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Plenarsitzung
des Nationalrates


Stenographisches Protokoll

 

45. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

Mittwoch, 8. Juli 2020

 

XXVII. Gesetzgebungsperiode

 

 

 

Großer Redoutensaal

 


Stenographisches Protokoll

45. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

XXVII. Gesetzgebungsperiode                           Mittwoch, 8. Juli 2020

Dauer der Sitzung

Mittwoch, 8. Juli 2020: 9.07 – 22.51 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Arbeits­marktservicegesetz, das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 und das Arbeits­markt­förderungsgesetz geändert werden

2. Punkt: Bericht und Antrag über den Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz geändert wird

3. Punkt: Bericht über den Antrag 685/A(E) der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend Arbeitsmarktreform, zeitliche Staffelung des Ar­beitslosengeldes

4. Punkt: Bericht über den Antrag 684/A(E) der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend Arbeitsmarktreform – Reform aktive Arbeitsmarkt­politik

5. Punkt: Bericht über den Antrag 675/A(E) der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend Arbeitsmarktreform – Einführung eines Weiterbil­dungskontos

6. Punkt: Bericht über den Antrag 715/A(E) der Abgeordneten Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Maßnahmenpaket gegen die sektorale Arbeits­losigkeit in Österreich

7. Punkt: Bericht über den Antrag 646/A(E) der Abgeordneten Josef Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausbildungsgarantie für junge Menschen in Zeiten von Corona

8. Punkt: Bericht über den Antrag 703/A der Abgeordneten August Wöginger, Josef Muchitsch, Mag. Markus Koza, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz geändert wird

9. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Ge­werbliche Sozialversicherungsgesetz und das Bauern-Sozialversicherungsgesetz geän­dert werden


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10. Punkt: Bericht über den Antrag 610/A(E) der Abgeordneten Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausführungsgesetze zum Sozialhilfe-Grundsatz­gesetz und Adaptierung des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes in COVID-19-Zeiten

11. Punkt: Bericht über den Antrag 624/A(E) der Abgeordneten Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Bundesgenossenschaft für Pflege und Betreuung

12. Punkt: Bericht über den Antrag 647/A(E) der Abgeordneten Sabine Schatz, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend Pflegegeld-Einstufung von Demenzerkrankten

13. Punkt: Bericht über den Antrag 708/A der Abgeordneten August Wöginger, Mag. Mar­kus Koza, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Alterssicherungskommissions-Gesetz geändert wird

14. Punkt: Bericht über den Antrag 709/A der Abgeordneten Mag. Romana Deckenbacher, Mag. Markus Koza, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Pensionsgesetz 1965 und das Bundesbahn-Pensionsgesetz geändert werden

15. Punkt: Bericht über den Antrag 705/A(E) der Abgeordneten Ralph Schallmeiner, Gabriela Schwarz, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ärztegesetz 1998 geändert wird (Ärztegesetz-Novelle 2020)

16. Punkt: Bericht über den Antrag 706/A der Abgeordneten Ralph Schallmeiner, Gabriela Schwarz, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ärztegesetz 1998 geändert wird (Ärztegesetz-Novelle 2020)

17. Punkt: Bericht über den Antrag 707/A der Abgeordneten Gabriela Schwarz, Ralph Schallmeiner, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wird

18. Punkt: Bericht über den Antrag 566/A der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Alkoholsteuer­gesetz geändert wird

19. Punkt: Bericht über den Antrag 207/A(E) der Abgeordneten Ing. Markus Vogl, Kolleginnen und Kollegen betreffend schuldnerfreundliche Regelungen im Bereich der Inkassogebühren

20. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Grundbuchsgesetz 1955, das Grundbuchsumstellungsgesetz und das Wohnungseigentumsgesetz 2002 geändert werden (Grundbuchs-Novelle 2020 – GB-Nov 2020)

21. Punkt: Bericht über den Antrag 644/A der Abgeordneten Mag. Wolfgang Sobotka, Sabine Schatz, Mag. Eva Blimlinger, Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus geändert wird

22. Punkt: Bundesgesetz, mit dem ein Investitionskontrollgesetz erlassen und das Außenwirtschaftsgesetz 2011 geändert wird

23. Punkt: Bundesgesetz, mit dem die Gewerbeordnung 1994 geändert wird (Geldwäschenovelle 2020)

24. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Wirtschaftstreuhandberufsgesetz 2017 geändert wird

25. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bilanzbuchhaltungsgesetz 2014 geändert wird

26. Punkt: Bericht über den Antrag 621/A(E) der Abgeordneten Martina Kaufmann, MMSc BA, Süleyman Zorba, Kolleginnen und Kollegen betreffend die Sicherung der


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betrieblichen und überbetrieblichen Lehrlingsausbildung in Österreich vor Auswirkungen der Covid-19-Krise in Bezug auf den Lehrstellenmarkt

27. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Energieeffizienzgesetz geändert wird

28. Punkt: Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) über die Errich­tung des Internationalen Zentrums für die Förderung von Menschenrechten auf lokaler und regionaler Ebene unter der Schirmherrschaft der UNESCO (Kategorie 2) in Graz (Österreich)

29. Punkt: Satzung der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien (IRENA) samt Erklärung der Konferenz

30. Punkt: Bericht über den Antrag 529/A(E) der Abgeordneten Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Kolleginnen und Kollegen betreffend die aktuelle politische und menschenrechtliche Situation in Venezuela

31. Punkt: Bericht über den Antrag 721/A(E) der Abgeordneten Dr. Gudrun Kugler, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Kolleginnen und Kollegen betreffend Sonderbeauftragter der Europäischen Kommission für Religionsfreiheit

32. Punkt: Bericht über den Antrag 346/A(E) der Abgeordneten Yannick Shetty, Kolleginnen und Kollegen betreffend Strikte Ablehnung jeglicher Form von Homophobie und politischer Hetze gegen LGBT-Personen

33. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Auslandsösterreicher-Fonds (AÖF-G) geändert wird

34. Punkt: Bericht über den Antrag 569/A(E) der Abgeordneten Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Reinhold Lopatka, Kolleginnen und Kollegen betreffend Errichtung eines österreichi­schen zivilen Friedensdienstes als Instrument aktiver Friedenspolitik

35. Punkt: Bericht über den Antrag 726/A(E) der Abgeordneten Dr. Harald Troch, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend Verurteilung der türkischen Luftangriffe im Nordirak

36. Punkt: Bericht über den Antrag 543/A(E) der Abgeordneten Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Harald Troch, MMMag. Dr. Axel Kassegger, Michael Bernhard, Kolleginnen und Kollegen betreffend Anerkennung der deutschsprachigen Volksgruppe in Slowenien

*****

Inhalt

Personalien

Verhinderungen .............................................................................................................. 18

Geschäftsbehandlung

Antrag der Abgeordneten MMag. Dr. Hubert Fuchs, Kai Jan Krainer, Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer, Kolleginnen und Kollegen, dem Geschäftsordnungs­ausschuss zur Berichterstattung über den Antrag 421/A der Abgeordneten Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc, Herbert Kickl, Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES, Kolleginnen und Kollegen betreffend „ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) und das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des


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Nationalrates (Geschäftsordnungsgesetz 1975) geändert werden“, gemäß § 43 Abs. 1 GOG eine Frist bis 13. Juli 2020 zu setzen – Ablehnung ..........................................................................................  45, 279

Absehen von der 24-stündigen Frist für das Aufliegen des schriftlichen Aus­schussberichtes 341 d.B. gemäß § 44 (2) GOG ..................................................................................................... 45

Redezeitbeschränkung nach Beratung in der Präsidialkonferenz gemäß § 57 Abs. 5 GOG      ............................................................................................................................... 45

Unterbrechung der Sitzung ........................................................................................ 105

Antrag der Abgeordneten Josef Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen, den Be­richt des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (284 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerb­liche Sozialversicherungsgesetz und das Bauern-Sozialversicherungsgesetz ge­ändert werden (326 d.B.), gemäß § 73 Abs. 3 Z 2 GOG an den Ausschuss für Arbeit und Soziales rückzuverweisen – Ablehnung ......................................  112, 112

Fragestunde (2.)

EU und Verfassung ...................................................................................................... 18

Mag. Wolfgang Gerstl (14/M); Mag. Philipp Schrangl, Dr. Nikolaus Scherak, MA

Mag. Jörg Leichtfried (24/M); Dr. Christian Stocker, Mag. Christian Ragger

Petra Steger (18/M); Dr. Helmut Brandstätter, Irene Neumann-Hartberger

Dr. Ewa Ernst-Dziedzic (27/M); Petra Bayr, MA MLS, Dr. Reinhold Lopatka

Dr. Nikolaus Scherak, MA (22/M)

Dr. Reinhold Lopatka (15/M); Michel Reimon, MBA, Julia Elisabeth Herr

Mag. Christian Drobits (25/M)

Dr. Susanne Fürst (19/M); Katharina Kucharowits

Mag. Agnes Sirkka Prammer (28/M)

Dr. Helmut Brandstätter (23/M); Mag. Nina Tomaselli

Martina Kaufmann, MMSc BA (16/M)

Eva Maria Holzleitner, BSc (26/M); Andreas Minnich

Nico Marchetti (17/M)

Dringlicher Antrag

der Abgeordneten Eva Maria Holzleitner, BSc, Kolleginnen und Kollegen be­treffend „Lehrlingsgarantie in Zeiten von Corona“ (769/A)(E) ................................................................................. 137

Begründung: Eva Maria Holzleitner, BSc .................................................................. 138

Bundesministerin Mag. (FH) Christine Aschbacher .............................................. 143

Debatte:

Klaus Köchl ............................................................................................................. ... 146

Martina Kaufmann, MMSc BA ............................................................................... ... 148


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Erwin Angerer ......................................................................................................... ... 149

Süleyman Zorba ...................................................................................................... ... 152

Mag. Gerald Loacker .............................................................................................. ... 153

Mag. Dr. Sonja Hammerschmid ............................................................................ ... 157

Christoph Zarits ...................................................................................................... ... 158

Peter Wurm ................................................................................................................. 159

Barbara Neßler ............................................................................................................ 161

Yannick Shetty ............................................................................................................ 162

Dr. Christoph Matznetter ........................................................................................... 164

Claudia Plakolm .......................................................................................................... 165

Dr. Dagmar Belakowitsch .......................................................................................... 167

Mag. Markus Koza .................................................................................................. ... 169

Mag. Martina Künsberg Sarre ............................................................................... ... 171

Julia Elisabeth Herr ................................................................................................ ... 172

Karl Schmidhofer .................................................................................................... ... 173

Mag. Hannes Amesbauer, BA ............................................................................... ... 174

Entschließungsantrag der Abgeordneten Erwin Angerer, Kolleginnen und Kolle­gen betreffend „Lehrlingspaket für Österreichs Lehrlinge – Wiedereinführung des Blum-Bonus“ – Ablehnung     151, 176

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Flexibleres Arbeiten“ – Ablehnung ....................................................................  155, 176

Ablehnung des Selbständigen Entschließungsantrages 769/A(E) ............................. 176

Verhandlungen

Gemeinsame Beratung über

1. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungs­vorlage (285 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Arbeitslosenversiche­rungs­ge­setz 1977, das Arbeitsmarktservicegesetz, das Familienlastenausgleichs­gesetz 1967 und das Arbeitsmarktförderungsgesetz geändert werden (319 d.B.) ......................................................................................................................................... 46

2. Punkt: Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungs­gesetz geändert wird (320 d.B.)          ............................................................................................................................... 46

3. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 685/A(E) der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend Arbeitsmarktreform, zeitliche Staffelung des Arbeitslosengeldes (321 d.B.) ........................................................................................ 46

4. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 684/A(E) der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend Arbeitsmarktreform – Reform aktive Arbeitsmarktpolitik (322 d.B.) ......................................................................................... 46

5. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 675/A(E) der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend Arbeitsmarktreform – Einführung eines Weiterbildungskontos (323 d.B.) .................................................................................... 46

6. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 715/A(E) der Abgeordneten Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Maßnahmenpaket gegen die sektorale Arbeitslosigkeit in Österreich (324 d.B.) ........................................................................ 46

7. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 646/A(E) der Abgeordneten Josef Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausbil­dungsgarantie für junge Menschen in Zeiten von Corona (325 d.B.) .................................................................................................... 47


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RednerInnen:

Josef Muchitsch ...................................................................................................... ..... 47

August Wöginger .................................................................................................... ..... 48

Peter Wurm .............................................................................................................. ..... 50

Mag. Markus Koza .................................................................................................. ..... 54

Mag. Gerald Loacker .............................................................................................. ..... 55

Norbert Sieber ......................................................................................................... ..... 58

Alois Stöger, diplômé .................................................................................................. 58

Barbara Neßler .............................................................................................................. 61

Edith Mühlberghuber .............................................................................................. ..... 61

Bundesministerin Mag. (FH) Christine Aschbacher ........................................... ..... 64

Rebecca Kirchbaumer ............................................................................................ ..... 66

Fiona Fiedler, BEd .................................................................................................. ..... 69

Mag. Klaus Fürlinger .............................................................................................. ..... 69

Julia Elisabeth Herr ................................................................................................ ..... 70

Dr. Dagmar Belakowitsch ...................................................................................... ..... 71

Michael Bernhard .................................................................................................... ..... 73

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Belakowitsch, Kollegin­nen und Kollegen betreffend „Erhöhung der Nettoersatzrate beim Bezug des Arbeitslosengeldes (COVID-19-Maßnahme)“ – Ablehnung ....................................................................................  52, 113

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend „zusätzliches Personal beim AMS“ – Ablehnung ..................................................  57, 113

Entschließungsantrag der Abgeordneten Edith Mühlberghuber, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Verdoppelung der Familienbeihilfe in Monaten mit coronabedingter Schulschließung“ – Ablehnung       62, 113

Entschließungsantrag der Abgeordneten Michael Bernhard, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Treffsichere Corona Familienhärtefonds“ – Ablehnung ......................................  74, 113

Annahme der beiden Gesetzentwürfe in 319 und 320 d.B. ........................................ 112

Kenntnisnahme der fünf Ausschussberichte 321, 322, 323, 324 und 325 d.B. .......... 114

8. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 703/A der Abgeordneten August Wöginger, Josef Muchitsch, Mag. Markus Koza, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz geändert wird (261 d.B.)      ............................................................................................................................... 75

RednerInnen:

Laurenz Pöttinger ................................................................................................... ..... 75

Josef Muchitsch ...................................................................................................... ..... 76

Dr. Dagmar Belakowitsch ...................................................................................... ..... 80

Annahme des Gesetzentwurfes in 261 d.B. ................................................................ 114

9. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungs­vorlage (284 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungs­gesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz und das Bauern-Sozialver­sicherungsgesetz geändert werden (326 d.B.)     ............................................................................................................................... 81

RednerInnen:

Ing. Markus Vogl ..................................................................................................... ..... 82

Bettina Zopf ............................................................................................................. ..... 83

Mag. Gerald Loacker .............................................................................................. ..... 84

Michael Schnedlitz .................................................................................................. ..... 85


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Mag. Christian Drobits ........................................................................................... ..... 86

Clemens Stammler ................................................................................................. ..... 87

Ing. Josef Hechenberger ........................................................................................ ..... 88

Peter Schmiedlechner ............................................................................................ ..... 89

Bundesminister Rudolf Anschober ...................................................................... ..... 92

Entschließungsantrag der Abgeordneten Peter Schmiedlechner, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Ersatzlose Streichung des fiktiven Ausgedinges“ – Ablehnung ..........................  91, 115

Annahme des Gesetzentwurfes in 326 d.B. ................................................................ 115

Gemeinsame Beratung über

10. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den An­trag 610/A(E) der Abgeordneten Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kolle­gen betreffend Ausführungsgesetze zum Sozialhilfe-Grundsatzgesetz und Adap­tierung des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes in COVID-19-Zeiten (262 d.B.) ........................................................................................................................ 94

11. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den An­trag 624/A(E) der Abgeordneten Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kolle­gen betreffend Bundesgenossenschaft für Pflege und Betreuung (263 d.B.) .............................................................................. 94

12. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den An­trag 647/A(E) der Abgeordneten Sabine Schatz, Kolleginnen und Kollegen betref­fend Pflegegeld-Einstufung von Demenzerkrankten (264 d.B.) ........................................................................................ 94

RednerInnen:

Gabriele Heinisch-Hosek ....................................................................................... ..... 94

Dr. Dagmar Belakowitsch ...................................................................................... ..... 95

Mag. Markus Koza .................................................................................................. ..... 97

Dr. Dagmar Belakowitsch (tatsächliche Berichtigung) ................................................ 98

Sabine Schatz .......................................................................................................... ..... 98

Fiona Fiedler, BEd .................................................................................................. ..... 99

Christian Ries .......................................................................................................... ... 102

Ing. Mag. (FH) Alexandra Tanda ............................................................................ ... 103

Mag. Verena Nussbaum ......................................................................................... ... 104

Mag. Michael Hammer ............................................................................................ ... 104

Mag. Christian Ragger ............................................................................................ ... 105

Entschließungsantrag der Abgeordneten Fiona Fiedler, BEd, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Abrechnungskatalog für die Primärversorgungspflege mit der Sozialversicherung“ – Ablehnung              100, 116

Kenntnisnahme der drei Ausschussberichte 262, 263 und 264 d.B. .......................... 115

Gemeinsame Beratung über

13. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den An­trag 708/A der Abgeordneten August Wöginger, Mag. Markus Koza, Kolleginnen und Kolle­gen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Alterssicherungskommissions-Gesetz geändert wird (265 d.B.) .......................... 106

14. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 709/A der Abgeordneten Mag. Romana Deckenbacher, Mag. Markus Koza, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Pensionsgesetz 1965 und das Bundesbahn-Pensionsgesetz geändert werden (266 d.B.) ......................................................................................................... 107


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RednerInnen:

Mag. Gerald Loacker .............................................................................................. ... 107

Rebecca Kirchbaumer ............................................................................................ ... 108

Alois Stöger, diplômé ............................................................................................. ... 108

Mag. Markus Koza .................................................................................................. ... 109

Mag. Romana Deckenbacher ................................................................................. ... 110

Bettina Zopf ............................................................................................................. ... 111

Peter Wurm .............................................................................................................. ... 111

Annahme der beiden Gesetzentwürfe in 265 und 266 d.B. ........................................ 116

Gemeinsame Beratung über

15. Punkt: Bericht des Gesundheitsausschusses über den Antrag 705/A(E) der Abgeordneten Ralph Schallmeiner, Gabriela Schwarz, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ärztegesetz 1998 geändert wird (Ärzte­gesetz-Novelle 2020) (292 d.B.) .................... 116

16. Punkt: Bericht des Gesundheitsausschusses über den Antrag 706/A der Ab­geordneten Ralph Schallmeiner, Gabriela Schwarz, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ärztegesetz 1998 geändert wird (Ärztegesetz-Novelle 2020) (293 d.B.) .................... 116

RednerInnen:

Ralph Schallmeiner ................................................................................................ ... 117

Philip Kucher ........................................................................................................... ... 118

Mag. Gerhard Kaniak .............................................................................................. ... 119

Dr. Werner Saxinger, MSc ...................................................................................... ... 124

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Gerhard Kaniak, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Gesundheitspolitische Initiativen für die Stärkung des niedergelassenen Bereichs“ – Ablehnung            121, 135

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Gerhard Kaniak, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Facharztausbildung für Kieferorthopädie in Österreich“ – Ablehnung ..............  122, 135

Annahme der dem schriftlichen Ausschussbericht 292 d.B. beigedruckten Ent­schließung betreffend „ein Bundesgesetz, mit dem das Ärztegesetz 1998 geändert wird (Ärztegesetz-Novelle 2020)“ (70/E)           ............................................................................................................................. 134

Annahme des Gesetzentwurfes in 293 d.B. ................................................................ 135

17. Punkt: Bericht des Gesundheitsausschusses über den Antrag 707/A der Abgeordneten Gabriela Schwarz, Ralph Schallmeiner, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wird (294 d.B.) ............................... 126

RednerInnen:

Rudolf Silvan ........................................................................................................... ... 126

Ralph Schallmeiner ................................................................................................ ... 127

Mag. Gerhard Kaniak .............................................................................................. ... 128

Gabriela Schwarz .................................................................................................... ... 129

Mag. Verena Nussbaum ......................................................................................... ... 130

Annahme des Gesetzentwurfes in 294 d.B. ................................................................ 135


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18. Punkt: Bericht des Gesundheitsausschusses über den Antrag 566/A der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Alkoholsteuergesetz geändert wird (295 d.B.) ............................................................................................... 131

RednerInnen:

Alois Schroll ............................................................................................................ ... 131

Martina Diesner-Wais ............................................................................................. ... 132

Mag. Gerhard Kaniak .............................................................................................. ... 132

Fiona Fiedler, BEd .................................................................................................. ... 133

Kenntnisnahme des Ausschussberichtes 295 d.B. ..................................................... 135

19. Punkt: Bericht des Ausschusses für Konsumentenschutz über den An­trag 207/A(E) der Abgeordneten Ing. Markus Vogl, Kolleginnen und Kollegen betreffend schuldnerfreundliche Regelungen im Bereich der Inkassogebühren (275 d.B.) ................................................................ 135

RednerInnen:

Ing. Markus Vogl ..................................................................................................... ... 136

Mag. Ulrike Fischer ................................................................................................. ... 176

Peter Wurm .............................................................................................................. ... 177

Mag. Peter Weidinger ............................................................................................. ... 178

Petra Wimmer .......................................................................................................... ... 179

Mag. Felix Eypeltauer ............................................................................................. ... 180

Andreas Minnich ........................................................................................................ 181

Ing. Mag. (FH) Alexandra Tanda ............................................................................... 181

Kenntnisnahme des Ausschussberichtes 275 d.B. hinsichtlich des Antra­ges 207/A(E)         ............................................................................................................................. 182

Annahme der dem schriftlichen Ausschussbericht 275 d.B. beigedruckten Ent­schließung betreffend „transparente, rechtssichere und angemessene Regelun­gen im Bereich der Inkassogebühren“ (71/E) ............................................................................................................................. 182

20. Punkt: Bericht des Justizausschusses über die Regierungsvorlage (223 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Grundbuchsgesetz 1955, das Grund­buchsumstellungsgesetz und das Wohnungseigentumsgesetz 2002 geändert werden (Grundbuchs-Novelle 2020 – GB-Nov 2020) (296 d.B.) ...................................................................................................................... 182

RednerInnen:

Mag. Agnes Sirkka Prammer ................................................................................. ... 182

Mag. Selma Yildirim ................................................................................................ ... 183

Ing. Mag. Volker Reifenberger ............................................................................... ... 185

Mag. Johanna Jachs ............................................................................................... ... 188

Dr. Johannes Margreiter ........................................................................................ ... 189

Bundesministerin Dr. Alma Zadić, LL.M. ............................................................. ... 189

Dr. Harald Troch ...................................................................................................... ... 191

Mag. Corinna Scharzenberger .............................................................................. ... 191

Annahme des Gesetzentwurfes in 296 d.B. ................................................................ 192

21. Punkt: Bericht des Verfassungsausschusses über den Antrag 644/A der Abgeordneten Mag. Wolfgang Sobotka, Sabine Schatz, Mag. Eva Blimlinger, Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus geändert wird (341 d.B.) ..................... 193

RednerInnen:


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 10

Dr. Susanne Fürst ................................................................................................... ... 193

Mag. Martin Engelberg ........................................................................................... ... 197

Sabine Schatz .......................................................................................................... ... 199

Mag. Eva Blimlinger ................................................................................................ ... 200

Dr. Helmut Brandstätter ......................................................................................... ... 201

Irene Neumann-Hartberger .................................................................................... ... 203

Mag. Jörg Leichtfried ............................................................................................. ... 203

Herbert Kickl ............................................................................................................ ... 204

Mag. Wolfgang Sobotka ......................................................................................... ... 208

Annahme des Gesetzentwurfes in 341 d.B. ................................................................ 210

22. Punkt: Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über die Regierungsvorlage (240 d.B.): Bundesgesetz, mit dem ein Investitionskontroll­gesetz erlassen und das Außenwirtschaftsgesetz 2011 geändert wird (276 d.B.) ................................................. 210

RednerInnen:

Erwin Angerer ......................................................................................................... ... 210

Peter Haubner ......................................................................................................... ... 213

Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer ................................................................................. ... 214

Dr. Christoph Matznetter ........................................................................................ ... 217

Dr. Elisabeth Götze ................................................................................................. ... 218

Bundesministerin Dr. Margarete Schramböck .................................................... ... 220

Erwin Angerer (tatsächliche Berichtigung) ................................................................. 221

Andreas Ottenschläger .......................................................................................... ... 222

Bundesministerin Leonore Gewessler, BA ......................................................... ... 222

Mag. Carmen Jeitler-Cincelli, BA .......................................................................... ... 223

Entschließungsantrag der Abgeordneten Erwin Angerer, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Genehmigungspflicht für alle in der Anlage zum Investitions­kontrollgesetz aufgelisteten Bereiche unbefristet und mit Erreichen oder Über­schreiten eines Mindestanteils an Stimmrechten von 10 %“ – Ablehnung ...........................................................................................................  211, 245

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer, Kolle­gin­nen und Kollegen betreffend „Auflösung der WK-Rücklagen gemäß den Vor­schlägen der ,Grünen Wirtschaft‘“ – Ablehnung ..............................................................................................................................  216, 246

Annahme des Gesetzentwurfes in 276 d.B. ................................................................ 245

Gemeinsame Beratung über

23. Punkt: Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über die Regierungsvorlage (106 d.B.): Bundesgesetz, mit dem die Gewerbeordnung 1994 geändert wird (Geldwäschenovelle 2020) (277 d.B.) ...................................................................................................................... 224

24. Punkt: Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über die Regierungsvorlage (107 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Wirtschaftstreu­hand­berufsgesetz 2017 geändert wird (278 d.B.) ....................................................................................................................................... 224

25. Punkt: Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über die Regierungsvorlage (109 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Bilanzbuchhaltungs­gesetz 2014 geändert wird (279 d.B.)          ............................................................................................................................. 224

RednerInnen:

Christoph Stark .......................................................................................................... 224

Maximilian Lercher ..................................................................................................... 225

Mag. Nina Tomaselli ................................................................................................... 226


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 11

Laurenz Pöttinger ................................................................................................... ... 227

Annahme der drei Gesetzentwürfe in 277, 278 und 279 d.B. ..................................... 246

26. Punkt: Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über den Antrag 621/A(E) der Abgeordneten Martina Kaufmann, MMSc BA, Süleyman Zorba, Kolleginnen und Kollegen betreffend die Sicherung der betrieblichen und überbetrieblichen Lehrlingsausbildung in Österreich vor Auswirkungen der Covid-19-Krise in Bezug auf den Lehrstellenmarkt (280 d.B.) .............................. 228

RednerInnen:

Klaus Köchl ............................................................................................................. ... 228

Martina Kaufmann, MMSc BA ............................................................................... ... 230

Pia Philippa Strache ............................................................................................... ... 231

Süleyman Zorba ...................................................................................................... ... 233

Franz Hörl ................................................................................................................ ... 233

Hermann Weratschnig, MBA MSc ......................................................................... ... 234

Bundesministerin Dr. Margarete Schramböck .................................................... ... 235

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Christoph Matznetter, Kollegin­nen und Kollegen betreffend „Lehrlingsgarantie in Zeiten von Corona“ – Ablehnung .........................................  229, 246

Annahme der dem schriftlichen Ausschussbericht 280 d.B. beigedruckten Ent­schließung betreffend „die Sicherung der betrieblichen und überbetrieblichen Lehrlingsausbildung in Österreich vor Auswirkungen der Covid-19-Krise in Bezug auf den Lehrstellenmarkt“ (72/E) ................................... 246

27. Punkt: Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über die Regierungsvorlage (68 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Energie­effi­zienzgesetz geändert wird (281 d.B.)               ............................................................................................................................. 236

RednerInnen:

Mag. Felix Eypeltauer ............................................................................................. ... 236

Tanja Graf ................................................................................................................ ... 237

Alois Schroll ............................................................................................................ ... 238

MMMag. Dr. Axel Kassegger ................................................................................. ... 241

Lukas Hammer ........................................................................................................ ... 241

Johann Höfinger ..................................................................................................... ... 243

Bundesministerin Leonore Gewessler, BA ......................................................... ... 244

Entschließungsantrag der Abgeordneten Alois Schroll, Kolleginnen und Kolle­gen betreffend „Hilfsfonds für gestundete Energiekosten“ – Ablehnung ....................................  240, 247

Annahme des Gesetzentwurfes in 281 d.B. ................................................................ 247

Gemeinsame Beratung über

28. Punkt: Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über die Regierungs­vor­lage (181 d.B.): Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Organi­sation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) über die Errichtung des Internationalen Zentrums für die Förderung von Men­schenrechten auf lokaler und regionaler Ebene unter der Schirmherrschaft der UNESCO (Kategorie 2) in Graz (Österreich) (298 d.B.) .............................................. 247

29. Punkt: Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über die Regierungs­vorlage (225 d.B.): Satzung der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien (IRENA) samt Erklärung der Konferenz (300 d.B.) ...................................................................................................................... 247


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 12

30. Punkt: Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über den Antrag 529/A(E) der Abgeordneten Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Kolleginnen und Kollegen betreffend die aktuelle politische und menschenrechtliche Situation in Venezuela (303 d.B.) ....................... 247

31. Punkt: Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über den Antrag 721/A(E) der Abgeordneten Dr. Gudrun Kugler, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Kolleginnen und Kollegen betreffend Sonderbeauftragter der Europäischen Kommission für Reli­gionsfreiheit (305 d.B.) ......................................... 247

32. Punkt: Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über den Antrag 346/A(E) der Abgeordneten Yannick Shetty, Kolleginnen und Kollegen betreffend Strikte Ablehnung jeglicher Form von Homophobie und politischer Hetze gegen LGBT-Personen (306 d.B.) ............................................ 247

RednerInnen:

Petra Bayr, MA MLS ................................................................................................... 248

Martina Kaufmann, MMSc BA ............................................................................... ... 249

MMMag. Dr. Axel Kassegger ................................................................................. ... 250

Mag. Faika El-Nagashi ............................................................................................ ... 251

Eva Maria Holzleitner, BSc .................................................................................... ... 252

Dr. Helmut Brandstätter ......................................................................................... ... 253

Bundesminister Mag. Alexander Schallenberg, LL.M. ....................................... ... 254

Dipl.-Ing. Nikolaus Berlakovich ............................................................................. ... 256

Michel Reimon, MBA .............................................................................................. ... 257

Yannick Shetty ............................................................................................................ 258

Dr. Reinhold Lopatka ................................................................................................. 259

Dr. Ewa Ernst-Dziedzic ........................................................................................... ... 260

Dr. Gudrun Kugler .................................................................................................. ... 263

Pia Philippa Strache ............................................................................................... ... 264

Bundesministerin Leonore Gewessler, BA ......................................................... ... 265

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Helmut Brandstätter, MMMag. Dr. Axel Kassegger, Kolleginnen und Kollegen betreffend „die politische und menschenrechtliche Situation in Hongkong“ – Annahme (74/E) .....................  261, 278

Genehmigung der beiden Staatsverträge in 298 und 300 d.B. ................................... 278

Annahme der dem schriftlichen Ausschussbericht 303 d.B. beigedruckten Ent­schließung betreffend „die aktuelle politische und menschenrechtliche Situation in Venezuela“ (73/E) ............... 278

Annahme der dem schriftlichen Ausschussbericht 305 d.B. beigedruckten Ent­schließung betreffend „Sonderbeauftragter der Europäischen Kommission für Religionsfreiheit“ (75/E) ...... 278

Kenntnisnahme des Ausschussberichtes 306 d.B. hinsichtlich des Antra­ges 346/A(E)         ............................................................................................................................. 278

Annahme der dem schriftlichen Ausschussbericht 306 d.B. beigedruckten Ent­schließung betreffend „Einsatz für LGTBIQ-Rechte in Polen“ (76/E) .............................................................. 278

33. Punkt: Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über die Regierungs­vor­lage (222 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Auslands­österreicher-Fonds (AÖF-G) geändert wird (299 d.B.) ...................................................................................................................... 265

RednerInnen:


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 13

Nico Marchetti ............................................................................................................. 265

Nurten Yılmaz ............................................................................................................. 266

MMMag. Dr. Axel Kassegger ................................................................................. ... 266

Dr. Ewa Ernst-Dziedzic ........................................................................................... ... 267

Bundesminister Mag. Alexander Schallenberg, LL.M. ....................................... ... 267

Henrike Brandstötter .............................................................................................. ... 268

Annahme des Gesetzentwurfes in 299 d.B. ................................................................ 279

Gemeinsame Beratung über

34. Punkt: Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über den Antrag 569/A(E) der Abgeordneten Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Reinhold Lopatka, Kolleginnen und Kollegen betreffend Errichtung eines österreichischen zivilen Friedensdienstes als Instrument aktiver Friedenspolitik (301 d.B.)          ............................................................................................................................. 270

35. Punkt: Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über den Antrag 726/A(E) der Abgeordneten Dr. Harald Troch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Verur­teilung der türkischen Luftangriffe im Nordirak (304 d.B.) ....................................................................................................... 270

RednerInnen:

Dr. Harald Troch ...................................................................................................... ... 270

Dr. Reinhold Lopatka .............................................................................................. ... 271

Dr. Ewa Ernst-Dziedzic ........................................................................................... ... 272

Berichterstatterin: Dr. Ewa Ernst-Dziedzic ................................................................ 272

Annahme der dem schriftlichen Ausschussbericht 301 d.B. beigedruckten Ent­schließung betreffend „Errichtung eines österreichischen zivilen Friedensdienstes als Instrument aktiver Friedenspolitik“ (77/E) ....................................................................................................................................... 279

Kenntnisnahme des Ausschussberichtes 304 d.B. hinsichtlich des Antra­ges 726/A(E)             ............................................................................................................................. 279

Annahme der dem schriftlichen Ausschussbericht 304 d.B. beigedruckten Ent­schließung betreffend „türkische Militäroperation im Nordirak im Juni 2020“ (78/E) .................................. 279

36. Punkt: Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über den Antrag 543/A(E) der Abgeordneten Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Harald Troch, MMMag. Dr. Axel Kassegger, Michael Bernhard, Kolleginnen und Kollegen betreffend Anerkennung der deutschsprachigen Volksgruppe in Slowenien (302 d.B.) .................................................................................................... 273

RednerInnen:

Dr. Reinhold Lopatka .............................................................................................. ... 273

Dr. Harald Troch ...................................................................................................... ... 274

MMMag. Dr. Axel Kassegger ................................................................................. ... 275

Dipl.-Ing. Olga Voglauer ......................................................................................... ... 275

Michael Bernhard .................................................................................................... ... 276

Mag. Christian Ragger ............................................................................................ ... 277

Annahme der dem schriftlichen Ausschussbericht 302 d.B. beigedruckten Ent­schließung betreffend „Anerkennung der deutschsprachigen Volksgruppe in Slo­wenien“ (79/E) ................. 279


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 14

Eingebracht wurden

Anträge der Abgeordneten

Eva Maria Holzleitner, BSc, Kolleginnen und Kollegen betreffend Lehrlingsgarantie in Zeiten von Corona (769/A)(E)

Petra Wimmer, Kolleginnen und Kollegen betreffend „einen bundeseinheitlichen Rahmen und einheitlich geregelte Finanzierung der Kinderschutzzentren“ (770/A)(E)

Sabine Schatz, Kolleginnen und Kollegen betreffend den „Mahnstein gegen Krieg und Faschismus“ in Braunau (771/A)(E)

Petra Wimmer, Kolleginnen und Kollegen betreffend erweiterter Beobachtungszeitraum für das Erfordernis der Erwerbstätigkeit beim einkommensabhängigen Kinderbetreu­ungsgeld (772/A)(E)

Rainer Wimmer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ratifizierung des Überein­kom­mens (Nr. 184) und der Empfehlung (Nr. 192) der Internationalen Arbeitsorganisation über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft (773/A)(E)

Petra Vorderwinkler, Kolleginnen und Kollegen betreffend Gutscheinheft für Freizeit­aktivitäten (774/A)(E)

Dr. Nikolaus Scherak, MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend Keine zwangsweise Trennung von internationalen, unverheirateten Paaren mehr (775/A)(E)

Julia Elisabeth Herr, Kolleginnen und Kollegen betreffend Einrichtung eines Grünen Netzes von 200.000 Hektar zusätzlich geschützter Waldfläche in ganz Österreich (776/A)(E)

Julia Elisabeth Herr, Kolleginnen und Kollegen betreffend Einrichtung eines Grünen Netzes von 200.000 Hektar zusätzlich geschützter Waldfläche in ganz Österreich (777/A)(E)

Anfragen der Abgeordneten

Ing. Mag. Volker Reifenberger, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung betreffend vorzeitige Beendigung des Dienstver­hältnisses mit der Leiterin der Gemäldegalerie und des Kupferstichkabinetts (2653/J)

Mag. Gerald Hauser, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung betreffend Deutschkenntnisse im Gymnasium (2654/J)

Petra Bayr, MA MLS, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend die Kennzeichnung von Palmöl (2655/J)

Petra Bayr, MA MLS, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Klima­schutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie betreffend das Redu­zieren des Palmöl und das Steigern des Agrotreibstoffverbrauchs (2656/J)

Klaus Köchl, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend betreffend „Unterstützungs-Maßnahmen für Tourismus-Lehrlinge“ (2657/J)

Dr. Christoph Matznetter, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Rechenfehler beim Härtefallfonds (Phase 2) (2658/J)


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 15

Michael Bernhard, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie betreffend Ausreichende Res­sourcen des Umweltbundesamts um gesetzlich definierte Aufgaben zu erfüllen (2659/J)

Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend 2:1 Modell bei Postenbesetzungen (2660/J)

Nurten Yılmaz, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend betreffend Neugestaltung des verpflichtenden Integrationsjahres (2661/J)

Lukas Brandweiner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Klima­schutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie betreffend keine Ver­schlechterung auf der Franz-Josefs-Bahn (2662/J)

Douglas Hoyos-Trauttmansdorff, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Landesverteidigung betreffend Hat Airbus Sie schon kennengelernt? (2663/J)

Mag. Martina Künsberg Sarre, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung betreffend Lehrer_innenfortbildung in digitaler Didaktik (2664/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend Spesen und Repräsentationsausgaben der Bundesregierung (2665/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport betreffend Spesen und Repräsentationsausgaben der Bundesregierung (2666/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Spesen und Repräsentationsausgaben der Bundesregierung (2667/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Frauen und Integration betreffend Spesen und Repräsentationsausgaben der Bundesregierung (2668/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend Spesen und Repräsentationsausgaben der Bundesregierung (2669/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus betreffend Spesen und Repräsentationsausgaben der Bun­desregierung (2670/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Bildung, Wis­senschaft und Forschung betreffend Spesen und Repräsentationsausgaben der Bun­desregierung (2671/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für EU und Ver­fassung betreffend Spesen und Repräsentationsausgaben der Bundesregierung (2672/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen be­treffend Spesen und Repräsentationsausgaben der Bundesregierung (2673/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend betreffend Spesen und Repräsentationsausgaben der Bundesregierung (2674/J)


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 16

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie betreffend Spesen und Reprä­sentationsausgaben der Bundesregierung (2675/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort betreffend Spesen und Repräsentationsausgaben der Bundesregie­rung (2676/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesund­heit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Spesen und Repräsentationsausgaben der Bundesregierung (2677/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Landes­ver­tei­digung betreffend Spesen und Repräsentationsausgaben der Bundesregierung (2678/J)

Julia Elisabeth Herr, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend technische Pannen in der Eintragungswoche des Klimavolksbegehrens (2679/J)

Julia Elisabeth Herr, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Klima­schutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie betreffend Kurzarbeits­regelung bei den Austrian Airlines bis 2022 und dem geplanten Stellenabbau um 20% (2680/J)

Julia Elisabeth Herr, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Kurzarbeitsregelung bei den Austrian Airlines bis 2022 und dem geplanten Stellenabbau um 20% (2681/J)

Julia Elisabeth Herr, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend Kurzarbeitsregelung bei den Austrian Airlines bis 2022 und dem geplanten Stellenabbau um 20% (2682/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Landesver­tei­digung betreffend Hubschrauberstützpunkt Klagenfurt (2683/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend Zielgruppen und Werbeausgaben in sozialen Netzwerken und Online-Medien im ersten Halb­jahr 2020 (2684/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Ge­sundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Zielgruppen und Werbeausgaben in sozialen Netzwerken und Online-Medien im ersten Halbjahr 2020 (2685/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend betreffend Zielgruppen und Werbeausgaben in sozialen Netzwerken und Online-Medien im ersten Halbjahr 2020 (2686/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für EU und Ver­fassung betreffend Zielgruppen und Werbeausgaben in sozialen Netzwerken und Online-Medien im ersten Halbjahr 2020 (2687/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Zielgruppen und Werbeausgaben in sozialen Netzwerken und Online-Medien im ersten Halbjahr 2020 (2688/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Bildung, Wis­senschaft und Forschung betreffend Zielgruppen und Werbeausgaben in sozialen Netzwerken und Online-Medien im ersten Halbjahr 2020 (2689/J)


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 17

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus betreffend Zielgruppen und Werbeausgaben in sozialen Netzwerken und Online-Medien im ersten Halbjahr 2020 (2690/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie betreffend Zielgruppen und Werbe­ausgaben in sozialen Netzwerken und Online-Medien im ersten Halbjahr 2020 (2691/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Landes­vertei­digung betreffend Zielgruppen und Werbeausgaben in sozialen Netzwerken und Online-Medien im ersten Halbjahr 2020 (2692/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort betreffend Zielgruppen und Werbeausgaben in sozialen Netzwerken und Online-Medien im ersten Halbjahr 2020 (2693/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Frauen und Integration betreffend Zielgruppen und Werbeausgaben in sozialen Netzwerken und Online-Medien im ersten Halbjahr 2020 (2694/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Zielgruppen und Werbeausgaben in sozialen Netzwerken und Online-Medien im ersten Halbjahr 2020 (2695/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport betreffend Zielgruppen und Werbeausgaben in sozialen Netzwerken und Online-Medien im ersten Halbjahr 2020 (2696/J)

Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend Zielgruppen und Werbeausgaben in sozialen Netzwerken und Online-Medien im ersten Halbjahr 2020 (2697/J)

Alois Stöger, diplômé, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Schulschließungen im Bezirk Urfahr Umgebung am 3. Juli 2020 (2698/J)

Anfragebeantwortungen

des Bundesministers für europäische und internationale Angelegenheiten auf die An­frage der Abgeordneten Mag. Felix Eypeltauer, Kolleginnen und Kollegen (1928/AB zu 1911/J)

des Bundeskanzlers auf die Anfrage der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolle­ginnen und Kollegen (1929/AB zu 1899/J)

der Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort auf die Anfrage der Abgeordneten Henrike Brandstötter, Kolleginnen und Kollegen (1930/AB zu 1932/J)


 


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 18

09.06.57Beginn der Sitzung: 9.07 Uhr

Vorsitzende: Präsident Mag. Wolfgang Sobotka, Zweite Präsidentin Doris Bures, Dritter Präsident Ing. Norbert Hofer.

09.07.00*****


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf die 45. Sitzung des Nationalrates für eröffnet erklären und Sie ersuchen, Platz zu neh­men. Ich darf Sie am zweiten Tag unserer Plenarsitzungen recht herzlich begrüßen, ich begrüße auch die Medienvertreter und die Zuseherinnen und Zuseher zu Hause vor den Fernsehgeräten recht herzlich.

Vereinbarungsgemäß sitzen wir wieder in einer gelockerten Sitzordnung – ein Teil der Abgeordneten hat auf der Galerie Platz genommen –, und die Abstimmungen finden im­mer am Ende der Verhandlungen über alle Vorlagen eines Ausschusses statt; davor wird mit den Klubobleuten Kontakt aufgenommen und gefragt, ob die Abstimmungen durch­geführt werden können, wie wir es in der Präsidiale vereinbart haben.

Als verhindert gemeldet sind die Abgeordneten Angela Baumgartner, Carina Reiter, Mag. Elisabeth Scheucher-Pichler, Dietmar Keck, Mag. Dr. Petra Oberrauner und Josef Schellhorn.

*****

Ich darf bekannt geben, dass der ORF die Sitzung wie üblich in ORF 2 bis 13 Uhr und in ORF III bis 19.15 Uhr überträgt; anschließend wird die Sitzung in der TVthek kom­mentiert übertragen.

09.08.10Fragestunde


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir gelangen nun zur Fragestunde; ich darf Frau Minister Edtstadler herzlich willkommen heißen.

Sie kennen die Regeln: Die Fragestellungen durch die Damen und Herren Abgeordneten werden von den beiden Rednerpulten im Halbrund aus vorgenommen, die Beantwortung durch die Frau Minister vom Rednerpult in der Mitte aus. Für die Anfrage und die Zusatz­frage ist jeweils 1 Minute Redezeit vorgesehen, für die Beantwortung der Erstfrage jeweils 2 Minuten und für die Beantwortung der Zusatzfrage jeweils 1 Minute. Ich werde kurz vorher versuchen, das Plexiglas akustisch zu überwinden und – ohne zu stören – darüber zu informieren, dass die Zeit zu Ende geht.

EU und Verfassung


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: In diesem Sinne kommen wir zur 1. Anfrage, jener des Abgeordneten Gerstl. Er hat das Wort.

09.08.48


Abgeordneter Mag. Wolfgang Gerstl (ÖVP): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bun­desministerin! Gläserner Staat statt gläserner Bürger, das ist die Devise, weg vom Amts­geheimnis, hin zu mehr Informationsfreiheit. Mit der Abschaffung des Amtsgeheimnisses stärken wir das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat, und dieses Ver­trau­en ist die Grundlage für die Demokratie.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 19

Meine Frage an Sie, Frau Bundesministerin: Wie weit fortgeschritten ist der Begutach­tungsentwurf zur Abschaffung des Amtsgeheimnisses, den Sie in diesem Sommer noch vorlegen wollen?

*****

Die schriftlich eingebrachte Anfrage, 14/M, hat folgenden Wortlaut:

„Wie weit fortgeschritten ist der Begutachtungsentwurf zur Abschaffung des Amts­ge­heimnisses, den Sie vor dem Sommer vorlegen wollen?“

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Minister, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren Abgeordnete! Hohes Haus! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Zunächst auch von meiner Seite einen schönen guten Morgen!

Herr Abgeordneter Gerstl, um gleich zu Ihrer Frage zu kommen: Transparenz ist ein ganz zentrales Anliegen dieser Bundesregierung, auch die Schaffung eines Informa­tionsfreiheitsgesetzes und damit einhergehend – Sie haben es gesagt – die Abschaffung des Amtsgeheimnisses. In einem sehr bedeutenden historischen Jahr, in dem wir 100 Jahre Bundes-Verfassungsgesetz feiern, wird damit auch das Paradigma umge­kehrt – zunächst Befriedigung des Informationsbedürfnisses und nicht Verstecken hinter einem Amtsgeheimnis. 

Es geht darum, dieses Informationsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger auch klar durch ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht in der Verfassung abzubilden, es geht darum, ein Informationsregister zu schaffen, aber gleichzeitig auch – und das möchte ich betonen – die Funktionsfähigkeit der Verwaltung aufrechtzuerhalten.

Ich habe deshalb zunächst am 4. Juni zu einem runden Tisch im Bundeskanzleramt eingeladen und mit Expertinnen und Experten und allen Betroffenen gesprochen – mit den Ländern, Gemeinden, Städten, auch NGOs, die sich damit beschäftigen, Gerichten, Vertretern der Presse. Am 18. Juni habe ich ein Gespräch mit allen im Parlament ver­tretenen Parteien, und zwar konkret mit deren Verfassungssprechern, geführt, und im Anschluss daran den Verfassungsdienst mit der Ausarbeitung eines entsprechenden Gesetzentwurfes betraut.

Dieser erste Arbeitsentwurf ist bereits sehr weit gediehen. Er bildet die Grundlage für die weiteren Gespräche, und – um Ihre Frage auch ganz konkret zu beantworten – der Plan ist, diesen Gesetzentwurf noch vor der Sommerpause in eine entsprechende Begut­ach­tung von sechs bis acht Wochen zu senden. (Beifall des Abg. Prinz.)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeordneter.


Abgeordneter Mag. Wolfgang Gerstl (ÖVP): Frau Bundesminister, das freut uns sehr, denn, wie schon gesagt, Transparenz ist eine wichtige Grundlage im Zusammenhang mit dem Vertrauen gegenüber dem Staat.

Dabei geht es jetzt aber nicht nur um das Amtsgeheimnis im engeren Sinne, um das, was die Beamten als solche betrifft, sondern es gibt in Österreich auch viele Bereiche, die ausgelagert wurden. In Wien gibt es zum Beispiel die Bestattung Wien, die Wiener Linien oder den Fonds Soziales Wien, bei denen die Bürger keinen Rechtsanspruch auf


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Information und auch keine Beschwerdemöglichkeit gegenüber der Volksanwaltschaft haben.

So ist es zuletzt betreffend die Wiener Friedhöfe, konkret den Zentralfriedhof, von vielen Bürgern als sehr pietätlos empfunden worden, dass dort eine Laufstrecke errichtet wur­de – eine Laufstrecke am Friedhof! Die Bürger haben keine Möglichkeit, sich zu be­schweren oder echte Informationen zu bekommen, ob diese weiter ausgebaut werden soll oder nicht.

Frau Bundesministerin, ist mit einem solchen Informationsfreiheitsgesetz auch verbun­den, dass zukünftig in Wien auch ausgelagerte Bereiche dieser Informationspflicht unter­liegen und die Bürger ein Recht auf Auskunft bekommen? (Ruf: Nur in Wien!)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: 1 Minute ist überschritten! – Bitte, Frau Minister.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Es geht darum, staatliches Handeln transparenter zu machen, es geht aber auch darum, Handlungen von Unternehmen mit Staatsbeteiligung transparenter zu machen – wir reden hier vor allem von Unternehmen, die auch vom Rechnungshof geprüft werden, und damit auch von ausgegliederten Gesellschaften, die zukünftig von dieser Auskunftspflicht, von dieser Informationspflicht umfasst sein sollten.

Ganz konkret also: Ja, ich gehe davon aus, dass nicht nur die Behörden, sondern auch diese Unternehmen, so wie es in meinem Auftrag an den Verfassungsdienst jetzt auch vorgesehen und wie es auch im Regierungsprogramm verankert ist, von dieser Infor­mationspflicht erfasst sein werden. (Beifall bei der ÖVP sowie des Abg. Jakob Schwarz.)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage: Herr Abgeordneter Mag. Schrangl. – Bitte.


Abgeordneter Mag. Philipp Schrangl (FPÖ): Sehr geehrte Frau Ministerin! Die Frage des Herrn Abgeordneten Gerstl führt mich gleich zu meiner Frage, und zwar geht es um Folgendes: Sie haben gesagt, dass das Informationsfreiheitsgesetz auch ausgegliederte Unternehmen betreffen soll. Es ist jetzt so, dass auch Abgeordnete dieses Hohen Hauses, die ja quasi die ersten Vertreter der Steuerzahler und der Bürger sind, zu diesen ausgegliederten Unternehmen keine Informationen bekommen.

Dieses Gesetz ist ja schon längere Zeit in Planung, es hat auch schon Verhandlungen dazu gegeben, und wir haben schon in der letzten Periode angemerkt, erstens, dass wir für einen gläsernen Staat und nicht für den gläsernen Bürger sind, aber dass wir es zweitens als unsere Pflicht als Volksvertreter und als erste Vertreter der Bürgerinnen und Bürger verstehen, auch das Interpellationsrecht auszuweiten.

Daher frage ich Sie: Wie sehen Sie das Interpellationsrecht im Spannungsverhältnis zum Informationsfreiheitsgesetz? Wird es daher auch für Abgeordnete mehr Rechte geben – meiner Wahrnehmung nach: müssen?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: 1 Minute!


Abgeordneter Mag. Philipp Schrangl (fortsetzend): Sofort! Und: Wollen Sie das Inter­pellationsrecht im Zuge der Einführung eines Informationsfreiheitsgesetzes ebenfalls anpassen?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesminister.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Ich kann dem nur vollinhaltlich zustimmen! Es geht darum, den Staat trans­parent zu machen, staatliches Handeln nachvollziehbar zu machen, damit einhergehend auch das Handeln von Unternehmen, an denen der Staat beteiligt ist. Es ist einfach so in unserer Gesellschaft, dass das Informationsbedürfnis heute im Vergleich zu jenem in


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der Entstehungszeit der Bundesverfassung vor 100 Jahren ein anderes ist, und das wollen wir reflektieren.

Das Interpellationsrecht richtet sich an einen Minister und dessen Bereich, den, den er verantwortet. Das Informationsfreiheitsgesetz soll ein verfassungsgesetzliches Recht der Bürgerinnen und Bürger auf Information etablieren. Das heißt, wir wollen auch durch die Schaffung einer Informationsdatenbank von vornherein ein Informationsbedürfnis befriedigen, indem dort Stellungnahmen, Gutachten und sonstige von der Regierung in Auftrag gegebene, von Verwaltungsbereichen in Auftrag gegebene Dinge öffentlich ge­macht werden und zum Beispiel auch in einer Fragestellung darauf verwiesen werden kann.

Das heißt in Ihre Richtung formuliert ganz klar, der Staat soll transparent und gläsern werden und nicht der Mensch.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage: Herr Abgeordneter Scherak. – Bitte.


Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Herr Präsident! Guten Morgen, Frau Bundesminister! Ich hoffe ja, dass dann nicht nur ausgelagerte Betriebe in Wien der Informationsfreiheit unterliegen werden, so wie Kollege Gerstl sich das wünscht, sondern auch Betriebe darüber hinaus.

Nichtsdestotrotz, was mich eigentlich interessieren würde, ist Folgendes: Ein wesent­licher Bestandteil eines Informationsfreiheitsgesetzes ist ja in vielen Ländern der Infor­mationsfreiheitsbeauftragte. Es geht darum, dass es in dem Spannungsfeld zwischen dem Bürger, der eine Information begehrt, und der Behörde, die unter Umständen nicht so gewillt ist, diese herauszugeben, eine Schnittstelle braucht, die vermittelnd tätig wird. Zum Beispiel gibt es gerade in Hamburg, aber auch in Slowenien einen Informations­freiheitsbeauftragten, und auch Ihr Koalitionspartner, die Grünen, haben ja jahrelang einen solchen gefordert.

Wird ein solcher oder eine ähnliche Stelle, die vermittelnd tätig wird, in dem Begut­achtungsentwurf enthalten sein?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesminister.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Wir wollen zwei Dinge: Wir wollen zum einen, dass das Informations­be­dürfnis der Bürgerinnen und Bürger tatsächlich befriedigt wird – je schneller eine Infor­mation fließt, desto besser ist es –, und wir wollen auf der anderen Seite, dass die Verwaltung auch weiter handlungsfähig bleibt. Was ich nicht möchte, ist die Schaffung von weiteren Parallelstrukturen.

Wir haben erst mit der Reform des Verwaltungsgerichts im Jahr 2014 Sonderbehörden abgeschafft, und es gibt eine Behörde, die genau in die Richtung arbeitet, die Sie an­deuten, das ist die Datenschutzbehörde. Diese wird in diesem Informationsfreiheits­ge­setz auch entsprechend berücksichtigt werden, um da auch zu vermitteln, um da sozusagen auch einen entsprechenden Stellenwert einzunehmen.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die 2. Anfrage stellt Herr Abgeordneter Leichtfried. – Bitte.

09.17.16


Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Guten Morgen, Frau Bundesministerin! (Bundesministerin Edtstadler schaut in Richtung des Rednerpultes vor den Sitzreihen der SPÖ, der Redner steht jedoch am Rednerpult vor den Sitzreihen der ÖVP.) Hier bin ich! Ja, das ist ungewöhnlich, ich weiß, ja! (Heiterkeit der Bundesministerin Edtstadler.) Ich bitte, das jetzt nicht zur Fragezeit zu zählen.



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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die Stoppuhr läuft, es hilft nichts! (Beifall bei Abgeordneten der ÖVP.)


Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (fortsetzend): Was ich fragen wollte: Es hat ja im Zuge der Covid-Zeit eine wahre Flut an Gesetzen und Verordnungen gegeben, die zur Bekämpfung der Auswirkungen dieser Krise erlassen wurden, und mich würde inter­essieren: Haben Sie als Verfassungsministerin beziehungsweise hat der Verfassungs­dienst jemals diese ganzen Regelungen auf Verfassungskonformität überprüft bezie­hungsweise – wenn er hat beziehungsweise Sie haben – in welchem Umfang, und was ist da herausgekommen?

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Die schriftlich eingebrachte Anfrage, 24/M, hat folgenden Wortlaut:

„Haben Sie als für Verfassung zuständige Ministerin und der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts alle in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreifenden Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-Pandemie auf deren Verfassungskonformität hin überprüft?“

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesminister.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Grundsätzlich ist es so, dass jede Ministerin, jeder Minister in ihrem, in sei­nem eigenen Wirkungsbereich natürlich auch dafür verantwortlich ist, die ent­sprechende Verfassungskonformität bei der Erlassung von Verordnungen, Erlässen, aber auch bei Gesetzesvorschlägen, die ja von diesem Hohen Haus dann zu beschließen sind, einzuhalten.

Der Verfassungsdienst, der mir untersteht, ist im normalen Begutachtungsverfahren auf­gerufen, Stellungnahmen abzugeben und die Verfassungskonformität von Gesetzen – oder wenn Verordnungen in Begutachtung geschickt werden, auch von Verordnungen – zu prüfen und dann seine Meinung in dieser Stellungnahme auch entsprechend kund­zutun.

Sie wissen, dass während der Coronaphase aufgrund der zeitlichen Vorgaben kein Be­gutachtungsverfahren durchgeführt worden ist, sondern die Vorlagen mittels Initiativ­antrag eingebracht worden sind, und Gleiches gilt auch für die erlassenen Verord­nun­gen. Insbesondere der Gesundheitsminister war diesbezüglich ja ganz massiv gefor­dert, entsprechende Verordnungen auf den Weg zu bringen.

Was ich aber meinen Ministerkolleginnen und -kollegen, weil es eben aus Zeitgründen kein ordentliches Begutachtungsverfahren gab, angeboten habe, war, die Expertinnen und Experten des Verfassungsdienstes trotzdem einzubinden. Das ist teilweise auch genützt worden, und in diesem Rahmen hat der Verfassungsdienst auch seine Stel­lungnahmen – informell – zur Verfassungskonformität von Vorschlägen abgegeben.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Leichtfried? – Bitte.


Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Das hat dann am Ende – wir haben das ja auch kritisiert und immer stärker kritisiert – dazu geführt, dass in Österreich Amts­handlungen gesetzt wurden, die ohne Rechtsgrundlage erfolgt sind, dass es Strafen, die ohne Rechtsgrundlage erfolgt sind und die jetzt auch zurückgezahlt werden müssen, gab.


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Wir haben Verordnungen gehabt, die nicht mit den Gesetzen übereingestimmt haben, wir haben Gesetze gehabt, die scheinbar verfassungswidrig waren, und wir haben am Ende einen Bundeskanzler gehabt, der gesagt hat – jetzt nicht wortwörtlich, aber sinn­gemäß –: Die ganze Verfassung ist mir wurscht! (Widerspruch bei der ÖVP.)

Wie können Sie das als Verfassungsministerin akzeptieren, und was haben Sie vor, um dafür zu sorgen, dass so etwas in Zukunft in unserem Land nicht mehr geschieht, dass also unsere Verfassung wieder eingehalten wird? (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Fürlinger.)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Zum Ersten weise ich es auf das Schärfste zurück, dass irgendjemand die Verfassung nicht ernst nimmt. Ganz im Gegenteil! Die gesamte Bundesregierung und selbstverständlich der Bundeskanzler, als Kopf dieser Bundesregierung, als Primus inter Pares, sind alle auf die Verfassung angelobt; und wir legen – genauso wie unsere Mitar­beiterinnen und Mitarbeiter – natürlich jeden Tag in unserer Arbeit auf die Verfassungs­konformität von Gesetzen, Verordnungen und Ermächtigungen höchsten Wert. – Das ist das Erste. (Beifall bei der ÖVP.)

Das Zweite ist, dass es in dieser Gesundheitskrise notwendig war, rasch Maßnahmen zu setzen, das haben wir getan. Das hat auch dazu geführt, dass das Virus eingedämmt werden konnte. Ich möchte das auch betonen: Der Großteil der Bevölkerung hat diese Maßnahmen mitgetragen, denn nur mit der Mitwirkung des Großteils der Menschen ist es auch gelungen, tatsächlich zu einer Abflachung der Kurve zu kommen. Der Gesund­heitsminister hat dann, weil natürlich er derjenige war, der sehr stark gefordert war, auch die Expertinnen und Experten des Verfassungsdienstes einbezogen, und es gab auch im Gesundheitsministerium Expertenrunden, in denen auch meine Experten aus dem Verfassungsdienst beteiligt waren.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage: Herr Abgeordneter Stocker. – Bitte.


Abgeordneter Dr. Christian Stocker (ÖVP): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Wir haben ja erlebt – und es hat sich an den Fallzahlen eindrucksvoll gezeigt –, dass die Maßnahmen des Parlaments und der Bundesregierung dazu geführt haben, dass die Ausbreitung des Coronavirus in Österreich sehr rasch und sehr effektiv eingedämmt werden konnte. Dazu war es natürlich erforderlich, dass die dazu Bezug habenden Ge­setze und Verordnungen rasch in Kraft gesetzt werden, damit sie auch umgesetzt wer­den konnten. Ein Begutachtungsverfahren von sechs Wochen oder länger hätte das natürlich verzögert.

Meine Frage ist daher: Erachten Sie es in Anbetracht dieser krisenhaften Situation und auch des Ausmaßes der Krise, das wir hier in Österreich feststellen mussten, für richtig, dass diese Vorgangsweise gewählt wurde und ausnahmsweise auf eine sonst übliche Begutachtung verzichtet wurde? Und vor allem auch: Haben sich aus Ihrer Sicht oder aus der Sicht des Verfassungsdienstes Bedenken gegen die Verfassungskonformität dieser Vorgangsweise ergeben?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Der Zusammenhalt einer Gesellschaft zeigt sich vor allem in Zeiten der Krise. Der Zusammenhalt hat sich in der Bundesregierung, hier im Hohen Haus über alle Parteiengrenzen hinweg und auch in der Gesellschaft, bei denen – und das ist der allergrößte Teil der Bevölkerung gewesen –, die sich an diese Maßnahmen gehalten haben, gezeigt.


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Um zu Ihrer Frage zu kommen: Ich halte es daher nicht nur für richtig, sondern für absolut notwendig, dass rasch Maßnahmen gesetzt worden sind. Wir haben hier in Österreich, glaube ich, vorbildlich gehandelt. Wir haben es so auch geschafft, das Coronavirus ein­zudämmen und die Infektionszahlen niedrig zu halten; und deshalb: Ja, es war richtig.

Ich darf aber auch eines hinzufügen: Als Verfassungsministerin und auch als gelernte Legistin ist es mir natürlich lieber, wenn es ein Begutachtungsverfahren in der Dauer von den von Ihnen angesprochenen sechs bis acht Wochen gibt und sich auch alle Stellen, die sich damit befassen und Expertise haben, äußern können. Daher freut es mich, dass wir jetzt in einer Art neuer Normalität angekommen sind und auch wieder entsprechende Begutachtungsphasen bei der Entstehung von Gesetzen zur Geltung kommen lassen können.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage: Herr Abgeordneter Ragger. – Bitte.


Abgeordneter Mag. Christian Ragger (FPÖ): Sehr geehrte Frau Ministerin! Ich möchte an die Ausführungen des Kollegen anschließen, nämlich insofern, dass ich Sie nicht als Legistin, sondern als Praktikerin anspreche. Es gibt ja sehr viele Menschen, die eine Verwaltungsstrafe erhalten haben, und ich bin davon überzeugt, dass wir im Hinblick auf die Verwaltungsstrafen einen konformen Tatbestand herzustellen haben. Daher frage ich Sie, ob es von Ihrer Seite angedacht ist, nicht nur ein Amnestiegesetz für die Per­sonen, die diese Verwaltungsstrafen erhalten haben, zu erlassen, sondern mit dem Ver­fassungsdienst auch eine rechtskonforme Lösung dahin gehend sicherzustellen, dass all diese Covid-Maßnahmen rechtskonform abgelaufen sind.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Zunächst möchte ich noch einmal festhalten, dass sich der Großteil der Menschen an Maßnahmen gehalten hat, die dazu geführt haben, dass wir das Virus eindämmen konnten.

In einigen Bereichen kam es da ganz offensichtlich zu Problemen bei der Anwendung oder auch bei der Ausgestaltung. Dazu kann ich Ihnen als Verfassungsministerin nur sagen: Österreich ist ein Rechtsstaat; es gibt den Rechtsweg, der zu beschreiten ist; es gab auch schon einzelne Aufhebungen. Dieser Rechtsweg ist in einem Rechtsstaat einzuhalten. Wir sind froh, dass wir diese Möglichkeit haben. Im Übrigen darf ich auch darauf hinweisen, dass es gerade Verfahren gibt, die vor dem Verfassungsgerichtshof anhängig sind. Es gebieten alleine der Anstand und der Respekt vor diesem Höchst­gericht, dass ich diesen Einschätzungen und auch den Gerichten nicht vorgreife.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die 3. Anfrage stellt Abgeordnete Steger. – Bitte sehr.

09.25.12


Abgeordnete Petra Steger (FPÖ): Sehr geehrte Frau Minister! Die EU sieht Hilfspakete in der Höhe von fast 1,3 Billionen Euro vor. Nach 540 Milliarden sollen jetzt 750 Mil­liar­den Euro an Zuschüssen und Krediten folgen. Egal, ob Zuschüsse oder Kredite, das sind Gelder, die wir wahrscheinlich nie wiedersehen werden, da die Schuldenstaaten wie Italien oder Spanien auch in Zukunft nicht in der Lage sein werden, Kredite zurück­zuzahlen. Das heißt, es muss entweder über Nettobeitragszahler wie Österreich oder durch EU-Steuern finanziert werden. So oder so zahlen damit die einen Mitgliedstaaten für die Schulden anderer Länder. Im europäischen Primärrecht, genauer gesagt in Artikel 125 AEUV, ist jedoch das No-Bail-out-Prinzip verankert, keine Haftung für Schul­den anderer Staaten.

Meine Frage:


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 25

18/M

„Inwiefern halten Sie die Finanzierung defizitärer Staaten mit dem geplanten Corona-Wiederaufbaufonds in der Höhe von 750 Milliarden Euro mit der in den EU-Verträgen verankerten No-Bailout-Klausel ‚Keine Haftung für Schulden anderer Staaten‘ für verein­bar?“


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Ich halte eine Schuldenunion im Sinne des von Ihnen bereits zitierten Artikels 125 AEUV für unvereinbar mit dieser No-Bail-out-Klausel. Das ist auch genau der Grund dafür, warum wir eben nicht eine dauerhafte Schuldenunion unterstützen wollen.

Es geht uns darum, dass wir in der Krise solidarisch sind, dass wir nur gemeinsam wieder aus dieser Krise herauskommen können. Alles, was da besprochen wird – und es wird erst nächste Woche besprochen –, muss sozusagen so sein, dass es zur Überwindung der Krise herangezogen wird, dass es kurzfristig ist, damit wir aus dieser Krise heraus­kommen, also dass da eine klare Konditionalität, eine enge zeitliche Befristung und eben kein Haften von allen für alle Schulden vorgesehen werden.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Frau Abgeordnete? – Bitte.


Abgeordnete Petra Steger (FPÖ): Bundeskanzler Kurz hat ja in diesem Zusammen­hang auch damit aufhorchen lassen, dass es mit ihm mit Sicherheit keine Zustimmung zu Zuschüssen geben wird. Mittlerweile haben wir aufgrund dieser Position sowohl Zuschüsse als auch Kredite.

Daher lautet meine Zusatzfrage: Wird es, wenn es tatsächlich zu Zuschüssen kommt, keine Zustimmung Österreichs geben, wie Bundeskanzler Kurz angekündigt und ver­sprochen hat, oder steht uns ein gewaltiger Umfaller von der ÖVP bevor?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Wir stehen heute rund eine Woche vor der Sitzung des Europäischen Rates, zu der die Staats- und Regierungschefs nach dieser Krise erstmals wieder physisch in Brüssel zusammenkommen werden, um zum einen den von der Kommission vorge­legten Vorschlag für den Mehrjährigen Finanzrahmen für die Zeit 2021 bis 2027 und zum anderen das Recoveryinstrument zu diskutieren.

Das ist erstmals der Fall, und das Ganze wird im Rat Allgemeine Angelegenheiten vor­bereitet werden. Da gibt es noch entsprechenden Diskussionsbedarf, denn – ich darf es noch einmal wiederholen – Österreich steht klar dazu, dass wir uns solidarisch zeigen müssen, dass wir in Europa nur gemeinsam aus der Krise herauskommen können, aber wir wollen eine klare Konditionalität, eine entsprechende Balance zwischen Zuschüssen und auch Krediten, eine zeitliche Befristung und die Bereitschaft der Staaten, das Geld auch tatsächlich dafür zu verwenden, um aus der Krise rauszukommen.

Ich kann den Verhandlungen nicht vorgreifen, aber ich kann Ihnen sagen, dass wir da auch mit anderen Staaten abgestimmt sind und dass es uns ganz klar darum geht, mit Steuergeld, nämlich mit Steuergeld der nächsten Generationen, entsprechend sorgsam umzugehen.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage: Herr Abgeordneter Brandstätter. – Bitte.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 26

Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Frau Bundesministerin! Ich orte einen großen inhaltlichen Widerspruch zwischen dem, was Sie und der Bundeskanzler sagen, und dem, was manche Ihrer Parteifreunde sagen, etwa EU-Kommissar Hahn oder auch Vizepräsident des Europäischen Parlaments Othmar Karas. Der Herr Präsident lächelt, ich finde das aber sehr ernst.

Das ist meine Frage: Ist das ein Versagen der Messagecontrol, die ja sonst sehr gut funktioniert (Zwischenruf des Abg. Höfinger), oder gibt es wirklich große inhaltliche Widersprüche zwischen Ihnen und dem Kommissar und dem Abgeordneten, aber auch Vertretern der Europäischen Volkspartei wie Herrn Präsident Schäuble, der eigentlich für eher frugales Verhalten, was das Budget betrifft, bekannt ist und der Meinung ist, dass es eben keine Schuldenunion ist?

Das ist ein großer Widerspruch, den die Menschen auch nicht verstehen. Ist es jetzt eine Schuldenunion, wie Sie sagen, oder ist es keine, wie wesentliche Vertreter der Öster­reichischen Volkspartei und der EVP sagen?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Also zunächst kann ich nur sagen, Ihr Ortungssystem ist offenbar nicht ganz richtig eingestellt, denn da gibt es keine Widersprüche. Wir haben ganz klare Aussagen. Es geht auch darum – und ich darf das wiederholen –, dass wir einer Schuldenunion niemals zustimmen würden. Eine Schuldenunion bedeutet, dass alle für alle Schulden haften – das haben wir von Anfang an ausgeschlossen, und dabei bleibt es auch.

Es gibt ein Gutachten des Rechtsdiensts des Rates: Wenn jeder beschränkt auf seinen Beitrag für Schulden haftet, dann ist es eben keine Schuldenunion im Sinne des Artikels 125 des allgemeinen AEUV. Wir wollen jetzt tatsächlich mit unterschiedlichen Hintergründen gemeinsam aus der Krise herauskommen. Das wird nächste Woche auch der Verhandlungsgegenstand beim Europäischen Rat sein, den ich als Europaministerin im Rat Allgemeine Angelegenheiten auch entsprechend vorbereiten werde.

Ich kann Ihnen dazu sagen: Ich war schon in Deutschland – Deutschland hat ja am 1.7. die Ratspräsidentschaft übernommen –, Deutschland wird auch, so wie ich das wahr­genommen habe, alle Mitgliedstaaten gleich hören. Die Mitgliedstaaten sind alle gleich­berechtigt und es muss eine einstimmige Entscheidung fallen.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage: Abgeordnete Neumann-Hartberger. – Bitte.


Abgeordnete Irene Neumann-Hartberger (ÖVP): Geschätzte Frau Bundesminister! Hat sich die Position Österreichs zum Mehrjährigen Finanzrahmen hinsichtlich der Priori­sierung einzelner Schwerpunkte bedingt durch oder nach Covid-19 geändert?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesminister.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Grundsätzlich ist die Einstellung gegenüber dem Mehrjährigen Finanzrah­men die gleiche geblieben. Es geht darum, sparsam mit Steuergeld umzugehen, aber klarerweise hat die Covid-19-Krise natürlich gezeigt, dass an den Prioritäten Ände­run­gen vorgenommen werden müssen.

Einerseits bleiben die Prioritäten auf der Digitalisierung, es bleibt auch die Priorisierung des Green Deals betreffend Klimawandel, aber hinzukommen wird jetzt eine klare Aus­richtung auf mehr Widerstandsfähigkeit in Europa.

Europa muss die Krise jetzt als Chance nutzen, um die notwendigen Veränderungen vorzunehmen. Das hat Österreich – das habe auch ich – von Anfang an gegenüber der


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Kommission klargemacht, und im vorliegenden Vorschlag gibt es einige Verschiebungen in Richtung dieser Widerstandsfähigkeit. Wir wollen dort jetzt auch die klare Konditio­nalität sehen, also dass sich alle Staaten dazu committen.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die 4. Anfrage stellt Abgeordnete Ernst-Dziedzic. – Bitte.

09.31.57


Abgeordnete Dr. Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne): Herr Präsident! Frau Ministerin! Im Regierungsprogramm gibt es ein klares Bekenntnis zu Demokratie, Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und dazu, dass Österreich entsprechende Initiativen auf europä­ischer Ebene unterstützen wird. Sie werden wissen: Ende März wurde der Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie 2020-2024 präsentiert.

Darin geht es nicht nur um die Stärkung dieser Bereiche, sondern natürlich auch um eine demokratische Gesellschaft und auch um ein demokratisches Europa mit Vorbildwirkung weltweit. Da wird auch diskutiert, inwiefern qualifizierte Mehrheitsentscheidungen dazu beitragen könnten, dass man gerade in diesen Bereichen, vielleicht auch im außen­politi­schen Bereich, Stellung beziehen kann.

Mich würde interessieren, ob es schon konkrete Pläne gibt, wie sich Österreich daran beteiligen wird oder konkrete Schritte setzen wird, um eben die Umsetzung dieses Aktionsplanes zu unterstützen.

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Die schriftlich eingebrachte Anfrage, 27/M, hat folgenden Wortlaut:

„Gibt es bereits konkrete Pläne, wie sich Österreich auf EU-Ebene einbringen wird, um Fortschritte bei der Umsetzung des Aktionsplanes Menschenrechte und Demokratie 2020-2024 sicherzustellen, und so die Position der EU im Bereich Menschenrechte und Demokratie zu stärken?“

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesminister.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Zunächst darf ich bestätigen, dass Österreich sehr viele in diesem Aktions­plan vorgelegte Schwerpunkte und Maßnahmen unterstützt – um einige zu nennen: die Meinungsäußerungsfreiheit, die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten, aber auch der Schutz von vulnerablen Gruppen, Religionsfreiheit, Rechte von Frauen und Mädchen sowie auch Digitalisierung, Umwelt- und Klimaschutz.

Des Weiteren erachten wir es für notwendig, in einigen Bereichen weiter zu stärken, zum Beispiel im Bereich des humanitären Völkerrechts, aber auch im internationalen Straf­recht, bei der Geschlechtergleichstellung, bei Frauen, Frieden, Sicherheit, Kindern, be­waff­neten Konflikten sowie auch bei den Rechten älterer Menschen, der Religionsfreiheit und dem Schutz von religiösen Minderheiten. Mit diesem Aktionsplan sind wir dabei auf Linie.

Ich darf dazusagen, dass das grundsätzlich im Außenministerium angesiedelt ist. Die Ratsarbeitsgruppe Cohom arbeitet derzeit aktiv an diesem Aktionsplan – auch an dem von Ihnen schon genannten Sanktionskatalog – und ich kann Ihnen auch sagen, weil Sie das konkret angesprochen haben, dass Österreich es unterstützt, dass künftig mit qualifi­zierter Mehrheit Entscheidungen im Menschenrechtsbereich getroffen werden sollten.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Frau Abgeordnete? – Bitte.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 28

Abgeordnete Dr. Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne): Sie haben gerade eben den Sanktions­katalog angesprochen. Mich würde in dem Zusammenhang interessieren, inwiefern Sie jetzt auch unionsweite Sanktionen – gerade bei schweren Verstößen in Menschen­rechtsfragen – unterstützen würden.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesminister.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Also zum einen noch einmal der Hinweis darauf, dass das im Außen­minis­terium bei Außenminister Schallenberg läuft. Österreich unterstützt es. Im Juni 2020 hat es schon eine Einigkeit über die Errichtung eines globalen Sanktionskatalogs und -regimes gegeben.

Jetzt geht es darum, das Mandat entsprechend anzupassen, sodass die Verhandlungen von der Ratsarbeitsgruppe Cohom, bei der sie jetzt geführt worden sind, dann auch in der Ratsarbeitsgruppe für Außenbeziehungen Relex weitergeführt werden können. Grund­sätzlich unterstützen wir das, und das Außenministerium ist auch dabei, das weiter zu tun.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage: Frau Abgeordnete Bayr. – Bitte.


Abgeordnete Petra Bayr, MA MLS (SPÖ): Frau Bundesministerin! Demokratie und Menschenrechte sind in vielen Ländern der Erde unter Druck.

Ganz speziell denke ich da an Brasilien, wo aufgrund der Politik von Präsident Bolsonaro einerseits, was Covid und den sehr lässigen – sage ich jetzt einmal flapsig – Umgang damit betrifft, in Kauf genommen wird, dass mittlerweile 70 000 Menschen verstorben sind und 1,7 Millionen infiziert sind, ganz besonders in den indigenen Regionen, in den Amazonasregionen – wir kennen die Bilder aus Manaus, wo Bagger riesige Massen­gräber ausheben –, andererseits kombiniert mit seiner Rohstoff- und Wirtschaftspolitik, durch die massenhaft Lebensraum von Indigenen zerstört wird, Urwald abgeholzt wird. – Sie haben das Klima genannt, Sie haben vulnerable Gruppen genannt: Die kommen da ganz besonders unter Druck.

Mich würde interessieren: Wie bringt sich denn Österreich in eine Position innerhalb der Europäischen Union gegenüber Brasilien ein, wenngleich aber natürlich aufgrund der engen wirtschaftlichen Verflechtungen in dieser Wirtschaftspolitik keine Konzessionen in Sachen Menschenrechte und Umwelt gemacht werden?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesminister.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Ich darf an meine Ausführungen zur Frage von der Abgeordneten Ernst-Dziedzic anschließen. Wir unterstützen diesen Aktionsplan, wir – beziehungsweise gemeinsam mit anderen Staaten – unterstützen auch, dass in manchen Bereichen auch noch eine Stärkung dieser zum Beispiel jetzt von Ihnen angesprochenen vulnerablen und auch religiösen Minderheiten gefordert wird. Wir arbeiten in dieser Ratsarbeits­gruppe unter Federführung des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten intensiv mit.

Ich kann nur bestätigen, was Sie gesagt haben: Es gibt in vielen Teilen der Welt die Notwendigkeit, auf die Menschenrechtssituation aufmerksam zu machen. Ich denke an meine Zeit als Abgeordnete im Europäischen Parlament, in der sich auch das Euro­päische Parlament immer wieder mit Menschenrechtssituationen in anderen Ländern – auch außerhalb Europas – beschäftigt hat. Das ist wichtig. Wir können das als Bundes­regierung in diesen Ratsarbeitsgruppen tun, und das machen wir auch nach Kräften.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Weitere Zusatzfrage: Abgeordneter Lopatka. – Bitte.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 29

Abgeordneter Dr. Reinhold Lopatka (ÖVP): Frau Bundesministerin! Sie haben vorhin schon angesprochen, dass ein funktionierender Rechtsstaat die Grundlage dafür ist, Menschenrechte auf allen Ebenen einzuhalten.

Jetzt haben Sie einen neuen Aspekt in die Diskussion eingebracht, nämlich den Mehrjährigen Finanzrahmen mit der Einhaltung von Menschenrechten zu verschränken: Was erwarten Sie sich davon und wie soll das durchgesetzt werden?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesminister.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Diese Konditionalität zwischen Mehrjährigem Finanzrahmen und Rechts­staatlichkeit ist eine Forderung, die ich schon lange erhebe, weil ich davon überzeugt bin, dass das der Hebel ist, um Mitgliedstaaten, die den Pfad der Rechtsstaatlichkeit verlassen, auch tatsächlich wieder zurückzuführen. Sprich, wenn Gelder nicht fließen, wenn Rechtsstaatsverletzungen in einzelnen Mitgliedstaaten vorliegen, dann trägt das sicher dazu bei, dass der Weg zum Rechtsstaat zurück gefunden wird. Ich weiß das aus eigener Erfahrung aus meinem beruflichen Leben: Manchmal ist es notwendig, Sank­tionen anzudrohen, damit ein Weg zurück zu den gemeinsamen Werten stattfindet.

Ich darf da schon betonen: Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte sind sozusagen unsere Corevalues in der Europäischen Union. Daran müssen wir uns alle halten und alles dafür tun, damit das auch in Zukunft der Fall sein kann.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die 5. Anfrage stellt Abgeordneter Scherak. – Bitte.

09.38.27


Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Herr Präsident! Frau Bundesminis­terin! Ich bin sehr froh, dass es Frau Kollegin Steger und Kollege Brandstätter schon angesprochen haben, weil es doch immer noch ein wenig verwirrend für mich ist: Ich erinnere mich an Aussagen des Bundeskanzlers zum Aufbaupaket – dass das nur über Kredite zu erfolgen hat und nicht über Zuschüsse. Sie haben auch gesagt, dass alles entsprechend zurückgezahlt werden muss, und vor Kurzem hat Bundesminister Schallenberg im Bundesrat gesagt, dass es Zuschüsse und Kredite geben soll, genauso, wie Sie jetzt eben ausgeführt haben. Das lässt mich ein bisschen in Unklarheit zurück, weil es unterschiedliche Positionen sind. Man könnte jetzt sagen, Sie haben Ihre Position weiterentwickelt – daher auch meine Frage.

22/M

„Wie ist Ihre Position bzw. die Position der Bundesregierung bezüglich Zuschüsse und Kredite beim Aufbaupaket der EU – sind Sie nun auch für Zuschüsse und wenn ja, in welchem Ausmaß?“


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesminister.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Die Position Österreichs ist ganz klar: Es geht darum, Solidarität in der Krise zu zeigen. Wir haben das während der Krise schon gemacht, indem wir Unterstützung, auch für besonders hart getroffene Länder, im Bereich der Gesundheit geleistet haben.

Jetzt geht es darum, Europa wirtschaftlich wiederaufzubauen. Österreich ist bereit, den am härtesten davon getroffenen Ländern unter die Arme zu greifen, sie zu unterstützen. Daher ist es auch so, dass wir natürlich jeden Tag weitere Einschätzungen bekommen, wie der Einbruch des Wirtschaftswachstums in Europa gesamt sein wird. Am Ende ist


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es in Europa immer so, dass es einen Kompromiss gibt.Es gibt unterschiedlichste Po­sitionen; fragen Sie in den einzelnen Mitgliedstaaten Europas nach. Wir wollen gemein­sam aus der Krise rauskommen.

Uns geht es vor allem darum, dass die Gelder tatsächlich dafür verwendet werden, um in Zukunft stärker zu sein, um widerstandsfähiger zu sein, und darum, dass das auch zeitlich befristet ist, und – ich sage es noch einmal – es wird auch eine Balance zwischen Krediten und Zuschüssen geben müssen. Wenn alles sozusagen nur verteilt wird, dann gibt es ja auch nicht die Notwendigkeit, die Wirtschaft so zu heben, dass man im End­effekt zurückzahlen kann. Am Ende wird es ein Kompromiss sein und eine Balance zwischen Krediten und Zuschüssen.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Scherak? – Bitte.


Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Ich bin ja froh, dass das jetzt klargestellt ist, dass es eine Balance zwischen Zuschüssen und Krediten geben wird. Das war ja nicht die ursprüngliche Position der österreichischen Bundesregierung; wir haben ja immer von den sparsamen Vier gehört. Ich habe ein sehr interessantes Zitat von Ihrem ehemaligen Delegationsleiter und Fraktionskollegen im Europäischen Parla­ment – nämlich Othmar Karas – gelesen, der gesagt hat, dass diese sparsamen Vier in Wirklichkeit nichts anderes als ein Marketinginstrument waren.

Da wir beziehungsweise die österreichische Bundesregierung offensichtlich die Position geändert hat, weg von: nur Kredite, hin zu: Zuschüsse und Kredite, würde mich inter­essieren, ob Othmar Karas nicht vielleicht recht hat und das, was Sie da an den Tag gelegt haben, nichts anderes als eine Marketingstrategie war.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesministerin.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Das Ziel der sparsamen Vier ist ganz klar. Es geht um das Steuergeld der nächsten Generationen, und wir sprechen von der Rückzahlung dieser Gelder, in welcher Form auch immer sie ausbezahlt werden, ab 2028. Es gilt, sorgsam damit umzu­gehen und genau hinzuschauen, auch hinzuschauen, welche Höhe an Zuschüssen, Krediten, Unterstützungen für die Länder eigentlich möglich ist.

Die Verhandlungen beginnen jetzt, und jetzt geht es auch darum, mit den anderen Staaten auf eine Linie zu kommen. Wir wollen natürlich gemeinsam aus der Krise raus­kommen, und ich glaube, es ist einfach auch notwendig, eine klare Verhandlungsposition zu haben, nämlich im Sinne der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, und genau hinzu­schauen: Wie wird das Geld verwendet? Ist es zielgerichtet für den Wiederaufbau? Verfolgt es auch die Zwecke bessere Digitalisierung, bessere Ökologisierung? – Das muss unser aller Ziel sein.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die 6. Frage stellt Abgeordneter Lopatka. – Bitte.

09.42.05


Abgeordneter Dr. Reinhold Lopatka (ÖVP): Frau Bundesministerin! Neben dem Mehr­jährigen Finanzrahmen, der jetzt angesprochen worden ist, bei dem Österreich eine sehr verantwortungsvolle Position einnimmt, gibt es noch ein zweites großes Thema, das die Europäische Kommission nicht so starten konnte, wie es ursprünglich geplant war, und das ist die Zukunftskonferenz – ein großes Projekt der neuen Kommission. Im Jänner haben sich auch die Vorsitzenden der Europaausschüsse der nationalstaatlichen Parla­mente in Zagreb damit beschäftigt, und von unserer Seite her besteht der Wunsch, dass nationalstaatliche Parlamente auch entsprechend eingebunden werden. Der Start hätte am 9. Mai sein sollen; das war eben nicht möglich.


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Jetzt tauchen interessante Wortspenden auf. So hat am 18. Mai in einem Presse­ge­spräch die deutsche Bundeskanzlerin Merkel gemeint, man sollte auch Vertragsände­rungen mit ins Auge fassen.

Daher meine konkrete Frage: Wie ist jetzt der aktuelle Stand auf europäischer Ebene – es ist ja ein europäisches Projekt –, und was passiert hier bei uns im Land?

*****

Die schriftlich eingebrachte Anfrage, 15/M, hat folgenden Wortlaut:

„Wie sieht der aktuelle Stand zur EU-Zukunftskonferenz auf nationaler und europäischer Ebene aus?“

*****


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesminister.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Das ist eine ganz wesentliche Frage, nämlich insofern, als man mit Geld alleine nicht alles lösen kann, sondern es darauf ankommt, Visionen für Europa zu entwickeln, zu schauen: Was kann, was soll, was muss die Europäische Kommission in Zukunft machen, was muss sie auch besser machen? Die Zukunftskonferenz war ja schon geplant, bevor die Covid-19-Krise über die Welt hereingebrochen ist. Ich habe sie damals schon für ganz notwendig gehalten – unter Einbindung der Bürgerinnen und Bürger, unter Einbindung der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments.

Geplant wäre gewesen, diese Zukunftskonferenz im Mai unter kroatischem Vorsitz zu starten, coronabedingt wurde das verschoben. Ich habe die Zeit der Krise auch genutzt, um mit meinen Amtskolleginnen und -kollegen in Europa Kontakt aufzunehmen und darauf hinzuweisen, dass ich es nach Corona für noch viel wichtiger halte, diese Visio­nen zu entwickeln und ohne Denkverbote darüber zu reden, in welche Richtung sich die Europäische Union entwickeln muss.

Wir haben es am 24. Juni auch geschafft, im Rat eine Position, ein Mandat festzulegen, und es ist jetzt gelungen, dass Vertragsänderungen nicht von vornherein ausgeschlos­sen werden.

Der nächste Schritt ist eine Verhandlung mit den anderen Institutionen, mit eben dem Europäischen Parlament und der Kommission, um die Organisation dieser Zukunftskon­ferenz, den klaren Ablauf und auch den Beginn auf die Beine zu stellen.

Noch einen letzten Satz dazu: Bei meinem Besuch in Berlin letzte Woche habe ich das auch mit Staatsminister Michael Roth besprochen, der den Vorsitz im Rat für Allgemeine Angelegenheiten übernehmen wird, und auch die deutsche Ratspräsidentschaft wird sich jetzt dahinterklemmen und darauf schauen, dass diese Zukunftskonferenz während deutscher Ratspräsidentschaft tatsächlich gestartet werden kann.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lopatka? – Bitte.


Abgeordneter Dr. Reinhold Lopatka (ÖVP): Sie haben jetzt davon gesprochen, dass wir den Start erwarten können. – Wann, glauben Sie, wird diese Zukunftskonferenz ein Ende finden und welches Ergebnis erwarten Sie sich?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Minister.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Vor Corona war es so, dass diese Zukunftskonferenz vom Prozess her auf


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zwei Jahre ausgelegt worden ist, und jetzt gibt es diesen verspäteten Start. Wir haben aber jetzt mehr Dinge als vorher, die besprochen werden müssen, und eine, wie ich glaube, noch größere Beachtung der Europäischen Union durch die Bürgerinnen und Bürger, weil wir gerade in der Krise gesehen haben, wie schnell Vorteile, die uns die Europäische Union gebracht hat, weg sein können, und wir haben auch die Schwächen der Europäischen Union klar aufgezeigt bekommen.

Deshalb denke ich, dass das zeitlich in etwa so sein wird. Das ist jetzt aber Gegenstand der Trilogverhandlungen, was das Mandat, das gemeinsame Mandat dieser drei Institu­tionen betrifft.

Ich erwarte mir ein Einbeziehen der Bürgerinnen und Bürger, auch der nationalen Parla­mente und auch ein besseres Verständnis der unterschiedlichen Mitgliedstaaten für­einander. Man muss, wenn man sich verstehen will, auch versuchen, in den Schuhen der anderen zu gehen. Jedenfalls möchte ich eine Diskussion ohne Denkverbote, und am Ende soll eine gemeinsame Vision für ein noch stärkeres, für ein widerstands­fähigeres Europa stehen.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Zusatzfrage stellt Abgeordneter Reimon. – Bitte.


Abgeordneter Michel Reimon, MBA (Grüne): Frau Bundesministerin! Ich möchte die Frage des Kollegen Lopatka ein wenig erweitern, nämlich von der Europäischen Union zu den Vereinten Nationen. Die hatten vor einigen Jahren quasi eine Zukunftskonferenz, haben die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung beschlossen. Darunter sind 17 Ziele – unter anderem Bekämpfung des Klimawandels, der Armut weltweit –, und wir haben im Regierungsprogramm ja auch festgehalten, diese gemeinsam zu verfolgen und voran­zutreiben.

Sie werden in den nächsten Wochen im Rahmen der Vereinten Nationen einen frei­willigen Umsetzungsbericht dazu präsentieren. Ich nehme an, dieser ist auch von Corona beeinflusst, und vor allem die Zukunft, wie es damit weitergeht, ist von Corona be­einflusst. Ich würde Sie übrigens gerne einladen, den Bericht vielleicht im Herbst auch einmal hier im Plenum zu präsentieren und mit den Abgeordneten zu diskutieren.

Die Frage lautet: Wie sind die konkreten Pläne, in Zukunft damit weiterzumachen, diese Ziele zu verfolgen? Nach Corona gibt es sicher einige Adjustierungen.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesminister.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Zunächst darf ich darauf hinweisen, dass ich schon eine ganze Menge an Vorarbeit vorgefunden habe, als ich Europa- und Verfassungsministerin geworden bin. Ich kann nur sagen, das war eine sehr, sehr wesentliche Arbeit, die da im Vorfeld geleistet worden ist, und auch ein Sammeln von Informationen, von Expertise, die in Österreich vorhanden ist, die jetzt in diesem freiwilligen nationalen Umsetzungsbericht, in diesem ersten Bericht, auch enthalten ist.

Es ist sehr schade, dass dieser Bericht jetzt nicht präsentiert werden kann. Das hätte in New York stattfinden sollen, da hätte man wahrscheinlich auch eine größere Aufmerk­samkeit bekommen, als wenn man es digital macht. Jetzt geht es eben nur digital, und deshalb finde ich auch Ihre Idee wirklich verfolgenswert und freue mich über diese Anregung, dass wir das im nationalen Parlament, hier im Nationalrat, diskutieren könn­ten.

Es sind im Wesentlichen drei Schwerpunkte enthalten: zum einen Frauen, Jugend, Leave No One Behind, zum anderen Klima, das auch im Regierungsprogramm und auch mit dem Green Deal auf europäischer Ebene entsprechend abgebildet ist, und zum


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Dritten Digitalisierung; also Themen, die jetzt nach Covid-19 noch aktueller geworden sind, auf deren Einhaltung und Umsetzung aber vorher schon ein Schwerpunkt gelegt worden ist. Insofern haben wir das natürlich ein bisschen auch im Bereich des Vorwortes adaptiert. Aber ich habe schon sehr viel Arbeit vorgefunden, und ich glaube, es ist wirklich nicht übertrieben, wenn ich sage, ich bin stolz darauf, was da jetzt als Bericht vorliegt.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Zusatzfrage stellt Abgeordnete Herr. – Bitte.


Abgeordnete Julia Elisabeth Herr (SPÖ): Guten Morgen auch von meiner Seite! Sie haben es selber schon angesprochen, wenn wir über die Zukunft Europas sprechen, müssen wir auch Kinder und Jugendliche miteinbeziehen.

Werden Sie im Rahmen der EU-Zukunftsstrategie die hohe Jugendarbeitslosigkeit zum Thema machen? Da gibt es ja auch viele Forderungen in Richtung Youth Guarantee. Unterstützen Sie das? Wie viel Budget wollen Sie dafür aufwenden, um da auch weiterzukommen? – Vielleicht können Sie uns da einen Überblick geben.

Auf der Homepage findet sich zur Einbindung von Jugendlichen auch die Absicht, eine Schulklasse einzuladen – vielleicht werden es ja noch mehr als eine?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesminister.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Zunächst darf ich sagen, dass ich den Zukunftsdialog in Österreich schon gestartet habe, weil ich nicht länger warten wollte. Ich hatte bereits vor drei Wochen einen Kick-off-Day im Bundeskanzleramt, an dem neben Stakeholdern, neben EU-Botschaftern auch schon eine Schulklasse bei mir war. Es war auch letzte Woche wieder eine Schulklasse bei mir, insgesamt waren es schon drei Schulklassen – wenn ich jetzt richtig zusammenzähle –, mit denen ich bereits Gespräche geführt habe.

Was ist mein Ziel in diesem Prozess? – Mein Ziel ist es, mit Bürgerinnen und Bürgern, Schülern, Studenten, Stakeholdern zu reden, wie sie sich die Europäische Union in Zukunft vorstellen, was es sozusagen an Problemen gibt, wo die Schwächen jetzt auch vakant, sichtbar geworden sind und wo wir einfach eine Vision für Europa entwickeln sollen.

Mir geht es vor allem darum, zuzuhören, auch die Problemfelder aufzuzeigen, und im Endeffekt möchte ich im Herbst ein Non-Paper haben, in dem dieser österreichische Prozess zusammengefasst ist, in dem ganz konkrete Maßnahmen enthalten sind. Ich bin gespannt auf den Input, also ich werde noch viele Schulklassen treffen, nehme ich an, auch bei meinen Bundesländertagen, die ich letzte Woche in Niederösterreich schon gestartet habe. Am Freitag bin ich in Kärnten und dann geht es in alle anderen Bun­desländer weiter.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die 7. Frage stellt Herr Abgeordneter Drobits. – Bitte.

09.50.20


Abgeordneter Mag. Christian Drobits (SPÖ): Herr Präsident! Geschätzte Frau Bun­desministerin! Informationspflicht statt Amtsgeheimnis, gläserner Staat statt gläserner Bürger, das sind Worte, die der jetzige Bundeskanzler bereits 2013 als Staatssekretär gesagt hat. Inzwischen sind sieben Jahre vergangen und zumindest seitens der ÖVP ist es nicht gelungen, dieses Gesetz auf die Reihe zu bringen. Es ist mittlerweile auch der Status eingetreten, dass wir diesbezüglich Letzter in der EU sind und wirklich Aufhol­bedarf haben.

Sie haben heute bereits erwähnt, dass es Eckpunkte gibt, aber Sie haben den Sommer angesprochen, und für mich ist Sommer nicht das ganze Jahr.


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Ich frage Sie deshalb noch einmal konkret:

25/M

„Wann werden Sie konkret den Entwurf eines Informationsfreiheitsgesetzes und die dazugehörige Novelle zum Bundes-Verfassungsgesetz in Begutachtung schicken?“


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Zunächst möchte ich trotzdem noch einmal auf das verweisen, was ich bereits in der Beantwortung der Frage des Abgeordneten Gerstl, aber auch auf Nach­frage von Abgeordnetem Schrangl ausgeführt habe: Ich denke, es ist jetzt an der Zeit und notwendig, dass wir die Bundesverfassung – wir feiern heuer am 1. Oktober 100 Jahre Bundes-Verfassungsgesetz und wir können auf diese Bundesverfassung stolz sein – auf die Höhe des 21. Jahrhunderts heben und deshalb auch dieses Verfassungsgesetz verankern, dass es ein Grundrecht auf Information gibt.

Der Arbeitsentwurf ist schon weit gediehen. Ich bin da laufend in Gesprächen, weil es bei einer solch grundlegenden Änderung natürlich durchaus auch Sorgen gibt, dass es zu überbordenden Informationsansuchen kommt. Diese nehme ich genauso ernst wie das Informationsbedürfnis der Bevölkerung.

Soweit ich jetzt zeitlich informiert bin, wird es im Juli noch einen Ministerrat geben, und es ist mein Ziel, diesen Gesetzentwurf dann in Begutachtung zu senden.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Drobits? – Bitte.


Abgeordneter Mag. Christian Drobits (SPÖ): Ja, Sie sagen, Sie haben Sorgen und es sind gewisse Sachen zu erledigen. Sie haben heute auch erwähnt, dass es durchaus einen Informationsbeauftragten geben kann, und andere Eckpunkte festgelegt. Wichtig war für mich die Botschaft – Sie haben die Katze aus dem Sack gelassen –, dass auch die Datenschutzbehörde und der Datenschutzrat in Fragen des Datenschutzes ein­gebunden werden sollen.

Meine Frage geht in diese Richtung, da der letzte Datenschutzbericht klar gesagt hat, dass bei der Datenschutzbehörde Personalmangel herrscht: Werden Sie danach trach­ten, dass Sie aus Ihrem Budget die 30 notwendigen Personalstellen für die Frau Bun­desminister für Justiz zur Verfügung stellen, damit die Datenschutzbehörde ihre Auf­gaben erfüllen kann?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Zunächst muss ich richtigstellen, dass ich nicht davon gesprochen habe, dass ich Sorgen habe, sondern dass ich die Sorgen, die an mich herangetragen werden, ernst nehme.

Zum Zweiten habe ich gesagt: Ja, die Datenschutzbehörde soll in diesem Infor­mations­freiheitsgesetz entsprechend eingebunden werden. Im Übrigen darf ich aber darauf verweisen, dass in jedem Gesetzespaket eine  wirkungsorientierte Folgenabschätzung vorzunehmen ist. Budgetverhandlungen finden nicht öffentlich hier im Parlament statt, man wird sich das anschauen, wenn wir mit dem Entwurf so weit sind, dass wir auch eine Regierungsvorlage in Begutachtung schicken können.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die 8. Frage stellt Frau Abgeordnete Fürst. – Bitte.

09.53.32


Abgeordnete Dr. Susanne Fürst (FPÖ): Frau Minister! Im Zuge der Coronakrise kam es zu großflächigen Zensurmaßnahmen sowohl seitens heimischer Medien als auch


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seitens globaler Konzerne. Insbesondere Inhalte, welche die vom Coronavirus aus­gehende Gefahr anders einschätzten als viele Regierungen, wurden gnadenlos gelöscht und als Verbreitung von Desinformation gebrandmarkt.

Twitter, Facebook, Youtube löschten angeblich sensible Inhalte, entfernten Videos we­gen Verstoßes gegen Communityrichtlinien, aber auch der ORF fühlte sich hier mehr der Bundesregierung verpflichtet als seinen Sehern und der objektiven und unabhängigen Berichterstattung, ignorierte abweichende Meinungen weitgehend und löschte in den Onlinekommentaren angebliche Fakenews. Wohlgemerkt handelte es sich da zu einem guten Teil sehr oft auch um Meinungen sehr renommierter Mediziner, die ja im Sinne von Transparenz, die Sie ja auch sehr schätzen, zumindest aufgezeigt werden sollten.

Daher meine Frage an Sie:

19/M

„Planen Sie Zensurmaßnahmen, insbesondere im Internet?“


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Ich möchte zunächst einmal festhalten, was Zensur ist. Zensur ist die be­hördliche Löschung, Nichtveröffentlichung von Inhalten. – Das ist etwas, was in Öster­reich absolut verboten ist. Zensur ist in Österreich verboten, und zwar schon durch einen Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung aus dem Jahr 1918. Daher gebe ich ganz klar die Antwort: Nein, wir planen nichts, was in irgendeiner Form einer Zensur auch nur ähnlich ist.

Ich sage Ihnen aber auch ganz deutlich: Das, was ich nicht zulassen werde, ist, dass über Plattformen, über soziale Medien extremistische, antisemitische Inhalte verbreitet werden. Und da bedarf es ganz klar einer Inpflichtnahme der Plattformen, die da ja Träger sind, die manchmal Brandbeschleuniger auch für solches Gedankengut sind. Da bedarf es auch ganz klar einer Verfolgung derer, die diese Nachrichten beleidigend, als Hass im Netz, antisemitisch, extremistisch auf diese Art und Weise verbreiten wollen.

Kampf gegen Desinformation ist auch etwas, was auf der Agenda der Europäischen Union steht. Ich bin diesbezüglich auch in Abstimmung und in engem Kontakt mit der zuständigen Vizepräsidentin Věra Jourová, die auch die Notwendigkeit sieht, ein ge­mein­sames Vorgehen der Mitgliedstaaten innerhalb der Europäischen Union vorzu­sehen, dass man einerseits natürlich Meinungsfreiheit ermöglicht, auf der anderen Seite aber extremistisches, antisemitisches Gedankengut nicht verbreitet werden kann und die Informationen zwischen den Mitgliedstaaten diesbezüglich auch rasch ausgetauscht werden können und – ich sage es noch einmal – Plattformen da auch in die Pflicht ge­nommen werden.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Fürst? – Bitte.


Abgeordnete Dr. Susanne Fürst (FPÖ): Was halten Sie persönlich davon, dass jetzt, das weiß man ja, viele Meinungen von renommierten Medizinern, viele Videos, Mei­nungs­äußerungen gelöscht worden sind, die keineswegs in irgendeiner Form extremis­tisch oder aufhetzend waren, sondern einfach sachlich und nachvollziehbar, aber eben eine andere Einschätzung im Zuge der Coronapandemie?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Ich habe es einmal in einem Interview so formuliert: Der Grat zwischen dumm und gefährlich ist manchmal ein schmaler. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)


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Gerade was Desinformation betrifft, müssen wir genau hinschauen: Das eine ist die Freiheit der Meinungsäußerung, das andere ist das Nichtzulassen des Verbreitens von Desinformation, die letztlich auch die Gesundheit gefährden kann. Das war es ja, was in der Covid-19-Krise an vorderster Stelle stand: der Schutz der Gesundheit, der Schutz vor Informationen, die im Endeffekt Krankheit, Ausbreitung der Infektion, Anstieg von Infektionszahlen fördern.

Es ist natürlich notwendig, da die richtige Balance zu finden. In Deutschland gibt es ein Gesetz, das jetzt auch nachgebessert wird, damit es eben nicht zu einem überbor­denden Löschen von Informationen kommt. Die Balance ist schwierig zu finden, aber ich glaube, gerade in einem Rechtsstaat ist es notwendig, sich entsprechend dafür ein­zusetzen, dass beides möglich ist, nämlich einerseits eine Gesellschaft frei von Desinfor­mation, von Hass, von Hetze und andererseits eine Gesellschaft, die liberal ist und in der es die Freiheit der Meinungsäußerung gibt. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeord­neten der Grünen.)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Zusatzfrage stellt Frau Abgeordnete Kucharowits. – Bitte.


Abgeordnete Katharina Kucharowits (SPÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Ich zitiere: „Der Digitaler Krisenstab im Bundeskanzleramt fördert die Zusammenarbeit von Medien, Zivilgesellschaft und Wissenschaft gegen Falschmeldungen rund um das Corona Virus durch die Einrichtung eines gesamtgesellschaftlichen ,Aufdecker Netzwerks‘.“ – So heißt es auf der Homepage österreich.gv.at.

Frau Ministerin! Man hört und sieht nichts. Im März gab es die Meldung, es seien 150 Fakenews identifiziert worden. Durch wen und was genau wurde eigentlich identi­fiziert und wie ist der aktuelle Stand?

Und gekoppelt daran: Frau Ministerin, Sie sind und waren ja auch auf europäischer Ebene aufgefordert vonseiten der Europäischen Kommission, einen Maßnahmenkatalog sozusagen aufzulegen, vorzulegen, zu übermitteln. Was haben Sie da im Konnex mit der Covid-19-Krise übermittelt und was ist die Erkenntnis der Bundesregierung – für den Fall, dass es eine gibt – im Zusammenhang mit dem Einsatz digitaler Contacttracing­tools? – Vielen Dank.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Während der Covid-19-Krise kam es zur Einrichtung einer Arbeitsgruppe im Bundeskanzleramt eben zu dem Zweck, den Sie angeführt haben, dass man Desinformation, Fakenews rasch identifiziert und löscht.

Es gibt nämlich ein Charakteristikum: Falsche Nachrichten, Fakenews verbreiten sich ungleich schneller als richtige Meldungen. Es erschließt sich mir noch immer nicht ganz, warum das der Fall ist, aber offensichtlich ist das Bedürfnis, irgendwelche Sensations­meldungen, die letzten Endes falsch sind, schneller zu verbreiten, größer.

Die Arbeitsgruppe hat sich aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundeskanzleramt, JournalistInnen, Experten, die dann mit den Plattformen Kontakt aufnahmen, um derartige Dinge zu löschen, zusammengesetzt. Es ist aber in Zukunft notwendig, das auch gesetzlich vorzusehen und hier eine Löschungsverpflichtung der Plattformen gesetzlich zu etablieren, was jetzt noch nicht der Fall ist, weil das eher freiwillig passiert, und es braucht ja auch entsprechende Ansprechpartner.

Um Ihre Frage zu beantworten, was auf europäischer Ebene eingemeldet ist: Ich bin da in einem engen und ständigen Austausch mit Vizepräsidentin Věra Jourová, und wir haben zum Beispiel auch besprochen, dass es diese Maßnahme gibt. Zukünftig wird


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darauf zu achten sein, dass das wirklich auch akkordiert im europäischen Raum von­stattengeht.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die 9. Anfrage stellt Abgeordnete Prammer. – Bitte.

10.00.22


Abgeordnete Mag. Agnes Sirkka Prammer (Grüne): Herr Präsident! Frau Bundes­ministerin! Im Zuge der Bekämpfung der Ansteckung mit Covid-19 mussten ja einige Maßnahmen gesetzt werden, um das Verwaltungsverfahren entsprechend zu gestalten. Es wurden Zugangsregelungen und auch eigene Verfahrensregelungen getroffen, und dadurch, sowie auch durch viele Homeofficetage und durch einen eingeschränkten Behördenbetrieb, wurden der Behördenverkehr und die Abwicklung der Verfahren eingeschränkt.

28/M

„Wie gestaltet sich das Wiederanlaufen des durch die COVID-19-Pandemie im Früh­jahr 2020 zwischenzeitlich stark reduzierten Verfahrensbetriebs bei den Verwaltungs­behörden des Bundes und der Länder, insbesondere im Hinblick auf den Rückstau an aufgeschobenen Verfahren?“


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Zunächst möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, um mich bei allen hier im Hohen Haus für die Geschlossenheit bei der Änderung von Verwaltungsgesetzen zu bedanken. Mir und auch der Justizministerin war es wichtig, dass trotz der Einschränkun­gen, die notwendig waren, um die Gesundheit zu schützen – Sie haben bereits den ver­minderten Parteienverkehr angesprochen; manche waren auch selbst betroffen und konnten Verfahrensgänge nicht wahrnehmen –, der Staat funktionsfähig bleibt und die Verwaltung weiterarbeiten kann. Diesbezüglich hat es wirklich über alle Parteigrenzen hinweg einen Schulterschluss gegeben, und Fristhemmungen sowie Fristunterbrechun­gen wurden beschlossen.

Um auf Ihre Frage, wie es mit den Verwaltungsverfahren jetzt aussieht, ganz konkret einzugehen: Zunächst haben Sie ja hier im Hohen Haus schon wieder eine teilweise Rücknahme dieser Bestimmungen beschlossen, damit nach Ermessen der Behörde auch wieder Verhandlungen in physischer Anwesenheit, Lokalaugenscheine und Ähn­liches abgehalten werden können. Es war ja hauptsächlich der Parteienverkehr einge­schränkt. Es waren natürlich auch Einzelne betroffen.

Ich habe es mir für das Bundesverwaltungsgericht konkret angeschaut: Vor Corona war es so, dass dort in etwa 115 Verfahren beschlossen und entschieden wurden. Während der Coronazeit lag die Zahl knapp darunter, da waren es 97 derartige Verfahren. Das heißt, es kam zu einem Rückgang von ungefähr 16 Prozent. In der Zwischenzeit ist es aber wieder angelaufen und ich bin guter Dinge, dass ein allfälliger Rückstand, der während der Coronazeit entstanden ist, rasch aufgearbeitet werden kann.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Frau Abgeordnete? – Bitte.


Abgeordnete Mag. Agnes Sirkka Prammer (Grüne): Es gab ja auch eine Maßnahme, die eingeführt wurde und den Behörden ermöglichte, Verhandlungen in Form einer Videokonferenz durchzuführen. Wie ist denn diese Maßnahme aufgenommen worden? Gibt es da irgendwelche Konsequenzen, die man für die Praxis weiter mitnehmen kann?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 38

Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Man muss dazusagen, dass in dieser Krise auch Dinge plötzlich auf die Höhe des 21. Jahrhunderts gehoben wurden. Dinge, die vielleicht schon länger ange­dacht waren, wurden plötzlich Notwendigkeit, wie eben zum Beispiel die Durchführung von Verhandlungen in Form einer Videokonferenz. Diese Anpassungen halte ich vor dem Hintergrund der Schwerpunktsetzung Digitalisierung auch auf europäischer Ebene für sehr, sehr notwendig und auch zweckmäßig, und ich habe das Gefühl, dass das gut angenommen wird – wenngleich ich auch dazusage, dass ich ja nur dafür verantwortlich bin, die entsprechenden legistischen Voraussetzungen zu schaffen, damit es diese Mög­lichkeiten gibt.

Ich denke aber, es haben in dieser Phase der Krise alle noch besser gelernt, mit diesen digitalen Dingen umzugehen, und ich bin davon überzeugt, dass es auch in Zukunft so bleiben wird, dass man zusätzlich zu physischen Kontakten auch diese Möglichkeiten nützt.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die 10. Anfrage stellt Abgeordneter Brandstätter. – Bitte.

10.03.59


Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Frau Bundesministerin! Der Ibiza-Untersuchungsausschuss arbeitet schon sehr erfolgreich, wie auch der Herr Präsident bestätigen wird. Einerseits sind wir auf verschiedene Widersprüche draufgekommen, vor allem aber sind wir draufgekommen, dass es – das hat der frühere Infrastrukturminister Hofer ausgesagt – ein klares Abkommen gegeben hat, dass Posten in Aufsichtsräten, je nachdem, im Verhältnis 2 : 1 vergeben werden.

Wir sind auch draufgekommen, dass es zwar zum Teil Hearings gegeben hat, wie etwa für die Besetzung des Vorstands der Öbag, dass diese aber nicht ernst genommen wurden, weil Bewerber, die sich gemeldet hatten, nur für 3 Minuten befragt wurden.

Deshalb meine Frage: Können Sie sich vorstellen, dass künftig bei staatlichen und staatsnahen Unternehmen sehr klar festgelegt wird, dass ehrliche Hearings, öffentliche Hearings stattzufinden haben und auch die Nachverfolgbarkeit von Bewerbungen gege­ben sein muss, damit das gewährleistet ist, was bis jetzt offenbar nicht der Fall ist, nämlich dass die besten Bewerberinnen und Bewerber genommen werden und nicht die mit dem richtigen Parteibuch oder vielleicht auch – auch das werden wir noch unter­suchen – die mit der richtigen Spende?

*****

Die schriftlich eingebrachte Anfrage, 23/M, hat folgenden Wortlaut:

„Sind Sie für transparentere und nachvollziehbarere Ausschreibungen und Auswahl­verfahren bei Personalentscheidungen im staatsnahen und staatlichen Bereich?“

*****


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Ich kann, will und werde jetzt nicht die von Ihnen skizzierten Zwischen­ergeb­nisse, oder wie immer man das auch bezeichnet, des Untersuchungsausschusses in irgendeiner Form kommentieren. Das ist etwas, das dem Untersuchungsausschuss am Schluss seiner Tätigkeit vorbehalten bleibt, nämlich die Ergebnisse in einem Bericht nie­derzulegen.


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Zu Ihrer konkreten Frage betreffend transparentere, nachvollziehbarere Ausschreibun­gen kann ich Ihnen aber Folgendes sagen: Ich arbeite nicht umsonst ganz intensiv am Transparenzpaket, am Informationsfreiheitsgesetz. Ich mache das deshalb, weil ich davon überzeugt bin: Transparenz bewirkt Nachvollziehbarkeit, Transparenz zeigt in allen Varianten, dass man nichts zu verbergen hat. Dafür stehe ich und dafür setze ich mich auch in meiner Arbeit täglich ein. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abgeordneten Prammer und Jakob Schwarz.)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brandstätter? – Bitte.


 

Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Wir haben, wie gesagt, von Norbert Hofer erfahren, dass es dieses 2:1-Abkommen, abgeschlossen von zwei Parteiobleuten, Herrn Kurz und Herrn Strache, gab und dass dieses von zwei Persönlichkeiten abge­schlossene Abkommen in Wirklichkeit ja die Minister künftig gebunden hat.

Können Sie sich als Verfassungsministerin vorstellen, dass es eigentlich verfassungs­widrig ist, wenn ein Kanzler und ein Vizekanzler etwas festlegen, woran anschließend die Minister, die ja eigenverantwortlich sind, gebunden sind, insofern als ja klar war, dass das Verhältnis 2 :1 sein musste? Und: Gibt es ein ähnliches Abkommen auch zwischen Herrn Kurz und Herrn Kogler?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Ich kenne weder dieses Abkommen, von dem Sie jetzt sprechen, noch irgendwelche sonstigen, ich kann das auch nicht kommentieren. Ich sage Ihnen ganz klar: Als Verfassungsministerin fühle ich mich an die Verfassung und an die Gesetze gebunden, und daran halte ich mich auch jeden Tag. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abg. Maurer.)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Zusatzfrage stellt Abgeordnete Tomaselli. – Bitte.


Abgeordnete Mag. Nina Tomaselli (Grüne): Sehr geehrte Frau Ministerin! Letzte Woche war Peter Sidlo als Auskunftsperson bei uns im Ibiza-Untersuchungsausschuss, und es steht wahrscheinlich derzeit in Österreich kein zweiter Name so sehr wie seiner für Postenschacher. Die Menschen in Österreich erwarten sich zu Recht und möchten sich auch darauf verlassen können, dass Stellen und Posten in öffentlichen Unter­nehmen diejenigen bekommen, die dafür besonders geeignet oder auch kompetent sind, und nicht diejenigen, die gute Beziehungen pflegen oder gar ein Parteibuch haben. – Das ist im Grunde genommen der Unterschied zwischen Postenbesetzung und Posten­schacher.

Im Regierungsprogramm ist klar festgehalten, dass es eine Evaluierung von Vorstands­bestellungen in staatsnahen Betrieben mit dem Ziel einer Objektivierung und größt­möglicher Transparenz geben soll.

Deshalb möchte ich Sie, weil es bei der Bestellung von Peter Sidlo eben um eine Vor­standsbestellung ging, explizit fragen: Welche Schritte für mehr Objektivierung und größere Transparenz haben Sie in diese Richtung und dann noch im Allgemeinen für alle Postenbesetzungen in staatsnahen Betrieben geplant?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Transparenz ist etwas, das dieser Bundesregierung ganz, ganz wichtig ist, dieses Thema nimmt auch im Regierungsprogramm einen großen, entscheidenden Teil ein, denn es geht letztlich darum, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat


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zu stärken, es geht darum, darzustellen, dass der Staat nichts zu verbergen hat. Die von Ihnen angesprochene Evaluierung ist im Regierungsprogramm festgehalten. Ich halte das für richtig und auch für wichtig, bitte aber trotzdem um Verständnis dafür, dass ich dieser Evaluierung, diesem Prozess, den man angeht, jetzt nicht vorgreifen möchte, indem ich schon auf mögliche Ergebnisse sozusagen blicke und diese hier öffentlich kommentiere.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt Abgeordnete Kaufmann. – Bitte.

10.08.54


Abgeordnete Martina Kaufmann, MMSc BA (ÖVP): Frau Ministerin! Wir haben über dieses Thema schon gesprochen und es betrifft uns alle, denn die meisten hier im Raum sind in den Social Media unterwegs, so wie viele Österreicherinnen und Österreicher auch. Sie haben es schon ein wenig skizziert, ich möchte aber noch ein bisschen im Detail nachfragen:

16/M

„Wie stellen Sie sicher, dass es im Rahmen des von Ihnen angekündigten Gesetzes zur Plattformverantwortlichkeit zu keiner Verletzung der Meinungsfreiheit kommt?“


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Ich möchte es noch einmal ganz deutlich sagen: Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention sieht die Freiheit der Meinungsäußerung vor; das steht in Österreich im Verfassungsrang. Es gehört zum Wesen einer freien, liberalen Gesell­schaft, auch Meinungen äußern zu können.

Die Grenze sehe ich aber dort, wo es um Hass, um Hetze, um extremistische, anti­semitische Gedanken geht, die auf derartigen Plattformen verbreitet werden – und das werden wir nicht zulassen. Wir werden den Hetzern das Internet nicht freigeben. Wir werden Lösungen finden, die eine Balance zwischen der Freiheit der Meinungsäußerung einerseits und dem Schutz vor Hass und Hetze andererseits gewährleisten.

Es gibt da auch in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union schon Gesetze. Es gibt auch Nachbesserungen. Es darf nicht zu einem überbordenden Löschen und damit einer Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit kommen.

Das ist mit Sicherheit keine leichte Abwägung, die vorzunehmen ist, aber – ich sage es noch einmal –: In einer demokratischen, auch liberalen Gesellschaft, in einem Rechts­staat ist das notwendig und es lohnt sich, das auch mit aller Akribie zu tun und da auch entsprechende Lösungen auf den Weg zu bringen. (Beifall bei Abgeordneten der ÖVP.)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Kaufmann? – Bitte.


Abgeordnete Martina Kaufmann, MMSc BA (ÖVP): Sie haben das vorhin schon in Bezug auf die negativen Informationen, die in der Covid-Krise verbreitet worden sind – es gibt natürlich auch viele positive Meldungen, die verbreitet worden sind –, beleuchtet: Wie sehen Sie da die Rolle der Plattformverantwortlichkeit?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Ministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Zunächst kann ich ausführen, dass es zum Teil auch während der Krise eine gute Zusammenarbeit mit Plattformen gab, die darin bestand, dass Inhalte, die wichtig


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für das Wissen der Bevölkerung waren, auch vorgereiht worden sind, damit der rasche Zugriff auf diese Informationen auch gegeben war.

Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen, dass natürlich gerade auf derartigen Plattformen auch Informationen verbreitet worden sind, die als Brandbeschleuniger gewirkt haben, die der Ausgangspunkt für die Verbreitung von Fakenews, von Verschwö­rungstheorien und Ähnlichem waren. Mir geht es darum, in Zukunft diese Plattformen auch in die Pflicht zu nehmen, dass es auch Ansprechpartner gibt, damit man rasch mit jemandem in Kontakt treten kann, und dass letztlich auch – das ist auch ein Anliegen der Justizministerin – gerichtliche Entscheidungen in diese Richtung durchgesetzt werden können.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die 12. Anfrage stellt Frau Abgeordnete Holzleitner. – Bitte.

10.11.39


Abgeordnete Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): Werte Frau Ministerin! Zum Mehr­jährigen Finanzrahmen haben wir nun bereits einige Fragen gehabt. Die geizigen Vier: Wir haben im letzten EU-Ausschuss sehr viel über die Definitionen geredet. Mir ist da noch etwas eingefallen – im konservativen Kontext –: Die enthaltsamen Vier könnte man durchaus auch sagen.

Wir haben auch schon viel über Solidarität und Balance gehört. Wir sehen das nicht nur als Solidarität, und mich würde schon interessieren:

26/M

„Mit welcher akkordierten Verhandlungsposition wird Österreich in die Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen und zur Aufbauhilfe in Folge der Corona-Krise gehen?“

*****

Vielleicht gehen Sie auch speziell auf Folgendes ein: In welchen Töpfen nimmt man Kürzungen hin?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Ministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Zunächst darf ich noch einmal darauf hinweisen, dass uns allen klar ist und dass es auch in allen Gremien, in denen ich, nun in letzter Zeit vor allem in Form von Videokonferenzen, gesessen bin, immer darum ging, zu betonen, dass es Solidarität braucht, dass wir nur gemeinsam aus der Krise rauskommen können, dass es auch eine Vision für eine zukünftige Europäische Union braucht, neben der Überwindung öko­nomischer Probleme, wirtschaftlicher Krisen auch eine Vision für die Zukunft in Form der Zukunftskonferenz entwickelt werden muss.

Das heißt, wir gehen mit der Position rein, dass wir natürlich solidarisch sein müssen, dass es auch notwendig ist, denen unter die Arme zu greifen, die am härtesten von Covid-19 getroffen sind. Es geht uns aber auch darum, genau hinzuschauen, dass es eben dann diejenigen betrifft, dass diejenigen unterstützt werden, die aufgrund von Covid-19 getroffen worden sind. Das ist ja das, was die Kommission auch nach vorne gestellt hat. Das müssen wir nun – das wird auch nächste Woche im Rat für Allgemeine Angelegenheiten die Aufgabe sein, aber dann auch die Aufgabe des Herrn Bundes­kanzlers im Europäischen Rat – auch allen vermitteln, alle an Bord bekommen, dass wir uns darauf wirklich klar ausrichten. Die Verhandlungen sind erst angegangen. Mir wäre es recht – oder ich würde es mir wünschen –, wenn Österreich irgendwann auch tatsächlich als ambitionierter Mitgliedstaat der Europäischen Union gesehen wird, weil


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wir in Österreich vorangehen, auch was die Planung der Zukunft in der Europäischen Union betrifft.

Abschließend darf ich Ihnen zum Mehrjährigen Finanzrahmen und zum Recovery­instru­ment sagen und versichern, dass es bis jetzt auf europäischer Ebene letztlich immer gelungen ist, eine Lösung zu finden, die natürlich in einem Kompromiss wird bestehen müssen. Nun aber ist der erste Schritt einmal, die Dinge in depth, also wirklich im Detail, zu verhandeln.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Holzleitner? – Bitte.


Abgeordnete Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): Dahin gehend ganz konkret: Welche Töpfe, welche Bereiche? Wir wissen ja, es gibt im Mehrjährigen Finanzrahmen ver­schiedene Bereiche – Kultur, Bildung, Landwirtschaft –: Wo nimmt man Kürzungen hin? Wo ist man bereit, einen Kompromiss einzugehen und auch im Gegensatz zum ur­sprünglichen Vorschlag ein Minus hinzunehmen?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Ministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Das kann ich Ihnen jetzt im Detail deshalb nicht beantworten, weil es im Charakteristikum einer Verhandlung liegt, dass man aufeinander zugehen muss, dass man auch die Position klarmachen muss.

Für uns aber ist klar, dass es Bereiche gibt, die weniger mit Covid-19 zu tun haben – wenn man zum Beispiel an militärische Mobilität denkt oder an Verwaltungskosten –, und dass es Themenbereiche gibt, die sehr viel mit Covid-19 und mit der Überwindung der Krise zu tun haben.

Wenn wir vom Mehrjährigen Finanzrahmen reden, von einer besseren Ausgestaltung der Zukunft in der Europäischen Union: Es gibt insgesamt sieben verschiedene Cluster, in die das eingeteilt worden ist und bei denen die Milliardenbeträge – das möchte ich noch einmal sagen – auch verschoben werden, wo es dann heißt, da gibt es Ein­spa­rungen, weil ein Teil einer Milliarde woanders hinkommt. Das sind ja alles Gelder, die wir uns – oder ich zumindest nicht – von der Summe her kaum vorstellen können; da reden wir immer vom Steuergeld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

Insofern gilt es natürlich in der Verhandlung, auf der einen Seite auch eine Balance zu finden, ein Zukunftsprojekt Europa auch vor allem im Hinblick auf die jungen Menschen in Europa zu etablieren, und auf der anderen Seite zu schauen, wie wir aus der Krise rauskommen können.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage des Abgeordneten Minnich. – Bitte.


Abgeordneter Andreas Minnich (ÖVP): Herr Präsident! Geschätzte Frau Bundes­minister! Die Eigenmittel der Europäischen Union werden ja immer wieder thematisiert: Wie steht die österreichische Bundesregierung zur Einführung möglicher zusätzlicher Eigenmittel?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Ministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Eigentlich ist es ein bisschen eine künstliche Diskussion, die wir nun am Rande des Recoveryinstruments in dem Bereich führen, weil Eigenmittel ja heißt, dass alle 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union denen auch zustimmen müssen.

Ganz konkret Ihre Frage beantwortend möchte ich Ihnen sagen, dass es Eigenmittel gibt, die wir schon in der Zeit der Ratspräsidentschaft – Sie wissen: zweite Hälfte 2018 – vorangetrieben haben. Ich spreche da vor allem von der Digitalsteuer. Das ist etwas, bei


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dem es um mehr Gerechtigkeit geht, wenn große Konzerne, die ihre Milliardengewinne in Europa machen, auch hier ihre Steuern zahlen. Das ist ein Eigenmittel, für das wir sehr stark eintreten und bei dem die Diskussion fortgeführt werden muss. Zum anderen ist auch immer wieder von einer Plastikabgabe die Rede, und auch das ist eine Mög­lichkeit, zu steuern, nämlich insbesondere in Mitgliedstaaten, die noch nicht so gut sind, was das Recycling betrifft, um für sie einerseits einen Anreiz zu schaffen, und ande­rerseits gibt es dann natürlich auch Geld für das gemeinsame Budget.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die 13. und letzte Anfrage stellt Herr Abgeordneter Marchetti. – Bitte.

10.17.06


Abgeordneter Nico Marchetti (ÖVP): Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Last, but not least: Meine Frage dreht sich um die EU-Erweiterung. Es ist ja gerade auch ein Anliegen Österreichs, dass die EU-Erweiterung Richtung Westbalkan vorangetrieben wird, in einem nächsten Schritt sind das Nordmazedonien und Albanien. Es gab da nun einige Entwicklungen auch auf europäischer Ebene, so wurden im März die Beitritts­verhandlungen unter den zuständigen Europaministerinnen und Europaministern akkor­diert.

Meine Frage ist:

17/M

„Wie sieht Österreichs Position zum Erweiterungspaket der Kommission bezogen auf den aktuellen Verhandlungsstand aus?“


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Ministerin, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Das Projekt der Europäischen Union ist vor allem ein Friedensprojekt – ein höchst erfolgreiches Friedensprojekt –, und ich sage ganz klar, es ist nicht fertig, solange nicht alle Staaten des Westbalkans zumindest eine wirklich glaubwürdige Zukunfts- und Beitrittsperspektive bekommen haben.

Deshalb freue ich mich sehr, dass es mitten in der Krise, im März nämlich, gelungen ist, den Beschluss zu fassen, dass man beginnt, den Beitritt mit Albanien und Nordmaze­donien zu verhandeln, also dass man Eröffnungsgespräche führt. Wir hoffen nun auch, dass es bald zu einer ersten Konferenz im Hinblick auf diesen Eröffnungs- und Beitritts­prozess für diese beiden Länder kommen kann. Das ist das Erste.

Das Zweite ist, dass natürlich die Covid-19-Krise auch das von Ihnen angesprochene Erweiterungspaket ein bisschen verschoben hat. Normalerweise ist es so, dass das im Mai/Juni präsentiert und dann ja auch im Parlament verhandelt, besprochen wird. Worum geht es bei diesem Erweiterungspaket? – Da geht es darum, dass die Kom­mission Folgendes evaluiert: Wie ist denn der Fortschritt in diesen Ländern des West­balkans, in den sechs Ländern, von denen wir sprechen? Was gibt es für Entwicklungen und was gibt es auch für Empfehlungen seitens der Europäischen Kommission, dass man da besser und schneller in diesem Prozess der Annäherung an die Werte der Europäischen Union und letztlich auch an die Europäische Union selbst weiterkommt.

Covid-19 hat verursacht, dass die Kommission dieses Paket erst im September/Oktober vorlegen wird; dann werden wir aber ganz genau hinschauen. Österreich war immer ein Frontrunner, wenn es darum gegangen ist, die hoffentlich zukünftigen Mitgliedstaaten des Westbalkans darin zu unterstützen, auch eine Beitrittsperspektive zu bekommen. Wir haben in der kurzen Zeit, seit die neue Kommission im Amt ist, schon sehr vieles erreicht. Ich darf da stichwortartig die neue Beitrittsmethodologie nennen, die einen


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besseren politischen Prozess forciert, die ein schnelleres Vorankommen vor Augen hat. In diesem Sinne wird Österreich diese Staaten auch weiter unterstützen.

Eines möchte ich auch noch erwähnen: Meine erste Auslandsdienstreise nach dem Shutdown, kurz bevor wir sozusagen zur neuen Normalität gekommen sind, war eine gemeinsame Reise mit dem Außenminister auf den Westbalkan. Wir waren in drei Staaten, in Albanien, in Serbien und im Kosovo, und haben dort auch die Botschaft über­mittelt, dass die Europäische Union hinter diesen Staaten steht, denn was wir alle nicht wollen, ist, dass sich der Einfluss von Großmächten, von anderen Großmächten außer­halb Europas auf diese Staaten auswirkt, sondern die Europäische Union muss diejenige sein, die da auch die entsprechende Unterstützung und Zukunftsperspektive gibt. (Beifall bei der ÖVP.)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Marchetti? – Bitte.


Abgeordneter Nico Marchetti (ÖVP): Ein heißumkämpftes Thema im Zusammenhang mit den Erweiterungen und Beitrittsgesprächen ist auch die Türkei, die ja offiziell noch Beitrittskandidat ist.

Wie ist da die österreichische Position und wie ist auch die Stimmung unter den europäischen Ländern bezüglich Abbruch der Beitrittsverhandlungen und diesen ganzen Themenkomplex?


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesminister, bitte.


Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Da ist der Befund ein anderer und die Position Österreichs unverändert. Wir stehen dafür, dass der Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sofort stattfindet und vollzogen wird.

Ich möchte da schon auf die jüngsten Entwicklungen im Hinblick auf die Türkei hinweisen: Wir haben Bohrungen in Zypern, wir haben einen Einmarsch in Syrien, wir haben Verstöße gegen das Waffenembargo in Libyen zu verzeichnen, wir haben Migration als Druckmittel der Türkei gegenüber der Europäischen Union und eine Po­sition und politische Handlungsweise von Erdoğan, die wirklich nicht zu dulden ist und nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun hat. Ich kann nur festhalten, dass die Türkei sich leider immer weiter von den Werten, die in der Europäischen Union die Core Values, also die Grundwerte, sind, entfernt, und deshalb ist die Position Österreichs da auch unverändert.

Wir sind für einen sofortigen Abbruch der Verhandlungen mit der Türkei. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich danke der Frau Ministerin für die Beantwortung der Anfragen.

Es sind alle Fragen zum Aufruf gelangt, und daher ist die Fragestunde für beendet zu erklären.

10.22.00Einlauf


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Hinsichtlich der eingelangten Verhandlungs­gegen­stände darf ich gemäß § 23 Abs. 4 der Geschäftsordnung auf die im Sitzungssaal verteilte Mitteilung verweisen.

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:

A. Eingelangte Verhandlungsgegenstände:


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Schriftliche Anfragen: 2653/J bis 2698/J

Anfragebeantwortungen: 1928/AB bis 1930/AB

*****

Ankündigung eines Dringlichen Antrages


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die Abgeordneten Holzleitner, Kolleginnen und Kollegen haben vor Eingang in die Tagesordnung das Verlangen gestellt, den zum gleichen Zeitpunkt eingebrachten Selbständigen Antrag 769/A(E) der Abgeordneten Holzleitner, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Lehrlingsgarantie in Zeiten von Corona“ dringlich zu behandeln.

Gemäß der Geschäftsordnung wird der Dringliche Antrag um 15 Uhr behandelt werden.

Fristsetzungsantrag


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Vor Eingang in die Tagesordnung teile ich weiters mit, dass die Abgeordneten Fuchs, Krainer, Doppelbauer, Kolleginnen und Kollegen beantragt haben, dem Geschäftsordnungsausschuss zur Berichterstattung über den Antrag 421/A der Abgeordneten Rendi-Wagner, Kickl, Meinl-Reisinger, Kolleginnen und Kollegen betreffend B-VG und Geschäftsordnungsgesetz eine Frist bis zum 13. Juli 2020 zu setzen.

Der gegenständliche Antrag wird gemäß der Geschäftsordnung nach Beendigung der Verhandlungen in dieser Sitzung zur Abstimmung gebracht werden.

Absehen von der 24-stündigen Aufliegefrist


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Um den Punkt 21 der Tagesordnung in Ver­handlung nehmen zu können, ist es gemäß § 44 Abs. 2 der Geschäftsordnung erfor­der­lich, von der 24-stündigen Frist für das Aufliegen des Ausschussberichtes abzusehen.

Es handelt sich dabei um den Bericht des Verfassungsausschusses über den Antrag 644/A der Abgeordneten Sobotka, Schatz, Blimlinger, Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus geändert wird (341 der Beilagen).

Ich darf die Damen und Herren, die dafür sind, um ein entsprechendes Zeichen der Zustimmung bitten. – Das ist einstimmig angenommen.

Behandlung der Tagesordnung


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Es ist vorgeschlagen, die Debatten über die Punkte 1 bis 7, 10 bis 12, 13 und 14, 15 und 16, 23 bis 25, 28 bis 32 sowie 34 und 35 der Tagesordnung jeweils zusammenzufassen.

Wird dagegen ein Einwand erhoben? – Das ist nicht der Fall.

Redezeitbeschränkung


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zwischen den Mitgliedern der Präsidialkonfe­renz wurde Konsens über die Dauer der Debatten erzielt. Demgemäß wurde eine


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Tagesblockzeit von insgesamt 8 „Wiener Stunden“ vereinbart, sodass sich folgende Redezeiten ergeben: ÖVP 156 Minuten, SPÖ 108 Minuten, FPÖ 88 Minuten, Grüne 80 Minuten sowie NEOS 64 Minuten.

Gemäß § 57 Abs. 7 der Geschäftsordnung beträgt die Redezeit für die gesamte Tages­ordnung von jenen Abgeordneten, die keinem Klub angehören, je 32 Minuten, die Rede­zeit ist mit 5 Minuten je Debatte begrenzt.

Wir kommen sogleich zur Abstimmung über die dargestellten Redezeiten.

Wer dafür ist, den bitte ich um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist ebenfalls ein­stimmig angenommen.

Wir gehen nun in die Tagesordnung ein.

10.25.031. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (285 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Arbeitsmarktservicegesetz, das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 und das Arbeitsmarktförderungsgesetz geändert werden (319 d.B.)

2. Punkt

Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz geändert wird (320 d.B.)

3. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 685/A(E) der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend Arbeits­marktreform, zeitliche Staffelung des Arbeitslosengeldes (321 d.B.)

4. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 684/A(E) der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend Arbeits­marktreform – Reform aktive Arbeitsmarktpolitik (322 d.B.)

5. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 675/A(E) der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend Arbeitsmarktreform – Einführung eines Weiterbildungskontos (323 d.B.)

6. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 715/A(E) der Abgeordneten Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Maßnahmenpaket gegen die sektorale Arbeitslosigkeit in Österreich (324 d.B.)


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7. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 646/A(E) der Abgeordneten Josef Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausbil­dungs­garantie für junge Menschen in Zeiten von Corona (325 d.B.)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir gelangen zu den Punkten 1 bis 7 der Tages­ordnung, über welche die Debatten unter einem durchgeführt werden. Es sind dies die Berichte des Ausschusses für Arbeit und Soziales. Hinsichtlich der einzelnen Aus­schuss­berichte verweise ich auf die Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Muchitsch, dem ich das Wort erteilen darf. – Bitte.


10.25.33

Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Ge­schätzte Damen und Herren im Parlament! Geschätzte Damen und Herren zu Hause vor den Fernsehschirmen! Schauen wir uns die APA-Meldungen von gestern an: Das waren keine positiven Meldungen. Die EU-Kommission spricht in einer Aussendung davon, dass die „Rezession noch tiefer als bisher erwartet“ ist; auch Österreich wird von dieser Rezession in den nächsten Jahren betroffen sein. Schaut man sich die nächste Aus­sendung an, jene von der OECD: „Sozial Schwächere von Coronakrise besonders hart getroffen“. „Sozial schwächere Gruppen, auch Frauen“ – und Arbeitslose – „seien am stärksten getroffen.“

Heute schreiben wir den 8. Juli, 117 Tage sind seit dem Lockdown vergangen, und wir behandeln jetzt eine Regierungsvorlage hinsichtlich einer Einmalzahlung beim Bezug von Arbeitslosengeld und Familienbeihilfe. Die Familienbeihilfe, die von den Regie­rungsparteien vorgeschlagen wird, unterscheidet wieder zwischen Kindern, weil sie eine Indexierung der Familienbeihilfe vorsieht. Die Einmalzahlung von Arbeitslosengeld in Höhe von 450 Euro setzt voraus, zwischen Mai und August 60 Tage arbeitslos gewesen zu sein oder Notstandshilfe bezogen zu haben, und die Auszahlung ist erst im Septem­ber geplant. – Ich sage Ihnen: Das ist alles zu wenig, das ist alles nicht nachhaltig, und es ist sozial ungerecht! (Beifall bei der SPÖ.)

Das sage nicht nur ich Ihnen, das sagen Ihnen auch alle Expertinnen und Experten: Diese Einmalzahlung von 450 Euro ist keine nachhaltige Maßnahme gegen Armuts­vermeidung, sie stabilisiert die Kaufkraft nicht und sie unterstützt auch den Konsum nicht. Daher haben wir als SPÖ bereits am 3. April erstmals einen Antrag eingebracht, das Arbeitslosengeld in Form eines Zuschlages, der monatlich ausbezahlt wird, der unkompliziert ist, der rasch hilft, zu erhöhen, und zwar in Höhe von 30 Prozent der Nettoersatzrate. Von welchen Summen sprechen wir? – Das durchschnittliche Arbeits­losengeld in Österreich beträgt 34,55 Euro pro Tag. Unser Antrag hätte bewirkt, dass durchschnittlich 9,30 Euro pro Tag dazukommen. Da geht es nicht um große Summen, da geht es einfach um Nachhaltigkeit, Fairness und Gerechtigkeit.

Ihr Vorschlag, den Sie heute eingebracht haben, grenzt wieder eine Gruppe von Men­schen aus, die unverschuldet arbeitslos geworden sind; diejenigen, die mit März arbeits­los geworden sind; im April haben wir mit 575 000 arbeitslosen Menschen die höchsten Arbeitslosenzahlen gehabt. Ein Teil dieser Gruppe fällt wieder durch, hat nichts von Ihrem Vorschlag. Und eine andere Gruppe, die sich im Sommer noch in Arbeitslosigkeit befindet, bekommt die Einmalzahlung erst mit September, und das ist einfach viel zu spät. Das ist unsozial, das ist ungerecht!

Wir werden deshalb heute neuerlich unseren Vorschlag einbringen, nämlich eine ge­rechte, nachhaltige, soziale Lösung für alle Betroffenen, die durch Corona unverschuldet


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in Arbeitslosigkeit geraten sind. Wir werden hier einen Abänderungsantrag einbringen, der neuerlich vorsieht, das Arbeitslosengeld mit einem Zuschlag von 30 Prozent rück­wirkend ab März, befristet bis Ende Dezember, zu erhöhen, der auch eine nicht an­rechenbare Leistung in der Gesundheitsbestimmung beim Sozialhilfe-Grundsatzgesetz definiert. – Das soll rückwirkend mit 16. März 2020 in Kraft treten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Fakt ist, diese Regierungsvorlage, die Sie hier heute einbringen, lässt wieder viele Menschen zurück! „Koste es, was es wolle“ wird damit noch unglaubwürdiger, wie auch Ihre Stehsätze, mit denen Sie den Menschen in Österreich ein Versprechen abgegeben haben.

Sie lassen nicht nur viele junge Menschen zurück, die im Herbst eine Lehrstelle suchen, Sie lassen auch all jene zurück – Studierende, geringfügig Beschäftigte, freie Dienst­nehmer, Mindestpensionisten –, die Sie gestern verabsäumt haben, bei Ihrer Ministeuer­reform auch mit ins Boot zu holen. Einpersonenunternehmen, kleine KMUs, sie werden alle zurückgelassen. Es ist wirklich Zeit, dass Sie endlich Ihr Versprechen einhalten, niemanden zurückzulassen. Das, was Sie heute hier vorschlagen, eine Einmalzahlung, wieder nur für eine bestimmte Gruppe, das ist nicht nachhaltig.

Lieber August Wöginger, du hast hier von diesem Pult aus Versprechen abgegeben, auch, was die Betreuung dieser Menschen betrifft: Aufstockung von Dienstposten im AMS, 500 zusätzliche Dienstposten – nicht 700 Werkverträge, sondern 500 Dienst­pos­ten! Ich ersuche dich, das auch mit deinen Vertretern im AMS-Verwaltungsrat seitens der ÖVP so zu besprechen, dass es da eine Zustimmung gibt. (Beifall bei der SPÖ.)

Fakt ist: Mit Ihrem Vorschlag lassen Sie, zusammenfassend, heute wieder Betroffene zurück! Aber das Schlimmste für mich als sozial denkenden Menschen ist, dass Sie die Schwächsten in unserer Gesellschaft mit Ihrem Vorschlag wieder zurücklassen. (Beifall bei der SPÖ.)

10.31


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Klubobmann Wöginger. – Bitte.


10.31.35

Abgeordneter August Wöginger (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundes­ministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir lassen in dieser schwierigen Situation niemanden zurück; deshalb fassen wir heute Beschlüsse für zwei ganz beson­dere Gruppen, nämlich zum einen für Familien mit Kindern, weil es dort in Zeiten von Homeschooling, in Zeiten, in denen letzten Endes keine Freizeiteinrichtungen besucht werden konnten, die Kinder sozusagen zu Hause waren, besonders herausfordernd war. Da werden wir auch die entsprechende zusätzliche Unterstützung geben – und für Men­schen, die aufgrund der Coronakrise arbeitslos waren oder arbeitslos geworden sind.

Ich möchte das soeben Gesagte schon entschieden zurückweisen, denn es sind zwei Maßnahmen, die bei den Menschen ankommen werden. Das ist bares Geld auf die Hand, das wir im September zur Auszahlung bringen, erstens für Familien mit Kindern – pro Kind 360 Euro im September, völlig unbürokratisch, automatisch zur Familienbeihilfe dazu, für jedes Kind, das in Österreich lebt, meine Damen und Herren. Zum Zweiten gibt es die 450 Euro als Einmalzahlung, die netto zum Arbeitslosengeld dazukommt. Das wird die Kaufkraft stärken, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Ich möchte es ein bisschen auf die Regionen herunterbrechen. In meinem Heimatbezirk Schärding haben wir in etwa 9 700 Kinder oder Jugendliche, für die Familienbeihilfe bezogen wird. Wenn man das mit diesen 360 Euro multipliziert, gehen rund 3,5 Millionen Euro an die Familienbeihilfebezieherinnen und -bezieher im Bezirk Schärding. Meine


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Damen und Herren, dieses Geld wird in den Konsum gehen, da wird eingekauft werden. Das wird investiert und das bedeutet, es belebt unseren Wirtschaftskreislauf – und genau das wollen wir mit dieser Unterstützung auch zustande bringen. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Ich möchte auch noch ein Beispiel bringen, weil hier immer gesagt wird, es seien so viele Einzelmaßnahmen – ja, natürlich, meine Damen und Herren! Gestern ist der erste Teil der Steuerentlastung beschlossen worden, womit der Eingangssteuersatz von 25 auf 20 Prozent gesenkt wird, auch eine Negativsteuer mit Wirksamkeit von 100 Euro für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wenn jemand zum Beispiel 2 000 Euro verdient, dann wirkt sich das so aus, dass er durch die Steuersenkung bereits für das heurige Jahr 350 Euro bekommt, das wurde nämlich rückwirkend beschlossen. Und wenn in der Familie zwei Kinder sind, dann bekommt man noch 720 Euro dazu und man ist in dieser Familie bei dem berühmten Tausender. Da rede ich noch gar nicht von einem zweiten Partner oder einer Partnerin, der/die vielleicht auch erwerbstätig ist, wo die Steuerentlastung auch noch einmal wirkt.

Meine Damen und Herren! Das sind Maßnahmen, die greifen. Das sind Maßnahmen, die dort ankommen, wo sie hingehören, nämlich bei den Betroffenen, bei Familien mit Kindern und auch bei arbeitslosen Menschen, und genau darum geht es uns. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Zur Einmalzahlung beim Arbeitslosengeld möchte ich schon noch ein paar Anmer­kun­gen machen. Erstens, glaube ich, sollte man sich die Zahlen noch einmal in Erin­nerung rufen, die gestern von der Ministerin präsentiert wurden. Wir haben derzeit, Stand ges­tern, 442 089 Arbeitslose inklusive SchulungsteilnehmerInnen. Das ist immer noch eine sehr hohe Zahl und es ist alles daranzusetzen, diese Zahl zu verringern. Aber eines sollte man schon dazusagen: innerhalb einer Woche wurde die Zahl um über 21 000 Ar­beitslose reduziert – minus 21 000! –, und darum geht es ja letzten Endes: dass wir die Menschen aus der Arbeitslosigkeit heraus und zurück in die Jobs bringen, denn dort verdienen sie Geld, das bedeutet Einkommen, Wohlstand und soziale Absicherung. Das ist doch der richtige Weg, meine Damen und Herren. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Zur Kurzarbeit: Das ist ein Modell, das sehr positiv ist. Ich möchte das erwähnen, auch die Verlängerung, weil wir dort wirklich helfen, sowohl den Menschen, denen derzeit sonst drohen würde, dass sie arbeitslos würden, als natürlich auch den Unternehme­rinnen und Unternehmern, bei denen die Menschen angestellt bleiben können. Wir haben derzeit 403 382 Menschen in Kurzarbeit. Der Höchststand war bei über 1,3 Mil­lionen. Das heißt, die Zahl ist bereits um über 900 000 zurückgegangen. Das ist eben­falls der richtige Weg und das richtige Signal. Wir sind doch dazu da, alles zu tun, wenn sich Gott sei Dank diese Krise entschärft, dass die Menschen in ihre Jobs zurückkönnen, dass die Volkswirtschaft funktioniert, dass der Konjunkturkreislauf sozusagen wieder belebt wird – und das sind positive Signale, die hoffentlich auch so bleiben mögen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Eines möchte ich schon noch sagen, auch zum Arbeitslosengeld und dieser prozen­tu­ellen Anhebung. Sie haben eines völlig vergessen, wenn wir dort anheben: Es gibt viele Menschen, die Aufstockerinnen und Aufstocker sind, nämlich was die Sozialhilfe anbe­langt, bei denen würde das Geld nicht ankommen, denn es würde den Anteil der Sozialhilfe verringern. (Zwischenruf bei der SPÖ.) Unterm Strich würde bei diesen Men­schen, die aufstocken, nicht mehr übrig bleiben. Diese 450 Euro bleiben netto auf dem Konto. Kollege Koza und ich haben das im Gesetz extra noch geregelt, dass diese 450 Euro auch netto bei den arbeitslosen Menschen ankommen und nicht die Sozialhilfe


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dort von dem Anteil, den die Länder und Gemeinden dazuzahlen, sozusagen weggefres­sen würde. Das ist auch eine wichtige Maßnahme, damit das Geld auch wirklich dort ankommt. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Meine Damen und Herren, man kann es immer sehen, wie man will und der Standort bestimmt den Standpunkt, aber eines möchte ich abschließend festhalten und auch betonen: Diese Bundesregierung hat diese Coronakrise aus meiner Sicht von Anfang an völlig richtig bekämpft. Der Lockdown war notwendig. Wir haben Menschenleben geschützt und gerettet, weil das unsere Aufgabe ist und die oberste Priorität der Politik zu sein hat. (Abg. Wurm: Ihr habt Angst verbreitet! Angst und Panik! Optimismus brauchen wir!)

Diese Clusterentwicklungen, die wir jetzt mancherorts sehen, sei es in Wien, sei es in Oberösterreich, sei es in Salzburg, zeigen uns, dass das absolut der richtige Weg war. Wir müssen weiterhin vorsichtig sein, sorgsam sein, Abstand halten. Händedesinfektion wird bei uns jetzt zum Leben dazugehören – aber diese Maßnahmen waren richtig, und wir lassen in dieser schwierigen Situation niemanden im Stich. (Zwischenruf der Abg. Meinl-Reisinger.) Diese heutigen Maßnahmen beweisen, Familien mit Kindern und arbeitslose Menschen liegen dieser Bundesregierung auch am Herzen. Stimmen Sie mit, heute und vor allem auch nächste Woche, dass diese Menschen zu ihrem Geld kommen! (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

10.39


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Wurm. – Bitte.


10.39.08

Abgeordneter Peter Wurm (FPÖ): Herr Präsident! Frau Minister! Hohes Haus! Werte Zuseher zu Hause! Ja, wir sind mitten in einer Wirtschaftskrise und damit auch mitten in einer Sozialkrise. Man braucht sich die Zahlen nur anzuschauen oder mit offenen Augen durch die Städte zu gehen, dann weiß man, was sich derzeit abspielt. Wir haben natürlich – Kollege Wöginger hat es zwar positiv dargestellt – nach wie vor ein massives Problem: in Summe knapp 850 000 Österreicherinnen und Österreicher, die nicht oder nur in Kurzarbeit arbeiten, das heißt, die entweder arbeitslos oder in Kurzarbeit sind.

Das ist nach wie vor erschreckend, und wenn man sich die aktuelle Entwicklung an­schaut, auch die Nachrichten von der Industrie – der Kollege aus Oberösterreich (in Richtung Abg. Wöginger) sollte es wissen –, dann ist klar: Diese Zeichen sind natürlich Alarmsignale, das heißt, da ist nicht zu erwarten, dass eine Entspannung kommen wird.

Wir haben ganz klar gesagt: Es sind sehr, sehr viele Menschen derzeit arbeitslos, und zwar unverschuldet arbeitslos, weil eben die Betriebe teilweise geschlossen sind oder schließen mussten, weil einfach der Markt weggebrochen ist, und diesen Leuten muss man auch in der Arbeitslosigkeit, jetzt in dieser Phase, in dieser Krise helfen. Deshalb unterstützen wir das auch und bringen einen eigenen Antrag ein, um die Erhöhung des Arbeitslosengeldes um 30 Prozent durchzubringen. Das ist notwendig, damit die Menschen auch ihre Miete zahlen können, ihre Lebensmittel bezahlen können und ihre Kinder versorgen können. Das wäre das Mindeste in diesem Bereich, in dem ich von den Grünen sowieso, aber auch von der ÖVP doch mehr soziales Gewissen einfordern würde.

Ein kurzer Hinweis noch zu den berühmten 450 Euro, die dann im September ausge­schüttet werden: Sie vergessen – und das sind diese kleinen Fehler, die sich in den letzten Monaten summiert haben –: Wenn jemand im April und im Mai arbeitslos war und im Juni wieder in Arbeit ist, dann fällt er um diesen Betrag um, und das ist eine Ge­schichte, die Sie in Wahrheit auch niemandem erklären können.


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Was auch fehlt – und das ist ein Thema, das Sie früher immer vollmundig verkündet haben –: Sie haben gesagt, die Systemerhalter, die Helden der Krise werden alle eine entsprechende Belohnung, einen Bonus oder Geld bekommen. – Fragen Sie einmal die MitarbeiterInnen in den Supermärkten oder im Krankenhaus: Da ist nichts angekommen! Das heißt, die warten heute noch auf nicht nur schöne Worte, sondern auf handfeste Geldzahlungen für die Leistung, die sie in den Anfangswochen der Krise erbracht haben.

Wir haben eine ganz andere Philosophie zu diesem Thema und das haben wir jetzt schon mehrmals gesagt: Ich glaube, es ist notwendig, die Konjunktur anzukurbeln, da wäre der Österreichtausender ideal, mit dem die Menschen wirklich – mit diesen Gutscheinen – in der lokalen Wirtschaft einkaufen könnten. Das würde die Konjunktur beleben.

Ich sage es schon noch einmal: Wenn man jetzt nach Oberösterreich schaut, dann geht halt diese Panikmache wieder weiter. (Abg. Haubner: Na ja, so ist das ja nicht! Das ist ja keine Panikmache! Schauen Sie nach Südamerika!) Das ist genau die Sache, die einfach kontraproduktiv ist. Wenn Sie nicht Optimismus und Stabilität vermitteln können, dann werden Sie auch die Wirtschaft nicht in Gang bringen und Sie werden die soziale Krise leider Gottes verlängern. Das ist der falsche Ansatz – und da kommt eben nichts. Ich habe gedacht, die letzten Wochen hat die ÖVP dazugelernt, aber ich merke schon wieder, Sie fallen in Ihr altes Muster zurück: Todesangst, Panik, weil in Oberösterreich zwei Cluster aufgepoppt sind, die man ganz schön lokalisieren kann. Plötzlich sollen in Oberösterreich wieder alle Masken tragen. Das ist der absolut falsche Weg!

Ein kleiner Hinweis auch an die Sozialdemokratie, und das muss ich schon einmal ganz klar sagen, weil Sie jetzt die Idee in Ihrem Programm für Österreich haben, die Arbeitszeit auf 30 Stunden zu reduzieren: Streuen Sie den Leuten nicht Sand in die Augen! Wir werden mehr arbeiten müssen, um diese Kosten, die aufgelaufen sind, zu bezahlen. Wir müssen Leistung belohnen, Arbeit belohnen, die Fleißigen belohnen und nicht die Arbeitszeit reduzieren. Das wird nicht funktionieren.

Ich bringe zum Schluss noch einen Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Er­höhung der Nettoersatzrate beim Bezug des Arbeitslosengeldes (COVID-19-Maß­nahme)“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend wird aufgefordert, dem Nationalrat umgehend eine Regierungsvorlage zuzuleiten, die zum Inhalt hat, dass allen beim Arbeitsmarktservice als arbeitslos registrierten Personen, der Bezug der aktuellen Leistung um die Dauer der Krise, mindestens jedoch bis zum 31.Mai 2021 verlängert wird und zusätzlich ein ,COVID-19-Ausgleich‘ für Arbeitslose in Form eines 30-%igen Zuschlages zu allen Arbeitslosenversicherungsleistungen rück­wirkend mit 15. März 2020 gewährt wird. Dieser Zuschlag soll über die Finanzämter, bei denen alle Daten aller Erwerbstätigen vorhanden sind, automatisch, also ohne formale AntragsteIlung, ausgezahlt werden.“

*****

Danke. (Beifall bei Abgeordneten der FPÖ.)

10.44

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 52

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Dagmar Belakowitsch, Peter Wurm, Edith Mühlberghuber, Peter Schmiedlechner

und weiterer Abgeordneter

betreffend Erhöhung der Nettoersatzrate beim Bezug des Arbeitslosengeldes (COVID-19-Maßnahme)

eingebracht im Zuge der Debatte zu Top 1) Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (285 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Arbeits­losenversicherungsgesetz 1977, das Arbeitsmarktservicegesetz, das Familienlasten­ausgleichsgesetz 1967 und das Arbeitsmarktförderungsgesetz geändert werden (319 d.B.) in der 45. Sitzung des Nationalrats (XXVII GP.) am 8. Juli 2020.

Die von der schwarz-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Werner Kogler gesetzten COVID-19-Maßnahmen seit März 2020 haben massive negative Auswirkungen auf den österreichischen Arbeitsmarkt, die Österreich die höchste Zahl an Arbeitslosen und die meisten Arbeitnehmer in Kurzarbeit seit 1945 beschert haben. Mit Stichtag 13. April 2020 wurden vom Arbeitsmarktservice (AMS) in Österreich insgesamt 588.234 Arbeitslose inklusive Schulungsteilnehmer registriert. Mit Stichtag 1. Juni 2020 wurde vom AMS COVID-19-Arbeitsmarktzahlen von 1.881.735 Arbeitnehmern in Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit dokumentiert.

Gegenüber dem Vergleichszeitraum Mai 2019 hat die Arbeitslosigkeit (ohne Schulungs­teilnehmer) im Mai 2020 über alle Branche hinweg ein Plus von 194.352 auf nicht weniger als 473.300 Personen oder +69,7 Prozent zu verzeichnen. Inklusive AMS-Schulungsteilnehmern lag man Ende Mai bei einer Gesamtarbeitslosenzahl von 517.221 Personen.

Bei den männlichen Arbeitskräften stieg die Arbeitslosigkeit um 100.194 oder +67,9 Prozent auf 247.764 Personen ohne Beschäftigung. Bei weiblichen Arbeitskräften stieg die Arbeitslosigkeit um 94.158 oder sogar um +71,7 Prozent auf 225.536 Personen. Die Arbeitslosenquote bei Frauen liegt aktuell bei 11,9 Prozent, die bei Männern per Ende Mai bei 11,3 Prozent. Auch die Ausländerarbeitslosigkeit ist bedingt durch die Aus­wirkungen der COVID-19-Maßnahmen um 80.542 Personen auf 169.821 oder +90,2 Prozent gestiegen. Demgegenüber stieg die Inländerarbeitslosigkeit um 113.810 oder +60 Prozent auf 303.479 Personen.

Die österreichischen Bundesländer sind ebenfalls in unterschiedlichem Ausmaß von den Folgen der Coronavirus-Pandemie am Arbeitsmarkt betroffen. Negative Spitzenreiter in Sachen Arbeitslosigkeit sind die Tourismusbundesländer Tirol mit einer Steigerung der Arbeitslosigkeit von +111,1 Prozent und Salzburg mit +100,1 Prozent. Es folgen die Steiermark (+84,6 Prozent), Vorarlberg (+77,9 Prozent), Oberösterreich (+77,0 Prozent), Kärnten (+70,6 Prozent), Burgenland (+63,5 Prozent), Niederösterreich (+58,7 Prozent) und Wien (+57,2 Prozent).

Bei den Altersgruppen, die von der COVID-19-Arbeitslosigkeit betroffen sind, sticht die Gruppe der Jugendlichen (bis zum 25. Lebensjahr) heraus, wo es zu einem Anstieg von +103,8 Prozent zum Vergleichszeitraum Mai 2019 gekommen ist. Es folgt die Be­schäftigtengruppe im Haupterwerbsalter (25. bis 49. Lebensjahr) mit einem Anstieg von +75,5 Prozent und jene der Altersgruppe der über 50 Jährigen Arbeitnehmer mit +49,8 Prozent.

Bei den Ausbildungskategorien finden sich im Folge der COVID-19-Maßnahmen keine signifikanten Unterschiede zwischen Personen mit Pflichtschulabschluss und Akade­mikern. Die am stärksten betroffene Gruppe ist jene mit höherer Ausbildung (+74,2


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 53

Prozent), gefolgt von Personen mit Lehrausbildung (+70,0 Prozent), Personen mit max. Pflichtschulausbildung (+68,8 Prozent), Personen mit mittlerer Ausbildung (+67,2 Prozent) und Personen mit akademischer Ausbildung (+54,1 Prozent).

Die Wirtschaftssektoren sind ebenfalls in unterschiedlicher Art und Weise vom Wirtschaftseinbruch im Zuge der COVID-19-Krise betroffen. Der Sektor Beherbergung und Gastronomie hatte einen Anstieg von +143,3 Prozent im Vergleich Juni 2020 zu Juni 2019 zu verzeichnen. Es folgt die Bauwirtschaft mit +84,8 Prozent, gefolgt von Verkehr und Lagerei mit +83,6 Prozent, der Herstellung von Waren mit +62,9 Prozent, der Handel mit +59,9 Prozent, die Arbeitskräfteüberlassung mit +59,3 Prozent und das Gesundheits- und Sozialwesen mit +55,6 Prozent.

Dazu kommt, dass die Langzeitarbeitslosigkeit, (Personenkreis, der länger als 12 Monate arbeitslos ist), durch die einschneidenden Wirtschaftsmaßnahmen ebenfalls um 20,4 Prozent angestiegen ist und derzeit nicht weniger als 57.517 Personen beträgt.

Das bedeutet, dass weit mehr als eine halbe Millionen Menschen seit März 2020 mit lediglich 55 Prozent ihres letzten Nettogehalts ihre Lebenshaltung (Nahrungsmittel, Wohn- und Betriebskosten usw.) bestreiten müssen. Die weit überwiegende Anzahl dieser betroffenen Arbeitslosen hat durch die COVID-19-Maßnahmen der Bundes­regierung den Arbeitsplatz verloren bzw. wurde der Chance beraubt, nach einer Phase der Arbeitslosigkeit oder einer AMS-Aus-, Fort- und Weiterbildung wieder in den Arbeits­markt integriert zu werden.

Um dieser Gruppe von rund 500.000 Personen einen finanziellen Ausgleich für die Arbeitsplatzvernichtung durch die COVID-19-Maßnahmen der Bundesregierung zu gewährleisten und damit ihr ökonomisches Überleben abzusichern, ist aber eine Erhöhung der Nettoersatzrate des Arbeitslosengeldes (inklusive Notstandshilfe) von 55 Prozent auf 70 Prozent dringend notwendig und auch volkswirtschaftspolitisch ver­nünftig. Dies ist durch eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe inklusive der Familienzuschläge um 30 Prozent (entspricht einer Nettoersatzrate von 70 Prozent) umzusetzen.

Durch diese 15 prozentige Nettorersatzratenerhöhung wird die Kaufkraft und damit auch die innerösterreichische Konjunktur durch vermehrte Konsumausgaben gestärkt. Dies führt wiederum zu vermehrten Einnahmen der Unternehmer, aber auch Steuerein­nah­men und schafft dadurch neue Arbeitsplätze bzw. sichert bestehende Arbeitsplätze ab.

Demgegenüber sind die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der schwarz-grünen Bun­desregierung, die von Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) und Sozialminister Rudolf Anschober (Die Grünen) vorgestellt worden sind, absolut untauglich. Ein „Arbeits­marktbonus“ von lediglich 450 Euro für die Monate Juli bis September, wobei man zwei von diesen drei Monaten durchgehend arbeitslos sein muss, ist weder treffsicher noch sozial. Ganz im Gegenteil, die seit Mitte März durch Regierungsmaßnahmen bewusst pro­duzierte Arbeitslosigkeit wird ignoriert, und man enthält den betroffenen Arbeit­neh­mern einen gerechten Ausgleich vor.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend wird aufgefordert, dem Nationalrat umgehend eine Regierungsvorlage zuzu­leiten, die zum Inhalt hat, dass allen beim Arbeitsmarktservice als arbeitslos registrierten Personen, der Bezug der aktuellen Leistung um die Dauer der Krise, mindestens jedoch


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bis zum 31.Mai 2021 verlängert wird und zusätzlich ein "COVID-19-Ausgleich" für Ar­beitslose in Form eines 30-%igen Zuschlages zu allen Arbeitslosenversiche­rungsleistun­gen rückwirkend mit 15. März 2020 gewährt wird. Dieser Zuschlag soll über die Finanz­ämter, bei denen alle Daten aller Erwerbstätigen vorhanden sind, automatisch, also ohne formale AntragsteIlung, ausgezahlt werden.“

*****


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unterstützt und steht somit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Koza. – Bitte.


10.44.43

Abgeordneter Mag. Markus Koza (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! 403 000 Menschen sind derzeit in Kurzarbeit, 442 000 Menschen sind von Arbeitslosig­keit betroffen. Das sind die aktuellen Arbeitsmarktzahlen. Auch wenn die Arbeitslosen­zahlen wie auch die Zahlen der Beschäftigten in Kurzarbeit zurückgehen – die Zahlen der Kurzarbeitenden sogar deutlich –, kann von einer wirklichen Entspannung am Arbeitsmarkt nicht die Rede sein.

Im Gegenteil: Es wird jede Kraftanstrengung brauchen, um die Menschen zurück in Arbeit und Beschäftigung zu bringen und um die Arbeitslosenzahlen zumindest auf ein Vorcoronaniveau zu bringen – ein Vorcoronaniveau, das übrigens immer noch deutlich über den Arbeitslosenzahlen des Jahres 2008 liegt, als die Finanzkrise ausgebrochen ist.

Damit wir diese Arbeitslosigkeit zurückführen können, wird es einen breiten Maßnah­menmix brauchen: sowohl öffentliche Investitionen als auch Maßnahmen, insbesondere zur Stärkung der Nachfrage und zur Bekämpfung der Folgen der Coronakrise, insbesondere wenn es um die Frage der Bekämpfung von Armut und Armutsgefährdung geht. Gestern haben wir bereits die Senkung des Einstiegssteuersatzes und die Erhö­hung des Sozialversicherungsbonus auf bis zu 400 Euro jährlich beschlossen, ein Paket, das Einkommen um circa 1,7 Milliarden Euro stärkt. Heute beschließen wir die dringend notwendige Unterstützung von Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind oder waren, und ihren Familien und allen Familien überhaupt. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, es wurde in den letzten Wochen auch sehr viel über die Arbeitslosengelderhöhung in Form einer Einmalzahlung von 450 Euro diskutiert, und diese wurde auch viel kritisiert. Vieles an der Kritik war durchaus nach­vollziehbar und wurde auch aufgenommen. Der Zeitraum für den Anspruch der Einmal­zahlung wurde beispielsweise von Mai auf August, also auf vier Monate ausgeweitet. (Abg. Wurm: Und warum nicht April?) Dadurch ist einfach der mögliche BezieherIn­nenkreis deutlich größer geworden. (Abg. Wurm: Und warum nicht April?)

Weiters wurde jetzt auch im Gesetzestext klar, eindeutig und unmissverständlich festgehalten, dass es sich um eine Unterstützung handelt, die eben nicht auf die Mindestsicherung anzurechnen ist, damit diese Hilfe auch wirklich bei den Betroffenen ankommt – übrigens ein Vorteil gegenüber einer regelmäßigen Erhöhung, weil eine Einmalzahlung einfach leichter als Sonderbedarf zu definieren ist.

Jetzt sind die Bundesländer am Zug, die sicherstellen müssen, dass es tatsächlich auch so umgesetzt wird. Wie wir bereits aus Tirol und Salzburg hören, sind entsprechende Schritte auch schon in Planung.


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Im September wird es allerdings nicht nur eine Arbeitslosengelderhöhung geben, sondern es wird auch der Familienzuschuss einmalig um 360 Euro je Kind erhöht, und beide Maßnahmen zusammen umfassen insgesamt circa 900 Millionen Euro – 900 Mil­lionen Euro, die Einkommen genau dort stärken, wo es am notwendigsten ist. Es sind Hilfen – Kollege Wöginger hat es bereits erwähnt –, die unbürokratisch und direkt ankommen, weil eben kein Antrag gestellt werden muss und weil sie automatisch ausbezahlt werden.

Ja, auch wir Grüne sind der Meinung (Abg. Wurm: Welcher Meinung? Welcher Meinung sind die Grünen?), dass es vermutlich noch mehr brauchen wird. Wir waren schon für eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes, als uns andere erklärt haben, dass die 55 Prozent Nettoersatzrate schon vollkommen okay sind. (Abg. Wurm: Was ist jetzt passiert dazwischen?) – Wir erhöhen sie jetzt, da schau her! (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Heiterkeit des Abg. Wurm.)

Wie auch schon Vizekanzler Kogler klar ausgesprochen hat, dass es im Herbst nicht nur ein Arbeitsmarktpaket brauchen wird, sondern dass auch über die Höhe des Arbeits­losengeldes Neu diskutiert und weitergeredet werden muss, stellen auch wir das fest; aber (Abg. Wurm: Aber?) diese 450 Euro sind (Abg. Wurm: Ein erster Schritt?) ein Schritt, ein wichtiger Schritt, ein erster Schritt (Heiterkeit des Abg. Wurm) und vor allem auch jener Schritt, der am schnellsten und technisch am einfachsten umsetzbar ist und auch rasch hilft.

Auch wenn es eine einmalige Arbeitslosengelderhöhung ist, es ist die erste seit Jahr­zehnten, und in diesem Sinne bitte ich um Unterstützung dieses Antrages im Sinne der Betroffenen. – Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

10.50


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Loacker. – Bitte.


10.50.10

Abgeordneter Mag. Gerald Loacker (NEOS): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Kollege Koza hat es geschildert, es geht schon darum, die Menschen wieder in Arbeit zu bringen, und um die Frage, ob denn die Maßnahmen, die gesetzt werden, angemessen sind.

Was jetzt kommt, ist für jene, die es bekommen, sicher von Vorteil und eine wichtige Hilfe in diesen Zeiten, aber man muss schon auch sehen: Was jetzt beschlossen wird, ist eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes, wenn man länger als acht Wochen arbeitslos ist. Das ist eigenartig, denn internationaler Standard ist es, das Arbeitslosengeld am Beginn etwas höher zu haben, als wir es derzeit in Österreich haben, und es im Zeitverlauf ein bisschen sinken zu lassen. In diese Richtung sollte man denken. Wir haben heute auch einen Antrag in diese Richtung auf der Tagesordnung.

Nun, Thema ist nicht die Frage, welche zusätzlichen Zahlungen wir leisten können, sondern die Frage, wie wir die Menschen wieder in Arbeit bekommen. Wenn wir eine sechsstellige Zahl an Menschen in Kurzarbeit und eine rekordverdächtige Zahl an Arbeitslosen haben, braucht es natürlich auch Personal im Arbeitsmarktservice, das sich in Zeiten des besonderen Arbeitsaufkommens sowohl um die Arbeitsuchenden und im Rahmen des Service für Unternehmen auch um Unternehmen, die offene Stellen und Personalbedarf haben, kümmern kann.

Der Nationalrat hat beschlossen, dass das AMS mehr Personal bekommen soll, aber der Verwaltungsrat hat kürzlich entschieden, dass dem nicht so sein soll. Mir ist schon wichtig: Da geht es nicht um zusätzliche Planstellen, um fixe Stellen für das AMS, sondern darum, jetzt, wenn es mehr Arbeitsbedarf beim AMS gibt, Personal aufzubauen.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 56

Wenn die Arbeitslosigkeit wieder gesunken ist, kann man auch wieder mit dem alten Personalstand weiterarbeiten, aber genau jetzt, wenn die Menschen Jobs brauchen, wenn so viele Arbeitslose frisch auf dem Arbeitsmarkt sind, die dringend einen Job und keine Almosen brauchen, dann müssen wir auch im AMS die Ressourcen haben, um uns um diese kümmern zu können. (Beifall bei den NEOS.)

Ich bringe daher folgenden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend „zusätz­liches Personal beim AMS“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere die Ministerin für Arbeit, Familie und Jugend, wird aufgefordert, für eine Aufstockung des Personalstandes beim Arbeitsmarktservice zu sorgen, damit das zusätzliche Arbeitsaufkommen auf Grund der Covid-Krise bewältigt werden kann.“

*****

Des Weiteren stellt sich die Frage: Haben Unternehmer die Sicherheit, die sie brauchen, damit sie Menschen einstellen? – Wenn er nämlich jederzeit damit rechnen muss, dass vonseiten der Behörden der Betrieb geschlossen wird, weil man einen oder zwei Covid-Fälle hat, dann ist der Unternehmer eher vorsichtig und wird eher niemanden einstellen. Ihr Kollege, Minister Anschober, stellt sich hin und sagt: Binnen 24 Stunden wird getestet, binnen weiterer 24 Stunden haben wir ein Ergebnis und binnen weiterer 24 Stun­den wird getrackt. – Das ist eben nicht so, das ist eine Wunschvorstellung. Anschober hat uns erzählt, was er in seinen Träumen vor sich sieht, aber das ist nicht das, was passiert. (Beifall bei den NEOS.)

In der Realität hat man Verdachtsfälle und es dauert vier Tage, fünf Tage, bis abgeklärt ist, ob der Fall positiv ist oder nicht. In der Zwischenzeit weiß man nicht: Kann ich die Mitarbeiter zur Arbeit kommen lassen? Kann ich noch Kunden hereinlassen? Wie tue ich weiter? Sperren die mir mein Unternehmen behördlich? Muss ich alle nach Hause schicken? – Mit dieser Unsicherheit können Unternehmen keine zusätzlichen Mitarbeiter einstellen, sie werden es nicht tun. Sie als Ministerin sind es den Unternehmen schuldig, ihnen Sicherheit zu geben, da müssen Sie auch Rudi Anschober ein bisschen den Turbo einlegen! (Beifall bei den NEOS sowie des Abg. Kaniak.)

Was man auch sieht, ist, dass solche Krisen Veränderungsprozesse beschleunigen, das heißt, Vorgänge wie die Digitalisierung werden eher noch verschärft. Wir sehen das an der sich verändernden Arbeitswelt, und das verlangt auch zusätzliche Qualifikation. Das heißt, wir brauchen auch für die Qualifizierung von Arbeitsuchenden ausreichend Mittel, um diese für die neuen Stellen, die entstehen, zu qualifizieren.

Die Regierung hat sich am Beginn der Krise darauf konzentriert, bestehende Jobs zu erhalten, das war sicher gut und richtig, aber es entsteht Neues, und wir müssen die Arbeitsuchenden für das Neue, das entsteht, qualifizieren. Das ist ein Aufwand. Wir fordern dazu die entsprechenden Mittel vonseiten der Arbeitsmarktpolitik und ein indivi­duelles Weiterbildungskonto, damit die Menschen sich auch selbst weiterbilden können, bevor sie arbeitslos sind und damit sie nicht auf das AMS angewiesen sind.


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Diese Dinge also – mehr Qualifikation, ein Weiterbildungskonto und die Verlässlichkeit für die Betriebe – wären die Handlungen, die aktuell gefragt wären. (Beifall bei den NEOS.)

10.55

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen

betreffend zusätzliches Personal beim AMS

eingebracht im Zuge der Debatte in der 45. Sitzung des Nationalrats über Einmalzah­lungen Arbeitslose/Kinder (285 d.B.) – TOP 1

In der 22. Sitzung des Nationalrates am 3. April 2020 wurde der Antrag 73/UEA "zusätzliche Maßnahmen zur Abfederung von sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise" mehrheitlich angenommen. Damit hat der Nationalrat die Regierung unter anderem aufgefordert,

"den Personalstand beim Arbeitsmarktservice rasch um bis zu 500 Planstellen aufzu­stocken, damit diese außerordentlichen Belastungen bewältigt werden können"

Der Vorstand der AMS stellte in der Folge im Rahmen der Verwaltungsratssitzung am 30.6.2020 den Antrag, den Personalstand um 350 Planstellen aufzustocken.

Der Verwaltungsrat verweigerte aber die Zustimmung zu diesem Antrag. Sofern aber die Personalaufstockung nicht zeitnah passiert, besteht die Gefahr, dass aufgrund der seit Monaten anhaltenden und kontinuierlich andauernden Mehrbelastung der Belegschaft nicht mehr gewährleistet werden, dass Arbeitssuchende und Unternehmen angemessen kompetent beraten und serviciert werden.

Die für den Arbeitsmarkt relevanten Auswirkungen der Wirtschaftskrise, beispielsweise Kurzarbeit und erhöhte Arbeitslosigkeit, werden noch lange zu spüren sein. Dement­sprechend wird auch der Arbeitsaufwand beim AMS längerfristig erhöht sein. Konkrete Maßnahmen zur Erhöhung des Personalstandes im AMS sind aber nach wie vor ausständig.

(1) https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/E/E_00019/index.shtml

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere die Ministerin für Arbeit, Familie und Jugend, wird aufgefordert, für eine Aufstockung des Personalstandes beim Arbeitsmarktservice zu sorgen, damit das zusätzliche Arbeitsaufkommen auf Grund der COVID-Krise bewältigt werden kann."

*****


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, aus­reichend unterstützt und steht somit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Sieber. – Bitte.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 58

10.55.20

Abgeordneter Norbert Sieber (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Minister! Hohes Haus! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Es wurde von diesem Platz aus schon öfter gemacht und ich möchte es auch dieses Mal wieder tun, nämlich den Familien Danke sagen. Ich möchte ihnen Danke dafür sagen, dass sie in der Zeit des Lockdowns unsere Gesellschaft durch die Krise getragen haben und die Stütze der Gesellschaft in der Zeit des Lockdowns waren. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Es ist deswegen auch wichtig und richtig, dass wir den Familienhärtefonds, der zu Beginn mit 30 Millionen Euro dotiert war, heute per Beschluss auf 60 Millionen Euro aufstocken, weil einfach ganz klar absehbar ist, dass diese Flut an Anträgen so nicht zu bewältigen sein wird. Ich glaube auch, dass die Zahlen da eine deutliche Sprache sprechen: Es wurden inzwischen beinahe 18 000 Fälle abgearbeitet und es wurden im Durchschnitt 1 200 Euro ausbezahlt; dieser Familienhärtefonds ist also ein voller Erfolg.

Meine Damen und Herren, beschlossen wird auch eine Einmalzahlung von 360 Euro pro Kind. Man redet immer wieder davon, dass man die Kaufkraft stärken soll, und genau das tun wir mit diesen 360 Euro. Das soll unbürokratisch sein – na, was denn sonst? –: Im September wird das Geld antragsfrei überwiesen werden. Es soll auch gerecht sein. Ich sage, ja, es ist gerecht, denn alle Familien haben eine Leistung erbracht und sollen deswegen auch in den Genuss dieser Unterstützung kommen.

Ausbezahlt wird es, wie gesagt, im September; der September wird für die Familien wirklich ein guter Monat sein, denn im September, wenn man sich das vor Augen führt, werden bei einer Familie mit drei Kindern im Alter von acht, zehn und zwölf Jahren über den Kinderbonus 1 080 Euro ausbezahlt. Es kommt die Einmalzahlung aus dem Krisenfonds dazu, die antragsfrei 100 Euro pro Kind ausmacht, also 300 Euro in diesem Fall. Es gibt das Schulstartgeld, das ebenfalls mit 100 Euro pro Kind dotiert ist, also weitere 300 Euro, und wenn dann noch einer der Elternteile von Arbeitslosigkeit be­troffen ist, dann wird auch die Einmalzahlung von 450 Euro im September ausbezahlt.

Das heißt, im September kann diese Familie 2 130 Euro an Direktzahlungen, mit der Arbeitslosenunterstützung 2 580 Euro, erwarten. Das ist die Unterstützung, die die Fa­milien brauchen, das ist der Freiraum, den sie brauchen. Mit dieser Summe werden wir auch die Kaufkraft entsprechend stärken. (Beifall bei der ÖVP.)

Ich glaube, das ist ein Paket, das sich sehen lassen kann, und ich bitte die Opposition, entsprechend mitzustimmen. Stimmen Sie mit, dann wird alles gut! – Ich danke Ihnen. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abg. Maurer. – Abg. Meinl-Reisinger: So blöd dieser Satz in dieser Situation! Was soll dieser Satz?)

10.58


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Stöger. – Bitte.


10.58.31

Abgeordneter Alois Stöger, diplômé (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bun­desministerin! Meine sehr verehrten Zuseherinnen und Zuseher! Almosen werden nicht helfen. Was wir brauchen, ist eine gute Politik, damit man jenen Menschen, die jetzt arbeitslos geworden sind, hilft. Durch die Coronamaßnahmen sind nämlich 200 000 Men­schen arbeitslos geworden, und die brauchen eine vernünftige Reaktion. (Präsidentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Kollege Muchitsch hat es schon angesprochen, wir haben bereits im April gefordert, dass das Arbeitslosengeld erhöht werden soll. Das macht man nicht. Man verteilt Almosen und man geht in der Reihenfolge vor, dass Menschen, deren Einkommen von 100 Pro-


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zent auf 55 Prozent gesunken ist, eine Einmalzahlung bekommen. Bei der Einmal­zahlung stellt sich schon die Frage, warum sie jene Menschen nicht bekommen, die im März arbeitslos geworden sind. Warum bekommen sie jene Menschen, die im April arbeitslos geworden sind, nicht? – Ich verstehe das nicht und denke, es ist notwendig, dass man da eine Änderung vornimmt und das Arbeitslosengeld auf 70 Prozent anhebt.

Sehen wir uns an, was die Regierungsparteien hier machen – horchen Sie jetzt gut zu –: Wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Wert von 1 Euro bekommen, bekom­men die Landwirte den Wert von 3 Euro. (Abg. Höfinger: Das stimmt nicht! Das stimmt nicht! Wer hat dir denn das aufgeschrieben?) Unternehmer beziehungsweise Millionäre bekommen bei dem, was wir da heute alles beschließen, nicht den Wert eins wie Arbeitnehmer, nicht den Wert drei wie Landwirte, sondern sie bekommen den Wert 31. Wenn das gerecht sein soll, dann ist das nicht das, was ich mir unter Gerechtigkeit vorstelle. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Haubner.)

Ganz besonders möchte ich auf die Familienbeihilfe hinweisen. Diese Regelung ist grundsätzlich gut, nur dass man sie wieder bei Menschen, die bei uns in der Pflege arbeiten, aliquotiert, sehe ich nicht ein. Damit Sie zu Ihrem Wort stehen können, bringe ich einen Antrag ein, nämlich den Abänderungsantrag der Abgeordneten Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen zum Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (319 d.B.) betreffend die Regierungsvorlage: Bundesgesetz, mit dem das Arbeitslosen­ver­sicherungsgesetz 1977, das Arbeitsmarktservicegesetz, das Familienlastenausgleichs­gesetz 1967 und das Arbeitsmarktförderungsgesetz geändert werden (285 d.B.).

Ich habe ihn erläutert: Es geht um die Erhöhung des Arbeitslosengeldes, es geht darum, dass bei der Familienbeihilfe keine Aliquotierung stattfindet, und es geht darum, dass Mittel, die jetzt ausgeschüttet werden, nicht auf die Sozialhilfe angerechnet werden.

In dem Sinne ersuche ich Sie um Ihre Unterstützung. (Beifall bei der SPÖ.)

11.02

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Muchitsch, Petra Wimmer

Genossinnen und Genossen

Zum Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (319 d.B.) betreffend die Regie­rungsvorlage: Bundesgesetz, mit dem das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Arbeitsmarktservicegesetz, das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 und das Arbeits­marktförderungsgesetz geändert werden (285 d.B.)

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Der eingangs bezeichnete Gesetzesantrag wird wie folgt geändert:

I. Art. 1 (Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977) wird wie folgt ge­ändert:

1. Z 1 lautet:

„1.In § 21 werden folgende Abs. 9 und 10 angefügt:

              „(9) Zusätzlich zur gemäß § 20 und § 21 Abs. 1 bis 8 ermittelten Höhe des Arbeitslosengeldes gebührt ein Zuschlag von 30 Prozent dieser Höhe für laufende Leistungen und für Anträge auf Arbeitslosengeld, die bis zum 31. Dezember 2020 ge­stellt werden.


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              (10) (Grundsatzbestimmung) Der Zuschlag gemäß Abs. 9 gilt als nicht anrechenbare Leistung gemäß § 7 Abs. 5 des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes.““

2. In Z 3 lautet § 79 Abs. 167 wie folgt:

„(167) § 21 Abs. 9 und 10 sowie § 81 Abs. 15 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBL. I. Nr. xx/2020 treten rückwirkend mit 16. März 2020 in Kraft.“

3. nach Z 3 wird folgende Z 3a eingefügt:

„3a. § 81 Abs. 15 lautet wie folgt:

„(15) Abweichend von § 36 gebührt die für den Zeitraum 1. Mai bis 31. Dezember 2020 gewährte Notstandshilfe im Ausmaß des Arbeitslosengeldes gemäß § 21 Abs. 9 und 10. Zudem gilt der Berufs- und Einkommensschutz gemäß § 9 Abs. 3 in den Monaten Mai bis Dezember 2020.““

II. Art. 3 (Änderung des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967) wird wie folgt geändert:

1. Nach Z 1 wird folgende Z 1a eingefügt:

„1a. § 8a Abs. 1 bis 3 entfallen.“

III. Art. 4 (Änderung des Arbeitsmarktförderungsgesetzes) entfällt.

Begründung

Einmalzahlungen stellen keine nachhaltige Maßnahme gegen Armutsvermeidung dar und können daher die Anhebung des Arbeitslosengeldes auf 70% Nettoersatzrate nicht ersetzen. Gerade in Zeiten der Rekordarbeitslosigkeit ist mit einer längeren Dauer der Arbeitslosigkeit zu rechnen. Eine nachhaltige Erhöhung des Arbeitslosengeldes ist nicht nur aus sozialpolitischen Gründen dringend geboten, sondern auch volkswirtschaftlich sinnvoll, um Kaufkraft zu stabilisieren und den privaten Konsum zu stützen. Um eine unkomplizierte und rasche Auszahlung der Erhöhung zu ermöglichen, soll diese als Zuschlag zum Arbeitslosengeld gewährt werden. Durch die Erhöhung um 30 Prozent wird eine Nettoersatzrate von 70 Prozent erreicht.

Damit diese notwendige Erhöhung auch bei den Menschen, die aufgrund des geringen Arbeitslosengeldes oder der niedrigen Notstandshilfe Sozialhilfe oder Mindestsicherung beziehen, auch tatsächlich ankommt, soll dieser Zuschlag nicht auf die Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung angerechnet werden.

Die Einmalzahlung zur Familienbeihilfe ist grundsätzlich zu begrüßen, allerdings ist die Indexierung der Familienbeihilfe und damit auch der Einmalzahlung abzulehnen, da diese nicht nur EU-rechtswidrig ist, sondern auch sozialpolitisch mehr als nur zu hin­terfragen ist. Gerade die Corona-Krise hat uns im Pflege und Betreuungsbereich vor Augen geführt, dass wir diese Arbeitskräfte aus dem Ausland dringend brauchen. Sogar mit Sonderzügen hat man 24-Stunden-BetreuerInnen ins Land geholt. Zum Teil haben diese Betreuungskräfte– zum überwiegenden Teil Frauen – monatelang ihre Familien nicht gesehen. Zum Dank dafür kürzt ihnen diese Regierung auch noch die Familien­beihilfe und die Einmalzahlung. Das muss korrigiert werden.

*****


Präsidentin Doris Bures: Der Abänderungsantrag wurde in den Grundzügen erläutert, ist an alle Abgeordneten verteilt worden und steht daher mit in Verhandlung. (Abg. Leichtfried: Das war eine sehr gute Rede!)

Nächste: Frau Abgeordnete Barbara Neßler. – Bitte.



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11.02.20

Abgeordnete Barbara Neßler (Grüne): Frau Präsidentin! Geschätzte Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Der Kampf gegen Corona dominiert all unsere Lebensbereiche – unseren Alltag, unsere politische Arbeit, die Medien –, und es könnte der Anschein entstehen, dass wichtige Themen abseits von Corona, die davor schon existiert haben, in den Hintergrund rücken. Das tun sie aber nicht, vor allem nicht der Kampf gegen die Kinderarmut. Wir wissen, dass gerade die Kinderarmut aufgrund der derzeitigen Situation, aufgrund der Krise, wächst, und deshalb ist die einmalige Auszahlung von 360 Euro pro Kind zusätzlich zur Familienbeihilfe im September ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Herr Kollege Stöger, das hat nichts mit Almosen zu tun, das hat nichts mit Spenden zu tun. Die Familien sind keine Bittsteller (Abg. Wurm: Ein bisschen schon, Barbara!), sondern das ist eine Unterstützung aufgrund der jetzigen Situation. Auf Ihre fragwürdige Rechnung möchte ich jetzt nicht weiter eingehen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Der Familienbonus für jedes Kind muss nicht beantragt werden, sondern kommt auto­matisch. Die Krise hat zu höheren finanziellen Belastungen geführt, das sehen wir bei­spielsweise allein an den Kosten für das Mittagessen. Davor konnten die Kinder in der Schule oder vielleicht bei den Großeltern zu Mittag essen. Allein diese – unter Anfüh­rungszeichen – „kleine“ Sache führt zu erhöhten Kosten.

Gerade wenn es um die finanzielle Situation bezüglich Kindern geht, ist vor allem ein Instrument wichtig, und das ist die Kinderkostenstudie. Die letzte Studie, auf der die Festsetzung der Regelbedarfssätze zur Berechnung des Kindesunterhalts beruht, basiert auf einer Konsumerhebung aus dem Jahr 1964. 1964 hieß der National­rats­präsident noch Alfred Maleta, die Rolling Stones veröffentlichten ihre erste Platte, es gab Schwarz-Weiß-Fernsehen, keine Handys und keine Computer. Kurzum: Die Lebensumstände von Kindern und die damit verbundenen Kosten haben sich seit da­mals geändert, und natürlich müssen wir das neu bewerten, und da hilft eben die Kin­derkostenstudie. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Aber zurück zu den Coronamaßnahmen: Der Familienbonus in der Höhe von 360 Euro pro Kind ist ein wichtiges Signal. Weitere Maßnahmen hat Herr Kollege Sieber schon ausgeführt. Aber um Armut wirklich zu verhindern, braucht es umfassendere Maßnah­men. Es ist quasi der erste Schritt, den wir hier gehen.

Die Ergebnisse der Umfrage der Volkshilfe, die heute am Vormittag präsentiert werden, sind ein erneuter Weckruf oder müssen ein erneuter Weckruf für uns sein, denn die Hälfte aller befragten armutsbetroffenen Familien gibt an, ihre aktuelle Lebenssituation mit vier oder fünf – nach dem Schulnotensystem – zu bewerten. Darum ist es auch richtig, dass wir die Aufstockung des Familienhärtefonds um 30 Millionen auf 60 Millio­nen Euro beschließen.

Ich möchte damit abschließen, dass wir hier nicht nur das Coronavirus bekämpfen, sondern auch die Kinderarmut. – Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

11.05


Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Edith Mühlberghuber. – Bitte.


11.06.10

Abgeordnete Edith Mühlberghuber (FPÖ): Frau Präsident! Sehr geehrte Frau Bun­desminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseher vor den Bild­schir­men zu Hause! Ja, in den Familien hat es in der Coronaausnahmesituation deswegen so gut funktioniert, weil die Eltern ganz selbstverständlich eingesprungen sind und die


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doppelte bis dreifache Belastung auf sich genommen haben. Das ging von Homeoffice über Kinderbetreuung und Unterstützung bei Homeschooling bis zum Erledigen des Einkaufs für die Eltern, Großeltern und auch andere ältere Personen.

Den Familien, die in Not geraten sind, die unschuldig arbeitslos geworden sind, beson­ders den sozial schwachen, hätte man sofort helfen und sie sofort unterstützen müssen (Abg. Wurm: Genau, Edith!), und nicht erst nach einem halben Jahr, als das Konto schon extrem überzogen werden musste. Es ist um ein halbes Jahr zu spät! (Beifall bei der FPÖ.)

Wir haben dazu viele sehr vernünftige, sehr gute Vorschläge eingebracht betreffend die Familienbeihilfe oder den Familiengutschein – 1 000 Euro pro Person in der Familie; dieser wäre dafür gedacht gewesen, dass er in der Region, in Österreich eingelöst wird, anstatt irgendwelche Einkäufe über das Internet zu machen. Das Geld wäre zur Unterstützung unserer Unternehmer, unserer Betriebe gedacht gewesen. Das wäre ver­nünftig gewesen.

Ja, und was macht jetzt die ÖVP? – Die ÖVP geht nach einem halben Jahr her und verteilt Geld nach dem Gießkannenprinzip. Da wird Geld verteilt: eine Einmalzahlung für Familienbeihilfebezieher in der Höhe von 360 Euro pro Kind.

Eines, Norbert Siebert, weil du so lieb zu mir herlächelst, muss ich dir schon sagen: Das Schulstartgeld, das jetzt so großartig angesprochen wird, das immer im September ausgezahlt wird, gibt es schon viele Jahre, das ist keine Erfindung der letzten Monate, das gibt es schon viele Jahre, aber es wird jetzt von Ihnen großzügig als Neuheit verkauft. Der ÖVP ist es egal, ob die Familien das Geld tatsächlich brauchen oder nicht, dieser Familienbonus von 360 Euro ist nicht sozial gestaffelt. Der ÖVP ist es egal, welches Einkommen die Familien haben – ob das Großverdiener sind –, alle bekommen das Gleiche.

Dazu möchte ich folgenden Antrag einbringen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Edith Mühlberghuber, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Verdop­pelung der Familienbeihilfe in Monaten mit coronabedingter Schulschließung“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Kinderbeihilfe bis zum vollendeten 14. Le­bensjahr des Kindes für jene Monate zu verdoppeln, in denen die Betreuungsein­richtun­gen wie Schulen, elementarpädagogische Einrichtungen und Horte coronabedingt geschlossen waren bzw. sind. Die Auszahlung hat unverzüglich zu erfolgen.“

*****

Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

11.09

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Edith Mühlberghuber

und weiterer Abgeordneter


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betreffend Verdoppelung der Familienbeihilfe in Monaten mit coronabedingter Schul­schließung

eingebracht im Zuge der Debatte zu Top 1) Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (285 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Arbeits­losenversicherungsgesetz 1977, das Arbeitsmarktservicegesetz, das Familienlasten­aus­gleichsgesetz 1967 und das Arbeitsmarktförderungsgesetz geändert werden (319 d.B.) in der 45. Sitzung des Nationalrats (XXVII GP.) am 8. Juli 2020.

Im Zuge der Coronakrise haben mehr als 1,8 Millionen Menschen ihre Arbeit verloren oder haben durch die Kurzarbeit deutliche weniger Einkommen. Und mit all diesen Menschen auch ihre Familien! Die Mehrheit der österreichischen Familien haben mit finanziellen Einbußen zu kämpfen, von den Versprechungen der Bundesregierung und von Hoffnung allein können sie nicht leben, sie brauchen jetzt konkrete Hilfe und Sicherheit.

Gerade Eltern und insbesondere die Mütter haben während der Coronakrise Enormes geleistet und hatten oft mit einer Mehrfachbelastung von Kinderbetreuung, HomeSchooling und gleichzeitiger Erwerbsarbeit zu kämpfen. Eine Verdoppelung der Familienbeihilfe für jene Monate, in denen die Betreuungseinrichtungen, insbesondere Schule, geschlossen waren, wäre gerade für Familien mit wenig oder gar keinem Einkommen eine große finanzielle Hilfe.

Auch der Katholische Familienverband hat sich diesbezüglich in einem offenen Brief an die Bundesregierung gewandt und Unterstützung von Familien in dieser Ausnahme­situation gefordert:

Wien (0 TS) - Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Sehr geehrter Herr Finanzminister! Sehr geehrte Frau Familienministerin! Die außergewöhn­lichen und drastischen Maßnahmen wie geschlossene Schulen und Betreuungs­ein­rich­tungen sind zweifellos wichtig und notwendig. Das Leben in dieser Ausnahme­situation funktioniert aber nur deswegen, weil Eltern und Familien ganz selbstver­ständlich einspringen und doppelte und dreifache Arbeit verrichten. Viele arbeiten in ihrem Beruf, vielfach im Homeoffice und betreuen nebenbei ohne jegliche Unterstützung von Groß­eltern oder Leihomas ihre Kleinkinder und helfen den Schulkinder beim Home­schooling. Das Leben mit Kindern ist wunderschön und sinnstiftend, dennoch stoßen viele Eltern in dieser Situation an die Grenzen des Machbaren. Eltern sind in dieser Ausnahmesituation mehrfach belastet, leisten Außergewöhnliches und tragen damit dazu bei, dass unser System trotz Einschränkungen so gut weiter läuft. Um diese selbstverständlichen und unglaublichen Leistungen der Familien entsprechend wertzuschätzen, fordern wir als größte überparteiliche Familienorganisation eine Verdoppelung der Familienbeihilfe für die Monate März und April. Die Verdoppelung der Familienbeihilfe soll für den Zeitraum gelten, in dem Betreuungseinrichtungen und Schulen geschlossen sind bzw. bleiben. Für Maturantinnen und Maturanten muss der Anspruch auf Familienbeihilfe bis Septem­ber verlängert werden.

Anerkennen wir, dass es die Familien sind, die zu allererst systemrelevant sind! Hono­rieren wir diese Wertschätzung mit einer finanziellen Abgeltung und unterstützen wir damit die Eltern und Familien in dieser schwierigen Zeit!

Mit freundlichen Grüßen Alfred Trendl, Präsident Rosina Baumgartner, General­sekre­tärin

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehenden


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 64

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Kinderbeihilfe bis zum vollendeten 14. Lebensjahr des Kindes für jene Monate zu verdoppeln, in denen die Betreuungs­ein­richtungen wie Schulen, elementarpädagogische Einrichtungen und Horte corona­be­dingt geschlossen waren bzw. sind. Die Auszahlung hat unverzüglich zu erfolgen."

*****


Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht daher auch mit in Verhandlung.

Nun hat sich Frau Bundesministerin Christine Aschbacher zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Ministerin.


11.09.42

Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend Mag. (FH) Christine Aschbacher: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Bildschirmen oder anderen Endgeräten! Ich darf mich heute als Arbeits-, Familien- und Jugendministerin an Sie wenden und mich auch für die Zusammenarbeit bedanken, denn heute wollen wir Unterstützungsmaßnahmen beschließen, die die betroffenen Bereiche und Zielgruppen unterstützen. In der Coronakrise waren so viele Menschen herausgefordert und das sind sie nach wie vor, auch jetzt im Wieder­hoch­fahren, zu dem wir hoffentlich heute hier im Parlament gemeinsam Unterstützungen be­schließen werden.

Dementsprechend haben wir als Regierungspartei mit unserem Koalitionspartner ins­gesamt 50 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, nämlich 38 Milliarden Euro als Ret­tungspaket und zusätzlich 12 Milliarden Euro als Investitionspaket. Es geht jetzt darum, alle Folgen dieser Weltwirtschaftskrise, die das Coronavirus international verursacht hat, abzufedern.

Drei betroffene Gruppen fallen in meine Zuständigkeit. Es sind besonders die Familien, die Herausragendes geleistet haben und nach wie vor leisten. Ich möchte mich daher wiederum dem Dankeschön anschließen beziehungsweise ein herzliches Dankeschön aussprechen, weil es besonders die Familien waren, die uns durch die Krise getragen und Außergewöhnliches geleistet haben. Es gilt, auch da hinzuschauen und zu unter­stützen, einerseits finanziell, aber auch, indem wir noch Maßnahmen für die Betreu­ungssituationen zur Verfügung stellen.

Lassen Sie mich kurz auf die finanziellen Unterstützungen eingehen! Wir haben es heute schon mehrmals gehört: Wir wollen den Kinderbonus mit 360 Euro pro Kind all jenen zur Verfügung stellen, die die Familienbeihilfe in Anspruch nehmen. Dies wird automatisch mit September ausbezahlt, auch all jenen, die erhöhte Kinderbeihilfe in Anspruch nehmen, beispielsweise Menschen mit Behinderungen. (Beifall bei der ÖVP.)

Daneben haben wir auch die aktiven Familienfonds, die bereits in Umsetzung sind. Das ist einerseits der Familienhärtefonds, wo von den 30 Millionen Euro knapp zwei Drittel ausbezahlt wurden. Bei der Hälfte aller Anträge sind über 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Ministeriums, meines Ressorts zuständig, da auch nachzufassen, die Details noch einzuholen, sodass die Anträge abgewickelt werden können. Ich bin sehr froh darüber, dass wir auch die Aufstockung gemeinsam besprechen und hoffentlich beschließen können, nämlich von 30 Millionen Euro auf 60 Millionen Euro, sodass wir die Auszahlungen weiter umsetzen können.


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Andererseits ist das der Familienkrisenfonds, dessen Mittel mit 13. Juli an all jene auto­matisch überwiesen werden, die vorab bereits in der Notstandshilfe oder in der Arbeits­losigkeit waren und die jetzt pro Kind 100 Euro an Unterstützung bekommen. Es sind circa 175 000 Familien, die wir mit diesem Familienkrisenfonds automatisch unter­stützen.

Nicht nur finanzielle Unterstützung ist notwendig, sondern auch Unterstützung in der Doppel- und Mehrfachbelastung in Betreuungssituationen. Wir haben jetzt wieder ver­schiedene Cluster mit ansteigenden Zahlen zu verzeichnen. Es muss uns immer bewusst sein, warum wir all diese Maßnahmen treffen, nämlich zum höchsten Wohl der Gesundheit und um die Ausweitung des Coronavirus abzufedern. Deswegen ist es mir auch ein wichtiges Anliegen, dass wir die Sonderbetreuungszeit wieder aktivieren und ausweiten.

Drei Wochen an Kinderbetreuungszeit in Absprache mit dem Arbeitgeber stellen wir den Familien zur Verfügung beziehungsweise weiten wir das bis Ende September aus. Da geht es darum, dass wir dieses Modell berufstätigen Eltern zur Verfügung stellen, auch in einer Flexibilität, wenn einzelne Tage oder Halbtage bei den Betreuungspflichten notwendig sind, einerseits für Kinder bis 14 Jahre, andererseits aber auch für pfle­gebedürftige Angehörige, denen beispielsweise die 24-Stunden-Pflege ausgefallen ist, oder auch für Menschen mit Behinderungen; damit wir auch dieses Modell, das wir schon von den letzten Monaten kennen, jetzt wieder aktivieren.

Der zweite große Bereich ist die Unterstützung für so viele Arbeit suchende Menschen. Da danke ich auch für die Anregungen und Inputs. Deshalb haben wir den Berech­nungszeitraum von Mai bis Ende August ausgeweitet. Wenn jemand durchgängig 60 Tage Arbeit suchend ist, bekommt er im September automatisch eine Auszahlung von 450 Euro. Das gilt auch für all jene, die beispielsweise im Mai und Juni auf Jobsuche waren und mit 1. Juli wieder eine Arbeit gefunden haben. Wir sehen es auch an den Zahlen, dass alleine von der Vorwoche auf diese Woche, in der der Monatserste lag, über 21 000 Menschen wieder in Beschäftigung gekommen sind. Da gilt es weiter­zuarbeiten und alles zu tun, damit wir Menschen wieder in Beschäftigung bringen – das ist das beste Mittel gegen Armut. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abg. Maurer.)

Wir haben als Bundesregierung auch gesagt, wir lassen niemanden zurück. Es ist auch noch aktiv, dass die Menschen, die vorher in der Notstandshilfe waren oder jetzt, während der Krise, in Notstandshilfe gekommen wären, weiterhin die Unterstützungen in Höhe des Arbeitslosengeldes bekommen.

Diese Gelder fließen, seit der Juniauszahlung und auch rückwirkend. Weil wir beschlos­sen haben, diese Unterstützung ab 16.3., mit dem Lockdown, zu gewähren, ist es tech­nisch möglich, das jetzt mit der Juliauszahlung mitzuüberweisen, sodass die Menschen sichergehen können und eine Planungssicherheit haben, wann sie dieses Geld bekommen.

Wir als Bundesregierung geben mit vereinten Kräften alles, damit wir möglichst viele Arbeitsplätze sichern, aber auch neue Arbeitsplätze schaffen. Dementsprechend geht es mit dem Investitionspaket von 12 Milliarden Euro, aber auch beispielsweise mit der Gemeindemilliarde jetzt darum, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Auch da arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr intensiv mit dem Fokus auf Vermittlung und ich möchte mich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Arbeitsmarktservice, die wirklich Herausragendes leisten, bedanken. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Ein Herzensanliegen von mir sind auch unsere vielen Jugendlichen, die jetzt besonders von der Coronakrise betroffen sind. Details dazu werden wir auch noch am Nachmit­tag besprechen, in diesem Rahmen, im Hohen Haus. Ich möchte aber nur ganz kurz


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ankündigen: Da geht es darum, einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen, um zu schauen: Welche Nachfrage haben wir in diesen Zeiten außergewöhnlicher und beson­derer Herausforderungen, aber auch, welches Angebot können wir besonders für das Ausbildungsjahr 2020/2021 zur Verfügung stellen? Wie einige von Ihnen schon erwähnt haben, geht es vor allem um Weiterbildung, um Ausbildung und auch um Umqualifizie­rungen.

Wir nehmen wahr, dass die Zahl der Schulungsteilnehmer im Verhältnis zu den Arbeit suchenden Menschen gestiegen ist. Vergleichsweise um knapp 5 000 Menschen mehr sind in Schulung. Es sind besonders auch die Jugendlichen, die das Schulungsangebot, nämlich insbesondere für die neuen Anforderungen, für die New Skills, in Anspruch nehmen.

Es befinden sich viele in Aus- und Weiterbildung und um auch das zu garantieren – dass man die begonnene Ausbildung oder Weiterbildung auch abschließen kann –, haben wir dafür gesorgt, dass all jene, die beispielsweise jetzt in Bildungskarenz sind und Verzö­gerungen durch die Coronakrise hatten, diese auch beenden konnten. Auch das sind wichtige Instrumente in der aktiven Arbeitsmarktpolitik, besonders im Aus- und Weiter­bildungsbereich: dass wir die Menschen unterstützen, die diese angefangene Aus- oder Weiterbildung jetzt fertig machen können.

In diesem Sinne ein Danke auch für das konstruktive Miteinander! Es geht darum, dass wir jetzt die Menschen unterstützen, besonders die Familien sowie die Arbeit suchenden Menschen – da gibt es sehr viele Überschneidungen –, und zugleich auch unseren vie­len Jugendlichen Mut zusprechen und eine Perspektive bieten. Es geht darum, dass wir mit vereinten Kräften daran arbeiten, die Menschen in Beschäftigung zu halten und Arbeitsplätze abzusichern, aber auch neue Arbeitsplätze zu ermöglichen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

11.19


Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Rebecca Kirchbaumer. – Bitte.


11.19.17

Abgeordnete Rebecca Kirchbaumer (ÖVP): Frau Präsidentin! Werte Frau Bun­des­minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher zu Hause! Unser Ziel ist klar: Wir wollen Beschäftigung und neue Arbeitsplätze schaffen.

Wir hatten in der vergangenen Woche einen Rückgang bei den Arbeitslosenzahlen um 21 000 und bei der Kurzarbeit sogar um 350 000 Menschen in Österreich. Die Maß­nahmen der Regierung greifen und immer mehr Menschen können von der Kurzarbeit wieder in die Normalbeschäftigung zurückkehren.

Auch die Abrechnung der Kurzarbeit läuft auf Hochtouren. 94 Prozent der Abrechnungen wurden bereits bearbeitet, und 28 000 Unternehmerinnen und Unternehmer haben bereits alle Teilzahlungen erhalten. An dieser Stelle möchte ich mich auch recht herzlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Arbeitsmarktservice für ihren Einsatz und ihre Leistung bedanken. (Beifall bei der ÖVP.)

Mit dem vorliegenden Paket unterstützen wir alle Familien in Österreich. Jedes Kind bekommt im September mit der Familienbeihilfe automatisch 360 Euro ausbezahlt. Davon profitieren 1,1 Millionen Familien und 1,8 Millionen Kinder. Außerdem verdoppeln wir den Familienhärtefonds um weitere 30 Millionen Euro.

Ich möchte weiters auf die Punkte im Arbeitsmarktförderungsgesetz eingehen. Um die Mobilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der gesamten EU zu fördern,


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 67

wurde bereits 1994 das europäische Netz der Arbeitsvermittlung Eures eingerichtet. 2016 wurde die Ausweitung auf private Arbeitsmarktleistungen beschlossen.

Mit dem vorliegenden Entwurf wird die Wirtschaftskammer Österreich die Funktion als Eures-Zertifizierungsstelle übernehmen. Vor allem die bessere Zusammenarbeit zwi­schen der Arbeitsverwaltung und den privaten Anbietern ist hier im Sinne der Unter­nehmerinnen und Unternehmer. Diese Stelle unterliegt der Weisung des Arbeits­minis­teriums und agiert daher unabhängig von der Wirtschaftskammer. Das heißt, die Wirt­schaftskammer stellt lediglich die Infrastruktur. Zudem möchte ich anmerken, dass sie das unentgeltlich macht.

Weiters muss die Wirtschaftskammer aber auch die Qualitätskriterien prüfen, das heißt, dass die Voraussetzung nach der europäischen Verordnung geprüft werden muss. Verstöße gegen die arbeits- und sozialrechtlichen Mindeststandards müssen aufgezeigt werden, und im Extremfall muss die Wirtschaftskammer auch die Zulassung wieder entziehen.

Des Weiteren haben wir ja im Frühjahr für die Eltern von Kindern mit Behinderung eine dreiwöchige Sonderbetreuungszeit beschlossen. Allerdings stehen diese Eltern weiter­hin vor der Herausforderung, die Arbeit und die Betreuung unter einen Hut zu bringen. Aus diesem Grund soll es im Sommer für diese Eltern noch einmal drei Wochen Son­derbetreuungszeit geben.

Dazu bringe ich folgenden Antrag ein:

Abänderungsantrag  

der Abgeordneten August Wöginger, Mag. Markus Koza, Kolleginnen und Kollegen

zum Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (320 d.B. XXVII. GP) über den Antrag gemäß § 27 GOG der Abgeordneten August Wöginger, Mag. Markus Koza, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsvertrags­rechts-Anpassungsgesetz geändert wird

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Die eingangs bezeichnete Vorlage wird wie folgt geändert:

1. Die bisherigen Z 1 und 2 erhalten die Bezeichnungen Z 2 und 3; folgende Z 1 wird vorangestellt:

„1. In § 18b wird nach Abs. 1 folgender Abs. 1a eingefügt:

„(1a) Abs. 1 gilt sinngemäß für weitere bis zu drei Wochen für die notwendige Betreuung eines Kindes bis zum vollendeten 14. Lebensjahr, für das eine Betreuungspflicht besteht, sowie von Personen gemäß Abs. 1 Z 1 bis 3 im Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten dieser Bestimmung und dem 30. September 2020. Der Arbeitgeber hat den Anspruch auf Vergütung bis 31. Oktober 2020 geltend zu machen.“

2. Die nunmehrige Z 3 lautet:

„3. Dem § 19 Abs. 1 wird folgende Z 46 angefügt:


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 68

„46. § 18b Abs. 1a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBL. I Nr. xx/2020 tritt mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft. § 18b Abs. 3 in der Fassung des Bun­desgesetzes BGBl. I Nr. xx/2020 tritt rückwirkend mit 16. März 2020 in Kraft und mit 31. Dezember 2024 außer Kraft.“

*****

Sehr geehrte Damen und Herren! Unterstützen Sie diese Eltern von Kindern mit Be­hinderung und stimmen Sie diesem Antrag zu! – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

11.23

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten August Wöginger, Mag. Markus Koza

Kolleginnen und Kollegen

zum Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (320 d.B. XXVII. GP) über den Antrag gemäß § 27 GOG der Abgeordneten August Wöginger, Mag. Markus Koza, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsvertrags­rechts-Anpassungsgesetz geändert wird

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Die eingangs bezeichnete Vorlage wird wie folgt geändert:

1. Die bisherigen Z 1 und 2 erhalten die Bezeichnungen Z 2 und 3; folgende Z 1 wird vorangestellt:

„1. In § 18b wird nach Abs. 1 folgender Abs. 1a eingefügt:

„(1a) Abs. 1 gilt sinngemäß für weitere bis zu drei Wochen für die notwendige Betreuung eines Kindes bis zum vollendeten 14. Lebensjahr , für das eine Betreuungspflicht besteht, sowie von Personen gemäß Abs. 1 Z 1 bis 3 im Zeitraum zwischen dem Inkraft­treten dieser Bestimmung und dem 30. September 2020. Der Arbeitgeber hat den Anspruch auf Vergütung bis 31. Oktober 2020 geltend zu machen.“

2. Die nunmehrige Z 3 lautet:

„3. Dem § 19 Abs. 1 wird folgende Z 46 angefügt:

„46. § 18b Abs. 1a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBL. I Nr. xx/2020 tritt mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft. § 18b Abs. 3 in der Fassung des Bun­des­gesetzes BGBl. I Nr. xx/2020 tritt rückwirkend mit 16. März 2020 in Kraft und mit 31. Dezember 2024 außer Kraft.“

Begründung

Zu Z 1 (§ 18b Abs. 1a):

Durch die andauernde COVID-19-Krise sind Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen weiter­hin vor Herausforderungen gestellt, Arbeit und Betreuungspflichten zu verein­baren. Es soll daher das Instrument der Sonderbetreuungszeit, das zunächst für den Mai 2020 gegolten hat und sich bewährt hat, auch für den Sommer 2020 für maximal weitere drei Wochen angewendet werden können. Hinsichtlich der Vorausset-zungen wird ver­einfachend auf die Notwendigkeit der Betreuung abgestellt; die Schließung von Schulen und sonstigen Kinderbetreuungseinrichtungen ist darin miterfasst. Wie schon bisher


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 69

kann die Sonderbetreuungszeit auch tage- oder halbtageweise vereinbart werden. Die Finanzierung der Vergütung für die Arbeitgeber erfolgt, wie bei der Sonder­betreuungs­zeit im Mai, aus dem COVID-19-Krisenbewältigungsfonds.

*****


Präsidentin Doris Bures: Der Abänderungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht mit in Verhandlung.

Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Fiona Fiedler. – Bitte.


11.24.03

Abgeordnete Fiona Fiedler, BEd (NEOS): Frau Präsidentin! Hohes Haus! Werte Minis­terin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Im Be­richt des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage findet sich der Antrag betreffend Einmalzahlungen für Arbeitslose und Kinder. Mit diesem Kin­derbonus schüttet die Regierung 600 Millionen Euro aus, die auf alle Kinder verteilt werden. Alle Kinder bedeutet in diesem Fall, dass auch meine Kinder und Kinder anderer Abgeordneter hier im Saal 360 Euro erhalten. Ganz ehrlich, ist das notwendig? (Abg. Brandstätter: Nein! – Beifall bei den NEOS.)

Keiner hier im Saal wird Feind seines eigenen Geldes sein, nehme ich an, aber es gibt zahlreiche Familien, die dieses Geld weitaus dringender brauchen. (Beifall bei den NEOS.)

Diese 600 Millionen Euro wären deutlich besser investiert, wenn man sie an notleidende Familien ausschüttet, die durch die Coronakrise in die Arbeitslosigkeit gerutscht sind. Für diese Kinder und Familien hätte der Familienhärtefonds aufgestockt werden müs­sen, der mittlerweile nur 60 Millionen Euro beträgt. Verstehen Sie mich nicht falsch: 60 Millionen Euro sind viel Geld, und es ist großartig, dass damit an Familien gedacht wird. Wie eben erwähnt, braucht es hier aber mehr. Der Kinderbonus ist eine Einmal­zahlung. Der Härtefallfonds soll das durch die Krise verringerte Einkommen ausgleichen. Wo liegen hier die Prioritäten? In anderen Zusammenhängen wird immer davon ge­sprochen, kein Kind zurückzulassen. Auch hier dürfen die Kinder nicht zurückgelassen werden, aber bitte die Kinder, die es wirklich nötig haben. (Beifall bei den NEOS.)

Packen Sie die Gießkanne ein und beginnen Sie, zielorientiert zu helfen! Achten Sie darauf, dass die Hilfen auch ankommen und setzen Sie Maßnahmen, damit sich Fami­lien, die aufgrund von Arbeitslosigkeit unverschuldet in Not geraten sind, wieder aufrich­ten können! – Danke. (Beifall bei den NEOS.)

11.26


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Klaus Fürlinger. – Bitte.


11.26.11

Abgeordneter Mag. Klaus Fürlinger (ÖVP): Hohes Präsidium! Sehr geehrte Frau Bun­desministerin! Das Thema Soziales beschäftigt uns heute einigermaßen, insbesondere das Arbeitslosengeld. Ich nahm aus meinem letzten noch coronafreien Aufenthalt im Angertal in Bad Gastein von einem Inhaber eines Sporthandels die sachlich, aber doch intensiv vorgetragene Beschwerde mit, dass es nicht möglich sei, in der Hochsaison Arbeitskräfte zu bekommen.

Er hatte in einem ordentlichen, schönen und wunderbaren Sporthandel drei Meldungen vom AMS. Zwei zu Vermittelnde sind gar nicht erschienen, und einer hat sich nach einem Tag abgemeldet und ist nicht ins Geschäft zurückgekommen. Er hat mir einen Satz mitgegeben: In diesem Land ist es zu leicht, nicht zu arbeiten.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 70

Dieser Satz hat mich einigermaßen beschäftigt. Wenn man ein bisschen durchblickt, wie gut das Netz in Österreich ist, kommt man auch zu jener Studie eines Instituts des Grazer Joanneum, das für Bundesländer wie die Steiermark und Wien hochgerechnet hat, wie ein Vater von zwei Kindern, der arbeitslos ist, eine Familie mit allen beteiligten - - (Abg. Matznetter: Die ist falsch! Das haben wir ja schon alles diskutiert, schon im alten Haus!) – Nein, die Berechnung ist nicht falsch! Sie kommen dann eh dran, Herr Kollege Matznetter, Sie können das alles richtigstellen. Sie kommen mit einer vierköpfigen Familie, bei der der Vater arbeitslos ist, mit Sozialhilfen auf 2 200 Euro netto monatlich. (Abg. Matznetter: Jetzt schimpfen Sie auf die Arbeitslosen? Was hat das für einen Sinn?)

Um diesen Betrag netto durch Arbeit zu erzielen, müssen Sie rund 3 800 bis 4 000 Euro verdienen, weil mit steigendem Verdienst die Transferleistungen weniger werden. Jetzt bekennen wir uns ganz klar dazu, dass Menschen mit Kindern, dass Familien, dass Arbeitslose unterstützt werden müssen, aber wir müssen auch eine klare Grenze ziehen, wo wir entlohnte Arbeit darüber hinausbringen. (Beifall bei der ÖVP.)

Wenn wir heute beschließen, meine Damen und Herren, dass bei derselben Konstel­la­tion bei zwei Kindern einmal 450 Euro und zweimal 360 Euro bezahlt werden – also 1 170 Euro zu einem durchschnittlichen Arbeitslosenbezug von rund 1 000 Euro –, finde ich das mehr als in Ordnung, und dann können wir nicht von Almosen sprechen. Wer in diesem Zusammenhang von Almosen spricht, dem kann ich nur entweder das Fremdwörterlexikon nahelegen oder ich unterstelle ihm bewusste Desinformation. Er vertritt dann offenbar jene, die im sechsstelligen Bereich im Jahr verdienen. Für Sechs­stelligverdiener mag ein Tausender ein Almosen sein, für Arbeitslose ist er nahezu ein 15. Gehalt, meine Damen und Herren. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Vogl: Mit den Sechs­erstellen hat eher der Finanzminister Probleme!)

Lassen Sie mich zum Schluss eines sagen: Wenn in diesem Land jeder Arbeitsplatz besetzt ist und wir nach wie vor 10 000, 50 000, 100 000 Arbeitslose haben, dann wird es unsere Aufgabe sein, über eine Reform des Arbeitslosengeldes oder auch eine Erhöhung zu diskutieren. Wenn alle Arbeitsplätze besetzt sind, können wir es uns dann als Volkswirtschaft leisten, und wir sind es volkswirtschaftlich natürlich auch schuldig, Arbeit für die anderen Personen zu schaffen. (Abg. Herr: 50 000 offene Stellen!)

Solange das nicht der Fall ist, solange ein Arbeitsplatz frei ist und wir Arbeitslose haben, werden wir uns nach anderen Lösungen umsehen müssen. Eine einmalige Zahlung an Arbeitslose, Unterstützung für Kinder ja, aber unser Ziel kann nur Vollbeschäftigung sein, nichts anderes, und dahin gehend müssen wir arbeiten. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP. Abg. Belakowitsch: 63 000 offene Stellen!)

11.30


Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Julia Herr. – Bitte.


11.30.26

Abgeordnete Julia Elisabeth Herr (SPÖ): Frau Präsidentin! Ich habe eigentlich eine andere Rede vorbereitet gehabt – wir reden ja heute zu mehreren Tagesordnungs­punk­ten gleichzeitig –, muss jetzt aber auf die aktuelle Debatte eingehen. (Zwischenruf des Abg. Haubner.Nein, ich muss auf diese Redebeiträge eingehen.

Die Regierungsfraktionen stellen sich hier heraus und feiern diese Einmalzahlung ab, als wäre sie der größte soziale Fortschritt. Die Grünen behaupten überhaupt, das sei eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes – das hat vorher jemand gesagt , das ist es nicht. Es ist eine Einmalzahlung für alle, die von Mai bis September arbeitslos sind. Das ist sowieso einmal der nächste Punkt: Die höchste Arbeitslosigkeit war im April, das fällt schon einmal weg, das versteht auch niemand, aber es steht in diesem Paket so drinnen; okay.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 71

Da wird behauptet, man lebt ja eh so gut mit dem Arbeitslosengeld, man will ja gar nicht arbeiten gehen. Bitte, auf eine offene Stelle kommen fast zehn Arbeitslose, es kann sich derzeit gar nicht ausgehen, dass alle eine Arbeit finden, da brauchen Sie uns nicht zu erzählen, dass die alle freiwillig arbeitslos sind. (Beifall bei der SPÖ.)

Es ist volkswirtschaftlich nicht sinnvoll, was Sie hier machen.  Eine Erhöhung würde ge­nau dazu führen, dass arbeitslose Menschen das Geld, das sie bekommen, wieder ausgeben, das würde eins zu eins im Konsum landen, das würde eins zu eins zu uns zurückfließen, aber das wollen Sie ja verhindern, obwohl keine Besserung in Sicht ist.

Über Menschen, die arbeiten gegangen sind, ist von einem Tag auf den anderen plötz­lich Corona hereingebrochen, absolut unverschuldet haben sie von heute auf morgen de facto fast 50 Prozent weniger zur Verfügung. Die Miete bleibt aber gleich hoch, die Lebensmittelkosten sind gleich hoch, und auch wenn man Kinder hat, brauchen die gleich viel Geld wie vorher, man hat aber 50 Prozent weniger. Denen richten Sie jetzt aus: Na, ist eh super, ihr kriegt eh eine Einmalzahlung einmal, im September – von 450 Euro. (Zwischenruf des Abg. Koza.) Das ist wirklich nicht nur volkswirtschaftlich falsch, dumm, sondern ich würde auch die Frage stellen, ob das moralisch so korrekt ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Dass wir alle hier in einer absolut privilegierten Lage sind, alle während Corona finanziell abgesichert sind, dass wir jetzt diejenigen sind, die diesen Menschen, die nicht wissen, was sie tun sollen, wenn die Waschmaschine hin ist, ausrichten, na die Einmalzahlung, die reicht doch eh für euch, das ist wirklich einfach nur falsch. Wenn wir wirklich sozial­politisch etwas weiterbringen wollen, dann erhöhen wir jetzt das Arbeitslosengeld und sind nicht so zynisch. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

11.33


Präsidentin Doris Bures: Frau Abgeordnete Dagmar Belakowitsch ist die nächste Red­nerin. – Bitte.


11.33.28

Abgeordnete Dr. Dagmar Belakowitsch (FPÖ): Frau Präsident! Herr Kollege Fürlinger, also wenn Sie erst dann nachdenken wollen, wenn kein einziger Arbeitsplatz in Öster­reich mehr offen ist, dann ist es schon ein bisschen spät.

Wir haben derzeit 463 505 beschäftigungslose Personen und 63 194 offene Stellen, wenn Sie noch warten, bis diese 63 000 Stellen auch besetzt sind, bis Sie auf die Idee kommen, Sie müssen sich etwas überlegen, dann sind wir zu spät dran, denn man weiß ja, wie lange diese Reformen dieser Bundesregierung bis jetzt schon gedauert haben und wahrscheinlich auch noch dauern werden.

Es ist ein generelles Problem, das ich bei dieser Bundesregierung sehe, es gibt wahn­sinnig viele Programme, da und dort und überall wird versucht, die Wirtschaft anzu­kurbeln, dass sie endlich wieder anspringt. Das sind ja schöne hehre Ziele, die durchaus zu unterstützen sind. Was Sie aber überhaupt nicht tun: Sie setzen keine einzige Maß­nahme, die die Massenkaufkraft in diesem Land erhöht und verstärkt.

Das tun Sie nicht, meine Damen und Herren von der ÖVP. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Das Einzige, was Sie machen - - (Zwischenruf des Abg. Ottenschläger.) – Sie können sich gerne melden, wenn Sie glauben, Sie wissen es besser. Sie sehen ja auch die Ergebnisse, jetzt tun Sie doch nicht so, Sie sehen doch die Ergebnisse: Die Sparquote in Österreich war noch nie so hoch wie jetzt, weil die Leute schlicht und einfach Angst haben, weil niemand weiß, was im Herbst passiert, ob er nicht im Herbst vielleicht auch arbeitslos wird und dann mit der Hälfte des Geldes auskommen muss.


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So, und jetzt reden wir doch über die Arbeitslosen: Kollege Wöginger erklärt uns andau­ernd, na ja, die Arbeitslosen können ja noch aufstocken. – Ja, das sind die Geringver­diener, die ganz wenig Arbeitslosengeld haben, aber wenn man ein Durchschnitts­ver­diener ist, der vielleicht 1 700, 1 800 Euro netto gehabt hat – das ist doch der Mittelstand, das sind doch die, die das System über viele Jahre erhalten haben und das sind die, die auch die Fixkosten haben, die wahrscheinlich relativ hoch sind –, dann fällt man um das völlig um. Genau diese Bevölkerungsgruppe lassen Sie jetzt schlicht und einfach im Stich.

Da ist der eine vielleicht arbeitslos, der andere Ehepartner möglicherweise in Kurzarbeit, so, und dann schauen wir uns das an: Was ist, wenn Sie in der Werbebranche tätig sind? – Da haben Sie momentan keine Chance. Reisebusfahrer, Bühnenbauer, das sind alles Branchen, da finden die Leute derzeit keinen Job, weil es keine Aufträge gibt. Das heißt, das sind doch die Leute, für die wir doch auch einmal nachdenken müssen, was wir für sie tun können, deren Fixkosten laufen weiter. Dann kommt Kollegin Graf im Ausschuss daher und erklärt: Na ja, die können ja ihre Kreditraten stunden lassen. (Zwischenruf der Abg. Tanja Graf.)

Das ist ja sehr nett und ein sehr sozialer Ansatz. Da lassen wir stunden, damit man zu Jahresbeginn wieder alles auf einmal zahlen muss. Das heißt, die Leute kommen aus dem Schlamassel überhaupt nie wieder heraus. Daher war es auch so sinnvoll und klug zu sagen: Setzen wir doch ein Zeichen, machen wir ein erhöhtes Arbeitslosengeld befristet bis zum Ende dieser Krise! Schauen wir, dass wir die Leute nicht im Stich lassen! Das ist notwendig und das ist wichtig und das stärkt übrigens auch die Kaufkraft.

Noch ein Wort zum Familienbonus: Natürlich freut sich jeder, wenn er Geld bekommt. Aber auch dieser Familienbonus verpufft, denn das ist eine Einmalzahlung. Vieles davon wird möglicherweise wieder am Sparbuch landen und wird nicht den Effekt haben, den Sie gerne hätten, nämlich endlich die Kaufkraft zu erhöhen und die Wirtschaft anzu­kurbeln. Daher haben wir den Gutschein vorgeschlagen, weil dieser Gutschein in den Konsum gehen muss, denn den kann man nicht aufs Sparbuch legen. Genau diese Überlegungen fehlen mir bei der Bundesregierung. Wirklich, das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Sie meinen es gut, aber es kommt nicht so an, wie es ankommen sollte, und wir werden aber nur dann einen Wirtschaftsaufschwung schaffen, wenn wir die Massenkraftkaufkraft stärken.

Noch ein Wort zur SPÖ, zum Abänderungsantrag der Kollegen Muchitsch, Petra Wimmer: Wir werden diesem Antrag zustimmen, aber ich sage schon auch, dieser Antrag erinnert mich ein bisschen an die Anträge der Bundesregierung, die wir massiv kritisiert haben. Es wird da Arbeitslosengeld mit der Indexierung der Familienbeihilfe vermanscht. Wir stehen dazu, dass die Familienbeihilfe indexiert sein muss, denn es ist eine massive Ungerechtigkeit, wenn Kinder, die in Polen leben, denselben Betrag wie Kinder in Österreich bekommen, weil der Lebensstandard unterschiedlich ist. Das ist keine Gerechtigkeit, das ist eine Ungerechtigkeit, die Sie da fordern. Die lehnen wir ab.

Wir werden dem Antrag dennoch zustimmen, weil der erste Teil, der überwiegende Teil, nämlich die Erhöhung des Arbeitslosengeldes, mit unserer Vorstellung kompatibel ist, wir das auch möchten, denn ich glaube, dass es in einer Zeit wie dieser tatsächlich not­wendig ist, den Leuten Geld in die Hand zu geben, um den Konsum zu stärken. (Beifall bei der FPÖ. Abg. Wöginger in Richtung der sich zu ihrem Sitzplatz begebenden Abg. Belakowitsch –: Lass getrennt abstimmen, ...!)

11.38


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Michael Bernhard. – Bitte.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 73

11.38.23

Abgeordneter Michael Bernhard (NEOS): Frau Präsidentin! Geschätzte Frau Bundes­ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Ich möchte mit einem Wort der Anerkennung beginnen, auch wenn es nachher einige andere Themen gibt. Ich möchte anerkennen, Frau Ministerin, dass die Kommunikation zwischen uns, zwischen dem Parlament und Ihrem Haus, in der letzten Woche deutlich besser geworden ist. Das erleichtert auch, Probleme auf kurzem Weg zu beschreiben.

Ich möchte aber auch mit der Kritik nicht sparen, und zwar ist alles, was uns heute rund um den Familienhärteausgleich beschäftigt, in Wirklichkeit eine Art Vergangenheits­be­wäl­tigung. Die Betroffenen empfinden das natürlich nicht so, da das Geld oftmals noch nicht am Konto ist, aber das Ministerium arbeitet im Juli noch immer an dem Versprechen vom April. Die Menschen haben im April Anträge gestellt, um den Einkommensverlust ausgleichen zu können, das ist bis heute vielfach nicht geschehen.

Was noch dazukommt, ist, dort, wo es geschehen ist, dort, wo es diesen Ausgleich des Einkommens gibt, fehlt vollkommen die Transparenz. Personen, die das gleiche Einkom­men haben, gleich viele Kinder haben, den gleichen Einkommensverlust haben, erhalten unterschiedliche Beträge. Es gibt einen Berechnungsschlüssel in den Richtlinien, der aber, wenn man ihn nachrechnet, in ganz, ganz vielen Fällen nicht nachvollziehbar ist.

Es gibt Zahlungen ohne Bescheide, und damit kommt ein großes Thema auf uns zu, denn das, was ausbezahlt wird, ist, wenn es nicht nachvollziehbar ist, auf dem privaten Weg einklagbar. Das bedeutet: Jeder, der keinen Bescheid hat oder diesen nicht nach­vollziehen kann, kann sich sein Recht auf die richtige Zahlung erkämpfen. Wie mehrfach angesprochen, ist das ist in keiner Weise gelöst.

Damit komme ich zu einem wesentlichen Punkt in der Gegenwart. Sie sind noch im April, Sie versuchen noch, die Probleme, die im März-Lockdown entstanden sind, zu lösen. Wir aber sind in der Gegenwart, wir sind im Sommer, wir reden noch immer von einer knappen halben Million Menschen, die in Kurzarbeit sind; und auch, wenn diese Zahl stark sinkend ist, ist es so, dass die Arbeitsmarktkrise lange andauern wird. Genau dieses Andauern wird im Familienhärteausgleich überhaupt nicht berücksichtigt, damit kann man maximal für drei Monate einen Ausgleich schaffen.

Deswegen möchte ich – und ich habe Ihnen das auch schon direkt gesagt, Frau Minis­terin – jetzt folgenden Antrag einbringen:

Entschließungsantrag  

der Abgeordneten Michael Bernhard, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Treffsichere Corona Familienhärtefonds“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend wird aufgefordert, die Leistungen aus dem Corona-Familienhärtefonds zeitlich über die Dauer der Krise auszudehnen sowie für eine rasche Bearbeitung der Anträge und eine transparente und nachvoll­zieh­bare Auszahlung zu sorgen.“

*****

(Beifall bei den NEOS.)

Frau Ministerin, das wäre die einzig richtige Antwort auf die Krise, meine Kollegin Fiedler hat das vorher schon sehr schön ausgeführt. Sie haben jetzt Maßnahmen auf den Tisch


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 74

gelegt, die Zahlungen in der Höhe von Hunderten Millionen Euro an alle Bürgerinnen und Bürger in unserem Land vorsehen, die eine Familie haben oder arbeitslos sind. Das Problem an der Sache ist ein sehr großes: Schütten wir jetzt sehr viel Steuergeld aus, auch an jene, die nicht betroffen sind, dann fehlt erstens das Geld für jene, die wirklich betroffen sind, es fehlt ab dem vierten, fünften, sechsten Monat. Diese Einmalzahlung von 360 Euro hat überhaupt keine mit dem Familienhärteausgleich vergleichbare Wirkung. Sie wissen selbst: Dort wurden quasi 1 300, 1 400 Euro pro Familie ausbezahlt.

Und das andere ist: Alles, was wir jetzt dort, wo wir es nicht benötigen, ausgeben, werden wir in zwei, drei Jahren – wahrscheinlich noch in dieser Legislaturperiode – mit Spar­paketen und Sparmaßnahmen wieder hereinholen müssen. Das ist kein Geschenk an den Mittelstand, das ist kein Geschenk an die Mittelschicht, das ist nichts anderes als ein Versprechen für harte Sparpakete in der Zukunft, und genau das ist unverantwortlich! Einen wirklich funktionierenden Sozialstaat, eine wirklich funktionierende Familienpolitik erkennt man daran, dass sie jenen hilft, die diese Hilfe brauchen, und nicht ziellos im Land herumsteuert.

Ich möchte einen weiteren Punkt anführen, der mir sehr wichtig erscheint: Wenn Sie den Familien helfen wollen, Frau Ministerin, und zwar all jenen Vätern und Müttern, die im Alltag bisher das Homeschooling mit großer Leidenschaft, aber mitunter auch großer Verzweiflung vorangetrieben haben, dann müssen Sie dafür Sorge tragen, dass es Klarheit gibt – für jetzt, aber vor allem für den Herbst, wie es mit den Kindergärten und den Schulen weitergeht.

Einmalzahlungen helfen nichts. Wie wir jetzt gerade gesehen haben, ist wegen eines Verdachtsfalls ein Kindergarten geschlossen worden, 120 Kinder mussten zu Hause bleiben. Nach vier Tagen hat sich herausgestellt, dass es glücklicherweise keine Infek­tion gegeben hat. Das bedeutet: 119 Familien sind wieder vor große Herausforderungen gestellt worden und wahrscheinlich auch 119 Arbeitgeber.

In diesem Sinne: Wollen Sie richtige Familienpolitik machen, so reden Sie mit Ihrem Kollegen, Herrn Faßmann, und machen Sie einen Plan, wie ab sofort sowohl Mütter als auch Väter ihrem geregelten Alltag nachgehen können und Kinder gut betreut und aus­gebildet werden! – Vielen Dank. (Beifall bei den NEOS.)

11.43

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Michael Bernhard, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Treffsichere Corona Familienhärtefonds

eingebracht im Zuge der Debatte in der 45. Sitzung des Nationalrats über Einmal­zahlungen Arbeitslose/Kinder (285 d.B.) – TOP 1

Familien wird in Zeiten der Covid-19-Pandemie viel zugemutet und stellt sie vor beispiel­lose finanzielle Herausforderungen. Der Corona-Familienhärtefonds wurde daher ini­tiiert, um Familien, die durch die Covid-19-Krise unverschuldet in finanzielle Schwierig­keiten geraten sind, rasch und unbürokratisch finanzielle Unterstützung zur Bewältigung der Pandemiefolgen zu gewähren. Die Zuwendung wird für die Dauer der Einkom­mensminderung infolge der Corona-Krise, höchstens jedoch für drei Monate gewährt. Die jetzigen Umstände zeigen, dass sich die Dauer der Krise weit über drei Monate ausbreiten wird. Obwohl viele Maßnahmen der Bundes-regierung, wie zum Beispiel die COVID-Kurzarbeit, verlängert, oder sogar neue Hilfspakete auf den Weg gebracht wurden, gibt es keine Bemühungen, die in Not geratenen Familien weiter zu unterstützen


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und die Bezugsdauer des Corona-Familienhärtefonds zu verlängern. Stattdessen gibt es den Kinderbonus, der als Einmalzahlung mit 360€ pro Kind, die durch die Krise verrin­gerten Einkommen ausgleichen soll und unabhängig vom Bedarf und somit nicht treff­sicher verteilt wird.

Bei der Abwicklung der Anträge des Familienhärteausgleichs kommt es nach wie vor zu großen Problemen. Familien, die bereits im April einen Antrag gestellt haben, haben zum Teil noch immer keine Antwort oder Unterstützung erhalten. Wenn es zur Bearbeitung der Anträge und zu einer Auszahlung kommt, stehen die Antrag-steller_innen vor dem Problem, dass der Bescheid mit keiner Beründung und mit keinem Berechnungs­schlüs­sel übermittelt wird. So ist nicht klar ersichtlich, wie sich der Betrag zusammensetzt.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend wird aufgefordert, die Leistungen aus dem Corona-Familienhärtefonds zeitlich über die Dauer der Krise auszudehnen, sowie für eine rasche Bearbeitung der Anträge und eine transparente und nachvoll­ziehbare Auszahlung zu sorgen. "

*****


Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht.

Zu dieser Debatte ist niemand mehr zu Wort gemeldet, ich schließe sie.

Ist seitens der Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Wie vereinbart verlege ich die Abstimmungen an den Schluss der Verhandlungen über die Vorlagen des Ausschusses für Arbeit und Soziales und gehe in der Tagesordnung weiter.

11.44.128. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 703/A der Abgeordneten August Wöginger, Josef Muchitsch, Mag. Markus Koza, Kollegin­nen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz geändert wird (261 d.B.)


Präsidentin Doris Bures: Wir gelangen nun zum 8. Punkt der Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Erster Redner: Herr Abgeordneter Laurenz Pöttinger. – Bitte.


11.44.39

Abgeordneter Laurenz Pöttinger (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz ist ein sehr komplexes Gesetz mit vielen branchenspezifischen Feinheiten. Gerade bei dieser Gesetzesänderung sieht man, wie wichtig eine funktionierende Sozialpartnerschaft ist. Die Sozialpartner haben gemeinsam nach einer Lösung gesucht, um insbesondere die Winterarbeitslosigkeit zu reduzieren. Die Baubranche ist eine Saisonbranche, und gerade deshalb sind diese Überlegungen zu begrüßen.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 76

Die Details dazu sind in drei wesentlichen Punkten dargestellt: erstens, die Erhöhung der Refundierung der Nebenleistungen im Sachbereich der Winterfeiertagsregelung von 17 Prozent auf 30,1 Prozent ab 1.12.2020; zweitens, die Senkung des Zuschlagsfaktors im Sachbereich Überbrückungsgeld von 1,5 auf 0,4 in den Monaten Dezember bis März ab 1.1.2021; drittens, die Erleichterung der Erreichung der sechsten Urlaubswoche nach 1 040 statt 1 150 Anwartschaftswochen, das sind 20 Jahre statt 22 Jahre. Teilweise wird es in den Medien fälschlich mit 25 Jahren dargestellt, doch diese Reduktion ist jetzt von 22 Jahren auf 20 Jahre.

Insgesamt sind diese Maßnahmen für die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen kosten­neu­tral und sollen, wie schon erwähnt, den Anreiz erhöhen, Arbeitnehmer und Arbeitneh­merinnen über den Winter in Beschäftigung zu halten, und die Attraktivität der Branche erhöhen, denn auch da gibt es einen Fachkräftemangel. Ich möchte dezidiert darauf hin­weisen, dass die Baubranche mit keiner anderen Branche zu vergleichen ist. Diese Regelungen können und werden daher kein Präjudiz für alle anderen Bereiche der Arbeitswelt darstellen.

Auch im Bausektor sind die Arbeitslosenzahlen Gott sei Dank zurückgegangen, nämlich um 60 Prozent. Ende März hatten wir 56 000, aktuell sind es gut 22 000 Arbeitslose, und 13 280 Menschen in der Baubranche sind in Kurzarbeit – ein sehr guter Wert, denn noch im Mai waren bis zu 148 000 in Kurzarbeit. Somit sehen wir auch im Bausektor, dass die Maßnahmen der Regierung greifen.

Ein großes Dankeschön an die Sozialpartner, insbesondere auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der WKO; sie wurden in den letzten Monaten sehr gefordert, und sie haben großartige Arbeit geleistet. Danke für den unermüdlichen und tollen Einsatz! (Beifall bei der ÖVP.)

Ein Wort noch betreffend die gemeldeten offenen Stellen beim AMS: Sie alle wissen, dass das nicht die absolute Zahl der offenen Stellen ist, denn viele Betriebe suchen auf anderen Plattformen Mitarbeiter, das heißt, sie verlagern ihre Suche auf Facebook, auf Direktinserate, auf viele andere Plattformen. Manche haben es aufgegeben, weil sie sagen, sie bekommen keine Mitarbeiter, und es ist ganz, ganz schwierig. Die 60 000 gemeldeten offenen Stellen beim AMS sind darum mit Sicherheit ein wesentlich zu geringer Wert, das heißt, es gibt sehr, sehr viel mehr offene Arbeitsstellen, und die Betriebe warten auf Menschen, die ihnen helfen, diese Arbeit zu erledigen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

11.49


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Josef Muchitsch. – Bitte.


11.49.26

Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ): Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein gemeinsames Ziel von uns allen muss es immer sein, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, und gerade die Bauwirtschaft hat dieses große Problem mit der Winterarbeitslosigkeit. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Maßnahmen gesetzt werden, dass die Bausozialpartner verhandeln und der Politik Vorschläge machen.

Trotz guter Witterung haben wir am Bau eine Rekordarbeitslosigkeit. Das ist sehr schade. Das heißt, wir brauchen weitere Maßnahmen. Wir werden im vierten Quartal und im Frühjahr 2021 ein großes Problem haben, da brauchen wir wirkliche Konjunk­turpakete, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Die Bausozialpartner haben Vorschläge dazu auf den Tisch gelegt. Wir haben in der Coronazeit unter ganz strengen Vorschriften die Arbeit auf den Baustellen weitergeführt, die Kräne haben sich wieder gedreht. In den


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Monaten März und April gab es auch einen Rekordverbrauch an Urlaub, um Arbeits­losigkeit zu verhindern. Aus diesem Grund ist es schön, dass wir heute hier mit breiter Mehrheit diese BUAG-Novelle 2020 beschließen.

Kollege Pöttinger hat es schon ausgeführt: Es geht einfach darum, dass wir uns als Sozialpartner einig sind, dass sich das Abmelden vor 24. Dezember nicht mehr lohnen darf. Das heißt, für die Arbeitgeber gibt es für die Winterfeiertage zwischen 24. Dezem­ber und 6. Jänner 30 Prozent Lohnnebenkostenerstattung durch die Urlaubskasse. Das Abmelden vor dem Heiligen Abend zahlt sich somit für die Bauunternehmer nicht mehr aus. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir haben zusätzlich aber auch die Lohnnebenkosten für die Wintermonate gesenkt. Das heißt, die Firmen, die im Winter durcharbeiten, die die Arbeiten so einteilen, dass auch im Winter beschäftigt wird, zahlen niedrigere Lohnnebenkosten. Das Arbeiten im Winter wird dort, wo es zumutbar ist, somit attraktiver.

Jetzt ist es immer noch so: Ein Drittel der Bauarbeiter wird vor dem Heiligen Abend beim AMS geparkt, zwei Drittel sind durchgehend beschäftigt – früher war es einmal umge­kehrt, früher war ein Drittel beschäftigt und zwei Drittel waren arbeitslos –, aber auch dieses eine Drittel ist uns noch immer zu viel. Aus diesem Grund gibt es diese Maß­nahmen.

Ich bin sehr stolz, dass es in vielen Gesprächen, in harten und emotionalen Verhand­lungen gelungen ist, Arbeitgeber und Politik davon zu überzeugen, dass wir in der Bauwirtschaft eine Sonderregelung betreffend Urlaub brauchen. Für einen Anspruch auf sechs Wochen Urlaub sind 20 Arbeitsjahre am Bau genug! Auch das ist in dieser Novelle enthalten. (Beifall bei der SPÖ.)

Und nun zum vierten Punkt – wir haben uns in den letzten Tagen noch auf eine vierte Maßnahme geeinigt –: Die Arbeitslosigkeit am Bau ist leider trotz dieser Witterung um knapp 10 000 Personen höher als im Vorjahr. Es wird betroffene Bauarbeiter geben, die im Vorjahr in Beschäftigung waren und jetzt im Sommer arbeitslos sind. Aus diesem Grund gibt es auch einen Abänderungsantrag, mit dem den Betroffenen, die arbeitslos sind – also in den Sommermonaten arbeitslosen Bauarbeitern –, die Möglichkeit gege­ben wird, einen Vorgriff auf ihre Abfertigung zu bekommen. Ich bringe dazu einen Abän­de­rungsantrag ein:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten August Wöginger, Josef Muchitsch, Mag. Markus Koza, Kolleginnen und Kollegen

zum Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (261 d.B. XXVII. GP) über den Antrag Nr. 703/A der Abgeordneten August Wöginger, Josef Muchitsch, Mag. Markus Koza, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz geändert wird

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Die eingangs bezeichnete Vorlage wird wie folgt geändert:

1. Z 7 lautet:

„Nach § 39a wird folgender § 39b samt Überschrift eingefügt:

„Vorzeitige Auszahlung der Abfertigung gemäß Abschnitt III

§ 39b. (1) Arbeitnehmer haben bei Erfüllung der Voraussetzungen gemäß §§ 13b und 13c Anspruch auf vorzeitige Auszahlung der Abfertigung, wenn sie unmittelbar vor


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Antragstellung mindestens zwei Monate in keinem Arbeitsverhältnis mehr stehen, auf das die Abfertigungsbestimmungen dieses Bundesgesetzes anzuwenden sind, in diesem Zeitraum kein Überbrückungsgeld gemäß § 13l beziehen und zum Zeitpunkt der Antragstellung arbeitslos sind.

(2) Der Antrag auf Auszahlung der Abfertigung ist bis spätestens 30. September 2020 vom Arbeitnehmer an die Urlaubs- und Abfertigungskasse zu richten. Im Antrag hat der Arbeitnehmer zu erklären, dass er unmittelbar vor Antragstellung mindestens zwei Monate in keinem Arbeitsverhältnis mehr steht, auf das die Abfertigungsbestimmungen dieses Bundesgesetzes anzuwenden sind, und dass er zum Zeitpunkt der Antrag­stellung arbeitslos ist.

(3) Übersteigen im Zeitpunkt der Antragstellung die für die Abgeltung des Abfertigungs­anspruchs erworbenen anrechenbaren Beschäftigungszeiten die Zahl der für diesen Abfertigungsanspruch erforderlichen Beschäftigungswochen nach § 13d Abs. 1, sind diese übersteigenden Beschäftigungszeiten von der Urlaubs- und Abfertigungskasse als restlicher Abfertigungsbetrag bis spätestens 15. Februar 2021 entweder Betrieblichne Vorsorgekasse nach § 33b zu überweisen oder an den Arbeitnehmer auszuzahlen. Der Arbeitnehmer hat im Antrag nach Abs. 2 bekanntzugeben, ob der restliche Abfertigungs­betrag der Betrieblichen Vorsorgekasse nach § 33b zu überweisen oder ihm auszu­zahlen ist. Der restliche Abfertigungsbetrag berechnet sich unter sinngemäßer Anwen­dung des § 21 Abs. 3 Z 1 lit. a, wobei die Grundlage für die Berechnung des Abferti­gungs­anspruchs der kollektivvertragliche Stundenlohn nach § 13d Abs. 2 ist. Der rest­liche Abfertigungsbetrag gebührt nicht, sofern der Arbeitnehmer bereits zwölf Mo­nats­entgelte an Abfertigung erhalten hat.

(4) Der Anspruch auf Abfertigung nach Abs. 1 ist für die Berechnung der Verfallsfrist nach § 13g nicht zu berücksichtigen.““

2. Z 7 wird zu Z 8.

*****

Ich habe diesen Abänderungsantrag sehr gerne eingebracht und auch jetzt verlesen, weil er eine tatsächliche Verbesserung für jene ist, die unverschuldet in Arbeitslosigkeit geraten sind.

Ich bedanke mich abschließend bei den Bausozialpartnern, seitens des Baugewerbes bei Hans-Werner Frömmel, seitens des Baunebengewerbes bei Frau Bundesinnungs­meisterin Irene Wedl-Kogler und seitens der Bauindustrie bei Hans Peter Haselsteiner. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.) Vielen Dank auch den Experten im Ministerium, Frau Bundesministerin, für die konstruktiven Gespräche und dafür, dass es möglich war, diesen Antrag initiativ einzubringen. – Danke für die Zustimmung. (Bei­fall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen.)

11.56

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten August Wöginger, Josef Muchitsch, Mag. Markus Koza

Kolleginnen und Kollegen

zum Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (261 d.B. XXVII. GP) über den Antrag Nr. 703/A der Abgeordneten August Wöginger, Josef Muchitsch, Mag. Markus


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Koza, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz geändert wird

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Die eingangs bezeichnete Vorlage wird wie folgt geändert:

1. Z 7 lautet:

„7. Nach § 39a wird folgender § 39b samt Überschrift eingefügt:

„Vorzeitige Auszahlung der Abfertigung gemäß Abschnitt III

§ 39b. (1) Arbeitnehmer haben bei Erfüllung der Voraussetzungen gemäß §§ 13b und 13c Anspruch auf vorzeitige Auszahlung der Abfertigung, wenn sie unmittelbar vor Antragstellung mindestens zwei Monate in keinem Arbeitsverhältnis mehr stehen, auf das die Abfertigungsbestimmungen dieses Bundesgesetzes anzuwenden sind, in diesem Zeitraum kein Überbrückungsgeld gemäß § 13l beziehen und zum Zeitpunkt der Antragstellung arbeitslos sind.

(2) Der Antrag auf Auszahlung der Abfertigung ist bis spätestens 30. September 2020 vom Arbeitnehmer an die Urlaubs- und Abfertigungskasse zu richten. Im Antrag hat der Arbeitnehmer zu erklären, dass er unmittelbar vor Antragstellung mindestens zwei Mo­nate in keinem Arbeitsverhältnis mehr steht, auf das die Abfertigungsbestimmungen dieses Bundesgesetzes anzuwenden sind, und dass er zum Zeitpunkt der Antrag­stel­lung arbeitslos ist.

(3) Übersteigen im Zeitpunkt der Antragstellung die für die Abgeltung des Abfertigungs­anspruchs erworbenen anrechenbaren Beschäftigungszeiten die Zahl der für diesen Abfertigungsanspruch erforderlichen Beschäftigungswochen nach § 13d Abs. 1, sind diese übersteigenden Beschäftigungszeiten von der Urlaubs- und Abfertigungskasse als restlicher Abfertigungsbetrag bis spätestens 15. Februar 2021 entweder Betrieblichne Vorsorgekasse nach § 33b zu überweisen oder an den Arbeitnehmer auszuzahlen. Der Arbeitnehmer hat im Antrag nach Abs. 2 bekanntzugeben, ob der restliche Abfertigungs­betrag der Betrieblichen Vorsorgekasse nach § 33b zu überweisen oder ihm auszu­zahlen ist. Der restliche Abfertigungsbetrag berechnet sich unter sinngemäßer Anwen­dung des § 21 Abs. 3 Z 1 lit. a, wobei die Grundlage für die Berechnung des Abferti­gungsanspruchs der kollektivvertragliche Stundenlohn nach § 13d Abs. 2 ist. Der restliche Abfertigungsbetrag gebührt nicht, sofern der Arbeitnehmer bereits zwölf Mo­nats­entgelte an Abfertigung erhalten hat.

(4) Der Anspruch auf Abfertigung nach Abs. 1 ist für die Berechnung der Verfallsfrist nach § 13g nicht zu berücksichtigen.““

2. Z 7 wird zu Z 8.

Begründung

Zu Z 7 (§ 39b):

Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die sich noch im System Abfertigung Alt befinden und die durch die Corona-Krise ihre Beschäftigung in der Bauwirtschaft verloren haben, sollen die Möglichkeit haben, einen Antrag auf vorzeitige Auszahlung des gegenüber der BUAK bestehenden Anspruchs auf Abfertigung-Alt gemäß Abschnitt III zu stellen. Diese Form der Antragstellung soll neben die derzeitigen gesetzlichen Möglichkeiten der Auszahlung treten.


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Der Anspruch besteht dann, wenn der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin unmit­tel­bar vor Antragstellung mindestens zwei Monate ununterbrochen in keinem Ar­beits­verhältnis steht, auf das die BUAG-Abfertigungsbestimmungen anzuwenden sind und er bzw. sie zum Zeitpunkt der Antragstellung arbeitslos ist.

Stellt der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin einen solchen Antrag, so entsteht ein Anspruch auf Aus-zahlung der gesamten Abfertigung-Alt. Übersteigen im Zeitpunkt der Antragstellung die für die Abgeltung des Abfertigungsanspruches erworbenen anrechen­baren Beschäftigungszeiten die Zahl der für diesen Abfertigungsanspruch erforderlichen Beschäftigungswochen, sind diese übersteigenden Beschäftigungs-zeiten von der BUAK als restlicher Abfertigungsbetrag zu leisten. Dieser Betrag ist nach derselben Berechnungsgrundlage zu berechnen, wie Beiträge nach dem BMSVG, wobei für die Berechnung des Abfertigungsanspruchs der nach § 13d Abs. 2 zu ermittelnde kollektiv­vertragliche Stundenlohn zugrunde zu legen ist. Der Betrag ist nach Wahl des Arbeit­nehmers bzw. der Arbeitnehmerin bis spätestens 15. Februar 2021 entweder an die BVK der BUAK zu überweisen oder an den Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin auszu­zahlen. Der restliche Abfertigungsbetrag gebührt nur insoweit, als der Arbeitnehmer bzw. die Arbeit-nehmerin nicht bereits den Höchstanspruch an Abfertigung-Alt erhalten hat.

Mit der Antragstellung scheidet der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin aus dem Sys­tem der Abfertigung Alt aus und wechselt in das System der Abfertigung Neu. Dies ergibt sich aus § 33a Abs. 5 BUAG.

Der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin soll den Antrag unmittelbar nach Kund­machung der Regelung im Bundesgesetzblatt bis zum 30. September 2020 stellen können. Die Möglichkeit einer vorzeitigen Aus-zahlung der Abfertigung-Alt lässt die Ver­fallsfristen gemäß § 13g unberührt. Die Verfallsfrist von drei Jahren beginnt daher erst nach dem Ablauf von zwölf Monaten nach dem Ausscheiden aus dem letzten BUAG-pflichtigen Arbeitsverhältnis.

Da es sich um einen gesetzlichen Abfertigungsbetrag handelt, gilt hinsichtlich der Lohnsteuer § 67 Abs. 3 EStG 1988 in der jeweils geltenden Fassung.

Nach den Schätzungen der BUAK wird mit bis zu 4 000 Anträgen gerechnet.

*****


Präsidentin Doris Bures: Der Abänderungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht mit in Verhandlung.

Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Dagmar Belakowitsch. – Bitte.


11.56.13

Abgeordnete Dr. Dagmar Belakowitsch (FPÖ): Frau Präsidentin! Frau Bundesminis­ter! Werte Damen und Herren! Ja, es geht um die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abferti­gungskasse. Kollege Muchitsch hat heute hier gesagt, dass die Arbeitslosigkeit auch in der Baubranche momentan sehr hoch ist und er auch im Sommer mit einer sehr hohen Arbeitslosigkeit in diesem Bereich rechnet.

Ich war unmittelbar vor dieser Debatte bei einer Sitzung der parlamentarischen Freund­schaftsgruppe Österreich-Polen. Die polnische Botschafterin hat uns dort erzählt, dass in Wahrheit viele, viele polnische Arbeiter aus dem Bau- und Baunebengewerbe, die in der Rest-EU arbeiten, in Polen fehlen. – Genau darauf haben wir schon immer hinge­wiesen, und wir haben ja auch einen Antrag eingebracht, Herr Kollege Muchitsch, näm­lich betreffend die sektorale Schließung des Arbeitsmarktes in Bereichen, in denen sehr viele aus anderen EU-Staaten hier bei uns arbeiten und wir eine hohe Arbeitslosigkeit


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haben. Sie könnten dem heute zustimmen, und wir könnten versuchen, damit die Ar­beitslosigkeit in der Baubranche auch wirklich zu senken.

Ich weiß aber, dass Sie das wieder nicht machen werden, weil in Wahrheit – manches Mal habe ich diesen Eindruck – gar niemand an wirklich ernsthaften Lösungen inter­essiert ist. Man zieht sich immer auf den Standpunkt zurück, dass das alles EU-rechtlich nicht möglich ist. Wenn man mit den Leuten spricht, zeigt sich, dass die ganze EU die gleichen Probleme hat. Man müsste also die Probleme einmal ansprechen – vielleicht können Sie das einmal machen, Frau Minister, etwa im Rahmen einer Ministerkonferenz. Offensichtlich gibt es da eine Verschiebung und die Reise- und Arbeitnehmerfrei­zügigkeit ist in einer Art und Weise gekippt, dass viele Länder wirklich darunter leiden, Polen offenbar genauso wie andere Länder auch. Da gehört also wirklich einmal angesetzt, denn es kann nicht sein, dass wir so viele Arbeitslose und gleichzeitig so viele aus anderen EU-Ländern hier bei uns haben.

Zum Gesetz selber: Ja, es ist ein gutes Gesetz, wir werden dem unsere Zustimmung geben. Es hat meines Erachtens auch eine Vorbildfunktion für andere Branchen, bei­spielsweise wäre das auch eine Möglichkeit für den Tourismus. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es da schon vor über 20 Jahren, damals unter Staatssekretärin Rossmann, Initiativen gab; sie wollte so etwas nämlich für den Tourismus unter dem Namen Saison­verlängerung – dass vielleicht doch durchgearbeitet werden kann und man andere Möglichkeiten hat – in ähnlicher Art und Weise durchsetzen.

Ich sage es auch ganz offen: Das ist damals vor allem an den Sozialpartnern gescheitert, die das absolut abgelehnt haben. Vielleicht kann man aber jetzt auch einmal versuchen, das, was in der Baubranche wirklich gut funktioniert, auf andere Branchen umzulegen, nämlich auch im Sinne der Arbeitnehmer, damit diese durchbeschäftigt werden und eben nicht um bestimmte Vorteile umfallen.

In diesem Sinne werden wir diesem Gesetz unsere Zustimmung geben. (Beifall bei der FPÖ.)

11.58


Präsidentin Doris Bures: Zu Wort ist dazu nun niemand mehr gemeldet. Damit schließe ich diese Debatte.

Wird seitens der Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Auch diese Abstimmung werde ich an den Schluss der Verhandlungen über die Vorlagen des Ausschusses für Arbeit und Soziales verlegen.

11.59.209. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (284 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz und das Bauern-Sozialversiche­rungs­gesetz geändert werden (326 d.B.)


Präsidentin Doris Bures: Wir fahren in der Erledigung der Tagesordnung fort. Wir sind beim 9. Punkt der Tagesordnung angelangt.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Ich begrüße Herrn Bundesminister Anschober und erteile Herrn Abgeordnetem Markus Vogl das Wort. – Bitte.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 82

12.00.01

Abgeordneter Ing. Markus Vogl (SPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Hohes Haus! Ich darf bei diesem Punkt ein bisschen weiter ausholen, damit man die Diskussion auch versteht. Es geht hierbei vor allem um Änderungen im Bereich der Pensionsversicherung der Bauern. Wir hatten im Ausschuss mehrere Anträge vonseiten der Opposition, und es wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass diese nicht be­handelt werden können, weil es da um Änderungen geht, deren Auswirkungen man sehr schwer einschätzen kann; es brauche die Expertise der Pensionssicherungskom­mis­sion, ohne diese könne man diese Anträge nicht behandeln.

Gleichzeitig liegt jetzt ein Paket vor. Worum geht es? – Generell muss man sagen: Es geht um die Pensionsversicherung, das ist eine Versicherung, für die der Bund natürlich einen Zuschuss leisten muss. Bei Arbeitern und Angestellten ist dieser Zuschuss in den letzten Jahren gesunken, es ist aber immerhin noch ein Anteil von 11,3 Prozent, der seitens des Bundes zugeschossen wird.

Es gibt zwei Gruppen, um die es jetzt geht. Das sind auf der einen Seite die Selbst­ständigen, die Gewebetreibenden, ein Bereich, in dem höhere Zuschüsse notwendig sind und der aufgrund der steigenden Anzahl der Versicherten natürlich in Zukunft ein Thema ist. Andererseits ist da der Bereich der Landwirtschaft. Da ist der Eigenfinan­zierungsgrad in den letzten zehn Jahren sogar deutlich gesunken, während die Zu­schussleistung des Bundes von 79,7 Prozent auf inzwischen 86,1 Prozent gewachsen ist.

Nun wissen alle, die das in der letzten Budgetdebatte mitbekommen haben, dass im Bereich Nachtschichtschwerarbeit – das sind Menschen, die wirklich hart arbeiten, die schwer arbeiten – der Pensionsbeitrag, der zusätzlich zur normalen Pensionsver­siche­rung zu zahlen ist, von 3,4 Prozent auf 3,8 Prozent erhöht werden muss, weil sonst der Kostenzuschuss angeblich zu hoch wird. Da reden wir von 11 Millionen Euro. Das heißt, bei der einen Gruppe tritt diese Regelung automatisch ein, es wird erhöht. Ich glaube, jeder, der solche Zahlen hört und uns zuschaut, wird sich denken: Na ja, wenn so ein hoher Zuschuss notwendig ist, dann muss man handeln. Was wird denn da die Regie­rung machen?

Und was macht diese Regierung? – Ohne lange Begutachtung, ohne lange Diskussion, ohne Einbindung der Pensionssicherungskommission findet eine Beitragssenkung und eine Leistungserweiterung statt! Anstatt das Problem zu lösen, macht man also genau das Gegenteil, man verschärft dieses Problem!

Jetzt kann man natürlich sagen – und Klubobmann Wöginger betont es ja immer –, da geht es ja um die Ärmsten der Armen (Zwischenruf der Abg. Yılmaz), aber dann muss man auch einmal sagen: Dieses System ist historisch gewachsen. Es war Bruno Kreisky, der in den Siebzigerjahren dafür gesorgt hat, dass auch die Bäuerinnen und Bauern in das allgemeine System der Pensionsversicherung miteingebunden worden sind (Abg. Wöginger: Ja, genau!), damit endlich einmal eine vernünftige Absicherung passierte. Das heißt, wir waren es, die diese Grundabsicherung eingeführt haben.

Das zweite Problem ist: Egal, ob ein geringerer oder höherer Beitrag eingezahlt wird, in der Sozialversicherung herrscht immer noch folgender Grundsatz – und das ist der Unterschied zwischen der Pensionsversicherung und der Sozialversicherung –: In der Sozialversicherung sollte es egal sein, wie viel ich einzahle, ich werde immer die gleiche Leistung bekommen; in der Pensionsversicherung hingegen hängt immer noch das, was ich an Pension kriege, von meinem Beitrag ab; das heißt, mehr Beiträge in der Pen­sionsversicherung führen am Ende des Tages auch zu einer höheren Pension.


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Nun kann man diskutieren: Ist das alles noch zeitgemäß? Ist eine Anrechnung eines fiktiven Ausgedinges in der derzeitigen Höhe von 13 Prozent noch zeitgemäß? Wir wissen aber auch, wie intransparent die Einkommenssituation beziehungsweise wie kompliziert der Ausweis der Einkommenssituation in der Landwirtschaft ist. Ich erinnere nur an das Thema der Pauschalierung, das wir gestern sogar noch erweitert haben, das heißt, wir haben nicht für mehr Transparenz in der Einkommenssituation gesorgt.

Wir wissen auch, dass sich in diesem Ausgedinge extrem viele Dinge verstecken kön­nen. Es kann sein, dass es tatsächlich nicht diesem Wert von 13 Prozent entspricht, es kann auch ein Vielfaches sein. Es geht da um die Gerechtigkeit unter den Pen­sionis­tIn­nen. Wenn ein Mindestpensionist einen Schrebergarten hat, den er verpachtet, und dafür 50 Euro im Monat kriegt, dann kürzt das seine Ausgleichszulage. (Zwischenruf des Abg. Eßl.)

Ich finde, es ist notwendig, Gerechtigkeit für alle Schichten herzustellen. Darum darf ich zu diesem Antrag einen Rückverweisungsantrag stellen, damit wir diese offenen Fragen, wie es wirklich zu einer fairen Anrechnung des fiktiven Ausgedinges kommt, klären können.

Generell ist diese Leistungserweiterung aus unserer Sicht abzulehnen. Vor allem ist die Beitragssenkung, ohne dass man die Finanzierung in der bäuerlichen Versicherung einmal wirklich grundsätzlich klärt, aus unserer Sicht sowieso abzulehnen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Eßl: Die Pensionsleistung für die ... ist unter der Mindestsicherung!)

12.04


Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Bettina Zopf. – Bitte.


12.04.24

Abgeordnete Bettina Zopf (ÖVP): Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher zu Hause! Gepflegt durch unsrer Bauern Hand ist Österreich ein schönes Land!

Die familiären Strukturen haben sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Unsere Eltern und Großeltern aus dem landwirtschaftlichen Bereich haben die Betriebe immer über ihr eigenes Wohl gestellt. Mühsam und beschwerlich haben sie die kleineren und mittleren Bauernhöfe bewirtschaftet. Die Personen weisen oft mehr als 45 Beitragsjahre vor, müssen aber trotzdem von niedrigen Pensionen leben. Viele haben sogar weniger Pen­sion als die Mindestpension. Wir reden da nicht von Großgrundbesitzern, nein, im Gegenteil, es geht um Klein- und Mittelbetriebe.

Jeder Österreicher hat laut ASVG einen Anspruch auf mindestens 966 Euro Pension pro Monat. Nur die Bauern bekommen diese nicht, weil ihnen ein fiktives Ausgedinge auf die Ausgleichszulage angerechnet wird. Wir reden da also von Beträgen, die niedriger sind als die Mindestpension.

Anders ist das bei allen anderen Beziehern: Da wird nämlich pauschal draufgegeben, bis sie 966 Euro Pension haben. Das fiktive Ausgedinge wird mit einem Betrag von 125 Euro bis maximal 198 Euro abgezogen. Das führt zu einer Durchschnittspension von circa 850 Euro pro Monat. Seit 2015 wurde dieser Richtsatz nicht verändert.

Weiters ermöglichen wir mit dieser Novelle den Wegfall des 0,5-Prozent-Abschlages, des sogenannten Solidaritätsbeitrages. Das bedeutet eine Gleichstellung der Bauern­pensionen und bringt eine Verbesserung für 167 000 Bauernpensionen. Das verursacht 10,2 Millionen Euro an Kosten. Diese Maßnahme ist umso dringender, da die durch­schnittliche monatliche Bauernpension die niedrigste Pension aller Berufsgruppen dar­stellt. Jede andere Berufsgruppe hätte sich das schon lange nicht mehr gefallen lassen. (Zwischenruf der Abg. Yılmaz.)


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Den Stillen eine Stimme geben – dafür bin ich in der Politik. (Abg. Yılmaz: Danke!) Ich bin froh, dass unsere Regierung sich darauf geeinigt hat, den Richtsatz des fiktiven Ausgedinges zu reduzieren und den veralteten Solidaritätsbeitrag zu streichen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Auf eine solche Verbesserung im Bereich der bäuerlichen Pensionsversicherung können wir wirklich stolz sein. Fraglich ist, wer hier Klientelpolitik betreibt. Ich stelle ganz klar fest, dass diese Regierung Österreich nach vorne bringen will und bei uns immer nur Daten und Fakten im Vordergrund stehen.

Ich bin von Ihnen enttäuscht, Herr Kollege Loacker. Sonst überraschen Sie mich meist mit fundiertem Wissen und fachlicher Kompetenz. Diesmal sind Sie aber nur darauf bedacht, genauso wie die SPÖ, auf eine Berufsgruppe hinzuhauen. Das ist bloßer Zynismus und ein politisches Herumtrampeln auf Mindesteinkommensbeziehern. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen. – Abg. Vogl: Das ist das Problem, wenn man eine fertige Rede hat und nicht zuhorcht! – Zwischenrufe bei SPÖ und NEOS.)

Wenn wir eines aus der Coronakrise gelernt haben, dann ist es, dass die Eigenver­sorgung das Wichtigste und Notwendigste ist. Allein mit der Erhöhung des Arbeits­losengeldes ist uns nämlich nicht geholfen, vom Geld kann man nämlich nicht abbeißen. Jede Unterstützung der Bäuerinnen und Bauern kommt der Landwirtschaft und somit indirekt den Konsumenten zugute. Dadurch schaffen wir es, leistbare und regionale Lebensmittel zu produzieren (Zwischenruf des Abg. Vogl); dadurch ermöglichen wir die Pflege unserer Kulturlandschaft, in der wir alle so gerne leben.

Arbeit muss sich auch für die Bauern lohnen. Seitens der ÖVP ist uns eines klar: Wir vertreten die Interessen von allen Österreicherinnen und Österreichern: ohne Bauern keine Lebensmittel, ohne Wirtschaft keine Arbeit, ohne Arbeit keine Konsumenten.

Gepflegt durch unsrer Bauern Hand ist Österreich ein schönes Land – damit möchte ich abschließen –, und das soll auch für unsere Kinder und Enkelkinder so bleiben! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

12.09


Präsidentin Doris Bures: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Gerald Loacker. – Bitte.


12.09.16

Abgeordneter Mag. Gerald Loacker (NEOS): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Nach dieser Präventivschelte der Kollegin Zopf muss ich dem Anpfiff, den ich kassiert habe, jetzt nachträglich gerecht werden, nicht? (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten von NEOS und SPÖ.)

Sie stellen sich hier heraus, drücken ganz gewaltig auf die Tränendrüse und sagen, es geht um die armen Bauern. – Das ist ein Fünftel der Wahrheit.

Es geht beim sicher überkommenen Ausgedinge um die Kleinbauern. Das aber ist ein Fünftel der Maßnahmen, die Sie hier beschließen, da die anderen Maßnahmen ganz andere Gruppen betreffen.

Ein Beispiel ist der von Ihnen erwähnte Entfall des Solidarbeitrages, der jetzt für alle Pensionisten, auch für die, die eine höhere Bauernpension bekommen, entfällt. Der Solidarbeitrag wurde übrigens 2001 eingeführt, und wir erinnern uns, wie damals der Bundeskanzler geheißen hat: Wolfgang Schüssel. (Abg. Vogl: Schüssel, der Bauern­hasser!) – Ja, und das schaffen Sie jetzt ab.

Was Sie in Ihrer Rede nicht erwähnt haben, ist, dass die Bauern deswegen niedrige Pensionen haben, weil sie niedrige Beiträge zahlen. Dazu muss man sich anschauen, dass bei jedem Arbeiter und jedem Angestellten 22,8 Prozent, bei den Bauern hingegen


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17 Prozent Pensionsversicherungsbeitrag fließen. Das ist ein Unterschied von ungefähr einem Viertel (Zwischenruf bei der ÖVP), und dass sich das hinterher auswirkt, ist nicht ganz unlogisch.

Sie führen noch etwas ganz Spannendes ein: Für Bauern bis 27 gibt es einen Staats­zuschuss auf die Pensionsversicherungsbeiträge. Damit erhöht praktisch die Republik auf Steuerzahlerkosten die Beiträge um die Hälfte. Warum kriegen Arbeiter bis 27 nicht auch 50 Prozent Zuschuss auf ihren Pensionsversicherungsbeitrag? – Weil das System so nicht funktioniert. Was man einzahlt, bewirkt das, was man hinterher als Pension bekommt – für die Bauern aber gibt es quasi einen Bonus bis zum 27. Lebensjahr. Das haben Sie nicht erwähnt.

Es wird die Mindestbeitragsgrundlage in der Krankenversicherung gesenkt. Jetzt können Sie sagen: Ja, das ist gerecht, weil die Mindestbeitragsgrundlage auf das Niveau ge­senkt wird, das beispielsweise Unternehmer auch haben. Das aber ist Rosinenpickerei, denn die niedrigen Beitragssätze würden Sie gerne dort, wo es für die Bauern günstiger ist, behalten, und dort, wo es andere Versicherte günstiger haben, hätten Sie gerne auch, was die haben. Dieses Rosinenpicken ist nicht seriös, nicht fair, nicht gerecht.

Es kommen auch niedrigere Beiträge für die Optionsbetriebe, die ihre Sozialver­siche­rungsbeiträge nicht nach dem Einheitswert zahlen. Optionsbetriebe sind aber nicht die Kleinbauern. (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

So nähen sich der Bauernbund und die Bauernschaft jetzt einfach 27 Millionen Euro Steuergeld ein. Wir haben gestern schon bei den Forstbetrieben einen großen Millionen­betrag hineingebuttert. Die großen Gewinner dieser drei Parlamentstage sind die Bau­ern, und es sind nicht die Kleinbauern, sondern die mittleren und die großen, für die die ÖVP die landwirtschaftliche Autobahn baut. (Beifall bei den NEOS sowie der Abgeord­neten Leichtfried und Vogl.)

12.12


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Michael Schnedlitz. – Bitte.


12.12.45

Abgeordneter Michael Schnedlitz (FPÖ): Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Hohes Haus! Wir können diskutieren, ob die Covid-Hilfe der richtige Rahmen ist, um uns über eine Pensionsanpassung für die Landwirtschaft zu unterhalten. Worüber wir aber nicht diskutieren können – vor allem werte Sozialdemokratie! –, ist, ob sie nötig ist, denn in Wahrheit ist sie längst überfällig und geht aus meiner Sicht einfach noch nicht weit genug, denn wir reden von einer Berufsgruppe, die dafür verantwortlich ist, dass – wenn wir den Tourismus wieder hochfahren – Touristen auf eine grüne Wiese blicken. Wir reden von einer Berufsgruppe, die indirekt für 400 000 Jobs und dafür sorgt, dass wir regionale und gesunde Lebensmittel auf dem Tisch haben. Sie sorgt generell dafür, dass wir Essen auf dem Tisch haben. (Beifall bei der FPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, vielleicht wissen es viele nicht: Der Mehrwert, den der Landwirt dafür bekommt, dass Sie Essen auf dem Tisch haben, hält sich in Grenzen. Während ein Bauer in den Neunzigerjahren für 1 Liter Milch noch drei Wurst­semmeln bekommen hat, bekommt er jetzt für 1 Liter Milch, den er verkauft, drei Bissen einer Wurstsemmel. Da brauchen wir uns nicht mehr darüber zu unterhalten, ob es gerecht oder ungerecht ist, dieser Berufsgruppe zu helfen.

Sehr geehrte Damen und Herren, das Bild des Großbauern, das Sie so gerne zeichnen, stimmt auch nicht. In der Praxis schaut es so aus, dass viele Nebenerwerbsbetriebe als das Rückgrat unseres Landes und unserer Landwirtschaft gar nicht aufrechtzuerhalten wären, wenn der Altbauer nicht bis zum Schluss zu Hause mithelfen würde. Da bekommt


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der Ausdruck arbeiten bis zum Umfallen einen anderen Sinn, denn es ist ein Faktum und nicht nur ein Sprichwort.

Jungbauern, die übernommen haben, müssen in vielen Fällen einfach weiter arbeiten gehen, damit sie den Hof erhalten können. Dabei geht es nicht darum, vom Hof etwas herauszubekommen, sondern um den Erhalt des wichtigen Wertes Landwirtschaft und Ähnliches. Als Strafe dafür zahlen sie ein fiktives Ausgedinge, was früher vielleicht, als es noch darum gegangen ist, dass der Altbauer eine halbe Sau, das Brennholz und Ähnliches kriegt, zeitgemäß war, was aber heute längst überholt ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie Sie hier argumentieren, ist völlig praxis­fremd. Wir können gerne über Solidarität und Sozialstaat sprechen, werte Genossen, und uns darüber unterhalten, ob es in einem Sozialstaat darum geht – und dafür ist ein Sozialstaat da –, dass man selbst alles einzahlen muss, was man herausbekommt. Es verwundert mich, dass gerade Sie als Sozialdemokraten eine solche Haltung einneh­men.

Es ist auch relativ leicht zu durchschauen: Der Zuwanderer sollte sofort vom Sozialstaat etwas bekommen, egal ob er etwas einbezahlt hat oder nicht; das soll aber nicht gelten, wenn es um diejenigen geht, die Jahrzehnte arbeiten. Das müssten Sie als Arbeiterpartei verstehen, denn wenn wir von Kleinbauern sprechen, dann reden wir wirklich vom jahrzehntelangen Durcharbeiten, nicht von Montag bis Freitag, sondern von Montag bis Sonntag, ohne Pause. Der Bauer muss in den Stall gehen. Eine Kuh, sehr geehrte Damen und Herren, kennt kein Wochenende, die muss gemolken werden, die kennt keinen Urlaub und keinen Krankenstand. Ein Bauer kann nicht sagen: Ich fühle mich heute nicht so gut, ich bleibe einfach im Bett, ich bleibe einfach liegen. – Da geht die Arbeit weiter! Wenn wir von Sozialstaat und Solidarität reden, dann müssen wir genau denen helfen, die einen so wertvollen Beitrag dazu leisten, dass wir das in Österreich überhaupt noch haben. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

Sehr geehrte Genossen, der Klassenkampf ist in dem Fall abgesagt und definitiv fehl am Platz. (Zwischenruf der Abg. Herr.) Es geht um Fairness und Würde von so vielen, denen wir so viel zu verdanken haben.

Ich kann nur an alle und auch an die ÖVP den Appell richten und Ihnen sagen: Da haben Sie einen starken Partner, wenn es darum geht, beim fiktiven Ausgedinge nicht nur von 13 auf 10 Prozent zu verringern. (Abg. Leichtfried: ... ist das schon eine Parlaments­sitzung wie damals! – Zwischenruf des Abg. Wurm.) Es ist längst Zeit, dass wir das endlich komplett abschaffen.

In diesem Sinne: Packen wir es an! Klassenkampf ist abgesagt, zeigen wir einmal den Roten und den Genossen, was Solidarität und ein Sozialstaat wirklich sind! (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

12.17


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Christian Drobits. – Bitte. (Abg. Leichtfried: Das war jetzt eine Parlamentssitzung wie damals! – Abg. Wöginger: Da kannst dich du nimmer erinnern! – Abg. Leichtfried: Wenn der Herr Minister vielleicht zuhören würde! – Abg. Wöginger: Weil die Roten sind heut’ blau! – Heiterkeit bei der ÖVP. – Rufe und Gegenrufe zwischen Abgeordneten von SPÖ und ÖVP.)


12.17.34

Abgeordneter Mag. Christian Drobits (SPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Gut, ich weiß nicht, wie manche das Wort Fairness schreiben, und auch nicht, wie manche den Klassenkampf titulie­ren und pflegen. Ich weiß aber eines: dass das ein Thema ist, bei dem der Herr


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 87

Bundesminister, den ich grundsätzlich für nette Gespräche schätze und der einem, wie ich weiß, auch die Hand reicht, eine Schieflage erzeugt. (Abg. Leichtfried: ... wenn er vielleicht zuhören würde ...! Kann man bitte ...! – Abg. Zarits: Der Leichtfried schreit sogar bei der SPÖ rein!) In dem Fall aber - - Bitte, Herr Bundesminister (in Richtung des mit Abg. Schallmeiner sprechenden Bundesministers Anschober), ich würde Sie bitten, ganz kurz zuzuhören! (Bundesminister Anschober beendet das Gespräch.) – Danke, Herr Bundesminister!

Herr Bundesminister, ich schätzte Sie für Ihre netten Gespräche und auch für die Dis­kussionskultur, nur in dem Fall bin ich der Meinung, dass Sie spalten und eine Schieflage erzeugen. Sie spalten deshalb, weil fleißige Bauern, die sich wirklich redlich bemühen, in eine Situation gebracht werden, in der sie gegen andere Gruppen ausgespielt werden (Abg. Prinz: Das macht ja ihr genauso! Ihr macht das genauso!), während die anderen Gruppen das Problem sehen, dass sie für Leistungen, die sie erbringen, zu wenig erhalten – und das alles unter der großen Tuchent Coronavirus.

Sie haben gesagt, das Thema Pflege, Betreuung werden Sie nach Corona im Herbst angehen. Sie haben aber nicht gesagt, dass Sie das BSVG, das GSVG, das ASVG sofort ändern; das ist aber sofort geschehen. Warum? – Ich sehe nur drei Gründe, Herr Bundesminister.

Der erste Grund: Sie haben erstmalig in der Geschichte Österreichs eine mit 1. Jänner 2020 rückwirkende Pensionserhöhung für eine spezielle Gruppe gemacht. Das gibt es sonst nicht.

Der zweite Grund: Sie haben 27-jährige Menschen unterschiedlich behandelt, indem sie Studenten und Personen, die eine Beschäftigung ausüben, ungleich behandeln, weil sie keine Pensionsaufbesserung erhalten. Sie haben noch dazu den Studenten, die nun­mehr nicht einmal vom Härtefallfonds umfasst sind, zusätzlich eine Last auferlegt. Wie sollen die das verstehen?

Herr Bundesminister, Sie haben auch Folgendes gemacht: Sie haben die drei Systeme wiederum in eine Spaltung gebracht. Statt in diesem Bereich zu harmonisieren, spalten und diskriminieren Sie. Ich bin in diesem Punkt total anderer Meinung als Sie. Ich bin auch der Meinung, dass ein Aufholbedarf und eine Schieflage bestehen.

Ich habe gestern die Rede von Frau Bundesminister Köstinger gehört, die sich dahin gehend, wie hoch die Grundversorgung der Bauern ist, irrt, und ich muss behaupten: Auch Sie irren sich da, wenn Sie diese Schritte setzen und dieses Gesetz durchpeit­schen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Loacker.)

Ich hoffe und appelliere noch einmal, dass Sie wie bei den Gesetzesanträgen, die Sie zu diesem Punkt gestellt haben – Sie haben da ausnahmsweise keine Vertagung vorge­nommen; wir haben um Vertagung gebeten, das wurde abgelehnt –, auch mit anderen Anträgen, in denen es um faire Pensionen für Frauen geht, in denen es darum geht, die Bundesverfassung zu sichern, fair umgehen und keine Vertagung machen. Ich denke, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, das sind wir allen Österreicherinnen und Öster­reichern schuldig, es darf keine Ungleichbehandlung und Spaltung der Gesellschaft geben. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

12.20


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Clemens Stammler. – Bitte.


12.21.01

Abgeordneter Clemens Stammler (Grüne): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuhörerinnen und Zuhörer! Um welche


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 88

Berufsgruppe handelt es sich da? – Wir reden über eine Berufsgruppe in den tierhalten­den Betrieben, die laut Grünem Bericht – der übrigens sehr transparent ist und eines der besten Werke in Europa, was die Wirtschaftlichkeit beziehungsweise die Zahlen im Zusammenhang mit der Landwirtschaft betrifft – im Durchschnitt circa 4,20 Euro je Stunde erhält. Wir reden über eine Berufsgruppe, in der mehr als 80 Prozent Niedrig- und Niedrigstpensionen beziehen – das zu dem, was vonseiten der NEOS gesagt wurde, es würden da auch hohe Pensionen betroffen sein. Wir reden über ein fiktives Ausge­dinge, bei dem wir den Anrechnungsprozentsatz von 13 auf 10 Prozent reduzieren. Wenn man sich anschaut, was in alten Übergabeverträgen steht, dann muss man sagen, das ist teilweise fast zum Schmunzeln: Da reden wir über zehn Hühnereier, die der Übernehmer dem Übergeber pro Woche zu stellen hat, oder über ein Bündel Anzünd­holz. – Genau so, in dieser Größenordnung ist auch diese Erhöhung einzuordnen.

Ich glaube, wenn irgendjemand in diesem Land an das glaubt, dass man in Würde altern können soll, dann kann man es doch niemandem neidig sein, wenn die Pension von 841 Euro auf 870 Euro erhöht wird. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Zu den Beitragssenkungen: Das Sozialversicherungsgesetz für Bäuerinnen und Bauern ist das einzige, gemäß dem die Beitragsgrundlage, die Beitragsbemessung in einer Kurve bis zur Höchstbeitragsgrundlage verläuft; überall sonst verläuft sie linear. Was bedeutet die Kurve? Was verursacht diese Kurve? – Diese Kurve verursacht, dass genau die kleinsten Betriebe mit den niedrigsten Einheitswerten, die uns wegbrechen – die uns gerade wirklich wegbrechen –, die höchsten Sozialversicherungsbeiträge zah­len. Das ist nach wie vor so, das ist auch noch nicht repariert; und wenn Sie mich fragen: Ich werde dafür einstehen, dass wir das auch noch reparieren, denn diese Betriebe müssen wir erhalten! Das sind 50 Prozent der Betriebe da draußen, die jeden Tag arbeiten. (Beifall bei Abgeordneten der Grünen.)

Diese Anpatzen durch die SPÖ muss für eine Bäuerin so zynisch klingen wie die Dia­gnose Tennisarm, die sie erhält, weil sie an sieben Tagen in der Woche in 12-Stunden-Tagen ihre Kühe melkt, egal, ob es draußen 45 Grad oder minus 25 Grad hat. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Dieses Paket hat absolut nichts mit Klientelpolitik zu tun; es ist vielleicht auch kein Coronapaket, es ist vielleicht nicht einmal ein Konjunkturpaket – es ist ein Survivalpaket, es ist ein Überlebenspaket, es hat nur etwas mit Würde zu tun (Abg. Loacker: Wenn ich die ÖVP wäre, hätte ich auch gern so einen Koalitionspartner ...!) und es hat nur etwas mit der grundvernünftigen Idee zu tun, dass ein souveräner Staat eine souveräne Ernäh­rung braucht. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Zwischenruf bei der SPÖ.)

12.24


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Josef Hechenberger. – Bitte.


12.24.44

Abgeordneter Ing. Josef Hechenberger (ÖVP): Geschätzte Frau Präsidentin! Ge­schätzter Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Zuseherin­nen und Zuseher! Ich möchte am Beginn bei einem Thema anknüpfen, das Kollege Loacker, glaube ich, vergessen hat: bei den Beiträgen. Ich komme aus einem Bundesland, näm­lich Tirol, in dem 80 Prozent der Betriebe im Nebenerwerb geführt werden, und diese Betriebe zahlen doppelt ein: doppelt Pensionsversicherung, doppelt Krankenversiche­rung und doppelt Unfallversicherung. – Das zum einen.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 89

Zum anderen: Worum geht es heute? – Heute geht es nicht darum, dass es Pensions­erhöhungen gibt, heute geht es darum, dass wir Kürzungen kürzen. Beim Solidaritäts­beitrag reden wir von lediglich 0,5 Prozent; das sind pro Monat 4 Euro, geschätzte Damen und Herren. 4 Euro werden uns die 166 600 Bauernpensionisten wert sein.

Auch von der Senkung des Anrechnungsprozentsatzes beim fiktiven Ausgedinge von 13 auf 10 Prozent ist nur eine kleine Gruppe betroffen, und zwar lediglich 20 000 der 166 600 Pensionistinnen und Pensionisten – 12 Prozent kommen also in den Genuss dieser Senkung –; und wir sprechen von 32 Euro pro Monat. Es sind pro Monat 32 Euro, was das bei diesen 12 Prozent Ausgleichszulagenbeziehern beziehungsweise Pen­si­ons­beziehern ausmacht.

Unlängst ist eine Bäuerin bei mir gewesen – sie hat vier Kinder großgezogen und 50 Jahre fleißig im Betrieb mitgearbeitet – und hat mir ihren Pensionszettel gezeigt. Darauf ist gestanden, sie kriegt ganze 700 Euro Pension. Sie hat mir dann berechtigter­weise die Frage gestellt, warum sie weniger wert ist als ein Mindestsicherungsempfänger in Wien.

Ich habe mir dann die Mühe gemacht – und ich denke, das soll uns ja an und für sich einen, dass die Berufsgruppen zusammenhelfen – und habe mir angeschaut, wie das wirklich ausschaut. – Die durchschnittliche Bauernpension ist 850 Euro, die durch­schnitt­liche Arbeiterpension 1 223 Euro, die durchschnittliche Pension eines Angestell­ten 1 753 Euro, aber – was sehr interessant ist – die eines Mindestsicherungs­empfän­gers in Wien 917 Euro. Der Bauernpensionist bekommt 850 Euro. – Eines muss ich sagen: Ich denke, es ist das Mindeste, dass man diese Angleichung macht, eine Ver­besserung macht beziehungsweise einfach die Situation vieler Bauern und Bäuerinnen verbessert.

Ich verneige mich vor jeder Bäuerin, angesichts dessen, was sie leistet. Ich glaube, es ist dringend notwendig, dass man da – weil vielfach Bauern und Bäuerinnen betroffen sind – die entsprechenden Verbesserungen macht, und deshalb verstehe ich nicht, dass das von verschiedenen Parteien kritisiert wird (Zwischenruf des Abg. Matznetter); eigentlich sollten wir ja da mit ganzer Kraft dahinterstehen. (Abg. Matznetter: Machen wir ein Tauschprogramm: Essen zahlen, Miete zahlen ...!)

Summa summarum: Wir machen keine Pensionserhöhung, wir kürzen lediglich Kür­zungen; hauptsächlich in den Genuss kommen unsere geschätzten Bauern und Bäue­rinnen. Das, denke ich, ist das Mindeste, das wir als politische Entscheidungsträger machen müssen: dass wir auf diese Gruppen, die es besonders schwer haben, besonders schauen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abg. Neßler. – Abg. Matznetter: Bar jeder Realität!)

12.28


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Peter Schmiedlechner. – Bitte.


12.28.29

Abgeordneter Peter Schmiedlechner (FPÖ): Frau Präsident! Herr Minister! Sehr ge­ehrte Zuseher und Zuseherinnen! Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialver­siche­rungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz und das Bauern-Sozial­versicherungsgesetz geändert werden: Wir beschließen heute ein Entlastungspaket für die österreichische Landwirtschaft. Dieses Entlastungspaket wurde bereits vor gut einem Jahr auf Schiene gebracht. So schrieb damals schon die LK Österreich – am 7.2.2019 –, dass die Regierung ein Entlastungspaket auf den Weg bringt und dass – ich darf zitie­ren – Präsident Moosbrugger mit dem Ergebnis der Regierungsklausur und des Minis­terrats sehr zufrieden ist.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 90

Wahrscheinlich hat die ÖVP das dann, damit es nicht vergessen wird, im Zweimonatstakt immer wieder angekündigt, immer wieder angekündigt, dass eine Entlastung für die Landwirtschaft kommen wird. – Bis jetzt ist nichts passiert. Gott sei Dank bringen wir das jetzt durch!

Jetzt geht die ÖVP her und verkauft das Ganze als Coronahilfspaket für die Landwirt­schaft. Meines Erachtens ist diese Vorgehensweise einfach nur schäbig. Auch ohne Corona wäre diese Entlastung notwendig geworden! Die Entlastung wird sich bei den Sozialversicherungsbeiträgen der Bauern – auch bei den Bauernpensionen wird es endlich zu Anpassungen kommen – sehr positiv auswirken.

Wissen Sie eigentlich, wie hoch die durchschnittliche Pension von Bäuerinnen und Bau­ern, die tagtäglich, 365 Tage im Jahr, ohne Urlaub, ohne Feiertag, ohne Wochenende ihre Arbeit verrichten, ist? (Der Redner stellt den Ausdruck eines Säulendiagramms, das die Durchschnittspension 2018 verschiedener Berufsgruppen auflistet, auf das Red­nerpult und lehnt es an die davor befindliche Plexiglasscheibe. – Ruf bei der SPÖ: Ich sehe es nicht! – Ruf: Das sieht man so nicht! – Ruf bei der ÖVP: Kannst eh nicht lesen! – Der Redner nimmt den Ausdruck in die Hand und zeigt ihn reihum.) – Ich kann es Ihnen gerne sagen: nicht 3 100 Euro wie bei den Beamten, nicht 1 600 Euro wie bei den Angestellten und nicht 1 000 Euro wie bei den Arbeitern – nein, die durchschnittliche Pension für lebenslanges Arbeiten beträgt nur 800 Euro! Das ist beschämend, und da frage ich mich schon: Wo ist da Ihre angesprochene Gerechtigkeit? (Beifall bei der FPÖ.)

Das fiktive Ausgedinge entspricht heute nicht mehr der Realität. Wie sagte es gestern Georg Strasser? – Es ist ein Relikt aus der Vergangenheit und gehört abgeschafft. – Streichen wir das fiktive Ausgedinge ersatzlos! Das fiktive Ausgedinge führt bei den Ausgleichszulagenbeziehern, den Beziehern der niedrigsten Pension, zu einer Senkung der Pension und ist ungerecht. Wir reden hier von denjenigen, die ihr Leben lang gear­beitet haben, niemals arbeitslos waren und wirklich unverhältnismäßig niedrige Pen­sio­nen beziehen.

Deswegen möchte ich folgenden Antrag einbringen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Peter Schmiedlechner, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Ersatz­lose Streichung des fiktiven Ausgedinges“

Die unterfertigten Abgeordneten stellen in diesem Zusammenhang folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird ersucht, dem Nationalrat eine Novelle zum Sozialver­siche­rungsrecht zuzuleiten, mit der das fiktive Ausgedinge ersatzlos gestrichen wird.“

*****

Jetzt können alle Parteien zeigen, wie wichtig ihnen Gerechtigkeit ist, und gerade die ÖVP kann beweisen, dass sie wirklich die Bauern vertritt. (Beifall bei der FPÖ.)

12.32

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 91

Entschließungsantrag

des Abgeordneten Peter Schmiedlechner

und weiterer Abgeordneter

betreffend Ersatzlose Streichung des fiktiven Ausgedinges

eingebracht im Zuge der Debatte zu Top 9.) Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (284 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz und das Bauern-Sozialversicherungsgesetz geändert werden (326 d.B.) in der 45. Sitzung des National­rates (XXVV GP.) am 8. Juli 2020

Als Ausgedinge bezeichnet der Rechtsverkehr in landwirtschaftlichen Kreisen die Rege­lungen zur Altersversorgung, die sich der bisherige Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes bei Abschluss des Hofübergabevertrages gegenüber seinem Erben und Nach­folger ausbedingt. In diesem Vertrag verpflichtet sich der Hofübernehmer zu einer Reihe von Sachleistungen. Das Ausgedinge ist die Gesamtheit von Rechten, die der Übergeber einer Liegenschaft mit dem Übernehmer vereinbart. Üblicherweise werden ein Woh­nungs­recht, ein Recht auf Pflege, eine Geldrenten bis hin zu Naturalleistungen verein­bart.

Das Ausgedinge diente früher im landwirtschaftlichen Bereich zur Altersversorgung der Altbauern und wird auch als „Altenteil“ bezeichnet. Es werden für die Berechnung der Ausgleichszulage in der Pensionsversicherung nicht die tatsächlich erzielten Einkünfte (z. B. Ausgedinge, Verkaufspreis oder Pachtzins) angerechnet, sondern – ausgehend vom Einheitswert der übergebenen Güter – ein Pauschalbetrag, das sogenannte „fiktive Ausgedinge“.

Das fiktive Ausgedinge entspricht heute nicht mehr Realität. Kinder leben getrennt von ihren Eltern bzw. führen diesen Hof nicht mehr weiter. Es ist sehr unüblich bei anderen,  ähnlichen, Berufsgruppen solche Vereinbarungen zu treffen, dabei wohnen die Eltern auch bei anderen Berufsgruppen oft im selben Haushalt.

Auch wurde durch die Zusammenlegung der Sozialversicherung der Bauern mit der Sozialversicherung der Selbständigen zu einer gemeinsamen Versicherung damit eine Ungleichbehandlung geschaffen. Für andere Berufsgruppen gibt es so eine Regelung nicht und deswegen sollten wir im Sinne der Gerechtigkeit auch für die Bauernschaft diese ersatzlos streichen.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen in diesem Zusammenhang folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird ersucht, dem Nationalrat eine Novelle zum Sozialversiche­rungsrecht zuzuleiten, mit der das fiktive Ausgedinge ersatzlos gestrichen wird.“

*****


Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht mit in Verhandlung.

Jetzt hat sich Herr Bundesminister Rudolf Anschober zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Minister.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 92

12.32.42

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Frau Präsidentin! Meine geschätzten Damen und Herren! Wissen Sie, in den letzten Jahren habe ich ja die hohe Bundespolitik von der Landesebene aus beob­achten dürfen, und das war sehr spannend. Ich habe – auch aus der Landesper­spek­tive – sehr spannende Persönlichkeiten kennengelernt, einige sitzen auch hier. Das, was mich aber die letzten Jahre gestört hat und was ich eigentlich für eine ganz massive Verschlechterung im politischen Denken in Österreich erachtet habe, war, dass Teile der Politik – Teile der Politik! – uns Bürgerinnen und Bürgern vorgemacht haben: Es geht dir dann besser, wenn es dem anderen schlechter geht! – Das ist ein Grundgedanke, den ich einfach für zutiefst unsolidarisch erachte: dass wir auf einer Neidgenossenschaft aufbauen. Das kann nicht unser Denken sein! (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Abg. Scherak: Wieso klatscht da die ÖVP? Das ist doch ihr Konzept!)

Jetzt haben wir in den letzten Monaten in einer ganz schweren Krise, in einer wirklich schweren Krise etwas gelernt – und diese Krise ist nicht vorbei, das ist ein Marathonlauf; vielleicht haben wir jetzt die Halbzeit hinter uns, aber wir haben noch große, große Herausforderungen vor uns. (Abg. Loacker: Ist das jetzt ein Plädoyer für ... Beiträge?) – Herr Kollege Loacker, auch Sie können einmal zuhören; ich höre Ihnen immer mit großem Interesse zu, ich wertschätze Sie und Ihr Denken auch.

Wir haben während dieser Krise etwas gelernt – das finde ich in der Bevölkerung wie­der –, was uns ein bisschen abhandengekommen ist, nämlich dieses Grundgefühl, dass wir in Österreich wirklich zusammengehören, dass wir Verantwortung füreinander über­nehmen.

Wir haben ein Comeback der Solidarität erlebt, denn wir wissen, dass in der Pandemie genau diese Worte, von denen ich vorhin gesprochen habe: Es geht dir dann besser, wenn es dem anderen schlechter geht!, eben überhaupt nicht stimmen. Es geht mir dann besser, wenn auch du gesund bist, wenn es dir gut geht, wenn es dir besser geht. – Diese Solidarität haben wir gelernt, und das ist gut so, und wir sollten sie in unser Handeln, in unser Leben in unserer Gesellschaft mitnehmen!

Wissen Sie, ich bin am Land aufgewachsen und Bub von kleinen Häuselbauern gewe­sen, und ich habe noch sehr, sehr viele Freunde, die aus dem landwirtschaftlichen Be­reich kommen und auch noch dort leben. Ich sage Ihnen: Wir haben dort teilweise Lebensverhältnisse, die mit einer zeitgemäßen Situation wirklich unvereinbar sind. Deswegen bin ich froh, wenn es auch – Rufzeichen, Rufzeichen – in diesem Bereich zu Verbesserungen kommt, zu schrittweisen Verbesserungen.

Und ja, Corona ist eine Situation, die jetzt nicht ganz unmittelbar mit dieser Lebens­situation zu tun hat – da hat der Kollege von der FPÖ in seiner Argumentation schon recht gehabt, das stimmt –, aber Corona ist gleichzeitig ein Brennglas, würde ich sagen, durch das Schwierigkeiten, die wir in unserer Gesellschaft haben, aufgrund der Rahmen­bedingungen und der Folgewirkungen, die es gibt, einfach deutlicher hervortreten, sichtbarer werden.

Ich sage Ihnen eines ganz ehrlich: Mir persönlich ist es völlig gleichgültig, in welchem Berufsstand, in welcher geschlechtlichen Situation, in welcher Herkunftssituation eine schwierige Lebenslage vorhanden ist, wir müssen überall gleich hinschauen und han­deln. Wenn es wo Ungerechtigkeiten gibt, dann müssen die korrigiert werden und muss die Lage verbessert werden – gleichgültig, ob das ein Arbeiter ist, ob das ein Hoch­schulprofessor ist, ob das ein Mensch in einer prekären Arbeitssituation ist oder ob es eine Landwirtin oder ein Landwirt ist.


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Genau das ist das, was jetzt in einem bestimmten Bereich passiert und betreffend das ich Kollegen Muchitsch völlig recht gebe, der Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales ist. Er sagt sehr oft etwas Richtiges, auch ihn schätze ich sehr – du (in Richtung Abg. Muchitsch) weißt das –, und er hat diesbezüglich etwas sehr Wichtiges gesagt. Er hat gesagt: Wir müssen uns aber schrittweise auch das System grundsätzlich anschauen, nämlich: Wie gerecht ist unser Pensionssystem? – Ja, dazu bekenne ich mich. Das werden wir auch tun, und dann werden wir auch die Gesamtdebatte führen, aber das kann ja nicht dazu führen, dass wir bis dorthin nichts mehr korrigieren, nichts mehr ändern und keinen Verbesserungsschritt mehr machen! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Was mich ein bisschen überrascht hat, war die Rede des Kollegen Drobits, den ich gleichfalls durch die Diskussionen im Ausschuss sehr zu schätzen gelernt habe, der immer sehr kompetente Ausführungen tätigt und seine Argumente auch mit viel Fach­information einbringt; aber hier und heute in meine Richtung zu sagen: Sie haben eine Pensionserhöhung gemacht und Sie peitschen ein Gesetz durch!, bitte welches Verständnis von Parlamentarismus ist das, frage ich mich. (Abg. Belakowitsch: Das frage ich mich schon lange! – Abg. Scherak: Das müssen Sie die ÖVP fragen!) Wir diskutieren, wir haben im Ausschuss einen Diskurs geführt. Die Entscheidungen fallen hier, in diesem Hohen Haus, und ich anerkenne diese, gleichgültig, wie sie ausfallen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.) Ich glaube, es ist wichtig, dass wir schon wissen, wer die Legislative und wer die Exekutive ist!

Zu zwei Bereichen noch etwas Grundsätzlicheres, denn das ist mir wichtig, und wir haben auch im Ausschuss darüber zu diskutieren begonnen: Ja, aus meiner persön­lichen Sicht haben wir in zwei großen Bereichen, bei denen es um das System und damit die Verdienstsituation in der Landwirtschaft geht, sehr wohl Handlungsbedarf:

Ja, ich glaube, wir haben ein Gerechtigkeitsdefizit bei den EU-Agrarförderungen. Da müssen wir etwas tun, und es wäre super, wenn wir uns da einig wären und gemeinsam aktiv würden.

Das Zweite, über das wir vorgestern beim Tierschutzgipfel – oder war es gestern? – miteinander diskutiert haben, ist: Die Preise, die in der Landwirtschaft für wertvolle Produkte teilweise bezahlt werden, sind in Wirklichkeit eine Katastrophe und haben sehr, sehr viel mit Tierschutz und Klimaschutz zu tun. Wenn man für 1 Kilo Fleisch de facto teilweise fast nichts zahlt, dann kommt man nämlich in Situationen, die ganz viel mit Tierschutz, die ganz viel mit Klimaschutz und so weiter und so fort zu tun haben. Das Verständnis der letzten Jahrzehnte: Ich betreibe Sozialpolitik durch billige Agrarpreise!, muss eines sein, das wir schrittweise verändern. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Wir brauchen eine starke Sozialpolitik, die hilft, die gerecht ist, die unterstützt, wir brauchen aber auch gerechte Preise für Landwirte, die gerechte Preise verdienen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

12.39


Präsidentin Doris Bures: Zu Wort ist dazu nun niemand mehr gemeldet. Damit schließe ich diese Debatte.

Wünscht die Frau Berichterstatterin ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Auch zu dieser Gesetzesvorlage wird die Abstimmung am Schluss der Verhandlungen über die Vorlagen des Ausschusses für Arbeit und Soziales erfolgen.


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12.39.3510. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 610/A(E) der Abgeordneten Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausführungsgesetze zum Sozialhilfe-Grundsatzgesetz und Adaptierung des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes in COVID-19-Zeiten (262 d.B.)

11. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 624/A(E) der Abgeordneten Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Bundesgenossenschaft für Pflege und Betreuung (263 d.B.)

12. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 647/A(E) der Abgeordneten Sabine Schatz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Pflegegeld-Einstufung von Demenzerkrankten (264 d.B.)


Präsidentin Doris Bures: Wir fahren in der Tagesordnung fort und kommen zu den Punkten 10 bis 12, über welche die Debatten unter einem durchgeführt werden.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Als Erste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Heinisch-Hosek. – Bitte.


12.40.45

Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister Anschober, das waren jetzt wunderbare Worte der Solidarität: Es ist völlig egal, woher jemand ist, welche Sprache jemand spricht. Es ist eigentlich die gerechte Welt für alle, das haben Sie wirklich schön gesagt. – Wie ein Sozialdemokrat hat er geredet. (Heiter­keit bei Abgeordneten von ÖVP und FPÖ. – Abg. Scherak: ... seinem Koalitionspartner!)

Herr Bundesminister Anschober, ich möchte jetzt aber über ein anderes Thema reden, nämlich darüber, wie wir Armut in Österreich vermeiden können und was genau im Re­gierungsprogramm steht – im Regierungsprogramm, das nämlich geschrieben wurde, bevor das Coronavirus weite Teile der Bevölkerung erfasst hat. Wie gehen wir mit dem unsozialen Sozialhilfe-Grundsatzgesetz, vorher Mindestsicherung, um? Herr Bundes­minister, welche Haltung haben Sie dazu? Es gab ja mehr als 140 Stellungnahmen. Vor einem Jahr ist dieses unsoziale Gesetz in Kraft getreten, das viele kritische Stimmen heraufbeschworen hat und mit dem Armut nicht vermieden, sondern vermehrt wird.

Jetzt kommt das Virus dazu, und die Armutsgefährdung der Menschen, die hier leben, nimmt zu und nicht ab. Wo ist denn die Solidarität der Regierungsparteien mit diesen Gruppen? Wo ist denn da die Solidarität mit denen, von denen die FPÖ noch immer Sprachniveau B1 für Deutsch und C1 für Englisch verlangt, obwohl der Verfassungs­gerichtshof gesagt hat, es sind ja nicht nur Menschen, die Deutsch nicht als Erstsprache haben, sondern es können ja auch psychisch kranke Menschen, Menschen mit Lern- und Leseschwächen sein, die diese Niveaus nie erreichen können, aber unserem Arbeitsmarkt trotzdem gut zur Verfügung stehen können? Ihr wollt das alles beibe­halten – ich verstehe das jetzt überhaupt nicht (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch–, und auch die Mehrkindstaffelung, die vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurde, wodurch das dritte Kind und weitere Kinder gerade einmal 1,50 Euro wert sind. Das kann es ja nicht sein, dass man von Solidarität redet, aber in einer solchen Regierung ist und Verantwortung trägt, Herr Bundesminister!


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Wir müssen schon wirklich gut diskutieren, wie wir jetzt in und nach dieser Coronakrise gemeinsam dafür Sorge tragen können, dass aus den 400 000 armutsgefährdeten Kin­dern in Österreich nicht 500 000, 600 000 oder 700 000 werden. Dass sich diese Sozial­hilfegrundsatzgesetzgebung auf Frauen besonders negativ auswirkt, brauche ich ja gar nicht extra zu erwähnen. Wir haben diese Gesetze nie durch die Geschlechterbrille be­trachtet. Niederösterreich und Ihr Bundesland Oberösterreich, Herr Bundesminister, haben sie mit dieser Verschärfung umgesetzt. Wir müssen jetzt gemeinsam Verantwor­tung und Solidarität an den Tag legen, und diese Sozialhilfegrundsatzgesetzgebung darf keine Regelung mit Höchstgrenzen für Bittstellerinnen und Bittsteller sein. Es sollten eigentlich bundeseinheitliche Mindeststandards für alle in der Bevölkerung vorhanden sein. (Beifall bei der SPÖ.)

Das soziale Netz ist nicht mehr verlässlich. Es werden sehr viele durch dieses Netz fallen, weil die Löcher größer geworden sind, und dem müssen wir entgegenwirken. (Beifall bei der SPÖ.)

12.44


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Michael Hammer. – Er ist nicht im Saal.

Die nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dagmar Belakowitsch. – Bitte.


12.44.26

Abgeordnete Dr. Dagmar Belakowitsch (FPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundesminis­ter! Werte Damen und Herren, auch vor den Bildschirmen – und vor allem, wenn Sie in diesem Land Steuern zahlen! Ich danke für die Rede meiner Vorrednerin. Es ist jetzt fast ein Glück, dass ich gleich nach Ihnen sprechen kann, denn ganz so, wie Sie sich die Welt machen, ist sie halt nun einmal nicht. Es fehlt nämlich in Ihrer Gleichung und auch in der Gleichung, die der Herr Bundesminister gemacht hat, noch ein Kürzel, nämlich das Kürzel Leistung.

Es ist nun einmal so, wir leben in einem Land, in dem es Menschen gibt, die keine Leistung bringen wollen; die wollen es definitiv nicht – und das muss man halt auch berücksichtigen. Es wird gesagt: Ja, es ist ja eh so egal, wer was macht, wo er herkommt und was er leistet, das ist uns eigentlich alles egal, alle sollen alles bekommen! – Ganz so kann es nicht sein. Es gibt sehr viele Menschen in unserem Land, die wirklich jeden Tag hart arbeiten, die auch für sehr wenig Geld arbeiten, die auch in prekären Verhältnissen arbeiten und trotzdem schauen, wie sie über die Runden kommen. Genau diesen Menschen, glaube ich, ist die Politik verpflichtet.

Jetzt repliziere ich ganz kurz auf Kollegen Hechenbergers Rede aus der vorherigen Debatte. – Ich sehe ihn jetzt nicht. Er hat gesagt, dass die Bauernpension 850 Euro beträgt, ein Mindestsicherungsbezieher in Wien 917 Euro erhält und dass das ungerecht ist. Ja, da gebe ich ihm recht. Er hat aber etwas vergessen: Es gibt nämlich auch in Tirol die Mindestsicherung, und in Tirol beträgt die Mindestsicherung durchschnittlich 1 200 Euro. Auch das ist ungerecht, meine Damen und Herren, nämlich gerade für den Bauern­pensionisten ist das extrem ungerecht. Genau deshalb gab es 2019 eine Reform dieser Mindestsicherung – weil das teilweise wirklich aus dem Ruder gelaufen ist. Gerade in Wien gab es dann Bescheide von 3 000, 4 000 Euro für eine Familie. (Zwischenruf der Abg. Heinisch-Hosek.) – Nein, das ist schon wahr, das ist auch durch die Medien gegeistert. Jetzt schreien Sie nicht immer rein, horchen Sie zu! (Abg. Heinisch-Hosek: Ich darf schreien! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Das Gute ist ja, Frau Kollegin Heinisch-Hosek, viele Bürgerinnen und Bürger, viele Wienerinnen und Wiener kennen diese Bescheide aus den sozialen Medien (Zwi­schenruf des Abg. Kollross), und genau das ist das, was den Menschen bis hier oben


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steht (Beifall bei der FPÖ), nämlich dass es Familien gibt, die auf Kosten anderer leben, die es sich hier auf Kosten anderer gut gehen lassen, die sich weigern, Deutsch zu lernen, und dass sich deren Kinder und Kindeskinder dann in Favoriten Straßenschlach­ten liefern. Das ist die Realität, und genau deshalb braucht es diese Reform, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der FPÖ.)

Wir wollen in unserem Land nämlich nicht haben, dass wir Leute durchfüttern, die nicht bereit sind, etwas zu leisten. Jeder hat in Österreich eine Chance – jeder! Es gibt so viele Zuwanderer, die als Einwanderer, als Flüchtlinge in dieses Land gekommen sind und die gezeigt haben, wie es geht, die diese Chance auch wahrgenommen haben. Es gibt aber auch sehr, sehr viele, die hierherkommen – und es kommt ja nicht von unge­fähr, dass Wien mit einer absoluten Mehrheit die meisten Mindestsicherungsbezieher hat –, weil die Leistungen in Wien am besten sind, weil sie am höchsten sind. Na selbst­verständlich sind das klassische Sozialschmarotzer, die aus anderen Bundesländern nach Wien ziehen, damit sie mehr aus der Mindestsicherung bekommen. Das ist die Realität, und das steht den Leuten bis oben hin (Beifall bei Abgeordneten der FPÖ), denn diejenigen, die sich jeden Tag im Handel, in der Pflege, am Bau, überall plagen, sind Leute, die eine Leistung bringen, und mit deren Steuergeldern werden andere durchgefüttert, die keinerlei Anstalten machen – keinerlei Anstalten machen! –, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen.

So, und dann haben Sie das zum Verfassungsgerichtshof gebracht. – Das ist alles okay, nur drei Kleinigkeiten sind aufgehoben worden, aber der Großteil, der ganz große Teil dieses Mindestsicherungsgesetzes ist eben nicht aufgehoben worden – und genau darum geht es, denn der wird nicht umgesetzt. (Zwischenruf der Abg. Heinisch-Hosek.) Da werden übrigens auch in Wien – und es wundert mich jetzt bei der SPÖ, dass sie das immer vergisst – die Verbesserungen nicht umgesetzt. Beispielsweise ist die Frist für den Vermögenszugriff von einem halben Jahr auf drei Jahre verlängert worden. Das müsste doch eigentlich für die SPÖ gut sein – oder ist es Ihnen eh egal, weil Sie wissen, dass die Mindestsicherungsempfänger in Wien kein Vermögen haben und das daher nicht so gut finden?

Für Behinderte gibt es einen Zuschlag. Menschen mit Behinderung enthält die Stadt Wien diesen Zuschlag vor. Alleinerzieherinnen enthält die Stadt Wien den Alleinerzie­herzuschlag vor. (Abg. Heinisch-Hosek: Kein Rechtsanspruch!) – Hören Sie auf rein­zuschreien, lesen Sie es sich durch! (Abg. Vogl: Das ist ein Zwischenruf!) – Na ja, sie plärrt rein, das ist ja kein Zwischenruf (Widerspruch bei der SPÖ), sie plärrt so laut, dass sich ihre Stimme überschlägt und ich sie nicht verstehe. (Heiterkeit des Abg. Zarits.) Ich kann nicht einmal darauf replizieren, weil sie so schreit. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) – Ich habe ja nichts gegen Zwischenrufe, ich mache sie ja selber gerne, aber wenn die Stimme sich so überschlägt, dass ich sie nicht verstehe, dann kann ich nicht einmal etwas darauf sagen. (Zwischenruf des Abg. Kollross.) Das müssen Sie sich also schon überlegen; schreien Sie ein Stichwort als Zwischenruf rein, und ich sage Ihnen darauf gerne etwas!

All diese Verbesserungen sind bis heute nur in zwei Bundesländern durchgesetzt wor­den, und genau das geht nicht. In Wahrheit sind alle Länder verpflichtet, dieses Grund­satzgesetz umzusetzen. So, und darauf zielt unser Antrag ab. Der ist weder unsoli­darisch, noch ist er böse, sondern ganz im Gegenteil: Der ist solidarisch, denn er trennt nämlich die Spreu vom Weizen. Jene, die Leistung bringen, jene, die unverschuldet in Not geraten, sollen auch mehr bekommen, aber es gibt halt auch welche, die glauben, sie können es sich in der Mindestsicherung bequem machen, sie können sich hier vom österreichischen Staat durchfüttern lassen – und die sollen auch weniger bekommen und dazu motiviert werden, auch einmal Leistung zu bringen, Leistung in unserem Land Österreich, in das sie vielfach zugewandert sind.


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Das ist nämlich der nächste problematische Punkt: dass es sehr viele Zuwanderer sind, die überhaupt noch keine Leistung in Österreich erbracht haben. Auch die müssen einmal motiviert werden, für dieses Land, in dem sie leben dürfen, in dem sie in Frieden leben dürfen, in dem sie alle Chancen haben, auch ihren Beitrag zu leisten. (Beifall bei der FPÖ.)

12.49


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Markus Koza. – Bitte. (Abg. Vogl: Nix Falsches sagen, gell! – Abg. Leichtfried: Vielleicht korrigierst ein paar Sachen!)


12.50.10

Abgeordneter Mag. Markus Koza (Grüne): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist immer wieder schön, dass die FPÖ letztlich einfach doch nicht aus ihrer Haut heraus kann (Abg. Wurm: Das freut mich, wenn du zuhörst!), es geht einfach nicht (Abg. Belakowitsch: Gott sei Dank!), mag sie doch noch so in Schalmeientönen davon sprechen, was sie nicht alles für die arbeitslosen Menschen tun will und tun kann. (Abg. Wurm: Tun wir ja!) Sie war die Kraft, die die Notstandshilfe abschaffen wollte, und sie wettert und hetzt gegen Mindest­sicherungs­bezieherInnen wie eh und je: Das ist die real existierende Freiheitliche Partei Österreichs! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Sie denunziert Menschen, die in der Mindestsicherung, in der Sozialhilfe sind, die zu den Ärmsten in dieser Gesellschaft gehören, kollektiv als „Sozialschmarotzer“, obwohl sie wissen muss – wie alle Statistiken zeigen –, dass die meisten Menschen, die Mindest­sicherung oder Sozialhilfe beziehen, AufstockerInnen sind. Sie bekommen sie, weil sie arbeitslos sind oder weil sie zu wenig verdienen, weil ihr Einkommen zu gering ist, weil sie in einem prekären Job sind. Diese Menschen haben sich vieles verdient, aber mit Sicherheit nicht die Denunziation als SozialschmarotzerInnen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Darum müssen wir ja nicht ernsthaft darüber reden, ob wir Grüne diesem Antrag zustim­men werden oder nicht – nein, mit Sicherheit nicht! Wir sind heilfroh, dass der Verfas­sungsgerichtshof Teile der Sozialhilfegesetze aufgehoben hat und damit den Ländern auch mehr Möglichkeiten der Gestaltung gegeben hat. Ja, wir hätten auch viel lieber eine andere Sozialhilfe-, Mindestsicherungsregelung, als sie derzeit da ist, aber es gibt dafür auch keine Mehrheiten. Das muss man leider realistischerweise auch so sehen, aber wir werden uns dafür einsetzen, denn was ich schon richtig finde, ist, dass die Kritik an der Sozialhilfe Neu – aber genauso an der Mindestsicherung – gerade auch unter dem Blickwinkel der soeben erfahrenen Covid-19-Krise durchaus angebracht ist und es sehr berechtigte Kritikpunkte gibt.

Was waren nämlich die Erfahrungswerte mit der Sozialhilfe, mit der Mindestsicherung in der Krise? – Es ist leider das Problem, dass Sozialhilfe und Mindestsicherung beide nicht geeignet sind, rasche, unbürokratische Hilfe bei Einkommensverlust, bei Armutsgefähr­dung und bei Armut zu leisten, die aber dringend notwendig wäre, weil die Zugangs­bedin­gungen und der Zugang einfach zu kompliziert, zu bürokratisch und zu schwierig sind.

Es ist auch nicht weiter verwunderlich, dass deswegen die Mindestsicherungsanträge, die Sozialhilfeanträge in der Krise nicht besonders in die Höhe gegangen sind, obwohl es eigentlich angesichts der Situation zu erwarten gewesen wäre – na weil die Beantra­gung de facto ein Ding der Unmöglichkeit war.

Darüber werden wir uns unterhalten müssen: wie wir nämlich eine Mindestsicherung oder eine Grundsicherung, eine Sozialhilfe so gestalten können, dass die Menschen, die


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wirklich in kurzfristig auftretenden Notlagen sind – wo absehbar ist, dass sie die Unter­stützung nur eine begrenzte Zeitdauer brauchen –, rasch, einfach, unbürokratisch zur entsprechenden Hilfe kommen, ohne dass große Hürden aufgestellt werden. Das wäre eine Mindestsicherung, eine Sozialhilfe, die wirklich zu einer Grundsicherung wird, die diesen Namen auch verdient und gegen Armut und Notlagen tatsächlich absichert, wenn sie absichern soll – rasch, einfach, unbürokratisch.

Wofür wir auf jeden Fall nicht zur Verfügung stehen, sind noch mehr Hürden, noch mehr Bürokratie und noch weniger Hilfe für diejenigen, die sie dringend brauchen, und Kürzungen dort, wo es schlichtweg nichts mehr zu kürzen gibt – und das ausgerechnet in einer der größten sozialen Krisen. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeord­neten der SPÖ.)

12.54


Präsidentin Doris Bures: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Frau Abge­ordnete Belakowitsch zu Wort gemeldet. – Bitte.


12.54.11

Abgeordnete Dr. Dagmar Belakowitsch (FPÖ): Frau Präsidentin! Kollege Koza hat in seiner Rede gerade gesagt: Es ist die FPÖ gewesen, die sich stark gemacht hätte, die Notstandshilfe abzuschaffen. – Das ist vollkommen unrichtig.

Ich berichtige tatsächlich: Es gab zu keinem Zeitpunkt auch nur den Ansatz eines Plans, die Notstandshilfe abzuschaffen. (Abg. Koza: ... Regierungsprogramm!) Es war auch im Regierungsprogramm aus dem Jahr 2017 nicht ein einziger Satz darüber zu lesen. Das Einzige, was darüber zu lesen war, war eine Reformierung des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe. (Beifall bei der FPÖ. – Ruf bei den Grünen: Ja, ja! – Abg. Leichtfried: Das war jetzt wirklich Kindesweglegung!)

12.54


Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Sabine Schatz. – Bitte.


12.54.52

Abgeordnete Sabine Schatz (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich rede über ein ganz anderes Thema: über das Thema Demenz. Demenz kann jede und jeden von uns treffen. Circa 130 000 Menschen in Österreich sind demenzerkrankt, von demenziellen Erkrankungen betroffen. Bis 2050 soll sich diese Zahl in Österreich verdoppeln.

Meist wird der erhöhte Pflegebedarf durch Demenzerkrankungen allerdings nicht aus­reichend in der Pflegebedarfsermittlung berücksichtigt und die Pflegegeldstufen fallen deswegen entsprechend niedrig aus. Das belastet vor allem Pflegekräfte in Alten- und Pflegeheimen und pflegende Angehörige, wie wir aus der Angehörigenstudie des Sozialministeriums wissen.

Trotz des Demenzzuschlages wird dieser Pflegebedarf also viel zu wenig berücksichtigt. Das kommt daher, weil der Pflegebedarf bei der Pflegebedarfsermittlung vor allem nach körperlichen Beeinträchtigungen ermittelt wird, aber Demenzerkrankungen, psychische Erkrankungen entsprechend wenig berücksichtigt werden. Diesen Mangel hat auch die Volksanwaltschaft in ihrem Bericht klar festgelegt und deswegen sehen wir da dringenden Handlungsbedarf. (Beifall bei der SPÖ.)

Gerade für Betroffene von Demenz, für Personen, die an demenziellen Erkrankungen leiden, für Demenzkranke ist eine finanzielle Absicherung umso wichtiger, denn Demenz schaut nicht aufs Geldbörsl der Betroffenen, wenn sie sich ausbreitet, ob genug Geld


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vorhanden ist, um sich auch entsprechende Therapien leisten zu können, die den Krank­heitsverlauf verzögern können, sondern trifft alle gleichermaßen – egal, ob arm oder reich. Wenn es aber finanziell eng wird, dann ist es nicht möglich, Tageszentren, The­rapiezentren, Gedächtnistrainings – oder was auch immer notwendig wäre – in An­spruch zu nehmen, weil es schlicht und einfach zu teuer für die Betroffenen ist.

Das heißt, wir müssen bei der Pflegebedarfsermittlung ganz dringend handeln, psychi­sche Erkrankungen wie Demenz entsprechend berücksichtigen, diesen Pflegebedarf berücksichtigen und jetzt ein Zeichen setzen.

Im Regierungsprogramm steht, Sie wollen die Demenzstrategie ausfinanzieren und endlich weiter ausrollen. – Worauf warten wir also noch? Die Dinge liegen ja auf dem Tisch. Verschieben Sie bitte nicht jede dringende, notwendige Maßnahme im Pflege­bereich auf eine angekündigte umfassende Pflegereform! – Ja, die braucht es, aber sehr geehrte Damen und Herren: Wir alle wissen nicht, wie lange uns die Coronakrise noch beschäftigen wird, wir wissen nicht, wann die Pflegereform endlich kommen wird, aber, Herr Minister, Sie wissen, dass für Betroffene von Demenz jeder Tag zählt. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

12.57


Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Fiona Fiedler. – Bitte.


12.57.52

Abgeordnete Fiona Fiedler, BEd (NEOS): Frau Präsidentin! Hohes Haus! Werter Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Es liegen zwei Anträge unserer Oppositionskollegen der SPÖ und der FPÖ vor. Obwohl sich die FPÖ zum Thema Pflege immer konstruktiv einbringt, können wir einer Bun­despflegegenossenschaft leider nicht zustimmen.

Zum einen sind wir in Österreich, sodass eine Verstaatlichung von Leistungen in der Regel mehr Intransparenz und Ineffizienz bringt – und das zulasten der Bevölkerung. Zum anderen werden wir den Mangel an Pflegekräften und 24-Stunden-Betreuungs­kräften wohl kaum mit einer Bundespflegegenossenschaft beenden. Uns schwebt hier vielmehr eine Aufwertung des Pflegeberufs und eine Ermöglichung der Selbstständigkeit vor.

Der SPÖ-Antrag ist aus unserer Sicht interessanter. Zwar ist es noch immer kein konkretes Pflegekonzept, der SPÖ-Antrag zeigt aber auf, dass Pflege nicht nur für kör­perliche Unzulänglichkeiten relevant sein kann. So wird die sehr betreuungsintensive Demenz derzeit nicht in Pflegestufen berücksichtigt – zum Leidwesen der Betroffenen und Angehörigen. Obwohl wir seit zwei Jahren ein umfassendes Pflegekonzept fordern, werden wir diesem kleinen Teil einer Pflegereform zustimmen. Zum Leidwesen der Betroffenen lässt die Pflegereform des Gesundheitsministeriums durch die Coronakrise ja immer noch auf sich warten.

Ein besonderes Anliegen im Bereich der Pflege ist uns NEOS die selbstständige nie­dergelassene Pflege. Immer wieder wird vergessen, dass Therapeuten, Apotheker und die Pflege einen großen Teil der niedergelassenen Versorgung übernehmen. Die Pflege schaut bei der Vergütung aber fast komplett durch die Finger. (Präsident Hofer über­nimmt den Vorsitz.)

In Zeiten des Ärztemangels im niedergelassenen Bereich könnte man sehr viel über eine flächendeckende Pflege mit diplomierten Personal im niedergelassenen Bereich kom­pensieren. Was aber immer noch fehlt, ist ein Leistungsabrechnungskatalog der Pflege mit der Sozialversicherung. International spricht man von Practicenurses, deren primäre Aufgabe die Unterstützung der Allgemeinmedizin ist. Unterschiedliche Tätig­keits­bereiche werden der Primärversorgungspflege zugeordnet: Wundmanagement, Management von


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Patienten mit chronischen Erkrankungen, mit Diabetes mellitus, mit Asthma bronchiale, Inkontinenzmanagement, Management von Patienten mit rheumatoider Arthritis, Mana­ge­ment von Patienten mit Parkinsonsyndrom, Risikofaktorenmanagement von Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen, HIV-/Aids-Management, Management von Patien­ten mit Hauterkrankungen und gastrointestinalen Beschwerden, mit malignen Erkran­kungen und Strahlentherapie, Untersuchung und Beratung von Personen mit allge­meinen und akuten nicht kritischen Gesundheitsbeschwerden, PatientInnenerstkontakt und weiterführende Betreuung, Erstkontakt bei Personen mit dringlichem Konsultations­wunsch, Alkoholberatung, HIV-Screening und Koloskopiescreening.

Es gibt international genügend Beispiele, wie die Pflege im niedergelassenen Bereich zum Wohle der betroffenen Patienten übernommen werden könnte, was dazu fehlt, ist der Abrechnungskatalog.

Ich bringe daher folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Fiona Fiedler, BEd, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Abrech­nungs­katalog für die Primärversorgungspflege mit der Sozialversicherung“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz wird auf­gefordert, anhand von internationalen best-practice-Beispielen den Tätigkeitsbereich der Primärversorgungspflege zu definieren, einen Abrechnungskatalog für die Primärver­sorgungspflege mit der Sozialversicherung voranzutreiben und dafür ist ein Finanzie­rungs­modell von Bund und Ländern zu hinterlegen.“

*****

Danke. (Beifall bei den NEOS.)

13.01

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Fiona Fiedler, Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Abrechnungskatalog für die Primärversorgungspflege mit der Sozialversiche­rung

eingebracht im Zuge der Debatte in der 45. Sitzung des Nationalrats über den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 647/A(E) der Abgeordneten Sabine Schatz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Pflegegeld-Einstufung von De­menzerkrankten (264 d.B.) - TOP 12

Mit der Etablierung der Primärversorgungszentren und -netzwerke (Gesundheitsreform 2013) wurde die Pflege in der niedergelassenen medizinischen Versorgung deutlich auf­gewertet. Was jedoch immer noch fehlt ist ein Abrechnungskatalog mit der Kranken­ver­sicherung, wie es diesen in ärztlicher Versorgung bereits gibt. Durch den fehlenden Ab­rechnungskatalog wird nicht nur die Etablierung der Pflege in der Primärversorgung erheblich erschwert, sondern auch die Verbreitung der selbständigen, niedergelassenen Pflege. Gerade in Zeiten eines Mangels an niedergelassenen Ärzten macht es des­halb Sinn darüber nachzudenken, welche nicht klassisch pflegerischen Leistungen die


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nieder­gelassene Pflege im niedergelassenen Bereich übernehmen könnte. Die Meduni Graz hat sich diesbezüglich die Mühe gemacht, das Leistungsspektrum der Primär­versorgungspflege im internationalen Umfeld zusammenzutragen. Der Umfang der durch Pflegekräfte übernommenen Tätigkeiten in der Primärversorgung ist dabei inter­national sehr groß. Das Leistungsspektrum umfasst so einfache Leistungen bis hin zu umfassendem Management, inklusive Diagnostik, Therapie, Patientenschulungen und Beratungen. International spricht man hierbei von „Practice Nurses“, deren primäre Auf­gabe in der Unterstützung des Allgemeinmediziners liegt, und andererseits die „Advanced Nurse Practitioners“, die auf der Grundlage einer vertieften Ausbildung einen erweiterten Kompetenzbereich haben. Diese sind mitunter auch in Hausarzt substituierender Posi­tion tätig.

Die Ergebnisse aus den Übersichtsarbeiten konnten insgesamt 17 unterschiedliche Tätigkeitsbereiche der Primärversorgungspflege zuordnen:

•             Management von Patient_innen mit chronischen Erkrankungen

•             Management von Patient_innen mit Diabetes mellitus

•             Management von Patient_innen mit Asthma bronchiale

•             Inkontinenzmanagement

•             Management von Patient_innen mit rheumatoider Arthritis

•             Management von Patient_innen mit Parkinson-Syndrom

•             Risikofaktorenmanagement von Patient_innen mit kardiovaskulären Erkrankungen

•             HIV-/AIDS-Management

•             Wundmanagement

•             Management von Patient_innen mit Hauterkrankungen

•             Management von Patient_innen mit gastrointestinalen Beschwerden

•             Management von Patient_innen mit malignen Erkrankungen und Strahlen­therapie

•             Untersuchung und Beratung von Personen mit allgemeinen und akuten, nicht-kritischen Gesundheitsbeschwerden

•             Patient_innenerstkontakt und weiterführende Betreuung

•             Erstkontakt bei Personen mit dringlichem Konsultationswunsch

•             Alkoholberatung

•             HIV-Screening

•             Koloskopie-Screening

Quelle: https://pflegewissenschaft.medunigraz.at/forschung/pflegefachkraefte-in-der-hausarztpraxis/

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:


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"Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz wird aufgefordert, anhand von internationalen best-practice-Beispielen den Tätigkeitsbereich der Primärversorgungspflege zu definieren, einen Abrechnungskatalog für die Primär­versorgungspflege mit der Sozialversicherung voranzutreiben und dafür ist ein Finan­zierungsmodell von Bund und Ländern zu hinterlegen."

*****


Präsident Ing. Norbert Hofer: Der Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt, er ist ordnungsgemäß eingebracht und steht somit auch in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist nun Abgeordneter Christian Ries. – Bitte, Herr Abgeordneter.


13.01.34

Abgeordneter Christian Ries (FPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Werte Damen und Herren des Hohen Hauses! Wir alle, die wir hier sitzen, haben mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas gemeinsam: Wir haben, werden ein­mal haben oder hatten einen zu pflegenden Angehörigen zu Hause und viele von uns werden in Zukunft vielleicht selbst einmal der Pflege bedürftig sein. Derzeit gibt es in Österreich circa 460 000 Pflegegeldbezieher, davon werden 80 Prozent, also rund 370 000, zu Hause gepflegt, was ja grundsätzlich zu begrüßen ist.

Die Pflege daheim zu organisieren stellt aber viele zu Pflegende und deren Angehörige oft vor bürokratische Hürden. Plötzlich ist man im hohen Alter zum Arbeitgeber geworden und muss sich um Dinge wie Meldepflichten bei der Gesundheitskasse, Lohnabrech­nungen für PflegerInnen, Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen, Abgaben an das Finanzamt kümmern und andere oft verworrene Behördenwege gehen.

Ältere Menschen und deren Angehörige sind dadurch oft überfordert. Daher wurde die Pflege bereits vor Jahren von Agenturen als lukrative Einnahmequelle entdeckt. Dem Personal, das teilweise aus den letzten Winkeln des Kontinents herangekarrt wird, fehlt es leider oft an Pflegekompetenz und leider oft auch an Kenntnis der deutschen Sprache, was in der Pflege aber ganz besonders wichtig ist und somit einen schweren qualitativen Mangel darstellt. Die Regierung weiß das, schaut aber tatenlos zu. Und auch die PflegerInnen selbst werden oft von ihren Agenturen durch überhöhte Vermittlungs­ge­bühren und andere Abzüge in ihrem Gehalt erheblich beschnitten. Auch das weiß die Regierung und sieht zu.

Die Covid-Krise hat uns jetzt gezeigt, und zwar in dramatischem Ausmaß, wie sehr wir davon abhängig sind, dass diese Agenturen ihre PflegerInnen nach Österreich bringen, weil wir es bis heute nicht geschafft haben, die Pflege flächendeckend in Österreich zu organisieren.

Werte Damen und Herren! Eine bundesweite und nicht auf Gewinn ausgerichtete Pflege­genossenschaft könnte da viel leisten; etwa die Zuteilung von geeignetem Pflege­personal, Qualitätssicherung in Arbeit und Ausbildung und Behördenwege für die zu Pflegenden. Doch der Antrag auf Schaffung von Rahmenbedingungen zur Gründung einer solchen Genossenschaft wurde im Ausschuss von den Regierungsparteien und auch von SPÖ und NEOS abgeschmettert und gegen das müde Versprechen der Regierung, Taskforces und Expertenrunden einzusetzen, ausgetauscht.

Meine Damen und Herren! Nicht nur wir hätten uns, auch die ältere Generation Öster­reichs hätte sich eine zeitnahe Lösung des Pflegeproblems erwartet und auch verdient – leider Fehlanzeige. Irgendwann wird diese Regierungsarbeit wieder beendet sein, und es wird wieder keine Lösung auf dem Tisch liegen. – Herzlichen Dank im Namen der österreichischen älteren Generation! (Beifall bei der FPÖ.)

13.04



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Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gemeldet ist nun Frau Ing. Mag. Alexandra Tanda. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.


13.04.56

Abgeordnete Ing. Mag. (FH) Alexandra Tanda (ÖVP): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Bildschirmen! Eine Bundesgenossenschaft für Pflege und Betreuung mag auf den ersten Blick recht interessant erscheinen, bei genauerer Betrachtung handelt es sich dabei aber nur um eine weitere Trägerorganisation für Pflege und Be­treuung mit angestelltem Personal. Davon gibt es bereits einige in Österreich.

Noch interessanter ist, dass dieser Antrag bereits – und zwar beinahe wortgleich – 2008 vom damaligen Behindertensprecher Norbert Hofer eingebracht wurde. Dieser Antrag wird nun, zwölf Jahre und eine Regierungsbeteiligung später, einfach aus der Schublade gezogen.

Er fußt auf der irrigen Annahme, dass die Anstellung von Betreuungs- und Pflege­personal und die administrative Abwicklung ausschließlich in der Verantwortung der Familien der zu Betreuenden liegt. Das stimmt so aber nicht. 99 Prozent der Betreuungs- und Pflegebedürftige unterstützenden Kräfte, der 24-Stunden-BetreuerInnen in Öster­reich sind nämlich selbstständig. Das heißt, diese Aufgaben liegen nicht bei den Fa­milien. Die anderen Berufsgruppen, die dafür zuständig sind, wie diplomierte Gesund­heits- und Krankenpflegefachkräfte, PflegeassistentInnen, Heimhilfen, sind bei den diversen mobilen Einrichtungen, Hauskrankenpflegediensten und Gesundheits­spren­geln angestellt. Somit ist auch da keine Anstellung im Haushalt der zu pflegenden Per­sonen erforderlich.

Zu dem anderen Antrag betreffend die Pflegegeldeinstufung von Demenzerkrankten: Es ist unbestritten, dass dieses Krankheitsbild uns alle in den nächsten Jahren extrem fordern wird, die Gesellschaft, das Gesundheitssystem sowie alle in den Familien, aber Demenz ist nicht gleich Demenz. Bei leichten Verläufen ist eine Anhebung des Pauschal­wertes auf mindestens 50 Stunden nicht gerechtfertigt. Bei schweren Verläufen wäre eine Anhebung zwar gerechtfertigt, aber dort spielt eine Erhöhung um 25 Stunden keine Rolle mehr. Der Pflegebedarf bei schweren Fällen ist ohnehin mit 180 Stunden monatlich festgelegt, die Erhöhung ändert daher nichts mehr an der Einstufung.

Das Vieraugenprinzip: Bei der Begutachtung zur Einstufung gibt es in der Regel bereits ein Vieraugenprinzip, es gibt nur die Ausnahme, wenn eine Begutachtung durch einen langjährig erfahrenen Vertrauensarzt erfolgt, dann ist es kein Vieraugenprinzip.

Auch dem im Antrag geforderten Einbezug der pflegerischen Expertise wird absolut Rechnung getragen, denn Pflegebegutachtungen werden nicht nur von Ärzten, sondern auch durch Pflegefachkräfte durchgeführt.

Abschließend ist festzuhalten, dass wir bereits in der 24. Nationalratssitzung am 22. April einstimmig beschlossen haben, dass alle Vorschläge aller Fraktionen zur Pflegereform sowie überhaupt alle Vorschläge von ExpertInnen und Stakeholdern im Rahmen der Taskforce Pflege diskutiert, geprüft und bewertet werden. Der Beschluss war einstimmig, es ist daher nicht nachvollziehbar, warum neuerlich Anträge einlangen, die sich mit der gleichen Kernthematik beschäftigen.

Den Beratungen im Zusammenhang mit der im Regierungsprogramm vorgesehenen Pflegereform soll nicht vorgegriffen werden. Anträge über Einzelaspekte zur Pflege sind daher zu diesem Zeitpunkt nicht zielführend. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der ÖVP.)

13.08



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 104

Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Mag.a Verena Nussbaum. – Bitte, Frau Abgeordnete.


13.08.54

Abgeordnete Mag. Verena Nussbaum (SPÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Herr Pflegeminister, auch ich werde meine Rede auf Demenz und Pflege ausrichten. Wir werden immer älter, und daher steigt auch die Wahr­schein­lichkeit einer Demenzerkrankung. Demenz ist ein Oberbegriff für über 50 verschiedene Krankheitsformen, die alle sehr unterschiedlich verlaufen können. Genauso vielfältig wie der Verlauf der Demenzerkrankungen sind auch die Ursachen, aber allen gemeinsam ist eine intensive Betreuung und Pflege. Aus diesem Grund müssen wir jetzt dafür sor­gen, dass unsere Angehörigen gut versorgt werden. Die Angehörigenstudie des Sozial­ministeriums hat hervorgebracht, dass gerade die Pflege von Menschen mit Demenz für die Angehörigen besonders belastend ist. Gerade jetzt in der Coronakrise haben wir das Problem, dass die Unterstützung der Familien, der Angehörigen durch Bekannte oder den Freundeskreis kaum möglich ist, und daher brauchen wir professionelle Lösungen – besser gestern als heute. (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Pflegeminister, Sie haben erst kürzlich eine Pflegereform angekündigt, und auch im Regierungsprogramm ist eine österreichweite Demenzstrategie vorgesehen. Die Betroffenen können aber nicht mehr länger warten.

Im Ausschuss wurde eine Ausschussfeststellung getroffen, in der von einer Taskforce Pflege die Rede ist. Ich habe schon in meiner Wortmeldung im Rahmen der Plenar­sitzung im April darauf hingewiesen, dass unser Pflegesystem auf extrem wackeligen Beinen steht und wir eine schnelle und passende Lösung brauchen. Unter einer Task­force verstehe ich eine Truppe, die schnell arbeitet und schaut, dass rasch eine Um­setzung passiert. Offensichtlich geht es aber wieder nur um eine andere Formulierung für Arbeitsgruppe, denn es heißt, die Taskforce soll diskutieren, prüfen und bewerten. Ich glaube, wir sollten endlich zu einer Umsetzung kommen, Herr Minister. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir brauchen endlich einheitliche Regelungen und einen bundesweiten Pflegefonds. Bitte erfüllen Sie Ihr Pflegeministerium mit Leben und werden Sie aktiv! – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

13.11


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Mag. Michael Hammer. – Bitte schön, Herr Abgeordneter.


13.11.40

Abgeordneter Mag. Michael Hammer (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bun­desminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf mich kurz zu den Anträgen der Freiheitlichen betreffend Sozialhilfe-Grundsatz­gesetz und Sozialhilfe-Ausführungsgesetze zu Wort melden. Wir haben das schon des Öfteren im Ausschuss und auch im Plenum diskutiert.

Ich möchte für unsere Fraktion schon noch einmal festhalten, was eigentlich der Aus­gangspunkt und die Zielsetzungen des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes waren – im Wesentlichen ist das ja auch vom Verfassungsgerichtshof bestätigt worden. Es war uns wichtig, das System gerechter zu machen und vor allem auch – wir haben gestern be­schlossen, dass wir die Einkommensstufen senken – die Menschen zu entlasten. Das ist ein weiterer Punkt, zu dem wir immer gesagt haben: Arbeit soll sich lohnen, und der-


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jenige, der arbeiten geht und ein entsprechendes Einkommen hat, soll nicht schlech­ter­gestellt sein als möglicherweise ein Bezieher der damaligen Mindestsicherung. Das war ein wesentlicher Punkt.

Auch ein wichtiger Punkt, der mit der Integration zusammenhängt, war, Deutsch als Schlüssel zur Mindestsicherung zu etablieren und vor allem auch den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt durch einen Arbeitsqualifizierungsbonus sicherzustellen. Das waren wesentliche Zielsetzungen, die mit dem Sozialhilfe-Grundsatzgesetz verfolgt wurden.

Es ist ein Faktum, dass zwei Punkte vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurden: Der eine ist die Kinderstaffelung, und der zweite ist der Arbeitsqualifizierungsbonus. Es ist aber dennoch so, dass ein rechtmäßiger Zustand besteht, es gibt also keinen sonderlichen Regelungsbedarf auf Bundesebene.

Wir als Österreichische Volkspartei bekennen uns natürlich zum Föderalismus. Verfassungsmäßig ist es die Zuständigkeit der Länder, diese Ausführungsgesetze zu machen, also sind sie auch entsprechend aufgerufen - - (Der Feueralarm ertönt.)


Präsident Ing. Norbert Hofer: Moment, wir müssen abklären, was das für ein Alarm ist.

Ich unterbreche die Sitzung. Bitte verlassen Sie den Saal, meine Damen und Herren!

*****

(Die Sitzung wird um 13.13 Uhr unterbrochen und um 13.32 Uhr wieder aufgenommen.)

*****


Präsident Ing. Norbert Hofer: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf und darf mich für die Disziplin beim Verlassen des Saales im Zuge dieses Feueralarms sehr herzlich bedanken. Wir waren uns nicht sicher, wie ernst die Lage ist, aber Gott sei Dank war es nur ein sehr kleines Feuer.

Wir setzen die Verhandlungen zu den Tagesordnungspunkten 10 bis 12 fort.

Ich darf Herrn Kollegen Mag. Michael Hammer, der auch Präsident des Ober­österreichi­schen Zivilschutzverbandes ist – sehr passend! –, wieder zum Rednerpult bitten und ihn ersuchen, seine Ausführungen fortzusetzen. – Bitte schön.


Abgeordneter Mag. Michael Hammer (fortsetzend): Geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe zuerst schon gesehen, dass das rote Licht geleuchtet hat. Es wäre nicht notwendig gewesen, dass auch eine Sirene dazukommt, denn ich hätte nur noch einen Schlusssatz zum Sozialhilfe-Ausführungsgesetz gesagt.

Ich habe die Argumente dafür aufgeführt, dass es diesbezüglich einen verfassungs­ge­mäßen Zustand gibt und dass die Umsetzung in der Zuständigkeit der Länder liegt, wes­halb wir diesen Anträgen nicht nähertreten und die Beschlüsse, die seitens der Frei­heit­lichen urgiert werden, ablehnen. Es gibt eine verfassungsgemäße Regelung, und die Aus­füh­rung liegt bei den Ländern. – Danke sehr. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abg. Grebien.)

13.34


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Mag. Christian Ragger. – Bitte, Herr Abgeordneter.


13.34.11

Abgeordneter Mag. Christian Ragger (FPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Ge­schätzte Damen und Herren des Hauses! Nach dieser Aufregung können wir in einem sofort


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 106

überleiten: Wir haben gesehen, dass Abgeordnete Grünberg sofort mit dem Rollstuhl zum Ausgang gefahren ist, und trotzdem möchte ich mir heute herausnehmen, fest­zuhalten, dass es ein Witz ist, dass wir in diesem Hause nicht barrierefrei sind. Ich möchte nämlich nicht wissen und ich möchte nicht von dem ausgehen, was passiert wäre, wenn wirklich ein Ernstfall gewesen wäre und wir zu spät rausgekommen wären. – Das vielleicht als Einleitung, denn das passt genau zum Thema.

Ich möchte jetzt aber noch einmal auf Kollegen Koza und auch jene KollegInnen, die seine Argumentation fortgesetzt haben, replizieren und erklären, warum wir heute diese Ausbesserungen des Grundsatzgesetzes nicht haben wollen. Ich war selber dabei, als wir seinerzeit die 15a-B-VG-Vereinbarung mit – Gott hab’ ihn selig – unserem ehe­maligen Sozialminister geschaffen haben. Ich glaube, dass es ein ganz wesentlicher Punkt ist, dass wir einheitliche Sozialstandards definieren. Und es ist falsch, zu behaup­ten, dass die alte Koalition zwischen ÖVP und FPÖ hergegangen ist und unsägliche Sozialbedingungen geschaffen hat. Es sind von 13 abgeänderten Punkten im Grund­satzgesetz lediglich zwei kritisiert worden, nämlich einmal ein degressiver Verlauf der Kinderzuschläge und das Zweite, was auch Kollege Hammer heute gesagt hat, war, dass – was eigentlich wesensfremd ist – der Spracherwerb mit der Berufsqualifikation nichts zu tun hätte. Dies sagt der Verfassungsgerichtshof. Ich glaube, dass Deutsch­kenntnisse zu den wesentlichen Voraussetzungen gehören, um den beruflichen Erwerb und sein Fortkommen sicherzustellen.

Das sind also die zwei Punkte, die angepasst gehören, und man muss vielleicht auch den Zusehern zu Hause Folgendes vor Augen führen: Die Grundsatzgesetzgebung befindet sich in Bundeskompetenz. Die Ausführungsgesetzgebung, wie sie zum Beispiel Niederösterreich oder Oberösterreich bereits umgesetzt haben, ist Ländersache. Daher ist es wesentlich, dass die Länder, vor allem auch Wien – und damit will ich nicht polemisieren und auch den Wiener Wahlkampf nicht vorziehen –, einfach diese grundsätzlichen Regelungen umsetzen.

Wenn das nicht entsprechend passiert und wir dem nicht Herr werden, dann müssen wir als Parlamentarier und als Gesetzgeber letztendlich andere Regelungen finden, um auch Wien oder andere Bundesländer sanft darauf hinzuweisen, dass wir einen einheitlichen Sozialstandard haben wollen. Ich brauche keine neun Bundesländer mit neun unter­schiedlichen Sozialregelungen, sondern ich will eine einheitliche Regelung haben. – Danke vielmals. (Beifall bei der FPÖ.)

13.36


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist daher geschlossen.

Wünscht der Herr Berichterstatter ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Wie vereinbart verlege ich die Abstimmungen an den Schluss der Verhandlungen über die Vorlagen des Ausschusses für Arbeit und Soziales und fahre in der Erledigung der Tagesordnung fort.

13.37.1013. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 708/A der Abgeordneten August Wöginger, Mag. Markus Koza, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Alterssicherungskommissions-Gesetz geändert wird (265 d.B.)


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14. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 709/A der Ab­geordneten Mag. Romana Deckenbacher, Mag. Markus Koza, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Pensionsgesetz 1965 und das Bundesbahn-Pensionsgesetz geändert werden (266 d.B.)


Präsident Ing. Norbert Hofer: Wir gelangen zu den Punkten 13 und 14 der Tages­ordnung, über welche die Debatten unter einem durchgeführt werden.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Mag. Gerald Loacker. – Bitte, Herr Abgeord­neter.


13.37.54

Abgeordneter Mag. Gerald Loacker (NEOS): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Ja, der Herr Präsident verlegt die Abstimmung über diese Sozialthemen an den Schluss der Verhandlungen, und Verlegen und Verschieben ist auch das Thema, das gut zur Alterssicherungskommission passt, denn da wird verschoben und ge­schoben und hinausgeschoben und verzögert, dass einem schlecht werden könnte. Bei einem Fußballspieler hätte es für diese Verzögerungstaktik, die da aufgeführt wird, schon längst die Gelbe und die Rote Karte gegeben.

Die Alterssicherungskommission hätte 2017 zusammentreten sollen und wurde dann einfach vergessen. Was sind schon Gesetze? Das hat uns Kurz schon gesagt, dass es relativ egal ist, wenn man Gesetze nicht einhält. 2019 hat dann die Übergangs­regie­rung – die nicht viel gemacht hat, aber das hat sie gemacht – das Gesetz eingehalten und einen Vorsitzenden für die Alterssicherungskommission gefunden und diese einmal zusammengeführt. Jetzt sollte die Kommission die Arbeit aufnehmen – und jetzt gibt es wieder eine reguläre Regierung, und schon wird wieder geschoben und verschoben und hinausgeschoben und prokrastiniert. Schüler, die lernen müssen, können nicht ärger prokrastinieren als diese Bundesregierung, wenn es um die Pensionen geht.

Da wird mit fadenscheinigen Ausreden gearbeitet – fadenscheinig! –: Ja, das kann man jetzt alles nicht beurteilen, was da kommt ist so schwierig und ist so unberechenbar! – Denn: So eine Kommission kann ja nicht einen Bericht mit verschiedenen Szenarien – einem optimistischen Szenario, einem mittleren Szenario und einem pessimistischen Szenario – vorlegen, nein, das kann diese Kommission offensichtlich gar nicht, und deswegen müssen wir jetzt diesen Bericht noch einmal verschieben, vertagen, und irgendwann, vielleicht im Jahr 2021, kommt dann vielleicht ein Bericht. Es wird Ihnen dann ohnedies noch etwas einfallen, damit auch dann keiner kommt, oder zumindest ein Grund, warum dieser Bericht dann nicht zählt.

Es gibt aber Zahlen, es gibt Fakten und es gibt beispielsweise den Bericht des Budget­dienstes, wonach sich die Pensionsgeschenke des letzten Jahres bis 2050 auf 2,1 Mil­liarden Euro Zusatzkosten jährlich aufsummieren werden, und schon im heurigen Jahr verursachen diese Pensionsgeschenke Mehrkosten von 621 Millionen Euro.

Das sind Fakten, die der Budgetdienst des Parlaments nachgerechnet hat, an denen man sich auch nicht vorbeischwindeln kann, wenn man gerne nur zuschaut, anschaut, wegschaut, weiterschaut und – wie ich das nenne – anschobert, denn man muss endlich auch einmal etwas tun. (Beifall bei den NEOS.)

13.40


Präsident Ing. Norbert Hofer: Frau Abgeordnete Rebecca Kirchbaumer gelangt zu Wort. – Bitte, Frau Abgeordnete.



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13.40.44

Abgeordnete Rebecca Kirchbaumer (ÖVP): Herr Präsident! Werter Herr Bundes­minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Kollege Loacker hat sich in dieser Gesetzgebungsperiode vorgenommen, immer alles schlecht­zureden (Abg. Scherak: Nein, das hat er in der letzten auch schon getan! – Zwischenruf bei der FPÖ): Immer schieben wir alles hinaus, wir gehen in eine Richtung, die gar nicht geht (Zwischenruf bei der FPÖ), und es ist alles eigentlich eine Katastrophe! – Gott sei Dank - - (Abg. Meinl-Reisinger: Das ist der Einzige, der für die nächsten Generationen Verantwortung übernimmt!) – Ja genau, das können die NEOS, diese wirtschaftsliberale Partei, sie können total gut Verantwortung übernehmen (neuerlicher Zwischenruf der Abg. Meinl-Reisinger), indem sie sogar hergehen und Unternehmerinnen und Unter­nehmer maßregeln und sagen, diese sollen Strafzahlungen machen, wenn sie von der Kurzarbeit profitieren! (Zwischenruf bei der FPÖ.) Meine lieben Herrschaften, seid mir nicht böse, aber so geht es nicht! (Abg. Meinl-Reisinger: Habt ihr keine Kontrollen durchgeführt? – Zwischenruf des Abg. Vogl.)

Corona hat in diesem Jahr bereits viele Zeitpläne durcheinandergebracht. Mit dem vor­liegenden Entwurf soll nun auch die Frist zur Erstattung des sogenannten Langfrist­gutachtens der Alterssicherungskommission um vier Monate – vier Monate – verlängert werden. Das heißt, dass es nicht abgegeben ist, sondern erst nächstes Jahr mit Ende März da sein soll, weil man natürlich fundierte Zahlen haben möchte, um auch eine valide Aussage machen zu können; Schätzungen basierend auf April 2020 sind nicht allzu klug.

Die Alterssicherungskommission wird auch verschiedene Szenarien berechnen. Es ist gut, dass sie auch plausible Varianten mittel- und langfristig zur Begutachtung berech­nen kann. Ich glaube, es ist gescheiter, diese Prognose nicht voreilig zu machen.

Die zweite Vorlage, um die es hier geht, betrifft die Verlängerung des Anspruches auf Waisenpensionen um sechs Monate bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Diese Verlängerung für die Kinder von verstorbenen Beamtinnen und Beamten wurde in der Coronakrise bereits für das ASVG beschlossen, und es ist daher nur richtig, dass wir hier gleiche Bedingungen für alle schaffen.

Es ist klar, dass sich in den letzten sechs Monaten die Zeitpläne für alle nach hinten verschoben haben und dass wir diese Krise nicht erfunden haben, sondern sie ge­meinsam bewältigen müssen. Mit Aussagen wie jenen von Kollegen Loacker und der NEOS haben wir, glaube ich, nicht wirklich zielführende Lösungen vor Augen. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen. – Zwischenruf der Abg. Meinl-Reisinger.)

13.43


Präsident Ing. Norbert Hofer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Alois Stöger. – Bitte schön, Herr Abgeordneter.


13.43.29

Abgeordneter Alois Stöger, diplômé (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Liebe Pensionistinnen und Pensionisten! (Der Redner stellt eine Tafel mit der Aufschrift „45 Jahre sind genug! PRO-GE. www.45-jahre-sind-genug.at“ auf das Rednerpult.)

Frau Abgeordnete Kirchbaumer hat schon ausgeführt, worum es geht. Wir als Sozial­demokratie werden beiden Gesetzentwürfen die Zustimmung erteilen. Warum? – Es ist sichergestellt, dass die Pensionen für alle Menschen ausbezahlt werden, und das schon seit mehr als 60 Jahren. In Österreich sind die Pensionen immer sicher gewesen, aber


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seit 1958 gibt es Menschen, die sagen: Das geht nicht, das geht nicht und die Pensionen sind unsicher! – Nein, wir wissen seit 60 Jahren: Die Pensionen schützen vor Armut im Alter, und die Pension ist jenes Instrument, mittels dessen wir einem Viertel der Men­schen in Österreich – das sind zweieinhalb Millionen Menschen – pünktlich Einkommen zur Verfügung stellen. Das ist ein entscheidender Stabilisator für die Kaufkraft und die Konjunktur, und das ist das Entscheidende.

Es zeigt sich auch, dass wir gerade im letzten Jahr im Bereich der ASVG-Pensionen 600 Millionen Euro weniger verbraucht haben, als eigentlich im Budget vorgesehen war, und daran erkennt man: Der wichtigste Schutz für die Sicherheit der Pensionen ist, den Menschen Arbeit zu geben, in Arbeitsplätze zu investieren und auch eine Politik der Arbeitsplatzsicherung zu machen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mir ist es noch wichtig, darauf hinzuweisen, dass gerade in der letzten Sitzung der Alterssicherungskommission Fragen diskutiert worden sind wie: Können wir uns die Pensionen leisten? Können wir Menschen, die 45 Jahre gearbeitet haben, auch das Recht geben, abschlagsfrei in Pension gehen zu können? – Wir können das, wir haben das gerade im ASVG gezeigt. Jemand, der 45 Jahre Beiträge eingezahlt hat, soll endlich ohne Abschläge in Pension gehen können. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich sage das auch ganz bewusst und ganz deutlich, weil ich, auch was die Alters­siche­rungskommission angeht, leider feststellen muss, dass die Hälfte der Personen, die dort ein Stimmrecht haben, nicht dem ASVG unterliegen, sondern entweder Beamte sind oder Sonderpensionen haben, und mir wäre es wichtig, dass gerade jene Menschen, die im ASVG sind, die die Pension nach dem ASVG beziehen, das auch selber mitgestalten können. 45 Jahre sind genug! (Beifall bei der SPÖ.)

13.46


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Mag. Markus Koza. – Bitte schön, Herr Abgeordneter. (Rufe bei der ÖVP – in Richtung des sich zu seinem Sitzplatz begebenden Abg. Stöger –: Und das Schild da? Tu das Schild da noch weg! Das Schild hat er vergessen! – Abg. Belakowitsch: Das ist ein gutes Schild! – Abg. Vogl: Das ist ein gutes Schild, das ist ein Schutzschild! – Ruf bei der ÖVP: Der ist schon ein bissel vergesslich, der Kollege Stöger! – Abg. Koza entfernt die Tafel vom Rednerpult. – Zwischenruf bei der ÖVP.)


13.46.32

Abgeordneter Mag. Markus Koza (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Herren Bundesminister! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte ZuseherInnen zu Hause! Bevor da viel hineingeheimnisst und behauptet wird, Rudi Anschober, der Herr Bundesminister, würde irgendwie Termine verschieben und ständig verschieben und verschieben, dass es eine Freude ist, weil er sich nicht traut, irgendwelche klaren Zahlen zu nennen, lüften wir das Geheimnis rund um die Alterssicherungskommission und die Terminverschiebung.

Das ist nämlich gar nicht wirklich etwas Besonderes, denn das ist eigentlich etwas, das ja nicht nur Österreich betrifft, sondern andere Länder auch. Was ist der Punkt? – Der Punkt ist: Die Alterssicherungskommission macht immer wieder Langzeitprognosen und Langzeitgutachten, die bis ins Jahr 2060 hineinwirken sollen. Auf Basis dieser Langzeit­prognosen und Langzeitgutachten wird der Finanzierungsbedarf für das Pensions­sys­tem in der Zukunft festgestellt, und daraus kann die Politik unter Umständen Schlüsse ziehen, wo denn ein dringender Handlungsbedarf bestehen würde.

Derartige Prognosen sind auf der einen Seite ohnehin schon relativ unsicher, weil sie etwas auf 40 Jahre prognostizieren. Auf der anderen Seite machen diese Prognosen vor


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allem auch dann einen Sinn, wenn die Zahlen, die dafür verwendet werden, einiger­maßen valide, abgesichert und aussagekräftig sind.

Würde nun beispielsweise – wie offensichtlich von manchen durchaus erwünscht – die Alterssicherungskommission auf Basis der Daten und der Prognosen der Wirtschafts­forschungsinstitute eine entsprechende Prognose oder Projektion machen, dann würden dafür die Daten vom Februar herangezogen, weil die Wirtschaftsforschungsinstitute keine anderen Daten haben. Das waren allerdings die Daten vor Corona. Das heißt, in Wirklichkeit wären die Coronaeffekte gar nicht eingepreist.

Was passiert darum? – Auf Wunsch der Alterssicherungskommission – sie möchte eine möglichst aussagekräftige Prognose mit möglichst aussagekräftigen Zahlen, Daten und Fakten machen – verschiebt man halt die Möglichkeit, diese Prognose zu machen, weil dann, wenn die Herbstprognose der Wirtschaftsforschungsinstitute da ist, unter Um­ständen Zahlen vorliegen, die aussagekräftiger sind.

Warum ist es weiters sinnvoll, wenn das verschoben wird? – Weil nämlich die Langfrist­projektionen der Alterssicherungskommission auch ihren Niederschlag im Ageing Report der EU-Kommission finden, das heißt dort miteingepreist werden, und die Daten darum einigermaßen aussagekräftig sein sollten. Interessanterweise wird dieser Ageing Report vermutlich auch um ein Jahr verschoben – damit hat Herr Minister Anschober nichts zu tun. Da wird nicht angeschobert, da wird nichts verschoben, da wird nichts manipuliert, sondern das ergibt sich ganz einfach aus der Tatsache, dass auch in anderen euro­päischen Ländern Corona war und entsprechend auch dort die Zahlen, Fakten und Prognosen auf möglichst validen und aussagekräftigen Daten erstellt werden sollen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Das heißt, wir geheimnissen nichts hinein, wir halten nichts irgendwo verdeckt, wir ver­schieben nichts aus lauter Jux und Tollerei, sondern es ist einfach so und es ist auch ein Wunsch der Alterssicherungskommission: Die Zahlen, Daten und Fakten sollten mög­lichst gut sein! – Danke. (Heiterkeit und Beifall bei Grünen und ÖVP.)

13.49


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Mag. Romana Deckenbacher. – Bitte, Frau Abgeordnete.


13.50.05

Abgeordnete Mag. Romana Deckenbacher (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zu­seher! Einen Elternteil zu verlieren ist für jedes Kind wahrscheinlich unfassbar schmerz­haft, und zwar völlig unabhängig davon, welchen Beruf der oder die Verstorbene aus­geübt hat.

Was meine ich damit? – Im letzten Arbeits- und Sozialausschuss wurde der Novelle zum Pensionsgesetz und zum Bundesbahn-Pensionsgesetz einstimmig zugestimmt, und durch diese Gesetzesänderung wird sichergestellt, dass ein verlängerter Anspruch auf Waisenpension über das 27. Lebensjahr hinaus auch für Kinder von Beamtinnen und Beamten bestehen soll; das betrifft Kinder von Beamtinnen und Beamten des Bundes, der Post und Telekom, der ÖBB und von Landeslehrerinnen und Landeslehrern. Diese Covid-19-bedingte Verlängerung des Bezugs von Waisenpensionen wurde nämlich für Versicherte nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz bereits im 9. COVID-19-Gesetz im Mai beschlossen.

Durch diese Novellierung soll eine Ungleichbehandlung von Waisenkindern ganz klar beseitigt werden. Alle, die die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen, haben bis längs­tens 31. Dezember 2020 Anspruch auf Unterstützung.


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Zusammenfassend möchte ich noch sagen, dass alle Kinder über 18, die sich in Aus­bildung befinden, bis zum 27. Lebensjahr weitere sechs Monate Anspruch auf eine Waisenpension haben.

Ich möchte allen Abgeordneten des Hohen Hauses danken, die heute ihre Zustimmung für diese wichtige und richtige Gesetzesänderung geben, denn kein Kind soll neben dem persönlichen und menschlichen Verlust auch noch einen finanziellen Verlust erleiden. Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

13.52


Präsident Ing. Norbert Hofer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Bettina Zopf. – Bitte, Frau Abgeordnete.


13.52.25

Abgeordnete Bettina Zopf (ÖVP): Herr Präsident! Geschätzter Herr Vizekanzler! Ge­schätzter Herr Minister! Liebes Hohes Haus! Liebe Zuseherinnen und Zuseher zu Hause! Wir haben heute schon einiges hinsichtlich des Pensionsgesetzes debattiert und waren uns im bäuerlichen Bereich nicht einig. Umso mehr freut es mich, dass wir bei den Beamtinnen und Beamten eine Gleichstellung zusammenbringen, also Gleiches gleich behandeln. Gemeinsam an einem Strang zu ziehen ist ein gutes Zeichen für die Bevölkerung, und Gleiches gleich zu behandeln ist auch eine wichtige Sache.

In diesem Sinne freue ich mich, dass die bäuerlichen Pensionen trotzdem auch eine gewisse Gleichstellung erfahren haben und darf jetzt dem Hohen Haus nach unserer kurzen Unterbrechung noch einen schönen Nachmittag wünschen. Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

13.53


Präsident Ing. Norbert Hofer: Vorerst letzter Redner in dieser Debatte ist Herr Abge­ordneter Peter Wurm. – Bitte, Herr Abgeordneter.


13.53.30

Abgeordneter Peter Wurm (FPÖ): Herr Präsident! Geschätzter Herr Minister! Herr Vizekanzler! Zum Thema Pensionen vielleicht zwei Dinge, die man in aller Kürze einmal klarstellen sollte: Wir – in Zusammenarbeit mit der SPÖ – waren es, die sichergestellt haben, dass man nach 45 Jahren Arbeit abschlagsfrei mit 62 in Pension gehen kann, und diese Regelung ist sehr stark in Gefahr. Jeder, der im Ausschuss die letzten paar Male dabei war, weiß, dass die ÖVP offensichtlich vorhat, diese Regelung wieder abzu­schaffen, und es kommt kein Widerstand von den Grünen. Im Gegenteil: Wir haben ja – auch gemeinsam mit der SPÖ – den Antrag eingebracht, auch die Bundesheerzeit noch anzurechnen, da das für viele ein Thema ist.

Ich darf noch einmal klarstellen: Wir stehen auf dem Standpunkt, dass es jemandem, der 45 Jahre Leistung erbracht hat, in unserem Land Steuern gezahlt hat, Abgaben gezahlt hat, auch zusteht, nach 45 Jahren abschlagsfrei in Pension zu gehen!

Ich kann auch noch einmal kurz darauf hinweisen, da ja starker Widerstand gekommen ist: Wenn man das umdrehen würde und es dürfte in Österreich nur noch der in Pension gehen, der 45 Jahre gearbeitet hat, dann wäre ich gespannt, wie die Reaktion von vielen wäre. Diese Regelung aufrechtzuerhalten ist eine absolute Notwendigkeit, und dafür werden wir Freiheitliche intensiv kämpfen.

Der zweite Punkt – und den kann ich Ihnen nicht ersparen – sind die Luxuspensionen. Da sind die Grünen doppelt gefordert, denn sie waren ja damals auch Beihilfetäter bei der Verhinderung der Abschaffung der Luxuspensionen, die ja mithilfe der Grünen im Verfassungsrang mehr oder weniger fixiert wurde. Jetzt sitzen die Grünen gemeinsam


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mit der ÖVP in der Regierung und man hört zu diesen Luxuspensionen nichts mehr. Das ist unbedingt anzugehen, denn es ist nicht einzusehen, warum speziell in dieser Krisen­zeit Pensionisten in Österreich – Luxuspensionisten! – Pensionen in Höhe von 10 000, 15 000 oder 17 000 Euro im Monat kassieren. Das muss raschest abgeschafft werden! – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

13.55


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Ist seitens der Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Wie vereinbart verlege ich die Abstimmungen an den Schluss der Abstimmungen über die Vorlagen des Ausschusses für Arbeit und Soziales.

13.56.09Abstimmung über die Tagesordnungspunkte 1 bis 14


Präsident Ing. Norbert Hofer: Wir kommen nun zu den verlegten Abstimmungen über die Berichte des Ausschusses für Arbeit und Soziales, die ich über jeden Tages­ordnungspunkt getrennt vornehme.

Ich frage die Klubs, ob eine kurze Sitzungsunterbrechung notwendig ist. Das ist nicht der Fall.

Wir kommen nunmehr zunächst zur Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen zu TOP 9, den Bericht 326 der Beilagen an den Ausschuss für Arbeit und Soziales rückzuverweisen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die diesem Antrag zustimmen, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir kommen daher zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 1: Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitslosenversicherungsgesetz, das Arbeits­markt­ser­vice­gesetz, das Familienlastenausgleichsgesetz und das Arbeitsmarktförderungsgesetz geändert werden, in 285 der Beilagen.

Hiezu liegt ein Zusatz- beziehungsweise Abänderungsantrag der Abgeordneten Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen vor.

Weiters liegt ein Verlangen auf getrennte Abstimmung des Abgeordneten Bernhard vor.

Ich werde daher zunächst über die vom erwähnten Zusatz- beziehungsweise Abände­rungsantrag sowie vom Verlangen auf getrennte Abstimmung betroffenen Teile – der Systematik des Gesetzentwurfes folgend – und schließlich über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile des Gesetzentwurfes abstimmen lassen.

Die Abgeordneten Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen haben einen Zusatz- bezie­hungsweise Abänderungsantrag betreffend Änderung Art. 1 Z 1 und 3, Einfügung einer neuen Ziffer 3a in Artikel 1 sowie Änderung Art. 3 Z 1 eingebracht.

Wer dafür ist, den bitte ich um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abge­lehnt.

Wir kommen sogleich zur Abstimmung über diese Teile des Gesetzentwurfes in der Fassung der Regierungsvorlage.

Wer dafür ist, den bitte ich um ein Zeichen. – Das ist die Mehrheit. Der Antrag ist ange­nommen.

Wir gelangen nun zur getrennten Abstimmung über Art. 3 Z 3 in der Fassung der Regie­rungsvorlage.


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Ich ersuche jene Mitglieder des Hohen Hauses, die hiefür sind, um ein diesbezügliches Zeichen. – Das ist die Mehrheit, der Antrag ist angenommen.

Die Abgeordneten Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen haben einen Abänderungs­antrag betreffend Streichung des Artikels 4 eingebracht.

Wer dem seine Zustimmung erteilt, den bitte ich um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit. Dieser Antrag ist abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über diese Teile des Gesetzentwurfes in der Fassung der Regierungsvorlage.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die sich dafür einsetzen, um ein Zeichen. – Das ist die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen.

Schließlich kommen wir zur Abstimmung über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile des Gesetzentwurfes samt Titel und Eingang in der Fassung der Regierungs­vor­lage.

Ich bitte jene Damen und Herren, die hiefür ihre Zustimmung erteilen, um ein dies­bezügliches Zeichen. – Das ist die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen.

Wir kommen sogleich zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die auch in dritter Lesung für den vorliegenden Ge­setzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Mehrheit. Der Ge­setzentwurf ist somit auch in dritter Lesung angenommen.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeord­neten Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Erhöhung der Nettoersatzrate beim Bezug des Arbeitslosengeldes (COVID-19-Maßnahme)“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend „zusätzliches Personal beim AMS“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Edith Mühlberghuber, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Verdoppelung der Familien­beihilfe in Monaten mit coronabedingter Schulschließung“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Michael Bernhard, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Treffsichere Corona Familien­härtefonds“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir gelangen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 2: Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz geändert wird, in 320 der Beilagen.

Hiezu haben die Abgeordneten Wöginger, Mag. Koza, Kolleginnen und Kollegen einen Zusatz- beziehungsweise Abänderungsantrag eingebracht.


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Ich werde daher zunächst über den erwähnten Zusatz- beziehungsweise Abände­rungsantrag und schließlich über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile des Gesetzentwurfes abstimmen lassen.

Die Abgeordneten Wöginger, Mag. Koza, Kolleginnen und Kollegen haben einen Zusatz- beziehungsweise Abänderungsantrag betreffend Einfügung einer neuen Ziffer 1 in § 18b sowie die sich daraus ergebende Änderung der nachfolgenden Ziffernbezeichnungen und Änderungen in Ziffer 3 eingebracht.

Wer dem seine Zustimmung erteilt, den ersuche ich um ein bejahendes Zeichen. – Das ist einstimmig angenommen.

Schließlich kommen wir zur Abstimmung über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile des Gesetzentwurfes samt Titel und Eingang in der Fassung des Ausschuss­berichtes.

Ich bitte jene Damen und Herren, die hiefür ihre Zustimmung erteilen, um ein bejahendes Zeichen. – Das ist mehrheitlich angenommen.

Wir kommen zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die auch in dritter Lesung für den vorliegenden Ge­setzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Auch das ist die Mehrheit. Der Gesetzentwurf ist somit auch in dritter Lesung angenommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 3: Antrag des Ausschusses für Arbeit und Soziales, seinen Bericht 321 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die hiezu ihre Zustimmung geben, um ein ent­sprechendes Zeichen. – Das ist die Mehrheit, angenommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 4: Antrag des Ausschusses für Arbeit und Soziales, seinen Bericht 322 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dazu ihre Zustimmung geben, um ein ent­sprechendes Zeichen. – Das ist mehrheitlich angenommen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 5: Antrag des Aus­schusses für Arbeit und Soziales, seinen Bericht 323 der Beilagen zur Kenntnis zu neh­men.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dazu ihre Zustimmung geben, um ein ent­sprechendes Zeichen. – Das ist mehrheitlich angenommen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 6: Antrag des Aus­schusses für Arbeit und Soziales, seinen Bericht 324 der Beilagen zur Kenntnis zu neh­men.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dazu ihre Zustimmung geben, um ein ent­sprechendes Zeichen. – Das ist mehrheitlich angenommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 7: Antrag des Ausschusses für Arbeit und Soziales, seinen Bericht 325 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Kollegen und Kolleginnen, die dazu ihre Zustimmung geben, um ein Zeichen. – Auch das ist mehrheitlich angenommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 8: Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz geändert wird, in 261 der Beilagen.

Hiezu haben die Abgeordneten Wöginger, Muchitsch, Mag. Koza, Kolleginnen und Kollegen einen Zusatz- beziehungsweise Abänderungsantrag eingebracht.


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Ich werde daher zunächst über die vom erwähnten Zusatz- beziehungsweise Abän­derungsantrag betroffenen Teile und schließlich über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile des Gesetzentwurfes abstimmen lassen.

Die Abgeordneten Wöginger, Muchitsch, Mag. Koza, Kolleginnen und Kollegen haben einen Zusatz- beziehungsweise Abänderungsantrag betreffend Einfügung einer neuen Ziffer 7 sowie die sich daraus ergebende Änderung der nachfolgenden Ziffern­bezeich­nung eingebracht.

Wer dafür ist, den bitte ich um ein bejahendes Zeichen. – Das ist einstimmig ange­nommen.

Schließlich kommen wir zur Abstimmung über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile des Gesetzentwurfes samt Titel und Eingang in der Fassung des Ausschuss­berichtes.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dazu ihre Zustimmung erteilen, um ein bejahendes Zeichen. – Auch das ist einstimmig angenommen.

Wir kommen zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Kolleginnen und Kollegen, die auch in dritter Lesung für den vorliegenden Gesetzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist einstimmig. Der Gesetzentwurf ist somit auch in dritter Lesung angenommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 9: Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz und das Bauern-Sozialversicherungsgesetz geändert werden, samt Titel und Eingang in 284 der Beilagen.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die für diesen Gesetzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist mehrheitlich angenommen.

Wir kommen zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Gesetzentwurf auch in dritter Lesung ihre Zustimmung erteilen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Auch das ist die Mehrheit. Der Gesetzentwurf ist somit auch in dritter Lesung angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Peter Schmiedlechner, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Ersatzlose Streichung des fiktiven Ausgedinges“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir gelangen nun zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 10: Antrag des Aus­schusses für Arbeit und Soziales, seinen Bericht 262 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dazu ihre Zustimmung geben, um ein ent­sprechendes Zeichen. – Das ist die Mehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 11: Antrag des Aus­schusses für Arbeit und Soziales, seinen Bericht 263 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Kolleginnen und Kollegen, die dazu ihre Zustimmung geben, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist mehrheitlich angenommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 12: Antrag des Ausschusses für Arbeit und Soziales, seinen Bericht 264 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 116

Ich bitte jene Damen und Herren, die dazu ihre Zustimmung geben, um ein ent­sprechendes Zeichen. – Auch das ist mehrheitlich angenommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Fiona Fiedler, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Abrechnungskatalog für die Primärversorgungspflege mit der Sozialversicherung“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir gelangen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 13: Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Alterssicherungskommissions-Gesetz geändert wird, samt Titel und Eingang in 265 der Beilagen.

Ich ersuche jene Mandatare, die für diesen Gesetzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist mehrheitlich angenommen.

Wir kommen zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Gesetzentwurf auch in dritter Lesung ihre Zustimmung erteilen, um ein Zeichen. – Das die Mehrheit und somit auch in dritter Lesung angenommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 14: Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Pensionsgesetz und das Bundesbahn-Pensionsgesetz geändert werden, samt Titel und Eingang in 266 der Beilagen.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die für diesen Gesetzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist einstimmig angenommen.

Wir kommen zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Gesetzentwurf auch in dritter Lesung ihre Zustimmung erteilen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Das ist einstim­mig. Der Gesetzentwurf ist somit auch in dritter Lesung angenommen.

14.07.2615. Punkt

Bericht des Gesundheitsausschusses über den Antrag 705/A(E) der Abgeord­ne­ten Ralph Schallmeiner, Gabriela Schwarz, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ärztegesetz 1998 geändert wird (Ärztegesetz-Novelle 2020) (292 d.B.)

16. Punkt

Bericht des Gesundheitsausschusses über den Antrag 706/A der Abgeordneten Ralph Schallmeiner, Gabriela Schwarz, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ärztegesetz 1998 geändert wird (Ärztegesetz-Novelle 2020) (293 d.B.)


Präsident Ing. Norbert Hofer: Wir gelangen nun zu den Punkten 15 und 16 der Tages­ordnung, über welche die Debatten unter einem durchgeführt werden.

Auf eine mündliche Berichterstattung wird auch da verzichtet.

Zu Wort gelangt nun Herr Abgeordneter Ralph Schallmeiner. – Bitte schön, Herr Abge­ordneter.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 117

14.08.00

Abgeordneter Ralph Schallmeiner (Grüne): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren zu Hause vor den Bildschirmen! Worum geht es bei den Tagesordnungspunkten 15 und 16? – Es geht um die sogenannte Ärzteliste. Für die Damen und Herren zu Hause vor den Bild­schirmen, die das vielleicht nicht wissen: In Österreich darf jemand nur dann als Arzt ordinieren, wenn er auf dieser Liste steht. Diese Liste wurde seit 2003 von der Ärzte­kammer selber geführt, die hat das wiederum an die Landesärztekammern übergeben. Letztes Jahr hat der VfGH festgestellt, dass diese Vorgehensweise, so, wie sie seit 2003 Bestand hatte, eben nicht mehr rechtens ist und das repariert werden soll. Wir reparieren mit diesem Antrag diesen Zustand, wie es der VfGH von uns eingefordert hat.

Dem sind durchaus hitzige Debatten mit allen Stakeholdern vorausgegangen, wie es eben bei so einer Diskussion, bei so einer Geschichte immer ist. Es gibt da verschiedene Ansichten. Es gab diejenigen, die gesagt haben: Na ja, schauts, dass wir das Ganze wieder so beibehalten, wie es war, es hat ja funktioniert! Es gibt natürlich diejenigen, die eine komplette Änderung haben wollten. Am Ende des Tages gibt es jetzt einfach einmal diese Änderung, dass wir sagen, wir setzen das Urteil eins zu eins so um, wie es uns vom VfGH mitgegeben wurde.

Am Ende des Tages kommt jetzt eine neue Regelung, die nichts anderes besagt als: Der Bundesminister ist wieder alleine für die Führung der Ärzteliste verantwortlich. Er kann sie zwar an die Bundesärztekammer übergeben, aber das war’s dann auch. Es gibt also keine Weitergabe dieser Kompetenzen. Ganz wichtig für uns Grüne: Es kommt in dem Zusammenhang ein Transparenzpaket. Das heißt, die Ärzteliste wird in Zukunft transparent gestaltet, das Ganze kommt auf eine Homepage.

Jeder Mann, jede Frau kann zukünftig auch einsehen, wer in Österreich als Arzt, als Ärztin zugelassen ist, beziehungsweise würde ich mir natürlich auch wünschen, dass es auch derartig transparent wird, wenn jemand von der Liste genommen wird und ebenso, warum das gemacht wird. Das ist dann aber eine Frage der Ausformung beziehungs­weise eine Frage dessen, wie wir das Ganze gestalten können.

Wir beschließen all das heute hoffentlich einstimmig, jedoch hat es auch sozusagen nur eine Lebensdauer bis 30.6.2021; dann werden wir nochmals neu darüber abstimmen müssen. Warum? – Weil es einfach noch eine Reihe von Fragen gibt, die es bis dahin zu klären gilt, insbesondere dahin gehend, was wir mit diesen wirklich wichtigen Daten, die die Ärzteliste uns gibt, tun, die uns ja auch ermöglichen, zukünftig regional besser Schwerpunkte zu setzen, vor allem in der Ärzteausbildung, aber natürlich auch in der Planung von Stellen – dass man eben auch im Regionalbereich, im Regional­manage­ment schaut: Wo fehlen vielleicht Posten? Wo braucht man zusätzliche Fachärztinnen und Fachärzte? – Solche Dinge.

Das gehört einfach noch mit allen diskutiert. Es sind natürlich auch die Standes­vertre­terinnen und -vertreter der Ärztekammer aufgefordert, sich wieder dementsprechend konstruktiv miteinzubringen, genauso wie alle anderen hier im Parlament beziehungs­weise alle Stakeholderinnen und Stakeholder. Ich glaube, wenn wir uns da alle zusam­mensetzen und das Ganze wieder ernsthaft angehen, konstruktiv miteinander reden, dann werden wir nächstes Jahr auch eine entsprechend positive Situation vorfinden, die wir dann hoffentlich wiederum einstimmig beschließen können.

Ein letzter Satz noch bevor ich aufhöre: Ich möchte mich abschließend meiner Kollegin Eva Blimlinger anschließen, die ja in letzter Zeit alle ihre Reden immer mit der Forderung nach der Umbenennung der Windisch-Kaserne in Richard-Wadani-Kaserne beendet. Diese Forderung ist hundertprozentig richtig, der schließe ich mich natürlich an und hoffe, dass wir es demnächst auch einmal schaffen, dass Richard Wadani in Österreich


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 118

entsprechend geehrt wird. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

14.11


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Philip Kucher. – Bitte, Herr Abgeordneter.


14.11.55

Abgeordneter Philip Kucher (SPÖ): Herr Präsident! Geschätzter Herr Gesundheits­minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Schallmeiner, ich kann deine Ausführungen zum Ärztegesetz nur begrüßen. Wir werden dem jedenfalls zustimmen, und ich bin dankbar dafür, weil es uns Zeit gibt, jetzt noch ein Thema miteinander zu diskutieren, von dem ich weiß, dass es der ÖVP sehr am Herzen liegt, und es wäre schade, wenn alle in die Sommerpause gehen und dieses ungustiöse Thema weiter im Raum steht.

Da geht es um 50 000 Euro, die die ÖVP von Großspendern aus dem Bereich der Privatkrankenanstalten erhalten hat. Wir haben ja lange darüber geredet: Warum wer­den der ÖVP Tranchen von zweimal 25 000 Euro von Großspendern gegeben, bei denen es um Privatmedizin geht und darum, diese zu befeuern? – Leider war es nicht möglich, diese Frage im Gesundheitsausschuss aufzuklären, aber ich glaube, dass wir alle ein Interesse daran haben, diese Frage miteinander zu lösen.

Es gibt da ungustiöse E-Mails, SMS, die geschrieben werden. Ich weiß gar nicht, ob Sebastian Kurz da vorkommt oder nicht; der Name Löger fällt, der Name Blümel fällt. Ich glaube, das gehört miteinander geklärt. Frau Ministerin Edtstadler war heute da und hat groß von Transparenz gesprochen, und wenn man von Transparenz redet, wäre es ja auch wichtig, zu erfahren: Warum werden der ÖVP aus dem Bereich der Privatmedizin 50 000 Euro gespendet? (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf bei der ÖVP.) Was ist der Grund? Wie ist das Ganze sozusagen zustande gekommen? Das müsste man doch miteinander in Erfahrung bringen können.

Das erklärt vielleicht auch, dass Sebastian Kurz zwar im Wahlkampf versprochen hat: gleich gute Leistungen für alle Menschen in Österreich. Dieser Satz ist dann im Regie­rungs­programm anscheinend herausgestrichen worden. Wir finden im Regierungs­pro­gramm im Bereich der Gesundheitspolitik den Satz: gleich gute Leistungen für alle Menschen, nicht mehr enthalten. Ich sage ganz offen: Mir liegt der ländliche Raum auch sehr am Herzen, es darf keinen Unterschied machen, ob du in einer Stadt oder am Land lebst oder welchen Beruf du hast. Alle Menschen in Österreich verdienen die bestmögliche Gesundheitsversorgung. (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn wir alle miteinander etwas aus der Coronakrise gelernt haben, dann ist es das, dass ein starkes öffentliches Gesundheitssystem in dieser Krise ein Schutzschirm für uns alle ist. Im Vergleich zu Ländern, in denen man jahrelang diese neoliberale Politik befeuert hat, in denen man gesagt hat: Kürzen, Kaputtsparen! – ob es Italien war, ob es die USA waren oder England –, haben wir gemerkt, dass Österreich mit diesem starken Gesundheitssystem wirklich besser durch die Krise gekommen ist. Deswegen wäre es wichtig, jetzt auch Geld in die Hand zu nehmen und miteinander in das Gesundheits­system zu investieren.

Wir wissen zum Beispiel – und da kommt wieder der Name Blümel vor –, dass wahr­scheinlich Hunderte Millionen Euro im Gesundheitsbereich für die Gesundheitskasse fehlen. Die Zertrümmerung und die Zerschlagung der Gebietskrankenkassen hat ja dazu geführt, dass es ohnehin über 1 Milliarde Euro Abgang geben wird, aber wir brauchen jetzt das Geld für das Gesundheitssystem, denn wenn das Geld nicht vorhanden ist, dann wird es Leistungskürzungen geben, dann wird es unter Umständen Selbstbehalte


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 119

geben und dann reden wir von Einsparungen bei der Ärzteschaft, dann reden wir über Einsparungen im Pflegebereich. Das darf nicht passieren! Dann reden wir unter Um­ständen auch über Krankenhausstandorte, die wir jetzt dringend gebraucht haben.

Sie wissen, Herr Bundesminister, die Krankenanstaltenfinanzierung hängt natürlich ur­sächlich auch damit zusammen. Deswegen wäre es wichtig gewesen, dass man vor der Sommerpause nicht nur sagt, warum diese 50 000 Euro an die ÖVP gespendet wurden und ob es da Gegenleistungen gibt, sondern dass man zusätzlich auch schaut, dass man das starke öffentliche Gesundheitssystem ausfinanziert. Ich glaube, das wäre noch wichtig. Vielleicht können wir den Tag morgen noch nützen, damit wir da gemeinsam etwas auf die Reise bringen.

Schauen wir miteinander, dass wir dieses starke öffentliche Gesundheitssystem in Zu­kunft sicherstellen und ausbauen, und ich darf die ÖVP bitten – und ich glaube, das ist für uns alle spannend –, aufzuklären, warum sie 50 000 Euro von einem Großspender aus dem Bereich der Privatmedizin erhalten hat! – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

14.15


Präsident Ing. Norbert Hofer: Herr Abgeordneter Mag. Gerhard Kaniak gelangt zu Wort. – Bitte, Herr Abgeordneter.


14.15.45

Abgeordneter Mag. Gerhard Kaniak (FPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bun­desminister! Sehr geehrte Abgeordnetenkollegen! Sehr geehrte Zuseher! Bei diesen zwei Tagesordnungspunkten handelt es sich um eine verfassungsrechtlich notwendige Reparatur des Ärztegesetzes, die wir diskutieren. Im Wesentlichen geht es darum, wer wie die sogenannte Ärzteliste führt und wer auf die Daten in dieser Ärzteliste Zugriff bekommt. Das ist gar nicht so unwichtig, denn diese sogenannte Ärzteliste bildet auch eine wesentliche Datenbasis für die zukünftige Planung, Steuerung und Finanzierung des Gesundheitswesens vor allem auch auf Basis der Landesgesundheitsfonds.

So gesehen ist es ein notwendiger Schritt, den wir auch unterstützen, allerdings ist es auch ein Reformschritt, der aus unserer Sicht überfällig, aber nicht weitreichend genug ist. Überhaupt stelle ich mir die Frage, warum wir diese Gelegenheit, bei der das Ärzte­gesetz zumindest in einem Punkt geändert wird, nicht gleich genutzt haben, um wesent­liche andere Änderungen im Bereich der niedergelassenen Versorgung auch neu zu regeln. Da brauchen wir das Rad nicht neu zu erfinden, viele Vorschläge haben wir vonseiten der Freiheitlichen Partei auch schon in das Regierungsprogramm 2017 mitein­gebracht.

Ich finde es zwar sehr löblich, dass jetzt angedacht ist, in den nächsten Jahren einen neuen Regionalen Strukturplan Gesundheit anhand dieser neuen Datenbasis aufzu­setzen, nur, sehr geehrter Herr Bundesminister, was bringt uns der beste Regionale Strukturplan Gesundheit, wenn wir ihn schlicht und ergreifend nicht umsetzen können, weil es zum Beispiel einfach nicht ausreichend Ärzte im niedergelassenen Bereich gibt oder weil die Stellen, die in diesem Plan vorgesehen sind, für Ärzte einfach nicht attraktiv genug sind?

Deshalb werde ich einen Entschließungsantrag einbringen, in dem wir die Einführung eines Facharztes für Allgemeinmedizin fordern, der die Arbeit im niedergelassenen Bereich aufwertet und auch die finanzielle Situation der Allgemeinmediziner verbessern soll, der eine Forderung nach mehr österreichischen Medizinstudenten beinhaltet und danach, diese Medizinstudenten beim Studium auch zu unterstützen und nach dem Studium in eine versorgungswirksame Tätigkeit in Österreich zu bringen. Weiters sieht dieser Antrag zusätzliche Ausbildungsplätze für Mediziner, die Förderung von Lehr­praxen und auch eine Liberalisierung des Eintritts in das Kassensystem für Mediziner


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 120

vor – das heißt, es soll Ärzten leichter gemacht werden, zusätzlich auch einen Kassen­vertrag bekommen können.

Deshalb stelle ich folgenden Entschließungsantrag:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Gerhard Kaniak, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Gesund­heitspolitische Initiativen für die Stärkung des niedergelassenen Bereichs“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz wird auf­ge­fordert dafür Sorge zu tragen, dass dem Nationalrat ein gesetzliches Maßnahmen­paket zugeleitet wird, das folgende Punkte umfasst:

- Einführung des Facharztes für Allgemeinmedizin

- Mehr Medizin-Studienplätzen für Österreicher

- Lebensunterhaltsstipendium für Mediziner in Ausbildung

- Ausreichende Ausbildungsplätze für Mediziner

- Förderung für Lehrpraxen für Allgemeinmediziner und Fachärzte

- Liberaler Zugang zu Kassenverträgen“

*****

Es freut mich sehr, dass in diesem Zusammenhang schon erste positive Signale von­seiten der ÖVP gekommen sind, dass dieser Schwerpunkt, den wir auch 2017 schon gesetzt haben, in den nächsten Monaten gemeinsam umgesetzt werden soll.

Einen weiteren Änderungspunkt gibt es noch die Fachärzte betreffend, deshalb bringe ich einen weiteren Entschließungsantrag ein, in dem es darum geht, dass wir im Bereich der kostenlosen Zahnregulierung vor allem für Kinder bereits jetzt eine Qualitäts­forde­rung bei den Sozialversicherungen, bei den Krankenkassen haben, die einen Facharzt für Kieferorthopädie vorsieht, den es aber de facto von der Ausbildung und von der gesetzlichen Regelung her noch gar nicht gibt. Diese legistische Lücke soll folgender Entschließungsantrag beheben:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Gerhard Kaniak, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Fach­arztausbildung für Kieferorthopädie in Österreich“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, wird aufgefordert dafür Sorge zu tragen, dass dem Nationalrat auf der Grundlage der seit 2018 festgelegten Eckpunkte ein entsprechender Gesetzesentwurf zur Einführung einer staatlich geregelten und offiziell registrierten Ausbildung zur Fachärztin/zum Facharzt für Kieferorthopädie zugeleitet wird.“

*****

Herzlichen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

14.19


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 121

Die Anträge haben folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Gerhard Kaniak, Dr. Dagmar Belakowitsch, Peter Wurm

und weiterer Abgeordneter

betreffend Gesundheitspolitische Initiativen für die Stärkung des niedergelassenen Be­reichs

eingebracht im Zuge der Debatte zu Top 16.) Bericht des Gesundheitsausschusses über den Antrag 706/A der Abgeordneten Ralph Schallmeiner, Gabriela Schwarz, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ärztegesetz 1998 geändert wird (Ärztegesetz-Novelle 2020) (293 d.B.) in der 45. Sitzung des Nationalrats (XXVII GP.) am 8. Juli 2020.

Die seit Beginn des Jahres 2020 herrschende Coronavirus-Pandemie hat das heimische Gesundheitswesen und auch die österreichische Gesundheitspolitik in den letzten Monaten in hohem Maße beschäftigt und in Anspruch genommen. Dies führte dazu, dass sich eigentlich mit Antritt der neuen schwarz-grünen Bundesregierung im öster­reichischen Gesundheitswesen bereits ein sich laufend erhöhender Reformrückstau aufgebaut hat.

Davon ist insbesondere der niedergelassene Bereich in wachsendem Ausmaß betroffen. Dabei gäbe es eine ganze Reihe sachpolitisch vernünftig und notwendiger Maßnahmen, die als gesundheitspolitische Initiativen für die Stärkung des niedergelassenen Bereichs dringend notwendig sind:

•             Einführung des Facharztes für Allgemeinmedizin: Durch eine verbesserte Aus­bildung soll der Facharzt in der Allgemeinmedizin noch mehr als bisher als erste Anlaufstelle im Bereich der Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsversorgung qualifi­ziert werden. Dies muss auch mit einer entsprechenden Aufwertung in der Honorar­ordnung im Rahmen des Gesamtvertrags mit der Sozialversicherung Berücksichtigung finden. Als Facharzt für Allgemeinmedizin entlastet dieser den stationären Bereich und ist ein qualifizierter Kooperationspartner mit den anderen Facharztkollegen in den Spe­zial­disziplinen.

•             Mehr Medizin-Studienplätzen für Österreicher

Ziel ist, die Studienplätze im Bereich der Humanmedizin für Österreicher zu verdoppeln

•             Lebensunterhaltsstipendium für Mediziner in Ausbildung

Angedacht wird ein Stipendium für den Lebensunterhalt während des Studiums, das nicht zurückgezahlt werden muss, wenn der Absolvent danach in Österreich zumindest für 10 Jahre versorgungswirksam tätig ist. Da deshalb keine Nebenjobs notwendig sind, kann ein Stipendium auch für kürzere Studienzeiten sorgen. Außerdem kann das Inter­esse am Arztberuf und dadurch der Pool der Studienwerber größer werden, was sich positiv auf die Qualität auswirkt. Bei Abwanderung ins Ausland muss das Stipendium jedoch zurückgezahlt werden. Der Stipendiengeber muss nicht zwingend die Republik oder die Bundes-Gesundheitsagentur sein, auch die ÖGK bzw. Spitalsträger wären Varianten. In der Steiermark und in Wien gibt es Startförderungen. Im Burgenland Aus­bildungs-Unterstützung. In Deutschland gibt es Stipendien für das Studium, wenn sich die Jungmediziner verpflichten, eine Kassenstelle als Allgemeinmediziner zu über­neh­men.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 122

•             Ausreichende Ausbildungsplätze für Mediziner

Lehrpraxen und Basisausbildungsplätze dürfen kein Nadelöhr oder Grund für Abwan­derung sein. Sie sind regional zu beurteilen. Der Bedarf ist mit Weitblick zu erheben und anzupassen. Zusätzlich würde die Abgabe diverser Lehrinhalte der Ausbildung an Uni­versitäten oder an multimediale Wissensvermittlung die Ausbildung vereinfachen. Desig­nierte Landärzte sollen bei der Basisausbildung vorgereiht werden.

•             Förderung für Lehrpraxen für Allgemeinmediziner und Fachärzte: Nachhaltige Schaffung von Lehrpraxen, die es jungen Ärzten ermöglicht das Berufsbild und Berufsumfeld ihrer älteren Kollegen kennenzulernen.

•             Liberaler Zugang zu Kassenverträgen

Um Wahlärzten das Kassensystem wieder attraktiv zu machen, sollen die starren Grenzen der Kassenverträge geöffnet werden. Beispielsweise soll eine gemischte Variante möglich sein (z.B. Wahlarzt mit halben Kassenvertrag). Durch diese attraktive Aufwertung behalten Wahlärzte die wirtschaftlichen und therapeutischen Freiräume, die ungern aufgegeben werden. Der Leistungskatalog bleibt für die Wahlärzte gleich, somit lassen sich die beiden Vorteile von Wahl- und Kassenarzt in einer Praxis vereinen. Die Kassenverträge sind im Zuge der Zusammenführung der Sozialversicherungen zu­kunfts­weisend und bundesweit einheitlich zu gestalten. Generell ist auch ein positives, neues Image für den Kassenarzt am Land notwendig.

Daher stellen die unterzeichnenden Abgeordneten folgenden

Entschließungsantrag

Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz wird aufgefordert dafür Sorge zu tragen, dass dem Nationalrat ein gesetzliches Maßnahmen­paket zugeleitet wird, das folgende Punkte umfasst:

•             Einführung des Facharztes für Allgemeinmedizin

•             Mehr Medizin-Studienplätzen für Österreicher

•             Lebensunterhaltsstipendium für Mediziner in Ausbildung

•             Ausreichende Ausbildungsplätze für Mediziner

•             Förderung für Lehrpraxen für Allgemeinmediziner und Fachärzte

•             Liberaler Zugang zu Kassenverträgen

*****

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Gerhard Kaniak, Dr. Dagmar Belakowitsch, Peter Wurm

und weiterer Abgeordneter

betreffend Facharztausbildung für Kieferorthopädie in Österreich

eingebracht im Zuge der Debatte zu Top 16.) Bericht des Gesundheitsausschusses über den Antrag 706/A der Abgeordneten Ralph Schallmeiner, Gabriela Schwarz, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ärztegesetz 1998 geändert wird (Ärztegesetz-Novelle 2020) (293 d.B.) in der 45. Sitzung des Nationalrats (XXVII GP.) am 8. Juli 2020.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 123

Eine entsprechende Einführung einer staatlich registrierten Ausbildung zum Facharzt für Kieferorthopädie ist seit vielen Jahren eine Forderung aus der Fachwelt des österreichi­schen Gesundheitswesens. Im Juni 2018, d.h. parallel zur Reform des österreichischen Sozialversicherungswesens und damit einem ersten Schritt einer Weiterentwicklung des österreichischen Gesundheitssystems wurde zwischen den österreichischen Medizini­schen Universitäten, der Zahnärztekammer und dem Verband Österreichischer Kiefer­orthopäden (VÖK) unter Einbindung des zuständigen Gesundheitsministeriums eine Einigung über die Einführung einer staatlich registrierten Ausbildung zum Fachzahnarzt für Kieferorthopädie erzielt.

Der Verband der Kieferorthopäden als Standesvertretung führt zur Notwendigkeit dieser Facharztausbildung aus:

Warum fordert der VÖK seit 1998 eine staatlich anerkannte und offiziell registrierte Ausbildung zum Fachzahnarzt/zur Fachzahnärztin für Kieferorthopädie in Österreich?

Historie und Begründung:

• Kieferorthopädie in Österreich „anno dazumal“

Abnehmbare Zahnspangen, lange Behandlungszeiten (3-5 Jahre), eingeschränkte therapeutische Möglichkeiten. Grundwissen wurde im Rahmen des damals 2- bzw. 3-jährigen Zahnmedizin-Studiums (nach dem Medizin-Studium) vermittelt. 1957 Aufnahme kieferorthopädischer Leistungen in den zahnärztlichen Kassenvertrag als Geldleistung: Zuschuss von Behandlungen mit abnehmbaren Apparaturen.

• 70er Jahre: Einzug der festsitzenden Techniken (Brackets) auch in Österreich

Komplexe Therapiemethode im Sinne des medizinischen Fortschrittes, rasante Weiter­entwicklung des Fachgebietes (Diagnostik, Therapie, Nutzen und Risiken). Erforder­liches Wissen (Theorie und Praxis) konnte nicht mehr im Rahmen des Zahnmedizin-Studiums vermittelt werden. Daher kam es zum

• Ausbau der klinischen Abteilungen für Kieferorthopädie an den drei Universitätskliniken Graz, Innsbruck und Wien

entsprechend dem internationalen Standard dieses Spezialfaches (international üblich: 3-jährige universitäre Vollzeitausbildung nach dem Studium der Zahnheilkunde). Gleich­zeitig erfolgten durch die Universitäten intensive

• Bestrebungen zur Einführung des Fachzahnarztes für Kieferorthopädie,

da diese Ausbildung bereits damals seit vielen Jahrzehnten nach dem international üblichen 5-jährigen Studium der Zahnheilkunde europa- und weltweit üblich war. Die Bestrebungen der Universitäten wurden jedoch von Anfang an von der zuständigen Kammer (damals noch Ärztekammer) behindert. Die Universitäten ermutigten daraufhin die kieferorthopädisch tätigen Zahnärzten, sich für ihr Spezialfach zu engagieren. Dies führte

• 1997 zur Gründung des Verbandes Österreichischer Kieferorthopäden (VÖK)

als Interessenvertretung von mittlerweile ca. 360 vorwiegend oder ausschließlich kieferorthopädisch tätigen Zahnärzten (Öffentlichkeitsarbeit, Information der Patienten, Qualitätssicherung)

• Im Sinne des Patientenschutzes kämpft der Verein von der ersten Stunde an intensiv für die Einführung des Fachzahnarztes für Kieferorthopädie in Österreich. Um zu bele­gen, dass es auch in Österreich gut ausgebildete Spezialisten auf internationalem Niveau gibt, beschließt der VÖK im Jahre 1998 gemeinsam mit den Kieferorthopädie-Professoren der drei österreichischen Universitäten die


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 124

• Einrichtung einer freiwilligen kommissionellen Fachprüfung (Austrian Board of Orthodontists)

Bis März 2018 haben 93 Kolleginnen und Kollegen diese freiwillige Fachprüfung vor einer international hochrangig besetzten Prüfungskommission erfolgreich abgelegt.

• Juli 2015: Inkrafttreten des „Gesamtvertrages Kieferorthopädie“

Therapie von Fehlstellungen IOTN-Grad 4 und 5 bei Kindern und Jugendlichen wird Sachleistung der Krankenkassen.

Damit einher ging die Schaffung einer kassenvertraglich definierten Berufsgruppe von Kieferorthopäden, die es de facto jedoch bis zum heutigen Tag offiziell in Österreich nicht gibt!

Österreichische Lösung: Vertragspartner legten im Vertrag bestimmte, allerdings höchst inhomogene Qualifikationskriterien fest. Es wurde der zweite Schritt vor dem ersten gesetzt.

Im Sinne des Patientenschutzes ist daher nach Auffassung des Verbandes Öster­reichischer Kieferorthopäden insbesondere nach Einführung der "Kassenzahnspange" die Etablierung des Fachzahnarztes für Kieferorthopädie in Österreich dringender denn je erforderlich!

(Quelle: https://voek.info/)

Daher stellen die unterzeichnenden Abgeordneten folgenden

Entschließungsantrag

Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, wird aufgefordert dafür Sorge zu tragen, dass dem Nationalrat auf der Grundlage der seit 2018 festgelegten Eckpunkte ein entsprechender Gesetzesentwurf zur Einführung einer staatlich geregelten und offiziell registrierten Ausbildung zur Fachärztin/zum Facharzt für Kieferorthopädie zugeleitet wird.

*****


Präsident Ing. Norbert Hofer: Beide Entschließungsanträge sind ausreichend unter­stützt, ordnungsgemäß eingebracht und stehen in Verhandlung.

Zu Wort gelangt nun Herr Dr. Werner Saxinger. – Bitte, Herr Abgeordneter.


14.19.54

Abgeordneter Dr. Werner Saxinger, MSc (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Kucher, seien wir doch froh, dass wir in Österreich medizinisch behandelt werden, denn in unserem Land erhält jeder die beste Medizin, die er benötigt, egal wer er ist! Fragen Sie doch bitte alle Auslandsösterreicher, die gerne zu medizi­nischen Behandlungen nach Österreich heimkommen. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischen­rufe der Abgeordneten Vogl und Leichtfried.)

Zur Thematik: Im letzten Gesundheitsausschuss wurde über eine Ärztegesetznovelle diskutiert, die bei manchen der Betroffenen auf wenig Gegenliebe stößt und für Aufre­gung sorgt. Worum geht es? – Bisher war es so geregelt, dass die Österreichische Ärztekammer die Führung der Standesliste, das heißt, die Eintragungen in die und Austragungen aus der Ärzteliste sowie auch die Prüfungen der ärztlichen Qualifikation, selbst vorgenommen hat und es dann weiter an die Landesärztekammer delegiert hat.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 125

Dieses Prozedere hat nun ein ärztlicher Kollege beeinsprucht, und der Verfassungs­ge­richtshof hat mit seinem Erkenntnis entschieden, dass die Führung der Standesliste der Ärzte durch die Landesärztekammer nicht rechtens sei. Juristisch kann man das für falsch erachten, aber in einem Rechtsstaat ist das so zu akzeptieren.

Die Kompetenz für die Durchführungsverordnungen obliegt nun nach diesem Erkenntnis anstelle der Ärztekammer dem Gesundheitsministerium. Das Ministerium könnte nun wieder die Ärztekammer anweisen, hat aber entschieden, die Verordnung selbst auszu­führen.

In der Novelle ist jetzt geplant, die bisherigen Zuständigkeiten der Österreichischen Ärztekammer zunächst bis 30.6.2021 zu verlängern. Gleichzeitig sollen auch alle Ange­legenheiten der Ärzteliste aus dem eigenen Wirkungsbereich der Ärztekammer in den übertragenen Wirkungsbereich verlagert werden, was die Ärztekammer erzürnt. Hinter­grund dieser Überlegung ist der Wunsch der Bundesländer nach Daten aus der Ärzteliste zur besseren Planungssicherheit, und das halte ich auch für legitim. Es betrifft zwei Artikel-15-Vereinbarungen, die dem Landesgesundheitsfonds die Kompetenz zur Pla­nung, Steuerung und Finanzierung des gesamten Gesundheitsbereichs übertragen sollen.

Warum diese Befristung? – Dies ist ein Kompromiss zwischen den verschiedenen Bundesländern. Die Gesetzesänderung, das heißt, die befristete behördliche Übertra­gung der Aufgaben in die Ärztekammer, tritt aber nur dann in Kraft, wenn alle Bundes­länder und der Bundesrat bis 31.8.2020 ausdrücklich zustimmen. Falls dem nicht so ist, sind ab 1. September 2020 die Bezirkshauptmannschaften für die Eintragung in die und Austragungen aus der Ärzteliste zuständig.

Warum hat nun die Ärztekammer Bedenken gegen diese Novelle? – Erstens wird die Übertragung vom eigenen in den übertragenen Wirkungsbereich nicht gutgeheißen und zweitens besteht die Sorge, dass die Länder nicht nur die Standesliste wollen, sondern auch die Zuständigkeiten für die Ausbildungsstellen und für die Ausbildungsqualifikation, und davor möchte ich persönlich auch eindringlich warnen.

Ich war bis vor Kurzem Leiter der Ausbildungskommission in der oberösterreichischen Ärztekammer, und wir haben da aufgrund von Zahlen, Fakten, Personal und Qualitäts­kriterien genau festgelegt, wie viele Ärzte in einer jeweiligen Abteilung ausgebildet werden können. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass eine kleine Abteilung mit drei Fachärzten plötzlich 15 Ärzte ausbildet.

Nach der neuen Ärzteausbildungsordnung 2015 wird das alle sieben Jahre evaluiert und streng kontrolliert. Die Prüfung der ärztlichen Qualifikation und auch der Ausbildung bedarf einer großen Expertise, die in der Ärztekammer vorhanden ist und jahrelang aufgebaut wurde. Ich selbst habe des Öfteren fraglich verifizierte Zeugnisse von ärztlichen Kolleginnen und Kollegen begutachtet, die eine Ausbildung im fernen Ausland absolviert haben und nun in Österreich als Ärztin oder Arzt arbeiten wollen – also Vorsicht bei diesen im Endeffekt auch für Patienten wichtigen Überprüfungen der ärztlichen Qualifikation und Ausbildung!

Prinzipiell halte ich aber den Wunsch der Länder nach mehr Daten zur Planungs­sicherheit für legitim. Ich bin auch überzeugt davon, dass wir die nächsten Monate gut nützen werden und es uns auch gelingen wird, gemeinsam gute, vernünftige Lösungen zu finden, mit denen auch die Länder, das Ministerium und auch die Standesvertretung gut leben können. Primär geht es aber wirklich immer um Lösungen, bei denen Patienten darauf vertrauen dürfen, nur von topausgebildeten und geprüften Ärzten behandelt zu werden. Das muss unser oberstes Ziel sein und das schaffen wir auch. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

14.24



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 126

Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort ist dazu nun niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wünscht der Herr Berichterstatter ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Wie vereinbart verlege ich die Abstimmungen an den Schluss der Verhandlungen über die Vorlagen des Gesundheitsausschusses und fahre in der Erledigung der Tagesord­nung fort.

14.24.4317. Punkt

Bericht des Gesundheitsausschusses über den Antrag 707/A der Abgeordneten Gabriela Schwarz, Ralph Schallmeiner, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wird (294 d.B.)


Präsident Ing. Norbert Hofer: Wir gelangen zum 17. Punkt der Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gelangt nun Herr Abgeordneter Rudolf Silvan. – Bitte schön, Herr Abgeordneter.


14.25.07

Abgeordneter Rudolf Silvan (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren zu Hause! Zum Antrag der KollegInnen Schallmeiner und Schwarz ist zu sagen, dass aufgrund der Beibehaltung der Preisbandregelung eine Einsparung von 9 bis 13 Millio­nen Euro bis 2022 in Aussicht gestellt wird. Was man da allerdings zu sagen vergisst, ist, dass es nicht mehr möglich ist, wie in der Vergangenheit Medikamente, die zu teuer sind, zu streichen. Das heißt, es wird in Zukunft auf die Sozialversicherungen, da wieder speziell auf die ÖGK, eine Mehrbelastung von insgesamt 70 bis 80 Millionen Euro bis 2022 zukommen. Deswegen tragen wir vonseiten der Sozialdemokratie diesen Antrag nicht mit. (Beifall bei der SPÖ.)

Des Weiteren hat man den Eindruck, dass die ÖGK offensichtlich ausgeblutet werden soll, denn man hat die neun Gebietskrankenkassen fusioniert, die ein Plus von 111 Millionen Euro gehabt haben, und mittlerweile ist schon ein Minus von 1,7 Milliarden Euro bis 2024 allein durch die Fusionierungskosten in Aussicht gestellt worden – da sind die Ausfälle der Covid-Pandemie noch gar nicht dabei.

Außerdem gibt es – Kollege Kucher hat es vorhin schon erwähnt – eine Spende von 50 000 Euro von der Premiqamed an die ÖVP. Herr Hadschieff, seines Zeichens Ge­schäftsführer der Premiqamed, holt sich dann mittels politischer Hilfe in den Ministerien einen kleinen Nachschlag von 14 Millionen Euro aus dem Privatkrankenanstalten-Finanzierungsfonds. – Das sind auch wiederum Beiträge der ÖGK.

Jetzt muss man einmal klarstellen, wer denn diese Beiträge zur ÖGK zahlt. – Das sind Arbeiterinnen und Arbeiter, Angestellte und ASVG-PensionistInnen. Und wenn man sich anschaut, wer in Privatkrankenanstalten liegt und wer diese benutzt, dann sieht man, das sind Spitzenbeamte, Großgrundbesitzer und sehr gut verdienende Selbstständige. (Zwischenrufe der Abgeordneten Ofenauer und Steinacker.) – Das ist eine klassische Umverteilung von unten nach oben, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, das wollt ihr nicht hören, aber es ist de facto so. (Beifall bei der SPÖ.)

Die ÖGK soll an die Wand gefahren werden, und mich wundert das gar nicht. Wir haben heute über Pensionen diskutiert, 2003 hat die ÖVP das Pensionsversicherungssystem


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der ASVG an die Wand gefahren. Wir werden uns dann in einigen Jahren über die Alters­armut bei ASVG-Pensionisten, hauptsächlich Frauen, unterhalten, denn wir haben nicht mehr die besten 15 Jahre zur Berechnung, sondern wir haben einen lebenslangen Durchrechnungszeitraum von 40 Jahren. Da werden wir dann darüber diskutieren, wer die geringsten Pensionen in diesem Land bezieht. Das werden nämlich die ASVG-Pensionistinnen und -Pensionisten sein und sonst niemand. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

14.28


Präsident Ing. Norbert Hofer: Nächster Redner ist Abgeordneter Ralph Schallmeiner. – Bitte, Herr Abgeordneter.


14.28.12

Abgeordneter Ralph Schallmeiner (Grüne): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Minister ist leider keiner mehr da. Sehr geehrte Damen und Herren zu Hause vor den Bildschirmen! Ja, wenn man Kollegen Silvan gerade zugehört hat, dann möchte man ja glauben, das Gesundheitssystem in Österreich ist kurz vor dem Zusammen­brechen, zumindest für die Ärmsten der Armen und für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. (Abg. Silvan: Bei den Beamten ist eh alles in Ordnung und bei den Selbstständigen auch!) – Lieber Kollege, ganz so ist es auch wieder nicht, und die ÖGK an die Wand fahren werden wir einmal mit Sicherheit nicht – ganz im Gegenteil, wir werden schauen, dass wir die Löcher, die es jetzt eben auch aufgrund der Covid-Krise gibt, stopfen. Im Herbst werden wir uns dann darum kümmern, dass wir über kurz oder lang eben eine anständige Finanzierung zusammenbringen. Das ist Sache und darum geht es! (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Silvan.)

Worum geht es beim Erstattungskodex? – Beim Erstattungskodex - - (Abg. Leichtfried: Was sagen Sie eigentlich zu den 50 000 Euro für die ÖVP?) – Das werden wir dann im Untersuchungsausschuss klären, dort gehört es auch hin und nicht hierher. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Nichtsdestotrotz, reden wir vom eigentlichen Thema, reden wir vom Erstattungskodex! Beim Erstattungskodex geht es darum, dass wir die Regelung, die wir bis jetzt hatten, verlängern. Warum tun wir das? – Weil es mit der Pharmaindustrie auf der einen Seite und den Versicherungsträgern auf der anderen Seite momentan eine große, breite Diskussion gibt. Es geht darum, in diesem Bereich mehrere Problemstellungen für die Zukunft zu lösen. Das eine ist eben die Frage: Wie schaffen wir es, dass wir vernünftige Einkaufsmodelle, vernünftige und gute Preismodelle für die Versicherten in diesem Land zusammenbringen? Das andere ist die Frage: Wie schaffen wir es wiederum, dass wir die Pharmaindustrie mit den Produktionen und nicht nur mit der Forschung und mit der Entwicklung als Arbeitgeber nach Österreich beziehungsweise in einer vielleicht gemeinsamen europäischen Strategie nach Europa zurückbekommen?

Das sind die Themen, über die wir uns Gedanken machen sollten. Und damit man das Ganze einigermaßen sinnvoll miteinander diskutieren kann, haben wir jetzt einmal gesagt, wir verlängern das Preisband. Das heißt nicht, dass das bis in alle Ewigkeit so ist, so wie da jetzt gerade getan wurde, sondern das heißt jetzt einfach einmal, dass man sich den Atem holt, um eben anständig miteinander Lösungen zu suchen und zu verhandeln.

Das Ganze wird ergebnisoffen sein, wir werden mit Sicherheit auch – der Minister hat es ja auch schon einmal erwähnt; er ist gerade nicht da – über gewisse Dinge vielleicht auch durchaus tabulos diskutieren müssen wie beispielsweise über die Wirkstoff­verschreibung. Das sind Dinge, über die können wir reden, über die sollten wir reden. Wenn wir am Ende des Tages draufkommen, dass wir es doch anders machen, ist es


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auch okay. Wenn wir gemeinsam mit dem Koalitionspartner draufkommen, das ist die gescheiteste Variante, dann soll es mir auch recht sein.

Am Ende des Tages muss aber eines klar sein: dass das Gesundheitssystem als solches und die Medikamentenversorgung als solche in Österreich gewährleistet bleiben, und zwar so gewährleistet bleiben, dass alle Menschen in diesem Land den gleichen Zugang dazu haben, egal woher sie sind oder woher sie stammen. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

14.30


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Mag. Gerhard Kaniak. – Bitte, Herr Abgeordneter.


14.31.04

Abgeordneter Mag. Gerhard Kaniak (FPÖ): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben unter diesem Tagesordnungspunkt wieder zwei verschiedene Themen zusammengefasst. Der erste Punkt, die organisatorischen Ver­bes­serungen für den Insolvenz-Entgelt-Fonds, findet durchaus unsere Zustimmung und wir würden diesen mittragen, wenn nicht in demselben Antrag auch eine Änderung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, nämlich die weitere Fortschreibung des Preisspannenmodells und eines Preisscreeningmodells für generische Arzneimittel, mit enthalten wäre.

Lassen Sie mich ganz kurz erläutern, warum wir diesen Punkt ablehnen: Die Coronakrise hat uns wunderbar gezeigt, wie abhängig wir in puncto Arzneimittelherstellung und Wirkstoffzulieferung aus dem Fernen Osten, Indien und China vor allem, sind. Warum hat es so eine starke Produktionsverlagerung in diesem Bereich gegeben? – Weil der Kostendruck in den europäischen Gesundheitssystemen in den letzten Jahrzehnten sukzessive gestiegen ist und eine Produktion in Europa wirtschaftlich in vielen Bereichen einfach nicht mehr darstellbar war.

Nun hat uns die Krise gezeigt, dass wir diese Abhängigkeit reduzieren wollen, wir wollen wieder eine pharmazeutische Industrie, wir wollen Arzneimittelhersteller in Österreich und Europa ansiedeln. Dazu brauchen wir auch neue Modelle, wie wir dies zu konkur­renzfähigen Konditionen ermöglichen können, beziehungsweise müssen wir unser Erstattungspreismodell unmittelbar überdenken.

Wenn wir das nämlich nicht machen, wenn wir das alte Modell einfach fortschreiben, so wie das in diesem Antrag vorgesehen ist, wird Folgendes passieren: 2017, bei der letzten Runde, wo dieses Preisscreening und diese Preisbandfestlegung beschlossen wurden, sind zwar Einsparungen in der Größenordnung von knapp 50 Millionen Euro für die Sozialversicherung erzielt worden, allerdings waren nur 35 Millionen Euro davon Einsparungen unmittelbar bei den Herstellern, 15 Millionen Euro gingen zulasten der österreichischen Vertriebsstrukturen bei pharmazeutischen Großhändlern und Apothe­ken, und als zusätzlicher Nebeneffekt dieser Maßnahme sind damals 8 Prozent der zwangspreisgesenkten Arzneimittel für die Patienten vom österreichischen Markt verschwunden, aus dem Erstattungskodex rausgefallen und stehen den Patienten für die Therapie im öffentlichen Gesundheitssystem nicht mehr zur Verfügung.

Und jetzt soll diese Maßnahme, die massive Kollateralschäden in der Versorgungs­sicherheit der österreichischen Patienten, in der österreichischen Vertriebsstruktur von Arzneimitteln verursacht, fortgesetzt werden? Das kann es wohl bitte nicht sein! (Abg. Martin Graf: Unglaublich! Das geht gar nicht!)

Halten wir uns doch bitte an die Dinge, zu denen ein allgemeiner Konsens besteht: Wir wollen die Versorgung für die österreichischen Patienten sicherstellen, wir wollen die Pro­duktion nach Österreich holen – dann dürfen wir bitte keine Maßnahmen beschließen,


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die solche Kollateralschäden verursachen und genau diesen Zielen entgegenlaufen. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

14.33


Präsident Ing. Norbert Hofer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Gabi Schwarz. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.


14.33.44

Abgeordnete Gabriela Schwarz (ÖVP): Herr Präsident! Hohes Haus! Werte Zuse­herin­nen und Zuseher! Bevor ich an das anschließen möchte, was Kollege Kaniak gesagt hat, erlauben Sie mir noch, dass ich eines betone: Die vergangenen Wochen haben uns viel gezeigt und auch einiges gelehrt, was das österreichische Gesundheits­system betrifft. Wir können uns wirklich darauf verlassen, wir können uns auf alle verlassen, die in diesem Bereich tätig sind, und wir können uns vor allem darauf verlas­sen, dass unsere Mitmenschen die Maßnahmen, die wir gesetzt haben, mittragen. Trotz­dem es manchmal schwierig war, Abstand zu seinen Nächsten zu halten, ist es uns gelungen, und die jetzigen Beispiele zeigen uns, wie wichtig es ist, dass wir genau dabei bleiben, denn es ist noch nicht vorbei. (Abg. Martin Graf: Ich verlasse mich lieber auf Sebastian Kurz!)

Und ich sage Ihnen eines, Herr Kollege Graf, weil Sie sich da jetzt wieder bemüßigt fühlen, hereinzurufen (Abg. Martin Graf: Ich verlasse mich lieber auf Sebastian Kurz!): Es ist mir wirklich völlig wurscht, wenn Sie oder jemand anderer mich schräg anschauen, wenn ich dort, wo Menschen enger zusammenstehen, oder zum Beispiel beim Einkaufen weiterhin einen Mund-Nasen-Schutz trage, nämlich nicht nur, um mich zu schützen, sondern auch, um andere zu schützen. Wie wir wissen, besteht auch ein 80-prozentiger Schutz für die Gegenseite. (Abg. Kassegger: Da brauchen Sie aber die richtige Maske! Setzen Sie sich die richtige Maske auf? Der Mundfetzen bringt nichts!) Das ist mir wichtig, es geht mir nämlich um die Gesundheit der Menschen in diesem Land und nicht darum, ob ich es vielleicht eine Viertelstunde mit Maske aushalte oder nicht – nicht böse sein! (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Wissen Sie, ich wundere mich schon – wie ignorant muss man eigentlich sein? –, wenn einfach ausgeblendet wird, dass es immer noch kein Medikament, immer noch keine Impfung gibt und kein Abstand gehalten wird. Von einem Babyelefanten kann ja längst nicht mehr die Rede sein, da geht oft nicht einmal mehr eine Babyhand dazwischen. Das wundert mich wirklich und deswegen auch mein Appell – wir sehen das jetzt am Beispiel Oberösterreich, wo sehr rasch und sehr konsequent gehandelt wurde; wir sehen, wenn wir ein bisschen über den Tellerrand hinausblicken, was weltweit noch los ist –: Bitte denken Sie an die anderen, schauen Sie auf sich, schauen Sie auf die anderen, behalten wir diesen Weg bei!

Und was ist wichtig in einer solchen Situation? – Dass die Versorgung in unserem Gesundheitssystem weiter aufrechtbleibt. Das gilt selbstverständlich auch für die Medi­kamente. Ja, wir brauchen eine echte gesamteuropäische Strategie, bei der es darum geht, Pharmaindustrie forschend und produzierend wieder in Österreich anzusiedeln. Die Abhängigkeit von asiatischen Märkten ist wirklich abzulehnen. Unsere Ministerinnen Schramböck und Edtstadler haben das bereits in Europa vorgebracht, wir allein, Österreich allein wird da nicht viel ausrichten können, aber wir bestehen darauf, dass wir eine gesamteuropäische Strategie entwickeln, die uns das ermöglicht.

Und wessen bedarf es dazu? – Planungssicherheit für diejenigen, die genau auf diesem Feld tätig sind, für die forschende Pharmaindustrie, die es ermöglicht, dass weiterhin in den österreichischen Spitälern, im System, bei den Krankenversicherungen gewährleis­tet ist, dass die Menschen die neuesten und besten Medikamente erhalten. Darum geht es uns. (Abg. Kucher: Die Frage mit den 50 000 Euro ist noch offen!)


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Zum Abschluss bitte noch einmal von meiner Seite der Appell: Kollege Brandstätter ist zwar im Moment nicht da, aber den halte ich für einen sehr belesenen Menschen, er war vorher gerade wieder Bücher kaufen, er kennt dieses Gedicht sicher, ein Gedicht aus dem Jahr 1920, „Die Grippe und die Menschen“, in dem es darum geht, dass zuerst die Menschen bei der obersten Hierarchie nach Maßnahmen schreien, die dann umgesetzt werden, und dann wieder einen Befreiungsschlag fordern. Und wer bleibt über? – Die Grippe, die hämisch grinst und sich denkt, die Menschen, sie verändern sich nicht.

Im Oktober 1920 erschien dieses Gedicht im „Nebelspalter“. 100 Jahre später sind wir gescheiter. Ich sage Ihnen: Ich verlasse mich auf die Menschen in Österreich, dass sie weiterhin auf sich und auf andere schauen, Abstand halten, dann kommen wir weiter gut durch die Krise – besser als viele andere Länder. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Abg. Martin Graf: Jetzt kenne ich mich gar nicht mehr aus: Soll ich mich jetzt auf Sebastian verlassen oder nicht? – Zwischenruf des Abg. Leichtfried.)

14.37


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt nun Frau Abgeordnete Mag.a Verena Nussbaum. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.


14.37.36

Abgeordnete Mag. Verena Nussbaum (SPÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Herr Bundesminister! Ja, das Preisband ist nicht so einfach zu erklären – ich glaube, nicht nur für uns herinnen, sondern auch für die Bevölkerung –, aber: Worum geht es eigentlich? – Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger bemüht sich schon seit vielen Jahren, die Ausgaben für die Medikamente zu optimieren, und so wurde eben 2017 mit einem Pharmapaket dieses Preisband eingeführt, das durchaus erfolgreich war. Es geht darum, dass niedrige Preise von Wirkstoffgruppen und Medikamenten erreicht werden.

Jetzt gibt es aber das Problem, dass diese Maßnahmen ohne Änderungen fortgesetzt werden sollen. Da kommt man jetzt auf eine Berechnung, dass das Einsparungen von rund 11 Millionen Euro ergeben sollte. Das Problem dabei ist aber, dass es weiterhin auch das Zugeständnis an die Pharmaindustrie geben soll, keine Streichung von teuren Medikamenten beziehungsweise Wirkstoffgruppen durchzuführen. Das heißt, es werden auch weiterhin überteuerte Medikamente bezahlt, und dies, obwohl ökonomische Streichungen nach höchstgerichtlichen Entscheidungen notwendig und zulässig wären. Daher überwiegen die finanziellen Nachteile.

Wichtig ist es aber gerade in diesen Zeiten, dass die Ausgaben der Sozialversicherung, vor allem der Krankenversicherung und im Speziellen der ÖGK, optimiert werden. Wir wissen, die Beitragseinnahmen gehen zurück, die Existenz der Krankenkassen, der Kran­kenversicherungen muss aber gesichert werden. Dieses Gesetz wurde von der Regierung ohne Begutachtung vorgelegt, aber ich glaube, gerade bei dieser komplexen Materie wäre es extrem wichtig, auf die Experten und Expertinnen zu hören. (Beifall bei der SPÖ.)

Die so dringenden Einsparungen der Krankenversicherungsträger bleiben durch dieses Geschenk an die Pharmakonzerne wieder aus, und uns wird das Geld für die Finan­zierung von kostenintensiven, teuren neuen Medikamenten fehlen. Und wer finanziert das wieder, diese Geschenke an die Pharmaindustrie? – Wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist ganz klar wieder einmal eine Umverteilung von den Versicherten zu den Konzernen.

Wir als Sozialdemokratie stehen selbstverständlich für ein hohes Leistungsniveau für alle Versicherten. Wir brauchen – ich möchte es noch einmal betonen – eine Leistungs­harmonisierung über alle Versicherungsträger hinweg, und wir müssen natürlich mit den Versicherungsbeiträgen sorgfältig umgehen. Das heißt, die Einführung weiterer Selbst­behalte ist klar abzulehnen, kommt für uns nicht infrage. Wir brauchen, um das derzeitige


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Leistungsniveau garantieren zu können, die Ausfallshaftung des Bundes – das ist auch schon oft angesprochen worden – für die Krankenversicherungen. Wir brauchen eine Garantie für unsere Versicherten, für die Menschen draußen, dass sie die Leistungen bekommen, die sie benötigen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

14.40


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wünscht die Frau Berichterstatterin ein Schlusswort? – Nein, das ist nicht der Fall.

Wie vereinbart verlege ich die Abstimmungen an den Schluss der Verhandlungen über die Vorlagen des Gesundheitsausschusses und fahre in der Erledigung der Tagesord­nung fort.

14.41.0518. Punkt

Bericht des Gesundheitsausschusses über den Antrag 566/A der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Alkoholsteuergesetz geändert wird (295 d.B.)


Präsident Ing. Norbert Hofer: Wir gelangen zum 18. Punkt der Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Alois Schroll. – Bitte schön, Herr Abgeordneter.


14.41.29

Abgeordneter Alois Schroll (SPÖ): Geschätzter Herr Präsident! Herr Gesundheits­minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Ja, Frau Kollegin Gabriela Schwarz – ich glaube, sie hat gerade den Saal verlassen – hat es richtig gesagt: Das Gesundheitssystem in Österreich funktioniert.

Es funktioniert deshalb, weil unsere Österreicherinnen und Österreicher und viele Tau­send Leute, die im Gesundheitssystem arbeiten, hart daran arbeiten und vieles wettge­macht haben, was in der Krise nicht funktioniert hat. Sie haben nämlich Masken und Desinfektionsmittel erzeugt, wann auch immer Notstand geherrscht hat. (Beifall bei der SPÖ.) Da bin ich schon beim Thema: Ich will allen in Österreich danken, die in diesen Zeiten wirklich flexibel gearbeitet haben und Ideen hatten. Dass die Verwendung von Alkohol zur Herstellung von Desinfektionsmitteln nach dem 31. August dauerhaft von der Alkoholsteuer befreit wird, ist ganz sinnvoll.

Geschätzter Herr Bundesminister! Am Anfang der Pandemie, im März – ich als Bür­germeister weiß, wovon ich spreche –, hat es in den Schulen, in unserem Krankenhaus in Ybbs und, und, und keine Masken, keine Desinfektionsmittel mehr gegeben. Genau deshalb haben die Leute dann zu diesen Mitteln gegriffen, Brillen gebastelt und so weiter und so fort. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir sind der Meinung, die Regierung sollte wirklich daraus lernen. Ich glaube, wir sollten jetzt hier im Parlament alle Maßnahmen ergreifen, damit diese Desinfektionsmittel erzeugt werden können. Deswegen wundert es mich, dass die Regierungsparteien bei diesem Beschluss wieder einmal nicht mitziehen wollen.

Klubobmann Wöginger hat es heute Vormittag in seiner Rede schon gesagt: Der Gebrauch von Desinfektionsmitteln wird ein fixer Bestandteil unseres Alltags sein. Bei der Schaumweinsteuer zum Beispiel hat man nicht lange gezögert. Das ist gut für die Gastronomie. Es wurde als großer Wurf, als große Entlastung gefeiert. Eine Entlastung in der Höhe von 25 Millionen Euro wurde damit erreicht, aber nur mit Champagner und Sekt, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, werden sich unsere Heldinnen und Helden


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in Österreich in Zukunft die Hände nicht desinfizieren können. Deswegen sollen wir heute genau diese Maßnahmen ergreifen und die Steuerbefreiung durchführen. – Herz­lichen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

14.44


Präsident Ing. Norbert Hofer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Martina Diesner-Wais. – Bitte, Frau Abgeordnete.


14.44.23

Abgeordnete Martina Diesner-Wais (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bun­des­minister! Meine Damen und Herren im Nationalrat! Wir haben es schon gehört: Die Corona­krise hat uns gezeigt, wie wichtig ein gutes Gesundheitssystem ist, aber auch, wie wichtig die Eigenversorgung im Land ist und wie wichtig die Kreativität unserer Betriebe ist.

Wenn wir heute davon reden, dass gerade in der Coronakrise der Desinfektionsmittel­verbrauch stark gestiegen ist und dass die Anbieter Lieferengpässe hatten und in den Geschäften, in den Drogerien, in den Apotheken diese Mittel sogar ausverkauft waren, so können wir sagen: Es wurde schnell reagiert, auf der einen Seite von der Regierung, vom Nationalrat – von uns –, aber auf der anderen Seite auch von den Apotheken, die dann Desinfektionsmittel selbst hergestellt haben.

Diese Mittel werden aus 95-prozentigem Alkohol hergestellt, aber die Steuergesetze sind auch da zu beachten. Aufgrund der Dringlichkeit und der außergewöhnlichen Situation ist das Verwaltungsverfahren zur steuerfreien Herstellung von Desinfektions­mitteln unbürokratisch gestaltet worden. So wurden in dieser Zeit die Apotheken und auch die Bioethanolhersteller oder Reinigungsmittelhersteller und andere berechtigt, Des­infektionsmittel im Zeitraum vom 1. Februar 2020 bis zum 31. August 2020 ohne Steuerbelastung herzustellen. Dies ist gegangen, weil die Vergällung der Desinfektions­mittel auch ohne Zollorgane möglich war.

Ja, wir können sagen, wir sind stolz auf unser Land, denn es gibt die Bäuerinnen und Bauern. Gemeinsam mit der Agrana, die die Produktion gemacht hat, ist es möglich gewesen, Desinfektionsmittel rasch herzustellen, weil der Mais und der Weizen und auch die Technologie vorhanden waren. Durch die Gesetzesänderung und die Änderung des Produktionsverlaufes konnten aus dem Bioethanol, der eigentlich als Treibstoff gedacht war, Desinfektionsmittel hergestellt werden. Ich möchte dazu noch sagen: Das hat uns gezeigt, Österreich hat wirklich zusammengehalten, und mit Fleiß und Kraftanstrengung ist diese Sache bewältigt worden.

Diese temporäre Regelung war notwendig, damit wir die Versorgung mit Desinfektions­mitteln sicherstellen konnten. Das heißt aber nicht, dass eine Ausnahme auch gleich zur Regel werden soll. So enthält der Antrag der NEOS keinen hinreichenden Grund dafür, dass wir die Steuerbefreiung unbefristet verlängern.

Wir haben gesehen: Im Ernstfall gibt es die Ressourcen, im Ernstfall gibt es die Kapa­zitäten und natürlich auch die Firmen und Betriebe, die sehr flexibel sind. Wenn wieder so etwas kommt, dann müssen wir darüber nachdenken. Es gibt die Eigenversorgung im Land, und darauf sind wir stolz. (Beifall bei der ÖVP.)

14.47


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt nun Abgeordneter Mag. Gerhard Kaniak. – Bitte, Herr Abgeordneter.


14.47.47

Abgeordneter Mag. Gerhard Kaniak (FPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bun­desminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorrednerin hat gerade


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gesagt: Im Ernstfall gibt es die Vorräte. – Dem muss ich leider Gottes widersprechen: Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass es im Ernstfall eben nicht ausreichend Vorräte zum Beispiel an unversteuertem Alkohol in Österreich gegeben hat, sodass es notwendig war, für die Herstellung von Desinfektionsmitteln auf bereits versteuerten Alkohol zuzugreifen. Das hat zu einer Preisexplosion bei den Desinfektionsmitteln geführt, denn wenn 1 Liter Alkohol mit ungefähr 18 Euro Alkoholsteuer belastet ist, dann ist ganz klar, dass auch das daraus hergestellte Desinfektionsmittel empfindlich teuer ist. Daran haben sich die Konsumenten natürlich zu Recht gestoßen.

Das Gesetz zur Rückvergütung der Alkoholsteuer, das dann geschaffen wurde, hat dieses Problem beseitigt, und deshalb ist der Antrag von Kollegen Loacker aus meiner Sicht auch durchaus sinnvoll: dass dieses Gesetz sozusagen als Notfalllösung, als Krisenlösung dauerhaft übernommen werden sollte, damit, wenn wieder ein Engpass an unversteuertem Alkohol auftritt, ohne Verzögerung auf versteuerten Alkohol zugegriffen werden kann und für den Anteil, der für die Desinfektionsmittelherstellung benötigt wird, die Alkoholsteuer zurückgefordert werden kann. Das ist eine sehr vernünftige Krisenvor­sorgemaßnahme.

Herr Bundesminister, da möchte ich Sie fragen: Welche Krisenvorsorgemaßnahmen sind denn in diesem Bereich getroffen worden? Welcher nationale Vorrat an Desinfek­tions­mitteln, an Schutzausrüstungen ist denn beschafft worden? Welche Strukturen auch für die Desinfektionsmittelherstellung sind denn etabliert worden?

Ich weiß, dass über die Heeresapotheke hektoliterweise Desinfektionsmittel hergestellt worden sind, aber auch dort gab es das Problem, dass keine Vorräte, keine Lager­kapazitäten an Alkohol vorhanden waren.

Im Bereich der Krisenvorsorge ist noch sehr, sehr viel zu tun. Dieser Gesetzesvorschlag wäre ein kleiner Puzzleteil zur Krisenvorsorge. Sehr geehrter Herr Bundesminister, ich würde Sie ersuchen: Lernen Sie aus der vergangenen Krise! Sorgen Sie dafür, dass wir eine vernünftige Bevorratung von versorgungsrelevanten Gütern, ob das jetzt Desinfek­tionsmittel, Schutzausrüstungen, Masken oder Ähnliches sind, haben! Hinterfragen Sie bitte aber auch die Beschaffungsvorgänge – ob diese auch alle tatsächlich transparent, fair, nachvollziehbar und die Güter nicht überteuert waren – und stärken Sie unsere Ge­sundheitsbehörden im Kampf gegen die nächste Krise, denn diese wird sicher kom­men! – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

14.50


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Fiona Fiedler. – Bitte, Frau Abgeordnete.


14.50.18

Abgeordnete Fiona Fiedler, BEd (NEOS): Herr Präsident! Hohes Haus! Werter Herr Minister! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Es gibt Anträge, da verstehe ich absolut nicht, dass die Mehrheitsfraktionen dagegenstimmen. Der vorliegende Antrag ist so einer.

Worum geht es konkret? Mit dem 3. COVID-19-Gesetz der Regierung wurde sinn­vollerweise beschlossen, dass Alkohol, der zur Coronadesinfektionsmittelherstellung ver­wendet wird, von der Alkoholsteuer befreit wird. Wir haben diesem Gesetz zuge­stimmt. Allerdings ist diese Befreiung befristet. SPÖ, FPÖ und wir NEOS waren im Gesundheitsausschuss dafür, dass diese Regelung ins Dauerrecht übernommen wird, die schwarz-grüne Mehrheit aber war dagegen, frei nach dem Motto: Was von der Opposition kommt, ist nicht gut!

Da ist es auch nicht verwunderlich, dass der gesamte Gesundheitsausschuss wieder ein reines Vertagungskonzert von Oppositionsanträgen war: Die Oppositionsanträge für


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einen niederschwelligen Zugang zum Impfen waren Schwarz-Grün nicht gut genug. Die Oppositionsanträge betreffend Erlass der widerrechtlichen Coronastrafen waren Schwarz-Grün nicht gut genug. Die Oppositionsanträge zur Transparenz bezüglich Krankenhaus­qualität waren Schwarz-Grün nicht gut genug, wobei: Da waren die Mehrheitsfraktionen nur zu schlampig, um den Gegenantrag rechtzeitig zu verteilen, deshalb musste vertagt werden.

Die ÖVP ist als Vertagungsfreundin von konstruktiven Oppositionsanträgen ja bekannt, dass aber der Grüne Parlamentsklub nun ebenfalls zu einem kritiklosen Abstimmungs­apparat der intransparenten Regierungspolitik geworden ist, überrascht mich sehr – das sind halt die neuen Grünen. (Beifall bei den NEOS sowie des Abg. Amesbauer.)

Zurück zum Antrag: Sensationell schräg war der Vertagungsgrund zum gegenständ­lichen Antrag, zumal die ÖVP im Salzburger Landtag den gleichen Antrag eingebracht hat. (Abg. Leichtfried: Da schau her! – Abg. Meinl-Reisinger: Oh!) Ich zitiere aus der Parlamentskorrespondenz: „Abgeordnete Martina Diesner-Wais [...] bemängelte die fehlende inhaltliche Begründung und Kostenschätzung im NEOS-Antrag.“ (Zwischenruf der Abg. Yılmaz.) Dieser Antrag ist eine Verlängerung des schwarz-grünen Gesetzes, das wir gut finden und ins Dauerrecht übernehmen wollen. (Zwischenruf des Abg. Leichtfried.)

Ist die Alkoholsteuer für Desinfektionsmittel also gut oder schlecht? Und zur Kosten­schätzung, die Sie von der Opposition einfordern: Es kostet praktisch gar nichts, weil normaler, alkoholsteuerpflichtiger Alkohol zur Desinfektionsmittelherstellung nur bei Eng­pässen wie einer Krise gebraucht wird, ganz im Gegensatz zu Ihrer Klientelpolitik für die Bauernschaft. Da kostet allein das heutige Bauerngeschenk auf Dauer 27 Mil­liönchen Euro – jährlich! Ich freue mich aber, wenn Sie künftig bei Ihren schwarz-grünen Initiativanträgen durchgängig Wirkungsfolgeabschätzungen mit Kostenschätzun­gen ein­bringen.

Bei den Coronagesetzen waren ja einige Geschenke für Ihre Klientel dabei. Das sind ja nicht nur die Bauern. Das sind ja die Beamten, die Wirtschaftskammer, die Parteivereine und so weiter und so fort. Tja – da hätte mich schon vor der Beschlussfassung so manchen Coronagesetzes interessiert, was das alles kostet. – Danke. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der FPÖ.)

14.53


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wünscht die Frau Berichterstatterin ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Wie vereinbart verlege ich die Abstimmung an den Schluss der Abstimmungen über die Vorlagen des Gesundheitsausschusses.

14.53.39Abstimmung über die Tagesordnungspunkte 15 bis 18


Präsident Ing. Norbert Hofer: Wir kommen nun zu den verlegten Abstimmungen über die Berichte des Gesundheitsausschusses, die ich über jeden Tagesordnungspunkt getrennt vornehme.

Ich frage die Klubs, ob eine kurze Sitzungsunterbrechung gewünscht ist. – Das ist offenbar nicht der Fall.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 15, die dem Ausschuss­bericht 292 der Beilagen angeschlossene Entschließung betreffend „ein Bundesgesetz, mit dem das Ärztegesetz 1998 geändert wird (Ärztegesetz-Novelle 2020)“.


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Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Antrag eintreten, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist mehrheitlich angenommen. (70/E)

Wir gelangen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 16: Entwurf betreffend Ärztegesetz-Novelle 2020 samt Titel und Eingang in 293 der Beilagen.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die für diesen Gesetzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist mehrheitlich angenommen.

Wir kommen zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Gesetzentwurf auch in dritter Lesung ihre Zustimmung erteilen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Auch das ist die Mehrheit. Der Gesetzentwurf ist somit auch in dritter Lesung angenommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Gerhard Kaniak, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Gesundheitspolitische Initiativen für die Stärkung des niedergelassenen Bereichs“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Antrag sind, um ein Zeichen der Zustim­mung. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Gerhard Kaniak, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Facharztausbildung für Kieferorthopädie in Österreich“.

Wer dafür ist, den bitte ich um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir gelangen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 17: Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wird, samt Titel und Eingang in 294 der Beilagen.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die für diesen Gesetzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Mehrheit, angenommen.

Wir kommen zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Entwurf auch in dritter Lesung ihre Zustimmung erteilen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Auch das ist die Mehrheit. Der Antrag ist somit auch in dritter Lesung angenommen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 18: Antrag des Gesund­heitsausschusses, seinen Bericht 295 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die hiezu ihre Zustimmung geben, um ein ent­sprechen­des Zeichen. – Das ist mehrheitlich angenommen.

14.56.0719. Punkt

Bericht des Ausschusses für Konsumentenschutz über den Antrag 207/A(E) der Abgeordneten Ing. Markus Vogl, Kolleginnen und Kollegen betreffend schuldner­freund­liche Regelungen im Bereich der Inkassogebühren (275 d.B.)


Präsident Ing. Norbert Hofer: Wir gelangen zum 19. Punkt der Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gemeldet ist Herr Kollege Ing. Markus Vogl. Das sollte sich mit der Redezeit von 4 Minuten ausgehen. – Bitte, Herr Abgeordneter.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 136

14.56.36

Abgeordneter Ing. Markus Vogl (SPÖ): Herr Präsident! Herr Minister! Hohes Haus! Wir diskutieren jetzt ein Thema des Konsumentenschutzes. Wir haben nach einem Jahr endlich wieder einmal einen Ausschuss für Konsumentenschutz gehabt: 13 Tages­ord­nungspunkte – das waren eine allgemeine Aussprache und zwölf Anträge der Op­posi­tion. 

Lieber Rudi, danke für deine Antworten in der allgemeinen Aussprache! Ich glaube, es war wichtig, dass man darauf hingewiesen hat und dann auch tatsächlich Unterstützung durch den Verein für Konsumenteninformation gekommen ist, weil wir natürlich gemerkt haben, dass gerade jetzt in der Coronakrise von Konsumentinnen und Konsumenten viele, viele Rückfragen betreffend die Reisebürobranche gestellt wurden. Da war große Verunsicherung und da haben wir durch den Verein für Konsumenteninformation auch wirklich eine wichtige Unterstützung. Danke, dass durch das Ministerium so unbüro­kratisch geholfen worden ist!

Ein wichtiges Thema – auf das wird auch meine Kollegin eingehen – ist das Thema der Schuldnerberatungen, weil natürlich auch das Thema Schulden gerade in der Corona­krise ein wichtiges ist. Schauen wir uns aber doch einmal an, wie wichtig den Regie­rungsparteien das Thema Konsumentenschutz ist! 10 Minuten vor Beginn der Sitzung ist ein Antrag gekommen, denn es geht ja nicht, dass man nach einem Jahr und nach fast einem halben Jahr Regierungsarbeit zum Thema Konsumentenschutz gar nichts macht.

So hat man halt einen Antrag der Opposition genommen, hat ihn angepasst und ihn 10 Minuten vor der Sitzung eingebracht. Man hat ihn uns gegeben und hat gesagt: Passt, wir tun eh etwas! – Das ist die Initiative und das Engagement der beiden Regierungs­partner im Bereich Konsumentenschutz.

Der Antrag, der eingebracht worden ist, nämlich zum Bereich Inkassobüros, ist durchaus einer, der wichtig ist – wir würden ja nie abstreiten, dass das Thema wichtig ist. Damit die Konsumentinnen und Konsumenten einmal mitkriegen, worum es da geht: Ich glaube, jeder kennt die Situation. Man geht in ein Fitnessstudio, macht einen Vertrag, der Mitgliedsbeitrag ist 700 Euro, und dann werden – mit Inkassokosten von 2 400 Euro – auf einmal 3 400 Euro Forderung daraus. Das ist, glaube ich, etwas, das viele in diesem Land noch verkraften können, obwohl es eigentlich nicht einzusehen ist, weil einfach das Verhältnis zwischen den Kosten der Eintreibung und den Kosten des Schadens in keiner Relation steht.

Da gibt es aber natürlich noch andere Geschichten und da hilft es nicht, dass man sagt, es braucht eine Obergrenze der Kosten, sondern es gibt da noch ganz andere Themen, bei denen es auch wichtig wäre, sie zu regeln. (Präsident Sobotka übernimmt den Vorsitz.)

Da gibt es zum Beispiel die verjährten Zinsen. Die dürfen zwar nicht eingetrieben wer­den, aber es passiert; und, was auch noch ganz wichtig ist: Man kann Forderungen verkaufen, das heißt, man kann aus der Schuld, aus den Problemen der Menschen in diesem Land auch noch ein gutes Geschäft machen, indem man Forderungen einfach als Ware verkauft. – Das ist wirklich Geschäftemachen mit den Ärmsten der Armen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wie kurz der Weg in die Schuldenfalle ist, kann man noch an einem Beispiel bringen: Da hat jemand sein Konto um 4 000 Euro überzogen. Ich glaube, fast jeder kennt jetzt in der Coronazeit jemanden, der seinen Job verloren hat, Zahlungen zu bedienen hat und auf einmal 4 000 Euro zu zahlen hat – Hauptforderung: Bankkonto. Dazu sind 17 600 Euro Zinsen und 2 200 Euro Inkassokosten gekommen. Auf einmal hat man eine Forderung


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 137

von fast 24 000 Euro, und da wird es für viele in diesem Land schon wirklich eng! Ich glaube, da werden viele in diesem Land nicht mehr wissen, wie sie aus der Schuldenfalle rauskommen sollen.

Ein weiteres Beispiel für die Unternehmerinnen und Unternehmer in diesem Land: Eine Forderung von 105 000 Euro ergibt mit Zinsen und Inkassokosten 580 000 Euro. Wir werden den Antrag der Regierung unterstützen, dass es im Bereich der Inkassokosten zu einer Neuregelung kommen muss, dass es einen Deckel geben muss. Aber zum einen ist mit einem Deckel alleine nichts getan, und zum anderen sind wir auf das Tempo gespannt. Wie gesagt, die Menschen brauchen da rasch eine Antwort, denn diese Schuldenkrise wird auf die Menschen zukommen. Ich hoffe, dass wir nicht nur darüber reden, sondern dass wir im Herbst auch tatsächlich etwas Konkretes im Ausschuss sehen werden. (Beifall bei der SPÖ.)

15.00


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich bedanke mich für die Punktlandung. Ich unter­breche nunmehr die Verhandlungen über Punkt 19 der Tagesordnung, damit die ver­langte Behandlung eines Dringlichen Antrages gemäß der Geschäftsordnung um 15 Uhr stattfinden kann.

15.00.49Dringlicher Antrag

der Abgeordneten Eva Maria Holzleitner, BSc, Kolleginnen und Kollegen betref­fend „Lehrlingsgarantie in Zeiten von Corona“ (769/A)(E)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir gelangen zur dringlichen Behandlung des Selbständigen Antrages 769/A(E).

Da dieser inzwischen allen Abgeordneten zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch den Schriftführer.

Der Dringliche Antrag hat folgenden Wortlaut:

Durch den weltweiten Wirtschaftseinbruch und damit verbundenen Nachfrageeinbruch fahren die Unternehmen nicht nur die Produktion zurück, sie stellen sich auch auf einen geringeren Absatz ein – somit halten sich Unternehmen auch mit der Neuanstellung von Lehrlingen zurück. Viele Unternehmen verhängen aufgrund der unsicheren Lage einen Aufnahmestopp. ExpertInnen gehen davon aus, dass im Herbst zwischen 7.000 und 8.000 Lehrstellen fehlen werden.

Die geplanten Maßnahmen der Regierung reihen sich in die schon getroffenen Maß­nahmen ein: Plakative Überschriften statt echter Hilfe. Auch hier gilt: Die Regierung will das Problem nicht lösen, sie will es wegkommunizieren. Der Lehrstellenmangel wird nicht behoben, er wird von Seiten der Regierung geleugnet.

Wir befinden uns am Beginn der größten Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren. Die Auswirkungen am heimischen Arbeitsmarkt – auch aufgrund der katastrophalen Regie­rungsperformance in Österreich - sind schon jetzt dramatisch. Die Zahl der arbeitslosen Menschen in Österreich ist binnen weniger Wochen um rund 200.000 gestiegen. Rund 1 Millionen Menschen befinden sich in Kurzarbeit. Ob alle davon in den Arbeitsmarkt zurückkehren können, bleibt zu bezweifeln.

Besonders betroffen sind schon heute die jungen Menschen in unserem Land: Bei jenen unter 25 hat sich die Arbeitslosigkeit mehr als verdoppelt. Und der nächste harte Schlag wartet schon: tausende Jugendliche werden unter den jetzigen Voraussetzungen im September keine Lehre beginnen können.

Was haben wir also zu tun?


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 138

Lehrplatzgarantie für Jugendliche

Die Regierung muss allen betroffenen Jugendlichen, die in der Wirtschaft nicht unter­kommen, einen entsprechen Lehrplatz anbieten - entweder in einer überbetrieblichen Lehr­werkstatt oder direkt beim Bund.

Dafür ist eine entsprechende Aufstockung der Lehrstellen im Bund bzw. in den über­betrieblichen Lehrwerkstätten notwendig.

Die Ausbildungsgarantie bis 25 muss wiedereingeführt werden.

2019 ist die Ausbildungsgarantie ausgelaufen, weil schwarz/blau sie nicht mehr bud­getiert hat. Sie muss wieder aktiviert werden.

Wir alle wissen, wer nur über einen Pflichtschulabschluss verfügt, ist vergleichsweise öfter von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Ausbildungsgarantie bis 25 qualifiziert junge Men­schen für den Arbeitsmarkt und schützt sie am besten davor, keine Arbeit zu finden. Für die jungen Menschen in diesem Land ist es daher immens wichtig, die Aus­bildungsgarantie wiedereinzuführen.

Halbierung der Lehrlingsentschädigung für über 19-jährige zurücknehmen

Unter schwarz-blau wurden die Lehrlingsentschädigungen – in den überbetrieblichen Lehrwerkstätten – für ältere Lehrlinge halbiert. Diese Halbierung muss von der schwarz-grünen Regierung sofort zurückgenommen werden.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundeministerin für Arbeit, Familie und Jugend wird aufgefordert, dem Nationalrat ein umfassendes Paket zur Bekämpfung und Vermeidung von Jugendarbeitslosigkeit vorzulegen, das allen Jugendlichen, die im Herbst eine Lehre starten möchten und in der Wirtschaft aufgrund der Corona-Krise keinen Platz finden, einen entsprechenden Lehrplatz – in Kooperation mit den Ländern – in überbetrieblichen Lehrwerkstätten bzw. direkt bei der öffentlichen Hand garantiert. Dazu muss das AMS mit den entsprechenden finanziellen Mitteln für zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen ausgestattet werden. Zudem muss das AMS Personal entsprechend aufgestockt werden.“

In formeller Hinsicht wird verlangt, diesen Antrag im Sinne des § 74a Abs. 1 iVm § 93 Abs. 1 GOG-NR zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu behandeln und der Antragsstellerin Gelegenheit zur mündlichen Begründung zu geben.

*****


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf Frau Abgeordneter Holzleitner als Antrag­stellerin zur Begründung des Dringlichen Antrages das Wort übergeben.

Gemäß § 74a Abs. 5 der Geschäftsordnung darf die Redezeit 20 Minuten nicht über­schreiten.

Frau Abgeordnete, the floor is yours.


15.01.15

Abgeordnete Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): Herr Präsident! Werte Frau Minis­terin! Herr Minister! Herr Staatssekretär! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuse­herinnen und Zuseher! Ich darf heute einen Dringlichen Antrag einbringen, der uns als


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Sozialdemokratie wirklich extrem am Herzen liegt. Es geht um ein Thema, das unsere Zukunft bestimmt. Es geht um ein Thema, bei dem wir entscheiden, wie sich unser Land entwickelt. Und es geht um ein Thema, bei dem wir heute hier entscheiden, ob wir Unsicherheit und Instabilität in den Köpfen festsetzen oder Hoffnung und Zuversicht säen und streuen und die Weichen für eine positive Entwicklung stellen wollen. (Beifall bei der SPÖ.)

Es geht um nichts Geringeres als die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, die rasch und effektiv eingedämmt gehört. Mit unserem Dringlichen Antrag bieten wir heute eine wirklich sehr gute Gelegenheit dazu.

Durch den weltweiten Wirtschaftseinbruch und vor allem die damit verbundenen Nach­frageeinbußen fahren die Unternehmen nicht nur ihre Produktionen zurück und stellen sich auf einen geringeren Absatz ein, sondern sie nehmen natürlich auch einen Lehr­lings­aufnahmestopp vor. Die geplanten Maßnahmen der Regierung für diesen Bereich reihen sich in die bereits getroffenen ein: viele Pressekonferenzen, plakative Über­schrif­ten, aber keine echten Hilfen. Auch hier gilt: Die Regierung will das Problem leider nicht lösen, sondern wegkommunizieren. Ein Lehrstellenmangel wird dadurch aber leider nicht bekämpft.

Wir befinden uns am Beginn der größten Wirtschaftskrise der letzten knapp 100 Jahre – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen –, und die Auswirkungen am heimischen Arbeitsmarkt aufgrund von fehlenden oder auch nicht treffsicheren Maß­nahmen, die von der Bundesregierung in den letzten Tagen, Monaten, Wochen gesetzt worden sind, sind jetzt schon dramatisch. Die Zahl der Arbeitslosen spricht eine klare Sprache: 200 000 Personen mehr sind arbeitslos, über eine Million Menschen waren in Kurzarbeit, und ob alle am Arbeitsmarkt wieder einen Platz finden, ist sehr stark zu bezweifeln.

Besonders betroffen in unserem Land sind vor allem die jungen Menschen, diese leiden sehr. Die Lage ist ernst! Alleine heuer im Herbst werden bis zu 8 000 Lehrstellen fehlen, und die Zahl der Menschen unter 25, die arbeitslos gemeldet sind, ist im Gegensatz zum Vorjahr um 100 Prozent gestiegen. Wir sprechen hier von einer Verdoppelung, und das ist wirklich sehr dramatisch. Fast 65 000 Personen unter 25 befinden sich aktuell auf Jobsuche oder in Schulungen.

Die offene, klaffende Lehrstellenlücke von heute ist eindeutig der Fachkräftemangel von morgen. Jugendarbeitslosigkeit führt einfach auch langfristig zu einem unsicheren Arbeits­leben, zu psychischen Problemen wie Depression. Das sind Fakten, die eigent­lich schon seit Längerem unsere Alarmglocken schrillen lassen müssten. Wir müssen alles tun, um eine Lost Generation nachhaltig zu verhindern. (Beifall bei der SPÖ.)

Aber beginnen wir am Anfang: Österreich rühmte sich über Jahre hinweg zu Recht, eine sehr niedrige Jugendarbeitslosigkeitsquote zu haben. Wir können viele, viele Erfolgs­geschichten darüber erzählen, wie wir es geschafft haben, jungen Menschen nachhaltig Perspektiven zu geben und ihnen das Rüstzeug mitzugeben, damit man auf eigenen Beinen stehen kann. Das fängt mit hochwertiger Bildung an, ob in der Volksschule, Mittelschule, in den allgemeinbildenden Schulen, Berufsschulen, berufsbildenden Schu­len, in den Bildungsanstalten für Elementarpädagogik oder in den Hochschulen.

Aber das Modell, das wirklich international nicht nur extrem angesehen ist, sondern auf­grund dessen wirklich seit Jahren und Jahrzehnten neidvolle Blicke in Richtung Öster­reich geworfen werden, ist die duale Ausbildung, die Lehre: Praxisnah, fachlich fundiert, qualitätsvoll – das sind nur einige Eigenschaften, die einem einfallen, wenn man an die Lehre denkt. In ihrer Vielfalt und Qualität ist sie ein unbestrittener Garant dafür, dass junge Menschen empowered und ermutigt werden, ganz nach dem Motto: Mei Lehr is ned deppat! (Beifall bei der SPÖ.)


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 140

Dieses Vorzeigemodell gerät leider aktuell ins Wanken. Viele junge Menschen haben Angst davor, ob die Lehrstellenzusage auch wirklich hält, ob man nach der Schulaus­bildung jemanden findet, der einen ausbilden will, ob der Betrieb, in dem man arbeitet, überhaupt eine Aufgabe für einen hat. Das sind Ängste, die wirklich real und allgegen­wärtig sind. Wir können und dürfen sie nicht auf die lange Bank schieben oder gar ignorieren. Das wäre ganz fatal! Eine Generation Corona kann und darf einfach nicht das Ziel sein. Wir brauchen ein Ausbildungspaket, ein Kraftpaket, das wir schaffen müssen, das wirklich allen jungen Menschen und jedem Menschen, der eine Lehre beginnen möchte, Sicherheit gibt. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir müssen sagen: Ja, wir brauchen dich! Wir brauchen dich als Fachkraft! Wir brauchen dich mit all deinen Stärken und wir geben dir auch die Möglichkeit, dich zu entfalten! Und ja, es ist möglich! Es ist nicht realitätsfern! Das möchte ich an dieser Stelle sagen.

Wollen wir Zukunftsperspektiven schaffen, dann haben wir hier im Hohen Haus die Möglichkeit. Nein, es gibt wirklich die absolut einfache Möglichkeit, zum Beispiel diesem Antrag zuzustimmen. Wir können sagen, nein, wir wollen keinem jungen Menschen eine Ausbildung verwehren. Wir besitzen die Möglichkeit, allen eine Chance auf eine Aus­bildung zu garantieren und zu ermöglichen, durch Lehrstellen im Bund, in staats­nahen Betrieben, in überbetrieblichen Lehrwerkstätten, durch Unterstützung von Unter­nehmen in der Krise beziehungsweise mit einer ordentlichen Übernahmequote von Aus­gebil­deten. Wir müssen nur den Mut haben, das nicht nur zu beschließen, sondern letzten Endes auch umzusetzen. Wir können gemeinsam die Jugendarbeitslosigkeit sogar auf null senken. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir dürfen wirklich nicht vergessen: Eine gut ausgebildete Jugend von heute ist die Kraft, der Motor von morgen.

Jetzt möchte ich noch kurz einen Exkurs in die letzte Legislaturperiode machen. Bei Schwarz-Blau gab es vor allem zwei Strikes, zwei Fehlschläge, die man auf jeden Fall kritisieren kann. Wir fordern eine sofortige Rücknahme dieser!

Das eine ist die Lehrlingsentschädigung in überbetrieblichen Lehrwerkstätten. Wir sagen, die Kürzung, die vorgenommen worden ist, diese wirklich schikanierende Maß­nahme, gehört sofort zurückgenommen. Lehrlingen steht eine Entschädigung zu (Beifall bei der SPÖ – Zwischenruf der Abg. Kaufmann), ihnen steht die Entschädigung für die Arbeit, die sie leisten, zu, und es braucht eine ordentliche Entlohnung und kein Taschen­geld. (Beifall bei der SPÖ.)

Überbetriebliche Lehrwerkstätten leisten einen unabdingbar wichtigen Beitrag. Durch den Ausbau von überbetrieblichen Lehrstellen können auch gerade jetzt in der Krise, wenn Betriebe nicht in der Lage sind, diese aufzunehmen und auszubilden, Lehrlinge ausgebildet werden. In Kooperationen mit Unternehmen werden Lehrlinge in Schulungs­einrichtungen ausgebildet und schließen entweder dort ihre Lehre ab oder werden in einen Betrieb übergeführt. – Das ist der erste Strike gewesen. Wir fordern die Rücknah­me der Lehrlingsentschädigungskürzung!

Andererseits hat es 2017 unter dem damaligen Sozialminister Alois Stöger einen wirklich tollen Beschluss und eine großartige Maßnahme gegeben: Die Ausbildungsgarantie bis 25 wurde beschlossen und umgesetzt, ein Nachqualifizierungsangebot für 19- bis 24-Jährige, die die Möglichkeit bekommen haben, wieder etwas zu lernen und mitzu­machen. Zusätzlich gab es auch ein Fachkräftestipendium, das eingeführt worden ist.

Das waren Maßnahmen, die nicht nur unser sozialdemokratisches Herz höherschlagen haben lassen, sondern damit haben Menschen Möglichkeiten und Chancen bekommen, weil sie eine Ausbildungsgarantie bekommen und sich weiter qualifizieren haben kön­nen. Und das war wichtig. (Beifall bei der SPÖ.)


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 141

Mit der Ausbildungsgarantie bis 25 hatte jeder und jede das Recht auf eine Ausbildung, und das ist wahnsinnig wichtig. Diese Garantie während der Coronakrise wäre eigentlich eine zentrale Maßnahme, um etwas gegen die Jugendarbeitslosigkeit zu tun. Die erste Kurz-Regierung hat diese Maßnahme aber 2019 einfach nicht mehr budgetiert, nicht berücksichtigt, sie ist dann irgendwo verschwunden. Die Ausbildungsgarantie war somit wieder vom Tisch, die Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit ist dadurch wieder erschwert worden. All das rächt sich nun in der aktuellen Covid-Krise. Viele junge Menschen in verschiedensten Lebensrealitäten stehen vor massiven Problemen, vor großen Heraus­forderungen: Jobverlust, Existenzängste, einfach nicht wissen, wie man die nächste Mahlzeit oder die Miete zahlen soll. Das ist eigentlich wirklich dramatisch, das ist unfassbar, das ist vielfach verbreitet und es schürt Unsicherheit! (Zwischenruf des Abg. Zarits.) Zu all dem hat man von wirksamen Maßnahmen seitens der Bundesregierung leider einfach noch nichts gehört. Das macht uns auch wirklich sehr traurig, weswegen wir diesen Dringlichen Antrag eingebracht haben.

Sitzung um Sitzung ist die Österreichische Gewerkschaftsjugend, als Lobby für junge Menschen, die sich auch für diese Lehrstelleninitiative eingesetzt hat, draußen vor dem Hohen Haus gestanden. Sie hat auch den Bundeskanzler angesprochen, der gesagt hat: Ja, man schaut es sich einmal an! Bis heute ist aber nicht nichts passiert. Die ÖGJ ist wirklich die Lobby für die jungen Menschen, das möchte ich an dieser Stelle auf jeden Fall noch unterstreichen. (Beifall bei der SPÖ.)

Kommen wir nun aber zu ein paar Beispielen: Stadt Wien: Verdoppelung der Lehrstellen; Land Kärnten: Verdoppelung der Lehrstellen, auch das schwarz-blau geführte Ober­österreich: Verdoppelung der Lehrstellen. So einfach geht es. Aber nicht nur Österreich muss Handlungen setzen. Wir haben es hier auch schon einmal thematisiert, im April 2020 waren fast drei Millionen – 2,8 Millionen, genauer gesagt  junge Menschen unter 25 in der Europäischen Union arbeitslos. Insbesondere Griechenland und Spanien brauchen unsere Solidarität, dort liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei über 30 Prozent.

Zukunftsprognosen zeichnen da ein noch düstereres Bild. Wenn wir nicht handeln, gibt es bis Ende des Jahres in Europa fünf Millionen junge Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Das heißt, jede vierte Person befindet sich nicht in einem Job, einer Beschäftigung, einer Ausbildung oder in Trainingsmaßnahmen. Das kann nicht die Zukunft sein, das ist kein solidarisches Europa, wenn wir hier nichts tun! (Beifall bei der SPÖ.)

EU-Kommissar Nicolas Schmit hat auch betont, dass wir riskieren, dass Jugendliche die größten Opfer dieser Krise werden, entweder weil sie noch nicht im Arbeitsmarkt ange­kommen sind oder sich in prekären Beschäftigungsverhältnissen befinden. Als Europa müssen wir zeigen, dass wir unsere Jugend in dieser Krise nicht opfern.

Was lernen wir daraus? – Wien, Kärnten, auch das schwarze Oberösterreich haben es beispielsweise schon vorgemacht, die Europäische Kommission weist auf die Dring­lichkeit dieses Themas hin – das sind wichtige und gute Entwicklungen, aber eindeutig noch nicht genug, denn die Lehrstellenlücke klafft noch weiter auf. Es braucht mehr Initiativen und mehr Maßnahmen, um der Jugendarbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Lehrstellen fehlen, junge Menschen verlieren ihre Jobs, Studierende stecken in Teil­zeitjobs fest, um ihr Studium und ihr Leben überhaupt finanzieren zu können, haben keine Perspektive, weil sie diese eben verloren haben.

Es ist klar, dass wir als Bund uns nicht aus der Verantwortung stehlen dürfen, wir tragen diese Verantwortung. Viele Länder haben es vorgemacht. Die Zeit ist reif, dass wir endlich nachziehen und eine Lehrstellenoffensive fordern und fördern. (Beifall bei der SPÖ.)


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Eines sei auch gesagt, weil es ganz aktuell ist: Die Antwort kann leider keine Taskforce sein. (Abg. Loacker: Jetzt mach nicht die 200 Taskforces schlecht!) Die Antwort kann deswegen keine Taskforce sein, weil wir die Daten zur Jugendarbeitslosigkeit bereits haben. (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) ÖkonomInnen, ExpertInnen und viele mehr zeigen uns seit Wochen und Monaten die Zahlen auf. Es gilt jetzt zu handeln, wir dürfen das nicht mehr auf die lange Bank schieben. Eine Taskforce ist da leider nur ein Mittel zum Zweck für schöne Fotos. Junge Menschen wollen keine Inszenierung, sondern sie wollen Taten, Maßnahmen, Lösungen. (Beifall bei der SPÖ.)

Handeln wir, bevor es zu einer Lost Generation kommt. Es braucht eindeutig ein Kraftpaket für junge Menschen. In einem weiteren Schritt, glaube ich, muss man in dieser Situation auf jeden Fall auch über die Ausdehnung der Behaltefrist nach Abschluss einer Lehre diskutieren. Es ist sehr schwierig, weil da nicht sehr viel Zeit zur Verfügung steht. Nach einer bestandenen Lehrabschlussprüfung ist es so, dass man sich vielleicht erst orientieren muss, wenn einen der eigene Betrieb nicht übernimmt. Man muss sich be­werben, muss den ganzen Prozess durchlaufen, muss vielleicht mehrere Bewerbungen schreiben, und es darf nicht sein, dass vor oder nach dem Abschluss gleichermaßen eine Lücke im Lebenslauf klafft. Das kann es nicht sein, dazu muss es auf jeden Fall noch weitere Diskussion geben. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir wissen aus unzähligen Studien: Wer am Beginn, am Start vor große Hürden gestellt wird und am Arbeitsmarkt einfach nicht Fuß fassen kann, der hat es ein Leben lang schwer, ordentlich Fuß zu fassen und geregelte und vernünftige Anstellungsverhältnisse zu finden und da reinzukommen. Das kann auf jeden Fall nicht das Ziel sein, auf das wir hinsteuern wollen.

Wir brauchen und fordern ein umfassendes Jugendbeschäftigungspaket, eine Lehr­platz­garantie für Jugendliche und die Wiedereinführung der Ausbildungsgarantie bis 25! Die Halbierung der Lehrlingsentschädigung für 18-Jährige muss auf jeden Fall zurückge­nommen werden! (Beifall bei der SPÖ.)

Was gilt es also zu tun? Ich erkläre noch einmal ausführlich, was es zu tun gilt: Es braucht eine Lehrplatzgarantie für Jugendliche. Die Regierung muss allen betroffenen Jugendlichen, die in der Wirtschaft nicht unterkommen, einen entsprechenden Lehrplatz in überbetrieblichen Lehrwerkstätten, beim Bund, in staatsnahen Betrieben garantieren und anbieten. Dafür ist eine Aufstockung der Lehrstellen im Bund und in über­betrieb­lichen Lehrwerkstätten oder staatsnahen Betrieben notwendig.

Die Ausbildungsgarantie bis 25 muss wieder eingeführt werden. Sie ist 2019 aus­gelaufen, aber ein gutes Mittel, um die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Wir alle wissen, wer nur über einen Pflichtschulabschluss verfügt, ist vergleichsweise öfter von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Ausbildungsgarantie bis 25 garantiert und qualifiziert einfach junge Menschen für den Arbeitsmarkt, schützt am besten davor, keine Arbeit zu finden. Für die jungen Menschen in diesem Land ist es immens wichtig, dass diese Ausbildungsgarantie wieder eingeführt wird. (Beifall bei der SPÖ.)

Das hat die EU-Kommission ebenso erkannt, deswegen gibt es tagesaktuell auch ein Paper, das dazu, wie wichtig solche Ausbildungsmaßnahmen eigentlich für junge Menschen sind, um Zukunftschancen zu schaffen, veröffentlicht worden ist.

Der dritte Punkt: Die Halbierung der Lehrlingsentschädigung für über 18-Jährige muss zurückgenommen werden. Wir fordern, dass diese Schikane – gekürzt und halbiert unter Schwarz-Blau – sofort zurückgenommen wird und jungen Menschen das zusteht, was sie verdienen, für das, was sie leisten und für die Arbeit, die sie tagtäglich machen.

Zusammenfassend, zum Schluss: Die Arbeitswelt wird aufgrund der Covid-Krise nicht mehr dieselbe sein, ich glaube, da sind wir uns alle einig und da stimmen wir alle zu.


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Junge Menschen stehen aber vor immensen Herausforderungen, es ist nicht einfach für sie. Wir haben jetzt die Chance, ihnen die Angst vor einer Ausbildungslücke, vor einer Lücke im Lebenslauf zu nehmen. Nehmen wir ihnen diese Angst und schaffen wir schleunigst ausreichend Lehrstellen und umfassende begleitende Maßnahmen, wo wir nur können! Es ist unsere Pflicht für die Zukunft, für Österreich. Wir als SPÖ wollen auf keinen Fall eine Lost Generation verantworten! (Beifall bei der SPÖ. Abg. Leichtfried: Es war eine ausgezeichnete Rede! Abg. Zarits: Besser als deine! Weitere Zwischen­rufe bei der ÖVP.)

15.18


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesminister Aschbacher ist zu Wort ge­meldet. – Bitte.


15.19.04

Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend Mag. (FH) Christine Aschbacher: Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Herr Kollege! Sehr geehrte Abgeordnete! Und liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich muss ja sagen, eine Dringliche ist normalerweise immer so, dass man sagt: Eine Dringliche?! Zugleich möchte ich heute fast mit einem Dankeschön beginnen, denn das Thema ist dringend und wichtig und mir und uns auch ein Herzensanliegen.

Wir arbeiten mit vereinten Kräften an vielen Maßnahmen und haben auch weitere in Umsetzung, die ich Ihnen jetzt gerne mitteilen möchte. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen. – Abg. Leichtfried: Applaus fürs Mitteilen, das ist ja ...!)

Die Coronapandemie und auch die Weltwirtschaftskrise haben das Leben der gesamten Bevölkerung stark verändert. Bei den Familien, bei den Jugendlichen, aber auch in der gesamten Arbeitswelt und dementsprechend auch in der Jugendbeschäftigung hat die Coronakrise Spuren hinterlassen. Da gilt es jetzt, Maßnahmen zu setzen und weiterzuentwickeln. Daher möchte ich einen kurzen Aufriss machen, wo wir stehen, und dann sagen, was bereits eingetaktet ist und was weiterhin forciert wird.

Wie schaut es mit dem Lehrstellenbedarf aus? – Wir sehen, dass wir mit Ende Juni 2020 7 673 jugendliche Lehrstellenbedarfe verzeichnen. Alleine beim AMS sind knapp 5 000 offene Lehrstellen gemeldet. Wenn ich in den verschiedenen Regionen unterwegs bin und mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Unternehmen rede, die in Kurzarbeit sind oder auch waren, auch in Bereichen, wo es zurzeit unüblich ist, Lehrlinge zu suchen, wie beispielsweise in der Stadthotellerie, sagen mir viele: Wir finden dennoch keinen Lehrling! In einem Stadthotel beispielsweise werden sechs Lehrlinge gesucht. Dement­sprechend gilt es, diese Bedarfe zu analysieren und diese Lücken zu schließen.

Im Vorjahr allerdings war der Lehrstellenmarkt in Gesamtösterreich ausgeglichen. Ende Februar hatten wir sogar einen Lehrstellenüberhang von über 400 offenen Lehrstellen. Wir sehen also, wie sehr diese Coronapandemie unseren Arbeitsmarkt durcheinan­der­gewirbelt hat.

Schätzungen von Expertinnen und Experten, beispielsweise von Zukunft.Lehre.Österreich, aber auch interne Schätzungen zeigen, dass aus jetziger Sicht im Herbst rund 7 500 Lehr­stellen offen sein werden.

Zum Zweiten: Die aktuellen Arbeitsmarktdaten im Bereich der Jugendlichen, also für all jene, die unter 25 Jahre sind, verzeichnen bei der reinen Arbeitslosigkeit – also ohne diejenigen, die sich in Schulung befinden – einen Zuwachs von 80,5 Prozent im Ver­hältnis zum Vorjahr, und zugleich bei all jenen Jugendlichen, die Arbeit suchend und in Schulungen sind, einen Zuwachs von 32,6 Prozent.


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Wir sehen also alleine an diesen Zahlen, dass die Bereitschaft der Jugendlichen, an Schulungs-, Ausbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen, sehr, sehr groß ist. Dementsprechend sind wir gefragt, diese Angebote auch bereitzustellen.

Zahlen von Eurostat, aber auch der OECD zufolge waren wir, was die Jugendarbeits­losigkeit betrifft, stets unter den Topnationen Europas. Zum Beispiel 2019 auf Rang fünf mit einem Wert von 8,5 Prozent, als der Durchschnitt in der EU bei circa 15 Prozent war, und auch zurzeit, im Zuge der Coronapandemie, liegen wir bei vergleichbaren Werten auch weiterhin deutlich unter dem EU-Durchschnitt, und wir sind uns alle einig, dass das heurige Jahr nicht mit den letzten Jahren vergleichbar ist. Auch Expertinnen und Exper­ten mit jahrzehntelangem Erfahrungsschatz sagen, so etwas haben sie noch nie ge­sehen. Es bedarf hier eines arbeitsmarktpolitischen Instrumentenkoffers für verschie­dene Zielgruppen, aber auch für verschiedene Branchen.

Es ist uns schon schrittweise gelungen, die Situation am Arbeitsmarkt für die Jugend­lichen zu entschärfen, vom Höchststand der Arbeitslosigkeit Mitte April bis jetzt, da wir über ein Viertel der Jugendlichen vermitteln konnten. Dennoch bleiben die Ärmel hoch­ge­krempelt, es ist viel zu tun und viel Einsatz in der Arbeitsmarktpolitik gefragt.

Ich bin als Jugendministerin im ständigen und intensiven Austausch mit den betroffenen Jugendlichen und auch mit vielen Jugendorganisationen und werde öfters gefragt, auch im direkten Austausch: Sind Bewerbungen jetzt überhaupt sinnvoll? Wenn man einigen Rednern hier zuhört, dann muss man sich als Jugendlicher eigentlich schon fragen, ob man zurzeit überhaupt noch eine Bewerbung schreiben soll. Ich möchte darauf sagen: Ja, die Unternehmen suchen Arbeitskräfte, deshalb zahlt es sich aus, dorthin, wo es offene Stellen gibt, wo auch Interesse besteht, Bewerbungen zu schreiben.

Auf der anderen Seite geht es aber auch sehr stark um Umqualifizierung, um Weiter­bildung. Im Bereich der Digitalisierung zum Beispiel schätzen wir, dass es rund 20 000 neue Jobs geben wird. Dafür müssen wir auch unsere Jugendlichen bereitmachen und dementsprechend Aus- und Weiterbildung anbieten.

Gemeinsam mit meinem Ressort, aber auch mit Fachexpertinnen und Fachexperten und mit Zukunftsforschern – weil das Thema der Jugendlichen auch ein Zukunftsthema ist –, und aber auch in Kombination mit den neuen Arbeitswelten erarbeiten wir gerade diese Anforderungen, welche New Skills notwendig sind, und dafür gilt es, Perspektiven zu geben und Mut zuzusprechen. Mir ist wichtig, dass wir den konkreten Bedarf eruieren und darauf zugeschnittene Angebote machen, um diese Lücke schließen zu können. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Also was haben wir in den letzten Wochen und Monaten getan? Welche Projekte sind im Laufen, um die Jugendbeschäftigung zu garantieren und gegen die Jugendarbeits­losigkeit zu arbeiten? – Aus der finanziellen Dimension betrachtet, stehen über eine halbe Milliarde Euro für die aktive und aktivierende Arbeitsmarktpolitik, zugeschnitten auf die Jugendlichen, zur Verfügung. Aus den laufenden Maßnahmen, aus dem Instru­men­tenkoffer für die Jugendlichen, also die unter 25-Jährigen, stellen wir im Rahmen der Ausbildungsgarantie bis 25 sehr wohl verschiedene Schulungen für Jugendliche mit einem Pflichtschulabschluss bereit.

Warum die SPÖ behauptet, dass damit kein Schwerpunkt gesetzt sei, ist aus meiner Sicht nicht verständlich (Beifall bei der ÖVP), denn rund 40 000 Jugendliche haben alleine heuer im ersten Halbjahr von einer der Bildungsmaßnahmen des AMS profitiert, und dementsprechend sollten wir das nicht schlechtreden, sondern die Jugendlichen motivieren und aktivieren, und nicht Perspektiven verneinen, sondern Perspektiven geben.


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Dementsprechend werden auch, beispielsweise über die Lehrstellenförderstelle, über 10 000 betriebliche Lehrstellen gefördert. Zugleich war es aber auch ganz wichtig, im Zuge der Krise in unserem Coronakurzarbeitsmodell auch für Lehrlinge Kurzarbeit zu ermöglichen, bei vollem Entgelt, damit sie keinen Einkommensverlust erleiden. Auch die Infohotline, die wir eingerichtet haben, wurde besonders von den Lehrlingen sehr intensiv in Anspruch genommen.

Eine bedarfsgerechte Planung der ÜBAs ist gerade im Laufen, und dementsprechend arbeiten wir auch mit Unterstützung von verschiedenen Forschungsinstituten daran, zu sagen, welche Bereiche es am Ersten Arbeitsmarkt gibt, wo wir Jugendliche am Ersten Arbeitsmarkt unterbringen können und wo der Bedarf gegeben ist, im Ausbildungsjahr 2020/2021 überbetriebliche Plätze zur Verfügung zu stellen.

Die laufenden Instrumente dienen besonders auch der Orientierungshilfe. In jedem Jugendlichen flackert ja ein Funke an Interesse. Das müssen wir erwecken. Da müssen wir investieren, sei es mit dem Jugendcoaching, sei es mit dem Lehrlings- oder Lehr­betriebscoaching, aber auch der AMS-Beratung, und mit der Koordinierungsstelle AusBildung bis 18 unter der Federführung meines Ressorts in Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium.

Dementsprechend gilt es, den Schwerpunkt in den Orientierungshilfen zu setzen, um zu schauen, wo die Stärken der Jugendlichen sind, damit diese auch entfaltet werden können.

Aber nicht nur der Arbeitsmarkt ist zentral für die Jugendlichen. Was ist die Basis? – Die Basis ist eine fundierte und gute Ausbildung für die Jugendlichen, und dementsprechend stehe ich auch in enger Kooperation mit dem Herrn Bildungsminister, damit wir für den gesamten Schulbereich umfassende Maßnahmen treffen, die besonders heuer im Zuge der Coronakrise essenziell sind, damit die Schülerinnen und Schüler ihren Abschluss machen können.

Zum Beispiel haben heuer, letzte Woche schon, aber auch diese Woche, 90 000 Schü­lerinnen und Schüler die 9. Schulstufe, also den Pflichtschulabschluss absolviert. Aus den Erfahrungen der letzten Jahre wissen wir, dass circa 40 Prozent davon in eine Lehre und 60 Prozent in eine weiterführende Schule gehen.

Ich war erst gestern mit internationalen Arbeitsministerinnen und Arbeitsministern auf OECD-Plattformen per Videokonferenz im Austausch. Sie haben gesagt, in der Jugendbeschäftigung ist besonders unsere duale Ausbildung nicht nur ein europäisches, sondern auch ein internationales Best-Practice-Modell. Diese gilt es, weiterhin auszu­bauen und zu stärken. Dementsprechend bin ich sehr froh darüber, dass die geplanten Euroskills, die jetzt während der Coronakrise in Österreich nicht stattfinden konnten, auf Jänner verschoben wurden und in meiner Heimatstadt Graz stattfinden werden. Es ist wichtig, unsere Lehrlinge, unsere Fachkräfte der Zukunft vor den Vorhang zu holen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Wir müssen aber besonders jetzt den Fokus genau dorthin legen, wo das gebraucht wird. Wir müssen schauen, wie wir die Lehrlinge unterbringen und Ausbildungsplätze bei den Unternehmen garantieren können. Daher arbeiten wir mit der Wirtschaftsministerin sehr eng zusammen, um die Lehre aufzuwerten, neue Lehrberufe zu installieren und attraktiv zu machen, auch für die Jugendlichen spannend zu machen, aber zugleich zu schauen, welche Anforderungen wir am Arbeitsmarkt haben.

Wichtig ist gerade jetzt, Unternehmerinnen und Unternehmer zu unterstützten, damit sie Lehrlinge aufnehmen. Da haben wir den Lehrlingsbonus ausgeschrieben, der schon am 1. Juli gestartet ist. In nur einer Woche haben da schon rund 600 Unternehmen nach­gefragt, die Lehrlinge aufnehmen wollen. Das wollen wir jetzt besonders unterstützen.


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Es gab eine Tendenz, die mich sehr, sehr nachdenklich gestimmt hat, nämlich wie wir dem entgegenwirken können, dass Unternehmen gesagt haben: Heuer wird es mit den Stellen für Lehrlinge schwierig, die wir aber eigentlich grundsätzlich nehmen wollen.

Deshalb unterstützen wir vonseiten der Regierung mit dem Lehrlingsbonus von 2 000 Euro pro Lehrstelle Unternehmen, die gesagt haben, dass sie nicht nur die Lehrlinge auf­nehmen, die sie geplant haben, sondern vielleicht auch den einen oder anderen zu­sätzlich, weil es gerade jetzt so wichtig ist, die Fachkräfte von morgen auszubilden.

Anstatt an einzelnen Rädchen zu drehen, versuchen wir und geben wir mit vereinten Kräften das Beste, um das große Ganze zu sehen. Es sind schon viele Maßnahmen eingetaktet und im Laufen. Zugleich bedarf es aber auch noch intensiverer Unter­stützung. Deshalb haben wir eine interministerielle Taskforce ins Leben gerufen, um uns noch genauer den Bedarf anzuschauen, der tatsächlich vorhanden ist, um dieser Nach­frage gerecht werden zu können.

Ich bin sehr dankbar für die Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsministerin, mit dem Bil­dungsminister und auch mit dem Sozialminister, denn mit vereinten Kräften können wir als Bundesregierung unserem Ziel gerecht werden, den Jugendlichen entweder einen Ausbildungsplatz im schulischen Bereich oder eine Lehrstelle zu garantieren und dabei zu unterstützen, dass das Matching noch besser wird. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Wir müssen uns dieses Triangel genau anschauen: Welche Anforderungen und welche Nachfrage gibt es seitens des schulischen Bereichs, des betrieblichen Bereichs und in der aktiven Arbeitsmarktpolitik, um dort zu unterstützen, wo es notwendig ist, und gege­benenfalls selbstverständlich auch bedarfsorientierte Aufstockungen vorzunehmen.

Uns ist es ein Herzensanliegen – und da kann ich für uns alle sprechen –, wirklich zu versuchen, dass wir den Jugendlichen Orientierung und Unterstützung geben, Mut zuzusprechen, ein ausbildungsvorbereitendes Angebot zur Verfügung zu stellen, indivi­duelle Stärken der Jugendlichen zu identifizieren und zu stärken, damit sie diese auch entfalten können, nämlich dort, wo es darum geht, einer sinnhaften Beschäftigung, einer sinnhaften Tätigkeit nachzugehen. Dementsprechend wollen wir an den Schnittstellen niemanden verlieren und haben gemeinsam diese Taskforce ins Leben gerufen, um ressortübergreifend Ausbildungs- und Lehrstellenplätze bereitzustellen.

Wir stehen vor besonderen Herausforderungen in dieser besonderen Zeit. Wir packen diese an, wir lassen die Ärmel weiterhin hochgekrempelt. Es ist viel zu tun, und über den Sommer wird der Fokus verstärkt auf der Orientierungshilfe sein, auf dem Identifizieren des Angebots und der Nachfrage in den verschiedenen Bereichen, um die Schnittstellen herzustellen, um unsere Jugendlichen bestmöglich zu begleiten und im Ausbildungsjahr 2020/2021 allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen, damit sie einer sinnhaften Tätigkeit nachgehen können, und nicht von einer Lost Generation zu reden, sondern von einer Zukunftsgeneration. Das ist mir wichtig, und da müssen wir hin.

Ich danke allen für diese Initiative und auch für dieses Thema, damit wir gemeinsam für die Jugendbeschäftigung kämpfen und jedem einzelnen Jugendlichen eine Perspektive und Mut geben. – Herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

15.35


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Köchl. – Bitte.


15.35.36

Abgeordneter Klaus Köchl (SPÖ): Geschätzter Herr Präsident! Geschätzte Frau Minis­ter! Herr Staatssekretär! Lehrlinge sind ein ganz wichtiges Thema. Die Frau Minister hat sich bei der SPÖ dafür bedankt, dass sie dieses Thema aufgebracht hat. Wir haben das


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gern getan. Zuerst habe ich als Lehrlingssprecher im April eine Anfrage an Sie gestellt, wie es nach dieser Krise ausschauen wird, wie man dann Lehrlinge anstellen wird, wenn es immer weniger Betriebe im Tourismus und dergleichen gibt, was man da für Maß­nahmen setzt. Jetzt haben wir Juli, jetzt kommen die Ferien, und ich kann das als ehemaliger Lehrling und als jemand, der 1961 geboren ist, so richtig nachvollziehen, was das heißt. Damals war es schwer, eine Lehrstelle zu bekommen. Die Eltern waren be­sorgt, wie denn der Bub eine Lehrstelle kriegt und was sie da machen können. Frau Minister, Sie sagen, Sie werden anfangen, da etwas zu machen. Das verstehe ich nicht.

Ich habe nachgeschaut, wer von den Abgeordneten hier im Nationalrat eine Lehre ge­macht hat. Es sind circa 25, die eine Lehre absolviert haben, und die werden mir absolut recht geben, dass das etwas ganz, ganz Schwieriges ist. Ich möchte keinem Elternteil sagen müssen, dein Bub darf nicht lernen gehen.

Wenn man Einzelhandelskaufrau lernt, wenn man einen handwerklichen Beruf lernt, wenn man Installateur ist, Koch oder Köchin – das ist überhaupt sehr interessant, da braucht man ja genug – oder Elektriker, die alle haben für mich zwei Dinge gemeinsam: Alle waren einmal Lehrlinge, und genau diese Menschen haben uns mit ihrem Wissen, mit ihrer Erfahrung und mit ihrem unermüdlichen Einsatz in dieser Krise geholfen. Das waren nämlich die Helden, die von sämtlichen Ministern hinter Plexiglas und mit Mund-Nasen-Schutz beklatscht worden sind. Es ist gesagt worden: Ihr wart einfach super!

Das wird dann abgehen, denn diese Ausbildungsplätze wird es nicht mehr geben, und 8 000 junge Menschen, die einmal zu Helden werden sollten, können in Zukunft nicht arbeiten. Das ist einfach eine Katastrophe, das ist eine Lehrstellenkatastrophe. Jeder einzelne Lehrplatz, der hier versprochen wird, auf dem der Jugendliche dann aber nicht arbeiten darf, ist für mich einer zu viel. Wenn es das Bundesland Kärnten zusam­menbringt, zusätzliche Lehrlinge aufzunehmen, wenn es Wien, eine gut geführte, sozial­demokratische Bundeshauptstadt zusammenbringt, zusätzliche Lehrlinge aufzuneh­men, dann muss es ja wohl möglich sein, dass der Bund zusätzliche Lehrstellen zur Verfügung stellt. Wenn man bedenkt, dass die starken Jahrgänge dann so und so in Pension gehen, könnte man dann eben auch auf Bundesebene Lehrlinge einsetzen. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Ironie bei der ganzen Sache ist für mich, dass ein Koch Lehrling des Monats ist, und genau die Tourismusbranche trifft es ja ganz besonders hart. Warum kann man da als Wirtschaftspartei ÖVP nicht dafür sorgen, dass Jugendliche wieder gern ins Gastge­werbe arbeiten gehen, dass sie dort anständige Arbeitsbedingungen haben, dass es dort passt? Ich verstehe nicht, wenn Berufsschuldirektoren sagen, dass es jetzt allein im Gastgewerbe 50 Prozent weniger Anmeldungen in den Berufsschulen gibt. Die wären dann topausgebildet, unsere Schulen sind top beieinander – dafür haben sozialdemo­kratische Minister vorher gesorgt, dass dort eine gute Ausbildung stattfinden kann –, die lernen dort, und niemand geht dann in diesen Beruf und wird in Hotels arbeiten, weil man einfach keine passenden Arbeitszeiten und dergleichen zusammenbringt. Da ist anzu­setzen, und dafür ist ein Konzept zu machen – und Sie sagen immer noch, dass Sie Maßnahmen setzen werden, was aber meines Erachtens viel zu spät ist.

Ich werde heute noch einmal zum Thema Lehrlinge reden. Da werde ich dann noch einmal genau die Forderungen aufzählen, die die Kollegin von meiner Partei schon genannt hat. Wir wollen ja nur drei Dinge, und die wären ganz besonders wichtig: dass man jedem Jugendlichen eine Lehrstelle zur Verfügung stellt, dass man wieder dafür sorgt, dass die Lehrlinge anständig verdienen, und dass man nicht die Lehrlings­ent­schädigung um die Hälfte kürzt und auf der anderen Seite dem Betrieb, dem Unter­nehmer 1 000 Euro oder 2 000 Euro gibt. Ich glaube, das ist komplett fehl am Platz. Die Lehrstelle muss mehr wert sein! Ich fordere diese Regierung auf, das auch umzusetzen. (Beifall bei der SPÖ.)

15.40



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 148

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Kaufmann. – Bitte.


15.40.36

Abgeordnete Martina Kaufmann, MMSc BA (ÖVP): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Herr Staatssekretär! Werte Kolleginnen und Kollegen hier im Hohen Haus, aber vor allem auch liebe Zuseherinnen und Zuseher! Für mich als Lehrlings­sprecherin ist es heute ein Tag der Freude, da wir in der Dringlichen über das Thema Lehre sprechen können.

Seit zwei Jahren kämpfen wir gemeinsam mit unserer Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck für die Aufwertung der Lehre, und jetzt haben wir diese Aufwertung auch hier im Hohen Haus, indem wir sogar in der Dringlichen über das Thema Lehre sprechen können. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Verwundert bin ich allerdings über den Antrag der SPÖ, der sehr rückwärtsgewandt ist. Zum einen sind etliche Punkte drinnen, die so gar nicht stimmen, bei denen nie irgend­eine Änderung vorgenommen worden ist. Begrifflichkeiten wie zum Beispiel Lehrlings­entschädigung haben wir im Übrigen hier herinnen geändert, das heißt jetzt Lehrlings­einkommen. (Ruf bei der SPÖ: Das ist wichtig! – Abg. Matznetter: Das ist Ihre Maß­nahme! Gratulation, Frau Kollegin! Umetikettieren!) Maßnahmen, die schon gesetzt wor­den sind (Abg. Heinisch-Hosek: Ablenkung!), Frau Kollegin, haben Sie nicht einmal mitbekommen. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Sie haben nicht mitbekommen, was unsere Arbeitsministerin und unsere Wirtschafts­ministerin bereits auf die Reise geschickt haben. (Ruf bei der SPÖ: Das heißt gar nichts!) Sie haben nicht mitbekommen, dass der Lehrlingsbonus von 600 Unternehmen in Öster­reich bereits beantragt wurde, und Sie sprechen davon, dass nichts passiert ist! (Ruf bei der SPÖ: ...Lehrlingseinkommen!)

Mit Ihrem Antrag, den Sie heute im Parlament stellen, und mit Ihrer Position machen Sie genau das Gegenteil von dem, was wir jetzt in dieser Zeit, in dieser Coronakrise brauchen. (Abg. Heinisch-Hosek: Ja, ja!) Wir brauchen Mut, nämlich den Mut der Unternehme­rinnen und Unternehmer, Lehrstellen anzubieten, und wir brauchen auch den Mut der jungen Menschen, werte Kolleginnen und Kollegen von der SPÖ, sich zu bewerben. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Abg. Matznetter: Mut zum Umetikettieren! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Wir haben nämlich mittlerweile die Situation (Abg. Silvan: Alles in Ordnung!), und die Frau Ministerin hat es auch angesprochen, dass man, wenn man draußen mit den Unternehmerinnen und Unternehmern spricht – und auch da muss ich heute wieder sagen, Österreich endet nicht an den Grenzen von Wien, es gibt auch darüber hinaus Betriebe, auch solche, die Lehrlinge ausbilden –, feststelle, die suchen händeringend nach jungen Menschen, die sich bewerben. (Zwischenruf des Abg. Matznetter.)

Also, liebe Frau Kollegin Holzleitner, machen Sie den Jugendlichen Mut, sich zu bewerben! Das ist absolut wichtig. (Abg. Silvan: Alles in Ordnung! Alles in Ordnung!) Worin wir uns hundertprozentig einig sind (Abg. Matznetter: Alles in Ordnung!), auch Herr Kollege Matznetter (Abg. Matznetter: Machen Sie weiter so!), ist, dass wir es schaffen müssen, auch in den Bereichen – und da wird Wien ein großes Thema sein, da gebe ich Ihnen recht, Frau Kollegin Heinisch-Hosek (Abg. Kollross: Wir werden uns das genau in Graz anschauen!) –, in denen vielleicht die eine oder andere Lehrstelle fehlt (Abg. Matznetter: Fast ischglmäßig! Da wurde alles richtig gemacht! Landesrat ...! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ), andere Möglichkeiten an Ausbildungen zu finden; wobei natürlich eine Lehrstelle, die in einem Betrieb angesiedelt ist, besser ist als eine


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Lehrstelle sonst irgendwo. (Beifall bei der ÖVP sowie des Abg. Zorba. – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Unsere Unternehmen bilden sehr, sehr gerne aus, und ich weiß, wovon ich spreche. Wir bilden bei uns in meinem Betrieb zu Hause seit über 30 Jahren Lehrlinge aus. Ich sage Ihnen aber: Es war in den letzten Jahren – und ist auch im Moment – nicht einfach, an Lehrlinge zu kommen. Deswegen müssen wir hier gemeinsam den Jugendlichen Mut machen, sich zu bewerben.

Wir haben aber immer wieder die Situation, dass die überbetrieblichen Ausbildungen und andere Maßnahmen, auch die Schule gehört dazu, uns die Jugendlichen weg­nehmen und die Jugendlichen gar nicht mehr in die Betriebe gehen, sich in Betrieben nicht bewerben. Das heißt, wir müssen mit einer guten Berufsorientierung gemeinsam schauen, dass die Jugendlichen nach ihren Talenten, Fähigkeiten und Fertigkeiten in die richtige Ausbildung kommen, dass wir in Österreich die duale Berufsausbildung weiter aufwerten und so zu einer echten Wahlfreiheit zwischen schulischer und beruflicher Ausbildung kommen. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Werte Kolleginnen und Kollegen von der SPÖ! In einem sind wir uns auch einig: Wir wollen keinen Jugendlichen in Österreich zurücklassen. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Wir wollen sicher wissen, dass jeder Jugendliche im Herbst in einer Ausbildung ist, damit wir gut in die Zukunft schauen (Abg. Kollross: Das schauen wir uns im September an!), denn klar ist: Wir werden auch in drei beziehungsweise vier Jahren (Abg. Kollross: Im September schauen wir uns die Statistik an!) gut ausgebildete junge Fachkräfte brauchen. Wir lassen also niemanden zurück. (Ruf bei der SPÖ: Hoffentlich!)

Stimmen Sie im Übrigen heute bei unserem Antrag, den wir gemeinsam mit den Grünen eingebracht haben, mit! Im Ausschuss haben Sie ja leider dagegengestimmt. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

15.45


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Angerer. – Bitte.


15.45.44

Abgeordneter Erwin Angerer (FPÖ): Herr Präsident! Frau Minister! Herr Staats­sekre­tär! Hohes Haus! Geschätzte Damen und Herren! Frau Kollegin Kaufmann! Zu dem An­trag, den Sie heute unter Tagesordnungspunkt 26 einbringen, muss ich Ihnen sagen: Wenn Sie an sich selbst einen Entschließungsantrag stellen, dass die betriebliche und überbetriebliche Lehre sicherzustellen ist, dann ist das mehr als peinlich. (Heiterkeit und Beifall bei FPÖ, SPÖ und NEOS.)

Also wenn Sie sich selbst auffordern, etwas zu tun, und dann hier heraußen stehen und sagen, wir haben so viel getan – da passt irgendetwas nicht zusammen. Das müssen Sie mir erklären.

Aber jetzt vielleicht zum durchaus sehr wichtigen Thema Lehrlingsausbildung, Lehrlinge und zur Situation in Coronazeiten, in Zeiten wie diesen: Das ist natürlich eine Sonder­situation, aber man sollte, was die Lehrlinge betrifft, die Ursachen bekämpfen und nicht die Symptome. Wenn wir uns heute die Ursachen dafür anschauen, dass keine Lehrlinge aufgenommen werden, so gibt es dazu eine Umfrage. Sie wurde von der „Presse“ im November 2018 veröffentlicht.

Laut dieser Umfrage sagen 65 Prozent der österreichischen Unternehmen, die Lehrlinge ausbilden, sie finden keine Lehrlinge. Und was ist der Grund dafür, dass sie keine Lehr­linge finden? – Die Hauptgründe sind mangelnde Kompetenz im Lesen, Schreiben, Rechnen und in der deutschen Sprache sowie Mangel an Leistungsbereitschaft. Das


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sind die Ursachen, und da fehlt es im Bildungssystem. Das ist der Punkt. Das Bildungs­system von Rot und Schwarz der letzten Jahrzehnte hat versagt, das ist der Beweis dafür, und da muss man ansetzen. (Beifall bei der FPÖ sowie der Abg. Künsberg Sarre.)

Wenn ich gestern vom Herrn Bildungsminister höre, man soll jetzt, wenn man sich bei der Zentralmatura bemüht, auch noch die Matura bekommen, dann muss ich sagen: Also bemühen ist zu wenig. Wenn ich mich bemühe, das kleine Einmaleins zu lernen, es aber nicht beherrsche, ist es einfach zu wenig. (Beifall des Abg. Loacker.) Wenn ich mich bemühe, die Matura zu schaffen, und einfach die Voraussetzungen nicht habe, dann ist das zu wenig. Bemühen ist zu wenig.

Wenn sich ein Lehrer heute bemüht, den Kindern Lesen, Schreiben und Rechnen beizu­bringen, und es nicht zustande bringt, dann ist es einfach zu wenig. Dann muss man dem Lehrer sagen: Das ist zu wenig, Leistung verfehlt! Also da brauchen wir mehr Leistung und nicht einfach nur das Bemühen, etwas zu schaffen! (Beifall bei der FPÖ sowie des Abg. Shetty.)

Deshalb kann aus meiner beziehungsweise aus unserer Sicht der Ansatz nicht sein, dass man jetzt sagt: Okay, überbetriebliche Lehre sicherstellen, jedem einen Lehrplatz garantieren, der Staat soll hier einspringen! Es kann in einer Krisenzeit wie jetzt natürlich notwendig sein, dass man den Lehrlingen hilft. Kein Lehrling soll im Herbst auf der Straße stehen, wenn er gewillt ist, eine Lehre zu machen, deshalb sollte man die überbetriebliche Lehre heuer sicher unterstützen.

Die Zukunft muss es aber sein, dass man die Überregulierungen – und es gibt viele Dinge, die die Unternehmen heute stören, wenn sie Lehrlinge ausbilden – zurücknimmt, die Lehrlingsausbildung in den Unternehmen unterstützt und fördert und dass man die Voraussetzungen dafür schafft, dass die jungen Leute lesen, schreiben und rechnen können. Das ist der Punkt.

Um den Vergleich vielleicht einmal darzustellen: Die überbetriebliche Lehre wird heute mit rund 16 000 Euro im Jahr pro Lehrplatz unterstützt. Es hat schon in einer sehr erfolgreichen ÖVP-Freiheitlichen-Regierung den Blum-Bonus gegeben, der darin be­stand, dass man die Lehrlinge in den jeweiligen Unternehmen im ersten Lehrjahr mit 400 Euro, im zweiten Lehrjahr mit 200 Euro und im dritten Lehrjahr mit 100 Euro unter­stützt hat,

So gibt man dem Unternehmer eine Unterstützung bei den Lohnkosten und trägt dazu bei, dass er eben Lehrlinge aufnimmt und ausbildet und die wiederum später als Fach­kräfte zur Verfügung stehen. Das muss der Ansatz sein: dass wir heute die Lehrlinge in die Betriebe hineinbekommen und sie dort ausbilden.

Deshalb stelle ich wieder einmal folgenden Antrag – und die Frau Wirtschaftsministerin hat sogar ins Auge gefasst, darüber nachzudenken –, den Blum-Bonus wieder einzu­führen, entsprechend zu überarbeiten und an die heutigen Gegebenheiten anzupassen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Erwin Angerer, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Lehrlingspaket für Österreichs Lehrlinge – Wiedereinführung des Blum-Bonus“

Der Nationalrat wolle beschließen:


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 151

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage zuzu­leiten, mit der ein an die aktuelle Situation angepasster ‚Blum-Bonus‘, der einen monat­lichen Zuschuss für die gesamte Lehrzeit für Lehrlinge garantiert, eingeführt wird.“

*****

Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

15.50

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

des Abgeordneten Erwin Angerer

und weiterer Abgeordneter

betreffend Lehrlingspaket für Österreichs Lehrlinge – Wiedereinführung des Blum-Bonus

eingebracht im Zuge der Debatte zum Dringlichen Antrag gem. § 74a Abs 1 iVm § 93 Abs 1 GOG-NR der Abgeordneten Eva Maria Holzleitner Genossinnen und Genossen betreffend: Lehrlingsgarantie in Zeiten von Corona in der 45. Sitzung des Nationalrates am 8. Juli 2020

Laut einer aktuellen Market-Studie wird es im kommenden Herbst einen eklatanten Lehrstellenmangel geben.

„In Summe dürften das rund 10.000 Ausbildungsplätze weniger sein, als noch vor der Coronavirus-Krise geplant war“, so Studienautor David Pfarrhofer. Besonders betroffen sei dabei der Handel mit rund 3.500 Lehrstellen, der Bereich Gewerbe und Handwerk mit 3.000 und der Tourismus mit rund 2.000 Lehrstellen, die nicht besetzt würden.

Jeder dritte Betrieb, der im heurigen Herbst keine Lehrlinge einstellt, plant laut Umfrage, auch im nächsten Jahr keine Lehrlinge aufzunehmen. „Dies würde einen massiven Schaden für die duale Ausbildung bedeuten,“ so Pfarrhofer. https://ooe.orf.at/stories/3048849/ 16.05.2020

Ein Lehrlingsbonus, den die schwarz-grüne Regierung kürzlich in Aussicht gestellt hat, wurde medial schön platziert, wird aber das vorherrschende Problem nicht lösen können und ist wieder nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Ein Unternehmen investiert allein im ersten Lehrjahr pro Lehrling im Schnitt 19.739 Euro, im dritten bereits rund 26.500 Euro.

Bedenkt man, dass der Umsatzrückgang allein für Österreichs Gastronomie während des Corona-Lockdowns täglich ca 60 Millionen Euro betrug und laut Experten auch nicht wieder aufholbar ist, stellt sich die Frage, wie nun 2.000 Euro, die die Regierung beisteuern möchte, bei gleichzeitig hohen Lehrlingskosten und eingebrochenem Umsatz tatsächlich helfen sollen.

Eine Lehrlingsförderung zur Schaffung und zum Erhalt von Lehrplätzen, die dem tat­sächlichen Stellenwert der Lehre für den Wirtschaftsstandort Österreich entspricht und die die Unternehmen, die sich den aktuellen Herausforderungen stellen, auch eine finanzielle Wertschätzung für ihr Engagement Fachkräfte auszubilden, entgegenbringt, ist daher ein Gebot der Stunde.

Die Problemlage bei den jungen Menschen ist dramatisch. So hat sich zuletzt die Arbeitslosigkeit bei den Jungen unter 25 verdoppelt und ist im Vergleich zum Vorjahr um nicht weniger als 104,1 Prozent gestiegen.


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Österreich kann es sich nicht leisten, aufgrund der Corona-Krise ganze Jahrgänge junger Menschen zu verlieren.

Da nahezu alle Branchen von der Corona-Krise sehr stark betroffen sind, und es daher ohne unterstützende Maßnahmen sehr lange dauern wird, bis Jugendliche wieder eine Lehrstelle finden werden, muss der Staat hier die finanzielle Verantwortung überneh­men.

Eine Möglichkeit in diesem Zusammenhang wäre die Wiedereinführung eines an die aktuelle Situation angepassten sogenannten Blum-Bonus, der in den Jahren 2004 und 2008 erfolgreich funktionierte.

Dieser hat sich bewährt und den Unternehmen einen monatlichen Zuschuss über die gesamte Lehrzeit für Lehrlinge in ihrem Betrieb garantiert.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Tatsache, dass auch Bundesministerin Magarete Schramböck Überlegungen in Richtung eines Blum-Bonus anstellt, wenn sie kürzlich in einem Interview mit den Vorarlberger Nachrichten vom 18.01.2020 mitteilte, dass „wir prüfen, welche Anreize wir schaffen können und welche Strukturen Unternehmen brauchen, um mehr Lehrlinge auszubilden. Da wollen wir den Blum-Bonus als Input mitnehmen,“ stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage zuzu­leiten, mit der ein an die aktuelle Situation angepasster „Blum-Bonus“, der einen monat­lichen Zuschuss für die gesamte Lehrzeit für Lehrlinge garantiert, eingeführt wird.“

*****


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unterstützt und steht somit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Zorba. – Bitte.


15.50.47

Abgeordneter Süleyman Zorba (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Es ist gut, dass wir heute gleich mehrere Punkte auf der Tagesordnung haben, die sich mit der Problematik der Jugendarbeitslosigkeit auseinandersetzen. Als ehemaliger Lehrling, der danach auch Lehrlinge ausgebildet hat, kann ich mir genau vorstellen, wie es den jungen Menschen derzeit in dieser Situation geht. Ich bin etwas irritiert, weil hier behauptet wird, die Regierung würde dieses Problem leugnen und nicht ernst nehmen. Wir haben mehrere Maßnahmen auf den Weg gebracht und weitere sind schon in der Pipeline.

Die Zahlen sind dramatisch. Wir sehen aktuell eine Verdoppelung der Jugendarbeits­losigkeit im Vergleich zum Vorjahr. Das hat mit dem Lehrstellenmarkt zu tun, denn es gibt Rückgänge aufgrund der Coronakrise. Im Mai waren es 21 Prozent und im Worst-Case-Szenario, das im Herbst auf uns zukommen könnte, könnten 8 000 Lehrstellen fehlen.

Die Zahlen und Prognosen zeigen: Wir haben noch viel zu tun, um eine Generation Corona ohne Ausbildung und Jobperspektiven zu verhindern. Als Lehrlingssprecher bin ich tagtäglich mit betroffenen Jugendlichen im Gespräch, die verzweifelt einen Aus­bil-


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dungsplatz suchen. Menschen, die gerade davor stehen, in die Erwerbstätigkeit einzu­steigen und die ersten Schritte in ein unabhängiges Leben zu wagen, macht diese Situation viel Angst und viele Sorgen.

Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz haben, müssen wir Stabilität bieten. Vor der Coronakrise waren die großen Sorgen: Schaffe ich die Lehrabschlussprüfung und wie gut schaffe ich die Lehrabschlussprüfung? Derzeit fragen sich viele auch: Bleibt mein Arbeits- oder Ausbildungsplatz erhalten oder nicht? Genau diese Stabilität, die wichtig ist, haben wir mit der Kurzarbeit für Lehrlinge sichergestellt. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Worum geht es? – Es geht um junge Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchen, aber keinen finden. Es geht um junge Menschen, die aufgrund der wirtschaftlichen Lage um ihren Ausbildungsplatz zittern. Um genau diesen Jungen eine Perspektive zu geben, brauchen wir einen Mix aus verschiedenen Maßnahmen.

Wir werden Anreize für Unternehmerinnen und Unternehmer schaffen – wie etwa mit dem Lehrlingsbonus –, damit im betrieblichen Umfeld weitere und neue Ausbildungs­plätze verfügbar werden. Dabei werden wir besonders auf Klein- und Mittelbetriebe schauen, denn sie haben in den Regionen einen besonderen Stellenwert. Dort, wo es im betrieblichen Rahmen nicht möglich ist, werden wir überbetriebliche Lehrstätten bedarfsgerecht unterstützen und aufstocken. Erst vergangene Woche war ich mit Kolle­gen Markus Koza in der Lehrwerkstätte der ÖBB und habe noch einmal bestätigt be­kommen, welchen wichtigen Beitrag derartige Lehrwerkstätten für die Ausbildung von jungen Menschen leisten. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Dabei geht es nicht nur um die Bereitstellung von qualitativ hochwertigen Ausbildungs­plätzen, sondern auch um die Möglichkeit, verstärkt einen Fokus zu setzen. Dort lag der Fokus auf jungen Frauen in technischen Berufen, und es war schön zu sehen, wie viele junge Frauen dort an den Drehbänken gearbeitet haben.

Im Weiteren – es wurde schon angesprochen – wurde seitens der Regierung eine Taskforce eingerichtet, die sich mit dem Thema Jugendbeschäftigung auseinandersetzt. Unter Beteiligung von vier Ministerien widmet man sich dem Ziel, jedem und jeder Jugendlichen einen betrieblichen, überbetrieblichen oder schulischen Ausbildungsplatz zuzusichern.

Die aktuelle Situation bereitet auch mir schlaflose Nächte. Wir arbeiten mit Hochdruck an Lösungen. Diese Bundesregierung wird alles Mögliche tun, damit das Worst-Case-Szenario im Herbst nicht eintritt. Wir haben wichtige Maßnahmen auf den Weg gebracht, weitere werden folgen. Heute gibt es noch einen Antrag von mir und Kollegin Kaufmann, in dem genau diese Probleme angesprochen sind. Ich hoffe dazu auch auf die Zustim­mung der Kolleginnen und Kollegen der SPÖ. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

15.54


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Loacker. – Bitte.


15.55.00

Abgeordneter Mag. Gerald Loacker (NEOS): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Herr Staatssekretär! Es kann mir niemand erzählen, dass das die lange geplante Dringliche der SPÖ ist, es könnte wohl eher sein, dass Doskozil und Hanke diese Viertagewoche-Geschichte abgeschossen haben und man jetzt kurzfristig noch etwas anderes finden musste, und deswegen ist das auch ein bisschen dünn in der Begründung geworden. (Beifall bei NEOS und ÖVP.)


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Ich gebe der Antragstellerin von der Stoßrichtung her schon recht. Für diese Krise zahlen die Jungen – und zwar volle Länge und volle Breite zahlen für diese Krise die Jungen.

Sie zahlen im Bildungssystem mit ausgefallenen Unterrichtsstunden, eigentlich mit aus­gefallenen Unterrichtswochen. Es sind Prüfungen ausgefallen, es dauert das Studium länger.

Die Jungen zahlen bei der Bildung, aber sie zahlen auch auf dem Arbeitsmarkt. Sie haben mehr Jobchancen eingebüßt als die älteren Arbeitnehmer. Sie sind von Kurzarbeit betroffen. Jungunternehmer haben jetzt oft den Ruin ihres Unternehmens erleben müs­sen, während ein etabliertes Unternehmen eher durch die Krise kommt als eines, das die Gründung noch nicht lange hinter sich hat. Sie sind oft gefährdet, jetzt die sprichwörtlichen Patschen zu strecken.

Die Jungen müssen auch die gewaltigen Schulden zahlen, die das manchmal über­schießende Maßnahmenpaket dieser Regierung verursacht. Diese Krise zahlen die Jungen. Ob der Antrag, wie ihn die SPÖ formuliert hat, im Detail das richtige Rezept ist, ziehe ich in Zweifel, weil ja gefordert wird, dass ein Job direkt bei der öffentlichen Hand garantiert wird, wenn jemand keine Lehrstelle findet. Dieser Glaube an den Staat, der alles rettet und alles macht, wird uns aus dieser Krise auch nicht herausbringen. Die Frage ist doch: Was müssen wir tun, damit richtige, echte Beschäftigung in Betrieben und nicht als künstliche Jobs ohne Arbeit in der öffentlichen Hand möglich wird?

Das maximale Beschäftigungsprogramm macht schon die Regierung, indem sie so viele Taskforces einsetzt, dass ganz viele Leute beschäftigt sind. – Das stimmt schon.

Was aber könnte man tun, damit es tatsächlich zu mehr Einstellungen in den Betrieben kommt und Unternehmer sagen: Ja, jetzt gebe ich wieder Gas, ich gehe wieder gewaltig akquirieren und fühle mich wieder fit für die Zukunft, dass ich meinen Betrieb auch mit mehr Mitarbeitern schupfen und die Aufträge bewältigen kann?

Es würde Vertrauen und Zuversicht erfordern, dass man auch in den Herbst und Winter hinein vernünftig weiterarbeiten kann. Der Herr Gesundheitsminister – er ist leider wieder nicht da – hat uns versprochen, dass Testungen schnell gehen – innerhalb von 24 Stun­den, bis jemand getestet wird, und 24 Stunden, bis man das Ergebnis hat – und dass in 24 Stunden die Kontakte getrackt sind. – Das ist schlicht nicht wahr. Es dauert oft Tage, bis jemand sein Testergebnis hat. Das liegt unter anderem daran, dass sich viele Labors, die solche Tests auswerten, aus der Befundung für die 1450-Hotline zurückgezogen haben, weil sie nicht nur mehr verdienen, wenn sie für den niedergelassenen Bereich arbeiten, sondern weil sie auch mehr verdienen, wenn sie die Tourismustests für Bundesministerin Köstinger machen.

Wir haben im Testwesen jetzt einen Wettbewerb zwischen dem Gesundheitswesen – Anschober – und dem Tourismus – Köstinger. – Na, ganz super! Es zahlen nämlich die Betriebe drauf, die dringend wissen müssen, ob sie einen positiv Getesteten in ihrem Unternehmen haben, ob sie weiterarbeiten können oder welche Maßnahmen sie jetzt setzen müssen, um weiterzuarbeiten.

In so einer Situation der Unsicherheit, in der man nicht weiß, was das für die Firma heißt – wann vielleicht geschlossen werden muss oder wann Abteilungen oder Betriebs­teile geschlossen werden –, ist ein Unternehmer eher zurückhaltend und nimmt weniger Einstellungen vor und auch weniger Lehrlinge auf. Das ist ganz natürlich.

Im Gegenteil müsste man dem Unternehmer sogar Vorwürfe machen, wenn er in einer betriebswirtschaftlich unsicheren Situation, in der er nicht weiß, wie es weitergeht, Einstellungen vornimmt, wobei er nicht weiß, ob er die Menschen beschäftigen kann. Diese Sicherheit, diese Zuversicht müsste eigentlich die Regierung den Unterneh­men vermitteln, indem es eine deutliche Vorgabe gibt, was passiert, wenn in einem


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Unternehmen irgendwo ein positiver Covid-Fall auftritt, wie sichergestellt sein kann, dass man weiterarbeiten kann. Dann hat man auch die Verlässlichkeit, dass man sagt: Ja, unter diesen Bedingungen kann man Mitarbeiter einstellen und Jobs anbieten.

Aber was passiert? – Es gibt ja zum Beispiel Unternehmen, die Ausfälle nach dem Epidemiegesetz hatten. Es fehlt immer noch die Verordnung, die notwendig ist, damit diesen Unternehmen Ersatz geleistet werden kann. Jetzt dauert die Covid-Krise bereits vier Monate, und es gibt die Verordnung für den Ersatz nach dem alten Epidemiegesetz immer noch nicht. Da reden wir über Schäden, die im März entstanden sind. Welche Zuversicht und welche Verlässlichkeit haben Unternehmer da? – Keine. Diese Verordnung müsste im Übrigen der jetzt nicht anwesende Gesundheitsminister erlassen. Da kann dann der Masseverwalter die Forderung nach dem Epidemiegesetz aus dem Konkurs heraus stellen. – Das ist die Art, wie diese Regierung arbeitet.

Sie haben Dinge genannt, Frau Ministerin, die durchaus richtig sind, etwa dass es einen Lehrlingsbonus gibt, der einen Anreiz bietet, einen Lehrling einzustellen – alles gut, geschenkt. Überbetriebliche Lehrlingsausbildung hat es in der Vergangenheit gegeben, die gibt es hoffentlich in der Zukunft auch. Aus- und Weiterbildung: Das ist auch alles gut. Was die Lehrlingsausbildung bräuchte, wäre eine Entbürokratisierung. Da gibt es viele Vorschriften, die das Beschäftigen von Lehrlingen sehr mühsam machen, die die Tätigkeiten, die ein Lehrling vollziehen darf, unnötig einschränken. Was es noch bräuchte, wäre ein Anpassen des Arbeitsrechts, um auf der Höhe der Zeit zu sein.

Da das nicht nur Lehrlinge betrifft, sondern eigentlich breiter gedacht werden muss, bringe ich abschließend noch folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Flexible­res Arbeiten“

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, die arbeitsrechtlichen, sozialversicherungs­rechtlichen und steuerrechtlichen Regelungen so anzupassen, dass den Anforderungen der neuen Arbeitswelt mit dem verstärkten Arbeiten im Home-Office Rechnung getragen wird“.

*****

Danke schön. (Beifall bei den NEOS.)

16.02

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Flexibleres Arbeiten

eingebracht im Zuge der Debatte in der 45. Sitzung des Nationalrats über den Dring­lichen Antrag betreffend Lehrlingsgarantie in Zeiten von Corona

Die COVID-Krise hat gezeigt, wie schnell sich Unternehmen und Organisationen an neue Bedingungen anpassen müssen. Die berufliche und private Lebensrealität vieler Erwerbs­tätiger verändert sich rasch, und die Corona-Krise beschleunigt die Digitalisierung von


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Wirtschaft und Gesellschaft zusätzlich. In der aktuellen ökonomischen Krise zeigen sich die Vorteile digitaler Innovationen:  Sie machen Unternehmen und Organisationen in Krisenzeiten anpassungsfähig, handlungsfähig und damit überlebensfähig.

Die COVID-Krise hat auch gezeigt, dass das Arbeitsrecht alledem nicht gerecht wird. Das gilt z.B. bei recht freier Zeiteinteilung für Arbeitszeitaufzeichnungen, Mittagspausen, Nachtruhezeiten und dergleichen. Auch ist in der Zeit des intensivierten Home-Office noch deutlicher geworden, dass Arbeitsleistung weniger denn je in abgesessenen Stun­den in einem Büro gemessen oder definiert werden kann, sondern weitaus dynami­scher zu beurteilen ist. Anstelle starrer gesetzlicher Regelungen ist es daher auch ziel­füh­render, wenn Arbeitgeber_innern und Arbeitnehmer_innen individuell oder auf Be­triebs­ebene im Sinne des Interessenausgleich gemeinsame Vereinbarungen treffen.

Durch eine flexiblere Gestaltung der Arbeitszeit einerseits und des Arbeitsortes anderer­seits wird der Alltag von Arbeitnehmer_innen erleichtert und gleichzeitig den Bedürf­nissen von Betrieben entsprochen. Dadurch wird viel mehr Raum für persönliche Freiheit der Arbeitnehmer_innen geschaffen, denen mehr Möglichkeiten geboten werden, Beruf, Freizeit und Familie gut ein Einklang zu bringen. Dafür müssen Rahmenbedingungen angepasst werden, um das Arbeitsrecht der Flexibilität unserer Arbeitswelt anzupassen.

Auch sozialversicherungsrechtliche Fragen, die sich bei verstärktem Home-Office häufi­ger stellen sind teilweise noch ungeklärt. So entstehen Unschärfen bei ausländischen Arbeitgeber_innen mit österreichischen Arbeitnehmer_innen im Home-Office und um­gekehrt.

Das Steuerrecht ist ebenfalls nicht auf der Höhe der Zeit. Auch sind die Aufwendungen für ein Arbeitszimmer im Wohnungsverband nur unter besonderen Bedingungen steuer­lich relevant. Werbungskosten liegen nur dann vor, wenn das Arbeitszimmer aus­schließ­lich oder nahezu ausschließlich beruflich genutzt wird. Es muss den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit bilden. Dies entspricht aber nicht der Arbeitsrealität und Wohnsituation vieler erwerbstätiger Menschen. Die leichtere steuer­liche Absetzbarkeit von Arbeitszimmern ist über die leere Ankündigung im Regierungs­programm (Seite 95) nicht hinausgekommen. Umgekehrt stellen sich Fragen der Treff­sicherheit von steuerlichen Vergünstigungen, die den Arbeitsweg berücksichtigen (z.B. Pendlereuro, Pendlerpauschale), wenn Erwerbstätige öfter von zuhause aus ar­beiten und der Arbeitsweg entfällt.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird aufgefordert, die arbeitsrechtlichen, sozialversicherungs­rechtlichen und steuerrechtlichen Regelungen so anzupassen, dass den Anforderungen der neuen Arbeitswelt mit dem verstärkten Arbeiten im Home-Office Rechnung getragen wird "

*****


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, aus­reichend unterstützt und steht somit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Hammerschmid. – Bitte.



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16.02.26

Abgeordnete Mag. Dr. Sonja Hammerschmid (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundes­minister! Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin, ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört. Es war ein schönes Bekenntnis, es waren schöne Ankündigungen, es gibt wieder einmal eine Taskforce, die alles richten soll. Eigentlich könnte man glauben – auch wenn ich die Ausführungen der Frau Kollegin Kaufmann mitnehme –, alles ist in Ordnung, alles fein, alles kein Problem. (Abg. Matznetter: Wie bei Ischgl!)

Kollege Zorba hat ein bisschen anders geklungen – das rechne ich ihm auch hoch an –, und ein bisschen anders klingen auch die zahlreichen Expertinnen, Experten, ob es Hoch­schulprofessoren sind, ob es die OECD ist, ob es Wirtschaftsforscher sind, die uns in Bezug auf das Thema Jugendarbeitslosigkeit und davor, was da auf uns zukommt, ein­dringlich warnen.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache, und ich wiederhole sie nochmals: Die Johannes-Kepler-Universität geht davon aus, dass die Zahl der Neet, also jener Jugendlichen, die nicht in Ausbildung, in der Schule, in Arbeit oder Schulung sind, aufgrund der Corona­krise in diesem Jahr auf 93 000 steigen wird. Wir wissen von Experten auch – und diese Zahl ist heute auch schon sehr oft genannt worden –, dass im Herbst wahrscheinlich 8 000 Lehrstellen fehlen werden. Das Problem – das ich vernommen habe, als ich Ihnen zugehört und Ihren Ausführungen gelauscht habe – ist nicht das fehlende Wissen darum, es fehlt das Wollen, die Situation zu erkennen, ihr ins Auge zu sehen und wirklich ganz konkret und schnell zu handeln. (Beifall bei der SPÖ.)

Es gibt noch ein Problem: Es ist das fehlende Gefühl dafür, was es für einen Jugend­lichen heißt, wenn man im Moment keine Perspektive hat, wenn einem kein Betrieb eine Lehrstelle anbietet, wenn keine Lehrerin, kein Lehrer sagt: Hey, du hast Talent, geh weiter in die Schule, ich motiviere dich dazu, du hast das Potenzial!, wenn sich nach der Schule kein Arbeitsplatz findet, wenn man gerade gekündigt wurde – so wie 20 700 junge Menschen in der Coronazeit – und wenn vielleicht kein Elternhaus da ist, das die Möglichkeit hat, einem finanziell unter die Arme zu greifen.

Der Ökonom Markus Marterbauer hat es gut ausgeführt und auf den Punkt gebracht: Die Jugendarbeitslosigkeit könnte eigentlich null sein, weil es für Jugendliche immer die Alternative Ausbildung gibt. Mir ist schon klar, Jobs werden nicht so einfach geschaffen, Konjunkturpakete müssen wirken, und selbst dann ist es nicht sicher, dass die Unter­nehmen, die Betriebe neue Arbeitsplätze rasch entstehen lassen können; aber die Bun­desregierung, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann im Zusammenhang mit dem Thema Bildung handeln, kann beispielsweise Ausbildungsplätze, Plätze an Schulen, Plätze an Fachhochschulen schaffen. Es geht lediglich um die Finanzierung und die Logistik dahinter, das auch entsprechend aufzustellen.

Die Jugendarbeitslosigkeit hat sich in den letzten Wochen verdoppelt. Ich bin daher hergegangen und habe die Pressekonferenzen – die Festspiele der Bundesregierung – der letzten Wochen und Monate gegoogelt und geschaut, wie oft ich Herrn Faßmann im Kontext Jugend, duale Ausbildung, Lehre finde. – Nicht sehr häufig. Er hat sich ein einziges Mal zum Thema Lehre mit Matura geäußert, das war vor Coronazeiten, aber in Coronazeiten habe ich kein einziges Wort von ihm gehört, außer damals, als er die Berufsschüler, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, in ihre Betriebe geschickt hat, damit sie dort arbeiten können. – Das war es. Es gab keine Idee, keine Vision des Bil­dungsministers, um da Alternativen zu schaffen.

Ich frage ihn hier: Wo ist die Möglichkeit, ein weiteres Jahr die polytechnische Schule zu besuchen, um das aufzuholen, was während des Homeschoolings verpasst wurde? Das wäre nämlich eine Möglichkeit. Wo sind die Maßnahmen, um Schulabbrüchen


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entgegenzuwirken? Wo sind die Coachingmaßnahmen, die Unterstützungsmaßnahmen in der Schule? Der junge Mensch soll ja gar nicht erst aus dem Schulsystem rausfallen. Wo sind diese Maßnahmen? Wo ist die Ausweitung der Plätze an Fachhochschulen, um junge Menschen, die maturiert haben, zu motivieren, weiter in Bildung zu investieren und sich in eine Fachhochschul- oder Universitätskarriere zu begeben? Wo ist das Bekennt­nis zur Aufstockung bei der überbetrieblichen Ausbildung? Wo ist auch das Bekenntnis zur Erweiterung des Angebots der Produktionsschulen? Waren Sie schon einmal in einer Produktionsschule? Das ist eine ganz wichtige niederschwellige Maßnahme, um junge Menschen in Ausbildung zu halten. Wo ist die Aufstockung bei Lehrstellen in staatlichen Institutionen und Betrieben? – Das ist leicht zu schaffen, das wurde uns heute schon mehrfach demonstriert.

Wo ist das Interesse, liebe Regierungsmitglieder – nämlich das ehrliche Interesse! –, diesen jungen Menschen Zuversicht zu geben, die Zuversicht, dass es einen Platz für sie gibt, dass sie wertvoller Teil dieser Gesellschaft sind, dass sie keine Angst haben müssen, dass man sie zurücklassen wird? (Beifall bei der SPÖ.)

Es gibt viele Möglichkeiten da etwas zu tun. Ich wiederhole: Das Problem ist nicht das Wissen um Maßnahmen, sondern das Problem sind das Wollen und das Tun-Wollen. Ein gleiches Muster hatten wir gestern im Zusammenhang mit der Bildungsmilliarde, auch da gab es keine Einsicht. Liebe Regierungsmitglieder, das ist zukunftsvergessen, denn es ist das Teuerste, was wir tun können: nichts tun, nicht investieren und nicht auf unsere jungen Menschen setzen!

Geben Sie sich also einen Ruck! Die jungen Menschen gehören mit allem, was es dazu braucht, rasch in den Mittelpunkt gestellt und deren Belange nicht in eine Taskforce, die uns irgendwann vielleicht irgendetwas präsentieren wird, abgeschoben. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Künsberg Sarre.)

16.08


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Zarits. – Bitte.


16.08.53

Abgeordneter Christoph Zarits (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Minister! Herr Staatssekretär! Danke für die Möglichkeit, heute hier zu diesem Thema des Dring­lichen Antrages Stellung zu nehmen. Das ist auch für mich als Arbeitnehmervertreter und auch als ÖAAB-Vertreter wirklich ein sehr, sehr wichtiges Thema.

Die Arbeitswelt und unser ganzes Leben sind durch Corona auf den Kopf gestellt worden. Wir haben in den letzten Wochen, in den letzten Monaten sehr, sehr viele Maß­nahmen gesetzt mit dem Ziel, den Menschen, die in Not geraten sind, die arbeitslos geworden sind, die auch aufgrund der Kurzarbeit Einkommensverluste haben, rasch und unbürokratisch zu helfen. Ich glaube, jeder Abgeordnete hier im Saal möchte mit seiner Art von Politik den Menschen helfen. Das eint uns heute hier.

Ich danke auch für die Möglichkeit, hier betreffend Lehrlinge und junge Menschen Stel­lung zu nehmen.

Ich glaube, wir sind uns auch insofern einig, als jeder hier im Saal den jungen Menschen zur Seite stehen will und natürlich auch jeder will, dass die jungen Menschen einen Lehrplatz bekommen und eine Ausbildung genießen können.

Ich möchte aber schon in Erinnerung rufen, was wir gemeinsam mit so manchen Be­schlüssen – manche Beschlüsse haben wir gemeinsam mit den Grünen gefasst – im Arbeitsmarktbereich auf die Beine gestellt haben. Ich denke an die Kurzarbeit: Die ist einzigartig in Europa, damit haben wir etwas geschaffen, womit wir Hunderttausende Menschen vor der Arbeitslosigkeit bewahrt haben. Wir haben es geschafft, dass wir


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beispielsweise die Pendlerpauschale für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch im Homeoffice sicherstellen.

Frau Kollegin Holzleitner, Sie haben gesagt, dass manche Menschen nicht wissen, wie sie im nächsten Monat die Miete zahlen können. – Ja, das stimmt, wir haben aber auch da Maßnahmen gesetzt und Beschlüsse gefasst, dass während der Coronakrise nie­mand gekündigt werden kann. Ich würde mir in dieser Diskussion auch von Ihrer Seite eine gewisse Ehrlichkeit wünschen und auch, dass Sie Maßnahmen, die wir bereits gesetzt haben, ansprechen, anstatt immer nur zu fordern. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Wir haben Maßnahmen gesetzt, es werden noch viele Maßnahmen folgen.

Im Mai waren 1,4 Millionen Menschen in Kurzarbeit, jetzt sind es 400 000. Glücklicher­weise ist die Situation am Arbeitsmarkt so, dass die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Im Vergleich zur vorigen Woche sind 21 000 Menschen weniger arbeitslos, Gott sei Dank haben 21 000 Menschen einen Job gefunden. Und, Herr Kollege Leichtfried, das sollten auch Sie verstehen: Wenn weniger Leute in Kurzarbeit sind und gleichzeitig die Arbeits­losigkeit sinkt, dann bedeutet das im Klartext, dass die Maßnahmen der Bundes­regie­rung wirken – und das ist das, was zählt. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Die Frau Bundesminister hat schon den Lehrlingsbonus angesprochen: 2 000 Euro pro Betrieb pro Lehrling – eine gute Maßnahme, damit investieren wir in die Zukunft der jungen Menschen. (Zwischenruf des Abg. Leichtfried.) – Bitte, Herr Kollege Leichtfried? Wir investieren in die Zukunft der jungen Menschen, und ich glaube, das ist das Ent­scheidende. 2 000 Euro bekommt der Unternehmer, 1 000 Euro gleich, wenn er einen Lehrling aufnimmt, und nach der Probezeit, nach drei Monaten, weitere 1 000 Euro.

Die Frau Minister hat es schon erwähnt: 600 Unternehmer haben sich glücklicherweise schon gemeldet, um Lehrlinge auszubilden. Ich danke an dieser Stelle auch den Unter­nehmern, die sich bereit erklären, Lehrlingen und jungen Leuten eine Perspektive zu geben. Jungen Menschen ein Chance zu geben, das eint uns, Frau Kollegin, das ist unser Motto. Mit dem Lehrlingsbonus wird es uns gelingen, viele Tausende Menschen, Jugendliche in einen Lehrberuf zu bringen. Wir haben im Jahr 2018 gemeinsam mit den Freiheitlichen im Lehrlingsbereich ja schon sehr, sehr viel gemacht. Wir wollen die Lehre aufwerten, wir haben auch neue Lehrberufe geschaffen.

Mein Appell richtet sich an die Unternehmer: Bitte nützen Sie den Lehrlingsbonus, geben Sie den jungen Menschen eine Chance!

Wir tun das, was richtig ist, wir tun das, was notwendig ist. Wir lassen niemanden im Stich, die jungen Menschen hier in Österreich können sich auf diese Bundesregierung verlassen. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

16.13


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Wurm. – Bitte.


16.13.12

Abgeordneter Peter Wurm (FPÖ): Herr Präsident! Frau Minister! Hohes Haus! „Houston, wir haben ein Problem!“ – und dieses Problem ist nicht vom Himmel gefallen, wir haben es hier im Hohen Haus schon vor Jahren diskutiert, öfters diskutiert. Es sind heute schon von allen Rednern viele intelligente Argumente gekommen, aber ich darf schon noch einmal zusammenfassen: Das Problem ist hausgemacht, es hat mehrere Ursachen, und Corona verstärkt die Problematik.

Wir haben die Situation – die ÖVP hat das ja erwähnt –, dass sehr viele Unternehmer sagen, sie bekommen keine Lehrlinge mehr, die sie auch gerne einstellen würden, weil


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sie einfach nicht qualifiziert oder teilweise auch nicht motiviert sind. Das ist in vielen Regionen unterschiedlich; in gewissen Bundesländern ist das Problem größer, in anderen kleiner. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite ist jetzt, dass in Zeiten, in denen die Wirtschaft leidet – wie jetzt durch Corona –, in der wir viele Arbeitslose zu verzeichnen haben, natürlich auch der Bedarf an Lehrlingen zurückgeht.

Das Problem war früher einfach der Mangel oder der zunehmende Mangel an Fach­arbeitern und Fachkräften, und der hat eben, wie gesagt, viele, viele Ursachen. Eine Ursache – und das kann ich der Sozialdemokratie einfach nicht ersparen; wobei ich sagen muss, den Ansatz, den Willen sehe ich schon, aber Sie haben da in den letzten Jahren und Jahrzehnten auch sehr viel verbockt – ist, dass Sie beim Schulsystem die Augen zugemacht haben – Augen zu und durch –; und somit haben Sie alle Probleme, die wir uns in diesem Bereich selber herangezüchtet haben, auch mitzuverantworten!

Den Ausfluss sieht man nicht nur am Arbeitsmarkt, sondern auch in anderen Problem­fällen, dort, wo die Integration nicht funktioniert, und natürlich kann man es auch – nicht nur, aber auch – an der Zuwanderung festmachen. Das muss man ehrlicherweise einfach auch sagen. Wenn Lehrlinge in die Betriebe kommen, muss oft beim Einmaleins angefangen werden; die ÖVP kann da wahrscheinlich auch von unzähligen Beispielen erzählen. Das heißt, manche Lehrherren müssen wirklich bei den Benimmregeln an­fangen: Grüß Gott!, Auf Wiedersehen!, Danke!, Bitte!, oder damit: drei mal drei ist neun, und so weiter. Also diese Probleme haben wir schon selber geschaffen.

Jetzt muss ich sagen, dass aufgrund dieser Krisensituation durch Corona klar ist, dass wir überbetriebliche Lehrstätten brauchen werden – das ist vollkommen klar –, aber sie sind und waren immer nur eine Krücke, sage ich, und nie wirklich eine Ausbildungs­plattform, die Jugendliche für ihre weitere erfolgreiche berufliche Zukunft brauchen. Wir haben das immer kritisch gesehen, und auf Ihren Einwand hin, dass da nur die halbe Lehrlingsentschädigung bezahlt wird, darf ich Ihnen schon sagen: Das ist zu Recht so, denn ich glaube, dass diejenigen, die da einen Platz bekommen, froh sind, dass sie eine Ausbildung bekommen.

Was die andere Seite betrifft – und da hat sich meiner Meinung nach sehr, sehr viel verändert; Gott sei Dank –: Es wird in sehr vielen Branchen mittlerweile eine vernünftige Lehrlingsentschädigung bezahlt. Kollege Muchitsch wird es wissen, vor allem im Bau- und Baunebengewerbe haben die Lehrlinge im ersten Lehrjahr teilweise Gehälter von 1 000 Euro und im dritten Lehrjahr schon solche von 2 000 Euro. Also es gibt Lehrberufe, bei denen auch schon während der Lehrzeit sehr, sehr gut bezahlt wird. Das ist auch der richtige Weg. Die Wirtschaftskammer und die ÖVP müssen ihre Funktionäre in gewissen Branchen, Sparten darauf hinweisen, dass in vielen Lehrberufen immer noch zu schlecht bezahlt wird. Das ist auch mit ein Grund, warum es dort zum Teil so wenig Andrang gibt.

Die Bürokratie – Kollege Loacker hat es erwähnt – ist natürlich auch eine Schraube, an der man drehen muss, und zwar schnell drehen muss. Wir haben uns – das hat die ÖVP auch erwähnt – in den eineinhalb Jahren unserer Regierungsbeteiligung bemüht – und einige Dinge sind auch gelungen –, die Lehre aufzuwerten. Man kann jetzt den Meis­tertitel, den Meisterbrief quasi auch in den Pass eintragen lassen. Das ist ein kleines psychologisches Motiv, ein Moment, das, glaube ich, wichtig ist, um zu zeigen: Ein Meistertitel in einem Lehrberuf hat auch einen Wert – nicht nur ein akademischer Titel! Das war ein schwieriger Prozess, ein wichtiger Prozess.

Das Image der Lehre muss logischerweise insgesamt verbessert werden, denn in letzter Konsequenz ist es so – und das ist meine persönliche Erfahrung aus meinem Umfeld –, dass sich bei vielen Eltern, wenn sie sehen, dass man auch mit Lehrberufen beruflich eine Zukunft hat und wirklich auch Geld verdienen kann, wahrscheinlich auch das Bild,


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das sie von der Lehre haben, verändert und viele dann sagen: Okay, mein Kind muss nicht unbedingt weiter in die Schule gehen, sondern ich bin froh, wenn es einen tollen Lehrplatz bekommt!

Ich kenne mittlerweile auch schon sehr, sehr viele Facharbeiter, die Akademiker auslachen, weil sie monatlich das Doppelte an Gehalt nach Hause tragen und selbst in diesen Krisenzeiten einen sicheren Job haben. Wer heute Elektriker ist oder in anderen handwerklichen Berufen wirklich gut ist, der hat nicht einmal in Coronazeiten wirklich ein Problem, der ist gefragt, der verdient Geld.

Also, wie gesagt, ich kann da mit Blick auf die Vergangenheit auch die SPÖ nicht ausnehmen; die ÖVP sowieso nicht. Ich bin der Meinung, wir müssen bedingt durch die Coronakrise wirklich alles versuchen, aber das, Frau Minister – und bitte nicht böse sein –, waren schon ein bisschen viel leere Luft und heiße Worte beziehungsweise (erheitert) heiße Luft und leere Worte, die Sie da von sich gegeben haben. Da gehört mehr Konkretes her, Frau Minister! Es ist Fakt, dass Zehntausende Jugendliche nicht wissen, wie es nach dem Sommer weitergeht, und ich würde Sie schon bitten, auch ein bisschen mehr Substanz und konkrete Maßnahmen einzubringen. Das Bisherige ist für unsere Jugend in Österreich sicher zu wenig. Die Umstände sind schwierig, das ist klar, aber ich bitte um ein bisschen mehr Kreativität. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

16.19


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Neßler. – Bitte.


16.19.27

Abgeordnete Barbara Neßler (Grüne): Herr Präsident! Geschätzte Ministerin! Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Ich bin insofern froh über diese Dringliche, weil das Thema Jugendarbeitslosigkeit, das Thema junge Menschen am Arbeitsmarkt unsere volle Aufmerksamkeit verdient hat. Es wurde jetzt schon einiges gesagt, und ich glaube, in einem Punkt sind wir uns alle einig, und zwar, dass die Coronakrise die Situation in den letzten Monaten einfach zusätzlich verschärft hat.

Mehr als 450 000 Arbeitsuchende sind unter 25 Jahre, und wir haben in der Finanzkrise 2008 gesehen, was steigende Jugendarbeitslosigkeit bedeutet: Qualifizierte, hoffnungs­reiche junge Menschen aus Spanien oder Italien waren gezwungen, abzuwandern, soziale Spannungen verstärkten sich, und in manchen europäischen Großstädten wie beispielsweise Paris oder London führte die Perspektivlosigkeit auch zu Ausschrei­tun­gen. Klar ist: Wir müssen aus der Vergangenheit lernen und jetzt in die Zukunft von jungen Menschen investieren, damit sie die Chancen und den Start für ihre Zukunft bekommen, den sie verdient haben. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Junge Menschen sind von der Krise besonders stark betroffen und Corona stellt sich immer mehr als Jobkrise für junge Menschen heraus – egal, ob es um Praktika oder Lehrplätze geht: Der Arbeitsmarkt ist angespannt. Nicht nur die Gewerkschaftsjugend, auch die Bundesjugendvertretung warnt davor, dass die Jugendlichen die Krise mit ihrer Zukunft bezahlen könnten. Ja, es ist ein dringendes Thema, das unsere volle Aufmerksamkeit verdient hat, und die bekommt es ja auch.

Die aktuelle Situation bedeutet für junge Menschen nicht einfach nur, dass der Arbeits­markt gerade etwas schwierig ist; sie bedeutet für junge Menschen vor allem Unsicher­heit, Zukunftsängste – was gerade im jungen Alter verstärkt am Selbstbewusstsein nagt. Die anhaltende Unsicherheit und die teilweise negativen Perspektiven können zu einer Depression führen und so kommt man leider sehr schnell in eine Abwärtsspirale. Darum


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ist es so wichtig, dass wir die Kurzarbeit eingeführt haben, damit die Krise eben nicht zu einer Lost Generation führt und viele bestehende Ausbildungsplätze gesichert werden.

Ja, ich gebe euch recht: Das ist nicht genug. Das Wichtigste für junge Menschen ist es, eine Perspektive zu haben, und wir haben eine gesetzliche Ausbildungspflicht; das wurde 2016 mit grüner Unterstützung beschlossen.

Auf die angespannte Situation am Arbeitsmarkt – gerade was die Reduzierung der Zahl der Lehrplätze anbelangt – ist mein Kollege Zorba schon vorhin eingegangen. Wir haben aus diesem Grund einige Maßnahmen gesetzt, weitere sind in Planung, viele wurden ja schon angesprochen. Im Übrigen haben wir die wesentlichen Punkte der SPÖ aufge­nommen. (Zwischenruf des Abg. Leichtfried.)

Um jetzt einige zu nennen: die Kurzarbeit für Lehrlinge mit einer Nettoersatzrate von bis zu 100 Prozent, damit sie ihren Ausbildungsplatz behalten können; die Covid-Hotline für die Lehrlinge – das ist auch wichtig, damit man der Unsicherheit entgegentreten kann –; der Entschädigungstopf für alle, die ihre Lehrabschlussprüfung nicht machen konnten und quasi einen Einkommensentgang hatten; die überbetrieblichen Ausbildungsplätze sollen für das Ausbildungsjahr 2021 bedarfsorientiert aufgestockt werden – das wird vom AMS umgesetzt, dafür steht ein Gesamtbudget von bis zu 178 Millionen Euro zur Verfügung; das ist vor allem für Lehrlinge, die sich generell am Arbeitsmarkt schwertun, wichtig –; der 2 000-Euro-Bonus als Form der Lehrlingsförderung. Ganz wichtig ist auch die Aus­bildungsgarantie vom AMS bis 25; die gibt es – anders als es die SPÖ jetzt dargestellt hat.

Auch das Jugendcoaching und die Berufsausbildungsassistenz sind wichtig, denn der angespannte Arbeitsmarkt betrifft vor allem Menschen mit Behinderung. Diesbezüglich sind weitere Maßnahmen zu setzen, damit auch sie ihre Fähigkeiten, ihre Kompetenzen am Arbeitsmarkt entfalten können. Wir dürfen nicht vergessen: Für junge Menschen mit Behinderung war es am Arbeitsmarkt ohnehin schon schwierig und gerade die jetzige Situation verschärft das Ganze.

Was auch noch wichtig ist, ist die Taskforce der vier zuständigen Ministerien, die sich umfassend mit Jugendlichen am Arbeitsmarkt beschäftigen wird.

Es gibt zu dem Thema heute noch einen Tagesordnungspunkt mit einem Antrag von uns. – Ich hoffe, dass er breite Zustimmung finden wird.

Während der Coronakrise arbeiten wir ständig daran, dass wir Verbesserungen finden, dass wir neue Lösungen finden, und wenn es hier noch weitere Schritte braucht, dann werden wir diese Schritte setzen. Mir ist vor allem eines wichtig: Das ist eine Jugend ohne Zukunftsängste. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

16.25


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Shetty. – Bitte.


16.25.23

Abgeordneter Yannick Shetty (NEOS): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Schau auf dich, schau auf mich“ – jedem ist dieser Slogan der Coronakampagne noch sehr gut im Ohr. Was steckt dahinter? – Eigentlich ganz einfach: auf sich schauen, auf andere schauen, aufeinander schauen, aber mit dem primären gemeinsamen gesellschaftlichen Ziel, besonders die Risikogruppen, also besonders ältere Menschen, zu schützen.

Es hat funktioniert. Der Appell der Politik hat in eine breite Solidarität mit den älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern in der gesamten Bevölkerung gemündet. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch – das war kein Akt der Gnade oder Goodwill der jüngeren Men­schen, sondern eine ethische und moralische Selbstverständlichkeit.


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Für die große Mehrheit der Einzel- und Kleinunternehmer, Kleinunternehmerinnen war es im März eine Selbstverständlichkeit, ihre Läden zu schließen, für die allermeisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, in Kurzarbeit geschickt zu werden, für Eltern, zusätzliche Betreuungsherausforderungen anzunehmen, weil Schulen und Kindergärten dichtgemacht haben. Es war also für die Unternehmer, Unternehmerinnen, Arbeit­neh­mer, Arbeitnehmerinnen, Eltern und alle anderen Menschen, die massiv zurückstecken mussten, aus moralischer Sicht selbstverständlich, Rücksicht auf die Omas und Opas, Großtanten, auf die älteren Nachbarn zu nehmen. Dafür haben diese Menschen massiv zurückgesteckt: Rekordarbeitslosigkeit, eine drohende Rezession, Umsatzrückgänge, psychische Belastungen, soziale Probleme – die Liste ist lang, wir haben es heute ja schon gehört.

Der Dringliche Antrag der SPÖ heute ist also auch eine Gelegenheit, über eine Unge­rechtigkeit zu sprechen, die schon sehr lange besteht und sich durch Corona zu einer neuen, akuten Krise zu verschärfen droht. Es geht um das Problem, um das Thema der Generationenungerechtigkeit, es geht um einen Generationenvertrag, der spätes­tens mit den massiven und langfristigen Auswirkungen der Coronakrise – wie Juristen sagen würden – wegen Sittenwidrigkeit neu verhandelt werden müsste.

„Schau auf dich, schau auf mich“ – also aufeinander schauen –: Ich würde mir wün­schen – oder besser gesagt, ich fordere von der Regierung ein –, dass dieses einfache Credo, aufeinander zu schauen, auch im Umgang mit der nächsten Generation gilt, dass ganz einfach auch einmal auf die Jüngeren, auf die nächste Generation geschaut wird.

Was heißt das? – Keine Pensionswahlgeschenke wenige Wochen vor einer Wahl, ein zukunftsfittes Pensionssystem, mehr Investitionen in Bildung, Hochschulen und in eine Arbeitsmarktpolitik, die sich der Herausforderungen von jüngeren Menschen annimmt, und natürlich – last, but not least – Klimaschutzmaßnahmen, die die Auswirkungen des Klimawandels für die junge Generation abfedern.

Leider sind die Signale aber ernüchternd, ich gebe nur drei Beispiele – ich habe es schon angesprochen –: Alle Parteien hier im Hohen Haus – außer die Grünen, weil die damals nicht im Parlament vertreten waren, aber wahrscheinlich hätten sie dann munter mitge­macht – haben wenige Wochen vor der Nationalratswahl Pensionswahlgeschenke ver­teilt, betreffend die sogar FPÖ-Politiker gesagt haben, dass die nicht nachhaltig und po­pulistisch und deswegen abzustellen sind. (Abg. Leichtfried: Na, wenn die das sagen!)

Die Grünen, die vorgeben, dass Nachhaltigkeit an oberster Stelle steht, lassen die kom­menden Generationen im Zusammenhang mit der Pensionspolitik komplett im Regen stehen. Minister Anschober hat gerade das Nachdenken über eine Pensionsreform um ein weiteres Jahr verschoben. Auch in der Klimapolitik scheinen nachhaltige Reformen weiterhin nachhaltig an der ÖVP zu scheitern.

Ein letzter Punkt, der heute schon häufig angesprochen wurde, ist die Arbeitslosigkeit, die in Österreich im Vergleich zum Vorjahr um fast 80 Prozent gestiegen ist. Wenn ich mir die mediale Berichterstattung der letzten Wochen rund um das zuständige Arbeits­ministerium anschaue, sehe ich nicht die geballte Kompetenz, um diesen massiven Herausforderungen entgegenzutreten.

Was ist zu tun? – Wir müssen bereits heute an übermorgen denken, etwas, was wir NEOS immer und immer wieder wiederholen. Wir dürfen nicht warten, bis die Corona­krise vorbei ist, um dann von der nächsten Krise erschlagen zu werden. Wir müssen heute bereits für Generationengerechtigkeit arbeiten, damit die jungen Menschen von heute nicht die Arbeitslosen von morgen, damit die Erwerbstätigen von heute nicht die Armutsgefährdeten von morgen sind.


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Was ist also konkret zu tun? – Wir müssen diesen Generationenvertrag, wenn er dann noch besteht, neu verhandeln, und zwar in drei konkreten Bereichen konkrete Maß­nahmen setzen. Ich möchte diese drei Bereiche herausgreifen, die uns dabei besonders wichtig sind: Bildung, Pensionen und Klimaschutz.

Erstens: mehr Investitionen in Bildung, eine innovativere Schule – meine Kollegin Künsberg Sarre wird dazu sicher auch noch einiges sagen und wir haben auch schon viel dazu gesagt –, Exzellenz in der Forschung, wir müssen die Kinderbetreuung ausbauen; die Vorschläge liegen auf dem Tisch.

Zweitens: eine radikale Reform unseres schrottreifen Pensionssystems, einen Pensions­automatismus, um Altersarmut der heute Jungen vorzubeugen, und ganz konkret heute einen Solidarbeitrag von Beziehern besonders hoher Pensionen im Rahmen der Corona­krise, damit auch jene einen Beitrag leisten, die jetzt von den wirtschaftlichen Aus­wirkungen nicht so hart getroffen wurden.

Drittens: wirksame Maßnahmen im Klimaschutz. Damit meine ich nicht grüne PR-Gags wie die Ankündigung der Ankündigung einer Arbeitsgruppe, sondern eine echte ökosoziale Steuerreform, das heißt: Entlastung für die arbeitenden Menschen und eine klare Bepreisung von Schadstoffen. (Beifall bei den NEOS.)

Corona hat vielen jungen Menschen die Zuversicht geraubt. Sie fühlen sich überrollt und kraftlos gegenüber einer Politik, die sie, diese jungen Menschen, nicht im Blick hat. Geben wir den jungen Menschen wieder Zuversicht, neue Zuversicht, und sorgen wir dafür, dass Generationenungerechtigkeit nicht zu einer echten Generationenkrise wird! – Vielen Dank. (Beifall bei den NEOS.)

16.31


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeord­neter Matznetter. – Bitte.


16.31.44

Abgeordneter Dr. Christoph Matznetter (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesminis­terin! Herr Bundesminister! Herr Staatssekretär! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen im Hohen Haus! Werte ZuseherInnen! Es gibt eine unterschiedliche Form, wie man mit Problemen und deren Bewältigung umgeht, und zwar gerade in einer Pandemiezeit. Ein ganz berühmtes Beispiel dafür ist der Gesundheitslandesrat aus Tirol, der hinsichtlich eines der Haupthotspots des Virusspreading im Fernsehen immer wieder geantwortet hat: Wir haben alles richtig gemacht! – Ich bin ja dafür, dass wir einen Landesrat-Tilg-Gedächtnispreis ins Leben rufen für jene (Abg. Brandstätter: Den kriegt der Blümel!), die sich dann, wenn es nicht gut läuft, hierherstellen und sagen: Wir haben alles richtig gemacht!

Frau Bundesministerin, Sie können sich da schon ein bisschen bewerben, dafür etwas vorbringen, aber auch andere, die hier von Regierungsseite geredet haben. Es gibt auch positive Beispiele, das sollte man an dieser Stelle auch sagen: Kollegin Neßler hat eine nachdenkliche, durchaus auch sorgenvolle Rede gehalten und auch darauf hinge­wiesen, dass wir in diesem Bereich ein Problem haben, bei dem wir sofort handeln müs­sen. Das ist gescheiter als zu fragen: Wir haben schon alles gemacht, was redet ihr überhaupt, wozu macht ihr das? – Das ist Landesrat-Tilg-Gedächtnispreis-fähig, wenn es heißt: Wir haben alles richtig gemacht!, aber nicht alles richtig läuft. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Brandstätter.)

In diesem Sinne ist es gut, dass es die Dringliche gibt, weil es Tausende gibt – nicht nur die Jugendlichen selbst, sondern auch deren Eltern –, die mit Sorgen auf diese Zeit blicken. Es geht um die Lebensplanung, mit der Frage: Was macht der Bub, das Mädel nächstes Jahr? Das heißt, wir müssen uns empathisch damit auseinandersetzen und


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können nicht nur sagen: Wir haben eh genug Maßnahmen, wird schon alles kein Prob­lem sein. – So geht es nicht!

Ich komme nun zu einem wesentlichen Aspekt für uns alle: Wer den Suchbegriff Mängelberufe Österreich eingibt, kommt sofort auf zwei nur wenige Monate alte Web­seiten: jene des Ministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort und – zwei­tens – jene der Wirtschaftskammer Österreich, die zu Recht auf die Notwendigkeit und die Probleme der Betriebe hinweisen, für ausreichend viele Fachkräfte auch in Zukunft die notwendigen Personen zu finden.

Woher aber kommen die Fachkräfte? – Die wachsen nicht auf Bäumen! Auch wenn es nicht die Stadthotellerie ist, Frau Bundesministerin, die derzeit jemanden sucht – die Fachkräfte kann man nur ausbilden. Es bedarf unser aller Anstrengungen, das zu machen.

Man kann sich auch irren, man kann ja zugeben, wenn man sich bei irgendetwas geirrt hat. Ich habe gestern bei der beliebten Serie „Pleiten-, Pech- und Pannendienst“ im Zu­sammenhang mit der Bundesregierung den Eindruck erweckt, ich würde die Wirt­schafts­kammer wegen des Härtefallfonds kritisieren. – Nein! Ich bekenne ein, ich habe vor zwei Monaten gefragt: Warum macht das nicht die Finanzverwaltung? Ich bin natürlich von meiner Erfahrung ausgegangen, dass dort super Beamtinnen und Beamte sind, die das können. Was ich allerdings nicht bedacht habe, ist, dass es, wenn an der Spitze der Weisungspyramide nicht die Kompetenz zu Hause ist, gescheiter ist, wenn es jemand anderer macht. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Brandstätter.)

Das haben die Kollegen vom Wirtschaftsbund offenbar gewusst, die waren mir voraus. Die haben gesagt: Die können das nicht!, und ich wusste nicht, warum sie so schlecht über die Finanzverwaltung reden. – Nein, die kennen aber den Parteifreund, der heute Finanzminister ist. Das habe ich nicht gewusst, tut mir leid!

Noch einmal zu gestern: Der Fehler ist im Finanzministerium bei den Daten der Vorjahre zu Vergleichswerten passiert. Die Wirtschaftskammer dürfte jetzt ohne Tilg-Preis-Gefahr sagen: Wir haben alles richtig gemacht! – der Herr Finanzminister aber nicht. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS. – Abg. Wöginger: Wienwahl!)

16.35


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Plakolm. – Bitte.


16.35.51

Abgeordnete Claudia Plakolm (ÖVP): Herr Präsident! Geschätzte Mitglieder der Bundesregierung! Es ist unbestritten, dass wir durch Covid-19 die schwierigsten Wochen und Monate überhaupt erlebt haben und dass noch nicht alles ausgestanden ist. Wir sind mittendrin, insbesondere in meinem Heimatbundesland Oberösterreich spürt man das.

Corona hat nicht nur massive Auswirkungen auf die Gesundheit, sondern auch auf die Wirtschaft, und diese Konsequenzen werden uns noch ziemlich lange herausfordern. Besonders betroffen ist der Arbeitsmarkt, und da sind es wieder sehr vulnerable Gruppen wie beispielsweise ältere Menschen, Menschen mit Behinderung, aber auch junge Menschen, die kurz vor dem Berufseinstieg stehen oder eine Lehre absolvieren.

Dass die Situation angespannt ist, liegt auf der Hand, aber dass die Regierung das Problem leugnet, dagegen verwahre ich mich entschieden, denn wir setzen alles daran, dass wir Arbeitsplätze sichern und auch in Zukunft erhalten. (Beifall bei der ÖVP sowie


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des Abg. Jakob Schwarz.) Es ist nämlich eine Grundvoraussetzung, dass wir Arbeits­plätze sichern und auch schaffen, damit wir die Wirtschaft ankurbeln können und wieder in Schwung bringen.

Mit dem eigenen, nochmals verlängerten Coronakurzarbeitsmodell haben wir sehr rasch reagiert, und es ist uns gelungen, die Zahl der arbeitslos gemeldeten Menschen seit dem Höhepunkt der Krise zu reduzieren. Wir reden da von 145 000 Personen, die nach einem coronabedingten Jobverlust am Arbeitsmarkt wieder Fuß gefasst haben. Und ein Blick über den Tellerrand zeigt uns, dass Österreich in Bezug auf die Jugendarbeitslosigkeit ein absolutes Positivbeispiel ist, selbst in der Krise. Der OECD-Schnitt lag im April bei 15 Prozent, und in Österreich sind es derzeit 8,5 Prozent.

Da wir hier herinnen immer nach Best-Practice-Beispielen suchen und dabei besonders gerne nach Skandinavien schauen, muss ich sagen: In diesem Fall werden wir aber bei einem Blick nach Skandinavien enttäuscht – auch wenn vor ein paar Wochen noch viele Abgeordnete der Opposition vehement das schwedische Modell, das ja lockerer ge­staltet ist, gefordert haben. Diese Stimmen sind in den letzten Wochen verstummt, denn wir sehen deutlich, dass der schwedische Weg nicht der Weisheit letzter Schluss ist. (Abg. Wurm: Verstummt sind sie nicht, die Stimmen!) Das sieht man auch ganz klar an den Zahlen der Jugendarbeitslosigkeit: Schweden hatte im April 25 Prozent Jugend­arbeitslosigkeit und lag damit ganz klar im negativen Spitzenfeld. (Ruf bei der SPÖ: Schauen wir nach Portugal!)

Unserer Arbeits- und Jugendministerin Christine Aschbacher und genauso unserer Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck sind die Lehrlinge ein großes Anliegen, insbesondere in der Krise. Für diesen Einsatz für unsere Lehrlinge, für die duale Aus­bildung möchte ich mich im Namen ganz vieler Jugendlicher auch ganz herzlich be­danken. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Unsere duale Ausbildung ist ein internationales Erfolgsmodell. Umgehend haben wir ein Lehrlingspaket auf die Beine gestellt: Unternehmen, die jetzt in der Krise Lehrstellen schaffen, werden mit 2 000 Euro pro eingestellten Lehrling unterstützt. Dieser Bonus wird auch dann gewährt, wenn Unternehmen einen Lehrling aus der überbetrieblichen Lehrausbildung, der ÜBA, übernehmen.

Noch ein Wort generell zur ÜBA, da sie im Dringlichen Antrag sehr ausführlich angeführt ist: Die überbetrieblichen Lehrwerkstätten sind grundsätzlich eine sehr, sehr sinnvolle Einrichtung, aber, ich glaube, nicht pauschal für jeden Jugendlichen. Die ÜBA wurde entwickelt, um jungen Menschen, die das Leben besonders herausfordert, genauso eine berufliche Ausbildung zu ermöglichen; aber jetzt herzugehen und alle Jugendlichen aus der Not heraus pauschal zur ÜBA zu verpflichten kann nicht die Lösung sein. (Zwi­schen­ruf bei der SPÖ.) Die allermeisten Jugendlichen sind in der Lage, ihre Lehre regulär in einem Betrieb zu absolvieren, und das muss immer das oberste Ziel sein. Es macht keinen Sinn, da zusätzliche Parallelstrukturen zu forcieren. Oberstes Ziel ist und bleibt es, Jugendliche schnell und direkt in den Arbeitsmarkt, in die Betriebe zu bringen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Neben dem bereits erwähnten Lehrlingsbonus für Betriebe wurde das Kurzarbeitsmodell rascher auf Lehrlinge ausgeweitet. Außerdem können Lehrlinge, die durch die Verschie­bung der Lehrabschlussprüfung einen Einkommensverlust hinnehmen mussten, eine Ausgleichszahlung beantragen, das hat meine Kollegin schon erwähnt.

Unsere Bundesregierung mit Jugendministerin Christine Aschbacher hat auch eine eigene Jugendtaskforce zur Jugendbeschäftigung eingerichtet. Wir lassen niemanden zurück: Jeder Jugendliche hat die Möglichkeit auf einen Ausbildungsplatz, ob dieser nun betrieblich, überbetrieblich oder schulisch ist. Dazu gibt es heute noch später auf der


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Tagesordnung einen eigenen Entschließungsantrag, der umfassender als dieser Dring­liche Antrag der SPÖ ist, und darum ersuche ich später auch um Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag.

Abschließend noch ein Wort an die Genossen der SPÖ: In eurem Antrag ist immer noch von der Lehrlingsentschädigung die Rede. Ich darf euch informieren, dass wir im März im Zuge einer Aufwertung der Lehre beschlossen haben, dass Lehrlinge keine Ent­schädigung mehr bekommen, sondern ein tatsächliches Einkommen. (Abg. Matznetter: ...! Wie viel ist geschrieben? – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) In unserem Regie­rungsprogramm finden Sie zahlreiche weitere Maßnahmen, die die Lehre attraktivieren und weiterentwickeln.

Sie sehen, wir geben alles, um Jugendlichen in unserem Land weiterhin die besten Chancen zu geben, was Ausbildung und Job betrifft. Damit wir auch weiterhin ein Land der Möglichkeiten sein können – auch nach dieser Krise –, braucht es, glaube ich, ge­rade uns Jugendliche, damit wir in Österreich ein Comeback schaffen. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abgeordneten Amesbauer und Zorba.)

16.41


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Belakowitsch. – Bitte.


16.41.27

Abgeordnete Dr. Dagmar Belakowitsch (FPÖ): Zu meiner Vorrednerin, die vom um­fassenden Entschließungsantrag der Bundesregierung gesprochen hat – ich darf diesen zur Kenntnis bringen –: „Die Bundesregierung wird ersucht, über die bereits getroffenen Maßnahmen zur finanziellen Absicherung der Lehrlinge im Bereich der betrieblichen und überbetrieblichen Lehrausbildung eine Möglichkeit zur Unterstützung der Lehrbetriebe zu prüfen, um ein ausgewogenes und bedarfsgerechtes Angebot an Lehrstellen zu garantieren.“ (Abg. Kollross: Da haben sie was davon!)

Wenn das dieser umfassende Entschließungsantrag sein soll, von dem Sie gesprochen haben, dann haben Sie mit Ihrer gesamte Rede eine glatte Themenverfehlung hingelegt, Frau Kollegin! (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der SPÖ. – Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Kollross.) Sie sind noch sehr jung an Jahren, Sie sollten sich noch viel mehr für Jugendliche einsetzen.

Jetzt zu diesem Entschließungsantrag, den wir heute hier dringlich behandeln: In diesem Entschließungsantrag geht es genau um eine Gruppe von jungen Menschen, nämlich jene junge Menschen, die jetzt die Pflichtschule abgeschlossen haben und im Herbst eine Lehre beginnen möchten. Da ist es die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alle Jugendlichen, die eine Lehre beginnen möchten, diese auch beginnen können.

Es gibt viele, die eine betriebliche Lehrstelle finden werden. Es wird, wie jedes Jahr, einen Prozentsatz an Jugendlichen geben, die keine finden werden. Kollege Wurm hat schon darauf hingewiesen: Das ist auch ein bisschen ein Versagen der Schule, der Bildungspolitik, und dafür war die ÖVP genauso wie die SPÖ in den letzten 30 Jahren verantwortlich – für dieses Kaputtreformieren unseres Schulsystems, sodass es Jugend­liche gibt, die nach neun Schuljahren nicht sinnerfassend lesen können und das Einmaleins und die Grundrechnungsarten nicht beherrschen. (Abg. Leichtfried: So wird man Finanzminister!) Die werden auch weiterhin in überbetrieblichen Lehrwerkstätten ausgebildet werden müssen, weil sie zunächst einmal den Schulstoff werden nachholen müssen. – Das dazu.

Ich muss auch eine Lanze für jene brechen, die in diesen überbetrieblichen Lehrwerk­stätten arbeiten, sich wirklich bemühen und auch schauen, dass sie die Jugendlichen nach einem Lehrjahr möglicherweise wieder in die Wirtschaft zurückbringen. Das muss


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auch das Ziel sein, sie können ja nicht ewig in einem geschützten Bereich sein, aber man braucht die überbetrieblichen Lehrwerkstätten für einen gewissen Prozentsatz.

Jetzt gibt es hier diesen Antrag, der sich auf das heurige Jahr bezieht, denn im heurigen Jahr 2020 gibt es ein Extraproblem: Wir haben eine Coronakrise. Viele Betriebe wissen nicht, ob sie einen Lehrling nehmen werden, ob sie sich einen leisten können. Es ist ja auch nicht so, dass diese Bundesregierung große Sicherheit gibt. Es ist ja auch nicht so, dass Unternehmen Planbarkeit haben, denn keiner weiß, ob nicht im Herbst der nächste Lockdown kommt. Wir haben schon wieder Maskenpflicht in Teilen von Kärnten, Mas­ken­pflicht in Oberösterreich. Was kommt als Nächstes? Es wird permanent Panik ver­breitet, es ist permanent von einer zweiten Welle die Rede. Es ist natürlich klar, dass Unternehmer vorsichtig sind und möglicherweise nicht so viele Lehrlinge einstellen, wie sie das in den letzten Jahren getan haben. Darauf zielt dieser Antrag, wenn ich ihn richtig verstehe, ab: jene Jugendlichen, die nicht unterkommen, nicht zurückzulassen.

Ich habe Sie, Frau Minister, bereits bei den Budgetverhandlungen gefragt, wie es denn im heurigen Jahr mit den Lehrlingen ausschaut und ob es in Ihrem Haus bereits Berech­nungen gibt, wie viele Plätze mehr es brauchen wird, was sie dann kosten und wo sie eingerichtet werden. Sie haben gesagt: Mein Haus und ich sind in der Planung. – Heute haben Sie sich aber hierhergestellt und haben gesagt: Das Thema ist mir eine Herzens­angelegenheit – das ist schön, dass es das ist –, aber gleichzeitig haben Sie gesagt: Es soll kein Jugendlicher auf der Straße bleiben, wer keine Lehrstelle kriegt, soll halt in eine Schule gehen! – Das geht aber am Thema vorbei. Jugendliche, die eine Lehre machen wollen, sollen eine Lehrstelle bekommen. Es sind gerade die Wirtschaftstreibenden der ÖVP, die seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten klagen, dass sie einen Facharbeiter­mangel haben.

Nehmen wir den Jugendlichen, die bereit sind, eine Lehre zu machen – und das sind nicht mehr so viele, weil das Image der Lehre nicht besonders gut ist; das haben wir heute alles schon besprochen, und ja, jede Maßnahme, die dieses Image verbessert, ist eine positive Maßnahme –, doch nicht ihren Eifer! Nehmen wir ihnen doch nicht ihre Freude daran, einen Beruf zu erlernen, sondern tun wir alles, damit jene, die in eine Lehre gehen wollen, die ein Handwerk erlernen wollen, die einen Lehrberuf erlernen wollen, auch die Möglichkeit dazu bekommen! Sagen wir ihnen jetzt nicht schon wieder: Geht halt weiter in die Schule, weil ihr so toll und so talentiert seid! – Das wird nicht die Lösung sein.

Es ist ja in Wahrheit die Wurzel des Problems, dass immer mehr Schüler in Schulen geschickt werden und die Schulen immer noch mehr machen müssen, weil man nur dann soziale Anerkennung hat. – Falsch! Eine ordentliche, fundierte Lehrausbildung ist für unsere Jugendlichen notwendig, Frau Minister. Ich hätte mir schon erwartet und erhofft, dass Sie ein bisschen mehr dazu sagen. Sie sind es schuldig geblieben. Sie haben heute nicht gesagt, wie die Berechnungen Ihres Hauses ausschauen. Sie haben nicht gesagt, wie viele Plätze Sie in diesen Lehrwerkstätten zusätzlich zu jenen der letzten Jahre geschaffen haben, wo Sie sie geschaffen haben und vor allem, was das kosten wird.

Eines muss uns allen hier nämlich klar sein – und das geht auch in Richtung SPÖ –: Natürlich sind Ausbildungsplätze in den überbetrieblichen Lehrwerkstätten teurer. Das ist nun einmal so, das muss es uns wert sein. Sich aber zu beklagen, dass Lehrlinge in den überbetrieblichen Lehrwerkstätten weniger Lehrlingsgehalt bekommen als andere: Erstens stimmt das, was Sie gesagt haben, nur zu einem Viertel. (Abg. Leichtfried: Nein!) Es ist nur eine ganz kleine Gruppe, nämlich nur die der über 19-Jährigen, deren Gehalt an das Niveau jenes der unter 19-Jährigen angepasst worden ist.


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Zum anderen, Herr Kollege Leichtfried, ist es schon so: Das ist eine Ausbildung, eine Ausbildung auf Steuerzahlerkosten, und diese Ausbildung kostet Geld. (Abg. Leichtfried: Das kann man auch finanzieren!) Kein Schüler bekommt Geld, kein Schüler bekommt ein Gehalt. Daher sollten diese Jugendlichen diese Zeit für sich selbst nützen, für ihre Ausbildung (Zwischenruf des Abg. Kollross), um diese Chance, die sie bekommen – die oftmals schon die zweite oder dritte Chance ist, weil ja viele auch aus schwierigen Verhältnissen kommen, es gibt ja unterschiedlichste Gründe –, auch dafür zu nützen, diese Ausbildung zu machen und sich dann vielleicht zu etablieren, vielleicht eines Tages einen großartigen Betrieb aufzumachen. All diese Möglichkeiten stehen Jugend­lichen offen – wenn sie diese Ausbildung haben.

Jetzt bin ich bei Ihnen, Frau Minister, ich bitte Sie wirklich: Überlegen Sie und geben Sie einmal bekannt, wie viele Jugendliche zusätzliche Plätze brauchen werden – zusätzlich zu denen, die wir in den letzten Jahren schon hatten! Es ist das eine, sich darauf zurückzuziehen, zu sagen: Wir haben so und so viele überbetriebliche Lehrplätze. – Was aber braucht es? Darauf fehlt mir ein bisschen die Antwort. Die klassische Antwort, wie auch meine Vorrednerin gesagt hat, ist: Die Regierung hat so viel gemacht! Sie hat die Arbeitsplätze gesichert und sie hat die Kurzarbeit eingeführt! – Das ist schön, nützt aber keinem einzigen Jugendlichen, der im Herbst auf der Straße steht und keinen Lehrplatz hat.

Hören Sie daher auf, alles schönzureden! Packen Sie das Problem bei der Wurzel! Gehen Sie es endlich an – im Sinne unserer jungen Menschen, im Sinne unserer Ge­samtwirtschaft, auch für die nächsten Jahre, die auf genau diese Jugendlichen hofft, die dann hoffentlich gut ausgebildete Facharbeiter sind! (Beifall bei der FPÖ.)

16.48


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Koza. – Bitte.


16.48.42

Abgeordneter Mag. Markus Koza (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Herr Staatssekretär! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja. (Abg. Wurm: Schwierig, gell?) Es geht heute um das Thema Lehre. Umso beeindruckender ist es, wie es den NEOS immer wieder gelingt, das Pensionsthema auf die politische Agenda zu setzen. Es regnet draußen – reden wir über Pensionen! Mir ist ein Zehennagel eingewachsen – reden wir über Pensionen! Heute ist es das Lehrlings­thema – reden wir über Pensionen! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Es bleibt mir jetzt nichts anderes übrig, als dieses Zitat fortzuführen: „Schau auf dich, schau auf mich“ – schau auf Oma und Opa! Die Diskussion rund um die Verteilung zwi­schen den Generationen, die intergenerationelle Verteilungsgerechtigkeit ist eigentlich schon interessant, weil diese immer sehr eindimensional gesehen wird. Sie wird immer so gesehen: Was zahlen die Jungen für die Alten? (Abg. Loacker: Das ist Mathematik, das sind 20 Milliarden jedes Jahr!) Es wird immer hochgerechnet: Wir zahlen Pensions­beiträge, damit die Alten Geld bekommen, das geht auf Kosten der Jugendlichen.

Sehen wir uns einmal an: Wie schaut denn die Verteilung zwischen Alt und Jung aus? Warum wird diese immer ausgeblendet? Warum wird nie darüber geredet, was Oma und Opa oder die Eltern den Kindern beispielsweise schenken, wie in dieser Form von nicht institutionalisierter Umverteilung – weil sie eben nicht über Steuer-, nicht über Abga­bensysteme, nicht über andere Maßnahmen passiert – einfach direkte Zuwendungen erfolgen: direkte Zuwendungen an die Kinder, die in die Schule gehen, direkte Zuwen­dungen an die Kinder, die eine Lehre machen, direkte Zuwendungen an die Kinder, die studieren?


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Ich habe mir gerade angeschaut, ob ich vielleicht irgendwelche Daten oder Zahlen dazu finde, denn ich habe Zahlen, Daten und Fakten immer sehr gerne, und habe zum Beispiel die Seite immobilien-wirtschaft.at gefunden – vielleicht kennen Sie sie, ich habe sie ehrlich gesagt nicht gekannt. Dort steht: Im Jahr 2012 wurde festgestellt, dass in den nächsten zehn Jahren 100 Milliarden Euro in Form von Immobilien vererbt werden. – Aha, wer vererbt denn die? – Vermutlich eine Generation, die älter ist als diejenige, die erben wird. (Heiterkeit bei den Grünen.) Da findet also intergenerationell eine unglaub­liche Verteilung statt! (Beifall bei den Grünen.)

Also wenn wir darüber sprechen, wie die Verteilungsgerechtigkeit unter den Genera­tionen aussieht, dann bitte nicht immer nur alles eindimensional betrachten! Es sind nämlich auch die älteren Menschen, die die Steuern zahlen, damit Jugendliche zum Glück in die Schule gehen können, zum Glück in eine Kinderkrippe gehen können, zum Glück die beste Ausbildung bekommen, zum Glück auch überbetriebliche Lehr­werkstätten und andere Bildungsmaßnahmen daraus finanziert werden. Also reden wir über Verteilungsgerechtigkeit, aber bitte nicht so! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Was ich eigentlich sagen wollte: Wir wissen natürlich, dass die Problematik der Lehr­stellen, der Ausbildung von Jugendlichen eine ist, die ein unglaubliches Maßnahmen­bündel braucht und wahrscheinlich auch nicht im Herbst gelöst werden wird, wahr­scheinlich auch noch nicht im Frühjahr ausreichend gelöst werden wird, sondern es wird längere Zeit brauchen, weil die Krise am Arbeitsmarkt auch einfach zu groß ist. Wir werden aber natürlich alles tun, das Beste tun, damit wir möglichst viele Jugendliche in Beschäftigung bekommen oder ihnen auch eine Ausbildungsgarantie geben. Ob wir das ausreichend schaffen werden, werden wir sehen, aber das Bemühen muss da sein. Ich halte deshalb diese Dringliche Anfrage heute – ich glaube, so heißt sie, oder? (Abg. Holzleitner: Antrag!) –, diesen Dringlichen Antrag wirklich für sehr wichtig, weil auf diese Weise sehr zentral darüber diskutiert wird.

Kollege Zorba hat es schon erwähnt: Wir beide hatten letzte Woche die große Freude, eine überbetriebliche Lehrwerkstatt besuchen zu dürfen, die meiner Meinung fast so etwas wie Zukunft war, Zukunft einer Form von Ausbildung, die natürlich auch kostet, die natürlich sehr kostenintensiv ist, aber im Rahmen derer 600 Jugendliche mit unterschiedlichen Begabungen in Unmengen von Berufen – technischen Berufen vor allem – ausgebildet werden, wobei wirklich auch darauf geschaut wird, dass junge Frauen in diese Berufe hineinkommen, und die Lehrwerkstatt nicht nur für den eigenen Betrieb ausbildet, sondern auch für andere Betriebe und gleichzeitig auch so etwas wie ein Ausbildungsverbund ist.

Das habe ich auch deshalb sehr spannend gefunden, weil wir hinsichtlich einer über­betrieblichen Lehreinrichtung oft den Eindruck haben, da werden jetzt Jugendliche rein­geschoben, die halt woanders keinen Lehrplatz finden. Ich glaube, es ist auch wirklich sehr wichtig, dass wir darauf schauen, dass die Qualität in diesen Ausbildungs­einrich­tungen passt, genauso wie wir darauf schauen müssen, dass die Qualität in den Be­trieben passt. Ich habe das sehr interessant gefunden, denn ich glaube schon auch, dass die Zukunft der Ausbildung von Lehrlingen auch wesentlich darin liegt, dass man diese Ausbildungsverbünde fordert und fördert, weil sehr viele Betriebe einfach oft nicht in der Lage sind, das entsprechende Know-how, Equipment oder was auch immer zur Verfügung zu stellen, das es für eine Ausbildung teilweise braucht. Sie können aber andere Dinge einrichten und können für andere Dinge gut ausbilden. Das auf einer sinnvollen Ebene, auf einer guten Basis zusammenzuführen hätte, glaube ich, tat­sächlich auch eine sehr große Zukunft. (Abg. Matznetter: Das machen die ÖBB!) – Ja, wir waren in der ÖBB-Werkstatt! Die ist wirklich sehr empfehlenswert, sehr spannend, sehr toll! 600 Jugendliche werden dort ausgebildet; sie sind heuer auch bemüht, noch


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weiter auszubauen. Wer die Möglichkeit und Gelegenheit hat, sich das anzuschauen, dem kann ich das wirklich nur wärmstens empfehlen. Das ist unglaublich toll!

Betriebliche Einrichtungen braucht es, betriebliche Ausbildung braucht es, das ist über­haupt keine Frage – das ist die Priorität –, aber es braucht auch eine beste, qualitativ hochwertige und tolle überbetriebliche Lehrausbildung, denn ohne die wird es nicht gehen. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Matznetter: Das war das eigentliche Blum-Modell!)

16.54


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Künsberg Sarre. – Bitte.


16.54.47

Abgeordnete Mag. Martina Künsberg Sarre (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Herr Staatssekretär! Zunächst zum Kollegen Koza: Wenn man sich Ihre Rede anhört, dann wird klar, dass Mathematik auch reformiert werden sollte, denn ich glaube, es ist augenscheinlich, dass unser Pensionssystem nicht fit für die demografische Entwicklung ist. (Beifall bei den NEOS.)

Jetzt aber zum Lehrlingsthema: Wenn man 15 Jahre alt ist, dann bedeutet das für viele, dass man an einer Weggabelung ist, und viele stellen sich die Frage: Bleibe ich in der Schule oder beginne ich mit einer Lehre? Wir wissen alle, dass die Lehre in Österreich eine richtig gute Alternative zur weiteren Schullaufbahn ist, dass sie eine wirkliche Stärke des Bildungssystems hier in Österreich ist und dass eine gute Lehrlingsausbildung in weiterer Folge auch wichtig für den Wirtschaftsstandort ist.

Ja, wenn man mit 15 eine Lehre beginnt, heißt das aber auch, nicht nur mit dem Arbeiten oder mit einer Lehrlingsausbildung zu beginnen, sondern einen neuen Lebensabschnitt anzufangen, dort seine Stärken zu vertiefen, zu zeigen, wo man gut ist, eine Rück­meldung vom Lehrherrn zu bekommen, eine berufliche Identität zu finden und auch eigenständig zu werden. All das sind Dinge, die für 15-jährige Mädchen und Burschen äußerst wichtig sind. Und ja, wir NEOS finden auch, dass jeder und jede eine Lehrstelle finden sollte, aber wir glauben schon auch, dass es wichtig ist, nicht den Kern aus den Augen zu verlieren, und der Ansatz: die Stelle der Stelle wegen, entspricht nicht unserem Anspruch und wird diesem Anspruch auch nicht gerecht. Ich glaube, es wird nicht reichen, einfach wahllos und unbegrenzt neue Lehrstellen beim Bund aus dem Boden zu stampfen, sondern was es wirklich braucht, sind echte Lehrstellen – echte Lehrstellen in florierenden Unternehmen und in florierenden Betrieben.

Und weil Sie, die Damen und Herren von der ÖVP, immer wieder von der guten Bil­dungspolitik sprechen: Wenn man wirklich gute Bildungspolitik machen möchte, dann muss man auch eine gute Wirtschaftspolitik machen, weil das Ganze nämlich Hand in Hand geht. Beide Bereiche sind aber in dieser Bundesregierung wirklich Riesen­bau­stellen.

Viele Unternehmer – wir haben es heute schon gehört – haben es schon längst auf­gegeben, Mädchen und Burschen einen Lehrplatz anzubieten. Warum? – Auch das haben wir schon gehört: Weil sie keine geeigneten Kandidaten finden, weil viele nicht mehr lesen, schreiben und rechnen können. Wenn wir NEOS da Jahr für Jahr immer wieder den Finger in die Wunde legen und sagen, ein Viertel der Jugendlichen, die aus der Pflichtschule rauskommen, können nicht sinnerfassend lesen – ich meine, Sie wer­den es mittlerweile, glaube ich, schon wissen, dass es ein Viertel der Jugendlichen ist –, dann ist das ja kein leeres Ritual, das wir hier ausführen, sondern das hat ja einen Sinn, nämlich darauf hinzuweisen, wo es hapert: In der Pflichtschulausbildung hapert es – und


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dort muss man Burschen und Mädchen fit machen, dass sie entweder weiter in der Schule bleiben oder eine Berufsausbildung machen.

Wir hier oder zumindest wir NEOS wollen jedes einzelne Mädchen und jeden einzelnen Burschen dazu ermächtigen, selbstbestimmt sein oder ihr Leben zu führen, aber in diese Richtung passiert hier leider überhaupt nichts.

Wir brauchen natürlich eine mutige Bildungspolitik. Es war heute mehrfach davon die Rede, kein Kind zurückzulassen. Die ÖVP sagt jetzt immer: Wir wollen kein Kind zurück­lassen! – Das freut uns NEOS natürlich sehr. Wenn Sie aber jetzt in der Coronazeit überall dort, wo Fälle auftauchen oder mehr Fälle auftauchen, die Schulen und Kindergärten unkoordiniert und überschießend schließen, dann bedeutet das nicht: Ich lasse kein Kind zurück!, sondern: Bei den Kindern geht es am leichtesten, da drehen wir einfach wieder zu und das wird dann schon irgendwie gehen.

Also, liebe ÖVP – und es wäre schön, wenn auch die Grünen da mitgehen –, machen Sie endlich eine Bildungspolitik dahin gehend, dass Sie wirklich irgendwann einmal sagen können: Wir lassen kein Kind zurück! (Beifall bei den NEOS.)

16.59


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Herr. – Bitte.


16.59.22

Abgeordnete Julia Elisabeth Herr (SPÖ): Herr Präsident! Werte Frau Minister! Herr Staatssekretär! Zu den NEOS vielleicht gleich noch zu Beginn: Kollege Loacker hat uns da jetzt etwas unterstellt, weil wir ja heute über die Jugendarbeitslosigkeit reden, weil es ein dringliches Thema ist und weil wir von der SPÖ das auf die Tagesordnung gesetzt haben. – Für Sie ist es anscheinend unvorstellbar, dass einem die Lehrlinge so wichtig sind, dass man das auf die Tagesordnung setzt – denn Sie haben uns da wieder irgendetwas unterstellt! (Beifall bei der SPÖ.)

Das sagt aber mehr über Sie als über uns aus (Abg. Loacker – ein Schriftstück in die Höhe haltend –: Das bissel da? Erbärmlich ist das, erbärmlich!), weil für uns die Lehr­linge so wichtig sind und jetzt etwas passieren muss, sonst haben die im Herbst keinen Lehrplatz. (Präsidentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Was ist denn die aktuelle Situation? (Zwischenruf des Abg. Loacker.) – Ich mache nun mit meiner Rede weiter, falls das für Sie okay ist. (Abg. Loacker: Ja!) Die Zahlen sind verheerend, und von offizieller Seite hört man dann im quasi klassischen Wirt­schafts­sprech: Wirtschaftseinbruch: 7,1 Prozent! Was aber heißt das auf Deutsch? – Es heißt, dass ein Land seinen Jugendlichen ausrichtet: Wir brauchen euch gerade nicht, wir haben gerade keinen Platz für euch!, und so etwas darf man doch bitte der Zukunft eines Landes nicht ausrichten, weil das falsch ist! Wir brauchen die jungen Menschen, um eine bessere Zukunft tatsächlich zu bauen, und das ist nicht pathetisch, sondern einfach nur die Wahrheit. (Beifall bei der SPÖ.)

Warum ist es in dem Fall so fatal? – Weil einem die Lehre, die man als junger Mensch nicht macht, die Arbeitserfahrungen, die man als junger Mensch nicht macht, in dem Falle ein Leben lang nachhängen. Es ist bewiesen, dass man ein Leben lang weniger verdient, nur weil man in der Jugend keine Chance bekommen hat. So viel steht tat­sächlich auf dem Spiel, und da müssen wir uns einfach die Frage stellen: Muss es Jugendarbeitslosigkeit geben? Muss es Jugendarbeitslosigkeit in diesem Land geben? – Nein, muss es nicht.

Wir wissen, Arbeitsplätze sind schwer zu schaffen. Ja, das ist klar. Da verlangen wir viel von Ihnen, Frau Minister. Es ist zwar machbar, aber es ist natürlich schwer. Wir haben Konzepte dafür auf den Tisch gelegt. Bei den Ausbildungsplätzen ist es wieder eine


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andere Geschichte, da kennen wir die Baustelle, da haben wir auch die Werkzeuge – noch von der letzten Krise – schon in der Hand. Wir wissen, dass die überbetriebliche Lehrwerkstätte ganz einfach eine Möglichkeit ist, damit niemand auf der Strecke zurückbleibt, und das ist das, was wir fordern. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Natürlich ist es klar, dass vor allem das Ziel sein muss, die jungen Leute in die Betriebe zu bekommen – natürlich ist es klar. Für die aber, die es nicht schaffen werden, und das ist nun einmal die Situation, weil wir uns in der Coronakrise befinden und es viele Unternehmen gibt, die gerade keine Lehrlinge aufnehmen können oder wollen –wahr­scheinlich können –, braucht es überbetriebliche Lehrwerkstätten. Das ist das, was wir gefordert haben.

Kollegin Plakolm hat vorhin gesagt, die SPÖ wolle alle jungen Menschen in die über­betriebliche Lehrwerkstätte zwingen, oder so etwas. Es ist schon klar, dass die Regie­rung auch über diesen Antrag wieder drüberfahren wird, aber es wäre zumindest respektvoll, sich den Antrag wirklich durchzulesen. Wir wollen niemanden irgendwo hineinzwingen, wir wollen nur sicherstellen, dass jeder auch den Anspruch auf einen Lehrstellenplatz hat. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Prinz: ... künstliche Aufregung!)

Was ist es, was wir tatsächlich brauchen? – Prognostiziert wird, dass im Herbst 7 000 bis 8 000 Lehrstellen fehlen werden. Es muss doch bitte schaffbar sein, dass wir diese 7 000 bis 8 000 Lehrstellen im Herbst tatsächlich stellen. (Beifall bei der SPÖ.) Da müssen Sie mir doch zustimmen, Frau Minister, 7 000 bis 8 000 Lehrstellen müssen wir doch gemeinsam schaffen können! (Abg. Matznetter: Sie ist bei 600! – Gegenruf des Abg. Zarits.) Dazu brauchen wir eben einerseits den Ausbau der Überbetrieblichen, aber natürlich braucht es dazu auch die öffentliche Hand, die sich dazu bereit erklärt. Wien hat es vorgemacht, Kärnten hat es vorgemacht, und natürlich muss der Bund jetzt folgen. Bitte machen Sie da auch den nächsten Schritt, es gibt so viel zu tun!

Ich komme nun auch schon zu meinem Schlusssatz: Es muss keine Jugendarbeits­losigkeit geben, schon gar nicht in einem der reichsten Länder der Welt. Das sind wir allen jungen Menschen schuldig. Das ist machbar. Wir haben die Werkzeuge in der Hand, es liegt jetzt am politischen Willen hier in diesem Haus. Ich bitte eigentlich nicht, ich fordere Sie auf: Es muss möglich sein, 7 000 bis 8 000 Lehrstellen zu schaffen! – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

17.03


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Karl Schmidhofer. – Bitte.


17.04.08

Abgeordneter Karl Schmidhofer (ÖVP): Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Herr Minis­ter! Herr Staatssekretär! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseher zu Hause vor den Bildschirmen! Ja, die Lehre in Österreich hat eine erfolgreiche Historie. Es sind gerade die Betriebe mit der dualen Ausbildung, die in den letzten Jahrzehnten dafür gesorgt haben, dass Österreich so dasteht, wie es dasteht, nämlich im Europavergleich, im weltweiten Vergleich, gerade was die Lehrlingsausbildung betrifft, wesentlich besser als die anderen, wenn nicht ganz vorne. Das sei einmal vorangestellt. (Beifall bei der ÖVP sowie des Abg. Jakob Schwarz.)

Da ich nun am Ende der Debatte zusammenfasse, was da alles in den Redebeiträgen gekommen ist, muss ich schon eines richtigstellen: Frau Belakowitsch, wir dürfen die jungen Menschen, die hier im Parlament sitzen und ihre Arbeit – in allen Fraktionen, so meine ich – gut machen, sich hier heraus trauen, sich Gedanken machen, Konzepte


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entwickeln, überall mitarbeiten, zu einem besseren Österreich beitragen, nicht verurtei­len! (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) Das möchte ich nicht, dass das gesagt wird. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Loacker: Wenn Sie und die ÖVPler sich Gedanken machen über ...! – Abg. Belakowitsch: ... nur Gedanken!)

Zu Ihrem Redebeitrag, Frau Dr. Belakowitsch: Natürlich schauen wir, dass wir die Lehrlinge zur Ausbildung in die Betriebe bekommen, aber es wird da und dort notwendig sein (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch – weiterer Zwischenruf bei der FPÖ), die überbetriebliche Lehre zu organisieren, aber nach (Abg. Belakowitsch: Die Ministerin ist es schuldig geblieben!) – passen Sie auf! – Bedarf. (Zwischenrufe der Abgeordneten Belakowitsch und Loacker.)

Herr Matznetter, Ihnen muss ich auch etwas sagen: Wenn es um Jugendarbeitslosigkeit geht, kommen Sie hier heraus und reden drei Viertel Ihrer Redezeit über irgendwelche anderen Themen. Ist Ihnen die Jugend das nicht wert, dass Sie Ihre Redezeit dazu nutzen (Abg. Matznetter: Nein, da geht es um das Überleben der Betriebe!), diese Probleme zu lösen – ja hallo?! (Beifall bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen. – Abg. Matznetter: Er versteht den Zusammenhang nicht! Er versteht es nicht!)

Ich halte fest, dass wir dank unseres dualen Ausbildungssystems die besten Lehrlinge (neuerlicher Zwischenruf des Abg. Matznetter) und die besten Voraussetzungen haben. Die Frau Bundesministerin hat gerade mit der Regierung diesen 2 000-Euro-Lehr­lingsbonus als Anschub beschlossen, damit wir mehr junge Menschen in die Lehre bringen. Es gibt Rezepte – wir in der Regierung haben sie –, damit diese Ausbildung für Jugendliche auch in Zukunft funktioniert.

Eines sage ich auch zum Schluss: Wir, die ÖVP und die Grünen, gemeinsam mit der Bundesregierung, sind es, die garantieren, dass wir gut durch diese Krise kommen, dass kein Jugendlicher zurückbleibt und dass alle eine gute Ausbildung genießen können. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen. – Abg. Matznetter: Den schickts öfter, den Schmidhofer! – Gegenruf bei der ÖVP.)

17.07


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Hannes Amesbauer. – Bitte.


17.07.33

Abgeordneter Mag. Hannes Amesbauer, BA (FPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich muss sagen, ich danke Kollegin Holzleitner für den Dringlichen Antrag, weil es wichtig ist, über die Lehre zu diskutieren, und zwar nicht nur heute, sondern immer.

Es gibt ein Problem im Bereich der Lehrlinge und der Lehrausbildung und das nicht erst seit Corona. Es war ja auch schon zuvor so, dass viele Menschen keine Lehrstelle gefunden haben, dass viele Betriebe händeringend junge Menschen gesucht, aber nicht gefunden haben. Diese Coronakrise und die damit verbundenen Maßnahmen haben die ganze Situation verschärft – das wurde hier schon von nahezu allen Rednerinnen und Rednern eindringlich ausgeführt.

Kollege Schmidhofer, ich weiß nicht, ob du der Debatte bisher gefolgt bist, denn was du da in Richtung Kollegin Belakowitsch gesagt hast: So eine Tatsachenverdrehung kann man eigentlich gar nicht mehr kommentieren!

Ich finde das ja auch toll, dass wir uns alle immer hierherstellen und die Art und Weise der Lehrlingsausbildung in Österreich loben, die duale Ausbildung, die Kombination betriebliche Ausbildung und Berufsschule. Ja, das ist gut und das ist richtig so. Davon


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haben aber jene nichts, die nun auf der Straße stehen und ohne Ausbildungsplatz dastehen.

Unsere Vorschläge wie zum Beispiel die Wiedereinführung eines neuen und auf die neuen Gegebenheiten adaptierten Blum-Bonus, der die Unternehmer, die bereit sind, in Zeiten wie diesen auch Lehrlinge auszubilden, wirkungsvoll unterstützen würde, sind bekannt. Wir könnten auch darüber nachdenken, ob wir gerade in der jetzigen Situation wieder eine Institution wie einen Bundeslehrlingsbeauftragten schaffen. Das hat es ja in der Person des Herrn Egon Blum schon einmal erfolgreich gegeben. Es wäre nun an der Zeit, uns darüber wieder Gedanken zu machen.

Es wurde auch von vielen angesprochen, dass wir ein Problem mit der Qualifikation von Schulabgängern haben. Der Lehrherr sagt dann natürlich zum Beispiel: Na ja, da tue ich mir schwer, denn wenn ich einem in einem technischen Beruf die Grundrechnungsarten erst beibringen muss, dann habe ich ein Problem. – Da müssen wir etwas tun.

Wir müssen vor allem – und ich bin davon überzeugt, dass das einer der wesentlichsten Punkte ist – das Image der Lehre stärken, den Stellenwert der Lehre erhöhen. Auch das hat man oft gehört, und wenn wir uns da einig sind, dann müssen wir das machen.

Ich selbst habe auch einen Lehrberuf erlernt. Ich habe später einen anderen Weg eingeschlagen, aber ich habe eine Lehre absolviert. Ich bereue das überhaupt nicht, das war eine ganz tolle Erfahrung und eine gute Geschichte.

Wir brauchen wieder dieses Bekenntnis: Die Lehre ist wichtig. Früher hat es immer geheißen: Karriere mit Lehre – das kennen einige sicher noch; wenn man einen hand­werklichen Weg eingeschlagen hat, hat es geheißen: Handwerk hat goldenen Boden. Da müssen wir wieder hinkommen, dass wir die Leute motivieren, eine Lehre zu machen. Die Lehre mit Matura ist ein gutes Konzept, aber nicht das Allheilmittel und auch nicht für jeden notwendig. Es muss nicht jeder die Matura machen und mit Ach und Krach durch die Matura getrieben werden, wenn das vielleicht gar nicht der Intention des jun­gen Menschen entspricht.

Wir brauchen hoch qualifizierte Facharbeiter mit tollen Aufstiegs-, Karriere- und Weiter­bildungsmöglichkeiten, und da ist unser System der Lehrlingsausbildung in Österreich – perfekt will ich jetzt gar nicht sagen, perfekt ist kaum etwas, aber – sehr, sehr nahe dran an der Perfektion und sehr, sehr gut. Darum bitte ich wirklich um ein Bekenntnis über alle Parteigrenzen hinweg: Stärken wir die Lehre, geben wir der Lehre den Stellenwert, den sie verdient hat, und unterstützen wir auch die Unternehmer, die Betriebe, die in Zeiten wie diesen bereit sind, junge Menschen über mehrere Jahre zu gut qualifizierten Fach­arbeitern auszubilden, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der FPÖ.)

Ein Beispiel aus der Praxis das muss man auch wissen –: Ich habe vor Kurzem mit einem Tischlermeister aus meiner Gemeinde gesprochen, der seit Jahren händeringend Lehrlinge sucht. Er hat das Problem, dass er keine Bewerbungen mehr bekommt, dass die guten Schulabgänger keine Lehre machen wollen und dass jene, die sich bewerben oder vom AMS geschickt werden, halt einfach nicht die Voraussetzungen erfüllen. So steht man dann jahrelang ohne Lehrlinge da, obwohl man sie brauchen würde. Er hat mir auch gesagt, dass das heutzutage auch im Umgangston mit den Lehrlingen ganz, ganz schwierig ist, dass es da welche gibt, die, wenn sie vom Chef ein bisschen schief angeschaut werden, gleich einmal irgendwo für eine Anzeige oder eine Beschwerde hinrennen – das macht dann auch keinen Spaß mehr. Es ist ganz klar: Lehrjahre sind keine Herrenjahre! Es kann aber nur jedem jungen Menschen in Österreich zu einer Lehre geraten werden.

Wir als Politiker haben die Aufgabe, nicht nur ein Bekenntnis diesbezüglich abzulegen, sondern auch die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit der Stellenwert der Lehre


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wieder erhöht wird, damit sie als wichtige Schiene unseres Bildungssystems wahr­ge­nommen wird, und wir müssen den Facharbeitern und Facharbeiterinnen von morgen Respekt und Wertschätzung entgegenbringen und vor allem den Unternehmern auch die notwendige Hilfestellung geben, was das Finanzielle, aber auch die bürokratischen Vorschriften betrifft. Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

17.12

17.12.58


Präsidentin Doris Bures: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, frage ich die Klubs, ob wir gleich abstimmen können oder wir eine Unterbrechung vornehmen sollen. – Da dem nicht so ist, werden wir so vorgehen und ohne Sitzungsunterbrechung gleich zu den Abstimmungen kom­men.

Wir kommen zur Abstimmung über den Selbständigen Antrag 769/A(E) der Abgeord­neten Holzleitner, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Lehrlingsgarantie in Zeiten von Corona“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem die Zustimmung geben, um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit, abgelehnt.

Dann kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Angerer, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Lehrlingspaket für Österreichs Lehr­linge – Wiedereinführung des Blum-Bonus“.

Wer für diesen Entschließungsantrag ist, den bitte ich um ein Zeichen. Das ist die Minderheit, abgelehnt.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Flexibleres Arbeiten“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem die Zustimmung geben, um ein Zeichen. Das ist die Minderheit, abgelehnt.

17.14.27Fortsetzung der Tagesordnung


Präsidentin Doris Bures: Ich nehme die Verhandlungen über Tagesordnungspunkt 19 wieder auf.

Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Fischer. – Bitte.


17.15.02

Abgeordnete Mag. Ulrike Fischer (Grüne): Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Konsumentenschutz geht uns alle an, und am 26. Juni haben wir eine einhellige Zustimmung aller Fraktionen zu die­sem Entschließungsantrag, wie er nun vorliegt, geschafft. Es geht um Inkassogebühren und um Inkassobüros. Ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen für die Zu­stimmung bedanken.

Ich hoffe, dass wir alle noch viele gemeinsame Meilensteine für einen effektiven Kon­sumentenschutz auf den Weg bringen. Konsumentenschutz geht uns alle an, auch wenn Konsumentenschutz oft erst zu späterer Uhrzeit besprochen wird. Wir alle gehen einkaufen, wir alle müssen Forderungen tilgen und wir alle ziehen manchmal um und haben dann vielleicht, wenn es blöd läuft, ein Problem mit einem Inkassobüro. Deswe­gen ist es ganz wichtig, dass es eine gute Problemlösung gibt. Für diesen guten Antrag und für die konstruktive Zusammenarbeit möchte ich mich auch ganz besonders bei


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meinem Kollegen Peter Weidinger bedanken. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Die Problemstellung ist recht einfach: Viele Gläubiger kümmern sich nicht selber um die Eintreibung ihrer Forderungen, und die Forderungen kommen dann zu Inkassobüros. Die Inkassobüros haben selber wieder Kosten, haben Arbeit damit, müssen herausfin­den, wo die Personen wohnen, müssen Telefonate führen, und das kann zu einer Kos­ten­explosion führen. Diese Kostenexplosion kann dann wiederum dazu führen, dass man in eine Schuldenfalle tappt. Da gibt es jetzt eine Möglichkeit, dass wir für die Konsu­mentinnen, für die Konsumenten eine transparente, angemessene Möglichkeit schaffen, dass wir die Verordnung, die wir bereits haben, in einer Art und Weise evaluieren, damit es dann einen besseren Konsumentenschutz gibt.

Man muss sich einmal vorstellen, was derzeit möglich ist: Man wohnt in einer Studen­tenwohnung, zahlt 40 Euro für das Internet, zieht um. Der Anbieter findet die Person nicht, weil der Vertrag gekündigt ist. Dann passiert Folgendes: Es ist noch eine Monats­gebühr offen und durch fünfmal anfallende Mahnspesen kommt letztendlich ein Betrag zusammen, der dreieinhalbmal so hoch ist, also fast 200 Euro beträgt. – Da ist es ganz wichtig, dass wir eine Grenze ziehen.

Die andere Problemstellung betrifft verjährte Zinsen: Das ist ein Punkt, den man in dem Antrag evaluieren könnte, und ich glaube, in diesem Bereich kann man viel tun. Es klingt zwar nicht spannend, aber im Bereich der Armutsbekämpfung ist dieser Antrag heute ein großer Meilenstein für den österreichischen Konsumentenschutz, und ich möchte mich hier bedanken, dass wir es gemeinsam schaffen, im Bereich Inkasso eine gute Lösung zu finden. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

17.18


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Peter Wurm. – Bitte.


17.18.41

Abgeordneter Peter Wurm (FPÖ): Frau Präsidentin! Herr Minister! Frau Kollegin Fischer, von einem großen Meilenstein würde ich jetzt nicht sprechen. Wer sich diesen Text durchlesen will: Er ist sehr überschaubar. Ich würde sagen, typisch Österreich: Wenn ich nicht mehr weiterweiß, dann gründe ich einen Arbeitskreis. Das ist ein Arbeitskreis zu einem eigentlich recht simplen Thema, einem Thema, das uns aktuell in der Coronakrise doppelt betrifft und das man eigentlich politisch in der Regierung oder vonseiten der Regierungsfraktionen schon lösen sollte. Sowohl die Sozialdemokraten als auch wir von der FPÖ haben mehrmals einige sehr, sehr gute Anträge in diese Richtung eingebracht, aber wir sind bisher nicht auf die nötige Mehrheit gestoßen. Ich hoffe, wir bekommen sie bald. (Abg. Eypeltauer: Weil sie nicht gut waren!)

Für die Zuseher kurz zur Erklärung: Es geht um Inkassogebühren. Frau Fischer hat ver­sucht, es zu erklären, ich mache es vielleicht noch einmal fest: Ich habe auch eine Tabelle von der Schuldnerberatung mit, damit man sich einmal vorstellen kann, was das heißt, wenn man aus irgendeinem Grund einmal 100 Euro oder 500 Euro oder auch 10 000 Euro Schulden hat, und wie sich das in Österreich für einen Konsumenten legal weiterentwickeln kann.

Da gibt es ein paar Beispiele: ursprüngliche Schuld 7 Euro, nach zweieinhalb Jahren 398 Euro. Jetzt bin ich heute nicht mehr so schnell im Kopf, aber Sie können es sich ausrechnen, es ist doch eine schöne Multiplikationsrechnung. (Abg. Maurer: ... dividiert durch 7 ...!) 6 900 Euro: 272 000 Euro; 1 953 Euro ursprüngliche Schuld: 71 134 Euro. Das sind Beispiele aus Österreich.

Noch einmal: Das ist im Prinzip einfach nicht mehr tragbar. Auch Richtung ÖVP: Bitte, irgendwann müsst ihr auch den Lobbyismus für diese Gruppe der Inkassobüros und


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Banken einstellen! Das ist unerträglich, das hat mit keinem rational erklärbaren kauf­männischen Hintergrund noch etwas zu tun. Das ist unanständig, und die Grünen machen sich schon zum Mittäter dieser Unanständigkeit, indem sie das decken. (Neuer­licher Zwischenruf der Abg. Maurer.)

Es wäre ganz simpel, zu sagen: Maximal das Doppelte meiner ursprünglichen Schuld kann anlaufen! – Dann wissen alle: Okay, wenn ich einmal 1 000 Euro nicht zahlen kann, werden es maximal 2 000 Euro! – Wenn es dann aber irgendwann einmal 10 000 Euro sind, ist das nur mehr Irrsinn pur.

Das heißt, in der einfachen Version: Bitte gründen Sie einen Arbeitskreis! Es wird wenig dabei herauskommen, wir wissen es. Wenn wir Ihnen bei einer praktikablen Lösung helfen sollen – wir haben sie, sie ist relativ simpel –: maximaler Deckel, das Doppelte der ursprünglichen Schuld. Da würden Sie vielen Leuten, vor allem jetzt in der Corona­krise, die auch in Zahlungsschwierigkeiten kommen, helfen. Und Richtung ÖVP: Sie helfen damit auch vielen Unternehmern! – Danke. (Beifall bei der FPÖ sowie des Abg. Vogl.)

17.22


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Peter Weidinger. – Bitte.


17.22.15

Abgeordneter Mag. Peter Weidinger (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätz­ter Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen, geschätzte Kollegen! Liebe Öster­reicherinnen, liebe Österreicher und alle Menschen, die hier in diesem wunderschönen Land leben! Etwas verwundert bin ich jetzt schon über die Aussage des Abgeordneten Wurm: Wir beschließen jetzt gemeinsam einen Antrag von allen Fraktionen, wir waren uns auch im Ausschuss – nach einigen Diskussionen, was in der Natur der Sache liegt – darüber einig, dass wir da eine Verbesserung erzielen wollen, dass wir das gemeinsam beschließen, was wir auch tun werden, und dann stellst du dich hier heraus und kritisierst jetzt eigentlich die Lösung, von der du ja selbst ein Teil bist. Also das würde ich jetzt an dieser Stelle vielleicht anders sehen; du hilfst ja mit, dass wir hier gemeinsam eine klare Regelung finden und das auf den Punkt bringen. (Abg. Vogl: Nicht einmal eine Jahreszahl reingeschrieben ...!)

Ich möchte aber auch gerne – auch weil es einen Zwischenruf des Herrn Kollegen Vogl gibt – auf den Redebeitrag, den du vorhin, bevor wir von der Behandlung des Dringlichen Antrages unterbrochen wurden, gebracht hast, eingehen. Nur ein kleiner Input: Als Inkassoinstitut darf man ja gar keine Forderung kaufen. Das hast du früher hier in den Raum gestellt oder ich schreibe es eher dem zu, dass das von dir sehr verkürzt darge­stellt war, denn das weißt du ja, dass das rechtlich gar nicht möglich ist. (Zwischenruf des Abg. Vogl.) Genau das Gleiche gilt ja auch bei verjährten Zinsen: Die dürfen ja betrieben werden. Es handelt sich dabei ja um ein Bankenthema und nicht um ein Inkassothema, denn die Inkassoinstitute sind ja Dienstleister der Banken – das, um diesen Punkt hier richtigzustellen.

Geschätzte Damen und Herren, lassen Sie mich aber auf den wesentlichen Kern dieses Anliegens kommen! Nehmen wir an, ein Kärntner kauft einen Kühlschrank um 700 Euro. Das macht er auf Rechnung, und nach zwei Monaten wird die Rechnung leider nicht beglichen. Es erfolgt dann eine Aufforderung, es folgt dann eine Mahnung, wenn das an das Inkassoinstitut übergeben wird. Da haben wir momentan die Situation, dass bei der Höchstbetragsverordnung der Inkassoinstitute zwar die Beträge für einzelne Maßnah­men verrechnet werden können, diese aber zu wenig transparent sind, weil es keine Regelung über die konkrete Anzahl der eingeleiteten Eintreibungsmaßnahmen gibt. Das


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halten wir auch nicht für sinnvoll. Das kann dazu führen, dass es zu einem Vielfachen der ursprünglichen Kaufsumme kommt.

Der rechtliche Hintergrund liegt ja im § 1333 Abs. 2 ABGB, der beschreibt, dass die Berechnung angemessen, zweckmäßig und so weit notwendig vorgenommen werden soll, aber da gibt es für den Konsumenten Rechtsunsicherheit. Wir haben diesen Be­schluss aufgelegt, damit da Klarheit geschaffen wird – einerseits für den Konsumenten, damit er Rechtssicherheit hat, aber andererseits auch, damit die komplizierten Regelun­gen, bei denen selbst Spezialisten einem nicht sagen können, welche Summe heraus­kommen kann, wie das bei Ratenzahlungen der Fall ist, geklärt werden.

Weiters haben wir damit auch eine Modernisierung angeregt. So gibt es immer noch die Evidenzhaltungsgebühr, die im Zeitalter der Digitalisierung einfach überkommen ist und nur zu einer Umwälzung der Kosten zuerst ans Inkassoinstitut und später an den Konsu­menten führt. Mit diesem Antrag werden wir für Klarheit sorgen und diese schaffen, und ich bitte Sie alle, diesem Antrag zuzustimmen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeord­neten der Grünen.)

17.25


Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Petra Wimmer. – Bitte.


17.25.59

Abgeordnete Petra Wimmer (SPÖ): Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin, wie viele von Ihnen wahrscheinlich auch, in intensivem Austausch mit den Beratungseinrichtungen und insbesondere mit denen, die sich um die Ärmsten in unserem Land kümmern. Da zeigt die Praxis: Die Beratungen und Unterstützungsleistungen der Delogierungsprävention, der Wohnungslosenhilfe oder der Tafeln mit den Lebensmittelspenden nehmen rasant zu. Wir sehen in diesen Einrichtungen einen Anstieg der oft sehr verzweifelten Anfragen von Menschen, die nicht mehr wissen, wie sie über die Runden kommen sollen, die nicht wissen, wie sie die Lebensmittel für die Kinder kaufen oder die Miete bezahlen sollen, und es ist absehbar, dass dieser dringende Bedarf an Beratung und Unterstützung anhält und noch weiter steigen wird. Wir können auch davon ausgehen, dass es krisenbedingt zu weiteren Verschuldungen kommen wird.

Wir haben hier in Österreich mit der Schuldnerberatung und dem Dachverband der Schuldnerberatungen ausgezeichnete Beratungseinrichtungen. Da wird qualitätsvoll, ganzheitlich und umfassend beraten und daran gearbeitet, die Verschuldung in enger Zusammenarbeit mit den Betroffenen zu minimieren oder zu beseitigen. Diese Arbeit ist ganz besonders wichtig, um die Abwärtsspirale zu durchbrechen. Diese entsteht dann, wenn Schulden vom Schuldner einfach nicht zu bewältigen sind – der Schuldenberg wächst und wächst, wenn man nicht Maßnahmen trifft, um diese Entwicklung zu stoppen. Leider fanden unsere Anträge, die Schuldnerberatungen finanziell wesentlich besser auszustatten, im Ausschuss keine Mehrheit und wurden wieder vertagt. Der vorliegende Antrag ist aber zumindest ein erster Schritt auf dem Weg zu einer schuld­nerfreundlichen Regelung bei den Inkassogebühren.

Inkassogebühren können eine kleine unbezahlte Rechnung rasch zu einem großen Betrag anwachsen lassen, der nicht mehr angemessen ist. In der Praxis zeigt sich, dass die Berechnung vielfach intransparent und nicht nachvollziehbar ist. Wir brauchen dies­bezüglich Rechtssicherheit für Gläubiger und Schuldner. Fair wäre es aus unserer Sicht auch, wenn bei einer ersten Mahnung noch keine Gebühren anfallen.

Sehr geehrte Regierungsparteien, wir erwarten hier Entschlossenheit im Handeln. Es braucht Perspektiven für die Menschen, die in einer finanziellen Notlage sehr stark


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belastet sind. Es ist jetzt nicht die Zeit für Aufschübe, es ist Zeit, zu handeln. Eine Lösung bis zum Herbst zu finden sollte machbar sein. (Beifall bei der SPÖ.)

17.28


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Felix Eypeltauer. – Bitte.


17.28.44

Abgeordneter Mag. Felix Eypeltauer (NEOS): Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin­nen und Kollegen! Hohes Haus! Geschätzter Herr Bundesminister! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Es ist gut und richtig, dass wir angesichts dieser Wirtschafts- und Arbeits­marktkrise, in der wir uns befinden, über das Thema Inkassogebühren sprechen, und es ist auch gut und richtig, dass wir das Thema der überhöhten und nicht angemessenen Inkassogebühren hier heute auf der Tagesordnung haben.

Es ist vielleicht vorwegzuschicken, dass die Höhe von Inkassogebühren ja grundsätzlich in der Inkassogebührenverordnung reguliert ist, für die der Herr Bundesminister ja auch verantwortlich ist. Wir haben uns – weil das ein Thema ist, bei dem wir einer Meinung sind – im Konsumentenschutzausschuss geeinigt, dass wir wollen, dass diese Inkasso­gebührenverordnung evaluiert wird. Sie soll evaluiert werden, weil wir mehr Transparenz und mehr Nachvollziehbarkeit bei den Inkassogebühren und mehr Rechtssicherheit für die Konsumenten brauchen, sie soll aber auch evaluiert werden, weil Gebühren dem tatsächlichen Inkassoaufwand entsprechen sollen.

Gewundert hat mich in dieser Debatte der Vorschlag vonseiten der Sozialdemokratie, aber auch der Freiheitlichen, dass Gläubiger die Inkassokosten bis zur ersten Mahnung selber tragen sollen. Ich habe mir gedacht: Da werden sich alle Einpersonen­unter­nehmen, alle Klein- und Mittelbetriebe im Land freuen, wenn sie nicht nur länger warten müssen, bis sie Geld für eine Leistung, die sie erbracht haben – das ihnen also zusteht und mit dem sie gerechnet haben –, bekommen, sondern wenn sie dann auch noch die Kosten für die Eintreibung selber tragen dürfen. Ich finde, das ist eine sonderbare Auffas­sung von Gerechtigkeit, und ich glaube auch, dass die meisten Österreicherinnen und Österreicher der Meinung sind, dass jemand, der etwas kauft, der eine Schuld eingeht, auch für diese zu zahlen hat und dass dann, wenn er nicht zahlen kann, zumindest verlangt werden kann, dass man sich beim Gläubiger meldet und sagt: Du, ich brauche eine Stundung, ich brauche eine Ratenzahlung! – denn dann verhindert man nämlich die Inkassogebühren.

Dann hat Herr Kollege Vogl bei seinem Eingangsstatement kritisiert, dass Unternehmen Forderungen verkaufen. – Na, wo kommen wir denn da hin! Also ob es für mich als Schuldner irgendeinen Unterschied macht, ob ich an das Unternehmen A oder an das Unternehmen X meine 300 Euro mit schuldbefreiender Wirkung leiste, wage ich sehr zu bezweifeln. Für den Schuldner ist es gleich, aber für das Unternehmen ist es wichtig, denn das Factoring, der Verkauf von Forderungen, ist ein ganz wesentliches Finanzie­rungs- und Liquiditätsinstrument, und gerade in einer Zeit, in der Unternehmen Liqui­ditätsprobleme haben, ist es wichtig, da keine Einschränkungen zu machen, sondern das auch weiterhin zu ermöglichen. Alles andere wäre keine gute Idee.

Was schon eine gute Idee wäre, ist mehr Konsumentenschutzbildung, mehr Finanz­bildung und Wirtschaftsbildung. Wir als NEOS haben hier diesbezüglich schon mehrere Vorstöße gemacht. Ich weiß auch, Herr Bundesminister, dass Sie da unsere Aussage teilen, nur: Ich wünsche mir von Ihnen, dass Sie nicht nur die Aussage teilen, sondern auch mit sehr viel Nachdruck für konkrete Ergebnisse arbeiten. Da geht es vor allem um junge Menschen, da geht es vor allem um Schülerinnen und Schüler, die zu mündigen Bürgern und zu mündigen Konsumentinnen und Konsumenten werden sollen, und am


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Ende des Tages geht es auch um den Wirtschaftsstandort Österreich. – Danke. (Beifall bei den NEOS.)

17.31


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Andreas Minnich. – Bitte.


17.31.49

Abgeordneter Andreas Minnich (ÖVP): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundes­minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseher zu Hause vor den Fern­sehschirmen! Im täglichen Leben braucht es gute, klare und einfache Regeln, einerseits für die Konsumenten und andererseits auch für die Unternehmen, sonst gibt es keinen funktionierenden Handel.

Wenn man einkauft und eine Rechnung erhält, sollte es für jeden von uns selbstver­ständlich sein, diese auch zeitnah zu begleichen. Das zeitnahe Bezahlen ist für unsere Unternehmen von größter Wichtigkeit. (Abg. Wurm: Das ist ja alles unbestritten! Das ist unbestritten! ...! – Zwischenruf des Abg. Weidinger.) Gerade jetzt, in dieser Situation ist dies für den Cashflow und das Überleben der Unternehmen von maximaler Bedeutung. Deswegen sind wir gegen die Mahngebührenbefreiung für die erste Mahnung beim Inkasso. Wir können und dürfen nicht diejenigen belohnen, die später zahlen und damit dem einen oder anderen Unternehmen vielleicht noch einen Schaden zufügen. Es geht um die Liquidität unserer Betriebe. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Sehr geehrter Herr Kollege Vogl, entgegen Ihrer Darstellung liegt uns natürlich sehr viel am Konsumentenschutz. (Beifall der Abg. Fischer. – Heiterkeit der Abgeordneten Vogl und Wurm.) Mit der Evaluierung der festgesetzten Inkassohöchstsätze (Abg. Wurm: Der war gut!) machen wir das. (Abg. Wurm: Der war gut!) Warum nicht der SPÖ-Antrag? – Weil dort nicht die Evaluierung im Vordergrund steht, sondern wieder nur ein pauschaler Angriff auf alle Inkassobüros. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

17.33


Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Alexandra Tanda. – Bitte.


17.33.47

Abgeordnete Ing. Mag. (FH) Alexandra Tanda (ÖVP): Frau Präsidentin! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute schon alle alles zu dem Thema Inkassogebühren gehört. Ich bin die letzte Rednerin in dieser Debatte und versuche, das Thema noch einmal zusammenzufassen, und zwar kurz, knackig und konzis, wie ich mal gelernt habe.

Wenn man sich die Verordnung aus dem Jahr 2005 über die Höchstsätze für Inkasso­institute anschaut, dann werden zwei Punkte sehr schnell klar: einerseits die Intrans­parenz, die ein großes Problem in der Praxis darstellt, und andererseits, dass die Ver­braucher so schnell hohe Kosten treffen können, wie s’ gar net schaun können – auf gut wienerisch.

Dass diese Beiträge jedoch näher geregelt werden müssen, steht außer Zweifel. Es steht auch außer Zweifel, dass es jeden von uns einmal treffen kann, mit einem Inkassobüro in Kontakt zu treten. Es ist nicht nur, wie von der Kollegin genannt, der Umzug; man kann auch einmal vergessen, die Kirchensteuer zu zahlen, auch das kann passieren (Zwischenrufe der Abgeordneten Loacker und Scherak – Heiterkeit der Rednerin), oder eine Handyrechnung oder Sonstiges. So werden aus 100 Euro, wie wir gehört haben, mehrere 100 Euro, bis zu 1 000 Euro und noch mehr.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 182

Wenn diese Rechnungen intransparent sind, ist das klarerweise unverständlich für alle anderen. Daher ist es eine im Sinne des Konsumentenschutzes sehr wichtige Angele­genheit, dass man diese Höchstsätze der Inkassoinstitute in einem ersten Schritt evalu­iert und falls notwendig entsprechend anpasst. Solche finanziell sensiblen Angelegen­heiten brauchen klare Regelungen, die wir den Konsumentinnen und Konsumenten bereitstellen werden. Diese Herangehensweise durch unsere Frau Bundesministerin ist daher die einzig richtige. In Übereinstimmung mit den Prinzipien des Konsumenten­schut­zes schaffen wir so Transparenz und klare Regelungen, und zwar für alle Be­teiligten, sowohl für Gläubiger als auch für Schuldner.

Die Wichtigkeit der Evaluierung und der Transparenzschaffung ist bereits im Regie­rungs­programm festgehalten und zeigt sich auch dadurch, dass wir diesen Ent­schließungs­antrag heute einstimmig für alle Verbraucherinnen und Verbraucher erledigen. Ich bedanke mich herzlich dafür. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Abg. Weidinger: Bravo!)

17.36

17.36.10


Präsidentin Doris Bures: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Damit ist die Debatte geschlossen.

Wünscht der Berichterstatter ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Bevor wir zur Abstimmung kommen, frage ich die Klubs, ob eine Sitzungsunterbrechung gewünscht ist oder ob wir gleich abstimmen können. – Nach Abklärung mit den Klubs kommen wir zur Abstimmung ohne Sitzungsunterbrechung.

Zunächst lasse ich über den Antrag des Ausschusses für Konsumentenschutz, seinen Bericht 275 der Beilagen hinsichtlich des Entschließungsantrages 207/A(E) zur Kenntnis zu nehmen, abstimmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für die Kenntnisnahme sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist mit Mehrheit so angenommen.

Weiters kommen wir zur Abstimmung über die dem Ausschussbericht 275 der Beilagen angeschlossene Entschließung betreffend „transparente, rechtssichere und angemes­sene Regelungen im Bereich der Inkassogebühren“.

Wer sich für diesen Ausschussbericht ausspricht, den bitte ich um ein Zeichen. – Das ist einstimmig so angenommen. (71/E)

17.37.5520. Punkt

Bericht des Justizausschusses über die Regierungsvorlage (223 d.B.): Bundes­gesetz, mit dem das Allgemeine Grundbuchsgesetz 1955, das Grundbuchs­umstel­lungs­gesetz und das Wohnungseigentumsgesetz 2002 geändert werden (Grund­buchs-Novelle 2020 – GB-Nov 2020) (296 d.B.)


Präsidentin Doris Bures: Damit kommen wir zum 20. Punkt der heutigen Tagesord­nung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Als Erste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Prammer. – Bitte.


17.38.20

Abgeordnete Mag. Agnes Sirkka Prammer (Grüne): Frau Präsidentin! Herr Bundes­minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Es steht eine Novelle des Grundbuchgesetzes an, mit der wir vor allem beschließen wollen,


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 183

dass das Instrument der Rangordnung und auch jenes der Treuhändervollmacht wesentlich vereinfacht und leichter zugänglich gemacht werden.

Mit dem Grundbuch ist Österreich immer schon vorangegangen. Es stellte die erste vollständige Erfassung der gesamten Flächen im gesamten Staatsgebiet dar – jedenfalls im damaligen –, und es erfasste zu jedem Grundstück die Eigentumsverhältnisse, die Belastungen, die darauf liegen, die Rechte anderer an diesen Grundstücken, wer über das Grundstück gehen darf, wer Wasser darüber leiten darf, wer Wasser entnehmen darf, wer ein Pfandrecht darauf hat. All das wurde in einem öffentlichen Buch eingetragen und war dort für alle öffentlich einsehbar.

Jeder kann bis heute das Grundbuch einsehen und dort nachsehen, wem das Grund­stück mit dem schönen Haus gehört, dort nachsehen, ob man drübergehen darf, dort nachsehen, ob eine Absicherung für das Nachbargrundstück verpflichtend ist, dort nachsehen, ob es belastet ist. Das muss nicht begründet werden und es muss auch kein rechtliches Interesse an dieser Information bestehen. Es ist ein öffentlich zugängliches Register, aus dem jeder Informationen entnehmen darf, die für die Allgemeinheit zugäng­lich sind.

Auch auf einem anderen Gebiet waren das Grundbuchsrecht und das Grundbuch weg­weisend, und zwar im Bereich der Digitalisierung. Das Grundbuch wurde bereits in den 1980er-Jahren digitalisiert, damals zunächst bei den Einlagen, dann später bei den Eingaben und jetzt auch nach und nach im Bereich der Urkundensammlung.

Diese beiden Bereiche sind auch wesentliche Stützen und wesentliche Instrumente, mit denen man in die Zukunft gehen muss. Digitalisierung und Informationsfreiheit sind zwei wesentliche Punkte, die wir aus dem Grundbuchsrecht in alle anderen Rechtsgebiete übertragen wollen und werden, und genau aus diesem Grund werden wir uns, so wie schon früher, auch jetzt das Grundbuch als leuchtendes Vorbild nehmen und diese beiden Bereiche voranbringen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

17.41


Präsidentin Doris Bures: Ich begrüße Frau Bundesministerin Zadić und erteile Frau Abgeordneter Selma Yildirim das Wort. – Bitte.


17.41.16

Abgeordnete Mag. Selma Yildirim (SPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Ministerin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Hohes Haus! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Die SPÖ begrüßt die vorliegende Grundbuchs-Novelle im Großen und Ganzen, wir haben im Justizausschuss auch entsprechend diskutiert, und sie wird auch unsere Zustimmung bekommen.

Worum geht es kurz zusammengefasst? – Bereits in den Jahren 2008 und 2012 wurden Grundbuchs-Novellen beschlossen. Damals wurden die Voraussetzungen für den Einsatz moderner Informationstechnologien in der Grundstücksdatenbank geschaffen und außerdem die Namens- und Treuhänderrangordnung eingeführt. Hauptziel dieser Novelle ist die Stärkung der Treuhänderrangordnung. Sie soll praktikabler ausgestaltet werden, sodass die Vorteile dieser Rangordnung überwiegen und die Papierrangord­nung zurückgedrängt wird. Zu diesem Zweck sieht der gegenständliche Entwurf eine Regelung für den Fall des Todes beziehungsweise des Verlusts oder des Ruhens der Berufsberechtigung des Treuhänders vor. Zudem soll künftig die Beglaubigung der Unterschrift auf einem Rangordnungsgesuch oder einer Rangordnungserklärung durch einen Notar dessen Bestellung als Treuhänder nicht entgegenstehen.

Vorgesehen sind aber auch Änderungen im Bereich der Antragstellung sowie der Zu­stellung. Genau in diese Richtung gehen meine Bedenken in Hinblick auf die Novelle.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 184

Wir haben zwar in der Vorlage den Hinweis, dass es eine Erleichterung bringen soll, allerdings bedeutet das, was als Erleichterung im Zusammenhang mit der Zustellung thematisiert wird, eigentlich eine Gefahr, ein Rechtsschutzdefizit für Bürgerinnen und Bürger. Mein Anliegen ist es, die Konsumentenschutzrechte eben bestmöglich hervorzu­heben und abzusichern.

Damit es vielleicht deutlicher ist: Aktuell wird dem Antragsteller die Erledigung der Grundbuchsgesuche auch dann zugestellt, wenn er vertreten wird, und mit diesem Ent­wurf soll das abgeschafft werden.

Grundbuchsbeschlüsse müssten ab Inkrafttreten der Novelle nicht mehr an die jeweili­gen Parteien, sondern nur noch an die Vertreterinnen und Vertreter der Parteien zuge­stellt werden. Das wird eben mit dem geringer werdenden Verwaltungsaufwand sowie mit Einsparungen, die aus meiner Sicht aber in keinem Verhältnis zu den mög­lichen Auswirkungen für die KonsumentInnen stehen, argumentiert. Mit Verlaub, es geht da um 150 000 Zustellungen im Jahr und die Kostenschätzung beträgt 300 000 Euro.

Wir wissen, dass in diesem Bereich der Justiz die meisten Einnahmen erfolgen, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler das nicht nur durch ihre Steuergelder, sondern auch durch die zusätzlichen Gebühren – und die sind sehr hoch – finanzieren, daher finde ich es einfach nicht gerechtfertigt, dass man ihnen diese Möglichkeit aus der Hand nimmt.

Es erscheint mir daher die Neuregelung im Hinblick auf das Rechtsschutzbedürfnis der jeweiligen Antragsteller nicht sachgerecht und äußerst problematisch. Selbst wenn der Wegfall der persönlichen Zustellung und damit einhergehend die Absenkung der Trans­parenz und der Rechtssicherheit nur zu einer geringen Steigerung der Malversationen im Liegenschaftsverkehr führt, wären aber die Auswirkungen in Einzelfällen womöglich existenzbedrohend. Ich denke, diese Kritik, die auch im Begutachtungsverfahren vorge­bracht wurde, sollte man sehr ernst nehmen.

Ich bringe daher einen entsprechenden Abänderungsantrag ein:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Mag. Selma Yildirim, Kolleginnen und Kollegen zum Bericht des Justizausschusses über die Grundbuchs-Novelle 2020

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Die eingangs bezeichnete Regierungsvorlage in der Fassung des Ausschuss­berich­tes 296 d.B. wird wie folgt geändert:

Artikel 1, Änderung des Allgemeinen Grundbuchsgesetzes 1955, wird wie folgt geän­dert:

a) Z 4 entfällt

b) aus Z 5 wird Z 4.

*****

Das Hauptziel der Novelle, die Stärkung der Treuhänderrangordnung, ist also durch­wegs zu begrüßen. Wünschenswert wäre aber eine Änderung im Interesse des Rechts­chutzbedürfnisses der Antragstellerinnen und Antragsteller. In diesem Sinne ersuche ich um Zustimmung. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Fischer.)

17.46


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 185

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Abänderungsantrag

§ 53 Abs. 3 GOG-NR

der Abgeordneten Mag.a Selma Yildirim, Kolleginnen und Kollegen

zum Bericht des Justizausschusses über die Regierungsvorlage (223 d.B.): Bundes­gesetz, mit dem das Allgemeine Grundbuchsgesetz 1955, das Grundbuchs­umstellungs­gesetz und das Wohnungseigentumsgesetz 2002 geändert werden (Grundbuchs-Novelle 2020–GB-Nov 2020) (296 d.B.)

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Die eingangs bezeichnete Regierungsvorlage in der Fassung des Ausschussberichtes 296 d.B. wird wie folgt geändert:

Artikel 1, Änderung des Allgemeinen Grundbuchsgesetzes 1955, wird wie folgt geändert:

a)          Z 4 entfällt

b)          aus Z 5 wird Z 4.

Begründung

Gemäß § 119 Abs. 1 in der derzeit (noch) geltenden Fassung wird dem Antragssteller die Erledigung der Grundbuchsgesuche auch dann zugestellt, wenn er vertreten ist. Dies soll mit dem Entwurf abgeschafft werden, da „dahin ein vermeidbarer Verwaltungs­aufwand zu liegen scheine.“ Von der AK Österreich wurde im Begutachtungsverfahren zurecht ausgeführt, dass man dabei bedenken müsse, dass es sich um jährlich 150.000 Zustellungen handelt. Es erscheint daher die Neureglung vor dem Rechtsschutz­bedürf­nis der jeweiligen Antragssteller nicht sachgerecht und äußerst problematisch.

„Selbst, wenn der Wegfall der persönlichen Zustellung und damit einhergehend die signi­fikante Absenkung der Transparenz und Rechtssicherheit nur zu einer geringen Steige­rung von Malversationen im Liegenschaftsverkehr führt, wären die Auswirkungen in den Einzelfällen wohl meist existenzbedrohend.“

Deshalb wird im Abänderungsantrag betreffend die Änderungen des Allgemeinen Grund­buchsgesetzes 1955 die Z 4 der Regierungsvorlage in der Fassung des Ausschuss­berichtes gestrichen, welche in § 119 Abs. 1 den Einleitungssatz dahingehend geändert hat, dass der Antragssteller nur dann von Amtswegen zu verständigen sei, wenn er nicht vertreten ist.

*****


Präsidentin Doris Bures: Der Abänderungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht daher auch mit in Verhandlung.

Nächster Redner: Herr Abgeordneter Volker Reifenberger. – Bitte.


17.46.13

Abgeordneter Ing. Mag. Volker Reifenberger (FPÖ): In den 15 Jahren meiner juris­tischen beruflichen Tätigkeit habe ich die letzten beiden Grundbuchs-Novellen 2008 und 2012 hautnah miterlebt. Die letzte Novelle durfte ich in juristischen Fachvorträ­gen über viele Jahre hinweg auch Seminarteilnehmern entsprechend näherbringen. In


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 186

meinen Vorträgen habe ich ganz gerne die Seminarteilnehmer gefragt, wie denn diese Treuhänderrangordnungen in der Praxis angewendet werden, und das Ergebnis meiner Befragung war leider ernüchternd.

Ziel der jetzigen Novelle ist es, eben diese 2012 eingeführte Treuhänderrangordnung zu stärken und die alte herkömmliche Papierrangordnung zurückzudrängen. Die Vorteile der Treuhänderrangordnungen sind aber nicht nur im Gerichtsbetrieb gegeben, sondern es bestehen auch viele Vorteile für den Rechtsanwender selber.

Jeder Angehörige eines rechtsberatenden Berufes, der schon einmal seine ganze Kanz­lei auf den Kopf stellen musste, alle Akten durchsuchen musste, um die heilige Papier­rangordnung zu suchen, weiß, wovon ich spreche, denn eine solche Rang­ord­nung zu verlieren kann für die Klienten gravierende Folgen haben; daher werden zum Beispiel in unserer Kanzlei die Originale dieser Rangordnungsbeschlüsse in einem schweren Stahl­schrank sicher verwahrt.

Bei der Treuhänderrangordnung gibt es aber einen solchen heiligen Papierbeschluss, den man verlieren könnte oder der vielleicht irgendwo im Nirwana eines Postverteil­zen­trums entsprechend verschwinden könnte, nicht.

Bisher gab es aber in der Praxis einige Probleme, die auftreten könnten, nämlich dann, wenn ein Treuhänder verstirbt oder seine Berufsbefähigung ruht oder wenn er einfach auch nur in Pension gegangen ist. Diese Probleme werden mit der vorliegenden Novelle gelöst.

Eine Kleinigkeit hat man aber übersehen: In der Regierungsvorlage wird eine sehr sinnvolle Bestimmung eingeführt, die nämlich klarstellt, dass der Notar eine auf ihn selbst als Treuhänder ausgestellte Rangordnung auch selbst beglaubigen kann. Konsequen­terweise müsste es aber dem beglaubigenden Notar auch gestattet sein, eine Zustim­mungserklärung zu beglaubigen, mit welcher ein früherer Treuhänder die Rangordnung auf einen neuen Treuhänder überträgt. Andernfalls bräuchte man in einer solchen Kon­stellation sogar drei Notare, einmal den alten Treuhänder, dann den neuen Treuhänder, auf den das übertragen wird, und dann einen dritten Notar, der die Unterschrift ent­sprechend beglaubigt, und das würde eigentlich dem Ziel dieses Gesetzentwurfes zu­widerlaufen.

Um diese Lücke zu schließen, bringe ich folgenden Abänderungsantrag ein:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker, Mag. Selma Yildirim, Ing. Mag. Volker Reifenberger, Mag. Agnes Prammer, Dr. Johannes Margreiter, Kolleginnen und Kolle­gen zur Grundbuchs-Novelle 2020 (223 d.B.)

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Die oben bezeichnete Vorlage wird wie folgt geändert:

In Artikel 1 Ziffer 2 lautet in § 57a der Absatz 6:

„(6) Die Beglaubigung der Unterschrift auf einem Rangordnungsgesuch, auf einer Rangordnungserklärung oder auf einer Zustimmungserklärung (Abs. 3 2. Satz) durch einen Notar hindert weder dessen Bestellung als Treuhänder noch dessen Übernahme der Treuhandschaft oder die Antragstellung auf Ausnutzung der Rangordnung.“

*****

Ich bedanke mich ausdrücklich bei den anderen Parteien, dass sie so flexibel waren, diesen von mir erst gestern Abend, also sehr kurzfristig, ausgearbeiteten


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 187

Abänderungsantrag als gemeinsamen Allparteienantrag hier einzubringen und diesem dann in weiterer Folge auch die Zustimmung erteilen zu wollen.

Auch den von der SPÖ eingebrachten Abänderungsantrag halten wir für sehr sinnvoll. Leider fehlt mir jetzt die Redezeit, um das inhaltlich zu begründen, es gibt aber sehr gewichtige Gründe, warum man diesem Antrag zustimmen sollte.

Das Totschlagargument ist die Gebührenersparnis von 300 000 Euro; es wurde bereits genannt. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Grundbuchsgebühren bei uns so derartig hoch sind, dass es in Wahrheit keine Gebühren mehr sind, sondern versteckte Steuern und daher vermutlich verfassungswidrig. Ich wundere mich eigentlich schon seit Jahren, warum sich nicht irgendwann einmal ein streitbarer Rechtsanwalt findet, der vielleicht in eigener Sache die Höhe der Grundbucheintragungsgebühren beim VfGH bekämpft. (Beifall bei der FPÖ.)

17.50

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker, Mag. Selma Yildirim, Ing. Mag. Volker Reifenberger, Mag. Agnes Prammer, Dr. Johannes Margreiter

und Kollegen

betreffend die Regierungsvorlage (223 d.B.) Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Grundbuchsgesetz 1955, das Grundbuchsumstellungsgesetz und das Wohnungseigen­tumsgesetz 2002 geändert werden (Grundbuchs-Novelle 2020 – GB-Nov 2020) idF des Ausschussberichts (296 d.B.)

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Die oben bezeichnete Vorlage wird wie folgt geändert:

In Artikel 1 Ziffer 2 lautet in § 57a der Absatz 6:

„(6) Die Beglaubigung der Unterschrift auf einem Rangordnungsgesuch, auf einer Rangordnungserklärung oder auf einer Zustimmungserklärung (Abs. 3 2. Satz) durch einen Notar hindert weder dessen Bestellung als Treuhänder noch dessen Übernahme der Treuhandschaft oder die Antragstellung auf Ausnutzung der Rangordnung.“

Begründung

In der Fassung der Regierungsvorlage zu § 57a Abs. 6 wurde eine sinnvolle Bestimmung eingeführt, welche es dem Notar ermöglicht, eine auf ihn selbst als Treuhänder aus­ge­stellte Rangordnung zu beglaubigen. Konsequenterweise müsste es dem beglaubi­genden Notar aber auch gestattet sein, eine Zustimmungserklärung gemäß Abs. 3 2. Satz zu beglaubigen, mit welcher der bisherige Treuhänder der Übertragung der Rang­ordnung auf den beglaubigenden Notar als neuen Treuhänder zustimmt. Andernfalls wären in einer solchen Konstellation drei Notare notwendig, einer als bisheriger Treu­händer, ein anderer als neuer Treuhänder und ein weiterer für die Beglaubigung. Dies


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 188

würde aber dem Ziel des Gesetzesentwurfs zuwiderlaufen, weshalb mit dem vorlie­genden Abänderungsantrag eine Lücke geschlossen wird.

*****


Präsidentin Doris Bures: Der Abänderungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht auch mit in Verhandlung.

Die nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Johanna Jachs. – Bitte.


17.50.42

Abgeordnete Mag. Johanna Jachs (ÖVP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Minis­ter! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Ich weiß nicht, wann Sie das letzte Mal mit dem Grundbuch zu tun hatten, ich hatte es vor ein paar Wochen, ich musste für meine Oma einen Beschluss aus dem Juristendeutsch übersetzen. Otto Normalverbraucher, die Bürgerinnen und Bürger haben meistens nur in Situationen mit dem Grundbuch zu tun, in denen sie ohnehin an etwas anderes denken oder mit etwas anderem beschäftigt sind. Auch Häuslbauer, die ein Grundstück kaufen oder übertragen bekommen, tauchen da in eine juristische Welt ein, die nicht immer so ganz leicht zu durchschauen ist. Das Grundbuch gibt es ja schon seit Maria Theresia und dementsprechend lesen sich auch manche Grundbuchformeln.

Genau deswegen braucht es in diesem Bereich Entbürokratisierung und Vereinfachung. Seit 1992, das haben wir auch schon gehört, werden alle Daten digital erfasst und sind über das Internet abrufbar. Deshalb gab es in den letzten Jahren auch immer wieder Novellen zum Grundbuch.

Mit der heutigen Novelle verpassen wir dem Grundbuch eine weitere Verschlankungs­kur. Wir haben die vier Punkte schon gehört, mit denen wir eine Vereinfachung schaffen werden. Das ist zum Beispiel eine Regelung für den Fall, dass der Treuhänder oder der Notar verstirbt oder eben seine Berufsberechtigung verliert. Eine weitere Erleichterung betrifft die Notare, die eine Unterschrift auf einem Gesuch beglaubigt haben: Diese dürfen dann auch als Treuhänder fungieren.

Ich möchte noch eines zur Kritik der SPÖ sagen, zur Kritik von Frau Kollegin Yildirim: Im Ausschuss wurde uns auch versichert, dass es zu keiner Aushebelung der Rechts­sicherheit im Grundbuch kommt. Das Grundbuch ist wirklich ein Erfolgsmodell der österreichischen Rechtsordnung, bietet sehr viel Sicherheit für die Rechtsanwenderin­nen und -anwender, und ich glaube, dass auch mit dieser Novelle der Schutz der Partei vollkommen bestehen bleibt.

Es gibt für mich noch weitere Argumente, warum es sinnvoll ist, dass nur mehr der Vertreter den Beschluss zugestellt bekommt, und zwar, weil ich in den meisten Fällen deswegen einen Vertreter habe, damit er mir etwas abnimmt, mir das Verfahren erleich­tert, er mir mit bestem Wissen und Gewissen zur Seite steht und mich regelmäßig infor­miert, vor allem nach Abschluss einer Erledigung.

Außerdem fallen auch Zustellungshürden weg. Denken Sie nur daran: Wenn eine Partei verhindert ist, nicht zu Hause ist, der Postbote klingelt, weil er einen blauen Brief zu­stellen möchte, dann wird das für die Partei wieder relativ kompliziert, bis sie zu dem Poststück kommt. Auch das fällt weg, weil man in Zukunft einfach auch per Mausklick, per Mail versenden kann.

Insgesamt ist das also ein wichtiger und richtiger Schritt in Richtung einer zeitgemäßen Justiz und Verwaltung, die näher am Bürger ist, und ich freue mich über Ihre Zustim­mung. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

17.53



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 189

Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Johannes Margreiter. – Bitte.


17.53.56

Abgeordneter Dr. Johannes Margreiter (NEOS): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Herr Bundesminister! Die vorliegende Novelle zum Grundbuchs­ge­setz gibt auch mir Gelegenheit, über das Grundbuch zu sprechen, die Wichtigkeit und die Bedeutung des Grundbuches herauszustreichen. Ich kann mich den VorrednerInnen anschließen und möchte mich nicht wiederholen, ich möchte nur feststellen, dass ein gesichertes, ein seriöses Grundbuch auch ein ganz wichtiger Faktor für den Wirtschafts­standort Österreich ist, weil es eben Verlässlichkeit signalisiert, wenn man sich aufs Grundbuch verlassen kann.

Wir werden dieser Novelle zustimmen. Die Änderungen kommen aus der Praxis, sind praxisgerecht und schmälern die Richtigkeit, die Seriosität und Verlässlichkeit des Grundbuches nicht.

Wenn ich das Grundbuch lobe und sage, es ist uns sehr lieb, dann muss ich andererseits aber auch feststellen, es ist auch sehr teuer. Auch da kann ich an die Vorredner an­schließen; Kollege Reifenberger hat es richtig ausgeführt: Wenn wir heute von den Grundbuchsgebühren sprechen, dann muss man sich wirklich die Frage stellen: Sind das noch Gebühren?

Wir wissen, Gebühren müssen kostendeckend kalkuliert sein, sie müssen dem Kosten­deckungsprinzip entsprechen. Das heißt, sie sollten nicht höher sein als der Aufwand, der damit abgedeckt wird. Daneben gibt es das Äquivalenzprinzip. Schauen wir uns unseren Justizhaushalt an: Die Gebühreneinnahmen machen circa 1 Milliarde Euro im Jahr 2019 aus, davon sind 76 Prozent allein die Grundbuchsgebühren. Da ist also vom Kostendeckungsprinzip und vom Äquivalenzprinzip schon lang keine Rede mehr.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich einmal bei allen österreichischen Häusl­bauern, Grundstückskäufern, Wohnungskäufern, Pfandrechtsbestellern namens der Justiz sehr herzlich zu bedanken, denn mit ihrer Grundbuchsgebühr halten sie die Justiz am Laufen. Das ist aber eigentlich kein Zustand und sollte von der Justiz genau angesehen werden, ein Verfahren, im Zuge dessen man sich diese zweifelhafte Rechts­natur der Grundbuchsgebühr anschauen wird, steht unmittelbar bevor.

Einen Punkt möchte ich auch noch erwähnen: Infolge der Covid-19-Krise wird es jetzt wahrscheinlich dazu kommen, dass manche Kreditgeber, die in ihren Safes sogenannte EPUs haben – also nicht Einpersonenunternehmen, sondern einverleibungsfähige Pfand­urkunden –, diese jetzt ziehen. Das wird noch zu einer zusätzlichen massiven Belastung aller Kreditnehmer führen, wenn dann plötzlich die Pfandrechte eingetragen werden und 1,2 Prozent der Grundbuchsgebühr fällig werden.

Im Bereich der Grundbuchsgebühren besteht also Handlungsbedarf. Ich hoffe, Frau Justizminister, dass Sie diesen Gedankenanstoß anlässlich dieser Novelle aufneh­men. – Vielen Dank. (Beifall bei den NEOS.)

17.57


Präsidentin Doris Bures: Nun hat sich Frau Bundesministerin Alma Zadić zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Ministerin.


17.57.20

Bundesministerin für Justiz Dr. Alma Zadić, LL.M.: Frau Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Es freut mich, dass


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 190

heute ein Gesetz zur Abstimmung vorliegt, das nichts mit Corona zu tun hat, und wir in der Justiz auch andere Bereiche vorantreiben können.

Mit der Grundbuchs-Novelle 2020 werden wir auch dem Regierungsprogramm ent­sprechend die Automatisierung und die Digitalisierung vorantreiben. Es ist ein kleiner Mosaikstein im Vorantreiben der sogenannten Justiz 3.0, eines Schwerpunktes unserer Regierungsarbeit, denn wir wollen die Justiz stärker digitalisieren und auch ins nächste Jahrhundert führen.

Zur Vorgeschichte: Mit der ersten Grundbuchs-Novelle konnten ja schon erste Fort­schritte erzielt werden, gerade was die Automatisierung betrifft. Allerdings sind noch ein paar Sachen übrig geblieben, Medienbrüche übrig geblieben, vor allem im Bereich der klassischen Papierrangordnungen mit ihrer Bindung an den Papierbeschluss, was dazu geführt hat, dass noch sehr viele Anträge händisch erfasst und auch händisch bearbeitet werden müssen.

Es gibt diese Treuhänderrangordnung, die dazu führt, dass das Ganze wesentlich automatisierter abläuft, und diese Treuhänderrangordnung wollen wir mit dieser Novelle stärken. Wir stärken sie, indem wir die an uns aus der Praxis gemeldeten Probleme beseitigen und damit auch die Papierrangordnung ein Stück weiter zurückdrängen können. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Es wurden Regelungen für den Fall des Todes festgelegt, es wurde auch die Löschung der Anmerkung der Rangordnung vor Ablauf der gesetzlichen Frist geregelt, und darüber hinaus gibt es auch Erleichterungen bei der Antragstellung sowie auch bei der Zustel­lung.

Ich möchte auch den Punkt aufgreifen, den Sie, Abgeordnete Yildirim, gebracht haben. Wir haben den Punkt, den Sie auch im Justizausschuss aufgeworfen haben, innerhalb der Justiz eingehendst diskutiert. Wir haben eine Regelung vorgesehen, wonach der Antrag nur mehr dem Vertreter zugestellt werden soll. Das heißt, wenn die Partei vertreten ist, geht der Bescheid nur dem Vertreter zu und nicht mehr der Partei. Das führt zu einigen Erleichterungen in der Justiz, weil es jetzt auch nicht mehr die Zustel­lungsproblematik gibt: Ab wann tritt das fristauslösende Ereignis ein? Jetzt ist das ganz klar geregelt. Wir haben diese Regelung auch dem übrigen Zivilrecht angepasst, denn auch im übrigen Zivilrecht ist es so, dass bei einer vertretenen Partei nur dem Vertreter zugestellt wird.

Wir haben sehr wohl den Punkt diskutiert, dass dieser Part vielleicht missbrauchsanfällig sein könnte. Wir sehen das aber in diesem Zusammenhang nicht, weil die Rechts­anwaltskammer sehr wohl sehr starke und sehr gute Regelungen vorsieht, gerade, wenn es um Missbrauch durch Vertreter geht. Daher sind wir zuversichtlich, dass es durch diese Regelung jetzt nicht zu mehr Missbrauch kommen wird.

Ich muss sagen, ich freue mich auch über den Allparteienantrag, der heute zustande kommt, weil dadurch ein Punkt aufgegriffen wird, der unter Umständen zu Missver­ständ­nissen führen könnte. Es ist also gut, dass ein Allparteienantrag zustande gekommen ist.

Ich danke auch noch einmal dem Justizausschuss, weil diese Novelle auch von diesem einstimmig angenommen wurde, und ich hoffe natürlich auf breite Zustimmung zu der Grundbuchs-Novelle 2020. – Danke schön. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

18.01


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Harald Troch. – Bitte.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 191

18.01.44

Abgeordneter Dr. Harald Troch (SPÖ): Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren heute das österreichische Grundbuch. Wir ändern das Grundbuchsgesetz. Das ist erfreulich, diese Reform hat positive Ansätze.

Zum österreichischen Grundbuch kann man ganz einfach sagen: Es ist wirklich eine Erfolgsgeschichte. Es ist ein internationales Vorbild, es gibt Rechtssicherheit. Jeder­mann hat Einsicht, das österreichische Grundbuch funktioniert nach dem Öffentlich­keits­prinzip. Eigentum ist im Grundbuch einsehbar, und auch Belastungen einer Immobilie sind einsehbar. Alles, was im Grundbuch steht, ist einsehbar. Das heißt, Täuschungen sind de facto so gut wie ausgeschlossen.

Das Grundbuch – und das ist ja heute hier schon gesagt worden – hat auch einen Anteil an einem korrekten und sauberen Wirtschaftsablauf. Selbst ein Wohnrecht, das jemand in einem Haus, in einer Wohnung besitzt, ist abgesichert, wenn es im Grundbuch eingetragen wird. Das ist erfreulich.

Nun, mit der Reform, wird das Eintragen von Eigentum, von Wohnungs- oder Grund­eigentum, noch einfacher gemacht werden. Das entlastet damit auch die Justiz, nicht zuletzt mit den Reformschritten und mit der Digitalisierung. Damit, dass ein Notar als Treuhänder eingesetzt werden kann, werden, salopp formuliert, zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Das macht es einfacher und billiger.

Vor liegt der Antrag der Abgeordneten Selma Yildirim, Justizsprecherin der SPÖ. Ich halte diesen für sehr, sehr gut. Ich glaube, dass es ein bisschen in Richtung Entmün­digung des Bürgers geht, wenn nun nicht mehr direkt an den Antragsteller auf Woh­nungseigentum zugestellt wird, sondern nur mehr an den Vertreter.

Ein Blick auf die Bundesabgabenordnung zeigt auch: Es ist nicht normal, dass Schrift­stücke bloß an den bevollmächtigten Vertreter zugestellt werden. Nein, normal ist, dass die Behörde an den Bürger, an den Antragsteller direkt zustellt. Das sollte auch in der heiklen Frage von Eigentum, das im Grundbuch vermerkt ist, eigentlich so bleiben und die Behörde sollte nicht vom Bürger wegrücken. Daher macht der Antrag der SPÖ durchaus Sinn, ist bürgernäher, ist bürgerfreundlicher und verdient auf jeden Fall eine Unterstützung. (Beifall bei der SPÖ.)

Abschließend noch meine Kritik an den Gebühren: Die Gebühren sind tatsächlich ein Schröpfen der Bürger und Bürgerinnen. Die Gebühren in Österreich im Bereich der Justiz sind de facto schon Steuern, sind eine echte Belastung. Leider verpassen ÖVP und Grüne da eine Möglichkeit, auch bei den Gerichtsgebühren, konkret bei den Grund­stücksgebühren, anzusetzen und dem Bürger eine Last zu nehmen. Das ist eine von dieser Regierung verpasste Gelegenheit. Das bedauere ich im Sinne der Österreicher und Österreicherinnen. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Prinz.)

18.05


Präsidentin Doris Bures: Frau Abgeordnete Corinna Scharzenberger ist die nächste Rednerin. – Bitte. 


18.05.18

Abgeordnete Mag. Corinna Scharzenberger (ÖVP): Frau Präsidentin! Geschätzte Mitglieder der Bundesregierung! Geschätzte Frau Bundesministerin! Werte Zuhörerin­nen und Zuhörer! Ich glaube, in einem Punkt sind wir uns zumindest einig, und zwar: Es steht außer Frage, dass die Einführung des Grundbuches ein Meilenstein in der öster­reichischen Verwaltungsgeschichte war.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 192

Ich sehe das in meiner Arbeit als Verwaltungsjuristin beim Land Steiermark, wo ich mittlerweile schon das sechste Jahr täglich mit dem Grundbuch zu tun habe. Genau deswegen sehe ich auch, dass in manchen Bereichen Anpassungen an die modernen Anforderungen notwendig sind.

Auch im persönlichen Gespräch mit den Parteien stellt sich oft heraus, dass es da ein Verbesserungspotenzial gibt. Um das zu realisieren, braucht es eine Vereinfachung für die Behörden. Es gibt in der Praxis von Bezirksgericht zu Bezirksgericht unterschiedliche Vorgehensweisen in Grundbuchsangelegenheiten.

Die heutige Novelle zielt genau in diese Richtung, nämlich in die Richtung einer Ver­einfachung für die Behörden und gleichzeitig auch einer Vereinfachung für die Bür­gerinnen und Bürger. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Ganz konkret werden dabei folgende Schritte umgesetzt: Zusätzlich zur Papierrangord­nung und der damit verbundenen analogen Erfassung und Verarbeitung will man eine technisch verbesserte Treuhänderrangordnung einführen und somit den Ablauf prak­tischer und schneller gestalten. Auch Unsicherheiten wie zum Beispiel bei den Fragen, was passiert, wenn der Treuhänder verstirbt, oder ob man die Rangordnung schon löschen kann, obwohl die gesetzliche Frist noch nicht verstrichen ist, sollen mit diesem Entwurf geklärt werden.

Welche Vorteile bringt dieser Entwurf? – Es ist erstens ein wichtiger Schritt, um das Grundbuch digitaler und fit für die Anforderungen unserer Zeit zu machen. Zweitens wird den Bürgerinnen und Bürgern durch einheitliche Standards Rechtssicherheit geboten. Ein dritter wichtiger Punkt ist, dass durch diese Novelle die Antragstellung für die Rang­ordnungseintragung erleichtert wird.

Man kann also zusammenfassend sagen, dass wir das Grundbuch effizienter und digi­taler gestalten wollen. Gerade die vergangenen Wochen und Monate haben uns gezeigt, wie wichtig die Digitalisierung in allen Lebensbereichen ist. Diese Novelle ist also ein weiterer Schritt – und das freut mich sehr –, um eines der Versprechen aus dem Regie­rungsprogramm umzusetzen, nämlich das Versprechen der Deregulierung und eines schlanken und bürgernahen Staates. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

18.08

18.08.09


Präsidentin Doris Bures: Zu Wort ist dazu nun niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wünscht der Herr Berichterstatter ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Bevor wir zur Abstimmung kommen, frage ich die Klubs, ob sie eine Unterbrechung wollen. – Nein; dann kommen wir gleich zu den Abstimmungen.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf in 223 der Beilagen. Hiezu liegt ein Abänderungsantrag der Abgeordneten Steinacker, Yildirim, Reifenberger, Prammer, Margreiter, Kolleginnen und Kollegen sowie ein Abänderungsantrag der Abgeordneten Yildirim, Kolleginnen und Kollegen vor.

Ich werde daher zunächst über die von den erwähnten Abänderungsanträgen betrof­fenen Teile – der Systematik des Gesetzentwurfes folgend – und schließlich über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile des Gesetzentwurfes abstimmen lassen.

Die Abgeordneten Steinacker, Yildirim, Reifenberger, Prammer, Margreiter, Kolleginnen und Kollegen haben einen Abänderungsantrag betreffend Art. 1 Z 2 eingebracht.

Wer sich dafür ausspricht, den bitte ich um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist ein­stimmig so angenommen.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 193

Die Abgeordneten Yildirim, Kolleginnen und Kollegen haben einen Abänderungsantrag betreffend Streichung der Z 4 in Art. 1 sowie die sich daraus ergebende Änderung der nachfolgenden Ziffernbezeichnung eingebracht.

Wer sich dafür ausspricht, den bitte ich um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit, abgelehnt.

Wir kommen sogleich zur Abstimmung über diesen Teil des Gesetzentwurfes in der Fas­sung der Regierungsvorlage.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die dem die Zustimmung geben, um ein Zeichen. – Das ist mit Mehrheit so angenommen.

Schließlich kommen wir zur Abstimmung über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile des Gesetzentwurfes samt Titel und Eingang in der Fassung der Regierungs­vorlage.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem zustimmen, um ein Zeichen. – Das ist ein­stimmig so angenommen.

Wir kommen sogleich zur dritten Lesung.

Dritte Lesung, Zustimmung? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung einstimmig ange­nommen.

18.10.3321. Punkt

Bericht des Verfassungsausschusses über den Antrag 644/A der Abgeordne­ten Mag. Wolfgang Sobotka, Sabine Schatz, Mag. Eva Blimlinger, Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus geändert wird (341 d.B.)


Präsidentin Doris Bures: Damit gelangen wir zum 21. Punkt der Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Erste Rednerin: Frau Abgeordnete Susanne Fürst. – Bitte.


18.11.12

Abgeordnete Dr. Susanne Fürst (FPÖ): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren nun einen Vierparteienantrag auf Einrichtung eines neuen, jährlich zu vergebenden Simon-Wiesenthal-Preises durch den Nationalfonds der Repu­blik Österreich.

Die FPÖ hat sich diesem Antrag nicht angeschlossen, nicht wegen inhaltlicher Ein­wände, sondern weil wir als Namensgeber einen alternativen Kandidaten vorschlagen. Ich bringe hiermit einen Abänderungsantrag ein und erläutere ihn wie folgt:

Wir schlagen als Namensgeber Dr. Bruno Kreisky vor; und ich darf Ihnen erläutern, warum. Der Nationalfonds der Republik Österreich ist beim Nationalrat eingerichtet. Die Vergabe des Preises erfolgt durch ein Kuratorium, dem der Nationalratspräsident vorsitzt. Der Fonds wurde eingerichtet, um Personen zu unterstützen, die zwischen 1938 und 1945 aus den verschiedensten Gründen verfolgt wurden oder die das Land verlassen mussten, um Verfolgung zu entgehen.

Nun ist es für uns naheliegend und sinnvoll, als Namensgeber für diesen Preis vorrangig nach einer Person zu suchen, die zum einen einen engen Bezug zum österreichischen


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 194

Parlament hat und zum anderen zur Zielgruppe des Fonds gehört. Da drängt sich Dr. Bruno Kreisky förmlich auf.

1911 in Wien in eine jüdische Familie geboren, sehr früh politisch aktiv kam er auch aufgrund seines politischen Engagements unter die Räder des austrofaschistischen Regimes und wurde 1936 vor Gericht gestellt. 1938 emigrierte er nach Schweden, es gelang ihm die Flucht, um der Verfolgung aufgrund seiner Herkunft zu entgehen. (Abg. Vogl: ... Dollfuß!) Nach seiner Rückkehr nach Österreich gehörte Bruno Kreisky von 1956 bis 1983 dem österreichischen Nationalrat an, nur unterbrochen durch seine Regierungsämter als Außenminister und Bundeskanzler.

Aufgrund dieser Biografie und dieses Lebensweges ist er aus unserer Sicht prädestiniert als Namensgeber für den Preis des Nationalfonds der Republik Österreich. (Beifall bei der FPÖ.)

Bruno Kreisky hat darüber hinaus mit seiner Persönlichkeit über Jahrzehnte die öster­reichische Innenpolitik geprägt. Er hat sich für mehr soziale Gerechtigkeit eingesetzt. Er wollte Österreich in der Nachkriegszeit auf den Weg in ein sicheres, friedliches und freies Land mit zunehmendem Wohlstand führen und hatte daran, dass dies gelang, seinen guten Anteil, was ihm über alle Parteigrenzen hinweg, wie ich glaube, zugestanden wurde. Er war darüber hinaus Intellektueller, er war Internationalist, er war weltoffen im besten Sinn des Wortes, und er war vor allem und über allem, wie ein sehr enger Weggefährte von ihm beschreibt, ein österreichischer Patriot.

Sein Tod jährt sich in wenigen Tagen zum 30. Mal, und wenn er auch sehr oft betonte, dass er keinen Wert auf Denkmäler nach seinem Tod legen und auch nicht mit Dank­barkeit rechnen würde, so schlagen wir ihn dennoch als Namensgeber für diesen Preis des Nationalfonds vor.

Abschließend erlauben Sie mir bitte noch eine persönliche Anmerkung: Ich werde nachher bei der Abstimmung über diesen Abänderungsantrag selbstverständlich auf­stehen und für Bruno Kreisky votieren, obwohl uns bedauerlicherweise Herr Abgeord­neter Engelberg per Presseaussendung wissen ließ, dass jeder, der das tut und sich für unseren Antrag ausspricht, ein „Outcast“ sei, sich außerhalb der österreichischen Gesell­schaft stellen würde, ein „Außenseiter, mit dem niemand, wirklich niemand mehr etwas zu tun haben“ sollte und möchte, und dass man sich damit abseits des politischen und menschlichen Anstands befände. (Zwischenruf bei der SPÖ.)

Ich bedauere sehr, Herr Abgeordneter, dass ich in einer Stunde für Sie zu einer Person bar jeden Anstands werde, Sie wahrscheinlich jeden Kontakt zu mir abbrechen werden. Ich weise aber diese Erpressung entschieden zurück. Leider lassen sich Ihre Äuße­rungen auch nicht aus der Emotion heraus erklären, denn im Ausschuss haben wir über diese Sache sehr sachlich diskutiert (Zwischenruf des Abg. Engelberg), da habe ich ja meine Meinung auch schon dargelegt. Ich würde sagen: Sie müssen schon lernen, mit anderen Meinungen leben zu können. (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Engelberg.) Das hätten Sie zum Beispiel von Bruno Kreisky lernen können. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

18.16

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Abänderungsantrag

§ 53 Abs 3 GOG-NR

der Abgeordneten Dr. Fürst,


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 195

Kolleginnen und Kollegen

zum Bericht des Verfassungsausschusses über den Antrag (644/A) der Abgeordneten Mag. Wolfgang Sobotka, Sabine Schatz, Mag. Eva Blimlinger, Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus geändert wird (341 d.B.)

Der Nationalrat wolle in 2. Lesung beschließen:

Der dem obenstehenden Bericht angeschlossene Gesetzesantrag wird wie folgt geän­dert:

„1. In Z 1 wird die Wortfolge „Verleihung des Simon-Wiesenthal-Preises“ durch „Ver­leihung des Bruno-Kreisky-Preises“ ersetzt.

2. Z 2 lautet:

„2. Nach § 2d werden folgende §§ 2e und 2f eingefügt:

„§ 2e. (1) Unbeschadet der Zuwendungen gemäß § 7 wendet der Bund dem Fonds für die Verleihung des Bruno-Kreisky-Preises einen Betrag von jährlich 30 000 Euro zu. Der Bruno-Kreisky-Preis wird einmal jährlich an bis zu drei Personen oder Personengruppen als Auszeichnung für ihr besonderes zivilgesellschaftliches Engagement gegen Anti­semitismus und für die Aufklärung über den Holocaust verliehen.

(2) Die Ausschreibung des Bruno-Kreisky-Preises hat auf der Website des Fonds für die Dauer von mindestens vier Wochen zu erfolgen. Die Bewerbungen sind an die in der Ausschreibung genannte Stelle elektronisch zu übermitteln, wobei als Tag der Bewer­bung jener Tag gilt, an dem die Bewerbung bei dieser Stelle einlangt. In der Bewerbung sind die Gründe anzuführen, die den Kandidaten als Preisträger geeignet erscheinen lassen. Zulässig sind sowohl Eigenbewerbungen als auch Einreichungen für andere Kandidaten.

(3) Nach Ende der Ausschreibungsfrist sind die eingelangten Bewerbungen an die Mitglieder der Bruno-Kreisky-Jury (§ 2f) zu übermitteln. Diese hat innerhalb von vier Wochen die Bewerbungen auszuwerten und dem Kuratorium einen schriftlichen Vor­schlag für die Preisträger zu unterbreiten. Der Vorschlag kann bis zu fünf Kandidaten sowie eine Reihung derselben enthalten und ist zu begründen.

(4) Nach Vorliegen des Vorschlags der Bruno-Kreisky-Preis-Jury für die Preisträger können die Mitglieder des Kuratoriums Einsicht in die Bewerbungen nehmen. Das Kura­torium entscheidet auf Grundlage des Vorschlags der Bruno-Kreisky-Preis-Jury über die Preisträger.

(5) Die eingelangten Bewerbungsunterlagen sowie die Beratungen der Bruno-Kreisky-Preis-Jury und des Kuratoriums sind vertraulich.

(6) Die Verleihung des Bruno-Kreisky-Preises und die Überreichung der Urkunden an die Preisträger soll im Rahmen eines Festaktes im Parlament erfolgen. Der Bruno-Kreisky-Preis ist jährlich mit 30 000 Euro dotiert, wobei 15 000 Euro auf den Jahrespreisträger und jeweils 7 500 Euro auf die weiteren Preisträger entfallen.

(7) Der Fonds hat ein Verzeichnis aller Preisträger des Bruno-Kreisky-Preises zu führen und dieses auf seiner Website zu veröffentlichen.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 196

§ 2f. (1) Der Bruno-Kreisky-Preis-Jury gehören an:

1. ein Vorsitzender;

2. fünf weitere Mitglieder, wobei eines dieser Mitglieder ein in gerader Linie Verwandter des Preisnamensgebers Bruno Kreisky sein soll. Als andere Mitglieder bestellt werden müssen

a) der Präsident der Israelitischen Religionsgesellschaft in Österreich, der im Ver­hin­derungsfall einen Vertreter entsenden kann,

b) anerkannte Persönlichkeiten des öffentlichen oder kulturellen Lebens im In- oder Ausland oder

c) Personen mit wissenschaftlicher Reputation auf dem Gebiet der Zeitgeschichte oder in einem anderen einschlägigen Wissenschaftszweig.

(2) Die Mitglieder der Bruno-Kreisky-Preis-Jury sind vom Kuratorium für die Dauer einer Gesetzgebungsperiode zu bestellen. Sie bleiben bis zur Bestellung neuer Mitglieder im Amt. Wiederbestellungen sind zulässig. Scheidet ein Mitglied vorzeitig aus, ist die Bruno-Kreisky-Preis-Jury für den Rest der Funktionsperiode durch ein neues Mitglied zu ergänzen.

(3) Die Tätigkeit als Mitglied der Bruno-Kreisky-Preis-Jury ist ehrenamtlich. Die Mitglie­der haben Anspruch auf Reise- und Nächtigungskosten sowie Barauslagen unter sinngemäßer Anwendung der Reisegebührenvorschrift 1955, BGBl. Nr. 133/1955, in der jeweils geltenden Fassung.

(4) Die Einberufung der Sitzungen und die Koordination der Arbeit der Bruno-Kreisky-Preis-Jury obliegen dem Vorsitzenden. Die Bruno-Kreisky-Preis-Jury fasst ihre Be­schlüsse mit Zweidrittelmehrheit, wenngleich auf eine einstimmige Beschlussfassung hinzuwirken ist. Sie ist beschlussfähig, wenn der Vorsitzende und mindestens zwei weitere Mitglieder anwesend sind.

(5) Das Kuratorium kann eine Geschäftsordnung für die Bruno-Kreisky-Preis-Jury beschließen, in welcher durch nähere Regelungen sichergestellt wird, dass die Simon- Bruno-Kreisky-Jury die ihr übertragene Aufgabe ordnungsgemäß erfüllen kann.““

Begründung

Zuständig für die Vergabe dieses Preises ist der beim Parlament eingerichtete Natio­nalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, wobei das vom Nationalratspräsidenten bzw. der Nationalratspräsidentin geleitete Kuratorium auf Basis eines Vorschlags einer sechsköpfigen Jury entscheiden soll.

Der Nationalfonds wurde 1995 gegründet, um die besondere Verantwortung der Repu­blik Österreich gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus zum Ausdruck zu brin­gen. Insofern sollte dieser Preis nach Bruno Kreisky benannt werden, der die Republik Österreich in der Zweiten Republik in hohem Maße prägte.

Als Mitglied der Revolutionären Sozialisten wurde er im Austrofaschismus1 verhaftet und war einer der Angeklagten im Sozialistenprozess von 1936. Als der Nationalsozialismus2 in Österreich die Macht übernahm, musste er nach Schweden emigrieren.

Er kehrte 1951 nach Österreich zurück und wurde in vielfältigen Funktionen3 politisch tätig. Dabei weißt er insbesondere eine enge Verbindung zum österreichischen Parla­ment auf:


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1 Die ÖVP und ihr Diktator, Anton Pelinka, Quelle: https://www.zeit.de/2014/08/austrofaschismus-engelbert-dollfuss

2 http://www.kreisky100.at/person/index.html#exil

3 https://www.parlament.gv.at/WWER/PAD_00969/

*****


Präsidentin Doris Bures: Der Abänderungsantrag wurde in den Grundzügen erläutert und auch an alle Abgeordneten verteilt, damit steht er auch mit in Verhandlung.

Herr Abgeordneter Martin Engelberg, ich erteile Ihnen das Wort.


18.16.27

Abgeordneter Mag. Martin Engelberg (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebes Hohes Haus! Ich hatte das Privileg, Simon Wiesenthal schon als junger Mensch ken­nenlernen zu dürfen, mit ihm oft zusammenzukommen und oft mit ihm sprechen zu können. Er war ein mehr als beeindruckender Mann mit scharfem Verstand und starkem Charakter.

Er war Träger der Hoffnung für viele Menschen – auch in meiner Familie –, deren Eltern, Geschwister, Verwandte, Freunde ermordet wurden. Er war der Hoffnungsträger dafür, dass die Täter dieser Verbrechen dingfest gemacht werden und vor ein Gericht gestellt werden.

Dafür opferte Simon Wiesenthal seine berufliche Karriere – er war nämlich vor dem Krieg ein durchaus begabter Architekt – und stellte sein Leben in den Dienst dieser Sache – dieser Sache, die er „Recht, nicht Rache“ nannte. Damit erfüllte er für viele Überlebende, aber auch für Österreich insgesamt eine ganz wichtige historische Aufgabe: Er trug zur Wiederherstellung von Recht und Anstand in dieser so kontaminierten Nachkriegs­gesellschaft Österreichs bei.

Simon Wiesenthal wurde dafür nicht gedankt, nicht von den alten und neuen Nazis, die ihn bedrohten, mit Morddrohungen eindeckten – einmal entging er sogar knapp einem Bombenanschlag –, es wurde ihm aber auch von den politischen Parteien nicht gedankt.


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Vergessen wir nicht, es war die Zeit, in der die damaligen Parteien um die Stimmen der sogenannten Ehemaligen wetteiferten. Es war die Zeit – ich spreche das auch hier noch einmal in aller Offenheit an –, in der ein Bruno Kreisky, in der die SPÖ vier ehemalige NSDAP-Mitglieder zu Ministern machte. (Abg. Blimlinger: Auch die ÖVP!) Es waren Zeiten, in denen die ÖVP antisemitische Wahlkämpfe führte, das spreche ich hier auch mit aller Deutlichkeit an. (Abg. Brandstätter: Danke!) Es war auch die Zeit, in der die FPÖ einen Parteiobmann hatte, der Friedrich Peter hieß. Friedrich Peter war Mitglied der 1. SS-Infanteriebrigade, die wiederum Teil der berüchtigten sogenannten Einsatz­gruppe C war. Die Mitglieder dieser Mörderbande haben im Jahr 1941 Hunderttausende Menschen, unschuldige Menschen, wehrlose Menschen, Männer, Frauen, Kinder von Angesicht zu Angesicht erschossen.

Diese düstere Vergangenheit Friedrich Peters hat Simon Wiesenthal 1975 aufgezeigt. Es wurde ihm dafür nicht gedankt, nein, vielmehr wurde er zur Zielscheibe ganz wüster und wütender Attacken, insbesondere – das muss man schon sagen – von Bundes­kanzler Kreisky, von dem Sie jetzt meinen, dass er statt Wiesenthal der Namensträger sein soll. Wie wenig Geschichte kann man kennen, dass man so einen Antrag stellt? (Beifall bei ÖVP, Grünen und NEOS sowie bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Kickl: Na geh!)

Bruno Kreisky ging so weit, Simon Wiesenthal als Kollaborateur der Gestapo zu bezeich­nen. Friederich Peter blieb im Amt, blieb Ihr Obmann. Ein paar Jahre später einigten sich die politischen Parteien im Nationalrat darauf, dass er Dritter Nationalratspräsident wer­den sollte. Hätte es damals nicht einen Aufstand der Zivilgesellschaft gegeben, wäre er es geworden. (Abg. Brandstätter: So ist es!)

Dank Wiesenthal konnten solche Verbrecher und Massenmörder wie Adolf Eichmann dingfest gemacht werden und vor Gericht gestellt werden, der Wiener Polizeibeamte Karl Silberbauer, der Anne Frank verhaftet hatte, und solche Massenmörder – Österreicher – wie Franz Stangl, der Kommandant des Vernichtungslagers Treblinka, und Franz Murer, der berüchtigte Schlächter von Wilna, wie er genannt wurde.

Gott sei Dank hat sich in den letzten 30 Jahren in Österreich viel geändert, sehr vieles und Erfreuliches geändert. (Abg. Matznetter: Waldheim fehlt noch!) Ganz besonderer Respekt und Anerkennung gebührt dafür dem ehemaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky, aber auch dem jetzigen Bundeskanzler Sebastian Kurz. (Beifall bei der ÖVP. – Zwi­schenruf des Abg. Matznetter.)

Sie haben die Aufarbeitung dieses dunkelsten Kapitels der österreichischen Geschichte zu einem wichtigen Teil ihrer politischen Arbeit gemacht. Große Anerkennung gebührt heute auch dem Präsidenten des Nationalrates Wolfgang Sobotka für den Einsatz zur Verwirklichung der Idee dieses Simon-Wiesenthal-Preises und seinen Einsatz im Kampf gegen Antisemitismus insgesamt. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten von Grünen und NEOS. – Zwischenruf des Abg. Leichtfried.)

Ich möchte an dieser Stelle auch persönlich Thomas Stern danken. Er wird Ihnen vielleicht kein Begriff sein, er ist seit vielen Jahren in der Israelitischen Kultusgemeinde und auch im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes aktiv und setzt sich seit vielen Jahren für die Würdigung der Tätigkeit von Simon Wiesenthal ein.

Ziel des Preises ist die Unterstützung des Kampfes gegen den Antisemitismus – er könnte nicht aktueller sein. Es ist ein sehr schönes und würdiges Projekt, ein Projekt des modernen aufgeschlossenen geschichtsbewussten Österreichs, ein Projekt, das sich die Unterstützung über alle Parteigrenzen hinweg verdient und diese letztlich ja auch weitgehend erhalten hat. – Vielen Dank dafür den Kolleginnen und Kollegen der SPÖ, der Grünen und der NEOS. Das soll einfach einmal so gesagt sein und auch so stehen bleiben.


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Ich trenne das auch von den Worten, die ich jetzt aber auch noch hinzuzufügen habe, und diese Worte richte ich an Sie, Abgeordnete der FPÖ: Sie haben also beschlossen, nicht für diesen Preis zu stimmen. Es ist ein Projekt, bei dem ich denke, dass es jeder Abgeordnete, jede Partei, die für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und für Anstand steht, eigentlich nur unterstützen kann. Okay, Sie stellen sich also ganz offensichtlich bewusst außerhalb des gesellschaftlichen Grundkonsens. (Abg. Belakowitsch: Das ist Ihre Interpretation!)

Aber das ist Ihnen ja nicht genug! Sie haben ja jetzt auch noch einen Abänderungsantrag eingebracht, mit dem Sie eine Umbenennung des Preises just nach Bruno Kreisky fordern, und Sie müssen um die erbitterte Feindschaft zwischen Bruno Kreisky und Simon Wiesenthal wissen. Was Sie hier tun, ist nicht einmal ein gelungener Spaß für irgendeinen grauslichen ewiggestrigen Stammtisch. Sie vergessen, Sie sind Abgeord­nete des österreichischen Nationalrates im Jahr 2020. (Beifall bei ÖVP, Grünen und NEOS sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Was Sie mit Ihrem Antrag tun, ist die vorsätzliche Verhöhnung des Andenkens Simon Wiesenthals, es ist die vorsätzliche Verhöhnung des Andenkens der Opfer der Schoah insgesamt. Gott sei Dank sind die Zeiten vorbei, als man in Österreich ungestraft Juden verhöhnen konnte. (Abg. Kickl: Sie sollten sich etwas zurückhalten und Ihre Verant­wortung wahrnehmen!) Sie stellen sich heute nicht nur abseits des politischen und menschlichen Anstandes, nein, jeder Einzelne von Ihnen – und ich werde es mir wirklich sehr genau anschauen –, der bei diesem Abänderungsantrag aufsteht, macht sich zum Outcast, so, wie Sie es richtig gesagt haben – und ich wiederhole es hier –, zum Outcast der österreichischen Gesellschaft, macht sich zum politischen Außenseiter, mit dem niemand, niemand, wirklich niemand mehr zu tun haben möchte! (Beifall bei ÖVP, Grünen und NEOS sowie bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Lausch: Das ist ja unfass­bar!)

18.25


Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Sabine Schatz. – Bitte.

18.25.20


Abgeordnete Sabine Schatz (SPÖ): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, wir erinnern uns noch alle an die mehrfache Zerstörung der Porträts von Holocaustüberlebenden im vergangenen Jahr hier um die Ecke am Burgring oder an den tätlichen Angriff auf einen jüdischen Mann, ausgerechnet an Jom Kippur, genau an dem Tag, an dem in Halle ein rechtsextremer Terroranschlag auf eine Synagoge verübt wurde.

Ende Mai haben die Israelitische Kultusgemeinde und das Forum gegen Antisemitismus den Antisemitismusbericht für das Jahr 2019 präsentiert, und die Zahlen sind erschreckend: 550 antisemitische Vorfälle wurden allein im Jahr 2019 registriert, das ist mehr als eine Verzehnfachung in den letzten zehn Jahren. Die meisten, nämlich 268, weisen einen eindeutig rechtsextremen Hintergrund auf.

Antisemitismus, sehr geehrte Damen und Herren, das wissen wir, hat in Österreich eine lange Tradition. Er ist nicht erst im März 1938 über uns hereingebrochen und hat freilich Österreich auch nicht im Mai 1945 einfach wieder verlassen. Antisemitismus ist leider tief verwurzelt.

Wie die Statistik beweist, nehmen antisemitische Übergriffen zu. Ausgerechnet kommt es jetzt in der Coronakrise verstärkt durch Verschwörungstheorien wieder zu antisemiti­schen Vorfällen in Österreich. Ja, wir bekennen uns zu unserer Verantwortung am größten Verbrechen der Menschheit, der Schoah, das zum industriellen Mord an 6 Millio­nen Juden und Jüdinnen geführt hat. Deshalb werden wir heute aufstehen und gegen


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Antisemitismus vorgehen. Wir werden hier im Saal wirklich physisch aufstehen, wenn wir uns zum Kampf gegen Antisemitismus bekennen. (Beifall bei SPÖ, ÖVP, Grünen und NEOS.)

Wir werden gegen Antisemitismus in allen Formen, in denen er auftritt, aufstehen. Wir werden aufstehen, um uns mit unserer Geschichte auseinanderzusetzen und die Aufar­beitung des Holocaust voranzutreiben.

Es freut mich deshalb, dass es gelungen ist, hier mit vier Parteien gemeinsam diesen Simon-Wiesenthal-Preis ins Leben zu rufen und damit sehr verspätet, aber doch einen großen Österreicher für seinen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung des Holocaust ent­sprechend zu würdigen und zu ehren. Es freut mich, dass dieser Preis beim National­fonds angesiedelt ist und dass er Projekte im Kampf gegen Antisemitismus und zur Aufarbeitung des Holocaust auszeichnen wird. Ich begrüße an dieser Stelle auch die Generalsekretärin des Nationalfonds Hannah Lessing. – Schön, dass du hier bist und mit uns gemeinsam gegen Antisemitismus aufstehst! (Beifall bei SPÖ, ÖVP, Grünen und NEOS.)

Lassen Sie mich abschließend aber auch noch Folgendes sagen: Dass die FPÖ nicht mit diesem Antrag mitstimmen wird, hat wahrscheinlich nichts mit Simon Wiesenthal oder Bruno Kreisky zu tun. Wer sich selbst als – und ich zitiere diese Ungeheuerlichkeit – „Unkrautbekämpfungsmittel“ gegen Zuwanderung bezeichnet, bedient sich einer Rhetorik, die wir eigentlich im Jahr 2020 längst überwunden haben sollten. Sollte es tatsächlich ein Durchgriffsrecht des Bundesparteivorsitzenden Hofer geben, wäre es jetzt angebracht, auch tatsächlich zu handeln. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei SPÖ, Grünen und NEOS sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

18.28


Präsidentin Doris Bures: Frau Abgeordnete Eva Blimlinger gelangt als Nächste zu Wort. – Bitte.


18.29.14

Abgeordnete Mag. Eva Blimlinger (Grüne): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der von der FPÖ eingebrachte Abänderungsantrag zeigt die Niedertracht der FPÖ ganz deutlich. Martin Engelberg hat von Outcasts gesprochen, ich würde sagen, mit Ihnen ist schlichtweg kein Staat zu machen. Es ist äußerst bedauerlich, dass Sie diesen Weg wählen. Es ist eine besondere Niedertracht – Engelberg hat es schon erwähnt –, sich da Bruno Kreisky auszusuchen. (Abg. Kassegger: Man muss sich noch mehr beschimpfen lassen?) Sie wissen natürlich ganz genau um den Streit Wiesenthal – Peter – Kreisky und funktionalisieren das in einer Weise, da es schwer möglich sein wird, dass Sie den Waffen-SS-Mann Peter, der Ihr Obmann war, als Namensgeber vorschlagen. So weit gehen Sie dann doch nicht. Was ist aber besser als Kreisky?

Frau Abgeordnete Fürst sagt, Kreisky ist ja ein österreichischer Patriot. – Das ist Wiesenthal bei Gott! Vor mehr als 75 Jahren, im Mai 1945, ist er aus dem KZ Maut­hausen befreit worden. Er hat sich entschlossen, hierzubleiben, ein Österreicher zu sein, der es Österreich sozusagen abnimmt, dafür zu sorgen, dass die Täter – darunter auch einige Ihrer Parteigenossen – verfolgt werden. (Beifall bei Grünen, ÖVP, SPÖ und NEOS.)

Er ist kein heimatloser Geselle – das steht nämlich hinter Ihrer Ausführung, und genau das ist der Antisemitismus, den Sie alle hier pflegen und den man bekämpfen muss. (Beifall bei Grünen, ÖVP, SPÖ und NEOS. Abg. Lausch: Was?) Mit dem Preis werden Leute ausgezeichnet, die gegen Sie vorgehen. (Abg. Lausch: Was soll das? ...!)


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Patrioten sind Menschen, die sich darum kümmern, dass der Nationalsozialismus auf­gearbeitet wird, dass Täter benannt werden, wie Wiesenthal, ein Unbequemer, einer, der sich immer mit allen angelegt hat, auch mit Bruno Kreisky, der letztlich auch verurteilt wurde – es hat Prozesse gegeben –; also bitte, nehmen Sie das zur Kenntnis. Vielleicht geben Sie sich einen Ruck und stimmen dennoch zu, vielleicht denken Sie eine Sekunde nach. Wir haben im Palais Epstein ein Bildungsangebot für Sie in Sachen National­sozialismus, es würde Ihnen guttun, ein bisschen mehr in diesem Bereich zu lernen und sich ein bisschen mehr dieser Situation bewusst zu werden.

Ein Wort noch zu Martin Engelberg: Du hast von Outcasts gesprochen. Ich bitte dich, dich daran zu erinnern, sollte es wieder dazu kommen, dass die ÖVP mit der FPÖ in eine Regierung gehen will. Erinnere dich bitte daran, dass es Outcasts sind, und erhebe deine Stimme dann, wenn es dazu kommt! (Zwischenrufe bei der FPÖ. Abg. Lausch: Unfassbar!) Sie waren es immer schon, mit ihnen ist kein Staat zu machen. Das möchte ich einfach noch einmal betonen. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von SPÖ und NEOS.)

Es freut mich sehr, dass Wolfgang Sobotka diese Initiative ergriffen hat und dass ÖVP, SPÖ, NEOS und Grüne dem zustimmen. Ich hatte in der Vorbereitung auch den Ein­druck, dass die FPÖ da mitgehen kann, Frau Abgeordnete Belakowitsch war da durch­aus noch in dieser Position. Da gibt es offensichtlich Kräfte, die nicht wollen, dass es irgendetwas in dieser Richtung gibt. Das ist sehr bedauerlich, muss ich sagen!

Sie kennen schon mein Ceterum-censeo, und das passt heute besonders gut: Im Übri­gen bin ich der Meinung, dass die Windisch-Kaserne in Richard-Wadani-Kaserne umbe­nannt werden soll, also nach einem Wehrmachtsdeserteur, der genauso geehrt gehört wie Simon Wiesenthal. (Beifall bei den Grünen, bei Abgeordneten von SPÖ und NEOS sowie des Abg. Sobotka.)

18.33


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Helmut Brandstätter. – Bitte.


18.33.31

Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Liebe junge Menschen, die ihr in Österreich wohnt! Liebe Hannah Lessing! Ich bin schon sehr betroffen, weil ich mich eben auch an das erste Gespräch, an die erste Runde in dem Ausschuss erinnere, als ich das Gefühl hatte, dass wir gemeinsam über ein Stück österreichischer Geschichte reden und dass wir gemeinsam der Meinung sind, dass es einen Preis braucht, um über Antisemitismus aufzuklären, weil es ihn in unglaublicher Form in Österreich immer noch gibt.

Deswegen bin ich auch sehr enttäuscht, dass es so gekommen ist, wie es gekommen ist. Ich kann nur sagen (ein Buch von Simon Wiesenthal mit dem Titel „Recht, nicht Rache“ in die Höhe haltend): Dieses Buch müssen Sie lesen! Sie müssen es lesen, Sie müssen versuchen, nachzuvollziehen. Ich sage Ihnen, Sie können es alle nicht nachvoll­ziehen, weil es undenkbar ist, was diesem Simon Wiesenthal und vielen, vielen anderen Menschen passiert ist. Es ist undenkbar, unvorstellbar, aber es ist passiert!

Sie können nachlesen, wie er an einer Mauer gestanden ist und auf einmal haben die Glocken geläutet, und irgendeiner hat gesagt: Jetzt ist Vesper, gehen wir Mittagessen! – Und deshalb ist er nicht erschossen worden, sonst wäre er erschossen worden, so wie Millionen andere Menschen auch.

Sie können auch Leon Zelman lesen, Sie können Marko Feingolds Erinnerungen oder Rudi Gelbard lesen – über ihn wurde ein Film gemacht –, aber ich glaube, wir müssen vor allem den jungen Menschen sagen – in meiner Fraktion sage ich es regelmäßig,


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meinen Kindern sage ich es und allen Leuten sage ich es –: Ihr müsst versuchen, nachzuvollziehen! Es geht ohnehin nicht, denn es ist so schrecklich, und was noch schrecklicher ist: Es kann wieder passieren. Das ist das, was mich am meisten umtreibt, und deswegen müssen wir aufstehen und dagegen ankämpfen.

In dem Buch ist ein sehr schönes Vorwort von Peter Michael Lingens drinnen, nicht zufällig, denn Peter Michael Lingens war ja jener Journalist, der damals Simon Wiesenthal gegen Kreisky verteidigt hat. Peter Michael Lingens schreibt: Es bereitet Wiesenthal nicht Lust, in der Vergangenheit zu wühlen, sondern Leid. – Zitatende.

Das ist ja das, was wir auch über ihn wissen müssen. Das Wort Nazijäger war ja ein völliger Unsinn. Erstens ist er zufällig dazugekommen, es ist ja schon gesagt worden, er war ausgebildeter Architekt und hat dann eben gesehen, wie viele Menschen ermordet wurden. Er hat einfach die Ungerechtigkeit nicht ertragen, dass Leute fröhlich herum­laufen, die größte Schuld auf sich geladen haben, während viele seiner Verwandten umgebracht wurden, während sechs Millionen Menschen ermordet wurden. Wir wissen, wie die sechs Millionen Juden ermordet wurden. Es hat ihn umgetrieben, und Gott sei Dank hat er damals, als junger Mensch, den Entschluss gefasst, in Österreich zu bleiben, wie Zelman und viele andere auch, um hier dann auch die Menschen über all das, was passiert ist, aufzuklären.

Ich kann mich natürlich sehr gut an das Jahr 1975 erinnern. Ich habe das aufmerksam verfolgt und habe es damals als junger Mensch so belastend gefunden, dass die österreichische Geschichte auf einmal Kleingeld der Innenpolitik wird. Ich möchte jetzt hier wirklich keine Vorlesung halten, denn es kann jeder nachlesen, und in dem Buch können Sie es genau nachlesen, was Bruno Kreisky alles gesagt hat; Heinz Fischer wollte damals sogar einen Untersuchungsausschuss im Parlament gegen Simon Wiesenthal einberufen. Als man dann draufgekommen ist, dass er mit allem recht hatte, was er über Friedrich Peter herausgefunden hat, hat man diesen Unsinn eingestellt, die Idee eines Untersuchungsausschusses fallengelassen. Ich muss sagen, Heinz Fischer hat sich später dann auch entschuldigt. Er hat auch eingesehen, dass er Simon Wiesenthal natürlich Unrecht getan hat.

Deswegen bin ich jetzt wirklich betroffen, wenn Sie so wollen, traurig, dass wir im Jahr 2020 so hier stehen, wo es doch völlig normal und notwendig wäre, dass wir gemeinsam aufstehen und sagen: Schluss, wir wollen jetzt wirklich alles dafür tun, dass es mit diesem Antisemitismus zu Ende ist. Das ist ein hehrer Wunsch – ja! –, dass wir ihn bekämpfen, wenn er auch nur irgendwo auftaucht, in welcher Form auch immer, dass wir das gemeinsam tun – und auf einmal beginnen wir mit kleinem innenpolitischen Hin und Her. Es trifft mich und macht mich traurig, ich finde es schrecklich.

Präsident Sobotka ist jetzt da: Herzlichen Dank, danke für die Initiative. Vielleicht schafft es Ihre Autorität, wenn wir 1 Minute Pause machen und Sie mit Herrn Kickl oder mit Frau Belakowitsch, die sich auch sinnvoll in diesen Gesprächen eingebracht hat, reden, dass das vielleicht doch noch anders ausgeht.

Ich meine, wir sind ein Parlament, wir können miteinander reden und miteinander entscheiden. Es geht hier nicht um ein kleines Hin und Her, sondern wirklich um eine große Sache. Es geht um eine große Sache: Simon Wiesenthal, ein großer Österreicher, hat viel für uns getan, wir brauchen seine Erinnerung und wir brauchen diesen Preis gegen Antisemitismus. Stehen wir bitte miteinander auf!

Ich könnte jetzt lange polemisieren – Sie wissen, dass ich das kann –, ich tue es nicht, weil es mir wehtut, was sich im Moment abspielt. Ich bitte Sie: Stehen wir miteinander gegen Antisemitismus auf! – Danke. (Beifall bei NEOS, ÖVP, SPÖ und Grünen.)

18.38



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 203

Präsidentin Doris Bures: Frau Abgeordnete Irene Neumann-Hartberger ist die nächste Rednerin. – Bitte.


18.38.56

Abgeordnete Irene Neumann-Hartberger (ÖVP): Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Präsident! Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren zu Hause! Wir haben die Pflicht, den jungen Menschen darzustellen, wie unfassbar, wie außergewöhnlich die Zeit des Holocaust war. – Zitatende.

Das ist ein Zitat von Simon Wiesenthal, der unermüdlich gegen die Gleichgültigkeit gegenüber den Verbrechen des Nationalsozialismus eintrat. Unsere Erinnerungs- und Gedenkkultur, also der Umgang des Einzelnen und der Gesellschaft mit der Vergan­genheit und der Geschichte steht definitiv vor neuen Herausforderungen. Unsere Erin­nerungen und die unserer Kinder werden zunehmend durch das Verschwinden von Zeit­zeugen und der medialen Aufbereitung der Vergangenheit abschwächend beeinflusst. Damit wird es immer schwieriger, Jugendliche über Antisemitismus und Holocaust aufzu­klären.

Wie kann man aber jungen Menschen die Schrecken der damaligen Zeit vermitteln? – Zu dieser Verantwortung bekennt sich die Bundesregierung im Regierungspro­gramm 2020 mit „Fortführung der aktiven Erinnerungspolitik im Bildungsbereich“. Ein besonderer Schwerpunkt soll der konsequenten und langfristigen Sicherung der Erinnerung und des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus sowie der Bildungsarbeit gegen Antisemitismus und Rassismus in allen Schultypen gewidmet sein.

Mit dem Fokus auf Stärkung der Gedenkkultur ist es ein Ziel, die unterschiedlichen Rechtsträger der österreichischen Gedenkstätten, Sammlungen und Museen unter dem Dach des Parlaments zusammenzuführen und eine dauerhafte Finanzierung sicherzu­stellen.

Der Simon-Wiesenthal-Preis ist ein weiterer Schritt, um Bewusstsein für diese Ver­gangenheit zu schaffen. Er soll als Auszeichnung für besonderes zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus und für die Aufklärung über den Holocaust verliehen werden.

Es liegt an uns, die Vergangenheit niemals in Vergessenheit geraten zu lassen, unsere Kinder aufzuklären und für dieses Thema zu sensibilisieren. Mit dem heutigen Beschluss setzen wir einen wichtigen und richtigen Schritt. Da ich heute mit einem Zitat begonnen habe, möchte ich mit einer lateinischen Redewendung enden: Nomen est omen – der Name ist Programm. Das trifft beim Simon-Wiesenthal-Preis für mich definitiv zu, beim Bruno-Kreisky-Preis hingegen kann ich den Zweck und den Zusammenhang nicht ganz erkennen. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

18.41


Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Jörg Leichtfried. – Bitte.


18.41.52

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Niemals ver­gessen – diese zwei Worte habe ich immer mit Simon Wiesenthal verbunden, und sie haben ihn wahrscheinlich sehr gut charakterisiert.

Wenn man seine Lebensgeschichte anschaut, seine entsetzliche Lebensgeschichte – 1908 geboren, diese Massenerschießung, die schon angesprochen wurde, überlebt, ins KZ verschleppt und 1945 aus Mauthausen befreit –, muss man sich schon wundern, dass er in der Lage war, diesen weiteren Lebensweg zu gehen und diese Belastungen


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auf sich zu nehmen. Ich glaube aber, eine Sache, die er gesagt hat, hat wahrscheinlich auch diese besondere Motivation hervorgerufen. Er hat gesagt: Ich bin einer von 500 Überlebenden von 150 000. – Man muss sich einmal vorstellen, wie schrecklich das sein muss.

Wenn man dann auch noch erleben muss, dass die Zweite Republik sich allein auf den Opfermythos berufen hat und diese Lebenslüge – und ich bezeichne das bewusst als Lebenslüge – lange vor sich hergetragen und nicht die Mitverantwortung dafür über­nommen hat, dass Menschen, dass Jüdinnen und Juden und andere Opfer der NS-Diktatur beraubt, gefoltert, vertrieben und ermordet wurden, dann ist es schon eine große Leistung, dagegen auch zu dieser Zeit anzutreten und sich nicht einschüchtern zu lassen, den Bedrohungen zu trotzen und dafür zu sorgen, dass diese Dinge niemals ver­gessen werden.

Es ist nötig. Es war damals nötig, und ich sage Ihnen auch ganz deutlich: Es ist heute nötig. Antisemitismus ist aus dieser Welt nicht verschwunden. Antisemitismus beginnt immer mit Ausgrenzung und Diskriminierung von Jüdinnen und Juden, zuerst weniger, dann immer mehr hasserfüllt. Gerade jetzt erleben wir in Österreich, aber auch in ganz Europa und weltweit wieder einen Anstieg dieses Antisemitismus, der zuerst unauffällig beginnt, aber dann immer gewalttätiger wird, mit immer mehr Übergriffen.

Dagegen – und ich glaube, da sind wir uns wirklich alle einig – ist anzutreten, dagegen ist aufzustehen, und deshalb ist so ein Preis wichtiger denn je. Ich meine, es ist eine Auszeichnung, wenn dieser Preis den Namen Simon Wiesenthals trägt. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ, ÖVP, Grünen und NEOS.)

18.45


Präsidentin Doris Bures: Zu Wort gemeldet ist Klubobmann Herbert Kickl. – Bitte. (Ruf bei der SPÖ: Nein!)


18.45.42

Abgeordneter Herbert Kickl (FPÖ): Auch wenn ich aus diesem Sektor Nein gehört habe, melde ich mich trotzdem zu Wort, und das passt irgendwie auch zu der Debatte, die wir geführt haben – eine spannende Debatte, glaube ich, und eine durchaus erhellende Debatte.

Ich möchte die Worte des Abgeordneten Brandstätter aufgreifen, der gesagt hat: Das ist ein Parlament, in dem man miteinander reden können soll. – Das sehe ich genauso wie Sie. Es ist dann aber auch ein Parlament, in dem man die Meinung eines anderen zu akzeptieren und auch ein entsprechendes Abstimmungsverhalten zur Kenntnis zu nehmen hat. (Beifall bei der FPÖ.)

Ich glaube, dass das auch eine wesentliche demokratische Errungenschaft ist, und ich denke, dass es sehr, sehr erhellend gewesen ist - - (Abg. Brandstätter: Aber man kann gescheiter werden im Laufe der Debatte! Man kann gescheiter werden im Laufe der Debatte!) – Ich habe Ihnen sehr genau zugehört und habe nicht dazwischengerufen, Sie haben Ihren Auftritt hier gehabt (Abg. Brandstätter: Man kann gescheiter werden im Laufe der Debatte!), Sie können sich noch einmal zu Wort melden, aber ich sage Ihnen eines: Erhellend ist es im Zuge dieser Debatte auch, den Abgeordneten Engelberg und die Abgeordnete Blimlinger und die Abgeordnete Schatz dabei zu erleben, wie sie trotz der inneren Gefasstheit, die sie zum Ausdruck bringen, dann in dieser Sache irgendwie doch die demokratische Contenance verlieren, irgendwie ein wenig aus dem humanis­tischen Tritt geraten (Zwischenruf der Abg. Blimlinger – Abg. Kassegger: Lassen Sie ihn jetzt bitte reden!) – ja, das ist ja das Gleis, auf dem Sie nur sich und andere nicht verorten.


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Das ist die Humanität, die Sie glauben, für sich gepachtet zu haben. Sie geraten dann aber sehr leicht außer Tritt, wenn jemand anderer eine andere Meinung hat! Ich glaube, es ist unangebracht, sich dann zu Drohungen zu versteigen. Herr Engelberg, Sie haben das gestern bereits im Couloir lautstark getan und gedroht, dass Furchtbares über uns hereinbrechen wird, wenn wir heute nicht zustimmen.

Das kann uns nicht beeindrucken. Ich sage Ihnen in aller Offenheit: Das waren Metho­den, mit denen man irgendwann einmal in dunklen Kapiteln dieser Geschichte versucht hat, Leute zu beeindrucken und davon zu überzeugen, dass ihre Meinung gar nichts wert ist. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenrufe der Abgeordneten Brandstätter, Koza und Stögmüller.) Ich sage Ihnen noch etwas: Auch Bezeichnungen wie „Niedertracht“ oder auch: Ausgestoßene der Gesellschaft, passen eigentlich nicht in eine solche Debatte und würden in anderen Diskussionen zu einem Ordnungsruf führen. (Abg. Stögmüller: Beschämend!)

Für mich ist das bisher einmal mehr ein Paradebeispiel dafür, wie diejenigen, die immer wieder glauben, dass sie die Obertoleranten sind, sehr, sehr schnell in die Intoleranz und in die Dogmatik abgleiten, wenn es nicht nach ihrer Meinung geht (Zwischenruf des Abg. Schallmeiner), und das ist einmal mehr ein Beispiel dafür, dass manche, die glauben, die Moralität für sich gepachtet haben, dann sehr, sehr gerne über die Selbst­anwendung stolpern.

Insofern ist es ein gutes Beispiel, weil es nämlich zeigt, wie man es nicht machen sollte. Ich habe überhaupt nicht vor, unsachlich zu argumentieren – nein, nein! –, ich möchte nur auf verschiedene Aspekte der Thematik eingehen, die in der bisherigen Debatte ein bisschen unterberücksichtigt gewesen sind.

Wissen Sie, Simon Wiesenthal ist mit Sicherheit kein Freund der Freiheitlichen Partei gewesen, kein Freund von Spitzenvertretern der Freiheitlichen Partei, man könnte sagen, er ist ein Gegner der Freiheitlichen Partei gewesen, und er hat maßgebliche frei­heitliche Politiker verachtet (Abg. Blimlinger: Gott sei Dank!) – zu Unrecht, wie wir Freiheitlichen damals, im Zuge der Debatte rund um Friedrich Peter in den Siebziger­jahren gesagt haben, und auch heute noch sehen wir das so: zu Unrecht.

Es war ja nicht nur Friedrich Peter, es war auch Jörg Haider, den er verachtet und verfolgt hat, und es war auch zum Beispiel ein Volksbegehren, das „Österreich zuerst“ geheißen hat, an dem er kein gutes Haar gelassen hat. Man darf all diese Dinge nicht unbe­rücksichtigt lassen (Zwischenrufe der Abgeordneten Maurer und Stögmüller), aber der entscheidende Punkt für uns in der Debatte aus den Siebzigerjahren ist derjenige, dass wir eine klare Position haben, die dahin gehend lautet, dass Schuld und Verantwortung immer individuell zu sehen sind und jede Form der Pauschalierung und der Kollektiv­schuld zurückzuweisen ist. Das war genau das, was bei Friedrich Peter nicht passiert ist, und deswegen sind wir bis heute der Meinung, dass er zu Unrecht verfolgt worden ist. (Beifall bei der FPÖ.)

Das Interessante dabei ist, dass damals – es ist schon kurz angesprochen worden – ja die SPÖ die Partei gewesen ist, die die Freiheitlichen verteidigt hat. Es war kein Geringerer als der Säulenheilige der Sozialdemokratie. Er wird auch immer öfter zitiert: Immer wenn es Ihnen politisch schlecht geht, dann stellen sich Ihre Abgeordneten hierher und zitieren jenen Bruno Kreisky, von dem Sie jetzt nichts wissen wollen. Er war aber derjenige, der Friedrich Peter in dieser Diskussion verteidigt hat.

Ich denke, dass es ein starkes Stück ist, was Abgeordneter Engelberg hier heute auch in einer Aussendung gemacht hat, dass er sich nämlich dazu verstiegen hat, diesen großen österreichischen Staatsmann Bruno Kreisky de facto als einen Antisemiten zu verunglimpfen – nur deshalb, weil Sie kein Interesse daran haben, auch einen Frieden mit der Freiheitlichen Partei zu machen. Das sage ich Ihnen auch einmal ganz deutlich.


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Jetzt frage ich Sie etwas, und ich frage diejenigen, die heute hier Kritiker des Abstim­mungsverhaltens der Freiheitlichen Partei sind, weil wir nicht den Inhalt dieses Preises ablehnen, das wissen Sie ganz genau, sondern weil wir den Namen ablehnen – weil wir den Namen ablehnen. (Abg. Stögmüller: Das ist nur eine Ausrede!) Jetzt frage ich Sie etwas: Was hätte eigentlich - - (Abg. Stögmüller: Das ist nur eine Ausrede!) – Hören Sie zu und geben Sie sich die Antwort selbst! Was hätte denn eigentlich dieser Simon Wiesenthal selber gewollt? Was hätte eigentlich dieser Simon Wiesenthal selber gewollt? Hätte dieser Simon Wiesenthal wirklich gewollt, dass ein Preis, der seinen Namen trägt, dass dieser nach ihm benannte Preis von der FPÖ, deren Obmann er damals zu Unrecht verfolgt hat und an der er auch sonst kein gutes Haar gelassen hat, unterstützt wird? Hätte das Simon Wiesenthal, von dem Sie alle reden, tatsächlich gewollt? Hätte er das gewollt oder hätte er sich nicht eher dagegen verwehrt? – Jetzt sage ich Ihnen eines: Wenn wir ganz ehrlich sind, dann trifft Letzteres zu, und Sie wissen das ganz genau. (Beifall bei der FPÖ. – Abg. Stögmüller: Ausrede!)

Deshalb sage ich Ihnen, dass Ihre Forderung nach einer Zustimmung der Freiheitlichen Partei ja schon fast so etwas Ähnliches wie eine Missachtung dieses Aspektes des Erbes von Simon Wiesenthal ist. Wenn Sie unsere Zustimmung tatsächlich haben wollen, wenn Sie sie aus ehrlichem Herzen haben wollen, dann müssen Sie aber in Kauf nehmen, dass sich noch ein Redner von Ihnen hierherstellt und die Angriffe, die Simon Wiesenthal gegen die Freiheitliche Partei gerichtet hat, von denen wir sagen, dass sie zu Unrecht erfolgt sind, auch als dieses Unrecht darstellt. Das wäre die logische Konsequenz, nur ist sie nicht zu erwarten. Das Einzige, was ich von Ihnen einmahne, ist Ehrlichkeit statt einer geheuchelten Debatte. (Beifall bei der FPÖ.)

Jetzt sage ich Ihnen noch etwas: Sie wissen ganz genau, dass wir niemals die Intention dieses Preises abgelehnt haben, sondern dass wir den Namen infrage stellen, und das wird noch erlaubt sein. (Zwischenruf der Abg. Blimlinger.) Aus den Protokollen der Präsidialkonferenz, Frau Blimlinger, bei der Sie nie dabei waren – da brauchen Sie noch ein bisschen, bis Sie dorthin kommen (Abg. Stögmüller: Seien Sie doch wenigstens ehrlich!) –, geht eindeutig hervor, dass es so gewesen ist. Das können dort alle nach­lesen. Ich weiß nicht, vielleicht haben es ja die Teilnehmer der Präsidialkonferenz dem Abgeordneten Engelberg nicht erzählt, dass es so gewesen ist, oder sie wissen es und verschweigen es, aber ich halte das für einen wesentlichen Aspekt der Debatte.

Unsere Position ist jedenfalls die, dass das ein Preis des österreichischen Parlaments und kein Privatpreis des Wolfgang Sobotka ist – das muss man auch einmal dazusagen. Das lässt sich nämlich auch in der Genesis der Entwicklung dieses Preises nachlesen. (Beifall bei der FPÖ.)

Das hat ja ganz anders begonnen, ich will es Ihnen kurz referieren. Sobotka hat in einer öffentlichen Erklärung das Parlament de facto überrumpelt und gesagt: Ich mache jetzt einen Simon-Wiesenthal-Preis. (Abg. Brandstätter: Das ist ein Blödsinn!) Mit nieman­dem von uns hat er darüber gesprochen, weder über den Preis noch über den Namen. (Abg. Lausch: Kollege Brandstätter war auch nicht in der Präsidiale!) Er hat versucht, uns alle zu überrumpeln. Das hat auch bei der SPÖ zu Widerstand geführt. Dann hat er die entsprechenden gesetzlichen Regelungen nachgereicht.

Herr Kollege Sobotka, die haben dann so ausgesehen, dass Sie allein die Jury bestim­men und damit allein bestimmen, wer der Preisträger ist. Da haben wir dann auch Widerstand geleistet, Hand in Hand mit der SPÖ gegen diese ÖVP-Ambitionen, einfach deshalb, weil es ein Preis des Nationalrates sein soll und kein Preis des Wolfgang Sobotka. Das ist keine Gebietskörperschaft Sobotanien hier, Herr Parlamentspräsident, das muss ich Ihnen auch einmal sagen! (Beifall bei der FPÖ.)


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Weil es ein Preis des Parlaments ist, ist es natürlich ein nahe liegender Zugang, dass man ihn auch nach jemandem benennt, der einen unmittelbaren Bezug zum Parlament hat, und das ist bei Bruno Kreisky gegeben und bei Simon Wiesenthal nicht. Jetzt weiß ich nicht, warum man darüber nicht diskutieren darf, aber ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag (Zwischenruf bei der ÖVP), ich mache Ihnen noch einen anderen Vorschlag: Die Österreichische Volkspartei und die Sozialdemokratie haben ja eine lange Ge­schichte mit Abgeordneten aus der Ersten Republik, aus der Zweiten Republik. Na, da wird sich doch wohl irgendjemand aus Ihren Reihen finden, der ebenso einen beherzten Kampf gegen den Antisemitismus geführt hat oder der vielleicht selbst ein Verfolgter gewesen ist, der aber Parlamentarier in diesem Haus gewesen ist. Ich mache Ihnen den Vorschlag: Benennen wir den Preis doch nach einer solchen Persönlichkeit! Sie haben noch ein bisschen Zeit, so jemanden zu benennen, und dann ist die ganze Sache auch erledigt, überhaupt gar kein Problem, und wir werden sehen, ob es Ihnen um die Sache geht. (Abg. Wöginger: Das wird enderledigt in der Sache!) Ich glaube es nicht, aber es ist ein Vorschlag zur Güte.

Noch etwas zum Inhalt dieses Preises. Ja, ich denke, dass es nie genug sein kann, wenn es um Fragen der Gedenkkultur in Zusammenhang mit dem Holocaust in Österreich geht – selbstverständlich! Ich habe aber auch den Eindruck, dass sehr, sehr viel in Zusammenhang mit Kampf und Aktivitäten gegen den Antisemitismus getan wird, in Sachen Bewusstseinsbildung in den Schulen und quer durch alle gesellschaftlichen Bereiche. Sie haben aber wohl recht: Es kann nie genug sein.

Jetzt müssen wir nur auf eines aufpassen, und das haben Sie in Ihren ganzen Debatten­beiträgen bisher vergessen: Das Problem verorte ich weniger bei den österreichischen Staatsbürgern und bei den Inländern. Jetzt sind wir bei einem großen Tabu, das Sie nicht angesprochen haben: Was ist eigentlich mit dem Antisemitismus, den wir massenweise in dieses Land importieren? Was ist mit diesem Antisemitismus? Kommt der in Ihren Überlegungen auch vor, oder ist das ein unerwünschter Nebenaspekt, den es zu tabuisieren gilt? (Beifall bei der FPÖ.)

Die Gefahr des importierten Antisemitismus durch islamistische Kräfte ist die größte Gefahr für die jüdischen Gemeinden, nicht nur in Österreich und in Europa. (Zwischen­rufe bei SPÖ und Grünen.) Das kann ich Ihnen deshalb sagen, weil ich als Innenminister dieser Republik – Sie werden es nicht glauben –, als freiheitlicher Innenminister dieser Republik es im Zuge unseres Ratsvorsitzes zustande gebracht habe, eine entsprechen­de Beschlussfassung über den Schutz der jüdischen Gemeinden nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa zu realisieren. Das ist eine freiheitliche Errungenschaft und dafür, Herr Engelberg, und dafür, Herr Muzicant – falls er zuhört –, lasse ich mich von Ihnen nicht als Kellernazi bezeichnen. (Beifall bei der FPÖ.)

Falls Sie es mir vielleicht nicht glauben, nur ein Zitat: Der Präsident des European Jewish Congress, Moshe Kantor, „und Vizepräsident Muzicant dankten auch für die Aktivitäten im Rahmen der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft. Das Innenministerium widmet sich dabei vor allem zwei Themenbereichen. Zum einen geht es um den bestmöglichen Schutz jüdischer Gemeinden und Einrichtungen in der EU insgesamt, zum anderen um eine proaktive gesamtheitliche Sicherheitspolitik, damit auch jüdische Bürgerinnen und Bürger ihre Freiheit in Sicherheit leben können.“ – Zitatende.

Ein zweites Zitat vom Club der Freunde Israels – Absender ist ein gewisser Daniel Kapp, der Ihnen nicht unbekannt ist –: „Bundeskanzler Sebastian Kurz hat den Kampf gegen Antisemitismus und Anti-Zionismus zu einer Priorität seines Ratsvorsitzes gemacht. Es ist seinem persönlichen Einsatz‘“ – und jetzt hören Sie zu! – „sowie der starken Unter­stützung auch von Innenminister Herbert Kickl zu verdanken, dass es nun binnen weniger Monate und noch unter österreichischem Vorsitz zu einer entsprechenden


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Einigung aller europäischen Länder gekommen ist.“ – Zitatende. (Beifall bei der FPÖ. – Abg. Scherak: Kapp als Kronzeuge ist schon hart!)

Ich weiß nicht, ob man Ihnen das in Ihrer Vorbereitung vorenthalten hat, Herr Engelberg.

Damit bleibt mir abschließend eines zu sagen: Ich bin gespannt, wie der Preis, der ja jetzt beschlossen werden wird, dann in Zukunft vergeben werden wird, was dann die Aspekte der Anwendung sind und ob dann der Kampf gegen den politischen Islam, der aus unserer Sicht und nicht nur aus unserer Sicht die Hauptgefahr ist – das haben mir auch alle anderen Innenminister, mit denen ich zusammengesessen bin, und Vertreter der jüdischen Gemeinden außerhalb Österreichs, die mit mir gesprochen haben, ge­nauso bestätigt, weil die Menschen aus deren Ländern emigrieren, weil sie sich nicht mehr sicher fühlen –, dann bei der Verleihung des Preises auch eine entsprechende Rolle spielen wird. Das ist nämlich die große Herausforderung! (Präsident Hofer über­nimmt den Vorsitz.)

Dann möchte ich am Ende nur einen Vergleich anstellen, der alles sicher macht: Schau­en Sie sich an, welche der Fraktionen hier in diesem Hohen Haus den Kampf gegen diese Form des Antisemitismus, der die größte Bedrohung ist, am entschlossensten führt! (Zwischenruf des Abg. Stögmüller.) Da werden Sie sehen, dass die Freiheitliche Partei die Speerspitze ist, während sich andere feig oder vornehm verschweigen und andere sich in ihrer Naivität gerne übertölpeln lassen. (Beifall bei der FPÖ.)

18.59


Präsident Ing. Norbert Hofer: Nächster Redner ist Herr Präsident Mag. Wolfgang Sobotka. – Bitte, Herr Präsident.


18.59.48

Abgeordneter Mag. Wolfgang Sobotka (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Vor allem werte Damen und Herren zu Hause vor den Fernsehgeräten! Sie erle­ben eine Debatte, die für Österreich vielleicht sehr, sehr entscheidend ist; entscheidend deshalb, weil es auf der einen Seite darum geht, wie wir mit unserer Geschichte umgehen – dass wir noch nicht fertig sind, können wir anhand der aktuellen Beiträge letzten Endes erfahren. Ersparen Sie mir, dass ich auf einzelne Debattenbeiträge, auch wenn sie herabwürdigend und abschätzig sind, eingehe. Ich glaube, es tut nämlich dem Inhalt nicht gut, denn die Frage ist: Warum haben wir – da waren durchaus auch alle dabei – diesen Preis ins Leben gerufen? – Weil es um ein ganz wesentliches demo­kratisches Grundprinzip geht: den Kampf gegen den Antisemitismus.

Der Kampf gegen den Antisemitismus ist nicht eine Sache des überzogenen Natio­nalismus, des Rassismus, nein: Es ist ein Kampf – wie es Monika Schwarz-Friesel, eine ganz beachtenswerte deutsche Antisemitismusforscherin an der TU Berlin, sehr, sehr klar in ihren Ergebnissen detektiert hat – gegen eine jahrhundertelange Tradition, eine negative Tradition, die den Juden als das per se Schlechte darstellt und allem anderen, das vertraut ist, dem eigenen Bereich, entgegensetzt.

Haben Sie schon einmal ein jüdisches Gebetsbuch gelesen, in dem diese Menschen ein klares Bekenntnis zu dem Staat, in dem sie leben – egal ob in Frankreich, in Deutsch­land, in Luxemburg, in Holland oder in Österreich – abgeben? Es sind Österreicher und Österreicherinnen und es ist unsere Aufgabe, die wir nicht Jüdinnen und Juden sind, sie zu schützen und diesen Kampf voranzutreiben, da er ein Kampf für die Demokratie ist! (Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS.)

Und der Kampf gegen den Antisemitismus – und auch das ist bemerkenswert – beginnt nicht an den extremen Rändern, er beginnt in der Mitte der Gesellschaft. Er beginnt in der Mitte der Gesellschaft und entwickelt sich zu den Rändern hin, ihnen entgegen. Schwarz-Friesel sieht das ganz deutlich, weil er dort am deutlichsten zugenommen hat,


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im Internet. Es ist ein Kampf, der nur dann gelingen wird, wenn wir alle dagegen auf­stehen.

Darum ist dieser Preis ins Leben gerufen worden. Es ist vollkommen unerheblich, ob dieser Preis mit dem Namen Sobotka, mit Blimlinger, mit wem auch immer hier, mit Engelberg, mit Bures oder sonst jemandem verbunden ist. Es geht um Österreich und nicht um einen Namen, der zufällig dort die Initiative ergriffen hat, meine Damen und Herren. (Beifall bei ÖVP, Grünen und NEOS sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Es ist ärgerlich, wenn wir heute letzten Endes nicht das Wesen des Preises erkennen, sondern uns um Namen streiten und hier Erklärungen abgeben, von welcher Seite auch immer. Aber eines: Es war doch klar, warum wir diesen Namen wählten! Wiesenthal steht nicht nur für die Frage der Aufklärung des Holocausts, Wiesenthal steht auch für einen Namen, der unbequem gewesen ist – und jetzt verstehe ich Ihre Argumentation –, unbequem im Sinne eines bürgerlichen Engagements. Keinen Auftrag – er hatte ihn sich selbst gegeben. Wiesenthal war beseelt davon, weil er seinen verstorbenen Verwandten Gerechtigkeit widerfahren lassen wollte und weil er dieses Österreich, das er geliebt hat, davor bewahren wollte, dass es wieder so wird! (Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS.)

Er wollte das, weil er klar gesehen hat: Wenn wir hier nicht umkehren, gehen wir in eine Richtung, die für dieses demokratische Österreich schlecht ist.

Ich habe mir meine Geschichte, meine Familiengeschichte – jeder kennt sie – im Doku­mentationsarchiv des österreichischen Widerstandes abgeschrieben. Es war leidvoll, zu bekennen, dass in der Familie auch Mittäter gewesen sind. Es war leidvoll, zu erkennen, dass wir nicht nur Opfer gewesen sind – auch die gab es in meiner Familie. Es ist heute unser Auftrag, dass das nie wieder passieren kann, und das kann nur dann nicht mehr passieren, wenn wir alle dagegen aufstehen. Das können wir nicht an die Polizei delegieren, nicht an Gesetze und nicht an Gerichte, sondern wir können es nur an uns selbst delegieren. Das ist unsere Aufgabe! (Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS.)

Erst wenn wir alle aufstehen, erst dann, wenn jeder im Wirtshaus aufsteht, wenn er hört, dass ein Witz gemacht wird oder dass verächtlich geredet wird, erst dann, wenn er aufsteht und dagegen auftritt, dann wird es uns gelingen, den Antisemitismus einzu­dämmen. Ich bin kein Illusionist, er wird als Bodensatz – und das hat die Studie des Parlaments bewiesen – immer vorhanden bleiben, leider Gottes, weil sich eine 2000 Jahre alte Kultur hält. Schauen Sie sich nur die verfemten Wörter an, wie wir sie gebrauchen, wie gedankenlos wir sie gebrauchen! Es gibt einen harten Kern, den gibt es links, rechts und es gibt ihn letzten Endes im Bereich der Migranten, die aus dem arabischen Raum zu uns kommen. – Schauen wir uns an, wie wir diese Wörter verwenden!

Es wird an uns liegen, damit auch sorgsam umzugehen. Es wird an uns liegen, jeden daran zu erinnern – nicht nur immer mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern in der Diskussion, in der Bereitschaft, zu reflektieren und umzukehren. Darum ersuche ich Sie, im Sinne eines Österreichs, das sich diese Demokratie hart erkämpft hat, leidvoll seine 75-jährige Geschichte aufgearbeitet hat, wobei viele sich entschuldigen mussten, viele Verantwortung auf sich genommen haben, das auch in die Breite zu bringen.

Tun Sie es, um denen gerecht zu werden, und versuchen Sie doch, ein gemeinsames Ganzes zu finden – für dieses österreichische Parlament, wo Simon Wiesenthal einer derjenigen ist, der mit einem dementsprechenden persönlichen Auftreten vorangegan­gen ist, dafür zu kämpfen. Und ihm wollen wir diesen Preis widmen. (Anhaltender, teil­weise stehend dargebrachter Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS.)

19.07

19.07.18



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 210

Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort ist dazu nun niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wünscht der Herr Berichterstatter ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Bevor wir in den Abstimmungsvorgang eingehen, frage ich die Klubs, ob eine kurze Sitzungsunterbrechung gewünscht ist. – Das ist nicht der Fall.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf samt Titel und Eingang in 341 der Beilagen.

Hiezu haben die Abgeordneten Dr. Fürst, Kolleginnen und Kollegen einen Abänderungs­antrag eingebracht.

Ich werde daher zunächst über die vom erwähnten Abänderungsantrag betroffenen Teile und schließlich über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile des Gesetzentwurfes abstimmen lassen.

Die Abgeordneten Dr. Fürst, Kolleginnen und Kollegen haben einen Abänderungsantrag betreffend Z 1 und Z 2 eingebracht.

Wer hiefür ist, den bitte ich um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist ab­gelehnt.

Wir kommen sogleich zur Abstimmung über diese Teile des Gesetzentwurfes in der Fassung des Ausschussberichtes.

Ich bitte jene Mitglieder des Hohen Hauses, die hiefür sind, um ein zustimmendes Zeichen. – Das ist mehrheitlich angenommen.

Schließlich kommen wir zur Abstimmung über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile des Gesetzentwurfes samt Titel und Eingang in der Fassung des Ausschuss­be­richtes.

Ich bitte jene Damen und Herren, die hiefür ihre Zustimmung erteilen, um ein bejahendes Zeichen. – Auch das ist mehrstimmig angenommen.

Wir kommen sogleich zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die auch in dritter Lesung für den vorliegenden Gesetzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Mehrheit. Der Gesetzentwurf ist somit auch in dritter Lesung angenommen.

19.09.1522. Punkt

Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über die Regie­rungsvorlage (240 d.B.): Bundesgesetz, mit dem ein Investitionskontrollgesetz erlassen und das Außenwirtschaftsgesetz 2011 geändert wird (276 d.B.)


Präsident Ing. Norbert Hofer: Wir gelangen nun zum 22. Punkt der Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Erwin Angerer. – Bitte, Herr Abgeordneter.


19.09.41

Abgeordneter Erwin Angerer (FPÖ): Herr Präsident! Frau Minister! Frau Minister Gewessler! Hohes Haus! Geschätzte Damen und Herren! Ja, es geht wieder um ein Wirtschaftsthema: Es geht um den Schutz unserer Unternehmen in einer schwierigen Phase, in einer Krise, den Schutz vor einer Übernahme durch Investoren aus dem


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 211

Ausland, vor allem strategisch wichtiger Unternehmen, bedeutender Unternehmen der Krisen- und Daseinsvorsorge sowie der kritischen Infrastruktur und Technologie.

Mit diesem Investitionskontrollgesetz soll eine Sperrminorität festgelegt werden, damit die Mehrheit an diesen Unternehmen nicht übernommen werden kann. Es gibt in diesem Gesetzentwurf leider sehr viele Unklarheiten, weshalb wir ihn auch schon im Ausschuss kritisiert haben. Es ist gut gedacht, aber leider schlecht gemacht, weil es, was die Regulierung betrifft, viele Unklarheiten gibt, zum Beispiel unter welche Prozenthürde welches Unternehmen fällt. Ministerin Gewessler hat in ihrer Stellungnahme den eige­nen Gesetzentwurf sehr kritisch gesehen und gemeint, dass es zu Rechtsunsicherheit führt, dass man nicht weiß, welches Unternehmen unter die 10-Prozent-Grenze und welches unter die 25-Prozent-Grenze fällt und somit einer Genehmigung bedarf.

Deshalb stellen wir folgenden Antrag, um Klarheit zu schaffen, sodass die Unternehmen entsprechend geschützt werden:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Erwin Angerer, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Genehmigungs­pflicht für alle in der Anlage zum Investitionskontrollgesetz aufgelisteten Bereiche un­befristet und mit Erreichen oder Überschreiten eines Mindestanteils an Stimmrechten von 10 %“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage zuzuleiten, mit der eine Genehmigungspflicht gemäß § 2 Investitionskontrollgesetz für alle in Teil 1 und Teil 2 der Anlage zum Investitionskontrollgesetz aufgelisteten Bereiche mit Erreichen oder Überschreiten eines Mindestanteils an Stimmrechten von 10 % unbe­fristet normiert wird.“

*****

Ich ersuche um Zustimmung. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

19.12

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Erwin Angerer, MMMag. Dr. Axel Kassegger

und weiterer Abgeordneter

betreffend Genehmigungspflicht für alle in der Anlage zum Investitionskontrollgesetz aufgelisteten Bereiche unbefristet und mit Erreichen oder Überschreiten eines Mindestanteils an Stimmrechten von 10 %

eingebracht im Zuge der Debatte zu TOP 22: Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über die Regierungsvorlage (240 d.B.): Bundesgesetz, mit dem ein Investitionskontrollgesetz erlassen und das Außenwirtschaftsgesetz 2011 geändert wird (276 d.B.) in der 45. Sitzung des Nationalrates am 8. Juli 2020

Österreichs Wirtschaft wurde und wird durch die COVID-19 Krise massiv geschwächt.

Dadurch erhöht sich für die heimische Wirtschaft auch die Gefahr eines Ausverkaufs durch Direktinvestitionen aus Drittstaaten.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 212

Österreich muss daher sicherstellen, dass die heimischen Unternehmen vor einem Ausverkauf geschützt werden. Insbesondere Unternehmen von strategischer Bedeutung in den Bereichen Krisen- und Daseinsvorsorge sowie kritischer Infrastrukturen und Technologien sind hier vor Übernahmen aus Drittstaaten, die eine Gefahr für die Sicher­heit und öffentliche Ordnung darstellen können, zu bewahren.

Mit der vorliegenden Regierungsvorlage und dem neu zu beschließenden Investitions­kontrollgesetz wird nun lediglich für einen Teil von Bereichen kritischer Infrastruktur eine 10%-Schwelle für eine Genehmigungspflicht normiert, für alle anderen in Teil 2 der Anlage zum gegenständlichen Bundesgesetz aufgelisteten Bereiche kritischer Infra­struktur und Technologie begnügt man sich hingegen mit einer 25 %-Schwelle.

Dies obwohl im geltenden Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen in diesem Zu­sammenhang unter dem Titel „Investitionskontrolle umsetzen und kritische Industrie­zweige schützen“ klar festgeschrieben ist, dass der Schwellenwert für die Genehmi­gungspflicht auf 10% gesenkt werden soll.

Begründet wird dies im Regierungsprogramm unter anderem damit, dass „die Politik dafür sorgen muss, dass es nicht zu einem Ausverkauf kritischer Technologie und Infrastruktur kommt.“

Dazu kommt, dass die inhaltliche Abgrenzung zwischen jenen Bereichen, die unter die 10%-Schwelle und jenen die unter die 25%-Schwelle fallen sollen, nicht eindeutig ist. Die Industriellen Vereinigung nimmt dazu wie folgt Stellungnahme:

„(…) Darüber hinaus ist ungenügend definiert, welche Investitionen von dieser Regelung betroffen sind.

Dies sollte im Sinne der Rechtssicherheit jedenfalls verbessert werden:

Es bleibt unklar, welche Branchen unter die sog. „kritische digitale Infrastruktur“ fallen. Darüber hinaus ist im Energiebereich ungenügend geklärt, welche Prüfschwelle anzu­wenden ist.

So wären beispielsweise Beteiligungen in den Bereichen „Energie“ und „Energie­ver­sorgung“ ab 25% und bei „Betreibern der kritischen Energieinfrastruktur“ ab 10% ge­nehmigungspflichtig.

Gleiches gilt auch für Arzneimittel, Impfstoffe, Medizinprodukte und persönliche Schutz­ausrüstung. Während die Versorgung, Forschung und Entwicklung im Zusammenhang mit solchen mit 25% gelistet ist, findet sich Forschung und Entwicklung der gleichen Güter ebenfalls im Anhang Teil 1 (10%).“

Darüber hinaus wird dieser Umstand auch von Bundesministerin Gewessler in der Stellungnahme ihres Ressorts zum gegenständlichen Gesetzesentwurf kritisch hinterfragt:

„In der Anlage kommt Energie mehrfach vor:

Als kritische Infrastruktur und als Energieversorgung sowie als Betreiben kritischer Ener­gieinfrastruktur. Da sich daran unterschiedliche Rechtsfolgen knüpfen, insb. im Hinblick auf die Anwendbarkeit der 10 %-Schwelle für die Genehmigungspflicht, stellt sich die Frage, welche Unternehmen unter welchen Begriff fallen. Sind zB Netzbetreiber und Erzeuger als „kritische Infrastruktur“ anzusehen und damit in Teil 2 (Anm: Teil 1 der RV) der Anlage erfasst, reine Händler jedoch als bloße „Versorger“ und damit nur in Teil 1 (Anm.: Teil 2 der RV)?“

Im Sinne einer wirksamen Investitionskontrolle von Übernahmen standortrelevanter bzw. kritischer Schlüsselunternehmen sowie im Sinne der Schaffung von Rechtssicherheit ist daher eine generelle Senkung der Schwelle für eine Genehmigungspflicht auf 10 % für


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 213

alle in Teil 1 und 2 der Anlage zum Investitionskontrollgesetz normierten Bereiche – wie auch im oben zitierten Regierungsprogramm festgeschrieben – umzusetzen.

Darüber hinaus ist die völlig unverständliche Befristung der 10%-Schwelle mit 31. Dezember 2022 für den Bereich „Forschung und Entwicklung im Bereich Arzneimittel, Impfstoffe, Medizinprodukte und persönliche Schutzausrüstung“ aufzuheben.

Völlig zurecht kritisiert die Wirtschaftssprecherin der Grünen Elisabeth Götze diese Befristung, wenn sie in einer Aussendung in diesem Zusammenhang festhält: „Ein Wermutstropfen ist die Befristung der 10 % Schwelle für medizinische Produkte.“

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten daher nachste­hen­den

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage zuzu­leiten, mit der eine Genehmigungspflicht gemäß § 2 Investitionskontrollgesetz für alle in Teil 1 und Teil 2 der Anlage zum Investitionskontrollgesetz aufgelisteten Bereiche mit Erreichen oder Überschreiten eines Mindestanteils an Stimmrechten von 10 % unbe­fristet normiert wird.“

*****


Präsident Ing. Norbert Hofer: Der Antrag ist ausreichend unterstützt, er ist ordnungs­gemäß eingebracht und steht somit auch in Verhandlung.

Zu Wort gelangt nun Peter Haubner. – Bitte, Herr Abgeordneter.


19.12.21

Abgeordneter Peter Haubner (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Minis­terinnen! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Damen und Herren! Die Coronakrise hat uns ganz deutlich gezeigt, dass es wichtige Unternehmen in Schlüsselbereichen gibt, die in Europa und somit auch in Österreich nicht mehr ausreichend vorhanden sind. Aus dieser Erkenntnis heraus haben sich zwei Handlungs­felder ergeben, wobei wir eines an und für sich schon im Regierungsprogramm abge­bil­det haben.

Ein Handlungsfeld war sicher die forcierte Anstrengung, sogenannte Schlüsselunter­nehmen wieder in unsere Regionen zurückzubringen und hier anzusiedeln und sie bei der Ansiedlung auch zu unterstützen. Hierzu hat es in der Vergangenheit im Bereich der medizinischen Forschung schon einige Erfolge gegeben, aber man kann nicht genug tun. Wir brauchen vor allem in den Bereichen Schutzkleidung, medizinische Geräte und Medizintechnik weitere Aktivitäten.

Zum anderen müssen wir auch alles daransetzen, dass uns nicht strategisch agierende Investoren, wie zum Beispiel Fondsgesellschaften oder staatliche Unternehmen aus Ländern außerhalb der EU – vor allem China und die USA –, Schlüsselunternehmen in Industrie und Versorgung abspenstig machen und abkaufen.

Es gibt viele Beispiele in Europa, bei denen Infrastruktur oder Schlüsselunternehmen in eine sogenannte dritte Hand außerhalb der EU gekommen sind. Nehmen Sie zum Beispiel den Hafen von Piräus – ein Containerhafen, der nicht nur für Griechenland, sondern für ganz Europa sehr wichtig ist und mehrheitlich in chinesischer Hand ist. Ein weiteres Beispiel ist das deutsche Technologieunternehmen Kuka, das seit geraumer


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Zeit mehrheitlich ebenfalls in chinesischer Hand ist. Es geht also darum, wichtige Schlüsselunternehmen im Land zu halten beziehungsweise die Versorgungssicherheit, gerade in den Bereichen Gesundheit und Infrastruktur, sicherzustellen.

Jetzt liegt uns daran, dass wir auch in Österreich einiges nachschärfen. Wir haben unter der EU-Ratspräsidentschaft Österreichs im Jahr 2018 einen breiten Konsens dazu erzielt, dass wir einen EU-weiten Rahmen zur besseren Kontrolle von Direktinvestitionen aus Drittstaaten schaffen. Mittlerweile gibt es dazu auch eine EU-Verordnung, die wir bis zum 11. Oktober dieses Jahres umsetzen müssen.

Darum haben wir das Investitionskontrollgesetz heute auf der Tagesordnung. Darin geht es um die präzisere Festlegung der erfassten Sektoren und auch darum, dass wir indirekte Erwerbe erfassen und grundsätzlich weiterhin – Kollege Angerer hat schon darauf hingewiesen – die 25-Prozent-Schwelle erhalten, jedoch eine Absenkung auf 10 Prozent in jenen Bereichen einsetzen, die speziell Wasser, Medizinprodukte, Ener­gie­versorgung, 5G-Netze und die Pharmaindustrie betreffen.

Was wir brauchen, ist einerseits die Erhaltung der hohen Attraktivität des Standortes Österreich für Direktinvestitionen aus dem Ausland, die auch in Zukunft sicherzustellen ist – das ist natürlich ebenfalls ganz wichtig, wir brauchen dieses Kapital und auch die Direktinvestitionen –, wir müssen andererseits aber aufpassen, dass dies nicht mehrheitlich in ausländische Hände führt. Es bedarf da also einer gewissen Ausgewo­genheit. Deshalb haben wir – und das ist ein wesentlicher Punkt, den ich erwähnen möchte – die Kleinstunternehmer mit bis zu zehn Mitarbeitern und bis zu 2 Millionen Euro Jahresumsatz ausgenommen.

Wir brauchen eine Ausgeglichenheit der Maßnahmen, die wir mit diesem Gesetz ge­schaffen haben. Ich danke der Frau Minister für diese Initiative, weil es gerade in dieser Zeit ganz, ganz wichtig ist, dass wir diese Maßnahmen setzen. Unser Credo lautet: Schlüsselunternehmen am Standort halten, damit die Versorgung absichern und die Unternehmen auf diesem Weg unterstützen. – Danke. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

19.17


Präsident Ing. Norbert Hofer: Frau Abgeordnete Doppelbauer, nun gelangen Sie zu Wort. – Bitte schön. (Abg. Matznetter: Der Kampf der Märkte! – Abg. Doppelbauer – auf dem Weg zum Rednerpult –: Yes! Liberale vor!)


19.17.19

Abgeordnete Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer (NEOS): Herr Präsident! Frau Umwelt­ministerin! Frau Wirtschaftsminister! Hohes Haus! Liebe Zuseherinnen! Liebe Zuseher! Ich kann ja meinem Kollegen, meinem Vorredner Abgeordnetem Haubner bei einer Sache zustimmen, nämlich dass man sehr vorsichtig sein muss.

Zum Thema Investitionskontrolle gibt es aus meiner Sicht zwei Sprichwörter, die wir alle kennen. Das eine ist: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.

Das trifft es natürlich bei diesem Thema, weil auch wir nicht wollen, dass es gerade in der Krise zu einem Ausverkauf von systemrelevanten und kritischen Technologien kommt. Das ist natürlich wichtig. Es gibt aber auch noch dieses zweite Sprichwort, das heißt: Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben.

Der vorliegende Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, ist einfach nur von massiver Furcht geprägt. Er ist überbordend, und wir NEOS können da auf keinen Fall mitgehen. Er geht viel zu weit und ist, wie gesagt, überbordend, bürokratisch und legistisch nicht gut gemacht. Lassen Sie mich ausführen, warum!

In der EU-Verordnung steht ganz genau, dass es um den Schutz vor einer kontrol­lie­renden Einflussnahme geht. Jeder, der sich bei Eigentümerverhältnissen auskennt –


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 215

und das sind ja ganz, ganz viele –, weiß, dass dies bei 25 Prozent plus beginnt, und dann gibt es die sogenannte alte Sperrminorität, die wir alle kennen. Sie aber fangen bei 10 Prozent an, und das finden wir überbordend.

Frau Wirtschaftsminister, Sie schreiben dann hinein, dass ein sogenannter „beherr­schender Einfluss“ auf ein österreichisches Zielunternehmen die Genehmigungspflicht auslösen kann. – Das klingt super, es hört sich irgendwie ein bisschen patriotisch an, finde ich, doch was es bedeutet, ist die große Krux dahinter, mit der Sie nicht nur uns Abgeordnete, sondern auch viele Juristen und Branchenexpertinnen- und experten echt ratlos zurücklassen. Sie alle stehen nun da und fragen, was das jetzt eigentlich heißt, was sie damit eigentlich machen sollen. Das schafft de facto Rechtsunsicherheiten für Investoren, und laut Gesetzentwurf sind damit bereits auch die Kleinunternehmen, die gerade einmal zehn Mitarbeiter und 2 Millionen Euro Jahresumsatz haben, erfasst. Das ist schlichtweg massiv übertrieben. Sie wissen ja genauso gut wie ich – und wir haben das im Wirtschaftsministerium besprochen –, dass es darum geht, dass es kein Risiko­kapital in Österreich gibt.

So wird es für diese kleinen Unternehmen noch einmal viel schwieriger und viel büro­kratischer, dass sie einfach zu frischem Geld kommen. Wir bewegen uns in einem Umfeld, wo bereits 76 Prozent, meine Damen und Herren – und das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: 76 Prozent! –, des gesamten Risikokapitals vom Staat kommen. 76 Prozent! Ich muss es einfach noch einmal sagen, weil ich es so unfassbar finde. 76 Prozent kommen vom Staat, und im europäischen Durchschnitt sind es 5 Prozent. Mit dieser Regelung machen Sie es für diese jungen Unternehmen noch einmal viel schwieriger, Kapital zu schaffen und anzuschaffen.

Das Eigenkapital ist – und das wissen Sie genauso gut wie ich – der Treibstoff einer vitalen Wirtschaft, und zwar auch das Eigenkapital aus nicht europäischen Ländern, aus Drittländern; und wenn es da zu Rechtsunsicherheit, zu Bürokratismus und zu Willkür kommt, dann wird sich das Geld einfach andere Wege suchen. Da wird es dann andere Investitionen geben, aber sicher nicht mehr solche in Österreich.

Wenn Sie jetzt glauben, dass wir die Einzigen sind, die kritisieren, dass das so über­bordend ist, dann kann ich Ihnen sagen, das stimmt nicht. Sogar die Wirtschaftskammer hat dem zugestimmt, dass dieses Gesetz überschießend ist.

Weil wir beim Thema frisches Geld für Unternehmen und bei der Wirtschaftskammer sind, lassen Sie mich abschließend noch Folgendes sagen: Wir fordern ja schon seit Langem, dass auch die Wirtschaftskammer Verantwortung übernimmt, Verantwortung für die österreichischen Unternehmerinnen und Unternehmer vor allem jetzt in der Krisenzeit; und wir fordern, dass sie endlich zumindest einen Teil ihrer horrenden Rücklagen von 1,7 Milliarden Euro auflöst. Wir haben seit Kurzem – und das ist sehr schön – in der Grünen Wirtschaft einen Mitstreiter gewonnen, und zwar in Ober­öster­reich. Da haben wir NEOS nämlich gemeinsam mit der Grünen Wirtschaft und anderen im Wirtschaftsparlament Vertretenen einen gemeinsamen Antrag eingebracht, der lautet: „Die Delegierten des Wirtschaftsparlaments der Landeskammer Oberösterreich mögen beschließen, ein Hilfspaket in Höhe von 50 Mio. Euro für alle betroffenen oö. Mitgliedsbetriebe zu schnüren. Die Dotierung soll aus der Auflösung von Rücklagen, der Reduktion von Grund- und Kammerumlagen sowie der Senkung der Hebesätze erfol­gen.“

Wenn man sich das anschaut: Die WKO Oberösterreich hat Rücklagen in der Höhe von 100 Millionen Euro. Umgelegt auf die gesamte Wirtschaftskammer mit 1,7 Milliarden Euro würde das ein Hilfspaket für österreichische UnternehmerInnen und Unternehmen von 850 Millionen Euro bedeuten.

Ich stelle deswegen heute noch folgenden Antrag:


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 216

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Auflösung der WK-Rücklagen gemäß den Vorschlägen der ‚Grünen Wirtschaft‘“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaft wird aufgefordert, die Rück­lagenauflösung der Wirtschaftskammern zu Gunsten der Pflichtmitglieder gemäß den Forderungen der ‚Grünen Wirtschaft‘ voranzutreiben und nötigenfalls eine entsprechende Regierungsvorlage vorzulegen.“

*****

Meine Damen und Herren, ich fordere Sie wirklich dringend auf, dass Sie dem auch nachkommen. Es versteht nämlich wirklich keiner mehr, es verstehen die Unterneh­me­rinnen und Unternehmer nicht mehr, warum sich die Wirtschaftskammer da so aus der Verantwortung zieht, ihrer Verantwortung nicht nachkommt und Geld zur Verfügung stellt – Geld, das ja von den Mitgliedern eingezahlt wurde. Offenbar ist es aber halt im Augenblick gemütlicher, sich ausschließlich auf die Unterstützung durch den Steuer­zahler zu verlassen. – Vielen Dank. (Beifall bei den NEOS.)

19.22

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Auflösung der WK-Rücklagen gemäß den Vorschlägen der "Grünen Wirt­schaft"

eingebracht im Zuge der Debatte in der 45. Sitzung des Nationalrats über den Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über die Regierungsvorlage (240 d.B.): Bundesgesetz, mit dem ein Investitionskontrollgesetz erlassen und das Außen­wirtschaftsgesetz 2011 geändert wird (267 d.B.) - TOP 22

Mit großer Freude hat NEOS vernommen, dass wir bei der Forderung nach der Auf-lösung der Wirtschaftskammerrücklagen mit der "Grünen Wirtschaft" einen Verbündeten gefunden haben. Zuletzt forderte die Vorsitzende der "Grünen Wirtschaft" aufgrund der Corona-Wirtschaftskrise die Auflösung der WK-Rücklagen ("NEOS und Grüne Wirtschaft fordern, dass die Wirtschaftskammer ihre Rücklagen auflöst" (1)), die mittlerweile insge­samt 1,7 Mrd. Euro betragen. Relativ konkret wurde auch die "Grüne Wirtschaft OÖ", die gemeinsam mit den Minderheitsfraktionen (u. a. UNOS) folgende Forderungen gestellt hat und die entsprechenden Anträge im Wirtschaftsparlament der WKOÖ eingebracht hat (2):

"Die Delegierten des Wirtschaftsparlaments der Landeskammer Oberösterreich mögen beschließen,

•             ein Hilfspaket in Höhe von € 50 Mio. für alle betroffenen oö. Mitgliedsbetriebe zu schnüren. Die Dotierung soll aus der Auflösung von Rücklagen, der Reduktion von Grund- und Kammerumlagen sowie der Senkung der Hebesätze erfolgen.

•             das Präsidium und die Direktion der WKOÖ unmittelbar mit der Ausarbeitung von Maßnahmen und der Umsetzung von WKO eigenen Hilfspaketen zu betrauen. Die Abwicklung der Hilfsmaßnahmen hat unbürokratisch, treffsicher und rasch zu erfolgen."


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 217

50 Mio. Euro entsprechen fast der Hälfte der Rücklagen der WKOÖ, die derzeit knapp 100 Mio. Euro Rücklagen bunkert (3). Umgelegt auf sämtliche Wirtschafts-kammern, würde das einem Entlastungsvolumen von 850 Mio. Euro (50% von 1,7 Mrd. Euro) ent­sprechen. Die Entlastung der Pflichtmitglieder muss definitiv am Ab-bau der Rücklagen gemessen werden, denn das was der Wirtschaftsbund OÖ im Wirtschaftsparlament OÖ an Schein-Entlastung beschlossen hat, ist laut "Grüne Wirtschaft OÖ" eine "Mogel­packung" (4).

Quellen:

(1) https://www.finanzen.at/nachrichten/aktien/aufregung-bei-neos-und-gruener-wirtschaft-um-fixkostenzuschuss-1029353179

(2) https://www.gruenewirtschaft.at/2020/05/20/wko-ruecklagen-und-freie-budgetmittel-zur-krisenbewaeltigung-fuer-mitgliedsbetriebe-verwenden/

(3) https://www.gruenewirtschaft.at/2020/06/09/kammer-opposition-fordert-50-mio-euro-covid19-hilfspakt/

(4) https://www.gruenewirtschaft.at/2020/06/10/wirtschaftskammer-beschliesst-heute-50-mio-euro-mogelpaket-des-wirtschaftsbundes/

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaft wird aufgefordert, die Rück­lagenauflösung der Wirtschaftskammern zu Gunsten der Pflichtmitglieder gemäß den Forderungen der "Grünen Wirtschaft" voranzutreiben und nötigenfalls eine ent­sprechen­de Regierungsvorlage vorzulegen."

*****


Präsident Ing. Norbert Hofer: Der Antrag ist ausreichend unterstützt, er ist ordnungs­gemäß eingebracht und er steht auch in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist nun Herr Dr. Christoph Matznetter. – Bitte, Herr Abgeordneter.


19.22.51

Abgeordneter Dr. Christoph Matznetter (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Frau Bundesminister! Wir haben ein nicht so kontroversielles Thema. Die Positionierung der NEOS macht einem deutlich, dass man mit einer Zustimmung da richtig liegt. (Heiterkeit der Abgeordneten Doppelbauer und Scherak. – Abg. Scherak: Nur für dich, Christoph!)

Vielleicht ein bisschen zur Genese: Ein erstes Gesetz in diese Richtung haben wir im Jahr 2011 ausgehandelt, damals war noch Rudi Hundstorfer der Spiegel für Reinhold Mitterlehner. Ich habe die Ehre gehabt, dabei zu sein. In Wahrheit fehlte uns eine ge­setzliche Grundlage, um zu verhindern, dass mit der puren Macht des Einkaufens ein Unternehmen, das im Bereich entscheidender Zukunftstechnologien tätig ist – wir kön­nen heute sagen, was es ist –, nämlich Borealis, also jener Teil der Petrochemie, der nach der Dekarbonisierung noch weitere Bedeutung hat, aus dem Land abgezogen wird. Wir sind damals draufgekommen, wir haben kein Gesetz. Die Deutschen hatten das schon.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 218

Es ist völlig klar, es tut sich auch die ÖVP nicht leicht, eine solche Regelung zu machen, weil die sich ja immer sagen: Hey, die Macht des Eigentums!, und: Wenn einer Geld hat, kann er sich alles kaufen! – So ist es aber nicht, Frau Kollegin. In einer Demokratie muss es Grenzen geben, ab denen Eigentum verpflichtet, und die Politik muss das Primat so weit haben, um die grundsätzlichen Lebens- und Wirtschaftsbeziehungen auch gestalten zu können. Das heißt, dass man jemanden, der einen Betrieb kaufen will, zwingt, zumindest in den Dialog mit der Politik zu treten; und wenn er glaubhaft macht, dass er Investor ist, wird das alles ja kein Problem sein. Wenn sich aber die Motivation als eine Art Raubzugsgedanke herausstellt, sich Technologie und andere Dinge zum Schaden des Landes, aus dem es geholt wird, zu holen, dann muss es eine Stopptaste geben, auf die die Politik drücken kann.

Zweiter Punkt: die Höhe der Prozentsätze. Es ist ja kein Geheimnis, ich hätte, auch aufgrund meiner beruflichen Erfahrung, generell und dauerhaft 10 Prozent für gescheiter gehalten, und ich erkläre Ihnen auch, warum: Das Beispiel Peter Sidlo und Novomatic bei der Casag hätte eigentlich für Sie schon reichen können, Frau Kollegin. Die haben nur 17 Prozent gehabt, haben aber bestimmt, wer im Vorstand sitzt.

Warum ist so eine Macht da? – Das österreichische Gesellschaftsrecht erlaubt jeman­dem, sobald er mehr als 10 Prozent hat, im Prinzip alles zu torpedieren. Er kann mit Sonderprüfungen quälen. Es gibt keinen Squeeze-out, das heißt, man kriegt diesen Gesellschafter nie weg, selbst dann nicht, wenn du ihm alles zahlst, was an Wert da ist. Das bedeutet, die Weitergestaltung des Unternehmens kann entscheidend behindert werden. Wegen alldem zusammen plus den Informationsrechten, die er hat, hielte ich die 10 Prozent generell für gescheiter. Wir stimmen aber zu, weil den NEOS selbst die Regelung, wie sie hier getroffen wurde – mit den Branchen und mit den 25 Prozent –, zu weit geht. Das macht uns sicher, dass es besser ist.

Ein weiterer Grund ist – das darf ich an dieser Stelle sagen –: Die Frau Bundesminister hat völlig im Unterschied zum sonstigen Gehabe der ÖVP-Grünen-Regierung im Vorfeld den Dialog gesucht, teilweise auch vernünftige Vorschläge aufgenommen. Man muss an der Stelle auch würdigen, dass man einen Endpunkt hat, an dem man dem zustimmt. Wir wollen ja auch zu einer kooperativen Tätigkeit motivieren, eher das pure Wir-reden-nicht-und-bringen-es-hier-ein-und-peitschen-es-dann-durch pönalisieren und begrüßen, wenn es einmal anders ist. In diesem Sinne: Kompliment, Sie haben es gescheiter gemacht, Frau Bundesminister. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

19.26


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gemeldet ist nun Frau Dr. Elisabeth Götze. – Bitte, Frau Abgeordnete.


19.26.28

Abgeordnete Dr. Elisabeth Götze (Grüne): Herr Präsident! Werte Ministerinnen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geschätzte Damen und Herren vor Ihren Bildschirmen! Rund 360 Unternehmen hat China in Europa bereits übernommen. Chinesische Unter­nehmen besitzen in Europa beispielsweise mindestens vier Flughäfen, sechs Seehäfen, darunter auch der Athener Hafen in Piräus, Windparks in mindestens neun europäischen Ländern und auch Profifußballmannschaften.

In Österreich gehört chinesischen Eigentümern inzwischen der Skihersteller Atomic, Drei gehört Hutchison mit Sitz in Hongkong, das würde ich inzwischen auch China zuordnen. Der oberösterreichische Luftfahrtzulieferer FACC hat beispielsweise chinesische Beteili­gun­gen, genauso der steirische Motorenhersteller ATB, der Kranhersteller Palfinger, der Wäschekonzern Wolford in Vorarlberg und Diamond Aircraft in Wiener Neustadt.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 219

Es geht hier aber natürlich nicht nur um China. Erst kürzlich haben wir erfahren, dass die österreichische Firma Themis, ein Start-up, gerade einmal zehn Jahre alt und sehr erfolgreich in Bezug auf die Forschung für eine Impfung gegen Corona, vom amerikani­schen Konzern Merck übernommen wurde. Wir wissen, Corona wird die Einkaufstour internationaler Konzerne beschleunigen. Warum interessiert uns das? – Weil der Staat Verantwortung für die Sicherheit und öffentliche Ordnung im Land hat, und dazu gehört auch die Krisen- und Daseinsvorsorge.

Da ist es einerseits relevant, ob betriebliche Entscheidungen in Österreich oder in China oder in irgendeinem anderen Land gefällt werden, aber gleichzeitig – es wurde ange­sprochen – sind schon auch berechtigte Eigentums- und Wachstumsinteressen zu wahren. Daher begrüße ich diese sehr kontroversiellen Statements der diversen Frak­tionen vor mir, weil sie zeigen, dass wir richtig liegen. Sie zeigen, dass wir einen guten Ausgleich geschafft haben. Ich danke Ihnen für das Gespräch, das Sie gesucht haben, und auch dafür, dass wir einen guten Ausgleich geschafft haben, indem wir die Mög­lichkeit geben, zu prüfen – Möglichkeit heißt nicht verbieten, sondern nur zu prüfen –, ob eine Beteiligung eines ausländischen Konzerns wünschenswert ist beziehungsweise erlaubt sein soll oder eben nicht.

Es geht um den beherrschenden Einfluss, der ist relevant, und es wurden zwei Schwel­lenwerte genannt: 25 und 10 Prozent. 10 Prozent gelten dort, wo wir sagen, es ist besonders kritisch, also in maximal kritischen Sektoren, wie zum Beispiel Verteidigungs­güter – ich glaube, da sind wir uns einig –, aber auch Energieinfrastruktur. Da wäre es, glaube ich, wirklich kritisch, wenn wir ausländische Einflussnahme hätten.

Ebenso: digitale Infrastruktur wie beispielsweise 5G und auch medizinische Forschung – ganz wichtig – und auch Wasser, was mich persönlich sehr freut. Also der Mondsee kann nicht so leicht verkauft werden.

Es geht auch nicht nur um den unmittelbaren Erwerb, sondern auch um den mittelbaren. Das war ja immer wieder ein Thema, dass ein Konzern über eine Niederlassung in Europa Käufe getätigt hat. Die mexikanische América Móvil beispielsweise hat sich über eine niederländische Niederlassung an der Telekom Austria beteiligt. Also auch das wird geprüft; geprüft heißt, wie gesagt, noch nicht, dass es unterbunden wird, aber es wird geprüft.

Ausgenommen sind – und auch das finde ich wichtig – Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern und einer Jahresbilanzsumme von unter 2 Millionen Euro. Start-ups fallen unter diese Regelung. Damit sind wir übrigens weiter als Deutschland, in Deutschland gibt es diese Ausnahmeregelung nicht. Also insofern ist das sehr wohl eine wichtige Ausnahme.

Wir alle werden einen Tätigkeitsbericht bekommen, das heißt, wir werden uns im Par­lament mit den Prüfungen, die getätigt wurden, befassen können. Ein breit aufgestelltes Komitee, in dem auch Sie, Frau Ministerin (in Richtung Bundesministerin Gewessler), vertreten sein werden, wird beraten.

Insofern ist das, denke ich, eine gute Regelung. Das Gesetz schützt alle relevanten Be­triebe, und gleichzeitig bleibt Österreich ein attraktiver Wirtschaftsstandort. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

19.31


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zur Abgabe einer Stellungnahme hat sich Frau Bun­desministerin Dr.in Margarete Schramböck zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Bundes­minis­terin.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 220

19.32.03

Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort Dr. Margarete Schramböck: Herr Präsident! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Bitte lassen Sie mich zuerst auf Ihre Stellungnahmen eingehen, weil mich zwei Dinge sehr überrascht haben. Das eine war von Kollegen Abgeordnetem Angerer, der eine Frage an meine Regierungskollegin Gewessler gestellt hat. Ich muss sie da ein bisschen in Schutz nehmen, denn das Gesetz ist bei uns im Wirtschaftsministerium entwickelt worden, und als zuständige Wirtschaftsministerin übernehme ich auch die Verant­wortung dafür; also Fragen gerne auch an uns.

Die zweite Überraschung war für mich, was Rentenrücklagen mit dem Investitions­kon­trollgesetz zu tun haben. Auch da stehe ich für ein Gespräch gerne zur Verfügung, weil ich diesen Zusammenhang nicht so ganz nachvollziehen kann.

Zum Inhalt des Investitionskontrollgesetzes: Es ist ganz wichtig, dass wir einen ausge­glichenen Vorschlag vorgelegt haben; einen ausgeglichenen Vorschlag, der beides ermöglicht: auf der einen Seite ein interessanter Standort für Investitionen zu sein – dafür stehen wir –, aber auf der anderen Seite auch nicht naiv zu sein. Das ist ganz im Trend dessen, wie sich die Sichtweise auch der Europäischen Union in den letzten Wochen und Monaten verändert hat.

Wenn wir uns Übernahmetätigkeiten anschauen, so können wir genau sehen, dass nach der Finanzkrise 2008 und 2009 die Übernahmetätigkeiten aus den USA, aus China, aber auch aus dem arabischen Raum sprunghaft angestiegen sind. Wir erwarten das auch jetzt, und ich kann Ihnen sagen, mein Team bemerkt diese erhöhten Aktivitäten bereits, denn bereits jetzt können wir schon prüfen, nämlich nach dem Außenwirtschaftsgesetz, wie auch schon erwähnt worden ist. Diese jetzige Regelung hat aber einige Nachteile.

Ich möchte in Zukunft vorher wissen, dass ein Unternehmen mit kritischer Infrastruktur oder kritischer Technologie übernommen werden soll – und nicht im Nachhinein aus den Zeitungen erfahren, dass es übernommen wurde; aber so ist es jetzt: Zuerst wird abge­schlossen, dann wird das über die Zeitungen publik gemacht, und dann kommen einige Unternehmen – das ist bereits jetzt so – zum Wirtschaftsministerium zur Prüfung. Es ist wichtig, dass wir von der Ex-post-Prüfung zu einer Ex-ante-Prüfung übergehen, sodass wir das vorher wissen, um auch rechtzeitig während der Due Diligence tätig werden zu können.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist das Thema: der wahre Eigentümer, der dahinter steht. Es ist wichtig – so wie wir das auch bei der Geldwäsche und anderen Themen machen –, auf den wahren Eigentümer zu schauen; nicht nur auf den, der vordringlich vor einem steht, weil er vielleicht ein Headquarter in Europa hat, sondern auf denjenigen, der dieses Unternehmen tatsächlich erwirbt. Das zu wissen ist auch ein gutes Recht.

Der dritte Punkt ist, dass man nach der jetzigen Regelung nur bestrafen oder verbieten kann. Was man nach der Außenwirtschaftsgesetzesregelung nicht kann, ist: Man kann nicht Auflagen erteilen. Es würde oft Sinn machen, Auflagen zu erteilen und so dafür zu sorgen, dass vor allem die Arbeitsplätze in Österreich erhalten bleiben.

Diese drei Punkte waren mir bei diesem Investitionskontrollgesetz besonders wichtig. Sie sind eine Verbesserung gegenüber dem, was wir vorher hatten.

Wir wollen das aber auch mit Maß regeln, und so sind – entgegen dem, was kurz von den NEOS gesagt wurde – Kleinstbetriebe natürlich ausgenommen. Das ist etwas, was Deutschland nicht macht. Das heißt, Kleinstbetriebe mit weniger als zehn Mitarbeitern


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und 2 Millionen Euro sind ausgenommen. Das ist zum Beispiel in Deutschland nicht so, auch in Japan nicht so und auch in den USA nicht so. (Zwischenruf der Abg. Doppelbauer.)

Uns geht es auch um die Reziprozität. Das heißt, es geht darum: Wenn man in den USA oder in Japan investiert, muss man bereits vom ersten Prozentsatz an – in den USA sind es bestimmte Prozentsätze, aber in Japan zum Beispiel vom ersten Prozentsatz an – Meldung machen. Das heißt, so wie wir auf anderen Märkten behandelt werden, wollen wir auch andere behandeln und nicht naiv sein, aber natürlich auch mit der gebotenen Sorgfalt vorgehen.

Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche, ich war in der IT- und Telekombranche und ich habe es miterlebt. Ich habe miterlebt, wie die großen IT-Unternehmen Europas, die nicht in den USA investieren durften, verschwunden sind, weil sie dann mehrere Jahre später, also nur drei, vier Jahre später, selbst von amerikanischen Unternehmen übernommen worden sind.

Das heißt, es ist wichtig, auf unsere Infrastrukturen, auf Energie, auf Wasser und auf die Bahn, zu schauen. Und ja, ich möchte es wissen, wenn jemand mit 10 Prozent, mit dieser Hürde, bei einem österreichischen produzierenden Unternehmen, im Bahnbereich, im Bereich Telekom einsteigt. Es ist wichtig, dass wir das wissen, damit wir uns auch vorbereiten können. Das sind die Kriterien, die ganz, ganz genau festgelegt sind.

Auch das Thema, das Sie erwähnt haben – was ein beherrschender Einfluss ist –, ist ganz klar geregelt, das gibt es auch heute schon. Was sind die Kriterien? – Zum Beispiel Konsortialverträge, die beherrschende Einflüsse regeln. Auch das ist relativ gesichert, denn wir kennen das auch schon aus der Vergangenheit.

Mir ist es wichtig, dass wir damit etwas schaffen, das für den Standort in Österreich, aber auch für den in Europa gut ist, und es ist nicht gut, wenn wir alle unsere Unternehmen gerade im Hightechbereich einfach ungeschützt lassen, wenn rund um uns herum ent­sprechende Regelungen geschaffen werden. Die Regelungen gibt es seit dem vergan­genen Sommer auch in Deutschland; sie sind strenger als die österreichischen Rege­lungen. Es ist, glaube ich, wichtig und richtig, dass wir da etwas sehr Ausgewogenes gefunden haben. – Ich danke Ihnen für die Unterstützung. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

19.38


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Abgeord­neter Erwin Angerer zu Wort gemeldet. Sie kennen die Bestimmungen der Geschäfts­ordnung, Herr Abgeordneter. – Bitte schön.


19.38.28

Abgeordneter Erwin Angerer (FPÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Frau Minister Schramböck hat in ihrer Einleitung gemeint, dass ich mich in meiner Rede darauf bezo­gen hätte, dass das Gesetz aus dem Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität und Innovation gekommen wäre und Frau Gewessler das Gesetz geschrieben hätte. – Das ist nicht richtig.

Das ist mir klar, dass das Gesetz aus Ihrem Ressort kommt. Ich habe mich in meiner Rede darauf bezogen, dass Frau Gewessler dieses Gesetz kritisiert hat, und ich zitiere aus der Stellungnahme von Frau Gewessler:

„In der Anlage kommt Energie mehrfach vor: Als kritische Infrastruktur und als Energie­versorgung [...] als Betreiben kritischer Energieinfrastruktur [...] Da sich daran unter­schiedliche Rechtsfolgen knüpfen, insb. im Hinblick auf die Anwendbarkeit der 10 %-


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Schwelle für die Genehmigungspflicht, stellt sich die Frage, welche Unternehmen unter welchen Begriff fallen. Sind zB Netzbetreiber und Erzeuger als ,kritische Infrastruktur‘ anzusehen und damit in Teil 2“ – Annahme Teil 1 der Rechtsvorschrift – „der Anlage erfasst, reine Händler jedoch als bloße ,Versorger‘ und damit nur in Teil 1“ – Annahme Teil 2 der Rechtsvorschrift –„?“

Darauf habe ich mich bezogen. – Danke.

19.39


Präsident Ing. Norbert Hofer: Abgeordneter Andreas Ottenschläger ist nun zu Wort gemeldet. – Herr Abgeordneter, bitte schön.


19.39.57

Abgeordneter Andreas Ottenschläger (ÖVP): Herr Präsident! Geschätzte Ministerin­nen! Ich glaube, die Intention ist klar, auch Frau Bundesministerin Gewessler will, dass die kritische Infrastruktur geschützt wird, insbesondere natürlich auch im Energiebereich.

Lassen Sie mich aber noch auf einen Aspekt eingehen – ich finde es sehr interessant, ihn zu diskutieren –: Das Gesetz ist jetzt schon in vielerlei Hinsicht beleuchtet worden, und Frau Kollegin Doppelbauer hat hier berechtigterweise die Diskussion oder das Nachdenken über das Eigenkapital und das Risikokapital sozusagen angeregt. Es ist tatsächlich so, dass wir da in Österreich bei der Entwicklung noch Luft nach oben haben – wir diskutieren das ja auch. Es gibt da Vorbereitungen, die auch schon ange­kündigt sind, dass wir Eigenkapitalbildung in Österreich attraktivieren wollen und damit die Wirtschaft nachhaltig stärken wollen; deswegen war es ja auch so wichtig, dass betreffend Kleinstunternehmen inklusive Start-ups kein direktes Verbot kommt, sondern dass wir in diesem Bereich, sozusagen bei den Gründern, sehr offen bleiben.

Ich glaube, Sie werden mir recht geben: Es ist ein bisschen Schwarzmalerei, was Sie hier betrieben haben, denn natürlich sind die Hauptinvestitionen, die hier getätigt wer­den, entweder direkt aus Österreich oder aus EU-Staaten. Das Einzige, wo wir ein bisschen aufpassen müssen, ist – das haben wir im Ausschuss auch schon be­sprochen –, dass wir die Briten in diesem Zusammenhang nicht verlieren. Da wird es daran liegen, dass man nach dem Austritt – wann auch immer dieser erfolgt – zügig zu einer Ver­einbarung kommt, denn dort gibt es viele Fonds, die für unsere Start-ups und Gründer interessant sind.

In Summe ist das Paket, das vorliegt, glaube ich, ausgewogen, richtig für die kritische Infrastruktur in vielen Bereichen, zum Schutz des Standortes auch für viele strategisch wichtige Betriebe. Ich denke, den Punkt betreffend Eigenkapital und Risikokapital werden wir an dieser Stelle sicher weiterhin diskutieren. Ich bin überzeugt davon, dass die Frau Bundesministerin dieses Thema auch weiter vorantreibt. In diesem Sinne sind wir auch da, denke ich, auf einem guten Weg. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

19.42


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu einer Stellungnahme hat sich Frau Bundesministerin Leonore Gewessler zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Bundesministerin.


19.42.15

Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie Leonore Gewessler, BA: Ganz kurz, weil ich, wenn über mich geredet wird, gerne auch mitrede.

Ich habe jetzt kurz nachgezählt: Auf der ersten Seite unserer Stellungnahme kommt vier Mal vor, dass wir dieses Gesetz begrüßen. Es gab ein paar Anregungen. Ich freue mich, wenn das Hohe Haus diesem Gesetz, das ein gutes ist, das das BMK umfassend


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begrüßt, in guter, in gewohnt guter Zusammenarbeit zustimmt. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

19.42


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt nun Frau Abgeordnete Mag. Carmen Jeitler-Cincelli. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.


19.42.47

Abgeordnete Mag. Carmen Jeitler-Cincelli, BA (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Frauen Ministerinnen! Hohes Haus! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Ich darf jetzt als letzte Debattenrednerin kurz zusammenfassen, worum es geht.

Worum geht es hier? – Wir werden jetzt das Investitionskontrollgesetz beschließen. Es geht um ein Schutzinstrument, das wir hier gemeinsam beschließen wollen, um Inves­toren aus dem Ausland einer intensiven Prüfung zu unterziehen – im Endeffekt gibt es das weltweit. Wir wollen wissen, wer wirklich hinter einer Unternehmung, die bei uns investieren wird, steht.

Wofür brauchen wir das? – Wir erleben in weiten Teilen der Welt, wie Stück für Stück die Heimat verkauft wird, wie sich manche Länder einer Art Neokolonialismus unter­werfen; da wird plötzlich ganz, ganz vieles ins Ausland verkauft, beispielsweise am Westbalkan erleben wir das tagtäglich. Plötzlich ist die Infrastruktur weg, plötzlich werden Häfen, Flughäfen, Schnellstraßen gebaut und sind dann in chinesischer, in saudi-arabischer oder in russischer Hand. Ein heute oft zitiertes Beispiel ist der Hafen von Piräus, der auch als das chinesische Einfallstor nach Europa bezeichnet wird.

Es geht dabei um viel, viel mehr als nur um den Verlust von Unabhängigkeit, es geht um Identität und allem voran um Sicherheit. Und ich denke, in diesem Punkt sind wir uns einig: Keiner will, dass Österreich an das Ausland verkauft wird, und daher beschließen wir dieses Gesetz.

In unserer heutigen Diskussion geht es eigentlich um die Maßnahmen. Wir alle wollen ja dasselbe, es geht nur um die Maßnahmen, um die Frage, in welcher Detailliertheit diese gestaltet sind. Ich fand das ganz lustig, Kollegin Doppelbauer, weil das fast etwas Kabarettistisches an sich hat: So wie Frau Blimlinger am Schluss immer sagt: „Im Übrigen bin ich der Meinung“, kommt dann der Satz: Im Übrigen sind die NEOS der Meinung, dass die Kammerumlagen aufgelöst gehören. (Abg. Doppelbauer: Ja, ab­solut! Genau jetzt!) – Das hat mit dieser Sache, glaube ich, nicht viel zu tun, aber vielleicht hängen Sie es auch einfach an jede Rede hinten dran. (Abg. Scherak: Sollte man eigentlich machen!)

Ich glaube, die NEOS sehen einen Eingriff in das Eigentumsrecht, die SPÖ und die FPÖ fordern härtere, restriktivere Maßnahmen. Wir wollen einen Mittelweg gehen, einen Mittelweg, von dem wir glauben, dass er gut ist, der Weg der Mitte. Wir wollen den Standort aktiv für Investoren interessant halten, weiterhin konkurrenzfähig sein, also eine Gratwanderung, keine überschießenden Maßnahmen, um Österreich gegen Fremdüber­nahmen abzusichern.

Die Devise lautet also: Kontrolle mit Maß und Ziel, sodass kein Ausverkauf unseres Landes stattfindet. – Danke sehr. (Beifall bei der ÖVP sowie des Abg. Jakob Schwarz.)

19.45


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wünscht die Frau Berichterstatterin ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.


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Wie vereinbart verlege ich die Abstimmungen an den Schluss der Verhandlungen über die Vorlagen des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie und fahre in der Erledigung der Tagesordnung fort.

19.45.3123. Punkt

Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über die Regie­rungsvorlage (106 d.B.): Bundesgesetz, mit dem die Gewerbeordnung 1994 geän­dert wird (Geldwäschenovelle 2020) (277 d.B.)

24. Punkt

Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über die Regie­rungs­vorlage (107 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Wirtschaftstreuhand­berufs­gesetz 2017 geändert wird (278 d.B.)

25. Punkt

Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über die Regie­rungs­vorlage (109 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Bilanzbuchhaltungs­ge­setz 2014 geändert wird (279 d.B.)


Präsident Ing. Norbert Hofer: Wir gelangen zu den Punkten 23 bis 25 der Tages­ordnung, über welche die Debatten unter einem durchgeführt werden.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gelangt nun Herr Abgeordneter Christoph Stark. – Bitte, Herr Abgeordneter.


19.46.10

Abgeordneter Christoph Stark (ÖVP): Herr Präsident! Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Werte Damen und Herren! Erlauben Sie mir, bevor ich auf die Geldwäschenovelle eingehe, eine kurze persönliche Vorbemerkung!

Wir erleben ja dieses Hohe Haus in unterschiedlichen Ausprägungen, manchmal mit spannenden Debatten, manchmal plätschert die Diskussion etwas dahin. Heute habe ich persönlich eine Debatte erlebt, die mich sehr berührt hat, weil sie gezeigt hat, dass es in manchen Dingen einen sehr breiten gesellschaftlichen Konsens gibt und sich nur eine Partei aus parteipolitischen Überlegungen gegen diesen Konsens stellt. Ich empfehle allen, die diese Debatte versäumt haben, vor allem den Damen und Herren zu Hause, diese Debatte in der TVthek nachzusehen – sie zeigt ein gutes Bild unserer Gesellschaft, sie zeigt aber auch, was Demokratie sein kann.

Weniger bedeutungsschwer ist vielleicht die Bestimmung zur Geldwäsche, man mag das so empfinden, auch in der jetzigen Diskussion. Es geht um eine Stabilisierung unseres Rechtsstaates und darum, was das Parlament dazu beitragen kann. Es geht da um einen kleinen, aber sehr wichtigen Beitrag auch zur Rechtssicherheit in unserem Lande, denn Geldwäsche dient ja in allen Formen der Kriminalität und dem Terrorismus. Geldwäsche ist einfach ein krimineller Akt, der in allen Facetten bekämpft werden muss.

Wir alle genießen ein schönes digitales Leben, in dem vieles sehr einfach ist und vieles machbar ist, aber genau dieser Einfachheit bedient sich auch die Kriminalität in Form der Geldwäsche, und genau da greift nun die Novelle zur Geldwäsche ein. Wir sind uns bewusst, dass die staatlichen Mechanismen der organisierten Kriminalität immer ein wenig hinterherhinken, das ist systemimmanent, und darum ist es wichtig, dass wir heute


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einen weiteren Schritt setzen, um dieser Bewegung wirkungsvoll entgegenwirken zu können.

Ich möchte vier Punkte erwähnen, die in diesem Zusammenhang wichtig sind. Erstens: Es braucht im Kampf gegen die Geldwäsche die gesetzlichen Grundlagen, um die wir uns heute hier kümmern. Zweitens: Es braucht aber auch für die ermittelnden Behörden die technische Ausstattung, um da wirkungsvoll agieren zu können. Es braucht – drittens – motivierte und topausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Ermittlungsbehörden, die sich um dieses Thema kümmern. Und es braucht – viertens – die Justiz, die strafrechtlich relevantes Verhalten aus den Gesichtspunkten der Spezial- und Generalprävention verfolgen und sanktionieren kann.

Der Geldwäschebericht 2019 zeigt, dass die Ermittlungsbehörden in Österreich ganze Arbeit geleistet haben. Ich darf mich hier namens aller Beteiligten bei den handelnden Personen bedanken.

Es muss aber auch klar sein, dass Geldwäsche unser Wirtschaftssystem aushöhlt und immer Kriminalität finanziert. Jetzt wird man sich denken: Na ja, in Österreich passiert das ja nicht, in Österreich kommt das ja nicht vor! Wer betreibt in Österreich schon Geld­wäsche? – Meine Damen und Herren, dem ist nicht so, denn der Geldwäschebericht 2019 zeigt, es gab im vorigen Jahr, 2019, 3 073 Verdachtsfälle – 3 073 Verdachtsfälle! –, die bisher, und wir sind noch nicht fertig, zu 63 Verurteilungen geführt haben.

Es ist also nicht so, dass Geldwäsche nicht vorhanden wäre, und wie gesagt, die Ver­dachtsfälle zeigen, dass man da sehr vorsichtig und sehr behutsam sein und in allen behördlichen Verfahren sensibel bleiben muss. (Beifall bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen.)

Meine Damen und Herren, ich glaube, das ist eine Konsensmaterie, und ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung zur vorliegenden Novelle. Sie ist ein guter Beitrag für die öster­reichische Sicherheit und den österreichischen Rechtsstaat. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

19.50


Präsident Ing. Norbert Hofer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Maximilian Lercher. – Bitte, Herr Abgeordneter.


19.50.36

Abgeordneter Maximilian Lercher (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Minis­terin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Der Vorredner hat es schon erwähnt, das ist eine Konsensmaterie. Auch wir sind sehr froh, dass die 5. Geldwäscherichtlinie von der Europäischen Union jetzt so gekommen ist. Es ist wichtig im Sinne einer effektiven Tourismus- -, nein, Terrorismusbekämpfung (Heiterkeit und Zwischenruf bei den Grü­nen) und auch im Sinne der Vermeidung von Steuerhinterziehung. – Es ist halt schon ein bisschen später, geschätzter Kollege, aber im Sinne der Zeiteffizienz werde ich mich jetzt bemühen, mich kurz zu halten. Wir sind auch dafür und wir werden zustimmen.

Was ich gerne noch erwähnen möchte, ist Folgendes: Am 11. Dezember 2019 haben wir im EU-Hauptausschuss mit den Stimmen aller Parteien beschlossen, dass Groß­konzerne ihre Steuerdaten offenlegen müssen und die Regierung das in Brüssel auch nicht mehr länger blockiert.

Sehr verehrte Frau Ministerin! Es ist, glaube ich, wichtig, dass Österreich in der europa­politischen Agenda auch ein Augenmerk darauf legt, Chancengleichheit herzustellen. Um diese Chancengleichheit herzustellen, brauchen wir die Europäische Union. Das be­deutet vor allem auch, dass für Großkonzerne, die bis dato die Möglichkeit haben, ihre


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Gewinne zu verschieben, der Spielraum so eingeengt wird, dass tatsächlich auch ein wirklicher Wettbewerb, ein fairer Wettbewerb möglich ist.

Die Sozialdemokratie ist immer daran interessiert, dass Ungerechtigkeit beseitigt wird. Das ist letztlich auch eine Systemfrage, und diese Systemfrage muss man auf der europäischen Ebene diskutieren, damit eben auch Gerechtigkeit geschaffen werden kann. Da sehen wir schon Aufholbedarf und hoffen auch sehr stark auf die grüne Fraktion, dass sie in der Koalition darauf achtgibt, dass die zuständigen Minister, allen voran der Finanzminister, da nicht weiter blockieren, sondern dem Parlamentsbeschluss auch entsprechen und das so umsetzen. – In diesem Sinne: Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

19.52


Präsident Ing. Norbert Hofer: Frau Abgeordnete Mag. Nina Tomaselli gelangt zu Wort. – Bitte, Frau Abgeordnete.


19.52.53

Abgeordnete Mag. Nina Tomaselli (Grüne): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Minis­terin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Lercher hat es gerade richtig gesagt: Bei der Umsetzung dieser Richtlinie haben wir es mit einer Konsensmaterie zu tun. Es ist aber, glaube ich, trotzdem wichtig – weil es auch das erste Mal in dieser Legislatur­pe­riode ist, dass wir über Geldwäsche sprechen –, dass wir einen etwas größeren Bogen spannen.

Ich möchte dezidiert auch im Jahre 2016 beginnen – denn das ist eben noch nicht sehr, sehr lange her –: Damals hat Österreich von der FATF, der internationalen Geldwäsche­behörde, die bei der OECD angesiedelt ist, einen – sagen wir einmal – Blauen Brief be­kommen, und es war damals ein riesiger diplomatischer Akt notwendig, damit Österreich eben nicht auf der Schmuddelliste oder Schwarzen Liste landet.

Seither ist viel passiert, aber dennoch nochmals ein kurzer Zwischenbericht – wir haben das herausgesucht –: Nach dem Basel-AML-Index lagen wir 2019 unter den EU-27 sogar nur auf Platz 21. Seither ist einiges passiert, insbesondere weil wir jetzt ja die Geldwäscherichtlinie umsetzen. Diese Thematik muss uns in diesem Haus aber wirklich wichtig sein, da müssen wir noch dranbleiben – dazu komme ich gleich –, denn es kann natürlich nicht sein, dass sich Einzelne Geld aus unmoralischen Quellen herausnehmen, insbesondere wenn es um menschenunwürdige Verbrechen, aber auch um Steuer­hinterziehung geht, sich um die gemeinschaftlichen Kassen herum dieses Geld nehmen und es dann waschen – und der Gesetzgeber oder die Gesetzgeberin schaut dann auch noch weg. (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Stark.)

Der Geldwäschebericht wurde bereits erwähnt. Er ist ja erst kürzlich vorgestellt worden. Wir sehen es positiv, dass laut diesem Geldwäschebericht die Zahl der Geldwäsche­ver­dachtsmeldungen doch um 12 Prozent gestiegen ist; das heißt also, die Awareness draußen ist deutlich höher. Was uns aber – und da müssen wir schon auch genau hinschauen – nachdenklich stimmt, ist, dass die allermeisten, nämlich 97 Prozent, der 2 900 Geldwäscheverdachtsmeldungen von Banken kommen. Das heißt ja nichts ande­res, als dass es bei nur 3 Prozent andere sind – das sind eben die Notarinnen und Notare, die Rechtsanwälte, die Versicherungen oder die Glücksspieleinrichtungen –, und das ist wirklich verdammt wenig. Es ist irgendwie, würde ich einmal sagen, auch realistisch nicht nachvollziehbar, und es ist natürlich wesentlich, dass wir das Augenmerk darauf richten, denn es kann ja auch nicht sein, dass irgendjemand im 1. Bezirk zum Juwelier geht, 1 Million Euro hinlegt, einen Diamantring mitnimmt – und keine Geld­wäsche­verdachtsmeldung erfolgt. Genauso können wir nicht von der Hand weisen, dass


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natürlich auch Immobilien zur Geldwäsche verwendet werden, auch in Österreich, oder eben – wie zuletzt – Briefkastenfirmen; die sind aufgetaucht.

Nochmals mein Appell: Man kann nicht einfach wegsehen, wenn Gelder aus solchen schwindligen Quellen kommen und einfach so gewaschen werden.

Es stellt sich aber die Frage: Wieso sind es so wenige Verdachtsmeldungen? – Es könnte vielleicht schon auch sein, gerade wenn ich nochmals auf die Berufsgruppen der Notarinnen und Notare, Rechtsanwälte, ImmobilienmaklerInnen oder aus der Versiche­rungs­branche zurückkomme, dass es mit dem System der Selbstkontrolle dort zu tun hat. Ich habe es gestern schon erwähnt: Spätestens mit der Wirecard-Pleite sind wir schmerzlich daran erinnert worden, dass die Selbstkontrolle eben nicht immer funktio­niert und dass die Selbstaufsicht, gerade was das anbelangt, eben auch überholt ist. – Das ist das eine.

Das Nächste ist: Was wir uns auch wünschen würden, ist, dass wir uns sehr stark auch auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass die Geldwäsche beendet wird – denn der einzelne Nationalstaat kann seine Hausaufgaben machen, aber am Ende des Tages, das wissen wir alle, ist Geldwäsche ein Geschäft mit internationalen Verstrickungen.

Abschließend möchte ich noch sagen, indem ich wieder zum Anfang zurückkomme: Die FATF hat 2016 einen wirklich sehr, sehr negativen Bericht über Österreich erstattet beziehungsweise eine sehr, sehr negative Bewertung Österreichs vorgenommen. Wir wissen jetzt aber, dass ein Follow-up ansteht. Wir wissen auch, dass Österreich mittlerweile, und darüber bin ich sehr froh, die allermeisten Empfehlungen der FATF umsetzt. Dennoch sind wir gespannt, was für ein Ergebnis kommt. Es gibt noch min­destens vier Empfehlungen, die wir in Österreich umsetzen sollten. Da sind wir Grüne die allerersten Partner in der ersten Reihe, wenn es dann so weit ist. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

19.58


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Laurenz Pöttinger. – Bitte schön.


19.58.46

Abgeordneter Laurenz Pöttinger (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Die Novellierung des Wirtschaftstreuhandberufsgesetzes ist aufgrund der 5. Geldwäsche­richtlinie erforderlich. Die wesentlichen Neuerungen sind: die verstärkten Sorgfalts­pflich­ten im Zusammenhang mit Drittländern mit hohem Risiko, die Einführung neuer Bestim­mungen für Unternehmensgruppen, der verbesserte Schutz von Hinweisgebern, die Geldwäscheverdachtsmeldungen erstatten, die Verordnungsermächtigung für die Kam­mer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer – in dieser Verordnung hat die Kammer festzulegen, unter welchen Voraussetzungen eine Onlineidentifikation möglich ist –, und auch die Ermöglichung der Kammerwahlen auf elektronischem Weg und eine Bestellung von Kanzleikuratoren für Gesellschaften sind in dieser Novelle mitverankert.

Eine Novellierung des Bilanzbuchhaltungsgesetzes ist ebenfalls in diese Richtlinie hineingepackt, da sind die wesentlichen Neuerungen, die ersten beiden Punkte – ver­stärkte Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit Drittländern und besserer Schutz von Hinweisgebern – ident mit dem vorher Genannten; sie enthält auch – das ist besonders auf Covid-19 bezogen – eine gesetzliche Klarstellung, dass Bilanzbuchhalter bei Durch­führung der Kontrollen nach dem COVID-19-Förderprüfungsgesetz auch vertreten dürfen, und die Verordnungsermächtigung für die WKO als zuständige Behörde. In die­ser Verordnung hat die Behörde festzulegen, unter welchen Voraussetzungen eine Online­identifikation möglich ist.


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Ein zusätzlicher, sehr erfreulicher Punkt, den wir heute hier mitbeschließen, ist die Möglichkeit für all jene Personen, die die Meisterprüfung abgelegt haben, den Titel Meisterin oder Meister gleich einem akademischen Grad auch in Ausweisen und Urkun­den zu führen. Das ist aus meiner Sicht ein ganz starkes Zeichen der Wertschätzung unserer Handwerkerinnen und Handwerker. Wir haben in Österreich Handwerk mit Weltruf, und das ist ein sichtbares Zeichen nach außen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

20.01


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wird seitens der Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Wie vereinbart verlege ich die Abstimmungen an den Schluss der Verhandlungen über die Vorlagen des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie und fahre in der Erledigung der Tagesordnung fort.

20.01.5126. Punkt

Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über den An­trag 621/A(E) der Abgeordneten Martina Kaufmann, MMSc BA, Süleyman Zorba, Kolleginnen und Kollegen betreffend die Sicherung der betrieblichen und über­betrieblichen Lehrlingsausbildung in Österreich vor Auswirkungen der Covid-19-Krise in Bezug auf den Lehrstellenmarkt (280 d.B.)


Präsident Ing. Norbert Hofer: Wir gelangen zum 26. Punkt der Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gemeldet ist nun Herr Abgeordneter Klaus Köchl. – Bitte schön.


20.02.21

Abgeordneter Klaus Köchl (SPÖ): Herr Präsident! Geschätzte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute ab 15 Uhr schon länger über Lehrlinge geredet, und ich glaube, alle im Haus waren einer Meinung, dass da etwas passieren sollte und muss. Ich glaube, dass die Lehrlinge aus unserer Gesellschaft einfach nicht wegzudenken sind. Die Jugend ist unsere Zukunft und auch in Zukunft wird die Jugend das Land prägen. Um das Land positiv zu prägen, muss jeder Einzelne auch eine Perspektive haben – das ist, denke ich, ganz, ganz wichtig –, denn was passiert, wenn ein junger Mensch keine Perspektiven hat? – Es gehen viel Kraft und Energie verloren – Tatkraft; genau das braucht aber unser Land in Zukunft.

Frau Minister, ich denke, dass wir wirklich Taten setzen müssen. Es kann ja wirklich nicht Ihr Ernst sein, dass die Regierung die Jugend ohne Perspektiven lässt, dass es keine Motivation mehr gibt. Ich glaube, das Schlimmste ist, wenn man lernen will, aber keine Lehrstelle bekommt, nicht arbeiten darf. Dann gibt es keine Zuversicht. Solche Bilder können nicht schön sein, und daher ersuche ich die Bundesregierung wirklich, so aufzutreten, dass es ganz einfach passt. Wenn ich diesen Antrag hernehme, den der Nationalrat an die Regierung richtet, nämlich dass geprüft werden soll, ob man Lehr­betriebe so unterstützen kann, dann muss ich sagen, ich glaube, dass das einfach nicht passt.

Wir von der SPÖ haben uns darüber Gedanken gemacht und fordern – wenn es weniger Lehrstellen gibt –: Bitte baut die überbetrieblichen Lehrstellen aus! Ich glaube, das ist ganz, ganz wesentlich, denn andernfalls wird es – laut AK – statt 8,4 Prozent 15 Prozent arbeitslose Jugendliche geben, und das kann auch nicht in Ihrem Sinn sein.


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Ich darf deshalb folgenden Entschließungsantrag einbringen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Christoph Matznetter, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Lehr­lingsgarantie in Zeiten von Corona“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat ein umfassendes Lehrlings­paket vorzulegen, das allen Jugendlichen, die im Herbst eine Lehre starten möchten und in der Wirtschaft aufgrund der Corona-Krise keinen Platz finden, einen entsprechenden Lehrplatz – in Kooperation mit den Ländern – in überbetrieblichen Lehrwerkstätten bzw. direkt bei der öffentlichen Hand garantiert.“

*****

(Beifall bei der SPÖ.)

20.04

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Christoph Matznetter, Klaus Köchl

Genossinnen und Genossen

betreffend Lehrlingsgarantie in Zeiten von Corona

eingebracht im Zuge der Debatte zu TOP 26 Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über den Antrag 621/A(E) der Abgeordneten Martina Kaufmann, MMSc BA, Süleyman Zorba, Kolleginnen und Kollegen betreffend die Sicherung der betrieblichen und überbetrieblichen Lehrlingsausbildung in Österreich vor Auswirkungen der Covid-19-Krise in Bezug auf den Lehrstellenmarkt (280 d.B.)

Wir befinden uns am Beginn der größten Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren. Die Auswirkungen am heimischen Arbeitsmarkt – auch aufgrund der katastrophalen Regie­rungsperformance in Österreich - sind schon jetzt dramatisch. Die Zahl der arbeitslosen Menschen in Österreich ist binnen weniger Wochen um rund 200.000 gestiegen. 1,2 Millionen Menschen befinden sich in Kurzarbeit. Ob alle davon in den Arbeitsmarkt zurückkehren können, bleibt zu bezweifeln.

Besonders betroffen sind schon heute die jungen Menschen in unserem Land: Bei jenen unter 25 hat sich die Arbeitslosigkeit mehr als verdoppelt. Und der nächste harte Schlag wartet schon: tausende Jugendliche werden unter den jetzigen Voraussetzungen im September keine Lehre beginnen können.

Was ist das Problem?

Durch den weltweiten Wirtschaftseinbruch und damit verbundenen Nachfrageeinbruch fahren die Unternehmen nicht nur die Produktion zurück, sie stellen sich auch auf einen geringeren Absatz ein – somit halten sich Unternehmen auch mit der Neuanstellung von Lehrlingen zurück. Viele Unternehmen verhängen aufgrund der unsicheren Lage einen Aufnahmestopp. ExpertInnen gehen davon aus, dass im Herbst zwischen 7.000 und 8.000 Lehrstellen fehlen werden.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 230

Die geplanten Maßnahmen der Regierung reihen sich in die schon getroffenen Maß­nahmen ein: Plakative Überschriften statt echter Hilfe. Auch hier gilt: Die Regierung will das Problem nicht lösen, sie will es wegkommunizieren. Der Lehrstellenmangel wird nicht behoben, er wird von Seiten der Regierung geleugnet werden.

Was haben wir also zu tun?

Die Regierung muss allen betroffenen Jugendlichen, die in der Wirtschaft nicht unter­kommen, einen entsprechen Lehrplatz anbieten - entweder in einer überbetrieblichen Lehrwerkstatt oder direkt beim Bund.

Dafür ist eine entsprechende Aufstockung der Lehrstellen im Bund bzw. in den über­betrieblichen Lehrwerkstätten notwendig.

Die Ausbildungsgarantie bis 25 muss wiedereingeführt werden.

2019 ist die Ausbildungsgarantie ausgelaufen, weil schwarz/blau sie nicht mehr budge­tiert hat. Sie muss wieder aktiviert werden.

Wir alle wissen, wer nur über einen Pflichtschulabschluss verfügt, ist vergleichsweise öfter von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Ausbildungsgarantie bis 25 qualifiziert junge Menschen für den Arbeitsmarkt und schützt sie am besten davor, keine Arbeit zu finden. Für die jungen Menschen in diesem Land ist es daher immens wichtig, die Aus­bil­dungs­garantie wiedereinzuführen.

Halbierung der Lehrlingsentschädigung für über 19-jährige zurücknehmen

Unter schwarz-blau wurden die Lehrlingsentschädigungen – in den überbetrieblichen Lehrwerkstätten – für ältere Lehrlinge halbiert. Diese Halbierung muss die Regierung sofort zurücknehmen.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat ein umfassendes Lehr­lings­paket vorzulegen, das allen Jugendlichen, die im Herbst eine Lehre starten möchten und in der Wirtschaft aufgrund der Corona-Krise keinen Platz finden, einen entsprechenden Lehrplatz – in Kooperation mit den Ländern – in überbetrieblichen Lehrwerkstätten bzw. direkt bei der öffentlichen Hand garantiert.“

*****


Präsident Ing. Norbert Hofer: Der Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt, ordnungsgemäß eingebracht und steht somit auch in Verhandlung.

Zu Wort gelangt nun Frau Kollegin Martina Kaufmann. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.


20.05.05

Abgeordnete Martina Kaufmann, MMSc BA (ÖVP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor allem aber: Liebe Frau Bundesministerin! Es ist dank all der Bemü­hungen in den letzten zwei Jahren wirklich gelungen, die Lehre aufzuwerten, nämlich so aufzuwerten, dass wir heute sogar im Rahmen eines Dringlichen Antrags sehr lange über dieses wichtige, vor allem auch aktuell gerade sehr, sehr wichtige Thema reden.

Kollege Zorba und ich haben vor einigen Wochen diesen Antrag eingebracht, weil uns zum damaligen Zeitpunkt schon klar war, dass wir etwas tun müssen. Wir müssen den


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 231

Unternehmerinnen und Unternehmern Mut machen, dass sie trotz der schwierigen und herausfordernden Zeiten, die hinter uns und in manchen Bereichen wahrscheinlich auch noch vor uns liegen, Lehrplätze zur Verfügung stellen, damit junge Menschen in Öster­reich die Möglichkeit bekommen, eine gute, qualitative Ausbildung in unseren Betrieben zu genießen.

Warum ist das wichtig? – Das ist wichtig, weil wir in drei beziehungsweise vier Jahren diese gut ausgebildeten Fachkräfte brauchen werden. Wir brauchen sie, damit die jewei­ligen Unternehmen den Kundinnen und Kunden weiterhin gute Qualität anbieten können.

Ja, es wird in einzelnen Bereichen notwendig sein, Jugendlichen auch außerhalb der Betriebe eine Ausbildung zur Verfügung zu stellen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das zu tun. Die Taskforce der Arbeitsministerin und der Wirtschaftsministerin wird dafür Sorge tragen, dass punktuell genau dort, wo es diesen Bedarf gibt, die richtige Maß­nahme gesetzt wird. Das kann zum einen eine Arbeitsstiftung sein, durch die man direkt im Betrieb eine Ausbildung macht, aber durch zusätzliche Schulungen außerhalb Unter­stützung bekommt. Das kann eine schulische Ausbildung sein, und ja, liebe Kolleginnen und Kollegen – auch von der SPÖ –, das kann punktuell auch eine überbetriebliche Lehre sein. Allerdings – und das muss unser Ziel sein – muss die Lehre im Betrieb abge­schlossen werden. Warum ist das wichtig? – Weil es unbedingt notwendig ist, dass die Jugendlichen genau diese fachlich-praktischen Qualifikationen, die sie im Rahmen der dualen Berufsausbildung lernen, schon im Betrieb lernen, damit sie nachher gut über­nommen werden können und somit eine gute Perspektive für die Zukunft haben.

Es ist außerdem wichtig, dass wir die Jugendlichen schnell in die Betriebe bringen, weil sie dort schon ganz andere Arbeitsweisen kennenlernen. Für all diese Maßnahmen, die es gibt, ist Sorge getragen, weil wir – schon bevor Kollege Zorba und ich unseren Ent­schließungsantrag eingebracht haben – mit Unternehmerinnen und Unternehmern gesprochen haben, weil das auch die Frau Wirtschaftsministerin und unsere Arbeits­minis­terin gemacht haben und wir versucht haben, daran zu arbeiten und an allen Stell­schrauben zu drehen, damit die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Ich freue mich, dass diese Bemühungen im Wirtschaftsausschuss erkannt wurden und deswegen auch die Zustimmung gegeben wurde. Ich hoffe, dass wir alle uns einig sind und es von allen Fraktionen Zustimmung dazu gibt, dass wir mit genau diesen Maß­nahmen, die heute schon einige Male thematisiert wurden, den richtigen Weg beschrei­ten.

Erlauben Sie mir als Grazerin bitte noch eines zum Abschluss: Wir werden die toll ausgebildeten und gut qualifizierten Lehrlinge vor den Vorhang holen, und das inter­national. Zwar können die Euroskills in Graz nicht im September stattfinden, dafür aber im Jänner, und umso mehr wird hoffentlich der Fokus dann auf Graz, auf Österreich und auf unserer dualen Berufsausbildung liegen, auf die wir – auch international – wirklich sehr, sehr stolz sein können. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

20.09


Präsident Ing. Norbert Hofer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Pia Philippa Strache. – Bitte, Frau Abgeordnete.


20.09.11

Abgeordnete Pia Philippa Strache (ohne Klubzugehörigkeit): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Regierungsmitglieder! Gestern diskutierten wir Fra­gen der Bildung und heute war das Thema Lehre sogar in einem Dringlichen Antrag mit dabei. Gerade wegen der Coronakrise sind Themen, welche die Zukunft unseres Landes maßgeblich betreffen, besonders wichtig. Neben der Bewältigung der gesundheitlichen


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Herausforderungen einer Pandemie müssen jetzt auch Schritte gesetzt werden, damit wir in der nächsten Generation nicht eine verlorene Coronageneration haben.

Einige Maßnahmen wurden hier bereits gesetzt, aber im Grunde hat Österreich im Moment auch nur zwei Alternativen: Entweder stellen wir jetzt die Weichen im Lehr- und Bildungssystem, sodass wir nach der Coronakrise wieder voll durchstarten können, oder wir hinterlassen der kommenden Generation nichts als Schulden – Versäumnisse, die wir der Zukunft unserer Kinder aufbürden und für die sie dann aufkommen müssen.

Es gibt derzeit viele Probleme, die zu bewältigen sind, die aber nicht durch Corona ausgelöst, sondern eigentlich durch Corona nur noch verschärft wurden. Die Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie weisen zu Recht auf den zu befürchtenden Einbruch in Bezug auf die Lehrlingsausbildung im Herbst hin, in Wahrheit steckt die Lehre aber schon etwas länger in der Krise. Die Zahl der Lehrlinge in Österreich hat sich allein von 2009 bis 2019 um fast 20 000 Personen verringert, was in Anbetracht des Potenzials eines gut organisierten Lehr- und Ausbildungssystems eigentlich erschütternd ist.

Sogar die Vereinigten Staaten nehmen sich mittlerweile das System der dualen Aus­bil­dung zum Vorbild, weil sich die Kombination von Theorie und angewandtem Wissen einfach bewährt hat. In vielerlei Hinsicht ist es wichtig, von praxiserfahrenen Bezugs­personen zu profitieren. Es ist ein reicher Erfahrungsschatz, den man durch eine Lehre bekommen kann. IBM zum Beispiel hat beschlossen, über 1 Milliarde Dollar in die Lehr­lingsausbildung fließen zu lassen, weil man eben das Potenzial dieser Form der Aus­bildung erkannt hat.

Unsere Lehrlinge könnten ein Motor für Wirtschaft und Innovation sein, wenn man sich deren Potenzial beherzt und voll annehmen würde. Es wäre an der Zeit, sich neben einer konstanten Obsession mit der Akademikerquote auch mit ähnlicher Energie der Lehr­lingsquote zuzuwenden, denn eine abgeschlossene Lehre mit Matura ist genauso wertvoll. Generell sollte ein Lehrberuf genau den gleichen Stellenwert in unserer Gesell­schaft haben – ich erinnere nur an die Helden der Coronakrise, an die systemrelevanten Berufe, die viel bejubelten Systemerhalter; darunter zahlreiche Lehrberufe.

Es braucht daher Maßnahmen, die die dringlichsten Probleme rasch adressieren, wie etwa eine Förderung der innerösterreichischen Mobilität, um Lehrlinge auch dort zu haben, wo sie tatsächlich benötigt werden, und eine wesentliche Erleichterung für all jene, die eine Lehre abgeschlossen haben und danach tatsächlich noch den Weg in die Selbstständigkeit wagen.

Ja, die Coronakrise wird zu einer sinkenden Selbstständigkeit führen, weil die Menschen, die in der Krise am meisten verlieren, gerade jene in den EPUs und KMUs sind. Ja, es wird bei Mieten und Lieferantenkrediten geholfen, aber das Einkommen bleibt aus. Das wird vielen die Lust an der Selbstständigkeit nehmen. Ja, ich bin auch der Meinung, Lehrlinge darf man nicht demotivieren, Lehrlingen muss man Mut machen. Da muss der Gesetzgeber eben ermutigend eingreifen, und das lieber einmal zu viel als einmal zu wenig. Es ist Wertschätzung gegenüber jenen zu zeigen, die sich trotz der Krise bereit erklären, den Schritt in die Selbstständigkeit zu gehen.

Die Lehrlingsausbildung wird mehr und mehr zu einem strategischen Schwerpunkt in unserer Gesellschaft werden. Die Lehrlinge, die uns heute fehlen, sind die verlorenen Arbeitsplätze von morgen. Entscheidungen, die wir jetzt treffen, werden ausschlag­ge­bend dafür sein, ob wir unseren Wohlstand halten oder eben nicht.

Eines sei noch einmal mit Nachdruck gesagt: Ein Lehrberuf ist ein Ehrberuf! – Danke. (Beifall bei Abgeordneten von ÖVP, SPÖ und Grünen.)

20.13



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 233

Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Süleyman Zorba. – Bitte, Herr Abgeordneter.


20.13.39

Abgeordneter Süleyman Zorba (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Bei den Debatten der bisherigen Tagesordnungspunkte haben wir die Lage schon von verschiedenen Seiten betrachtet und debattiert, auch bei der Debatte zum Dringlichen Antrag heute Nachmittag. Als Lehrlingssprecher bin ich sehr glücklich darüber, dass dieses Thema heute so präsent ist.

Es kann nicht oft genug wiederholt werden: Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist angespannt und im Herbst könnte es zu der Problematik kommen, dass uns 8 000 Lehr­stellen fehlen. Das betrifft junge Menschen, die am Anfang ihres Arbeitslebens stehen. Wir müssen zu den schon bestehenden Maßnahmen noch weitere auf den Weg bringen, um das Worst-Case-Szenario abzuwenden.

Mit der Kurzarbeit für Lehrlinge haben wir bestehende Ausbildungsplätze gesichert, wichtig ist, dass auch weitere Plätze geschaffen werden. Im betrieblichen Umfeld werden wir Unternehmerinnen und Unternehmern Anreize bieten, damit weitere Ausbildungs­plätze zur Verfügung gestellt werden können. Eine Maßnahme dazu ist der Lehrlings­bonus. Bis jetzt haben sich schon 600 Unternehmen gemeldet und darum angesucht. Überall dort, wo es im betrieblichen Rahmen nicht möglich sein wird, werden über­betriebliche Lehrstätten eingreifen müssen, die wir dann bedarfsgerecht aufstocken und unterstützen.

Vieles wurde heute schon angesprochen, ich möchte hier noch einmal feststellen: Diese Bundesregierung hat sich vorgenommen, jedem und jeder Jugendlichen einen be­trieb­lichen, überbetrieblichen oder schulischen Ausbildungsplatz bereitzustellen, und für um nichts weniger werde ich mich einsetzen. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

20.15


Präsident Ing. Norbert Hofer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Franz Hörl. – Bitte, Herr Abgeordneter. (Abg. Haubner: Ein erfahrener Ausbildner! – Abg. Hörl – auf dem Weg zum Rednerpult –: Genau!)


20.15.18

Abgeordneter Franz Hörl (ÖVP): Sehr geehrte Frau Minister! Herr Präsident! Hohes Haus! Es geht in diesem Entschließungsantrag um die Sicherung der betrieblichen und überbetrieblichen Lehrlingsausbildung, wobei ich nicht verhehlen möchte, dass ich als Ausbildner und selbst ausbildender Unternehmer natürlich die Lehrlingsausbildung in den Betrieben bevorzuge und auch glaube, dass eine ordentliche Ausbildung mit einem Abschluss in einem Betrieb funktionieren sollte; Kollegin Kaufmann hat das ja auch schon gesagt.

Dieses Thema verdient natürlich alle Aufmerksamkeit, und so kann auch ich nur sagen: Herzlichen Dank dafür, dass Sie das heute dringlich behandelt haben. Das hilft dieser wichtigen Ausbildungsform natürlich enorm. Lehrlinge sind die Fachkräfte von morgen. Dieses Ausbildungsprinzip, das wir haben, ist ein riesiger Standortvorteil. Es gibt in Europa beziehungsweise in der EU nur Deutschland, Dänemark und die Niederlande und die Schweiz, die diese Ausbildungsformate auch haben, alle anderen Länder sollten versuchen, da nachzuziehen.

Die Situation schaut auch nicht so schlecht aus, was ich sehe, wenn ich Tirol hernehme: 10 000 Lehrlinge werden ausgebildet. Die Arbeitslosenrate in Tirol ist auf 30 000 gestiegen, die Zahl der Lehrlinge aber hat um nur 0,6 Prozent abgenommen. Es sind


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2 000 offene Stellen und 650 Lehrstellensuchende, das heißt also, bei uns kann jeder Lehrling einen Platz finden.

Im Juni ist die Zahl der verfügbaren offenen Stellen in Österreich auf 13 Prozent zurückgegangen. Das kann man negativ oder positiv sehen, ich sehe es positiv, weil im Juni natürlich die ersten Lehrlinge anfangen. Wir haben aber natürlich alle Anstren­gungen in dieser schwierigen Zeit, in der Unternehmer große Sorgen haben, zu unter­nehmen und zu betonen, dass der Drang zur Ausbildung und die Idee, Lehrlinge in den Betrieben aufzunehmen, ganz wichtig ist. Da darf ich Ihnen, Frau Minister, natürlich für den Lehrlingsbonus herzlich danken, den Sie geschaffen haben. Diesen kann man ja seit 1. Juli beantragen, auch rückwirkend bis zum Lockdown, bis zum 16. März. Die Übernahme gilt für Lehrlinge, die man anstellt, und natürlich auch für die Übernahme aus überbetrieblichen Einrichtungen, was ich ganz wichtig finde.

Ich möchte aber noch etwas anmerken: Die Betriebe müssen natürlich in der Ausbildung ihre Rolle spielen, aber auch der Staat muss seine Leistung bringen. Frau Minister, du weißt genau, ich habe in der Vergangenheit – heuer im Frühjahr – die Situation, dass die Internate nicht offen waren, schon auch als großes Manko empfunden. Ich bin der Meinung, die Lehrer haben da auch eine tolle Leistung erbracht, indem Sie auf Distancelearning umgestellt haben. Das ist ja in der Facharbeiterausbildung vielleicht gerade nicht so das Gewohnte. Ich habe aber schon meine Zweifel, ob Distancelearning gerade in diesem Bereich die ideale Ausbildungsform ist. Deshalb bitte ich darum, dass wir darauf schauen, dass wir im Herbst wieder ganz normale Bedingungen haben, denn dieser verdünnte Betrieb, wie es genannt wird, in diesen 21 Berufsschulen mit den Internaten – zwei davon sind betriebliche Berufsschulen, einmal bei Swarovski und einmal bei Plansee – heißt eine Woche Unterricht im Internat und eine Woche im Betrieb mit Distancelearning, und das sehe ich schon sehr kritisch.

Ich bitte, dass Sie uns helfen, dass wir da auch wieder zu normalen Verhältnissen kom­men.

Im Übrigen danke ich Ihnen und allen anderen, die sich bemühen, dass wir in Österreich mit der Facharbeiterausbildung weiterkommen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

20.18


Präsident Ing. Norbert Hofer: Herr Abgeordneter Hermann Weratschnig gelangt zu Wort. – Bitte, Herr Abgeordneter.


20.18.45

Abgeordneter Hermann Weratschnig, MBA MSc (Grüne): Sehr geehrter Herr Prä­sident! Werte Abgeordnete! Der Lehrstellenmarkt, der Arbeitsmarkt ist hart getroffen. Danke an die SPÖ für den heutigen Dringlichen Antrag, für die Diskussion rund um das Thema Lehrlinge, Lehrlingsgarantie, Sicherung des Arbeitsmarktes und vor allem des Lehrstellenmarktes!

2019 hat die Welt noch anders ausgeschaut: Wir konnten österreichweit den Lehrlings­rückgang der vorhergegangenen Jahre aufbessern. Es gab in ganz Österreich über 109 000 Lehrlinge in Beschäftigung, und dann kam Corona und hat einiges verändert. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist – das haben wir heute in allen Beiträgen gehört –, dass es Maßnahmen auf allen Ebenen braucht.

Eine Ebene ist der Anreiz bei den Betrieben, erstmals Lehrlinge auszubilden, und des­halb sind die 2 000 Euro Bonus, glaube ich, eine richtige Maßnahme, die da anset­zen kann.


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Wichtig sind aber auch die überbetrieblichen Ausbildungsstätten, und da möchte ich vor allem die Stadt Wien erwähnen. Die Stadt Wien hat bereits den Eigenanteil an der überbetrieblichen Lehrlingsausbildung von 6,7 Millionen auf 10 Millionen Euro erhöht (Abg. Yılmaz: Bravo!) und geht da mit sehr gutem Vorbild voran. Das zeigt uns, dass da nicht nur der Bund gefordert ist, sondern dass auch die Bundesländer mit Beschäfti­gungs­projekten, mit Förderanreizen sehr viel tun können. Zuerst einmal ein Danke an die Stadt Wien, dass da ein Meilenstein gesetzt wurde! (Beifall bei den Grünen, bei Abgeordneten der ÖVP sowie der Abg. Yılmaz.)

Zweitens gebührt der Dank vor allem allen Ausbildungsstätten, allen überbetrieblichen Ausbildungsstätten, allen Lehrwerkstätten, allen AusbildnerInnen, all jenen, die die Ausbildner ausbilden – da meine ich die Wirtschaftsförderungsinstitute, die das öster­reichweit machen. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass diese Arbeit wertgeschätzt wird, daher an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön! (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Matznetter.)

Ja, es braucht da den Bund als starken Partner, und ich appelliere an die Länder, mit Förderanreizen nachzuziehen. Es braucht auch Förderung, um männlich dominierte Berufe genauso wie auch weiblich dominierte Berufsgruppen aufzumachen, zu öffnen, und es braucht einen Mix an Maßnahmen. Es geht dabei nicht immer um finanzielle Anreize, sondern für die Unternehmer ist es – davon bin ich überzeugt – vor allem wich­tig, eigenes Fachpersonal, eigene Fachkräfte auszubilden.

Werte Abgeordnete, Bildung motiviert, führt zusammen, begründet Freundschaften, baut Ängste ab und bildet Vertrauen und Zuverlässigkeit. In diesem Sinne ist es, glaube ich, auch wichtig, dass die Lehrlingsausbildung auch die AusbildnerInnen ausbildet und dahin gehend nachschärft, Wissen zu vermitteln, innerbetrieblich zu kommunizieren und auch täglich soziale Kompetenz an den Tag zu legen und gemeinsam zu leben, zu erleben.

In diesem Sinne hoffe ich auch weiterhin auf kräftige Unterstützung von der Ministerin, auf kräftige Unterstützung von den Bundesländern für eine qualitätsbewusste Lehrlings­ausbildung in Österreich. Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

20.22


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu einer Stellungnahme hat sich Frau Bundesministerin Dr.in Margarete Schramböck zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Bundesministerin.


20.22.37

Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort Dr. Margarete Schramböck: Herr Präsident! Hohes Haus! Ich war heute bei der Behandlung des Dringlichen Antrages nicht dabei und möchte jetzt die Gelegenheit nutzen, Ihnen allen zu danken, dafür, dass Sie über das Thema Lehre sprechen und dass Sie nicht nur darüber sprechen, sondern dem auch den Raum widmen, den es in Österreich braucht sowie auch verdient und den sich auch unsere Lehrlinge – sowohl die jungen Frauen als auch die jungen Männer, aber auch die Erwachsenen, die eine Lehre machen, denn auch das ist ein Modell der Zukunft – verdienen. Dafür möchte ich Ihnen meinen Dank aussprechen und auch für die Anregungen und für die Inhalte.

Mir ist das schon seit Jahren ein großes Anliegen. Ich habe im Jahr 2002, mit 32 Jahren, begonnen, das erste Unternehmen im Technologiebereich zu leiten und habe ein Jahr später die Lehre in diesem Unternehmen eingeführt, die vorher eben nicht mehr gemacht und beendet wurde. Ich habe nur gute Erfahrungen damit gemacht.

Ich möchte mich bei allen Unternehmen bedanken, die gerade jetzt in dieser Krise Lehrlinge ausbilden. Ich bin mit ganz, ganz vielen im Gespräch, die mir sagen, dass der


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Bonus und auch die Anregungen, die aus diesem Parlament kommen, die von Ihnen kommen, die von der Regierung kommen, die von uns gemeinsam kommen, sie dazu gebracht haben, gerade in diesem Jahr noch mehr Lehrlinge auszubilden – und die wollen wir in den nächsten Monaten vor den Vorhang holen. Wir wollen zeigen, wie diese Betriebe alle Kraft da hineinstecken, um neue Lehrberufe und neue Lehrstellen anzu­bieten.

Diesbezüglich möchte ich Ihnen Danke sagen und Sie auch auf das Regierungs­pro­gramm hinweisen, in dem ganz, ganz viele Themen drinstehen. Ich werde auch da den Dialog mit allen Parteien suchen – wie wir es auch bei verschiedenen anderen Themen gemacht haben –, damit wir in der Lehre vorankommen.

Ich komme aus einer Familie, in der alle, würde ich einmal sagen, etwas Gscheites gelernt haben, in der alle Lehrberufe machen durften, aber auch aus einer Familie, in der mein Vater und meine Mutter keine Lehre machen durften, weil das damals nicht möglich war, und ich bin stolz auf meine Nichte, die ihren Meister in Tischlereitechnik, in einem technischen Beruf gemacht hat. Es geht, dass mehr Frauen in diesen Berufen sind, dafür müssen wir aber die Namen von Lehrberufen, die Inhalte ändern, dafür müssen wir neue Lehrberufe schaffen, auch im Bereich der Nachhaltigkeit und des Um­weltschutzes, denn auch dort braucht es neue Berufsbilder.

Ich stehe dafür, dass wir diese Berufsbilder überarbeiten, dass wir neue schaffen, damit wir eine Zukunft für die Lehre schaffen, für unsere Jugendlichen in Österreich, und da haben Sie mich als Partnerin an Ihrer Seite. Wir werden vieles umsetzen. Herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

20.25


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wünscht die Frau Berichterstatterin ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Wie vereinbart verlege ich die Abstimmungen an den Schluss der Verhandlungen über die Vorlagen des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie und fahre in der Erledigung der Tagesordnung fort.

20.25.4527. Punkt

Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über die Regie­rungsvorlage (68 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Energieeffizienz­ge­setz geändert wird (281 d.B.)


Präsident Ing. Norbert Hofer: Wir gelangen zum 27. Punkt der Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Mag. Felix Eypeltauer. – Bitte, Herr Abgeord­neter.


20.26.07

Abgeordneter Mag. Felix Eypeltauer (NEOS): Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Hohes Haus! Frau Bundesministerin! Frau Bundesministerin! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Diese Last-minute-Anpassung an EU-Recht hat mich wie­der einmal schmerzlich daran erinnert, wie niedrig der Stellenwert von Energieeffizienz in der österreichischen Realpolitik lange Zeit war und auch weiterhin zu sein scheint. Da­bei wird Ihnen jede Expertin, jeder Experte sagen, dass wir noch so viele Windräder und noch so viele Wasserkraftanlagen bauen können, noch so viele Freiflächen mit


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 237

Fotovoltaikanlagen zupflastern können: Klimaneutral werden wir nie, wenn wir den Ver­brauch nicht senken.

Das bedeutet: Energieeffizienz in der Mobilität, in der Industrie und vor allem im Ge­bäudesektor, der für etwa 16 Prozent der Energieemissionen verantwortlich ist. Deshalb ist es erfolgskritisch, dass der Gebäudebestand thermisch saniert wird, aber da schaut es nicht gut aus. Die Sanierungsrate liegt laut einer Studie vom April 2020 statt bei dem durchaus bescheidenen Zielwert von 3 Prozent derzeit bei 1,4 Prozent. Das Regie­rungsprogramm ist auch voller Willensbekundungen, das ist wirklich sehr zu begrüßen – auch die Klimamilliarde soll die Sanierungsrate erhöhen, das haben Sie explizit gesagt, Frau Ministerin –, nur sage ich Ihnen, dass ich glaube, dass das nicht reicht, denn je nach Studie brauchen wir staatliche und private Investitionen von zwischen 4 und 6 Milliarden Euro jährlich, um so viel zu sanieren, dass wir 2040 klimaneutral sind, und dafür brauchen wir sicher ein Bündel an Maßnahmen.

Wir brauchen vor allem steuerliche Anreize für die thermische Sanierung. Da kann es verschiedene Vorschläge geben: Das kann die Wiedereinführung der steuerfreien Sanierungsrücklage, die Reduktion der Abschreibedauer für Instandsetzungsauf­wen­dungen, die Anhebung der bestehenden 25-Prozent-Grenze bei Instandhaltungsmaß­nahmen oder eine Reduktion der USt auf Sanierungsmaßnahmen sein. – Wir haben das bei der Reparatur, warum nicht auch bei der Gebäudesanierung?

Dann gibt es ein Thema in den Ländern: Die Bauordnungen müssen auf der einen Seite entrümpelt werden, auf der anderen Seite modernisiert werden, das hilft uns bei Sanie­rungen und bei Neubauten. Und wir brauchen eine Sanierungsoffensive bei Gebäuden der öffentlichen Hand. Diese sind teilweise in einem Zustand, der nicht vorbildlich ist, und wir können von der privaten Wirtschaft nicht verlangen, zu sanieren, wenn die Gebäude der öffentlichen Hand derartig desolat sind. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass der Finanzminister jeden Tag bei der Öbag oder bei der BIG anruft und Druck für mehr Energieeffizienz macht; dabei bräuchte er dafür nicht einmal einen Laptop.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der größte Hebel ist nicht die Produktion von Energie, sondern der Verbrauch von weniger Energie. Das geht nur gemeinsam mit den Ländern und Gemeinden, das ist mir bewusst, von dort kennen wir aber auch das Greenwashing und die Absichtserklärungen. Bis jetzt haben wir großteils auch nur Absichtserklärungen der Bundesregierung gesehen, doch es muss etwas ganz Konkre­tes passieren, etwas, das auf der einen Seite den Klimaschutz stärkt, das aber auf der anderen Seite auch die Wirtschaft stärkt, wie eben zum Beispiel vielfältige An­reize im Bereich der thermischen Sanierung, im Gebäudesektor.

Unsere Vorschläge dafür liegen am Tisch. Die kennen Sie, die sind ganz konkret und umsetzbar, und wenn Sie es schon nicht für den durchschnittlich 48 Jahre alten Abge­ordneten hier im Haus machen, dann vielleicht für uns Junge oder für Ihre Kinder und für Ihre Enkelkinder. (Beifall bei den NEOS. – Ruf bei den NEOS: Jawohl!)

20.29


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Tanja Graf. – Bitte schön.


20.29.36

Abgeordnete Tanja Graf (ÖVP): Herr Präsident! Geschätzte Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer zu Hause! Bei diesem Tagesordnungspunkt behandeln wir die Novelle des Bundesgesetzes, mit dem das Bundes-Energieeffizienz­gesetz geändert wird.

Es handelt sich heute noch nicht um die große Neugestaltung des Energieeffizienz­gesetzes, sondern nur um eine kleine Novellierung, die notwendig ist. Ganz konkret


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 238

stellen wir im § 15 die Pflichten des Bundes bei Erwerb und Miete von unbeweglichem Vermögen klar, um eben unionsrechtlichen Vorgaben zu entsprechen und diese zu gewährleisten. Die Klarstellung bezieht sich hier auf die Kostenwirksamkeit, die Wirt­schaftlichkeit und die Nachhaltigkeit sowie die Mindestanforderung an die Gesamten­ergieeffizienz von Gebäuden.

Diese aktuelle Anpassung ist notwendig, wie schon erwähnt, um ein EU-Vertrags­ver­letzungsverfahren zu vermeiden. Sie hat allerdings noch nichts mit der großen geplanten Reform des Energieeffizienzgesetzes zu tun. Dieses neue Gesetz ist schon in Aus­arbeitung, und wir haben uns dazu auch einen entsprechenden engagierten Zeitplan gegeben, damit eben alles ordnungsgemäß in Kraft treten kann. Gut Ding braucht eben auch Weile – denn wenn etwas gut werden soll, sollte man sich auch die entsprechende Zeit dafür nehmen und alle Beteiligten in diesen Prozess der Gesetzeswerdung ein­binden, und genau das haben wir auch vor.

Wir arbeiten konsequent und parteiübergreifend an einem gemeinsamen Ziel, einem Gesetz, das für alle umsetzbar ist und das vor allem die Energieeffizienz nicht blockiert, denn nur wenn wir Energie effizienter nutzen, werden wir es schaffen, in nicht so ferner Zukunft noch mehr unserer Energie aus erneuerbaren Energiequellen zu gewinnen.

Wir haben diesbezüglich bis dato aber auch schon eine Reihe von konjunkturbelebenden Maßnahmen unterstützt und gefördert. Ich denke dabei etwa an die Umweltförderung im Inland, die seit 1. Juli höhere Förderzuschläge und Förderpauschalen für thermische Gebäudesanierungen von Betrieben vorsieht, oder auch an den Startschuss der PV-Kleinanlagen-Förderung. Damit ermöglichen wir die breite Beteiligung an der innovativen Solarwende. Das Fördervolumen der Fotovoltaikanlagen wurde beinahe verdoppelt, und mit dem erst beschlossenen Investitionsprämiengesetz fördern wir ökologische Inves­titionen bis zu 14 Prozent. Mit dem zukünftigen Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz werden wir den dynamischen Ausbau weiter verstärken.

All diese Maßnahmen beleben die Konjunktur und tragen wesentlich zum Klimaschutz bei. Wir werden unseren hier eingeschlagenen innovativen Weg mit Ministerin Gewessler bestimmt und konsequent fortsetzen, denn eine intelligente Energiepolitik schafft neue Arbeitsplätze, belebt die Region und schützt unsere Umwelt. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

20.32


Präsident Ing. Norbert Hofer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Alois Schroll. – Bitte, Herr Abgeordneter.


20.32.38

Abgeordneter Alois Schroll (SPÖ): Geschätzter Herr Präsident! Geschätzte Frau Bun­desminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ja, es waren schöne Worte meiner Vorrednerin, der Energiesprecherin der ÖVP.

Jetzt fange ich mit ein bisschen etwas Positivem an, wenn man das so sagen kann: Im Prinzip geht es bei der Novelle um die Festsetzung eines Vorranges für Energieeffizienz bei Gebäuden des Bundes. Da gab es schon bisher eine Regelung, diese wird jetzt präzisiert. Gegen diese Novelle ist nichts einzuwenden. Man sollte auch nichts einwen­den, immerhin muss man damit ein Vertragsverletzungsverfahren abwenden, weil der Vorschlag im Ministerium offenbar in einer sehr tiefen Schublade gelegen ist. Das war es dann aber leider schon mit den positiven Nachrichten.

Liebe Frau Ministerin, ja, wahrscheinlich sind in den tiefen Schubladen im Ministerium auch Berichte gelegen, die erst jetzt vor Kurzem aufgetaucht sind, und zwar der Monitoringreport und der Energieeffizienzumsetzungsbericht. Leider Gottes waren die, wie gesagt, seit Ende Jänner schon fertig, sind jetzt aber erst am 30. Juni, also vier Tage


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nach dem Wirtschaftsausschuss, quasi aufgetaucht und uns präsentiert worden. Warum diese nicht früher präsentiert wurden, entzieht sich unserer Kenntnis, aber wahr­schein­lich, weil sie auch unbequeme Wahrheiten ans Tageslicht bringen. Eines ist ganz klar: Die nationalen Energieeffizienzziele für 2020 werden nicht erreicht. Das steht in diesen Berichten auch drinnen.

Wir reden in der Öffentlichkeit immer über das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, das EAG – ja, zu Recht, aber wir warten hier auf einen längst fälligen Gesetzentwurf, und es ist bei Weitem nicht die einzige Baustelle, nein! Neben dem heiß ersehnten EAG warten wir genauso sehnsüchtig auf den Vorschlag und die Umsetzung des Energieeffizienz­gesetzes. Für alle hier im Hohen Haus, die es nicht so genau wissen: Die Frist zur Umsetzung ins nationale Recht ist bereits am 25. Juni, also vor einigen Tagen, abge­laufen. Bisher gibt es keinen Entwurf, bisher gibt es keinen Evaluierungsprozess, bereits im Juni 2019 sollte dieser aber abgeschlossen sein. Da fragt man sich: Was ist seither passiert, worauf wird gewartet? (Abg. Kassegger: ... 2020!)

Frau Ministerin, wir wissen, Sie haben ein schweres Erbe zu tragen. Das sind die Früchte der Verschleppung und des Nichtstuns von Frau Bundesministerin Köstinger in den letzten zwei Jahren. (Abg. Strasser: Hallo!) Das muss man einfach sagen, denn seit 2017 wäre es fällig, und das muss man hier auch gesagt haben. (Beifall bei der SPÖ. – Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Strasser.)

Wir brauchen das neue Energieeffizienzgesetz nicht nur, weil wir eine Richtlinie um­setzen müssen, wir brauchen es, weil wir gerade bei der Bekämpfung der Energiearmut vorankommen müssen. Das sieht ja die EU-Richtlinie auch so vor. Ihre freiwilligen Vereinbarungen mit der Energiewirtschaft betreffend Abschaltungen sind am 30. Juni ausgelaufen. Es gibt weder Nachfolgeregelungen noch finanzielle Unterstützungen, und deshalb bringe ich folgenden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Alois Schroll, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Hilfsfonds für ge­stundete Energiekosten“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie wird aufgefordert, einen Hilfsfonds zur finanziellen Unterstützung von jenen HaushaltskundInnen einzurichten, deren Energie­kosten während der COVID-19-Krise gestundet wurden bzw. werden.“

*****

Ja, geschätzte Frau Ministerin, es bedarf eines kräftigen Ausbaus der erneuerbaren Energie, das wissen wir. Rund 50 Milliarden Euro sollten, müssten investiert werden, damit wir das Ziel 100-prozentig erneuerbarer Strom bis 2030 erreichen können. Die E-Wirtschaft wartet darauf, wartet wirklich sehnsüchtig darauf und will auch investieren – und erst jetzt wurde diese Studie präsentiert.

Ja, geschätzte Frau Ministerin, ich habe seit Beginn meiner Zeit hier im Hohen Haus meine Hand für Gespräche ausgestreckt. Sie wissen das, wir haben sehr, sehr viele Gespräche geführt. Ich werde auch jetzt im Sommer 24 Stunden erreichbar sein (Zwi­schenruf bei der ÖVP – Heiterkeit des Abg. Kassegger), aber eines muss ich hier sagen: Die Zustimmung der SPÖ wird es nicht auf Knopfdruck geben. – Schönen Sommer! (Bei­fall bei der SPÖ.)

20.37


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 240

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Alois Schroll,

Genossinnen und Genossen

betreffend Hilfsfonds für gestundete Energiekosten

eingebracht im Rahmen der Debatte zu TOP 27 Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Energieeffizienzgesetz geändert wird (281 d.B.)

Die COVID-19-Krise hat in Österreich zu nie gekannter Arbeitslosigkeit und zu einem dramatischen Anstieg der Kurzarbeit geführt. Rund 1,5 Mio. Bürgerinnen und Bürger waren daher von vorübergehender oder dauerhafter Reduzierung ihres Einkommens betroffen.

Trotz mehrfacher Beschlüsse – sowohl im Nationalrat (73/UEA XXVII. GP), als auch im Bundesrat (284/E-BR/2020) gibt es weder ein zinsloses Zahlungsmoratorium für Strom- und Gaslieferungen bis Jahresende, noch Zuschüsse für die Strom- und Gasrechnung. Den betroffenen Menschen fehlt somit die Sicherheit, dass ihnen die Energieversorgung trotz der Krise und finanzieller Belastungen erhalten bleibt.

Durch den eingeschlagenen Weg einer freiwilligen Vereinbarung gibt es anders als bei einer gesetzlichen Regelung auch keinerlei Rechtssicherheit. Nun nach dem Auslaufen der Vereinbarung mit 30. Juni 2020 droht nun eine verzögerte Abschaltwelle bei jenen Bürgerinnen und Bürger, deren Rechnungen bislang gestundet wurden. Für den Großteil der Betroffenen hat sich die finanzielle Situation mit Sicherheit noch nicht so weit erholt, dass sie den erlittenen Einkommensverlust einfach ausgleichen können. Während es aber für Unternehmen aus den COVID-19-Mitteln sogar Fixkostenzuschüsse gibt, stehen die HaushaltskundInnen nun mit nichts da.

Als ersten Schritt braucht es daher rasch einen Unterstützungsfonds, der bei der Be­gleichung der Außenstände unterstützt bzw. diese sogar vollständig übernimmt. Dies kann allerdings nur der Einstieg in eine größere Lösung im Rahmen eines Energie- und Klimahilfsfonds sein, der gerade einkommensschwachen Gruppen nutzen soll.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie wird aufgefordert, einen Hilfsfonds zur finanziellen Unterstützung von jenen HaushaltskundInnen einzurichten, deren Energie­kosten während der COVID-19-Krise gestundet wurden bzw. werden.“

*****


Präsident Ing. Norbert Hofer: Der Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt, ordnungsgemäß eingebracht und steht in Verhandlung.

Zu Wort gelangt Herr Kollege MMMag. Dr. Axel Kassegger. – Bitte, Herr Abgeordneter.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 241

20.37.30

Abgeordneter MMMag. Dr. Axel Kassegger (FPÖ): Herr Präsident! Frau Bundes­minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Es wurde vorhin schon erwähnt: Was wir heute hier beschließen, ist in Wahrheit Schnee von vorvorgestern. Da geht es um eine gesetzliche Umsetzung der Effizienzrichtlinie der EU aus dem Jahre 2009 durch das entsprechende Gesetz 2014. Eine Richtlinie der Europäischen Union ist ja binnen bestimmter Frist, im Gegensatz zu einer Verordnung, die direkt anwendbar ist, in natio­nales Recht umzusetzen. Das ist also Schnee von vorvorgestern, Kollege Schroll hat es schon erwähnt.

Spannender wäre das Energieeffizienzgesetz auf Grundlage der dritten EU-Effizienz­richtlinie 2019. Das heißt, wir sind da im Verzug. Die Umsetzung hätte bis 25. Juni 2020 passieren sollen, da sind wir hinten nach, genauso wie mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz. Wir können jetzt darüber diskutieren, wer schuld ist, wer da etwas hat liegen lassen, ich beteilige mich nicht daran. Faktum ist, dass wir jetzt – und das ist meine Bitte – von der Phase des Erzählens von schönen Geschichten in die Umsetzungsphase kommen. Wir sind schon sehr, sehr gespannt auf das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, sehr, sehr gespannt auf das Energieeffizienzgesetz. Der Plan ist ja, das im Herbst in Begutachtung zu schicken. Ich persönlich habe als Energiesprecher der drittgrößten Parlamentspartei weder das eine noch das andere gesehen, weiß aber, dass bestimmte Stakeholder da schon informiert worden sind.

Wir werden in der Umsetzung genau schauen, dass – und das ist freiheitliche Energie­politik – eine Ausgewogenheit zwischen drei grundsätzlich in gleichem Maße zu verfol­genden Zielen eingehalten wird: selbstverständlich Klimapolitik, Umstieg auf Erneuer­bare beziehungsweise Senkung der Treibhausemissionen beziehungsweise Steigerun­gen der Energieeffizienz, aber auch Versorgungssicherheit – da gibt es natürlich Zielkonflikte – und Leistbarkeit, Wirtschaftlichkeit.

Wir werden uns auch mit den Möglichkeiten, die wir im Rahmen des Energie­effizienz­gesetzes haben, nämlich ordnungspolitische Möglichkeiten, Gesetze, Förderprogramme beziehungsweise Marktinstrumente genau dahin gehend anschauen, inwieweit dann die Ausgestaltung im Detail passiert.

Angesichts der Entwicklung der österreichischen Wirtschaft in den letzten drei Monaten muss aber auch ganz klar sein: Wir werden keine Maßnahmen gutheißen und unter­stützen, die mittelfristig und langfristig zu einer Schädigung des Wirtschafts- und Indus­triestandortes Österreich und damit mittelfristig zu einer Verringerung oder einem Verlust von Arbeitsplätzen führen. (Beifall bei der FPÖ.)

20.40


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Abgeordneter Lukas Hammer. – Bitte, Herr Abgeordneter.


20.40.30

Abgeordneter Lukas Hammer (Grüne): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wurde schon erwähnt: Wir beschließen heute eine kleine Änderung des bestehenden Energieeffizienzgesetzes, um einer Verurteilung aufgrund eines EU-Vertragsverletzungsverfahrens zu entgehen. Viel wesentlicher ist aber, dass wir noch dieses Jahr eine große Novelle des Energieeffizienzgesetzes beschließen.

Das neue Gesetz soll dazu beitragen, dass wir wesentlich intelligenter und sparsamer mit Energie umgehen, als wir das bisher gemacht haben. Warum ist das wichtig? – Wir wollen, und ich glaube, da sind wir uns alle einig, unsere gesamte Wirtschaft auf


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 242

erneuerbare Energie umstellen, damit wir nicht mehr von Energieimporten, von Öl, Gas und Kohle abhängig sind, wodurch wir jedes Jahr 8 Milliarden Euro auf Nimmer­wieder­sehen einfach aus dem Fenster werfen – nach Saudi-Arabien, Kasachstan oder Russ­land.

Wir wollen auf erneuerbare Energie umstellen. Was müssen wir machen? – Wir müssen in der Raumwärme umstellen, wir müssen fossile Heizsysteme durch erneuerbare Heizsysteme tauschen, und wir werden – es wurde auch schon angesprochen – die Ökostromförderung mit einem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz auf neue Beine stellen und so jedes Jahr 1 Milliarde Euro in die Förderung von Ökostrom investieren. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wir werden den Bau von Tausenden und Abertausenden von Fotovoltaikanlagen – kleinen Anlagen auf Dächern und auch größeren Anlagen – fördern, wir werden Wind­kraftanlagen fördern, wir werden den Betrieb und den Bau von Biomasseanlagen fördern, Geothermie und auch den Bau und vor allem die Revitalisierung von Wasser­kraftanlagen fördern.

Das Problem ist nur, und das wissen wir alle: In den letzten zehn Jahren ist der gesamte Energieverbrauch in Österreich um 7,5 Prozent gestiegen, der Stromverbrauch hat sich seit 1990 fast verdoppelt. Auch der Ökostrom wurde seit 1990 stark ausgebaut, doch der Ökostromausbau hat den steigenden Energieverbrauch im Prinzip nur kompensiert. Die Windräder, die wir in den letzten 20 Jahren aufgestellt haben, haben im Prinzip einfach nur den steigenden Energieverbrauch kompensiert, aber der Ökostromanteil ist nicht gestiegen.

Wenn wir es nicht schaffen, dass der Energieverbrauch nicht weiter steigt, wenn wir diesen Trend nicht stoppen, dann werden wir die Energiewende nicht schaffen. Das Aus­baupotenzial auch der Erneuerbaren – auch bei Wasserkraft haben wir schon ein sehr hohes Ausbaupotenzial erreicht, wir können nicht unendlich viele Windkraftanlagen in Österreich installieren, das wissen wir alle – ist begrenzt, und deswegen ist es wichtig, dass wir mit Energie sorgsamer umgehen.

Das aktuelle Energieeffizienzgesetz war ein Versuch. Das haben wir – Grüne, SPÖ und ÖVP – damals gemeinsam beschlossen. Es war ein Versuch: Wir haben uns ein Ziel, ein ambitioniertes Energieeinsparziel gesetzt, und wir haben Unternehmen, die Energie verkaufen, dazu verpflichtet, Energieeinsparmaßnahmen zu setzen. Die Umsetzung von diesem Gesetz wurde leider – man muss das so deutlich sagen – komplett verhunzt. Die damaligen Ausführungsbestimmungen wurden so ausgelegt, dass jeder Hokuspokus als Energieeffizienzmaßnahme anerkannt wurde.

Zum Beispiel durften Energieversorgungsunternehmen Durchflussbegrenzer, die man an Wasserhähnen anschließt, damit dann weniger Wasser fließt, einfach an Haushalte schicken, und das wurde als Energieeffizienzmaßnahme anerkannt, egal ob es im Mist­kübel gelandet ist oder ob es verwendet wurde. Vollkommen absurd war zum Beispiel, dass auch anerkannt wurde, dass Dieseladditive, also etwas, das man in den Diesel schüttet, womit das Auto dann angeblich einen sparsameren Verbrauch hat – was nie bewiesen wurde –, als Energieeffizienzmaßnahme anerkannt wurden – in Fachkreisen auch als Grander-Wasser für den Tank bekannt.

Das alles hat dazu geführt, dass dieses Gesetz nicht die Wirkung entfalten konnte, für die es gedacht war und für die wir es beschlossen haben. Das wollen wir im Herbst besser machen. Wir wollen ein Energieeffizienzgesetz beschließen, das wirklich dazu beiträgt, dass wir diesen Trend umkehren, dass wir sorgsamer mit Energie umgehen.

Ich freue mich auf die Diskussion mit Ihnen allen, mit der ÖVP, unserem Koalitions­partner, aber auch mit der SPÖ und mit den anderen Oppositionsparteien, damit wir


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 243

unser Energiesystem auf komplett neue Beine stellen, damit wir einerseits den Ausbau bei den Erneuerbaren, den wir brauchen, hinbekommen, aber andererseits auch, damit wir ein Energieeffizienzgesetz und dann auch ein Wärmegesetz beschließen, die dazu beitragen, dass die Energiewende gelingt und dass wir mit Energie sorgsamer umgehen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

20.45


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Abgeordneter Johann Höfinger. – Bitte schön.


20.45.52

Abgeordneter Johann Höfinger (ÖVP): Geschätzter Herr Präsident! Frau Bundes­minister! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorredner haben sehr ausführlich erläutert, worum es heute geht: dass es sich nur um eine Anpas­sung handelt. Das stimmt. Alle haben einen Ausflug in die allgemeine Energiediskussion gemacht; da möchte ich ganz kurz einhaken.

Wenn man sich die Energieversorgung in Österreich anschaut – und da sind wir nicht alleine auf dem europäischen Kontinent oder weltweit –: Der Energieverbrauch, die ‑nachfrage steigen nach wie vor. Das hat damit zu tun, dass wir uns einen Wohlstand gegönnt haben, der uns jeden Tag mit all dem, was wir errungen haben, das Leben leichter macht, angenehmer macht – wie auch immer. Das sind wir alle. Wenn wir nur daran denken: Früher gab es im Winter den höchsten Strom- und Energieverbrauch, weil geheizt werden musste; jetzt gilt das für den Sommer, weil sich immer mehr Menschen eine Klimaanlage, ein Kühlgerät leisten. Die Sommer sind auch heißer geworden, es gibt viel mehr Hitzetage und alles, was dazugehört.

Es ist bequem geworden, sich das eine oder andere als Unterstützung zu leisten, und das ist auch gut so. Dieser Tatsache müssen wir ins Auge schauen. Das heißt, es ist ein Thema, das uns alle betrifft, und wenn wir unsere Energieversorgung, die ‑erzeugung, den ‑verbrauch, die ‑effizienz umbauen wollen, dann geht das nur Hand in Hand: Hand in Hand mit der Industrie, die wir als Standort und als Produktionsstätte brauchen, Hand in Hand mit dem Gewerbe, Hand in Hand mit der Bevölkerung.

Ich habe die Diskussionen in den letzten Jahren erlebt: Es geht nicht gut, wenn man nur etwas vorschreiben will, wenn man etwas verbieten will. Denken wir nur an den ge­samten Bereich der Energieproduktion: Da waren ja viele unterwegs, um auch erneuer­bare Energien ganz engagiert zu verhindern! Das wird in Zukunft nicht gehen. Wenn wir umbauen wollen, dann brauchen wir einen Mix aus allen möglichen Formen, erneuer­bare Energie zu erzeugen – ob das Wasser ist, ob das Sonne ist, ob das Wind ist, ob das Biomasse ist oder vieles, vieles mehr, was es an technischen Möglichkeiten schon gibt. Dieser Diskussion dürfen wir uns auch nicht verschließen.

Das Zweite ist: Wir müssen in Zukunft auch in vielerlei Hinsicht die Speicherformen ausbauen – es gibt Energieformen, denken wir nur an die Windräder: wenn der Wind nicht geht, dann gibt es keine Energie, wir brauchen sie aber kontinuierlich –, Speicher­formen im Kleinen, das heißt auch, was das Eigenheim betrifft; wir brauchen Speicher­formen aber auch im Großen, wenn es darum geht, Energie abspeichern zu können, um sie dann wieder der Allgemeinheit zuführen zu können. Es gibt dahin gehend die ersten Testversuche, es schaut ganz gut aus, dass wir Wasser aufbereiten und danach auch wieder in das Gassystem einfließen lassen – und vieles, vieles mehr.

Das wird also ein breiter Diskussionsprozess sein, dem wir uns widmen müssen, und ich denke, die Grundlagen sind geschaffen – wir sind uns da alle einig –, aber, wie gesagt, Frau Bundesminister, Sie wissen es auch: Die Zeit drängt. Wir haben jeden Tag mit einer Klimadiskussion zu tun. Wir stehen gerne bereit – wie wir das in der Vergangenheit


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 244

gemacht haben –, um auch unseren Beitrag zu leisten, und ich freue mich auf diese lebendige Diskussion, die ja sicher schon in den nächsten Wochen und Monaten starten wird. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

20.49


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu einer Stellungnahme hat sich Frau Bundesministerin Leonore Gewessler zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Bundesministerin.


20.49.28

Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie Leonore Gewessler, BA: Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeord­nete! Herzlichen Dank für die intensive energiewirtschaftliche Diskussion. Ich werde jetzt nicht die ganze Bandbreite abdecken, sondern mich auf das Thema nicht nur dieser Novelle, sondern auch der Energieeffizienz insgesamt beschränken, denn das Ziel Klima­neutralität 2040 werden wir ohne Zweifel nur dann erreichen, wenn wir Energie­effizienz und einen sorgsamen, das heißt geringeren Verbrauch von Energie auch ernst nehmen, und das heißt, auch tatsächlich auf den Boden bringen.

Das ist nicht nur aus Klimaschutzgründen gescheit, sondern das ist eine Maßnahme, die auch sozialer Gerechtigkeit dient, und es ist eine Maßnahme, die die Wettbewerbs­fähigkeit unserer Wirtschaft stärkt, wenn wir einen geringeren Energieverbrauch haben (Abg. Kassegger: Das schauen wir uns dann in der Wirklichkeit an!) und dadurch sicherstellen, dass wir Energie aufgrund von heimischen Ressourcen im Land krisenfest und zukunftsfähig produzieren können. Daher ist das ohne Zweifel eine der fundamen­talen Säulen für den Umbau unseres Energiesystems.

Abgeordneter Hammer hat es vorhin erwähnt: Wir sind derzeit in einer Situation, in der wir uns der Frage mehr theoretisch widmen. Wir haben nach dem Energieeffizienzgesetz errechnet: große Energieeinsparungen über die letzten Jahre, de facto steigt aber der Energieverbrauch in der Realität. Deswegen ist es so wichtig, dass wir dieses Energie­effizienzgesetz – Abgeordnete Graf hat es erwähnt – umfassend, sinnvoll und unter Ein­beziehung aller Stakeholder evaluieren und weiterentwickeln. Ich darf hier an dieser Stelle auch ankündigen – Kollege Schroll hat es vorhin erwähnt –: Der Evaluierungs­bericht zum Energieeffizienzgesetz inklusive einer Evaluierung der konkreten Maßnah­men, die in der Vergangenheit auch drinnen waren, wird für den nächsten Wirtschafts­aus­schuss fertig sein und kann dort dann auch diskutiert werden.

Zur Frage des Kollegen Eypeltauer, was denn passiert und was es braucht: Es braucht viel – da bin ich vollkommen bei Ihnen –, in allen Sektoren. Was ich aber nicht stehen lassen kann, ist, dass nichts passiert. Im Gegenteil: Es passiert gerade sehr, sehr viel. Wir haben heute im Ministerrat eine Novelle des Umweltförderungsgesetzes beschlos­sen. Diese legt als Konjunkturmaßnahme das erste Mal seit vielen, vielen Jahren auf die nächsten zwei Jahre, also bis Ende 2022 – es wurde vielfach beschrieben, warum das Sinn macht –, fest: insgesamt 650 Millionen Euro für die thermische Sanierung und den Heizkesseltausch und insgesamt – und das könnte Kollegen Eypeltauer interessieren – 50 Millionen Euro (Zwischenruf des Abg. Eypeltauer) in einer neuartigen Contracting­maßnahme, also einem Contracting- und Haftungsrahmen, der auch ordentlich zusätz­liche Mittel für die Energieeffizienz hebelt und der auch – das ist die Brücke zur Ener­giearmut – eine Maßnahme ist, die gerade energiearmen Haushalten zugutekommen kann. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Und wir haben im UFG – in diesem Sinne verstehe ich auch den Antrag der SPÖ – erst­mals für die nächsten zwei Jahre je 50 Millionen Euro konkret für die Themen der Ener­giearmut verankert; konkret, um Projekte zu unterstützen, um Beratung zu unterstützen, um im sinnvollen Dialog mit zum Beispiel den Wiener Stadtwerken, dem Verbund, der


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 245

Caritas, der Stadt Wien – da gibt es viele gute Projekte, die man unterstützen, verstär­ken, ausweiten kann – das Thema Energiearmut umfassend und gut anzugehen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Ich muss aber noch zwei Dinge erzählen, Herr Eypeltauer: Im Schulentwicklungsplan steht, dass Gebäude nach dem Klimaaktiv-Silberstandard zu bauen sind – auch das ein Beitrag zur Energieeffizienz. Im Gemeindepaket steht die Bedingung, dass Gebäude einen Gebäudestandard erfüllen müssen. Das heißt, das Thema wird jetzt überall und wirklich sehr umfassend mitgedacht. Braucht es mehr? – 2040 ist ein ambitioniertes Ziel, klar, aber das, was jetzt gerade passiert, kann sich, glaube ich, wirklich sehen lassen und ist mehr, als wir je zuvor für diesen Bereich hatten. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie der Abg. Herr.)

Damit komme ich zur Novelle: Diese ist jetzt im Vergleich dazu ein bisschen weniger aufregend, aber umso wichtiger, deshalb hoffe ich auf Ihre breite Unterstützung. Es geht darum, dass wir in dieser Novelle klarstellen, dass der Bund bei Erwerb und Miete von unbeweglichem Vermögen gesetzlich verankert Mindestanforderungen an die Gesam­tenergieeffizienz bei Gebäuden gewährleisten muss, dass also diese Ziele auch konkret verankert sein müssen und Nachhaltigkeit und Effizienz bei den Kriterien zur Auswahl von Gebäuden vorkommen müssen.

Ich darf Ihnen versichern – das hat jetzt nichts mit der Novelle zu tun, wobei ich hoffe, dass Sie dieser kleinen Novelle heute auch zustimmen –: Wir sind auch in Gesprächen mit der BIG, weil der Bund tatsächlich vorangehen soll und muss. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie der Abgeordneten Hammerschmid und Herr.)

20.55


Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wünscht der Herr Berichterstatter ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Wie vereinbart verlege ich die Abstimmungen an den Schluss der Abstimmungen über die Vorlagen des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie.

20.55.23Abstimmung über die Tagesordnungspunkte 22 bis 27


Präsident Ing. Norbert Hofer: Wir kommen nun zu den verlegten Abstimmungen über die Berichte des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie, die ich über jeden Tagesordnungspunkt getrennt vornehme.

Bevor wir in den Abstimmungsvorgang eingehen, frage ich die Klubs, ob eine Sitzungs­unterbrechung gewünscht ist. – Das ist nicht der Fall.

Wir gelangen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 22: Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Investitionskontrollgesetz erlassen und das Außenwirt­schafts­gesetz geändert wird, samt Titel und Eingang in 240 der Beilagen.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die für diesen Gesetzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist mehrheitlich angenommen.

Wir kommen zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die auch in dritter Lesung für diesen Gesetzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Mehrheit. Der Gesetzentwurf ist somit auch in dritter Lesung angenommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Erwin Angerer, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Genehmigungspflicht für alle in der


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 246

Anlage zum Investitionskontrollgesetz aufgelisteten Bereiche unbefristet und mit Erreichen oder Überschreiten eines Mindestanteils an Stimmrechten von 10 %“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Auflösung der WK-Rücklagen gemäß den Vorschlägen der ‚Grünen Wirtschaft‘“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir gelangen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 23: Entwurf betreffend Geldwäschenovelle 2020 samt Titel und Eingang in 106 der Beilagen.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die für diesen Gesetzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist einstimmig angenommen.

Wir kommen zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Gesetzentwurf auch in dritter Lesung ihre Zustimmung erteilen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Auch das ist einstimmig. Der Gesetzentwurf ist somit auch in dritter Lesung angenommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 24: Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Wirtschaftstreuhandberufsgesetz geändert wird, samt Titel und Eingang in 278 der Beilagen.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die für diesen Gesetzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist einstimmig angenommen.

Wir kommen zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Gesetzentwurf auch in dritter Lesung ihre Zustimmung erteilen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Das ist ein­stimmig. Der Gesetzentwurf ist somit auch in dritter Lesung angenommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 25: Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bilanzbuchhaltungsgesetz geändert wird, samt Titel und Eingang in 279 der Beilagen.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die für diesen Gesetzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist einstimmig angenommen.

Wir kommen zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Gesetzentwurf auch in dritter Lesung ihre Zustimmung erteilen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Das ist ein­stimmig. Der Gesetzentwurf ist somit auch in dritter Lesung angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 26, die dem Aus­schuss­bericht 280 der Beilagen angeschlossene Entschließung betreffend „die Sicherung der betrieblichen und überbetrieblichen Lehrlingsausbildung in Österreich vor Auswirkungen der Covid-19-Krise in Bezug auf den Lehrstellenmarkt“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die hiefür eintreten, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist mehrheitlich angenommen. (72/E)

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Christoph Matznetter, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Lehrlingsgarantie in Zeiten von Corona“.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 247

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir gelangen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 27: Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Energieeffizienzgesetz geändert wird, samt Titel und Eingang in 68 der Beilagen.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die für diesen Gesetzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist einstimmig angenommen.

Wir kommen zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Gesetzentwurf auch in dritter Lesung ihre Zustimmung erteilen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Auch das ist einstimmig. Der Gesetzentwurf ist somit auch in dritter Lesung angenommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Alois Schroll, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Hilfsfonds für gestundete Energiekosten“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

20.59.4828. Punkt

Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über die Regierungsvorlage (181 d.B.): Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) über die Errichtung des Internationalen Zentrums für die Förderung von Menschenrechten auf lokaler und regionaler Ebene unter der Schirmherrschaft der UNESCO (Kategorie 2) in Graz (Österreich) (298 d.B.)

29. Punkt

Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über die Regierungsvorlage (225 d.B.): Satzung der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien (IRENA) samt Erklärung der Konferenz (300 d.B.)

30. Punkt

Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über den Antrag 529/A(E) der Abge­ord­neten Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Kolleginnen und Kollegen betref­fend die aktuelle politische und menschenrechtliche Situation in Venezuela (303 d.B.)

31. Punkt

Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über den Antrag 721/A(E) der Abge­ord­neten Dr. Gudrun Kugler, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Kolleginnen und Kollegen betreffend Sonderbeauftragter der Europäischen Kommission für Religions­frei­heit (305 d.B.)

32. Punkt

Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über den Antrag 346/A(E) der Abge­ordneten Yannick Shetty, Kolleginnen und Kollegen betreffend Strikte Ablehnung jeglicher Form von Homophobie und politischer Hetze gegen LGBT-Personen (306 d.B.)



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 248

Präsident Ing. Norbert Hofer: Wir gelangen nun zu den Punkten 28 bis 32 der Tages­ordnung, über welche die Debatten unter einem durchgeführt werden.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Petra Bayr. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.


21.00.11

Abgeordnete Petra Bayr, MA MLS (SPÖ): Herr Präsident! Herr Außenminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist ein großes Kommen und Gehen hier. Ich mag zum Abkommen zwischen Österreich und der Unesco über die Errichtung des Internationalen Zentrums für die Förderung von Menschenrechten auf lokaler und regionaler Ebene unter der Schirmherrschaft der Unesco Stellung nehmen. (Präsident Sobotka über­nimmt den Vorsitz.)

Das ist absolut zu begrüßen. Ich beobachte die Arbeit des ETC schon seit Längerem und finde es sehr fein, dass das jetzt auf eine neue Ebene gehoben wird. Das ETC macht hervorragende Arbeit im Bereich Menschenrechtsbildung, berät die Menschen­rechts­stadt Graz, managt den Menschenrechtsbeirat, macht Veranstaltungen, Vorträge, Work­shops, hat eine Menge Publikationen herausgegeben und betreibt eine sehr gut be­suchte Bibliothek.

Es gibt mehrere Ziele, die dieses internationale Abkommen hat, eines davon ist, dass das ETC eine internationale Organisation wird und, wie der Titel schon sagt, die regionalen und lokalen Behörden befähigt, in Fragen der Menschenrechte, aber vor allem auch in puncto Agenda 2030 aktiv zu sein und sich einzusetzen. Und da ist im Besonderen das Ziel 11 zu verfolgen, bei dem es darum geht, dass Städte und bewohnte Siedlungen nachhaltig, sicher, inklusiv und widerstandsfähig gestaltet werden, und andererseits sind Menschenrechte und Gleichstellungsaspekte miteinzubeziehen.

Ein zweiter wichtiger Teil sind die Vernetzung und die Zusammenarbeit, da werden im Speziellen Behörden, aber auch wissenschaftliche Einrichtungen und die Zivilge­sell­schaft genannt.

Im Zusammenhang mit den SDGs und Universitäten fällt mir natürlich sofort ein, dass es seit einigen Jahren das Uninetz zu den nachhaltigen Entwicklungszielen gibt. Da haben sich 18 österreichische Forschungseinrichtungen, universitäre Einrichtungen zusam­men­geschlossen und forschen an Grundlagen zur Erreichung dieser SDGs. Es ist kein Zufall, dass die Kompetenzzentren für das SDG 11, also die nachhaltigen Städte, an der Uni Graz und an der TU Graz angesiedelt sind. Ich hoffe, dass es da eine gute Zusammenarbeit gibt, und ich hoffe auch, dass wir uns als Parlament vielleicht ein Vorbild an dieser Zusammenarbeit nehmen könnten.

Ich würde es durchaus für sinnvoll halten, dass wir als Politik öfter auf Ergebnisse, auf Erkenntnisse von Wissenschaft zurückgreifen, um evidenzbasierte Politik machen zu können. Gerade das Feld der Sustainable Development Goals und dieses Uninetzwerk dazu würden sich, glaube ich, wirklich dafür anbieten, dass wir unsere Arbeit auf eine andere, auf eine evidenzbasiertere Basis heben. Es wäre schön, wenn wir da als Par­lament, durchaus auch mit Unterstützung des Außenministeriums, neue Schritte gehen könnten und da eine neue Qualität in unsere Politik bringen könnten.

Wir werden das ETC beobachten, wie sie das machen, und hoffentlich dann davon lernen können. – Danke sehr. (Beifall bei der SPÖ.)

21.03


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Kaufmann. – Bitte.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 249

21.03.17

Abgeordnete Martina Kaufmann, MMSc BA (ÖVP): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Außenminister! Werte Kolleginnen und Kollegen hier im Hohen Haus! Liebe Zusehe­rinnen und Zuseher zu Hause! Meine Vorrednerin hat die Debatte schon eingeleitet damit, dass es um ein Abkommen geht – für mich als Grazerin um ein ganz besonderes Abkommen, denn in den letzten fünf Jahren hat die Stadt Graz darum gekämpft, dass dieses Abkommen hier im Hohen Haus beschlossen wird und damit in Gültigkeit erwächst.

Warum ist das für die Stadt Graz wichtig? – Die Stadt Graz hat sich bereits 2001 als Menschenrechtsstadt auf einen ganz besonderen Weg gemacht. Die Stadt Graz hat sich selbst vorgenommen, sich in all ihren Bereichen den Menschenrechten zu unterwerfen und zu schauen, dass das Miteinander in der Stadt ein gutes ist. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Bereits 1999 ist das ETC in Graz gegründet worden, und seither wird gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Menschenrechte an der Karl-Franzens-Universität in Graz jährlich der Menschenrechtsbericht herausgebracht. Dieser Menschenrechtsbericht dokumentiert ganz augenscheinlich, wo es noch Aufholbedarf gibt, wo es notwendig ist, dass die Politik, die Verwaltung hinschaut, und wo man die Stadt noch weiterbringen kann.

Im Laufe der Jahre hat sich das natürlich weiterentwickelt, und die Stadt hat sich auch bereit erklärt, mit dem Menschenrechtsbeirat, mit dem Beitritt zu Cities for Children, mit einer Agenda Gegen Gewalt an Frauen, die ja auch ratifiziert worden ist, in den Städten international miteinander daran zu arbeiten.

Mit diesem Abkommen, das wir hier vorliegen haben, ist es möglich, ein Unesco-Men­schenrechtszentrum der Kategorie 2 zu werden. Das zeichnet auf der einen Seite Österreich aus, aber natürlich auch die gesamten Bemühungen, die die Stadt Graz in den letzten 20 Jahren in diesem Bereich geleistet hat. Dieses Menschenrechtszentrum der Kategorie 2 der Unesco ist neben dem Menschenrechtszentrum in Buenos Aires das einzige, das es gibt, und hier sollen – das hat die Vorrednerin schon eindrucksvoll dargestellt – die Agenda 2030 und die Neue Urbane Agenda massiv verfolgt werden. Hier sind Ziele auf regionaler, auf kultureller Ebene definiert, und man versucht auf kommunaler und regionaler Ebene, diese Ziele gemeinsam zu verfolgen.

Für Graz ist das insofern auch eine Auszeichnung, als das bedeutet, dass in den nächsten Jahren die Stadt und auch das Land 1,5 Millionen Euro in die Hand nehmen werden, um gemeinsam mit vielen internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissen­schaftlern interdisziplinär zu arbeiten – das, glaube ich, ist auch sehr, sehr eindrucksvoll, dass hier wirklich interdisziplinär gemeinsam gearbeitet wird –, und damit einige Kon­gresse in unserer Kongressstadt, in unserer Wissensstadt Graz stattfinden werden.

Das zeichnet ein weiteres Mal Österreich aus, wenn es neben der Bundeshauptstadt, wo viele internationale Veranstaltungen stattfinden, auch möglich ist, dass in einer Stadt wie Graz mit über 155 Kulturen wirklich intensiv auch international an diesen Zielen gearbeitet wird. Auf dieses Aushängeschild können wir, werte Abgeordnete, auch hier im Hohen Haus sehr, sehr stolz sein. Dieses Abkommen – wir haben ja auch schon im Ausschuss darüber diskutiert – sollte auch eine breite Zustimmung finden, nicht zuletzt weil es der Stadt und auch allen Fraktionen im Grazer Gemeinderat ein besonderes Anliegen ist, dass dieses Menschenrechtszentrum in dieser Form, so wie wir es heute im Abkommen haben, eingerichtet werden und damit international wirken kann. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Abschließend möchte ich noch sagen: Die Menschenrechte sollten für uns alle ein Thema sein, und wenn wir hier diskutieren, sollten wir gut hinhören, gut agieren und


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 250

auch in der Wortwahl sorgfältig sein – und in all unserem Tun und all unseren Bemü­hungen die Menschenrechte nie aus den Augen verlieren. – Danke. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

21.08


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Kassegger. – Bitte.


21.08.09

Abgeordneter MMMag. Dr. Axel Kassegger (FPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Ob der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Redezeit möchte ich kurz auf drei Tagesordnungspunkte in dieser Sammeldebatte eingehen.

Der erste Punkt – Kollegin Kaufmann hat es schon angesprochen –, Menschenrechts­zentrum der Unesco Kategorie 2 in Graz: Wir werden dem auf Bundesebene nicht zustimmen. Es ist schon erwähnt worden, in Buenos Aires gibt es eines, ich habe es im Ausschuss auch gesagt: Für regionales und lokales Menschenrechtsmonitoring fielen mir sofort 100 andere Regionen auf der Welt ein, wo dies mehr Sinn machen würde. Es werden dafür, Kollegin Kaufmann hat es auch erwähnt, 1,5 Millionen Euro an Steuer­geldern aufgewendet, Geldern, die wir in Zeiten wie diesen, in Krisenzeiten – Corona­krise, Wirtschaftskrise et cetera – nach einer Prioritätenliste lieber für andere Dinge einsetzen würden. (Beifall bei der FPÖ.)

Zweiter Punkt: die Ratifizierung der Satzung der Irena – endlich, muss man fast sagen. Das ist gut, das unterstützen wir. Da hätte ich eine Frage an den Herrn Bundesminister: Wir sind die stolze Nummer 162, das 162. Land, das die Satzung ratifiziert, also nicht gerade ein First Mover. Warum sind wir da so weit hinten?

Das wird also von uns befürwortet. Da geht es um die Internationale Organisation für erneuerbare Energien.

Und letzter Punkt, den ich ansprechen möchte: die verheerende aktuelle politische und menschenrechtliche Situation in Venezuela.

Ich war letzten Sommer persönlich dort, in Cúcuta, einem Ort an der kolumbianischen Grenze.

Wir unterstützen diesen Bericht des Außenpolitischen Ausschusses. Wir hätten all das gern als Standpunkt der Republik Österreich. Vielleicht auch eine Frage an den Herrn Bundesminister – der Antrag verlangt ja, dass wir uns in internationalen Gremien einsetzen und auf diese aktuelle politische und, wie gesagt, katastrophale menschen­rechtliche Situation in Venezuela eingehen –: Warum ist es nicht möglich, einen eigenen Standpunkt der Republik Österreich in diesem Punkt zu artikulieren?

Vielleicht der Ordnung halber auch noch: All jene Parteien vom linken Spektrum – SPÖ, Grüne –, die jetzt die katastrophale menschenrechtliche Situation in Venezuela beklagen (Zwischenruf des Abg. Leichtfried), sind die gleichen, die 2006 Nicolás Maduro sozusagen als Superstar gefeiert haben. Das ist derselbe Nicolás Maduro, der in den letzten Jahren als Nachfolger von Hugo Chávez in Wahrheit für das Desaster verant­wortlich ist. Offensichtlich gibt es da eine Disparität zwischen dem Erzählen schöner Geschichten und der traurigen Wirklichkeit, die auch zu einem enormen Braindrain in Venezuela führt. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

21.11


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete El-Nagashi. – Bitte.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 251

21.11.26

Abgeordnete Mag. Faika El-Nagashi (Grüne): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist faszinierend, das Wirken eines Com­mitments zu Menschenrechten auf verschiedenen Ebenen zu beobachten, so wie es die Kollegin vorhin auch anhand des Beispiels von Graz beschrieben hat: fast 20 Jahre eines politischen Prozesses, ein Commitment zu Menschenrechten, das auch eine Auswirkung auf die gesamte politische Kultur hat. In diesem Sinne sehe ich das große Potenzial, das in der Menschenrechtsarbeit steckt.

Österreich hat eine lange und eindrückliche Tradition im Bereich der Menschenrechte, und in den vergangenen Jahren haben insbesondere die Städte diese Tradition weiter­geführt: Graz 2001 bereits als erste Menschenrechtsstadt Europas, aber dann auch Salzburg und Wien. Die Arbeit der Menschenrechtsstadt Wien durfte ich selbst, zum Teil gemeinsam mit Kollegin Gudrun Kugler, einige Jahre begleiten und sehen, wie mit der Menschenrechtsbeauftragten die Stadt Wien da wirklich tief greifend Aufgaben und Verantwortung übernommen hat, sei es im Bereich der Bekämpfung des Menschen­handels und des Frauenhandels oder im Bereich der Kinderrechte oder auch in einem sehr sensiblen Bereich, nämlich an der Schnittstelle von Polizei und Menschenrechten.

Die UN-Menschenrechtskonferenz 1993 in Wien war ein Meilenstein im globalen Men­schenrechtsdiskurs und ist, glaube ich, den meisten in Erinnerung. Die Konferenz hat aber durch das wichtige und zentrale NGO-Tribunal, das stattgefunden hat und im Rah­men dessen Menschenrechtsverletzungen auch durch Staaten aufgezeigt wurden, auch gezeigt und betont, dass Menschenrechte und Zivilgesellschaft Hand in Hand gehen.

Zunehmend wird die Rolle von Städten als urbane Zentren, aber auch als aktive Player in einem vielschichtigen Gefüge, als wichtige Akteurinnen zwischen einer lokalen und einer globalen Politik, als Räume mit einer politischen Verantwortung in den Blick ge­nommen. Tatsächlich übernehmen die österreichischen Städte auch in europäischen und in globalen Netzwerken und Foren eine aktive Rolle und involvieren sich auch vorbildhaft und reflektieren ihre Rolle als Menschenrechtsstädte, aber auch als sichere Städte, als smarte Städte, als Cities of Refuge, als Shelter Cities, als Solidarity Cities.

In diesem Sinne: Graz war die erste europäische Menschenrechtsstadt, und das Unesco-Trainingszentrum für Menschenrechte unterstreicht dieses bisherige Commit­ment und die Arbeit des Grazer Trainingszentrums für Menschenrechte, das nun lokal, regional, aber auch transnational vermitteln und schulen wird.

Es ist schon angesprochen worden, dass die Schulungsarbeit in diesem Bereich auch den lokalen Institutionen zugutekommen wird, sei es Gemeinderäten und Gemeinde­rätinnen, also der Politik, aber auch anderen Bereichen wie den Medien, der Polizei, der Bildung. Das ist Menschenrechtsarbeit und Menschenrechtsbildung und ‑vermittlung. In diesem Sinne ist das etwas, das lokal ganz stark wirken wird, auch im Sinne einer Solidarity City und einer Stadt für alle, einer Stadt, die auch Heimat machen kann.

Gestern ist das auch angesprochen worden: Wie klingt es und wie wirkt es, wenn jemand von Heimat spricht? Heimat ist aber auch etwas, das gemacht wird und hergestellt wird. Auch eine Stadt kann Heimat machen und für Menschen eine Heimat sein, eine Inclusive City, und kann danach fragen, welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit das Zusammenleben, damit Teilhabe und damit Mitgestalten funktionieren, nämlich gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Initiativen.

In diesem Sinne ist das heute behandelte Abkommen ein kräftiges Ja zu Men­schen­rechten inner- und außerhalb Österreichs. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und NEOS sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

21.15



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 252

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Holzleitner. – Bitte.


21.15.36

Abgeordnete Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): Herr Präsident! Werter Herr Minister! Kolleginnen und Kollegen, auch zu dieser späteren Stunde! Der Kampf für LGBTIQ-Rechte ist ein harter. Das sehen wir auch in Österreich nach wie vor. Seit mittlerweile zehn Jahren kämpfen wir zumindest teilweise gemeinsam für das Levelling-up. Blut­spenden ist homosexuellen Männern de facto noch immer verboten. Das ist ein Problem. Wir werden uns dafür einsetzen, dass es da zu einer Öffnung kommt.

Was wir gleichzeitig in anderen Ländern erleben, ist aber noch dazu ein ungeheuerlicher Rückschritt: Hetze, Stimmungsmache gegen eine bunte Gesellschaft wie beispielsweise in Polen oder auch Ungarn, ein ungeheuerlicher Backlash.

LGBT-freie Zonen in Polen sind nicht nur ausgrenzend, sondern regelrecht stigmatisie­rend. Man drängt Menschen in eine Ecke, weil sie nicht ins rechte Weltbild passen. Ein konservativer Präsident, der im Wahlkampf laufend gegen eine LGBTIQ-Community hetzt, ist unfassbar, ungeheuerlich und auf das Schärfste zu verurteilen. (Beifall bei SPÖ, Grünen und NEOS.)

Ein weiteres Beispiel, weil es ja nicht nur Polen betrifft, sondern auch Ungarn: Auch in Ungarn sind die aktuellen Geschehnisse wirklich alarmierend, und deswegen haben wir auch mit unserer Abgeordneten Sabine Schatz vor ungefähr zwei Nationalratssitzungen einen Antrag eingebracht, in dem wir die Bundesregierung aufgefordert haben, sich auf EU-Ebene und bilateral dafür einzusetzen, dass dieses Gesetz, laut dem das Geschlecht in ungarischen Dokumenten künftig nur mehr als Geschlecht bei der Geburt eingestuft werden kann, sofort zurückgenommen wird.

Jede Ausweiskontrolle führt dadurch zu einem Zwangsouting für Betroffene – unfassbar unangenehm. Ungarische NGOs und europäische Menschenrechtsorganisationen war­nen auch einstimmig vor weitreichenden Folgen für alle intergeschlechtlichen und Trans­personen in unserem Nachbarland. Wir sagen: Drop 33! Ungarn liefert ein weiteres Bei­spiel für grässliche, rückwärtsgewandte Politik innerhalb von Europa.

Sich auf europäischer Ebene gegen jegliche Hetze gegen sexuelle Minderheiten ein­zusetzen und Geschehnisse und Hetzkampagnen gegen die LGBTIQ-Community wie in Polen aufs Schärfste zu verurteilen muss für uns alle eine Selbstverständlichkeit sein.

Was bei diesem Tagesordnungspunkt aber wieder besonders hervorsticht, ist, dass sich die Regierungsparteien einfach nicht dazu überwinden können und es nicht übers Herz bringen, einem Oppositionsantrag zuzustimmen. Eines muss man schon ganz klar sagen: Der Ursprungsantrag von Kollegen Shetty ist wirklich strikter und klarer formuliert als die Verwässerung durch die Regierungsparteien. In einem Fall wie jenem Polens wären einfach harte, klare Worte dringend notwendig.

Im Juni haben wir den Regenbogenmonat gemeinsam gefeiert, zwar nicht zu Fuß am Ring, aber mit einem Autokorso nicht weniger laut. Diese symbolische Solidarität fordert aber auch dringend Taten ein. Wir sind täglich aufgerufen, klar für Menschen- und Grundrechte aufzustehen und Gleichstellung innerhalb der Europäischen Union zu ver­teidigen und uns dafür einzusetzen. (Beifall bei SPÖ, Grünen und NEOS.)

21.19


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Brandstätter. – Bitte.



Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 253

21.19.09

Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Hohes Haus! Liebe Zuseherinnen und Zuseher überall auf der Welt! Man kann uns ja im Internet überall sehen und auf jeden Fall auch bei der UNO. Jetzt möchte ich zu später Stunde Sie und uns alle motivieren: Sagen wir, es ist UNO-Time! Es ist jetzt also ungefähr 15.30 Uhr. Da sind wir doch gleich um einiges munterer.

Wir sind natürlich für die internationalen Organisationen, wir sind für den Multi­latera­lismus, und deswegen finde ich es natürlich schon bedrohlich und befremdend, dass Donald Trump jetzt schon angekündigt hat, nächstes Jahr aus der WHO auszusteigen. Jede Schwächung von internationalen Organisationen ist natürlich negativ.

Dieses Buch (eine Ausgabe des Buches „The Room Where It Happened“ in die Höhe haltend) gibt es erst seit ein paar Tagen, ich würde es aber dringend empfehlen. – Herr Bundesminister, Sie können es ja lesen lassen, Sie haben Leute, die es für Sie lesen; John Bolton, „The Room Where It Happened“. Wenn Sie das lesen, dann machen Sie sich Sorgen. Sie machen sich Sorgen um den Zustand des Präsidenten – ja mein Gott, das ist sein Problem! –, nein, um den Zustand der Welt, weil es natürlich gefährlich ist, wenn so jemand im Weißen Haus sitzt.

John Bolton ist, wie wir wissen, ein sogenannter Neokonservativer, jemand, der schon Obama vorgeworfen hat, dass er die Sicherheit der Erde und auch die Sicherheit der Vereinigten Staaten gefährdet. Er beschreibt, er zeigt auf, wie Trump vor einem Nato-Treffen angekündigt hat: Weißt du was, wir fahren zur Nato und kündigen dort an, dass wir austreten! – das hat man ihm dann irgendwie noch ausgeredet –, wie er dort auch schon gesagt hat, dass er die UNO schwächen will, wie er gesagt hat, wie dumm Frau Merkel ist, et cetera. Das alles ist in diesem Buch leider nachzulesen.

Es ist übrigens auch nachzulesen – es ist unfassbar –: Er hat wahrscheinlich die besten Geheimdienste der Welt, und die holt er sich eh nicht jeden Tag, sondern nur zweimal pro Woche, um sie dann zu belehren. Er erklärt ihnen dann, was los ist, anstatt die Informationen, die er natürlich haben könnte, einzuholen. Wie gesagt: Wenn man will, kann man sich Sorgen machen, das ist alles sehr erschreckend.

Natürlich geht es da auch um unsere Sicherheit, um die Sicherheit Europas, denn man muss ja nicht Nato-Mitglied sein, um zu beobachten, dass es natürlich für Europa gefährlich wäre, wenn die USA aus der Nato austräten. (Abg. Kassegger: Das ist ja wohl eher theoretisch!) Wenn Trump einfach sagt: Hurra, wir ziehen Truppen aus Deutschland ganz ab oder schicken einige nach Polen!, dann will er ja Europa ganz bewusst spalten, und da sind wir bei der Europäischen Union. Er sagt das ja auch – in diesem Buch kann man das nachlesen –: Er möchte die Europäische Union spalten.

Nun kommen wir zu China – auch das steht drinnen –: Er habe Xi Jinping angesprochen, ob ihm dieser nicht bei der nächsten Wahl helfen wolle. – Wie er ihm helfen kann, weiß ich nicht, aber alleine auf die Idee zu kommen, dass der Präsident eines kommunistisch-autoritären Regimes dabei helfen könnte, eine demokratische Wahl zu gewinnen, ist doch mehr als bedenklich.

Um die USA mache ich mir ja nicht ganz so viele Sorgen, weil ich erstens auf die Intelligenz der Wählerinnen und Wähler hoffe und zweitens, weil dort die Checks and Balances schon noch stimmen. Wir müssen aber – und jetzt kommen wir nach Europa und gleichzeitig nach China – schon beobachten, dass China verstärkt an Einfluss in Europa gewinnt, dass das mit der Spaltung ja funktioniert, weil ein Teil der EU-Staaten mit China schon eine eigene Gruppe bildet und hofft, dort mehr Geld herauszu­be­kommen.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 254

Damit sind wir am Balkan. Ich bin ja sehr dafür – und die österreichische Bundes­regierung bemüht sich hoffentlich auch –, dass die Westbalkanstaaten der EU beitreten, mit allen Schwierigkeiten, die da vor uns liegen. Wir müssen aber nicht nur den dortigen Einfluss Chinas beobachten, sondern auch, dass dort der Rechtsstaat und die Freiheit gerade zurückgefahren werden. Was sich in den letzten Tagen in Serbien, in Belgrad, abgespielt hat, ist bedenklich. Es ist gefährlich, es gefährdet dort die Demokratie, den Rechtsstaat. Daher müssen wir auch dort gemeinsam als Europäer auftreten.

Deswegen hat es mich gefreut, dass Frau Merkel heute im Europäischen Parlament aufgetreten ist. Die deutsche Bundeskanzlerin hat gesagt, ganz bewusst mache sie ihren ersten Besuch als Ratspräsidentin bei einer demokratischen Einrichtung, beim Euro­päischen Parlament. Sie hat auch gesagt: Das Wichtigste, das wir zu vertreten haben, sind unsere Grundrechte – unsere Grundrechte in Europa.

Wir müssen uns ja nicht besonders viel besser als andere vorkommen. Die Erkenntnis aber, dass die Menschenrechte universale Menschenrechte sind, die Erkenntnis, dass uns die Aufklärung dorthin gebracht hat, wo wir heute – mit allen Rückschlägen, über die wir heute auch schon geredet haben – hoffentlich sind, diese Erkenntnis sollten wir schon haben! Da haben wir schon den Anspruch, dass wir sagen, wir wollen die anderen nicht belehren – ja, doch, wir wollen sie schon belehren, wir wollen sie aber nicht gewaltsam belehren, sondern wir wollen sie freundschaftlich belehren. Wir wollen alles dafür tun, dass in Europa jedenfalls das, was die Chinesen gerade in Hongkong machen, nicht eintritt, auch nicht in Serbien, auch nicht am Balkan. Das können wir nur als ge­meinsame Europäische Union, und ich bin sehr froh, dass es, gerade was das Vorgehen in Hongkong betrifft – darüber werden wir morgen ja noch reden –, jetzt einen ge­mein­samen Antrag gibt. Dem werden wir jedenfalls zustimmen. – Vielen Dank. (Beifall bei den NEOS.)

21.24


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister Schallenberg. – Bitte.


21.24.36

Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Grüß Gott, Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Erlauben Sie, kurz zu den Tagesordnungspunkten, zu den heute angesprochenen Punkten Stellung zu neh­men.

Wir alle wissen, dass wir in Wirklichkeit vor einer einzigartigen Situation stehen. Zum ersten Mal sind alle Staaten auf diesem Planeten mit der gleichen Herausforderung kon­frontiert, nämlich dem Umgang mit Covid-19, mit dem Virus. Gleichzeitig müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Außenpolitik nicht stehen bleibt. Wir haben sogar im Gegen­teil einen, ich würde sagen, außenpolitisch heißen Herbst vor uns. Einige Themen sind hier angesprochen worden: Hongkong, China, Spannungen zwischen den USA und China, die Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten, der Nahe Osten – Thema Annexion –, Brexit im europäischen Kontext, Türkei, und das alles noch dazu angesichts einer drohenden Wirtschaftskrise, die auf uns zukommt.

Ich glaube, es ist daher sehr wichtig, dass wir auch in dieser Debatte hier im Hohen Haus klarstellen: Es gibt gewisse Punkte, bei denen wir Kontinuität wahren, es gibt gewisse Themen, bei denen wir einfach engagiert bleiben. Mich freuen gerade diese heutigen Tagesordnungspunkte, denn es sind an sich Punkte, die von Menschenrechten sprechen. Sie sprechen für das Engagement für den Amtssitz, sie sprechen für das Engagement für Klima und erneuerbare Energien – wesentliche Themen – und natürlich, ganz we­sentlich, für – ein Schlagwort, das manche außerhalb dieser Mauern vielleicht gar nicht


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 255

so sehr verstehen – den Multilateralismus, sprich das Engagement für die Zusammen­arbeit im internationalen Rahmen, in internationalen Organisationen.

Es freut mich daher ganz besonders, dass wir natürlich mit dem Grazer Zentrum für Menschenrechte eigentlich ein Unikum schaffen. Es ist das einzige von weltweit zwei Zentren dieser Art, die geschaffen werden. Es freut mich auch – das sage ich gleich dazu –, dass es einmal nicht in Wien ist. Es muss nicht immer alles, was Amtssitz und internationalen Standort betrifft, in Wien sein, es ist sehr schön, dass es einmal in Graz ist. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Nur kurz ein Kommentar dazu, dass gesagt wurde, das Menschenrechtszentrum wird nicht Österreich prüfen, sondern ist ein Zentrum, das sich für Recht auf Bildung für Romakinder in Südosteuropa engagiert, für Menschenrechtstraining für den urbanen Bereich in Afrika und für Inclusive Cities in the Arab World. Das sind, glaube ich, durchaus Themen, die es verdienen, dass man sie weiterhin verfolgt, und ich glaube, das ist auch eine schöne Anerkennung für uns als Standort, als internationalen Standort, und ich sage bewusst nicht: Wien, sondern: Österreich.

Das zweite Thema wurde ja schon breit erörtert: unsere Ratifikation und unser Beitritt zur Internationalen Organisation für erneuerbare Energien, Irena. Klimawandel und erneuerbare Energien sind Themen, die jetzt vielleicht ein bisschen in den Hintergrund gerückt sind, die aber weiterhin auf der Tagesordnung stehen müssen und stehen – das ist auch wichtig. Ich sehe auch da eigentlich einen klaren Konnex zu uns als Amtssitz, denn zur Organisation Irena gab es schon in den vergangenen Jahren sehr starke Verbindungslinien. Ich denke nur an Sustainable Energy for All, ansässig in Wien, Unido, ansässig in Wien, oder Ofid – das ist der Opec Fund –, auch ansässig in Wien. Der Beitritt zu Irena ist durchaus eine Ergänzung zum Energiehub, den wir hier in Wien über die Jahre aufgebaut haben.

Die Frage, die ein Abgeordneter gestellt hat: Warum erst jetzt?, ist durchaus berechtigt. Ich könnte einmal salopp formulieren: Wir haben uns ursprünglich für den Sitz von Irena beworben, sind es dann aber nicht geworden. Da war so ein leichtes Gefühl der Ent­täuschung, und dann wurde etwas zum Thema, das ich einmal ganz salopp als eine typische Kompetenzfrage bezeichnen würde, die Finanzierung des Zentrums betreffend. Das ist jetzt aber geregelt, und jetzt steht einem Beitritt nichts mehr im Wege. Ich sage aber ganz offen: Die Zusammenarbeit war schon in der Vergangenheit sehr stark.

Erlauben Sie mir zum Schluss, kurz auf zwei konkrete Punkte einzugehen, die tages­aktuell sind beziehungsweise als solche angesprochen wurden.

Der eine Punkt betrifft Venezuela. Um es ganz klar zu machen: Ja, wir haben einen eigenen Standpunkt. Ich muss sogar sagen, der österreichische Bundeskanzler war unter den ersten Stimmen in Europa, die eine ganz klare Linie und Kante zu Maduro gezeigt haben. (Beifall bei der ÖVP sowie des Abg. Reimon.) Letzte Woche habe ich selber mit dem Oppositionsaußenminister Julio Borges telefoniert.

Der Punkt ist einfach, wir sind effizienter, wenn wir im EU-Konzert, im EU-Rahmen vor­gehen, und ich weiß mich da total eines Sinnes mit dem Hohen Vertreter der Union Josep Borrell. Die EU hat gerade wieder elf Personen unter Sanktionen gestellt, ihre Konten eingefroren, ihnen einen visa ban auferlegt, und wir sind auch offen, weitere Schritte zu setzen. Das heißt, es gibt keinen Zweifel an unserer Haltung und es gibt von meiner Warte aus auch keinen Zweifel daran, dass wir viel effizienter unterwegs sind, wenn wir die gesamte EU, die einfach sozusagen ein Machtfaktor auf diesem Globus ist, bewegen und das nicht nur bilateral vorbringen.

Der Austritt der Vereinigten Staaten aus der WHO wurde angesprochen. Ganz klar, von unserer Warte aus: Wir bedauern diesen Schritt, das ist nicht ein Schritt, den wir gesetzt


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hätten. Ja, es gibt mit UNO-Organisationen oder überhaupt mit internationalen Organi­sationen immer wieder Situationen, in denen man nicht zufrieden ist, in denen die Dinge nicht so laufen, wie man will, in denen es mühsam ist und man vielleicht das Gefühl hat, man kann mit seiner Position nicht durchdringen. Wir Österreicher hätten da instinktiv einen ganz anderen Zugang, und als Außenminister kann ich hier nur sagen: Wir bleiben in der UNO, und zwar in jeder Teilorganisation, voll engagiert, und das wird auch so bleiben. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten von Grünen und NEOS.)

Jetzt muss ich natürlich sagen, es ist, glaube ich, auch allen klar, dass nicht alles, was im November, Dezember, Januar in der WHO gelaufen ist, ideal war, aber ich glaube, dazu braucht es noch Untersuchungen. Es gibt jetzt schon genug kritische Stimmen, und ich vertraue schon darauf, dass es auch innerhalb der UNO-Familie ein steigendes Be­wusstsein gibt, dass vielleicht nicht alle Informationen so gelaufen sind oder weiter­gegeben und publik gemacht wurden, wie man es hätte tun sollen.

Ich glaube allerdings, dass wir uns gerade als Westen, gerade als mittelgroßer west­europäischer Staat überlegen müssen: Es gibt in der Politik kein Vakuum. Wenn die Vereinigten Staaten sich zurückziehen, werden andere dieses Vakuum füllen. Die Be­fürchtung ist natürlich, dass es in diesem Fall China sein wird – China hat schon seine finanziellen Beiträge erhöht –, und ich sage ganz offen, das kann langfristig nicht in unserem Interesse sein. Das heißt, unser Ansinnen muss sein, für die Vereinigten Staaten sozusagen Incentives, Anreize zu kreieren, um sie dazu zu bringen, international multilateral engagiert zu bleiben. – Danke sehr. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten von Grünen und NEOS.)

21.31


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Abgeordneter Berlakovich ist zu Wort gemel­det. – Bitte.


21.31.24

Abgeordneter Dipl.-Ing. Nikolaus Berlakovich (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Außenminister! In der Konsequenz Ihrer Rede und auch jener des Kollegen Brandstätter finde ich das eine durchaus spannende Debatte, denn wenn sich die Vereinigten Staaten international zurückziehen und sich China dann gewaltig in Richtung einer Weltmacht entwickelt und Russland immer ein Faktor bleiben wird, stellt sich schon die Frage, wie wir im vereinten Europa darauf reagieren. Wir erleben ja gerade die Gegentendenz zu dieser Bewegung in Richtung eines vereinten Europas, ein Aus­einanderdriften der Staaten aufgrund von Populismen, aufgrund von Nationalismen, auf­grund von Egoismen.

Ich finde aber, dass wir durchaus auch nicht wehleidig sein dürfen, wenn wir kontroverse Debatten innerhalb Europas – sei es mit Polen, sei es mit Ungarn – führen. Das muss eine Demokratie aushalten. Im Gegenteil, ich sehe das als eine Chance für das gemeinsame Europa, die eigenen Hausaufgaben zu machen, wenn die Amerikaner sagen: Sorgt euch um eure Verteidigungspolitik! Sorgt euch gemeinsam um andere Politikbereiche! – Bisher sind wir komfortabel im Sessel gelehnt und andere haben für uns die Aufgaben gemacht.

So ist es ja auch bei der Energieversorgung. Es ist richtig, dass Europa darüber nach­denkt, die gesamte Energie am eigenen Kontinent zu produzieren und nicht abhängig zu sein. Wer zuletzt gelesen hat, dass zwei Gaspipelines durch die Türkei gehen und die Türkei androht, na ja, wenn sich Europa nicht nett verhält, dann dreht man den Gashahn ab, dann ist das doch ein klares Signal in Richtung Renewables, in Richtung erneuerbare Energie.


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Insofern ist die Annahme der Satzungen zu Irena auch eine gute Sache – spät, aber doch; der Herr Außenminister hat die Gründe aufgezeigt. Ich meine, es ist ja interessant, dass die Debatte über die Gründung einer derartigen Organisation schon in den Achtziger- und Neunzigerjahren geführt wurde, als die erneuerbare Energie, sagen wir so, noch nicht so groß in Mode war.

Letztendlich ist Irena, also die Internationale Organisation für erneuerbare Energien, 2009 gegründet worden. Wir haben gehört, es hat sich Deutschland damals mit Bonn beworben, Österreich mit Wien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die letztendlich den Zuschlag bekommen haben. Man muss sagen, Sie haben ein besseres Angebot gemacht und – auch ein interessantes Modell – in die Wüste Masdar City hingestellt, eine Ökostadt mit sehr spannenden internationalen Einrichtungen, universitären Einrich­tungen.

Interessant sind jedenfalls die Ziele für Irena, nämlich natürlich aus den fossilen Ener­gieträgern rauszukommen, natürlich Klimaschutz zu betreiben, aber sich auch der Herausforderung zu stellen, dass 1,6 Milliarden Menschen nicht über Elektrizität verfügen und fossile Energieträger verwenden, die gesundheitsschädlich sind. Das ist also auch ein zutiefst sozialer Aspekt dieser Institution.

Jetzt ist Österreich endlich dabei. Ich halte das für sehr gut und sehr notwendig, denn gerade beim Klimaschutz und auch bei den erneuerbaren Energien ist Europa ohne Selbstberühmung doch ein Vorreiter, gerade auch Österreich. Daran müssen wir aber aus mehreren Gründen intensiver arbeiten, insbesondere auch wegen des Klima­schut­zes. Es ist nach wie vor so, dass wir, wenn wir die Pariser Klimaziele ernst nehmen, von Öl, Kohle und Gas wegkommen und die erneuerbaren Energien forcieren müssen. Ärgerlich ist oft, dass manche unter erneuerbarer Energie nur Strom aus Renewables verstehen, aber dann vielleicht Biomasse nicht so gerne haben wollen. Die Wahrheit ist, dass wir alle diese Energieträger ohne Konkurrenz zueinander brauchen, wenn wir die Energie am eigenen Kontinent und auch in Österreich produzieren wollen. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten von Grünen und NEOS.)

Ich durfte seinerzeit als Minister eine Studie in Auftrag geben, weil mich das energie­autarke Österreich, seinerzeit nach dem Güssinger Modell einer energieautarken Stadt, immer fasziniert hat. Und ja, es ist möglich. Drei technische österreichische Universitäten haben gesagt, per saldo können wir uns bei Energieeinsparung und Energieeffizienz mit erneuerbaren Energien versorgen. Es ist doch gerade im europäischen Sinne ein faszinierender Gedanke, unabhängig zu werden. Aus diesem Grund ist es gut, hier beizutreten und auch unser Know-how und unsere Kompetenz einzubringen. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten von Grünen und NEOS.)

21.35


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Abgeordneter Reimon ist zu Wort gemeldet. – Bitte.


21.36.07

Abgeordneter Michel Reimon, MBA (Grüne): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Außenminister! Die Grenzsituation im Mittelmeer ist tatsächlich ein menschenrechtliches Problem, dem wir uns stellen müssen. So, wie die Europäische Union damit umgeht, auf dieses Thema zugeht, haben wir die Aufgabe, uns dem wirklich zu stellen und darauf einzugehen. Sie merken, mich bewegt das. Es ertrinken im Mittelmeer jeden Tag, jede Woche Menschen, und wir müssen uns um dieses Thema kümmern.

Ich bin sehr froh, dass Sie sich um diese Irena-Mission gekümmert haben, Österreich da eine Position gegeben haben. Ich möchte aber auch darauf Wert legen, dass es men­schenrechtsmäßig noch wesentlich besser geht als so, wie es die Europäische Union


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 258

jetzt macht. Ich erwarte mir – und wir arbeiten im Hintergrund daran, darüber bin ich sehr froh –, dass Österreich da auf eine bessere Position drängt. In diesem Sinne setzen wir die Zusammenarbeit hoffentlich so fort. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

21.37


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Shetty. – Bitte.


21.37.35

Abgeordneter Yannick Shetty (NEOS): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal stehen wir hier, weil ein Antrag zu LGBT-Themen von der Regierung abgelehnt wurde.

Ich muss vielleicht zuerst ein bisschen erklären – Kollegin Holzleitner hat es schon angedeutet –, worum es hier geht, wie es in einem Ausschuss vor sich geht, denn das ist für die Zuseherinnen und Zuseher wahrscheinlich nicht so leicht nachvollziehbar: Da befindet sich ein Antrag im Ausschuss, und dann gibt es mehrere Möglichkeiten, was damit passiert. Die Abgeordneten können dem Antrag zustimmen, sie können ihn ablehnen, sie können ihn vertagen, schubladisieren, was besonders häufig passiert. Besonders perfide ist es, wenn die Regierungsparteien einen ähnlichen Antrag einbringen, der aber inhaltlich verwässert ist, weil man nicht eingestehen möchte, dass man in der Sache, im Inhalt den Antrag der Opposition ablehnt.

Was mich besonders ärgert, auch weil das besonders unredlich und nicht im Sinne eines aktiven Parlamentarismus ist – das muss ich in aller Deutlichkeit wieder in Richtung Grüne sagen, die jahrzehntelang als Opposition genau das kritisiert haben, was sie jetzt eins zu eins selber machen –: dass dann – nicht alle, aber gewisse – grüne Abgeordnete diese verwässerten Anträge, die einfach nicht gleich gut wie die ursprünglichen sind, die inhaltlich nicht dem gleichkommen, was die ursprünglichen Antragsteller wollten, diese Minimalkompromisse wie große Erfolge abfeiern. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Das Problem bei diesen verwässerten Anträgen ist, dass sie qualitativ schlechter sind, dass sie eben verwässert und weniger deutlich sind. Genau darum geht es auch beim Antrag, zu dem ich heute spreche.

In der Sache geht es nämlich um die Verurteilung der menschenverachtenden Politik in Polen. Da würde ich Sie gerne fragen, vielleicht explizit die Abgeordneten der FPÖ – es sind jetzt nicht mehr viele da, aber vielleicht Frau Belakowitsch –, weil die FPÖ gegen den Antrag gestimmt hat: Wissen Sie, was in Polen mit der LGBT-Community passiert? Oder die anderen Abgeordneten? Viele sind von der FPÖ ja nicht mehr hier. (Abg. Stögmüller: Der muss man einmal erklären, was das ist! – Abg. Belakowitsch: Das ist kein politisches Thema!) Ich frage Sie, weil die FPÖ als einzige Partei sogar diesen Minimalkompromiss zwischen ÖVP und Grünen abgelehnt hat.

Ich möchte Ihnen etwas zeigen, ich habe etwas mitgebracht, das ist das polnische Staatsgebiet. (Der Redner stellt eine Tafel mit der roten Aufschrift „LGBT-Freie Zonen“, auf der große Teile des Staatsgebietes Polens rot eingefärbt sind, auf das Rednerpult.) – Jetzt hält es nicht, aber (die Tafel in die Höhe haltend) ich kann es Ihnen so zeigen.

Ein Drittel des polnischen Staatsgebietes wurde von Kommunen, wurde von den Regio­nen als LGBT-freie Zone erklärt. Schauen Sie sich das einmal an, mitten in Europa im Jahr 2020! In Medien – zum Beispiel in der „Bild“-Zeitung, im „Spiegel“ – der vergan­genen Woche werden Interviews mit Betroffenen geführt, die sagen, dass sie aus diesen Regionen wegziehen müssen, weil sie dort um ihr Leben fürchten. (Abg. Belakowitsch: Stimmt ja nicht! Ist ja nicht wahr!) Was? Nicht wahr? (Abg. Belakowitsch: Das stimmt


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ja nicht!) Ja, Frau Belakowitsch, dann lesen Sie sich die Artikel von den Betroffenen einmal durch, bei denen es um die Existenz geht, die ihr Hab und Gut verlassen müssen, die ihre Heimat verlassen müssen, weil sie nicht mehr sicher auf die Straße gehen können!

Kollegin Holzleitner hat schon angesprochen, dass im Präsidentschaftswahlkampf Kan­didat Duda offen gegen Schwule und Lesben hetzt. Deswegen wäre es wichtig, dass wir als österreichischer Nationalrat eine klare, eine deutliche Entschließung fassen, die die Sachen benennt und nicht alles verwässert. (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) Ich appelliere daher an die Kolleginnen und Kollegen von der FPÖ, aber auch an ÖVP und Grüne, dass Sie unserem deutlichen Antrag zustimmen und das, was in Polen passiert, deutlich verurteilen! (Beifall bei den NEOS.)

21.41


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Abgeordneter Lopatka ist zu Wort gemel­det. – Bitte.


21.41.14

Abgeordneter Dr. Reinhold Lopatka (ÖVP): Kollege Shetty, ich kann Ihnen nicht vor­schreiben, welche Anträge Sie einbringen, aber ebenso wenig können Sie mir vor­schreiben, welche Anträge wir einbringen. Ich glaube, darüber sollten wir uns einig sein! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.  Abg. Prinz: Das ist einfach der jugendliche Übermut! Ruf bei den NEOS: Das hat mit dem Alter nichts zu tun! Weitere Zwischenrufe bei den NEOS.)

Die Klammer dieser Debatte sind Menschenrechte. Was die Lage im Mittelmeer betrifft, hat Kollege Reimon, der da besonders engagiert ist, schon seine Besorgnis zum Ausdruck gebracht, auf der anderen Seite hat der Außenminister hervorheben können, dass wir mit der steirischen Landeshauptstadt Graz ein Zentrum für Menschenrechte haben. Auf einen dritten Punkt, den wir hier auch diskutieren, möchte ich etwas näher eingehen – er ist von Kollegen Kassegger vorhin schon angesprochen worden –: die Situation in Venezuela.

Sie haben vorhin die Situation in Polen so dramatisch geschildert, wirklich dramatisch ist die Situation jedoch in Venezuela. Das sage nicht ich, sondern die UNO hat dort in allen Bereichen furchtbare Missstände festgestellt. Das politische Chaos, das in diesem Land herrscht, hat dazu geführt, dass es eine humanitäre Katastrophe gibt. Die zuständige Organisation der UNO hat festgestellt, dass sieben Millionen Menschen im Land, das ein reiches Land war, nach wie vor ein erdölreiches Land ist, auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, 3,2 Millionen davon sind Kinder. Das ist wirklich furchtbar.

Die öffentliche Infrastruktur ist dort zusammengebrochen, Strom und Wasserversorgung gibt es nicht, 3,7 Millionen Menschen hungern. Das hat dazu geführt, dass die größte Flüchtlingsbewegung, die es überhaupt jemals in Lateinamerika gegeben hat, nun von Venezuela ausgeht. Vier Millionen Menschen haben in ihrer Heimat keine Perspektive mehr gesehen und sind geflohen. Dramatisch! Den Menschen, die im Land bleiben, die politisch etwas bewegen wollen, kann es passieren – wieder Fakten, die von der UNO festgehalten worden sind –, dass sie außergerichtlich hingerichtet werden, es gibt viele willkürliche Verhaftungen.

Das, was wir hier in dem Antrag festgehalten haben, ist auch auf europäischer Ebene zuletzt so gesehen worden. Die Botschafterin der Europäischen Union ist mit der Aus­weisung bedroht worden; letzten Montag war das, zwei Tage später hat Präsident Maduro das dann zurückgezogen. Auch die Europäische Union sieht sich zunehmend gefordert, diese Missstände ganz klar aufzuzeigen.


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Das Gute – was uns heute bei einem anderen wichtigen Antrag leider nicht gelungen ist – ist, dass alle Fraktionen im Außenpolitischen Ausschuss diesem Antrag zugestimmt haben. Ich hoffe, es ist auch heute hier im Haus so, denn wir, als frei gewählte Abge­ordnete, dürfen es keinesfalls unterlassen, uns mit solchen Fragen zu beschäftigen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

21.45


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Abgeordnete Ernst-Dziedzic ist zu Wort gemel­det. – Bitte.


21.45.12

Abgeordnete Dr. Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne): Herr Präsident! Herr Minister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Spät, aber doch blicken wir auch bei dieser Sitzung über den geografischen Tellerrand. Es geht bei einem der hier zusammengefasst debattierten Tagesordnungspunkte um den Sonderbeauftragten für Religions- und Weltanschau­ungsfreiheit.

Die deutsche Gesellschaft für bedrohte Völker hat die EU-Kommission aufgefordert, die bereits kommunizierte Einstellung zurückzunehmen, es gab dazu auch einen Antrag der Regierungsparteien. Wie ich denke, war das der richtige Schritt, da es heute geheißen hat, das Amt des Sonderbeauftragten wird nun doch fortgeführt.

Ich möchte wie Kollege Lopatka auch ganz kurz auf Venezuela eingehen, weil wir tatsächlich hinschauen sollten, was dort passiert. Es sind nicht nur die vier Millionen Menschen, die – wie UNHCR sagt – bereits jetzt geflüchtet sind, auf der Flucht sind, es sollen in den nächsten Monaten – das muss man sich einmal vorstellen! – 6,5 Millionen werden. Das heißt, es ist rasant, was dort an Vertreibung stattfindet. Das liegt natürlich auch nicht nur an diesem andauernden politischen Chaos im Land, sondern daran, dass mittlerweile das Essen, das Wasser rationiert wird und die Menschen dort schlicht nichts zu essen haben. Das heißt, da haben wir einen ganz klaren Auftrag an die Staaten­gemeinschaft, nicht wegzusehen, an die Europäische Union, sich des Problems anzu­nehmen, aber natürlich kann auch Österreich als in der Geschichte bekanntlich neutraler Vermittler in dieser internationalen Krise Vorreiter in einer aktiven Friedens- und Vermitt­lungspolitik werden.

Zuletzt möchte ich auch noch kurz auf den Antrag zu den sogenannten LGBT-freien Zonen in Polen eingehen. Da gibt es jetzt einen Antrag der Regierungsparteien und, ja, es mag für die Opposition zu wenig sein. Ich denke, da steht genau das drinnen, was wichtig ist, nämlich eine klare, konkrete, präzise Verurteilung dessen, dass es im Süden von Polen mittlerweile sehr viele Gemeinden gibt, die einfach sagen, wir sind LGBT-frei, das heißt, sie schließen eine gewisse Menschengruppe allein aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität aus. Es gibt dort Menschen – Lesben, Schwule –, die sich nicht mehr auf die Straße trauen, weil sie sagen, wenn ich erkannt werde, weiß ich nicht, wo ich Schutz finde. All das passiert in Europa.

Ich denke, da braucht es eine klare Haltung, und die gibt es auch mit diesem Antrag von ÖVP und Grünen. Danke trotzdem, Yannick, für deine Anregung, und sei nicht böse, wenn deine Anträge ein Anlass sind, sie weiterzuentwickeln, weiterzuverhandeln! (Abg. Shetty: Ich bin nicht böse!) Ich sage immer wieder dazu: Wir nehmen die Anträge der Opposition ernst, und deshalb freue ich mich sehr, dass es diesen hier gibt. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Im Zuge der Debatte möchte ich zu TOP 30 einen Entschließungsantrag einbringen, und zwar zur menschenrechtlichen Situation in Hongkong. Sie werden es gehört haben, dort gibt es schon sehr lange nicht nur Demonstrationen, sondern auch sehr brutale Gewalt den Demonstranten und Demonstrantinnen gegenüber. Wir haben hier jetzt einen


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Antrag von ÖVP, Grünen, FPÖ und auch den NEOS, und ich hoffe, dass bei der Ab­stimmung dann auch die SPÖ mit dabei ist. Ich bringe somit folgenden Entschließungs­antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Helmut Brandstätter, MMMag. Dr. Axel Kassegger, Kolleginnen und Kollegen betreffend „die politische und menschenrechtliche Situation in Hongkong“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten, wird ersucht,

- den einseitigen Erlass des Sicherheitsgesetzes als Verstoß gegen Hongkongs Autonomie und Verletzung von Grund- und Freiheitsrechten zu verurteilen;

- sich dafür einzusetzen, dass die EU mit geeinter Stimme die Regierung in Peking eindringlich dazu auffordert, die chinesisch-britische Gemeinsame Erklärung zu Hong­kong [...] von 1990 und den Grundsatz ‚Ein Land, zwei Systeme‘ vollumfänglich zu achten;

- sich auf bi- und multilateraler Ebene dafür einzusetzen, dass im September 2020 freie und faire Wahlen des Legislativrats in Hongkong ohne Einmischung der Volksrepublik China sichergestellt werden können;

- sich auf bilateraler und EU-Ebene aktiv für den Schutz der Hongkonger Demokratie­aktivistinnen und -Aktivisten einzusetzen

- sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass die EU-China Beziehungen verstärkt an den gemeinsamen EU-Werten und demokratischen Grundfreiheiten ausgerichtet wer­den;

- sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass bei den anstehenden EU-China-Treffen das Sicherheitsgesetz als auch die Situation der Uiguren thematisiert werden;

- die Bemühungen der EU, den Schutz und die Förderung von Menschenrechten im auswärtigen Handeln der Union zu stärken, aktiv zu unterstützen.“

*****

Das ist ein klarer Auftrag, ein großer Auftrag an Sie, ich denke aber, es ist ein sehr, sehr wichtiger. Ich habe vorhin die Rolle Österreichs als neutraler Vermittler gerade in Frie­densprozessen betont, und ich denke, angesichts der dortigen Situation zu schweigen wäre der falsche Weg. Stellung zu beziehen ist der richtige. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

21.50

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Michel Reimon, Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Gudrun Kugler, Dr. Helmut Brandstätter, MMMag. Axel Kassegger

Kolleginnen und Kollegen 

betreffend die politische und menschenrechtliche Situation in Hongkong


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eingebracht im Zuge der Debatte zu TOP 30 Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über den Antrag 529/A(E) der Abgeordneten Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Kolleginnen und Kollegen betreffend die aktuelle politische und menschen­recht­liche Situation in Venezuela (303 d.B.)

Begründung

Ungeachtet internationaler Kritik erließ der chinesische Volkskongress am 28.Mai 2020 nach strenger Geheimhaltung das sogenannte „Sicherheitsgesetz“ für die Sonderver­wal­tungszone in Hongkong, das am 1.Juli in Kraft trat. Damit ermächtigte sich die Pekinger Zentralregierung in Umgehung des Hongkonger Parlaments gegen Aktivitäten in Hongkong vorzugehen, die sie als subversiv, separatistisch, terroristisch oder als Konspiration mit ausländischen Akteuren ansieht. In den folgenden Tagen kam es bereits zu ersten Verhaftungen. Lehrmaterialen, die gegen das neue Gesetz verstoßen, sollen Medienberichten zu folge bereits entfernt worden sein; ebenso wurden in mehreren Bibliotheken Bücher aussortiert.

Das neue Sicherheitsgesetz greift massiv in Hongkongs Autonomierechte, die in der chinesisch-britischen Gemeinsamen Erklärung von 1984 und dem Basic Law of the Hong Kong Special Administrative Region (HKSAR) von 1990 vorgesehen sind, ein. In der Gemeinsamen Erklärung verpflichtete sich die chinesische Regierung, mit der Über­nahme Hongkongs im Juli 1997, die ehemalige Kronkolonie entsprechend dem Grund­satz „Ein Land, zwei Systeme“ fünfzig Jahre nach der Übergabe als Sonderver­wal­tungszone zu behandeln.  Der Autonomiestatus umfasst unter anderem das Recht auf demokratische und wirtschaftliche Selbstverwaltung sowie die Achtung der Menschen­rechte, darunter die Unabhängigkeit der Justiz, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. In diesem Sinne ist Hongkong auch Vertragspartei des Internationalen Pakts für bürger­liche und politische Rechte (ICCPR).

Die Achtung der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte, sowie die damit ver­bundene bzw. daraus resultierende Rechtssicherheit, bilden auch die Grundlage für Hongkong als internationaler Finanz-und Wirtschaftsstandort.

Seit längerem wird deutlich, dass die chinesische Zentralregierung zunehmend den Grundsatz „Ein Land, zwei Systeme“ auszuhöhlen versucht. Bereits seit Monaten demonstrieren Hunderttausende in der ehemaligen britischen Kronkolonie gegen die zunehmende Einflussnahme der Volksrepublik. Sie fordern unter anderem freie Wahlen und demonstrieren gegen Polizeibrutalität. Die während der Corona-Pandemie abge­flachten Proteste gewinnen momentan wieder an Momentum, wobei die chinesischen Repressionen ebenfalls zunehmen.

So sollen auf Grundlage des neuen Sicherheitsgesetzes Auslieferungen von Ver­däch­tigen nach Festlandchina und lebenslange Haft als Höchststrafe möglich sein. Die Auf­lösung der prodemokratischen Partei Demosisto als eine der ersten Reaktionen auf das Sicherheitsgesetz verdeutlicht die Angst der Anhängerinnen und Anhänger der Demo­kratie­bewegung vor Strafverfolgung.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten, wird ersucht,


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-             den einseitigen Erlass des Sicherheitsgesetzes als Verstoß gegen Hongkongs Autonomie und Verletzung von Grund- und Freiheitsrechten zu verurteilen;

-             sich dafür einzusetzen, dass die EU mit geeinter Stimme die Regierung in Peking eindringlich dazu auffordert, die chinesisch-britische Gemeinsame Erklärung zu Hongkong, das Basic Law of the Hong Kong Special Administrative Region (HKSAR) von 1990 und den Grundsatz „Ein Land, zwei Systeme“ vollumfänglich zu achten;

-             sich auf bi- und multilateraler Ebene dafür einzusetzen, dass im September 2020 freie und faire Wahlen des Legislativrats in Hongkong ohne Einmischung der Volksrepublik China sichergestellt werden können;

-             sich auf bilateraler und EU-Ebene aktiv für den Schutz der Hongkonger Demokratieaktivistinnen und –Aktivisten einzusetzen

-             sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass die EU-China Beziehungen verstärkt an den gemeinsamen EU-Werten und demokratischen Grundfreiheiten ausgerichtet werden;

-             sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass bei den anstehenden EU-China-Treffen das Sicherheitsgesetz als auch die Situation der Uiguren thematisiert werden;

-             die Bemühungen der EU, den Schutz und die Förderung von Menschenrechten im auswärtigen Handeln der Union zu stärken, aktiv zu unterstützen.“

*****


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Entschließungsantrag ist ausreichend unter­stützt, ordnungsgemäß eingebracht und steht damit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Kugler. – Bitte.


21.50.59

Abgeordnete Dr. Gudrun Kugler (ÖVP): Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kollegin­nen und Kollegen! Am Ende der Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt möchte ich mich als Menschenrechtssprecherin meiner Fraktion noch ganz kurz dafür bedanken, dass wir im Bereich Menschenrechte doch so gut und in vielen Punkten weit über Partei­grenzen hinweg zusammenarbeiten können. Dir, Ewa Ernst-Dziedzic, gebührt dieser Dank ganz besonders! Ich freue mich, dass der Hongkong-Antrag eingebracht werden konnte. Wie du richtig gesagt hast, hat aber auch der Antrag zum EU-Sonder­beauf­tragten für Religionsfreiheit wirklich zu einem Erfolg geführt, denn in vielen internatio­nalen Medien, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist unser Antrag zitiert worden. Auch der Vorsitzende der Bischofskonferenz der Europäischen Union wurde zitiert, der Ober­rabbiner von Moskau, der der Europäischen Rabbinerkonferenz vorsteht, eine Initiative von 135 Abgeordneten zum Deutschen Bundestag und eben auch unser österreichi­scher Antrag. Das hat dazu geführt, dass heute Morgen die Kommission gesagt hat, sie geben nach und sie werden diesen Sonderbeauftragten wieder einsetzen. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Ich möchte mit der Geschichte einer pakistanischen Mutter unterstreichen, wie wichtig dieses Amt ist: Viele von Ihnen werden sie in Zeitungen gelesen haben, ich spreche von Asia Bibi, die wegen angeblicher Blasphemie in Pakistan acht Jahre lang in einer Todeszelle gesessen ist. Durch die Arbeit des Sonderbeauftragten der Europäischen Union konnte sie vor etwa einem Jahr mit ihrer Familie nach Kanada ausreisen, und sie hat gesagt: Ich bin dem EU-Sonderbeauftragten Ján Figel’ unendlich dankbar, mir fehlen die Worte, um ihm adäquat zu danken.


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Diese wichtige Arbeit kann jetzt auch aufgrund unserer Zusammenarbeit für Menschen­rechte weit über Parteigrenzen hinweg weitergeführt werden. – Danke dafür. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

21.53


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Strache. – Bitte.


21.53.06

Abgeordnete Pia Philippa Strache (ohne Klubzugehörigkeit): Sehr geehrter Herr Prä­sident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Regierungsmitglieder! Die Berichte be­züglich der menschenrechtlichen und politischen Situation in Venezuela und des europäischen und globalen Gesamtzustandes erscheinen nur auf den ersten flüchtigen Blick als separate Themen, denn neben der globalen Coronapandemie breitet sich bereits eine zweite Pandemie aus, und für keine der beiden scheint es eine Impfung oder ein Heilmittel zu geben.

Weltweit rutschen immer mehr einst liberale, demokratische Systeme in eine völlig illiberale Richtung ab. Sowohl Identitätspolitik als auch ideologische Feindschaften nehmen zu, die politische Polarisierung steigt und die Stärke demokratischer Institutio­nen nimmt ab. Länder, die noch am Beginn des 21. Jahrhunderts einen so hoffnungs­vollen Weg in Richtung Demokratisierung und Liberalisierung genommen haben, scheinen wahrlich eine 180-Grad-Wendung durchzumachen.

Von der orangen Revolution in der Ukraine über die Rosenrevolution in Georgien bis hin zum Arabischen Frühling wurden fast überall die gewonnenen Freiheiten bereits wieder verloren. Ägypten ist wieder eine Militärdiktatur, Venezuela, eines der rohstoffreichsten Länder dieser Welt, unterdrückt seine eigene Bevölkerung und hält die Menschen in bitterer Armut. Die Freiheit von Hongkong ist mittlerweile mehr ein Relikt der Vergan­genheit. Das ist übrigens auch keine Frage von politisch rechts, links, Mitte, außen, sondern das ist schlicht und ergreifend eine Frage von Freiheit oder Unfreiheit. Auch hier im Hohen Haus gibt es teilweise tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten und unter­schiedliche Weltanschauungen, aber wir respektieren die unantastbare Menschenwürde jedes Einzelnen und das Recht auf Meinungs- und Religionsfreiheit.

Was bei uns selbstverständlich ist, wird in immer mehr Ländern zur Ausnahme. Dieser Trend hat bereits vor Corona begonnen, und es ist zu befürchten, dass er sich auch in den nächsten Jahren weiter verschärfen wird. Wenn sich eine kleine Lehre aus der Geschichte ziehen lässt, dann jene, dass auf jede Weltwirtschaftskrise zeitverzögert auch eine politische Krise folgt. Nach der sich bereits entfaltenden ökonomischen Re­zession, die in Wirklichkeit eigentlich bereits eine globale Depression ist, wird höchst­wahrscheinlich eine demokratische Rezession folgen, wenn wir nicht rechtzeitig gegen­steuern.

Generell bin ich eigentlich kein Freund von überzogenen historischen Vergleichen, weil diese ganz oft nur den Effekt haben, das tatsächlich Geschehene eigentlich zu verharm­losen oder politisch zu instrumentalisieren, aber eines muss man festhalten: dass die größte Krise, welche die Idee des Liberalismus in ihrer Geschichte erfahren musste, auch die Folge einer wirtschaftlichen Krise war.

Alle totalitären Ideologien nützen die Folgen einer Weltwirtschaftskrise. So gibt es auch bereits jetzt erste Polarisierungen und Ideologisierungen, wo wirtschaftliche Sorgen und die daraus entstehende Frustration radikalen Bewegungen stetig Zulauf verschaffen.

Es geht nicht darum, sich gegenseitig eine bestimmte Weltansicht aufzuzwingen, son­dern einander da zu stützen und zu stärken, wo eine demokratische politische Diskus­sion nicht mehr gelebt werden kann. Auch wenn die Ergebnisse nicht immer jedem


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gefallen: Ich halte die Alternativen für weitaus gefährlicher. – Danke. (Beifall bei SPÖ und NEOS sowie bei Abgeordneten der Grünen.)

21.57


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesministerin Gewessler. – Bitte.


21.57.17

Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie Leonore Gewessler, BA: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Damen und Herren Abgeordnete! Ich verlängere die Debatte nicht lang. (Ruf bei der SPÖ: Danke!) – Ich habe es gehört, das Danke, ich möchte nur an diesem Punkt auch meine Freude darüber ausdrücken, dass wir einer der weltweit am schnellsten wachsenden internatio­nalen Organisationen beitreten, nämlich dem führenden Sprachrohr für erneuerbare Energien weltweit, der Irena. Ich glaube, das ist eine wirkliche Win-win-Situation, die es uns ermöglicht, den Einsatz für erneuerbare Energien auch international voranzutreiben.

Die Irena ist ein idealer Raum und wirklich auch eine Chance, internationale Best Prac­tices besser kennenzulernen, auch unsere Best Practices aktiv einzubringen. Wichtig ist mir auch, dass wir in enger Abstimmung sind, um auch die Chancen, die sich daraus gerade für unsere Green-Tech-Unternehmen und die Green-Tech-Industrie in Österreich ergeben, effizient und effektiv zu nutzen. Das ist außerdem eine Stärkung für den in Österreich schon sehr, sehr aktiven International Energy Hub, den wir weiter ausbauen und weiter stärken wollen. Auch dafür ist das Einbringen in die Irena und die Zusam­menarbeit mit den Experten und Expertinnen dort wirklich ein Gewinn, und deswegen freue ich mich sehr, dass es gelungen ist, durch diesen Beitritt unsere Mitgliedschaften auf internationaler Ebene zu vervollständigen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei Grünen, SPÖ und NEOS sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

21.58


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort ist dazu jetzt niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist damit geschlossen.

Wünschen die BerichterstatterInnen ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Wie vereinbart verlegen wir die Abstimmung an den Schluss der Verhandlungen über die Vorlagen des Außenpolitischen Ausschusses.

21.59.0933. Punkt

Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über die Regierungsvorlage (222 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Auslandsösterreicher-Fonds (AÖF-G) geändert wird (299 d.B.)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 33.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Marchetti. – Bitte.


21.59.28

Abgeordneter Nico Marchetti (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Frau Ministerin! Geschätzter Herr Minister! Ich werde jetzt kurz erklären, worum es bei dieser Regierungsvorlage bezüglich Auslandsösterreicher-Fonds geht. Diesen Fonds gibt es seit 1967, und er hat den Zweck, dass er im Ausland lebenden österreichischen Staatsbürgern ermöglicht, in materiellen Notsituationen Unterstützung zu bekommen. Mit dem Bundesgesetz, das hier heute am Tisch liegt, wollen wir die Zuwendungsgrenze


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 266

im sogenannten vereinfachten Genehmigungsverfahren von 1 000 Euro auf 1 500 Euro erhöhen und somit genau denen, die es auch wirklich brauchen, noch treffsicherer helfen.

Wir haben im Ausschuss darüber diskutiert, und da wurde ein Argument immer wieder vorgebracht, nämlich dass wir die Mittel des Fonds, der jetzt mit 600 000 Euro dotiert ist, an sich nicht erhöhen. Dazu möchte ich sagen – was auch schon im Ausschuss erwähnt wurde –, dass dieser einerseits bisher nicht ganz ausgeschöpft wurde und andererseits nicht nur vom Bund gespeist wird, sondern von allen neun Bundesländern gemeinsam mit dem Bund. Das heißt, wenn man da die Notwendigkeit sehen würde, die Mittel zu erhöhen, müsste man das dann auch auf dieser Ebene klären. Das kann der Bund nicht im Alleingang machen. Der Fonds wurde aber bis jetzt wie gesagt nicht ausgeschöpft, und ich glaube, die Treffsicherheit zu erhöhen ist einmal eine sehr, sehr sinnvolle Maßnahme. Das war es im Prinzip auch schon. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP.)

22.01


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Yılmaz. – Bitte.


22.01.11

Abgeordnete Nurten Yılmaz (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Der Kollege hat schon erklärt, worum es geht: Es wird eine Erhöhung von 1 000 auf 1 500 Euro geben. Das ist immer zu begrüßen.

Herr Minister, wir hatten im Ausschuss die Frage gestellt, wie das jetzt sein soll, und Sie haben uns versprochen, uns das schriftlich zu übermitteln. Das haben wir bis jetzt nicht bekommen. 2019 sind 1 000 Bedürftige unterstützt worden. Wenn insgesamt 600 000 Euro im Fonds sind, sind das knapp über 500 Euro pro Person, die in Anspruch genommen worden sind. Jetzt erhöhen wir die Unterstützung von 1 000 auf 1 500 Euro pro Person, und wenn nicht zusätzliche Mittel in diesen Fonds kommen, stellen wir uns die Frage, wie das jetzt weitergeht. Solange Geld im Fonds ist, wird geholfen, aber was passiert, wenn irgendwann im Juni oder Juli der Fonds ausgeschöpft ist, das darauffolgende halbe Jahr? Hast ein Pech gehabt, hättest dir dein Bein im Februar gebrochen!, kann man auch sagen. Ist es so, dass es, wenn der Fonds ausgeschöpft ist, keine Hilfe mehr gibt? Gibt es dann überhaupt nichts mehr?

Im Übrigen unterstützen wir diese Regierungsvorlage, sie freut uns, aber wir würden gerne wissen, wie das gehandhabt wird, wie vielen Personen wir helfen können und mit wie viel finanziellen Mitteln Personen bis jetzt durchschnittlich unterstützt worden sind. Personen waren es fast 1 000, aber die konkreten finanziellen Mittel, die pro Person bisher ausgeschüttet worden sind, interessieren mich sehr. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

22.03


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Kassegger. – Bitte. (Abg. Leichtfried – in Richtung des sich zum Rednerpult begebenden Abg. Kassegger –: Korrekt bleiben!)


22.03.43

Abgeordneter MMMag. Dr. Axel Kassegger (FPÖ): Herr Präsident! Frau Minister! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ja, da es Unklarheiten über die Beträge, über den Ausschöpfungsgrad et cetera gibt, hoffe ich doch, dass der Herr Bundes­minis­ter hier Aufklärung bringen kann, was das Zahlenwerk betrifft, sodass ich grundsätzlich zu dieser Regierungsvorlage und zur Erhöhung der Mittel für schnelle Hilfe für Aus­landsösterreicher kommen kann – darum geht es im vereinfachten Verfahren ja.


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Wir wissen, wer schnell hilft, hilft doppelt. Das ist insbesondere angesichts der Corona­krise der letzten Monate noch richtiger als zuvor, würde ich fast sagen. Wir befürworten und unterstützen das. Noch einmal in diesem Zusammenhang: schnelle Hilfe für Auslandsösterreicher auch vonseiten der Freiheitlichen Partei.

Gratulation zum Management der Heimholaktion von Österreichern aus dem Ausland durch das Außenministerium gemeinsam mit der AUA! Für uns Freiheitliche stehen die österreichischen Staatsbürger, die Österreicher an erster Stelle, an oberster Stelle, egal ob sie in Österreich leben oder sonst wo auf der Welt, weil wir glauben, dass das die Solidargemeinschaft ist, für die es sich einzusetzen lohnt. Der Staat, die Staatsbürger, das hat für uns erste Priorität und Wichtigkeit. (Beifall bei der FPÖ.)

Das heißt nicht, dass uns alles andere egal ist, sondern das ergibt sich schon aus der ersten Priorität, die für uns erste Wichtigkeit hat. Selbstverständlich gibt es auch andere, weitere Wichtigkeiten. Wir unterstützen das also sehr, sehr gerne, würden auch eine allfällige Erhöhung der Dotierung des Fonds unterstützen, der derzeit mit 600 000 Euro dotiert ist. Wir wären nicht nur grundsätzlich, sondern auch mit Freude dazu bereit, wenn es darum geht, einen Fonds zu stärken, der Österreichern im Ausland schnell helfen kann. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

22.06


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Jetzt zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Ernst-Dziedzic. – Bitte.


22.06.08

Abgeordnete Dr. Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne): Herr Präsident! Herr Minister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Ja, tatsächlich endet auch da unsere Verantwortung Men­schen gegenüber, die sich über ihre Staatsbürgerschaft, Herkunft, Familie, Freunde oder sonstige emotionale Verbundenheit als Österreicher, Österreicherinnen definieren, nicht an den ge­ografischen Grenzen. Davon gibt es im Ausland 584 000, das ist eine beacht­liche Zahl.

Ja, da gebe ich dem Kollegen von der FPÖ in diesem Fall recht: Die Unterstützung wurde jetzt gerade durch die Coronakrise natürlich viel notwendiger als bisher, weil viele von ihnen in Ländern leben, in denen zum einen das Coronakrisenmanagement bei Weitem nicht so gut funktioniert hat wie in Österreich und zum anderen beispielsweise das Gesundheitssystem oder das soziale Auffangnetz nicht mit dem österreichischen vergleichbar ist.

Ich kann vielleicht jetzt gleich zur Aufklärung beitragen: Es geht nicht um die Ver­größerung des Topfes insgesamt – das sind 600 000 Euro –, weil dieser, soweit ich weiß, jetzt gar nicht ausgeschöpft worden ist. Wäre das das Problem, müssten und wür­den wir uns, nehme ich an, überlegen, ihn aufzustocken, nämlich dann, wenn Menschen Hilfe benötigen und kein Geld mehr in der Kassa ist. Das ist nicht das Problem. Es geht konkret darum, dass es bisher höchstens 1 000 Euro an Zuwendungen pro Person waren und es sozusagen eine Inflationsanpassung auf 1 500 Euro gibt. Das ist die letzten 14 Jahre nicht passiert, und ich denke, das war jetzt auf jeden Fall an der Zeit. Ich glaube auch, dass wir uns da überparteilich einig sind, dass es wichtig und richtig ist, genau diese Zuwendung zu erhöhen. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen.)

22.08


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister Schallenberg ist zu Wort ge­meldet. – Bitte.


22.08.11

Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren


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Abgeordnete! Ich meine, in Wirklichkeit muss ich ja gar nicht mehr das Wort ergreifen, weil die Frau Abgeordnete die Beantwortung der Fragen schon vorweggenommen hat. Ich will nur ganz grundsätzlich ein paar Punkte anmerken.

Ja, es stimmt, es ist die erste Anpassung nach 14 Jahren, die, glaube ich, absolut notwendig ist. Es ist, wenn man so will, eine rückwirkende Indexierung, wenn man jetzt von 1 000 auf 1 500 Euro anhebt. In der Vergangenheit wurde der Fonds nicht ausge­schöpft; der Fonds hat auch Rücklagen bilden können. Ja, ich bin der gleichen Meinung: Falls es dazu kommen sollte, dann müsste man über eine Aufstockung nachdenken. Die durchschnittliche Zuwendungshöhe in den vergangenen Jahren ist pro Empfänger von 760 Euro auf 927 Euro gestiegen. Das ist der Durchschnitt. Man sieht also sehr wohl, da sind zum Teil Kleinstbeträge dabei, die halt in Notfällen bei sozialer Bedürftigkeit aus­gezahlt werden.

Ich möchte hier aber ganz grundsätzlich einmal eine Lanze für die Auslandsösterreicher brechen. Ja, wir hatten jetzt die Coronakrise, und danke auch für die positiven Worte über die größte Rückholaktion in der Zweiten Republik, die wirklich durch die Gesamt­anstrengung aller Mitarbeiter im Außenministerium, in den Vertretungsbehörden und in der Zentrale gelungen ist.

Wir haben aber eine weitere Kernaufgabe, und diese Kernaufgabe geht nicht weg: Es gibt an die 600 000 Auslandsösterreicherinnen und ‑österreicher. Das ist ein Bundes­land, das, was die Größe betrifft, irgendwo zwischen Tirol und Kärnten liegt. Ja, sie betei­ligen sich kaum an den Wahlen, ja, sie registrieren sich nicht, ja, sie haben auch zum Teil vielleicht wenig Kontakt mit den österreichischen Vertretungsbehörden, weil sie das vielleicht auch gar nicht wünschen – man kann sie auch nicht dazu zwingen –, aber wir müssen, glaube ich, doch immer wieder mitdenken: Sie sind doch alle in irgendeiner Form unsere Botschafterinnen und Botschafter im Ausland, die, glaube ich, dankbar sind, wenn wir ihnen Offerten, Angebote machen.

Dieser Auslandsösterreicher-Fonds ist ein, salopp gesagt, sicher nicht überdotierter, aber, ich glaube, wichtiges Signal, und ich bin dem Hohen Haus sehr dankbar dafür, dass es diesen Schritt setzt.

Ich kann auch erwähnen, dass dieses Kuratorium sozusagen überparteilich zusam­men­gesetzt ist: Es sind alle Parteien im Kuratorium des Fonds vertreten und haben diese Schritte gemeinsam vereinbart. Ich glaube, das ist ein guter Zugang, und ich würde mir wünschen, dass wir hin und wieder mehr Bewusstsein dafür haben, dass doch eine halbe Million Österreicher und Österreicherinnen im Ausland leben, die man vielleicht beim einen oder anderen Bundesgesetz, bei der einen oder anderen kommunikativen Maßnahme mitnehmen kann und dadurch vielleicht wieder animieren kann, stärker am politischen Geschehen in Österreich teilzuhaben. – Danke. (Beifall bei ÖVP und Grü­nen.)

22.10


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Abgeordnete Brandstötter ist zu Wort gemel­det. – Bitte.


22.10.57

Abgeordnete Henrike Brandstötter (NEOS): Herr Präsident! Herr Minister! Kollegin­nen und Kollegen! 1963 war die Welt noch eine andere. Nur wenige Menschen haben im Ausland studiert oder sind auf die verwegene Idee gekommen, ihre Heimat zu ver­lassen und in der Ferne zu arbeiten, und das wurde damals auch forciert. Der damalige Europarat verabschiedete das Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatig­keit. Ziel des Vertrages war es, dafür zu sorgen, dass Doppelstaatsbürgerschaften sel­tene Ausnahmen bleiben.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 269

Dieser Zugang ist heutzutage natürlich völlig überholt und nicht mehr zeitgemäß. Es ist auch nicht besonders verwunderlich, dass immer mehr Vertragspartner aussteigen oder zumindest teilweise aussteigen, nur die Niederlande und natürlich Österreich nicht. Ich möchte jetzt an einem Beispiel illustrieren, wie absurd die österreichische Gesetzgebung in Sachen Staatsbürgerschaft teilweise ist.

Zwei Menschen beschließen, mit ihrem Kind nach Schweden auszuwandern. Nach eini­ger Zeit beantragen sie für sich und für ihren damals siebenjährigen Sohn zusätzlich zur österreichischen die schwedische Staatsbürgerschaft. Es ist ja nicht besonders unge­wöhnlich: Wenn man länger im Ausland lebt, dann möchte man auch irgendwann am politischen Geschehen teilhaben, man möchte beispielsweise wählen gehen.

Diese Familie lebt also in Schweden, kauft sich einen Volvo, isst Hering mit Lakritz, feiert Midsommar, schmeißt Christbäume bei Knut aus dem Fenster, was man in Schweden halt so macht, und eines Tages findet der mittlerweile 18-jährige junge Mann einen Brief mit einem Einberufungsbefehl beziehungsweise einer Aufforderung, sich zur Musterung zu begeben, im Postkasten.

Er fährt also nach Österreich und denkt sich: Das ist eine gute Gelegenheit, doch einmal meine Heimat kennenzulernen, Land und Leute besser kennenzulernen, meine Wurzeln zu spüren! – Er geht also zur Musterung, wird für tauglich befunden und wird auch einberufen, und zwar nach Zeltweg, weil man sich gedacht hat: Na, da haben wir Saab und der junge Mann spricht auch Schwedisch – da war man auch sehr stolz drauf –, da soll er doch dienen.

Er leistet seinen Militärdienst ab, fährt dann wieder nach Hause nach Schweden und einige Jahre später beantragt er einen österreichischen Pass, weil sein alter abgelaufen ist. Die österreichischen Behörden hingegen bescheinigen dann: Es ist nicht möglich, dass er einen Pass erhält, denn er ist ja kein österreichischer Staatsbürger, und zwar seit seinem siebten Lebensjahr. – Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen!

Dieser Fall ist nicht erfunden; er beschäftigt auch gerade die österreichischen Gerichte. Seine Eltern wussten damals nicht, wie viele andere Eltern auch, dass der Bub, der Sohn, wenn sie die schwedische Staatsbürgerschaft beantragen, einen Beibehaltungs­bescheid braucht. Den hat er nicht, also wurde er von Amts wegen ausgebürgert.

Jetzt denkt man sich: Na ja, das war ein unverschuldeter Fehler, das kann man ja beheben, man kann ihm die österreichische Staatsbürgerschaft auch zurückgeben!, aber: Nein. – Wie gesagt, das beschäftigt im Augenblick noch die Gerichte.

Der Regelfall ist: Wenn ein Elternteil eine fremde Staatsbürgerschaft annimmt, verliert der Erwachsene genau wie die Kinder eben auch die österreichische Staats­bürger­schaft; und ich glaube, wir können uns einig darüber sein, dass das nicht der Fall sein sollte und dass sich das ändern muss. Für viele ist eine zweite Staatsbürgerschaft einfach wichtig für die Karriere oder auch für den Zugang zu Sozialleistungen. Die meisten von ihnen wollen aber trotzdem Österreicherinnen und Österreicher bleiben. Daher habe ich als NEOS-Sprecherin für Auslandsösterreicher zwei Anträge einge­bracht.

Beim ersten Antrag geht es um eine erleichterte Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft bei der Annahme einer zweiten Staatsbürgerschaft – vor allem für Minderjährige, die ja nicht für sich selbst beantragen können. Der zweite Antrag behandelt die circa 180 000 Mitbürgerinnen und Mitbürger, die außerhalb der EU leben. Die verlieren nämlich mit der österreichischen Staatsbürgerschaft auch die Unions­bür­ger­schaft, und da braucht es laut EU-Rechtsprechung eine Verhältnismäßigkeits­prü­fung, die sieht aber unser geltendes Recht derzeit noch nicht vor. Ich hoffe, dass diese


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 270

beiden Anträge auch ohne parteipolitische Kontroversen angenommen werden. – Vielen Dank. (Beifall bei den NEOS.)

22.15


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist damit geschlossen.

Wünscht der Herr Berichterstatter ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Wie vereinbart verlege ich die Abstimmungen an den Schluss der Verhandlungen über die Vorlagen des Außenpolitischen Ausschusses.

22.15.3634. Punkt

Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über den Antrag 569/A(E) der Ab­ge­ordneten Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Reinhold Lopatka, Kolleginnen und Kollegen betreffend Errichtung eines österreichischen zivilen Friedensdienstes als Instru­ment aktiver Friedenspolitik (301 d.B.)

35. Punkt

Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über den Antrag 726/A(E) der Abge­ordneten Dr. Harald Troch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Verurteilung der türkischen Luftangriffe im Nordirak (304 d.B.)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir gelangen nun zu den Punkten 34 und 35 der Tagesordnung, über welche die Debatten unter einem durchgeführt werden.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Troch. – Bitte.


22.16.19

Abgeordneter Dr. Harald Troch (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit nächtlichen, sehr schweren Luftangriffen hat die türki­sche Regierung den Nordirak in der Nacht auf den 12. Juni angegriffen. Bei der nach­folgenden Bodenoffensive sind türkische Truppen auch auf irakisches Gebiet vorge­stoßen. Diese Region ist seit mehreren Jahren umkämpft – schwere Schäden, viele Tote –, eine absolute Krisenregion, und seit einiger Zeit hat man sich doch nicht nur bemüht, sondern auch erste Erfolge beim Wiederaufbau dieser Region erzielt.

Die Zerstörung dieser Region verursacht natürlich auch Flüchtlingsströme. Ein Ein­dämmen der Flüchtlingsströme, eine Rückkehr der Menschen in ihr angestammtes Wohn­gebiet ist das Ziel, aber das ist mit diesen Kriegshandlungen natürlich überhaupt nicht vereinbar, sondern durch diese schwer gefährdet. Das Problem – im Speziellen staatsrechtlich und völkerrechtlich – sind schwere Verletzungen des Völkerrechts durch die türkische Regierung. Das ist inakzeptabel, das muss international inakzeptabel und geächtet sein.

Am Verzweifeln ist natürlich die Zivilbevölkerung vor Ort. Es ist seit den Verbrechen des Islamischen Staates bekannt, dass besonders die jesidische Bevölkerungsgruppe zu einem Target, zu einer Zielscheibe des Völkermordes der Islamisten geworden ist, und nun werden Wohngebiete der Jesiden von der türkischen Luftwaffe, von Drohnen und von türkischen Bodentruppen angegriffen.

Die jesidische Menschenrechtlerin Düzen Tekkal, die die Hilfsorganisation Háwar.Help gegründet hat, berichtet und sagt: „Die Menschen vor Ort sind jetzt stark verunsichert


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und sie haben einfach Angst.“ – 150 jesidische Familien, die erst wieder in dieses Krisengebiet zurückgekehrt sind, sind nun neuerlich auf der Flucht. „Die Menschen im Nordirak fühlen sich ausgeliefert“, sagt dazu die jesidische Menschenrechtlerin Düzen Tekkal.

Befürchtet wird auch eine Erweiterung des türkischen Staatsgebietes in dieser Region. Natürlich wissen wir, dass sich die Türkei in einem Konflikt mit der PKK befindet, aber diese Vorgangsweise ist unverhältnismäßig und lässt sich durch nichts rechtfertigen. In diesem Sinn ist auch mein Antrag zu verstehen.

Ich möchte aber sagen: Was mir im Umgang mit diesem Antrag nicht gefällt, ist ein Spielchen der Regierungsparteien, das ungefähr so ausschaut: Die wachsame Oppo­sition bringt hier aktiv einen Antrag ein, dann wachen die Regierungsparteien auf, schrei­ben schnell ab – oder mehr oder weniger ab –, schreiben einen eigenen Antrag und versuchen so, den Antrag der Opposition, die hier naturgemäß in der Minderheit ist, zu Fall zu bringen.

Die österreichische Außenpolitik hat eine Tradition des Miteinanders, des Findens gemeinsamer Wege, einer gemeinsamen Haltung in der Politik gegenüber dem Ausland. Wir sollten dazu zurückkehren. Diese Spielchen, die auch mit dem Antrag von Abge­ordnetem Shetty gemacht wurden, halte ich für nicht angebracht und für schädlich für die Tradition österreichischer Außenpolitik hier im Hohen Haus. (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

Für solche Spielchen ist die SPÖ nicht zu haben. Wir sind bei unserem Antrag geblieben. Wir werden mit dem Antrag der Regierungsparteien mitgehen, weil wir ihn inhaltlich trotzdem für korrekt halten. Was ich mir aber wünsche, sind ein anständiger Umgang gerade im Bereich der Außenpolitik und der Menschenrechte und eine gemeinsame Richtung. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Shetty.)

22.20


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Abgeordneter Lopatka ist zu Wort gemel­det. – Bitte.


22.20.55

Abgeordneter Dr. Reinhold Lopatka (ÖVP): Kollege Troch, ich darf mich trotz der Kritik, die Sie angebracht haben, bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie unseren Antrag unterstützen und er somit eine breite Mehrheit hat, weil uns das Anliegen nicht trennt; in der Vorgangsweise glauben Sie, etwas Kritisches anmerken zu müssen.

Ich möchte mich aber in meinen Ausführungen stärker mit dem zweiten Punkt be­schäftigen, mit dem Friedensdienst, weil das Neuland für Österreich ist. Wir haben eine Tradition seit 1960, im Rahmen derer rund 100 000 österreichische Soldatinnen und Soldaten bei 50 internationalen friedensunterstützenden und humanitären Missionen viel für Frieden geleistet haben. Mit dem Regierungsprogramm 2020 bis 2024 betreten wir Neuland, weil erstmals die Einrichtung eines österreichischen zivilen Friedensdienstes im Rahmen der Aktivitäten des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten vorgesehen ist.

Im Regierungsprogramm haben wir auch festgehalten, dass wir durch unsere Arbeit in dieser Regierung ein internationaler Vorreiter, wenn es um Menschenrechtsschutz und Friedenspolitik geht, sein wollen.

Um dieses Ziel zu erreichen, wollen wir die Zivilgesellschaft möglichst breit einbinden. Gemeinsam mit Kollegin Ewa Ernst-Dziedzic, die hier federführend ist, wollen wir mittels dieses Entschließungsantrages einen Stein ins Rollen bringen. Wir wollen, dass dieser Friedensdienst, der immer nur ergänzend sein kann, auch in Österreich eingerichtet wird.


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Für uns ist es Neuland, in Deutschland gibt es diesen Dienst schon seit 1999, also mehr als 20 Jahre. Er hat sich dort durchaus bewährt. Es wird auch seitens der Experten, seitens der Vereinten Nationen für sehr positiv gesehen, was an Gewalt- und Krisen­prävention durch diesen Dienst geleistet werden kann.

Daher, zum Schluss kommend: Österreich als neutrales Land, als ein Land, das sich zu Recht immer als Brückenbauer gesehen hat, könnte mit diesem Dienst einen wesent­lichen Beitrag zu mehr Frieden auf diesem Planeten leisten. Mit der heutigen Beschluss­fassung bringen wir wie gesagt den Stein ins Rollen. Jetzt hat es das Bundesministerium in der Hand, dass wir tatsächlich zu einer Umsetzung dieses wichtigen Anliegens kom­men. – Danke. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

22.24


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Ernst-Dziedzic. – Bitte.


22.24.36

Abgeordnete Dr. Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne): Herr Präsident! Herr Minister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Ich kann mich dem, was Kollege Lopatka gesagt hat, nur anschließen. Ich finde, dieser zivile Friedensdienst ist ein enorm wichtiges Instrument, mit dem Österreich aufzeigen kann, dass es in der neutralen Vermittlerrolle nicht nur aktiv wird, sondern auf internationaler Ebene Friedensprozesse unterstützt. Es ist also eine adäquate Antwort auf aktuelle Herausforderungen. Sie wissen alle, die Konflikte werden leider nicht weniger, sondern mehr.

In Deutschland, auch das wurde schon gesagt, sind derzeit rund 350 Friedensfachkräfte in 45 Ländern unterwegs. Das ist ein großes Ziel. Wir stehen in Österreich am Beginn, aber ich bin sehr froh, dass es jetzt diesen Startschuss gegeben hat.

Ich hatte vor zwei Tagen ein Treffen mit Vertretern und Vertreterinnen der Zivil­gesell­schaft, die wir einbinden wollen, bei dem 40 Experten und Expertinnen gesagt haben, sie bedanken sich explizit bei ÖVP und Grünen, dass wir dieses Projekt jetzt umsetzen wollen, weil sie – gefühlt und manche faktisch – seit Jahrzehnten in unterschiedlichen Organisationen für solch einen zivilen Friedensdienst kämpfen und sich dafür einsetzen.

Zum Nordirak, Kollege Troch, vielleicht ganz kurz: Ich verstehe Oppositionsarbeit sehr gut, aber ich bin schon dafür, dass wir bei all dem seriös bleiben. Soweit ich mich erinnern kann, war ich von der Reihenfolge her die Erste, die nach den Angriffen der Türkei auf dieses Gebiet reagiert und den Angriff auch klar verurteilt hat. (Abg. Loacker: Sie war sicher die Erste, die Erste und die Beste!) Daraufhin habe ich mich für eine Verurteilung der Handlungen seitens der beiden Regierungsparteien eingesetzt, danach kamen Sie mit dem Antrag. Wir haben Ihren Antrag mehr oder weniger zur Gänze implementiert in einen, der weitreichender und präziser ist, und Sie beschweren sich noch immer, dass wir das nicht ernst genommen haben.

In diesem Sinne freue ich mich auch über den Antrag, der die Angriffe im Nordirak verurteilt, und ich freue mich sehr über den Startschuss für den zivilen Friedensdienst.

Ich würde mich an dieser Stelle gerne auch als Berichterstatterin zu Wort melden, wenn Sie (in Richtung Präsident Sobotka) erlauben.

22.27


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Es reicht vom Rednerpult aus. – Bitte.


22.27.29

Berichterstatterin Dr. Ewa Ernst-Dziedzic: Gut, ich kann das gleich vom Rednerpult aus machen. Es geht um eine Druckfehlerberichtigung, und zwar:


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„Ich bringe folgende Druckfehlerberichtigung zum Antrag 726/A(E) in der Fassung des Ausschussberichts 304 der Beilagen vor:

Der Betreff der angeschlossenen Entschließung lautet:

‚türkische Militäroperationen im Nordirak im Juni 2020‘“

Mit dieser Präzisierung, hoffe ich, ist dem Genüge getan. – Vielen Dank. (Beifall bei Grü­nen und ÖVP. – Abg. Martin Graf: Ob das eine Druckfehlerberichtigung ist, wage ich zu bezweifeln!)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich danke für die Berichtigung; es gilt der Inhalt und nicht immer nur die Form.

Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist damit geschlossen.

22.28.0636. Punkt

Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über den Antrag 543/A(E) der Abge­ordneten Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Harald Troch, MMMag. Dr. Axel Kassegger, Michael Bernhard, Kolleginnen und Kollegen betreffend An­erkennung der deutschsprachigen Volksgruppe in Slowenien (302 d.B.)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir gelangen nun zum 36. und damit letzten Punkt der Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Lopatka. – Bitte.


22.28.46

Abgeordneter Dr. Reinhold Lopatka (ÖVP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist zwar schon spät, aber dieser Antrag behandelt ein wichtiges Anliegen, und es ist nicht das erste Mal, dass wir uns im Parlament mit dieser Frage be­schäftigen.

Warum beschäftigen wir uns noch immer mit dieser Frage? – Weil es nach wie vor eine ungelöste Frage ist. Ab dem 9. Jahrhundert hat es im Gebiet um Pettau, heute Ptuj – damals im Besitz des Salzburger Erzbischofes – immer eine deutsche Bevölkerung ge­geben. Bei der Volkszählung um 1910, waren 86 Prozent der Bevölkerung Deutsch sprechend. Ähnlich war es auch im südlich von Laibach gelegenen Gebiet des Gottscheer Landes. 1247 ist das Gebiet vom Patriarchen von Aquileia an Kärntner Gra­fen übergeben worden.

Es war dann in der Zeit von 1869 bis 1878 so, dass die deutschsprachige Bevölke­rung in dem Gebiet mit ihrem altertümlichen Dialekt, dem Gottscheerisch, auf über 26 000 Menschen angewachsen ist.

Das, was für eine Minderheit notwendig ist, um als autochthone Minderheit, wie es heißt, anerkannt zu werden, nämlich dass man über Generationen in einem Gebiet lebt, seine Kultur lebt, ist da mehr als gegeben.

Im Jahr 2013 hat der damalige Bundespräsident Heinz Fischer Slowenien besucht und seine Position, dass er für eine Anerkennung dieser Volksgruppe ist, ganz klar zum Ausdruck gebracht. Das ist auch vom jetzigen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen bei seinem Besuch wiederholt worden; und der hier sitzende Außenminister Alexander Schallenberg hat das genauso gemacht.


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Slowenien ist bei anderen Volksgruppen großzügig. Es gibt in Slowenien rund 7 000 Per­sonen, die der ungarischen Volksgruppe zugezählt werden (Abg. Kassegger: Unga­risch­sprachige!), und es gibt eine kleinere Volksgruppe, die italienischsprachige Volks­gruppe, mit rund 3 000 Personen. Wie viele heute noch der autochthonen deutschen Volksgruppe angehören, darüber gehen die Zahlen auseinander. Meines Erachtens ist unsere Aufgabe, da etwas zu machen, aber umso mehr, je kleiner diese Volksgruppe ist, da es nämlich darum geht, deren Existenz zu sichern und nicht zuzusehen, wie diese Volksgruppe zur Gänze verschwindet.

Die sprachliche und kulturelle Vielfalt ist ja die Stärke der Europäischen Union. So, wie auch wir bei uns im Land gefordert sind, für unsere Volksgruppen etwas zu tun, erwarte ich mir auch von Slowenien, diesen Schritt zu setzen.

Wir haben 2012 – in der damaligen Legislaturperiode –, 2014, 2018 – wir wählen ja nicht immer nur alle fünf Jahre, sondern manchmal sind die Legislaturperioden kürzer – und jetzt auch 2020 mit allen im Parlament vertretenen Parteien hier unsere Position immer klar zum Ausdruck gebracht. Was wollen wir? – Wir wollen, dass durch diese Aner­kennung einerseits die Einrichtung eines Volksgruppenbeirates erfolgt, indem auch eine ausgewogene Vertretung der kleinen Volksgruppen wie der deutschen möglich ist, dass die Kulturförderung, die es in Slowenien gibt, die aber heuer aufgrund von Corona noch nicht ausbezahlt worden ist, entsprechend erhöht wird und dass die deutsche Volks­gruppe auch die Möglichkeit hat, mit eigenen Medien, aber auch in slowenischen Medien gesehen und gehört zu werden.

Österreich und Slowenien arbeiten auf europäischer Ebene, auf nationalstaatlicher Ebene, aber – wie ich als Steirer auch weiß – auch auf regionaler Ebene sehr, sehr gut zusammen. Wir sollten es daher auch da schaffen und unsere slowenischen Freunde ermuntern, sodass wir diesen Schritt zu einer Anerkennung dieser Volksgruppe vielleicht doch noch erleben. Die Anerkennung der Volksgruppe durch die Republik Slowenien würde ihr nicht nur kollektive Rechte geben, sondern auch eine kollektive Würde; darum geht es. Ich danke dafür, dass alle Fraktionen diesem Antrag ihre Zustimmung geben werden. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

22.33


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Troch. – Bitte.


22.33.50

Abgeordneter Dr. Harald Troch (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Zuerst eine gute Nachricht: Die gute Nachricht ist, ich bin letzter Redner der SPÖ und habe noch 8 Minuten Restredezeit. Das ist erfreulich. (Allgemeine Heiterkeit. – Zwischenrufe der Abgeordneten Loacker und Belakowitsch.)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: 11 Minuten.


Abgeordneter Dr. Harald Troch (fortsetzend): Dieses Thema ist kein kontroversielles Thema, sondern es ist erfreulich, dass es da einen Gleichklang und einen Gleichschritt der österreichischen Parlamentsparteien im Einsatz für die deutschsprachige Minderheit in Slowenien gibt. Je kleiner eine Minderheit ist, desto mehr verdient sie die Unter­stützung, den Schutz und die aktive Hilfe von außen und – darum geht es uns – natürlich vor allem von Slowenien, von der slowenischen Regierung selbst.

Wir sind ja da seit Jahren dahinter; in jeder Gesetzgebungsperiode gibt es ent­sprechen­de Anträge. Ein bisschen was hat sich auch aufgrund des Einsatzes der Republik Österreich und seiner Vertreter und Vertreterinnen tatsächlich bewegt. Immerhin war die mittlerweile vergangene Regierung von Šarec nicht nur bemüht, sondern es ist tat­sächlich eine Dialoggruppe de facto fast eingesetzt worden, zugesagt worden. Sie hat sich aufgrund von Covid-19 und der Neubildung der Regierung nicht konstituiert.


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Die neu gebildete slowenische Regierung ist da etwas weniger aufmerksam, weniger verständnisvoll, aber immerhin hat der slowenische Staatspräsident versöhnende Worte formuliert. Ich glaube, dass wir uns da vor allem auch in eine gemeinsame Richtung weiterbewegen und voll unterstützen werden. Ich bin in dieser Sache optimistisch. Ich danke hier auch für die Zusammenarbeit in dieser Frage der Unterstützung der deutsch­sprachigen Minderheit in der Republik Slowenien. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen. – Abg. Martin Graf: Du hättest ruhig länger sprechen können, ich höre dir gern zu!)

22.35


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Sie haben jetzt noch ganze 10 Minuten herge­schenkt.

Nächster Redner: Abgeordneter Kassegger. – Bitte.


22.36.03

Abgeordneter MMMag. Dr. Axel Kassegger (FPÖ): Herr Präsident! Herr Bundes­minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Für mich als Steirer ist das Thema natür­lich eine Herzensangelegenheit, und es freut mich sehr, dass es hier einen Allparteien­antrag gibt, um das Thema zumindest anzusprechen und den Wunsch betreffend Aner­kennung der Deutschsprachigen – diese Diskussion, ob man jetzt deutsch oder deutsch­sprachig sagt, werden wir jetzt nicht mehr führen – als autochthone Volksgruppe in Slowenien zu äußern.

Kollege Lopatka hat es schon umrissen, ich mache es aufgrund der kurzen Redezeit, die mir zur Verfügung steht, nur in Stichworten: seit dem 12. Jahrhundert; die Grafen von Cilli; Kaiser Friedrich III.; Herzogtum Steiermark; die Volkszählung 1910 mit 75 000 Men­schen, die Deutsch als Umgangssprache genannt haben; vor allem in den urbanen Gebieten wie Marburg, heute Maribor, nannten 80 Prozent Deutsch als Umgangs­sprache.

Leider gab es dann viele Fehler im 20. Jahrhundert. Das war nicht das Jahrhundert dieser Region – Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg und auch die Avnoj-Beschlüsse von Jajce –, sodass heute letztlich leider nur mehr rund 2 000 Menschen, die sich zu der deutschen Volksgruppe bekennen, in Slowenien leben. Nichtsdestotrotz wäre natürlich mein größter Herzenswunsch, dass das Ganze neben diesen durchaus sehr, sehr begrüßenswerten Bemühungen irgendwann einmal auch in Ergebnisse mündet – vielleicht vergleichbar mit der Anerkennung der slowenischen Volksgruppe in Öster­reich –, sozusagen als neue Basis im 21. Jahrhundert nach den sehr, sehr bitteren Erfahrungen des 20. Jahrhunderts. (Beifall bei der FPÖ.)

22.38


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Voglauer. – Bitte.


22.38.14

Abgeordnete Dipl.-Ing. Olga Voglauer (Grüne): Spoštovani gospod prezident! Spošto­vani gospod minister! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Volksgruppenrechte sind Menschenrechte. Es sollte ein akzeptiertes Grundrecht sein, dass Minderheiten, egal wo sie sind, ob anerkannt oder nicht, diese Grundrechte bekommen. Es ist für mich als Grüne, als slowenischsprachige Kärntnerin eine Selbstverständlichkeit, dass man sich für Volksgruppen, deren Angele­genheiten und Rechte einsetzt, ob es hier bei uns in Österreich ist oder in unseren Nachbarländern. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Ein Blick nach Slowenien reicht, um zu sehen, wie dort Volksgruppenrecht gelebt wird. Ja, dieses Volksgruppenrecht ist der deutschsprachigen Volksgruppe noch vorenthalten,


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allerdings ist – was man sieht, wenn man sich die anderen Volksgruppen anschaut – in Slowenien eine zweisprachige Kindergarten- und Schulbetreuung eine Selbstver­ständ­lichkeit. In Slowenien sind kollektive Rechte für die Volksgruppen eine Selbstverständ­lichkeit. Es ist die Finanzierung für die Volksgruppen gesichert. Es ist gesichert, dass, egal wo man als autochthone Volksgruppe anerkannt ist, der Reisepass zum Beispiel zweisprachig ausgestellt wird, dass die Amtssprache in beiden Sprachen selbstver­ständlich ist, dass Ortsnamen in beiden Sprachen angeführt werden und dass auch die Aufschriften auf den öffentlichen Gebäuden zweisprachig sind.

Das ist Volksgruppenleben in Slowenien. (Beifall bei den Grünen.)

Slowenien leistet Dinge, die wir in Österreich noch immer vermissen. Es gibt in Öster­reich eine seit 25 Jahren nicht erhöhte Volksgruppenförderung; ein Beispiel dafür: Öster­reich zahlt der slowenischen Volksgruppe in Kärnten 1,5 Millionen Euro jährlich aus, Slowenien, das etwas größer ist als die Steiermark und Kärnten zusammen, zahlt für die slowenische Volksgruppe in Österreich 3,5 Millionen Euro.

Es ist in Österreich nicht so einfach, eine muttersprachliche Schulbildung zu bekom­men – sie ist nicht gesichert – und von kollektiven Rechten für Volksgruppen können wir in Österreich auch nicht sprechen.

Allerdings freut es mich ganz besonders, dass wir ein umfassendes Volksgruppenkapitel in unserem Regierungsübereinkommen zustande gebracht haben, für das uns sehr viele loben. Das Engagement für die deutschsprachige Volksgruppe bedingt gleichzeitig, dass wir auch bei uns zu Hause dafür sorgen, dass sich unsere autochthonen Volksgruppen frei fühlen werden, ihre Sprache leben können und letztendlich auch entsprechend geschützt werden.

Florjan Lipuš je zapisal: „Z jezikom smo ali nismo“. – Florjan Lipuš hat einmal ge­schrie­ben: „Mit der Sprache sind wir oder sind wir nicht“. – Volksgruppen sind mit ihrer Sprache, und Minderheitenschutz kann weder bei uns noch in Slowenien ein Almosen sein. (Allgemeiner Beifall.)

22.41


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Michael Bernhard. – Bitte.


22.41.34

Abgeordneter Michael Bernhard (NEOS): Herr Präsident! Geschätzter Herr Bundes­minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, zu so später Stunde noch über unseren gemeinsamen Entschließungsantrag betreffend den gemeinsamen Wunsch auf Anerkennung der deutschsprachigen Volksgruppe in Slowenien sprechen zu können. Die Volksgruppe ist über die letzten Jahrzehnte deutlich kleiner geworden. Es gibt in Slowenien noch 2 000 Deutsch sprechende Sloweninnen und Slowenen, die das als Muttersprache definieren, und 181 Menschen – das kann man tatsächlich auch schon fast abzählen –, die sich als Österreicherin oder Österreicher verstehen.

Ein wichtiges Thema in der Volksgruppenpolitik und auch ein wichtiger Punkt im Respekt für eine Volksgruppe ist die Anerkennung als Volksgruppe durch den Staat, auf dessen Staatsgebiet sie lebt. Das hat für italienischsprachige Angehörige der Volksgruppe und für jene, die Ungarisch sprechen, sehr gut funktioniert. Wir sind da – das muss man auch sagen, meine Vorrednerin Voglauer hat das auch schon angesprochen – in Österreich deutlich weit hinter Slowenien. Beispielsweise haben in Slowenien die Volksgrup­pen­vertreter der italienischsprachigen und der ungarischsprachigen Volksgruppe einen Sitz im dortigen Parlament. Das ist etwas, was wir in Österreich für Volksgruppen nicht im Geringsten jemals angedacht haben.


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Zentrales Element ist allerdings – und das ist, glaube ich, der Punkt, der für uns NEOS ganz wichtig ist –: Europa, die Europäische Union, hat ein Motto, und das heißt: In Vielfalt geeint. – Das, was die Europäische Union ausmacht, sind die zahlreichen Kultu­ren, sind die vielfältigen Sprachen, sind die unterschiedlichsten Traditionen und Her­künfte. Diese Vielfalt wird daran gemessen, wie wir mit der Minderheit umgehen – und nicht mit der Mehrheit in einem Land –, und deswegen unterstützen wir NEOS diesen Antrag auch.

Ein wesentlicher Punkt, auf den ich noch hinweisen möchte, Herr Minister, ist, dass die slowenische Republik die Fördermittel für die deutschsprachigen Kulturvereine aufgrund der Coronakrise eingefroren hat. Da ging es um 32 000 Euro; das ist jetzt kein großer Beitrag, für eine kleine Volksgruppe ist es aber doch erheblich. Es wäre sehr wün­schens­wert, wenn Sie da noch einmal zum Ausdruck bringen könnten, dass man einer solchen Volksgruppe einen solchen Beitrag in einer Krise nicht verwehrt. Das wäre ein wichtiges, ein schönes Signal.

Einen schönen Abend wünsche ich noch. – Vielen Dank. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der FPÖ.)

22.43


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Ragger. – Bitte.


22.44.01

Abgeordneter Mag. Christian Ragger (FPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Ge­schätzte Damen und Herren dieses Hauses! Man könnte einleiten mit: Cari ospiti onorevoli del parlamento austriaco! Gospodnje spostovani in sbogum, könnte man eben­falls sagen. Das sind alles Sprachen, die in Slowenien und in Österreich anerkannt sind.

Bei dem, was uns Kollegin Voglauer jetzt gerade erzählt hat, fehlt noch ein dritter Teil, und das ist die deutsche Sprache, denn die Förderung in Slowenien für die deutsche Minderheit ist null, die Förderung für die Italiener, für die Ungarn ist anerkannt.

Ich bedanke mich daher heute wirklich in aller Form bei allen – wir haben ja 2010 den historischen Kompromiss über die zweisprachigen Ortstafeln in Kärnten erzielt und das abgeschlossen –, dass heute das österreichische Parlament das anerkennt, was im internationalen Völkerrecht selbstverständlich ist: das Maß der Reziprozität.

Ich hoffe auf unseren Außenminister, dass er das, was wir heute hier durch Beschluss­fassung festlegen, mit allen möglichen internationalen Maßnahmen umsetzt, und ich gratuliere ihm, wenn es ihm gelingt, diese Reziprozität herzustellen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

22.45


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort ist nun niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

22.45.41Abstimmung über die Tagesordnungspunkte 28 bis 36


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf ein letztes Mal um Aufmerksamkeit bitten, damit wir den Abstimmungsprozess zügig und strukturiert über die Runden bringen kön­nen.

Wir kommen nun zu den verlegten Abstimmungen über die Berichte des Außen­politi­schen Ausschusses, die ich über jeden Tagesordnungspunkt getrennt vornehme.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 278

Bevor wir in den Abstimmungsvorgang eingehen, frage ich die Klubobleute, ob eine kurze Sitzungsunterbrechung gewünscht wird? – Das ist nicht der Fall.

Wir gelangen nun zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 28: Antrag des Außen­politischen Ausschusses, dem Abschluss des Staatsvertrages: Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wis­senschaft und Kultur (UNESCO) über die Errichtung des Internationalen Zentrums für die Förderung von Menschenrechten auf lokaler und regionaler Ebene unter der Schirm­herrschaft der UNESCO (Kategorie 2) in Graz (Österreich), in 181 der Beilagen gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 1 Bundes-Verfassungsgesetz die Genehmigung zu erteilen.

Wer dafür ist, den bitte ich um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist mehrheitlich angenommen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 29: Antrag des Außen­politischen Ausschusses, dem Abschluss des Staatsvertrages: Satzung der Internatio­nalen Organisation für erneuerbare Energien (IRENA) samt Erklärung der Konferenz, in 225 der Beilagen gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes die Ge­nehmigung zu erteilen.

Wer dafür ist, den bitte ich um Zustimmung. – Das ist einstimmig angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 30: die dem Ausschuss­bericht 303 der Beilagen angeschlossene Entschließung betreffend „die aktuelle politi­sche und menschenrechtliche Situation in Venezuela“.

Wer dafür ist, den bitte ich um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist einstimmig ange­nommen. (73/E)

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeord­neten Ernst-Dziedzic, Lopatka, Brandstätter, Kassegger, Kolleginnen und Kollegen betreffend „die politische und menschenrechtliche Situation in Hongkong“.

Wer dafür ist, den bitte ich um ein Zeichen. – Das ist ebenfalls einstimmig. (74/E)

Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 31: die dem Ausschuss­bericht 305 der Beilagen angeschlossene Entschließung betreffend „Sonderbeauftrag­ter der Europäischen Kommission für Religionsfreiheit“.

Wer dafür ist, den bitte ich um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist einstimmig. (75/E)

Wir gelangen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 32: Abstimmung über den Antrag des Außenpolitischen Ausschusses, seinen Bericht 306 der Beilagen hinsichtlich des Entschließungsantrages 346/A(E) zur Kenntnis zu nehmen.

Wer dafür ist, den bitte ich um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist mehrheitlich angenommen.

Abstimmung über die dem Ausschussbericht 306 der Beilagen angeschlossene Entschließung betreffend „Einsatz für LGTBIQ-Rechte in Polen“.

Wer dafür ist, den bitte ich um ein entsprechendes Zeichen. – Auch das ist mehrheitlich angenommen. (76/E)


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 279

Abstimmung über Tagesordnungspunkt 33: Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Bundesgesetz über den Auslandsösterreicher-Fonds (AÖF-G) geändert wird, samt Titel und Eingang in 222 der Beilagen.

Wer dafür ist, den bitte ich um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist einstimmig ange­nommen.

Dritte Lesung zu Tagesordnungspunkt 33 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Auslandsösterreicher-Fonds (AÖF-G) geändert wird, samt Titel und Eingang in 222 der Beilagen.

Wer dafür ist, den bitte ich um ein Zeichen der Zustimmung – Das ist auch in dritter Lesung angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 34: die dem Ausschuss­be­richt 301 der Beilagen angeschlossene Entschließung betreffend „Errichtung eines österreichischen zivilen Friedensdienstes als Instrument aktiver Friedenspolitik“.

Wer dafür ist, den bitte ich um ein Zeichen – Das ist mehrheitlich angenommen. (77/E)

Wir gelangen nun zu Tagesordnungspunkt 35:

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Antrag des Außenpolitischen Aus­schus­­ses, seinen Bericht 304 der Beilagen hinsichtlich des Entschließungsantra­ges 726/A(E) zur Kenntnis zu nehmen.

Wer dafür ist, den bitte ich um ein Zeichen. – Das ist die Mehrheit und damit ange­nommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die dem Ausschussbericht 304 der Beilagen ange­schlossene Entschließung unter Berücksichtigung der vorgebrachten Druckfehler­berichtigung betreffend „türkische Militäroperation im Nordirak im Juni 2020“.

Wer dafür ist, den bitte ich um ein Zeichen. – Das ist einstimmig angenommen. (78/E)

Tagesordnungspunkt 36: die dem Ausschussbericht 302 der Beilagen angeschlos­sene Entschließung betreffend „Anerkennung der deutschsprachigen Volksgruppe in Slowenien“.

Wer dafür ist, den bitte ich um ein Zeichen. – Das ist ebenfalls einstimmig. (79/E)

22.50.30Abstimmung über einen Fristsetzungsantrag


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Fuchs, Krainer, Doppelbauer, Kolleginnen und Kollegen, dem Geschäftsordnungsausschuss zur Berichterstattung über den Antrag 421/A der Abge­ordneten Rendi-Wagner, Kickl, Meinl-Reisinger, Kolleginnen und Kollegen betref­fend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz und das Geschäfts­ordnungs­gesetz 1975 geändert werden, eine Frist bis zum 13. Juli 2020 zu setzen.

Wer dafür ist, den bitte ich um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit, abgelehnt.


Nationalrat, XXVII.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 8. Juli 2020 / Seite 280

22.50.58Einlauf


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf bekannt geben, dass in der heutigen Sitzung die Selbständigen Anträge 769/A(E) bis 777/A(E) eingebracht worden sind.

*****

Die nächste Sitzung des Nationalrates, die geschäftsordnungsmäßige Mitteilungen und Zuweisungen betreffen wird, berufe ich für 22.51 Uhr – das ist gleich im Anschluss an diese Sitzung – ein.

Diese Sitzung ist geschlossen.

22.51.22Schluss der Sitzung: 22.51 Uhr

 

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