicht sein, dass jetzt potenzielle Straftäter oder schon wirklich als solche zu bezeich­nende Straftäter ganz bewusst auf Wertkartenhandys umsteigen, weil sie genau wis­sen, diese Gespräche kann man nicht überwachen. Das geht nicht, das ist eine Lücke, die man schließen muss. Sie wurde auch geschlossen, mit relativ großem technischem Aufwand. Wertkartenhandys können seit einigen Jahren problemlos überwacht wer­den. Die Polizei hatte damals recht mit ihrem Hinweis: Bitte, tut etwas! Gesetzgeber, du musst da etwas tun!

Es ist halt immer so, der technische Fortschritt ist immer schneller, als die Legistik es je sein kann. Jetzt haben wir genau dasselbe strukturelle Problem, nichts anderes: Wir stel­len fest, dass die internetbasierte Telekommunikation, WhatsApp, Skype, für unsere Be­hörden nicht überwachbar ist. Daher kann es sich ein Straftäter, wenn er so ein Gerät hat, aussuchen: Nützt er den normalen Telekommunikationsweg, dann ist es überwach­bar, nützt er WhatsApp oder Skype, dann weiß er ganz genau, die Behörden können die­se Telefonate nicht überwachen. Das ist daher wieder eine Überwachungslücke.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 24

Das heißt, von den Grundbedingungen her, von der Wertungslage her ist es genau das­selbe, nicht mehr. Und es geht jetzt nur darum, diese Endverschlüsselung bei dieser Telekommunikation, die internetbasiert ist, zu knacken – um nicht mehr. Es geht nicht um eine Online-Überwachung, das wäre dann am ehesten so etwas wie ein Trojaner, und das würde letztlich ja auch – juristisch betrachtet – am ehesten dem entsprechen, was absolut unzulässig ist, nämlich einem Erkundungsbeweis: Man sucht in irgendei­nem Netz nach irgendetwas Verdächtigem. Nein, das ist es nicht!

Ich brauche eine Kommunikation, die ich mehr oder weniger mit Eckdaten fixieren kön­nen muss, die eben internetbasiert und entsprechend verschlüsselt erfolgt, aber es muss immer diese Datenübertragung, diese Datenübermittlung sein, nichts anderes. Das ist kein Trojaner, das war auch nie geplant, und wir haben auch gemeinsam in Gesprächen mit dem Koalitionspartner klargestellt, dass so etwas sicherlich nicht kommen wird und kommen kann, das will auch niemand, aber wir wollen diese Überwachungslücke bei der Telekommunikation einfach geschlossen haben. Das braucht die Polizei, das ist auch so weit in Ordnung.

Ich kann zusammenfassend nur sagen: Wir haben einen Entwurf fertiggestellt, der liegt seit 8. März beim Koalitionspartner, und es gibt hier schon technische Probleme, die man sich anschauen muss, das ist schon richtig. Es gibt da oder dort immer wieder noch die Befürchtung, dass das jetzt der böse Trojaner ist. Ich sage Ihnen noch einmal: Nein, er ist es wirklich nicht! Es ist nichts anderes als die technisch komplizierte Über­wachung der internetbasierten Telefonkommunikation, mehr nicht. Mehr ist nicht ge­plant. Natürlich sind hier auch alle rechtsstaatlichen Kautelen einzubauen, die es nur gibt, auch das ist klar, auch mit entsprechenden Verwertungsverboten, eindeutigen Ver­wertungsverboten für den Fall, dass sich diese Überwachung letztlich als nicht zulässig oder nicht tatsächlich fundiert erweist.

Also so, wie wir das jetzt geplant haben, ist es wertungsmäßig wirklich nichts anderes als das Schließen einer Lücke. Theoretisch können wir ja aufgrund der jetzigen Rechts­lage jede Telekommunikation bei entsprechender Verdachtslage mit richterlicher Bewil­ligung und so weiter und so fort überwachen, nur scheitern wir bei dieser Art von Tele­kommunikation an der Verschlüsselung. Daher müsste man jetzt diese Verschlüsselung knacken können, mit entsprechenden rechtsstaatlichen Kautelen, damit man genau wie­der in dem Bereich ist, in dem wir seit vielen Jahren sind, nämlich: Normale Telekommu­nikation kann überwacht werden.

Darum geht es und um nicht mehr. Ich habe auch den Eindruck, dass wir da schon re­lativ bald zu einem Einverständnis kommen werden dahin gehend, dass wir gemein­sam in der Regierung diesen Regelungsvorschlag auch umsetzen werden können. Es ist wirklich nicht mehr dahinter.

Es wurde im Vorfeld immer wieder auch die Befürchtung geäußert, das wäre eine Mög­lichkeit, die man missbrauchen könnte. Das Argument möchte ich ganz bewusst aktiv hier ansprechen, denn das Argument kommt generell, dem steht man immer gegen­über. Ich meine, natürlich könnte theoretisch immer auch die Gefahr bestehen, dass Ein­griffsbefugnisse des Staates missbraucht werden. Das wollen wir nicht, und das hat auch entsprechend scharfe strafrechtliche Konsequenzen. Aber mehr als diese ganz ge­nerelle Gefahr, die man überall hat, spezifisch jetzt auf diesen Themenbereich bezo­gen, sehe ich hier wirklich nicht.

Ich glaube, dass wir diese Möglichkeit wirklich brauchen, jetzt nicht nur in Bezug auf Bekämpfung des Terrorismus – da wissen wir, dass es dringend notwendig ist, dieses Instrument zu haben –, sondern überhaupt zur Bekämpfung der Schwerstkriminalität, und um diese geht es ja hier, es ist ja entsprechend eingeschränkt. Um hier erfolgreich sein zu können, müssen wir die Telekommunikation wirklich auch dort überwachen kön-


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 25

nen, wo sie verschlüsselt erfolgt, und nicht nur dort, wo es eben bis vor wenigen Jah­ren diese Verschlüsselung gar nicht gegeben hat. Das ist der aktuelle Stand.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

 


Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Als Zusatzfrage vielleicht wirklich nur zusammenfassend: Das heißt, der Trojaner ist ein Ghostbuster, sagen Sie, und die Verwendung der Software, die dann ergänzend zur Entschlüsselung vor allem der In­ternetdienste eingesetzt werden soll – das ist nachvollziehbar –, führt, soweit ich das he­raushöre, nicht zu einer Gesetzesänderung. Zumindest soll das jetzt nicht ein Anlass­fall sein, hier auf Gesetzesebene etwas anpassen zu müssen. Liege ich da richtig?

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Eine Änderung im Sinne ei­ner Klarstellung der Eingriffsbefugnisse braucht es schon, denn alles andere wäre auch rechtsstaatlich nicht sauber. Aber auf Ihre Frage zurückkommend: Das ist kein Troja­ner, und es wird keinen Trojaner geben! Der Trojaner wäre auch kein Ghostbuster, son­dern im Gegenteil, das ist der Ghost, das ist der Geist, das Gespenst, das immer wie­der an die Wand gemalt wird. Die Ghostbusters sind ja die, die die Geister bekämpfen. Ich weiß nicht, ob Sie die „Ghostbusters“ kennen, möglicherweise sind Sie ... (Ruf bei der ÖVP: Sie ist zu jung!) – Sie ist zu jung, gell? Es ist ein Jammer, sie ist zu jung, sie kennt das nicht, aber ich kenne natürlich die „Ghostbusters“ aus den Achtzigerjahren sehr gut und war auch ein Fan von ihnen.

Wenn Sie so wollen: Im Zweifel stehe ich auf der Seite der Geisterjäger, keine Frage, aber man muss schon einmal klar sagen, diese Befürchtungen sind wirklich übertrie­ben und prägen zum Teil die öffentliche Diskussion in einer Art und Weise, über die ich mich wirklich nur wundern kann, wo ich mich frage: Woher kommt das jetzt? Was ha­ben die da für Befürchtungen, wodurch werden die genährt? – Gut, soll sein.

Ich kann Ihnen nur sagen, für mich zählen Daten und Fakten, und daher wollte ich Ih­nen noch einmal, weil ich es da schön zusammengefasst habe, zur Klarstellung sagen: Es gibt folgende Grundbedingungen, auch im Rahmen dieses Entwurfs, der jetzt beim Koalitionspartner liegt:

Erstens darf es nur um einen Übertragungsvorgang gehen. Es muss eine konkrete Über­tragung von Daten, von Kommunikationsdaten sein. Es ist keine Online-Überwachung, wo ich mehr oder weniger auf gut Glück schaue, wo etwas sein könnte. Nein, das wäre eben, wie ich gesagt habe, ein Erkundungsbeweis, und das geht nicht, das ist es nicht.

Es müssen diese übertragenen Daten, die überwacht werden dürfen, genau definiert werden können, sonst kann ich sie ja nicht konkret überwachen. Und es geht nur um die Installation eines Programms, um dadurch eine Verschlüsselung beim Senden, Über­mitteln oder Empfangen der Nachrichten und Informationen zu überwinden. Nur darum geht es. Es geht immer um Nachrichtenkommunikation, die wertungsmäßig schon bis­her überwacht werden kann, aber technisch halt noch nicht.

Es gibt zusätzlich entsprechende Protokollierungspflichten, die vor allem den Vollzug der Maßnahme genau nachvollziehbar und überprüfbar machen. Das ist wichtig, um der theoretisch denkbaren Missbrauchsgefahr entgegenzuwirken. Es gibt natürlich auch entsprechende Schutzmaßnahmen, die ohnehin selbstverständlich sind: gerichtliche Be­willigung im Einzelfall, umfassende begleitende und auch nachträgliche Kontrollrechte des Rechtsschutzbeauftragten, der dafür auch – auch das ist neu – entsprechende IT-Sachverständige heranziehen kann, und strenge Verwendungsverbote für unzulässig er­hobene Daten und Zufallsfunde.

Insofern ist dieser Entwurf rechtsstaatlich wirklich auf der Höhe der Zeit. Im Fall des Falles brauchen wir das wirklich, und daher will ich, dass wir das möglichst rasch um­setzen können.

 



BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 26

Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bun­desrat Pum zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrat Ing. Andreas Pum (ÖVP, Niederösterreich): Geschätzter Herr Minister! Wir haben es gerade gehört, hier geht es eigentlich um das Schließen einer Datenlücke, was als dringend notwendig angesehen wird. Das ist ein Verfahren, das im Laufen ist, aber meine Frage geht jetzt dahin: Inwieweit würde sich ein Schließen dieser Lücke auch auf die Wahrheitsfindung in Verfahren auswirken? Wie schaut das in Bezug auf die Straf­taten tatsächlich aus?

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat, das ist über­haupt keine Frage, und jeder Praktiker wird Ihnen das bestätigen, dass die Überwa­chung der Telekommunikation eine ganz wichtige Waffe im Bereich der Verbrechens­bekämpfung ist. Daher können Sie mit Sicherheit davon ausgehen, dass diese Über­wachungsmöglichkeit auch größere Erfolge bei der Verbrechensbekämpfung bringen würde – mit Sicherheit, das ist überhaupt nicht zu bestreiten. Die Sicherheitsbehörden erwarten sich davon sehr viel und ich auch. Ich glaube, wir brauchen das, ich glaube, es macht Sinn.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Bun­desrätin Posch-Gruska zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrätin Inge Posch-Gruska (SPÖ, Burgenland): Sehr geehrter Herr Minister! Sie sind ja bekannt für Ihre umfassenden Antworten, daher darf ich mich recht herzlich be­danken, dass Sie mir geantwortet haben, bevor ich gefragt habe. Meine Zusatzfrage hat sich erübrigt.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bun­desrat Herbert zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Herr Bundesminister! Natürlich bin ich völlig bei Ihnen, wenn Sie sagen, dass man auf die neuen kriminellen Heraus­forderungen in der Internetkriminalität reagieren muss und dass man auch die entspre­chenden Mittel dafür zur Verfügung haben muss, allerdings hat mich jetzt Ihre Erklä­rung doch etwas hellhörig gemacht, denn: Sie haben zwar gesagt, es gibt keinen Bun­destrojaner, sondern es geht da nur um eine Decodierung der Endverschlüsselung.

Nun wissen wir, dass diese Decodierung der Endverschlüsselung technisch genau dem nahekommt, was eigentlich unter dem Titel Bundestrojaner immer diskutiert wird, näm­lich dem Einsetzen einer Hardware beim Endverbraucher direkt vor Ort, ohne dass die­ser etwas davon weiß.

Das geht nicht online, über Internet, durch Einspielung von Programmen. Das heißt, man muss in das Objekt hinein, muss dort eine Software installieren, auf das Endgerät ab­zielen und von dort quasi dann die Daten über dritte Wege absaugen.

Jetzt frage ich mich, wo dann da der technische Unterschied zu dem diskutierten Bun­destrojaner ist, wenn das, Ihren Aussagen entsprechend und natürlich auch richtiger­weise, nur die Dekodierung der Endverschlüsselung ist. Vielleicht könnten Sie mir das noch einmal kurz erklären!

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat, ich habe ja den Begriff Bundestrojaner nicht in die Diskussion eingeführt. Ich – und da gibt es na­türlich Unschärfen, weil es keine genaue Definition gibt – habe darunter immer eine Online­überwachung in jede Richtung verstanden. So wurde es auch immer wieder, jedenfalls mir gegenüber, kommuniziert.


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Ich glaube, man sollte sich jetzt aber nicht mit Begriffen und ihren Definitionen herum­schlagen, vor allem weil es keine verbindlichen Definitionen geben kann. Wenn Sie so wollen, wenn Sie weiter zur Verwirrung in der veröffentlichten Meinung beitragen wol­len, dann nennen Sie ruhig diese Dekodierung der Verschlüsselung bei Kommunika­tionsvorgängen Bundestrojaner. Dann werde ich wieder sagen, das ist es meines Er­achtens nicht. Aber wenn Sie es so nennen wollen, wenn irgendjemand wieder Geister an die Wand malen will, weil er genau weiß, mit diesem Begriff ist in der Einschätzung der Bevölkerung etwas sehr Schlechtes verbunden, damit wird etwas Schlechtes kon­notiert – na, soll sein.

Darum habe ich vorhin schon gesagt, ich bleibe bei Daten und Fakten. Und da kann ich nur sagen: Es geht um das Schließen einer Überwachungslücke. – Punkt. Aus. Bas­ta. Nennen Sie ihn Bundestrojaner, was immer Sie wollen, das ist mir völlig gleichgül­tig. Reden Sie vom Bundestrojaner, reden Sie von Landestrojanern, Sie werden nir­gendwo eine gesetzliche Definition des Begriffes Bundestrojaner finden. Aber Sie fin­den exakte Definitionen jenes Gesetzes, das wir jetzt in Abstimmung mit dem Koali­tionspartner verwirklichen wollen. Da finden Sie ganz genau geregelt, um welche Art von Kommunikation und welche Art von Verschlüsselung es geht. Und darüber sollten wir reden! – Daher hat es gar keinen Sinn, diese ohnehin unscharfen und unterschied­lich verwendeten Begriffe auch weiter zu pflegen.

Ich habe einmal gesagt – ein Mal habe ich diesen Begriff verwendet –: Erstens, der Bun­destrojaner, so wie ich ihn verstehe, kommt nicht. Und zweitens, es ist mir eigentlich nur unter einem Aspekt um den Bundestrojaner leid: Er wäre mit Sicherheit der flei­ßigste Beamte gewesen, den es jemals gegeben hat. – Aber das kommt eben nicht. Es wird den Bundestrojaner, so wie ich ihn verstanden habe, nicht geben, sondern es gibt ein Schließen der Überwachungslücke im Bereich der internetbasierten Telekommuni­kation. Das ist gut, das ist richtig, das ist notwendig. Wer dagegen ist, soll dagegen sein, wenn er das eben nicht haben will, dass die Sicherheitsbehörden mit rechtsstaat­licher Kontrolle, sehr strenger Kontrolle, diese Verschlüsselung aufheben können, um an diese Art der Kommunikation heranzukommen.

Da sind wir grundsätzlich anderer Meinung. Ich bleibe dabei: Wir brauchen das, wir wol­len das und wir werden das bekommen – im Interesse einer effektiveren Verbrechens­bekämpfung. Ist so! Ob Sie jetzt von einem Bundestrojaner reden oder nicht, ist mir völlig gleichgültig.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wir kommen zur 5. Anfrage, 1910/M-BR/2017. Ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Forstner, um die Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrat Armin Forstner, MPA (ÖVP, Steiermark): Herr Minister! Weg von der Über­wachung, hin zum Personal:

1910/M-BR/2017

„Welche Schritte wurden gesetzt, um die freien Planstellen im Bereich des Strafvoll­zuges beziehungsweise bei der Justizwache mit geeignetem Personal besetzen zu kön­nen?“

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat, auch die Be­antwortung dieser vermeintlich einfachen Frage ist gar nicht so einfach. Warum? – Wir haben zusätzliche neue Planstellen bekommen, das war aufgrund der Probleme, die sich uns im Bereich des Strafvollzuges gestellt haben – das habe ich ja vorhin bereits er­wähnt –, auch absolut notwendig. Die Zahl dieser neuen Planstellen ist erfreulicherwei­se insgesamt relativ hoch, aber wir haben derzeit noch immer Planstellen in nicht uner­heblicher Zahl, die wir noch nicht besetzen konnten. Das macht die Dinge kompliziert.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 28

Jetzt werden Sie mit Recht fragen: Wieso gibt es das? Wieso könnt ihr diese freien Planstellen nicht besetzen? Die sind ja vorhanden, die könnten wir doch wirklich beset­zen! Gibt es sonst kein Problem?

Ja, das hat damit zu tun, dass natürlich das Anforderungsprofil eines Justizwachebe­amten ein doch sehr hohes ist, das muss man schon auch sagen. Es geht da nicht nur um sozusagen das sichere Verwahren, wenn Sie so wollen, vereinfacht gesagt das Ein­sperren von Insassen, nein, es geht um deren Betreuung. Das ist mehr. Das ist letztlich eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit, und daher gibt es auch anspruchsvolle Aufnahme­tests. Und bei diesen Aufnahmetests haben wir derzeit doch eine Durchfallquote von rund 80 Prozent – ich glaube, 20 Prozent kommen derzeit durch –, und das macht es ein bisschen kompliziert.

Jetzt sage ich Ihnen ganz offen, jetzt könnte man theoretisch auf die verfehlte Idee kom­men: Na gut, gehen wir halt mit den Anforderungen herunter und lassen wir halt mehr durch! – Das kommt für mich nicht in Frage. Das geht nicht. Ich bin auch der Justizwa­chegewerkschaft sehr dankbar dafür, dass sie da auch an einem Strang zieht und auch durchaus in Kauf nimmt, dass es momentan immer wieder Engpässe gibt, die wir dann eben durch Umschichtungen auszugleichen versuchen.

Aber ich glaube, dass es auch eine Frage der Gerechtigkeit ist. Es wäre höchst unge­recht gegenüber den jetzt Dienst tuenden Justizwachebeamten, die einen tollen Job machen – die haben es wirklich nicht leicht bei dem, was sie tun –, jetzt einfach bei den künftigen die Anforderungsvoraussetzungen herunterzuschrauben. Das tun wir sicher nicht. Aber das ist auch einer der Hauptgründe dafür, dass wir eben noch nicht alle Plan­stellen besetzen konnten.

Wir haben jetzt eine Offensive gestartet, weil ich den Eindruck habe, es ist auch noch zu wenig im Bewusstsein der Bevölkerung verankert, dass das ein wirklich zwar an­strengender und fordernder, aber letztlich auch interessanter Beruf ist, der mit einer letzt­lich, genau genommen, pädagogischen Tätigkeit verbunden ist. Daher haben wir jetzt je­de Gelegenheit genützt, auch medial darauf aufmerksam zu machen.

Ja, unser Ressort ist, glaube ich, das einzige, das, wie Sie wissen, über kein Inseraten­budget verfügt. Die einzelnen Justizanstalten haben jetzt teilweise lokal inseriert. Ich ha­be jede Gelegenheit genützt, darauf hinzuweisen – und bin dankbar dafür, dass es von den Medien auch aufgenommen wurde, dass ich das gesagt habe –: Ja, wir suchen weiterhin Justizwachebeamtinnen und Justizwachebeamte, und man kann sich derzeit bei uns auch bewerben. Auf unserer Homepage gibt es nähere Hinweise. – Wir suchen tatsächlich Leute, und ich hoffe, dass wir die offenen Planstellen möglichst rasch be­setzen werden können.

Ergänzend dazu möchte ich sagen – weil ich diesbezügliche Fragen auch vielen Ge­sprächen mit Menschen aus der Bevölkerung entnommen habe –: Es ist nicht so, dass jetzt in den Justizanstalten Zustände herrschen würden, angesichts derer man als Jus­tizwachebeamter oder als Interessent für diesen Beruf sozusagen nur sagen könnte: Hände weg! – Nein, wir liegen nach wie vor unter dem Höchststand an Insassen, den wir im Jahr 2007 hatten. Wir haben derzeit einen Auslastungsgrad der Kapazität, der, glaube ich, circa bei 90 Prozent liegt; das wurde auch kürzlich in den Medien so wie­dergegeben.

Das heißt, wir haben hier wirklich – darauf können Sie vertrauen – geordnete Verhält­nisse. Wir haben allerdings das Problem einer Steigerung des Aggressionspotenzials und auch einer Steigerung von Attacken gegen Justizwachebeamte. Wir haben auch ei­niges getan, um das abzuwehren, nicht zuletzt durch eine deutliche Erhöhung der Straf­drohung mit dem letzten StGB-Paket, das ja vor 14 Tagen, oder eigentlich erst letzte Woche, durch den Ministerrat gegangen ist – das wird mit September auch in Kraft tre-


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 29

ten –, damit jeder, der einen Justizwachebeamten attackiert oder in irgendeiner Form ge­waltsam gegen ihn vorgeht, weiß, das ist kein Kavaliersdelikt, da passiert etwas – näm­lich auch dann, und das ist auch wichtig, wenn es zu keiner Verletzung geführt hat.

Und wir hatten in letzter Zeit – Gott sei Dank, natürlich – mehr Fälle von Attacken, die ohne Verletzungsfolgen blieben. Warum? – Weil wir die Justizwachebeamten mit einer Schutzausrüstung ausgestattet haben, die das im Regelfall oder in immer mehr Fällen verhindert.

Daher kann ich nur sagen, es ist ein interessantes Berufsbild und ein Beruf mit einem, glaube ich, durchaus attraktiven Dienstgeber, der Justiz. Ich kann daher auch bei die­ser Gelegenheit nur alle ermuntern, dass sie sich das wirklich überlegen und sich ein­mal bewerben.

Wie gesagt, die Anforderungen sind hoch, auch der Aufnahmetest bleibt selektiv, aber wenn man es einmal geschafft hat, ist der Beruf ein sehr interessanter. Und deshalb ist es mir auch wichtig, das auch wirklich bewusst zu machen. Das ist auch eine Einla­dung an Sie alle, meine Damen und Herren Bundesrätinnen und Bundesräte – das ist so wichtig! –: Nützen Sie wirklich die Möglichkeit! Sie können jederzeit Haftanstalten besuchen. Wir können Ihnen das organisieren. Es ist mir auch wichtig, hier ganz offen und transparent zu sein und jedem Mandatar, jeder Mandatarin die Chance zu geben, sich das einmal anzuschauen, um zu sehen, was da an toller Arbeit von der Justizwa­che geleistet wird. Es ist zu wenig bekannt.

Und ein zweiter Grund, weshalb wir Schwierigkeiten mit der Rekrutierung und der Nach­besetzung haben: Sie wissen, natürlich überschneiden sich hier die Kreise der Interes­senten für solche Tätigkeiten mit der Polizei und vielleicht auch mit dem Bundesheer, und daher gibt es eben momentan auch eine gewisse Begrenzung der Anzahl von Per­sonen, die an so etwas interessiert sind. Wir suchen teilweise nach derselben Klientel, und auch das führt dazu, dass wir bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht alle Planstellen besetzen konnten. Aber es geht voran. Wir verzeichnen jetzt laufend auch wieder Zu­gänge, und es schaut nicht so schlecht aus.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Herr Bundesrat Forstner.

 


Bundesrat Armin Forstner, MPA (ÖVP, Steiermark): Der Herr Minister hat die Zu­satzfrage bezüglich der Übergriffe schon beantwortet. – Danke.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bun­desrat Mag. Lindner zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


Bundesrat Mag. Michael Lindner (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Bundes­minister, sehen Sie angesichts der schon angesprochenen angespannten Personalsi­tuation nicht auch die Gefahr, dass das sehr engagiert arbeitende Personal die im Straf­vollzugsgesetz festgelegten Ziele des Strafvollzuges nicht im vollen Ausmaß erreichen kann?

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Diese theoretische Gefahr, Herr Bundesrat, habe ich immer gesehen, und ich habe daher auch von Anfang an ver­sucht, dem mit allem, womit ich kann, entgegenzuwirken – selbstverständlich. Deshalb gibt es auch regelmäßigen Kontakt mit der Justizwachegewerkschaft und ihren Expo­nenten, weil ich weiß, dass sie derzeit unter Bedingungen, die wirklich schwierig sind, arbeiten müssen. Da oder dort ist es schon besser geworden, aber insgesamt ist es schon richtig: Ich denke – um es so formulieren zu dürfen, wie Sie es, glaube ich, ge­meint haben –, die Gefahr einer Demotivierung des Justizwachepersonals besteht theo­retisch, aber durch die Qualität unseres Justizwachepersonals besteht sie faktisch nicht,


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weil – und das ist jetzt meine Aufgabe – ich auch der Justizwache doch die Perspektive geben kann: Schaut, es ist momentan wirklich schwierig, aber wir haben neue Planstel­len, wir sind im Besetzungsprozess, es bessert sich die Situation, es wird wirklich bes­ser, und ihr könnt sicher sein, wir stehen hinter euch, wir schützen euch besser, fak­tisch und legistisch.

So gesehen ist das ein wichtiger Beitrag dazu, dass die Motivation nicht beeinträchtigt wird, denn ohne entsprechende Motivation, gerade durch das sehr selektive Anforde­rungsprofil an diesen Berufsstand, ist natürlich ein Erfolg des Strafvollzuges – und das ist in erster Linie die Resozialisierung – nicht möglich. Da ist es unsere Justizwache, die an vorderster Front die wesentlichen Dinge tun muss, um das auch zu gewährleis­ten und um da Erfolge zu sichern.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bun­desrat Längle zu Wort gemeldet. – Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Bezugnehmend auf die Fragen der Vorredner: Personal ist doch ein wichtiges Thema, und ich hoffe nicht, dass Sie jetzt vielleicht gar vom Justizressort abwandern. Es wäre ja möglich, dass Sie jetzt andere frei gewordene Stellen, zum Beispiel die des Vizekanzlers, wahrnehmen. (Heiterkeit des Bundesministers Brandstetter sowie bei Bun­desräten von ÖVP und SPÖ.) Das wäre zumindest möglich.

Das Thema Personal ist immer im Brennpunkt, und vor rund 10, 12, 13 Jahren hat es auch diese Aktionen gegeben, in deren Rahmen Personal von anderen Ressorts, insbeson­dere vom Ressort der Landesverteidigung, zum Justizressort abgewandert ist. Dafür gab es auch Werbeveranstaltungen.

Meine Frage ist nun: Ist wieder geplant, dass von anderen Ressorts Personal zum Justiz­­ressort wandert? Gibt es dafür besondere Maßnahmen?

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat, dies nur vor­weg: Ich habe keinerlei Ambitionen, in welche Richtung auch immer. Ich mache meine Tätigkeit sehr, sehr gerne. Und wenn wir noch die Möglichkeit haben, das eine oder an­dere, was noch offen ist, umzusetzen, dann freue ich mich darüber.

Das von Ihnen angesprochene Mobilitätsprogramm des Bundes läuft natürlich weiter. Wir haben mit durchaus großem Erfolg immer wieder auch Bedienstete vom Verteidigungs­ressort und von anderen Ressorts des Bundes übernommen, auch im Justizministe­rium selbst. Also das läuft weiter, ist davon unabhängig, aber wie Sie wissen, ist die Zahl derer, die im Verteidigungsressort für andere Tätigkeiten beim Bund frei werden würden, entsprechend geringer. Das ist auch gut so, und wir müssen eben schauen, dass wir die Justizwache vor allem mit jungen Menschen aufstocken, die sich für die­sen Beruf interessieren und die darin auch einfach die Möglichkeit sehen, mit Men­schen zu arbeiten, und das auch gerne tun. Das ist das Wesentliche. Dafür ist das An­forderungsprofil natürlich ein sehr spezifisches, und man muss schon gezielt nach Men­schen mit diesem Anforderungsprofil suchen – und das tun wir weiterhin.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Bun­desrätin Mag. Schreyer zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Sehr geehrter Herr Minister! Von wie vielen Stellen sprechen wir? Wie viele Planstellen circa sind im Moment unbesetzt?

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminis


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 31

ter.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Bundesrätin, um Ihnen die genaue Zahl sagen zu können, müssen Sie mir erlauben, in die vorbereiteten Un­terlagen zu blicken. Wir haben derzeit zur aktuellen Besetzung offen – geben Sie mir nur eine Sekunde ... (Der Redner blättert in seinen Unterlagen.) – Wenn Sie sich dafür interessieren, Frau Bundesrätin: Sie können sich jedenfalls jetzt im Mai noch bewer­ben. (Allgemeine Heiterkeit.) Sie sind noch jung genug.

Derzeit ausgeschrieben haben wir und zur Besetzung anstehen würden rund 150. Da­rin sind aber diejenigen Planstellen enthalten, die durch normale Pensionierung frei ge­worden sind; das sind nicht nur diejenigen, die uns neu zugewiesen wurden. Also rund 150 Planstellen haben wir derzeit zu vergeben.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bun­desrat Mag. Zelina zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


Bundesrat Mag. Gerald Zelina (STRONACH, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Minister, vielen Dank für Ihre ausführlichen Antworten. Meine Frage wurde bereits be­antwortet. – Danke schön.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wir kommen nun zur 6. Anfrage, 1905/M-BR/2017. Ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Todt, um die Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine Fra­ge lautet:

1905/M-BR/2017

„Wie werden Sie beim Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2017 betreffend die Über­wachung internetbasierter Kommunikation die Einführung eines sogenannten ,Trojaners‘ verhindern?“

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Den sogenannten Trojaner, so wie ich ihn verstehe – das habe ich auch ausführlich begründet –, wird es nicht ge­ben, aber bleiben wir bei den Begriffen, die man kennt und die auch ausreichend um­grenzt sind, damit man vernünftig darüber diskutieren kann. Es geht nicht um Online-Durchsuchung, es geht nicht um Erkundungsbeweise – beides wäre unzulässig –, es geht nur um die Überwachung von Telekommunikation – die es bisher schon gibt, die, mit entsprechenden rechtsstaatlichen Einschränkungen, bisher schon zulässig ist.

Nur: Aufgrund der technischen Fortschritte gibt es jetzt auch eine Form der Telekom­munikation, die verschlüsselt erfolgt. Das ist eine Endverschlüsselung, und die muss man einfach knacken können, die muss man beseitigen können, damit man auf den In­halt dieser Telekommunikation greifen kann. Darum geht es und nicht um mehr. Das ist alles.

Das ist meines Erachtens wertungsmäßig genau dasselbe, was wir bisher schon ha­ben, ist nicht wirklich etwas Neues, aber aufgrund des technischen Fortschritts müssen wir eben versuchen, diese Form der Telekommunikation, die verschlüsselt erfolgt, eben­falls überwachen zu können. Das ist eine rein technische Frage, und dafür braucht es Softwareprogramme. Und jetzt gibt es eben Menschen, die das wie auch immer titulie­ren wollen. Ich sage Ihnen, es ist nichts anderes als das Schließen einer Lücke in der Telekommunikationsüberwachung; mehr ist das nicht. Und es wird weitere technische Entwicklungen geben, die uns in Zukunft dazu zwingen werden, auch wieder weitere Lücken, die ich derzeit nicht überblicken kann, zu schließen.

Das ist es, worum es geht, und daher kämpfen wir darum.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Herr Bundesrat Todt.

 



BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 32

Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien): Bei welchen Straftaten scheint Ihnen die Über­wachung verschlüsselter Nachrichten bei der internetbasierten Kommunikation erforder­lich?

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Genau das ist derzeit auch Gegenstand von Abstimmungsgesprächen zwischen den Regierungspartnern. Ich kann Ihnen sagen, dass es jedenfalls auf die schwere Kriminalität eingeschränkt ist – das ist ganz klar –, aber Details sind diesbezüglich noch offen, weil ich noch keine Rückmel­dung vom Koalitionspartner habe. Ich möchte daher diese Details jetzt nicht zum Dis­kussionsgegenstand machen. Das wäre kontraproduktiv und das macht keinen Sinn.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bun­desrat Saller zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


Bundesrat Josef Saller (ÖVP, Salzburg): Herr Bundesminister, wie sind nach Ihrer In­formation die Erfahrungen, die im Ausland mit der Trojaner-Software gemacht wurden?

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Ich weiß, dass es im Ausland solche Möglichkeiten gibt und diese auch genutzt werden. Konkret gibt es diese Mög­lichkeit in Deutschland, dort allerdings auf Ebene der Sicherheitsbehörden und nicht auf Ebene der Justiz. Die Justiz kann das dann auch verwenden, aber da kann man das Rechtssystem nicht ganz vergleichen. Mir ist auch wichtig, dass wir hier eine Abstim­mung insbesondere mit den Nachbarstaaten haben, und das noch im Mai stattfindende traditionelle Treffen der deutschsprachigen Justizminister wird auch diesem Thema ge­widmet sein.

In Deutschland gibt es diese Möglichkeit der Überwachung von internetbasierter Te­lekommunikation, wir haben sie noch nicht, und wir werden selbstverständlich gerade auch beim nächsten Justizministertreffen noch einmal abgleichen: Wer hat welche Mög­lichkeiten?, Wo sind welche legistischen Aktivitäten geplant?, weil Sie sicher sein kön­nen: Mit dem, was wir hier planen, mit dem, was wir hier wollen, sind wir auch interna­tional in bester Gesellschaft. Das ist nichts, wovon man sagen müsste, dass das jetzt geradezu ein Ausreißer ist. Das trifft überhaupt nicht zu. Die Aufregung darüber steht meines Erachtens in einem Missverhältnis zu dem, worum es wirklich geht.

Der internationale Vergleich ist mir auch deshalb wichtig, weil er einen in dieser Ein­schätzung und auch darin sicher macht, dass die Maßnahme, die wir hier vorschlagen, auch die richtige ist und dass das auch eine Maßnahme ist, die international durchaus schon praktiziert wird und jedenfalls nicht unüblich ist.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bun­desrat Herbert zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Herr Bundes­minister! Abgesehen von Begrifflichkeiten ist eine der wesentlichen Fragen bei dieser Überwachungsmöglichkeit, die hier angestrebt wird, wohl auch die Frage, wie man mit Daten aus Telefongesprächen und mit entsprechenden Informationen umgeht, die nicht verfahrensrelevant sind und quasi – einmal grob gesprochen – unter den Geheimhal­tungsschutz fallen.

Meine konkrete Frage lautet: Wie wird sichergestellt, dass die Grundrechte eingehalten werden und die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird?

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Ich kann mich jetzt auf ein De­tail der Zusammenfassung beziehen, das ich an sich genannt habe. Aber das ist wahr­scheinlich wirklich untergegangen.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 33

Es gibt in Bezug auf jenes Beweismaterial, das durch eine solche Telefonüberwachung gewonnen werden kann, das aber nicht wirklich für das Verfahren relevant ist, eigent­lich den stärksten Schutz, den es nur geben kann: Es ist ein absolutes Verwertungsver­bot vorgesehen. Mit einem absoluten Verwertungsverbot besteht der wirklich bestmög­liche Schutz, den man nur haben kann, und das ist auch genau Teil dieses Pakets, das haben wir ja eingebaut.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bun­desrat Stögmüller zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Über Definitionen betreffend Tro­janer – auch wenn das ÖVP-Wording anscheinend Software und Hardware ist – kön­nen wir jetzt lange streiten, aber das ist jetzt auch nicht so wichtig. Vielmehr geht es mir um die Frage: Welche konkreten gesetzlichen Anpassungen machen diesen Ent­wurf, von dem Sie auch immer sprechen, eigentlich notwendig? Welche konkreten An­passungen sind hier notwendig? – Danke.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Es geht hier vor allem darum, dass es eine rechtsstaatlich erforderliche legistische Grundlage gibt für die Eingriffe, die man da braucht, um die Verschlüsselung beheben zu können. Darum geht es.

Ganz generell könnte man sich, wie ich gesagt habe, auf den Standpunkt stellen, dass das eine Form der Telekommunikation ist, die man ja grundsätzlich überwachen kann. Aber es ist auch aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit notwendig, dass man hier doch ei­ne spezifischere Rechtsgrundlage schafft. Darum geht es und nicht um mehr.

Das heißt, wenn Sie so wollen, kann man sagen, dass die zu schaffende Rechtsgrund­lage auch im Sinne einer Begrenzung eindeutig klarstellt, worum es bei der Beseiti­gung dieser Verschlüsselung gehen darf, nämlich nur um die Überwachung von Infor­mationsaustausch beziehungsweise Kommunikation und nicht um mehr. Dass wir das tun, ist auch gerade im Sinne der Sicherstellung der rechtsstaatlichen Begrenzungen not­wendig. Aber es gibt in unserem Entwurf keine Rechtsgrundlage, die es ermöglichen würde, über das hinauszugehen, was wir wertungsmäßig bisher immer schon hatten, näm­lich die Überwachung von Telekommunikation und von Informationsübermittlung auf tech­nischem Weg. Mehr ist das nicht.

Ich habe es ohnehin deutlich gesagt: Wir haben einen Entwurf gemacht, der zur Ab­stimmung seit Anfang März beim Koalitionspartner ist. Wir werden jetzt sehen, wie sich der Koalitionspartner positioniert. Es wird sicherlich auch im Detail noch technische Fra­gen zu klären geben. Das ist ein sehr schwieriger Bereich, das will ich gar nicht bestrei­ten. Aber ich glaube, Sie werden, wenn das herauskommt, sehen, dass es auch von der Rechtsgrundlage her meines Erachtens zu Unrecht Befürchtungen gibt, dass damit tie­fergehende, weiterreichende Grundrechtseingriffe möglich wären, als wir sie bisher schon hatten. Das stimmt nicht! Sie werden sehen, dass eine solche Befürchtung überzogen ist.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wir gelangen nun zur 7. Anfrage, 1908/M-BR/2017. Ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Herbert, um die Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Herr Bundes­minister! Meine Frage zielt auf die Wahrung der Gesundheit von Bediensteten im Jus­tizwachebereich, aber auch im generellen Strafvollzugsbereich ab.

Zum einen gab es in den vergangenen Monaten Pressemeldungen über erhöhte Anti­monbelastungen in den Schießkellern sowohl in Wien als auch in Graz, zum anderen sind Justizwachebeamte, aber auch andere Beamte oder Bedienstete des Strafvollzu­ges immer wieder mit Insassen konfrontiert, die mitunter sehr gefährliche und anste­ckende Krankheiten aufweisen – Tbc, Hepatitis, Aids und vieles mehr.

Meine Frage lautet daher:


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 34

1908/M-BR/2017

„Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um das Risiko einer Gesundheitsgefähr­dung für Bedienstete im Bereich des Strafvollzuges, insbesondere für Justizwachebe­amte, zu verhindern?“

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat, es gibt, wie Sie wissen, diesbezüglich klare, auch dienstrechtliche Vorschriften zum Schutz der Be­amten, und wir haben die Verpflichtung, diese penibel einzuhalten und auch entspre­chende Möglichkeiten dafür zu schaffen: Es gibt eine ärztliche Eingangsuntersuchung von Insassen, und sobald sich der Verdacht einer Erkrankung zeigt, die ansteckend sein könnte, gibt es eine entsprechende spezielle Behandlung. Sie kennen auch unsere Son­dereinrichtung auf der Wilhelmshöhe. Es ist also an sich Vorsorge dafür getroffen, dass die medizinischen Risiken wirklich entsprechend kontrolliert werden können.

Weil Sie zu Beginn die behauptete Gesundheitsgefährdung durch diese Schießanla­gen, speziell in Graz, erwähnt haben: Wie Sie wissen, wurden sofort, als der erste Ver­dacht aufgetaucht ist, entsprechende Maßnahmen gesetzt, und ich habe mittlerweile die Information bekommen, dass sich herausgestellt hat, dass diese Schießanlage nicht der Verursacher dieser Kontaminierung sein kann. Das ist der aktuelle Stand. Aber ich bin froh darüber, dass wir so – aus heutiger Sicht vielleicht überschießend – reagiert ha­ben, denn das beweist, dass uns natürlich die Gesundheit der Bediensteten extrem wichtig ist und wir auf den geringsten Hinweis auf irgendeine Kontaminierung im Be­reich der Justizanstalten, die Gesundheitsbeeinträchtigungen verursachen könnte, so­fort und sehr konsequent reagieren. Das haben wir gemacht.

Jetzt wissen wir, dass das nicht der Grund war, sondern dass es irgendetwas anderes gewesen sein muss. Insofern kann man diesbezüglich Entwarnung geben: Diese Schieß­anlagen waren es nicht. Aber wir haben das wirklich ernst genommen und entspre­chend untersucht, und wir tun wirklich ganz in Ihrem Sinne alles, um diese Gesund­heitsrisiken hintanzuhalten.

Von den Schutzausrüstungen habe ich schon gesprochen. Diese beinhalten natürlich auch, wie Sie wissen, stichfeste Schutzwesten. Das ist mir wirklich ein ganz großes An­liegen. – Ich erfahre von den Gott sei Dank nicht häufigen Fällen, in denen es zu Ver­letzungen von Justizwachebediensteten kommt, natürlich auch immer, weil ich das auch will. Mir ist wirklich jeder Fall ein Anliegen, und wir versuchen auch, in diesem Zusam­menhang Hilfestellung zu leisten, und zwar auch über das hinausgehend, was derzeit gesetzlich vorgesehen ist.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Herr Bundesrat Herbert.

 


Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Ich ersuche darum, Frau Präsi­dentin.

Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Bundesminister, dass Sie die Sorge um die Gesund­heit der Bediensteten im Strafvollzug mit mir teilen, zumal es ja neben den gesund­heitlichen Beeinträchtigungen auch immer wieder die von Ihnen angesprochenen kör­perlichen Angriffe und Attacken insbesondere im Strafvollzugsbereich gibt, und zwar, wie ich sagen muss, in letzter Zeit sogar verschärft und in erhöhter Zahl, sodass wir ge­rade in letzter Zeit eine größere Zahl von verletzten Kolleginnen und Kollegen zu bekla­gen hatten.

Die von Ihnen angesprochene Schutzausrüstung ist in diesem Zusammenhang ein wich­tiger Beitrag. Mich würde jetzt nur noch interessieren, inwieweit die Ausstattung mit Schutzausrüstung für die Bediensteten im Strafvollzug fortgeschritten ist.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 35

Kann man irgendwie griffig machen, auf wie viele Beamte eine solche Schutzweste kommt? Oder hat jeder Beamte eine solche Schutzweste? – Vielleicht kann man das zahlenmä­ßig darstellen.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat, Sie wissen, dass es in jeder Justizanstalt, wo das notwendig ist, auch diese Sondereinheiten bezie­hungsweise Eingreiftruppen gibt, und diese haben jetzt alle diese Schutzausrüstung. Die Ausrüstung unserer Beamten mit diesen Schutzausrüstungen ist noch nicht abge­schlossen. Derzeit ist noch eine weitere Ausschreibung im Umfang von 600 000 € offen.

600 000 € haben wir bereits in Schutzausrüstung investiert, die bereits vorhanden ist. Außerdem sind auch noch Teile dieser Schutzausrüstung in Erprobung. Wir haben die­se schon, testen sie aber noch: Das betrifft ein neues Modell der Taser-Waffe und auch ein neues Modell des Teleskop-Einsatzstockes. Da ist also noch einiges im Laufen. Das ist eben ein laufender Prozess, und das ist auch notwendig und wichtig.

Dort, wo sie unbedingt gebraucht wird, haben wir jetzt eine Schutzausrüstung. Aber wir arbeiten daran, dass wir diese auch laufend verbessern. Wir sind noch nicht zufrieden mit dem, was wir derzeit haben, sondern da muss ständig optimiert werden.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bun­desrat Forstner zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrat Armin Forstner, MPA (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Minister, wie schätzen Sie die gesundheitliche Gefährdungslage von Justizwachebeamtinnen und -be­amten im Allgemeinen ein?

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat, im Prinzip über­schneidet sich das weitgehend mit der Anfrage von vorhin.

Wir haben entsprechende Regelungen, die sicherstellen müssten, dass es eben nicht passieren kann, dass tatsächlich eine Gesundheitsgefährdung im Dienst schlagend wird. Nach menschlichem Ermessen reichen diese Maßnahmen derzeit auch aus. Aber ich kann Ihnen versichern, dass wir im Hinblick darauf ein hohes Problembewusstsein haben, wie auch unsere Reaktion auf die Meldungen gezeigt hat, dass diese Schieß­einrichtungen möglicherweise Kontaminierungen und eine Gesundheitsgefährdung mit sich bringen könnten. Wir haben diesbezüglich sofort die entsprechenden Untersuchun­gen gestartet.

Jetzt wissen wir: Okay, das war es nicht. Ich bin demnächst wieder in der Justizanstalt in Graz, und wenn möglich, möchte ich selber die Schießanlage benützen, um auch da­mit zu dokumentieren, dass man sich davor nicht zu fürchten braucht.

Aber es ist sehr wohl wichtig, dass man das Problembewusstsein auch immer wieder schärft. Außerdem muss man auch immer wieder mit unseren Gesundheitsbehörden in Kontakt sein – das sind wir auch –, um neue Gefährdungen und neue Gesundheitsrisi­ken sofort zu erkennen und die nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Nach menschlichem Ermessen geschieht das wirklich in ausreichendem Umfang.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Bun­desrätin Anderl zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrätin Renate Anderl (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Perso­nalfragen sind immer ein Brennpunkt und wurden schon öfters angesprochen. Würde auch eine bessere personelle Ausstattung des Strafvollzuges mit dazu beitragen, das Ri­siko einer Gesundheitsgefährdung für Bedienstete im Bereich des Strafvollzuges zu ver­mindern?

 



BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 36

Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Bundesrätin, wie ich vor­hin bereits erwähnt habe, dient ja auch die Schutzausrüstung dem Zweck, Gesundheits­risiken hintanzuhalten und sie, wenn möglich, überhaupt zu vermeiden. Die Ausrüs­tungsmöglichkeiten, die es in diesem Zusammenhang gibt, werden von uns auch wirk­lich wahrgenommen. Dessen können Sie sich sicher sein.

Genauso wichtig ist es nach meinem Dafürhalten – und die Generaldirektion für den Strafvollzug ist sich auch wirklich der Notwendigkeit bewusst, diesbezüglich immer auf dem Laufenden zu bleiben –, dass auch neue Gesundheitsrisiken, die von den Ge­sundheitsbehörden in Österreich erkannt werden, sofort in die Überlegung miteinbezo­gen werden und dass entsprechend reagiert wird, und das geschieht.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Bun­desrätin Dr. Reiter zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Ich danke für die ausführliche Beantwortung. Meine Zusatzfrage ist somit beantwortet. – Danke.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wir gelangen nun zur 8. Anfrage, 1911/M-BR/2017. Ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Dr. Brunner, um die Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrat Dr. Magnus Brunner, LL.M (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Bun­desminister! Das Instrument der österreichischen Privatstiftungen war bei der Einfüh­rung vor jetzt fast 25 Jahren, nämlich – wie ich glaube – 1993, ein sehr wichtiges und auch positives Instrument, und zwar auch für den Wirtschaftsstandort. In den letzten Jahren hat sich das ein wenig relativiert.

Daher meine Frage:

1911/M-BR/2017

„Gibt es von Ihrer Seite konkrete Pläne zur Attraktivierung des Privatstiftungsrechts im Interesse des Wirtschaftsstandortes Österreich?“

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Jawohl, Herr Bundesrat, wir haben auch diesbezüglich große Pläne! Wir haben einen Entwurf schon weitgehend fer­tiggestellt, wir haben diesen allerdings in Arbeitsgruppen erarbeitet, in denen eigentlich alle Interessengruppen vertreten waren, die in diesem Zusammenhang – und zwar zu Recht – Interessen haben.

Der Grundtenor ist – und das ist auch mein persönliches Anliegen – eine Attraktivie­rung der Privatstiftung in Österreich. Diese hat in den letzten Jahren darunter gelitten, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen in vielen Bereichen sukzessive verschlech­tert wurden, und zwar nicht nur in unserem Zuständigkeitsbereich, sondern ich denke da auch an steuerrechtliche Maßnahmen. Das hat dazu geführt, dass doch viele völlig legale Vermögenswerte aus Österreich abgeflossen sind, weil das Stiftungsrecht in an­deren Staaten, insbesondere auch in Nachbarstaaten, im Verhältnis zum österreichi­schen Stiftungsrecht einfach attraktiver geworden ist.

Das österreichische Stiftungsrecht war sehr attraktiv. Es wurde 1993 vom damaligen sozialdemokratischen Finanzminister Lacina eingeführt, und das war eine hervorragen­de Idee. Das war ein Erfolgsmodell, das viel Kapital nach Österreich gebracht hat. Sie dürfen nicht vergessen, dass das wirklich eine enorme Belebung für die Wirtschaft dar­stellt, weil ja die Stiftungen – das wissen die wenigsten – immer öfter auch die Rechts­träger für wirtschaftliche Aktivitäten sind. Es werden ja tatsächlich Unternehmen mit Stif­tungen betrieben. Das war am Anfang vielleicht noch nicht so.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 37

So ist mir etwa beim Einkaufen unlängst aufgefallen, dass auch Lidl von der Rechts­form her eine Stiftung ist, wenn ich mich nicht täusche. Wie Sie sehen, werden große Un­ternehmungen, mit denen wir tagtäglich konfrontiert sind, letztlich in der Rechtsform von Stiftungen betrieben oder haben als Rechtsträger dahinter eine Stiftung.

Das heißt, ich kann nur sagen: Für Österreich und den Wirtschaftsstandort Österreich ist es wichtig, die Stiftungen hier wieder zu attraktivieren. Aber dann – und das ist ge­nauso wichtig – muss auch Sicherheit in Bezug auf die Bestandskraft der rechtlichen Rah­menbedingungen gegeben werden, denn für die Wirtschaft ist es wichtig, darauf ver­trauen zu können, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen verlässlich und auch eini­germaßen stabil sind und dass nicht jedes Jahr eine Änderung kommt. Das halte ich auch für wichtig. Daher ist das auch einer der Grundgedanken dabei.

Ich glaube, da wir eigentlich alle Stakeholder und Interessengruppen eingebunden ha­ben, dass diese Reform des Privatstiftungsrechts im Sinne einer erneuten Attraktivie­rung eigentlich ganz gute Chancen auf Verwirklichung hätte. Wir wollen das gerne. Wir sind sehr weit mit diesem Entwurf, das wäre auf unserem Programm.

Ich glaube, das täte der Wirtschaft gut, und ich möchte bei dieser Gelegenheit auch sagen: Das ist vielleicht in der Öffentlichkeit auch insofern in ungünstiger Art und Wei­se wahrgenommen worden, als man, aus welchen Gründen auch immer, Stiftungen mit etwas verbindet, was von der Struktur der Vermögenswerte her nicht legal ist. – Dazu muss man klar sagen: Wir haben in Österreich, Gott sei Dank, ein auch im europäi­schen Vergleich sehr, sehr strenges Recht gegen Geldwäsche und alles, was damit zu­sammenhängt. Die Steuerhinterziehung auch im Zusammenhang mit Geldwäsche wird in Österreich wirklich sehr streng bekämpft. Das ist gut, das ist richtig, und das ist wich­tig.

Aber das hat nichts zu tun mit dem Einsatz der privatrechtlichen Form der Stiftung als einer Möglichkeit, eine Gesellschaft zu haben, mit der man auch Unternehmen betrei­ben kann. Würden wir diese Attraktivierung schaffen, dann brächte das wieder ver­stärkt legales Kapital nach Österreich. Es ist viel an legalem Kapital aus Österreich ab­geflossen, weil sich die Rahmenbedingungen für Stiftungen in den letzten Jahren in ver­schiedener Hinsicht verschlechtert haben. Das ist für Österreich schlecht, das ist für den Wirtschaftsstandort schlecht, das ist auch für uns schlecht, und daher wollen wir das wieder beseitigen.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Herr Bundesrat Dr. Brunner.

 


Bundesrat Dr. Magnus Brunner, LL.M (ÖVP, Vorarlberg): Sie haben im Hinblick auf den zeitlichen Aspekt erwähnt, dass Sie schon relativ weit sind und die Stakeholder ein­gebunden sind.

Können Sie den Zeitplan ein bisschen konkretisieren? Bis wann können wir mit einem Vorschlag rechnen?

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Es wäre nicht seriös, wenn ich Ihnen jetzt ein konkretes Datum nenne. Ich kann nur sagen: Wir sind nahezu fertig mit dem, was wir glauben, tun zu müssen, um im Sinne der Attraktivierung ein neues Stiftungsrecht vorschlagen zu können. Dabei geht es jetzt um die weiteren Schritte, näm­lich um die Abstimmung mit dem Koalitionspartner in der Bundesregierung und all das, was Sie natürlich viel besser kennen als ich. Aber ich würde mir schon wünschen, dass wir das noch heuer umsetzen können. Das wäre gut. Ja, das würde ich mir wünschen.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bun­desrat Heger zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 



BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 38

Bundesrat Peter Heger (SPÖ, Burgenland): Sehr geehrter Herr Minister! Ich habe ei­ne Zusatzfrage, und zwar: Sind Sie auch der Auffassung, dass eine moderate Erhö­hung der Stiftungseingangssteuer angesichts der bestehenden hohen Attraktivität der ös­terreichischen Privatstiftung gerade auch für ausländische Stifter durchaus gerechtfer­tigt wäre?

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat, diese Frage müssen Sie an den Finanzminister richten, weil dieser für die Besteuerung zuständig ist. Damit habe ich nichts zu tun.

Ich kann von meiner Grundposition her nur sagen: Ich bin für eine Attraktivierung des Stiftungsrechts und der Stiftungen in Österreich, weil sie der Wirtschaft guttun, ihr zu­gutekommen und damit auch Arbeitsplätze geschaffen werden. Daher glaube ich, dass wir wieder mehr in die Richtung kommen sollten, in der wir 1993 waren, als Finanzmi­nister Lacina das Stiftungsrecht in Österreich eingeführt hat. Das war eine großartige Idee, ein Erfolgsmodell, das in weiterer Folge durch vielfältige rechtliche Änderungen auch im steuerrechtlichen Bereich sukzessive beschädigt wurde. Ich würde mir im In­teresse der Wirtschaft und des Wirtschaftsstandortes Österreichs wieder eine Attrakti­vierung wünschen. Ich werde darum kämpfen. Schauen wir, ob wir das zustande brin­gen!

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bun­desrat Mag. Pisec zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Bundesminis­ter! Sie haben schon angeführt, dass das Privatstiftungsrecht attraktiviert werden soll, vor allem vor dem Hintergrund, dass 63 Prozent aller Stiftungen Unternehmensbeteili­gungen besitzen und damit wichtige Investoren für die Unternehmenslandschaft insge­samt darstellen.

Sie haben, Herr Bundesminister, auch schon erklärt, dass Sie für die Steuergesetzge­bung nicht zuständig sind, sonst hätte ich die Frage gestellt, ob man nicht die Körper­schaftsteuer auf 12,5 Prozent, wie es vor 2011 war, anpassen könnte. Daher gestatten Sie mir, eine andere Frage zu stellen, und zwar:

Hätte man von der Politik, von einer sogenannten – unter Anführungszeichen – „Wirt­schaftspartei“ ÖVP nicht erwarten können, da etwas vorausschauender zu sein, bevor man dieses Stiftungsrecht 2011 praktisch kaputtreformiert hat?

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat, das ist eine Frage, die ich sehr kurz beantworten kann, aber doch, wie ich glaube, befriedigend: Ich würde mir wünschen, dass Sie diese Frage an den Herrn Finanzminister stellen.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Bun­desrätin Dr. Dziedzic zu Wort gemeldet. – Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Herr Minister! Was uns Grüne noch zusätzlich interessieren würde, ist, inwiefern diese Attraktivierung über steuerliche Maß­nahmen vorangetrieben werden soll.

Das haben Sie aber jetzt insofern beantwortet, als Sie auf den Finanzminister verwie­sen haben. Daher ist meine Frage jetzt obsolet, würde ich meinen. – Danke.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wir gelangen nun zur 9. Anfrage, 1906/M-BR/2017. Ich bitte die Anfragestellerin, Frau Bundesrätin Ebner, um die Verlesung ihrer Anfrage.

 


Bundesrätin Adelheid Ebner (SPÖ, Niederösterreich): Geschätzter Herr Bundesmi­nister! Es gibt ja immer wieder Informationen und Aussagen, dass die Justizanstalt


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 39

Krems-Stein erneuert beziehungsweise neu gebaut werden sollte. Derzeit sitzen in der Justizanstalt Stein ungefähr 800 Häftlinge ein, und es ist geplant beziehungsweise wer­den Aussagen getroffen, dass 400 dieser Häftlinge in das Waldviertel, wo anscheinend eine neue Justizanstalt geplant ist, übersiedeln müssten. Das wäre natürlich für das Wald­viertel eine große Aufwertung, weil dadurch circa 200 Arbeitsplätze entstehen würden. Als Standort ist der Truppenübungsplatz Allentsteig im Gespräch beziehungsweise ha­ben sich auch schon einige Gemeinden für einen neuen Standort gemeldet.

Daher meine Frage an Sie:

1906/M-BR/2017

„Ist es richtig, dass im Waldviertel eine neue Justizanstalt geplant ist?“

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Bundesrätin, Sie wissen mehr als ich (allgemeine Heiterkeit), aber vielleicht kann ich Ihnen auch einmal recht ge­ben, ich weiß es nicht. Schauen wir einmal: Was ist der Stand der Dinge? – Der Stand der Dinge ist folgender: Schon vor einiger Zeit haben wir uns auch im Bereich der Ge­neraldirektion für den Strafvollzug Gedanken darüber gemacht, dass man doch eigent­lich ein bisschen von dem ständigen Flickwerk wegkommen sollte: da ein paar Ausbau­ten, dort ein paar Sanierungen und Verbesserungen im Bereich der Justizanstalten! Wir brauchen eine Art Masterplan – der Begriff ist jetzt so modern –, wo wir uns einmal wirk­lich überlegen sollten: Welche Justizanstalten wollen wir österreichweit auf Dauer ha­ben und wie sollen sie strukturiert sein, nämlich auch unter dem Aspekt der Nachhal­tigkeit, unter dem Aspekt der Ökologie, auch unter dem Aspekt der regionalpolitischen und verkehrspolitischen Verhältnisse?, und da hat sich natürlich auch viel verändert.

Wenn ein Standort heute dort, wo er sich befindet, nicht mehr gewählt werden würde, dann ist er eigentlich falsch – Klammer auf: geworden; Klammer zu. Wir wollten, dass uns da auch externe Experten wirklich beraten und uns sagen – nämlich mit dem Blick von außen, mit dem wissenschaftlichen Blick von außen, völlig losgelöst von irgendwel­chen Einzelinteressen –: Diese Standorte, die ihr da habt, machen Sinn! oder: Die ma­chen auf Dauer eigentlich nicht Sinn, dort hätten wir vielleicht sogar die Möglichkeit ei­ner Verwertung, die auch günstig wäre, weil man das wieder in neue Anstalten investie­ren kann!

Da gibt es einige Parameter, die für den Strafvollzug insgesamt zu beachten sind.

Zum Ersten: Wenn irgendwie möglich, sollte es in Zukunft keine Justizanstalt mehr ge­ben, in der sich mehr als 400 Insassen befinden. Das entspricht allen internationalen Studien. Wenn die Anstalten größer sind, dann steigen die spezifischen Probleme dort sozusagen exponentiell, das wissen wir. Daher: 400, 500 ist eine kritische Größe.

Wir haben ja in der letzten Zeit auch Projekte verwirklichen können, die man durchaus herzeigen kann, die als Modell dienen für das, was wir wollen, was wir für sinnvoll hal­ten, und an dem können Sie messen, was wir planen.

Zum Beispiel: Die Justizanstalt Salzburg in Puch-Urstein – ein Musterbeispiel, von der Größe her ideal, von der Qualität her ideal und auch vom Standort her ideal. Das ist wirklich perfekt

Oder: Die Justizanstalt Linz-Asten als Sonderanstalt für den Maßnahmenvollzug – alles ideal.

Das sind herzeigbare Beispiele. Wenn ich jetzt sage, ich wünsche mir dies oder jenes, dann tue ich mich leicht, weil ich sagen kann, ich kann auch herzeigen, was wir wollen.


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Wir können das herzeigen, was wir in jüngerer Zeit schon verwirklicht haben, um damit auch zu dokumentieren, dass es machbar ist, das umzusetzen, was uns auch alle Wis­senschafter sagen.

Daher haben wir diese Standortstudie in Auftrag gegeben und haben sie – das nehme ich auf meine Kappe – immer wieder durch weitere Fragestellungen notwendigerweise erweitert. Warum? – Wir haben ja im Strafvollzug natürlich auch den Maßnahmenvoll­zug zu bewältigen. Der Maßnahmenvollzug betrifft die psychisch beeinträchtigten Straf­täter. Wir haben in diesem Bereich einen doch erheblichen Anstieg der Zahl an Insas­sen. Es befindet sich zurzeit ein völlig neues Gesetz in Ausarbeitung, das die Unter­bringung psychisch beeinträchtigter Straftäter völlig neu regeln soll, und dabei geht es wirklich um ganz neue Akzente. Da wollen wir auch neue Instrumente einsetzen – im Dialog mit vielen Wissenschaftern, in dem wir uns zurzeit befinden. Dieses Maßnah­menvollzugsgesetz ist noch nicht ganz fertig, aber von diesem Gesetz hängt es ab, wie groß der Bedarf sein wird, in unseren eigenen Anstalten psychisch beeinträchtigte Straf­täter unterzubringen.

Es ist leider ein Problem, das verschiedene Ebenen hat, ich muss es aber so sagen, da­mit man auch versteht, warum wir da jetzt länger brauchen, nämlich weil wir so viele As­pekte berücksichtigen müssen.

Sie werden in Erinnerung haben: Der Pavillon 23 der Stadt Wien wird geschlossen. Wir können dort keine Insassen mehr unterbringen. Die Länder haben das Bestreben – mit Ausnahme Niederösterreichs, das uns da immer sehr unterstützt hat –, dass man In­sassen aus dem Bereich des Strafvollzuges möglichst nicht auf Dauer in den eigenen Krankenanstalten haben möchte. Wir werden daher diese Kompetenz selbst wahrneh­men müssen. Dafür brauchen wir aber auch entsprechende Anstalten. Damit hängt dann auch der Bedarf zusammen, also die Frage: Inwieweit müssen wir unsere bestehenden Sonderanstalten für den Maßnahmenvollzug ausbauen, inwieweit brauchen wir neue? Und: Wo müssen wir neue Justizanstalten verwirklichen, um auch den Anforderungen, die wir an uns selber stellen, nämlich keine zu großen Anstalten mehr zu haben, ge­recht zu werden, und welche Standorte sind es, die man heute vernünftigerweise nicht mehr wählen würde? Das ist wirklich eine große Palette an Fragestellungen, an denen Wissenschafter gerade arbeiten.

Wir werden das Ergebnis dieser Standortstudie selbstverständlich auch bekanntgeben. Und dann, wenn sich herausstellt, welche Standorte sinnvoll sind, welche Standorte ge­radezu mustergültig sind und welche Standorte man auflassen sollte, haben wir einmal das Problem, dass wir sagen müssen: Gut, wir halten uns daran, wir gehen in die Rich­tung!, aber dann beginnt erst der zweite, schwierigere Teil, denn dann stellt sich die Fra­ge: Wo könnten wir, wenn es jetzt neue Anstalten oder neue Standorte geben muss, diese verwirklichen? Und da ist mir etwas ganz, ganz wichtig, und zwar: Das geht nur im Einvernehmen mit den lokalen Behörden, mit den Bürgermeistern, aber auch mit den Bürgern vor Ort.

Ich meine, es hilft nichts, wenn wir wissen, dass dort, wo wir Justizanstalten haben, die Bevölkerung wirklich voll dahintersteht. Überall – erst kürzlich wieder in Gerasdorf – wird uns das vermittelt. Wir sind froh, dass ihr da seid!, sagen die Bürgermeister. Rational be­trachtet ist man eigentlich kaum irgendwo so sicher wie neben einer Justizanstalt. Na­türlich, rational betrachtet, aber das Problem ist ja kein rein rationales, sondern oft auch ein emotionales, wie so oft in der Politik, und daher muss man da vorsichtig sein und das auch berücksichtigen. Das würden wir selbstverständlich auch tun, man kann neue An­stalten an neuen Standorten nur dann verwirklichen, wenn wirklich die Bevölkerung voll eingebunden ist und auch voll dahintersteht.

Auch deshalb ist es mir so wichtig, dass man die Justizanstalten für Interessenten öff­net, etwa für Bürgermeister, und wir haben ja auch schon einiges in diese Richtung ge-


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tan. Es gab schon Bürgermeister, die uns gesagt haben: Wir wollen Justizanstalten be­sichtigen! Gerade in der letzten Zeit haben wir erlebt, dass sich aufgrund dieser Ge­rüchte – es sind nur Gerüchte! – Bürgermeister bei uns gemeldet und gesagt haben: Wenn es neue Standorte geben sollte, dann wären wir wirklich daran interessiert, denn für uns wäre das strukturpolitisch oder was auch immer sinnvoll, wir würden darüber gerne Nä­heres erfahren, wir würden uns das gerne anschauen.

Wir haben daher solche Interessenten aus der Gruppe der Bürgermeister in Justizan­stalten geschickt und haben ihnen gesagt: Bitte, schaut euch das einmal an, damit ihr seht, wie das wirklich funktioniert! – Das halte ich auch für ganz, ganz wichtig.

Das heißt, jetzt braucht es einmal diese Standortstudie, dann werden wir wissen, was wir allenfalls an Standorten auflassen würden oder auflassen sollten, je nachdem, was die Experten uns sagen. Dann kommt ein großer Schnitt, und dann muss man sich über­legen: Wo gibt es Standorte, die man wirklich näher ins Auge fassen könnte?

Weil Sie es konkret angesprochen haben: Die Justizanstalt Stein ist eine sehr alte, his­torisch gewachsene Justizanstalt. Sie ist nach heutigen Maßstäben eigentlich zu groß, aber sie ist einfach eine Einrichtung, die nun einmal so gewachsen ist, wie sie jetzt ist. Aber sie hat natürlich aufgrund ihrer Größe eine Vielzahl an Bediensteten, und da ist es schon wichtig, einmal klarzustellen, dass die allfällige Wahl von Ersatzstandorten – es müssten ja mehrere sein, zwei auf jeden Fall, von der Größe her – natürlich auch un­ter der Prämisse erfolgen müsste, dass man die Justizwachebediensteten, die dort tä­tig sind, nicht gegen ihren Willen weit weg versetzen kann. Das geht ja gar nicht, auch dienstrechtlich nicht, und das würde ich auch nicht tun.

Das heißt, wenn, dann wäre das eine langfristige Sache – aber auch eine, die den dort tätigen Justizwachebediensteten garantiert, dass sie nicht gegen ihren Willen an einen anderen Dienstort, der unzumutbar weit entfernt ist, versetzt werden können. Das kann man sicher nicht machen; das kann ich sagen, weil das auch ein genereller Grundsatz ist.

Aber aktuelle Planungen gibt es nicht und kann es auch nicht geben. Ich habe wahrge­nommen, dass es in Niederösterreich – ich sehe das natürlich auch – zum Beispiel in Krems einen Abgeordneten gibt, den Abgeordneten Rosenkranz, der massiv darum kämpft, dass die Justizanstalt ja in Krems bleibt. Gleichzeitig gibt es einen Parteikollegen von ihm, der massiv dagegen kämpft, dass eine Ersatzeinrichtung, wenn auch nur halb so groß, ins Waldviertel kommen könnte. Ja, so ist es halt. Deshalb habe ich gesagt: Das ist kein rationales Problem, sondern eher ein emotionales. Daher muss man so etwas sehr vorsichtig angehen.

Konkrete Pläne gibt es nicht. Es gibt allerdings ein massives Interesse von Bürgermeis­tern bundesweit, solche Einrichtungen in ihren Orten zu haben. Das zeigt aber auch, dass man solche Einrichtungen schon auch auf eine Art und Weise verwirklichen kann, dass sie wirklich gut eingebettet sind, was die Akzeptanz durch lokale Behörden und durch die Bevölkerung betrifft.

Deshalb noch einmal meine Einladung, meine Damen und Herren Bundesräte: Schau­en Sie sich doch Justizanstalten an! Schauen Sie sich zum Beispiel an, was in Puch bei Salzburg verwirklicht wurde! Schauen Sie sich – egal, welche Anstalt – das einmal an! Sie werden sehen, es ist durchaus realistisch, wenn ich Ihnen sage, man kann Pro­jekte auch im Interesse der Gesellschaft so verwirklichen, dass sie auf entsprechende Akzeptanz stoßen. So ist es wirklich.


 

Mein Angebot richtet sich an Sie alle. Ein spezielles Angebot richte ich an Herrn Bun­desrat Herbert, der jetzt offenbar avanciert ist (Bundesrat Herbert sitzt als Schriftführer mit auf dem Präsidium), nämlich das Angebot, dass er auch einmal nach Graz kommen kann, und dort würde ich gemeinsam mit ihm die Schießanlage benützen, damit er sieht, dass das ungefährlich ist. Die Einladung steht. Okay? (Bundesrat Herbert: Danke!)


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Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Frau Bundesrätin Ebner.

 


Bundesrätin Adelheid Ebner (SPÖ, Niederösterreich): Herr Bundesminister! Darf ich vielleicht doch in das Waldviertel sozusagen die Botschaft mitnehmen, dass in der Stand­ortstudie möglicherweise das Waldviertel als neuer Standort im Gespräch ist?

Aber noch etwas: Gibt es vielleicht auch ein Zeitfenster bei diesem Standortplan?

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Bundesrätin, ich könnte jetzt keckerweise die Gegenfrage stellen: Welches Zeitfenster haben Sie?, ich tue es aber nicht. (Bundesrätin Ebner: Je schneller, desto besser!) – Ich meine damit den Bun­desrat insgesamt. (Zwischenrufe bei der ÖVP. – Allgemeine Heiterkeit.) Ich kann Ihnen nur sagen: Wir gehen hier einfach Schritt für Schritt vor. Wir wollen alle fachlichen Fra­gen geklärt wissen, nämlich mit wissenschaftlicher Hilfe und mittels einer Expertise von außen. Und dann wird man sehen, welche weiteren Schritte möglich sind – aber dies er­folgt immer unter den Prämissen, die ich genannt habe.

Auch hier möchte ich durchaus bekräftigen: Wenn Bürgermeister, speziell im Osten Ös­terreichs, Interesse an solchen Standorten haben, dann können Sie sich jederzeit an uns wenden. Wir sind auch deshalb mit verschiedenen Bürgermeistern ins Gespräch ge­kommen. Das betrifft jetzt nicht spezifisch das Waldviertel. Erst gestern hat sich wieder ein Bürgermeister bei uns gemeldet. Ich nenne deshalb den Osten Österreichs, weil es im ursprünglichen Regierungsprogramm heißt: die Errichtung einer neuen Justizanstalt im Großraum Wien. Insofern – und das macht auch Sinn – ist man geografisch eher da­rauf beschränkt.

Im Übrigen, Frau Bundesrätin, wenn ich das noch sagen darf: Ich selbst bin ja, wenn Sie so wollen, ein Waldviertler von Kopf bis Fuß, was Sie merken, wenn Sie genau hin­schauen. (Heiterkeit. – Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Ja, ja, das ist nicht unwichtig. – Es stand ja auch in den Medien, dass wir mit dem Schuhproduzenten Staudinger eine Ko­operation planen, weil er Arbeitsmöglichkeiten in Justizanstalten schaffen kann. Das hat er zum Teil schon getan, und das ist auch gut und richtig so, das wollen wir auch wei­terhin forcieren und verstärken, weil das für das Gelingen der Resozialisierung ganz wich­tig ist.

Aber wenn Sie mich jetzt direkt als Waldviertler fragen: Es gibt keine konkreten Pläne, aber ich würde mich als Waldviertler nicht vor einer Justizanstalt fürchten – auch dann nicht, wenn ich in einer anderen Region Österreichs beheimatet wäre. Aber das möch­te ich eigentlich nicht.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Bun­desrätin Kern zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

 


Bundesrätin Sandra Kern (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Minister! Mei­ne Zusatzfrage über die Belagssituation wurde bereits ausreichend beantwortet. – Vie­len Dank.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat Her­bert.

 


Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Herr Bundes­minister, ich nehme Ihr Angebot natürlich gerne an, mich mit Ihnen im Schießkeller zu messen. Das wird eine interessante Herausforderung werden.

Aber jetzt zu meiner Frage. Ich möchte noch zu dem, was Sie zuerst gesagt haben, eine Nachschärfung vornehmen, und zwar: Bedeutet das, was Sie gesagt haben, dass die Auswahl eines neuen Standortes mit den bestehenden Standorten nicht unbedingt


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etwas zu tun hat? Oder habe ich Sie da insofern falsch verstanden, als man sagt, es geht darum, einen neuen Standort unter Beibehaltung der derzeitigen Standorte zu wäh­len? Oder ist das auch eine Frage, die momentan noch in Schwebe ist?

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Bundesrat! Ich freue mich, dass wir uns gemeinsam am Schießstand messen können. Wir werden sehen, wie das ausgeht. Wir werden dann berichten.

Im Prinzip ist wirklich alles in Schwebe. Es gelten folgende Prämissen: Großraum Wien – das steht so im Regierungsprogramm – und selbstverständlich die Einschrän­kungen hinsichtlich der Möglichkeiten der Versetzung. Dazu stehe ich, und das schränkt natürlich die Möglichkeiten entsprechend ein. Dazu kommt noch die sicherzustellende Akzeptanz der Bevölkerung, die ganz, ganz wichtig ist.

Das sind die Prämissen, nach denen wir vorgehen würden, wenn es so weit kommt. Wir werden sehen, wie weit wir kommen. Das hängt nicht von mir ab.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Bun­desrätin Mag. Schreyer zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Sehr geehrter Herr Minister! Meine Zusatzfrage hat sich gerade geändert. Es freut mich sehr, dass in der Standortsuche auch der Aspekt der Ökologie vorkommt. Es werden also keine Standorte in die Stand­ortstudie einbezogen, in denen in Österreich schon lange ausgestorbene Arten, die in der Roten Liste angeführt sind, wieder vorkommen? Ich rede natürlich von Allentsteig.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Nein, Frau Bundesrätin. Da kann ich Ihnen wirklich sagen: Die Ökologie ist uns da ganz wichtig – auch bei den land­wirtschaftlichen Betrieben, die wir betreiben. Wir haben ja tolle Einrichtungen. Sie müs­sen sich das wirklich einmal anschauen. Wir betreiben Landwirtschaften im Bereich der Justizanstalten. Wir sind dabei, diese Betriebe jetzt auf biologische Landwirtschaft um­zustellen. Es ist wirklich zu wenig bekannt, was da in den Justizanstalten Tolles geleis­tet wird.

Der ökologische Faktor spielt selbstverständlich auch bei künftigen Ausbauten und Neu­bauten eine ganz, ganz wichtig Rolle. Wir haben ja auch bei der Gerichtsstruktur da­rauf Rücksicht genommen. Wir haben durch den Umbau und die Zusammenlegung der Gerichte Saalfelden und Zell am See jetzt endlich auch einmal eine Stromtankstelle, und zwar nicht nur für die Bediensteten, sondern auch für die Menschen, die bei Gericht zu tun haben. Das zeigt, wir schauen wirklich darauf.

Das geschieht auch in enger Abstimmung mit meinem Kollegen Rupprechter; das ist ein gemeinsames Hobby von uns. Wir wollen auch da ökologisch top sein. Und jede Mög­lichkeit eines Ausbaus und eines Neubaus ist ja immer eine unglaubliche ökologische Chance! So sehen wir das wirklich, und das wollen wir auch so wahrnehmen. Also da können Sie wirklich beruhigt sein.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Vielen Dank.

Die Fragestunde ist beendet.

Ich darf mich sehr herzlich bei unserem Bundesminister für Justiz für die ausführlichen Antworten bedanken. Vielen Dank. (Allgemeiner Beifall.)

10.59.41Einlauf und Zuweisungen

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Hinsichtlich der eingelangten, verteilten und ver­vielfältigten Anfragebeantwortungen und der Unterrichtung gemäß Artikel 50 Abs. 5 B-VG


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verweise ich gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäftsordnung auf die im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen, die dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Die schriftlichen Mitteilungen haben folgenden Wortlaut:

Liste der Anfragebeantwortungen (siehe S. 6)

*****


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Schreiben des Generalsekretärs für auswärtige Angelegenheiten gemäß Art. 50 Abs. 5 B-VG:


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*****

Ebenso verweise ich hinsichtlich der eingelangten Verhandlungsgegenstände und de­ren Zuweisung im Sinne des § 19 Abs. 1 der Geschäftsordnung auf die gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäftsordnung im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen, die dem Stenogra­phischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:

Vorlagen der Bundesregierung oder ihrer Mitglieder sowie Berichte der Volksanwaltschaft:

Datenschutzbericht (III-620-BR/2017) – zugewiesen dem Ausschuss für Verfassung und Föderalismus

ORF-Jahresbericht 2016 gemäß § 7 ORF-Gesetz (III-621-BR/2017) – zugewiesen dem Ausschuss für Verfassung und Föderalismus

40. Bericht der Volksanwaltschaft (1. Jänner bis 31. Dezember 2016) (III-622-BR/2017) – zugewiesen dem Ausschuss für BürgerInnenrechte und Petitionen

*****

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Soeben ist ein Schreiben des Ministerratsdiens­tes des Bundeskanzleramtes eingelangt, dass sich der Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien Mag. Thomas Drozda am 11. und 12. Mai 2017 in Ita­lien aufhalten wird. Er wird in der heutigen Sitzung durch Herrn Bundesminister für Ar­beit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger vertreten, den ich hiermit schon be­grüßen darf. (Allgemeiner Beifall.)


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Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Aufenthalt eines Mitgliedes der Bundes­regierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union:

*****

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Eingelangt sind und den zuständigen Ausschüs­sen zugewiesen wurden jene Beschlüsse des Nationalrates sowie jene Berichte, die je­weils Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind.

Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen abgeschlossen und schriftliche Ausschuss­berichte erstattet.

Ich habe die zuvor genannten Verhandlungsgegenstände sowie die Wahl eines Mitglie­des des Ständigen gemeinsamen Ausschusses des Nationalrates und des Bundesra­tes im Sinne des § 9 des Finanz-Verfassungsgesetzes 1948 auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Es ist dies nicht der Fall.


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11.01.27Ankündigung von Dringlichen Anfragen

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bevor wir in die Tagesordnung eingehen, gebe ich bekannt, dass mir ein Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundesräte Mühl­werth, Kolleginnen und Kollegen betreffend Pflegeheimmisere in Österreich an den Herrn Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vorliegt.

Im Sinne des § 61 Abs. 4 der Geschäftsordnung verlege ich die Behandlung an den Schluss der Sitzung, aber nicht über 16 Uhr hinaus.

Weiters gebe ich bekannt, dass mir ein Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Ge­schäftsordnung des Bundesrates auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundesräte Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen betreffend Vergaberechtsreform­gesetz 2017 an den Herrn Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Me­dien vorliegt.

Die Beantwortung der gegenständlichen Dringlichen Anfrage wird unmittelbar im An­schluss an die an den Herrn Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumenten­schutz gerichtete Dringliche Anfrage erfolgen.

11.02.371. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 26. April 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ausländerbeschäftigungsgesetz und das Allgemeine Sozialversicherungs­gesetz geändert werden (1516 d.B., 693/A und 1602 d.B. sowie 9785/BR d.B. und 9787/BR d.B.)

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Wir gehen nun in die Tagesordnung ein und ge­langen zum 1. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Koller. Ich bitte um die Berichterstattung.

 


11.02.58

Berichterstatter Hubert Koller, MA: Hohes Haus! Ich erstatte den Bericht des Aus­schusses für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über den Beschluss des Natio­nalrates vom 26. April 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ausländerbe­schäftigungsgesetz und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert werden.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 9. Mai 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Vielen Dank für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Rösch. – Bitte.

 


11.03.50

Bundesrat Ing. Bernhard Rösch (FPÖ, Wien): Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehr­ter Herr Bundesminister Stöger! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zum 1. Punkt der Tagesordnung: Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu den Beschäftigungsbe­willigungen äußern.

Es handelt sich um ein Gesetz, das immer wieder geändert wird, ein Flickwerk, wobei natürlich schon auch immer wieder versucht wird, den Rahmenbedingungen in Öster­reich und denen des Arbeitsmarktes gerecht zu werden. Es ist so, dass im Zusammen­hang mit der Rot-Weiß-Rot-Card, wenn die Überprüfungszeiten zu gering sind, findige


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Firmen praktisch Beschäftigungen bereitstellen, und dann, als mit der Rot-Weiß-Rot-Card nach einem Jahr auch die Rot-Weiß-Rot-Card plus gekommen ist, hat eine Verfesti­gung auf dem Arbeitsmarkt und auch im Sozialsystem stattgefunden.

Man kann davon ausgehen, dass wir es begrüßen, dass jetzt ein Zeitraum von 24 Mo­naten gewählt wurde, wobei 21 Monate Beschäftigung nachgewiesen werden müssen. Das haben wir aber auch schon bei der letzten Gesetzesänderung betont. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Bitte? (Bundesrat Schennach: Trotzdem kamen ...!)  Nein, es ist ganz einfach so, dass wir das ja ohnehin begrüßen. Es ist aber einfach ein Flickwerk, wo immer wieder etwas abgeändert wird. Ich komme dann noch zu einem Punkt, an dem man sieht, dass dieser Vorschlag auch ordentliche Giftzähne hat.

Wir haben die Situation, dass es 300 000 Vollzeitbeschäftigte gibt, die 40 Stunden ar­beiten müssen und nicht viel mehr bekommen als das, das andere in der Mindestsiche­rung erhalten. Und vor denen ziehe ich den Hut, nämlich weil sie arbeiten gehen und nicht sagen: Ich bleibe zu Hause, ich stehe in der Früh nicht auf!

Auf der anderen Seite muss ich sagen: Ja, in Österreich soll niemand hungern müssen, in Österreich soll jeder an der Gesellschaft teilnehmen können. Man muss das aber natürlich auch unter dem Blickwinkel sehen, dass auch aus sehr vielen Ländern, in de­nen Not, aber nicht Krieg herrscht, Menschen zu uns kommen und daher keinen Asyl­anspruch haben.

Menschen wollen aus wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnissen zu uns kommen. Ös­terreich hat aber nur einen begrenzten Rahmen an Möglichkeiten im Sozialsystem, Hil­festellungen zu leisten und zu sagen: Okay, wir nehmen zusätzlich jemanden ins So­zialsystem auf!, ohne selbst an Wohlstand zu verlieren.

Glaubt man den Studien, die besagen, dass in Zukunft nicht aus Gründen von Krieg, son­dern allein aus Gründen von Naturkatastrophen, Klimawandel und so weiter viele ver­suchen werden, in Länder zu kommen, in denen die Wirtschaft besser ist, dann werden wir uns ein bisschen stärker anstrengen müssen.

Ja, wir werden auch abwehren müssen. Es ist einfach blauäugig, zu glauben, dass wir Millionen Menschen hereinlassen können. Deswegen geben wir ja auch unseren Ge­setzen Rahmenbedingungen, aufgrund derer wir es dann schaffen, zu sagen: So und so viele können unter den und den Bedingungen hereinkommen!

Dass es jetzt die Möglichkeit geben wird, praktisch zwei Jahre zu schauen, wie sich eben die Schlüsselarbeitskraft mit der Rot-Weiß-Rot-Card bewährt, die dann nach 24 Mo­naten und 21 nachgewiesenen Monaten, in denen wirklich hier gearbeitet wurde, eine Rot-Weiß-Rot-Card plus bekommt, ist zu begrüßen, denn eine Stadt lebt ja auch da­von, meistens ist es der urbane Bereich, dass es auch einen gewissen Austausch an Wis­sen gibt.

Man kann sich so oder so nicht abschotten, es gibt also da zwei Geschwindigkeiten. (Bundesrat Schennach: Ich verstehe das nicht, die ganze Rede heißt es, begrüßen, begrüßen!) – Ich komme ja noch zu den Giftzähnen (Zwischenrufe der Bundesräte May­er und Stögmüller. – Bundesrätin Mühlwerth: Euch kann man es auch nicht recht ma­chen, ...! – Bundesrat Schennach: Ich verstehe das nicht!), nur damit man versteht, dass es in diesen Gesetzesvorlagen und den Gesetzesänderungen auch immer wieder Sachen gibt, die gut sind. Es heißt ja sonst immer: Die Freiheitlichen sind die Partei, die immer alles ablehnt. Das stimmt nicht! Man muss es auch sagen, wenn Sachen wirk­lich verbessert wurden.

Der Punkt, zu dem ich schon kommen möchte, ist, dass wir – und da gibt es dann si­cher andere Positionen, die jetzt nicht in der Beschäftigungsbewilligung drinnen sind  ganz einfach viel zu viele Bürger aus anderen Ländern in die Mindestsicherung hinein­nehmen. Da sind wir noch immer zu undifferenziert! Das betrifft zum Beispiel bei der


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Rot-Weiß-Rot-Card den Nachzug. Es bekommt ja der Familiennachzug automatisch auch eine Rot-Weiß-Rot-Card, aber ohne Überprüfung, ob eine ordentliche Beschäfti­gung vorliegt, welche Beschäftigung es ist oder ob ein Schlüsselwissen vorhanden ist – die wird einfach ausgegeben. Da sagt man einfach: Okay, du bist jetzt auf dem Ar­beitsmarkt, ob du arbeitslos bist oder nicht, ist völlig egal!

Da ist schon eine kleine Kritik angebracht. Wir sehen es leider Gottes so, dass wenn ... (Bundesrat Schennach: Das ist nicht ...!) – Na ja, es muss ja an irgendetwas liegen, dass gerade bei Menschen mit Migrationshintergrund, bei Ausländern und so weiter, die Arbeitslosigkeit extrem steigt, und die Arbeitslosenzahlen in der Statistik sind für uns alle gleich hoch, da können wir das sehen. (Bundesrat Schennach: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun! – Bundesrat Pisec – in Richtung des Redners –: Geh, hör nicht zu!)

Damit komme ich jetzt schon zu dem Punkt, in welchem die Giftzähne drin sind. Ich kann mich noch daran erinnern, dass Außenminister Kurz gesagt hat: Die Freiheitli­chen sind da immer so sensibel, aber in Wirklichkeit sind die Zuwanderer, die kommen, im Schnitt ja viel gebildeter als die Österreicher! Damals hat es einen Aufschrei gege­ben. (Bundesrätin Kurz: Geh! Kein Mensch hat so was behauptet, das ist ein Blöd­sinn!) – Ja, das hat er gesagt. Es hat ja damals auch Darabos ich kann mich noch gut daran erinnern – genau in das gleiche Horn gestoßen.

Man ist dann irgendwann einmal draufgekommen, weil man sich die Statistik ange­schaut hat, dass das nicht stimmt. Es kommen nicht nur Wissenschafter, Ärzte und so weiter zu uns, die Österreichs Volkswirtschaft stärken. Das große Problem ist, dass zu viele im Sozialsystem verharren, die einfach der Hilfe bedürfen, weil sie auf dem Ar­beitsmarkt ganz einfach keine Möglichkeiten haben. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Schennach: Geh na! Blödsinn!) Das ist so!

Zum nächsten Punkt: die Studenten; da wurde das vielleicht so angedacht. Wenn Stu­denten aus aller Herren Länder zu uns in eine Universität kommen und sagen, dass sie hier studieren wollen, und die Voraussetzungen dafür haben, ja, dann sollen sie studie­ren. Junge Leute sollen auf der ganzen Welt studieren dürfen, sie sollen studieren dür­fen, wo sie wollen. Das muss ein Recht sein. Dieses Recht ist schon sehr alt und muss auch aufrecht bleiben. (Bundesrat Schennach: ... Österreicher!)

Schaut man dann aber unsere Gesetze und Begleitgesetze an, dann sieht man schon den Giftzahn. Wir haben gesagt: Okay, jeder Student, der zu uns kommt – möglicher­weise sind die Familien nicht so reich –, der darf auch ein bisschen etwas dazuverdie­nen, nämlich geringfügig, ein Taschengeld, dafür waren zehn Wochenstunden erlaubt. Das ist sich bis jetzt auch immer so ausgegangen, dass das nicht zu einer Verfestigung auf dem Arbeitsmarkt oder im Sozialsystem gedient hat.

Jetzt kann man darüber diskutieren: Geht man von zehn auf 20 Stunden, dann haben auch die Studenten, die aus aller Herren Länder kommen und willkommen sind, hier zu studieren – denn die österreichischen Studenten dürfen ja auch überall studieren –, die Möglichkeit, in das Sozialsystem einzutreten. Sie verdienen dann natürlich so viel, dass sie plötzlich auch beim AMS vorstellig werden können. (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller.) Sie haben in späterer Folge dann natürlich auch ein Recht auf Arbeitslo­sengeld und Mindestsicherung.

Jetzt kann man sagen, das ist schön für die Studenten, für die das möglich ist. Wenn jemand kommt, die Matura hat und sagt, dass er noch nicht Deutsch kann, aber dann angibt, dass er jetzt einmal ein halbes oder ein Jahr Deutsch lernen will, okay, dann soll er das tun. Er ist dann aber, wenn er nebenbei als Kellner arbeitet, im System und nimmt eventuell sehr vielen teilzeitbeschäftigten Müttern oder anderen (Ruf: Oder Vä­tern!) – oder Vätern, ja, ist natürlich auch möglich – den Arbeitsplatz weg, oder zumin-


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dest besteht dann bei diesen Arbeitsplätzen, bei denen weniger Ausbildung notwendig ist, größerer Druck.

Nach einiger Zeit haben wir dann natürlich das große Problem, dass auch die Mindest­sicherung möglich ist. Wird dieser Student dann beim AMS oder irgendeiner Stelle vor­stellig – man muss ja auch seine Arbeitsbereitschaft dokumentieren –, dann haben wir das riesige Problem, dass da drinsteht, dass er ja zum Studieren hier ist. Man kann dann einen solchen Studenten kaum mehr vermitteln, denn erstens darf er nicht mehr als 20 Stunden arbeiten, das schränkt schon einmal den Bereich ein, und zweitens ist er zum Zwecke des Studiums hier, das schränkt noch einmal ein.

Man kann sich also sicher sein, dass der eine oder andere schlaue Student dabei sein wird – und ich gehe davon aus, dass Studenten schlau sind –, der einfach sagt: Okay, das ist ganz toll, da kann ich mich jetzt einmal fünf, sechs Jahre in Österreich verfesti­gen, und ich schaue einmal, in welche Richtung mein Leben gehen soll!

Für die Studenten finde ich das völlig in Ordnung. Ich meine damit, dass ich jene jun­gen Menschen, die das nicht in Anspruch nehmen, nicht verstehe, aber dass wir das mit diesem Gesetz wirklich wollen, bezweifle ich. Und das ist der Grund, warum wir diesem Gesetz nicht zustimmen können. Ich glaube, es ist nicht durchdacht. (Beifall bei der FPÖ.)

11.14


Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Bevor wir in der Rednerliste fortfahren, begrüße ich sehr herzlich die Schülerinnen und Schüler der Astrid-Lindgren-Schule in Wien bei uns im Bundesrat. (Allgemeiner Beifall.)

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Anderl. Ich erteile es ihr.

 


11.15.05

Bundesrätin Renate Anderl (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrter Herr Bundesminister! Ich habe jetzt lange überlegt, inwieweit ich auf den Rede­beitrag von Bernhard Rösch antworten soll, aber ich glaube, er hat sich in vielen Din­gen selbst widersprochen. Ich denke, wenn man sich die Zahlen anschaut – weil er im­mer wieder die Rot-Weiß-Rot-Card erwähnt hat –, dann sieht man schon, wer in unse­rem Land ist. Das sind Menschen, Beschäftigte, die wir, glaube ich, brauchen, weil auch wir unsere Kinder, unsere Facharbeiter und Facharbeiterinnen ins Ausland schicken, um Erfahrungen zu sammeln.

Schaut man auf die Zahlen, dann sieht man schon ganz klar und deutlich, dass die häu­figsten Branchen wissenschaftliche und technische Dienstleistungen sind, die Herstel­lung von Waren, und die häufigsten Berufe, die durch die Rot-Weiß-Rot-Card bei uns vertreten sind, sind Direktoren, Geschäftsführer und Menschen, von denen man sehr wohl, glaube ich, sagen kann, dass sie Wissen mitbringen und dieses bei uns einbrin­gen. (Bundesrätin Mühlwerth: ... sind das?) – Das ist auf jeden Fall die Mehrzahl, weit weg von all dem anderen, was heute Bernhard Rösch erwähnt hat.

Ich bezweifle, dass die Menschen mit dieser Berufserfahrung, mit dieser Ausbildung, wenn sie zu uns kommen, jene sind, die Mindestsicherungsbezieher sind, auch dann nicht, wenn die Familie nachgeholt wird; ich glaube, hier im Saal wissen alle, was not­wendig ist, um Mindestsicherungsbezieherin/Mindestsicherungsbezieher zu sein.

Ich möchte mich aber jetzt in meinem Redebeitrag wirklich auf die Eckpunkte der No­velle zum Ausländerbeschäftigungsgesetz beziehen. Diese Novelle beinhaltet Neue­rungen für die Zulassung von Saisonarbeitskräften aus Drittstaaten und Kroatien, einen erleichterten Zugang ausländischer Studierender und für Start-ups-Gründer und -Grün­derinnen, auf die die Rot-Weiß-Rote-Karte erweitert worden ist, sowie auch eine An­passung der gesetzlichen Bestimmungen für den konzerninternen Transfer von Schlüs-


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selarbeitskräften an EU-Recht und die Aufhebung der Sonderregelung für Erntehelfer auch aus Drittstaaten und Kroatien vor allem im Bereich des ASVG.

Bei den Bestimmungen für Saisonniers und Erntehelfer/Erntehelferinnen sowie für kon­zerninterne Transfers von Schlüsselarbeitskräften handelt es sich ja um die Umsetzung einer EU-Richtlinie. Neu und exakt geregelt ist unter anderem auch die Gesamtzulas­sungsdauer eines Saisonniers, die Beschäftigung dieser wird von derzeit maximal zwölf Monaten innerhalb von 14 Monaten auf maximal neun Monate innerhalb der letzten zwölf Monate reduziert, und davon – wie bisher auch – maximal sechs Monate durchgehend.

Der Arbeitsmarkt zeigt aber auch auf, dass gerade im Bereich der Saisonarbeitskräfte viele Menschen immer wieder zu uns kommen, nämlich jene, die schon hier waren, die schon während einer Saison hier beschäftigt waren, und diese sollen in Zukunft auch bevorzugt werden. Ich sehe es als einen sehr großen Vorteil, wenn Beschäftigte zu uns kommen, die sich schon ein bisschen auskennen, die die Modalitäten kennen, die wis­sen, worum es geht. Vor allem, glaube ich, gibt es hier dann einen Vorteil auf Arbeit­nehmer-/ Arbeitnehmerinnenseite sowie auf Arbeitgeberseite.

Ich sehe es als sehr positiv, dass die diskriminierende Sonderregelung im ASVG für Erntehelfer aufgehoben wird und sie zukünftig nicht nur mehr kranken- und unfallversi­chert sind, sondern ab dem Jahr 2019 auch pensionsversichert sind.

Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Gerade diese Beschäftigten, gerade die Beschäf­tigten im Bereich der Erntehelfer, sind jene, die Unterstützung brauchen. Es ist jene Grup­pe von Beschäftigten, bei denen wir des Öfteren in unserer täglichen Arbeit – und hier meine ich auch unsere tägliche gewerkschaftliche Arbeit – erleben, dass sie aufgrund der besonderen Arbeitsbedingungen viel häufiger der Gefahr von Ausbeutung ausge­liefert sind als viele andere Berufsgruppen. (Bundesrätin Mühlwerth: Na geh!) Es ist klar, dass die Ausbeutung von Menschen – ich glaube, darin sind wir uns trotzdem alle einig –, egal woher sie kommen, kein Kavaliersdelikt ist! (Beifall bei der SPÖ.)

Einige der häufigsten Probleme bei dieser Berufsgruppe sind, dass die Anmeldungen oft nur als Teilzeitkraft vorgenommen werden, sie aber doch Vollzeit bei uns beschäftigt sind. Die Beschäftigten geraten auch sehr häufig durch fehlende Arbeitspapiere, massive Überstundenleistungen ohne Abgeltung, unterschriebene Verzichtserklärungen und viele andere Dinge unter Druck – da sie ja sehr häufig die Sprache nicht so gut können –, da­mit sie die paar Wochen, die sie dürfen, hier bei uns arbeiten können.

Erst voriges Jahr hat ein Erntehelfer im Burgenland uns mitgeteilt, dass er gedacht ha­be, 3 € in der Stunde wäre ein ganz normaler Lohn in Österreich. – Ich möchte anmer­ken, dass es den Gewerkschaften schon gelungen ist, in einigen Bereichen Kollektiv­verträge dafür abzuschließen. Da sieht man schon, wie Menschen ausgebeutet wer­den: 3 € waren für ihn normal! Das wurde ihm angeboten, unter diesen Umständen hat er gearbeitet, in Wirklichkeit beträgt der Stundenlohn aber 6,65 €. Selbst dieser ist sehr niedrig angesetzt, aber er beträgt das Doppelte dessen, was man ihm bezahlt hat.

Deshalb ist es meine Überzeugung, dass gerade diese Bereiche unsere Unterstützung brauchen. Liebe Bundesrätinnen, liebe Bundesräte, in diesem Gesetz sind viele Maß­nahmen festgeschrieben, die genau dafür sorgen: die für klare Regelungen stehen, für faire Arbeitsbedingungen, die letztendlich für faire Lohnbedingungen und auch für ge­rechte Absicherung in der Sozialversicherung sorgen.

Genau aus diesem Grund, weil hier klare Regelungen festgeschrieben wurden und wir immer wieder dabei sind, diese noch weiter zu verbessern und wir sie nicht als Flick­werk sehen, wird meine Fraktion diesen Änderungen zustimmen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Mayer.)

11.21



BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 56

Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächste ist Frau Bundesrätin Mühlwerth zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


11.21.43

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste, die Sie hier bei uns sind oder vielleicht auch via Internet zuschauen! Ich bin wirklich immer ganz ge­rührt, welche Sorgen Sie sich um Ausländer machen, um Saisonniers, um Erntear­beitskräfte – viel weniger Sorgen machen Sie sich um die eigenen Arbeitskräfte. (Bun­desrat Schennach: Aber geh, aber geh! Da musst du selbst lachen!)

Mir ist schon klar und ich weiß natürlich, dass es Erntehelfer gibt, weil man für manche Tätigkeiten der Ernte keinen Österreicher mehr findet. Und man hat mir auch einmal gesagt, zum Spargelstechen kann man keinen Österreicher nehmen, der kann das ein­fach nicht. – Das weiß ich schon!

Ich weiß darüber hinaus, dass es während der Saison vor allem im Tourismus und im Gastgewerbe Schwierigkeiten gibt, Leute zu finden, aber ich sage Ihnen dazu auch, da kommt es schon auch auf die Arbeitsbedingungen an! Es ist nämlich nicht so, dass die Österreicher das generell nicht machen würden, sondern zum Teil herrschen Arbeits­bedingungen, bei denen die Österreicher sagen: Das tue ich mir nicht an; nicht um das Geld, nicht zu diesen Arbeitszeiten, nicht unter diesen Rahmenbedingungen! – Viel­leicht machen Sie sich einmal darüber Gedanken, wie es für unsere eigenen Leute ist, in diesen Bereichen zu arbeiten!

Der Erntehelfer soll ordentlich bezahlt werden, ja, das ist überhaupt keine Frage, aber ich frage Sie jetzt schon, wozu Sie eigentlich ununterbrochen neue Antisozialdumping­gesetze machen. – Sozialdumping dürfte gar nicht mehr möglich sein! Bei jeder Novel­lierung – und das ist jetzt schon die x-te! – haben Sie uns erklärt, dass damit alles ab­gesichert ist, dass das nicht mehr vorkommen kann, dass Sozialdumping nicht mehr stattfindet (Bundesrat Pfister: Aber Theorie und Praxis sind zwei Paar Schuhe!) – und jetzt haben wir wieder eine Novellierung, weil es offensichtlich doch nicht klappt. Viel­leicht schaffen Sie es als Koalition – als Noch-Koalition –, einmal ein Gesetz zu machen, das eine Zeit lang hält und das auch alle Dinge, die kritisierenswert sind, abdeckt.

Dass ein Erntehelfer diskriminiert ist, weil er nicht pensionsversichert ist, erschließt sich mir jedoch nicht. – Ich bin dafür, dass er ordentlich bezahlt wird, dass da kein Sozial­dumping gemacht wird, ja. Er muss natürlich kranken- und unfallversichert sein, das ist auch selbstverständlich, aber wieso er pensionsversichert sein muss, weiß ich nicht (Bun­desrat Schennach: ... weil er nicht bis 80 ...!), noch dazu, da Sie ja den eigenen Pensio­nisten permanent sagen, dass Sie kein Geld haben, um zum Beispiel ihre Pensionen zu valorisieren. Aber dort scheint es offenbar möglich zu sein.

Die Studenten aus dem Ausland dürfen jetzt während ihres Studiums Teilzeit arbeiten, das wird sie sehr freuen. – Die einheimischen Studenten wird das natürlich nicht freu­en, denn es wird genau das passieren, was immer passiert, nämlich eine Verdrängung. Die anderen werden es billiger machen, und damit hat der österreichische Student schon wieder eine ganze Reihe von Möglichkeiten weniger, bei denen er Teilzeit arbeiten kann. (Zwischenruf der Bundesrätin Winkler.)

Dank Ihres Arbeitssystems, zum Teil auch Sozialsystems und auch der Löhne, die sich ja im Gegensatz zu anderen Dingen nicht wirklich weiterentwickelt haben, ist es für viele Familien einfach nicht mehr leistbar, ein Kind an die Uni zu schicken – wenn man zwei oder drei hat, wird es noch viel schwieriger – und zu sagen: Ich finanziere dir die Ausbildung! Die meisten der Studenten, das wissen Sie alle, müssen Teilzeit arbeiten, und es kommt wieder eine Gruppe mehr. Der Kuchen bleibt gleich groß, aber es teilen sich ihn dann noch mehr, und das heißt, für unsere Leute werden die Stücke wieder


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 57

kleiner. – Da gratuliere ich Ihnen aber wirklich herzlich dazu, dass Sie solche Gesetze machen!

Lassen Sie mich, weil auch die Rot-Weiß-Rot-Karte immer wieder angesprochen wird und dann die Zahlen differieren und erklärt wird, es kommen ohnehin nur die Manager und die Geschäftsführer, Folgendes sagen: Das erinnert mich schon sehr an das Jahr 2015, als man uns gesagt hat, die Flüchtlinge, die aus Syrien kommen, sind lauter Ärzte und Techniker, das sind alles hoch qualifizierte Leute. – Wir wissen mittlerweile, dass nichts davon stimmt. Die meisten sind minder qualifiziert, die meisten können nicht lesen und schreiben, die meisten sind Analphabeten. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) So viel zu Ihren Wahrheiten.

Aber warum schauen wir denn eigentlich nicht, dass unsere Studenten in Österreich bleiben? Es gehen nämlich viel mehr ins Ausland, als und lieb sein kann! Und warum tun sie das? Weil die Bedingungen hier ... (Bundesrätin Winkler: Weil sie Auslandser­fahrung brauchen!) – Nein, nicht, weil es so schön ist. (Bundesrätin Winkler: Weil sie Auslandserfahrung brauchen!) Frau Kollegin Winkler, Sie dokumentieren Ihre Ahnungs­losigkeit immer wieder aufs Neue. Vielleicht lassen Sie es einmal zu Ihrem eigenen Wohl und Schutz gut sein!

Viele unserer Studenten gehen ins Ausland, weil die Bedingungen hier nicht mehr stim­men. Sie verdienen im Ausland mehr (Bundesrätin Winkler: Sie gehen arbeiten?!), es ist in Bezug auf Forschung und Wissenschaft für sie besser, und wir haben hier eine der höchsten Abgabenquoten in Europa; da können Sie sagen, was Sie wollen. (Beifall bei der FPÖ.)

Diese jetzige unwürdige Diskussion – neben vielen anderen unwürdigen Diskussionen in dieser Koalition, die ohnehin nur noch durch Superkleber zusammengehalten wird – zeigt auch, wohin die Reise nach Meinung der Sozialdemokraten geht: Nur das unters­te Einkommensdrittel soll von der kalten Progression entlastet werden; dass der Mit­telstand verarmt, ist Ihnen eigentlich wurscht. (Bundesrätin Winkler: Aber euch geht es nicht um den Mittelstand, oder?) Die zahlen aber Steuern und die erhalten das System, und es sind deren Kinder, die dann sagen: Ich habe die Nase voll, ich gehe woanders hin, nachdem ich das Studium hier beendet habe!

Das kann ja nicht im Sinne eines Staates sein, das ist auch nicht im Sinne des Er­finders. Da müssen Sie ansetzen! Sie müssen schauen, dass Sie die eigenen Leute un­ter entsprechenden Rahmenbedingungen im Land halten können, sodass es sich für sie auch lohnt.

Grün-Rot sieht das eher so: Mehr Ausländer herein, denn wir brauchen für die Man­gelberufe so viele Zuwanderer, weil wir keine entsprechenden Leute haben! (Bundes­rat Schennach: Also wie machst du das jetzt mit den deutschen Studierenden? – Bun­desrätin Winkler: Das sind auch Ausländer!) – Ich kann Ihnen einige Beispiele nennen, bei denen es in den sogenannten Mangelberufen eigene, einheimische Arbeitskräfte gibt, die aber trotzdem keinen Job bekommen haben – erstaunlich! Da frage ich Sie jetzt aber schon: Wie geht das denn? Wenn es ein Mangelberuf ist, müsste es doch für ei­nen Österreicher jede Menge Jobchancen geben?! – Aber auch da findet natürlich sehr wohl wieder Lohndumping statt, weil man, wenn man etwas billiger kriegt, es auch nimmt. (Bundesrat Schennach: Köche!)

Zuallerletzt sage ich Ihnen Folgendes, weil der Herr Sozialminister im Nationalrat et­was gesagt hat – auf einen Zwischenruf von den NEOS, glaube ich –, nämlich: In einer Sozialunion ist das so. – Nein danke, Herr Minister, nein danke, meine Damen und Her­ren, die FPÖ ist nicht für eine Sozialunion! (Beifall bei der FPÖ.)

11.28



BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 58

Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Mayer. – Bitte.

 


11.28.38

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Bundesrat Stögmüller: Edgar, bist du für eine Sozialunion?) – Ich bin jetzt für das Ausländerbeschäftigungsgesetz hier und für nichts anderes (Bundesrätin Mühl­werth: Das steht aber im Zusammenhang, das ist im Nationalrat gesagt worden!), denn, Frau Kollegin Mühlwerth, der Bogen, den die Freiheitliche Partei jetzt gespannt hat im Bereich oder im Umfeld dieses Gesetzes, der ist schon ziemlich weit. Der geht von Aus­ländergeschichten bis zu den Studenten und dazu, dass die Studenten Österreich ver­lassen. (Neuerlicher Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Zum Gesetz selbst habe ich von euch nur zwei Sätze gehört, dabei geht es hier um es­senzielle Änderungen, die wir vorhaben! (Bundesrat Rösch: Aber genau das ist das Problem!) – Ja, Kollege Rösch. Einiges, was du zum Beispiel über Studenten gesagt hast, das kann ich nachvollziehen, oder das Lob eingangs, was die Rot-Weiß-Rot-Kar­te anlangt – wunderbar! –, aber da habe ich jetzt von Kollegin Mühlwerth etwas ganz an­deres gehört. (Vizepräsidentin Winkler übernimmt den Vorsitz.)

Und wenn ich daran denke, dass die Saisonarbeiter wichtig sind, damit ihr auch einen entsprechenden Zugang habt: Es ist in ganz Europa so, dass Saisonniers und Arbeiter, die im landwirtschaftlichen Bereich tätig sind, eben kaum mehr aus den eigenen Län­dern rekrutiert werden können. Das ist nun einmal überall so, da hat Österreich keinen besonderen Zugang zu dem Bereich! (Bundesrätin Mühlwerth: ..., das ist nicht das­selbe!) – Nein, ich verwechsle gar nichts! Wenn jemand etwas verwechselt hat, dann warst du das, Frau Kollegin Mühlwerth! (Beifall bei ÖVP und SPÖ.) Deine Verwechs­lungen sind immer noch schmerzhaft in meinem Ohr, und das muss man in einer ge­wissen Weise klarstellen.

Wir sorgen uns auch sehr um die eigenen Arbeitskräfte! (Bundesrätin Mühlwerth: Ja, das merkt man!) Österreich hat ein wirklich hoch entwickeltes Arbeitsrecht – das ist auch gut so –, an dem wir immer wieder arbeiten und das es auszubauen gilt. Um die­ses Arbeitsrecht beneiden uns viele Staaten in Europa und auf der Welt, und das kann man hier ganz klar und deutlich betonen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie des Bun­desrates Stögmüller.)

Natürlich gibt es Kriterien für Fachkräfte. Dass man für Mangelberufe etwas mehr ein­fordert an Berufserfahrung, Sprachkompetenz, was zusätzlich bewertet wird, ist auch wirklich wichtig, und dass die Rot-Weiß-Rot-Karte für Fachkräfte, die wir auf dem Ar­beitsmarkt auch brauchen, wesentlich erweitert wird, ist ein besonderer Zugang.

Kollege Rösch hat schon richtig ausgeführt, dass der Zeitraum von zwölf auf 24 Mona­te verlängert wird und die Rot-Weiß-Rot-Karte dann in die Rot-Weiß-Rot-Karte plus so­zusagen übergeführt wird. Das brauche ich nicht noch einmal zu erwähnen, aber sehr wohl erwähnt werden sollte, dass keineswegs angedacht wird, dass diese Menschen später irgendwie Bezieher von Mindestlohn werden oder in die Arbeitslosigkeit abglei­ten; genau das wird ja mit dieser Rot-Weiß-Rot-Karte verhindert. Das muss man wirk­lich ganz deutlich in Abrede stellen, Herr Kollege Rösch!

Natürlich gibt es nicht nur Erleichterungen für Studierende, sondern mit dieser Geset­zesvorlage haben wir auch EU-Recht umzusetzen. Betreffend dieses EU-Recht sind wir ohnedies schon ein bisschen säumig, und es ist höchst an der Zeit, dass wir das adaptieren! Dabei geht es um Führungskräfte, besondere Spezialisten, Trainees mit Hoch­schulabschluss, und es geht – das ist natürlich schon auch richtig – um die engeren Fa­milienangehörigen.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 59

Darüber hinaus ist es auch richtig, dass Saisonniers beziehungsweise Arbeiter, die im Be­reich der Landwirtschaft tätig sind, nicht nur kranken- und unfallversichert sind, son­dern dass wir sie auch in die Pensionsversicherung überführen – das wird ab 2019 ge­schehen. Die Beispiele, die Frau Kollegin Anderl gebracht hat, illustrieren Wildwuchs und Sozialdumping, und diese müssen auch entsprechend abgestellt werden! Man muss sich ganz klar dazu bekennen, dass das wichtige Arbeitskräfte für uns sind, die wir für die Wirtschaft, insbesondere auch für die Landwirtschaft brauchen, und dann soll es auch eine entsprechende soziale Absicherung geben. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Abschließend, Frau Kollegin Mühlwerth, Herr Kollege Rösch, weil, wie gesagt, einiges schon erwähnt wurde, was ich jetzt nicht zu wiederholen brauche: Wir sind schon der Auffassung – da stimme ich mit dem Sozialminister überein –, dass wir die richtigen Im­pulse für den Arbeitsmarkt setzen. Wir brauchen auch entsprechend qualifizierte Men­schen aus sogenannten Drittstaaten, für die wir attraktive Arbeitsplätze anbieten, die aber auch befähigt sind, attraktive Arbeitsplätze bei uns zu schaffen.

Mit Asyl- und Fremdenwesen beziehungsweise Flüchtlingswesen hat das Ganze wirk­lich überhaupt nichts zu tun! Es geht dabei insbesondere um Zuwanderung und um Ar­beitskräfte, die wir in vielen Betrieben dringend benötigen, wie zum Beispiel im Touris­mus und in der Landwirtschaft. – So schaut es aus! (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Herr Sozialminister, wir werden selbstverständlich gerne zustimmen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

11.33


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster ist Herr Bundesrat Stögmüller zu Wort ge­meldet. – Bitte, Herr Kollege.

 


11.33.57

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Sozialminister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, meine VorrednerInnen haben bereits einen sehr weiten Bogen gespannt und über das Ausländerbeschäftigungsgesetz eigentlich schon relativ viel gesagt. Ich werde mich mit den für uns Grüne wichtigsten Punkten beschäftigen und auf diese eingehen.

In diesem Gesetz behandeln wir hauptsächlich ein Detailwerk für ArbeitnehmerInnen­gruppen aus Drittstaaten wie ErntehelferInnen, Saisonkräfte, ICT-Schlüsselkräfte, die intern in einem Konzern entsandt werden, und Studierende aus Drittstaaten, die in Ös­terreich studieren. Die größte Auswirkung dieser Novelle sehen wir eigentlich bei den Studierenden aus Drittstaaten, für die es in Zukunft eine doch wesentliche Erleichte­rung geben wird. Dazu gehört, dass zukünftig Bakk.-Studien, also Bachelorstudien, und PhD-Abschlüsse im Zusammenhang mit der Rot-Weiß-Rot-Karte angewendet werden können.

Diesbezüglich eine kurze Anmerkung an Sie, Herr Kollege Rösch: Auch zuvor haben Studentinnen und Studenten das Beschäftigungsausmaß auf 20 Stunden ausdehnen kön­nen, nämlich im zweiten Abschnitt des Studiums, das heißt, das ist nichts Neues. Jetzt kommen nur Studenten dazu, die im ersten Abschnitt schon viel arbeiten, weil das Stu­dieren so teuer ist. Und jetzt ... (Bundesrat Rösch: PhD und Master, aber jetzt kommt man mit einem Deutschkurs schon hinein!) – Also betreffend die Sache mit den 20 Stun­den müssen Sie sich vielleicht noch ein bisschen besser in das Ganze einlesen.

Bisher waren, wie Sie richtig gesagt haben, nur Master- und Diplomabschlüsse vorge­sehen. Das ist jetzt schon etwas besser geworden, dennoch hat meiner Meinung nach die Rot-Kreuz- ... Rot-Kreuz? – Dazu komme ich dann später! (Allgemeine Heiterkeit.) Dennoch hat die Rot-Weiß-Rot-Karte weiterhin Mängel. Diese machen es top ausge­bildeten Drittstaatsangehörigen schwer, in Österreich zu bleiben oder sich hier sesshaft


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 60

zu machen, weil sie immer von den jeweiligen Arbeitsverhältnissen abhängig sind; es besteht immer eine Einkommensabhängigkeit. Zudem darf innerhalb der Suchfrist kein Job angenommen werden, der nicht den Kriterien der Rot-Weiß-Rot-Karte entspricht.

Viele beklagen auch die langen Bearbeitungszeiten bei den Behörden. Die Arbeiter­kammer weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass ArbeitnehmerInnen, um die Rot-Weiß-Rot-Karte plus nicht zu verlieren, nicht gegen arbeitsrechtliche Verstöße vorge­hen können, und das finde ich schon bedenklich. Das müssen wir beachten, wenn wir weitere Reformen und dieses Thema generell weiter diskutieren. Dennoch ist dies ein positiver Schritt für die Studierenden aus Drittstaaten.

Ein weiterer Schwerpunkt dieser Novelle sind die Saisonkräfte. Für diese bringt die No­velle eine Gleichstellung bei der Sozialversicherung beziehungsweise fallen sie nun in die Vollversicherung, die auch die Pensionsversicherung inkludiert, hinein. Das begrü­ßen wir Grüne sehr. Ich denke, das ist gerecht und fair.

In Zukunft gibt es auch eine Verpflichtung betreffend Unterkünfte. Ich finde das, ehrlich gesagt, gerecht und fair, denn wir reden hier von Menschen, die sicher nicht die opti­malsten Arbeitsbedingungen haben, bei uns nicht die beste Bezahlung bekommen und oftmals nicht einmal die Sprache sprechen. Dass sich der Arbeitgeber dann um eine ortsübliche Unterkunft kümmern muss und diese auch nicht vom Lohn abzieht, ist, wie ich meine, das Wenigste beziehungsweise auch ein Bonus für diese ArbeitnehmerIn­nen. Ich kann auch nur unterstützen, dass es in Zukunft diesbezüglich eine Sanktions­möglichkeit gibt – ich bin schon gespannt, wie diese dann umgesetzt wird.

Was ich aber schon auch zu bedenken gebe, ist, dass die Behördenschnittstellen, also gerade die NAG-Behörden – Bezirksstellen und so weiter – und die AMS-Regionalstel­len, durch diese Regelung in Zukunft doch sehr gefordert sein werden, sei es durch die Reihenfolge oder die Aufenthalts- beziehungsweise Beschäftigungsbewilligung. Auch werden die Ausgestaltung des Vollzugs in Bezug auf die Dauer der Bewilligung sowie In­formationen für die drittstaatsangehörigen ArbeitnehmerInnen und ihre ArbeitgeberInnen bei der Umsetzung entscheidend sein.

Wir Grüne werden diesem Gesetz heute also auch im Bundesrat unsere Zustimmung geben, weil wir darin einige Verbesserungen für die Studierenden aus Drittstaaten und auch für die Saisonarbeiter sehen, die wir sehr begrüßen. Etwas skeptischer sind wir beziehungsweise bin ich noch in Bezug auf die Rot-Weiß-Rot-Karten. Da bestehen mei­ner Meinung nach einfach noch zu viele Hürden für die Studierenden und für die Men­schen generell. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

11.38


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Nunmehr ist Herr Bundesminister Stöger zu Wort ge­meldet. – Bitte, Herr Minister.

 


11.38.18

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé: Frau Präsidentin! Hohes Haus! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Liebe Schülerinnen, liebe Schüler! Ich freue mich ganz besonders, dass ihr bei uns seid, weil man hier auch so richtig Demokratie lernen kann. Ich gratuliere den Lehrkräften, die das ermöglichen; es ist mir wichtig, das zu sehen!

Ich meine, wir brauchen wirklich eine Diskussion über die Demokratie in Österreich. Es geht auch um die Frage, mit welchen Menschenbildern wir hier Politik machen. Ich sa­ge, es ist ganz wichtig, dass Menschen, die in Österreich arbeiten, dies unter vernünfti­gen Bedingungen tun können müssen. Menschen, die Österreich in der Welt unterstüt­zen wollen, sind wichtig – das sind oft jene, die bei uns studiert haben und wieder in ihre Herkunftsländer zurückgegangen sind, das sind oft jene, die unsere Sprache ge­lernt haben und die uns dann helfen, wenn wir mit unseren Unternehmen im Ausland


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 61

Geschäfte machen wollen. Das sind jene Menschen, die einen positiven Bezug zu Ös­terreich haben. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

Daher wollen wir Bedingungen haben, die es in Zukunft ermöglichen, dass Österreich eine Exportnation ist. Für diese Exportnation ist es wichtig, dass wir hier im Land Ar­beitsplätze sichern, dass wir hier vernünftige Bedingungen schaffen.

Mit dieser Novelle des Ausländerbeschäftigungsgesetzes tun wir das in mehrfacher Wei­se. Erstens: Wir haben vernünftige Bedingungen für Saisonniers – das ist wichtig. Ich sa­ge das noch einmal dazu: Wir leben vom Tourismus! Wir wissen, dass wir im Touris­mus auch Menschen aus Drittstaaten brauchen, deshalb müssen wir vernünftige Be­dingungen haben. Das ist gut so und das sichert auch Arbeitsplätze in Österreich.

Zweitens – und da habe ich Widersprüche erlebt; das hält man ja nicht aus –: Was wollt ihr? Ja, was wollt ihr? Wollt ihr, dass Studenten, die aus dem Ausland zu uns kommen, sich selbständig ernähren können, dass sie Teilzeit arbeiten dürfen, damit sie ein Ein­kommen haben und sich selbst versorgen können? – Ja, dann muss man sie arbeiten lassen, ganz einfach! (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Wir sagen: Arbeitet 20 Stunden, schaut euch an, wie Österreich tickt! Das nehmt ihr dann mit, wenn ihr wieder zurückgeht! – Das haben wir ermöglicht, das tun wir, weil wir wollen, dass diese Studenten zu uns kommen. Wir wollen nicht nur die Kinder der Scheichs haben, sondern wir wollen Menschen, die uns später helfen, mit unseren Pro­dukten in der Welt tätig zu sein.

Auch Konzernentsendungen werden erleichtert, weil es in einer vernetzten Wirtschaft so wichtig ist, dass wir auch ausländische Fachkräfte hier haben. Wir sind ganz stolz, wenn Wien ein Standort für Internationalität ist. Das ermöglichen wir und wir schaffen auch vernünftige Rahmenbedingungen.

Wir haben gesagt, wenn es Menschen gibt, die in Österreich investieren wollen, die Start-ups gründen wollen, dann bieten wir ihnen einen entsprechenden Rahmen. Das ist Sozialpolitik, das ist Arbeitsmarktpolitik, wie wir sie haben wollen.

Ich möchte noch auf zwei Dinge eingehen: Es ist der Vorwurf gekommen, wir tun nichts für die eigenen Leute. Ich sage: Die eigenen Leute sind die, die in Österreich leben, das sind auch die Studenten. Das sind die eigenen Leute, die in Österreich – und wenn es nur für eine gewisse Phase ihres Lebens ist –, die hier leben wollen. Für die braucht man Bedingungen. Wer sagt, Europa soll keine Sozialunion sein, ist für Lohndumping. (Bun­desrat Stögmüller: Richtig!) Wer sagt, Europa soll keine Sozialunion sein, will, dass aus­ländische Leute, die hier durchfahren, geringe Löhne haben. Wir wollen das nicht. Wir wol­len für alle Mindestlöhne haben, und daher brauchen wir in Europa die Auseinanderset­zung über eine Sozialunion, eine geregelte, eine geordnete, mit Bedingungen, auf die sich jeder Unternehmer verlassen kann, mit Bedingungen, auf die sich jeder Arbeitnehmer verlassen kann, und Bedingungen, für die man sich nicht in ganz Europa schämen muss. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Weil ich gerade so richtig grantig bin (allgemeine Heiterkeit), möchte ich auch darauf hin­weisen, was die Bundesregierung macht. Wir haben ganz klar gesagt, wir wollen die Ar­beitslosigkeit unter den älteren Menschen halbieren. Mit der Aktion 20 000 tun wir das. Damit sind viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister parteiübergreifend einverstan­den und sagen: Ja, das ist etwas Gescheites!

Darum ist meine Bitte: Schauen wir, dass wir das bald umsetzen können! Wir wollen in Projektregionen starten, wir wollen dazulernen, aber wir wollen jenen Menschen, die äl­ter als 50 und langzeitarbeitslos sind, eine Chance geben. Ich bedanke mich bei der Wirtschaft, ich bedanke mich bei den Bürgermeistern – da sind viele Gescheite dabei, die sagen, dass sie das machen wollen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie bei Bundes­räten der Grünen.)

11.43

11.43.53

 



BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 62

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlos­sen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

11.44.222. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 26. April 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz und das Sozialbetrugsbe­kämpfungsgesetz geändert werden (1589 d.B. und 1603 d.B. sowie 9788/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nun zum 2. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Posch-Gruska. Ich bitte um den Bericht.

 


11.44.54

Berichterstatterin Inge Posch-Gruska: Frau Präsidentin! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über den Beschluss des Na­tionalrates vom 26. April 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Lohn- und So­zialdumping-Bekämpfungsgesetz und das Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz geändert werden.

Der Bericht liegt Ihnen schriftlich vor; ich komme daher gleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 9. Mai 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Rösch. – Bitte.

 


11.45.19

Bundesrat Ing. Bernhard Rösch (FPÖ, Wien): Es ist gut, dass sich die Mannschaft noch nicht verändert hat, denn das zweite Gesetz beziehungsweise die zweite oder die x-te Änderung dieser Ankündigungsregierung ist in Wirklichkeit ein Theater wie die gan­ze Regierung an sich. Jetzt bin ich auch einmal grantig! Wenn ein Sozialminister aus­ruft – nur weil es vielleicht für ihn gut ist, oder ich weiß nicht, aus welchem Anlass –, wir sind das Armenhaus Europas (Bundesrätin Anderl: Das hat er nicht gesagt!), kommt nur alle herein (Bundesrat Jenewein – in Richtung SPÖ –: Das ist eure Politik! – Bundesrat Lindinger: So was! Das ist ja krank!), dann frage ich: Was sagen wir unseren 400 000 Ar­beitslosen?

Hinter diesen steckt überall ein Schicksal von Familien. Ihr könnt doch nicht einfach im­mer so tun und immer nur auf die Wirtschaft warten! Ihr wartet in Wirklichkeit immer auf die tüchtigen Arbeitnehmer, die von selbst tätig werden. Kaum sieht man irgendwo einen Silberstreifen am Horizont, sagt man: Okay, auf den schmeißen wir uns politisch drauf, hoffentlich wird das was, hoffentlich werden wir die Arbeitslosenzahlen irgendwann ein­mal herunterbringen! (Zwischenruf des Bundesrates Köck.)

Ich kann mich noch an Hundstorfer erinnern, als er 2013 gesagt hat, 2015 wird sich al­les wieder geregelt haben, da werden die Arbeitslosenzahlen wieder zurückgehen. Was ist passiert? – Gar nichts, die sind hinaufgegangen wie eine Rakete. Es gibt eben diese Kugel nicht, und wenn ich mein Fach nicht verstehe (Bundesrat Beer: Dann halte ich sol­che Reden!), dann weiß ich auch nicht, was in der Zukunft passieren kann.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 63

Ich sage, dass ich, wenn ich den Arbeitsmarkt so öffne, nicht voraussehen kann, wie vie­le Studenten hereinkommen werden. Ich verstehe jeden Studenten, der sagt, er geht nach Österreich, weil man bei ihm zu Hause überhaupt nichts verdient und er als Stu­dent in Österreich mit einem Deutschkurs viel mehr verdienen kann als seine Familie dort, woher er kommt. (Bundesrat Stögmüller: Zur Sache! – Bundesrätin Zwazl: Wir sind beim Lohn- und Sozialdumping! – Zwischenruf des Bundesrates Novak.) Wenn das kein Anreiz ist! Und wenn man nicht einmal sagen darf, dass das in diesem Gesetz nicht berücksichtigt wurde, dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Dann darf ich grantig sein. Es dürfen alle Österreicherinnen und Österreicher grantig sein, die dieses Sozial­system aufrechterhalten. Das ist die Sache. (Beifall bei der FPÖ.)

Schon seit langer Zeit wird uns immer wieder gesagt, dass die KV-Lohnerhöhungen Istlohnerhöhungen sind. Nein, das ist nicht wahr. (Bundesrätin Anderl: KV- oder Ist­löhne, das ist etwas anderes!) Wir bekommen Jahr für Jahr weniger drauf – das ist so –, wir bekommen wesentlich weniger drauf. Die Produktivitätssteigerung, die früher ein­mal auch mitberücksichtigt wurde, ist ja gar nicht mehr drinnen, und wir sind ja nicht ein­mal mehr in dem Korridor, in dem wir die Inflation abgegolten bekommen. (Bundesrat Stögmüller: Das kannst du zum Sozialbericht sagen!)

Ja, im Sozialbericht können wir sehen, wie der Mittelstand ausgehöhlt wird. Wir merken es! Den Ederer-Tausender oder sonst etwas haben wir ja schon lange vergessen. (Zwi­schenruf des Bundesrates Preineder.) Dass auf unseren Arbeitsmarkt Fachkräfte oder Teilnehmer kommen werden, die 80 Prozent unseres Lohn- und Sozialniveaus haben werden, hat Gitti Ederer damals gesagt, aber das wurde völlig vergessen. Dann kommt der Sozialminister daher und erklärt uns, die Welt ist ganz anders und dieses Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz ist so gut.

Ich habe beim letzten Mal – und das kann man nachlesen – schon gesagt, dass das ein Pfusch ist und ein Pfusch bleiben wird; wir werden uns noch öfters treffen. Und dass wir, nur weil man da jetzt wieder etwas vergessen hat ... (Zwischenruf bei der SPÖ.) – Ja, wir haben es vergessen, aber da steht ja auch nicht drinnen, wie man es wirklich mes­sen wird. Die Verfolgbarkeit haben wir beim letzten Mal erleichtert. Ja, okay, ich kann jetzt in einige Ländern hinein und ich kann bis zum Betrieb kommen und schauen, ob es den Mitarbeiter überhaupt gibt, ob einer gemeldet ist oder sonst irgendetwas.

Wir erleben es doch immer wieder in den Nachbarländern, die von der Europäischen Union noch immer Gelder dafür bekommen, dass sie weniger Steuern und weniger So­zialabgaben als wir verlangen, dass unsere Betriebe mittlerweile dorthin absiedeln, weil es dort günstiger ist; dann kommen die hierher – und ich gehe jetzt einmal nur von de­nen aus, die wirklich brav die Löhne zahlen, wie sie bei uns sind. Drüben fährt man ein­fach wesentlich günstiger mit seiner Firma als in Österreich. Das und dass Österreich damit ein Problem hat, wird zum Beispiel immer verschwiegen.

Die Österreicherinnen und Österreicher sind trotzdem erfolgreich. Die Österreicherin­nen und Österreicher zahlen trotzdem die höchsten Steuern oder einen der höchsten Steuersätze in Europa, und davor ziehe ich den Hut.

Solche Pfuschgesetze! In Wirklichkeit ist es eine Schande und der Würde des Hohen Hauses überhaupt nicht entsprechend. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Lindinger: Da­von bist du ja selbst nicht überzeugt! – Bundesrat Rösch – auf dem Weg zu seinem Sitz­platz –: In zwei Jahren sitzen wir wieder da, und dann zeige ich dir das!)

11.49


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Pfis­ter. – Bitte.

 


11.50.16

Bundesrat René Pfister (SPÖ, Niederösterreich): Herr Minister! Liebe Frau Präsiden­tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich bereiten wir uns immer vor, damit das,


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 64

was wir sagen, auch zur Materie passt. Lieber Bernhard, ich bin ein bisschen enttäuscht, dass du, der du auch als Personalvertreter tätig bist, dich hier herausstellst und nicht ein­mal Isterhöhungen und Kollektivvertragserhöhungen auseinanderhalten kannst. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Mayer. – Bundesrätin Anderl: Genau!)

Ich muss dir ganz ehrlich sagen, es macht mir richtig Angst, dass du als Personalver­treter für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tätig bist. (Bundesrat Rösch: Angst ist ein schlechter Ratgeber!)

Bernhard, zu dem, was du gesagt hast (Bundesrat Stögmüller: Immer dagegen!): Wir entwickeln ein Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz weiter (Bundesrat Rösch: Weil es ein Pfusch ist! Weil ihr es nicht überprüfen könnt!), das mittlerweile seit fünf Jah­ren in Kraft ist. (Bundesrat Jenewein: Wir haben viermal nachnovelliert!) – Das ist gut, das ist sehr gut. (Rufe und Gegenrufe zwischen FPÖ und SPÖ.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Am Wort ist Herr Kollege Pfister. – Bitte.

 


Bundesrat René Pfister (fortsetzend): Ich möchte an eines erinnern: Ich durfte heuer im März beim Treffen der Vorsitzenden der Sozialausschüsse auf Malta dabei sein, und dazu möchte ich dir, Bernhard, eine kleine Information von europäischer Ebene mitge­ben. (Bundesrat Rösch: Es wird alles besser!) Die Kolleginnen und Kollegen aus Un­garn haben mit genau diesem Gesetz keine Freude. Aber warum? Warum ist das so? – Du musst dir immer alles anhören und nicht nur das, was dir irgendjemand irgendwann vorgebetet hat und du selbst nicht einmal verstehst! (Bundesrat Rösch: Das waren die Beamten, die ich gefragt habe!)

Die Kolleginnen und Kollegen sagen uns, dass sie mit den restriktiven Maßnahmen, die wir in Österreich haben, Probleme bekommen, weil sie diese Möglichkeiten gar nicht mehr haben, die sie dort mit irgendwelchen Scheinbeschäftigungen und Versendereien haben.

Dann müssen wir uns gemeinsam an einen Tisch setzen und fragen: Wie können wir das so restriktiv machen, dass wir die Möglichkeit haben, dem einen Riegel vorzuschie­ben, damit die Unternehmerinnen und Unternehmer, die ihre Abgaben ehrlich zahlen, die richtige Löhne zahlen, die ihre ArbeitnehmerInnen vernünftig und ganz normal, so wie es auch gehört, beschäftigen, nicht zusätzlich bestraft werden? – Es sollen jene Un­ternehmerinnen und Unternehmer belangt werden, die ihre Arbeitnehmer unter Druck setzen. Das geht teilweise sogar so weit, dass man einem Arbeitnehmer zwar seinen Lohn ausbezahlt, er aber, sobald er zu Hause, in der Unternehmenszentrale in Tsche­chien oder der Slowakei ist, die Kohle wieder abliefern muss. Das kann nicht sein, das ist nicht arbeitnehmerfreundlich und das ist nicht das, was wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Lieber Bernhard, wenn du dich hierherstellst, ersuche ich dich, dass du den Vertre­terinnen und Vertretern deiner Partei auf europäischer Ebene, die sich in Brüssel zu allem möglichen Unfug zu Wort melden und überall dabei sind, sich aber, wenn es bei Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzen um Arbeitnehmerinteressen geht, wenn es um die Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geht, nicht einmal zu Wort melden, mitgibst, dass sie dort aufstehen und das sagen sollen.

Ihr solltet hier nicht billigen Populismus betreiben, indem ihr den Sozialminister so hin­stellt, als würde er nichts tun. (Bundesrat Rösch: Wer schläft, sündigt nicht! – Bundes­rätin Anderl: Das ist eine Frechheit! – Ruf bei der FPÖ: Es wird gesündigt!) Unser So­zialminister ist da nachhaltig tätig. Schau dir die Statistiken und Zahlen an, es wäre ge­scheit, wenn du dir das im Detail anschauen würdest! Allein im März hatten wir in Ös­terreich 8 000 Arbeitslose weniger. (Bundesrat Jenewein: Wo habt ihr denn die ver­scharrt?) Was bedeutet das? – Dass die Maßnahmen, die gesetzt wurden, dass die Maß­nahmen, die wir in den letzten Monaten auf den Weg gebracht haben, zu greifen begin­nen.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 65

Als Beispiel nenne ich die Beschäftigungsinitiative 50+, liebe Kolleginnen und Kollegen (Bundesrat Jenewein: Ist das schon ausfinanziert? Weiß das der Finanzminister auch schon?): Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben da die Möglichkeit, nach Lang­zeitarbeitslosigkeit nicht irgendwie versendet zu werden, sondern genau dort, in der Gemeinde, in der sie zu Hause sind, diese Chance zu nutzen. (Bundesrat Jenewein: Was sagt denn der Finanzminister dazu?) Da appelliere ich wirklich an alle, an alle, die in den Gemeindestuben, in den Gemeinderäten und als Bürgermeisterinnen und Bür­germeister tätig sind, das aufzunehmen und zu versuchen, entsprechende Arbeitsplät­ze zu schaffen. Die Statistiken geben uns recht, die Zahlen geben uns recht. Allein im März hatten wir 8 000 Arbeitslose weniger! (Bundesrat Jenewein: Ihr solltet das einmal ausbudgetieren! Es gibt noch gar kein Budget dafür!)

Ich möchte zu diesem Gesetz auch etwas sagen: Wenn wir dieses Gesetz heute be­schließen und auf die Reise schicken, bedeutet das aber auch, dass es aufgrund von Erfahrungen, die man mit einer gewissen Bürokratie gemacht hat, Vereinfachungen ge­ben muss. Man ist zum Entschluss gekommen, dass es einfacher sein muss.

Ich gebe euch dazu ein Beispiel aus der Tourismusbranche: Wenn beispielsweise ein Autobus aus Bayern oder Italien nach Österreich kommt, dann fallen die Einzelmeldun­gen weg, und das bedeutet einen Bürokratieabbau, den wir uns alle wünschen, den sich auch die Wirtschaft wünscht. Es ist aber auch so, dass wir genau mit diesem Ab­bau von Bürokratiehürden, mit dem Streichen, mit dem Aufheben der Einzelmeldung zu­sätzliche Möglichkeiten für unseren Tourismus schaffen. Österreich ist ein Tourismus­land, das wissen wir, das wurde von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern schon be­stätigt.

Das gilt aber auch für die Wirtschaft, zum Beispiel bei Sand-, Schotter- oder Kiestrans­porten von Werken in Österreich ins Ausland, weil natürlich auch andere Länder oder Regionen Bedarf daran haben. Die Ausfuhr und der Export werden erleichtert, das wird einfacher. Ich glaube auch, dass das ein schönes Zeichen an die Wirtschaft ist, Er­schwernisse zu reduzieren, aber gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen. Mit dieser Ent­bürokratisierung besteht die Möglichkeit, Arbeitsplätze zu schaffen.

Das ist auch ein Appell an Frau Wirtschaftskammerpräsidentin Zwazl, sich darum zu kümmern, dass die Möglichkeiten genützt und Arbeitsplätze geschaffen werden, wenn 50 000 Unternehmerinnen und Unternehmer im Transportsektor im europäischen Raum Entlastungen vorfinden.

Husch-Pfusch – lieber Bernhard, du musst alles lesen (Bundesrat Rösch: Alles schon gelesen!), denn hier steht: interne Evaluierungen, Berechnungen und eine Überprü­fung 2022. Also dass du alles als ohne Nachhaltigkeit, ohne Überprüfung, als Husch-Pfusch bezeichnest, verstehe ich nicht. (Bundesrat Rösch: ... ist Ahnungslosigkeit! – Bun­desrat Schennach: Was ist heute los mit euch? – Bundesrat Beer: Zu wenig Schlaf!)

Lieber Herr Sozialminister! Recht herzlichen Dank für dieses Gesetz, um den österrei­chischen Markt und vor allem die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Österreich zu schützen. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller.)

11.57


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Stög­müller. – Bitte. (Bundesrat Schennach: Der redet auch dagegen!)

 


11.57.42

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Schennach, wir wer­den dieser Ausnahmeregelung im Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz heu­te nicht zustimmen. Im Gegensatz zur FPÖ empfinde ich das Lohn- und Sozialdum-


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ping-Bekämpfungsgesetz als ein sehr gutes Gesetz. Wir haben ihm im Prinzip letztes Mal schon zugestimmt, aber jetzt versucht man, mit einer Ausnahmeregelung bei ver­schiedenen Sparten zu entschärfen. Da werden wir nicht mitgehen und nicht mithelfen.

Mich wundert das nicht, hat doch die ÖVP in den letzten Monaten immer wieder propa­giert, dass die ArbeitnehmerInnenschutzbestimmungen und der ArbeitnehmerInnenschutz zu stark belastend seien und man diese doch endlich lockern könnte – Stichwort Waxing­studio, das immer wieder in den Zeitungen und im Fernsehen war –, zum Wohle der Wirt­schaft.

So, jetzt gibt der Sozialminister leider langsam, Schritt für Schritt, den Gesetzen nach. Die erste Auflockerung im Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz ist für die Trans­portunternehmen. Hier wird es eine Vereinfachung betreffend die Meldung beziehungs­weise das Bereithalten von Unterlagen geben, und die Festlegung der Ansprechperso­nen für Dienstleistungserbringer wird gelockert. Konkret wird dabei von der grundsätz­lichen Meldeverpflichtung pro Entsendung auf eine Pauschalmeldung für sechs Monate umgestellt; das heißt, einmal für die nächsten sechs Monate melden, das reicht in Zu­kunft.

Auch gibt es eine Ausnahmeregelung für die Bereithaltung von Lohnunterlagen, und zu­künftig reicht als Ansprechperson der Fahrzeuglenker. Gerade der letzte Punkt, der Fahr­zeuglenker als Ansprechperson, scheint mir so, als würde man eine Risikoumwälzung, eine Umwälzung der Verantwortung weg vom Arbeitgeber hin zum Arbeitnehmer vor­nehmen.

Damit bin ich nicht allein, auch die Arbeiterkammer und die Gewerkschaft vida weisen in ihren Stellungnahmen auf die Verantwortungskette im Transportbereich hin und da­rauf, dass, ähnlich wie im Baubereich, auch da die inländischen Auftraggeber stärker zur Verantwortung herangezogen werden sollen. Das kann ich nur unterstreichen und be­grüßen, das hätte man vielleicht auch andenken sollen.

Generell wird das Problem der Kontrolle durch diese Novelle überhaupt nicht gelöst, son­dern sogar noch verschlimmert werden, weil die Voraussetzungen für die Kontrolle – Be­reithaltung der Unterlagen, Änderung bei der Meldepflicht – verändert werden. Es stellt sich auch die Frage, wie das Ganze in der Praxis umgesetzt und überhaupt kontrollier­bar werden wird.

Ich halte das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz für ein sehr gutes Gesetz, möchte ich noch einmal betonen. Durch dieses Gesetz werden auch die richtigen He­bel in Bewegung gesetzt, um die Arbeit, die Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, aber auch die Lohnsituation wieder fairer zu machen. Das braucht man nicht zu bestreiten. Dennoch – und das muss man im Zusammenhang damit auch ansprechen – hängt die Wirksamkeit dieses Gesetzes im Wesentlichen von einem ab, und das sind die Kontrollen. Ohne eine adäquate Kontrollstruktur lässt sich auch auf europäischer Ebene nicht zusammenarbeiten, und deshalb braucht es auch auf öster­reichischer Seite eine massive Aufstockung des Personals bei der Finanzpolizei. Es hilft nicht, zu wissen, dass es schwarze Schafe gibt, Herr Minister, wenn es aufgrund von Personalknappheit nicht möglich ist, diese schwarzen Schafe zu fangen.

Also, Herr Minister, statt sich für eine Lockerung des Lohn- und Sozialdumping-Bekämp­fungsgesetzes einzusetzen und starkzumachen, erwarte ich mir von Ihnen, dass Sie sich vermehrt für genügend Personaleinheiten bei der Finanzpolizei einsetzen, damit die­ses Gesetz auch wirklich endlich einmal greift – für mehr Fairness und faire Arbeitsbe­dingungen in Österreich! – Danke. (Beifall bei den Grünen. – Bundesrat Beer: Der Fi­nanzminister oder er?)

12.01


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Zwazl. – Bitte, Frau Präsidentin.

 



BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 67

12.01.34

Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP, Niederösterreich): Frau Präsident! Herr Minister! Mei­ne sehr geehrten Damen und Herren! David, ich denke, wir zwei müssen ein bisschen mehr miteinander reden, dann wirst du gewisse Dinge auch ein bisschen besser ver­stehen. Es ist nämlich ein Unterschied, ob man etwas nur liest oder ob man dann auch weiß, wie die Auswirkungen sind.

Als Vertreterin der Wirtschaft begrüße ich die vorliegende Novelle zum Lohn- und So­zialdumping-Bekämpfungsgesetz. Eine Novellierung, die Tatsache, dass immer wieder novelliert wird, das ist etwas Normales, weil sich das Wirtschaftsleben immer wieder verändert und man sich natürlich anpassen muss. Für uns ist diese Novelle deshalb so wichtig – und ich stehe auch dazu –, weil es uns in der Wirtschaft um korrekte Entloh­nung und fairen Wettbewerb geht. Ich denke, ein wesentlicher Anlass für diese Geset­zesänderung waren ausländische Arbeitgeber, die ihre Arbeitnehmer nach Österreich entsenden, sie Österreich überlassen, ihren Firmensitz aber nicht in Österreich haben, denn da ist der Kollektivvertrag oftmals nicht zur Anwendung gekommen. Uns ist ein fairer Wettbewerb wichtig, und deshalb ist uns auch das wichtig.

Es ist jetzt natürlich für uns schon ein bisschen komplizierter geworden. Bis 2014 war es so, dass man das Gesetz leichter einhalten konnte, weil es ja nur darum gegangen ist, ob man den Kollektivvertrag unterschreitet oder nicht. Seit 2015 muss man auch bei den Einstufungskriterien aufpassen, aber da geschieht nichts mit Vorsatz, sondern deshalb, weil ganz einfach Fehler passieren können. Es kommt immer wieder vor, dass in den Bewerbungsschreiben, die man bekommt, nicht alles aufgezählt ist, und deshalb dann bei einer Prüfung herauskommen kann, dass den Einstufungskriterien nicht ent­sprochen wurde. Es gibt auch noch den Überstundengrundlohn, Zulagen, Zuschläge und Sonderzahlungen, und jeder, der mit Personalverrechnung zu tun hat, weiß ganz ge­nau, dass da leicht Fehler passieren können. Noch einmal: Ich rede nicht einem Vor­satz das Wort, sondern mir geht es ganz einfach darum, dass Fehler eben passieren kön­nen.

Ich denke, dass man die Berechnungsbasis auf eine Jahresbetrachtung umstellen müss­te, weil viele Entgeltbestandteile in größeren Abständen gezahlt werden, so zum Bei­spiel die Prämien, und diese starren monatsbezogenen Entgeltprüfungen den moder­nen Entlohnungssystemen ganz einfach nicht gerecht werden.

Ich habe mir auch die letzte veröffentlichte Statistik im Zusammenhang mit dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz angeschaut. Von Mai 2011 bis Ende 2016 sind 1 984 Anzeigen wegen Unterentlohnung erstattet worden; gegen inländische gleich viele wie gegen ausländische Unternehmen. Niederösterreich ist durch seine lange Außen­grenze und das hohe Transitaufkommen besonders betroffen, aber seitens der Nieder­österreichischen Gebietskrankenkasse wird diesen Anzeigen sehr konsequent und ef­fektiv nachgegangen. Angeschaut habe ich mir die Zahlen auch im Vergleich, und da­bei festgestellt habe ich – und deshalb gehört schon ein bisschen hinterfragt, ob das En­gagement der Kontrollbehörden in Wien auch so hoch ist wie bei uns in Niederöster­reich –, dass es in Wien nur halb so viele Anzeigen gibt.

Bei den ausländischen Unternehmen – das habe ich mir auch angeschaut – sind Un­garn, Slowenien und die Slowakei mit zwei Dritteln aller Anzeigen gegen ausländische Unternehmen Spitzenreiter.

Schaut man sich an, welche Branchen davon überhaupt betroffen sind, kann man sa­gen, es sind drei, die besonders hervorstechen und die Hälfte aller Anzeigen für sich ver­buchen müssen. Das ist erstens der Hochbau, dann folgen die Bauhilfsbranchen, und an dritter Stelle steht die Gastronomie.

Natürlich stellt sich jeder die Frage – auch du hast sie gestellt, David –: Erreichen wir mit diesem Gesetz unser ursprüngliches Ziel, vor allem die ausländischen Unternehmen


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 68

besser kontrollieren zu können? Ich sage, die ausländischen, weil die inländischen ja ohnehin kontrolliert werden. Bei der Prüfung durch die Krankenkasse und durch das Fi­nanzamt wird ja ganz genau darauf geschaut, ob richtig eingestuft ist et cetera. Im Sin­ne des fairen Wettbewerbs müssen aber alle gleich geprüft werden, und ich denke schon, dass wir mit dieser Gesetzesnovelle einiges erreicht haben. Natürlich gibt es noch Schlupf­löcher und auch der Verwaltungsaufwand für die inländischen Unternehmer hat sich na­türlich erhöht, das will ich auch nicht verheimlichen.

Zu den Schlupflöchern kann ich zwei konkrete Beispiele anführen, nämlich erstens – wichtig – das Thema Sozialversicherung. Für die Dauer von zwei Jahren können ent­sandte Arbeitnehmer in ihrem Heimatland sozialversichert bleiben. Sie müssen auf Ba­sis ihres österreichischen Gehalts versichert werden, doch in Ungarn, Slowenien und den übrigen Ländern erfolgt die Anmeldung bei der Versicherung im Regelfall auf Basis des jeweiligen Mindestlohns. Dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz wird damit Genüge getan, aber die Lohnnebenkosten für die ausländischen Unternehmer sind dadurch weitaus geringer, und das ist ein enormer Wettbewerbsvorteil für die aus­ländischen sowie ein enormer Wettbewerbsnachteil für die inländischen Betriebe. Wir haben deshalb in unseren Wirtschaftskammern den Beschluss gefasst, dass man Ar­beitnehmer, die nicht bei uns sozialversichert sind, verstärkt überprüft, dass es mehr Kon­trollen gibt.

Das zweite Beispiel ist die Wirkung von Doppelbesteuerungsabkommen. Erst ab einer bestimmten Zeit wird der Ort der Bauausführung zur steuerpflichtigen Betriebsstätte, und erst dann entsteht Steuerpflicht in Österreich. Diese Frist reicht von sechs Monaten in Bulgarien über zwölf Monate in Tschechien und Slowenien bis zu 24 Monaten in Un­garn. Durch den Vergleich des Körperschaftsteuersatzes von 25 Prozent in Österreich mit jenem von 9 Prozent in Ungarn erkennt man eine deutliche Wettbewerbsverzer­rung, und damit müssen wir uns auseinandersetzen.

Ich komme jetzt noch einmal auf die Strafen zu sprechen. Ich rede – noch einmal! – wirklich nicht irgendeinem Vorsatz das Wort, aber ich muss sagen, wenn man Strafen vorsieht, müsste man schon auch ein bisschen Augenmaß haben. Die Höhe der Stra­fen ist angesetzt von 2 000 € bis 20 000 €, und man sollte schon überlegen, dass man mit einer höheren Strafe Betriebe eventuell ruiniert.

Ein weiterer Punkt ist die Bagatellgrenze von 10 Prozent. Derzeit gibt es ja nur einen Erlass, wonach eine geringfügige Unterschreitung des zustehenden Entgelts nicht straf­bar ist. Laut Erlass gilt das eben bis zu einer Unterschreitung von 10 Prozent. Aus Sicht der Wirtschaft ist zu sagen, wir brauchen ganz einfach mehr Rechtssicherheit, weshalb uns eine legistische Regelung dieser Grenze sinnvoller zu sein scheint.

Ich muss sagen, ich bin für das Prinzip Beraten statt Strafen. Wenn jemand in der Lohn­verrechnung einen Fehler macht, dann soll man ihm zuerst einmal sagen, dass ein Feh­ler passiert ist. Ist etwas nachzuzahlen, ja, aber es soll nicht das Kumulationsprinzip zur Anwendung kommen, dass man pro Kopf Strafe zahlen muss. Wenn auch noch be­rücksichtigt wird, wie viele Geschäftsführer es gibt, und man für jeden Geschäftsführer auch noch zahlen muss, dann macht das schon Unsummen aus. Daher noch einmal: Zuerst darauf aufmerksam machen, beraten statt strafen, das ist uns ganz einfach wich­tig.

Von meinen Kollegen René Pfister und David Stögmüller, von jedem von einer anderen Seite, wurden schon die Erleichterungen für Transportunternehmen für die geplante grenz­überschreitende Entsendung nach Österreich angesprochen. Eine Meldung wird jetzt nur mehr pauschal für sechs Monate abzugeben sein. Das ist sehr wichtig für uns, denn wenn wir das für die ausländischen Unternehmen nicht ermöglichen, haben unsere in­ländischen Unternehmen im Ausland Probleme. Österreichische Unternehmer, Busunter-


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 69

nehmer, haben gesagt, es könne doch nicht so sein, dass sie mit ihren Bussen nicht mehr ins Ausland fahren können, dass sie dort Probleme haben.

Ich denke, das ist wirklich ein richtiger Schritt, denn wir sollen auch einfache Regelun­gen haben. Die bisherigen Regelungen waren für unsere Unternehmen ganz einfach zu viel, sie waren damit überfordert. Es gibt zum Beispiel ein Informationsblatt des So­zialministeriums, wofür es elf Seiten gebraucht hat, um zu erklären, was unsere Betrie­be zu befolgen haben. Das ist ein bisschen viel! Wir sind gewohnt, zu arbeiten, zu ha­ckeln, aber wir sind keine Juristen. Ich bin immer dafür, dass man Gesetze beschließt, die für uns einfacher, auch leichter zu erfüllen sind.

Das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz ist ja auch so beschaffen, dass die Wirtschaftskammer für unsere Betriebe ein 40 Seiten umfassendes Informationsblatt he­rausgeben musste, was natürlich, ehrlich gesagt, schon auch ein Wahnsinn und für un­sere Betriebe extrem viel ist. Deshalb habe ich gedacht, wenn wir jetzt schon Maria The­resia gedenken, dann wäre es ja auch sehr schön, den Grundsatz von Maria Theresia, nämlich das Recht geht vom Volk aus, zu verfolgen und die Gesetze so zu gestalten, dass jeder sie verstehen kann. Man sollte, wenn man Gesetze macht, wirklich die Be­troffenen fragen, ob sie sie verstanden haben und ob sie sie auch anwenden können. Das wäre schon etwas ganz Wichtiges.

Ich bitte um Zustimmung zu dieser Novelle, weil ich glaube, dass sie für uns wirklich eine Besserstellung und eine Erleichterung bringt. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Zelina.)

12.12


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Stöger. – Bitte, Herr Minister.

 


12.12.11

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe meine Rede zum ersten Tagesordnungspunkt damit begonnen, dass ich über Demokratie geredet habe. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, zu erkennen, dass man in einer Demokratie die Dinge auf den Punkt bringen und über sachliche Themen reden muss. Das setzt auch voraus, dass man sich intensiv damit beschäftigt. Ich danke Ihnen, Frau Präsidentin Zwazl, Sie haben das exzellent gemacht. Sie haben sich die Dinge angeschaut und überlegt, wo wir diese Ziele erreichen können, und das ist genau das, was jetzt festgeschrieben ist.

Ich nenne jetzt auch ein Beispiel im umgekehrten Sinn. Wenn Herr Bundesrat Rösch davon spricht, dass wir das Armenhaus Europas sind (Bundesrat Rösch: Sie wollen das!), dann sagt er genau das Gegenteil von dem, was wir tun, und verunsichert Men­schen. Herr Bundesrat Rösch, ich lade Sie ein, setzen Sie sich mit meinen Mitarbeitern auseinander und Sie werden erfahren, wie das Arbeitslosenversicherungsrecht aufge­baut ist! Sie werden merken, dass vieles von dem, was Sie gesagt haben, schlicht und einfach nicht stimmt. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller. – Bundesrätin Kurz: So ist es!)

Es geht mir um Folgendes: Wir müssen uns um die konkreten Dinge kümmern und dann das Richtige tun. Und was ist das Richtige, was ist das Falsche? (Bundesrat Rösch: Ge­hen Sie einmal in die Arbeitswelt und schauen Sie es sich an!) – Ich war mehr in der Ar­beitswelt als Sie! (Bundesrat Rösch: Immer im geschützten Bereich! – Weitere Rufe und Gegenrufe zwischen FPÖ und SPÖ. – Vizepräsidentin Winkler gibt das Glockenzeichen.)

Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir haben in Österreich hohe Standards, und ich stehe unter Kritik der Europäischen Kommission – ich bin stolz darauf! –, weil wir diese hohen Standards festgelegt haben. Es gibt manche, die meinen, sie müssten gegen uns Kla­ge führen, weil wir sie so streng einhalten. Ich bin dafür, dass wir in Europa einen lau-


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teren Wettbewerb führen, aber ich bin nicht dafür, dass wir Lohn- und Sozialdumping be­treiben. Ich sage auch noch einmal Danke, Frau Präsidentin Zwazl, Sie haben dassel­be gesagt. Das ist auch so wichtig in der Sozialpartnerschaft: ein vernünftiges Bild zu entwickeln, sich die Dinge konkret anzusehen und dann Lösungen zu entwickeln.

Heutzutage hat fast jeder Lkw-Fahrer ein Handy, mit dem er digital signieren kann, und somit ist es doch auch möglich, die Unternehmer zu entlasten. Wenn der Mitarbeiter in der Lage ist, die Lohnunterlagen auf seinem Handy abzurufen, dann reicht das. Ich bin der Erste, der dafür ist, dass wir den redlichen Unternehmern unbürokratisch zur Seite stehen, aber ich bin dafür, dass man den unredlichen – davon soll es auch ein paar ge­ben – das Handwerk legt. Erst dann besteht die Chance, dass ein lauterer Wettbewerb möglich wird. Die redlichen Unternehmer sollen unterstützt werden – wir machen das gerne und ich danke ihnen dafür; sie bilden auch die Mehrheit, sage ich auch immer da­zu –, es mühen sich sehr, sehr viele tagtäglich ab. Das wollen wir erreichen, und diese Novelle des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes geht genau in diese Rich­tung.

Wir werden – das sage ich auch noch dazu – darüber noch öfter diskutieren. Warum? – Weil es Gruppen in der Europäischen Union gibt, die keine Sozialunion wollen, und diese Gruppen, die keine Sozialunion wollen – ich sage das jetzt ganz bewusst –, wollen Lohn- und Sozialdumping haben. Mit mir geht das nicht! Ich werde immer dagegen auftreten und hoffe, dass mich hier im Parlament auch die Mehrheit unterstützt, um dagegen auf­treten zu können. Mir ist es ganz wichtig, dass wir für die Menschen in Österreich ins­gesamt vernünftige Bedingungen haben. – Herzlichen Dank. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

12.16

12.16.13

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlos­sen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist angenommen.

12.16.423. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 26. April 2017 betreffend Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Albanien über soziale Sicherheit (1478 d.B. und 1604 d.B. sowie 9789/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nun zum 3. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Posch-Gruska. Ich bitte um den Bericht.

 


12.17.13

Berichterstatterin Inge Posch-Gruska: Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über den Beschluss des Nationalrates vom 26. April 2017 betreffend Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Repu­blik Albanien über soziale Sicherheit.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich darf deshalb gleich zur Antragstel­lung kommen.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 9. Mai 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 



BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 71

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schererbauer. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


12.17.43

Bundesrat Thomas Schererbauer (FPÖ, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Herr Mi­nister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Es war heute doch schon ein bisschen emo­tional, und ich hoffe, dass es jetzt wieder ein bisschen harmonischer wird. Es kommt wahrscheinlich darauf an, was ich jetzt sage (allgemeine Heiterkeit), aber ich werde mich bemühen, dass es passt.

Der vorliegende Entwurf des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Re­publik Albanien bezieht sich aus leistungsrechtlicher Sicht ausschließlich auf die Geld­leistungen der Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung und soll darüber hinaus auch noch die anzuwendenden Rechtsvorschriften bei grenzüberschreitender Erwerbstätig­keit regeln.

In diesem Abkommen geht es um soziale Sicherheit. Für wen soll diese soziale Si­cherheit gelten? – Sie gilt für Personen, die ihr Erwerbsleben in Österreich und Alba­nien verbracht haben oder sich vorübergehend im anderen Staat aufhalten oder dort woh­nen.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang kurz auf die finanziellen Auswirkungen für Österreich eingehen! Durch dieses Abkommen entstehen dem Staat bis zum Jahr 2021 Belastungen durch Pensionen in einer Höhe von 733 000 €. Erschwerend hinzu kommt – so unter Punkt 3 der Erläuterungen –:

„Eine exakte Berechnung der finanziellen Auswirkungen des Abkommens ist insbeson­dere im Bereich der Pensionsversicherung mangels geeigneter Daten nicht möglich.“

Es ist also davon auszugehen, dass dieser Betrag möglicherweise noch nach oben zu korrigieren sein wird.

Schauen wir uns den Vertragsstaat Albanien einmal ein bisschen genauer an! Im Ju­li 2014 wurde Albanien der EU-Kandidatenstatus verliehen, Machtspiele und verzöger­te Reformen drohen die EU-Ambitionen jedoch massiv zu behindern. Albanien wird im­mer mehr zum Wackelkandidaten bei der Erweiterung. Der Beginn der Beitrittsverhand­lungen wird immer wieder verschoben, da das Land die erforderlichen Voraussetzun­gen leider nicht erfüllt.

Im März 2018 will man sich die Sache EU-seitig noch einmal ansehen. Der Fokus liegt dabei vor allem auf den Fortschritten in der Justizreform und der Wahlrechtsreform so­wie dem Ablauf der bevorstehenden Parlamentswahlen. Doch gerade bei diesen Re­formen sind die Parteien in eine Sackgasse geraten. Es herrscht im Wahljahr 2017 ei­ne totale Blockadepolitik der Opposition. Die politische Stimmung ist äußerst angespannt.

Im EU-Korruptionsbekämpfungsbericht war daher festzuhalten, dass nur sehr wenige Fortschritte erzielt wurden. Albanien hat immer noch mit den Altlasten aus dem Kom­munismus zu kämpfen. Die Wirtschaft Albaniens gehört zu den am wenigsten entwi­ckelten in Europa, etwa zwei Fünftel der Erwerbstätigen sind heute in der Landwirt­schaft tätig. Das BIP pro Kopf beträgt immer noch nur etwa 40 Prozent des EU-Durch­schnitts.

Dies verdeutlicht die doch recht schwierige Lage im Land. Leider hat sich Albanien zum größten Hanfproduzenten in Europa entwickelt, ein fruchtbarer Boden für die organi­sierte Kriminalität. (Bundesrat Stögmüller: Vielleicht braucht man das!) – Es kommt da­rauf an, wofür man es braucht! (Zwischenrufe bei den Grünen.) – Ein fruchtbarer Bo­den für die organisierte Kriminalität, wäre der nächste Satz gewesen. – Die Arbeitslo­senquote liegt bei circa 20 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei 30 Prozent, Tendenz steigend.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 72

Die krankende Wirtschaft ist ein Grund für die jungen Menschen, ihr Land in Richtung Österreich oder Deutschland zu verlassen, was natürlich eine weitere Belastung für den österreichischen Steuerzahler zur Folge hat. Diese finanzielle Belastung und das Risi­ko für das Budget Österreichs können wir nicht mittragen, ebenso weitere Entsendun­gen von Arbeitnehmern in unseren Arbeitsmarkt und Sozialstaat, was durch dieses Ab­kommen erleichtert und begünstigt wird.

Wir können daher diesem Abkommen keine Zustimmung geben. – Danke schön. (Bei­fall bei der FPÖ.)

12.21


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Kol­ler. – Bitte.

 


12.21.45

Bundesrat Hubert Koller, MA (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lie­ber Herr Bundesminister! Meine sehr geschätzten Kolleginnen und Kollegen! Wenn die­ses ehemals kommunistische Land derzeit Schwierigkeiten hat, in die Demokratie zu finden und die Rechtsstaatlichkeit eines österreichischen Staates zu erlangen, dann soll­te man das – zumindest was dieses Abkommen betrifft – nicht zu Lasten der Arbeitneh­merinnen und Arbeitnehmer gehen lassen, sondern sie sogar stärken. Das heißt, die­ses Abkommen zur Regelung der sozialen Sicherheit ist sehr, sehr wichtig für Albani­en, aber auch für Österreich.

Kollege Thomas Schererbauer hat vorhin angeführt, dass die Beitrittsverhandlungen mit diesem Land bereits aufgenommen wurden und dieses Abkommen nach nunmehr neun Monaten Beratung zustande gekommen ist. Es enthält die erwähnten Koordinationen im Bereich der sozialen Sicherheit, was vor allem die Gleichbehandlung der Staatsan­gehörigen bei der Anwendung der Rechtsvorschriften betrifft.

Es gewährt Leistungen aus der Pensionsversicherung durch Zusammenrechnung der Versicherungszeiten in Bezug auf Höhe und Wartezeit. Es vermeidet Doppelversiche­rungen und regelt die anzuwendenden Rechtsvorschriften bei grenzüberschreitender Er­werbstätigkeit. Das heißt, das Abkommen bezieht sich in leistungsrechtlicher Sicht nur auf die Geldleistungen der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung und regelt da­rüber hinaus, wie bereits erwähnt, noch die Rechtsvorschriften bei grenzüberschreiten­der Erwerbstätigkeit.

Aus albanischer Sicht wollte man natürlich noch mehr haben – ähnlich wie beim ös­terreichisch-serbischen Abkommen, sodass in dem Abkommen auch Regelungen über Sachleistungen bei Krankheit, sprich Gewährung von Sachleistungen an die Versicher­ten des anderen Vertragsstaates gegen Kostenersatz, inkludiert wären. Diesem Wunsch konnte Österreich nicht nachkommen, da es mit anderen Staaten bereits erhebliche Schwierigkeiten und Probleme gibt. Auf die diesbezügliche Nachfrage im Ausschuss wurden als derartige Probleme hohe administrative Kosten, aber auch die Leistungen selbst als Kostenfaktor genannt. Auch Deutschland hat dem nicht zugestimmt.

Wenn es positive Beispiele mit anderen Ländern gibt, dann könnte man das auch ma­chen – also diesem Wunsch nachkommen und eine Lösung ins Auge fassen. Die Bun­desarbeitskammer hat diesen Wunsch im Begutachtungsverfahren ja eingebracht.

Das Abkommen geht also weiter als das als Modell dienende Abkommen mit Moldau, indem neben den pensionsrechtlichen Bestimmungen auch Regelungen über Geldleis­tungen der Kranken- und Unfallversicherung aufgenommen wurden. Es ist in fünf Ab­schnitte gegliedert, in denen diese Leistungen aufgezählt werden. Ich möchte jetzt nicht näher darauf eingehen.

Es wurden auch die finanziellen Auswirkungen schon angesprochen. Eine exakte Be­rechnung, wie gesagt, ist nicht möglich, vor allem im Bereich der Pensionsversiche-


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rung. Das betrifft auch die Zahl jener Personen, die durch das neue Abkommen einen Pensionsanspruch geltend machen können, denn nur in diesen Fällen gibt es finanziel­le Auswirkungen. Um das zu berechnen, werden immer wieder Vergleichsrechnungen mit anderen Staaten herangezogen, in diesem Fall mit der Slowakei, welche als Aus­gangsbasis für diese Berechnung dient. Im September 2016 waren 1 168 albanische Staatsbürger in Österreich beschäftigt. Aus der Slowakei waren 5 000 Personen be­schäftigt. Die Zahl der albanischen entspricht 23 Prozent der slowakischen Beschäftig­ten. Als Hinweis dazu: Es gab im Zeitraum 2016 48 Einbürgerungen aus diesem Land.

Spricht man vom Mehraufwand für dieses Abkommen, muss man auch berücksichti­gen, dass in vielen Fällen mit Erreichen des normalen Pensionsalters ohnedies ein An­spruch bestehen würde. Von der Republik Albanien wurden auch bereits Pensionen an Österreich ausbezahlt. Man rechnet mit 18 Neuzugängen sofort und danach mit fünf Neu­zugängen jährlich. Es ist also keine große Summe, die hier anfällt. Wenn man jedoch fünf Jahre zusammenrechnet, dann kommen diese 733 000 € heraus. In der Berech­nung der Belastung für den Bund bezüglich der Pensionsversicherung ist eine Durch­schnittspension von 328 € im Jahr, basierend auf der durchschnittlichen Höhe ins Aus­land gewährter Pensionen für Angestellte, und eine Steigerung von 2 Prozent zugrun­de gelegt.

Ich lade die Kolleginnen und Kollegen der Freiheitlichen Partei ein, trotzdem hier mitzu­tun. Es wird ja immer kolportiert, Sie seien für den kleinen Mann – kleine Frau hört man ein bisschen weniger –, und hier geht es um arbeitende Menschen, die Ansprüche er­werben, die Geld einzahlen und dadurch auch Rechtssicherheit bekommen sollten. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

12.26


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Oberlehner. – Bitte.

 


12.27.18

Bundesrat Peter Oberlehner (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kollegen und Kolleginnen des Bun­desrates! Im gegenständlichen Tagesordnungspunkt, wie wir es schon sehr ausführlich gehört haben, geht es also um ein Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Albanien betreffend die soziale Sicherheit. Es sollen damit Probleme in der Koordination der sozialen Systeme dieser beiden Staaten für die Bürgerinnen und Bürger beider Staaten verbessert und vielleicht auch gelöst werden.

Vor allem soll die soziale Sicherheit von Personen, die ihr Erwerbsleben in der Repu­blik Österreich oder in der Republik Albanien verbracht haben, besser abgesichert wer­den, da dies aufgrund der jeweils national geltenden Bestimmung derzeit nicht ausrei­chend gewährleistet ist. Auch das Problem der Doppelversicherungen führt immer wie­der dazu, dass es zu Wettbewerbsverzerrungen für grenzüberschreitend tätige Unter­nehmen kommt.

Die internationalen Grundsätze der Koordination im Bereich der sozialen Sicherheit, wie zum Beispiel Gleichbehandlung der Staatsangehörigen, Zusammenrechnung der Pen­sionsversicherungszeiten für Ansprüche und einiges mehr – das haben wir schon alles ausführlich vom Kollegen Koller gehört –, sind Ziel dieses Abkommens.

Neben der sozialrechtlichen Thematik sind derartige Abkommen natürlich auch von gro­ßer genereller Bedeutung für die weitere Heranführung Albaniens an die Europäische Uni­on und an Europa.

Das Land ist – das haben wir auch schon gehört – seit dem 24. Juni 2014 EU-Beitritts­kandidat; dass dies gerade in der derzeitigen politischen Situation des Landes nicht ganz einfach ist, will ich auch überhaupt nicht bestreiten.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 74

Herr Kollege Schererbauer hat durchaus recht mit dem, was er hier angeführt hat. Trotz der Justizreform herrscht in Albanien nach wie vor ein großes Defizit an Rechtsstaat­lichkeit, was auch für ausländische Investoren immer wieder zu diversen Problemen führt. Trotz vieler Hilfen, die es vor allem in den letzten Jahren und Jahrzehnten aus Öster­reich gegeben hat, sind die Standards in Albanien noch lange nicht auf dem Niveau, das wir in Mitteleuropa gewöhnt sind.

Auch organisierte Kriminalität ist in Albanien leider nach wie vor sehr weit verbreitet. Die Arbeitslosenquote – auch das haben wir schon gehört – ist sehr hoch. Die Wirt­schaft ist relativ schwach und könnte sicher wesentlich besser sein. Auch die Rausch­giftproblematik dürfen wir nicht verleugnen, und die gibt es in Albanien, die ist tatsäch­lich auch dort ein großes Problem.

Vieles ist sicherlich noch zu tun, um Albanien an die Standards der mitteleuropäischen Nationen und des mitteleuropäischen Niveaus heranzuführen. Dennoch glauben wir, dass derartige Abkommen gerade deshalb sehr, sehr wichtig und auch sehr richtig sind, denn sie sollen ja dazu beitragen, dass Albanien den Weg nach Europa finden kann.

Die Kosten, so glauben wir zumindest, sind für die Republik Österreich durchaus über­schaubar – die Zahl hat Kollege Koller ebenfalls genannt –: 18 Neuzugänge gibt es so­fort, danach fünf pro Jahr. Das heißt, wir reden von sicher sehr überschaubaren Kos­ten, und trotzdem lösen wir für die betroffenen Menschen ein großes Problem.

Deshalb werden wir seitens meiner Fraktion dem Beschluss des Nationalrates die Zu­stimmung erteilen. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

12.30


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Stög­müller. – Bitte.

 


12.30.47

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Geschätzte Damen und Her­ren! Wir von der Fraktion der Grünen werden es kurz machen, weil die KollegInnen der anderen Fraktionen schon sehr viel erläutert haben.

Wir finden dieses Sozialübereinkommen ebenfalls sehr wichtig. Wir behandeln regel­mäßig solche Übereinkommen, sie sind vom Inhalt her sehr ähnlich. Vielleicht, Thomas (in Richtung Bundesrat Schererbauer), an dich: Ich glaube, bei den 730 000 € über fünf Jahre verteilt – was in etwa die Kosten sind – soll man vielleicht gerade bei Pensionen auch beachten, dass die betreffenden Personen in Österreich gearbeitet und ihre Bei­träge bezahlt haben. Das ist ein Punkt, den man dabei beachten sollte.

Ansonsten können wir diesem Abkommen nur zustimmen. – Danke schön. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

12.31


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bun­desminister Stöger. – Bitte, Herr Minister.

 


12.31.38

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé|: Frau Präsidentin! Hohes Haus! Ich glaube, was über Albanien gesagt wurde, ist richtig. Es ist ein Land, das noch viele Schritte in die Demokratie braucht – das ist wichtig! Ich war in Tirana und habe mir die Situation angesehen: Dort blicken sie nach Österreich, sie schauen, was bei uns passiert.

Alles, was Bundesrat Oberlehner gesagt hat, stimmt völlig. Sie schauen auf uns, und da­her ist es auch wichtig, dass wir auf sie schauen, dass wir auf die Menschen schauen,


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 75

die über österreichische Betriebe, die dort investieren, vielleicht dort hingehen und ei­nen Beitrag leisten, dass dieses Land an die Demokratie herangeführt wird.

Es gibt viele österreichische Investoren, und es wird auch viele Österreicher und Ös­terreicherinnen geben, die dort länger als zwei Jahre sein werden: Auch sie brauchen Schutz. Damit es auch für sie bessere Rahmenbedingungen gibt, haben wir dieses Ab­kommen abgeschlossen. Es ist ein Beitrag zur Demokratisierung Europas, den wir leis­ten wollen. – Danke für Ihre Zustimmung. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

12.32

12.32.48

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen.

Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist angenommen.

12.33.144. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 26. April 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Versammlungsgesetz 1953 geändert wird (2063/A und 1610 d.B. sowie 9786/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen zum 4. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Kern. – Ich bitte um den Bericht.

 


12.33.43

Berichterstatterin Sandra Kern: Ich erstatte den Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten über den Beschluss des Nationalrates vom 26. April 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Versammlungsgesetz 1953 geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich darf deshalb gleich zur Antrag­stellung kommen.

Der Ausschuss für innere Angelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 9. Mai 2017 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Natio­nalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Herbert. – Bitte.

 


12.34.30

Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Wir haben in unserer Fraktion ge­rade festgestellt, dass der Herr Bundesminister nicht zugegen ist. Vielleicht ist ihm die­ses Gesetz, das nicht unwesentlich ist, nicht wert genug, um sich zu uns zu begeben? Vielleicht ist ihm aber auch der Bundesrat in seiner gesamten Darstellung nicht wert genug, um zu erscheinen? Vielleicht hat er mittlerweile schon andere Interessen partei­politischer Natur? Vielleicht ist er schon Vizekanzler? Was weiß man? – Auf jeden Fall erachte ich es als einen Akt höchster Respektlosigkeit, dass er hier quasi unentschul­digt der Debatte zu diesem Verhandlungsgegenstand nicht beiwohnt und offensichtlich auch keinen Vertreter entsendet. (Beifall bei FPÖ, SPÖ und Grünen.)

In der Sache selbst ist es so, dass das Versammlungsgesetz in den Jahrzehnten sei­nes Bestandes durchaus einer Durchlüftung, einer gewissen Evaluierung bedarf und es ihm gutgetan hat, dass man sich einer Neufassung zuwandte. Allerdings: In der darge­stellten Form sehen wir es durchaus kritisch. Wir können eigentlich mit diesem Gesetz,


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 76

wenn man die Bestimmungen des § 6 Abs. 2 außer Acht lässt, ganz gut leben: die Fristsetzungen, die hier geändert wurden, die Schutzbestimmungen betreffend Veran­staltungsräume. (Bundesminister Sobotka betritt den Saal.) – Ah, da ist der Herr Bun­desminister! Wir haben schon gedacht, Sie wollen uns heute nicht besuchen.

All das ist grundsätzlich ein guter und richtiger Ansatz. Was es allerdings von unserer Seite zu bemängeln gibt und weswegen wir dieser Vorlage unsere Zustimmung nicht ge­ben können, ist, wie gesagt, die Bestimmung des § 6 Abs. 2.

Warum ist das so? – Darin wird festgelegt, dass eine Versammlung von der Bundesre­gierung untersagt werden kann, wenn sie unter anderem außenpolitischen Interessen zuwiderläuft. – Das ist eine, nett ausgedrückt, demokratiepolitisch höchst bedenkliche For­mulierung. Man könnte es auch schärfer formulieren und sagen: Der Willkür sind Tür und Tor geöffnet, oder auch: Der politische Missbrauch ist damit eröffnet.

Worauf will ich hinaus? – Wenn ich außenpolitische Interessen mit verfassungsmäßig gewährleisteten Grund- und Freiheitsrechten gleichsetze, dann ist das eine Abwägung, die einer ordentlichen verfassungsmäßigen Abwägung nicht standhält. Die außenpoliti­schen Interessen sind kein verfassungsmäßig verbrieftes Grundrecht, und aus diesem Grund finde ich es höchst bedenklich, dass man über eine Umkehr des Gesetzes die außenpolitischen Interessen der Bundesregierung mit den Grundwerten, die unsere Ver­fassung vorgibt, gleichsetzt, um durch die Hintertür unliebsame Versammlungen einfach zu verbieten.

Das ist nicht korrekt und verfassungsmäßig höchst bedenklich. Selbst wenn man hört, dass das so nicht beabsichtigt ist, und man es aufgrund der aktuellen Lage mit türki­schen Problemstellungen in der Vergangenheit einigermaßen zu erklären versucht, bleibt noch immer der schale Beigeschmack, dass man das auch anders anwenden könnte.

Das Beispiel des Besuchs des Dalai Lama, der als Drittstaatsangehöriger in Österreich vielleicht eine Kundgebung besuchen möchte und damit einfach den wirtschaftlichen, ist gleich außenpolitischen, Interessen zuwiderläuft, weil man im internationalen Bereich mit China nicht in einen Konflikt eintreten möchte, bietet sich geradezu an.

Ich könnte es jetzt auch noch ein bisschen spitzer formulieren: Man könnte das natür­lich auch auf EU-kritische Veranstaltungen ausweiten. Man könnte beispielsweise un­ter dieser Bestimmung eine Marine Le Pen ausladen, wenn sie bei einer EU-kritischen Veranstaltung der FPÖ auftreten würde. Das könnte man genauso unter diesen Para­grafen subsumieren und bestimmen, dass das vielleicht wider die außenpolitischen In­teressen der Republik ist oder ein Faktum, dem die Bundesregierung nicht wohlgefällig gegenübersteht.

Und dann wäre es ein Leichtes, mit dieser Bestimmung anlassbezogen das Recht zu biegen, die verfassungsmäßigen Grundsätze außer Kraft zu setzen und die Grundrech­te der Österreicherinnen und Österreicher zu übergehen. Das ist nicht korrekt.

Bei aller Wertschätzung dafür, dass wir das Versammlungsrecht zu Recht modifiziert und auch ein bisschen modernisiert haben: Diese Bestimmung ist der Grund dafür, dass wir in dieser Sache nicht mitgehen können. Wohl mit gutem Recht, wie ich meine! Ich glau­be auch, dass wir uns allgemein als Gesetzgeber keinen guten Dienst erweisen, wenn wir eine derartig fragwürdige und auch in einem derart krassen Widerspruch zur Ver­fassung und den Grundrechten der Verfassung stehende Bestimmung einfach so sa­lopp durchwinken, um ein anlassbezogenes Problem zu lösen, die Lösung selbst jedoch einen durchaus existierenden Problemfaktor in sich trägt.

Ich glaube, wir wären gut beraten, zu den Grundsätzen der Verfassung zurückzukeh­ren, und darin haben solche Bestimmungen wahrlich nichts verloren. – Danke schön. (Bei­fall bei der FPÖ.)

12.41



BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 77

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Weber zu Wort. – Bitte.

 


12.41.41

Bundesrat Martin Weber (SPÖ, Steiermark): Frau Präsidentin! Liebe Damen und Her­ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Herr Bundesminister ist mittlerweile auch zu uns gestoßen. Die Änderungen im Versammlungsgesetz 1953 sind zugegebenermaßen ein sehr sensibles Thema. Doch wenn wir Verantwortung tragen – und ich hoffe, wir wer­den das mehrheitlich tun, vielleicht auch einstimmig, obgleich Kollege Werner Herbert sei­ne Bedenken geäußert hat –, sollen und müssen wir trotz dieser Bedenken große Ge­schlossenheit zeigen, gerade weil es ein sehr sensibles Thema ist und manche dazu laut oder provokant schreien. Aber eine Unwahrheit wird nicht wahrer, nur weil man diese laut oder provokant vorträgt. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Das Versammlungsgesetz 1953 – 1953, schon alleine diese Jahreszahl sollte uns zu den­ken geben! – muss an aktuelle Entwicklungen und Veränderungen in unserer Gesell­schaft angepasst und daher erneuert werden. (Bundesrat Herbert: Es geht nicht um die Veränderung, sondern um die Bestimmung!) Das Versammlungsrecht und das De­monstrationsrecht sind für uns Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen ein sehr ho­hes Gut – alleine aufgrund unserer Geschichte –, und dieses Gut wird auch weiterhin ge­wahrt und geschützt bleiben.

Mit dieser Gesetzesnovelle schaffen wir sowohl Rechtssicherheit im Allgemeinen als auch Sicherheit im eigentlichen Sinne für Menschen, die entweder friedlich demonstrieren oder sich versammeln möchten, und für Menschen aus anderen Staaten, denen gegenüber Österreich eine besondere Schutz- und Sicherheitsverpflichtung hat.

Gleichzeitig brauchen auch unsere Behörden und unsere Polizeikräfte diese hilfreichen Veränderungen, ohne dass – und das ist uns besonders wichtig, wie schon gesagt – das Versammlungsrecht in irgendeiner Art und Weise eingeschränkt wird. Nicht zu ver­gessen ist der Grund, warum wir dieses Thema überhaupt aufgegriffen haben bezie­hungsweise aufgreifen mussten: Hat es nicht die Besuche von hochrangigen türkischen Politikern gegeben? – Nicht nur in Österreich, sondern auch in mehreren europäischen Staaten. Hat es nicht den Versuch gegeben, einen brutalen, undemokratischen Wahl­kampf nach Österreich und Europa zu tragen? – Über den Ausgang dieser Volksab­stimmung möchte ich heute gar nicht reden, denn sonst wird uns allen miteinander viel­leicht noch schlecht. Hat es nicht Ausschreitungen gegen Minderheiten, zum Beispiel ge­gen Kurden, in sehr aufgeheizter Stimmung gegeben? Hat es nicht auch, Herr Kollege Werner Herbert, Bürgermeister oder Bezirkshauptmänner und Polizeikommandanten ge­geben, die ratlos dagestanden sind?

Jetzt tragen wir Verantwortung, wir schaffen Rechtssicherheit und bewahren und schüt­zen das hohe Gut, das Versammlungsrecht und das Demonstrationsrecht. (Bundesrat Herbert: Mit einer Unrechtsbestimmung!) Das ist gut so und das passt.

Die Novelle beinhaltet im Wesentlichen fünf Schwerpunkte: Die Frist für die Anmeldung einer Versammlung wird von 24 auf 48 Stunden verlängert. Mit dieser Maßnahme sol­len mehrere Ziele gleichzeitig erreicht werden. Zunächst sollen die zusätzlichen 24 Stun­den den Sicherheitsbehörden mehr Zeit für die Planung der notwendigen Sicherheits­maßnahmen geben. Nach der heutigen Praxis ist es oft notwendig, personelle Kapazi­täten auch aus anderen Bundesländern, zum Beispiel für eine Demonstration in Wien, zu rekrutieren, was hohe Belastungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ein deutliches Plus an Überstunden mit sich bringt. Darüber hinaus entstehen natürlich auch hohe Kosten. Mit der Verlängerung der Anmeldefrist sollen vertretbare Lösungen für die Polizistinnen und Polizisten gefunden werden.

Abgesehen vom Anstieg der Überstunden, was vermieden werden sollte, geht es auch um die Familien der Polizeikräfte. Man möge sich vorstellen, unsere Polizistinnen und


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 78

Polizisten haben auch Familien und Kinder, darauf sollten wir Rücksicht nehmen. Die Dienstpläne stehen bereits einen Monat vorher fest, es gibt familiäre Anlässe, es gibt private Feiern und so weiter, und dann greifen wir in diese Diensteinteilungen ein. Was glaubt ihr, wie groß die Freude der Betroffenen ist! 48 Stunden ist ohnehin nicht wirk­lich lange im Voraus, aber doch eine Entlastung für jene Polizistinnen und Polizisten, die Familien und Kinder haben und vielleicht noch viele Hunderte Kilometer entfernt von Wien wohnen. Und davon haben wir sehr viele.

Zusätzlich zu diesem Argument möchte ich noch eine Zahl anführen: Im letzten Jahr hat es in etwa 10 330 Versammlungen in Österreich gegeben, davon alleine in Wien 8 153. Natürlich waren auch viele kleine Kundgebungen dabei, aber dividiert man diese Zahl durch 365 Tage im Jahr, kommen wir auf 22 Versammlungen und Kundgebungen am Tag, alleine in der Bundeshauptstadt.

Der zweite Schwerpunkt war die Verlängerung der Anmeldefrist auf eine Woche im Fall einer Teilnahme von Vertretern ausländischer Staaten oder internationaler Organisa­tionen. Bei den Anmeldungen ist in Zukunft auch bekannt zu geben, ob die Teilnahme von Vertretern ausländischer Staaten geplant ist, da in diesem Fall Österreich aufgrund völkerrechtlicher Verträge zum besonderen Schutz für diese Personen verpflichtet ist. Um dieser Schutzverpflichtung nachzukommen, ist die Verlängerung der Anmeldefrist auf eine Woche sehr wichtig. Es kann sich dabei auch um äußerst schwer zu schützen­de Personen handeln.

Der dritte Punkt ist die Einführung dieses sogenannten Schutzbereichs: Mit einem neu­en § 7a soll in Zukunft ein Schutzbereich für rechtmäßige Versammlungen definiert wer­den. Das ist jener Bereich, der für die ungestörte Abhaltung der Versammlung notwen­dig ist. Die Behörde hat diesen unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten, der Zahl der zu erwartenden Teilnehmer sowie des zu erwartenden Verlaufes festzu­legen, wobei dieser Schutzbereich höchstens 150 Meter betragen darf. Sollte kein Schutz­bereich ausdrücklich festgelegt werden, gilt der Schutzbereich im Umkreis von 50 Me­tern. Natürlich ist auch die Festlegung eines Schutzbereichs unter 50 Metern durch die Behörden vorgesehen, wenn die Art und Weise der Versammlung dies zulässt, zum Bei­spiel bei Wahlkampfveranstaltungen auf einem gewissen Platz. Demonstrationen und Gegendemonstrationen sollen nicht zusammentreffen können, dadurch wollen wir eine weitere Gefahr von Gewalt verhindern. Jeder und jede soll ausreichend Platz für die ei­gene Schutzzone haben.

Der vierte Punkt war das Verbot von Versammlungen, die der politischen Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen dienen. Wir sind klar dagegen, dass ausländische Politik, spe­ziell wenn sie gegen internationale Grundsätze verstößt, auf unseren Straßen ihre Fort­setzung findet.

Der fünfte und letzte Punkt ist die Zuständigkeit für die Untersagung von Versammlun­gen, an welchen eben Vertreter ausländischer Staaten beabsichtigen teilzunehmen.

In diesen Fällen obliegt, den Grundsätzen des Völkerrechts folgend, die Untersagung der Bundesregierung. Sie fasst solche Beschlüsse, wie alle anderen auch, einstimmig.

Wenn wir heute verantwortungsbewusst agieren – und ich sagte das schon heute zu Beginn meiner Rede –, dann können wir doch nicht wirklich zuschauen, Herr Kollege Werner Herbert, wie ein Bürgermeister irgendwo vor Ort in seiner Not alles Mögliche versucht, um Begründungen zu finden, um diese Veranstaltung nicht erlauben zu müs­sen. (Bundesrat Herbert: Dafür ist die Bezirksverwaltungsbehörde zuständig!) Es ist eine Frage des Gesamtstaates! Und daher, bitte schön, muss das gesamtstaatlich, und zwar auf alleroberster Ebene, entschieden werden. All das dient auch den objektiven Si­cherheitsbedingungen für die österreichische Bevölkerung im Zusammenhang mit De­monstrationen, und es schützt – ich sagte es schon mehrmals – das Versammlungs­recht und das Demonstrationsrecht.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 79

Aus diesem Grunde werden wir dieser Novelle sehr gerne zustimmen. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

12.51


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Dr. Dziedzic zu Wort. – Bitte.

 


12.51.42

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Werte Präsidentin! Wertes Präsi­dium! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wir haben vom Kol­legen Weber gerade die fünf Schwerpunkte gehört, dazu werde ich nicht wieder refe­rieren. Wir wissen auch alle, wie es zu dieser Novelle kam, und zwar im Vorfeld des Ver­fassungsreferendums in der Türkei und im Zusammenhang mit der politischen Debatte in Österreich, die stattgefunden hat.

Ich möchte nun lediglich zwei der Schwerpunkte herausgreifen, um damit vielleicht auch ein wenig zu begründen, wieso wir Grüne diese Novelle nicht unterstützen. Das eine wur­de schon erwähnt, es betrifft die Ausweitung der Anmeldefrist von 24 auf 48 Stunden be­ziehungsweise bis zu einer Woche und auch die Regelung betreffend Drittstaatsange­hörige, die auch zu einer gänzlichen Absage der Versammlung führen kann.

In aller Kürze: All diese Dinge sind bereits möglich, das heißt, jede Anmeldung, die bei der Polizei hereinflattert, wird nach Kriterien geprüft, die sich durch diese Novelle kaum ändern und wo wir in der Praxis sehen werden, dass es womöglich kaum Unterschiede zu vorher geben wird.

Das Zweite betrifft die Genehmigung einer Versammlung: Künftig wird diese auch an­hand der Meter bestimmt, die von 50 auf 150 ausgeweitet werden können. Auch dazu sei in aller Kürze gesagt, das ist nichts Neues, was da festgeschrieben wird, das ist schon gegenwärtig gang und gäbe, nämlich: Wenn man merkt, da sind zwei – ich sage es einmal salopp – verfeindete Demonstrationsteilnehmer oder -teilnehmerinnen, dann wird man schon jetzt für entsprechenden Abstand sorgen. Wir wissen aber auch aus Er­fahrung, dass sich manchmal Demonstration und Gegendemonstration auf einer Stra­ße in Sichtweite gegenüberstehen, das aber nicht zwangsläufig zu Eskalationen führen muss. Auch da muss man sich überlegen, was diese Neuerung tatsächlich Konstrukti­ves zutage bringt.

Eine Ergänzung, die mir wichtig ist, weil sie tatsächlich in der breiten Debatte, die rund um dieses Versammlungsgesetz geführt worden ist, auch medial zu kurz gekommen ist, ist, dass das alles nur für Demonstrationen unter freiem Himmel gilt, das heißt, man hat sich noch nicht ganz genau überlegt, wie das in geschlossenen Räumen aussieht. Wie wird das dann in Zukunft praktiziert, wenn es diese Ausweitung auf 150 Meter gibt?

Alles in allem, glaube ich, wurde die Kritik der Grünen mittlerweile auf unterschiedlichs­ten Kanälen kommuniziert. Es wird Sie auch wenig überraschen, dass wir heute dieses Gesetz ablehnen werden. Wir werden uns aber alle miteinander – egal, wie wir uns da­zu positionieren – natürlich anschauen müssen, wie das in der Praxis funktionieren wird und ob diese fünf Schwerpunkte, die der Kollege vorhin angesprochen hat, plus die zwei, die ich hervorgehoben habe, tatsächlich dazu beitragen, dass innerhalb der Ver­sammlungsfreiheit, die uns, glaube ich, allen sehr, sehr wichtig ist, das Demonstrations­recht nicht nur aufrechterhalten wird, sondern die Teilnehmenden in Zukunft besser ge­schützt werden.

In diesem Sinne vielen Dank, und wir beobachten das weiter. (Beifall bei den Grünen.)


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 80

12.55


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Mag. Fürlinger zu Wort. – Bitte.

 


12.55.20

Bundesrat Mag. Klaus Fürlinger (ÖVP, Oberösterreich): Hohes Präsidium! Sehr ge­ehrter Herr Minister! Inhaltlich schließe ich mich den Ausführungen des Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion an. Ich danke für den Input, der klar aussagt, dass die­ses Grundrecht zeitgemäß novelliert werden muss. Die Grundrechte unterliegen auch in ihrer Interpretation selbstverständlich moderneren Grundsätzen. Das, was getan wor­den ist – und ich glaube, das ist aus unserer Sicht zu sagen –, ist ein erster Schritt. Wir wissen, dass einiges mehr geplant war und auch aus meiner Sicht durchaus einiges noch zu diskutieren sein wird.

Die Punkte, die angegangen wurden, sind keine weltbewegenden. Ich sehe auch, Herr Kollege Werner, keinesfalls irgendwelche verfassungsrechtlichen Probleme, die Sie kons­truieren. Ich glaube, wir sollten in dieser Debatte alle, Herr Kollege, nicht irgendwelche abstrusen Fälle konstruieren. Diese Debatte führen wir regelmäßig. (Bundesrat Her­bert: Verfassungsexperten vertreten diese Meinung!) – Ich habe die Stellungnahmen ge­lesen, auch die meiner eigenen Kammer, Herr Kollege. Im Endeffekt ist es so, dass je­der bei der Stellungnahme versucht, irgendwelche Fälle zu konstruieren, die irgendwo natürlich theoretisch passieren könnten, deren Wahrscheinlichkeit in der Realität aber doch ausgesprochen gering ist.

Das heißt: Wir sollten uns auf das fokussieren, was wir tatsächlich wollen. Ich glaube, wir alle hier sind einer Meinung gewesen, auch wenn wir es keinesfalls als Anlassge­setzgebung titulieren wollen, da es ja nach dem Türkei-Referendum vorgenommen wur­de, aber türkische Politiker haben auf Grundlage unserer freien demokratischen Wer­te – auf diese haben sie sich berufen – beansprucht, für ihre unfreien Werte zu werben, und diese Berufung hat uns, glaube ich, alle irgendwie gestört. Wir haben es nicht nur als relativ protzig und frech empfunden, sondern wir haben diese Pervertierung unserer Grundsätze und unserer Werte auch alle verurteilt.

Das war sicher ein bisschen der Ausgangspunkt dafür, dass man sich Gedanken darü­ber gemacht hat, wie man – und das ist mit der EMRK durchaus in Einklang zu brin­gen – ausländische Wahlkämpfe aus Österreich heraushalten kann. Ich glaube, wir wer­den demnächst auch durchaus noch ein Problem bekommen, wenn die Türkei tatsäch­lich ein Referendum zur Todesstrafe abhält, und ich glaube, da werden wir auch alle ei­ner Meinung sein, dass wir nicht Teil dieser Kampagne sein wollen.

Warum brauchen wir Sicherheitszonen? – Frau Kollegin Dziedzic, Sie haben in einem Satz gesagt, wenn sich zwei gegensätzliche Demonstrationen treffen, muss das „nicht zwangsläufig“ – zwangsläufig war der Begriff – zu physischen Auseinandersetzungen füh­ren. – Das ist etwas, was mich insofern stört, als es in diesem Land einfach keine phy­sischen Auseinandersetzungen aus politisch-ideologischen Gründen geben darf. Darü­ber, glaube ich, brauchen wir nicht zu reden, das ist um jeden Preis zu vermeiden. Lei­der, sage ich aber auch dazu, erleben wir es mittlerweile ab und zu, dass Ideologie auch mit Fäusten und mit fliegenden Gegenständen kundgetan wird. Und da hört sich für mich der Spaß auf, weil wir eigentlich mit einem hohen Ausmaß an Sicherheitskräften und Organisationskraft, mit unheimlich vielen Überstunden unserer Polizistinnen und Poli­zisten dafür sorgen müssen, dass nichts geschieht, und das nur, weil ein paar Verhal­tensauffällige glauben, dass das Grundrecht auf Versammlung auch ein Grundrecht auf Sachbeschädigung und ein Grundrecht auf Körperverletzung ist. Das ist es nicht! Dem haben wir mit aller staatlichen Gewalt zu begegnen. Und da ist das meiner Meinung nach ein erster Schritt. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Das Grundrecht ist eine Abwägung. Primär, sage ich, ist der Steuerzahler zu schützen; wenn heute 300 Leute in Linz durch die Landstraße ziehen, Sachbeschädigungen ver­ursachen, Leute verletzen und am Ende Einsatzkosten von 200 000 € entstanden sind, dann frage ich mich tatsächlich: Gibt es nicht eine andere Möglichkeit, die eigene poli­tische Meinung kundzutun, als Dritte zu schädigen?


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Das Zweite ist auch das Grundrecht der Erwerbsausübung. Das ist eine Wiener Debat­te, in die ich mich als Linzer nicht einmische. Aber logischerweise, wenn Geschäfts­straßen jeden Samstagvormittag lahmgelegt werden, gereicht das nicht zur Freude der dort ansässigen gewerbetreibenden Bevölkerung und ist deren Erwerbsfreiheit nicht dien­lich. Ich glaube, das lässt sich leicht nachvollziehen.

Drittens ist natürlich auch der Schutz der eigenen Gesundheit, von Dritten und von Un­beteiligten ein Grundrecht, über das wir auch nicht diskutieren wollen.

Daher begrüßen wir diesen ersten Schritt betreffend Versammlungsrecht und nehmen uns vor, noch weitere zu machen. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

12.59

13.00.03

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlos­sen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist angenommen.

13.00.275. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 27. April 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesstraßen-Mautgesetz 2002 geändert wird (1587 d.B. und 1591 d.B. sowie 9790/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nun zum 5. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Lindinger. Ich bitte um die Berichterstattung.

 


13.00.52

Berichterstatter Ewald Lindinger: Herr Bundesminister! Geschätzte Frau Präsiden­tin! Ich erstatte den Bericht des Ausschusses für Verkehr über den Beschluss des Na­tionalrates vom 27. April 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesstra­ßen-Mautgesetz 2002 geändert wird

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für Verkehr stellt nach Beratung der Vorlage am 9. Mai 2017 mit Stim­meneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates kei­nen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bevor wir in die Debatte eingehen, darf ich in unserer Mitte recht herzlich Herrn Bundesminister Mag. Leichtfried begrüßen. Herzlich willkom­men! (Allgemeiner Beifall.)

Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Beer. – Bitte, Herr Kollege.

 


13.01.45

Bundesrat Wolfgang Beer (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehr­ter Herr Minister! Sehr geehrte Bundesräte! Wir stimmen heute über die digitale Vignet­te ab. Die digitale Vignette wird ab 2018 möglich sein, und zwar mithilfe modernster Technik. Es wird die Möglichkeit geben, sie über Handy-Apps oder über die Homepage der ASFINAG zu bestellen.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 82

Die Registrierung im Mautsystem ist für diese Bestellung und den Erwerb dieser Vignette notwendig. Für die Registrierung sind auch einige personenbezogene Daten notwen­dig. Anzugeben sind das Autokennzeichen, der Name, die Kontaktdaten sowie die Bank­verbindung.

Für Menschen, die ihre Daten nicht angeben möchten, haben wir in diesem Gesetz aber auch die Möglichkeit geschaffen, nach wie vor die klassische Klebevignette zu bezie­hen. Es wird im nächsten Jahr aber auch möglich sein, an Verschleißstellen, so wie es bisher möglich war, eine digitale Vignette zu bestellen.

Es hat auch ein paar Diskussionen gegeben, weil jedermann die Möglichkeit hat, in ei­ner Datenbank nachzusehen, ob ein Auto mit einer Vignette ausgestattet ist. (Heiterkeit der Bundesrätin Schreyer.) – Es ist leider so, es gibt über die Vignette nicht so viel zu sagen. Da hat der Erste auch einen Vorteil, nicht? (Allgemeine Heiterkeit.)

Es ist eigentlich eine recht gute Sache. Ich werde aber nicht alles ganz genau erwäh­nen; ich bin ohnehin über das Ganze nur ein bisschen drübergeflogen. Es gibt für viele Menschen einen Vorteil, beispielsweise für Wechselkennzeichenbezieher – die ande­ren lasse ich übrig, damit auch andere noch etwas sagen können.

Die Gültigkeitsdauer bleibt gleich.

Auch die Überwachung erfolgt wie bisher, wird aber im digitalen Bereich ausgebaut. Wir haben zurzeit acht Kameras, die auf den mautpflichtigen Strecken Überwachungen durch­führen. Es werden dann zwanzig sein.

Man muss natürlich darauf aufpassen, dass diese Überwachungs- und Spitzelfanta­sien, die es in diesem Zusammenhang bei einigen gibt, hintangehalten werden. Wir ha­ben schon eine Diskussion darüber geführt.

Es ist grundsätzlich so, dass dieses Gesetz ein gutes Gesetz ist, viele Erleichterungen und auch Geldersparnis bringt. Daher muss man diesem Gesetz, glaube ich, zustim­men. (Beifall bei der SPÖ.)

13.05


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster ist Herr Bundesrat Dr. Köll zu Wort ge­meldet. – Bitte.

 


13.05.37

Bundesrat Dr. Andreas Köll (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Ge­schätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf mich beim Kolle­gen Beer dafür bedanken, dass er mir für meine Ausführungen noch etwas übrig ge­lassen hat, was die Fahrzeugtypen betrifft. (Allgemeine Heiterkeit.) Da wäre beispiels­weise das Thema E-Car-Sharing oder Car-Sharing, man kann das neben den Wech­selkennzeichen natürlich auch miteinbeziehen.

Nachdem alle Fraktionen im Nationalrat die Sinnhaftigkeit dieser Novelle ausdrücklich begrüßt und auch so gesehen haben, bleibt wirklich nicht viel dazu zu sagen. Wir ha­ben ja auch unseren Herrn Bundesminister hier im Plenum, der wie im Nationalrat si­cherlich auch bei uns etwas zu den deutschen Mautplänen sagen wird sowie zum Dis­kriminierungsverbot der Europäischen Union.

Diese digitale Vignette kann von deutschen Gästen bereits in Deutschland über Reise­büros bezogen werden, analog den bisherigen Videomautberechtigungen. Auch die Schweiz überlegt übrigens die Einführung einer digitalen Vignette. Ich glaube, dass man bei die­ser Novelle sehr genau darauf geachtet hat, dass europäische Datenschutzrichtlinien und natürlich auch Konsumentenschutzrichtlinien eingehalten werden.

Kollege Beer hat bereits gesagt, dass es da Bedenken gegeben hat. Es ist zwar nicht so, dass man durch die digitale Vignette digitale Bewegungsprofile erstellen oder die Da-


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 83

ten beispielsweise im Bereich einer erweiterten Section-Control für eine Art Geschwin­digkeitskontrolle nützen kann, aber das sind alles Bedenken, die Konsumentenschüt­zer und Datenschützer an den Tag gelegt haben.

Ich glaube, diese Novelle nimmt bestmöglich darauf Bezug. So wird es sicherlich eine sinnvolle technische Erweiterung sein, die zeitgemäßen Entwicklungen folgt, die sicher­lich – man hat ja hier von einschlägigen Umfrageergebnissen gehört, von über 80 Pro­zent – von einem Großteil der Zulassungsbesitzer auch so gewünscht wird. Dem tech­nischen Fortschritt wird Rechnung getragen sowie den Bedürfnissen der Fahrzeuglen­kerinnen und -lenker, auch wenn sie selbst nicht Zulassungsbesitzer sein sollten.

In diesem Sinne, glaube ich, brauche ich bei der Einhelligkeit der Abstimmungsergeb­nisse im Nationalrat gar nicht die Annahme dieser Novelle heute eindringlich empfeh­len. Sie wird vermutlich auch hier im Plenum des Bundesrates einstimmig durchge­hen. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.08


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Krusche zu Wort. – Bitte.

 


13.08.24

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Ich könnte mich jetzt beim Kollegen Köll darüber beschweren, dass er mir nichts mehr übriggelassen hat. (Heiterkeit.) Ich werde darauf verzichten. Die positi­ven Argumente wurden alle schon gebracht, wir schließen uns diesen an. Ich bin nur überrascht, dass Kollege Beer das jetzt doch positiv sieht, denn im Ausschuss hat es noch so geklungen, als könne er aus datenschutzrechtlichen Gründen dem nicht zu­stimmen. (Bundesrat Beer: Doch, …!) Ich sehe die Sache auch nicht so dramatisch.

Ich möchte nur einen Punkt hervorheben, der besonders positiv ist, weil er nicht selbst­verständlich ist und in anderen Bereichen nicht so gelebt wird, beispielsweise bei den ÖBB oder bei der Post, nämlich dass man mit Rücksichtnahme auf ältere Menschen die Klebevignette jetzt nach wie vor beibehält und die Leute nicht dazu zwingt, irgend­welche Apps zu benützen; wenngleich ich überzeugt bin, dass, wenn die digitale Vignet­te bei Verschleißstellen beziehbar ist, die Klebevignette auf kurz oder lang überhaupt verschwinden wird und das jetzt eine Übergangsphase darstellt.

Summa summarum ist das also ausnahmsweise etwas Positives für die Autofahrer – normalerweise werden die Autofahrer und die Gastwirte ja immer nur geprügelt. Des­wegen werden wir dem Gesetz zustimmen. (Beifall bei der FPÖ und bei Bundesräten der SPÖ.)

13.09


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Mag. Schreyer zu Wort. – Bitte.

 


13.10.12

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Mi­nister! Sehr geehrte ZuseherInnen hier und zu Hause! Dieser Antrag ist im Nationalrat einstimmig angenommen worden. Wir werden ihn auch hier einstimmig annehmen, aber er ist vonseiten der Grünen mit einer Kritik angenommen worden, und diese werde ich auch anbringen – ich habe mir schon ein paar Seiten zusammengeschrieben.

Wir begrüßen diese Novelle natürlich ausdrücklich. Wir werden ihr, wie gesagt, zustim­men. Zum Inhaltlichen und wie sie funktioniert, möchte ich auch nichts mehr hinzufü­gen. Da haben meine Vorredner schon ausführlich dazu geredet. Danke schön.

Die digitale Vignette ist auf alle Fälle eine Verbesserung gegenüber der derzeitigen Si­tuation und sicher ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Als Ziel steht für uns –


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 84

und ich entnehme den Medien, dass auch Sie, Herr Minister, das als Ziel sehen –, eine ökosoziale Steuerreform auch im Verkehrsbereich, um Kostenwahrheit zu schaffen, um die Verursacher von Emissionen auch für Folgekosten heranzuziehen. Gerade in der Länderkammer finde ich es besonders wichtig, das niederrangige Straßennetz zu ent­lasten und den Verkehr vornehmlich auf das hochrangige Straßennetz zu bringen. Das ist aber eine künftige Herausforderung, bleiben wir bei der heutigen.

Im digitalen Zeitalter ist die digitale Vignette ein Schritt in Richtung KundInnenfreund­lichkeit, aber, und das hat mein Kollege Georg Willi im Nationalrat auch schon als gro­ßes Manko aufgezeigt: Im letzten Jahr wurden 24 Millionen Vignetten in Österreich ver­kauft. Davon sind 5 Millionen Jahresvignetten. Diese wurden vornehmlich von Österrei­cherInnen oder Menschen, die in Österreich wohnen, erstanden. Für die ist das fein. Sie brauchen die Vignette nur mehr online zu kaufen und sparen sich die mühsame Kratzerei, damit sie auch wieder heruntergeht. Für alle anderen wäre es auch super, ist es aber nicht, weil die Onlinebestellung, so wie es im Moment ist, alles andere als fle­xibel ist.

Mich wundert das. Ich glaube, es ist heute noch gar nicht erwähnt worden, dass man ganze 18 Tage im Voraus wissen muss, ob man sich eine digitale 10-Tages-Vignette kau­fen will. Das ist wirklich ewig lang im Voraus! Herr Minister, ich wohne in einer Grenzre­gion am Eingang zu Tirol, oder vielleicht sollte ich besser sagen, in der Zufahrt von Ti­rol. Bei uns fahren Millionen von Gästen jährlich durch – auf dem Weg nach Italien, nach Kroatien, zu uns zum Skifahren, zum Berggehen, zum Erholen. Ganz vieles davon ist wetterabhängig, wird oft kurzfristig entschieden. Wenn man da 18 Tage im Voraus wis­sen muss, ob man eine digitale Vignette erwerben will oder nicht, ist das viel zu weit weg von einem wirklich guten und attraktiven Angebot. Allein das zu kommunizieren ist ja schon irrsinnig schwierig.

Wozu führt das? – Die Leute müssen jetzt erst recht wieder an der Grenze ausfahren, parken, aussteigen und eine Vignette kaufen, wobei es dann ab Mitte 2018 auch eine digitale Vignette sein kann. Dann sparen sie sich das Aufkleben und Abkratzen. (Zwi­schenruf des Bundesrates Krusche.) – Nein, es geht darum, wie bequem etwas ist, ob ich das in Kauf nehme oder ob ich das nicht in Kauf nehme und zum Mautflüchtling wer­de. Genau dieser Aufwand und dieser Zeitverlust führt dann nämlich genau zu dem, was derzeit in den Grenzgebieten passiert, nämlich eben zur Mautflucht.

Ich bleibe jetzt beim Beispiel Kufstein. Dort heißt das konkret, dass ein sehr hoher Pro­zentsatz der Leute, die Richtung Skigebiete, also Richtung Kitzbühel, Osttirol und von dort eben auch weiter Richtung Italien und Kroatien fahren, die Mautfluchtroute durch die Stadt Kufstein und die umliegenden Orte nehmen. Der Zustand für die Anrainerin­nen und Anrainer ist wirklich kaum noch erträglich.

Es ist für uns einfach eine riesengroße Enttäuschung, denn ich und viele andere aus diesen geplagten Regionen haben sehr viel Hoffnung in die digitale Vignette gesetzt, ha­ben gehofft, dass es dadurch endlich zu einer spürbaren Verbesserung und Entlastung kommen wird. Herr Kollege aus Vorarlberg! In Bregenz gibt es das gleiche Problem, näm­lich dass irrsinnig viel Mautflucht durch Bregenz durchgeht, und das sind eben auch sehr oft Leute, die wirklich nur für kurze Zeit die Vignette brauchen.

Da wären eben zwei Verbesserungen dringendst notwendig: zum einen eine Kurzzeit­vignette zum Beispiel in Form einer Dreitagesvignette, die für WochenendurlauberIn­nen geeignet ist, zum anderen wäre das eine flexible, kurzfristige Buchungsmöglich­keit. Die 18 Tage im Voraus sind wirklich alles andere als praktisch und kundInnen­freundlich, darin sind wir uns doch wohl einig. Also das kann wirklich keiner praktisch fin­den.

Dabei möchte ich mich jetzt auch nicht auf die EU-Konsumentenschutzrichtlinie he­rausreden. Woanders funktioniert das auch und sogar einwandfrei. Zum Beispiel die


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 85

ungarische Vignette gibt es nur digital und es funktioniert bestens. Ich weiß, es gibt da einen Unterschied zwischen Gebühr und Abgabe, aber bitte, ich habe auch gehört, dass durchaus auch im Ministerium und in der ASFINAG die Ansicht herrscht, dass es durchaus möglich wäre, hier eine kreativere Lösung zu finden, damit diese 18-Tage-Frist wegfallen kann.

Wir werden, wie gesagt, zustimmen, aber mit dem ganz, ganz dringenden Appell nach mehr BenützerInnenfreundlichkeit, nach flexibleren Kaufmöglichkeiten, um hier wirklich einerseits kundenfreundlich zu sein und andererseits die geplagten AnrainerInnen in je­nen Gebieten zu entlasten, die tagtäglich mit Mautflucht, mit überlasteten Straßen, mit Lärm und Emissionen im Ortsgebiet kämpfen. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Ich bin überzeugt, dass da eine gute Lösung gefunden werden kann. Suchen Sie sie bitte auch! – Danke schön. (Beifall bei den Grünen sowie der Bundesräte Mayer und Beer.)

13.15


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster gelangt Herr Bundesminister Mag. Leicht­fried zu Wort. – Bitte, Herr Minister.

 


13.15.45

Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie Mag. Jörg Leichtfried: Frau Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren! Ich möchte vielleicht auf einige Dinge ein­gehen, die angesprochen wurden. Ich glaube, ich kann es mir ersparen, das System zu erklären und die großartigen Vorteile dieser Vignette noch einmal zu schildern, das ist oh­nehin schon sehr umfassend geschehen.

Ich möchte auf etwas eingehen, das Herr Bundesrat Krusche angesprochen hat. Sie sind natürlich viel länger im Bundesrat, als ich Minister bin, aber seit ich Minister bin, kommen nur großartige Sachen von dieser Regierung. Also da haben wir anscheinend einen Unterschied in der Auffassung (Beifall bei der SPÖ), selbst für Autofahrerinnen und Autofahrer, aber da kann man ja unterschiedlicher Meinung sein.

Konkret zu etwas, das Sie angesprochen haben: Eigentlich ist es nicht geplant, diese Vignette irgendwann einmal ausschließlich als digitale Vignette zu führen, und das aus zwei Gründen. Der erste Grund ist, dass es tatsächlich Menschen gibt, die aus ver­schiedenen Überlegungen diese digitale Vignette nicht wollen. Eine dieser Überlegun­gen bezieht sich auf den Datenschutz, weil, wie richtig angesprochen wurde, natürlich eine gewisse Form von Daten bei diesem System gespeichert werden muss.

Es gibt aber auch andere Gründe dafür, dass manche das nicht tun wollen. Ich denke, es ist zu respektieren, dass das so ist. Deswegen gibt es dahin gehend keine Pläne. Es gibt auch im Hinblick auf die Kostenstruktur keine Pläne, das zu ändern, denn es hat sich herausgestellt, dass das Gesamtsystem digitale Vignette und das Gesamtsystem Papier­vignette, wenn man es auf eine Vignette herunterrechnet, gleich viel kosten. Es gibt al­so derzeit auch keinen massiven Kostenvorteil.

Was Sie angesprochen haben, Frau Bundesrätin, ist natürlich eine gute Anregung. Es gäbe eine Lösung für das Problem mit der Frist, die einzuhalten ist. Ich habe gerade überlegt, man müsste die ASFINAG auflösen, die Straßen wieder dem Bund übertra­gen und dann keine Maut, sondern eine Benützungsgebühr anderer Art einführen. Dann wäre es wahrscheinlich rechtlich möglich, diese 18 Tage zu verkürzen. Der Auf­wand, der dem gegenübersteht, ist aber meines Erachtens ein doch relativ hoher, sodass man über­legen muss, ob es nicht gescheiter ist, die vorgesehene Lösung zu haben.

Was ich sehr wohl tun möchte und was auch zu tun ist, ist, auf europäischer Ebene ei­ne gleiche Ausnahme für die Bemautung von Straßen zu erwirken, wie das derzeit bei der Eisenbahn der Fall ist. Ihr Kollege Willi hat mir im Nationalrat vorgehalten: Es geht ja bei der Eisenbahn, warum macht ihr das bei der Straße nicht? – Ja, es geht bei der


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Eisenbahn, weil es für die Eisenbahn eine Ausnahme aus diesen Konsumentenschutz­regeln gibt; und ich glaube, man sollte dahin gehend die Ausnahmen auch für derartige Formen erwirken, dann ersparen wir uns das.

Ich bin nicht sicher, ob alle Mautflüchtlinge nur deshalb niederrangige Straßen benüt­zen, weil sie zu faul sind, auszusteigen. Es gibt wahrscheinlich auch einige, die es mit Vorsatz tun, und da würde dann auch so ein System nicht helfen. Da müssten wir ein­fach kontrollieren und schauen, dass das nicht geschieht.

Sehr geehrte Damen und Herren, das war es im Wesentlichen, was ich zur Vignette sagen wollte. Ich denke, es ist eine gute Entwicklung. Wir gehen damit diese Schritte, die überall sonst passieren, mit. Wir digitalisieren, wir bieten virtuelle Vignetten an in ei­ner Zeit, die immer virtueller wird.

Die meisten von uns, glaube ich, haben noch die Einführung der Vignette miterlebt, als sie noch als Papiervignette eingeführt wurde. Da hat es eine Figur gegeben, den soge­nannten Vignettenman, und es wurde der Sager „Kleben bringt Segen“ geprägt. Jetzt ha­ben wir eben ein Leben ohne Kleben vor uns, das ist ja auch nicht schlecht. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

13.19

13.20.03

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlos­sen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist angenommen.

13.20.246. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 27. April 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Güterbeförderungsgesetz 1995 geändert wird (2093/A und 1592 d.B. so­wie 9791/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Nun gelangen wir zum 6. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Beer. Ich bitte um die Berichterstattung.

 


13.20.52

Berichterstatter Wolfgang Beer: Sehr geehrtes Präsidium! Herr Minister! Sehr geehr­te Bundesräte! Ich erstatte den Bericht des Ausschusses für Verkehr über den Beschluss des Nationalrates vom 27. April 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Güter­beförderungsgesetz 1995 geändert wird.

Der Ausschussbericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Verkehr stellt nach Beratung der Vorlage am 9. Mai 2017 mit Stim­meneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates kei­nen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Lindinger. – Bitte, Herr Kollege.

 


13.21.28

Bundesrat Ewald Lindinger (SPÖ, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Herr Bundesmi­nister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich ist das heute eine Anpassung, wenn


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 87

man das salopp so nennen möchte, denn es ist doch in allen Bereichen üblich, dass man auf elektronische Datenübermittlung setzt, und elektronische Daten herzuzeigen, ist in allen Bereichen üblich.

Das iPhone, das iPad und der Laptop gehören zum täglichen Leben. Warum sollen diese Dinge nicht auch im Güterbeförderungsbereich zum täglichen Leben gehören? Wenn man auf der Autobahn auf den großen Raststätten haltmacht, um einen Kaffee zu trinken, dann sieht man, dass fast alle Lastwagenfahrer, die „Ritter der Straßen“, einen Laptop mitha­ben, um in ihren Ruhepausen vielleicht zu arbeiten und Berichte zu schreiben, oder auch, um sich zu informieren.

Um dem gerecht zu werden, ist es in Zukunft möglich, dass die sogenannten Begleit­papiere den Kontroll- und Aufsichtsorganen in elektronischer Form gezeigt werden, und zwar nicht so, dass man der Aufsichtsbehörde oder dem Aufsichtsorgan einfach einen Stick übergibt und sagt: Schau da selber nach!, sondern der Betroffene muss ein geöff­netes Dokument herzeigen. Das ist auch gut so, denn es könnte ja sein, dass die Da­ten von der Finanzpolizei oder von jenen Aufsichtsorganen, die dazu berechtigt sind, nicht geöffnet werden können.

Es folgt aber auch eine Klarstellung der sogenannten Kabotage-Regelung. Wenn man sich vorher nie damit beschäftigt hat, könnte man glauben, das Wort Kabotage ist ein Tippfehler. Nein, dabei handelt es sich nicht um Sabotage, sondern um Kabotage. Und die Wirtschaftskammer stellt klar – schade, dass die Frau Kollegin, die Präsidentin aus Niederösterreich, nicht im Saal ist –: Es geht darum, zu verhindern, dass Transportun­ternehmen frei durch die Lande fahren, durch Österreich durchfahren und dann bei uns auch 14 Tage Transportleistungen übernehmen, vielleicht zu ganz anderen Konditionen als bei uns üblich. (Vizepräsident Gödl übernimmt den Vorsitz.)

Um das zu vermeiden, gibt es für die Finanzpolizei die Möglichkeit, einzuschreiten, so­dass man maximal drei Tage innerhalb von Österreich diese Transportleistung über­nehmen kann, wenn der Transport zum Beispiel von Holland nach Slowenien geführt hat. Das kann man in Österreich, aber auch in Deutschland insgesamt nur maximal sieben Tage lang, dann muss man wieder im Ausgangsland zurück sein. Es hat ja einige Un­ternehmen gegeben, die dann in Luxemburg oder sonst irgendwo Unternehmen ange­meldet haben. Ich glaube, das war auch einer jener Gründe, warum sie dann verfolgt wurden. Um das einzuschränken, ist mit diesem Gesetz eine sehr, sehr strenge Rege­lung in der Kabotageüberwachung gemacht worden. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir dem heute die Zustimmung erteilen. (Beifall bei der SPÖ.)

13.25


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächstem darf ich das Wort Herrn Bundesrat Pog­litsch erteilen. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


13.25.32

Bundesrat Christian Poglitsch (ÖVP, Kärnten): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Lieber Ewald, danke, dass du mir zu diesem Thema nichts mehr übrig gelassen hast. Ich glaube aber, es ist schon paradox, was hier angeführt worden ist: dass man im Jahr 2017 noch im­mer die Frachtbriefe in Papierform mitführen muss, obwohl wir uns bereits seit Jahrzehn­ten im elektronischen Zeitalter befinden.

Ich glaube, das ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung, um die Wirtschaft etwas von der Bürokratie zu entlasten, aber vor allen Dingen – und das ist auch schon ange­sprochen worden –, um auch die Lkw-Fahrer zu entlasten, denn es ist jedes Mal ein schwieriges Unterfangen, alle diese Papiere beisammen zu haben, alle richtig abzuhef­ten und dann dem Kontrollorgan vorzuzeigen. In Zukunft wird es leichter werden, wenn man sie in elektronischer Form zur Verfügung stellen kann.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 88

Ich glaube, das ist auch der richtige Weg, denn – und das sage ich hier als Unterneh­mer – die größte Problematik, die wir im Unternehmertum in Kärnten und in Österreich haben, sind die bürokratischen Auflagen, die Hürden und vor allen Dingen die Zettel­wirtschaft. Ich sage das ganz offen, es gibt auch in meinem Betrieb Aktenberge und Zettelwirtschaft, die wir bedienen müssen, und das hindert einen am Eigentlichen, näm­lich daran, Unternehmer zu sein. Man will ja unternehmen und nicht unterlassen. Und in diesem Fall ist das, was mit dieser Gesetzesänderung geschieht, absolut richtig und wird auch unsere Zustimmung finden. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Rösch.)

13.26


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Samt. – Bitte.

 


13.27.00

Bundesrat Peter Samt (FPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Spickzettel war von Haus aus schon nicht groß, und nach zwei Reden zu diesem bewegenden Thema bleibt natürlich nicht mehr viel übrig. Ich bin zwar nicht ganz der Meinung des Kollegen Poglitsch, der sagt: Alles weg, das ganze Papier!; ein bisschen Paperwork gehört schon noch dazu. Natürlich ist klar, dass heute die Digitalisierung auch im Güterbeförderungsgewerbe Einzug halten muss, da­mit dieses an die technische Entwicklung angepasst ist.

Klar ist für uns – und das ist der wichtige Punkt gewesen, den wir auch in der Aus­schusssitzung hinterfragt haben –: Es ist entscheidend, dass der kontrollierende Beam­te oder die kontrollierende Behörde über die Qualität und Lesbarkeit entscheidet, also dass man, wie Kollege Lindinger schon gesagt hat, nicht mit irgendeinem Stick oder ir­gendetwas daherkommt, sondern dass man tatsächlich sagt: Da ist das Dokument am Handy oder am iPad, und dieses muss lesbar sein – Stichwort defekte Handys oder zer­störte Displays.

Kabotage ist schon erwähnt worden. Die Mitführverpflichtung der Belege ist für uns vor allem deswegen wichtig, weil die EU-Verordnung oder die EU-Richtlinie es offensicht­lich offenlässt, ob man die Belege mitnimmt oder nicht. In gewissen Ausnahmefällen scheint es so, dass das nicht verpflichtend ist. Österreich hat sich eben von diesen Richt­linien abgesetzt und das vertieft.

Daher stellt das für uns eine wichtige und richtige Gesetzesänderung dar, die wir im Nationalrat unterstützt haben und auch hier im Bundesrat unterstützen werden. – Dan­ke für den Beifall, Herr Kollege Mayer! (Beifall bei FPÖ und ÖVP sowie bei Bundesrä­ten der SPÖ.)

13.29


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nun darf ich das Wort Frau Bundesrätin Mag. Schrey­er erteilen. – Bitte.

 


13.29.09

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Minister! Ich werde meine Ausführungen ganz kurz halten, denn meine Vorredner ha­ben schon sehr viel zu diesem Thema gesagt.

Wir unterstützen die Inhalte dieser Novelle, die zeitgemäße Formulierung zu Frachtbe­gleitpapieren. Wir finden die Klarstellung betreffend finanzpolizeiliche Mitwirkung bei Lkw-Kontrollen gut, insbesondere die Definition einer eindeutigen Dokumente-Mitführungs­pflicht bei den sogenannten Kabotagefahrten, die schon erklärt worden sind. Die Ver­besserung der Kontrollierbarkeit der Kabotage ist vor allem deswegen so dringend not­wendig und wichtig, weil die internationale Lkw-Lobby auf europäischer Ebene gerade


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 89

versucht, genau diese Kontrollprobleme als Vorwand zu missbrauchen, um die Kabo­tage gänzlich zu liberalisieren. Das ist nicht im Sinn der Verkehrssicherheit in Öster­reich, das ist nicht im Sinn der Transportwirtschaft in Österreich, und es ist vor allem auch nicht im Sinn von anständigen Beschäftigungsbedingungen am Lkw-Lenkrad.

Wir haben heute hier schon das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz beschlos­sen – wir zwar nicht (Heiterkeit des Bundesministers Leichtfried) –, aber so eine Öff­nung der Kabotage würde genau die Intention des Lohn- und Sozialdumping-Bekämp­fungsgesetzes konterkarieren. Von daher begrüßen wir diese Regelung sehr. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

13.30

13.30.32

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Hand­zeichen. – Dies ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

13.31.057. Punkt

Gemeinwirtschaftlicher Leistungsbericht 2015 des Bundesministers für Verkehr, In­novation und Technologie (III-618-BR/2017 d.B. sowie 9792/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen nun zum 7. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Beer. Ich bitte um den Bericht.

 


13.31.21

Berichterstatter Wolfgang Beer: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bringe den Be­richt des Ausschusses für Verkehr über den Gemeinschaftlichen Leistungsbericht 2015.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher sogleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für Verkehr stellt nach Beratung der Vorlage am 9. Mai 2017 den An­trag, den Gemeinwirtschaftlichen Leistungsbericht 2015 des Bundesministers für Ver­kehr, Innovation und Technologie zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erstem darf ich Herrn Bundesrat Krusche das Wort erteilen. – Bitte.

 


13.31.50

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Hohes Präsidium! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Als ich den Bericht zuerst in Händen gehalten habe, habe ich mich gewundert, habe ich mir gedacht, der hat ja jetzt nur mehr 20 Seiten gegen­über dem Paket für das Jahr 2014. Ich habe dann allerdings feststellen dürfen, dass die Zahlen, Daten und Fakten jetzt in die Beilage verschoben wurden, in den Bericht der SCHIG.

So gesehen ist der Bericht ja durchaus sehr umfangreich, ausführlich mit Zahlenmate­rial und Visualisierungen durch Grafiken versehen und bringt natürlich schon auch zum Ausdruck, wie komplex und kompliziert dieses System der Verrechnung dieser gemein­wirtschaftlichen Leistungen eigentlich ist. Mir ist schon klar, dass da auch sehr viele uni­onsrechtliche Vorgaben einfließen, die die ganze Angelegenheit natürlich nicht unbedingt einfacher machen.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 90

Der Bericht selbst ist durchaus gut. Wir werden ihm aber deshalb nicht zustimmen, weil wir wie auch in den vergangenen Jahren in der Politik doch eine starke Bevorzugung der ÖBB im Vergleich zu den Privaten feststellen müssen. Das kann man vielleicht an einem kleinen Beispiel veranschaulichen: Die ÖBB hatten – ich beziehe mich jetzt ein­mal ausschließlich auf den Personenverkehr – von 2014 auf 2015 einen Zuwachs an Fahrgästen um 1 Prozent auf 221 Millionen Fahrgäste. Die Privatbahnen hatten in diesem Zeitraum einen Zuwachs um 3,5 Prozent auf 36,3 Millionen Fahrgäste. (Bundesrat Schen­nach: Beeindruckende Zahl, ja! – Heiterkeit der Bundesrätin Grimling. – Zwischenruf des Bundesrates Lindinger.) Bei den Abgeltungen schaut es allerdings so aus, dass die ÖBB 1,7 Prozent mehr bekommen, also insgesamt etwas über 643 Millionen €, und die Pri­vatbahnen nur einen Zuwachs von 1,6 Prozent auf 53,32 Millionen € bekommen.

Natürlich könnten Sie jetzt dagegen sagen – denn das haben solche Statistiken an sich –, dass insgesamt, auf die Fahrgäste und die Personenkilometer bezogen, die Pri­vatbahnen prozentuell mehr bekommen. Darauf könnte ich dann wieder sagen: Na eh klar, weil ja die ÖBB die Strecken haben – und dadurch bevorzugt sind –, auf denen sie eben die großen Fahrgastzahlen im Pendlerverkehr und so weiter lukrieren können! – Man sieht also, mit Statistiken kann man einiges anfangen. (Zwischenruf des Bundes­rates Schennach.)

Natürlich ergibt sich auch die Frage, ob dieser Fahrgastzuwachs wirklich nachhaltig ist. Es ist zu hoffen; denn man kann dem Bericht auch entnehmen, dass zum Beispiel bei der Strecke Graz–Salzburg auch die Flüchtlinge eingerechnet wurden, die da ja en gros von Spielfeld nach Salzburg an die Grenze geschickt worden sind, und diesem Fahr­gastzuwachs stehen natürlich keine Einnahmen gegenüber. Also, man wird sehen, wie das in Zukunft ausschauen wird.

Auch bei der Qualität ist es so, dass die Privatbahnen 63 Prozent des Qualitätsbonus ausgeschöpft haben, während die ÖBB nur 16,6 Prozent des Bonus ausgeschöpft ha­ben. Man könnte jetzt, wenn man will, daraus schließen: Die Qualität ist bei den Privat­bahnen größer als bei den ÖBB.

Dieser ganze Bereich des Qualitätsmanagements, der ja viel Raum einnimmt, auch in dem Bericht der SCHIG, ist natürlich etwas problematisch. Es gibt objektive Kriterien, wie beispielsweise die Pünktlichkeit der Züge, und subjektive Kriterien wie Sauberkeit, Information bei Verspätungen, Freundlichkeit des Personals und so weiter. Und um das dann auch für die Vergütung bewerten zu können, werden sogenannte Zielwerte fest­gelegt. Und da frage ich mich: Wie wird dieser Zielwert festgelegt? Wird er so festge­legt, dass er sicher erreicht werden kann? – Bei der Pünktlichkeit liegt er bei 85 Pro­zent. Da ist die Frage: Wie hoch legt man die Latte?

Ähnlich ist es bei der Gewichtung der einzelnen Kriterien. Grundsätzlich sollte man im Qualitätsmanagement doch schauen, dass man nicht eine über die Jahre hin gleich­bleibend hohe Latte zu erreichen versucht, sondern dass man sich kontinuierlich ver­bessert und dass irgendwo als Vision sozusagen null Fehler oder die Nullabweichung steht. Eventuell wird auch zu überlegen sein, ob nicht die Qualitätssteigerung auch ein wesentliches Kriterium ist.

Statistische Abweichungen beziehungsweise Unterscheidungen konnte ich nicht finden, denn gerade bei der Pünktlichkeit stellt sich natürlich schon die Frage: Warum ist der Zug unpünktlich? Ist es höhere Gewalt? – Vermurungen, Naturkatastrophen, Windbruch et cetera spielen ja auch eine Rolle. Sind es Baustellen oder ist es ein hausgemachtes Problem, betrieblich bedingt, und hat das Verkehrsunternehmen die unmittelbare Ver­antwortung für diese Verspätung zu tragen?

Ganz klar konnte ich auch nicht feststellen, wie Unpünktlichkeit bewertet wird, die bei­spielsweise Privatbahnen verzeichnen, die durch Baustellen der ÖBB hervorgerufen werden. Dazu konnte ich keine aussagekräftigen Statistiken finden.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 91

Bei den Stichproben gestehe ich sicherlich zu, dass sie ebenso wie die Befragungen der Kunden für die Erfassung der subjektiven Kriterien durchaus nach wissenschaftli­chen Kriterien vorgenommen werden; aber wie schaut es mit den statistischen Ausrei­ßern aus? – Wenn ich mich an die Schlagzeilen erinnere, die wir vor nicht allzu langer Zeit im Winter hatten, dass faktisch Passagiere mehr oder weniger gewaltsam aus über­füllten Zügen gewiesen werden mussten, dann ist das vielleicht in der Stichprobe nicht enthalten, aber der Imageschaden für das Unternehmen, für die ÖBB in diesem Fall, ist natürlich ganz gewaltig, wenn so etwas durch alle Medien geht. Und da hilft die schönste Statistik, die sagt, dass das alles besser ist, nichts.

Abschließend noch ganz kurz etwas zur Steiermark: Wir haben Rückgänge auf der Süd­bahn auf den Strecken Wien–Graz und Graz–Linz, und zwar ganz massive, auf der Strecke Graz–Linz um fast 20 Prozent. Als Grund wird die Konkurrenz durch Busunter­nehmen angegeben. Wenn ich sagen muss, dass jetzt die Straße wirklich attraktiver als die Schiene ist, dann ist das schon kontraproduktiv. Und die ÖBB selbst beteiligen sich mit ihren Bussen in gewisser Weise auch noch daran und gestehen sozusagen ein, dass die Straße offensichtlich Vorteile bietet. Wir wissen, dass sich die Situation auf der Südbahnstrecke in absehbarer Zeit hoffentlich zum Positiven wenden wird, wenn der Semmeringtunnel fertig ist.

Kein Licht am Ende des Tunnels – im wahrsten Sinn des Wortes – sehe ich allerdings bei der Pyhrnachse. Es wird immer betont, es wird viel getan, es wird viel gebaut – das ist auch richtig. Wenn wir etwa Mitte der Zwanzigerjahre diese großen Projekte abge­schlossen haben werden, so können wir nicht behaupten, dass wir damit in Österreich quasi fertig sind, sondern es gibt noch viel zu tun. Und ganz prioritär zu behandeln ist aus meiner Sicht gerade diese Pyhrnachse von Selzthal Richtung Linz, Wels, aber auch die Achse durch das Ennstal von Selzthal Richtung Bischofshofen.

Da muss mit den Planungsarbeiten und mit den Vorbereitungsarbeiten jetzt begonnen werden, um dann im Anschluss an die Fertigstellung der anderen Projekte weiterarbei­ten zu können. Wir alle wissen, welch enorme Vorlaufzeiten solche Projekte durch Ge­nehmigungsverfahren, durch den Planungsaufwand, nicht zuletzt durch Einsprüche von den Grünen haben. Zehn Jahre Vorlaufzeit sind also gar nichts. Daher ist mein Wunsch an die nächste Bundesregierung, dass dieses Thema offensiv angegangen wird, damit das zu einer Verbesserung führt.

Summa summarum: Es ist nicht alles schlecht, aber es gibt durchaus noch viel Luft nach oben, wie das auch in diesem Bericht zum Ausdruck kommt. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

13.42


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Lindin­ger. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


13.42.43

Bundesrat Ewald Lindinger (SPÖ, Oberösterreich): Herr Präsident! Herr Bundesmi­nister! Kollege Krusche! (Bundesrat Krusche: Ja, hier!) Ich bin ja schon froh, dass Sie sich sicher fühlen in den Zügen der Österreichischen Bundesbahnen. Ich kann mich noch an eine Aussage hier im Haus erinnern, daran, dass Sie erwähnt haben, dass Sie sich verunsichert fühlen, wenn Sie in einem Abteil mit einem Farbigen sitzen. Die Zeiten sind hoffentlich vorbei, sodass Sie sich wieder sicher fühlen bei den ÖBB. (Bundesrat Jene­wein: Das können Sie sicherlich zitieren, denn sonst wäre es eine reine Unterstellung! Und das werden Sie doch nicht machen!) Das war ... (Bundesrat Krusche: Das war vielleicht ein Kollege!) Ich kann mich sehr, sehr gut erinnern. (Bundesrat Jenewein: Sie können es also nicht zitieren! Dann würde ich eine solche Unterstellung nicht ma­chen!) – Das ist keine Unterstellung; da können wir nachschauen.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 92

Dieser Gemeinwirtschaftliche Leistungsbericht 2015 ist dünner geworden. Und wenn et­was dünner wird, dann muss man sich, wenn man die Absicht dazu hat, die negativen Sachen wirklich herauspicken. Ich glaube, dass es ein sehr, sehr positiver Bericht ist.

Ich lese heute in einer Zeitung die Aussage des ÖBB-Managements: ÖBB weiter auf Er­folgskurs. – Das ist nicht ein Erfolgskurs, der erst seit einigen Wochen oder Monaten ge­steuert wird, dieser Erfolgskurs wird schon Jahre gefahren: Die Zahlen steigen, die Pünkt­lichkeit steigt, der Ertrag steigt, die gefahrenen Kilometer steigen. Die Zahl der Perso­nen, die die ÖBB und die Bahn insgesamt benützen, steigt. Es gibt einige neue Privat­bahnen neben den traditionellen Privatbahnen, die wir schon sehr, sehr lange kennen, wie die Wiener Lokalbahnen. Es gibt die Győr-Sopron-Ebenfurti Vasút, die GySEV, wie wir sie nennen, oder die Stern & Hafferl in Oberösterreich, die Salzburger Lokalbahn, die Pinz­gauer Lokalbahn, die Zillertaler Verkehrsbetriebe, die Innsbrucker Verkehrsbetriebe, die Stubaitalbahn, die Montafonerbahn, die Steiermärkischen Landesbahnen, die GKB als Graz-Köflacher Bahn. Geschätzte Damen und Herren, diese Bahnen waren immer schon eine Ergänzung zu den ÖBB im ländlichen Raum oder im städtischen Umfeld. Und wenn heute erwähnt wurde, dass diese Privatbahnen einen höheren Qualitätsbonus erhalten haben, dann ist das ja klar, weil diese Bahnen einen höheren Nachholbedarf bei der Qua­lität, bei der Ausstattung der Bahnhöfe, der Haltestellen und des fahrenden Materials ge­habt haben.

Die ÖBB haben einen sehr hohen Standard, haben sehr viele Verträge mit den Län­dern, in den Regionen, und haben also in diesem Gemeinwirtschaftlichen Leistungsbe­richt sehr, sehr gut abgeschnitten. Und dieses gute Abschneiden bedeutet, dass die Bahn als Verkehrsmittel eben auf Erfolgskurs ist.

Ich bedanke mich bei dir, Herr Bundesminister. Du warst ja schon als Landesrat bei uns in Oberösterreich zu einem Treffen mit dem damaligen Verkehrslandesrat. Herr Kol­lege Krusche hat auch die Bahnverbindung Selzthal–Linz, also Graz–Linz angespro­chen: Dort wird investiert, dort wird aufgrund einer Absprache genau koordiniert zwi­schen beiden Ländern im Regionalbereich investiert, ins fahrende Material investiert. Es gibt auch den neuen Zug, der Linz–Graz durchfährt. Und parallel dazu fährt natür­lich auch ein Bus eines bekannten kleinen Privatunternehmens die Strecke Graz–Linz durch. Das ist Privatwirtschaft, das ist ein privatwirtschaftliches Unternehmen. Diesem Wettbewerb müssen sich auch die ÖBB stellen, und das tun sie auch.

Dass investiert wird in die Strecken, in die Qualität der Strecken, zeigt sich unter an­derem in monatelang betriebenen Baustellen oder jetzt zum Beispiel Ende Mai darin, dass die Pyhrnstrecke wieder einen Monat lang wegen verschiedener Baustellen ge­sperrt ist, die miteinander koordiniert sind, um zu modernisieren, zu investieren, um auch die Wirtschaft zu beleben. Diese Investitionen in die Bahn sind auch Investitionen in Ar­beitsplätze in der Region und in die Bauwirtschaft.

Geschätzte Damen und Herren! Ich bedanke mich für den Gemeinwirtschaftlichen Leis­tungsbericht. Wir werden ihn sehr, sehr gerne zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der SPÖ.)

13.48


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Bundesrat Krusche zu Wort gemeldet. Ich weise darauf hin, dass eine tatsächliche Be­richtigung die Dauer von 5 Minuten nicht überschreiten darf. Sie hat sich überdies auf die Wiedergabe der zu berichtigenden Behauptung und die Darstellung des berichtig­ten Sachverhaltes zu beschränken.

Ich erteile nun Herrn Bundesrat Krusche das Wort. – Bitte.

 


13.48.26

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Herr Kollege Lindinger hat in seiner Re­de gesagt, dass ich behauptet hätte, mit einem Farbigen in einem Abteil gesessen zu


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 93

sein und mich unsicher gefühlt zu haben. Ich muss behaupten, dass diese Aussage un­richtig ist.

Ich bin nie mit einem Farbigen in einem Abteil gesessen (Heiterkeit), deswegen kann ich diese Behauptung gar nicht aufstellen. Ich weiß das sehr genau, weil ich relativ sel­ten mit dem Zug fahre, weil die Verbindung von Leoben nach Wien so unattraktiv ist. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

13.48


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächstem erteile ich Herrn Bundesrat Mag. Pisec das Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


13.49.00

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Kollege Lindinger! Wir von der FPÖ weisen Ihren polemischen Eingangssatz auf das Schärfste und Entschiedenste zurück. Ich kenne Sie als sehr sachlich argumentierendes Mitglied des Bundesrates. Dass dieser Ausspruch gerade von Ihnen kommt, ist nur ein Beweis, ein weiteres Zeugnis dafür, dass Sie die gesamte ÖBB nur als sozialdemokratischen Unterbau ansehen, aus dem Sie Ihre Mitglieder rekrutieren. (Beifall bei der FPÖ. – Wi­derspruch bei der SPÖ.)

Die Österreichischen Bundesbahnen, die sogenannten Staatsbahnen, wenn ich kurz die Geschichte bemühen darf, sind ein Fossil aus der verstaatlichten Industrie der Achtzi­gerjahre, das es bis heute geschafft hat, sich allen Restrukturierungen und Effizienz­steigerungen zu entziehen.

Es ist schwer, das tatsächliche Budgetdefizit festzustellen, denn vieles ist außerbudge­tär, anderes wird budgetär verrechnet, vieles ist in der Untergliederung 41 im Budget ver­ankert, vieles wird den Ländern und Gemeinden übertragen. Daher darf ich Finanzmi­nister Schelling zitieren, der in seinem Budgetbericht für 2017 gesagt hat – ich zitiere –: Der jährliche Zuschuss für die ÖBB wird 2017 erstmals die 5-Milliarden-€-Grenze über­steigen, und alle Verpflichtungen zusammengenommen beträgt der jährliche Zuschuss 8 Milliarden €. – Das muss man sich einmal vorstellen! Das sind circa 10 Prozent der gesamten jährlichen Steuereinnahmen. Da stimmt einiges nicht!

Wobei ich extra, wenn ich das differenzierend sagen darf, die Rail Cargo Austria aus­nehmen darf, die wirklich bemüht ist, sich selbst auf die Reihe und auf die Schiene zu bringen, gerade auch mit dem schweren Erbe der Rail Cargo Hungaria, die sie 2009 auf­grund einer doch zu teuren Kaufentscheidung des ÖBB-Vorstandes übernehmen musste.

Sehr geehrter Herr Minister! Sie haben – das haben Sie auch sehr mutig gesagt, und das darf ich auch anerkennen – die Schweiz als Vorbild in Ihrem Eingangssatz, auf der Eingangsseite zitiert. Sie bezeichnen sie als Vorbild für die nächsten Jahre. Das ist mu­tig, und das rechne ich Ihnen auch hoch an.

Ich möchte die Zahlen der Schweizer Bundesbahn, die für alle Länder und gerade für Österreich ein Vorbild ist, heranziehen, um sie mit den Zahlen zu den gemeinschaftli­chen Leistungen zu vergleichen, die die ÖBB, die österreichischen Staatsbahnen dem österreichischen Steuerzahler verrechnen: Es sind 615 Millionen € für den Personen­verkehr und 18 Millionen € für den Güterverkehr. Die Schweiz, deren Topografie ähn­lich wie jene Österreichs ist, verrechnet dem Staat nur 250 Millionen € für den Perso­nenverkehr, also praktisch nur ein Drittel, und 20 Millionen € für den Güterverkehr. Falls jetzt die Ausrede kommen sollte, darf ich die gleich zurückweisen: Es geht nicht um die Schieneninfrastruktur, denn die wird in beiden Staaten extra verrechnet und ist in beiden Ländern mit 1,7 Milliarden € extra etwa gleich hoch. Es liegt eher der Verdacht nahe, dass es diese gemeinschaftlichen Leistungen in dieser Höhe gar nicht gibt und damit das Geschäftsergebnis der ÖBB besser dargestellt wird, als es tatsächlich ist.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 94

Wenn man nämlich die gemeinschaftlichen Leistungen an jene der Schweizer Bundes­bahn angleichen würde, dann würde der Personenverkehr – den Güterverkehr ausge­nommen – in einem gewaltigen Defizit aus den laufenden Kosten heraus landen, und das, sehr geehrter Herr Minister, verwundert mich nicht.

Die Schweiz macht umgerechnet 8 Milliarden € Umsatz und die ÖBB circa 5,25 Mil­liarden €, die ÖBB haben 40 000 Mitarbeiter, die Schweizer haben nur 31 000 Mitar­beiter. Daher, sehr geehrter Herr Minister, ist es natürlich nicht verwunderlich, dass Ös­terreich aus dieser Schuldenfalle der Österreichischen Bundesbahnen, was ja alles dem Steuerzahler aufoktroyiert wird, nicht und nicht herauskommt.

Der Rechnungshof stellt auch ganz klar fest, dass der freie Wettbewerb verstärkt ge­nutzt werden muss, und das ist auch eine Empfehlung und eine Vorgabe der Europäi­schen Kommission. Dem wird nicht nachgekommen. Wie mein Kollege Krusche schon zu Recht ausgeführt und erwähnt hat, sind es gerade 10 Prozent aller Abgeltungsbe­träge, die den Privatbahnen zugeteilt werden, wobei ich noch im Detail ausführen darf, dass Privatbahnen ja nicht wirklich Privatbahnen sind, wie das im Gemeinwirtschaft­lichen Leistungsbericht ausgeführt wird, denn die Wiener Lokalbahnen sind im Besitz der Gemeinde Wien, zählen aber als Privatbahn. Ich weiß schon, juristisch ist es eine Privatbahn, de facto ist es aber keine, weil sie im Besitz des roten Wien ist und damit letztlich auch als eine Staatsausgabe zu bewerten ist und nicht als Privatbahn. (Bun­desminister Leichtfried: Wie würden Sie da die Westbahn sehen?)

Ich komme gleich darauf zurück; ich komme noch auf einen zweiten Punkt zu spre­chen, den Sie erwähnt haben, den Hauptbahnhof, den Sie auch in Ihrer Präambel ge­nannt haben, den Sie als Asset bewertet haben. Abgesehen von den hohen Kosten und abgesehen davon, dass er wie viele Infrastrukturgroßbaustellen nicht ankommt, so wie auch der Flughafen Wien, der auch völlig am Bedarf vorbei produziert wurde. Die Klein- und Mittelbetriebe sind zu überhöhten Kosten praktisch mit einer Transformation in das Bahnhofsgebäude hineingelockt worden, das es so in der Realität gar nicht gibt. Überhöhte Kosten haben praktisch zum Konkurs und zu einem Auslagerungsverhalten der Klein- und Mittelbetriebe geführt. Ursächlich dafür sind eine überhöhte Pacht, über­höhte Mietforderungen seitens der ÖBB als Eigentümer des Hauptbahnhofes.

Es gibt da also zwei Probleme: Irrsinnig hohe Kosten auf Kosten des Bürgers aufgrund von Steuerzahlungen und Abgaben und auf der anderen Seite, wenn Sie selbst vermie­ten und vielleicht etwas zurückgeben könnten, sollten oder sogar müssten – als Mono­polbetrieb wäre das sogar Ihre Aufgabe –, tun Sie es nicht und verlangen überhöhte Mie­ten, worunter die kleinen Betriebe leiden. Den Hauptbahnhof haben Sie in Ihrem Ein­gangsstatement als Asset angeführt, was er in dieser Form, sehr geehrter Herr Minister, nicht ist!

Kurz zur Vermengung von Parteipolitik und unternehmerischer Tätigkeit: Das lehnen wir von der FPÖ entschieden ab, das wollen wir nicht! Unternehmerisch handeln ist frei von Parteipolitik, Parteipolitik ist ein komplett anderes Thema.

Ich darf in diesem Zusammenhang kurz den Vortrag, nicht Ihren, sondern den des neu­en Vorstands der Österreichischen Bundesbahnen-Holding AG im Wirtschaftsmuseum erwähnen, der im gleichen Atemzug mit einem Vortrag über die Sozialdemokratie statt­fand, und muss sagen, Sie machen aus dieser Vermengung überhaupt kein Hehl. Da­mit ist mir auch die Eingangspassage des Kollegen Lindinger vollkommen klar, denn es ist für Sie eine Selbstverständlichkeit, dass diese schwer defizitären, höchst verschul­deten Staatsbahnen eins zu eins der SPÖ gehören. Das kann es doch nicht sein! Das wollen wir nicht! Das lehnen wir entschieden ab! (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Schennach: Ein bisschen mehr intellektuelle Redlichkeit bitte! – Bundesrat Jenewein: Das sagt gerade Schennach!)


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 95

Wir wollen ein modernes, junges Bahnmanagement-Unternehmen mit modernen Inter­city-Linern, wie es in der Schweiz üblich ist, wie es in den Niederlanden üblich ist, wie es in Deutschland üblich ist, was jeder Geschäftsreisende miterleben kann, ob das in Amsterdam, Antwerpen, Zürich oder Berlin ist. Das ist in Österreich de facto nicht der Fall. Daher wollen wir eine Umstrukturierung der Österreichischen Bundesbahnen, eine Teilprivatisierung, der sie bis jetzt entgangen sind. – Danke. (Beifall bei der FPÖ. – Bun­desminister Leichtfried: Auf die Westbahn sind Sie nicht eingegangen!)

13.56


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächstem darf ich Herrn Bundesrat Preineder das Wort erteilen. – Bitte.

 


13.56.49

Bundesrat Martin Preineder (ÖVP, Niederösterreich): Geschätztes Präsidium! Herr Bun­desminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren den Gemeinwirtschaft­lichen Leistungsbericht. Dass da die Österreichischen Bundesbahnen dazugehören, ist auch klar, dass man vieles verbessern kann und dass gute Vorschläge wichtig sind – die nehmen wir auch gerne mit.

Für mich ist aber die Haltung der Freiheitlichen interessant: Sie finden irgendwo einen Punkt – Kollege Krusche hat gesagt, der Bericht ist an sich gut, ist interessant, er findet darin viele wichtige Zahlen; man findet auch viele gute Ansätze –, irgendwo soll das Ver­hältnis der Zahlungen an die ÖBB und an die Privatbahnen um ein paar Prozent nicht passen, und schon lehnen Sie das ab! So wird es sogar schwierig werden, ein Fahrrad zu kaufen, denn auch da passt nicht immer alles. Irgendwie muss man immer einen Kompromiss schließen oder zugeben, dass es irgendwo nicht zu 100 Prozent passt. Wenn es zu 100 Prozent passt, dann wäre wahrscheinlich der Preis ein sehr, sehr ho­her, und darüber kann man auch in diesem Fall diskutieren. (Zwischenruf der Bundes­rätin Mühlwerth.) – Ich sage es euch nur!

Geschätzte Damen und Herren! Für uns in der Bundesregierung ist es grundsätzlich immer wichtig gewesen, den öffentlichen Verkehr entsprechend auszubauen. Das hat in Österreich einen hohen Stellenwert. Es sind auch viele Maßnahmen gesetzt worden. Der Herr Bundesminister hat darauf hingewiesen, ob es, ich spreche aus der Sicht Nie­derösterreichs, der Ausbau der Westbahnstrecke war oder der Hauptbahnhof in Wien, der durchaus zu Verbesserungen des öffentlichen Verkehrs in unserem Bundesland ge­führt hat. Die Westbahnstrecke ist eine der schnellsten, das gilt auch für den priva­ten An­bieter.

Wenn ich mir anschaue, dass die Fahrzeit von meinem Bezirk, von Wiener Neustadt in meine Landeshauptstadt St. Pölten drastisch gesenkt werden konnte, dann ist das durch­aus ein wesentlicher Beitrag, der die Mobilität der Bürger im öffentlichen Verkehrsbe­reich erhöht, und dazu noch, das darf man auch nicht vergessen, ein wesentlicher Bei­trag zum Klimaschutz, weil wir durchaus umweltfreundlich unterwegs sind.

Nicht alle Leistungen aber, und das steht auch im Bericht, die der öffentliche Verkehr erbringt, werden auch von den Kunden bezahlt. Und da ist der Leistungsbericht auch interessant, weil wir zum einen leistungsfähige Unternehmen im Bereich des öffentli­chen Verkehrs wollen, seien sie privat oder im öffentlichen Eigentum oder im Staatsei­gentum. Wir wollen leistungsfähige Unternehmen; diese stehen im Wettbewerb und müssen im Wettbewerb stehen, nur das spornt an. Umgekehrt aber gibt es öffentliche Interessen, die entsprechend ausgeglichen werden sollen und müssen. 83 Prozent, und das lesen wir auch im Bericht, kommen vom Bund, der Rest von den Ländern, weil eben Leistungen bestellt werden, Leistungen wie Schülerfreifahrten, wie Seniorenkarten oder wie in Niederösterreich das Top-Jugendticket, das ich erwähnen darf, womit man, wenn man als Jugendlicher 60 € zahlt, auch in den Ferien die öffentlichen Verkehrsmittel be­nützen kann.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 96

Das ist in dieser Altersgruppe durchaus etwas, das sehr gut angenommen wird, sehr gelobt wird und auch – das muss ich auch sagen – einen erzieherischen Effekt hat, weil das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln damit auch entsprechend forciert und erlernt wird. Es ist aber manchmal auch im Interesse der Gemeinden und des Landes, Nebenbahnen zu erhalten, die vielleicht nicht wirtschaftlich sind, und das gilt es auch ab­zugelten.

Mobilität ist uns etwas Wichtiges, und wenn wir diese zusätzlichen Leistungen und die Möglichkeiten bieten, beispielsweise, dass junge Leute günstig fahren, dann ist das etwas, was sich vor allem im urbanen Bereich, dort, wo es ein dichtes öffentliches Ver­kehrssystem gibt, auswirkt. Umgekehrt müssen wir auch schauen, wie wir einen Aus­gleich für die ländlichen Räume schaffen, wie wir dort Möglichkeiten schaffen, den Ver­kehr auch attraktiv und umweltgerecht zu gestalten. Da geht es dann in Richtung Er­richtung von Park-and-Ride-Anlagen, Park-and-Drive-Anlagen, Mitfahrbörsen, Carsha­ring, all das. Ich glaube, es wäre auch im Interesse der öffentlichen Hand, da etwas zu tun.

Ansonsten ist der Bericht umfangreich und aufschlussreich. Ich danke dafür, und wir werden diesen Bericht zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

14.01


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundessrätin Mag. Schreyer. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


14.01.40

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Mi­nister! Meine VorrednerInnen haben jetzt wirklich schon sehr, sehr viel zu den Zahlen, Daten und Fakten des Gemeinwirtschaftlichen Leistungsberichtes gesagt. Ich werde das nicht wiederholen, ich möchte aber einen für uns sehr zentralen Punkt zusammenfas­sen.

Es passiert nicht wenig, aber es geht leider im öffentlichen Verkehr auch wenig weiter. Die Dynamik oder eher die Nicht-Dynamik, die im Bericht dargestellt wird, ist der Pro­blemlage einfach nicht angemessen. Es gibt 0,18 Millionen zusätzliche Fahrplankilo­meter, das ist bei einer Ausgangsbasis von 71,44 Millionen Kilometern nur eine Steige­rung von 0,25 Prozent. Dazu kommen knapp 1 Prozent Fahrgastzuwachs und eine mi­nimal bessere Kosteneffizienz. Da muss wirklich mehr an Steigerung möglich sein. Wir stehen vor riesigen umwelt- und klimapolitischen und eben auch verkehrssicherheits­politischen Herausforderungen, da tut sich einfach sehr viel. Es muss einfach schneller gehen, da muss mehr Tempo vorgelegt werden.

Zwei Beispiele: Die Erfahrungen mit den erfolgreichen, günstigen Jahrestickets um 365 € für alle öffentlichen Verkehrsmittel in Wien und auch in Vorarlberg beweisen, dass die Absatzsteigerung durch diesen attraktiven Preis so groß ist, dass unter dem Strich trotz teilweiser massiver Preissenkungen Mehreinnahmen herauskommen, weil dann einfach so viel mehr Leute das Ticket kaufen. Ich bin mir sicher, dass wir bald ein drittes gutes Beispiel dazu anführen können, denn Tirol reiht sich ja mit dem Tirolticket um 490 € – um ein bisschen Werbung machen –, das es ab dem Sommer geben wird, auch ein. Da er­warten wir uns ganz enorme Zuwachsraten bei Personen, die vermehrt öffentliche Ver­kehrsmittel nutzen wollen.

Auf diese Erfahrungen hin wäre es ja nur logisch, wenn der Bund jetzt mit einem leist­baren österreichweiten Öffi-Ticket reagieren würde – das gibt es zum Beispiel in der Schweiz schon lange –, und dann hätten wir eben ganz andere Anstiege in der Nutzung und bei den Kilometern zu verzeichnen. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

14.03



BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 97

Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesminister Mag. Leichtfried. – Bitte.

 


14.03.51

Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie Mag. Jörg Leichtfried: Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren Bundesrätinnen und Bundesräte! Ich darf auf einige Dinge eingehen, möchte aber zuerst etwas Generelles zu diesem Bericht sagen.

Ich glaube – und da stimme ich mit Herrn Bundesrat Krusche überein –, dass man die­se Statistiken immer auf eine Art und Weise interpretieren kann, die in der Argumen­tation nützt. Insgesamt meine ich aber schon, dass der Weg, den Österreich – und das schreibe ich jetzt nicht auf meine Fahnen, sondern eigentlich auf die aller meiner Vor­gängerinnen und Vorgänger – im Bereich des öffentlichen schienengebundenen Ver­kehrs gegangen ist, ein doch erfolgreicher war. Er war deshalb doch erfolgreich, weil wir, wenn man sich die nackten Fakten anschaut, innerhalb der Europäischen Union den öffentlichen schienengebundenen Verkehr betreffend Spitzenreiter sind. Man muss aber auch ganz klar sagen, dass es noch Dinge gibt, die zu ändern und aufzuholen sind. Wir müssen da noch besser werden. Dieses Besserwerden erfordert in einem Land mit un­serer Topografie natürlich besondere und auch sehr kostenintensive Maßnahmen.

Was macht öffentlichen Verkehr im Bereich Personenverkehr attraktiver? Da gibt es im Wesentlichen sechs bis sieben Indikatoren, die zu bedienen sind. Das ist einmal das Tempo. Wenn wir über Tempo reden, brauchen wir uns derzeit nicht zu wundern, dass die Südstrecke nicht so attraktiv wie die Weststrecke ist. Wenn man von Leoben nach Wien in einer Zeit von – ich schätzte jetzt einmal – 2 Stunden 20 Minuten, 2 Stunden 25 Minuten fährt, haben die Busse und hat der Pkw im Tempobereich Vorteile. Auf der Weststrecke ist die Entscheidung, von Salzburg nach Wien mit dem Zug zu fahren, ei­ne leichte, weil man einfach schneller ist.

Es ist aber nicht nur das Tempo, es ist die Bequemlichkeit, es ist der Preis, es ist die Erreichbarkeit und es ist auch so etwas wie ein Imagefaktor. Das sind diese Faktoren, die attraktiven Personenverkehr ausmachen. Um das auf der Südstrecke herzustellen, sind Investitionen in großem Ausmaß notwendig. Ich bin aber der Meinung, geschätzte Damen und Herren, dass wir da genau den Schweizer Weg gehen sollen, nämlich die­se Investitionen zu tätigen, die Anstrengung auf uns zu nehmen und eine Investition für die nächsten 100 Jahre zu schaffen, die diese Strecke für die nächsten 100 Jahre ge­nauso attraktiv macht wird wie die Weststrecke. Dann haben wir auch bei den Zu­wächsen im Bereich der Passagierinnen und Passagiere das Resultat, das wir gerne ha­ben wollen.

Ich stimme mit Ihnen auch überein, Herr Bundesrat, dass es nach dieser Maßnahme noch nicht so sein kann, dass man sagt, dass alles erledigt ist, weil es natürlich Dinge gibt, die noch abzuarbeiten sind, und zwar massiv abzuarbeiten sind. Eines ist genau die Achse zwischen Graz und Linz beziehungsweise Graz und Salzburg, die die dritte große Verkehrsachse ist. Das ist es aber nicht alleine, es ist auch beispielsweise die Verbindung nach Tirol und Vorarlberg, wo wir leider auf deutschem Hoheitsgebiet ge­wisse Schwierigkeiten haben. Bei allem Expansionsdrang, den wir im öffentlichen Ver­kehr haben, ist es ein bisschen schwierig, das ohne Zustimmung der Deutschen so um­zusetzen, aber auch da sind wir dran.

Ein weiterer Punkt: Es entsteht so etwas wie eine neue Seidenstraße von China bis nach Zentraleuropa. Die Frage ist: Wo entsteht dann der große Umschlag-Hub? Auch diese Entscheidung ist natürlich mit Milliardeninvestitionen verbunden, vor denen man sich nicht drücken kann, und wir uns auch nicht drücken wollen. Wir müssen nur auch zur Kenntnis nehmen, um das auf Steirisch zu sagen: Alles z’gleich geht halt nicht, son­dern das muss hintereinander gemacht werden. Mit dem, was bis jetzt passiert ist, den­ke ich, ist die Bahn aber viel attraktiver geworden.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 98

Die große Frage, die Frau Bundesrätin Schreyer angesprochen hat, wie es mit der Ti­cketgestaltung ausschaut, ist eine, die ich sehr differenziert sehe. Es gibt Bundeslän­der, wo ein billiges Ganz-Bundesland-Ticket durchaus Sinn macht. Es gibt aber auch Bundesländer, wo das weniger Sinn macht. Und meines Erachtens macht es bei­spielsweise in der Steiermark derzeit weniger Sinn, weil der Ausbau gerade noch nicht so weit ist, dass alle davon profitieren können. Da würde ich meinen, und diese Politik verfolgt die steirische Landesregierung: zuerst ausbauen, weiter ausbauen, alles Geld, das man hat, in Ausbau investieren, und dann über ein Ticket nachdenken.

Ich bin aber nicht mehr Steirer (allgemeine Heiterkeit – Bundesrätin Kurz: Doch! Nicht leugnen!) – also schon von Geburt, aber derzeit nicht in Funktion –, sondern österrei­chischer Bundesminister für Verkehr, und deshalb meine ich, dass, wenn man ganz Ös­terreich anschaut, so ein Ticket durchaus Sinn machen kann. Es gibt aber zwei Heraus­forderungen für so ein Ticket.

Wir haben eine andere Eisenbahnstruktur, eine andere verkehrspolitische Struktur als die Schweiz. Wir haben das System der Verkehrsverbünde. Jetzt kann man sagen: Das ist alles Unfug, hören wir auf damit und machen wir ein Gesamtsystem! Das kann man sagen, es ist aber nicht sehr realistisch. Diese Verbünde bedingen, dass es notwendig ist, ein exaktes Verrechnungsmodell zu erschaffen, um den einzelnen Verkehrsverbün­den, den einzelnen Unternehmen die tatsächlichen Kosten, die sie zu erhalten haben, auch zurechnen zu können. Wir haben da jetzt einen Versuch in den – Herr Landesrat Holub sagt immer – Südstaaten gestartet, also in Kärnten und in der Steiermark, wo wir erstmals ein App testen, das von AIT entwickelt wurde, das ganz exakt zurechnen kann, wer wo, wie lange, wohin und überhaupt fährt. Das App ist sogar so exakt, dass es mög­lich ist, wenn in einer Straße eine Straßenbahn und ein Bus nebeneinander fahren, es feststellen kann, ob jemand im Bus oder in der Straßenbahn sitzt. Das heißt, wenn das funktioniert, hätten wir die Möglichkeit, exakt zu berechnen, welche Leistungen von wel­chem Verkehrsunternehmen in Anspruch genommen werden, was zu einer Verrech­nungsmöglichkeit führen kann.

Die zweite Herausforderung ist natürlich auch die Finanzierung, und diese Finanzie­rung – das sage ich Ihnen offen – ist überhaupt noch nicht geklärt. Wie gesagt, es ist mög­lich, das in manchen Bundesländern zu klären, eine große gemeinsame Anstrengung müsste es auch möglich machen, das schlussendlich im Bund einzuführen.

Geschätzte Damen und Herren! Das war im Wesentlichen, was ich Ihnen sagen woll­te. – Herr Bundesrat Pisec, Sie sind mir die Westbahn schuldig geblieben, die Sie mir versprochen hätten, aber das ist nicht das große Problem. (Bundesrat Pisec: Das ha­be ich vergessen! Das nächste Mal!)

Ich möchte nur um eines bitten, was mir wichtig ist: Gerade wenn man den öffentlichen Verkehr anschaut – und da nehme ich die Schweiz jetzt schon aus –, sind wir besser als die anderen, wir sind auch insbesondere besser als die Deutschen. (Bundesrätin Kurz: Das stimmt!) Sie haben den Flughafen erwähnt, Herr Bundesrat. Flughafen Wien und Flughafen Berlin, das ist schon eine andere Kategorie. (Bundesrat Mayer: Unserer ist schon fertig! – Bundesrat Pisec: Na ja, um 800 Millionen diesen Turm da hinzu­pflanzen, ist auch keine besondere Leistung!) – Bei uns fliegen sie schon.

Sie haben die Eisenbahn erwähnt. Die Deutsche Bahn ist relativ cool, nur fährt sie nicht, wenn es schneit, sie fährt nicht, wenn es kalt ist, sie fährt nicht, wenn es zu heiß ist. Das tun die ÖBB schon. Das sollte man auch noch werten, und zwar positiv werten.

Es gibt Dinge, die zu kritisieren sind, es gibt Dinge, die zu verbessern sind. Insgesamt, geschätzte Damen und Herren, funktioniert der öffentliche Verkehr in Österreich aber relativ gut.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 99

Eines muss ich Ihnen schon sagen: Ich bin nicht der SPÖ-Bundesgeschäftsführer, aber ich wage jetzt eine kühne Vermutung: Die SPÖ besitzt kein Eisenbahnunternehmen. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

14.12

14.12.05

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist mehr­heitlich angenommen.

14.12.288. Punkt

Bericht der Bundesanstalt für Verkehr über technische Unterwegskontrollen im Jahr 2016, vorgelegt vom Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technolo­gie (III-619-BR/2017 d.B. sowie 9793/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nun gelangen wir zum 8. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Lindinger. Ich bitte um den Bericht.

 


14.12.45

Berichterstatter Ewald Lindinger: Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Ver­kehr über den Bericht der Bundesanstalt für Verkehr über technische Unterwegskon­trollen im Jahr 2016, vorgelegt vom Bundesminister für Verkehr, Innovation und Tech­nologie.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher sogleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für Verkehr stellt nach Beratung der Vorlage am 9. Mai 2017 den An­trag, den Bericht der Bundesanstalt für Verkehr über technische Unterwegskontrollen im Jahr 2016, vorgelegt vom Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Novak. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.13.23

Bundesrat Günther Novak (SPÖ, Kärnten): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Wer­te Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Bundesstraßen-Mautgesetz, dem Güterbeför­derungsgesetz und dem Gemeinschaftlichen Leistungsbericht kommen last, but not least die technischen Unterwegskontrollen. Wir wissen alle, dass wir für die Bundesanstalt für Verkehr, basierend auf den Zahlen der einzelnen Länder, diesen Bericht erheben und dann zur Verfügung stellen. Wir reden über den Bericht 2016.

Wir wissen, dass technische Unterwegskontrollen Überprüfungen von Nutzfahrzeugen sind, bei denen der Verdacht auf technische Mängel besteht. Das geschieht an Ort und Stelle, wie wir alle wissen. Man wird, wenn man von der Autobahn fährt, abgeleitet und das Auto wird angeschaut. Demnach wurden im Berichtsjahr 2016 47 000 Fahrzeuge aus dem Fließverkehr abgeleitet, näher überprüft, und von diesen wurden 21 379 einer gründlichen Untersuchung unterzogen.

Das Interessante dabei ist, dass diese Überprüfung der Autos auf Verkehrssicherheit auch die Möglichkeit geschaffen hat, den Umweltschutz zu fördern, weil diese tech­nisch mangelhaften Fahrzeuge meistens auch hohe Emissionswerte haben. Das BMVIT


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 100

schenkte 2016 außerdem der Frage von verbotenen Abschaltvorrichtungen bei Abgas­reinigungsanlagen ein besonderes und großes Augenmerk.

Wir alle wissen aber auch, dass diese Kontrollen ohne eine Unterscheidung der Fah­rer, ob sie jetzt aus der EU oder aus Österreich stammen, durchgeführt werden, und dass es keine Vorteile gibt, egal, wo dieses Nutzfahrzeug zugelassen oder in Verkehr gebracht wurde. Was wir erreichen wollen, ist, dass einfach weniger technisch mangel­hafte Fahrzeuge aus dem Verkehr gezogen werden müssen beziehungsweise, dass die schädlichen Emissionen verringert werden. Diese Überprüfungen sind dann auch noch ein Beitrag zur Verhinderung wettbewerbsverzerrender Vorteile für den gewerblichen Gü­ter- und Personenverkehr.

Als ich gestern oder vorgestern durch Wien gefahren bin, habe ich im Radio gehört, dass ein Rostlaster in Unterkärnten gestoppt worden ist. Dieser Rostlaster, so wurde er auch bezeichnet, ließ sogar erfahrene Polizisten staunen. Dies war ein Beispiel dafür, welche Bomben da auf der Straße unterwegs sind. Bei diesem Fahrzeug waren alle Stoßdämpfer kaputt, ein Reifen war geplatzt, und der Rahmen des Fahrzeuges war auch gebrochen. Man kann sich vorstellen, was auf der Straße passieren kann, wenn solche Fahrzeuge unterwegs sind!

Wer überprüft das? Es kommen in diesem Fall geschulte Polizeiorgane und technische Sachverständige von der ASFINAG zum Einsatz, die können das dann effizient und in relativ kurzer Zeit untersuchen. Wenn man dann sieht, dass mehreres kaputt ist, schaut man sich das genau an. In diesem Fall wurde die Nummerntafel abmontiert und der Fah­rer natürlich zur Anzeige gebracht. Es kann aber natürlich auch sein, dass die Schwere der festgestellten Mängel gering ist und dass man in weiterer Folge die Möglichkeit schafft, in einer festgesetzten Frist diese festgestellten Mängel zu beheben.

Zwei Zahlen noch: 2016 wurde bei 22,35 Prozent der kontrollierten Fahrzeuge Gefahr in Verzug festgestellt, bei 36,32 Prozent wurden schwere Mängel und bei 28,74 Pro­zent leichte Mängel konstatiert, 1,09 Prozent der Fahrzeuge hatten Vorschriftsmängel. Diese Prozentsätze weichen nur geringfügig von denen der Vorjahre ab, und deswe­gen ist es auch so wichtig, diesen Bericht zu sehen.

Abschließend möchte ich noch einmal feststellen und zusammenfassen, dass wir die­sem Bericht entnommen haben, dass ein klarer Zusammenhang zwischen Schadstoff­emissionen und Verkehrssicherheit der Fahrzeuge festgestellt werden kann, wobei sich bestätigt, dass mehr als 80 Prozent der schadstoffauffälligen Fahrzeuge auch schwere technische Mängel aufweisen.

Wir werden diesem Bericht zustimmen. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

14.18


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Forst­ner. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.18.38

Bundesrat Armin Forstner, MPA (ÖVP, Steiermark): Hohes Präsidium! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Der uns vorliegende Tätigkeitsbericht basiert auf den der Bundesanstalt für Verkehr gemeldeten Zahlen und Daten über die im Berichts­jahr 2016 durchgeführten technischen Unterwegskontrollen in Österreich und den Be­richten über abgestimmte Kontrollen sowie die durchgeführten Kontrollen der Lenkzeit- und Ruhezeitvorschriften im Straßenverkehr.

Im Jahr 2016 wurden auf österreichischen Straßen circa 47 000 Fahrzeuge mit Ver­dacht auf technische Mängel kontrolliert und an Ort und Stelle einer technischen Unter­wegskontrolle zugeführt.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 101

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, was genau ist eine Unterwegskontrolle? – Es gibt ja zwei verschiedene Unterwegskontrollarten: einmal die technische Unterwegs­kontrolle. Das ist eine unerwartete technische Kontrolle der Verkehrs- und Betriebssi­cherheit eines Nutzfahrzeuges durch die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaates oder unter unmittelbarer Aufsicht, also eine Sichtprüfung des technischen Zustandes ei­nes Fahrzeuges.

Zweitens gibt es noch die gründlichen technischen Unterwegskontrollen. Das sind Prüf­positionen, die als erforderlich betrachtet werden und relevant sind, wobei insbesonde­re die Sicherheit der Bremsanlage, die Räder, das Fahrgestell und die Umweltbelas­tung sowie die für die Prüfung dieser Positionen empfohlenen Methoden zu berück­sichtigen sind.

Ausgehend vom Ergebnis der anfänglichen Kontrollen mussten davon – Herr Kollege Novak hat es schon erwähnt – circa 21 000 Fahrzeuge einer gründlichen technischen Un­terwegskontrolle zugeführt werden, womit die rechtlich vorgesehene Kontrollquote von 5 Prozent bei einem in den Anwendungsbereich dieser Regelung fallenden Fahrzeug­bestand in Österreich von circa 350 000 Fahrzeugen um circa 29 000 kontrollierte Fahr­zeuge überschritten wurde.

Neben den fahrzeugtechnischen Aspekten wurden im Berichtsjahr 2016 im Zuge der Straßenkontrollen die Lenk- und Ruhezeiten von circa 129 000 Fahrern mit insgesamt circa 2,1 Millionen Arbeitstagen kontrolliert, womit die rechtliche Vorgabe von 3 Prozent an zu kontrollierenden Arbeitstagen um ganze 5 Prozent überschritten wurde.

Die Zusammenarbeit der für die Verkehrskontrollen vom Bundesministerium für Inneres eingesetzten und dafür speziell geschulten Polizeiorgane mit den technischen Sach­verständigen der Landesprüfstellen und der ASFINAG hat sich bewährt, womit auch im Jahr 2016 eine dem Instrument der technischen Unterwegskontrolle angemessene ho­he Kontrolldichte aufrechterhalten werden konnte und damit ein wichtiger Beitrag zur Ver­besserung der Straßenverkehrssicherheit geleistet wurde. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

14.21


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Längle. – Bitte.

 


14.21.58

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Herr Vizepräsident! Geschätzte Da­men und Herren! Werte Bundesrätinnen und Bundesräte! Sehr geehrter Herr Minister! Ja, rund 47 000 kontrollierte Fahrzeuge, das ist doch relativ viel. Obwohl es etwas we­niger als in den vergangenen Jahren ist, ist es aber dennoch sehr, sehr viel. Es ist auch nötig, dass eine derart hohe Zahl von Fahrzeugen kontrolliert wird, weil ja bekannter­weise doch immer wieder sehr viele Mängel festgestellt werden, nicht nur leichte Män­gel, sondern auch schwere Mängel. Vor allem werden auch Mängel festgestellt, die mit dem Vermerk Gefahr in Verzug betitelt werden.

Warum machen wir das Ganze? – Es wurde schon ausgeführt: Wir machen das, um auf unseren Straßen Sicherheit zu haben, wir machen das, um die Abgase zu reduzie­ren und wir machen das, um die Umwelt zu schonen. Da hat es sich auch bewährt, dass eine gute Zusammenarbeit zwischen den technischen Sachverständigen, den be­sonders geschulten Polizeibeamten beziehungsweise der ASFINAG vorherrscht. Die ma­chen wirklich eine sehr gute Arbeit und schauen, dass unsere Straßen sicher sind.

Insbesondere eine brisante Stelle ist momentan am Arlberg, da ja der Arlbergtunnel gesperrt ist und der ganze Verkehr über den Arlbergpass geleitet wird. Da sieht man eben an diesen Kontrollstellen, die im Bereich von St. Anton beziehungsweise im Be-


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 102

reich von Klösterle installiert sind, dass dort sehr viel Betrieb ist und sehr viele Fahr­zeuge, insbesondere Lkws, kontrolliert werden.

Was mich jetzt aber besonders interessieren würde, ist die Debatte, die wir das letzte Mal hatten; denn wir hatten ja heuer auch schon den Bericht für das Jahr 2015 vor cir­ca drei Monaten hier im Plenum. Da wurde auch von meiner Seite bereits ausgeführt, dass eben viele Fahrzeuge, die nicht in Österreich die Zulassung haben, sondern eine Zulassung in Ländern der restlichen Europäischen Union beziehungsweise in Drittstaa­ten haben, doch in deutlich höherem Maße einen schlechteren Zustand als eben die österreichischen Fahrzeuge aufweisen.

Dazu zwei Zahlen: In Österreich wird festgestellt, dass Fahrzeuge mit dem Vermerk Ge­fahr in Verzug zu 17 Prozent vorhanden sind. Demgegenüber aus anderen Staaten: Aus der restlichen Europäischen Union sind zu 26 Prozent und aus Drittstaaten sogar zu 29 Prozent Fahrzeuge unterwegs, die den Vermerk Gefahr in Verzug bekommen.

Da haben Sie, Herr Minister, gesagt, dass es eben für all jene Staaten, die in der Euro­päischen Union beziehungsweise in Europa sind, schon auch wichtig ist, dass sich da nicht nur gewisse Rechte herausgenommen werden, sondern auch Pflichten da sind, die man ebenfalls einhalten muss. Es gibt ja auch entsprechende EU-Richtlinien, die vor­schreiben, dass alle Staaten insbesondere der EU sich daran zu halten haben. Wie man leider immer wieder feststellt, sind eben diese Staaten mit Fahrzeugen unterwegs, die deutlich schlechter als Fahrzeuge aus Österreich gewartet sind.

Da würde mich jetzt interessieren, Herr Minister: Was passiert da auf EU-Ebene? Was wird da gemacht? Was wird da besprochen? – Sie haben ja als zuständiger Minister die Möglichkeiten beziehungsweise auch den Kontakt auf europäischer Ebene, und vielleicht sagen Sie etwas dazu. Es wäre schon interessant, dass man da auch einmal die ande­ren Staaten etwas in die Pflicht nimmt, denn bekannterweise sind ja die Fahrzeuge nicht nur in den Herkunftsländern unterwegs, sondern eben auch bei uns.

Zum Bericht selbst: Vielen Dank an die zuständigen Stellen, vielen Dank für die Erstel­lung des Berichtes! Wir werden diesen Bericht selbstverständlich positiv zur Kenntnis nehmen. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

14.25


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächstem – und noch vor Frau Bundesrätin Mag. Schreyer – darf ich dem Herrn Bundesminister das Wort erteilen. – Bitte.

 


14.26.07

Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie Mag. Jörg Leichtfried: Ent­schuldigen Sie, Frau Bundesrätin! Ich möchte das gleich beantworten.

Ich war vor zwei oder drei Wochen in Brüssel und habe dort mehreres getan: Ich habe mich einmal mit der Gewerkschaft der Transportarbeiter getroffen, die am selben Tag dort eine Demonstration vor der Europäischen Kommission abgehalten hat. Da sind in­teressante Tatsachen ans Licht gekommen, und ich hoffe, dass ich von diesen Dingen auch noch Unterlagen bekomme.

Man muss ein bisschen differenzieren, wenn man ausländische und inländische Betrei­ber sagt, weil es inzwischen anscheinend Praxis geworden ist, dass sehr viele – unter Anführungszeichen – „ehemalige“ inländische Unternehmer inzwischen über Firmen, die erstaunlicherweise in Luxemburg registriert sind, auch solche Frachtgeschäfte treiben. Da muss man also ein bisschen differenzieren, aber im Prinzip sind Ihre Zahlen richtig.

Das Problem, dass Österreich relativ ernsthaft kontrolliert, aber andere Länder über­haupt kein Interesse daran haben, ernsthaft zu kontrollieren, ist immer noch gegeben. Ich habe mich auch mit der Frau Verkehrskommissarin getroffen, und sie hat mir er­zählt, dass sie gerade dabei sind, ein neues Road Package, also Straßenverkehrspa-


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 103

ket, auszuarbeiten, bei dem erstens die Frage der Kabotage, also des Zwischenladens in Nicht-Herkunftsländern vom Lkw-Eigentümer her, ein Thema sein wird, aber auch ins­besondere das Überprüfen der Regeln für technische Vorschriften und das Überprüfen der Regeln des Einhaltens von technischen Vorschriften. Das heißt, da erwarte ich mir schon einen Schub.

Es ist natürlich auch an uns, uns in diesen Road-Package-Vorprozess so einzubringen, dass es in diese Richtung geht. Da haben wir aber auch Verbündete, da sind wir nicht allein. Die Deutschen, die Franzosen und einige andere, im Wesentlichen die Zentral­europäer, sehen das auch so. Man muss aber offen sagen, es gibt auch welche, die auf der anderen Seite stehen. Das wird auch die Auseinandersetzung in dieser Frage wer­den. (Beifall bei der SPÖ.)

14.28


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster darf ich nun Frau Bundesrätin Mag. Schreyer das Wort erteilen. – Bitte.

 


14.28.27

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Mi­nister, vielen Dank für den Bericht! Dieser ist kurz, knapp und informativ, wie auch schon in den Jahren davor. Danke an die Beteiligten, insbesondere seitens der Bundesanstalt für Verkehr!

Der Bericht zeigt schon wieder, dass es absolut notwendig ist, da auch weiterhin wirk­lich intensive Kontrollen durchzuführen. Ich rede jetzt schon das vierte Jahr in Folge über diesen Bericht, und die Zahlen sind in der diesjährigen Statistik wie immer ähnlich besorgniserregend wie in den Vorjahren geblieben: über 10 000 Lkw, bei denen Gefahr in Verzug bestand, und weitere 17 000 mit schweren Mängeln.

Auch das Bild bei einheimischen versus ausländischen Lkws bleibt stabil. Bei EU- und Drittstaatsfahrzeugen gibt es merklich mehr Gefahr in Verzug, bei Drittstaatsfahrzeu­gen sogar unglaubliche 29 Prozent; das ist also fast jeder Dritte. Österreichische Lkw haben dafür bei den anderen Mängelkategorien die Nase vorn. Fast 40 Prozent der Fahr­zeuge haben schwere Mängel.

Was für uns neben dem Sicherheitsaspekt natürlich noch besonders wichtig ist, ist der Zusammenhang zwischen Verkehrssicherheit und Emissionen. Mehr als 80 Prozent der Fahrzeuge mit erhöhtem Schadstoffausstoß haben auch schwere technische Mängel. Das spielt also irgendwie Hand in Hand, dass das verbessert werden kann.

Herr Minister, woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass wir da überhaupt keinen Auf­wärtstrend haben? Sind die Strafen zu niedrig? Wird zu wenig kontrolliert? – Offensicht­lich, so kommt es mir vor, wird damit kalkuliert, dass man wahrscheinlich ohnehin nicht erwischt wird. Sonst müsste es doch irgendwann einmal besser werden, wenn so viel kontrolliert und so viel herausgefischt wird. Was glauben Sie?

Ich hoffe, dass im nächsten Bericht die Zahlen ein bisschen besser ausschauen wer­den. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

14.29


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Zur Beantwortung darf ich dem Herrn Minister nun noch einmal das Wort erteilen. – Bitte.

 


14.30.22

Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie Mag. Jörg Leichtfried: Ja, was glaube ich? – Ohnehin das, was Sie vermuten. Es ist eine Gesamtkombination aus einerseits zu laschen Regeln, zu lascher Überwachung der Regeln und auch einer Form von, ich würde fast sagen, krimineller Energie, was ich beispielsweise nicht gewusst ha-


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 104

be. Ich sage jetzt bewusst „kriminell“; wir gehen ja bei Lkws auch ganz stark in Rich­tung automatisierter Fahrsysteme, hauptsächlich aus Gründen der Straßenverkehrssi­cherheit.

Beispielsweise sind diese Abstandwarnsysteme, diese Selbstbremssysteme, diese Spur­haltesysteme alles Dinge, die sehr, sehr sinnvoll sind, die in moderne Lkws schon ein­gebaut werden und die in Kombination mit den anderen Überwachungsmechanismen im Lkw dafür sorgen, dass auch leichter zu kontrollieren ist, ob die Fahrzeit eingehalten wird, wie es mit der Übermüdung ausschaut und so weiter und so fort.

Und was passiert da? – Ich habe das vor Kurzem auch das erste Mal gehört: Es wer­den beispielsweise mit Magneten diese gesamten Systeme außer Kraft gesetzt! Mit die­sen Magneten wird sozusagen ein stehender Lkw für das System simuliert, was dazu führt, dass es zu keiner Fahrzeitaufzeichnung kommt, was aber auch dazu führt, dass die ganzen automatisierten Sicherheitssysteme außer Kraft gesetzt sind.

Das passiert derzeit auf unseren Straßen! Da ist es meines Erachtens schon hoch an der Zeit, massiv einzuschreiten. (Beifall bei der SPÖ.)

14.31

14.31.47

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

14.32.099. Punkt

Wahl eines Mitgliedes des Ständigen gemeinsamen Ausschusses des National­rates und des Bundesrates im Sinne des § 9 des Finanz-Verfassungsgesetzes 1948

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen nun zum 9. Punkt der Tagesordnung. – Herr Minister, danke für Ihr Kommen! (Bundesminister Leichtfried verlässt den Saal.)

Aufgrund des Ausscheidens eines Mitgliedes des Bundesrates ist ein Mitglied neu zu wählen, wobei dieses Mitglied von der FPÖ für die entsprechende Wahl vorzuschlagen ist.

Nach der Geschäftsordnung dieses Ausschusses sind die Mitglieder und Ersatzmitglie­der vom Bundesrat direkt zu wählen, wobei sowohl bei den Mitgliedern als auch bei den Ersatzmitgliedern jedes Bundesland vertreten sein muss.

Der entsprechende Wahlvorschlag der FPÖ-Fraktion liegt mir vor. Dieser lautet auf Hans-Jörg Jenewein, Wien.

Sofern sich kein Einwand erhebt, werde ich die Abstimmung über diesen Wahlvor­schlag durch Handzeichen vornehmen lassen. – Es erfolgt kein Einwand.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem vorliegenden Wahlvorschlag ih­re Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit.

Das genannte Mitglied, Herr Bundesrat Hans-Jörg Jenewein, ist somit mit Stimmen­einhelligkeit gewählt.

Die Tagesordnung ist erschöpft.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 105

14.33.25Dringliche Anfrage

der Bundesräte Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesmi­nister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend Pflegeheimmisere in Österreich (3239/J-BR/2017)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Da Herr Bundesminister Stöger meines Wissens be­reits in Warteposition ist, gelangen wir direttissima zur Verhandlung über die erste Dring­liche Anfrage. (Bundesminister Stöger betritt den Saal.) – Grüß Gott, Herr Minister, heu­te zum zweiten Mal.

Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über die Dringliche Anfrage der Bundesräte Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen an den Herrn Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz.

Da die Dringliche Anfrage inzwischen allen Mitgliedern des Bundesrates zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch die Schriftführung.

Ich erteile Frau Bundesrätin Mühlwerth als Anfragestellerin zur Begründung der Anfra­ge das Wort. – Bitte.

 


14.34.48

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­ehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Dringliche Anfrage schien uns auch tatsächlich dringlich zu sein, da ja in den letz­ten zwei Wochen die Zeitungen mit dem Ergebnis des Berichtes der Volksanwaltschaft von 2016 voll waren und diese dort auch präventive Maßnahmen vorgeschlagen hat. Es waren wirklich massive Vorwürfe der Volksanwaltschaft, die insgesamt 125 Pflege­heime unangekündigt besucht hat und bei ungefähr einem Drittel noch einmal gekom­men ist, um zu schauen, ob sich da etwas geändert hat. Trotzdem ist leider noch sehr viel übrig geblieben.

Wir müssen der Volksanwaltschaft dankbar dafür sein, dass sie das getan hat, denn nur so können wir es schaffen, diese Missstände abzuarbeiten und abzustellen. Wir reden hier von Leuten, die behindert sind, die krank sind, die dement sind, die nicht mehr für sich selber sorgen können. Auf ihnen müsste unser höchstes und größtes Augenmerk liegen.

Ich muss aus dem zitieren, was da an Missständen aufgezeigt worden ist, damit man sich, auch wenn man diesen Volksanwaltschaftsbericht nicht gelesen hat, etwas vor­stellen kann. Es geht uns jetzt nicht darum, hier insgesamt ein Bashing zu machen und zu sagen: Alles ist schlecht. Wir haben aber schon Erfahrung aus der Zeit, als die Ge­schichte mit den Kinderheimen war, als auch viele weggeschaut haben, sich viele nicht getraut haben, irgendetwas zu sagen, am allerwenigsten die Betroffenen, die erst Jahr­zehnte später in der Lage waren, darüber zu sprechen. Daher muss man da sagen, wir müssen sofort reagieren und sofort schauen, dass das, was passiert, nicht mehr vor­kommen kann.

Es ist ja dramatisch genug! Unter anderem: Abendessen schon um 16 Uhr, Nachtruhe für die Pfleglinge um 18 Uhr. Es wurden sedierende Medikamente ohne medizinische Notwendigkeit gegeben, und wenn die Pfleglinge sich geweigert haben, diese zu neh­men, wurde das einfach zerkleinert und ins Essen hineingemischt. Wenn man Glück hat, darf man in manchen Heimen zweimal wöchentlich baden, wenn man Pech hat, nur einmal wöchentlich.

In einem Tiroler Heim lautet der Vorwurf, dass die Bewohner stundenlang in ihren Ex­krementen liegen mussten. Der Grund dafür, dass das passiert ist, war ein Streit unter dem Pflegepersonal in Bezug auf den Dienstplan.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 106

In Niederösterreich hat ein Pflegeheim mehrfach ein Qualitätszertifikat bekommen – und jetzt ermittelt dort die Staatsanwaltschaft, weil vier Pflegekräfte einer Station im Ver­dacht stehen, schwer demente Pfleglinge über Monate gequält zu haben. Unter ande­rem ist zur Anzeige gekommen, dass während gemeinsamer Nachtdienste den Men­schen Haarspray ins Gesicht gesprüht wurde, Kot in den Mund gesteckt wurde und Al­kohol in Genitalien und Augen geschmiert wurde.

Bemerkenswert ist aber bedauerlicherweise auch die Reaktion der niederösterreichi­schen Landesrätin dazu, die davon spricht, das seien alles pauschale Verurteilungen. Das sei „höchst unzulässig‘, ‚kontraproduktiv‘ und ‚ungerecht‘ gegenüber den Beschäf­tigten.“ Es könnten nur „negative Einzelfälle“ sein. Das sei „kein Grund, ein gesamtes, en­gagiertes [...] Pflegesystem in Misskredit zu bringen“. – Das ist ein Zitat aus der Zeitung „Die Presse“ vom 5. Mai 2017.

Niemandem von uns ist daran gelegen, das Pflegepersonal an den Pranger zu stellen. Wir wissen, dass die wirklich großartige Arbeit leisten, aber dennoch muss es möglich sein, Missstände aufzuzeigen und darüber zu sprechen, um sie abstellen zu können. Die­se Liste lässt sich ja fortsetzen, das mache ich jetzt aber nicht.

Was waren die Angaben auch seitens des Pflegepersonals aus den unterschiedlichs­ten Heimen, das befragt worden ist? – Dass es mangelnde Kontrollen gibt, und natür­lich auch der Vorwurf, dass vor allem private Institutionen eher daran interessiert sind, möglichst viel Profit zu machen, und weniger darauf schauen, dass die Qualität stimmt.

Da sagt ein Diplomkrankenpfleger aus Innsbruck: Das Hauptproblem ist die ständige Über­forderung durch Personalmangel. – Das wissen wir auch. Auf der anderen Seite, wenn wir uns an unsere letzte Diskussion erinnern, in der es um die Arbeitslosenzahlen ge­gangen ist und als zur Sprache kam, dass beim Pflegepersonal ein Anstieg von 9,2 oder 9,5 Prozent war, zeigt das aber auch schon, welche Schieflage es da gibt, denn es ist ja nicht so, dass die keinen Job finden, sondern die wollen offensichtlich nicht mehr in dem Bereich arbeiten, weil eben die Bedingungen schlecht sind.

Der Pfleger sagt auch, dass die Führungskräfte schlecht ausgebildet sind, und sie set­zen ihre Mitarbeiter nicht effizient ein. Und auch der Faktor Zeit für die Pfleglinge ist mehrfach genannt worden, weil das fix eingeteilt ist. Einer der Pfleger hat gesagt, einen Dementen kann man nicht in fünf Minuten abfüttern, das dauert einfach länger. Und ich glaube auch, dass es diese Menschen verdient haben, dass man sich Zeit für sie nimmt. Man kann das nicht im Minutentakt nach einem Effizienzprogramm machen.

Weiters als Problem wurden ungelernte Hilfskräfte angeführt, die Tätigkeiten verrich­ten, die sie gar nicht verrichten dürften und für die sie auch niemals ausgebildet wor­den sind. Auch mangelnde Deutschkenntnisse sind genannt worden, zum Teil können sie gar nicht Deutsch sprechen, sodass sie, wenn der Pflegling Schmerzen hat – selbst wenn sie sich hingebungsvoll mit dem Pflegling beschäftigen –, gar nicht verstehen, was er hat, was er will oder was er braucht. Bei Schmerzen kann man sich über die Mimik noch ein bisschen ausdrücken, aber da muss ja auch festgestellt werden, welches Schmerz­mittel er braucht, und so weiter.

Also es sind sicher alle sehr engagiert, das wollen wir keinesfalls in Zweifel ziehen; aber wir glauben, dass wir sowohl den Pfleglingen als auch dem Pflegepersonal helfen müssen. Die Volksanwaltschaft hat ja in einer Reihe von Vorschlägen aufgezeigt, was wesentlich wäre, wie etwa die Möglichkeit für Supervision. Ich stelle mir das wirklich schwer vor: Den ganzen Tag pflegst du diesen Menschen, du hast aber niemanden, mit dem du dich austauschen kannst, kein Team, in dem man darüber sprechen kann, was notwendig ist und so weiter. Das wären alles ganz dringliche Sachen, denn sonst geht man nach Hause und schluckt das ständig hinunter, und im übertragenen Sinne erstickt man dann daran.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 107

Man muss für diese Arbeit geeignet sein, und das halte ich ja für fast alle Sozialberufe für ganz wesentlich, dass man dafür auch entsprechend geeignet ist. Es genügt nicht, etwas machen zu wollen, man muss es auch können. Also muss man schon auch schau­en, wer diese Berufe ergreift.

Wir können ja auf der anderen Seite froh sein, dass immer noch 85 Prozent der Leute in ihren Familien gepflegt werden. (Bundesrätin Kurz: 45 Prozent!) Aber auch da ha­ben wir in den letzten Wochen und Monaten immer wieder Zeitungsmeldungen über Fäl­le gesehen, in denen auch die eigene Familie überfordert war. Der letzte Fall, der mir jetzt in Erinnerung ist: Eine 90-Jährige wurde von ihrem 60-jährigen Sohn ermordet, da er, wie er angegeben hat, überfordert war. (Bundesrätin Kurz: Das kannst du nie verhin­dern!) Das macht die Tat nicht ungeschehen und sie macht sie nicht besser oder ver­zeihbar, aber erklärbar, weil diese Aufgabe wirklich für viele sehr schwierig zu bewälti­gen ist.

Sie, Herr Minister, haben ja auch gesagt, Sie wollen hinschauen. Das ehrt Sie ja durch­aus, und ich habe auch das Gefühl, dass Sie das jetzt nicht auf sich beruhen lassen und dass Sie etwas tun wollen, aber wir müssen schnellstmöglich etwas tun.

Was auch noch in dem Bericht vorgekommen ist: Es haben auch einige der Mitarbeiter angegeben, dass sie diese Missstände natürlich schon gesehen haben und sie sich auch dessen bewusst waren, dass sie das hätten aufzeigen müssen, aber aus Angst vor Jobverlust, das heißt, sie hatten Angst, gekündigt zu werden, den Mund gehalten ha­ben. Das ist leider auch so etwas in dem System, das wir nicht zulassen können, näm­lich dass ein Mitarbeiter, der einen Missstand sieht, sich nicht traut, irgendetwas zu sagen, weil er Angst hat, gekündigt zu werden. Dem geht ja etwas voraus, das ist ja nicht gerade erst entstanden, sondern das ist schon etwas, was dem System innewohnt.

Jetzt sage ich beiden Regierungsparteien, denn Sie stellen ja alle Landeshauptleute, bei aller Liebe zum Föderalismus: Es scheitert ja wieder an diesen. Die Landeshaupt­leute geben natürlich nichts her, die Bürgermeister geben auch nichts her, aber es sind vor allem die Landeshauptleute, denn mir ist schon klar, da sind die Länder zuständig, nicht so sehr Sie – das ist mir schon klar. Wir wissen aber auch, dass die Landes­hauptleute schon große Besitzstandswahrer sind und bei allem sofort einmal Nein schreien, wenn sich irgendetwas ändern sollte. Es geht aber nur mit ihnen gemeinsam, und da muss man ihnen, ehrlich gesagt, einmal auf die Zehen steigen und sagen: Das geht so nicht! Ihr müsst euch jetzt auch einmal bewegen, weil wir nur wirksame Kon­trollen machen und etwas ändern können, wenn wir alle an einem Strang ziehen!

Die Volksanwaltschaft sollte sich dieser Mühe nicht unterzogen haben, damit das Gan­ze am Ende wieder wie das Hornberger Schießen ausgeht und überhaupt nichts pas­siert. Das halte ich für wirklich ganz wichtig, und daher wollen wir uns heute mit dem Thema beschäftigen.

Wir haben zu dieser Dringlichen Anfrage heute auch einen Entschließungsantrag ein­gebracht. Sie wissen ja, wie man es so macht, man fragt immer ein bisschen bei den anderen Fraktionen nach, wie es denn mit einer Zustimmung ausschaut; und dann hö­re ich aus den Regierungsfraktionen, dass sie nicht zustimmen können. Herr Minister, ich sage ganz offen hier, ich verstehe das nicht.

Der Entschließungsantrag betreffend Behebung der Pflegeheimmisere lautet:

„Der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz wird ersucht, dem Bundesrat bis Jahresende 2017 einen Bericht über die von ihm gemeinsam mit den zu­ständigen Bundesländern festgelegten dringenden Maßnahmen zur Behebung der von der Volksanwaltschaft festgestellten Mängel im Pflegebereich zuzuleiten.“

Ich verstehe nicht, woran es hier kranken sollte, dass Sie hier nicht zustimmen können. Sie sind natürlich bis zu einem gewissen Grad, was zum Beispiel eine Vereinbarung


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gleicher Qualitätsstandards und so weiter betrifft, zuständig. Das ist ja 1993 schon ein­mal gemacht worden, dass eine Artikel-15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern getroffen worden ist mit der Zielsetzung, die Vorsorge für pflegebedürftige Personen bundesweit nach gleichen Zielsetzungen und Grundsätzen zu regeln. Und wir brauchen hier einheitliche Qualitätsstandards, bei allem Schönen, was der Föderalismus uns sonst zu bieten hat. Das Pflegefondsgesetz 2011 hat mit finanzieller Beteiligung des Bun­des – damit ist ein Teil wieder bei Ihnen – im Grunde genommen diese Zielsetzung, die ja offensichtlich noch immer nicht umgesetzt war, noch einmal verfestigt.

Also ich denke, das ist wirklich ein Antrag, dem meiner Meinung nach alle zustimmen könnten, aber vielleicht finden Sie irgendwo einen Beistrich, der falsch gesetzt worden ist, und können deswegen nicht zustimmen. Ich glaube, das ist wirklich für uns alle ein wesentlicher Antrag, und da sollte nicht die übliche reflexartige Ablehnung kommen: Ein Antrag von der Opposition ist abzulehnen, Wurscht, was drinnen steht! – Sie sollten sich einmal einen Ruck geben und dem zustimmen. (Beifall bei der FPÖ.)

14.47


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Frau Bundesrätin Mühlwerth, der Vollständigkeit hal­ber darf ich anfügen, dass der Entschließungsantrag noch nicht eingebracht ist. Dieser kann erst im Zuge der Debatte eingebracht werden.

Nun gelangt der Herr Bundesminister zur Beantwortung der Dringlichen Anfrage zu Wort. – Bitte.

 


14.47.52

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Pflege ist ein wichtiges und ein ganz sen­sibles Thema, und ich danke für die heutige Diskussion darüber im Bundesrat. Es ist gut, dass es der Bundesrat diskutiert, denn Sie werden von den Landtagen gewählt, die auch die Verantwortung für die gesetzlichen Grundlagen haben.

Pflege ist in Österreich aufgrund der österreichischen Bundesverfassung Ländersache, und weil es Ländersache ist, ist es auch so wichtig, dass man hier herinnen gemein­sam Zielsetzungen erarbeitet. Dazu bin ich gerne bereit, aber die autonomen Länder müs­sen das umsetzen. Und ich bitte Sie: Setzen Sie das in Ihrer nächsten Landtagssitzung auf die Tagesordnung, bemühen Sie sich darum, dass man gesetzliche Änderungen um­setzt und ein gemeinsames österreichisches Level anstrebt!

Ich bedanke mich auch für die Sachlichkeit in der Anfrage. Es ist wichtig, diese The­men auf den Tisch zu bringen, denn es geht um die Würde unserer Eltern, es geht um die Würde unserer Großeltern, und das braucht ganz besondere Sensibilität.

Der Bund hat, nachdem wir gemerkt haben, das Pflegethema ist ein sehr schwieriges, eine neue Einrichtung geschaffen. Er hat nämlich klar gesagt: Wenn Menschenrechts­verletzungen stattfinden, gerade in so sensiblen Bereichen wie der Pflege, dann braucht man auch eine Institution, die darauf schaut und diese aufzeigt. Und Sie haben in der Verfassung festgeschrieben, dass das eine Aufgabe der Volksanwaltschaft ist.

Ich gratuliere der Volksanwaltschaft. Ich habe den Bericht Seite für Seite, Zeile für Zei­le gelesen und habe gemerkt, dass er sehr differenziert ist, dass er beschreibt, wo sehr, sehr gute Arbeit geleistet wird. Und das ist nicht wenig: Sehr, sehr viel in der Pflege ma­chen die Pflegekräfte exzellent, auch zu Hause macht man exzellente Pflege. Er zeigt aber auch auf – und das völlig zu Recht –, dass es Bereiche gibt, in denen es eklatante Missstände gibt, und diese eklatanten Missstände müssen abgestellt werden. Da hat Poli­tik Verantwortung – Sie, ich, alle! Da hat Politik Verantwortung! Wir müssen aber bei die­ser Verantwortung darauf achten, dass wir Lösungen erarbeiten und uns nicht das eine und das andere zuschieben. Wir haben in Österreich ganz klar gesagt: Die Gesetzge-


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bung ist in diesem Bereich Ländersache, und daher müssen die Landtage da ihren Bei­trag leisten.

Zum Zweiten: Ich erwarte mir Lösungen und habe mit der zuständigen Vorsitzenden, der Landesrätin Schwarz, vereinbart, das Thema auf die Tagesordnung der nächsten Lan­dessozialreferentInnenkonferenz zu setzen. Da werden wir das sehr intensiv diskutie­ren, kompromisslos, klar diskutieren, um auch Lösungen zustande zu bringen. Es steht auf der Tagesordnung.

Was hat der Bund gemacht? – Um davon auch als Sozialminister zu berichten: Wir ha­ben bei vielen Maßnahmen sehr klar und deutlich gesagt, wir wollen hohe Qualität und wir wollen eine Weiterentwicklung im Pflegebereich. Wir haben das Pflegegeld 2016 um 2 Prozent erhöht. Wir haben 2014 die Pflegekarenz eingeführt. Wir haben die kostenlo­se Krankenversicherung und Pensionsversicherung für pflegende Angehörige eingeführt. Es ist wichtig, dass wir für die Menschen in der Pflege bessere Bedingungen schaffen, damit können sie auch besser pflegen.

Wir haben in den Familien, dort, wo sich manche Menschen in der Pflege überfordert fühlen, zu Recht überfordert fühlen, die Zuwendungen für die Ersatzpflege ab 2017 um 300 € erhöht. Auch das ist wichtig, damit sich diese Menschen auch einmal eine Aus­zeit von der Pflege nehmen können. Und wir organisieren über die Sozialversicherungs­anstalt der Bauern über 20 000 Besuche bei pflegenden Angehörigen, bei den Pfleglin­gen und unterstützen diese pflegenden Personen in ihrer Pflegeleistung.

Ich glaube, der Bund hat seine Aufgabe in einem hohen Ausmaß übernommen.

Wofür sind die Länder zuständig? – Die Länder sind für die Gesetzgebung zuständig. Wir haben in den Finanzausgleichsverhandlungen sehr intensiv über die Qualitäten beim Pflegefondsgesetz geredet, es war uns wichtig, da auch entsprechende Elemente hi­neinzubringen. Wir haben mit 1. Jänner 2017 erstmals personelle Mindeststandards für den Fall festgeschrieben, dass man das Geld des Bundes haben möchte, zum Beispiel bei Rufbereitschaft in der Nacht. Wir wollen transparente Personalschlüssel in den Pfle­geheimen, und wir wollen auch einen Ausbau von Qualitätssicherungssystemen in den Pflegeheimen. Da kann man jetzt streiten: Sind diese immer geeignet? – Ich glaube, auch die Qualitätssicherungssysteme müssen verbessert werden, aber wir haben das zu ei­ner Voraussetzung dafür gemacht, dass die Qualitätssicherungssysteme gestärkt wer­den. Und wir lassen es nicht zu – wir lassen es nicht zu! –, dass es Menschenrechtsver­letzungen im Bereich der Pflege gibt. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und Grünen.)

Der Bericht der Volksanwaltschaft listet auch ausgewogene Kriterien für eine gute Pfle­ge auf. Diese gilt es nun umzusetzen und sicherzustellen. Das ist Aufgabe der Land­tage. Ich freue mich, wenn Sie heute in Ihr Bundesland zurückfahren und in der nächs­ten Klubsitzung, in der nächsten Landtagssitzung verlangen, dass das auf die Tages­ordnung kommt und dass in jedem Bundesland überprüft wird, welche gesetzlichen und organisatorischen Maßnahmen getroffen werden müssen – das mag bundesländerwei­se unterschiedlich sein –, damit Menschenrechtsverletzungen im Bereich der Pflege ver­hindert werden können.

Es geht sowohl um das Wohlergehen der pflegebedürftigen Mitmenschen als auch um das Wohl der in der Pflege arbeitenden Menschen. Die Pflegenden, die Pflegeperso­nen haben es nicht verdient, unter Druck und Personalnot arbeiten zu müssen. Und ich sage es ganz klar und deutlich dazu: Da geht es nicht ums Geld. Man darf nicht be­ginnen, nur weil es etwas kostet, Pflegeleistungen auf dem untersten Level halten zu wollen. Das sind wir unseren Eltern, unseren Großeltern, das sind wir den Menschen schuldig, da hat man eine wichtige Verantwortung.

In diesem Sinne hat auch der Bundeskanzler in seinem Plan A sehr deutlich gesagt: Wir wollen da mehr. Wir wollen da auch als Bund einen Beitrag leisten. Wir haben auch


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eine jährliche Erhöhung des Pflegegeldes gefordert. Sie wissen, das Pflegegeld hat seit seiner Einführung an Wert verloren. Wir haben gesagt, wir wollen auch den Pflegere­gress abschaffen, weil der Pflegeregress dazu führt, dass manche Personen nicht zu ih­rer Pflege kommen. Ich glaube, das ist eine wichtige sozialpolitische Maßnahme, die zu setzen wäre. Der Pflegeregress schafft für manche Personen 100 Prozent Erbschafts­steuer, und das wollen wir nicht. Es wäre gescheiter, wir organisieren das anders. (Bei­fall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Jetzt konkret zu den Fragen.

Zu den Fragen 1 und 2:

Wir haben bereits Ende 2016 die ersten legistischen Maßnahmen gesetzt. Es geht um die Setzung von qualitativen und harmonisierenden Maßnahmen in § 3a Pflegefonds­gesetz: personelle Mindeststandards, Ausbau der Qualitätssicherungssysteme, trans­parente und soziale Kostenbeitragsregelungen, Erhöhung des Versorgungsgrades pro­fessioneller Pflegedienste auf 60 Prozent, Aufnahme von Angehörigen-Entlastungsdiens­ten in den Pflegefonds.

Wir haben fixiert, dass das bei der LandessozialreferentInnenkonferenz ein Thema sein wird, und wir haben ein Monitoring zum Finanzausgleichsgesetz und Pflegefondsgesetz vereinbart.

Zu den Fragen 3, 4 und 7:

Wir haben bereits die legistischen Maßnahmen gesetzt. Da geht es um die personellen Mindeststandards, Rufbereitschaft, das heißt, es muss eine Pflegefachkraft nachts an­wesend sein. Wir brauchen transparente Personalschlüssel in den Pflegeheimen.

Wir haben in § 3a Abs. 8 Pflegefondsgesetz die Bedachtnahme auf die Anwendung evi­denzbasierter pflegewissenschaftlicher Ergebnisse bei der Versorgung von Menschen mit demenziellen Beeinträchtigungen vorgesehen. Wir haben auch bei den baulichen Maßnahmen, wofür die Gemeinden zuständig sind, einiges gemacht. Ich werde auch bei der LandessozialreferentInnenkonferenz wieder auf die gemeinsame Umsetzung der De­menzstrategie hinweisen.

Zu den Fragen 5 und 6, die an sich in die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Ge­sundheit und Frauen gehören:

Die GuKG-Novelle 2016 sieht eine neue Spezialisierung für psychogeriatrische Pflege vor. Damit haben wir auf die steigende Demenz-Prävalenzrate und den damit verbun­denen komplexeren Pflegeaufwand reagiert. Ebenfalls umfasst von Spezialisierung sind in der älteren Bevölkerungsgruppe häufig vorkommende psychische Störungen wie De­pression oder Sucht, die sowohl die Lebensqualität als auch die Selbständigkeit nega­tiv beeinflussen.

Zur Frage 8:

Mir ist es wichtig, darauf hinzuweisen, auch in der LandessozialreferentInnenkonferenz, dass ausreichende Mobilitätsförderung und entsprechende Aufenthaltsmöglichkeiten für Pflegeheimbewohner im Freien sicherzustellen sind. Das ist zu bestätigen, da muss man etwas tun, aber das ist auch in den normalen Pflegemaßnahmen so vorgesehen.

Zur Frage 9, dabei geht es um eine pflegewissenschaftliche Bewertung und die Anfor­derungen für stationäre Langzeitpflege:

Auch das ist Thema der LandessozialreferentInnenkonferenz, und ich bin auch gerne bereit, diesbezüglich eine Studie zu beauftragen, wie wir in diesem Bereich einen ge­meinsamen Weg gehen können.

Zur Frage 10, das ist wieder eine Frage, die sich in erster Linie an das Bundesminis­terium für Gesundheit und Frauen richtet:


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 111

Durch die Gesundheits- und Krankenpflegegesetz-Novelle 2016 gibt es einen besseren Einsatz der unterschiedlichen Pflegeberufe. Jeder oder jede wird in dem Feld einge­setzt, für das er oder sie ausgebildet wurde. Der Einsatz ist bedarfsgerecht und den Kom­petenzen entsprechend vorgesehen.

Wir haben eine Akademisierung des Pflegebereiches vorgenommen. Das ist auch ein wichtiger Beitrag zur Professionalisierung der Pflege und macht den Beruf für Men­schen, die eine tertiäre Ausbildung absolvieren wollen, attraktiver. Und – das ist auch ganz wichtig – wir haben sichergestellt, dass die Ausbildung von der Pflegeassistenz und Pflegefachassistenz zum gehobenen Dienst durchlässiger wird; diese Durchlässig­keit ist wesentlich verbessert worden.

Zur Frage 11, da geht es um Personalfluktuation:

Wir haben im Pflegefondsgesetz klar gesagt, es braucht personelle Mindeststandards und transparente Personalschlüssel. Das liegt aber natürlich im Organisationsrecht der Länder, und diese würden es nicht akzeptieren, wenn der Bund sich einmischt. Daher ist es wichtig, dass wir auf die Personalschlüssel setzen, und ich bitte Sie, bei Ihren Be­ratungen in Ihrem Bundesland darauf hinzuweisen. Wir haben auch die Frage der Qua­litätssicherungsprogramme angesprochen.

Zur Frage 12, ob wir Maßnahmen setzen werden, um das Personal zu Supervision zu ermutigen:

Sie wissen, ich habe selbst eine Supervisionsausbildung gemacht, und weiß daher, wie wichtig das gerade für Menschen ist, die in der Pflege tätig sind. Wir haben im KAKuG, dem Krankenanstaltengesetz, die Verpflichtung, dass Menschen, die in der Pflege tätig sind, in Supervision gehen. Und es liegt an Ihnen, dieses Prinzip, das wir in den Kran­kenanstalten als Pflicht haben, auch in den Pflegegesetzen der Länder unterzubringen. Bei mir laufen Sie da offene Türen ein.

Zur Frage 13, dem Thema ausreichenden Personals im Nachtdienst:

Eigentlich ist unsere Forderung bereits umgesetzt. Seit 1. Jänner 2017 müssen die Län­der das umsetzen, wenn sie Mittel aus dem Pflegefonds haben wollen. Wenn sie keine Mittel haben wollen, brauchen sie es nicht zu tun, aber Sie oder die Landtage als Ge­setzgeber können auch entsprechende Maßnahmen vorschreiben.

Zu den Fragen 14 und 17:

Es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass ausreichend Personal und kompetente Füh­rung bedeuten, dass man mehr Zeit für die Betreuung von Pflegebedürftigen hat, weni­ger Stress und damit auch mehr Achtsamkeit für die Sensibilitäten der zu pflegenden Menschen. Die Volksanwaltschaft hat klare Kriterien wie Supervision, verpflichtende Kon­zepte zur Gewaltprävention oder fachärztliche und pflegerische Fallbesprechungen er­arbeitet. Das muss in den Ländern auch legistisch umgesetzt werden. Wir haben das auch als Kriterium vorgesehen.

Zur Frage 15:

Diese Frage betrifft wieder in erster Linie das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen, aber ich kann Ihnen sagen, die Gesundheit Österreich GmbH hat bereits vor meh­reren Jahren eine Arbeitshilfe für die Pflegedokumentation erarbeitet. Ich glaube, dass es auch wichtig ist, qualitative Pflege gut zu dokumentieren, damit sichert man einiges. Dafür stehen Einrichtungen und Organisationen zur Verfügung, und eine überarbeitete Fassung im Sinne der GuKG-Novelle ist derzeit in Arbeit und wird in Kürze von der Ge­sundheit Österreich GmbH veröffentlicht. Wir werden das auch in der Landessozialre­ferentInnenkonferenz wieder verstärkt ansprechen.

Zur Frage 16, Maßnahmen zur Verbesserung der Handlungssicherheit der Pflegekräfte:


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 112

Sowohl im Berufsgesetz der ÄrztInnen als auch im GuKG sind regelmäßige verpflich­tende Fortbildungen für die Berufsangehörigen vorgesehen. Diese muss man evaluie­ren, kontrollieren, ob sie auch gemacht werden, und auch im Alltag unterbringen.

Zu den Fragen 18, 19, 20, die sich auf Konflikte und Gewalt im Pflegealltag beziehen:

Es geht in erster Linie darum, genügend Personal zu haben. Hat man zu wenig Perso­nal, steigt die Gewalt – es ist eine Frage von Personal. Wir haben dazu Qualitätszertifi­zierungen vorgenommen, das wird sich verbessern. Wir haben auch ganz bewusst Maß­nahmen zur Bewusstseinsbildung gesetzt, denn es geht auch darum, dass durch Be­wusstseinsbildung Situationen, die zu Gewalthandlungen führen können, erkannt und da­mit im Vorfeld auch schon verhindert werden.

Die Broschüre „Gewalt erkennen – Ältere Menschen in Institutionen“ wurde seit 2012 in Österreich mehr als 40 000-mal nachgefragt. Darin wird erläutert, was Gewalt an älteren Menschen ist, wie es zu Gewalt in Einrichtungen kommen kann und zeigt schlussend­lich auch Lösungsmöglichkeiten auf. Seit 2016 werden österreichweit Workshops in die­sen Einrichtungen abgehalten.

Zu den Fragen 21 und 22, dabei geht es um Schmerzbehandlung:

Das ist ein Thema des Gesundheits- und Frauenministeriums. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist – um es Deutsch zu sagen – eine entsprechende Behandlung von Men­schen in Pflegeheimen eine Verpflichtung, das ist ein Menschenrecht. Das ist gesetz­lich vorgeschrieben, muss umgesetzt und natürlich auch dokumentiert werden.

Zu den Fragen 23 und 25:

Freiheitsbeschränkende Maßnahmen sind zu dokumentieren, und die Länder sind ein­geladen, Schulungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen zu setzen, um die Sensibilitä­ten zu erhöhen. Auch das ist ein Thema in der LandessozialreferentInnenkonferenz.

Zur Frage 24, sie betrifft die Aufsichtsbehörden:

Ich sage es wieder: Der Bund ist nicht die Aufsicht der Länder. Das haben Sie in der Verfassung so beschlossen, und daher ist es eine Länderangelegenheit, wie man die Aufsicht organisiert. Für mich ist es aber schon wichtig – ich sage das jetzt sehr deut­lich und sehr klar –, und es tut den Ländern gut, wenn sie öffentlich machen, wie viele Ab­teilungen sie in ihrem Land haben, die die Alten- und Pflegeheime überprüfen, wie vie­le Menschen und Vollzeitäquivalente sie für diese wichtige Tätigkeit haben. Es braucht Beratung, es braucht Unterstützung, und daher ist es mir wichtig, dass der Bericht der Volksanwaltschaft auch einen Beitrag dazu leistet, dass das umgesetzt wird und dass man da nicht wegsieht. (Vizepräsidentin Winkler übernimmt den Vorsitz.)

Zu den Fragen 26 bis 28, betreffend die Behandlung mit Psychopharmaka:

Ich denke, dass Psychopharmaka nur durch Ärzte zu verschreiben sind und durch nie­mand anderen. Das ist sehr deutlich und sehr klar, das ist auch medizinisch so vorge­sehen und muss auch nach dem Ärztegesetz dokumentiert werden – Punkt, aus, Ende. Daran geht nichts vorbei. Und wenn das nicht gemacht wird, dann sind es Übergriffe, die freiheitsbeschränkende Maßnahmen sind, und dann sind in erster Linie die Staatsan­waltschaften und die Gerichte zuständig. Ich glaube, wir sollten Systeme etablieren, die das verunmöglichen. Wir haben bereits ein ausführliches Handbuch zum Thema Heim­aufenthaltsgesetz. Darin geht es auch um Erläuterungen zur medikamentösen Freiheits­beschränkung.

Sie wissen, dass der Bericht der Volksanwaltschaft wichtig ist und auch verdeutlicht: Wir schauen da hin und werden da auch einiges tun!

Lassen Sie mich abschließend noch eines sagen: Ich habe mich mit dem Arbeitsmarkt in Österreich sehr auseinandergesetzt. Ich möchte – das habe ich auch in den letzten


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Wochen deutlich gesagt –, dass wir Menschen über 50 unterstützen und dass die Men­schen länger selbstbestimmt daheim leben können. Das ist wichtig. Ich möchte gerne, dass wir, wenn wir die Aktion 20 000 umsetzen, dazu ein Projekt machen, bei dem wir auch Pflegepersonen ausbilden. Es ist gut, wenn wir in Zukunft Menschen haben, die eine Pflegeausbildung haben, da wir damit auch neue Arbeitsplätze generieren.

Wenn wir es schaffen, dass die Träger auch auf die Aktion 20 000 zurückgreifen, dann nützen wir der Gesellschaft. Daher bitte ich Sie, sich bei all den kommenden Diskus­sionen, in Ihrem Landtag, aber gerade auch beim Koalitionspartner dafür einzusetzen, dass wir endlich die Aktion 20 000 umsetzen, denn davon haben wir alle etwas. – Herz­lichen Dank. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

15.10


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Ich darf darauf aufmerksam machen, dass gemäß § 61 Abs. 7 der Geschäftsordnung die Redezeit eines jeden Bundesrates mit insgesamt 20 Minuten begrenzt ist.

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ecker. – Bitte, Frau Kollegin.

 


15.11.01

Bundesrätin Rosa Ecker (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geschätztes Präsidium! Sehr ge­schätzter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Kennen Sie die Biografie von Joachim Fuchsberger? Sie hat bezeichnenderweise den Titel „Altwerden ist nichts für Feiglinge“. Das Buch von Joachim Fuchsberger ist eine leichte Lektüre im Gegensatz zum Bericht der Volksanwaltschaft. Jeden kann es betreffen. In unserer mittleren Ge­neration – dazu darf ich mich noch zählen – tut vielleicht einmal das Knie weh oder die Schulter, man hat Kopfweh und die Wirbelsäule lässt grüßen, aber es kommt auch das Alter, in dem man durch die Haustür hinausgeht und dann, wenn man zurück nach Hau­se will, nicht mehr weiß, wo man daheim ist. Das ist dann der Zeitpunkt, zu dem die An­gehörigen meistens sagen, man braucht eine 24-Stunden-Pflege, man braucht jemanden, der zu Hause bleibt, oder man entscheidet sich für einen Heimplatz, weil man weiß, dass man das selbst nicht so leisten kann.

Viele von diesen Menschen überlegen nun, ob es in dem Heim, für das sie sich ent­schieden haben, auch so ist, wie es jetzt in der Zeitung zu lesen ist, ob dort die zu Pfle­genden im Pflegebett fixiert werden, ob das Abendessen um 16.30 Uhr oder um 17 Uhr kommt, ob man um 18 Uhr im Bett liegen muss und in der Früh aufstehen darf, wenn jemand, der das Frühstück bringt, an die Tür klopft. Und ja, man ist sensibler geworden.

Die bessere Betreuung, von der wir heute so viel sprechen, bedeutet auch, die Finan­zierung dafür zu sichern. Die Zuständigkeit liegt bei den Ländern, sagen Sie als Sozial­minister, aber ich denke, angesichts der strukturellen Defizite – und das ist ein Großteil davon – ersuchen wir Sie als Minister, in allen Bundesländern, in denen es notwendig ist, die Möglichkeiten zu prüfen und Strukturen zu schaffen oder anzuleiern. Volksan­walt Kräuter – Sie haben es heute auch schon erwähnt – spricht von gravierenden Men­schenrechtsverletzungen, und das kann man ja nicht quasi als Ländersache abtun.

Es müssen unbedingt Strukturen geschaffen werden, damit diese massiven Missstän­de, die aufgetreten sind, nicht mehr vorkommen können. Es braucht hier ein Stufen-Alarm-System.

Liest man den Bericht und denkt darüber nach, dann fangen schon die Gehirnwindun­gen zum Rotieren an: Einrichtungen, in denen das Personal ständig wechselt, Einrich­tungen, in denen beinahe ganze Belegschaften aufgeben – warum haben da keine Alarm­glocken geläutet? Was hat sich das Arbeitsmarktservice gedacht, wenn laut diesem Be­richt die Leute dann dort anstehen und nicht mehr in diese Einrichtungen vermittelt werden


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wollen? Was haben sich auch manche Angehörige gedacht? – Ich glaube nicht, dass dort nie jemand hineingekommen ist.

Sie haben vorhin auch gesagt, Psychopharmaka und sedierende Medikamente bedür­fen der Verschreibung der Ärzte. Wohin haben die betreuenden Ärzte aus der Umge­bung geschaut? Gibt es da wirklich Listen, die in die Arztpraxis geschickt werden, und dann werden die Medikamente verpackt und abgeliefert? Ich würde davon ausgehen, dass doch auch hin und wieder ein Arzt dort auftaucht und nachschaut, ob das noch notwendig ist, ob man vielleicht etwas verbessern kann oder ob der zu Pflegende wirk­lich 24 Tabletten am Tag nehmen muss – was gar nicht so ungewöhnlich ist.

Noch etwas fällt auf, nämlich Probleme in der Gesundheitsversorgung generell. Der Be­richt stellt auf Seite 31 fest, dass es Bezirke in Österreich gibt, zum Beispiel Tamsweg im Lungau, in denen nach wie vor keine Psychiaterinnen und Psychiater als Vertrags­partner der Krankenkassen tätig und daher auch nicht als Konsiliar-Fachärztinnen
und -Fachärzte vor Ort für Heime verfügbar sind. Wie sollen denn da eine neurologi­sche oder psychiatrische Diagnostik und Behandlung gewährleistet werden? (Bundes­rätin Kurz: Das versucht die SPÖ in Salzburg seit Jahren!) Und das betrifft auch die An­stellung von PhysiotherapeutInnen für die Mobilitätsförderung und -erhaltung, die gera­de bei der älteren Generation sehr notwendig ist. Aber woher nehmen?

Das betrifft aber auch die gesamte Bevölkerung vor Ort, nicht nur die zu Pflegenden in den Alten- und Pflegeheimen. Weichen dort alle auf Wahlärzte aus? Ist das gewollt, hat das System? – Diese Frage stellt sich schon, denn schließlich und endlich bezahlen wir alle genügend Sozialversicherungsbeiträge, sodass wir in dieser Hinsicht auch versorgt werden wollen.

Wir haben schon gehört, Riesenprobleme im Pflegebereich sind Überlastung, die Opti­mierung – ich bin auch im Prüfungsausschuss des Sozialhilfeverbandes, und Optimieren ist auch dort immer ein Thema –, fehlendes Pflegepersonal, Finanzierungsdiskussionen. Und daher ist vieles, das den Lebensabend lebenswert macht, nicht mehr möglich.

Wir haben in meinem Bezirk ein neues Altenheim gebaut, ein sogenanntes Seniorium, schön, sonnendurchflutet, mit großen Aufenthaltsbereichen, also wirklich lebenswert kon­zipiert, nur hat das Personal dort auch nicht die Zeit, sich jeden Nachmittag hinzuset­zen, mit den älteren Herrschaften ein Bilderbuch anzuschauen, Zeitschriften durchzu­blättern, sich jeden Tag zehnmal dieselben Geschichten anzuhören. Das wäre aber enorm wichtig.

Wie Monika Mühlwerth heute schon gesagt hat: Das ist keine Pauschalverurteilung der Branche, darum geht es überhaupt nicht, aber wenn im Zuge des Berichtes über eine Untersuchung derart entwürdigende Zustände sichtbar werden, dann, denke ich, muss man auch andere Einrichtungen, die jetzt nicht begutachtet wurden, wertfrei betrach­ten. Seien wir doch ehrlich, wir wissen, dass es so ist, dass einfach geschaut wird, dass die Küchen in den Heimen um 18 Uhr Schluss machen können, das heißt, das Essen wird irgendwann um 17 Uhr ausgegeben. Beim Nachtdienst ist keine volle Belegschaft da, das heißt, man schaut, dass die Leute vorher im Nachtgewand sind.

Ich habe das bei meiner Mutter erlebt. Man muss dazusagen, die ältere Generation ist eine sehr dankbare Generation. Meine Mutter war nach einer Knieoperation drei Wo­chen lang in einer Übergangspflege, bis zur Reha, und war wirklich sehr dankbar und hat sich sehr gefreut, weil sich alle so um sie gekümmert haben. Aber es war dort ganz klar, um 17 Uhr waren alle im Nachtgewand, und wenn das Wetter schön war, konnte man noch auf die Terrasse gehen, aber es wäre nachher niemand mehr dagewesen, der sich adäquat darum hätte kümmern können. Aber das ist der älteren Generation gar nicht be­wusst. Sie hat das – auch gestern wieder im Gespräch mit ihr – überhaupt nicht negativ zur Kenntnis genommen, sondern hatte vollstes Verständnis, weil sich das Pflegeper­sonal um sie wirklich gut gekümmert hat. Aber es waren einfach keine Ressourcen da.


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Wir Freiheitliche wollen nach wie vor – unser Nationalratspräsident Norbert Hofer äu­ßert sich dazu immer sehr positiv – eine Bundesgenossenschaft für Pflege und Betreu­ung, damit es endlich einheitliche Pflege- und Personalschlüssel und einheitliche Quali­tätsstandards gibt. Eine österreichweite Einteilung nach dem Pflegebedarf, nach Pfle­gestufen gibt es nicht, denn jedes Bundesland hat andere Kriterien. Das „Beste“ ist dann, wenn einfach hineingeschrieben wird: Es sollte jederzeit genügend Personal zur Verfü­gung stehen. – So leicht kann man es sich auch machen, das darf es aber nicht geben.

Ein Kollege hat mir erzählt, in Kindberg steht in einem Pflegeheim ein Trakt leer, weil kein Personal vorhanden ist. In Oberösterreich stehen 400 Betten leer, erstens, weil wir zukunftsorientiert gebaut haben und genügend Plätze zur Verfügung stellen wollen, zwei­tens aber auch, weil kein Personal dafür da ist.

Menschen, die sich für einen Pflegeberuf entscheiden, müssen dabei auch unterstützt werden. Die Betreuungskräfte müssen die Möglichkeit der Supervision angeboten be­kommen – Sie haben es zuvor erwähnt –, denn dabei findet man Auswege aus belas­tenden Situationen.

Im Gegensatz zu früheren Jahren hat sich, wie die Pflegedienstleiterin des Bezirksse­niorenheims Bad Leonfelden festgestellt hat, die Bewohnerstruktur stark verändert. Für die Betreuer sind die Desorientiertheit und der starke Bewegungsdrang der Demenz­kranken eine große Herausforderung, und bei der derzeitigen Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz wird gerade diese Personengruppe kaum berücksichtigt. Und: Der Mindestpersonalschlüssel für die Berechnung des Pflegebedarfs ist seit 1996 unverändert. Das hat mich massiv erschreckt.

Ein weiterer Bereich ist das Thema Gewalt – nicht nur vom Personal an den Pflegen­den, sondern auch von den zu Pflegenden am Personal, meist bedingt durch Krankheit im Alter oder Angst, Irritationen. Und da das Pflegepersonal zumindest zumeist weib­lich ist, möchte ich dazu noch etwas anführen: Sexuelle Belästigung kommt dort auch vor. Manche nehmen es mit Humor. Eine Altersheimleiterin hat zu mir einmal gesagt, sie bewundert ihr Personal, denn manche der Damen lassen sich halt so ein bisschen streicheln und begrapschen, dann ist die tägliche Körperpflege leichter durchzuführen. Schön, wenn das so möglich ist, nur muss ich festhalten: Ich verstehe es auch, wenn es nicht möglich ist. Das kann es ja nicht sein, dass ich das quasi erdulden muss, nur um in meinen vorgegebenen Pflegeminuten mit meiner Arbeit fertig zu werden, da muss man auch andere Möglichkeiten finden. Abgesehen davon, dass es zu Ohrfeigen, Biss­verletzungen, aggressivem Festhalten kommt – all das steht im Bericht.

Es ist auch zu überlegen, ob man nicht das Personal vor dessen Ausbildung vielleicht einem Stresstest unterzieht. Das muss auch ein Buschauffeur machen, damit man sieht, wie er in belastenden Situationen reagiert, und das wäre vielleicht in diesem Fall auch le­gitim.

Was jetzt uns Oberösterreicher betrifft, so ist es so, dass mit dieser GuKG-Geschichte die dreijährige Ausbildung zum Fach-Sozialbetreuer im Bereich Altenarbeit nicht mehr unterstützt wird. Bei uns in Oberösterreich ist der Großteil des Personals APHs, also FSB „A“ laut Sozialberufegesetz, und das Fachkräftestipendium kann dort nicht mehr in Anspruch genommen werden, weil es nicht in den GuK-Richtlinien enthalten ist. Das fin­den wir schade, weil wir ja, wie wir hören, viel mehr Personal bräuchten. Und wir for­dern schon in Oberösterreich und auch bundesweit die Einführung der Pflegelehre, weil das auch eine Entschärfung der Personalsituation bewirken würde.

Sie haben vorhin die Soziallandesrätekonferenz angesprochen. Von dieser gab es schon vor drei Jahren, am 16. Mai 2014, einen Beschluss, mit dem die zuständigen Bundes­minister ersucht wurden, einen Gesetzesvorschlag zur Kompatibilität der Gesundheits- und Sozialberufe unter Berücksichtigung der noch nicht gesetzlich verankerten Sozial-


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berufe zu erarbeiten. Mich würde interessieren, was diesbezüglich bis jetzt geschehen ist und ob Sie in Ihrer Kompetenz als Sozialminister in dieser ganzen Personalge­schichte auch gegensteuern könnten, nämlich mit einer Ausbildungsförderung durch das AMS, mit einer Verankerung entsprechender Berufsbilder aus der Altenpflege im GuKG oder eben mit einer Pflegelehre.

Zum Schluss möchte ich sagen – unsere Bundesratspräsidentin ist gerade nicht anwe­send, aber ich bin sicher, sie würde mir sehr zustimmen –, dass sehr, sehr viele Be­schäftigte im Pflegebereich gerne und mit Herz bei der Sache sind. Sie nehmen sich tag­täglich der Menschen dort an und führen diese durch den Lebensabend. Sie schaffen jeden Tag – oder möchten es zumindest – den Spagat zwischen der Leistung individu­eller Pflege in hoher Qualität und der Erfüllung der Erwartungen der Pflegeleitung und des Betreibers und bleiben dabei sehr oft selbst auf der Strecke. Im besten Fall ernten sie dafür Dankbarkeit von den älteren Menschen durch einen Händedruck, ein Danke­schön oder ein Lächeln.

Vielleicht schaffen wir es doch, so wie Monika heute gesagt hat – wir sind diesbezüg­lich eigentlich alle einer Meinung –, den im Bereich der Pflege tätigen Menschen nicht nur durch mehr Aufmerksamkeit für dieses Thema zu danken, sondern auch für die nö­tige Unterstützung der Maßnahmen, die von der Volksanwaltschaft gefordert werden, zu sorgen. Stimmen Sie daher unserem Antrag zu, den ich hiermit einbringe:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Mühlwerth, Jenewein, Rösch betreffend Behebung der Pflegeheim­misere

Der Bundesrat wolle beschließen:

Der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz wird ersucht, dem Bun­desrat bis Jahresende 2017 einen Bericht über die von ihm gemeinsam mit den zustän­digen Bundesländern festgelegten dringenden Maßnahmen zur Behebung der von der Volksanwaltschaft festgestellten Mängel im Pflegebereich zuzuleiten.

*****

Ich ersuche Sie wirklich um Ihre Zustimmung – im Sinne der Pflegebedürftigen und der Pflegenden. (Beifall bei der FPÖ.)

15.24


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Der von den Bundesräten Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend Behebung der Pflegeheimmi­sere ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Stöckl-Wolkerstorfer. – Bitte, Frau Kollegin.

 


15.25.15

Bundesrätin Angela Stöckl-Wolkerstorfer (ÖVP, Niederösterreich): Hohes Präsidium! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Es ist mir wirklich ein Her­zensanliegen, heute zu dieser Anfrage zu diesem Thema sprechen zu dürfen. Ich ar­beite mittlerweile 20 Jahre als Physiotherapeutin im Landespflegeheim Mödling, und ich möchte von meinen persönlichen Erfahrungen berichten.

Ich hatte gestern wieder Dienst im Landespflegeheim Mödling, und am Nachmittag war ich dann noch in meiner politischen Funktion bei einer Veranstaltung im Landespflege­heim Baden. – Übrigens: Die niederösterreichischen Landespflegeheime wurden im April


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in Pflege- und Betreuungszentren umbenannt, und das mit Recht. – Ich habe die Einla­dung mitgebracht. Auf der Vorderseite dieser Einladung zu dem musikalischen Nach­mittag mit Vernissage einer jungen Künstlerin steht: „NÖ Heime“, „Orte der Begegnung“, „mittendrin im Leben“, und ich möchte auch die Rückseite zitieren:

„Unsere Veranstaltungsreihe ,mittendrin im Leben‘ gibt Einblicke in die bunte Welt der NÖ Pensionisten- und Pflegeheime. Wir öffnen unsere Türen, laden alle dazu ein, un­sere Veranstaltungen zu besuchen. Die 88 Mitgliedshäuser der ARGE NÖ Heime bie­ten ein breites Repertoire – von der Vernissage, über Autorenlesungen, hin zu Gesund­heitsstraßen, Vorträgen, Sommerfesten oder Adventmärkten – hier ist für jeden etwas da­bei!

Nutzen Sie die Gelegenheit, kommen Sie zu uns und besuchen Sie die NÖ Heime mit ihren vielfältigen Veranstaltungen. Wir wollen Ihnen zeigen, dass die NÖ Heime mehr sind – wir sind soziale Zentren, Orte der Begegnung, wir sind ,mittendrin im Leben‘.“

Ich denke, dem ist nichts hinzuzufügen. Alle niederösterreichischen Pflege- und Betreu­ungszentren sind moderne, barrierefreie Häuser. Sie bieten multiprofessionelle Pflege, Betreuung und Therapie, ärztliche Versorgung, abwechslungsreiche Tages- und Frei­zeitangebote und vieles mehr. Besucherinnen und Besucher sind jederzeit herzlich will­kommen. Projekte mit Schulen, Kindergärten, Vereinen und die zahlreichen Ehrenamt­lichen fördern ein offenes Miteinander.

Ich kann aus unserem Pflegeheim berichten: Wir hatten letztes Jahr 120 ehrenamtlich Tätige und durften uns über 9 000 ehrenamtliche Stunden freuen. Ein großes Danke­schön an dieser Stelle! (Beifall bei der ÖVP, bei Bundesräten der SPÖ sowie des Bun­desrates Stögmüller.)

Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt. In allen Häusern sorgen multiprofessionelle Teams für individuelle, personenzentrierte Pflege und Betreuung. Großes Augenmerk liegt auf der Förderung der eigenverantwortlichen Lebenskompetenz, auf Selbstbestim­mung und hoher Lebensqualität. – Ah ja, Frau Kollegin, zu Ihren Ausführungen: Unsere Bewohner liegen nicht um 17 Uhr im Bett. Die Dienstpläne sind so eingeteilt, dass sie an die Bedürfnisse der Bewohner angepasst sind. (Bundesrätin Mühlwerth: ... sind sehr wohl von der Volksanwaltschaft Missstände aufgezählt worden, möchte ich nur anmer­ken!) Die Einbindung der Angehörigen, die wir als Partner verstehen, ist uns ein beson­deres Anliegen.

Was soll ich dazu noch mehr sagen? – Ich lade die Bundesräte der FPÖ ein, unser Haus zu besuchen, damit ihr euch ein Bild machen könnt, mit welcher Qualität und fachlichen Kompetenz hier gearbeitet wird. Da bedarf es keiner bundesweiten Regelung. Sollte ir­gendwo eine Schwachstelle auftreten, dann wird vor Ort rasch gehandelt (Bundesrätin Mühlwerth: Das merkt man eh!), sei es mit einzelnen Fallbesprechungen, Teambe­sprechungen, aber auch durch Supervision für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. (Bun­desrätin Mühlwerth: Es ist alles paletti!) Damit zeigen wir den betroffenen Menschen, dass sie nicht alleingelassen werden.

Wie gesagt, ich erlebe tagtäglich die engagierte Arbeit des Pflegepersonals mit, ich er­lebe, mit wie viel Herz, Empathie, persönlichem Engagement (Bundesrätin Mühlwerth: Das gibt es alles auch, ja!) und fachlicher Kompetenz gearbeitet wird.

Österreichs Alten- und Pflegeheime beteiligen sich auch jedes Jahr an diversen Wett­bewerben, bei denen sie großartige Auszeichnungen für die geleistete Arbeit erhalten, zum Beispiel den Pflegemanagement-Award „cura 2016“, das Gütesiegel Betriebliche Gesundheitsförderung, Österreichs beste Arbeitgeber und, und, und. Auch die letzte anonyme Befragung der Bewohnerinnen und Bewohner, aber auch der Angehörigen stellt den niederösterreichischen Heimen ein hervorragendes Zeugnis aus.


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Österreichs Pflege- und Betreuungszentren gehören aber wahrscheinlich auch zu den meistkontrollierten Einrichtungen des Landes. Sie werden nicht nur von der Volksan­waltschaft, sondern auch von der Bewohnervertretung, der Patientenanwaltschaft, der Heim- und Pflegeaufsicht, dem Arbeitsinspektorat et cetera kontrolliert – ganz im Ge­gensatz zur 24-Stunden-Betreuung, wo es keinerlei Kontrollen gibt.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, ich sage euch eines: Für die Heimleitungen be­ziehungsweise für die Direktoren würde es Sinn machen, diese Vielzahl der Kontrollen zu bündeln.

Jetzt noch ein paar Zahlen zur Information: In circa 880 Heimen in Österreich sind circa 42 000 Pflege- und Betreuungspersonen tätig, die rund 75 000 Menschen stationär be­treuen. Inklusive der Kurzzeitpflegegäste werden insgesamt 84 000 Menschen betreut. Das ist eine enorme Zahl. Schwarze Schafe gibt es leider überall, diese müssen zuver­lässig aufgedeckt werden, das ist überhaupt kein Thema, aber es darf die Arbeit des Pflegepersonals nicht unter Generalverdacht stehen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bun­desräten der SPÖ.)

Wo Menschen arbeiten, passieren zweifelsohne Fehler, aus denen wir lernen sollen, jedoch lassen wir die hervorragende Arbeit in unseren Heimen medial nicht kleinreden. Investieren wir doch mehr Energie in die Weiterentwicklung der Pflegeversorgung! Mo­derne Pflegekonzepte und -modelle – sei es die Validation, sei es die aktivierende und reaktivierende Pflege nach Eden, das biografische Pflegemodell nach Professor Erwin Böhm, und ich könnte noch viel mehr aufzählen – zeigen auch, wie innovativ unsere Hei­me jetzt schon sind.

Wir wissen, die Lebenserwartung steigt, die Menschen werden immer älter, jedes zwei­te Kind, das heute geboren wird, wird 100 Jahre alt. Die Demenzerkrankungen steigen. Demenz und Behinderung erfordern aber auch Präsenz und ein hohes geriatrisches Know-how. Durch bessere Personalstrukturen können wir in der Betreuung und Pflege unserer Bewohner sicherlich eine noch bessere Leistung erbringen.

Stellen wir uns dieser Herausforderung! Für mich persönlich ist das ein zentraler Auf­trag, dem wir Politiker uns stellen müssen. Der Mensch soll immer im Mittelpunkt unse­res Tuns und Handelns stehen. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

15.32


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Kurz. – Bitte, Frau Kollegin.

 


15.32.17

Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrter Herr Bundesminis­ter! Frau Präsidentin! 46 Prozent ungefähr – nicht 86 Prozent, Frau Kollegin! – von den 455 000 PflegegeldbezieherInnen werden zu Hause durch Angehörige betreut, 16 Pro­zent in Pflegeheimen. Dazu kommen die mobilen Dienste, 24-Stunden-Betreuung und teilstationäre Einrichtungen. Wir haben schon gehört, wir reden von ungefähr 75 000 Men­schen, die in insgesamt über 850 Alters- und Pflegeheimen in ganz Österreich betreut werden – viele davon, da stimme ich meiner Vorrednerin wirklich zu, in sehr hoher Qua­lität, wertschätzend, fachkompetent und liebevoll. Die Beispiele waren gut, die Sie ge­bracht haben.

Von der Volksanwaltschaft sind 120 von diesen über 850 Einrichtungen in 500 Kontrol­len untersucht worden, und es hat sich eben leider herausgestellt, dass es doch in ei­nigen Einrichtungen massive Missstände gibt. Die dürfen wir bei Gott nicht leugnen, denn jeder einzelne Fall, der in diesem Bericht aufgezeigt wird, dürfte eigentlich nicht passieren.

Als PolitikerInnen in den Ländern, aber auch im Bund müssen wir uns die Fragen stel­len: Wieso passiert das? Wieso passiert das Menschen unserer älteren Generationen?


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Wieso passieren denen – Menschen, die sich dagegen nicht wehren können – men­schenunwürdige Behandlungen? Und was können wir alle machen, um in Zukunft die­se Dinge zu verhindern? Ich will sie im Einzelnen gar nicht aufzählen; wir haben sie schon gehört, wir haben sie alle gelesen.

Wir wissen, es geht um die Generation unserer Eltern und Großeltern. Wir alle haben Eltern und Großeltern oder hatten welche. Die einen oder anderen Erlebnisse hatten wir selbst mit Eltern oder Großeltern oder anderen Verwandten, die in Einrichtungen wa­ren. Manche waren gut, manche weniger. Eines muss uns wohl klar und auch ein Be­dürfnis sein: In einem Sozialstaat wie Österreich muss es möglich sein, allen Men­schen – ich betone: wirklich allen Menschen – einen würdigen Lebensabend zu ermög­lichen. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätinnen Zwazl und Schreyer.)

Ich muss sagen, ich bin froh, dass die Volksanwaltschaft diese Missstände dieses Mal so deutlich aufgezeigt hat. Es ist ja nicht das erste Mal, dass es einen Bericht der Volksanwaltschaft zu den Missständen in manchen Einrichtungen gibt, aber durch die­se heftige Reaktion aller ist es vielleicht auch möglich, dass endlich einmal alle gemein­sam an einem Strang ziehen. Ich muss ehrlich sagen, ich stimme dir zu, ich erwarte jetzt auch von den Ländern – wenngleich ich wirklich auch Föderalistin bin und das schon in vielen meiner Reden bewiesen habe – einmal Bewegung, was bundeseinheitliche ver­bindliche Qualitätskriterien betrifft. Es kann ja wohl nicht wahr sein, dass das nicht mög­lich ist! Ich verstehe das irgendwie nicht. Denn: Welcher Unterschied bitte besteht zwi­schen einer demenzkranken alten Frau im Burgenland und einer in Niederösterreich oder in Vorarlberg? Wieso muss die in einem anderen Bundesland anders behandelt werden? Ich verstehe das nicht, und ich sage euch etwas: Niemand in der Bevölkerung versteht das! (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Es ist schon angeführt worden, worum es da alles geht, das brauche ich nicht zu wie­derholen. Es ist natürlich auch im Sinne der über 45 000 Beschäftigten, dass die öffent­liche Hand nicht nur das Geld hergibt – das Geld spielt natürlich immer eine große Rol­le –, sondern auch Zielsteuerung betreibt. Es hat ja einige erste Ansätze gegeben – der Herr Bundesminister hat es schon erwähnt –: In der letzten Novelle zum Pflegefonds­gesetz sind erstmals personelle Mindeststandards festgelegt worden, der Ausbau von Qualitätssicherungssystemen, die Erhöhung des Versorgungsgrades professioneller Pfle­gedienste sind vereinbart worden, aber eben nicht ganz so verbindlich, wie wir uns das eigentlich wünschen.

Es ist schon betont worden, es geht auch um Aufsicht, es geht um Kontrolle, und es geht natürlich, damit beaufsichtigt und kontrolliert werden kann, auch um die dafür notwen­digen Dokumentationen. Wenn nichts aufgeschrieben wird, wie soll man dann kontrol­lieren?

Das sollen die Länder weiterhin machen – davon bin ich auch überzeugt –, aber es darf nicht nur um diese strukturellen Gegebenheiten gehen, also um Zahlen und Fakten. Was man wirklich braucht, ist eine transparente und valide Pflegeergebnisqualitätsbeurtei­lung, denn nur so können wir schlussendlich wissen: Was passiert denn wirklich in den Heimen? Und wie geht es den dort Arbeitenden, und wie geht es den dort Lebenden?

Wir haben es gehört, wir wissen es allerdings nicht erst seit heute, dass das Pflege­personal oft überlastet wird und dass es oft hin- und hergerissen ist zwischen dem, was es in seiner Ausbildung gelernt hat – hohe Standards, Leistungsbereitschaft, Berufsethos –, und dem, womit es in der Praxis konfrontiert wird, nämlich mit Zeit- und Kostendruck, vor allem bei der Betreuung einer ständig steigenden Anzahl von Menschen mit Demenz und anderen kognitiven Beeinträchtigungen. Hier steht sehr oft nicht das nötige Per­sonal zur Verfügung, denn gerade diese Menschen brauchen besondere persönliche Auf­merksamkeit und Wertschätzung.


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Ich stehe nicht an zu sagen, und ich kann es nicht oft genug betonen, dass ich auch meine Hochachtung vor den vielen Menschen, die in diesen Pflegeeinrichtungen arbei­ten und dort wirklich großartige Leistungen vollbringen, ausdrücken möchte. Mein herz­liches Dankeschön an alle! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP, FPÖ und Grünen.)

Schließlich sind sie es, die es unseren Eltern, unseren Großeltern ermöglichen, in Wür­de alt zu werden – in den Fällen, in denen diese eben nicht zu Hause betreut werden kön­nen, warum auch immer.

Wie in jedem Beruf gibt es auch beim Pflegepersonal Menschen, die mit ihrer Aufgabe überfordert sind, nicht nur weil sie unter einem strukturellen Druck stehen, sondern weil sie schlicht und einfach menschlich für diesen Beruf nicht geeignet sind – das muss man zugeben. Da liegt es einfach daran: Wie steht eine Führung in einem Haus zu die­sen Umständen, die dann dort auftreten? Wie wird Pflegeleitung gehandhabt: Was se­hen die und was sehen die nicht? Da gibt es sicher noch Verbesserungsmöglichkeiten, auch in der Ausbildung, denn es kommt sehr oft auch auf den zwischenmenschlichen Ton an, der untereinander herrscht, darauf, ob es an Wertschätzung mangelt oder eben doch Wertschätzung entgegengebracht wird. Geht eine Pflegedienstleitung mit ihrem Personal so um, dass Druck entsteht, dann wird dieser Druck oft an diejenigen weiter­gegeben, die sich gar nicht mehr wehren können, und dann kommt es eben aus Frust und Überforderung zu Gewalt, zu mangelnder Zuwendung, zu Geringschätzung, zu frei­heitsbeschränkenden Maßnahmen, wo sie nicht notwendig sind, und zu vielen anderen Dingen mehr, von denen wir ja ohnedies wissen.

Kolleginnen und Kollegen, das darf einfach nicht sein! Die Volksanwaltschaft stellt ja zu Recht fest, dass die von der Politik und vor allem von der Landespolitik gestalteten Rah­menbedingungen den größer gewordenen Herausforderungen in den Einrichtungen zu wenig Rechnung tragen, vor allem was die Ressourcen betrifft. Aber ich bin überzeugt davon, dass sich das lösen lässt. Wenn alle guten Willens sind, alle, die mit diesem Pro­blem befasst sind, dann wird es auch möglich sein, die nötigen finanziellen Mittel richtig einzusetzen, denn es gibt ja mehr finanzielle Mittel als früher. Die Verhandlungen zum Finanzausgleich haben ja eine jährliche Steigerung des Pflegefonds um 4,5 Prozent er­geben. Das ist so verhandelt worden, und das sind bis zum Jahr 2021 fast 2 Milliar­den €. Meiner Meinung nach ist dieses Geld jetzt für Verbesserungen einzusetzen, und es liegt an den Ländern – also auch an uns allen! –, sich dafür einzusetzen, dass Mängel behoben werden.

Vergessen wir nicht, dass alle diese Institutionen Lebensmittelpunkt und Lebensraum von Menschen sind, die wegen ihrer altersbedingten Hilfsbedürftigkeit eben auf die Un­terstützung Dritter angewiesen sind!

Ich bin überzeugt davon, dass das Sprichwort stimmt: Wie gut eine Gesellschaft ist, misst sich ausschließlich daran, wie sie ihre schwächsten Mitglieder behandelt und nicht ihre stärksten. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

15.41


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Reiter. – Bitte, Frau Kollegin.

 


15.41.19

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Hohes Präsidium! Herr Minis­ter! Werte Kollegen und Kolleginnen! Das ist natürlich ein Thema, zu welchem alle von uns etwas beitragen könnten oder können – aus ganz persönlichen Erlebnissen, etwa mit Eltern oder Großeltern im Zusammenhang mit deren Versorgung –, aber ich werde versuchen, das zu vermeiden. Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass wir uns mit die­sem Thema beschäftigen. Wir hatten eine ausgezeichnete Enquete zum Thema Pfle-


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ge, die, wie ich meine, wirklich demonstriert hat, wie viel Engagement und wie viel Ein­satz und Wille es gibt und wie breit das Bemühen vorhanden ist, die Situation immer wieder zu verbessern, und wie viel Bereitschaft es gibt, immer wieder darauf zu schau­en, wie das gelingen könnte, wie die Verpflegung der älteren Generation, der Pflegebe­dürftigen verbessert werden könnte und was da getan werden könnte.

Dank an die Volksanwaltschaft, die auf Missstände hingewiesen hat und diese auch auf­gelistet hat, aber ich glaube, es ist falsch, in Anbetracht dessen von einer Pflegeheim­misere zu sprechen, denn es ist eine Erfahrung, die, glaube ich, alle von uns gewon­nen haben und die auch hier schon klar und deutlich artikuliert wurde: Die Pflegeheim­misere gibt es nicht! (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

Es gibt eine Vielzahl von Heimen – eigentlich ist es die Mehrzahl der Heime –, die gut geführt sind. Es arbeiten dort engagierte Fachkräfte und Leitungskräfte. Also die Pfle­geheimmisere gibt es nicht! In einem Bereich, in dem es Tausende Beschäftigte und Tausende Betroffene gibt, ist es nicht verwunderlich, dass es immer wieder auch zu Schwierigkeiten kommt, auch zu Missständen kommt. Das ist, glaube ich, klar, und das wird sich auch nie total verhindern lassen. Wichtig ist, dass es Systeme gibt, die da aufklärend wirken oder die zumindest die Sicherheit gewährleisten, dass da etwas ge­tan wird und dass da jemand hinschaut.

Das Grundproblem – und das ist auch hier schon oft artikuliert worden – ist natürlich die immer wieder auftretende angespannte Personalsituation: zu wenig Personal, zu schlecht ausgebildetes Personal. Das betrifft nicht nur den unmittelbaren Pflegebereich, son­dern das betrifft auch den Bereich darüber, wo ich mich frage: Wo sind die Fachärzte für Geriatrie? Oder – das ist hier schon angedeutet worden –: Wo sind die Fachärzte im Lungau? Wir haben Sie nicht einmal in der Stadt Salzburg, geschweige denn im Lun­gau. In den Pflegeheimen arbeiten dann oft sehr engagierte praktische Ärzte, soweit ich es weiß, aber das entsprechende Fachpersonal in der Dichte, in der es dort notwen­dig wäre, existiert gar nicht.

Das zeigt auch das ganze Problem der Schmerzbekämpfung, das natürlich im Alter ein großes Problem darstellt. Aber es ist auch Aufgabe des Gesundheitsministeriums, da­für zu sorgen, dass genügend Fachkräfte vorhanden sind, die die dafür notwendige Ar­beit leisten.

Wir wissen, dass wir in Österreich generell ein Problem haben, was die Schmerzbe­kämpfung betrifft, und es auch viele Patienten in den Krankenhäusern gibt, die zu lang zu viele und zu intensive Schmerzen haben. Also das ist eine relativ komplexe Angele­genheit, auch was das andere Personal, wie Ergotherapeuten, Physiotherapeuten und so weiter, betrifft.

Aber ich glaube, wir alle sind uns nicht wirklich dessen bewusst, in welch großer Um­bruchssituation wir generell leben, vor allem, was die Versorgung gerade der alten Men­schen in den Heimen oder in den Familien betrifft. Wir haben in den letzten Jahrzehn­ten die Subsistenzarbeit, also die Arbeit, die von den Menschen – vor allem von den Frauen – ohne Bezahlung erledigt wurde, nämlich das Sich-Kümmern, das Sich-Sor­gen, das Pflegen und so weiter, professionalisiert. Das betrifft die ganze Kinderbetreu­ung, und das betrifft natürlich auch die Altenbetreuung. Was es da für eine Verände­rung und für einen Umbruch gibt, das ist uns allen, glaube ich, noch gar nicht wirklich bewusst – und auch, welche Herausforderung sich daraus dann dementsprechend er­gibt, kombiniert mit der Herausforderung, dass immer mehr Menschen immer älter wer­den.

Österreich liegt zwar in der Lebenserwartung etwas über dem Durchschnitt in Europa, aber nicht mit den Jahren, die die Menschen gesund verbringen, da liegen wir unter dem europäischen Durchschnitt, da liegen wir um fünf, sechs Jahre darunter. Das heißt, in


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Österreich werden die Menschen fünf, sechs Jahre früher pflegebedürftig als im europäi­schen Durchschnitt. Auch das ist etwas, was man sich genauer anschauen sollte und wo man dazu beitragen sollte, in der gesamten Gesundheitsversorgung die Lage zu verbes­sern.

Ich muss schon sagen, der Finanzausgleich war für mich eine Enttäuschung, zum Bei­spiel was die Frage betrifft, gleiche Standards in ganz Österreich zu definieren, denn der alte Mensch in Vorarlberg hat die gleichen Bedürfnisse wie jener in Wien oder im Burgenland und so weiter. Ich würde mir da schon transparente, gute, vergleichbare Standards in ganz Österreich wünschen. Und das betrifft eben auch das Personal. Ich bin der Überzeugung, da müsste mehr drinnen sein. Wo immer ich kann, werde ich mich dafür auch einsetzen.

Wo man, wie ich meine, sehr vorsichtig sein muss, sind die Bereiche Berichtspflichten und Dokumentationen. Es ist heute schon so, dass die Pflegekräfte darunter stöhnen, dass sie sehr viel Zeit damit verbringen müssen, Berichte zu schreiben, zu dokumen­tieren – mehr als das, was sie eigentlich für die Pflege verwenden möchten oder auch können. Also das sind Bereiche, wo man, glaube ich, sehr sensibel zwischen dem An­spruch auf Kontrolle und dem, was tatsächlich in der täglichen Arbeit geleistet werden kann und soll, abwägen muss.

Zum Beispiel, wenn es heißt: „Aufsichtsbehörden müssen in Beachtung ihrer men­schenrechtlichen Schutzpflichten gegenüber Menschen mit schweren Beeinträchtigun­gen jedem Hinweis nachgehen und deren Betreuung in nicht behördlich genehmigten Einrichtungen unterbinden“.

Da ist schon einmal die Frage: Was ist eine schwere Beeinträchtigung? Der ganze Be­reich Demenz fällt da leider noch immer ziemlich unter den Tisch, was die Einstufung in die entsprechenden Pflegestufen betrifft. Aber, wie gesagt: Was ist eine schwere Be­einträchtigung?

Und was die Betreuung betrifft, stellt sich die Frage: Was macht man dann, wenn eine Betreuung in behördlich genehmigten Einrichtungen nicht möglich ist? Es gibt den Fall, wo Demenzkranke nach Thailand gebracht und dort in eigenen Dörfern versorgt wer­den. Das sollte nicht passieren! Sperrt man so etwas zu? Und dann stellt sich die Fra­ge: Was tut man mit der Familie? Also: Was tut man mit all denen, die häuslich betreut werden? Es kommen ja immer wieder Fälle zutage – Extremfälle –, wo die Betreuung bei Weitem nicht funktioniert. Die häusliche Pflege entspricht nicht dem Idealbild, und eine Kontrolle oder eine Sozialhilfe, wo die Pflegebedürftigen aufgesucht werden, ist auch nicht wirklich gut ausgebaut oder in dem Maß vorhanden, wie wir uns das wünschen wür­den oder wie es wahrscheinlich auch notwendig wäre. Also auch das ist ein Bereich, wo noch viel zu tun wäre.

Ich erinnere mich noch gut an die Enquete zum Thema Pflege, wo jemand aufgestan­den ist und bemerkt hat, eigentlich ginge es um die Frage: Wie halten wir die Angehöri­gen bei der Stange? – Eine ehrliche Meldung! Und ich merke an, das ist ein Bereich, wo die Lage noch, sage ich, akuter wird, schwieriger werden wird, und die Art und Wei­se, wie wir damit umgehen, stellt eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar.

Natürlich ist die Finanzierung ein Problem. Wenn man sich nur ausrechnet, wie viele Al­tenheime in den Gemeinden sind und wie viele Vollzahler wir dort drinnen haben, dann weiß man, dass in fast allen Fällen trotz Pflegegeld die Sozialhilfe einspringen muss, um den Altenheimplatz entsprechend finanzieren zu können. Das ist Realität! Und wir alle sind dafür, dass die Arbeitskräfte, die in der 24-Stunden-Betreuung eingesetzt sind, eigentlich nach unseren Standards finanziert werden. Es ist also natürlich ein finanziel­les Problem! Es ist für die Gemeinden eine große finanzielle Herausforderung, entspre­chende Einrichtungen zu bauen, zu erhalten und zu finanzieren. Davor dürfen wir die


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Augen nicht verschließen. Und ich denke, auch das bleibt als Herausforderung beste­hen.

Wie gesagt, diese Herausforderungen gibt es, und wir werden und sollen uns diesen Herausforderungen stellen. Ich wäre dankbar, Herr Minister, wenn Sie im Rahmen die­ses Antrages einen entsprechenden Bericht verfassen könnten, sodass wir uns in einem halben Jahr wieder mit diesem Thema auseinandersetzen und es auch wieder diskutie­ren können, wenngleich ich eine Skandalisierung durch die Bezeichnung Pflegeheim­misere in diesem Zusammenhang klar zurückweise. Ich glaube, es ist uns allen ein An­liegen und es geziemt sich für uns alle, all den Menschen, die in diesem Bereich arbei­ten und wirklich Tag für Tag ihr Bestes geben, für ihr Engagement und für ihren Einsatz zu danken. – Danke. (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

15.52


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Nächster Redner: Herr Bundesrat Tiefnig. – Bitte.

 


15.52.30

Bundesrat Ferdinand Tiefnig (ÖVP, Oberösterreich): Herr Bundesminister! Geschätz­te Frau Präsidentin! Eigentlich können wir stolz sein auf unsere Enquete, die wir im Bun­desrat zum Thema Pflege abgehalten haben, und ich danke hier auch unserer Präsiden­tin Sonja Ledl-Rossmann, denn ich glaube, genau zu diesem Zeitpunkt hat die ganze Dis­kussion über den Pflegenotstand begonnen.

Haben wir wirklich einen Notstand im Pflegebereich? – Ich kann nur sagen: Schon 2008 hat unser ehemaliger Landeshauptmann Dr. Pühringer auf den Pflegenotstand hinge­wiesen, und wir in Oberösterreich haben damals schon darauf reagiert, und zwar ha­ben wir zumindest die Kranken- und die Hausbetreuung zusammengeführt, damit nicht mehr von jeder Organisation Betreuer zu den betroffenen Personen fahren, sondern wir haben das aufgeteilt in Bereiche, wo das Hilfswerk betreut, wo die Caritas betreut, wo die Diakonie betreut und wo das Rote Kreuz betreut.

Wir haben in Oberösterreich und insbesondere bei uns im Bezirk Braunau keinen Pfle­genotstand, und in Oberösterreich gab es nur einen einzigen Fall, wo es einen Miss­stand gab, und das war in einem privaten Heim.

Aber es ist schon interessant, zu sehen, wer der Gesundheits- und Krankenpflegege­setz-Novelle im letzten Jahr nicht zugestimmt hat und sich jetzt aber beschwert, dass wir im Pflegebereich eine schlechte Ausbildung und zu wenig Motivation haben. Es ist ganz interessant, das zu verfolgen.

Den Bericht der Volksanwaltschaft haben auch nicht alle hier zur Kenntnis genommen, und auch dem Ausländerbeschäftigungsgesetz haben heute nicht alle hier zugestimmt. Ich meine, wir brauchen Personal auch aus dem Ausland, es ist notwendig, dass diese Menschen zu uns kommen, denn ich will in Zukunft nicht von nicht motivierten Men­schen betreut werden. Und wir haben wirklich sehr viele motivierte Menschen, vor al­lem in Oberösterreich.

Weil Sie, liebe Rosa Ecker, gesagt haben, dass wir in Oberösterreich schon seit 1986 keine Veränderungen mehr haben: Wir hatten in den letzten zehn Jahren jährlich eine 40-prozentige Steigerung beim Pflegepersonal, wir hatten eine Evaluierung bei den Löh­nen, und wir haben zurzeit freie Betten. Die Betten sind deswegen frei, weil aufgrund der 24-Stunden-Betreuung mehr Menschen zu Hause bleiben.

Nun komme ich zu der Situation in Vorarlberg. Vorarlberg ist ein Bundesland, wo die Pflegeeinrichtungen nicht miteinander konkurrieren, sondern dort gibt es eine einzige Organisation, und das funktioniert sehr gut. In Vorarlberg sind die kleinen Einrichtun­gen sehr wichtig. Zu dieser Organisationsstruktur muss man gratulieren.


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Es wird überall immer wichtiger, eher kleine Einheiten zu schaffen, als große Gebäude zu errichten, wo dann die Betreuung teilweise mangelhaft und auch schwierig ist, weil einfach das System zu schwerfällig ist.

Es ist ein auf einen Tag beschränktes Gutachten, das die Volksanwaltschaft macht, denn die Volksanwaltschaft kommt nur an einem Tag und ortet einen Pflegenotstand, weil sie sieht, dass Leute in den eigenen Fäkalien liegen. Aber man muss fragen: Dauert das viel­leicht nur eine halbe Stunde oder ein bisschen länger? Sind diese Leute schon wund? Man muss dann natürlich auch schauen, welche Ursachen das hat.

Das Gleiche gilt für Demenzkranke. Wenn der Begutachter kommt, ist die betroffene Per­son vielleicht fit und sagt dem Begutachter, sie wolle einen Kaffee und sonst was alles. Und der sagt dann: Dem fehlt ja nichts, der leidet doch nicht an Demenz! Daher braucht es eine Begutachtung über einen größeren Zeitraum hinweg. Aber wenn es Missstän­de bei der Pflege gibt, dann gehören sie aufgezeigt, das ist wichtig, da gibt es kein Par­don. Und diese gehören auch dementsprechend beseitigt, weil es wichtig ist, dass un­sere älteren Menschen in Würde alt werden können.

Zum Finanzausgleich: Ja, er ist kein großer Wurf, aber es sind immerhin 350 Millio­nen €, die jährlich für die Pflege aufgewendet werden. Trotzdem muss man sagen: Es ist wichtig, dass da weitere Schritte gesetzt werden, und ich hoffe, dass die Länder die­ses Geld auch sinnvoll einsetzen.

Liebe Frau Ecker! Ich lade Sie gerne in den Bezirk Braunau ein. Ich fahre jährlich fast alle Altenheime ab, von jenen der Diakonie bis zu den Pflegeheimen des Sozialhilfe­verbandes, und ich kann sagen, dort wird gute Arbeit gemacht.

Ich kann Ihnen, Frau Ecker, auch eines sagen: Unser Bezirkshauptmann Georg Wojak würde Sie gerne führen, und Sie werden dann sehen, wie das dort abläuft. Auch Kol­lege Stögmüller ist in diesem Bereich immer sehr aktiv unterwegs. Ich sehe auch in sei­ner Facebook-Aktivität, dass er darauf schaut, dass die Menschen wirklich von der Politik entsprechende Kontrolle erfahren. Es ist wichtig, dass die Aktivitäten der Politik darü­ber hinausgehen, alles nur zu theoretisieren – zum Beispiel hier im Plenum des Bun­desrates zu reden –, es ist wichtig, dass sie draußen aktiv werden und auch kontrollieren.

Herr Bundesminister! Wir müssen schauen, dass wir in Zukunft mehr Geld bekommen, damit wir mehr Pflegepersonal haben. Wir hatten im Bezirk Braunau im Jahr 2008 ei­nen Pflegeworkshop, und da habe ich bemerkt, dass es den betreuenden Personen teil­weise nicht so sehr ums Geld geht, sondern vielmehr um die Anerkennung des Pflege­berufes. Es ist schon eine sehr übertriebene Argumentation, dass der Pflegeberuf so geschätzt wird, denn er wird in der Öffentlichkeit eigentlich sehr wenig geschätzt.

Wir vonseiten der Landwirtschaft – insbesondere im Bezirk Braunau mit der Landwirt­schaftlichen Berufs- und Fachschule Mauerkirchen – bilden Pflegeassistenzschülerin­nen aus, die dann im TAU-KOLLEG die weitere Ausbildung machen können. Und da­rauf, dass dort viele junge Menschen bereit sind, im Pflegebereich zu arbeiten, können wir wirklich stolz sein.

Es wird vielleicht auch möglich sein, insbesondere mit den 20 000 Jobs – einer Aktion, die Sie, Herr Minister, ja auch forcieren – entsprechende Anregungen für den Pflege­beruf zu schaffen. Dadurch hätten wir wieder mehr Menschen im Arbeitsleben und auch mehr Beschäftigte, die Sozialdienste verrichten.

Wir können dem Entschließungsantrag nicht zustimmen, weil wir davon überzeugt sind, dass Pflege beziehungsweise die Pflegeleistung sicherlich auf Länderebene vernünfti­ger geregelt werden kann. Das merken wir an den Unterschieden in den verschiedenen Bundesländern, die uns auch entsprechend auszeichnen. In Oberösterreich will man kei­nen schlechteren Standard, als wir ihn jetzt dort haben. Wir Oberösterreicher sind si-


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cherlich imstande, unseren Standard zu halten, ja ihn weiterzuentwickeln, aber wir brau­chen dafür finanzielle Mittel vom Bund, um die Länder und die Bürgermeister zu ent­lasten.

In jeder SAV-Sitzung sagen die Bürgermeister, schon wieder gibt es eine Erhöhung des Sozialhilfebeitrages, und damit haben wir natürlich ein Dilemma: Einerseits brauchen wir das nötige Pflegepersonal und die akademisierten Pflegepersonen, andererseits müssen wir das Pflegepersonal finanzieren, und da jammern natürlich die Gemeinden, dass ih­nen dieses Geld woanders wieder fehlt.

Wie gesagt, meine Fraktion wird diesem Entschließungsantrag nicht zustimmen.

Ich bitte Sie, Herr Minister, in Zukunft darauf zu schauen, dass das Geld im Pflegebe­reich dort ankommt, wo man es braucht, und zwar vor allem bei den zu Pflegenden und dem Pflegepersonal, und dies besonders beim Finanzausgleich zu berücksichtigen. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie der Bundesrätin Kurz.)

15.59


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Posch-Gruska. – Bitte, Frau Kollegin.

 


15.59.39

Bundesrätin Inge Posch-Gruska (SPÖ, Burgenland): Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Prinzipiell möchte ich einmal sagen: Ich glaube, dass noch nie eine Dringliche Anfrage wirklich so eine Dringlichkeit hatte wie diese.

Mich freut auch die große Sachlichkeit, zumindest zum größten Teil, mit der wir disku­tieren, denn ich bin davon überzeugt, dass das ein Thema ist – das haben schon eini­ge Vorrednerinnen gesagt –, das nicht nur die Menschen berührt, die Angehörige ha­ben, sondern dass das insgesamt ein Thema ist, das sehr berührt. Ich bin davon über­zeugt, dass gerade wir Politikerinnen und Politiker aufpassen müssen, dass hier keine Panikmache, keine Angstmache betrieben wird, sondern dass dieses Thema wirklich sehr sachlich diskutiert wird, was ja heute auch größtenteils passiert ist.

Es ist schon einige Male die Länderkompetenz angesprochen worden, die bei diesem Thema vorhanden ist. Es ist so, dass wir als Bundesländervertreter in der Länderkam­mer sitzen und natürlich den Föderalismus als wichtiges Instrument sehen, aber es ist auch so, dass wir bei sehr vielen Gesetzen eine bundeseinheitliche Lösung brauchen, und zu dieser Lösung stehe ich auch. (Vizepräsident Gödl übernimmt den Vorsitz.)

Wir haben darüber diskutiert, dass die Qualitätskriterien für die Kindergärten öster­reichweit gleich sein müssen, und genauso ist es auch bei den Pflegeeinrichtungen. Auch hier brauchen wir Qualitätskriterien, die österreichweit wirklich gleich sind, denn sonst wird es nicht funktionieren; sonst werden wir hier keinen Rahmen schaffen, von welchem man sagen kann, dass man sich daran halten kann, dass das ein Leitbild ist und dass man so weitermachen will.

Bei dieser Aufgabe sind alle Parteien gefordert. Da geht es nicht darum, einen Schul­digen oder eine Schuldige zu finden, da geht es nicht darum, irgendjemanden anzupat­zen und zu sagen: Du bist jetzt schuld! Ein Schuldiger oder mehrere Schuldige werden dieses Problem nicht lösen. Dieses Problem werden wir nur dann lösen, wenn wir es gemeinsam angehen. Angehen können wir es dann gemeinsam, wenn wir als Länder­vertreterinnen und Ländervertreter unsere Aufgabe wahrnehmen und draußen in den Ländern dieses Thema auch zur Sprache bringen und überall dort, wo wir die Möglich­keit dazu haben, auch ganz klar unseren Standpunkt – wie auch in der heutigen Dis­kussion – mit den Verantwortlichen in den Ländern diskutieren und versuchen, in den Ländern herauszufinden, welche Punkte dafür verantwortlich sind, warum es nicht funk­tionieren kann.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 126

Wir müssen mit den Ländervertreterinnen und Ländervertretern und Sozialhilfebeiräten oder mit wem auch immer, welches Gremium in welchem Land da zuständig ist, versu­chen, auch wirklich die Gründe aufzulisten, diese dann gemeinsam diskutieren und ver­suchen, eine Lösung zu finden. Ich glaube, dass wir hier als Bundesrätinnen und Bun­desräte einen wichtigen Beitrag dazu leisten könnten.

Es ist heute auch schon sehr oft über das Personal gesprochen worden. No na net, bei diesem Thema. Mein Vorredner hat gerade gesagt, dass es vor allem auch an der Wert­schätzung fehlt. Es fehlt nicht nur an der Bezahlung, sondern auch an der Wertschät­zung. Wertschätzung ist für uns alle wichtig, Wertschätzung ist ein sehr, sehr wichtiger Lohn für uns Menschen, aber meiner Meinung ist es auch sehr wichtig, dass die Be­zahlung stimmt. Der Pflegeberuf ist – ich sage das jetzt einmal so – ein typischer Frau­enberuf, und in diesem hat man bis jetzt halt nicht die Leistungen wirklich ordentlich zahlen müssen. Das ist ja sowieso immer so nebenbei gegangen, da haben die Frauen die Pflege nebenbei daheim gemacht, oder es wurde eben die Arbeit in einem Frauen­beruf sowieso nicht so gut bezahlt wie in allen anderen Berufen. Das heißt, diese For­derung der Frauen, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, ist auch eine Forderung, die da ganz, ganz sicher dazugehört und mitüberdacht gehört. (Beifall bei der SPÖ, bei Bun­desräten von ÖVP und Grünen sowie des Bundesrates Schererbauer.)

Es ist auch schon sehr viel darüber gesprochen worden, was das Personal noch braucht, ob das jetzt Supervision ist, oder ob das Mediation ist, das heißt, es geht wirklich auch um die Unterstützung vor Ort, da es ein sehr anspruchsvoller und sehr fordernder Be­ruf ist, und daher glaube ich auch, dass wir da noch sehr, sehr viel leisten müssen.

Die Gemeinden sind schon genannt worden. Ihr wisst ich habe das ohnehin schon oft genug gesagt –, ich bin Bürgermeisterin und gerade dabei, in meiner kleinen Gemein­de betreutes Wohnen zu bauen, weil es notwendig ist.

Es ist heute auch schon  ich glaube, von Kollegin Mühlwerth – angesprochen worden, dass der Wandel so stark ist, dass es diese Anforderungen, die wir jetzt haben, vor ein paar Jahren noch nicht gegeben hat und dass wir uns diesem Wandel jetzt stellen müs­sen. Da sind auch die Gemeinden gefordert, aber wir können das nicht alleine leisten. Das hat, glaube ich, auch der Ferdinand vorhin schon gesagt. Da brauchen wir wirklich ein Zusammengreifen zwischen Gemeinden, Ländern und Bund, auch da brauchen wir wiederum eine Zusammenarbeit über die Ländergrenzen und über die Parteigrenzen hin­weg; vor allem, da wir beim Thema Demenz immer wieder merken, dass Demenz fast immer mit einer sehr ausgeprägten Depression zusammenhängt, eine solche fast im­mer mit dabei ist. Das heißt, dass diese Anforderungen noch größer werden.

Ich möchte auch unseren 24-Stunden-Kräften danken, die größtenteils aus Rumänien, aber auch aus anderen Ländern, wie Slowenien und Ungarn, zu uns kommen und hier große Unterstützung leisten. Das ist meiner Meinung auch ein sehr, sehr wichtiger Bei­trag, der hier geleistet wird. In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch einmal daran erinnern, dass wir gerade diesen 24-Stunden-Kräften, die unsere Eltern pflegen, unsere Eltern versorgen, diesen Menschen, bei denen die Bezahlung sowieso unter je­der Kritik ist, nicht auch noch die Familienbeihilfe wegnehmen können, denn das wäre mehr als unsozial. Das, glaube ich, können wir uns nicht leisten! (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

Herr Bundesminister, Sie haben die Konferenz der Soziallandesräte angesprochen, bei der Sie dieses Thema auch zum Thema machen werden. Ich wünsche Ihnen für diese Konferenz wirklich sehr, sehr viel Erfolg. Sie werden ihn brauchen. Die Länder werden bei dieser Idee ganz sicherlich nicht leicht an einem Strang ziehen können.

Ich glaube, dass dieser Entschließungsantrag, der von den Freiheitlichen gekommen ist, inhaltlich wirklich ein sehr, sehr guter Antrag ist. Ich glaube aber, dass die Forde-


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rung an den Herrn Bundesminister, uns in einem halben Jahr einen Bericht zu liefern, eine leider nicht zu realisierende ist, weil nicht alles in seinen Bereich fällt, denn sehr viele Bereiche betreffen nicht den Herrn Bundesminister, sondern andere. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Ich würde daher vorschlagen – vielleicht können wir es einmal umdrehen –, dass wir dem Herrn Bundesminister bis Ende dieses Jahres sagen, welche Fortschritte wir in den Ländern bei den Ländergesprächen, die wir mit unseren Sozialreferenten führen, ge­macht haben. Vielleicht lässt sich da doch etwas bewegen, damit die Länder da an ei­nem Strang ziehen. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und Grünen.)

16.06


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Je­newein. – Bitte.

 


16.06.52

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein, MA (FPÖ, Wien): Herr Präsident! Meine sehr geehr­ten Damen und Herren! Herr Bundesminister! Ich werde es kurz machen, ich werde jetzt nicht lange reden. (Bundesrätin Kurz: Geh!) Ja, aber ich kann auch länger, wenn das eine Aufforderung ist, gerne. (Heiterkeit bei Bundesräten der ÖVP.) Ich mache es aber relativ kurz.

Ich möchte auf zwei Dinge eingehen, die mir im Zuge der Debatte aufgefallen sind, und die ich erwähnen möchte, weil ich sie für bemerkenswert halte.

Ich finde es sehr schön, dass wir heute dieses Thema nach der Enquete, die vor ein­einhalb Monaten stattgefunden hat, noch einmal behandeln. Das ist ein Stehsatz, da werden Sie sich denken: Warum meldet er sich dann zu Wort, nur um das hier zu sa­gen? – Ich sage es, da ich es für wichtig halte, dass wir diesen Antrag eingebracht ha­ben, wozu jetzt der Bundesminister sagt und auch meine Vorrednerin – die jetzt gerade nicht da ist – gemeint hat: Na ja, das mit dem Bundesminister, das ist unrealistisch, weil er nicht für alles zuständig ist.

Erstens geht es darum, dass der Bundesminister schon, glaube ich, bis zum Ende des Jahres darüber berichten könnte, was er mit den Landeshauptleuten in dieser Frage be­sprochen hat. Es wird ja nicht einmal eine aktive Handlung eingefordert, es wird ein Be­richt gegenüber der Länderkammer eingefordert. Es geht darum, dass man so einen Be­richt durchaus einfordern kann.

Zweitens – und das ist heute meiner Meinung nach etwas untergegangen –: Wir haben relativ viele Dinge schon gehört. Einer der Punkte ist auch – und da ist der Herr Bun­desminister zu 100 Prozent zuständig –, dass wir nach wie vor die 24-Stunden-Pflege ha­ben, was im Prinzip eine Arbeitsrechtsbestimmung ist. Das ist ein arbeitsrechtlicher Punkt, das ist ein prekäres Beschäftigungsverhältnis. Ich stelle mir auch die Frage, Herr Bun­desminister, wie lange wir uns das in dieser Form noch anschauen sollten.

Ich möchte das ganz polemikfrei sagen: Meiner Meinung nach ist das nicht haltbar, mei­ner Meinung nach gehört da eine Neuregelung her; so wie es derzeit ist, und das ist in Ihrer Verantwortung, werden wir eine Neuregelung brauchen. Das ist das eine.

Das andere ist: Wenn man von diesem Antrag spricht, so ersuche ich schon darum, einfach auch festzuhalten, dass man sagt: Nein, das ist ein Antrag der Opposition, dem wollen wir ganz einfach nicht zustimmen. – Das wäre nichts Neues, und das wäre ein ehrlicher Zugang. Das kann man ja sagen, ich meine, dass wir alle nicht so zart be­saitet sind, dass wir das nicht verstehen. Das kennen wir ja ohnehin. Aber zu sagen: Nein, das ist eh ein guter Antrag, aber wir finden im vierten Absatz eine Bestimmung und wir sind nicht zuständig  das halte ich, gelinde gesagt, nicht für den richtigen Zu-


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gang. Das wertet im Prinzip diese durchaus wertvolle Debatte, die hier heute geführt wurde, ab. (Zwischenruf des Bundesrates Köck.) – Herr Kollege, alles in Ordnung! Ich versuche ja, nicht polemisch zu sein, sonst würde mir dazu etwas einfallen, aber das lasse ich jetzt lieber.

Ich ersuche hier nochmals um Zustimmung, und ich ersuche Sie, Herr Minister, auch da­rum, gerade im konkreten Fall der 24-Stunden-Pflege, das in Ihrem Redebeitrag – denn Sie haben sich ja jetzt nach mir noch zu Wort gemeldet – zu berücksichtigen. Mich per­sönlich würde Ihre Meinung dazu schon sehr interessieren. – Danke für die Aufmerk­samkeit. (Beifall bei der FPÖ.)

16.09


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Stöger. – Bitte.

 


16.10.07

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé: Herr Präsident! Hohes Haus! Ich bin von der Sachlichkeit dieser Diskussion begeistert. Das ist, glaube ich, sehr wichtig, und das habe ich auch sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen. Ich wollte Frau Bundesrätin Rosa Ecker mitteilen, dass wir im Rahmen der Wiedereinführung des Fachkräftestipendiums schon die Möglichkeit haben, Pflegekräf­te auszubilden. Wir haben die neuen Berufe, sie haben einen neuen Namen, aber wir haben diese Berufe auch darin beinhaltet, und das AMS hat natürlich das Interesse, Men­schen, die arbeitslos sind, in Berufen auszubilden, die gebraucht werden – Pflege wird gebraucht, und daher werden sehr viele in diesem Bereich ausgebildet.

Ich sage aber auch dazu, es ist schon auch eine Aufgabe der Arbeitgeber; und wenn umgekehrt die Länder oder die Sozialhilfeverbände Arbeitgeber sind, ist auch für die Aus­bildung zu sorgen. Wir sind aber vom AMS aufgefordert und tun das auch, diese Per­sonen zu unterstützen. Mir ist es lieber, in Ausbildung zu investieren, weil es letztend­lich der Gesamtheit nützt, und da sind Arbeitslosengelder gut eingesetzt. Also wir sind in jeder Kooperation gerne dazu bereit.

Ich habe auch das Projekt Selbständig Leben Daheim angesprochen, wobei wir ganz bewusst sagen, dass Sozialhilfeverbände und all diese Einrichtungen auf die Ak­tion 20.000 zurückgreifen können. Das ist genau das, was wir machen wollen.

Ich kann nicht auf alles eingehen. Ich glaube, dass es wichtig war – und das sage ich aus meiner alten Funktion heraus –, keinen Facharzt für Geriatrie eingeführt zu haben, sondern dass wir ganz deutlich gesagt haben, wir wollen, dass sich in Zukunft bei der neuen Ärzte-Ausbildungsordnung die Allgemeinmediziner, Frau Bundesrätin Reiter, ganz bewusst und verstärkt auch mit der Frage der Schmerzbehandlung, mit der Frage der Geriatrie auseinandersetzen müssen, und das muss jeder Allgemeinmediziner, jede All­gemeinmedizinerin auch können. Daher ist es so wichtig, dass man gerade in diesem Bereich die Qualität auch erhöht.

Ich bedanke mich auch bei Bundesrat Tiefnig. Er hat sehr genau beschrieben, wie schwierig das oft für Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in den Gemeinden ist, auch die Finanzierung betreffend. Ich sage das ein bisschen flapsig, aber man sollte sich auch einmal anschauen, wie der Innerlandesfinanzausgleich stattfindet. Da sind die Gemein­den manchmal überfordert, wenn Sie mich persönlich fragen, gerade in der Krankenan­staltenfinanzierung. Die Gemeinden sind zu entlasten, dann haben sie in der Pflegefi­nanzierung mehr Luft. Das ist auch etwas, bei dem man in der Gemeinde viel mitge­stalten kann, da können Bürgermeisterinnen und Bürgermeister auch einiges gestalten.

Jetzt komme ich zu dem Punkt, wie wir mit der Wertschätzung des Pflegepersonals umgehen. Ich glaube, auch das ist wichtig. Es wurden einige Bereiche in der Ausbil­dung geschaffen, in denen wir versuchen, diese Pflegeberufe aufzuwerten. Der zweite


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Schritt ist natürlich, zu hinterfragen, in welcher Lohngruppe sie in den Ländern einge­ordnet sind. Dazu sage ich jetzt ganz freundlich: Da ist schon Luft nach oben! Ich möchte es so ausdrücken: Man differenziert bei drei Juristen sieben Lohngruppen, in der Pfle­ge ist das nicht so. Da kann man also schon hinschauen, das ist auch eine Angele­genheit, die man berücksichtigen sollte.

Was die bundeseinheitliche Lösung betrifft, bin ich jetzt ganz ehrlich und ganz offen. Die österreichische Bundesverfassung lässt es einfach nicht zu, dass ein Bundesminis­ter einem Land einen Brief schreibt und sagt: Jetzt gebt mir Informationen für den Bun­desrat! Da heißt es nämlich dann: Das muss ich nicht tun! Und der Hofrat sagt darauf: Und Zeit habe ich auch keine! – Und dann bekomme ich keine Antwort. Sie haben nichts davon und ich habe nichts davon, wenn ich dem Bundesrat halbfertige Berichte gebe; das ist nicht gescheit.

Wenn Sie das wollen ich sage das, denn ich habe das sehr oft erlebt, weil ich schon lange im Geschäft bin –, dann machen wir es gescheit! Gescheit ist Folgendes, aber das werdet ihr nicht wollen (allgemeine Heiterkeit): Sie ändern die Bundesverfassung und sagen, Pflegeangelegenheiten sind eine Angelegenheit des Artikels 11, zuständig ist die Bundesgesetzgebung, zuständig für die Vollziehung sind die Länder. – Das kann man tun, es braucht dazu aber eine Änderung der Bundesverfassung. Zweitens: Sie schreiben in den Artikel 11 auch hinein, dass der zuständige Bundesminister das Recht hat, in regelmäßigen Abständen Berichte einzufordern.

Wenn das in der Bundesverfassung steht, mache ich das gerne, wenn so ein Antrag kommt. Alles andere entspricht nicht der österreichischen Bundesverfassung, und an die­se bin ich gebunden. Es besteht auch die Möglichkeit, wenn ich die Geschäftsordnung des Bundesrates richtig lese, dass man die Landeshauptleute hierher einlädt und sie um einen Bericht ersucht. (Allgemeiner Beifall.)

16.16


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Gibt es noch weitere Wortmeldungen? (Bundesrat Ham­merl hebt die Hand.)

Zu Wort gelangt nun Herr Bundesrat Hammerl. – Bitte.

 


16.16.25

Bundesrat Gregor Hammerl (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Minister! Meine Da­men und Herren! Danke für diese super Diskussion! Ich muss mich zu Wort melden. Ich führe in der Steiermark das Hilfswerk Steiermark und habe dort knapp 1 500 Ange­stellte. Ich habe 18 Jahre das Stiftspflegeheim in Admont geführt und Gott sei Dank nie Vorkommnisse gehabt. Es wurde von Frau Dr. Reiter heute schon gesagt, es ist alles ein menschliches Problem. Es wird nie ganz auszumerzen sein, dass da und dort et­was passiert.

Herr Minister – wir können alle nachschauen –, wir haben in Österreich das beste Pfle­gesystem Europas, wir haben das höchste Pflegegeld der ganzen Welt! Wo es auch bei mir im Hilfswerk hapert – und ich möchte es ganz kurz erwähnen –, das ist der Bereich Demenz.

Ich war vor zwei Monaten in Finnland und habe mir dort die Demenzpflegeheime ange­schaut. Ist man dort dement, kommt man in dieses Pflegeheim und kann sich frei be­wegen. Man bekommt ein Band und es gibt einen Bildbereich; wenn man dann drei, vier, fünf Kilometer weit weggeht, scheint das dort grün auf, und man wird zurückgeholt. Es gibt eine Sauna, es gibt Tennisplätze, es gibt Büchereien, alles. Da sind wir noch nicht so weit, aber da müssen wir irgendwie hinkommen, damit wir Demenzkranke nicht so an­schauen – Grüß Gott! –, und der ist nicht mehr da!

Ich möchte Ihnen ein Beispiel erzählen. Sie werden ihn kennen. Ich betreue derzeit ei­nen Herrn, der auch hier im Bundesrat war. Vor circa 14 Tagen ist der Herr zu Hause


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 130

gestürzt und ist in ein Pflegeheim gekommen, er war in einem Einzelzimmer, und er konnte nicht telefonieren, denn das Telefon wurde ihm abgenommen. Er nimmt die Ak­tentasche und geht nach Hause. Er ist von dort weg, die Polizei musste ihn suchen. Was glauben Sie, wohin er dann gekommen ist? – Auf die geschlossene Abteilung des Landessonderkrankenhauses. Es war für mich ganz schwierig, ihn von dort wieder he­rauszuholen. Wissen Sie, Demenz ist nicht vorübergehend. Er ist jetzt in einem Zu­stand, in dem wir schauen, dass er untergebracht wird, aber es ist eine Katastrophe.

Bei uns im Hilfswerk betreuen wir täglich circa 3 000 Frauen und Männer. Bei diesen 3 000 sind circa 180 Demenzkranke dabei, bei manchen ist die Demenz nicht schwer, bei vielen ist sie schwer. Wenn es zu Hause in der 24-Stunden-Betreuung und in der Hauskrankenpflege nicht funktioniert, was macht man mit dem Kranken? – Man geht ins zuständige Pflegeheim und sagt: Guten Tag, Grüß Gott! Ich habe den Herrn Müller hier! – Was fehlt ihm? – Er hat Demenz. – Ja, es geht nicht. – Warum? – Wir haben zu we­nig Personal, wir sind schon überlastet.

Das muss in Zukunft in Österreich unser Schwerpunkt werden. Demenz, das ist weit weg gewesen, wir haben uns nie darum gekümmert. Meine Großmutter ist 98 Jahre alt geworden, mein Großvater 92 Jahre, und meine Mutter hat mit 80 Jahren Demenz be­kommen, und das tut weh, wenn Sie als Sohn hören, Sie hätten alles gestohlen. Sie meinte, ich habe das Geldtascherl gestohlen, ich habe das Sparbuch gestohlen, ich ha­be sogar die Wäsche für meine Freundinnen gestohlen. – Das zu verstehen, ist ganz schwierig. Das ist es, und das ist die Tatsache!

Jetzt komme ich dazu, was wir in dem ganzen Bereich ändern können, meine Damen und Herren! Ich war vor circa drei Jahren Präsident des Bundesrates, eingeladen bei der Landeshauptleutekonferenz. Da durfte man dieses Thema ansprechen! Dieses The­ma wurde auch, keine Frage, damals diskutiert. Dann gibt es eine Landeshauptleute­konferenz, dort kommst du als Präsident des Bundesrates nicht hin, weil: Was willst denn du da drinnen tun?

Die Landeshauptleutekonferenz ist ja auch ein Bereich mit null Kompetenz, und sie ist gesetzlich nirgendwo verankert. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Dort gehört dieses Thema hin, Freunde! Dort muss diskutiert werden (allgemeiner Beifall), dann kön­nen wir in Zukunft auch über einen Personalschlüssel, über A und B und über den Re­gress diskutieren.

In der Steiermark hatten wir drei Jahre lang den Regress, alles musste bezahlt werden. Ich bin damals in den Landtag zurückgegangen, Hermann Schützenhöfer hat zu mir ge­sagt: Lieber Gregor, du gehst zurück in den Landtag! Du bist immer gegen diesen Re­gress gewesen und bringst den Antrag gemeinsam mit Landesrat Mag. Christopher Drex­ler ein. – Jetzt ist die Stimmung in den Bundesländern wieder in die Richtung, dass wir einen Regress einführen. – Richtig, Herr Minister, wir brauchen diesen ... (Bundesrat Samt: Drei Anträge von uns in der Steiermark habt ihr abgelehnt, also lassen wir die Kirche im Dorf! – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) – Ja, sicher, aber Landesrat Chris­topher Drexler hat es dann gemacht, richtig!

Herr Minister, eine Frage habe ich noch zur Aktion 20.000. Die Aktion 20.000 ist ein Musterstück, wenn das mit den Arbeitslosen funktioniert. Herr Landesrat Flecker – du kennst ihn gut, ein guter Soziallandesrat – hatte dieses Thema in der Steiermark über. Wir haben 72 Frauen und Männer als Pflegehelfer ausgebildet, weil wir sie gebraucht haben – die Volkshilfe, das Rote Kreuz und so weiter. Großartig, und das hat nicht we­nig Geld gekostet! Von den 72 haben dann tatsächlich 17 den Beruf Pflegehelfer ange­nommen, weil man vorher nicht gefragt und sich nicht überlegt hat: Bin ich überhaupt fähig, diese Pflege zu übernehmen, auch wenn ich bereits 50 bin? – Eine gute Ge­schichte, aber es wird schwer werden! Passen wir auf, dass wir wirklich mit den Men­schen sprechen, ob sie diesen Beruf ausüben wollen, ja oder nein!


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 131

Herr Minister, danke! Darüber hinaus gratuliere ich noch einmal allen Damen und Her­ren, die heute diskutiert haben. Ich bin sicher, die Landtagspräsidentenkonferenz und die Landeshauptleutekonferenz werden sich damit einmal befassen. Herr Minister, Sie werden darauf schauen. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

16.22


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Herr Bundesrat Hammerl, bevor ich der nächsten Red­nerin das Wort erteile, darf ich hinzufügen, dass unsere Frau Präsidentin gerade jetzt bei der Landeshauptleutekonferenz in Tirol ist und das Thema natürlich auch zur Spra­che bringt.

Als nächste Rednerin gelangt Frau Bundesrätin Stöckl-Wolkerstorfer zu Wort. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


16.22.16

Bundesrätin Angela Stöckl-Wolkerstorfer (ÖVP, Niederösterreich): Nur ganz kurz in Richtung Kollegen Jenewein: Wir sprechen nicht von 24-Stunden-Pflege, sondern von 24-Stunden-Betreuung; da gibt es einen Unterschied. – Danke. (Bundesrätin Mühlwerth: Danke schön!)

16.22

16.22.29

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Somit liegen keine weiteren Wortmeldungen dazu mehr vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Es liegt ein Antrag der Bundesrätin Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Behebung der Pflegeheimmisere vor.

Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenminderheit. Der Antrag auf Fassung der gegen­ständlichen Entschließung ist daher abgelehnt.

16.23.06Dringliche Anfrage

der Bundesräte David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesmi­nister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien betreffend Vergaberechtsre­formgesetz 2017 (3240/J-BR/2017)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über die Dring­liche Anfrage der Bundesräte Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen an den Herrn Bun­desminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien.

Da die Dringliche Anfrage inzwischen allen Mitgliedern des Bundesrates zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch die Schriftführung.

Ich erteile Herrn Bundesrat Stögmüller als erstem Anfragesteller zur Begründung der An­frage das Wort.

 


16.23.34

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Wertes Präsidium! Sehr geehr­ter Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir stellen heute eigentlich an Herrn Minister Drozda eine Dringliche Anfrage betreffend das Vergaberechtsreform­gesetz 2017. Nun ist Herr Minister Drozda in Italien; aber mir ist es, ehrlich gesagt, nicht zuwider, dass Sie, Herr Minister Stöger, heute hier sind – ganz im Gegenteil! Es ist mir sogar recht, denn gerade Sie als ehemaliger Obmann der Gebietskrankenkasse Oberösterreich können das aus der Praxis einschätzen und wissen die Vorteile eines ef­fizienten Rettungssystems auch in Oberösterreich, wie ich meine, sehr zu schätzen.


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 132

Dieses Gesetz wird im Zuge der Umsetzung der Vergabe- und Konzessionsrichtlinie der Europäischen Union in Österreich grundlegend erneuert. Uns geht es bei dieser Dring­lichen Anfrage um einen Punkt in diesem Gesetz, nämlich um den Punkt des Rettungs­dienstes.

Österreich besitzt – das kann ich als langjähriger freiwilliger und beruflicher Mitarbeiter bei einer Rettungsorganisation bestätigen – eines der umfassendsten und erfolgreichs­ten Rettungs- und Katastrophensysteme in Europa. Ein Grund dafür sind die vielen freiwillig engagierten Menschen, die tagtäglich kostenlos ihren Dienst an der Gesell­schaft leisten, egal ob bei der freiwilligen Feuerwehr, der Rettung oder natürlich in den vielen anderen engagierten Vereinen in ganz Österreich.

Österreich hat mehr als 50 000 aktive freiwillige RettungssanitäterInnen, die ihren Dienst bei Organisationen wie dem Roten Kreuz, dem Arbeiter-Samariter-Bund, der Johan­niter-Unfall-Hilfe oder beim Malteser Hospitaldienst leisten. Alle diese Menschen, egal ob jung oder alt, machen dies freiwillig und aus Überzeugung, weil gemeinsames Hel­fen und Engagement verbindet und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft in den Ge­meinden stärkt. Genau das würden wir meiner Meinung nach wieder viel mehr in unse­rer Gesellschaft brauchen: Zusammenhalt und gemeinsam für die anderen Menschen da sein, gemeinsam, generationsübergreifend zum Wohle der Gesellschaft zusammen­arbeiten, denn durch dieses freiwillige Engagement kann sichergestellt werden, dass es auch in den entlegensten Tälern, in den peripheren Regionen Österreichs eine Ret­tungsversorgung gibt.

Sicherlich wäre für eine gewinnorientierte private Rettungsorganisation der Rettungs­dienst in Linz, in Bregenz oder in Salzburg aus ökonomischer Sicht interessant, aber denken wir an die kleinen Dörfer, denken wir an die kleinen Dienststellen! Herr Minis­ter, ich glaube, Sie kommen aus dem Mühlviertel, aus der Nähe von Tragwein: Würde es sich dort auszahlen, wenn man nicht so viele Fahrten hat, diese aber dennoch für die unmittelbare regionale prämedizinische Versorgung notwendig und wichtig sind? – Entweder würde die Versorgungsqualität sinken oder der Preis für die öffentliche Hand würde enorm steigen – und Sie wissen aus Ihrer Zeit bei der Gebietskrankenkasse, was die Rettung bekommt und was die Preise einer privaten Rettungsorganisation be­deuten würden.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Katastrophenabwehr, insbesondere bei Großscha­denseinsätzen und Großeinsätzen. Da liefern die gemeinnützigen Organisationen einen wichtigen Beitrag, denn ohne die Ehrenamtlichkeit, ohne die freiwilligen, engagierten Men­schen lassen sich solche Ereignisse, wenn überhaupt, nur schwer bewältigen.

Damit dieses System funktioniert, arbeiten unsere Organisationen in einer Art von Ret­tungsverbundsystem. Das heißt, da werden notärztliche Notfallrettung, nicht notärztli­che Notfallrettung, Sanitätseinsätze und Ambulanzdienste zusammengefasst, wodurch qualifizierte und leistbare rettungsdienstliche Versorgung in allen, auch in strukturschwa­chen Regionen in ganz Österreich geboten wird und die Menschen versorgt werden kön­nen.

Was hat das alles mit dem Vergaberechtsreformgesetz zu tun? – Wie schon gesagt, Ös­terreich wird das Vergaberecht grundlegend erneuern, und die österreichische Bundes­regierung, insbesondere das Bundeskanzleramt, hat einen Gesetzentwurf vorgestellt, in dem die Vergaben in Österreich neu geregelt werden. Auch hat der europäische Ge­setzgeber explizit eine Ausnahme vom Vergaberegime für die von gemeinnützigen Or­ganisationen erbrachten Notfalldienste vorgesehen. Dies hat auch im § 9 Abs. 1 Z 16 des Entwurfes des Vergaberechtsreformgesetzes 2017 seinen Niederschlag gefunden.

Ausgenommen von der Vergabe bleibt in der österreichischen Gesetzesvorlage – das ist genau der Knackpunkt in der ganzen Geschichte – der Einsatz „von Krankenwagen


BundesratStenographisches Protokoll867. Sitzung / Seite 133

zur Patientenbeförderung“. Das trifft aber auf einen Großteil der Rettungsfahrten zu, wenn wir ehrlich sind. Gerade auf dem Land trifft das zum Großteil zu, wo weite Stre­cken zurückzulegen sind, wo die Menschen – wir haben es gerade in der Pflegediskus­sion gehört – oft noch zu Hause leben, von 24-Stunden-Kräften versorgt werden, von den Familienangehörigen gepflegt werden und auch während des Transports sanitäts­dienstliche Versorgung benötigen. Um genau diese Menschen geht es, denn diese Men­schen sind oftmals abhängig von einem dichten Rettungsnetz, und die Organisationen können diese Qualität der Versorgung nur durch ein Verbundsystem, das aus allen Tei­len der Rettungskette besteht, gewährleisten.

Lassen Sie mich erwähnen, dass es bei dieser Sache wirklich um ein ernstes Thema geht: Der Rot-Kreuz-Präsident von Oberösterreich – Sie werden ihn kennen, es ist Wal­ter Aichinger, ehemaliger Soziallandesrat der ÖVP in Oberösterreich – hat am Montag den Weltrotkreuztag in Oberösterreich begangen. Dort habe ich auch einen Kollegen von der ÖVP gesehen, und ich denke, auch viele andere von Ihnen sind schon öfter bei irgendwelchen Bezirksversammlungen dabei gewesen, haben das Rote Kreuz oder auch den Samariterbund geehrt, haben die Leistungen, das ehrenamtliche Engage­ment, die vielen geleisteten Stunden bemerkt. Jetzt geht es um etwas! Wir müssen ak­tiv werden, wir müssen einschreiten! Bei der Vorlage, die jetzt vorliegt, geht es um un­ser Rettungssystem, wie wir es kennen, und wir hier müssen wirklich aktiv daran ar­beiten, dieses zu beschützen.

Wir Grüne möchten von Ihnen, Herr Minister Stöger, in Vertretung von Herrn Minister Drozda, heute erfahren, was Sie vorhaben. Was hat die Bundesregierung vor? Möch­ten Sie das Verbundsystem filetieren und gewinnorientierte Organisationen und Unter­nehmen wie zum Beispiel Falck, ein Aktienunternehmen, einen Aktienkonzern aus Dä­nemark, auf unseren Markt bringen – dieser Gedanke ist nicht unbegründet, denn ich erinnere nur an die Situation in Tirol, als europaweit ausgeschrieben wurde und Falck sich hineingedrängt, den Preis massiv gedrückt hat und dann irgendetwas herausge­kommen ist; ich möchte das gar nicht weiter kommentieren – und unsere ehrenamtli­chen Strukturen und die Versorgungsqualität in Österreich gefährden? – Das ist schon ein Punkt!

Wenn das nicht der Fall ist – und das hoffe ich doch, gerade von der Sozialdemokra­tischen Partei –, dann möchte ich aber auch gerne wissen, wie Sie das mit der Vorla­ge, die uns vorliegt, machen möchten.

Ich bin schon gespannt auf Ihre Antworten, Herr Minister, und freue mich darauf. – Vie­len Dank. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

16.30


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: In Vertretung des Bundesministers für Kunst und Kul­tur, Verfassung und Medien Mag. Drozda hat sich Herr Bundesminister für Arbeit, So­ziales und Konsumentenschutz Alois Stöger zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


16.30.49

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé: Herr Präsident! Hohes Haus! Ich darf mich im Namen von Bundesminister Drozda ent­schuldigen: Er ist in seiner Rolle als Kulturminister bei der Biennale tätig und hat dort die österreichischen Interessen zu vertreten und die österreichischen Künstler zu moti­vieren.

Es ist mir eine Freude, hier diese Anfrage zu beantworten, weil es tatsächlich so ist, dass ich viele Erfahrungen gerade betreffend die Sicherung von Rettungsmaßnahmen, von Versorgung gemacht habe, und ich bin ja persönlich oft im Clinch mit relativ res­triktiven Ausschreibungs- und Vergabegesetzen. Auch ich persönlich vertrete durchaus die Auffassung, dass Vergabegesetze manchmal andere politische Zielsetzungen ver­folgen als jene, für die sie gedacht sind.


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Es gibt aber Regelungen, die wir von der Europäischen Union bekommen, und wir müs­sen diese Regelungen auch entsprechend umsetzen. Daher legen wir in der Bundesre­gierung und insbesondere das Bundeskanzleramt im Zuge der Umsetzung der Verga­berichtlinie der Europäischen Union großes Augenmerk darauf, dass die in Österreich etablierten und bewährten Systeme der freiwilligen Mitwirkung unserer Bürgerinnen und Bürger erhalten bleiben. (Beifall bei der SPÖ.)

Das Bundeskanzleramt und die gesamte Bundesregierung nehmen die Anliegen der Blaulichtorganisationen im Zusammenhang mit dem Vergaberecht sehr, sehr ernst. Wir haben daher im Umsetzungsprozess frühzeitig Kontakt mit den Rettungsorganisationen gesucht, um deren Anliegen bei der Umsetzung der Richtlinien bestmöglich berücksich­tigen zu können. Es fanden auch mehrere Gespräche statt, deren Ergebnisse in den Ge­setzentwurf eingeflossen sind.

Im Unterschied zum geltenden Vergaberecht sehen die nun umzusetzenden Vergabe­richtlinien der Europäischen Union einen neuen Ausnahmetatbestand vor, der so bis­her nicht bestanden hat. Darin wird klargestellt, dass Rettungsdienste und der Einsatz von Krankenwagen nicht ausschreibungsbedürftig sind. Das neue Bundesvergabege­setz wird diesen Ausnahmetatbestand 1 : 1 übernehmen, wobei in der Umsetzung da­rauf geachtet wird, dass die vom Unionsrecht gewährten Spielräume maximal – maxi­mal! – ausgenützt werden.

Gleichzeitig ist aber auch zu betonen, dass die vielfach gewünschte Generalausnahme für das Rettungsverbundsystem österreichischer Prägung nach Auskunft der Europäi­schen Union unionsrechtlich nicht zulässig wäre. Bestimmte, von der Rettungsorgani­sation neben den Notfalldiensten erbrachte Dienstleistungen, wie zum Beispiel der rei­ne Transport von Patienten – ich sage jetzt einmal: Taxifahrten (Bundesrat Stögmül­ler: Ja!) –, unterliegen zwingend dem unionsrechtlichen Vergabegesetz und damit auch dem Bundesvergabegesetz. Ich möchte aber noch einmal versichern, dass das Bun­deskanzleramt und die Bundesregierung im Rahmen des unionsrechtlich Zulässigen alle Maßnahmen setzen, um den Anliegen der Rettungsorganisationen in Bezug auf das neue Vergaberecht nachzukommen.

Zu den Fragen im Einzelnen:

Frage 1 geht dahin, welche Leistungen dem Begriff des Bundesvergabegesetzes un­terliegen:

Unter den Begriff des „Einsatzes von Krankenwagen zur Patientenbeförderung“ fallen nach Auffassung der Bundesregierung jene nicht zeitkritischen Transportleistungen von Personen, die von Krankenwagen durchgeführt werden, aber auch durch sonstige ge­werbliche Transportunternehmen, zum Beispiel durch Taxis, erfolgen könnten. Festzu­halten ist, dass die Auslegung des neuen Ausnahmetatbestandes der Richtlinien und somit auch des geplanten Bundesvergabegesetzes in verbindlicher Weise letztendlich ausschließlich durch den Europäischen Gerichtshof erfolgen kann.

Zur Frage 2:

Ein „qualifizierter Krankentransport“ und damit ein Transport von Personen, die einer durch­gehenden sanitätsdienstlichen oder ärztlichen Betreuung während der Fahrt bedürfen, fällt nach Auffassung der Bundesregierung unter die zukünftige Ausnahmebestimmung des Bundesvergabegesetzes und unterliegt daher nicht dem Vergaberegime. Gleiches gilt für den Transport von Personen, der aus gesundheitlichen Gründen nur in be­stimmter Weise, zum Beispiel liegend oder im Krankensessel, erfolgen kann, bei dem eine sanitätsdienstliche Betreuung während des Transportes erforderlich ist und diese Art des Transportes nicht mit einem Pkw oder Taxi durchgeführt werden kann. Diese Leistungen fallen bereits aufgrund des in der Ausnahmeregelung zitierten CPV-Codes


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nicht in die Anwendung des Bundesvergabegesetzes. Dies wird auch in den Erläute­rungen zum Gesetz nochmals verdeutlicht.

Zur Frage 3:

Der Einsatz von Krankenwagen zur Patientenbeförderung ist nach dem System der Vergaberichtlinien als „Landtransportdienstleistung“ zu qualifizieren. Nach dem System des Unionsrechts handelt es sich dabei nicht um eine sogenannte besondere Dienst­leistung, für die das erleichterte Vergaberegime der §§ 151 ff zur Anwendung kommt.

Zur Frage 4:

Art. 77 der Vergaberichtlinie 2014/24/EU soll in § 152 umgesetzt werden. Damit wird dem überwiegenden Wunsch der maßgeblichen Organisationen im Sozialbereich Rech­nung getragen, die die Verankerung dieser Option im Gesetz befürwortet haben. Im Üb­rigen entspricht dies auch dem Ansatz der Bundesregierung, bei der Umsetzung von Unionsrecht die von diesem eingeräumten Möglichkeiten zu nutzen, sofern damit natio­nalen Besonderheiten Rechnung getragen werden kann, und keine strengeren Rege­lungen in der Umsetzungsgesetzgebung zu verankern, sofern dies nicht mit einem Mehr­wert für Österreich verbunden ist.

Da der Einsatz von Krankenwagen zur Personenbeförderung keine besondere Dienst­leistung ist – ich habe das zu Frage 3 schon gesagt –, ist das Regime des Art. 77 der Richtlinie beziehungsweise § 152 auf diese Leistungen nicht anwendbar.

Der Vollständigkeit halber merke ich Folgendes an: Wenn besondere Dienstleistungen an partizipatorische Organisationen vergeben werden, dann kommt das vereinfachte Re­gime des Art. 77 der Vergaberichtlinie zur Anwendung. Dabei können Verträge mit ei­ner Laufzeit von drei Jahren vergeben werden, und es sind – nach erneuter Ausschrei­bung – Kettenverträge mit demselben Dienstleister zulässig.

Zur Frage 5:

Ich verweise auf meine einleitenden Ausführungen.

Herzlichen Dank. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

16.38


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Ich mache darauf aufmerksam, dass gemäß § 61 Abs. 7 der Geschäftsordnung die Re­dezeit eines jeden Bundesrates mit insgesamt 20 Minuten begrenzt ist – also man darf 20 Minuten reden, aber man muss nicht. (Allgemeine Heiterkeit.)

Als Erster hat sich Herr Bundesrat Stögmüller zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


16.39.09

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Minister, vielen Dank für die Antworten. In einigen Punkten waren sie doch aufschlussreich, weil wir schon, gerade was die Sanitätseinsatztransporte betrifft, sehr froh sind, dass diese nicht betroffen sind.

Was mir aber noch immer ein bisschen unklar ist, ist Folgendes: Bei Frage 4 haben Sie gesagt, dass trotzdem umgesetzt werden soll, das heißt, dass man drei Jahre Pause hat, nachdem für drei Jahre vergeben worden ist – aber da frage ich noch einmal mit ei­ner parlamentarischen Anfrage genau nach.

Wie gesagt, ich bin froh, dass wir Antworten haben, da ich glaube, dass wir unseren Rettungsdienst wirklich schützen müssen. (Vizepräsidentin Winkler übernimmt den Vor­sitz.)

Daher bringe ich auch einen Entschließungsantrag ein, da ich glaube, dass wir in der Länderkammer gemeinsam den Rettungsdienst achten müssen, damit es – wenn die Re-


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gierungsvorlage umgesetzt wird, muss das geregelt werden – zu keiner Verschlechte­rung für unsere Patientinnen und Patienten in allen Regionen, auch in den peripheren kommt:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Erhalt des etablierten Rettungsverbundsystems

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfas­sung und Medien, wird ersucht, dem Nationalrat eine gesetzliche Grundlage im Rah­men des Vergaberechtsreformgesetzes vorzulegen, in dem die Versorgung aller Re­gionen Österreichs durch das bewährte Rettungssystem mit den zahlreichen ehren­amtlichen HelferInnen bestmöglich zu gewährleisten ist und es zu keiner Versorgungs­verschlechterung für die PatientInnen kommen wird.“

*****

Ich bitte daher alle Bundesratsfraktionen, diesem Entschließungsantrag zuzustimmen. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

16.41


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Der von den Bundesräten Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend Erhalt des etablierten Rettungs­verbundsystems ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mayer. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


16.41.25

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht um die EU-Richtlinie, das hat Herr Kollege Stögmüller schon angekündigt und angedeutet, und diese soll mit dem Vergaberechtsreformgesetz 2017 in nationales Recht übergehen.

Die EU-Richtlinie sieht natürlich Ausnahmen für gemeinnützige Organisationen vor, wie der Herr Minister ausgeführt hat. Allerdings – und das hat man meiner Meinung nach ein wenig abgefedert – gibt es für die Rettungsdienste auch eine große Rechtsunsicher­heit, und diese betrifft alle Rettungsorganisationen, nicht nur das Rote Kreuz, sondern auch die anderen Rettungsorganisationen wie zum Beispiel den Arbeiter-Samariter-Bund. Dessen Präsident Franz Schnabl hat gesagt, er befürchtet, dass durch die Kommerzia­lisierung der Wegfall von 50 000 ehrenamtlichen, medizinisch gut ausgebildeten Sani­täterInnen, die im Rettungsdienst und in der Katastrophenhilfe tätig sind, droht. Wenn man an dieses Potenzial von Ehrenamt denkt, dann ist das natürlich schon kritisch.

Johannes Bucher, der Präsident der Johanniter-Unfall-Hilfe, hat ähnliche Bedenken ge­äußert, auch der Kommandant des Malteser Hospitaldienstes Olivier Loudon. Das geht quer durch alle Rettungsorganisationen, ohne dass man das durch eine parteipolitische Brille sieht. Die Rettungsorganisationen haben wirklich massive Bedenken angemeldet.

Es geht jetzt auch nicht darum, Minister Drozda in die Ziehung zu nehmen, und ich neh­me das auch bewusst aus, weil wir bei der Übernahme von EU-Vorgaben manchmal zu sogenanntem Gold Plating tendieren. Das stellt übrigens auch das Amt der Wiener Landesregierung fest, das sagt: „Umso mehr sollte sich die Bundesgesetzgebung im Sinne der Bemühungen um Budgetkonsolidierung und Verwaltungsvereinfachung be-


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mühen, eine überschießende Richtlinienumsetzung („gold plating“) und potenzielle Ziel­konflikte infolge Überfrachtung des Bundesvergabegesetzes zu vermeiden.“ – Das sagt die Wiener Landesregierung. Auch die Niederösterreichische Landesregierung hat das in ihrer Stellungnahme kritisiert. Es hat übrigens 77 Stellungnahmen gegeben.

Herr Minister, ich bin aber trotzdem froh, dass wir in zwei Bereichen quasi eine Abfe­derung und eine Änderung haben und sagen können, das ist nicht so, wie es in diesem ersten Entwurf war, weil sich diese 77 Stellungnahmen wirklich intensiv damit ausein­andergesetzt haben. Es gibt natürlich nicht nur von den Ländern, sondern auch von ver­schiedensten Institutionen klare Vorgaben.

Auch der ÖGB sagt in seiner Stellungnahme: „Zur Wahrung des in Österreich üblichen Verbundsystems aus Rettung- und Krankentransport ist klarzustellen, dass [...] jene qua­lifizierten Krankentransporte, die aufgrund ärztlicher Anordnung des Einsatzes von Sa­nitätern bedürfen, jedenfalls Dienstleistungsaufträge sind, die von der Anwendung des BVergG 2017 ausgenommen sind, sofern sie von nicht gewinnorientierten Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden. Wir weisen darauf hin, dass dieses Verbundsys­tem die bestmögliche und qualitativ höchstwertige Versorgung der Bevölkerung garan­tiert.“

Ich denke – das hat auch Kollege Stögmüller angedeutet –, dass es dabei wirklich um die Patienten geht, um deren Versorgung geht, auch in allen Regionen und allen Berei­chen. Das soll gewährleistet sein. Herr Minister, Sie haben als Krankenkassenchef und als Gesundheitsminister diese Problematik wahrscheinlich auch selbst aus nächster Nä­he mitbekommen.

Es gibt eine Petition des Roten Kreuzes, demnach sollen Notfallrettung, Sanitätsein­sätze und Ambulanztransporte vom selben Anbieter angeboten werden, um das Sys­tem finanzierbar zu halten, damit es sozusagen ein Rettungssystem aus einem Guss gibt. Das ist, denke ich, wichtig, da sollten wir wirklich alle Möglichkeiten ausschöpfen, die uns diese EU-Richtlinie gibt, natürlich zum Positiven für unsere Rettungsdienste und zum Schutz unserer Rettungsorganisationen.

Natürlich ist es ganz wichtig, dass wir auch den ehrenamtlichen Bereich stärken. Wie wir gehört haben, geht es um 50 000 Personen, die hervorragende Leistungen erbrin­gen, und um die Finanzierung eines gesamten Systems, das sehr stark auf ehrenamtli­cher Basis aufgebaut ist.

Meine Fraktion wird deshalb diesem Entschließungsantrag zustimmen, und wir freuen uns, wenn es im Rettungswesen einen Schulterschluss gibt, wenn alle Rettungsorgani­sationen an einem Strang ziehen, damit wir die Systeme in diesem Sinne finanzierbar halten. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie bei Bundesräten der Grünen.)

16.47


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Todt. – Bitte.

 


16.47.16

Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Mein Kollege Mayer hat auf die umfangreichen Stellungnahmen zu diesem Gesetz bereits hingewiesen, es gab ja sehr viele. Ich habe mir an sich drei angeschaut, und zwar jene vom Roten Kreuz, vom Arbeiter-Samariter-Bund und von den Johannitern, in denen ausführlich über die Thematik berichtet wird, sodass also klar ist, worum es geht. Viele dieser Stellungnahmen sind ja bereits im Regierungsentwurf be­rücksichtigt worden. – Danke, dass man sich ausführlich damit befasst hat.

Österreich ist bei der Versorgung durch Blaulichtorganisationen etwas ganz Besonde­res. Bei uns gibt es in den Organisationen, und das macht das Besondere aus, Freiwil-


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ligenarbeit, bezahlte Mitarbeiter und Zivildiener – hervorragend ausgebildete Menschen, die dieses System aufrechterhalten. Die Reform des Vergaberechts stellt daher eine be­sondere Herausforderung für Österreich dar. Es geht dabei um die hohen Standards, die wir haben, die die Blaulichtorganisationen eingerichtet haben und gewährleisten. Die Blaulichtorganisationen leisten ganz hervorragende Arbeit. – Herzlichen Dank für diese Arbeit und dieses Tun! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und Grü­nen.)

Es ist ja noch nicht alles erledigt, die Vergaberechtsreform liegt ja noch im zuständigen Ausschuss des Nationalrates. Es gibt daher noch eine Reihe von Möglichkeiten, Ver­änderungen und Verbesserungen herbeizuführen und die offenen Fragen entsprechend zu beantworten. Ich bin davon überzeugt, dass die Bundesregierung und die Abgeord­neten des Nationalrates dafür Sorge tragen werden, dass es zu einem vernünftigen Ge­setz kommen wird.

Selbstverständlich werden auch wir diesen Antrag unterstützen, denn es geht dabei um die Menschen in Österreich und es geht um die ausgezeichnete Arbeit, die bereits ge­leistet wird. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

16.50


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Die nächste Wortmeldung kommt von Frau Bundes­rätin Mühlwerth. – Bitte.

 


16.50.34

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kollegen! Der Ausgangspunkt, nicht für die heutige Dis­kussion, sondern für ein Vergabegesetz überhaupt, war ja die Vergaberichtlinie. Private Rettungsdienste haben sich bei der EU beschwert und gesagt, sie haben keinen Zu­gang, das sei ein abgeschotteter Markt. Das war der Ausgangspunkt vor 2008. Damals, 2008, ist gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet worden und 2010 hat der EuGH gegen Deutschland entschieden und gesagt: Nein, private Rettungs­dienste müssen zugelassen werden, und es muss ein EU-weites Ausschreibungsverfah­ren geben.

Es ist sicher kein Thema, eine Art Krankentaxi EU-weit auszuschreiben und das durch­aus auch Privaten zu überlassen. Darin sehe ich nicht so ein Problem. Was aber schon von allen Kollegen vor mir gesagt worden ist, ist, dass unser Rettungssystem wirklich toll ausgebaut ist, und zwar flächendeckend in ganz Österreich.

Edgar Mayer als Vorsitzender des EU-Ausschusses wird sich noch erinnern, als wir im EU-Ausschuss über den Katastrophenschutz gesprochen haben. (Bundesrat Mayer: Ja!) Damals hat die EU gemeint, das müsse man EU-weit vereinheitlichen, jeder muss das quasi übernehmen. Das hätte aber, wie schon so oft, dazu geführt, dass wir unse­ren Standard hätten herunterfahren müssen, weil wir ja in vielen Dingen ein viel höhe­res Niveau haben als andere. Wir waren uns damals über alle Parteigrenzen hinweg einig, dass es durchaus sinnvoll ist, einander zu informieren, einen gewissen Standard zu haben – für jene Länder, die das noch nicht haben –, aber es kann nicht sein, dass unser Standard berührt wird, indem er reduziert werden muss.

So ähnlich sehe ich das auch beim Sanitätswesen. Ich habe gerade den Katastrophen­schutz angesprochen: Wir wissen, dass sich unser Rettungs- oder Sanitätswesen auch in Katastrophen schon bewährt hat. Da stellt sich die Frage, ob private Rettungsdiens­te, wenn es denn so käme, wie die Europäische Union sich das vorstellt, bei einem Zug­unglück die Kapazitäten hätten, auch wirklich mit den Rettungswagen hinzukommen. Das bezweifle ich wirklich sehr.

Daher ist es wichtig und daher unterstützen wir auch, dass wir darauf schauen, dass un­ser gutes System erhalten bleibt, ohne dass man sagt: Wir sind ein abgeschotteter Raum,


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in den überhaupt keiner hineinkann, nicht einmal der Krankentaxifahrer, wenn ich das so nennen darf, darf da hinein. – Das ist schon in Ordnung, aber man muss das wirk­lich mit Maß und Ziel machen. (Allgemeiner Beifall.)

16.53


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Lindner. – Bitte.

 


16.53.49

Bundesrat Mario Lindner (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bun­desminister, vorweg darf ich mich bei dir bedanken, denn du bist ja wirklich Dauergast bei uns im Bundesrat, und heute bist du schon extrem lange da. – Herzlichen Dank da­für! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP und Grünen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ich darf mich bei den Grünen und speziell bei David Stögmüller für diese Dringliche An­frage und auch für den Entschließungsantrag bedanken. Es wurde ja schon gesagt, dass wir eines der besten Rettungssysteme in Europa haben. Ich möchte kein Spielverder­ber sein, wir sind eh recht gut, aber wir könnten immer noch ein bisschen besser wer­den. Ich glaube, das muss man sich vornehmen.

Gerade im Rettungswesen ist es sehr spannend, die einzelnen Bundesländer und die einzelnen Rettungsorganisationen zu vergleichen. Es ist nämlich schier unmöglich, das zu machen, weil wir in den einzelnen Bundesländern und Organisationen unterschied­liche Regelungen haben.

Ich darf ganz kurz auf die Steiermark eingehen: Man muss wissen, dass die Gemein­den in der Steiermark pro Einwohnerin und Einwohner 9 €, den sogenannten Rettungs­euro, zahlen müssen. Das Bundesland Steiermark verdoppelt das Ganze dann, sprich noch einmal 9 €, damit diese ganze Rettungsgeschichte und Katastrophenschutzge­schichte quasi funktioniert. 18 € pro Einwohnerin und Einwohner werden in der Steier­mark für dieses System aufgebracht.

Wenn man sich das Rote Kreuz anschaut – ich nenne jetzt ganz bewusst das Rote Kreuz, weil ich selbst seit 17 Jahren ehrenamtlicher Sanitäter bin, stellvertretender Orts­stellenleiter und seit Kurzem stellvertretender Bezirksstellenleiter bei uns im Bezirk –, dann muss man schon sagen: Nicht alle Organisationen haben ihre Hausaufgaben ge­macht und ihre Hausaufgaben erfüllt.

Was meine ich damit? – Man kann sagen, dass das Österreichische Rote Kreuz in der Steiermark in Summe sehr, sehr viel Geld einnimmt, das die Gemeinden und das Land Steiermark zahlen. Das stimmt für gewisse Bereiche voll und ganz, für andere Berei­che überhaupt nicht. Was meine ich damit? – In Graz, das viele Einwohnerinnen und Einwohner und sehr kurze Strecken in das nächste Krankenhaus hat, könnte man ket­zerisch sagen, verdient sich das Rote Kreuz dumm und deppert.

Ich nehme meinen Bezirk her: 80 000 Einwohner, flächenmäßig der größte Österreichs, man braucht unglaublich viele Kilometer und viel Zeit, um ins nächste Krankenhaus zu kommen. So gut kann keine einzige Rettungsorganisation sein, um in meinem Bezirk jemals im Plus sein zu können, ganz egal, wer es macht. Man hat ja dieses Experiment ohnedies schon einmal mit dem Grünen Kreuz gemacht, die geglaubt haben, sie neh­men sich die Gustostückerln im Bezirk Liezen heraus, und gnadenlos daran gescheitert sind.

Ein ganz interessantes System haben wir bei uns im Bezirk auch noch, das ist die Feu­erwehr und Rettungsabteilung Admont, die besteht nämlich wirklich noch zu 100 Pro­zent aus ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wenn man nur Ehrenamtli­che hat, dann funktioniert es schon noch, dass sich das rechnet.


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Das Rote Kreuz muss, glaube ich, auch zugeben, dass es nicht mehr nur mit ehren­amtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern funktioniert. Es gibt auf allen Dienststel­len – das kann ich von meinem Bezirk sagen – mittlerweile hauptamtliche Mitarbeiterin­nen und Mitarbeiter; meine eigene war wirklich eine der letzten, sie ist über 30 Jahre lang ehrenamtlich geführt worden, damit war sie auch im Plus. Nur: Die Ehrenamtlich­keit ist zurückgegangen, das muss man ganz offen und ehrlich sagen. (Bundesrat Stög­müller: Wie überall!) – Wie überall! In Summe ist sie, wenn ich das mit vor 30 Jahren vergleiche, zurückgegangen. (Bundesrat Mayer: Du bist zu viel in Wien!) – Ich bin eh draußen, ich spreche ganz konkret von meinem Bezirk. Man muss ganz konkret sehen, dass es dadurch teurer wird.

Welche Schwierigkeiten haben wir noch? – Das Rote Kreuz Steiermark erklärt mir, dass die Hilfsfrist von 15 Minuten zu 90 Prozent eingehalten wird. Das stimmt auch, aber von diesen 10 Prozent, die übrig bleiben, betreffen 7 Prozent meinen eigenen Bezirk, in dem wir das nicht einhalten, weil die Wege einfach zu weit sind, weil die Straßen­verhältnisse nicht gut sind und es überhaupt, wenn man an den Winter denkt, sehr, sehr chaotisch ist.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass, wenn man das EU-weit ausschreibt, speziell für meinen Bezirk, irgendein Privater auf die Idee käme, sich bereit zu erklären, den Kran­kentransport im Bezirk Liezen zu machen. Darüber muss man nachdenken: Wie geht man mit Regionen in Österreich um, in denen das so nicht ganz funktioniert?

Es gibt mittlerweile das System in der Steiermark, dass vom Roten Kreuz alle Autos gesteuert werden und die Aufträge direkt an die Autos gespielt werden. Das bedeutet, wenn wir einen Krankentransport gehabt haben und von Leoben zurück in meine ei­gene Region fahren und in der Gemeinde Eisenerz, die eigentlich nicht unser typisches Einsatzgebiet ist, jemand einen Herzinfarkt oder was auch immer erleidet, wird das nächstgelegene Auto dorthin geschickt. Zuerst haben wir einen normalen Krankentrans­port gemacht, den in gewissen Fällen selbstverständlich auch ein Taxiunternehmer ma­chen kann, und auf dem Weg zurück befindet man sich in einem echten Rettungsein­satz. Das sieht man bei den Privaten natürlich überhaupt nicht.

Wir sollten uns auch darüber Gedanken machen, wie man in Zukunft – weil Edgar Mayer das angesprochen hat – den ehrenamtlichen Bereich stärken kann. Ich bewundere wir-klich jeden und jede, die sich dazu bereit erklären, für Einsatzorganisationen freiwillig zur Verfügung zu stehen. Wenn man sich aber mittlerweile gewisse Vorgaben, im Sani­tätergesetz zum Beispiel, anschaut, was die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mit­arbeiter zu leisten haben, dann muss man sagen, das ist zum Teil wirklich fast nicht mehr machbar.

Ich denke jetzt speziell an die älteren Kolleginnen und Kollegen, die zum Teil wirklich schon 30, 40, 50 Jahre lang ehrenamtlich Dienst verrichten. Alles wird digitalisiert, die Autos werden auch digitalisiert, man muss irgendwelche Kästchen bedienen – die kön­nen das nicht mehr! Sie sagen zu Recht: Nicht böse sein, aber nach 30, 40 Jahren Dienst ist jetzt aufgrund der technischen Entwicklung der Punkt erreicht, an dem es nicht mehr geht.

Denken wir auch an die qualifizierten Krankentransporte beim Roten Kreuz! Wir haben ganz viele rüstige Pensionistinnen und Pensionisten; damit sie aber mit einem Auto beim Roten Kreuz fahren dürfen, müssen sie die Sanitätsausbildung machen. Im End­effekt machen sie fast nichts anderes, als im Auto zu sitzen und einen Patienten von A nach B zu bringen. Dafür würde eine etwas weniger fachspezifische Ausbildung auch ausreichen. Überlegen wir einen 16-Stunden-Erste-Hilfe-Kurs oder von mir aus einen 32-Stunden-Erste-Hilfe-Kurs, aber reden wir doch nicht von 160 Stunden Theorie und zu­sätzlich dann auch noch 160 Stunden Praxis!


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Ich meine, die Rettungsorganisationen können selbst auch ein bisschen etwas dafür tun, damit das System, das wirklich hervorragend und eines der besten in Europa ist, noch besser wird. Wir können natürlich darüber reden, ob wir Bestbieter statt Billigst­bieter nehmen, aber wenn wir von Bestbietern ausgehen, müssen wir die Kriterien fest­legen, und das könnte wahrscheinlich wieder schwierig sein. Wie sind die Vorgaben? Wie sind die Regelungen? Wie sind die Qualitätsstandards? – Das festzulegen, braucht es in diesem Fall. Die Stellungnahmen der Einsatzorganisationen liegen vor, und das Bundeskanzleramt hat auch zugesagt, dass es wirklich darauf schauen wird, dass un­sere Einsatzorganisationen das in Zukunft machen werden.

Abschließend bleibt mir noch Folgendes zu sagen: Ich bedanke mich bei den Zigtau­senden freiwilligen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus ganz Öster­reich, denn ohne sie würde es wirklich nicht funktionieren.

Und dir, lieber David, sei gesagt: Unsere Fraktion wird selbstverständlich auch dem Ent­schließungsantrag zustimmen. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

17.02

17.02.29

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Erhalt des etablierten Rettungsverbundsystems vor.

Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Hand­zeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag auf Fassung der gegen­ständlichen Entschließung ist daher angenommen. (E 250-BR/2017.)

17.03.15Einlauf

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Ich gebe noch bekannt, dass seit der letzten bezie­hungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt neun Anfragen, 3233/J-BR/2017 bis 3241/J-BR/2017, eingebracht wurden.

*****

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Wege er­folgen. Als Sitzungstermin wird Donnerstag, der 1. Juni 2017, 9 Uhr, in Aussicht genom­men.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen insbesondere jene Beschlüsse in Be­tracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit diese dem Ein­spruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Ausschussvorberatungen sind für Dienstag, den 30. Mai, 14 Uhr, vorgesehen.

Diese Sitzung ist geschlossen.

17.04.03Schluss der Sitzung: 17.04 Uhr

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