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Stenographisches Protokoll

 

 

 

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81. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

 

XXIV. Gesetzgebungsperiode

 

Donnerstag, 21., und Freitag, 22. Oktober 2010

 

 


Stenographisches Protokoll

81. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

XXIV. Gesetzgebungsperiode

Donnerstag, 21., und Freitag, 22. Oktober 2010

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 21. Oktober 2010: 10.00 – 24.00 Uhr

Freitag, 22. Oktober 2010:  0.00 –  0.33 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen 1987, das Landarbeitsgesetz 1984, das Arbeitsruhegesetz, das Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz, das Arbeitsinspektionsgesetz 1993 und das Ar­beitszeitgesetz geändert werden

2. Punkt: Bericht über den Antrag 815/A(E) der Abgeordneten Mag. Birgit Schatz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Schaffung eines gesetzlichen Mindestlohns

3. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gwerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Künstler-Sozialversicherungsfondsgesetz und das Betriebliche Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz geändert werden (KünstlerInnensozialversicherungs-Strukturgesetz – KSV-SG)

4. Punkt: Abkommen zwischen der Republik Österreich und Montenegro über soziale Sicherheit

5. Punkt: Bericht über den Antrag 121/A(E) der Abgeordneten Ing. Norbert Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Gebärdensprachkurse für Eltern gehörloser Kinder

6. Punkt: Bericht über den Antrag 123/A(E) der Abgeordneten Ing. Norbert Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend audiopädagogische Förderung für hörbehinderte Kinder

7. Punkt: Bericht über den Antrag 1168/A(E) der Abgeordneten Mag. Helene Jarmer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Anerkennung von Taubblindheit als eigenständige Art der Behinderung

8. Punkt: Bericht über den Antrag 1233/A(E) der Abgeordneten Mag. Johann Maier, Gabriele Tamandl, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Standardisierte Produkt­information (Klipp-und-Klar-Informationen) für alle Versicherungskunden“

9. Punkt: Frauenbericht 2010 der Bundesministerin für Frauen und öffentlichen Dienst


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 2

10. Punkt: Bericht über den Antrag 1081/A(E) der Abgeordneten Mag. Gisela Wurm, Dorothea Schittenhelm, Mag. Judith Schwentner, Martina Schenk, Kolleginnen und Kollegen betreffend Gleichstellung von Frauen und Männern im Programm Ländliche Entwicklung 2007–2013 (LE 07–13)

11. Punkt: Bericht über den Antrag 1218/A(E) der Abgeordneten Carmen Gartelgruber, Kolleginnen und Kollegen betreffend die Aufnahme von Verhandlungen mit den Sozialpartnern hinsichtlich der Verbesserung der Einkommenssituation von Frauen

12. Punkt: Grüner Bericht 2010 der Bundesregierung

13. Punkt: Bericht über den Antrag 488/A(E) der Abgeordneten Gerhard Huber, Kolleginnen und Kollegen betreffend Österreich als gentechnikfreie Modellregion

14. Punkt: Bericht über den Antrag 1280/A(E) der Abgeordneten Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend sofortige Stilllegung von Isar 1

15. Punkt: Bericht über den Antrag 1043/A(E) der Abgeordneten Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend keine Betriebsverlängerung für Isar 1

16. Punkt: Bericht über den Antrag 1188/A(E) der Abgeordneten Mag. Rainer Widmann, Kolleginnen und Kollegen betreffend Euratom-Ausstieg Österreichs

*****

Inhalt

Nationalrat

Mandatsverzicht der Abgeordneten Dr. Gerhard Kurzmann und Lutz Weinzinger                    15

Angelobung der Abgeordneten Elmar Podgorschek und Josef A. Riemer ............. 15

Personalien

Verhinderungen .............................................................................................................. 15

Geschäftsbehandlung

Antrag der Abgeordneten Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur näheren Untersuchung der politischen und rechtlichen Verantwortung im Zusammenhang mit dem staats­anwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren im Abgängigkeitsfall Natascha Kam­pusch gemäß § 33 Abs. 1 der Geschäftsordnung ....................................................... 293

Bekanntgabe .................................................................................................................. 49

Verlangen gemäß § 33 Abs. 2 der Geschäftsordnung auf Durchführung einer kurzen Debatte im Sinne des § 57a Abs. 1 GOG .......................................................................................................... 49

Redner/Rednerinnen:

Dr. Walter Rosenkranz ........................................................................................... ... 333

Otto Pendl ................................................................................................................ ... 334

Werner Amon, MBA ................................................................................................ ... 336

Werner Neubauer .................................................................................................... ... 337

Mag. Albert Steinhauser ........................................................................................ ... 338

Mag. Ewald Stadler ................................................................................................. ... 340


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 3

Ablehnung des Antrages .............................................................................................. 341

Redezeitbeschränkung nach Beratung in der Präsidialkonferenz gemäß § 57 Abs. 3 Z. 2 der Geschäftsordnung .......................................................................................................... 50

Verlangen auf Durchführung einer namentlichen Abstimmung ................................... 76

Unterbrechung der Sitzung .......................................................................................... 77

Fragestunde (13.)

Verkehr, Innovation und Technologie ....................................................................... 16

Dorothea Schittenhelm (83/M); Christoph Hagen, Dr. Gabriela Moser, Dipl.-Ing. Gerhard Deimek, Anton Heinzl

Wirtschaft, Familie und Jugend .................................................................................. 20

Dr. Christoph Matznetter (90/M); Franz Glaser, Mag. Rainer Widmann, Mag. Christiane Brunner, Ing. Christian Höbart

Peter Haubner (86/M); Ing. Robert Lugar, Dr. Ruperta Lichtenecker, DDr. Werner Königshofer, Ing. Mag. Hubert Kuzdas

Bernhard Themessl (88/M); Franz Kirchgatterer, Anna Franz, Ursula Haubner, Mag. Werner Kogler

Tanja Windbüchler-Souschill (89/M); Carmen Gartelgruber, Angela Lueger, Adelheid Irina Fürntrath-Moretti, Ing. Peter Westenthaler

Josef Bucher (85/M); Dr. Ruperta Lichtenecker, Wolfgang Zanger, Franz Riepl, Mag. Josef Lettenbichler

Gabriele Binder-Maier (91/M); Ridi Maria Steibl, Dr. Wolfgang Spadiut, Mag. Daniela Musiol, Anneliese Kitzmüller

Konrad Steindl (87/M); Mag. Rainer Widmann, Mag. Christiane Brunner, Dipl.-Ing. Gerhard Deimek, Ing. Mag. Hubert Kuzdas, Josef Jury

Bundesregierung

Vertretungsschreiben ..................................................................................................... 15

Rechnungshof

Verlangen gemäß § 99 Abs. 2 der Geschäftsordnung im Zusammenhang mit dem Antrag 1323/A betreffend Gebarungsüberprüfung ................................................................................................ 342

Ausschüsse

Zuweisungen .........................................................................................................  47, 211

Dringliche Anfrage

der Abgeordneten Mag. Ewald Stadler, Kolleginnen und Kollegen an die Bun­desministerin für Justiz betreffend „Bandions Blamagen“ und deren Folgen für den österreichischen Rechtsstaat (6687/J)         ............................................................................................................................. 112

Begründung: Mag. Ewald Stadler ............................................................................... 121


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 4

Bundesministerin Mag. Claudia Bandion-Ortner ................................................... 128

Debatte:

Stefan Petzner ......................................................................................................... ... 137

Dr. Johannes Jarolim ............................................................................................. ... 141

Karlheinz Kopf ........................................................................................................ ... 143

Dr. Johannes Hübner ............................................................................................. ... 145

Mag. Albert Steinhauser ........................................................................................ ... 148

Christoph Hagen ..................................................................................................... ... 151

Mag. Johann Maier .................................................................................................. ... 153

Mag. Heribert Donnerbauer ................................................................................... ... 154

Dr. Walter Rosenkranz ........................................................................................... ... 156

Dr. Peter Pilz ........................................................................................................... ... 159

Herbert Scheibner .................................................................................................. ... 162

Mag. Gisela Wurm ................................................................................................... ... 163

Erwin Hornek .......................................................................................................... ... 165

DDr. Werner Königshofer ...................................................................................... ... 166

Dr. Harald Walser .................................................................................................... ... 168

Dr. Peter Wittmann ................................................................................................. ... 170

Werner Amon, MBA ................................................................................................ ... 171

Mag. Ewald Stadler ................................................................................................. ... 173

Dr. Josef Cap ........................................................................................................... ... 174

Entschließungsantrag (Misstrauensantrag) der Abgeordneten Stefan Petzner, Kolleginnen und Kollegen betreffend Versagen des Vertrauens gegenüber der Bundesministerin für Justiz gemäß Artikel 74 Abs. 1 des Bundes-Verfas­sungsgesetzes – Ablehnung ........................................................  140, 175

Verhandlungen

Gemeinsame Beratung über

1. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regie­rungsvorlage (880 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen 1987, das Landarbeitsgesetz 1984, das Arbeitsruhegesetz, das Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz, das Arbeits­inspektionsgesetz 1993 und das Arbeitszeitgesetz geändert werden (897 d.B.) ........... 50

2. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den An­trag 815/A(E) der Abgeordneten Mag. Birgit Schatz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Schaffung eines gesetzlichen Mindestlohns (898 d.B.) ........................................................................................................................ 50

Redner/Rednerinnen:

Mag. Birgit Schatz .................................................................................................. ..... 51

Renate Csörgits ...................................................................................................... ..... 54

Sigisbert Dolinschek .............................................................................................. ..... 55

Karl Donabauer ....................................................................................................... ..... 57

Ing. Norbert Hofer ................................................................................................... ..... 58

Bundesminister Rudolf Hundstorfer .................................................................... ..... 60

Karl Öllinger ............................................................................................................ ..... 63

Ulrike Königsberger-Ludwig ................................................................................. ..... 64

Ursula Haubner ....................................................................................................... ..... 65

Gabriele Tamandl .................................................................................................... ..... 66

Anneliese Kitzmüller .............................................................................................. ..... 69

Mag. Judith Schwentner ........................................................................................ ..... 70

Dr. Sabine Oberhauser, MAS ................................................................................ ..... 71

Martina Schenk ....................................................................................................... ..... 72

Johann Höfinger ..................................................................................................... ..... 73


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 5

Dr. Andreas Karlsböck ........................................................................................... ..... 74

Carmen Gartelgruber ............................................................................................. ..... 75

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Birgit Schatz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Mindestlohn von 7,50 € brutto pro Arbeitsstunde – Ableh­nung (namentliche Abstimmung)            52, 76

Entschließungsantrag der Abgeordneten Ing. Norbert Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend die Entwicklung der österreichischen Löhne in Folge der Ostöffnung des österreichischen Arbeitsmarktes 2011 – Ablehnung ................................................................................................................  68, 79

Annahme des Gesetzentwurfes in 897 d.B. ................................................................... 76

Kenntnisnahme des Ausschussberichtes 898 d.B. ................................................... ..... 76

3. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regie­rungsvorlage (876 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversiche­rungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Künstler-Sozial­ver­sicherungsfondsgesetz und das Betriebliche Mitarbeiter- und Selbständigen­vorsorgegesetz geändert werden (KünstlerInnensozialversicherungs-Strukturge­setz – KSV-SG) (899 d.B.) ................................................................................................................ 79

Redner/Rednerinnen:

Bernhard Vock ........................................................................................................ ..... 79

Mag. Christine Lapp ............................................................................................... ..... 80

Stefan Petzner ......................................................................................................... ..... 81

Mag. Silvia Fuhrmann ............................................................................................. ..... 81

Josef Jury ................................................................................................................ ..... 83

Bundesminister Rudolf Hundstorfer .................................................................... ..... 83

Mag. Dr. Wolfgang Zinggl ...................................................................................... ..... 84

Gerald Grosz ........................................................................................................... ..... 87

Dietmar Keck ........................................................................................................... ..... 88

Jochen Pack ............................................................................................................ ..... 89

Franz Riepl .............................................................................................................. ..... 90

Annahme des Gesetzentwurfes in 899 d.B. ............................................................. ..... 91

4. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regie­rungsvorlage (865 d.B.): Abkommen zwischen der Republik Österreich und Montenegro über soziale Sicherheit (902 d.B.)         ............................................................................................................................... 92

Redner/Rednerinnen:

Dr. Andreas Karlsböck ........................................................................................... ..... 92

Ursula Haubner ....................................................................................................... ..... 93

Karl Öllinger ............................................................................................................ ..... 93

Wolfgang Großruck ................................................................................................ ..... 93

Renate Csörgits ...................................................................................................... ..... 94

Genehmigung des Staatsvertrages in 902 d.B. ............................................................. 94

Gemeinsame Beratung über

5. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den An­trag 121/A(E) der Abgeordneten Ing. Norbert Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Gebärdensprachkurse für Eltern gehörloser Kinder (903 d.B.) ........................................................................................................................ 94

6. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den An­trag 123/A(E) der Abgeordneten Ing. Norbert Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend audiopädagogische Förderung für hörbehinderte Kinder (904 d.B.) ............................................................................................................ 94


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7. Punkt: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den An­trag 1168/A(E) der Abgeordneten Mag. Helene Jarmer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Anerkennung von Taubblindheit als eigenständige Art der Behin­de­rung (905 d.B.) ...................................................................................... 94

Redner/Rednerinnen:

Ing. Norbert Hofer ................................................................................................... ..... 95

Erwin Spindelberger .............................................................................................. ..... 97

Karl Öllinger .........................................................................................................  98, 104

Ridi Maria Steibl ...................................................................................................... ... 100

Bundesminister Rudolf Hundstorfer .................................................................... ... 101

Sigisbert Dolinschek .............................................................................................. ... 102

Johann Hell .............................................................................................................. ... 104

Oswald Klikovits ..................................................................................................... ... 105

Entschließungsantrag der Abgeordneten Ing. Norbert Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Hände weg vom Pflegegeld!“ – Ablehnung ......................................................................  97, 106

Kenntnisnahme der beiden Ausschussberichte 903 und 904 d.B. ............................... 106

Annahme der dem schriftlichen Ausschussbericht 905 d.B. beigedruckten Ent­schließung betreffend Anerkennung von Taubblindheit als eigenständige Art der Behinderung (E 126) ....... 106

8. Punkt: Bericht des Ausschusses für Konsumentenschutz über den Antrag 1233/A(E) der Abgeordneten Mag. Johann Maier, Gabriele Tamandl, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Standardisierte Produktinformation (Klipp-und-Klar-Informationen) für alle Versicherungskunden“ (907 d.B.)                    106

Redner/Rednerinnen:

Mag. Johann Maier .................................................................................................. ... 106

Johann Rädler ......................................................................................................... ... 107

Dipl.-Ing. Gerhard Deimek ..................................................................................... ... 108

Mag. Birgit Schatz .................................................................................................. ... 109

Sigisbert Dolinschek .............................................................................................. ... 111

Ing. Erwin Kaipel ..................................................................................................... ... 112

Mag. Gertrude Aubauer ......................................................................................... ... 176

Harald Jannach ....................................................................................................... ... 176

Erwin Preiner .......................................................................................................... ... 177

Michael Praßl ........................................................................................................... ... 178

Erwin Spindelberger .............................................................................................. ... 178

Annahme der dem schriftlichen Ausschussbericht 907 d.B. beigedruckten Ent­schließung betreffend „Standardisierte Produktinformation (Klipp-und-Klar-Infor­mationen) für alle Versicherungskunden“ (E 127)      ............................................................................................................................. 179

9. Punkt: Bericht des Gleichbehandlungsausschusses über den Frauen­bericht 2010 der Bundesministerin für Frauen und öffentlichen Dienst (III-174/919 d.B.) ........................................................ 179

Redner/Rednerinnen:

Carmen Gartelgruber ............................................................................................. ... 179

Mag. Gisela Wurm ................................................................................................... ... 181

Mag. Heidemarie Unterreiner ................................................................................ ... 182

Dorothea Schittenhelm .......................................................................................... ... 183

Anneliese Kitzmüller .............................................................................................. ... 184

Mag. Judith Schwentner ........................................................................................ ... 185

Bundesministerin für Gabriele Heinisch-Hosek ................................................. ... 187


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 7

Edith Mühlberghuber ............................................................................................. ... 189

Martina Schenk ....................................................................................................... ... 190

Gabriele Binder-Maier ............................................................................................ ... 192

Claudia Durchschlag .............................................................................................. ... 192

Tanja Windbüchler-Souschill ................................................................................ ... 194

Ursula Haubner ....................................................................................................... ... 195

Renate Csörgits ...................................................................................................... ... 197

Mag. Gertrude Aubauer ......................................................................................... ... 198

Karl Öllinger ............................................................................................................ ... 199

Andrea Gessl-Ranftl ............................................................................................... ... 201

Dr. Ursula Plassnik ................................................................................................. ... 201

Johann Hell .............................................................................................................. ... 202

Gabriel Obernosterer ............................................................................................. ... 203

Wolfgang Zanger .................................................................................................... ... 204

Kenntnisnahme des Berichtes III-174 d.B. ................................................................... 206

Annahme der dem schriftlichen Ausschussbericht 919 d.B. beigedruckten Ent­schließung betreffend Maßnahmen zur Steigerung des Männeranteils in pädagogischen Berufen (E 128)                         206

10. Punkt: Bericht des Gleichbehandlungsausschusses über den An­trag 1081/A(E) der Abgeordneten Mag. Gisela Wurm, Dorothea Schittenhelm, Mag. Judith Schwentner, Martina Schenk, Kolleginnen und Kollegen betreffend Gleichstellung von Frauen und Männern im Programm Ländliche Entwick­lung 2007–2013 (LE 07–13) (920 d.B.) ................................................................................................... 206

Redner/Rednerinnen:

Anneliese Kitzmüller .............................................................................................. ... 206

Hermann Lipitsch ................................................................................................... ... 207

Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Pirklhuber ....................................................................... ... 208

Anna Höllerer .......................................................................................................... ... 209

Martina Schenk ....................................................................................................... ... 210

Kenntnisnahme des Ausschussberichtes 920 d.B. ...................................................... 211

Zuweisung des Antrages 1081/A(E) an den Ausschuss für Land- und Forst­wirtschaft                    211

11. Punkt: Bericht des Gleichbehandlungsausschusses über den An­trag 1218/A(E) der Abgeordneten Carmen Gartelgruber, Kolleginnen und Kolle­gen betreffend die Aufnahme von Verhandlungen mit den Sozialpartnern hinsichtlich der Verbesserung der Einkommenssituation von Frauen (921 d.B.)                211

Redner/Rednerinnen:

Carmen Gartelgruber ............................................................................................. ... 211

Franz Riepl .............................................................................................................. ... 212

Tanja Windbüchler-Souschill ................................................................................ ... 213

Dorothea Schittenhelm .......................................................................................... ... 213

Ursula Haubner ....................................................................................................... ... 215

Entschließungsantrag der Abgeordneten Ursula Haubner, Kollegin und Kolle­gen betreffend Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie – Ablehnung ..........  216, 217

Kenntnisnahme des Ausschussberichtes 921 d.B. ...................................................... 217


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 8

12. Punkt: Bericht des Ausschusses für Land- und Forstwirtschaft über den Grünen Bericht 2010 der Bundesregierung (III-179/906 d.B.) .............................................................................. 217

Redner/Rednerinnen:

Fritz Grillitsch ......................................................................................................... ... 217

Gabriele Binder-Maier ............................................................................................ ... 218

Harald Jannach ..................................................................................................  219, 253

Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Pirklhuber ..................................................................  221, 252

Dr. Wolfgang Spadiut ................................................................................................ 224

Jakob Auer .........................................................................................................  225, 250

Josef Muchitsch ...................................................................................................... ... 227

Rupert Doppler ....................................................................................................... ... 227

Mag. Christiane Brunner ........................................................................................ ... 228

Gerhard Huber ........................................................................................................ ... 230

Franz Eßl .................................................................................................................. ... 236

Ewald Sacher .......................................................................................................... ... 237

Bernhard Vock ........................................................................................................ ... 238

Hermann Gahr ......................................................................................................... ... 239

Mag. Michael Schickhofer ...................................................................................... ... 240

Anna Höllerer .......................................................................................................... ... 240

Rosemarie Schönpass ........................................................................................... ... 242

Peter Mayer .............................................................................................................. ... 242

Bundesminister Dipl.-Ing. Nikolaus Berlakovich ................................................ ... 244

Mag. Kurt Gaßner ................................................................................................... ... 247

Ing. Hermann Schultes ........................................................................................... ... 248

Maximilian Linder .................................................................................................... ... 251

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Christiane Brunner, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend „Grüner Bericht 2010 und die damit zusammen­hängenden Empfehlungen des 9. Umweltkontrollberichtes“ – Ablehnung ............................................................................................................  233, 254

Entschließungsantrag der Abgeordneten Gerhard Huber, Kolleginnen und Kollegen betreffend Herausgabe des Strategieplanes „Nationale Schwerpunkt­setzung und Gestaltungsspielräume“ durch den Landwirtschaftsminister – Ableh­nung .................................................................  232, 254

Kenntnisnahme des Berichtes III-179 d.B. ................................................................... 254

13. Punkt: Bericht des Ausschusses für Land- und Forstwirtschaft über den Antrag 488/A(E) der Abgeordneten Gerhard Huber, Kolleginnen und Kollegen betreffend Österreich als gentechnikfreie Modellregion (941 d.B.) ................................................................................................ 254

Redner/Rednerinnen:

Harald Jannach ..................................................................................................  254, 261

Fritz Grillitsch ......................................................................................................... ... 256

Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Pirklhuber ....................................................................... ... 256

Walter Schopf .......................................................................................................... ... 258

Gerhard Huber ........................................................................................................ ... 259

Maximilian Linder .................................................................................................... ... 260

Bundesminister Dipl.-Ing. Nikolaus Berlakovich ................................................ ... 260

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Pirklhuber, Kolleginnen und Kollegen betreffend Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln ernährt wurden – Ableh­nung ...............................................................................  257, 263


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 9

Entschließungsantrag der Abgeordneten Ing. Norbert Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Errichtung gentechnikfreier Schutzzonen in Österreich – Ablehnung ................  262, 263

Kenntnisnahme des Ausschussberichtes 941 d.B. ...................................................... 262

Gemeinsame Beratung über

14. Punkt: Bericht des Umweltausschusses über den Antrag 1280/A(E) der Ab­geordneten Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend sofortige Stilllegung von Isar 1 (925 d.B.) ......... 263

15. Punkt: Bericht des Umweltausschusses über den Antrag 1043/A(E) der Abgeordneten Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend keine Betriebsverlängerung für Isar 1 (926 d.B.)                    263

16. Punkt: Bericht des Umweltausschusses über den Antrag 1188/A(E) der Abgeordneten Mag. Rainer Widmann, Kolleginnen und Kollegen betreffend Euratom-Ausstieg Österreichs (927 d.B.)                          263

Redner/Rednerinnen:

Werner Neubauer ..............................................................................................  263, 291

Ing. Hermann Schultes .............................................................................................. 268

Mag. Christiane Brunner ..................................................................................  272, 289

Petra Bayr ................................................................................................................ ... 276

Mag. Rainer Widmann ............................................................................................ ... 277

Johannes Schmuckenschlager ............................................................................. ... 281

Bundesminister Dipl.-Ing. Nikolaus Berlakovich ................................................ ... 282

Dipl.-Ing. Gerhard Deimek ..................................................................................... ... 284

Walter Schopf .......................................................................................................... ... 285

Harald Jannach ....................................................................................................... ... 286

Erwin Hornek .......................................................................................................... ... 287

Werner Neubauer (tatsächliche Berichtigung) ........................................................... 287

Andrea Gessl-Ranftl ............................................................................................... ... 287

Peter Mayer .............................................................................................................. ... 288

Mag. Johann Maier .................................................................................................. ... 289

Mag. Josef Lettenbichler ........................................................................................ ... 290

Peter Stauber .......................................................................................................... ... 292

Entschließungsantrag der Abgeordneten Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend grenzüberschreitende UVP bei Betriebsverlängerung deut­scher AKWs – Ablehnung  265, 292

Entschließungsantrag der Abgeordneten Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend keine Rückkehr zur Atomkraft in Italien – Ablehnung ..................................................  267, 292

Entschließungsantrag der Abgeordneten Ing. Hermann Schultes, Petra Bayr, Kolleginnen und Kollegen betreffend geplante Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken in Deutschland – Annahme (E 129)      270, 293

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Christiane Brunner, Kollegin­nen und Kollegen betreffend Stopp der geplanten Laufzeitverlängerung deut­scher Kernkraftwerke – Ablehnung  274, 293

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Rainer Widmann, Kolleginnen und Kollegen betreffend Beantragung einer grenzüberschreitenden Umwelt­prüfung – Ablehnung ..........  280, 293


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 10

Kenntnisnahme der drei Ausschussberichte 925, 926 und 927 d.B. ........................... 292

Eingebracht wurden

Regierungsvorlagen .................................................................................................... 47

938: Bundesgesetz, mit dem das Gleichbehandlungsgesetz, das Gesetz über die Gleichbehandlungskommission und die Gleichbehandlungsanwaltschaft, das Be­hinderteneinstellungsgesetz und das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz geändert werden

939: Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Serbien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen samt Protokoll

940: Bundesgesetz über eine Transparenzdatenbank (Transparenzdaten­bank­gesetz – TDBG)

Anträge der Abgeordneten

Ursula Haubner, Kollegin und Kollegen betreffend Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie (1316/A)(E)

Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend keine Rückkehr zur Atomkraft in Italien (1317/A)(E)

Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend grenzüberschreitende UVP bei Betriebsverlängerung deutscher AKWs (1318/A)(E)

Mag. Roman Haider, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über das Verbrennen von Materialien außerhalb von Anlagen (Bun­desluftreinhaltegesetz – BLRG) geändert wird (1319/A)

Ing. Norbert Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend steuerliche Absetzbarkeit von Spenden für Tier- und Umweltschutz (1320/A)(E)

Anton Heinzl, Dr. Ferdinand Maier, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem die Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960), das Führerschein­gesetz und das Kraftfahrgesetz 1967 geändert werden (1321/A)

Dr. Wolfgang Spadiut, Kolleginnen und Kollegen betreffend Zulassung von Stevia (1322/A)(E)

Mag. Harald Stefan, Kolleginnen und Kollegen betreffend die Durchführung einer Gebarungsüberprüfung durch den Rechnungshof gemäß § 99 Abs. 2 GOG hinsichtlich des Beschaffungsvorganges „Elektronische Aufsicht“ samt der diesbezüglichen Entscheidungen des Bundesministeriums für Justiz und der Bundesbeschaffung GmbH unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, dass es zum Zeitpunkt der Aus­schreibung dafür keine gesetzliche Grundlage gegeben hat (1323/A und Zu 1323/A)

Christoph Hagen, Kolleginnen und Kollegen betreffend Geschwindigkeitsflexibilisie­rung auf Autobahnen (1324/A)(E)

Ursula Haubner, Kollegin und Kollegen betreffend Erweiterung der Aufgaben der Kommission zur langfristigen Pensionssicherung (1325/A)(E)

Ursula Haubner, Kollegin und Kollegen betreffend umfassende Verbesserungen im Pflegebereich (1326/A)(E)


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 11

Christoph Hagen, Kolleginnen und Kollegen betreffend generelles Lkw-Überholverbot auf zweispurigen Autobahnen (1327/A)(E)

Ursula Haubner, Kollegin und Kollegen betreffend Aufwertung des freiwilligen sozialen Jahres als „Bürgerhilfe“ (1328/A)(E)

Ing. Norbert Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Zweckbindung MöSt (1329/A)(E)

Ing. Norbert Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend finanzielle Erleichterungen für Elektro- und Hybridfahrzeuge (1330/A)(E)

Ing. Norbert Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend finanzielle Erleichterungen für Elektro- und Hybridfahrzeuge (1331/A)(E)

Christian Lausch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Erhöhung der Planstellen für Exekutivbedienstete im Justizwachedienst (1332/A)(E)

Josef Jury, Maximilian Linder, Kolleginnen und Kollegen betreffend steuerliche Absetzbarkeit von Spenden an den Österreichischen Zivilinvalidenverband (1333/A)(E)

Dr. Wolfgang Spadiut, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arzneimittelgesetz geändert wird (1334/A)

Anfragen der Abgeordneten

Mag. Ewald Stadler, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend „Bandions Blamagen“ und deren Folgen für den österreichischen Rechtsstaat (6687/J)

Dr. Johannes Jarolim, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Wis­senschaft und Forschung betreffend massive Mängel in der Wahrnehmung der Rechtsaufsicht über die Medizinische Universität Innsbruck (MUI) & weiterhin unhalt­bare Zustände an und in der Führung dieser Universität (6688/J)

Mag. Johann Maier, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend betreffend „Sicherheitsgewerbe (Berufsdetektive und Be­wachungs­gewerbe) – Gesetzliche Regelungen – Perspektiven“ (6689/J)

Mag. Johann Maier, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend „Sicherheitsgewerbe (Berufsdetektive und Bewachungsgewerbe) – Gesetz­liche Regelungen“ (6690/J)

Dr. Peter Wittmann, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Vorwurf der Packelei durch die ÖVP-Niederösterreich (6691/J)

Dr. Peter Wittmann, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten betreffend Vorwurf der Packelei durch die ÖVP-Niederösterreich (6692/J)

Dr. Peter Wittmann, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend betreffend Vorwurf der Packelei durch die ÖVP-Niederösterreich (6693/J)

Anton Heinzl, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend betreffend Vorwurf der Packelei durch die ÖVP-Niederösterreich (6694/J)


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 12

Anton Heinzl, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten betreffend Vorwurf der Packelei durch die ÖVP-Niederösterreich (6695/J)

Anton Heinzl, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betref­fend Vorwurf der Packelei durch die ÖVP-Niederösterreich (6696/J)

Mag. Sonja Steßl-Mühlbacher, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend die sogenannte BUWOG-Causa (6697/J)

Mag. Christiane Brunner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend Gefährdungshaftung für gefährliche Betriebe (6698/J)

Mag. Dr. Wolfgang Zinggl, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur betreffend das Amtsverständnis des MAK-Direktors Peter Noever (6699/J)

Gerhard Köfer, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend die Anfragebeantwortung vom 9. September 2010 bezüglich des Integrationsprojektes OSETO (6700/J)

Gerhard Köfer, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend BMI-Inserat in der Gratiszeitung „Heute“ vom 18. Oktober 2010 (6701/J)

Gerhard Köfer, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur betreffend Raumvermietungspraxis in den Bundesmuseen (6702/J)

Gerhard Köfer, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Wissenschaft und Forschung betreffend Forschungsprojekte im Bereich der Nanotechnologie (6703/J)

Petra Bayr, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend Umsetzung des Nationalen Aktionsplans zur Vor­beugung und Eliminierung von FGM in Österreich 2009–2011 (6704/J)

Petra Bayr, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend betreffend Umsetzung des Nationalen Aktionsplans zur Vorbeugung und Eliminierung von FGM in Österreich 2009–2011 (6705/J)

Petra Bayr, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend Umsetzung des Nationalen Aktionsplans zur Vorbeugung und Eliminierung von FGM in Österreich 2009–2011 (6706/J)

Petra Bayr, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend Umsetzung des Nationalen Aktionsplans zur Vorbeugung und Eliminierung von FGM in Österreich 2009–2011 (6707/J)

Petra Bayr, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Gesundheit betref­fend Umsetzung des Nationalen Aktionsplans zur Vorbeugung und Eliminierung von FGM in Österreich 2009–2011 (6708/J)

Petra Bayr, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur betreffend Umsetzung des Nationalen Aktionsplans zur Vorbeugung und Eliminierung von FGM in Österreich 2009–2011 (6709/J)

Petra Bayr, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Frauen und öffentlichen Dienst betreffend Umsetzung des Nationalen Aktionsplans zur Vorbeugung und Eliminierung von FGM in Österreich 2009–2011 (6710/J)


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 13

Bernhard Themessl, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Solidaritäts- und Strukturfonds, Bürokratie und Monopolverwaltung (6711/J)

Bernhard Themessl, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend betreffend Immobilienmaklerverordnung (6712/J)

Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend Kontaktaufnahme von Dr. Rzeszut (6713/J)

Wolfgang Zanger, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend die Kosten für Werbung im Bundeskanzleramt (6714/J)

Wolfgang Zanger, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Frauen und öffentlichen Dienst betreffend die Kosten für Werbung in den Ministerien (6715/J)

Wolfgang Zanger, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten betreffend die Kosten für Werbung in den Ministerien (6716/J)

Wolfgang Zanger, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit, So­ziales und Konsumentenschutz betreffend die Kosten für Werbung in den Ministerien (6717/J)

Wolfgang Zanger, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend die Kosten für Werbung in den Ministerien (6718/J)

Wolfgang Zanger, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Gesundheit betreffend die Kosten für Werbung in den Ministerien (6719/J)

Wolfgang Zanger, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend die Kosten für Werbung in den Ministerien (6720/J)

Wolfgang Zanger, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend die Kosten für Werbung in den Ministerien (6721/J)

Wolfgang Zanger, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Landesvertei­digung und Sport betreffend die Kosten für Werbung in den Ministerien (6722/J)

Wolfgang Zanger, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft betreffend die Kosten für Werbung in den Ministerien (6723/J)

Wolfgang Zanger, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur betreffend die Kosten für Werbung in den Ministerien (6724/J)

Wolfgang Zanger, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend die Kosten für Werbung in den Ministerien (6725/J)

Wolfgang Zanger, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend betreffend die Kosten für Werbung in den Ministerien (6726/J)

Wolfgang Zanger, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Wissen­schaft und Forschung betreffend die Kosten für Werbung in den Ministerien (6727/J)

Dietmar Keck, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend Prozesshilfe und Opferschutzorganisationen (6728/J)


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 14

Erwin Preiner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend aktuelle Kriminalstatistik und Personalsituation bei der Polizei im Burgenland (6729/J)

Anton Heinzl, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend Causa Niederösterreichische Hypo Investmentbank (6730/J)

Gerhard Huber, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft betreffend Kosten der Werbekampagne „UNSERE BAUERN BRINGEN’S“ (6731/J)

Dr. Peter Wittmann, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend Causa Hypo Alpe-Adria (6732/J)

Gabriele Binder-Maier, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft betreffend „Unterrichtsfach Imkerei im Lehrplan landwirtschaftlicher Fachschulen“ (6733/J)

Günter Kößl, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur betreffend Vorhaben des Bildungsressorts zur eklatanten Benachteiligung der Strukturen des ländlichen Raums durch Schulschließungen im Bezirk Scheibbs (6734/J)

Günter Kößl, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur betreffend Vorhaben des Bildungsressorts zur eklatanten Benachteiligung der Strukturen des ländlichen Raums durch Schulschließungen im Bezirk Melk (6735/J)

Günter Kößl, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur betreffend Vorhaben des Bildungsressorts zur eklatanten Benachteiligung der Strukturen des ländlichen Raums durch Schulschließungen im Bezirk Amstetten (6736/J)

Hannes Fazekas, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend Dolmetschkosten im Bundesministerium für Inneres (6737/J)

Christoph Hagen, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend aufklärungsbedürftige Vorgangsweise der Justiz in Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen den Feldkircher Bürgermeister (6738/J)

*****

Dipl.-Ing. Gerhard Deimek, Kolleginnen und Kollegen an die Präsidentin des Nationalrates betreffend Bezug von Printmedien im Parlament durch Monopolisten Firma Morawa (51/JPR)


 


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 15

10.00.24Beginn der Sitzung: 10 Uhr

Vorsitzende: Präsidentin Mag. Barbara Prammer, Zweiter Präsident Fritz Neugebauer, Dritter Präsident Mag. Dr. Martin Graf.

*****

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 81. Sitzung des Nationalrates und darf Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen.

Als verhindert gemeldet sind die Abgeordneten Ablinger, Mag. Auer, Plessl, Hörl, Dr. Belakowitsch-Jenewein, Kickl, Jarmer und Dr. Strutz.

Vertretung von Mitgliedern der Bundesregierung

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Für diese Sitzung hat das Bundeskanzleramt über die Vertretung von Mitgliedern der Bundesregierung, welche sich in einem ande­ren Mitgliedstaat der Europäischen Union aufhalten, folgende Mitteilung gemacht:

Der Bundesminister für Landesverteidigung und Sport Mag. Norbert Darabos wird durch die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie Doris Bures ver­treten.

10.01.06Mandatsverzicht und Angelobung

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Von der Bundeswahlbehörde sind die Mit­teilungen eingelangt, dass die Abgeordneten Lutz Weinzinger und Dr. Gerhard Kurz­mann auf ihre Mandate verzichtet haben und an ihrer Stelle Elmar Podgorschek und Josef A. Riemer in den Nationalrat berufen wurden.

Da die Wahlscheine bereits vorliegen und die Genannten im Hause anwesend sind, werde ich sogleich ihre Angelobung vornehmen.

Nach Verlesung der Gelöbnisformel und über Namensaufruf durch den Herrn Schrift­führer werden die neuen Mandatare ihre Angelobung mit den Worten „Ich gelobe“ zu leisten haben.

Ich ersuche den Herrn Schriftführer, Herrn Abgeordneten Jakob Auer, um die Ver­lesung der Gelöbnisformel und den Namensaufruf.

10.02.00

 


Schriftführer Jakob Auer: „Sie werden geloben unverbrüchliche Treue der Republik Österreich, stete und volle Beobachtung der Verfassungsgesetze und aller anderen Gesetze und gewissenhafte Erfüllung Ihrer Pflichten.“

Über Namensaufruf durch den Schriftführer Jakob Auer leisten die Abgeordneten Elmar Podgorschek und Josef A. Riemer die Angelobung mit den Worten „Ich gelobe“.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Ich begrüße die neuen Abgeordneten herzlich in unserer Mitte. (Allgemeiner Beifall.)

*****

Ich gebe bekannt, dass die Fragestunde und die anschließende Debatte in der Zeit von 10 bis 13 Uhr vom ORF live übertragen werden.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 16

10.02.47Fragestunde

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir gelangen nun zur Fragestunde.

Ich gebe bekannt, dass Einvernehmen darüber besteht, künftig alle Anfragen an eine Bundesministerin/einen Bundesminister im Rahmen einer Fragestunde in einer Sitzung zu behandeln, also zu Ende zu behandeln.

Zum Aufruf gelangt daher die noch offene Anfrage vom 9. Juli 2010 an die Bun­desministerin für Verkehr, Innovation und Technologie.

Daran anschließend gelangen – entsprechend der Präsidialvereinbarung – alle Anfra­gen an den Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend zum Aufruf. Die Behandlung dieser Fragestellungen wird heute auch zu Ende gebracht.

Die Fragestellungen durch die Damen und Herren Abgeordneten werden von den Rednerpulten im Halbrund vorgenommen, die Beantwortung durch die Mitglieder der Bundesregierung vom Rednerpult der Abgeordneten.

Für die Anfrage- und Zusatzfragestellerinnen und -steller ist jeweils 1 Minute Redezeit vorgesehen. Die Beantwortung der Anfrage soll 2 Minuten, jene der Zusatzfragen je­weils 1 Minute betragen.

Ich werde, so wie bisher, wenige Sekunden vor Ende der jeweiligen Redezeit mit einem Glockenzeichen auf deren Ablauf aufmerksam machen.

Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir kommen nun zur 1. Anfrage, das ist die der Frau Abgeordneten Schittenhelm an die Frau Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie. – Bitte, Frau Abgeordnete.

 


Abgeordnete Dorothea Schittenhelm (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ge­schätzte Frau Bundesministerin! Die Europäische Kommission hat bereits im Jahr 2007 mit ihrem Evaluierungsbericht Kritik an der Umsetzung Österreichs am „Ersten Eisenbahnpaket“ wegen mangelhafter Liberalisierung des Bahngüterverkehrs geübt, aber trotz dieser Kritik ist anscheinend nichts geschehen. Nun führt die EU-Kom­mission Klage gegen Österreich.

Daher meine Frage:

83/M

„Welche Maßnahmen setzen Sie anlässlich der Klage der Europäischen Kommission gegen Österreich wegen der nicht ordnungsgemäßen Umsetzung des ,ersten Eisen­bahnpakets‘, insbesondere wegen mangelnder Unabhängigkeit der Trassenzuwei­sungs­stelle von den Eisenbahnunternehmen?“

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Frau Bundesministerin, bitte.

 


Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie Doris Bures: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einen schönen guten Morgen wünsche ich. – Frau Abgeordnete, ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Frage, weil man daran sieht, dass insgesamt auf europäischer Ebene, was die Liberalisierung des Schienenmarktes betrifft, noch ein Klärungsbedarf besteht.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 17

Nicht nur Österreich wurde, was die Umsetzung betrifft, gemahnt, sondern insgesamt 24 EU-Mitgliedstaaten von den 27. Es wurden seitens der EU drei Punkte in der Umsetzung in Frage gestellt.

Der erste Punkt betrifft die Sanktionsmöglichkeiten der Regulierungsstellen. Da konnten wir mittlerweile die EU-Kommission überzeugen beziehungsweise glaubhaft machen, dass wir mit der Autonomie im Rahmen der Schienenkontrollkommission die­sen Punkt erledigt haben, und danach wurde die Mahnung diesbezüglich zurück­gezogen.

Der zweite Punkt, der kritisiert wurde, betrifft die Bedingungen der Netzvergabe. Da ist es darum gegangen, dass ein Bonus-Malus-System eingeführt werden soll, was Verträge in Bezug auf den Betrieb und das Fahren auf diesen Strecken betrifft. Auch diese Forderung ist bereits umgesetzt. Mit 1. Jänner 2011 wird es so weit sein, dass auch wir in Österreich solch ein Bonus-Malus-System haben. Einen Bonus gibt es dann, wenn zum Beispiel mit leichten, modernen und leisen Fahrzeugen gefahren wird, und einen Malus dann, wenn es zu Verspätungen kommt.

Und der dritte Punkt, der kritisiert wurde, betrifft die Vergabe der Trassen, die Trassenzuweisungen. Da sind wir noch in Verhandlungen mit der Europäischen Union.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Frau Abgeordnete Schittenhelm.

 


Abgeordnete Dorothea Schittenhelm (ÖVP): Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Kritik hat die EU-Kommission auch geübt an der von den ÖBB gewählten Holding­konstruktion und der damit verbundenen Bestellung der Manager der Holding in den Aufsichtsrat der Tochterunternehmen.

Wie beurteilen Sie eigentlich die von Ihnen kürzlich vorgenommene offensichtlich nicht EU-rechtskonforme Neubestellung der ÖBB-Aufsichtsräte, indem eine personelle Verkettung von Vorstands- und Aufsichtsratsfunktionen innerhalb des ÖBB-Konzerns vorgenommen wurde?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Frau Bundesministerin, bitte.

 


Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie Doris Bures: Es wurde ja nach Lautwerden dieser Kritik ein neues ÖBB-Strukturgesetz hier im Hohen Haus beschlossen, das auf einige dieser Kritikpunkte Bezug nimmt. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir im Eisenbahnunternehmen ÖBB eine starke Holding haben, die die Koordinierung dieses wichtigen Unternehmens in den drei zentralen Bereichen Personenverkehr, Güterverkehr und Infrastrukturinvestitionen übernimmt.

In meinem Zuständigkeitsbereich liegt die Besetzung des Holdingaufsichtsrats, sozu­sagen der Muttergesellschaft. Ich glaube, da ist mit der Besetzung mit inter­nationalen Experten von der Schweizer Bahn und mit Wirtschafts- und Rechtsexperten eine gute Mischung gelungen. In den eigenen Gesellschaften selbst übernimmt die Besetzung das Unternehmen selbst, da erfolgt die Nominierung nicht seitens der Ministerin.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeordneter Hagen.

 


Abgeordneter Christoph Hagen (BZÖ): Frau Präsidentin! Frau Ministerin! In Öster­reich beträgt der Gütertransport auf der Schiene 37 Prozent; in der Schweiz sind es 61 Prozent, und das steigend. Im Westen Österreichs ist es damit sehr schlecht bestellt. So ist in Vorarlberg der Gütertransport auf der Schiene beinahe zum Erliegen gekommen, dort liegt er im einstelligen Bereich. Schiene und Infrastruktur sind dort kaum vorhanden, um da Verbesserungen herbeizuführen. Durch den öffentlichen Nah­verkehr, durch den Personentransport und bessere Intervalle wurde dort der Güter­


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transport nach hinten gedrückt. Die Schweiz zeigt uns vor, dass das auch anders möglich ist, aber dazu bedarf es entsprechender Maßnahmen.

Meine konkrete Frage: Welche Maßnahmen gedenken Sie zu setzen, um den Güter­transport von der Straße auf die Schiene speziell im Westen zu forcieren?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Frau Bundesministerin, bitte.

 


Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie Doris Bures: Sie haben recht. Auch ich blicke neidvoll in die Schweiz, der es mittels mehr Kosten­wahrheit bei Straße und Schiene gelungen ist, in diesem Bereich eine starke Ver­lagerung vorzunehmen. Das ist auch das Ziel meiner Verkehrspolitik: weniger Verkehr auf der Straße, weniger Lkw auf der Straße und mehr Güterverkehr auf der Schiene.

Da liegen wir aber im europäischen Vergleich an der Spitze der EU-27. Mit 31 Prozent Güterverkehr auf der Schiene schneiden wir in der EU da am besten ab. Der EU-Durchschnitt ist gerade halb so viel, nämlich 15 Prozent. Deutschland weist knapp 10 Prozent auf. Also wir brauchen da unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen.

Wir sind da zwar gut unterwegs, aber ich glaube, dass das ganz Entscheidende ist, dass auch uns das gelingt, was der Schweiz gelungen ist, nämlich zu mehr Kostenwahrheit bei Straße und Schiene zu kommen und damit zu einer stärkeren Verlagerung des Gütertransportes auf der Schiene in ganz Europa.

Es muss einen Vorzug für das Transportmittel Schiene geben, weil es das schnellere und umweltfreundlichere ist und weil es die Bevölkerung vom Transitverkehr entlastet. Das ist mein Ziel, und dieses werde ich trotz Sparkurs weiter verfolgen.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Frau Abgeordnete Dr. Moser.

 


Abgeordnete Dr. Gabriela Moser (Grüne): Guten Morgen! Frau Ministerin! Frau Präsidentin! Die Verlagerung der Güter von der Straße auf die Schiene ist das eine, das wichtig ist, aber die Attraktivierung der öffentlichen Verkehrsmittel für die Fahr­gäste, für die Personen, für die Menschen ist das andere, und das ist meines Erach­tens teilweise noch viel wichtiger.

Jetzt haben wir neue Fahrplanentwürfe der ÖBB, und die sehen vor, dass der Fernverkehr zwischen den Landeshauptstädten eingestellt wird. Linz–Graz, Graz–Innsbruck, Graz–Salzburg, da gibt es immer nur Regionalverkehr.

Meine Frage: Wie sollen die Menschen vom Auto, von der Straße auf die Bahnen, auf die ÖBB, auf die öffentlichen Verkehrsmitteln umsteigen können, wenn sie dort ständig umsteigen müssen? Im Auto sitzen sie von A bis Z in einem Gefährt, und bei der Bahn geht es rein, raus, rein, raus. Dieser Fahrplan ist ein Murks, Frau Ministerin!

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Frau Bundesministerin, bitte.

 


Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie Doris Bures: Frau Abgeordnete, ich glaube, wir sind uns einig, wenn ich sage: Beides ist wichtig! Wir brauchen mehr Güterverkehr auf der Schiene, weil wir nicht die Lkw-Kolonnen auf den Autobahnen haben wollen, und wir wollen ein attraktives Angebot im Schienennetz für die PendlerInnen, aber auch für jene, die die Bahn für ihren Urlaub nützen wollen. In beiden Fällen ist die Bahn zu attraktivieren.

Ich bin sehr froh darüber, dass hier im Parlament ein Gesetz beschlossen wurde, das sogenannte ÖBB-Strukturgesetz, wo der Bund klar festlegt, welche Strecken sich im Zielnetz der ÖBB befinden und daher mittels Förderungen seitens des Bundes zu forcieren sind.


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Aber wir haben in diesem Gesetz auch klar festgehalten, dass das, was Sie zu Recht verlangen, nämlich eine flächendeckende Versorgung mit öffentlichen Verkehrsmitteln, nur in enger Abstimmung mit den Ländern erfolgen kann. Dass es nun möglicherweise zu Zugeinstellungen zwischen Linz und Graz kommt, wie Sie es hier kritisiert haben, hat damit zu tun, dass das Land Oberösterreich leider gesagt hat, dass es den Beitrag, den es bisher geleistet hat, in Zukunft nicht mehr leistet.

Eines geht natürlich nicht: Man kann nicht etwas bestellen und dann nichts dafür be­zahlen wollen. Sondern: Wenn der Bund Leistungen bestellt, dann muss er sie zahlen, und wenn die Länder Leistungen bestellen, dann müssen auch die bezahlt werden. Nur dann haben wir für die Bevölkerung ein gutes, attraktives Angebot im Schienennetz.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeordneter Dipl.-Ing. Deimek.

 


Abgeordneter Dipl.-Ing. Gerhard Deimek (FPÖ): Guten Morgen! Frau Bundesminister, zurück zum „Ersten Eisenbahnpaket“, das ja unter anderem aus der Zulassung der Eisenbahnunternehmen und dem Trassenmanagement besteht.

Konkret: Auf der Westbahn ist bekannt, dass ab Dezember 2011 die Westbahn­gesellschaft, die neue Gesellschaft fährt, und die hat ja vor kurzer Zeit eine Klage gegen die Republik eingebracht, weil sie sich durch eine Gesetzesänderung von früher benachteiligt fühlt.

Daher meine Frage: Was werden Sie tun, um erstens Chancengleichheit zwischen den Unternehmen ÖBB und Westbahn herzustellen und um zweitens die Republik bei dieser Klage möglichst schadlos zu halten?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Frau Bundesministerin, bitte.

 


Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie Doris Bures: Herr Abgeordneter! Nicht nur aus europarechtlichen Gründen bin ich der Auffassung, dass wir diese Liberalisierung vorzunehmen haben, sondern auch deshalb, weil ich davon überzeugt bin, dass Wettbewerb auf der Schiene für alle etwas Gutes ist: für die Unternehmen, aber vor allem für die Kundinnen und Kunden eines Unternehmens. Daher unterstütze ich diese Maßnahmen.

Ich kann Ihnen berichten, dass die Genehmigungsverfahren, die seitens des BMVIT für diese Liberalisierung eingeleitet wurden, wirklich hervorragend laufen, dass wir da auf einem positiven Weg sind, um, was die Genehmigungen betrifft, bescheidmäßig alles zu ermöglichen.

Wir sind auch, was die Infrastruktur und den Trassenzugang für Private betrifft, wirklich sehr weit. Da bin ich sehr zuversichtlich.

Und es gibt einen Punkt, wo es darum geht, dass es Förderungen für den Fahrpreis geben soll, dass es Subventionen für den Betrieb an ein privates Unternehmen geben soll. Dafür muss es aber Verträge geben, und darüber werden wir auch verhandeln.

Ich verstehe sehr gut, dass ein Privatunternehmen zukünftiges Interesse hat an staat­lichen Förderungen, aber da geht es letztendlich um Steuerzahlergeld, und daher muss ich da besonders gut aufpassen.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeordneter Heinzl.

 


Abgeordneter Anton Heinzl (SPÖ): Schönen guten Morgen! Frau Bundesministerin, ich möchte folgende Frage an Sie richten: Welche Auswirkungen für den Schie­nenverkehr erwarten Sie von der gerade auf europäischer Ebene erfolgten Systemum­stellung bei der Lkw-Maut?

 



Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 20

Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Frau Bundesministerin, bitte.

 


Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie Doris Bures: Herr Abgeordneter, ich erhoffe mir davon, dass wir das Ziel erreichen, dass wir mehr Kostenwahrheit bei Straße und Schiene haben.

Wir haben erfreulicherweise mit der Ökologisierung der Lkw-Maut, die hier im Hohen Haus beschlossen wurde, erreicht, dass jene Lkw, die mehr Umweltschäden anrichten, eine höhere Maut zu zahlen haben, und dass die Lkw mit geringerem Schadstoff­ausstoß weniger zahlen müssen.

Jetzt ist es auf europäischer Ebene erstmals gelungen, dass wir eine System­um­stellung haben, dass die Lkw-Maut nicht nur berechnet wird als Straßenentgelt, sondern dass auch andere Faktoren mit eingerechnet werden, wie zum Beispiel: Welche Lärmbelästigungen entstehen durch den Lkw-Verkehr? Welche Luftschäden und Umweltschäden entstehen dadurch? Aufgrund dessen wird es durch diese Systemumstellung in Zukunft die Möglichkeit geben, da mehr Kostenwahrheit zu erreichen.

Das ist etwas, wofür Österreich schon 20 Jahre in Europa kämpft, und da sind wir noch immer nicht dort, wo wir hinwollen. Aber wir haben da bereits den Fuß in der Tür, und in Bälde werden wir diese Tür aufstoßen, damit wir das erreichen, was wir in der österreichischen Verkehrspolitik haben wollen: weniger Verkehr auf der Straße und mehr Verkehr auf der Schiene.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Ich bedanke mich bei der Frau Bundes­ministerin Doris Bures für die Beantwortung der Anfragen. (Beifall bei der SPÖ.)

Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir gelangen nun zu den Anfragen an den Herrn Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Mitterlehner.

Erster Fragesteller: Herr Abgeordneter Dr. Matznetter. – Bitte.

 


Abgeordneter Dr. Christoph Matznetter (SPÖ): Herr Bundesminister! Wir haben vor einem Jahr eine erfolgreiche thermische Sanierung hinter uns gebracht. Aber eine Million Haushalte konnten sich bisher noch nicht leisten, eine solche vorzunehmen.

Meine Frage daher:

90/M

„Wann werden Sie eine neue, sozial gerecht gestaltete Förderoffensive im Bereich thermische Sanierung starten, die es durch ein zinsloses Kreditmodell ermöglicht, dass auch Bezieherinnen und Bezieher von niedrigen Einkommen ihre Betriebskosten senken und in den Klimaschutz investieren können?“

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter Matz­netter, das von Ihnen angesprochene Fördermodell ist tatsächlich eines, das am meisten in Anspruch genommen worden ist und das, was die Wirkung anbelangt, auch eines der positivsten Modelle ist.

Ich darf nur ganz kurz darauf hinweisen, dass wir im Jahr 2009 über 14 000 Sa­nie­rungen gefördert und innerhalb von zwölf Wochen Investitionen in der Größenordnung


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von rund 500 Millionen € in Bewegung gesetzt haben. Es war also auch von der Nachhaltigkeit her ein voller Erfolg.

Nun zu Ihrer Frage, warum wir einen Barzuschuss verwendet und abgewickelt haben und keine Kreditzuschüsse, keinen Zinsenzuschuss zu den Krediten. Das hat folgen­den Hintergrund: Wir haben bei den durchführenden Organisationen – das waren im Wesentlichen die Bausparkassen und auf der anderen Seite die Kommunalkredit AG – auch Umfragen machen lassen, wie denn die Situation bei den Beziehern ist, und dort haben wir gesehen, dass vor allem bei thermischer Sanierung rund 65 Prozent der Betroffenen ihre eigenen Sparmittel zu dem Projekt dazu verwenden. Das heißt, der Wunsch der Betroffenen ist es, mit eigenem vorhandenem Spargeld und zusätzlichen Investitionen und Förderungen seitens des Staates hier entsprechend tätig zu werden.

Die andere Fragestellung, ob sie das auch bei Kreditaufnahme tun würden, hat erge­ben, dass viel weniger das in Anspruch nehmen würden. Das heißt im Klartext: Aus unserer Sicht könnte ein Förderungswerber sowohl einen Kredit mit diesen Mitteln, mit dem Zuschuss bedienen als auch auf der anderen Seite den Zuschuss so nehmen, wie er ihn bis jetzt genommen hat.

Ein zweiter Punkt, den wir als Problem gesehen haben, war die Anknüpfung an die Förderungen der Länder. Dort haben wir in erster Linie Annuitätenzuschüsse, teilweise schon laufende Umsetzungen, und da haben wir additiv gewirkt. Durch diese additive Wirkung war es besser, dieses Zusatzelement von der inhaltlichen Seite her zu bringen, als komplizierte Rückabwicklungen und Übereinstimmungen zu machen.

Drittens war, was den Zinsenzuschuss anbelangt, eine unserer Überlegungen die, dass ein beachtlicher administrativer Aufwand dadurch entsteht. Wenn wir das abwickeln, erfordert das eine Dauerbetreuung über Jahre, und daher hielten wir es für besser – auch von der Administration her gesehen –, so zu agieren.

Mein Vorschlag ist: Wir schauen uns alle Modelle an und können das additiv in der Summe bewerten. Wenn wir eine Wahlmöglichkeit für den Konsumenten, für den Werber haben, dann, würde ich sagen, ist das das Beste. Und das Allerbeste an dem Ganzen ist, wenn wir im Rahmen der Budgetverhandlungen für diese Maßnahmen wieder die Mittel bereitgestellt bekommen. Das ist das Wichtigste. Ansonsten können wir uns über Modelle unterhalten. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Dr. Matz­netter, bitte.

 


Abgeordneter Dr. Christoph Matznetter (SPÖ): Herr Bundesminister, ist es nicht so, dass jede Ausgabe in diesem Bereich, vor allem dort, wo ein hoher Hebel ist, zum Beispiel bei so einem Kreditmodell, wo ja das x-fache des Zinsenzuschusses investiert wird, in Wahrheit für die Republik ein positives Geschäft ist? Es kommen schon im ersten Jahr mehr Steuern und Abgaben herein, als die Aktion kostet. Und: Wie sagen wir es unseren Budgetisten?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Sie haben vollkommen recht: Von der Möglichkeit der Hebelwirkung sind beide Varianten sehr positiv. Es ist aber klar, dass eine Art Beliebtheitssituation aufseiten des Konsu­menten und des Förderungswerbers gegeben ist. Wir wollen beiden Rechnung tragen, und ich glaube, dass das auch dann von der Umsetzung her das Attraktivste ist.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Glaser, bitte.

 


Abgeordneter Franz Glaser (ÖVP): Herr Bundesminister! Die thermische Sanierung hat in der Bevölkerung durch die Energieeinsparung und den damit verbundenen Bei­


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trag zum Klimaschutz eine hohe Akzeptanz. Die öffentliche Hand, der Bund ist selbst über die Bundesimmobiliengesellschaft Eigentümer hunderter Liegenschaften und großer Gebäudekomplexe und hat hier sicher auch Handlungsbedarf.

Ich möchte Sie daher fragen: Welche Initiativen haben Sie gesetzt, um diese Gebäude der Bundesimmobiliengesellschaft bezüglich der thermischen Sanierung entsprechend zu forcieren?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Herr Abgeordneter, Sie sprechen da ein konkretes und tatsächliches Problem an. Wir haben bekanntermaßen im Rahmen der Konjunkturpakete Mittel in einer Größen­ordnung von insgesamt 875 Millionen € für Investitionen im Baubereich im Rahmen der BIG vorgesehen. Ein Teil davon sind Neuinvestitionen und Instandhaltungen, ein Teil – in etwa 150 Millionen € pro Jahr – bezieht sich auf den Bereich der thermischen Sanie­rung.

Nun haben wir aber dort das System, dass der Auftragnehmer, also beispielsweise Schulen oder Gerichte, das im Rahmen der jeweiligen Miete zurückzahlen muss. Die Investition wird also vorgenommen, sie wird geplant, dann durchgeführt und dann über die Miete abgewickelt. Im Rahmen der budgetären Einsparungsnotwendigkeiten haben aber die wenigsten der Minister Attraktivität darin gesehen, hier bei uns zu investieren. Deswegen haben wir versucht, im Rahmen eines Angebots hier 50 Millionen € – aus den Rücklagen genommen – zur Verfügung zu stellen, um ein attraktives Modell als Anreiz anbieten zu können. Im Endeffekt werden die Mieten dadurch günstiger.

Das hat gewirkt – wir haben auch allen Ministern geschrieben, um darauf aufmerksam zu machen –, und wir haben hier einige Umsetzungen in der Größenordnung von derzeit 50 Millionen € an zusätzlichen Aufträgen. Ich bin optimistisch, dass wir in etwa, muss ich sagen, dieses Volumen erreichen werden. Es ist angesichts der ange­sprochenen budgetären Gegebenheiten nicht einfach, aber auch der Bund bemüht sich hier, eine stimmige Rolle zu erfüllen.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Mag. Wid­mann, bitte.

 


Abgeordneter Mag. Rainer Widmann (BZÖ): Guten Morgen, Herr Minister! Die thermische Sanierung ist ja unbestritten ein Erfolgsmodell – für die Umwelt, für die Wirtschaft, für die Arbeitsplätze, für die Energieautarkie Österreichs letztlich –, obwohl die Regierung hier vom Geld her meiner Meinung nach sehr wenig unternimmt.

Nun zu meiner Frage. – Vorweg bedanke ich mich noch bei der SPÖ für die Grund­satzfrage, weil ja das zinsenlose Kreditmodell für niedrige Einkommen zur thermischen Sanierung auch ein Antrag des BZÖ war und von der SPÖ im Ausschuss abgelehnt worden ist.

Meine Frage an Sie knüpft an die Vorfrage des Vorredners an: Sie sind Chef der BIG, der Bundesimmobiliengesellschaft. Wie viele konkrete Objekte wurden bereits mit diesen angesprochenen 50 Millionen € saniert, und wie viele könnte man insgesamt damit sanieren?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Herr Abgeordneter Widmann! Erstens einmal: Es wäre schön, wenn ich der Chef der BIG wäre. Operativ sind das zwei Geschäftsführer. Wir haben hier die entsprechende Wahrnehmung der Eigentümerrechte sicherzustellen, und da gibt es entsprechende Rahmenbedingungen seitens des Bundes.


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Die Frage, die Sie gestellt haben, lässt sich nicht so einfach beantworten, weil die Größenordnung der jeweiligen Projekte natürlich unterschiedlich ist und man daher nicht quantitativ vorgehen kann, indem man einfach die Summe aufrechnet und sagt, wir machen lauter Millionenprojekte mit einer Million, und das wären dann so und so viele. Ich kann Ihnen nur sagen, was wir jetzt beispielsweise laufen haben: Wir haben für das vierte Sanierungspaket der Schulen, das sind rund 7 Millionen €, 50 Prozent der Gesamtkosten übernommen – also wirklich sehr attraktiv; normalerweise ist der Schlüssel 30 : 70 –, wir haben 100 Prozent thermische Kleinmaßnahmen übernommen und auch, was ein Demonstrationsprojekt anbelangt, exakt 3 Millionen € übernommen.

Ich würde Ihnen aber vorschlagen, da das jetzt wahrscheinlich den zeitlichen Rahmen sprengen würde: Wir geben Ihnen gerne eine Auflistung aller Projekte, auch aller noch in Verhandlung befindlichen oder als Möglichkeit bestehenden, damit Sie einen Überblick haben: Was ist Anspruch? Was ist Wirklichkeit? Und woran ist es gescheitert oder nicht gescheitert? (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Frau Abgeordnete Mag. Brun­ner, bitte.

 


Abgeordnete Mag. Christiane Brunner (Grüne): Herr Wirtschaftsminister, es ist ja schon angesprochen worden: Die thermische Sanierung ist ein Erfolgskonzept. Wir Grüne haben das ja schon seit dem Jahr 2000 gefordert, weil es eine ganz wichtige Maßnahme ist, um unsere Klimaziele zu erreichen und auch den Anteil der erneuerbaren Energien erhöhen zu können. (Abg. Großruck: Langsamer sprechen!) Deswegen haben wir uns auch sehr gefreut, dass es diese Aktion im letzten Jahr gegeben hat. Es hat sie nur sehr kurz gegeben, weil sie sehr schnell ausgeschöpft war. Das zeigt auch, wie groß das Interesse der Bevölkerung in Österreich ist.

Meine Frage an Sie jetzt: Wie geht es damit weiter? Landwirtschaftsminister Berlakovich hat im Umweltausschuss angekündigt, dass 100 Millionen € pro Jahr vorgesehen werden sollen. Sie arbeiten in dieser Hinsicht ja mit ihm zusammen. Daher meine Frage: Wird es diese 100 Millionen € geben? Wie lange werden die im Budget sein? Und für welche Größenordnungen werden Sie sich einsetzen, damit es auch wirklich für alle Menschen in Österreich möglich ist, Sanierungen durchzuführen?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Frau Abgeordnete, es ist richtig: Wir bemühen uns im Rahmen der Budgetver­hand­lungen, 100 Millionen € herauszuverhandeln oder sicherzustellen. Es besteht allge­meines Einvernehmen, dass es diese Aktion geben soll. Einvernehmen heißt natürlich noch nicht umgesetzt. Es hat auch unsere Partei im Rahmen einer eigenen Klausur beschlossen, dass wir hier mindestens 100 Millionen € anstreben.

Die Größenordnung der 100 Millionen € soll eine permanente Aktivität sicherstellen und daher auch in den nächsten Jahren dotiert sein, weil wir die Sanierungsquote im Bereich der thermischen Gebäude von 1 auf 3 Prozent heben wollen.

Ich sehe das als ganz, ganz wichtig an, nicht nur vom Energieaspekt, sondern auch wenn man daran denkt, in wie vielen Orten in eher entlegenen Regionen die Ortskerne de facto brachliegen, weil dort große Gebäude stehen, die nicht wirklich geheizt werden und auch nicht genutzt werden, während an der Peripherie neue Firmen entstehen. Da wäre es sehr wichtig, dass man auch einen Wertschöpfungsimpuls für die Betriebe in der Region leistet, damit man dort Investitionen hat, weil wir gerade in der Region momentan ja auch Investitionsdefizite haben.

Also Wertschöpfung, Regionalförderung und der thermische Aspekt, was den Ener­giebereich anbelangt – ich glaube, dass das wirklich eine der besten Aktionen ist, die


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es geben kann, um viele Ziele zu erreichen, und hoffe eigentlich sehr zuversichtlich, dass das am kommenden Wochenende und dann eben im Rahmen der Budget­begleitgesetze auch realisiert werden kann. (Beifall bei Abgeordneten der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Ing. Höbart, bitte.

 


Abgeordneter Ing. Christian Höbart (FPÖ): Guten Morgen, Herr Bundesminister! Auch aufseiten der Freiheitlichen Partei sind wir natürlich der Meinung, dass die energetischen Sanierungsmaßnahmen für Gebäude vorangetrieben werden müssen, um eben die Energiestrategieziele zu erreichen. Aber sämtliche Experten sind auch der Meinung, dass die Bundesförderungen doch um einiges höher ausfallen sollten, weil letztlich über die Steuermehreinnahmen der Staat auch mehr einnimmt – man spricht von nahezu dem Doppelten. Das heißt, es spricht nichts dagegen, diese Bundes­förderungen weiter zu erhöhen.

Hieraus ergibt sich auch folgende Zusatzfrage: Welche Überlegungen haben Sie vor allem hinsichtlich der Budgetverhandlungen bezüglich dieser Förderungserhöhungen bereits angestellt? Letztlich wollen wir ja Green Jobs schaffen, was mich als Jugendsprecher der Freiheitlichen Partei angesichts der sehr hohen Jugendarbeits­losigkeit auch sehr interessiert.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Ja, Herr Abgeordneter, Sie haben es angesprochen: Jede der Förderungen wirkt als Multipli­kator sehr gut. Ich habe hier sogar mit meinem früheren Präsidenten, Präsident Leitl, insofern einen leichten Widerspruch, als dieser natürlich vorschlägt: Je mehr, desto besser auch von der Rückkoppelung. Die ganze Geschichte hat nur einen Haken: Sie müssen vorerst einmal das Geld in die Hand nehmen, und es wirkt irgendwo dann negativ auf die Budgetkonstellation.

Daher ist unser Vorschlag der, dass wir einmal diese Investition mit 100 Millionen € als Start und dann permanent haben. Ich glaube, da können wir viel bewirken, weil auch – danke an die Länder! – die Länder additiv etwas dazugeben. Wir müssen das vielleicht auch strategisch noch etwas besser steuern.

Was die Jugend und diesen Anteil anlangt, muss ich schon sagen: Das ist nicht mein Ressort. Wir haben die geringste Jugendarbeitslosigkeit, auch europaweit gesehen, und das gilt auch für den Bereich der Arbeitslosigkeit überhaupt. Da haben wir also durchaus – natürlich mit den Betrieben und ihren Mitarbeitern, aber auch mit den Konjunkturmaßnahmen – die richtigen Weichenstellungen getroffen. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Bevor wir zur Anfrage 86/M kommen, darf ich noch einmal darum ersuchen, die jeweiligen Zeitvorgaben einzuhalten, damit wir unsere Fragestunde doch einigermaßen pünktlich beenden können.

Wir kommen nun zur Anfrage 86/M des Herrn Abgeordneten Haubner. – Bitte.

 


Abgeordneter Peter Haubner (ÖVP): Guten Morgen, Herr Minister! Herr Minister, wenn wir einen Blick nach Europa werfen, dann können wir feststellen, dass Österreich in vielen wirtschaftlichen Belangen absolute Top-Positionen einnimmt und dass das Vertrauen in die Wirtschaft und damit in die Unternehmerinnen und Unternehmer, gerade in Zeiten wie den Jahren 2008 und 2009 die schwierige Situation zu meistern, durchaus gerechtfertigt war. Ich glaube, dass Österreich besser aus dieser Krise herausgekommen ist und dass der Grund dafür natürlich auch ein Mix ist, nämlich aus der Innovationskraft der Unternehmerinnen und Unternehmer und den richtigen Maß­


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nahmen – den Konjunkturpaketen, den Arbeitsmarktpaketen und natürlich auch dem Bankensicherungspaket.

Meine Frage:

86/M

„Sind nach den bisherigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise weitere Stimulierungsmaßnahmen notwendig?“

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Ich darf den ersten Teil, was die Konjunkturmaßnahmen anlangt, wirklich sehr kurz fassen, weil Sie diese ja alle mitverfolgt und teilweise auch beschlossen haben. Ich glaube, im Endeffekt – in drei Sätzen zusammengefasst – haben wir uns eigentlich gut entwickelt. Wir haben eine schlechte Ausgangsposition gehabt – hoher Exportanteil, hohe auto­mo­tive Verflechtung, viel Risiko im Osten –, haben eigentlich die Wachstumszahlen im positiven Sinne besser erreicht als beispielsweise Deutschland; das ist vielleicht auch der Grund, warum Deutschland jetzt mehr wächst: Sie haben auf der anderen Seite mehr aufzuholen, auf der anderen Seite ist man bei den Wachstumsmärkten noch stärker festgelegt und ausgerichtet.

Daher glaube ich sagen zu können: Der erste Teil der Konjunkturmaßnahmen hat vor allem das Ziel gehabt, den Inlandsbereich, den Konsum zu unterstützen, und er war breit angelegt, eher nach dem Gießkannensystem. Wir haben 11 Milliarden €, mit den Ländern 12 Milliarden €, in die Hand genommen. Wir haben eine Steuerreform gemacht im Ausmaß von 3 Milliarden €. Keiner von Ihnen, aber auch vom Publikum kann sich erinnern, dass er davon profitiert hat – es war immer der andere. Und jetzt geht es darum, nach diesem ersten Akt der Solidarisierung auch die Probleme zu lösen, und die Frage ist: Soll es die Konjunkturpakete weiter geben? – Ich glaube, nein. Sie erinnern sich aber, dass jeder, wenn es ein bisschen schlechtere Wachstumsdaten gab, sofort gesagt hat, wir brauchen wieder ein Konjunkturpaket. – Da hätten wir wieder mehr zu sanieren.

Wir waren daher konsequent und haben das umgesetzt, was das Parlament beschlos­sen hat. Und ich glaube, dass es jetzt darum geht, ein richtiges Offensivpaket zu schnüren. Das muss in den Bereich Innovation hineingehen, das muss dort ansetzen, wo es im Export noch Notwendigkeiten gibt, also über Europa hinaus. Und natürlich müssen wir – wir haben gerade davon geredet – auch bei der Nachhaltigkeit und bei der thermischen Sanierung ansetzen.

Meine Botschaft: Weg von der Gießkanne, wenn es geht, hin zu ganz zielgerichteten, konzentrierten Umstrukturierungsförderungen. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Haubner, bitte.

 


Abgeordneter Peter Haubner (ÖVP): Österreich hat ja eine gute Struktur, einen guten Mix an Unternehmen: Industrie, Gewerbe, Tourismus, Handwerk, Handel. Und auch die klein- und mittelständischen Unternehmen, die ja das Rückgrat der Wirtschaft sind und auch 80 Prozent der Lehrlinge ausbilden, sind hier ganz wichtig.

Meine Frage ist: Wie schaut Ihrer Meinung nach in Zukunft die strukturelle Perspektive der heimischen Wirtschaft aus?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 



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Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Meine Damen und Herren, ich glaube, das ist eine der interessantesten Fragen überhaupt: Wie geht es mit der Struktur weiter, und sind wir strukturell gut aufgestellt? Ich glaube, im Großen und Ganzen ja, aber wir haben auch Veränderungen wahrzunehmen und auf diese zu reagieren. Und die erste ist regionaler Art und bereits angesprochen worden: 80 Prozent, oder knapp darüber, unserer Exporte gehen in den europäischen Bereich. In Deutschland sind es etwa 70 Prozent, und Deutschland profitiert daher stärker vom Wachstum etwa in China oder Brasilien oder auch Indien.

Daher wird es notwendig sein, von der Struktur her neue Märkte anzugehen – das tun wir auch –, um auch das Risiko zu diversifizieren. Je mehr wir auch woanders sind, umso bessere Chancen haben wir auch wachstumsmäßig. Das Problem Europas war in der Krise: ein Land ist gewachsen, nämlich Polen, alle anderen nicht. Weltweit sind letztes Jahr 58 Länder gewachsen. – Das ist der eine Punkt.

Der zweite Punkt: Wir müssen uns strukturell eher von der Investitionsgüterindustrie, von der fokussierten automotiven Industrie zur Dienstleistungsgesellschaft entwickeln. Bitte kein Erschrecken für diejenigen, die im automotiven Bereich arbeiten – das wird wichtig bleiben! Aber unser Anteil am Dienstleistungssektor im Vergleich der ent­wickelten Volkswirtschaften ist in etwa unter 70 Prozent gewesen, während die EU rund 73 Prozent Dienstleistungsanteil als Schnitt hat. Wenn wir uns dort langsam hinbewegen, ist das positiv. Es stimmt mich sehr optimistisch, dass wir uns in den letzten Jahren, was die wissensorientierten Dienstleistungen anbelangt, um das Dop­pelte verbessert haben. Daher: Dort wird die Struktur hingehen. Ich möchte aber auch den Tourismus erwähnen, der insgesamt, mit allen Nebenbereichen, 14 Prozent des Nationalprodukts abdeckt und sich sehr positiv entwickelt hat – um Herrn Abge­ordneten Hörl, den ich zwar jetzt nicht sehe, auch entsprechend anzusprechen. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeordneter Ing. Lugar.

 


Abgeordneter Ing. Robert Lugar (BZÖ): Herr Bundesminister! Viele wirtschaftliche Frühindikatoren zeigen nach unten. Einige Wirtschaftsexperten rechnen damit, dass die Wirtschaftskrise wieder aufflammen wird. Auch WIFO-Chef Aiginger hat von Ihnen ein Notfallpaket erbeten, das Sie aber abgelehnt haben.

Sehen Sie nicht auch die Wirtschaft auf tönernen Füßen? Ist es nicht richtig, dass in so einer Situation neue Steuern genau der falsche Weg sind, weil wir damit die Wirtschaft wieder extra belasten und diesen zarten Aufschwung abwürgen könnten? Also, Herr Minister: Können Sie ausschließen, dass die Mineralölsteuer erhöht wird und damit die Wirtschaft und die Menschen zusätzlich belastet werden? (Beifall beim BZÖ. – Abg. Ing. Westenthaler: Das ist eine sehr gute Frage!)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Danke für diese Fragestellung. Ich habe sie zum Teil vorher schon angesprochen, was den ersten Teil anbelangt. Wenn wir all dem Rechnung getragen hätten, was hier an schlechten Daten prognostiziert wurde – ich sage: 23. Juli, IHS und WIFO: 1,2 Prozent Wachstumsprognose, die einen 1,5, die anderen 1,2; zwei Monate später: 2,0 Prozent! Es wäre eigentlich egal, könnte man meinen, hätte man nicht Forderungen daran geknüpft, dass dringend ein Wachstumspaket, ein Offensivpaket notwendig sei.

Wir haben hier durchgehalten, weil wir Vertrauen gehabt haben in die Betriebe. Tatsächlich erfolgte eine Korrektur auf 2 Prozent Wachstum. Daher war es richtig, hier konsequent auch den Betrieben entsprechende Orientierungen zu geben. Die Krise ist


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meines Erachtens natürlich nicht vorbei, aber ich höre gerne, wenn hier schon wieder diese und jene Katastrophe befürchtet wird, denn diese finden erfreulicherweise nicht statt. (Abg. Ing. Westenthaler: Mineralölsteuer! Was ist mit der Mineralölsteuer?)

Das Unerwartete, wo man schon wieder gemächlich die Euphorie lebt, ist genau das Verkehrte. Wir müssen vorsichtig sein, wir müssen aufmerksam sein, um hier Entwick­lungen auch zu sehen. Ein Notfallpaket hängt kaum jemand in die Öffentlichkeit und sagt: Das ist mein Notfallpaket. – Wenn es so weit ist, muss er es haben. Und die letzte Krise hat gezeigt, wir haben eines, und wir werden auch, sollte es sein – was ich nicht befürchte und auch nicht erwarte –, hier richtig reagieren können.

Und die dritte ... (Abg. Ing. Westenthaler: Die Frage war eine andere! Mineralölsteuer war die Frage!) – Herr Kollege Westenthaler, ich vergesse nicht so schnell etwas wie Sie! (Heiterkeit und Beifall bei der ÖVP.)

Ich darf zu dem kommen, was die Frage war: Mineralölsteuer. – Es könnte sein, dass eine moderate Anhebung diskutiert wird oder umgesetzt wird. Moderat! Da muss man sich überlegen: Wie ist die Situation in anderen Ländern? Da muss man sich ... (Abg. Ing. Westenthaler: 250 €! – Weitere Zwischenrufe beim BZÖ.) – Könnt ihr ein bisschen leiser schreien? (Abg. Neugebauer – in Richtung BZÖ –: Lasst ihn einmal ausreden! Man versteht ihn ja gar nicht!)

Schauen Sie, es ist nichts Neues, dass im Bereich der ökologischen Steuerreform hier einige Überlegungen stattfinden. (Abg. Ing. Westenthaler: Abgezockt!) Wir werden sehen, ob wir hier zu einem Gesamtkontext kommen. (Abg. Ing. Westenthaler: Die größte Abzocke aller Zeiten!) Damit Sie es auch nicht falsch interpretieren: Ich als Wirtschaftsvertreter stehe dafür, dass wir die Ausgabenseite in Ordnung bringen sollen. Wir haben eine ohnehin hohe Steuer- und Abgabenquote. (Abg. Grosz: Warum erhöhen Sie dann die Mineralölsteuer? – Ruf beim BZÖ: Dann dürfen Sie die Mineral­ölsteuer nicht erhöhen!) Wir haben erfreulicherweise höhere Steuereinnahmen – und dann werden wir sehen, was uns abgeht, und das werden wir lösen. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Ich darf die Damen und Herren Abgeordneten bitten, auch die Fragen so präzise und knapp zu stellen, damit der Herr Bundesminister auch die Chance hat, die Beantwortung in einer Minute vorzunehmen. Das eine bewirkt das andere. (Abg. Neugebauer: ... Zwischenrufe! – Abg. Grosz: Nein, er ist inhaltlich dazu nicht in der Lage! Da können wir ihm 10 Minuten geben!)

Nächste Zusatzfrage? – Bitte, Frau Abgeordnete Dr. Lichtenecker.

 


Abgeordnete Dr. Ruperta Lichtenecker (Grüne): Einen schönen guten Morgen, Herr Minister! Ich möchte gleich das Thema, mit dem Sie geschlossen haben, aufgreifen. Eine ökologische Steuerreform beinhaltet immer auch eine soziale Komponente, und das würde auch bedeuten: ökologisch umsteuern, eine CO2-Steuer, eine Flug­ticket­abgabe und selbstverständlich – ganz wichtig! – die Senkung der Arbeitskosten. Das ist die andere Seite der ökosozialen Steuerreform – sehr wichtig, um entsprechend Arbeitsplätze zu schaffen.

Meine Frage an Sie: Wird das Paket am Wochenende in diese Richtung gehen?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Das kann ich Ihnen noch nicht beantworten, wie das Paket am Ende ausschauen wird. Aber dass die Effekte und die Konsequenzen einer ökologischen Steuerreform ent­weder so sein können, wie eine CO2-Steuer beispielsweise in der Schweiz umgesetzt wurde, wo es nach bestimmten Kriterien auch Rückerstattungen an sozial Benach­


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teiligte gibt, um auch die Wirtschaft zu stimulieren, ist ein Aspekt. Und der zweite ist, dass eine Mineralölsteuer, was Pendlerpauschale anbelangt, natürlich ebenfalls diesen Aspekt abdecken könnte.

Ich bin mir sicher, dass wir das im Rahmen der Verhandlungen, wenn – ich bin jetzt dreifach im Konjunktiv – das notwendig sein sollte, wenn wir ausgabenmäßig nicht alles erledigen können, berücksichtigen werden. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeord­neter DDr. Königshofer.

 


Abgeordneter DDr. Werner Königshofer (FPÖ): Herr Bundesminister! Am 5. Oktober hat das „WirtschaftsBlatt“ geschrieben, die Unternehmer sind die besseren Banken. Eine Recherche hat nämlich ergeben, dass der derzeitige leichte Aufschwung mehr von den Unternehmen selbst mit Liquidität getragen wird, weil die Unternehmen sich auf offene Rechnung liefern, das Zahlungsziel verlängern (Ruf bei der ÖVP: Frage!) – im Gegensatz zu den Banken, die weniger bereit sind, der Wirtschaft mit Darlehen und Krediten unter die Arme zu greifen, obwohl die Banken vom Staat im Zuge des Bankenpaketes Milliarden an Partizipationskapital bekommen haben. Es sagt auch Generaldirektor Treichl selbst, dass das Kreditgeschäft 2011 anspringen wird.

Meine konkrete Frage an Sie: Wie schätzen Sie als Wirtschaftsminister die Liquiditäts­situation der österreichischen Unternehmen – von den ganz großen Kapitalgesell­schaften bis zu den Klein- und Mittelbetrieben – ein?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Die Liquiditätssituation hat sich erfreulicherweise verbessert. Wir können das anhand der Daten der Banken, aber auch von AWS insofern nachweisen, als wir darüber Zahlen­material haben.

Es ist klar, dass ein Teil der Fälle im Vorjahr weggefallen ist, aber nicht nur wegen der Wirtschaftskrise, sondern diese Fälle waren ohnedies problematisch. Damals sind die Insolvenzen um rund 10 Prozent gestiegen, jetzt sind sie wieder zurückgegangen. Aber natürlich ist eine gute Eigenkapitalausstattung die beste Voraussetzung für die Be­triebe, um zu überleben.

Auf der anderen Seite hat das Unternehmensliquiditätsstärkungsgesetz, glaube ich, dazu beigetragen, dass kein einziges großes Unternehmen Probleme anmelden musste, mit Ausnahme eines Unternehmens, das das heute gemacht hat. (Abg. Dr. Königshofer: A-Tec!)

Viele von Ihnen haben das Buch noch zitiert – erinnern Sie sich noch daran? –, „Insolvenzfall Österreich“. Einige haben gesagt, dass der weiß, wie es geht. – Aber das ist ein anderes Problem.

Ich glaube, im Großen und Ganzen muss man die Bonität, die jetzt schärfer geprüft wird, auch bei den Unternehmensführungen berücksichtigen. Aber ich denke, wir sind jetzt insgesamt besser aufgestellt als vorher. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeordneter Mag. Kuzdas.

 


Abgeordneter Ing. Mag. Hubert Kuzdas (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundes­minister! Der seinerzeitige Generaldirektor der PORR AG hat in einer Expertendis­kussion festgestellt, dass die unterschiedlichen Branchen in unterschiedlicher Ge­schwin­digkeit auf die krisenhaften Erscheinungen reagieren. Während Automobil­industrie und IT-Industrie die Krise weitgehend überstanden haben, kommen auf die


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Bauwirtschaft erst im heurigen Winter beziehungsweise im Frühjahr die schwierigsten Monate zu.

Gleichzeitig sind die kommunalen Investitionen in Österreich im Durchschnitt um 26 Prozent zurückgegangen, in Niederösterreich beispielsweise um 37 Prozent. An die 70 Prozent der Gemeinden werden den ordentlichen Haushalt nicht ausgeglichen darstellen können.

Was halten Sie, Herr Bundesminister, angesichts dieser prekären Situation von einem kommunalen Konjunkturpaket (Präsidentin Mag. Prammer gibt das Glockenzeichen), das auf der einen Seite den Gemeinden die Auftragsvergabe an die Bauwirtschaft ermöglicht und auch die Beschäftigung hoch hält, denn steigende Arbeitslosigkeit ist ein Luxus (Präsidentin Mag. Prammer gibt neuerlich das Glockenzeichen), den wir uns nicht leisten können?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Ich finde die Idee interessant, aber doch problematisch. Ich denke, wir sollten die Probleme dem Grunde nach lösen.

Ich kenne die Gemeinden aus meinem Bezirk sehr gut, und dort gilt es, Probleme betreffend Pflege- oder Sozialversicherungsbeiträge abzuklären. In diesem Zusam­menhang gibt es erfreulicherweise eine Arbeitsgruppe zwischen dem Bund und den Ländern, und dort muss man das Problem lösen.

Das Zweite: Wir überlegen – der Herr Bundeskanzler muss das umsetzen – die Ver­längerung der Schwellenwerteverordnung. Es ist, wie wir gesehen haben, eine echte Hilfestellung für die Gemeinden, wenn man im freihändigen Bereich lokal vergeben kann und auf der anderen Seite auch bei eingeschränkten Auftragsvergaben besser vergeben kann.

Mir ist klar, dass das das Volumen nicht erhöht, aber damit ist zumindest dort die Beweglichkeit erhöht, wo man regionale Investitionen tätigen kann.

Meines Erachtens muss das in einem Paket im Rahmen des Finanzausgleiches und der Arbeitsgruppen behandelt werden, und dann wird man da helfen können.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir gelangen zur 4. Anfrage, 88/M. Anfrage­steller ist Herr Abgeordneter Themessl. – Bitte, Herr Abgeordneter.

 


Abgeordneter Bernhard Themessl (FPÖ): Frau Präsidentin! Guten Morgen, Herr Bundesminister! Wir haben gestern in der Rede des Herrn Finanzministers zum Stand der Budgetverhandlungen trotz 20-minütiger Redezeit eigentlich so gut wie gar nichts vernommen, nur so viel, dass seine Minister oder seine Ressorts bis dato die Haus­aufgaben nicht erfüllt haben. Das heißt, dass die einzelnen Ressorts das Einspa­rungspotenzial noch nicht vorgelegt haben.

Daher meine Frage an Sie:

88/M

„Unter welchen Gesichtspunkten und bei welchen Budgetposten wollen Sie Einspa­rungen vornehmen?“

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Herr Kollege, ich glaube, Sie haben gestern der Rede des Finanzministers nicht genü­gend Aufmerksamkeit gewidmet, denn diese hat sehr klare Orientierungen enthalten.


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(Abg. Dr. Stummvoll: Ja, genau! – Ruf bei der FPÖ: Der hat nichts gesagt!) – Nach­lesen, bitte.

Zum Zweiten: Wir haben natürlich zum Schluss ein Gesamtpaket zu bewerten. Das ist so wie überall: Ein Paket ist dann fertig, wenn es auch im Detail zugeschnürt ist.

Was unseren Bereich anlangt, sind drei Komponenten hier betroffen.

Erster Punkt: Wir haben in der Untergliederung Wirtschaft 14,2 Millionen weniger, richtigerweise kaum etwas weniger im Bereich Forschung und 234 Millionen im Bereich Familie – das steigert sich auf 484 Millionen €.

Wie gehen wir vor? – Wir sparen vor allem im Eigenbereich. Das ist nicht lustig, denn dann kommt beispielsweise der Bürgermeister aus Grieskirchen und sagt: Das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen dürft ihr nicht zusperren! Das ist also nicht so einfach.

Zweiter Punkt: Umstrukturierung bei uns. Wir versuchen, Multiplikatoreffekte wahrzu­nehmen – Familienbeihilfen haben eine schnelle Drehung.

Und zum Dritten versuchen wir, nicht linear vorzugehen. Es wäre eine schlechte Vorgangsweise, einfach nur weniger desselben zu tun. Wir versuchen, da kreativ umzuschichten.

Aber klar ist: Wenn ich sparen muss, wird irgendwo etwas auf der Strecke bleiben. Das Zauberkunststück, auf der einen Seite die Ausgaben zu senken und auf der anderen Seite keine Schulden zu machen und alles nur durch eine Verwaltungsreform zu erreichen, ist sehr schwierig. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Themessl, bitte.

 


Abgeordneter Bernhard Themessl (FPÖ): Herr Bundesminister, Sie wissen, dass die österreichische Wirtschaft seit längerer Zeit nach Fachkräften schreit, weil Fachkräfte­mangel herrscht. Und Sie wissen auch ganz genau, dass in den umliegenden Staaten keine Fachkräfte vorhanden sind, im Gegenteil, die östlichen Nachbarn versuchen sogar, mit finanziellen Anreizen ihre Fachkräfte, die bereits abgewandert sind, zurück­zuholen.

Herr Minister, Sie wissen, dass die AMS-Kurse – es sind immer noch 70 000 Leute in sogenannten AMS-Kursen – absolut an der Realität „vorbeiproduzieren“ – unter Anfüh­rungszeichen –, das heißt, dass kaum ein Rückfluss aus diesen Kursen in den Facharbeiterbereich möglich ist. Auf der anderen Seite gibt es Arbeitsstiftungen, die da sehr positiv vorgehen.

Jetzt meine Frage an Sie: Können oder wollen Sie auf Ihren Ministerkollegen Hundstorfer einwirken, dass entweder die Kurse des AMS geändert werden oder erfolgreiche Arbeitsstiftungen nicht vom Aus bedroht sind?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Das, was Sie angesprochen haben, ist zweifelsohne ein sehr großes Problem. Wir versuchen, durch Qualifikation im Inland – Sie haben die Maßnahmen angesprochen –, aber auch durch Fachkräfteverordnungen, was ja das Ausland anlangt – dort, wo niedrige Andrangsziffern in Österreich sind, also wo niemand jemand einen Arbeitsplatz wegnimmt, wenn er nach Österreich kommt –, das Problem zu lösen. Beispielsweise bei Köchen und bei Kellnern gibt es all diese Verordnungen.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 31

In der Praxis haben wir dieses Problem dort, würde ich sagen, schon einigermaßen im Griff. Auf der anderen Seite – es ist nicht mein Ressort, aber Sie haben recht, wir sind in Gesprächen – wird es darum gehen, weitere qualitative Verbesserungen vorzu­nehmen.

Nur: Das System hat schon gestimmt. Schauen Sie sich an, wie hoch unsere Jugendarbeitslosigkeit ist, wie hoch die Vermittlungsquote und die Aufenthaltsdauer in der Arbeitslosigkeit sind, Sie werden sehen, dass sich die Zahlen bessern. Dass noch weiteres Potenzial vorhanden ist, dass man noch weiter daran arbeiten muss, damit haben Sie recht. Nichts ist tatenlos zur Selbstzufriedenheit veranlassend. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeordneter Kirchgatterer.

 


Abgeordneter Franz Kirchgatterer (SPÖ): Herr Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend! Nach der Schändung, der Schmieraktion an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen 2009 hat Ihre Frau Staatssekretärin hier im Nationalratsplenum verstärkte Aufklärung der Jugend über Naziterror und Naziverbrechen angekündigt, zum Beispiel mittels einer neuen Broschüre. Die SPÖ hält dies für sehr notwendig.

Meine Frage: Was wurde tatsächlich alles veranlasst? Was haben Sie zur Stärkung des Demokratiebewusstseins der Jugend in Hinkunft vor?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Herr Abgeordneter, es ist eine sehr wichtige Frage, die sich die Gesellschaft auf allen Ebenen stellen muss, wie man mit Fragen der Demokratie umgeht. Ich finde das, was hier im Parlament mit der Demokratiewerkstatt geschieht, sehr vorbildlich. Es gibt bestimme Veranstaltungen, die wir auch in unserem Bereich forcieren. Es gibt eine Trainerausbildung, was Jugendeinrichtungen anlangt, um sich auch im Betreu­ungs­bereich mit Fragen der Demokratie besser auseinandersetzen zu können, eine Menge an Publikationen und vieles mehr.

All das wird nicht ausreichen – die Aufgabe, das Problem zu lösen, besteht auf allen Ebenen, selbst in der Familie und in der Schule. Wir reflektieren nur, was auch die Bereitschaft der Gesellschaft ist, haben aber die richtigen Instrumente anzubieten.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Frau Abgeordnete Franz.

 


Abgeordnete Anna Franz (ÖVP): Sehr geehrter Herr Minister! Wir wissen, wir müssen sparen, wir haben aber auch eine ganze Reihe von positiven Wirtschaftsinitiativen.

Meine Frage: Welche bestehenden wirtschaftspolitischen Initiativen werden Sie in Zukunft, auch wenn es zu Kürzungen im Budget kommt, auf jeden Fall fortführen?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Frau Abgeordnete, ich glaube, das Bewusstsein, dass wir sparen müssen, ist noch nicht in allen Kreisen der Bevölkerung vorhanden, denn jeder glaubt, Sparen könne nicht ihn selbst, sondern nur andere betreffen.

Was die konkreten Maßnahmen anlangt, liegen Sie, glaube ich, vollkommen richtig. Es soll nicht für alle die Gießkanne zur Anwendung kommen, sondern wir sollten fokussiert arbeiten.

Beispielsweise soll die Internationalisierungsoffensive fortgesetzt werden. Wir holen heuer wieder 12 Prozent auf – 20 Prozent haben wir im Vorjahr verloren. Wir dürfen


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 32

uns aber nicht allein auf Europa konzentrieren, sondern müssen unser Interesse auch auf andere Märkte ausdehnen. (Abg. Bucher: Eine versteckte Förderung der Wirt­schaftskammer, sagen Sie das gleich dazu! Sie fördern die Wirtschaftskammer indirekt mit diesen Maßnahmen, sagen Sie das dazu! Sagen Sie die Wahrheit: Eine Wirtschaftskammerförderung!)

Herr Kollege Bucher, diese Geschichte mit der Wirtschaftskammerförderung ist eine alte Platte, die haben wir schon oft gehört. Schauen Sie sich die Daten an und die entsprechenden Maßnahmen; ich lege Ihnen das gerne vor. Sie sollten da einmal etwas Neues in die Diskussion einbringen. (Beifall bei der ÖVP.)

Zum Zweiten wollen wir auf innovative und technologieorientierte Produkte fokussieren. Wir haben vor allem im Bereich der „grünen Produkte“ eine Überleitung von Prototypen in den angewandten Bereich, entsprechende Initiativen.

Also: Innovation und Nachhaltigkeit, das sind die Schwerpunkte, die wir da fokussiert angehen wollen.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Frau Abgeordnete Haubner.

 


Abgeordnete Ursula Haubner (BZÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Es gibt eine Artikel-15a-Vereinbarung mit den Ländern über die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für den Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten. Diese Bereitstellung der finan­ziellen Mittel ist an einige Ziele gebunden. Eines dieser Ziele ist zum Beispiel, die Quote der unter Dreijährigen zu verbessern, aber auch die Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen zu fördern, damit beim Eintritt in die Volksschule auch wirklich Chancengleichheit herrscht.

Mit der Abrechnung des Bundeszuschusses zu diesem Gratis-Kindergartenjahr tritt nun diese Artikel-15a-Vereinbarung außer Kraft, obwohl die festgeschriebenen Ziele natürlich noch nicht erreicht sind.

Meine Frage an Sie: Was werden Sie als Familienminister unternehmen, dass diese Ziele erreicht werden, und gibt es weitere finanzielle Mittel für das verpflichtende Kin­der­gartenjahr?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Frau Abgeordnete! Wir werden uns zuallererst einmal anschauen, was die Evaluierung dieser Maßnahme gebracht hat, ob und wie weit die Ziele erreicht worden sind. Sollte da zusätzlicher Bedarf bestehen, werden wir schauen, ob im Rahmen einer Artikel-15a-Vereinbarung oder im Rahmen anderer Möglichkeiten Gelegenheit besteht, eine Strategie umzusetzen.

Ich würde der Evaluierung und den Gesprächen jetzt vorgreifen, aber doch so viel: Wir werden uns das Thema sehr intensiv anschauen.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Mag. Kogler, bitte.

 


Abgeordneter Mag. Werner Kogler (Grüne): Herr Bundesminister! Auf die Anfrage des Abgeordneten Themessl haben Sie geantwortet, der Herr Finanzminister hätte gestern eine sehr klare Rede gehalten. Ich darf daher meine Frage einleitend mit dem Wunsch verbinden, bitte nicht bei den Hörbehelfen weiter zu sparen. (Abg. Grillitsch: Haben Sie eine Frage, Herr Kogler?)


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Zweitens ist es, glaube ich, sehr wichtig, bei dem Riesenvolumen, das wir in Österreich an Förderungen haben, die ja nicht nur öffentliche Betriebe, sondern auch private Betriebe betreffen, diese Förderungen nach Kriterien aufzustellen und zu durchforsten.

Ich stelle also an Sie die Frage, ob auch darauf Rücksicht genommen wird und ökologisch schädliche Förderungen zukünftig sozusagen hintangehalten werden, denn wir brauchen nicht auf der einen Seite das Steuersystem zu ökologisieren (Präsidentin Mag. Prammer gibt das Glockenzeichen), wenn umgekehrt die Förderungen ökolo­gisch schädliche Auswirkungen haben. (Beifall bei den Grünen.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Herr Abgeordneter Kogler, wenn Sie mich jetzt schon wegen der Hörbehelfe in der gestrigen Rede „anspitzen“, muss ich Ihnen sagen: „Gesagt ist noch nicht gehört, gehört ist noch nicht verstanden.“ (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenruf des Abg. Brosz.)

Herr Abgeordneter Brosz, wir können die intellektuelle Auseinandersetzung später weiterführen, aber nun zur Frage. (Heiterkeit. – Zwischenruf des Abg. Mag. Kogler. – Abg. Bucher: Mit Ihnen nicht!) – Wer war jetzt so freundlich zu sagen, mit mir nicht? Der soll bitte herauskommen. (Abg. Mag. Kogler: Das ist noch nicht intellektuell!)

Die Frage, die Sie gestellt haben, ist meines Erachtens sehr berechtigt. Im Endeffekt müssen wir schauen, dass wir bei den Förderungen die richtigen strategischen Ausrichtungen haben und auch entsprechend bereinigen. Ich glaube, dass uns die Transparenzdatenbank da helfen könnte.

Etwa bei der thermischen Sanierung, aber auch im Ökostrombereich, wo Bund, Länder, Gemeinden, sonstige Einrichtungen betroffen sind, bin ich gerne bereit, darü­ber zu reden, um Vereinfachungen und damit auch eine Effizienzsteigerung zu erreichen. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Ich muss noch einmal bitten, im Sinne der Zeitökonomie die Fragen und Antworten kurz zu halten.

Wir kommen zur 5. Anfrage, 89/M. Anfragestellerin ist Frau Abgeordnete Windbüchler-Souschill. – Bitte.

 


Abgeordnete Tanja Windbüchler-Souschill (Grüne): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister, Sie sind ja nicht nur Wirtschaftsminister und Familienminister, sondern auch zuständig für die Belange der Kinder und Jugendlichen in Österreich. Und ich bin davon überzeugt, dass die Debatte der letzten Tage nicht an Ihnen vorübergegangen ist, nämlich dass gut integrierte Kinder und Jugendliche von ihren Elternteilen getrennt, in Gefängnisse gesteckt und abgeschoben wurden.

Deshalb meine Frage:

89/M

„Werden Sie sich als Jugendminister dafür einsetzen, dass dem Nationalrat ein Gesetzentwurf vorgelegt wird, der die gesamte UN-Kinderrechtskonvention in den Verfassungsrang hebt und Kinder vor Haft und Abschiebung schützt?“

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Frau Abgeordnete, ich werde mich dafür einsetzen, dass Kinderrechte verfassungs­rechtlich verankert werden, weil ich überzeugt davon bin, dass das ein deutliches Zeichen für ein kinderfreundliches Österreich ist.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 34

Wir haben, jetzt formal gesprochen, seitens unseres Ministeriums schon einen Entwurf vorgelegt – dieser Entwurf liegt im Parlament –, nach dem, was der Verfas­sungs­konvent ausgearbeitet hat. Sie kennen die Problematik und wissen, dass es hier eine Blockade gibt, bestimmte Dinge umzusetzen – das hängt mit anderen Themen zusam­men.

Wenn diese Thematik, die Sie angesprochen haben, inhaltlich erörtert werden soll, muss als Erstes dieses Veto aufgehoben werden, und ich möchte Sie einladen, da mitzustimmen und dann in eine sachliche Diskussion einzugehen.

Ich kann nur sagen, dass wir einen Entwurf vorgelegt und uns am Österreich-Konvent orientiert haben.

Wenn Sie jetzt vielleicht in Ihrer Zusatzfrage auch ansprechen wollen, warum der eine Artikel nicht erwähnt ist, der sozusagen auch den umfassenden Schutz in diesem Bereich anlangt: Wir glauben, dass alle Erwägungsgründe, was das Kindeswohl anlangt, da berücksichtigt sind und die Meinung der Kinder nach der Vorlage auch einbezogen werden muss. Also man könnte mit dem auch sehr viel tun.

Ich sage Ihnen aber auch ganz offen: Alles werden Sie dort nicht lösen können, denn wenn ich jetzt die Dublin-Fälle nehme, dann werden in einem bestimmten Bereich auch Familien betroffen sein, sonst brauchten wir keine einzelgesetzliche Regelung. Und andere Dinge muss man sich im Parlament anschauen und diskutieren nach dem Motto: Das Gesetz liegt jetzt bei Ihnen. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Frau Abgeordnete Windbüchler-Souschill.

 


Abgeordnete Tanja Windbüchler-Souschill (Grüne): Das Motto muss ich an Sie zurückgeben: Das Gesetz liegt wahrlich nicht bei der Opposition, sondern bei den Regierungsparteien, weil es darum geht, dass alle Kinderrechte, alle Artikel in den Verfassungsrang gehoben werden und nicht nur ausgewählte mit einem Gesetzes­vorbehalt.

Aktive Kinder- und Jugendpolitik kann anders aussehen, davon sind wir überzeugt. Das hat nichts mit einer Blockade, sondern immer mit inhaltlichen Gründen zu tun. (Ruf bei der ÖVP: Frage!)

Deshalb meine Frage: Wann werden wir in diesem Parlament die Kinderrechte wieder verhandeln?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Frau Kollegin, zuerst zu dem, was Sie gesagt haben, weil das ein wichtiges Thema ist: Wir haben uns an dem, was hier vorgelegt worden ist, orientiert, auch an den Vor­schlägen des Österreich-Konvents, das habe ich schon angesprochen.

Dazu, dass einige Artikel wegfallen, Folgendes: Ich darf darauf verweisen, dass diese Grundrechte – Recht auf Bildung, Gesundheit – schon in einfachgesetzlichen, teilweise auch in verfassungsrechtlichen Grundzügen geregelt sind. Und es ist nicht notwendig, das doppelt zu regeln.

Und die Frage richtet sich auch an das Parlament – ich bin nicht Mitglied des National­rates, war es lange –: Sie müssen sich bemühen und veranlassen – das Präsidium, der Ausschuss, wer auch immer –, dass das aufgegriffen wird. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Frau Abgeordnete Gartelgruber, bitte.

 



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Abgeordnete Carmen Gartelgruber (FPÖ): Herr Bundesminister, Sie haben sich jetzt dafür ausgesprochen, die Kinderrechte auch in den Verfassungsrang zu heben.

In der UN-Kinderkonvention über die Rechte des Kindes heißt es in Artikel 9:

„Die Vertragsstaaten achten das Recht des Kindes, das von einem oder beiden Eltern­teilen getrennt ist, regelmäßige persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen zu pflegen, soweit dies nicht dem Wohl des Kindes widerspricht.“

Meine Frage dazu: Wie sehen Sie die verpflichtende gemeinsame Obsorge in Österreich?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Da es auch diesbezüglich Verhandlungen und Gespräche gibt, möchte ich zu dem Thema – das ist nicht mein ursprüngliches Fachthema, sondern betrifft auch die Frau Justizminister – nicht Stellung nehmen, sondern darauf verweisen, dass es da entsprechende Vorschläge gibt.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Frau Abgeordnete Lueger.

 


Abgeordnete Angela Lueger (SPÖ): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundes­minister! Ein bundeseinheitliches Jugendschutzgesetz ist eine langjährige Forderung der Bundesjugendvertretung. Sie haben die Jugendlichen und die Experten zu einer Enquete eingeladen. Im Vorfeld fanden in den verschiedensten Bundesländern auch Aktionen statt, bei denen noch einmal darauf hingewiesen wurde, dass es da im Augenblick zu komplett unterschiedlichen Regelungen kommt.

Welche Schritte werden Sie in nächster Zeit setzen, damit wir zu einer Verein­heitlichung des Bundesjugendschutzgesetzes kommen, um dieses ganz einfach voran­zubringen?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Danke für diese Frage, das ist nämlich ein sehr wichtiges Thema. Das ist eigentlich die einheitliche Sichtweise von allen Betroffenen aus ganz Österreich. Leider sind wir da in das föderale Fahrwasser der Auseinandersetzungen rund um das Budget und Sons­tiges gekommen. Das war zu erwarten. Die Länder befürchten dort und da Eingriffe in ihre Rechte. Dem wollen wir entgegenhalten, indem wir aufklären. Das ist uns teilweise gelungen. Es geht um bestimmte Regelungen, was alkoholische Getränke, vor allem harte alkoholische Getränke, anbelangt. Da wir mit den Ländern Tirol und Vorarlberg kein Einvernehmen erzielen können – das ist ja auch in den Zeitungen gestanden –, bemühen wir uns, zumindest die Sache selbst zu regeln, und überlegen, mit einer 15a-Vereinbarung wenigstens einheitliche transparente Regelungen für die Betroffenen sicherzustellen. Denn: Nur was man sehen und auch nachvollziehen kann, kann man leben.

Das ist wahrscheinlich der zweitbeste Weg, aber immer noch besser, als die Zer­splitterung zu belassen. Wir werden in den nächsten Wochen zu einem Ergebnis kommen. Ich glaube, das ist meine berechtigte Hoffnung.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Frau Abgeordnete Fürntrath-Moretti.

 


Abgeordnete Adelheid Irina Fürntrath-Moretti (ÖVP): Kinder sind das schwächste Glied in unserer Gesellschaft, und sie bedürfen im Besonderen unserer Hilfe, unserer Zuwendung und unseres Schutzes. Herr Bundesminister, die Umsetzung der Kinder­


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rechte ist für mich in erster Linie eine Bewusstseinsfrage. Was tun Sie, um die Rechte der Kinder bewusst zu machen?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Frau Abgeordnete, Sie haben vollkommen recht: Das ist eine Awareness-Angele­gen­heit, eine Bewusstseinsentwicklungssache. Wir geben seitens des Ministeriums ent­sprechende sachliche Unterstützung, das heißt, die Instrumente sind vorhanden. Sie können sich – die Zeit reicht nicht, um alles darzustellen – auf www.kinderrechte.gv.at davon überzeugen, was wir an Angeboten haben. Sie können dem aber auch entnehmen, was wir im Jugend- und Familienbereich an Schwerpunkten setzen.

Dass die Schwerpunktsetzung genau in diese Richtung geht, ist uns ein wichtiges Anliegen, aber die Umsetzung muss auf allen Ebenen der Gesellschaft und nicht nur mit unseren Instrumenten erfolgen. Wir hoffen, nach dem Motto „Angebot schafft Nachfrage“ zur Bewusstseinsänderung beitragen zu können.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeordneter Ing. Westenthaler.

 


Abgeordneter Ing. Peter Westenthaler (BZÖ): Sehr geehrter Minister! Ein beson­deres Problem im Bereich des Kinderschutzes ist die Tatsache, dass es in Österreich laut Experten eine Dunkelziffer von rund 20 000 Kindern gibt, die von sexuellem Missbrauch betroffen und Opfer von Kinderschändern und den entsprechenden Straftaten sind. Die Bevölkerung spürt aber immer mehr, dass in Österreich viel zu lasche und milde Urteile gegen Sexualstraftäter gefällt werden beziehungsweise diese vorzeitig und oft auch ohne genügende Begründung aus der Haft entlassen werden. In den letzten zwei Jahren sind 309 Sexualstraftäter, darunter überwiegend Kinder­schänder, vorzeitig aus der Haft entlassen worden. 29 davon wurden wieder rückfällig. Das betrifft Familien, das betrifft Kinder.

Herr Minister Mitterlehner, ich weiß, dass Sie nicht der Justizminister sind, aber ich würde Sie bitten, in Ihrer Verantwortung als Familien- und Kinderminister dazu Stellung zu beziehen. Was werden Sie tun, um das Strafrecht entsprechend zu verschärfen? Was wird Ihr Beitrag sein, um die Ministerin für Justiz dazu zu bringen, endlich einen Kinderschutz gegen Kinderschänder in Österreich zu formulieren? (Beifall beim BZÖ.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Herr Abgeordneter, ich sehe das auch als ein sehr wichtiges Problem, wenn es von der Konstellation her so ist. Ich habe das aktuelle Datenmaterial dazu nicht vorliegen. Sie haben richtigerweise angesprochen, dass das eine Kompetenz der Justizministerin ist – aber auch nur eingeschränkt, weil die Umsetzung den Gerichten vorbehalten ist und sie dort nicht direkt eingreifen kann. Ich glaube daher, dass wir uns die Sachlage einmal anschauen sollten.

Ich kann keine vorschnellen Anregungen machen, weil ich die Gesetzes- und damit die Kompetenzlage nicht genau kenne. Sollte es jedoch notwendig sein, unterstützend tätig zu werden, werden wir dieses Thema gerne aufgreifen. Mehr kann ich derzeit aus der Kompetenzsituation heraus nicht versprechen.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir gelangen nun zur Anfrage 85/M des Herrn Klubobmannes Bucher. – Bitte.

 


Abgeordneter Josef Bucher (BZÖ): Herr Bundesminister! Die Bundesregierung hat im Zuge der Wirtschaftskrisenbekämpfung in erster Linie den Banken und den Kon­zernen, aber auch Griechenland und dem Euro Milliarden zugewendet und unter die


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Arme gegriffen. Das alles werden jetzt der Steuerzahler und die Steuerzahlerin sowie der Mittelstand zu bezahlen haben.

Auf der Strecke geblieben sind die kleinen und mittelständischen Unternehmen in unserem Land, für die Sie früher in der Wirtschaftskammer immer auch gestanden sind. 80 Prozent der österreichischen Unternehmen sind kleine und mittelständische. Sie sind jetzt auch von der Krise betroffen.

Sie wissen, dass wir im Zuge des Bankenrettungspaketes allesamt angenommen haben, dass sie auch einen leichteren Zugang zu Betriebsmittelkrediten bekommen. Sie haben diese Kreditklemme erleiden müssen, sind also Verlierer der Krise.

Ich frage Sie jetzt ganz konkret, Herr Minister: Welche Maßnahmen planen Sie? Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dieser Wirtschaftskrise? Und: Welche Wirt­schafts- und Unternehmensförderungen werden in Zukunft eingestellt, um das Budget zu sanieren? (Beifall beim BZÖ.)

Die eingereichte Anfrage, 85/M, hat folgenden Wortlaut:

Welche Bereiche der Wirtschafts- und Unternehmensförderung in der Zuständigkeit Ihres Ressorts werden von den im Rahmen der Budgetkonsolidierung geplanten Einsparungen betroffen sein?“

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Herr Kollege Bucher, diese Frage ist in ihrer Pauschalität so, dass man dafür längere Zeit benötigen würde. Um einmal darauf hinzuweisen: Das Bankenpaket haben alle gemeinsam hier herinnen beschlossen. (Abg. Scheibner: Aber unter anderen Voraus­setzungen!) Niemandem ist Geld nachgeworfen worden, sondern es wird klar verzinst und muss auch zurückgezahlt werden. (Zwischenrufe der Abgeordneten Scheibner, Petzner und Ing. Westenthaler.) Wollten Sie irgendeine Bank in Kärnten ansprechen? Nicht? (Abg. Petzner: Nein! – Weitere Zwischenrufe beim BZÖ.)

Ich darf fortsetzen: Was die Finanzierung anlangt, haben wir bei den Unternehmen ein breites Instrumentarium für Haftungen und Zuschüsse aufgebaut, im AWS-Bereich, im ERP-Bereich und auch beim Unternehmensliquiditätsstärkungsgesetz.

Was die Förderungen der Austria Wirtschaftsservice anlangt, haben wir Steigerungen, heuer haben wir 3 743 Förderfälle. Das entspricht 15 Prozent Steigerung bei Klein- und Mittelbetrieben. Das spricht dafür, dass investiert wird. Wir haben bei den ERP-Kleinkrediten das Volumen verdoppelt. Wir hatten im Vorjahr 400 Fälle, heuer 875. Das ist gerade für Klein- und Mittelbetriebe eine tolle Startförderung. Auch bei KMU-Haf­tungen gibt es einen deutlichen Anstieg von 564 Zusagen in den ersten drei Quartalen, das sind 27 Prozent mehr.

Daher glaube ich, mit Fug und Recht sagen zu können, dass wir nichts einstellen wollen. Sämtliche Aktionen werden weitergeführt, einige sogar fokussiert auf den Technologiebereich. Die Finanzierung der Klein- und Mittelbetriebe ist gesichert. An dem fehlt es nicht.

Dass die Investitionsbereitschaft dort und da stärker sein könnte, ist ein zweites Problem, aber auch das wollen wir entsprechend forcieren. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Herr Klubobmann Bucher.

 


Abgeordneter Josef Bucher (BZÖ): Zur Klarstellung: Beim Bankenrettungspaket wurde uns versprochen, dass es ein Geschäft für die Republik ist, und daher hat die Opposition auch die Zustimmung gegeben. Jetzt wissen wir, dass es der Steuerzahler bezahlen wird. Nur so viel zum Bankenrettungspaket.


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Meine Zusatzfrage, nachdem Sie meine Frage nicht beantworten wollen: Schließen Sie aus, dass es in den kommenden Jahren Kürzungen im Bereich der Unterneh­mens­förderung geben wird? Schließen Sie das aus, Herr Bundesminister? (Beifall beim BZÖ.)

Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Wir werden uns bemühen, darzustellen, dass es keine Rückgänge und keine Verschlech­terungen gibt. Garantieren kann man im Leben nie etwas, wie Sie wissen. Aber es ist mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das System gut bleibt und sogar verbessert werden kann.

Zum Banken-Bereich: Bitte schauen Sie sich die Zahlen an, was bis jetzt herein- und hinausgegangen ist! Aber ein Bankenproblem ist da. Ich möchte Sie jetzt nicht in dieser Weise strapazieren. Sie kennen die Bank. (Abg. Scheibner: Hypo Niederösterreich! – Abg. Petzner: Raiffeisen! – Abg. Ing. Westenthaler: Eine Pröll-Bank! – Weitere Zwi­schenrufe beim BZÖ.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Frau Abgeordnete Dr. Lichtenecker. (Abg. Scheibner: Das ist völlig unangebracht! – Abg. Ing. Westen­thaler: Die Hausbank des Herrn Pröll! – Anhaltende Zwischenrufe beim BZÖ. – Präsidentin Mag. Prammer gibt das Glockenzeichen.)

Zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Dr. Lichtenecker mit ihrer Frage! (Abg. Scheibner: Über die Hypo reden wir noch!)

 


Abgeordnete Dr. Ruperta Lichtenecker (Grüne): Frau Präsidentin! Herr Minister! Sie wissen, es gibt mehr als 200 000 Ein-Personen-Unternehmen, die hoch engagiert arbeiten und die jetzt die Ausläufer der Krise noch immer zu spüren bekommen. Sie haben vorhin versichert, dass es keine Einschränkungen bei den Förderungen für die klein- und mittelständische Unternehmerschaft geben wird.

Die Frage, die sich stellt, ist: Was heißt das im Konkreten für die Ein-Personen-Unternehmen? Wird es zusätzliche Maßnahmen, zusätzliche Initiativen geben, um sie in den schwierigen Zeiten zu unterstützen, besonders was die Teilnahme an der Arbeitslosenversicherung betrifft?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Wir haben, was die Klein- und Mittelbetriebe und vor allem die Ein-Personen-Unternehmen anlangt, mehrere Verbesserungen gesetzt, die Sie ja kennen – auch was den ersten Arbeitslosen betrifft. Ich hoffe, dass wir alle vorhandenen Möglichkeiten aufrecht­er­halten können. Die eingeschränkte Situation wird nicht dazu veranlassen, in diesem Bereich wesentlich zu verbreitern. – Das ist in groben Zügen die Konstellation.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeordneter Zanger.

 


Abgeordneter Wolfgang Zanger (FPÖ): Herr Minister! Österreich wendet insgesamt eine Unsumme an Förderungen auf: 4,4 Milliarden € der Bund, 7,7 Milliarden € die Länder – das sind 5,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das ist weit über dem EU-Schnitt, der bei 2,3 Prozent liegt. Damit wird ja hauptsächlich die Klientel von ÖVP und SPÖ bedient.

Daher meine Frage an Sie: Was werden Sie tun, um Förderungen einheitlich trans­parent zu gestalten und vor allem so umzuschichten, wie Sie es als Familienminister zur Förderung unserer eigenen Familien und eigenen Kinder brauchen könnten?

 



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Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Herr Abgeordneter, das ist eine interessante Frage, wobei ich das allgemeine Problem habe, dass die Fragen meist länger sind, als meine Antworten sein können. Aber das Thema ist sehr interessant, denn wir haben 15 Milliarden € an Förderungen und daher diese internationale Förderquote. Das Wifo hat gesagt, dass 900 Millionen € im ersten Jahr und 3 bis 4 Milliarden € nach mehreren Jahren einsparbar sind.

Schauen Sie sich die 15 Milliarden an! Da ist die gesamte Gesundheitsförderung da­bei. Alles, was die Spitäler an Abgang haben, was die Länder bezahlen, ist Unterneh­mensförderung. Der gesamte Bundesbahnbereich ist dabei. Alles, was die Bundes­bahn von Ländern wie zum Beispiel Oberösterreich für Nebenbahnen bekommt, ist Unternehmensförderung. Von diesen 15 Milliarden fallen 11 Milliarden weg. Daher bleiben 4 Milliarden € übrig. Rechnen Sie dann den Prozentsatz aus, und Sie werden sehen, dass die Unternehmen in Österreich nicht überfördert sind.

Sie rennen aber bei mir offene Türen ein, wenn Sie sagen, wir sollen trotzdem schauen, wo es Doppelförderungen gibt, denn diese wollen wir einstellen. Wir wollen uns ökologisch nachhaltig ausrichten, weil wir Geld effizient einzusetzen haben – da bin ich ganz bei Ihnen. Aber so ist das Schlaraffenland nicht, wie manche Leute beim ersten Anblick glauben. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeordneter Riepl.

 


Abgeordneter Franz Riepl (SPÖ): Herr Bundesminister! Als Abgeordneter der sozialdemokratischen Fraktion liegen mir natürlich die Themen Beschäftigung und Arbeit in Österreich sehr am Herzen. Wirtschaftsförderung unterstützt die Betriebe, schafft mehr Marktertragschancen, mehr Gewinnchancen und sichert und schafft hoffentlich auch Arbeitsplätze. Die Frage ist immer, wo diese Arbeitsplätze geschaffen werden.

Meine Frage ist daher: Wie stellen Sie konkret sicher, dass Förderungen Ihres Res­sorts an österreichische Betriebe, an österreichische Unternehmen auch Arbeitsplätze in Österreich garantieren und nicht im Ausland? Wie schaut Ihre Position dazu aus?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Herr Kollege, das ist eine wichtige Problematik. Ich denke, dass man aber nicht ganz so eingeschränkt vorgehen kann zu sagen, dass das Unternehmen und die Arbeit­nehmer nur in Österreich sein dürfen. Wir gehen eher einen Schritt weiter. Wir ver­suchen, möglichst viele Headquarter in Österreich zu halten. Damit habe ich die Gewähr, dass die Steuerung und die meisten Arbeitsplätze auch bei uns sind.

Der zweite Punkt ist, dass wir bei der unternehmensbezogenen Arbeitsmarktförderung den Aspekt haben, dass genau nachweisbar sein muss, welche Arbeitsplätze aufgrund der Förderungen in Österreich entstehen. Wenn darüber hinaus im Ausland Arbeits­plätze entstehen und durch Rückkoppelung später die Stärke des Unternehmens auch für Österreich da ist, also praktisch gemeinsame Aktivitäten das gesamte Unternehmen stärken, werden ebenfalls Arbeitsplätze geschaffen. Ich glaube, wir haben in dieser Weise beides erfüllt. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeordneter Mag. Lettenbichler.

 


Abgeordneter Mag. Josef Lettenbichler (ÖVP): Herr Bundesminister, mich interes­siert, wie viele Förderungen mit welchem Fördervolumen die Austria Wirtschaftsservice


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GmbH in den ersten neun Monaten, sprich in den ersten drei Quartalen, abgewickelt hat?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Ich habe vorher schon das gesamte Fördervolumen und auch das Investitionsvolumen angesprochen. In den ersten drei Quartalen war das Investitionsvolumen 1,5 Milliar­den €, das entsprechende Fördervolumen war rund 505 Millionen €. Die Förderfälle habe ich angesprochen. Was wir alles an Kleinkrediten und Haftungen bewegt haben, waren 77,1 Millionen € an Haftungen und 858 Kleinkredite mit einem Volumen von 47,2 Millionen €. Wir übermitteln aber gerne eine Gesamtdarstellung am Jahresende, wo der Überblick gegeben ist. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir gelangen zur Anfrage 91/M der Frau Abgeordneten Binder-Maier. – Bitte.

 


Abgeordnete Gabriele Binder-Maier (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Wieder zurück in die Welt der Familien.

Meine Frage richtet sich an Sie als Familienminister wie auch als Wirtschaftsminister:

91/M

Was unternimmt Ihr Ressort, um in Zukunft sowohl mehr Väter zu motivieren, sich in die Kinderbetreuung einzubringen, als auch Unternehmen in diese Richtung zu sensibilisieren, schließlich liegt der Anteil der Väter, die in Karenz gehen, noch immer bei unter 5 Prozent?“

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Bitte um die Beantwortung, Herr Bundes­minister.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Frau Abgeordnete, Sie sprechen ein ganz wichtiges gesellschaftliches Problem an. Wir haben beim Kindergeld mit der Pauschalvariante 12 plus 2 und der Variante 12 plus 2 für einkommensabhängiges Kindergeld ein Modell geschaffen, das für die Betroffenen ausgesprochen attraktiv ist. Es gibt eine klare prozentuelle Steigerung, die Variante 12 plus 2 mit bis zu 2 000 € wurde beispielsweise seit 1. Jänner von rund 1 000 Be­troffenen gewählt.

Wir sehen natürlich erst am Ende einer Frist wirklich, wie die Inanspruchnahme ist. Wir bemühen uns, dass wir das Thema mit Öffentlichkeitsarbeitsmaßnahmen ent­sprechend positionieren. Wir haben mit dem Audit „berufundfamilie“ ein tolles Instrument. Das werden wir weiterführen.

Es ist natürlich auch Aufgabe der Betriebe, den Stellenwert dieser Maßnahme zu beto­nen, denn man sieht, dass das beiden Teilen und auch dem Unternehmen nützt. Ich glaube, da sind wir auf einem an sich guten, aber noch verbesserbaren Weg. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Frau Abgeordnete Binder-Maier.

 


Abgeordnete Gabriele Binder-Maier (SPÖ): Herr Bundesminister! Wir haben zuletzt den Familienbericht hier im Hohen Haus debattiert. Dem Kapitel Väter wurde breiter Raum gewidmet. Nach der Debatte war in der öffentlichen Diskussion die Kritik zu hören, dass ein Kapitel im Familienbericht gefehlt hat, nämlich das Kapitel Armut.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 41

Können Sie mir sagen, wer die Entscheidung getroffen hat, dieses Kapitel nicht einzu­beziehen, und warum das nicht geschehen ist?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Danke für diese Frage. Vielleicht bedingt durch den Wahlkampf ist Frau Staats­sekre­tärin Marek unterstellt worden, sie hätte das gemacht oder Einfluss darauf genommen.

Dazu kann ich nur sagen: Das ist nicht einmal auf die politische Ebene gekommen, weil es hier andere Probleme gegeben hat, nämlich in Zusammenhang mit der technischen Umsetzung des Beitrages. Daher hat es schon im Vorfeld eine Einigung des Erstellers mit uns gegeben, dass diese Angelegenheit erledigt ist. Leider ist das dann in der Art und Weise hochgekommen, als wäre es eine inhaltliche Beeinflussung gewesen. Das war nicht der Fall.

Ich kann Ihnen auch noch eine Detailaufstellung geben, um damit auch deutlich zu machen, dass das eher technisch-inhaltliche, aber keine ideologisch-politischen Hintergründe gehabt hat.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Frau Abgeordnete Steibl.

 


Abgeordnete Ridi Maria Steibl (ÖVP): Herr Bundesminister! Zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist die Kinderbetreuung das Um und Auf, aber nicht das Einzige. Welche Maßnahmen werden Sie setzen, um Beruf und Familie besser zu vereinbaren, und inwieweit werden Sie das auch öffentlich wirksam darstellen?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Danke für diese Frage. Ich darf angesichts der vorgeschrittenen Zeit darauf verweisen, dass wir eine umfangreiche Strategie haben. Wir haben einen Staatspreis gemacht, der das Thema entsprechend aufwertet, wir haben ein Familienaudit und diverse bewusstseinsbildende Veranstaltungen, sodass wir sicher sind, angesichts der Breite der Wahrnehmung dieser Gegebenheiten auch entsprechende Awareness für die Gesamtthematik bewirken zu können. Weil wir uns kennen, Frau Abgeordnete, darf ich den Überblick dann nachreichen.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeord­neter Dr. Spadiut.

 


Abgeordneter Dr. Wolfgang Spadiut (BZÖ): Herr Minister! Eine Studie der Uni Wien zur Evaluierung der Elternteilzeit kommt zu folgendem Schluss – ich zitiere –:

„Das Ausmaß der Arbeitszeit kann insbesondere bei spezialisierten, höher qualifi­zierten Tätigkeiten und Führungsaufgaben aus Unternehmenssicht zu Schwierigkeiten führen. Hier erweist sich häufig die einschränkende Wirkung der Zuverdienstgrenze zum Kinderbetreuungsgeld als problematisch.“ Weiters sagt die Studie, „dass Eltern­teilzeitkräfte gegenüber ihrer Vollzeittätigkeit weniger anspruchsvolle Tätigkeiten übernehmen“ und damit deren berufliche Aufstiegschancen verringert werden, was 70 Prozent der Betroffenen auch bestätigen. Die Zuverdienstgrenze zum Kinderbetreu­ungsgeld hat sich damit für höher Qualifizierte als echter Hemmschuh erwiesen.

Herr Minister, was werden Sie tun, um dieses Hemmnis zu beseitigen? (Beifall beim BZÖ.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 



Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 42

Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Wir werden uns die Ergebnisse dieser Studie anschauen, soweit sie nicht sowieso in unserer Sektion behandelt werden. Dann werden wir angesichts der budgetären Gege­ben­heiten einen weiteren Entwicklungsvorschlag machen oder nicht, je nachdem, wie unser Bewegungsspielraum ist. Das Problem kennen wir. Ich glaube, dass die Variante 12 plus 2, die einkommensabhängige Variante, die von mir vorher geschildert worden ist, schon eine beträchtliche Verbesserung war. Man wird weitere Varianten eben budgetabhängig noch diskutieren müssen. Sie wissen, der FLAF ist überschuldet, und der Spielraum in Richtung weiterer Maßnahmen ist von der Möglichkeit nicht der, der vom Anspruch da ist. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Frau Abgeordnete Mag. Musiol.

 


Abgeordnete Mag. Daniela Musiol (Grüne): Herr Minister! Der Familienbericht ist ja schon angesprochen worden. Die Väterbeteiligung war dort erwähnt, andere Kapitel nicht. Ich hoffe, Sie nicht richtig verstanden zu haben, wenn Sie meinen, dass es nicht in der politischen Verantwortung einer Ministerin liegt, was im Ministerium geschieht. Darauf hätte ich gerne eine Antwort.

Darüber hinaus würde ich aber von Ihnen gerne wissen, wie Sie gedenken, die Kapitel wie zum Beispiel das Kapitel Armut, die von der Staatssekretärin zensuriert wurden und nicht in den Familienbericht aufgenommen wurden, daher auch nicht hier parlamentarisch behandelt werden konnten, wie Sie also gedenken, diese Kapitel, vor allem das Armutskapitel, der parlamentarischen Behandlung zuzuführen.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Frau Kollegin, ich weise den Vorwurf zurück, es würde oder wurde hier seitens des Ministeriums oder auch der Frau Staatssekretärin politischer Einfluss auf die Arbeit genommen und Anweisungen oder Weisungen oder Ähnliches gegeben!

Dass die Tätigkeit der Sektion, aller Abteilungen insgesamt, in die politische Verant­wort­lichkeit des Ministers/der Ministerin fällt, ist weder zu bestreiten noch sonst etwas, sondern die Verantwortung wird so wahrgenommen.

Ich darf Ihnen daher den Hintergrund, der technische Ursachen hatte, darstellen, was eben diesen Beitrag von dem betreffenden Verfasser anlangt. Ich wollte Ihnen den Namen noch nennen, möchte das aber aus Datenschutzgründen jetzt doch nicht machen. Jedenfalls hat der Verfasser das nicht so gebracht, wie es vereinbart war, und über diese Abwicklung hat es dann sogar ein entsprechendes Verfahren und auch eine rechtliche Einigung gegeben, weil da eben die Position, die in der Öffentlichkeit war, nicht dem entsprochen hat, was tatsächlich vorgefallen ist.

Das können wir Ihnen auch noch im Detail darstellen, um Ihnen die Möglichkeit zu geben, zu unterscheiden zwischen dem, was tatsächlich technisch, inhaltlich gegeben war, und der politischen Verantwortung, wie wir sie wahrgenommen haben, wobei wir keinerlei Beeinflussung getätigt haben. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Frau Abgeordnete Kitzmüller.

 


Abgeordnete Anneliese Kitzmüller (FPÖ): Herr Minister, da die Antwort, die Sie zuvor dem Kollegen Spadiut gegeben haben, für mich nicht sehr zufriedenstellend war, möchte ich da nachhaken.

Da ja die Zuverdienstgrenze bei der Pauschalvariante 60 Prozent des Einkommens des letzten Kalenderjahres vor der Geburt beträgt, die einkommensabhängige Variante


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 43

eine Zuverdienstgrenze von 5 800 € vorsieht und weil das Gehaltsniveau bezie­hungs­weise die Gehaltsschere bei Frauen und Männern doch noch immer sehr auseinan­dergeht und dadurch die Einbußen sehr groß sind und es sich viele Familien nicht leisten können, dass die Väter zu Hause bleiben, ist da nicht wirklich die Streichung der Zuverdienstgrenze eine Maßnahme, um eben dieses ewig diskutierte Papamonat aus der Welt zu schaffen?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Frau Kollegin, auch wenn Sie sagen, für Sie war die Antwort nicht zufriedenstellend, muss ich auf eines verweisen: Ich habe Respekt vor Ihrer Meinung, bitte haben Sie auch Respekt vor meiner!

Wir haben jetzt nicht die finanziellen Möglichkeiten, um da beliebig aufzumachen. Schauen wir uns daher das Thema an, insbesondere die Frage, wie sich diese Verbes­serungsmaßnahmen wirklich ausgewirkt haben – eine Evaluierung also –, und dann wird man nach budgetären Gegebenheiten zu entscheiden haben, ob wir uns Verän­derungen im von Ihnen beschriebenen Sinne leisten können, aber auch leisten wollen, wenn sie einen Beitrag zu einer Verbesserung der Problematik leisten. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir gelangen zur Anfrage 87/M des Herrn Abgeordneten Steindl. – Bitte.

 


Abgeordneter Konrad Steindl (ÖVP): Herr Bundesminister, Sie haben gemeinsam mit Minister Berlakovich vor geraumer Zeit die Energiestrategie Österreich vorgestellt. Welche Effekte – im Hinblick auf Kyoto-Ziele und Wachstum – wird Ihrer Meinung nach diese Strategie bewirken?

Die eingereichte Anfrage, 87/M, hat folgenden Wortlaut:

„Was kann die österreichische Energiestrategie zur Erreichung der Klima- und Nachhaltigkeitsziele und zur Wettbewerbsfähigkeit beitragen?“

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Meine Damen und Herren! Wir haben diese Strategie gemeinsam vorgestellt. Sie hat drei Komponenten – das ist auch ausreichend in der Öffentlichkeit diskutiert worden –: Die eine ist eben Effizienzsteigerung, die zweite, erneuerbare Energien zu forcieren, und die dritte ist Versorgungssicherheit.

Wir erwarten uns da einen Effekt auf das Bruttonationalprodukt in einer Größen­ordnung von etwa 0,5 bis 1 Prozentpunkt auf mehrere Jahre gerechnet und rund 120 000 neue Arbeitsplätze. – Ich sage „von bis“, weil ich nicht so überheblich sein möchte, hier absolute Zahlen in den Raum zu stellen, aber die Maßnahmen sind im Wesentlichen eingeleitet, und ich glaube, diese sind positiv. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeordneter.

 


Abgeordneter Konrad Steindl (ÖVP): Das hat sich erübrigt, der Herr Minister hat die Frage schon beantwortet.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Dann kommen wir zur Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mag. Widmann. – Bitte.

 


Abgeordneter Mag. Rainer Widmann (BZÖ): Sehr geehrter Herr Wirtschaftsminister! Der Strompreis und auch der Gaspreis sind in Österreich deutlich überhöht, das sagen uns auch die E-Control und der internationale Vergleich.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 44

Wir wollen mehr Wettbewerb haben! Wir seitens des BZÖ haben dazu einige Anträge eingebracht: um den Anbieterwechsel zu erleichtern, mehr Transparenz zu schaffen et cetera. Es liegt auch seit rund eineinhalb Jahren ein entsprechendes Gesetz vor, nämlich das sogenannte Wettbewerbsbeschleunigungsgesetz. Dieses wurde immer wieder verzögert.

Meine Frage daher: Wie viel hätten sich die Strom- und Gaskunden in Österreich er­spart, wenn wir bereits vor eineinhalb Jahren das Gesetz beschlossen hätten und die Kunden entsprechende Transparenz und die Möglichkeit gehabt hätten, rasch zu wechseln?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Tatsache ist, dass sich der Strompreis in allen Bereichen seit den Liberalisie­rungs­schrit­ten, die wir ab dem Jahr 1995 getätigt haben, in Richtung der EU-Durchschnitts­werte entwickelt hat. Ich will nicht sagen, das ist schon gut genug, aber wir haben eine positive Wettbewerbsentwicklung gehabt.

Zum Zweiten: Was Sie angesprochen haben, ist gerade jetzt in Begutachtung, nämlich das ElWOG, in dem genau diese Wettbewerbsbeschleunigungsschritte, die Sie angesprochen haben, drinnen sind: rascherer Anbieterwechsel, nämlich von acht auf drei Wochen, andere Rechte, was den Anbieter anbelangt, auch hinsichtlich der Kostenstruktur. Ich möchte das alles jetzt nicht im Detail darstellen, dazu fehlt die Zeit, aber es sollte sich eine beträchtliche Einsparung – die EU erwartet zirka 0,4 Prozent an Inflationssenkung durch diese Maßnahmen – ergeben.

Daher würde ich, was die Vergangenheit anbelangt, Folgendes sagen: Mag sein, dass dort und da vielleicht noch eine senkende Tendenz eingetreten wäre, ich glaube aber, dass wir – so wie andere Staaten – genau im Zeitrahmen und auch wettbewerbs­fördernd sind und damit für die Konsumenten und die Unternehmen eine gute Preisentwicklung verursachen.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Frau Abgeordnete Mag. Brunner.

 


Abgeordnete Mag. Christiane Brunner (Grüne): Herr Minister! Es geht jetzt um die Energiestrategie, die diesem Haus leider nicht vorgelegt wurde; auch die Evaluierung der Maßnahmen wurde uns auf Anfrage nicht gegeben.

Ich möchte eine Maßnahme herausgreifen, die mir eigentlich als das Herzstück dafür erscheint, dass in Sachen Energiewende, Klimaschutz und grüne Arbeitsplätze in Österreich wieder etwas weitergeht, das ist das Ökostromgesetz. Wir hatten ja ein sehr gutes Ökostromgesetz in Österreich, das eigentlich zu Tode novelliert wurde, und seit 2006 haben wir leider einen Ausbaustopp.

Daher meine Frage an Sie jetzt – das Ökostromgesetz wird wieder neu novelliert –: Werden Sie diese Blockade beenden? Wird der Deckel von derzeit 21 Millionen € fallen? Wenn ja, für alle Energieträger, nicht nur für einzelne? Wie ist da der Stand der Verhandlungen? Wird es jetzt endlich weitergehen mit Ökostrom in Österreich?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Frau Kollegin, erstens einmal steht der Bericht zur Verfügung, und wir können ihn gerne debattieren. Wenn er jetzt auch nicht formal behandelt wird, vielleicht im Rah­men einer Enquete, damit nicht der Eindruck entsteht, wir würden uns da ver­schweigen. Er war auch offen zugänglich.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 45

Zweiter Punkt: Ich glaube, wir haben nicht die Notwendigkeit einer Energiewende. Österreich ist ausgezeichnet aufgestellt! Ich glaube, nicht zufällig haben andere Länder das, nämlich die Strategie, von uns eingefordert.

Ich habe jetzt aber auch mit Interesse Ihre Stellungnahme zum Ökostromgesetz vernommen. Ich kann mich erinnern – ich war selber noch Abgeordneter –, es war das Letzte vom Letzten, was Sie ihm immer zugeordnet haben: Ganz schlecht!, und so weiter. Jetzt sagen Sie: Eine tolle Regelung, das Ökostromgesetz! – Sei’s drum. (Abg. Mag. Brunner: Nein!) – Sei’s drum!

Eines ist jetzt in Vorbereitung: Auf Anregung der Freiheitlichen Partei hat es im Vorjahr einen Entschließungsantrag gegeben, das Ökostromgesetz zu novellieren. Daran arbeiten wir, da ist auch der Deckel dabei.

Der Deckel soll aufgehoben werden. (Abg. Mag. Brunner: Für alle?) Da müssen wir schauen, ob wir eine Finanzierungsgrundlage dafür finden, ihn für alle aufzuheben. Das hieße, dass ich für alle Projekte unbeschränkt Mittel haben müsste. – Das kann ich mir schwer vorstellen, darüber werden wir noch diskutieren, aber da ist einiges im Fluss. (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeord­neter Dipl.-Ing. Deimek.

 


Abgeordneter Dipl.-Ing. Gerhard Deimek (FPÖ): Herr Bundesminister, die Energie­strategie ist ein sehr ambitioniertes Papier: 317 konkrete Maßnahmen, wirklich ganz toll! Zum Beispiel wird ja die Photovoltaik, die jetzt auch implizit drinnen war, derzeit mit Brüssel verhandelt. Das Ganze ist im Fluss, aber jetzt kommen mehrjährige Spar­budgets. Es wird eng auf der finanziellen Seite.

Was macht Sie sicher, dass die ganzen konkreten Maßnahmen gesetzlich wirklich komplett umgesetzt werden können und dass wir nicht nur die Auswirkungen im Energiebereich, sondern auch im Bereich der Arbeitsplätze noch in den nächsten zehn Jahren spüren werden?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Herr Kollege, sicher macht mich nur eines: dass wir der EU alle zwei Jahre ein Template vorzulegen haben, wie unsere Maßnahmen gewirkt haben und wie wir in der Umsetzung liegen, insbesondere was die erneuerbare Energie anbelangt. – Daher bin ich relativ sehr sicher, dass wir die Ziele auch erreichen.

Bei all den anderen Maßnahmen, beispielsweise dem Effizienzsteigerungsgesetz, sind Länderkompetenzen betroffen, deswegen wird es nicht einfach sein, da einheitliche Vorgangsweisen zu erzielen. Ich bin aber optimistisch, dass wir da auf dem richtigen Weg sind, und glaube, dass wir alles in allem die Ziele erreichen werden.

Ich glaube, das ist auch wichtig! Dass wir das dort und da nicht ganz präzise erreichen werden, mag sein, aber es ist besser, ungefähr richtig und damit zielerreichend vorzugehen, als präzise falsch und gar nicht vorzugehen.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächste Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Ing. Mag. Kuzdas, bitte.

 


Abgeordneter Ing. Mag. Hubert Kuzdas (SPÖ): Herr Bundesminister! Die letzte Novelle zum Ökostromgesetz hat den Ausbaustopp de facto beendet. (Abg. Mag. Brunner: Nein!) Die Ökostromverordnung regelt die Abnahme der elektrischen Energie und verpflichtet die Ökostromabwicklungsstelle bis Ende 2010 zur Abnahme zu diesen Bedingungen.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 46

Wie wird es 2011 weitergehen, auch angesichts der budgetären Restriktionen, die auf uns zukommen?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Sie müssen Folgendes sehen: Die budgetären Restriktionen haben mit dem Ökostrom­gesetz wenig zu tun, denn wer zahlt das im Prinzip? – Es zahlt der Konsument und die Wirtschaft, was da an Förderungen, die über dem Marktpreis liegen, stattfindet.

Wenn Sie aber rundherum schauen, nach Deutschland, Spanien – Spanien ist zwar nicht „rundherum“, aber in Europa – oder Tschechien, dann sehen Sie, dass überall, was die Förderungen anbelangt, die Tarife viel zu üppig gefördert worden sind. Daher, glaube ich, sollten wir auch auf das Bezug nehmen, wie die Lage in anderen Ländern ist, und da vernünftig, aber sicherlich ausweitend vorgehen.

Ich glaube, eine Novelle des Ökostromgesetzes sollte drei Komponenten beinhalten: Das Gesetz muss transparenter werden – momentan überblickt keiner, was da wirklich los ist, auch was die Abrechnung anbelangt –, es muss auch noch mit den Industrie­betrieben eine Deckelung diskutiert werden – das ist noch vom alten Gesetz her offen –, und es ist natürlich die Frage der Photovoltaik und überhaupt dieser Deckelung zu klären.

Diesbezüglich werden wir demnächst in Gespräche eintreten und hoffentlich einen Schritt weiterkommen.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeord­neter Jury.

 


Abgeordneter Josef Jury (ohne Klubzugehörigkeit): Guten Morgen, Herr Bundes­minister! Die italienische Regierung plant, im oberitalienischen Raum ein neues Kernkraftwerk zu errichten. Da es ja in diesem Haus einen Grundkonsens gibt, der „Wir sind gegen Atomenergie“ lautet, und da Energiepolitik auch Wirtschaftspolitik ist, geht meine Frage in folgende Richtung:

Was werden Sie als Wirtschafts- und Energieminister tun, um dieses neue AKW im oberitalienischen Raum zu verhindern?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend Dr. Reinhold Mitterlehner: Herr Kollege, ich weise darauf hin, was unsere gesetzliche Grundlage ist: Was Österreich anlangt, gibt es eben diese entsprechende verfassungsrechtliche Regelung. Was das Ausland anlangt, kennen Sie die EU-Verträge. Dieses AKW ist so wie Kraftwerke in anderen Ländern zu behandeln.

Und was uns betrifft: Im Rahmen unserer Möglichkeiten in der EU weisen wir auf die Problematik nicht nur hin, sondern versuchen, alle Gefährdungen, die grenzüber­schrei­tend stattfinden, vertraglich – soweit das möglich ist – entsprechend auszu­schließen.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Danke schön. – Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Ich bedanke mich bei allen.

Wir konnten bei den letzten drei Fragerunden sehr viel Zeit einsparen (Abg. Neugebauer: Präzise, Herr Minister, sehr präzise!), das hat uns beim Zeitbudget geholfen. – Vielen Dank, Herr Bundesminister. (Beifall bei der ÖVP.)


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 47

11.32.39Einlauf und Zuweisungen

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Hinsichtlich der eingelangten Verhandlungsge­genstände und deren Zuweisungen verweise ich gemäß § 23 Abs. 4 der Geschäfts­ordnung auf die im Sitzungssaal verteilte Mitteilung.

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:

A. Eingelangte Verhandlungsgegenstände:

Regierungsvorlagen:

Bundesgesetz, mit dem das Gleichbehandlungsgesetz, das Gesetz über die Gleich­behandlungskommission und die Gleichbehandlungsanwaltschaft, das Behindertenein­stellungsgesetz und das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz geändert werden (938 d.B.),

Bundesgesetz über eine Transparenzdatenbank (Transparenzdatenbankgesetz – TDBG) (940 d.B.).

B. Zuweisungen in dieser Sitzung:

zur Vorberatung:

Ausschuss für Arbeit und Soziales:

Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsverfassungsgesetz, das Post-Betriebsver­fas­sungsgesetz und das Landarbeitsgesetz 1984 geändert werden (901 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über Arbeitsverhältnisse zu Theaterunter­nehmen (Theaterarbeitsgesetz – TAG) erlassen und mit dem das Urlaubsgesetz, das Arbeitsverfassungsgesetz, das Entgeltfortzahlungsgesetz und das Arbeitsruhegesetz geändert werden (Theateranpassungsgesetz 2010) (936 d.B.);

Finanzausschuss:

Bundesgesetz betreffend die Veräußerung von unbeweglichem Bundesvermögen (917 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem das Bankwesengesetz geändert wird (922 d.B.),

Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Serbien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen samt Protokoll (939 d.B.);

Gesundheitsausschuss:

Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz und das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz geändert werden (2. Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2010 – 2. SVÄG 2010) (937 d.B.),

Antrag 1297/A(E) der Abgeordneten Dr. Kurt Grünewald, Kolleginnen und Kollegen betreffend Beseitigung bestehender Benachteiligungen bei der Administration der Rezeptgebührenobergrenze,

Antrag 1301/A(E) der Abgeordneten Dr. Kurt Grünewald, Kolleginnen und Kollegen betreffend Aufbau und Finanzierung von Hospiz-/Palliativbetreuung für Kinder und Jugendliche,

Antrag 1303/A(E) der Abgeordneten Dr. Kurt Grünewald, Kolleginnen und Kollegen betreffend Schaffung eines Rechtsanspruches auf Betreuung durch Hospiz- und Palliativeinrichtungen,


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 48

Antrag 1304/A(E) der Abgeordneten Dr. Kurt Grünewald, Kolleginnen und Kollegen betreffend Rezeptgebührenbefreiung für PflegeheimbewohnerInnen,

Antrag 1305/A(E) der Abgeordneten Mag. Judith Schwentner, Kolleginnen und Kollegen betreffend die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer arbeitsbedingter Risiken in der Prävention und bei der Anerkennung von Berufskrankheiten,

Antrag 1308/A der Abgeordneten Dr. Sabine Oberhauser, MAS, Dr. Erwin Rasinger, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Gesundheits­telematikgesetz geändert wird;

Hauptausschuss:

Antrag 1309/A der Abgeordneten Josef Bucher, Kolleginnen und Kollegen auf Durchführung einer Volksbefragung gem. Art. 49b B-VG über das Bleiberecht,

Antrag 1310/A der Abgeordneten Josef Bucher, Kolleginnen und Kollegen auf Durchführung einer Volksbefragung gem. Art. 49b B-VG über das Asylrecht,

Antrag 1311/A der Abgeordneten Josef Bucher, Kolleginnen und Kollegen auf Durchführung einer Volksbefragung gem. Art. 49b B-VG über die Zuwanderung,

Antrag 1312/A der Abgeordneten Josef Bucher, Kolleginnen und Kollegen auf Durchführung einer Volksbefragung gem. Art. 49b B-VG über die Integration;

Ausschuss für innere Angelegenheiten:

Antrag 1300/A(E) der Abgeordneten Dr. Eva Glawischnig-Piesczek, Kolleginnen und Kollegen betreffend Versagen des Vertrauens gegenüber der Bundesministerin für Inneres,

Antrag 1307/A(E) der Abgeordneten Mag. Alev Korun, Kolleginnen und Kollegen betreffend Stopp der Haft von Kindern, Schaffung eines Bleiberechts;

Justizausschuss:

Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung 1975, das Staatsanwaltschaftsgesetz und das Gerichtsorganisationsgesetz zur Stärkung der strafrechtlichen Kompetenz geändert werden (strafrechtliches Kompetenzpaket – sKp) (918 d.B.);

Ausschuss für Konsumentenschutz:

Antrag 1314/A(E) der Abgeordneten Mag. Johann Maier, Gabriele Tamandl, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend „Bisphenol A in Gebrauchsgegenständen (Lebens­mittelkontakt-Materialien und -gegenstände)“,

Antrag 1315/A(E) der Abgeordneten Mag. Johann Maier, Gabriele Tamandl, Kollegin­nen und Kollegen betreffend „Azofarbstoffe in Lebensmitteln“;

Ausschuss für Land- und Forstwirtschaft:

Antrag 1306/A(E) der Abgeordneten Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Pirklhuber, Kolleginnen und Kollegen betreffend Maßnahmen gegen Spekulationen mit Agrarrohstoffen;

Verfassungsausschuss:

Antrag 1294/A der Abgeordneten Heinz-Christian Strache, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die XXIV. Gesetzgebungsperiode des National­rates vorzeitig beendet wird,

Antrag 1295/A der Abgeordneten Heinz-Christian Strache, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ministeranklage gemäß Art. 142 Abs. 2 lit.b B-VG wider den Bundeskanzler Werner Faymann,


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 49

Antrag 1296/A der Abgeordneten Heinz-Christian Strache, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ministeranklage gemäß Art. 142 Abs. 2 lit.b B-VG wider den Bundesminister für Finanzen VK DI Josef Pröll,

Antrag 1313/A der Abgeordneten Mag. Barbara Prammer, Fritz Neugebauer, Mag. Albert Steinhauser, Ing. Peter Westenthaler, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Einrichtung des Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe in Österreich erlassen sowie das National­fondsgesetz geändert wird;

Verkehrsausschuss:

Bundesgesetz, mit dem das Führerscheingesetz geändert wird (13. FSG-Novelle) (900 d.B.);

Ausschuss für Wirtschaft und Industrie:

Antrag 1298/A(E) der Abgeordneten Dr. Gabriela Moser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Gehaltsoffenlegung bei öffentlichen Unternehmen,

Antrag 1299/A(E) der Abgeordneten Dr. Gabriela Moser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Grundsätze der Unternehmensführung bei öffentlichen Unternehmen,

Antrag 1302/A(E) der Abgeordneten Dr. Gabriela Moser, Kolleginnen und Kollegen betreffend öffentliche Hauptversammlung bei öffentlichen Unternehmen.

*****

11.32.52Ankündigung einer Dringlichen Anfrage

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Die Abgeordneten Mag. Stadler, Kolleginnen und Kollegen haben das Verlangen gestellt, die vor Eingang in die Tagesordnung schriftlich eingebrachte Anfrage 6687/J der Abgeordneten Mag. Stadler, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend „Bandions Blamagen“ und deren Folgen für den österreichischen Rechtsstaat dringlich zu behandeln.

Gemäß der Geschäftsordnung wird die Dringliche Anfrage um 15 Uhr behandelt werden.

Ankündigung eines Antrages auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weiters haben die Abgeordneten Neubauer und Dr. Rosenkranz gemäß § 33 Abs. 1 der Geschäftsordnung beantragt, einen Unter­suchungs­ausschuss zur näheren Untersuchung der politischen und rechtlichen Verant­wortung im Zusammenhang mit dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren im Abgängigkeitsfall Natascha Kampusch einzusetzen.

Ferner liegt das von fünf Abgeordneten gemäß § 33 Abs. 2 der Geschäftsordnung gestellte Verlangen vor, eine Debatte über diesen Antrag durchzuführen.

Gemäß § 33 Abs. 2 der Geschäftsordnung finden die Debatte und Abstimmung nach Erledigung der Tagesordnung statt.

Behandlung der Tagesordnung

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Es ist vorgeschlagen, die Debatte über die Punkte 1 und 2, 5 bis 7 sowie 14 bis 16 der Tagesordnung jeweils zusammenzufassen.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 50

Wird dagegen eine Einwendung erhoben? – Das ist nicht der Fall.

Wir gehen in die Tagesordnung ein.

Redezeitbeschränkung

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zwischen den Mitgliedern der Präsidialkon­fe­renz wurde Konsens über die Dauer der Debatten erzielt.

Demgemäß wurde eine Tagesblockzeit von 8 „Wiener Stunden“ vereinbart, sodass sich folgende Redezeiten ergeben: SPÖ und ÖVP je 112 Minuten, FPÖ 100 Minuten, Grüne 88 Minuten sowie BZÖ 84 Minuten.

Weiters schlage ich gemäß § 57 Abs. 7 vor, die Redezeit jedes Abgeordneten ohne Klubzugehörigkeit auf 10 Minuten pro Debatte zu beschränken.

Für die Dauer der Fernsehübertragung durch den ORF im Anschluss an die Frage­stunde – wir schaffen es pünktlich – von 11.35 Uhr bis 13 Uhr wurde folgende Redeordnung vereinbart: eine Runde mit je 6 Minuten, ein Regierungsmitglied SPÖ 13 Minuten, dann eine weitere Runde mit 4 Minuten und noch eine Redner-/Rednerinnenrunde mit 3 Minuten.

Der vorsitzführende Präsident verteilt jeweils spätestens vor Beginn der vorletzten Runde – nach Rücksprache mit den Klubvorsitzenden – die verbleibende Redezeit auf die fünf Fraktionen in der Weise, dass noch alle Fraktionen in der Fernsehzeit gleichmäßig zu Wort kommen.

Sollte die auf diese Art ermittelte Restredezeit je Fraktion unter 7 Minuten betragen, steht es den Klubs frei, einen oder zwei Redner/Rednerinnen zu nominieren.

Weiters besteht Einvernehmen, dass tatsächliche Berichtigungen erst nach der Fernsehübertragung aufgerufen werden.

Wir kommen sogleich zur Abstimmung über die eben dargestellten Redezeiten.

Ich bitte jene Damen und Herren, die diesem Vorschlag zustimmen, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist einstimmig angenommen.

11.36.011. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (880 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen 1987, das Landarbeitsgesetz 1984, das Arbeits­ruhegesetz, das Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz, das Arbeitsinspektionsge­setz 1993 und das Arbeitszeitgesetz geändert werden (897 d.B.)

2. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 815/A(E) der Abgeordneten Mag. Birgit Schatz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Schaf­fung eines gesetzlichen Mindestlohns (898 d.B.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir gelangen zu den Punkten 1 und 2 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem durchgeführt wird.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Wir gehen in die Debatte ein.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 51

Als erste Rednerin gelangt Frau Abgeordnete Mag. Schatz mit der vereinbarten Rede­zeit von 6 Minuten zu Wort. – Bitte.

 


11.36.55

Abgeordnete Mag. Birgit Schatz (Grüne): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Lohnverhandlungen der Sozialpartner laufen. Wir Grüne wollen einen gesetzlich garantierten Mindestlohn: gesetzlich garantiert 1 300 € brutto (Zwischenrufe bei der ÖVP), das entspricht in etwa 1 000 € netto, für einen Vollzeitjob.

Meine Damen und Herren, Sie wissen, wir Grüne bringen solche Anträge für existenz­sichernde Mindestlöhne immer und immer wieder ein – und mit der gleichen Regelmäßigkeit lehnen Sie von SPÖ und ÖVP diese wichtigen Anträge ab.

Ich werde also heute, bei diesem neuerlichen Anlauf, nicht wieder aufzählen und nicht wieder erklären, in wie vielen europäischen Ländern ein gesetzlicher Mindestlohn bereits erfolgreich eingeführt worden ist, ich werde Ihnen nicht wieder vorrechnen, in welcher Höhe ein wirklich existenzsichernder Mindestlohn angesiedelt sein soll, und ich werde Ihnen nicht erzählen, wie die Vermögen und Unternehmensgewinne in den letzten Jahren konstant gestiegen sind – bis auf die Krise – und die Einkommen vor allem im unteren Bereich an Wert sogar verloren haben. Ich werde Ihnen das alles nicht zum „zigten“ Mal erklären (Abg. Großruck: Das haben Sie ja gerade getan!), weil Sie offensichtlich für diese sachlichen Argumente nicht zugänglich sind, auch wenn das sehr, sehr bedauerlich ist.

Ich möchte es deshalb heute einmal ganz anders versuchen. Ich möchte es ganz anders versuchen und frage Sie: Sind wir uns hier im Hause darüber einig, dass jemand, der Tag für Tag arbeitet, davon auch leben können soll? Sind wir uns darüber einig? (Beifall bei den Grünen. – Abg. Dr. Pirklhuber: Jawohl!)

Meine Damen und Herren! Ich persönlich bin mir absolut sicher, die Österreicherinnen und Österreicher wollen das. Sie wollen, dass jemand, der Vollzeit arbeitet, damit ein Leben finanziell unabhängig führen kann. Schauen Sie sich entsprechende Umfragen an! Reden Sie mit den Menschen, reden Sie mit den Leuten auf der Straße! Die sagen: 1 300 € brutto, 1 000 € netto? Das ist aber nicht viel! – Die wissen, wie viel das Leben kostet, selbst wenn man sehr sparsam ist. 1 000 € netto, das ist schon das absolut Mindeste, darunter geht es einfach nicht! (Beifall bei den Grünen.)

Meine Damen und Herren! Wir haben einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass wir höhere Mindestlöhne brauchen. Die Frage ist nur: Haben wir diesen Konsens auch hier im Haus? Meine Damen und Herren, das ist wirklich die zentrale Frage!

Die SPÖ und die ÖVP haben es sich bis jetzt ja immer einfach machen können, sie haben gesagt: Nein, gesetzlich wollen wir diesen Mindestlohn nicht! Das ist die Sache der Sozialpartner; gesetzlich wollen wir das nicht. – Damit wird der Antrag abgelehnt.

Die Sache ist natürlich die: Die Sozialpartner haben es in den letzten Jahren eben nicht geschafft, für existenzsichernde Mindestlöhne zu sorgen. Beschäftigte im Handel, im Gastgewerbe, KindergartenhelferInnen, FrisörInnen verdienen heute unter 1 300 € brutto. Mit einem gesetzlichen Mindestlohn, wie wir Grüne ihn wollen, könnte man das ganz schnell ändern.

Meine Damen und Herren, ich nehme zur Kenntnis, Sie sind offensichtlich noch nicht bereit für diesen Mindestlohn. Ich frage Sie aber noch einmal: Sind wir uns einig, dass man von Vollzeitarbeit zumindest ohne Not leben können muss?

Meine Damen und Herren! Viele Angehörige Ihrer Parteien ÖVP und SPÖ, Gewerk­schafter und Gewerkschafterinnen auf beiden Seiten, Frauenpolitikerinnen und die


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Frauenministerin haben in den letzten Tagen und Wochen einen Mindestlohn von 1 300 € brutto gefordert, öffentlich gefordert und verlangt.

Wir Grüne sagen, okay, Sie als Nationalratsabgeordnete wollen keine gesetzliche Regelung in diesem Zusammenhang, also machen wir es anders, sagen wir, 1 300 € brutto – egal, ob über Kollektivvertrag, Generalkollektivvertrag oder wie auch immer. Wollen Sie existenzsichernde Mindestlöhne? Das ist die Frage.

Zur Klärung dieser wirklich einfachen, aber essenziellen Frage möchte ich folgenden Entschließungsantrag einbringen:

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, gemeinsam mit den Sozialpartnern jene Schritte zu setzen, die zur Umsetzung einer monatlichen Mindestlohnhöhe von 1 300 € brutto für unselbständige Vollzeiterwerbstätigkeit notwendig sind. Dieser Mindestlohn hat für die von Niedrigstlöhnen betroffenen ArbeitnehmerInnen schnellstmöglich, jeden­falls aber im ersten Halbjahr 2011 wirksam zu werden und ist 14 Mal im Jahr auszu­bezahlen.

*****

Meine Damen und Herren, über diesen Antrag wird namentlich abgestimmt werden. Es wird öffentlich nachzulesen sein, schon in Kürze, ob Sie sich ganz persönlich, jeder Einzelne von Ihnen, für einen existenzsichernden Mindestlohn einsetzen, und man wird ganz genau wissen, wem dieses wichtige Thema einfach wurscht ist. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

11.42


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Der soeben eingebrachte Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt und steht mit in Verhandlung.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Schatz, Öllinger, Freundinnen und Freunde betreffend Mindestlohn von € 7,50 brutto pro Arbeitsstunde

eingebracht im Zuge der Debatte über Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 815/A(E) der Abgeordneten Mag. Birgit Schatz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Schaffung eines gesetzlichen Mindestlohns (898 d.B.).

Zwei bedenkenswerte europäische Trends lassen sich für den Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte beobachten. Zum einen bleiben Löhne hinter der Produktivitäts­entwicklung zurück, so dass die Lohnquoten eine rückläufige Tendenz aufweisen (aktuelle Diskussion um das Auseinanderdriften von Lohn- und Gewinnquoten). Der zweite Trend besteht im Anstieg der Lohnspreizung, also Lohnunterschieden zwischen einzelnen Beschäftigtengruppen innerhalb und zwischen den Branchen. Dies liegt sowohl an einer überdurchschnittlich hohen Lohnentwicklung im oberen Lohnsegment (z.B. bei leitenden Angestellten, ManagerInnen usw.) als auch an einer massiven Ausdehnung des Niedriglohnsektors und des Anteils der sogenannten „working poor“.

Die Öffnung, Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitsmärkte verschärft die Situation weiter. Besonders die Löhne wenig qualifizierter Arbeitskräfte gingen real in den letzten Jahren sogar zurück (Einkommensbericht 2005/2006). Eine besonders von dieser Entwicklung betroffene Gruppe sind vor allem Frauen und MigrantInnen, da


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diese häufiger in den klassischen Niedriglohnbranchen wie Textilindustrie, Handel, Reinigung und  Tourismus beschäftigt sind.

Niedrige Löhne sind eine Hauptursachen von Armut. 247.000 Menschen sind laut Statistik Austria trotz Erwerbsarbeit armutsgefährdet. 129.000 davon sogar trotz Vollzeit-Erwerbstätigkeit.

Einem Beitrag der "Statistischen Nachrichten" ist zu entnehmen, dass 14,1% der unselbständig Beschäftigten von Niedriglöhnen betroffen sind. Eine geschlechts­spezifische Aufteilung ergibt, dass 7,4% aller Männer und 24,2% aller Frauen Niedrig­löhne von weniger als € 7,65 brutto pro Arbeitsstunde erhalten.

Nach Branchen aufgegliedert sind Niedriglöhne insbesondere im Handel (21,5% der Beschäftigten), in den Unternehmensdienstleistungen (21%) sowie in Beherbergungs- und Gaststättenunternehmen (54,8%) zu finden.

Von einem derart niedrigen Einkommen kann kein Mensch leben, sagt der Hausverstand.

In den letzten Wochen fordern VertreterInnen einer steigenden Zahl von Organisa­tionen einen Mindestlohn von zumindest € 7,50 brutto in der Stunde. In dieser Hinsicht geäußert haben sich etwa Frauenministerin Heinisch-Hosek und die ÖGB-Frauen.

Unterstützt wird deren Forderung etwa

vom oberösterreichischen AK-Präsidenten Kaliauer: „Wir brauchen eine spürbare Arbeitszeitverkürzung bei Vollzeit. Diese muss unterstützt werden durch einen wirksamen Überstundenabbau, etwa durch höhere Überstundenzuschläge. Zugleich muss die Kaufkraft - insbesondere von Menschen mit niedrigen Löhnen - gestärkt werden. Wir fordern daher auch einen Mindestlohn von 1300 Euro in allen Kollektivverträgen“ (OTS 49 vom 11. Oktober 2010)

vom vorarlberger AK-Präsidenten Hämmerle: „Es ist schlichtweg eine Schande, wenn in Österreich Menschen für weniger als 1.300 Euro brutto im Monat arbeiten müssen“, erklärte er. Außerdem müssten das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe deutlich angehoben werden, betonte der AK-Präsident. (APA 522 vom 7. Oktober 2010)

sowie von GPA-Vorsitzendem Katzian und Franz Georg Brantner, Vorsitzender des GPA-djp-Wirtschaftsbereichs Handel, die am 5. Oktober 2010 einen Mindestlohn von 1.300 Euro forderten (OTS 283 vom 5. Oktober 2010).

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, gemeinsam mit den Sozialpartnern jene Schritte zu setzen, die zur Umsetzung einer monatlichen Mindestlohnhöhe von € 1300,- brutto für unselbständige Vollzeiterwerbstätigkeit notwendig sind. Dieser Mindestlohn hat für die von Niedrigstlöhnen betroffenen ArbeitnehmerInnen schnellst­möglich, jedenfalls aber im ersten Halbjahr 2011 wirksam zu werden und ist vierzehn Mal im Jahr auszubezahlen.

*****

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Csörgits. – Bitte.

 



Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 54

11.42.31

Abgeordnete Renate Csörgits (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Sehr geschätzte Damen und Herren! Ich möchte zwei Punkte der Regierungsvorlage ganz besonders herausstreichen.

Das eine ist eine Veränderung des Landarbeitsgesetzes, wo es um die Verstärkung der Vertretung von jugendlichen Dienstnehmerinnen und Dienstnehmern in der Landwirtschaft geht. Warum ist das notwendig? Wir haben in Österreich die Situation, dass nur sehr wenige junge Menschen im Bereich von landwirtschaftlichen Betrieben tätig sind. Das hat zur Folge, dass oft nicht die notwendige Mindestanzahl von jugendlichen DienstnehmerInnen in einem Betrieb vorhanden ist, um den Jugend­vertrauensrat wählen zu können. Daher wird mit dieser Novelle das aktive und passive Wahlalter zum Betriebsrat auf das 16. beziehungsweise 18. Lebensjahr herabgesetzt. Damit ist sichergestellt, dass der Betriebsrat in diesen Betrieben die wichtigen Anlie­gen, Interessen der jugendlichen Dienstnehmer und Dienstnehmerinnen wahrnehmen kann. Ein wichtiger, notwendiger und richtiger Schritt.

Ein weiterer Punkt, der sehr wichtig ist, ist die Novellierung des Bundesgesetzes über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen. Dabei geht es um eine Anpassung an ein Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation, die die Anhebung des Mindestalters von Kindern für die Zulassung zu leichter und vereinzelter Arbeit beinhaltet. Dazu muss festgestellt werden, dass ich sehr froh bin, dass es unserem Bundesminister gelungen ist, diese Gesetzesänderung durchzuführen, weil wir im Zusammenhang mit diesem ILO-Übereinkommen schon öfters gerügt worden sind. Herzlichen Dank, Herr Bundesminister! (Beifall bei der SPÖ.)

Damit ist sichergestellt, dass Kinder- und Jugendbeschäftigung in Österreich gesetzlich noch besser abgesichert ist.

Weil ich bereits von Kinder- und Jugendbeschäftigung gesprochen habe, erlauben Sie mir, hier ganz besonders auf die positiven Wirkungen der Arbeits- und Qualifi­kationspakete, die diese Bundesregierung beschlossen hat, hinzuweisen. Es war ganz wichtig, dass wir unter Bundeskanzler Faymann eine Ausbildungsgarantie geschaffen haben, dass es Aktionen zur Zukunft der Jugend in Österreich gibt, wo man schwer­punktmäßig jene jungen Menschen betreut, die im Alter zwischen 19 und 24 Jahren oft in der Situation sind, dass sie keinen Arbeitsplatz haben. Es wurden Verbesserungen im Zusammenhang mit Kinderstiftungen durchgeführt.

All diese Maßnahmen haben dazu beigetragen, sehr geschätzte Damen und Herren, dass wir in Österreich die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit im Vergleich zu allen anderen europäischen Ländern haben. Darauf können wir stolz sein! (Beifall bei der SPÖ.)

Aber auch da ist zu sagen, dass jeder Jugendliche und jede Jugendliche, der oder die arbeitslos ist, ein Arbeitsloser/eine Arbeitslose zu viel ist. Daher sind die 560 Millio­nen €, die für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zur Verfügung gestellt worden sind, eine gute Anlage. Wir investieren in die Zukunft, und junge Menschen haben das Recht auf Ausbildung, haben das Recht auf Berufsqualifikation, denn sie sind schließlich und endlich unsere Zukunft.

Ebenfalls sehr wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang, dass wir mit Stolz feststellen können, dass auch alle anderen Maßnahmen, die dazu gedient haben, die Arbeitslosigkeit in Österreich zu bekämpfen, gegriffen haben. Lassen Sie mich auch hier einige Beispiele nennen.

Der Bereich Kurzarbeit: Durch den Ausbau der Kurzarbeitsmaßnahmen ist es gelungen, einerseits Menschen nicht in die Arbeitslosigkeit zu drängen, auf der


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anderen Seite aber auch sicherzustellen, dass die hoch qualifizierten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Betrieb verbleiben und diesem erhalten bleiben. Es gab Verbesserungen im Zusammenhang mit der Bildungskarenz. Und für den Fall, dass die Situation eintritt, dass man trotzdem arbeitslos wird, sind die Serviceleistungen des AMS ausgebaut und verbessert worden.

All diese Maßnahmen haben dazu beigetragen, dass wir in der Situation sind, dass Österreich die geringste Arbeitslosenrate innerhalb der Europäischen Union hat. Das ist erfreulich, das ist wichtig und gut so, und diesen Weg müssen wir weiter fortsetzen. (Beifall bei der SPÖ.)

Aber auch in den Fällen, wo Menschen in einer schwierigen Situation sind, hat diese Bundesregierung nicht versagt. Wir waren die Einzigen, die durch die Schaffung der bedarfsorientierten Mindestsicherung dafür Sorge getragen haben, dass gegen Armut etwas getan wird, gegen Armut angekämpft wird.

Sehr geschätzte Damen und Herren! Ich denke, dass viele Maßnahmen gesetzt worden sind, um die Armut zu bekämpfen, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Lassen Sie mich noch eine Bemerkung machen im Zusammenhang mit der Diskussion, die wir gestern hier abgeführt haben. Gestern wurde von einigen Rednern davon gesprochen, dass wir über unsere Verhältnisse leben. – Ich denke, das ist schlichtweg falsch! Unsere Sozialleistungen tragen dazu bei, Armut zu verhindern (Abg. Kopf: Auf Kosten unserer Kinder!), und sind ein wesentlicher Punkt dafür, dass der Inlandskonsum, die Inlandsnachfrage vorhanden ist. Hätten wir in Österreich keine staatlichen Sozialleistungen und keine staatliche Pension, wären 43 Prozent der Bevölkerung von Armut betroffen. Das bedeutet aber für uns auch Herausforderung. Jetzt dürfen nicht jene zur Kassa gebeten werden, die die Krise nicht verursacht haben. Wen meine ich damit? – Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch die Pensionistinnen und Pensionisten.

Jetzt ist angesagt, dass es zu einer fairen Verteilungsdiskussion kommt und dass auch jene ihren Beitrag dazu leisten, die die Krise verursacht haben – und das sind nicht die Armen, Schwachen, die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen dieses Landes. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

11.48


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Abgeordneter Dolinschek gelangt nun zu Wort. – Bitte.

 


11.48.38

Abgeordneter Sigisbert Dolinschek (BZÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Kollegin Csörgits, ich halte es für sehr bedauerlich, dass Sie in Ihrem Redebeitrag zwar über die Gesetzesänderung betreffend die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen, wo ja Konsens besteht, wo wir ja alle mitstimmen, sprechen, aber als Gewerkschafterin kein Wort zum gesetzlichen Mindestlohn von 1 300 € verlieren. Das ist für mich sehr bedauerlich.

Sie haben die Arbeitsmarktdaten positiv bewertet, von einer Trendwende gesprochen und davon, was alles geleistet worden ist. Tatsache ist aber, Frau Kollegin Csörgits, sehr geehrte Damen und Herren, dass wir im vergangenen Monat eine Arbeits­losenzahl von 214 000 gehabt haben und 69 483 Personen sich in Schulungen befin­den. (Abg. Silhavy: Die Kollegin Csörgits hat auch gesagt: Jeder Arbeitslose ist einer zu viel!) – Das ist ja wohl das Mindeste, was man von ihr als Gewerkschafts­vorsitzender verlangen kann! (Beifall beim BZÖ sowie bei Abgeordneten der FPÖ.) – Dem gegenüber stehen 35 064 offene Stellen, Frau Kollegin Silhavy. Das ist Tatsache.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 56

Man muss auch Folgendes sehen: Unter den 3 330 000 unselbständig Beschäftigten gibt es 1 Million Menschen, die in atypischen Beschäftigungsverhältnissen sind. Das können Sie in der Gewerkschaftszeitschrift nachlesen, das ist alles dokumentiert dort drinnen. Frau Oberhauser hat sich in der Gewerkschaftszeitschrift auch darüber mokiert, dass das so ist. Das ist immerhin fast ein Drittel der in Österreich unselb­ständig Beschäftigten – oder 12 bis 13 Prozent der Wohnbevölkerung. Das muss Ihnen doch zu denken geben!

Außerdem beträgt die Zahl der Working Poor in Österreich 350 000! Das sind jene Menschen, die trotz Beschäftigung an der Armutsgrenze leben. Da müssten Sie als Gewerkschafter doch einmal dagegen auftreten und sich für einen gesetzlichen Mindestlohn von 1 300 € einsetzen, so wie es heute verlangt wird. (Beifall beim BZÖ sowie bei Abgeordneten der Grünen.) Wir verlangen das schon seit Jahren: einen gesetzlichen Mindestlohn von 1 300 € brutto. Das sind zumindest 1 000 € netto oder 7,40 € brutto pro Stunde, bei 40 Wochenstunden.

Bezeichnend ist: Auf der einen Seite wird die Öffnung, die Deregulierung und die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ständig verlangt. Und da ist es leider so, dass die wenig qualifizierten Arbeitskräfte am meisten davon betroffen sind: Trotz Vollbe­schäftigung leben viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an der Armutsgrenze. Deswegen ist es auch notwendig, dass wir den Mindestlohn anheben.

Geschätzte Damen und Herren! Je mehr Sie dafür sorgen, dass die Leute ihre Kauf­kraft erhalten können, dass die Binnenkonjunktur angekurbelt wird, je mehr ein Unselb­ständiger oder die Masse verdient, desto mehr hat auch die Wirtschaft in Österreich davon. Denn wenn der Export nicht mehr funktioniert, dann muss man wenigstens die Binnennachfrage stärken. Und da muss ich Ihnen schon eines sagen: Arbeiten Sie als Gewerkschafter endlich einmal darauf hin, dass es nicht weiß ich wie lange Durch­rechnungszeiträume gibt!

Im Handel gibt es jetzt zum Beispiel Gehaltsverhandlungen, da redet man davon, nach 13 Wochen wird das Gehalt für die Mehrarbeitsleistung ausgezahlt, und so weiter. Das Gehalt für die Mehrarbeitsleistungen ist sofort auszubezahlen! Dann hat der Arbeit­nehmer sofort etwas in der Tasche, dieses Geld gibt er wieder aus, und die Wirtschaft floriert. (Beifall beim BZÖ.)

Das sind die Dinge, die man als Arbeitnehmervertreter unbedingt ansprechen sollte, geschätzte Damen und Herren!

Wenn sich die Sozialpartner schon so loben und jeder hier herinnen sagt, na selbst­verständlich, die Lohnverhandlungen sind Sache der Sozialpartner, dann muss ich schon darauf hinweisen, dass die Sozialpartner nur 95 Prozent der Beschäftigungs­verhältnisse in Kollektivverträgen geregelt haben und es für 5 Prozent keinen Kollektiv­vertrag gibt. Das sind aber oft jene Sparten, wo die Unternehmen gar nicht einmal so wenig verdienen. Man kann doch diese Leute nicht ausschließen. Entweder macht man einen Generalkollektivvertrag, wie es die Kollegin Schatz erwähnt hat, oder man regelt das gesetzlich. Aber man muss alle unselbständig Erwerbstätigen mit einbinden. Das ist wichtig, und deshalb ist es auch notwendig, einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, um der voranschreitenden Verarmung in Österreich entgegenzuwirken.

Es ist schon traurig, Frau Kollegin Csörgits, dass Sie als Gewerkschafterin hier kein Wort zu einem gesetzlichen Mindestlohn verlieren, denn normalerweise müsste ja die Gewerkschaft gleich auf diesen Zug aufspringen und an dessen Umsetzung mitarbeiten. Und die Wirtschaft ebenfalls, denn wenn die Leute mehr Geld im Sack haben, geben sie auch mehr aus. Und das ist auch wichtig für die österreichische Wirtschaft und damit der Konjunkturmotor in Österreich wieder anspringt.


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Jeder Arbeitslose ist einer zu viel, da bin ich mit Ihnen einer Meinung, das ist über­haupt keine Frage. Da müssten wir gemeinsam an einem Strang ziehen, aber auch in dieselbe Richtung, damit das auch in Österreich funktioniert. – Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BZÖ sowie bei Abgeordneten der Grünen.)

11.54


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Abgeordneter Donabauer gelangt nun zu Wort. – Bitte.

 


11.54.22

Abgeordneter Karl Donabauer (ÖVP): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren auf der Galerie und vor den Fernsehschirmen! Hohes Haus! Armuts­bekämpfung ist sicherlich ein zentrales Thema. Wir haben vor einigen Wochen eine Grundsatzdebatte geführt und hier in diesem Haus die Grundsicherung beschlossen, um gerade diesem Phänomen der Armut engagiert entgegentreten zu können. Ich denke, das ist ein beispielgebendes Gesetz, das weit über unser Land hinaus wirkt. Es war nicht leicht, das zu erreichen – wir haben es geschafft.

Um zur gestrigen Debatte zurückzukommen: Ich denke, wir sollten hier die Befind­lichkeiten nicht überstrapazieren. Worum ist es gestern gegangen? Es geht in Wahrheit darum, eine entsprechende Verteilungsgerechtigkeit zu schaffen. Niemand, überhaupt niemand kann zum Ziel haben, irgendeine andere Gruppe auszugrenzen. Wir alle haben uns zu bemühen, die großen Herausforderungen, vor denen wir zweifelsohne stehen, zu bewältigen.

Nun zu Ihrem Antrag 815/A(E) bezüglich des gesetzlichen Mindestlohnes. Wir haben uns das sehr genau überlegt, wir haben intern diskutiert. Wir haben aber dann Ihren Antrag abgelehnt, weil wir glauben, dass wir diese Sache nicht per Gesetz lösen können. (Abg. Öllinger: Das steht ja auch nicht drinnen!) Wir sind der Meinung, dass es hier darum geht, dass Arbeit entsprechend entlohnt wird, leistungsgerecht entlohnt wird, und zwar in allen Berufsgruppen, wenn es geht.

Zum Zweiten: Es ist nicht Aufgabe des Gesetzgebers, hier einzugreifen. (Abg. Dr. Pirklhuber: Warum nicht?) Und zum Dritten haben wir in Österreich etwas, was Sie auch schätzen sollten: eine funktionierende Sozialpartnerschaft, wo auf allen Ebenen die Verantwortung entsprechend wahrgenommen wird. Aus diesem Grund haben wir Ihrem Antrag nicht die Zustimmung geben können. (Abg. Mag. Schatz: Haben wir 1 300 €? Haben wir das?)

Bei dieser Debatte heute geht es auch um einige weitere Fragen, so um das Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz und um das Arbeitsruhegesetz, waren doch vor allem in Krankenanstalten bisher keine ausreichenden Regulierungsmöglichkeiten gege­ben. Mit dieser Novelle wird nun der neuen Situation besser entsprochen. Ich denke, es ist das ein richtiges Vorgehen, weil wir so eine ordentliche Betriebsführung besser sicherstellen können und damit oftmals auch den Wünschen der Mitarbeiter nachkommen können. Auch das, bitte, ist ein Faktum, an dem wir nicht vorbeidis­kutieren sollten.

Neu ist, dass bei Verletzung dieser Regelung durch Ärzte in Zukunft – so wie bei den Arbeitnehmern die Arbeiterkammer eingebunden wird – die Ärztekammer eingebunden wird. Das ist neu, und ich denke, das ist ein herzeigbares Ergebnis, und das werden wir auch so mit beschließen.

Es wird auch das Landarbeitsgesetz geändert. Warum? Weil wir unser Gesetz internationalen Normen angleichen und das Landarbeitsrecht für Dienstnehmer, vor allem für junge, in entsprechender Weise ausbauen müssen. Es geht darum, dass das passive und aktive Wahlalter auf 18 beziehungsweise 16 Jahre abgesenkt wird und


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 58

alle im Betrieb Beschäftigten mitwählen können, ohne Ansehen des Herkunftsstatus, weil wir glauben, dass die jungen Leute dort entsprechend vertreten sein sollen.

Es wird mit dieser Novelle auch das Mindestalter für Beschäftigung von zwölf, wie wir es derzeit vorgesehen haben, auf die internationale Norm von 13 Jahren angehoben. Weiters wird vorgesehen, dass die Mitarbeit bis zum 15. Lebensjahr in Familien­betrie­ben möglich ist. Und deshalb, glaube ich, ist es ganz wichtig, dass diese Menschen auch eine entsprechende soziale Absicherung haben. Und in dieser Hin­sicht hat die bäuerliche Unfallversicherung bis heute, seit dem Jahr 1929, wirklich eine gute Funk­tion erfüllt. Ich denke, dass die bäuerliche Unfallversicherung mit etwa 113 Millionen € Gesamtleistung hier eine wichtige Aufgabe erfüllt.

Im Rahmen der Budgetdiskussion gibt es natürlich dort und da Überlegungen, Dinge zu korrigieren. Ich ersuche höflichst, dass man gerade die Leistungen dieses Sektors entsprechend würdigt und anerkennt und dabei mit berücksichtigt, dass wir mit Beiträgen möglicherweise fehlende Bundesleistungen nicht mehr abdecken könnten. Sollte es hier zu Korrekturen kommen, dann wird dieser Bereich über kurz oder lang seine Aufgaben nicht mehr erfüllen können. Was sind seine Aufgaben? Zu seinen Aufgaben gehört, seine Versicherten entsprechend zu beraten, um Unfälle und Berufskrankheiten zu vermeiden, die Berentung durchzuführen, die Heilkosten zu übernehmen.

Deshalb muss ich bei dieser Gelegenheit auch darauf verweisen, dass wir diese gute Zusammenarbeit, diese duale Finanzierung, diese wirkungsvolle sozialpolitische Maß­nahme, trotz aller Schwierigkeiten, trotz aller Engpässe, die wir auf allen Gebieten haben, in einer entsprechenden Wertigkeit sehen und auch nachhaltig absichern. Es geht um den Schutz von Menschen in diesem Bereich – eine ganz wichtige Sache, der wir uns zu widmen haben und wo wir auch die entsprechende Grundsatzdiskussion mit fachlichen Papieren unterlegt führen wollen. (Beifall bei der ÖVP.)

11.59


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Ing. Hofer. – Bitte.

 


11.59.28

Abgeordneter Ing. Norbert Hofer (FPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Kollege Donabauer ist immer so schnell in seiner Rede, dass ihm am Schluss Zeit übrig zu bleiben droht.

Meine Damen und Herren, das Gefüge des Arbeitsmarktes wird sich in den nächsten Jahren grundlegend ändern. Zwei Gründe sind dafür ausschlaggebend.

Erstens: die flächendeckende Realisierung der Mindestsicherung. – Ein Grund dafür, dass eine statistische Erhöhung der Arbeitslosigkeit ins Haus stehen wird, weil es strengere Meldeerfordernisse für die früheren Sozialhilfeempfänger geben wird.

Der zweite wesentliche Punkt ist, dass mit 1. Mai kommenden Jahres Arbeitnehmer aus den ehemaligen Oststaaten frei bei uns tätig werden können. (Präsident Neugebauer übernimmt den Vorsitz.)

Zur Mindestsicherung, meine Damen und Herren. Die Grünen haben zu dem eigentlichen Antrag noch einen Antrag eingebracht, weil sie offenbar in den letzten Wochen davon abgegangen sind, diese Mindestsicherung zwölf Mal im Jahr einzufordern. Dieser Betrag soll jetzt 14 Mal im Jahr eingefordert werden. (Abg. Öllinger: Mindestlohn, nicht Mindestsicherung!) – Mindestlohn.

Ich habe ein riesiges Problem damit – das muss ich unbedingt sagen –, dass in Österreich ein Mindestlohn in der Höhe von 1 300 € brutto, also 1 000 € netto, umge­


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setzt werden soll und wir gleichzeitig im Rahmen der Mindestsicherung etwa 750 € pro Monat garantieren. Hier ist mir die Differenz einfach zu gering, meine Damen und Herren! Einfach zu gering! (Abg. Riepl: Was wäre Ihr Vorschlag? Wie viel Differenz sollte sein Ihrer Meinung nach?) Es kann nicht sein, dass Menschen in Österreich 40 Stunden in der Woche arbeiten und für diese 40 Stunden 1 000 € bekommen. Das ist wenig. (Zwischenruf des Abg. Dr. Pirklhuber.) Ja, ein richtiger Schritt, aber wie müssten wir vorgehen?

Wenn wir das umsetzen, was Sie heute vorschlagen, dann wird die Wirtschaft allein diese Last tragen. Wo ist der Beitrag des Staates zu einem gesetzlichen Mindestlohn? Wo ist dieser Beitrag? Das heißt, man kann doch nur so vorgehen, dass man die Unternehmer entlastet, die Lohnnebenkosten senkt, damit den Menschen wieder mehr netto in der Tasche bleibt. Das ist der richtige Weg, meine Damen und Herren! (Beifall bei der FPÖ.)

Bedenken Sie bitte, auch im Rahmen der Mindestsicherung: Es gibt 260 000 Men­schen in Österreich, die weniger als 1 000 € netto im Monat verdienen – 260 000 Men­schen –, und auf der anderen Seite garantieren wir eine Mindestsicherung in der Höhe von 750 € netto. – Was denkt sich die Mitarbeiterin im Supermarkt, die bis spät in den Abend arbeiten muss, die am Samstag arbeiten muss, die sich sehr schwer damit tut, wenn der Nachbar im gleichen Haus als Langzeit-Mindestsicherungsbezieher fürs Nichtstun 750 € bekommt? Ich kann das nicht nachvollziehen, meine Damen und Herren! (Beifall bei der FPÖ.)

Daher brauchen wir gerechte Löhne in Österreich, damit jene, die wirklich hart arbei­ten, auch ordentlich bezahlt werden.

Ich bin dafür, dass jene, die wirklich keine Chance haben, Arbeit zu bekommen, ein soziales Netz vorfinden, aber auch dafür, dass jene, die dieses Netz ausnutzen, ent­sprechend bestraft werden. Dafür fehlen uns die Kontrollmöglichkeiten, weil es das Personal nicht gibt. Wie wollen wir denn künftig prüfen, ob die Mindestsicherung tatsächlich zu Recht gewährt wird oder ob hier Missbrauch betrieben wird? Nur mit der Vernetzung mit dem AMS, nur mit der Vernetzung mit der KIAB? Auch die KIAB wird Personal brauchen, um prüfen zu können, doch dieses Personal, meine Damen und Herren, ist einfach nicht vorhanden. (Zwischenruf des Abg. Dr. Pirklhuber.)

Im Mai 2011, meine Damen und Herren, erfolgt die Öffnung des Arbeitsmarktes in Richtung jener Staaten, die im Jahr 2004 der Europäischen Union beigetreten sind. Das Wachstum ist, trotz besserer Voraussagen, nicht ausreichend, um die hohe Arbeitslosigkeit in Österreich wirksam zu bekämpfen. Das heißt, wir werden auch in den nächsten Jahren mit einer hohen Arbeitslosenquote zu rechnen haben – und mit dieser Öffnung ab 1. Mai werden mehr Tagespendler als bisher aus den ehemaligen Oststaaten nach Österreich kommen.

Bedenken Sie, bitte, dass eine zahnärztliche Assistentin in Ödenburg – wenige Kilo­meter von der Grenze entfernt – für eine 40-Stunden-Woche 350 € verdient. 350 € für eine 40-Stunden-Woche! (Abg. Dr. Oberhauser: 350?) Frau Kollegin, Sie haben wahrscheinlich diesen Beauty-Salon, der sich dort an der Grenze befindet, noch nicht besucht, aber fragen Sie einmal nach! 350 € bekommt die Dame in Ungarn als zahnärztliche Assistentin bezahlt. Erkundigen Sie sich!

Was wird dann sein? – Natürlich kommen diese Leute als Tagespendler nach Öster­reich, weil man hier entsprechend mehr verdienen kann, meine Damen und Herren!

Oder Familienleistungen: Hat eine Frau in Ungarn zwei Kinder und arbeitet der Mann in Österreich, bekommt sie für jüngere Kinder etwa 400 € an Familienleistungen aus Österreich.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 60

Deswegen natürlich der große Druck, dass Tagespendler in unser Land kommen können, und daher bringe ich auch folgenden Antrag ein:

Antrag der Abgeordneten Hofer und Themessl betreffend die Entwicklung der ... – Jetzt habe ich den falschen Antrag hier, das ist ganz schlecht. Ich bräuchte den Antrag betreffend Öffnung des Arbeitsmarktes in Richtung Osten.

Es ist notwendig, meine Damen und Herren, in Verhandlungen mit der Europäischen Union sicherzustellen, dass die Öffnung des Arbeitsmarktes (Abg. Vock überreicht dem Redner den entsprechenden Antrag) – vielen Dank, Herr Kollege Vock – später erfolgt und nicht zum jetzigen Zeitpunkt.

Ich bringe daher betreffend Ostöffnung des österreichischen Arbeitsmarktes 2011 folgenden Antrag ein (Abg. Riepl: Ist das jetzt der richtige?):

Antrag

der Abgeordneten Ing. Hofer, Themessl, Kolleginnen und Kollegen betreffend die Entwicklung der österreichischen Löhne in Folge der Ostöffnung des österreichischen Arbeitsmarktes 2011

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird dringend aufgefordert, auf europäischer Ebene in Verhand­lungen einzutreten, um eine Verlängerung der Übergangsfristen zu bewirken und damit die Möglichkeit zu schaffen, den Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt im Sinne der hohen Arbeitslosigkeit im Land individuell zu regeln.“

*****

(Abg. Dr. Pirklhuber: Schon wieder der falsche Antrag!)

Für Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, und für die vielen Beamten hier im Haus ist das natürlich kein Problem – für die betroffenen Menschen, die ihren Job verlieren werden, ist das ein sehr großes Problem. (Präsident Neugebauer gibt das Glockenzeichen.) Wenn man sein Leben lang noch nie bei einer Firma gearbeitet hat, dann ist einem das vollkommen egal, das kann ich gut verstehen. (Beifall bei der FPÖ.)

12.05


Präsident Fritz Neugebauer: Die Kollegen von der Parlamentsdirektion teilen mir mit, dass der Antrag bei uns noch nicht eingelangt ist. Ich bitte, das nachzuholen.

Zu Wort gelangt Herr Bundesminister Hundstorfer. – Bitte.

 


12.05.56

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Rudolf Hundstorfer: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie gestatten mir, gleich bei den Ausführungen des Herrn Ing. Hofer anzusetzen. Die Bedrohung des österreichi­schen Arbeitsmarktes mit eventuell kommenden zahnärztlichen AssistentInnen zu begrün­den halte ich, ehrlich gesagt, für wirklich sehr weit hergeholt. Wie viele Öster­reicher fahren denn heute nach Ungarn, lassen dort Zahnreparaturen vornehmen und umgehen so unser österreichisches Sozialsystem, indem sie im Nachhinein die Rech­nung einreichen? Reden wir darüber einmal sehr offen und ehrlich, bitte! (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Es fahren sehr viel mehr Österreicher nach Ungarn als eventuell zahnärztliche Assis­tentInnen nach Österreich kommen. – So weit einmal Punkt eins. (Abg. Ing. Hofer: Sie


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haben auch keine Ahnung, Herr Minister!) – Ich habe viel mehr Ahnung, als Sie glauben. (Abg. Ing. Hofer: Nein, das glaube ich nicht! Gehen Sie einmal zum Zahn­arzt!) Ich gehe leider sehr oft zu Zahnärzten und muss sagen, in diesem Bereich gibt es schon sehr viel Personal, das nicht in Österreich geboren ist und gerne hier ist.

Das, was Sie nämlich überhaupt übersehen, ist: Wir haben heute schon – was gut ist, was nicht negativ ist – ganz legal 99 000 EU-Bürgerinnen und -Bürger aus den Mitgliedstaaten, um die es geht, ganz legal bei uns in Österreich beschäftigt. Mit Stand September 2010 sind diese Menschen ganz legal hier. Es sind 99 000. Sie zahlen hier Steuern, sie zahlen hier Abgaben und haben natürlich Anspruch auf das, was mit den Steuern und Abgaben verbunden ist. Viele davon sind Tagespendler, ja. Es gibt auch viele Oberösterreicher, die Tagespendler nach Bayern sind, viele Vorarlberger, die Tagespendler in die Schweiz und in die Bundesrepublik sind, viele Tiroler (Abg. Dr. Glawischnig-Piesczek: Kärntner nach Slowenien!), zwischenzeitig auch Kärntner nach Slowenien, unter anderem zur Firma Gorenje und Elan, und, und, und.

Aber wollen wir das alles jetzt einmal vergessen! Ich glaube, wir sollten zu dem stehen, wozu wir uns alle gemeinschaftlich verpflichtet haben.

Zur Mindestsicherung, Herr Abgeordneter Ing. Hofer. Ich glaube, Sie haben das System nicht verstanden. Das System der Mindestsicherung ist natürlich nicht auf Wegschauen, sondern auf Hinschauen aufgebaut. (Abg. Ing. Hofer: Wo sind die Kontrolleure? Wer kontrolliert?) Herr Hofer, das, was Sie wollen, ist ein Kontrollstaat, und das ist das, was ich ablehne! (Abg. Ing. Hofer: Das ist überhaupt nicht wahr!) Sie wollen hinter jedem Mindestsicherungsbezieher einen Kontrolleur, der schnüffelt, was der Mindestsicherungsbezieher tut. (Abg. Ing. Hofer: Unsinn!)

Wir haben uns mit einem anderen System beschäftigt. Wir haben uns auf das System verständigt: hinschauen, einladen, kommen – nicht kommen heißt Sperre der Sicherung! So einfach ist das System. (Abg. Neubauer: Geh bitte!)

Warum hätten wir denn zum Beispiel im Zusammenhang mit AMS-Bezügen pro Jahr 93 000 Sperren? Nach dem, was Sie behaupten, hätten wir das alles nicht. Wir sperren aber in 93 000 Fällen den AMS-Bezug. Reden Sie einmal mit diesen Menschen dar­über, wie sich solch eine Sperre für sie auswirkt! Das ist eine Erziehungsmaßnahme, die Goldes wert ist. Das sind immerhin 11 Prozent derjenigen, die beim AMS Kun­dinnen und Kunden sind. Wir schauen nicht weg, wir schauen schon hin, was mit unserem Steuergeld geschieht, und wir schauen schon darauf, dass es sinnvoll investiert wird. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Heute wird verlangt: Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn. – Auf den ersten Blick schaut das natürlich toll aus, gar keine Frage, aber schauen wir ein bisschen hinter die Kulissen! Schauen wir einmal auf jene Länder, die so etwas haben! Hat sich dort etwas an der Gerechtigkeit verändert? – Überhaupt nicht! (Abg. Öllinger: Dann lassen wir es überhaupt bleiben!)

Wir haben in Österreich das System, und zwar seit 50, 60 Jahren, dass nicht 95 Pro­zent, sondern 99 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Kollektivver­trägen erfasst werden. Fast 85 Prozent der Kollektivverträge gehen heute über 1 200 €, und die wesentlichsten Kollektivverträge in diesem Land, ohne auf die ande­ren zu vergessen, gehen weit über 1 300 €. Zu den wesentlichsten Kollektivverträgen gehören jene im Baugewerbe, dort beginnen sie bei 1 370 €, jene im Sozialbereich bei 1 314 €, im Metallgewerbe bei 1 400 €, im öffentlichen Dienst bei 1 400 €, und, und, und. Das kann man alles nachsehen. Es gibt noch ein paar an der Schwelle, wie zum Beispiel – was, so hoffe ich, in den nächsten paar Tagen erledigt werden wird – im Handel. Wenn der Handel die Verhandlungen jetzt abschließt, geht der Betrag auch schon darüber. Der niedrigste Handelsbezug liegt derzeit bei 1 293 € – der niedrigste


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Handelsbezug, für Lagerarbeiter zum Beispiel –, alle anderen liegen darüber. Aber wenn die Verhandlungen abgeschlossen sind, haben wir das, wie gesagt, auch erledigt. Der Betrag für angelernte Handelsangestellte liegt noch etwas darunter.

Was ich damit sagen möchte, ist, dass sich dieses System sehr bewährt hat.

Worum geht es denn wirklich, wenn wir von Working Poor reden? – In Wirklichkeit geht es nicht um die Vollzeiten, in Wirklichkeit geht es darum, dass wir eine sehr hohe Anzahl an Teilzeitbeschäftigungen haben. Wir können darüber reden, ob diese Teilzeit­beschäftigungen immer freiwillig sind. Zu 50 Prozent werden sie es sein, zu 50 Prozent werden sie es aber auch sein, weil in der betreffenden Branche nichts anderes mehr angeboten wird.

Ich möchte auch um Folgendes ersuchen: Wenn wir über Beschäftigtenzahlen reden, reden wir über die richtigen Zahlen! Es sind 214 000 Beschäftigungslose Ende Septem­ber gewesen, und wir sind weiterhin – darauf können wir auch stolz sein, auch wenn die 214 000 immer noch ein großes Problem sind – Europameister. (Abg. Dolinschek: Ich habe nichts anderes gesagt!) Wir versuchen mit diesen Schulungs­maßnahmen, wir bemühen uns darum, dass die Menschen – und wir haben bei den Schulungsmaßnahmen viel gelernt – ihre Zeit auch sinnvoll nutzen zur Qualifikation und zur Weiterbildung. Was uns alle hier in diesem Saal beschäftigen sollte, ist, dass 40 Prozent derer, die arbeitslos sind, als höchste Schulbildung nur Pflichtschulreife haben und sehr oft nicht einmal das. Das sollte uns allen zu denken geben. Weit weg von parteipolitischem Hickhack sollten wir uns überlegen, wie wir diese Menschen zukunftsfitter machen und ihnen Ausbildung zukommen lassen können. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Wozu ich Sie alle einlade, ist, in der Schule, aber vor allem bei den Familien mitzu­wirken, dass wir eine weitere Zukunftsvision umsetzen können, nämlich die Zukunfts­vision, dass jeder Jugendliche nach der Pflichtschule eine Ausbildung machen muss. Wir garantieren im Moment, dass er eine Ausbildung machen kann, und das tun auch sehr viele. Mit unserer Ausbildungsgarantie der Bundesregierung ist es uns auch geglückt, die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit von allen europäischen Ländern zu er­reichen und somit auch sicherzustellen, dass es Frustsituationen, wie sie zum Beispiel derzeit in Frankreich in einigen Städten auftreten, bei uns nicht in der Form geben wird. Wir geben den jungen Menschen eine Antwort, nämlich die Antwort: Hier ist der Weg in deine Ausbildung, hier ist der Weg für deine weitere Zukunft.

Arbeiten wir doch alle daran, dass es in Zukunft für uns klar sein muss: Pflichtschule absolvieren, und dann muss es eine Ausbildungsmöglichkeit geben, und zwar ganz egal, welche Ausbildung, eine AHS-Oberstufe, eine Berufsausbildung, völlig egal! Arbei­ten wir doch gemeinsam daran, dass junge Menschen nach dem 15., 16. Lebens­jahr in eine Ausbildung gehen, um ihnen für die Zukunft einen besseren Lebensweg zu ermöglichen!

Wissend, dass es da oder dort Änderungen geben wird, glaube ich, wir haben mit dem österreichischen Weg, den wir derzeit schon sehr oft exportieren, weil viele euro­päische Staaten sich unsere Ausbildungsgarantie zwischenzeitlich abschauen, schauen, wie sie was machen können, etwas erreicht. Wir können jungen Menschen sagen: Hier ist der Weg in deine Zukunft, in eine positive Berufsausbildung! Auch wenn es nicht gleich eine betriebliche ist, so gibt es doch den Umweg über die über­betrieblichen Ausbildungseinrichtungen.

Das wollte ich dazu sagen. Alles andere zu dieser Novelle ist schon gesagt worden, ich brauche das alles nicht zu wiederholen.


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Im Kinder- und Jugendbeschäftigungsbereich sind ein paar Dinge ein Fortschritt. Ich glaube, auch im Vertretungsrecht, worum es unter anderem geht, gibt es eine Weiter­entwicklung.

Ich kann nur ersuchen: Bleiben wir bei unserem österreichischen System, Löhne über Kollektivverträge festzulegen! – Danke schön. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

12.15


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Öllinger. – Bitte.

 


12.16.01

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gleich zu Beginn an Sie, Herr Präsident, eine Bitte: Könnten Sie vielleicht für jene Abgeordneten hier, die Hörschwierigkeiten haben, noch einmal klarstellen, dass der Antrag, der hier verhandelt wird, der Antrag der Abgeordneten Schatz, Öllinger betreffend den Mindestlohn, nicht einen gesetzlichen Mindestlohn behandelt! Möglicherweise hat das die Frau Präsidentin tatsächlich so vorgelesen, mit „gesetzlich“ im Titel, aber der Antrag selbst handelt nicht von einem gesetzlichen Mindestlohn, sondern von der Einführung eines Mindestlohnes in Zusammenarbeit zwischen Bun­des­regierung und Sozialpartnern. – Das ist das eine, und ich würde Sie bitten, Herr Präsident, dass Sie das klarstellen.

Das andere ist jetzt die Argumentation des Herrn Bundesministers, mit dem ich ja immer wieder viele Einschätzungen teile. Der Herr Bundesminister sagt: Wir brauchen keinen Mindestlohn, schon gar nicht einen gesetzlichen Mindestlohn. Erstens haben wir das alles ohnehin bald, und zweitens, die Politik soll die Finger von der Einführung von Mindestlöhnen lassen! – Das möchte ich in wenigen Punkten argumentieren, um es klarzustellen.

Als in Großbritannien vor wenigen Jahren ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt wurde, hatte das folgenden Effekt: Die großen Firmen, aber auch kleine, waren sehr darum bemüht, entgegen dem, was die Erwartung war, nicht nur den gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen, sondern mindestens 10 Prozent darüber, weil es für keine Firma ein Renommee war, nur den Mindestlohn zu zahlen. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes in Großbritannien hatte einen positiven Effekt auf die Löhne und Einkommen von Frauen in erster Linie. Daher verwundert es mich im Besonderen, liebe Frau Kollegin Csörgits, dass weder zum gesetzlichen Mindestlohn noch zum Mindestlohn auch nur ein Ton von der Sozialdemokratie zu vernehmen war. (Abg. Dr. Oberhauser: Wir haben ja noch zwei Redner, mach dir keine Sorgen!)

Nichts, kein Wort darüber, ob man für einen Mindestlohn in der Höhe von 1 300 € ist, für einen gesetzlichen Mindestlohn oder für einen Kollektivvertrag. Egal wofür, aber sagt etwas dazu, ob ihr es haben wollt oder nicht! Kein Ton kam dazu. (Abg. Dr. Oberhauser: Die Debatte ist noch nicht geschlossen! Wir haben noch zwei Redner!)

Das zweite Argument lieferte Kollege Hofer, und das ist schon erstaunlich, Herr Kollege Hofer! Bis jetzt ist mir schon klar gewesen, dass die FPÖ gegen die Mindestsicherung war, sie war ihr zu hoch, aber sie war für einen Mindestlohn. Heute haben Sie gesagt, Sie sind gegen eine Mindestsicherung in dieser Form, sie ist Ihnen zu hoch, aber die Mindestlöhne sind Ihnen offensichtlich auch zu hoch. (Abg. Ing. Hofer: Zu niedrig!)

Zu hoch sind Sie Ihnen! Sie argumentieren mit dem Beispiel aus Ungarn. Lassen Sie mich zu dem Beispiel, das Sie gebracht haben, von den Hunderttausenden zahn­technischen Assistenten, die nach Österreich kommen, die um 350 € in Ungarn beschäftigt werden, sagen: Das spricht ja alles für den gesetzlichen Mindestlohn.


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Wenn es denn so ist, dass die ungarischen ZahnarztassistentInnen in Sopron nichts anderes im Kopf haben, als nach Österreich zu kommen, um hier beschäftigt zu werden, dann bitte nicht um 350 € oder um 500 €, sondern um einen Mindestlohn in der Höhe von 1 300 € brutto.

Ich sage Ihnen noch etwas, Herr Abgeordneter Hofer: Wenn wir 1 300 € brutto Min­destlohn haben, dann sind das 14 000 € netto im Jahr. Und wissen Sie, wie viel ein Mindestsicherungsbezieher brutto erhält bei zwölfmal 750 €? – 9 000 €. Der Unter­schied beträgt 5 000 €, das sind mehr als 50 Prozent.

Also, wenn Sie schon etwas zu diesem Thema sagen, Herr Hofer, dann sollten Sie etwas mehr Ahnung haben, statt prinzipiell gegen den Mindestlohn und gegen die Mindest­sicherung Stellung zu nehmen. (Beifall bei den Grünen.)

12.20


Präsident Fritz Neugebauer: Herr Abgeordneter, ich komme Ihrem Wunsch gerne nach und darf wiederholen, dass sich Ihr Entschließungsantrag auf den Mindestlohn von 7,50 € brutto pro Arbeitsstunde bezieht.

Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Königsberger-Ludwig. – Bitte, Frau Kollegin.

 


12.20.40

Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ): Herr Präsident! Geschätzter Herr Minister! Geschätzte Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen im Hohen Haus! Herr Kollege Hofer, ein paar Gedanken zum Thema Mindestsicherung, das Sie angesprochen haben. Sie wissen genauso gut wie wir alle, dass die Mindestsicherung ja für die betroffenen Menschen, für die Bezieherinnen und Bezieher dieser Leistung keine Dauerlösung sein soll. Es soll eine Lösung sein für Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, in Not geraten sind. Wir wollen sie mit dieser Leistung wieder ins Erwerbsleben zurückholen, wir möchten ihnen mit der Mindestsicherung aus ihrer Not heraushelfen.

Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass nur sehr wenige Menschen tatsächlich gerne und lange eine Geldleistung entgegennehmen, ohne dafür eine Leistung zu erbringen. Ich glaube das nicht – Sie unterstellen den Menschen immer Missbrauch, Sie unterstellen den Menschen immer, dass sie das System ausnutzen. Leider schüren Sie damit meiner Ansicht nach immer auch Neid.

Wir stehen für eine Politik, die die Risken der Menschen absichert, und dazu gehört auch die bedarfsorientierte Mindestsicherung. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Dr. Rosen­kranz: Das stimmt ja nicht!) – Das stimmt ganz sicher, Herr Kollege Rosenkranz!

Es ist ja auch nicht so, dass man mit dieser Geldleistung ein besonders gutes, wunderschönes Leben führen kann. Ich bin überzeugt davon, dass in Zukunft viele Menschen gerne die Angebote auch des AMS annehmen werden.

Natürlich – da sind wir auch Ihrer Meinung, Herr Kollege Hofer – sind wir auch dafür, dass Menschen mit ihrem Einkommen ein Auskommen finden müssen. Herr Kollege Öllinger, natürlich ist die Sozialdemokratie auch für einen Mindestlohn von 1 300 €, nur gehen wir einen anderen Weg dorthin. Sie wissen genauso gut wie wir, dass in Österreich die Löhne im Rahmen von Kollektivvertragsverhandlungen festgelegt werden und dass eine Änderung hin zu einem gesetzlichen Mindestlohn eine völlige Systemumstellung bedeuten würde.

Eine Systemumstellung ist natürlich nicht prinzipiell und immer negativ zu beurteilen, aber ich frage Sie schon: Warum soll man einen Weg, der jahrzehntelang erfolgreich gewesen ist, für ein System verlassen, von dem man nicht weiß, wohin es führt?


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Politisch, gesetzlich festgelegter Mindestlohn ist immer auch von den politischen Macht­verhältnissen abhängig, und der Ball ist dann nicht mehr bei den Akteurinnen und Akteuren, die tagtäglich mit den Problemen in den Betrieben beschäftigt sind. Wir haben das System der Kollektivvertragspartner, wo DienstgeberInnen und Dienstneh­merInnen verhandeln, die ja auch die Branchenverhältnisse gut kennen, und bei diesen Verhandlungen werden auch die wirtschaftlichen und die sozialen Verhältnisse berücksichtigt.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, dieser Weg hat in den letzten Jahrzehnten für Stabilität in unserem Land gesorgt. Ich erinnere nur daran, wie wenig Streiktage wir in Österreich aufgrund der guten sozialpartnerschaftlichen Zusammenarbeit in unserem Land haben. All das sollte man bei der Diskussion um einen gesetzlichen Mindestlohn nicht außer Acht lassen.

Sie wissen auch – das ist heute schon angesprochen worden, auch der Herr Minister hat es erwähnt –, dass 99 Prozent aller Lohnsegmente, die kollektivvertragspartnerlich geregelt sind, bereits einen Mindestlohn von 1 000 € haben und dass momentan intensiv an einem Mindestlohn von1 300 € gearbeitet wird. Heute, das wissen Sie auch alle, ist eine sehr, sehr wichtige Lohnverhandlungsrunde: Heute verhandeln die Metaller. Ich möchte auch von dieser Stelle aus allen viel Erfolg wünschen, dass sich die Forderungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gut umsetzen lassen. Ich bin davon überzeugt, dass die beste Sozialpolitik eine gute Lohnpolitik ist – und diese ist bei den Sozialpartnern in guten Händen. (Beifall bei der SPÖ.)

12.25

 


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Haubner. – Bitte.

 


12.25.00

Abgeordnete Ursula Haubner (BZÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Hohes Haus! Die Diskussion zeigt, dass die wahren Probleme seitens der Opposition auf den Tisch gelegt werden – und nicht seitens der Regierung. Wir haben zwar eine Regierungsvorlage, in der es um Adaptierungen geht, die hoch gelobt werden, die auch notwendig sind, keine Frage, aber die wahren Probleme liegen woanders. Daher, denke ich, ist das wieder ein typisches Beispiel dafür, dass Anträge der Opposition – sei es jetzt betreffend Mindestlohn, Weiterentwicklung der Abfer­tigung-Neu – entweder im Ausschuss schon abgewürgt und vertagt werden oder, wenn sie hier ins Plenum kommen, letztendlich abgelehnt werden.

Herr Bundesminister, Sie haben, so wie im Ausschuss, gesagt, dass das Problem für die Menschen nicht der Mindestlohn ist, sondern die Teilzeitbeschäftigung; darin gebe ich Ihnen teilweise recht. Das mag schon so sein. Aber wenn man Zuschriften bekommt, wie ich eine von einem Mann bekommen habe, der sich bei einem Job­angebot beworben hat, das in einer Tageszeitung gewesen ist, wo engagierte, umwelt­bewusste Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für die Problemstoffsammlung in Wien gesucht werden – Arbeitszeit: Montag bis Freitag jeweils von 10 Uhr bis 18 Uhr, chemische Kenntnisse von Vorteil, Bezahlung: 6,08 € je Stunde und 49,50 € Fahrt­kosten im Monat; das ergibt umgerechnet insgesamt in etwa 800 € netto –, muss man sagen, dieser Mann fragt sich zu Recht: Wie soll ich davon leben mit Miete, Strom, Gas und Heizung? – Trotz fleißigen Arbeitens ein Leben in Armut!

Das sind die Probleme, um die man sich annehmen muss und die man nicht schön­reden kann, wo man nicht ständig sagen kann, es sei ohnehin alles in Ordnung. (Beifall beim BZÖ.)

Daher ist die Forderung nach einem Mindestlohn in der Höhe von 1 300 € absolut be­rech­tigt, vor allem auch angesichts dessen, dass die Differenz zwischen Mindestsiche­


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rung und derzeitigem Mindestlohn einfach zu gering ist. Und die Menschen fragen sich zu Recht: Lohnt es sich überhaupt, arbeiten zu gehen um diesen Lohn? Hier erwarte ich mir von der Regierung wirklich nicht Schönreden, sondern Änderungen.

Das Thema Jugendbeschäftigung ist von Kollegin Csörgits angesprochen worden, und sie hat besonders hervorgehoben – auch ein Erfolg –, dass das Wahlalter für die Betriebsratswahl gesenkt wird. (Zwischenruf.) Das ist für mich ein Nebenschauplatz. Ich denke, die Jugendbeschäftigung ist etwas, was uns alle besonders interessieren muss, und ich vermisse diesbezüglich jegliche Innovation bei dieser Regierung. Es wird immer schön geredet, dass ohnehin alle einen Lehrplatz hätten, und dieses und jenes sei gemacht worden.

Herr Minister, Sie haben jetzt gesagt, jeder junge Mensch hat ein Recht auf Qualifi­kation, auf Weiterbildung. Das kann ich alles unterstreichen, aber dann frage ich mich: Warum sind Sie so wenig innovativ, wenn es darum geht, neue Lehrberufe zu schaf­fen, neue Lehrberufe, in denen junge Menschen wieder Chancen haben?

Ich erinnere zum Beispiel an unseren gestrigen Antrag für den Lehrberuf Rezeptionist im Tourismus, wo 300 Arbeitsplätze geschaffen werden können, oder an den Lehrberuf Pflege und Betreuung, etwas, was wir schon monatelang einfordern. Ich freue mich, dass jetzt die ÖVP Oberösterreich in ihrer Zeitung schreibt, dass der Pflegeberuf eine Chance für die Jugend wäre. Vielleicht wird dem doch einmal zugestimmt, denn das, denke ich, wäre ein Zukunftsmarkt, auf den man sich konzentrieren sollte. (Beifall beim BZÖ.)

Generell habe ich den Eindruck – und ich komme schon zum Schluss –, dass der Sozialbereich eine große Baustelle ist, und das nicht nur, was Lehrberufe und Jugendbeschäftigung anlangt, sondern eine Baustelle sind vor allem auch die Bereiche Pflege und Pensionen. Seit Monaten warten wir auf ein Konzept – Sie haben gesagt, die Länder müssen die Prognosen und die Kosten erst liefern –, wie die Invaliditäts­pension reformiert werden kann. Seit Monaten werden die Bürger verunsichert, ob das Pflegegeld gekürzt wird oder die Zugangsbeschränkungen verschärft werden, ein Pfle­ge­geld, von dem man die zusätzlichen Mehrleistungen ohnehin kaum mehr bezahlen kann. Seit Monaten – das sage ich auch hier einmal – wird die Hacklerregelung als Privileg dargestellt, das das Pensionssystem zum Scheitern bringt. Ich verwahre mich dagegen! Jemand der 45 Jahre arbeitet, jemand der 45 Jahre eingezahlt hat, hat ein Recht, in Pension zu gehen! (Beifall beim BZÖ.)

Die Privilegien sind ganz woanders: Die Privilegien sind bei der ÖBB-Pension, bei der Nationalbankpension, die Privilegien sind bei den Politikerpensionen. Und ich erwarte mir, dass da etwas getan wird. (Beifall beim BZÖ.)

12.29


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Tamandl. – Bitte.

 


12.29.49

Abgeordnete Gabriele Tamandl (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Haubner, wenn jemand wenigstens 45 Jahre eingezahlt hätte und wenn jemand 45 Jahre lang gearbeitet hätte – dazu bekennen wir uns ja, weil uns das ja auch wichtig ist –, dann wird darüber nicht diskutiert.

Ich als Arbeitnehmervertreterin bin schon der Meinung, dass wir zuerst einmal schauen sollten: Wo sind die Privilegien?, um diese abzuschaffen (Beifall bei der ÖVP sowie demonstrativer Beifall und Bravorufe beim BZÖ), aber eines, Frau Kollegin Haubner, möchte ich Ihnen schon sagen: Sie wissen ganz genau, dass wir im September 2008 hier herinnen die Hacklerregelung verwässert haben, alle miteinander, wahrscheinlich,


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um uns gegenseitig zu übertrumpfen, und genau das hat uns in Wirklichkeit jetzt diese Diskussion eingebracht. Und so etwas sollten wir auch nicht mehr machen! (Beifall bei der ÖVP.)

Zum Thema Mindestlohn – da bin ich vollkommen bei Frau Kollegin Königsberger-Ludwig –: Wir haben eine funktionierende und gute Sozialpartnerschaft. Dazu beken­nen wir uns auch, aber wir müssen natürlich auch überall dort, wo es in unserem Ver­ant­wortungsbereich liegt, darauf dringen, dass dort, wo es noch keine Kollektivverträge gibt, solche zustande kommen. Die Bediensteten im Bereich der Kinderbetreuung etwa kommen immer wieder zu uns und sagen: Es ist ein Wahnsinn!, und sie fühlen sich ungerecht behandelt. Herr Kollege Karlsböck – ich sehe ihn momentan nicht – ist für mich der „klassische“ Vertreter des „kleinen“ Mannes: Er selbst fährt mit einem Maserati vor das Parlament, aber in seinem Bereich, bei den Zahnärzten, gibt es immer noch nicht 1 000 € im Kollektivvertrag.

Da müssen wir ansetzen! Wir brauchen uns hier nicht über andere Regelungen, gesetzliche oder sonst irgendwelche, den Kopf zu zerbrechen, sondern wir müssen sehr wohl auch in unseren Bereichen Stellung beziehen und uns dazu bekennen, dass wir einen Mindestlohn wollen. (Beifall bei der ÖVP.)

Erinnern Sie sich, wie lang und breit wir die Mindestsicherung diskutiert haben, warum nur 12 Mal und nicht 14 Mal, dazu Folgendes: Solange es Menschen gibt, die nicht einmal 1 000 € verdienen, können wir nicht 14 Mal 744 € auszahlen an jemanden, der dafür keine Leistung erbringt! Der Staat und wir alle als Steuerzahler erbringen diese Leistung für diese Menschen – das ist auch okay, wenn diese Menschen Hilfe von uns brauchen, aber es darf nicht so sein, dass die Schere so eng ist zwischen denen, die 40 Stunden oder 38,5 Stunden arbeiten, und jenen, die nicht arbeiten gehen. Dazu bekennen wir uns.

Natürlich gibt es auch Menschen, die nicht wirklich freiwillig Teilzeit arbeiten. Da gebe ich dem Herrn Bundesminister recht. Teilzeitarbeit ist eine gute Chance auch für Frauen, im Berufsleben zu bleiben, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewähr­leisten, aber natürlich darf es keine Zwangsverpflichtung zu einer Teilzeitbeschäftigung sein, wo man etwa im Handel nur mehr Verträge für 30 Stunden bekommt und damit natürlich ein Gehalt hat, mit dem man wirklich nicht mehr leben kann.

Lassen Sie mich zum Schluss noch zur Gesetzesvorlage, was die land- und forstwirt­schaftlichen Betriebe und die Senkung des aktiven Wahlalters auf 16 bei den Betriebs­ratswahlen betrifft, ein paar Sätze sagen. Ich bin der Meinung, dass die Arbeiterkam­mer gefordert ist, da auch mitzuziehen, denn es kann nicht sein, dass wir uns da verstecken und sagen: Es gibt ja einen Jugendvertrauensrat, und wir brauchen die Lehrlinge nicht mit 16 den Betriebsrat mitbestimmen zu lassen. – Ich bin der Meinung, wir sollten das ausweiten. Es ist gerecht, wenn ein 16-jähriger Arbeitnehmer den Bun­des­präsidenten, die Abgeordneten zum Nationalrat, die Landtagsabgeordneten und den eigenen Bürgermeister mitbestimmen kann, und es kann nicht sein, dass der 16-jährige Lehrling seinen eigenen Betriebsrat nicht mitbestimmen darf – das hat Kollege Tumpel gefordert –, beispielsweise auch bei der Arbeiterkammerwahl, wo die Lehrlinge nicht automatisch wahlberechtigt sind, sondern sich mühselig in ein Wählerverzeichnis eintragen müssen. Auch das ist Diskriminierung, und da müssen wir etwas tun. (Beifall bei der ÖVP.)

12.34


Präsident Fritz Neugebauer: Der zuvor von Herrn Abgeordnetem Ing. Hofer referierte Entschließungsantrag liegt nunmehr auch schriftlich vor, und ich stelle fest, dass er mit in Verhandlung steht.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:


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Entschließungsantrag

der Abgeordneten Ing. Hofer, Themessl, Kolleginnen und Kollegen betreffend die Entwicklung der österreichischen Löhne in Folge der Ostöffnung des österreichischen Arbeitsmarktes 2011

eingebracht im Zuge der Debatte über den Tagesordnungspunkt 2, Antrag 815/A(E), Mag. Birgit Schatz betreffend Schaffung eines gesetzlichen Mindestlohns (898 d.B.) in der 81. Sitzung des Nationalrates, XXIV. GP, am 21. Oktober 2010.

Um einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit entgegen zu wirken, ist die Verhinderung der Ostöffnung des österreichischen Arbeitsmarktes Anfang Mai 2011 von zentraler Bedeutung.

Alle namhaften Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass das Wirtschaftswachstum in Österreich in den kommenden drei Jahren nicht ausreichend sein wird, um eine Erholung des Arbeitsmarktes zu ermöglichen. Die Lage am Arbeitsmarkt wird also angespannt bleiben, hunderttausende Menschen in Österreich bleiben ohne Job und laufen so Gefahr, in Armut abzurutschen.

Arbeitnehmervertreter warnen daher zu Recht vor den Folgen der mit Mai 2011 ohne Rücksicht auf geänderte Rahmenbedingungen geplanten Öffnung des Arbeitsmarktes in Richtung jener Staaten, die 2004 der Europäischen Union beigetreten sind.

Mit 1.5.2004 wurden Ungarn, die Tschechische Republik, die Slowakei und Polen in die EU aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt lag das Lohnniveau dieser Staaten bei 15-20 % des österreichischen, bzw. bei 30-36%, wenn man das unterschiedliche Preisniveau in diesen Ländern und in Österreich berücksichtigt. Aus diesem Grunde wurde in den Beitrittsverträgen eine Übergangsfrist von 7 Jahren für die Öffnung des österreichischen Arbeitsmarktes für die Bürger dieser Staaten vereinbart - in der Hoffnung, dass in dieser Zeit eine weitgehende Annäherung der Lohnniveaus eintreten würde.

Es ist offenkundig, dass eine ausreichende Annäherung des Lohnniveaus dieser Staa­ten an das österreichische Niveau nicht erfolgt ist. Eine Betrachtung der Entwicklung für den Zeitraum 2004 - 2008, für den die erforderlichen Daten vorliegen, zeigt, dass der Anstieg des Lohnniveaus in den genannten Staaten sehr viel langsamer erfolgt ist als beim Beitritt angenommen. Bis 2008 ist das Lohnniveau lediglich auf 22-28 % des österreichischen gestiegen bzw. unter Berücksichtigung der verschiedenen Preisniveaus auf 37-43%.

Unter diesen Umständen ist mit einer ernsten Störung des österreichischen Arbeits­marktes insbesondere durch Tagespendler aus den drei Nachbarstaaten Ungarn, Tschechische Republik und Slowakei ab 1. Mai 2011 zu rechnen.

In den angeführten Nachbarstaaten bleibt zudem die Arbeitslosigkeit höher als in Österreich und für Pendler, deren Lebensmittelpunkt in ihren Heimatländern liegt, spielen die höheren Lebenshaltungskosten in Österreich keine Rolle.

Unter diesen Umständen muss mit einem starken Zustrom von Arbeitskräften, insbe­sondere von Tagespendlern, aus den Nachbarstaaten gerechnet werden, mit den Fol­gen eines Verdrängungswettbewerbs und eines weiteren und erheblichen Anstiegs der Arbeitslosigkeit in Österreich. Diese Tagespendler kommen zudem in den vollen Genuss der österreichischen Familienleistungen wie Kinderbetreuungsgeld und Familien­beihilfe.  Wenn man berücksichtigt, dass beispielsweise eine zahnärztliche As­sis­tentin im grenznahen Ödenburg gerade einmal 350 Euro monatlich verdient und gleichzeitig die Ehefrau eines Tagespendlers aus Ödenburg, der im wenige Kilometer entfernten Eisenstadt einer Beschäftigung nachgeht, bei zwei Kleinkindern rund


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400 Euro an Familienleistungen aus Österreich erhält, ergibt sich eine deutliche Schief­lage, die nicht zu rechtfertigen ist.

Bei dieser Situation scheint es dringend notwendig, möglichst umgehend die EU auf die besondere Situation Österreichs infolge seiner Randlage hinzuweisen und alles zu tun, um eine Verlängerung der Übergangsfrist aufgrund der Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise zu erreichen. Österreich ist als Nettozahler durchaus in der Lage, schlüssige Argumente vorzuweisen.

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigenden Abgeordneten folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird dringend aufgefordert, auf europäischer Ebene in Verhand­lungen einzutreten, um eine Verlängerung der Übergangsfristen zu bewirken und damit die Möglichkeit zu schaffen, den Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt im Sinne der hohen Arbeitslosigkeit im Land individuell zu regeln.“

*****

 


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Kitzmüller. – Bitte.

 


12.34.40

Abgeordnete Anneliese Kitzmüller (FPÖ): Herr Präsident! Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren hier auf der Zuschauergalerie und zu Hause vor dem Bildschirm! Wir werden der gegenständlichen Regierungsvorlage zustimmen, da sie einen ersten Schritt in die richtige Richtung darstellt, aber hier auch gleich meine Frage: Wann werden endlich die richtigen Probleme angegangen?

Das betrifft natürlich nicht nur Sie, Herr Minister, sondern die ganze Regierung, die da noch sehr viel zu tun hat und offensichtlich im Augenblick nichts anderes tut, als Arbeitsverweigerung zu betreiben.

Laut Statistik Austria lebten im Jahr 2007 eine Million Österreicher an der Armuts­grenze; das sind 12 Prozent der Bevölkerung. In Wien waren es 17 Prozent, in Ober­österreich 8 Prozent.

Bei Kindern und Jugendlichen ist das Armutsrisiko noch viel höher. 15 Prozent oder 260 000 Kinder sind armutsgefährdet, aber offensichtlich ist diese Armut der Kinder den Österreichern, der österreichischen Regierung nichts wert. Es gibt hierzulande kaum Statistiken, die seriös sind und etwas aussagen über die Armut von Heran­wachsenden.

Kinder sind unsere Zukunft, meine Damen und Herren, in die Kinder müssen wir investieren, Kinder gehören gefördert und unterstützt! (Beifall bei der FPÖ.)

Wie wenig Armut auch hier zum Nachdenken bewegt, zeigt auch – ich muss noch einmal darauf zurückkommen – der Familienbericht, in dem das Kapitel komplett ausgelassen wurde. Ich sage, es wurde bewusst ausgelassen, auch wenn der Herr Minister in der Fragestunde das verneint und bestritten hat, aber es erweckt den Eindruck, dass es so war.

Das Augenmerk der Politik, meine Damen und Herren, muss darauf gerichtet sein, die Schwächen unseres Sozialstaates zu korrigieren und die Stärken zu optimieren. Es geht darum, die sozialen Risken zu minimieren und die großen sozialen Heraus­forderungen wie Beschäftigung, Pflege, Bildung, Familie und vieles mehr endlich


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anzugehen. Wir müssen unseren Familien bessere Rahmenbedingungen geben. Wir Freiheitliche werden es nicht unterstützen und nicht dulden, dass Rot und Schwarz bei den Familien den Sparstift ansetzen! (Beifall bei der FPÖ.)

Wir bieten Ihnen auch die Lösung zu diesem Problem, meine Damen und Herren: Denken Sie an unser Familiensteuersplittingsystem! Mit diesem Familiensteuersplit­tingsystem werden Familien gerecht besteuert, es wird das erwirtschaftete Einkommen großteils in den Familien belassen, und dieses Modell stellt auch einen gewissen Anreiz für eine Familiengründung dar. Vor allem betrifft es unseren Mittelstand, der ja das Um und Auf unserer Gesellschaft ist.

Haben Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, endlich den Mut, in unsere Zukunft, in unsere Kinder und unsere Familien zu investieren! Vielleicht kommt bei Ihnen ja noch die Einsicht.

Abschließend kann ich nur sagen, u. U. wird es besser. Ich meine hier aber nicht UU, meinen Bezirk Urfahr-Umgebung, sondern unter Umständen wird es besser. (Beifall bei der FPÖ.)

12.37


Präsident Fritz Neugebauer: Bevor ich die letzte Rednerrunde der Fraktionen dazu aufrufe: Wir sind gut in der Zeit, und ich schlage den Fraktionsverantwortlichen vor, statt der vorgesehenen 3 Minuten 4 Minuten pro Redner zuzulassen. – Kein Einwand.

Zu Wort gelangt nun Frau Abgeordnete Mag. Schwentner. 4 Minuten. – Bitte.

 


12.38.24

Abgeordnete Mag. Judith Schwentner (Grüne): Herr Präsident. Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich würde gern ad hoc auf etwas reagieren, was Sie vorhin gesagt haben: dass sich in all jenen Ländern, in denen der gesetzliche Mindestlohn eingeführt wurde, nichts verändert hat. – Das stimmt nicht, Herr Minister!

Es ist zum Beispiel in Großbritannien durch die Einführung des gesetzlichen Mindest­lohns sehr wohl zu einer Schließung der Einkommensschere zwischen Männern und Frauen gekommen. Das heißt, der gesetzliche Mindestlohn hat sehr viel gebracht. (Beifall bei den Grünen.)

Am 29. September war es wieder einmal so weit. Am 29. September war der Stichtag dafür, der zeigt, wie viel unbezahlte Arbeit Frauen in Österreich leisten, der Equal Pay Day, jener Tag, an dem aufgezeigt wird, ab wann die Frauen umgerechnet gratis arbeiten in Österreich.

Es ist auch immer, Jahr für Jahr, der Tag, wo wir von allen Seiten, von der Gewerk­schaft, von SPÖ und ÖVP, von Politikerinnen und Politikern, Bekenntnisse, Appelle, schockierte Ausrufe per Presseaussendungen wahrnehmen: Ja, es muss etwas geschehen, es muss sich etwas ändern, so kann das nicht weitergehen! Es ist unge­recht, die Einkommensschere muss sich schließen!

Wir besprechen heute am Nachmittag auch den Frauenbericht, der auch nichts ande­res beweist, als dass es große Ungerechtigkeit zwischen Männern und Frauen in Bezug auf die Einkommenssituation gibt.

Gebetsmühlenartig, ja mantraartig wird gleich hohes Einkommen beschworen, es geschieht aber nichts. Und es ist auch offensichtlich kein Verlass auf die Sozialpartner, die da immer wieder beschworen werden, auf die Verhandlungen der Sozialpartner und Sozialpartnerinnen – von Letzeren gibt es offensichtlich zu wenige in diesen Verhandlungen –, denn es ändert sich nichts. Das heißt, es gibt einen sehr guten Grund, den gesetzlichen Mindestlohn ganz dringend einzuführen. (Beifall bei den Grünen.)


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Es ist ja nicht so, dass das nur zeigt, wie groß die Versäumnisse in der Politik, was die Einkommensverhältnisse anlangt, sind. Es geht auch nicht nur um das Auseinan­derdriften der Einkommensschere, es geht auch, wie schon mehrmals erwähnt, um Armut. Es geht um immer mehr Frauen und Männer, die in Österreich unter der Armutsgrenze sind, obwohl sie arbeiten – bei Vollbeschäftigung! Das sind Menschen, die als „Working Poor“ bezeichnet werden. Es sind umgerechnet 130 000 Menschen in Österreich, die mittlerweile bei Vollzeitarbeit arm sind. Von diesen sind rund 70 Prozent, vielleicht sogar mehr, Frauen. Das ist eine Gruppe, wo man sehr genau hinschauen muss und wo ganz dringend Handlungsbedarf besteht. (Beifall bei den Grünen.)

Sie haben es erwähnt, Herr Minister: Teilzeitarbeit. – Ja, Teilzeitarbeit ist ein Problem, vor allem ein Problem für Frauen. Nur: Wie kommt es dazu? Da geht es auch um die Verhandlungen der Sozialpartner, dass im gleichen Job bei Männern und Frauen, wenn die Männer in Vollzeit sind und die Frauen in Teilzeit, sogar beim Stundenlohn die Schere auseinandergeht. Da geht etwas nicht mit rechten Dingen zu, da sollte man dringend hinschauen. (Beifall bei den Grünen.)

Die Teilzeitarbeit muss aufgewertet werden. Es steht auch im Regierungs­überein­kommen, dass man dringend schauen muss, inwieweit man qualifizierte Teilzeitarbeit schaffen kann, Jobs, in denen es qualifizierte Teilzeitarbeit gibt. Das ist ein Bereich, der völlig brachliegt und wo in den letzten beiden Jahren leider nichts geschehen ist.

Ich plädiere dringend dafür, für diesen Antrag zu stimmen. Er ist noch dazu sehr harmlos und bittet nur darum, dass die notwendigen Schritte gesetzt werden. Ich glaube, gegen diese notwendigen Schritte kann niemand sein. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

12.42


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Dr. Oberhauser. – Bitte.

 


12.42.35

Abgeordnete Dr. Sabine Oberhauser, MAS (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bun­desminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe KollegInnen von den Grünen, Ihr Antrag betreffend gesetzlichen Mindestlohn, was so nicht mehr drinnen steht, was aber von Ihrer Kollegin Schatz in der Argumentation sehr wohl als gesetzlicher Mindestlohn immer wieder argumentiert wurde, kann in dieser Form von uns nicht unterstützt werden.

Jetzt vielleicht auch für die ZuseherInnen, nach dem Motto (Abg. Dr. Moser: Sagen Sie uns ...!) – kommt schon! –, nach dem Motto: Geld ist Geld, Wurst ist Wurst, ob das gesetzlich ist oder ob das kollektivvertragsmäßig geregelt ist, ein Versuch der Erklärung: So, wie das hier abgefasst ist, heißt das, dass die Regierung mit den Sozialpartnern Schritte setzen soll. Jetzt wissen wir, dass wir in Österreich eine 60-jährige Tradition haben, um die uns ganz Europa beneidet, nämlich die Sozialpart­nerschaft, wo viele Dinge – neben dem Entgelt in Kollektivverträgen auch noch andere Dinge, wie Urlaubsansprüche, sonstige Benefits, Arbeitszeitregelungen – einfach gere­gelt werden. Das ist ja nicht nur der 7,50 € Bruttolohn, sondern das sind sehr viele Dinge, die dazugehören.

Wir wissen, dass die Metaller und die Handelsangestellten jetzt gerade beginnen, den Kollektivvertrag zu verhandeln, wir wissen, dass die Frage der Arbeitszeit ein sehr großes Thema ist, und wir würden mit der alleinigen Festlegung per Gesetz – ich möchte nicht wissen, wer das Gesetz bei wechselnden Regierungen beschließt und wie dann die Löhne ausschauen – alle anderen Dinge aus diesen Verträgen heraus­


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nehmen. Also, wir würden die Sozialpartner in sehr vielen Dingen beschneiden. (Abg. Dolinschek: Das ist nicht wahr! Das eine schließt das andere nicht aus!)

Ein weiterer Grund, warum wir diesem Antrag in dieser Form nicht zustimmen werden: Sie schreiben, dass das im nächsten halben Jahr wirksam werden muss. Jetzt habe ich gerade gesagt und Sie haben es auch gesagt: Es laufen zurzeit die Kollektivver­tragsverhandlungen im Metallbereich. Es beginnen heute die Beamtinnen und Beam­ten und die Verhandlungen laufen im Handel.

Was hieße das jetzt, wenn wir hier etwas beschließen? – Das hieße, wir müssten sofort die Verhandlungen stoppen (Abg. Öllinger: Nein!), weil wir im Prinzip nicht wissen, wenn die darunter abschließen, ob das dann gilt oder nicht. (Zwischenrufe der Abgeordneten Dolinschek und Mag. Schatz.)

Mein Plädoyer ist: Lassen wir die Sozialpartner in Österreich arbeiten! Die Sozialpart­ner haben in ganz, ganz vielen Dingen bewiesen, dass sie es können: 99 Prozent Kollektivvertragsabdeckung, gestern und letzte Woche der Vorschlag zur Rot-weiß-rot-Card und zum Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz – etwas, was mit der Öffnung der Grenzen im Jahr 2011 auf uns zukommen wird. Das sind ganz viele Schritte, die in wirklich guter Sozialpartnermanier in Österreich nicht nur besprochen, sondern auch gemacht werden. Verstehen Sie uns, dass wir in diesem Falle nicht für den gesetzlichen Mindestlohn sind (Abg. Petzner: Das ist eine Bankrotterklärung! – Abg. Ursula Haubner – ein Schriftstück in die Höhe haltend –: Frau Oberhauser, ...!), weil wir wirklich darauf vertrauen, was funktioniert, nämlich auf eine stabile Sozialpart­nerschaft, die unabhängig davon ist, wie eine Bundesregierung zusammengesetzt ist. Wir glauben fest, dass diese Sachen damit in den besten Händen sind. (Beifall bei der SPÖ.)

12.45


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Schenk. – Bitte.

 


12.45.48

Abgeordnete Martina Schenk (BZÖ): Herr Präsident! Herr Minister! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Kollegin Oberhauser, Ihr Erklärungsversuch in Ihrer Rede ist kläglich gescheitert. (Abg. Königsberger-Ludwig: Dann haben Sie es nicht verstanden!) Vielleicht kann einer Ihrer Fraktionskollegen oder ein Nachredner noch einmal versuchen, zu erklären, warum Sie hier nicht zustimmen wollen. (Beifall bei BZÖ und Grünen.)

1 300 € brutto, echte 1 000 € netto Mindestlohn, das ist eine Kernforderung des BZÖ, eine Kernforderung, die wir seit langer Zeit aufstellen. Deshalb haben wir auch im Ausschuss dem vorliegenden Antrag der Grünen zugestimmt, der zumindest den Zahlen nach auch unseren Anliegen entspricht.

Das Abstimmungsverhalten der SPÖ muss ich hier aber noch einmal explizit ansprechen, denn das ist schon interessant, wenn man sich vor Augen hält, dass noch vor der steirischen Landtagswahl Landeshauptmann Voves den Mindestlohn gefordert hat (Abg. Dr. Oberhauser: Keinen gesetzlichen!) und Ministerin Heinisch-Hosek den Mindestlohn gefordert hat. (Rufe bei der SPÖ: Keinen gesetzlichen!) Repräsentanten Ihrer Partei haben öffentlich den Mindestlohn gefordert: 1 300 € brutto, echte 1 000 € netto. Sie haben dagegen gestimmt! (Beifall bei BZÖ und Grünen.)

Die Problematik ist ja bekannt, meine sehr geehrten Damen und Herren. Bei den Niedrigverdienern sind Frauen deutlich überrepräsentiert. Frauen sind nämlich genau in den Branchen beschäftigt, in denen traditionell wenig bezahlt wird. Deshalb würden genau diese Frauen von der Anhebung des Mindestlohns profitieren. Liebe Vertre­terinnen von der SPÖ, liebe Vertreterinnen von den Regierungsparteien! Ich würde Sie


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hier noch einmal um ein Umdenken bitten: Überdenken Sie Ihr Abstimmungsverhalten noch einmal!

Ich lasse hier auch nicht gelten, wie es der Herr Minister und Frau Oberhauser angesprochen haben, sich nun auf die laufenden Kollektivvertragsverhandlungen im Handel herauszureden. Wenn schon 1 300 € Mindestlohn, dann richtig und dann auch nicht nur dort, wo es Ihnen in den Kram passt. Gerecht ist das, was Ihnen gerade recht ist, und das, was Ihnen gerade eine positive Schlagzeile bringt.

Wir vom BZÖ definieren Gerechtigkeit anders. Für uns ist Gerechtigkeit in erster Linie Leistungsgerechtigkeit, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall beim BZÖ.)

Leistung muss sich lohnen. – Wenn ich mir anschaue, was sich beim Beschluss der Mindestsicherung hier im Hohen Haus abgespielt hat, als Rot, Schwarz und auch Blau dieser Mindestsicherung zugestimmt haben, wo kaum mehr ein Unterschied besteht zwischen jemandem, der 40 Stunden arbeitet und dafür wenig Einkommen bekommt, und jemandem, der die Mindestsicherung in Anspruch nimmt, dann ist das kein Zeichen von Leistung. Mit dieser Abstimmung ist das Leistungsprinzip hier im Hohen Haus zu Grabe getragen worden, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall beim BZÖ.)

Wir vom BZÖ haben mit unserem Abstimmungsverhalten bei der Mindestsicherung als einzige Partei klargestellt und festgehalten, dass wir wirklich die einzige Partei sind, die den leistungsbereiten Mittelstand vertritt. Und wir werden das auch in Zukunft nach bestem Wissen und Gewissen tun, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall beim BZÖ.)

12.49


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Höfinger. – Bitte.

 


12.49.15

Abgeordneter Johann Höfinger (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Schenk, ich denke, den Mindestlohn betreffend haben meine Vorredner wirklich sehr detailliert und ausführlich begründet, warum unsere Position so ist, wie sie ist. Wir haben seit vielen Jahrzehnten eine funktionierende Sozialpartnerschaft. Wir haben eine sehr gute Kollektivvertrags­regelung, und diese sollte auch für die Zukunft eine sehr wesentliche Grundlage in dieser Frage sein. Ich bin überzeugt davon, dass die Sozialpartnerschaft auch in Zukunft gut arbeiten wird. (Abg. Strache: Die rot-schwarze Verliererkoalition auch in der Verfassung verankern!)

Lassen Sie mich aber auf ein paar andere Themenbereiche eingehen, die in diesem Gesetz verpackt sind. Ich meine, dass es auch sehr wichtig ist, diese zu erwähnen.

Es gibt eine erfreuliche Tatsache, was die Mitbestimmung von jungen Menschen in unseren Betrieben, am Arbeitsplatz betrifft, denn durch diese Novellierung im Arbeitsrecht werden das aktive und das passive Wahlalter gesenkt. Das aktive von 18 auf 16 Jahre und das passive von 19 auf 18 Jahre.

Das bedeutet, dass diese jungen Menschen in ihren Betrieben ernst genommen werden, dass sie mehr Möglichkeiten zur Mitgestaltung, zur Mitbestimmung haben. Der land- und forstwirtschaftliche Sektor hat da beispielhafte Vorarbeit geleistet, der sich andere Arbeitsbereiche anschließen müssen.

Es kann nicht so sein, dass junge Menschen zwar bei vielen Wahlen die Möglichkeit haben, mitzubestimmen – von Gemeinderatswahlen bis hin zur Bundespräsiden­ten­wahl –, aber in ihrem unmittelbaren Umfeld, am Arbeitsplatz nicht die Möglichkeit haben, ihren Betriebsrat zu wählen. Daher plädiere ich dafür, dass diese Senkung des


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Wahlalters bei zukünftigen Gesetzesnovellierungen auch in andere Bereiche einfließt, damit die jungen Menschen ab 16 Jahren die Möglichkeit haben, an Betriebsratswah­len teilzunehmen.

Sehr erfreulich ist außerdem die Anhebung des Alters von 12 auf 13 Jahre, was das Mindestalter für die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen für bestimmte und vereinzelte leichte Arbeiten betrifft. Ich glaube, dass wir damit nicht nur einer inter­nationalen Bestimmung Genüge tun; dass das ein dringender Wunsch von uns allen war, das zeigt ja der einstimmige Beschluss im Ausschuss.

Ein Punkt, der auch noch zu erwähnen ist, sind die Sonderregelungen der Ruhezeit für Beschäftigte in Krankenanstalten. Künftig wird es Sonderregelungen geben, die auch auf Betriebsebene möglich sind. Das heißt, es gibt größtmögliches Einvernehmen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und es gibt größtmögliche Flexibilität aller Beteiligten. Was dabei wichtig ist: Auch ausgegliederte Krankenanstalten erhalten die Möglichkeit, diese wöchentliche Ruhezeit in die Woche nach einem Wochenenddienst zu verlegen. Ich glaube, da kommen wir wirklich allen Arbeitnehmerinnen und Arbeit­nehmern sehr entgegen.

Daher sage ich auch hier: Diese Regelung sollte auch auf das Arbeitszeitgesetz ausge­weitet werden, vor allem in den Gesundheits- und sozialen Berufen. Das ist ein großer Wunsch, nämlich vonseiten der Arbeitnehmer, aber auch vonseiten der Arbeitgeber. Und diesem Wunsch sollten wir nachkommen. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der SPÖ.)

12.52


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Dr. Karlsböck. – Bitte.

 


12.52.46

Abgeordneter Dr. Andreas Karlsböck (FPÖ): Herr Präsident! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Wir behandeln ja, wie mein Vorredner gerade erwähnt hat, heute das Arbeitszeitgesetz in den Krankenhäusern. Ich habe das Gefühl, dass es da immer wieder zu Schwierigkeiten mit diesem Arbeitszeitgesetz kommt, immer wieder zu Schwie­rigkeiten mit den Beschäftigten in Krankenhäusern, die damit sehr unzufrieden sind und an den Folgen dieser Überlastung leiden. Man hat das Gefühl, dass in unserem Staat Ärzte in Krankenhäusern, Ärzte in Anstellungsposition Arbeitnehmer zweiter Klasse sind. (Beifall bei der FPÖ.)

Wenn wir uns anschauen, wie heute die Arbeitszeitverteilung in den Krankenhäusern teilweise funktioniert, so müssen wir sagen, dass es Ärzte gibt, die 2 500 € brutto nach zwölf Jahren Studium und Ausbildung verdienen und wöchentliche Arbeitszeiten zwischen 56 und 72 Stunden aufweisen. Ich bin der Meinung, dass die Patienten ein Recht darauf haben, von gut ausgebildeten, aber auch ausgeschlafenen, ausgeruhten und voll fitten Ärzten betreut zu werden, genauso wie auch die Ärzte ein Recht darauf haben, in modernen Krankenanstalten mit einem modernen Arbeitszeitgesetz arbeiten zu können. (Beifall bei der FPÖ.)

Der Beruf des Arztes/der Ärztin wird heute immer mehr zu einem weiblichen Beruf, das heißt zu einem Frauenberuf. Wenn man weiß, dass heute schon 60 Prozent der Studierenden an den medizinischen Fakultäten oder Medizinischen Universitäten Frauen sind, so wird man nicht umhinkönnen, auch da besonders darauf Rücksicht zu nehmen. Wir brauchen also flexiblere Arbeitszeitmodelle, wir brauchen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wir brauchen Teilzeitausbildungen, und wir brauchen vor allem eine weniger bürokratische Tätigkeit des Spitalpersonals. Die


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Konsequenz aller dieser Mehrbelastungen bedeutet Krankheiten, vor allem das soge­nannte Burn-out-Syndrom.

Besonders gefährdet sind in diesem Bereich die Besten ihres Faches, nämlich Ärzte und Ärztinnen mit hoher Einsatzbereitschaft, hoher Kompetenz und ausgeprägter Empathie. Gerade jene, die sich besonders für ihre Patienten einsetzen, die sich besonders engagieren, leiden unter diesen unhaltbaren, untragbaren Arbeitszeitbe­din­gun­gen. (Beifall bei der FPÖ.)

Es ist – das muss man heute leider sagen – ein Armutszeugnis für Gewerkschafter und Politiker, dass es noch immer nicht gelungen ist, ein praktikables Gesetz zu be­schließen, das sowohl die berechtigten Bedürfnisse der Ärzte als natürlich auch die noch berechtigteren Bedürfnisse der Patienten berücksichtigt.

Ich fordere daher die Bundesregierung auf, endlich Arbeitszeitgesetze zu beschließen, die der Realität der österreichischen Spitäler standhalten und eine optimale Versor­gung der Patienten gewährleisten. (Beifall bei der FPÖ.)

Gerade in diesem Punkt muss man fragen: Warum kommt es denn eigentlich zu dieser Überbelastung in den öffentlichen Krankenhäusern? – Es kommt deshalb dazu, weil die Patienten im niedergelassenen Bereich nur zu den Kernzeiten eine effiziente Versorgung vorfinden. Sie kommen mit den Öffnungszeiten der Praxen nicht mehr zurande. Dadurch werden in den öffentlichen Krankenhäusern nachher die Ambulan­zen überbelastet, weil die Patienten in der Peripherie, im sogenannten extramuralen Bereich, eben keine wirklich zufriedenstellend langen Öffnungszeiten oder Ansprech­partner finden.

Da sind Sie gefordert, meine Damen und Herren von der Regierung, dass Sie hier endlich richtige Rahmenbedingungen schaffen und nicht solche Gesetze, wie sie im Juni und Juli mit der neuen Ärzte GesmbH beschlossen wurden, die zwar auf dem Papier eine hervorragende Initiative und Einrichtung sein sollte oder hätte werden können, aber de facto eine Totgeburt ist, weil sie an einem überbordenden Büro­kratismus leidet.

Wir fordern deshalb noch einmal in aller Deutlichkeit, für die Bediensteten in öffent­lichen Krankenanstalten endlich auch die allgemeinen Standards gelten zu lassen. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

12.57


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Gartelgruber. – Bitte.

 


12.57.11

Abgeordnete Carmen Gartelgruber (FPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Werte Kollegen! Gleich zu Beginn möchte ich sagen, dass ich dem Antrag auf Mindestlohn nicht zustimmen kann, weil er mir persönlich viel zu wenig weit geht. Da gebe ich Frau Kollegin Tamandl recht, denn wir müssen uns auch jene Berufsgruppen anschauen, die weder einen Kollektivvertrag noch einen gesetzlichen Mindestlohn haben, auch von 1 000 €. Gerade in diesen Branchen arbeiten viele Frauen, die keine rechtliche Absicherung haben.

Das gesamte Themenfeld der Entlohnung ist ja eigentlich äußerst komplex, und die Einführung des Mindestlohnes stellt nur eine begleitende Maßnahme dar. Wir brauchen ein Gesamtpaket, das sowohl den Interessen der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber entspricht. (Beifall bei der FPÖ.)

Deswegen muss bei der Einführung eines Mindestlohnes noch vieles bedacht werden. Die vielfältigen Auswirkungen eines Mindestlohnes auf die Wirtschaft werden ja leider


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in diesem Antrag nicht berücksichtigt. Dass Arbeitgeber mit entsprechend höheren Personalkosten konfrontiert sind, wirkt sich natürlich dann auch auf die Produkte und Dienstleistungen aus; das wird hier nicht berücksichtigt. Bei gewissen Produkten und Dienstleistungen könnte sich dann die Preisspirale etwas schneller drehen, könnten die Preise steigen, die Inflation könnte dadurch steigen, und dies wäre eine mögliche nega­tive Folge. Ebenso könnten durch einen gesetzlichen Mindestlohn, ohne den Faktor Arbeit zu entlasten, ja auch noch Arbeitsplätze bedroht werden. Dies fehlt mir in diesem Antrag ebenfalls. (Beifall bei der FPÖ.)

Also noch einmal: Mit der Einführung eines Mindestlohnes muss daher die Entlastung des Faktors Arbeit einhergehen, denn nur, wenn die Lohnnebenkosten gesenkt wer­den, ist auch an die Einführung eines Mindestlohnes zu denken.

In diesem Zusammenhang darf ich auch den Faktor Arbeit im rot-schwarzen Regie­rungs­abkommen erwähnen. Auf Seite 13 wird auf diese Maßnahme für die mittel­ständische Wirtschaftsförderung absolut noch einmal hingewiesen. Auf jeden Fall ist das ein guter Vorsatz, doch bis jetzt ist noch nicht wirklich etwas geschehen. Papier ist geduldig – ein Satz, der bei unserer Bundesregierung zurzeit sehr zutreffend ist.

Deshalb fordere ich Sie auf: Schauen Sie, dass Sie ein komplettes Maßnahmenpaket für die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber in unserem Land zustande bringen! – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

13.00


Präsident Fritz Neugebauer: Weitere Wortmeldungen hiezu liegen nicht vor. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zu den Abstimmungen, die ich über jeden Ausschussantrag getrennt vornehme.

Zunächst kommen wir zur Abstimmung über den Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Beschäftigung von Kindern und Jugend­lichen 1987, das Landarbeitsgesetz 1984, das Arbeitsruhegesetz, das Krankenanstal­ten-Arbeitszeitgesetz, das Arbeitsinspektionsgesetz 1993 und das Arbeitszeitgesetz geändert werden, samt Titel und Eingang in 880 der Beilagen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Gesetzentwurf sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist einstimmig angenommen.

Wir kommen zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Gesetzentwurf auch in dritter Lesung ihre Zustimmung erteilen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Das ist einstim­mig. Der Gesetzentwurf ist somit auch in dritter Lesung angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Arbeit und Soziales, seinen Bericht 898 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die hiezu ihre Zustimmung erteilen, um ein ent­sprechendes Zeichen. – Das ist mit Mehrheit angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Schatz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Mindestlohn von 7,50 € brutto pro Arbeitsstunde.

Es ist namentliche Abstimmung verlangt worden.

Da das Verlangen von 20 Abgeordneten gestellt wurde, ist eine namentliche Abstim­mung durchzuführen.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 77

Die Stimmzettel, die zu benützen sind, befinden sich in den Laden der Abgeord­netenpulte und tragen den Namen der Abgeordneten sowie die Bezeichnung „Ja“ – das sind die grauen Stimmzettel – beziehungsweise „Nein“ – das sind die rosafarbenen Stimmzettel. Es können ausschließlich diese amtlichen Stimmzettel verwendet werden.

Gemäß der Geschäftsordnung werden die Abgeordneten namentlich aufgerufen, den Stimmzettel in die bereitgestellte Urne zu werfen.

Ich ersuche jene Abgeordneten, die für diesen Entschließungsantrag der Abgeord­neten Schatz, Kolleginnen und Kollegen stimmen, „Ja“-Stimmzettel, jene, die dage­gen stimmen, „Nein“-Stimmzettel in die Urne zu werfen.

Ich bitte nunmehr die Frau Schriftführerin Abgeordnete Franz, mit dem Namensaufruf zu beginnen. Herr Abgeordneter Jakob Auer wird sie später ablösen. – Bitte.

*****

(Über Namensaufruf durch die Schriftführerin Franz beziehungsweise den Schriftführer Jakob Auer werfen die Abgeordneten ihren Stimmzettel in die Urne.)

*****

 


Präsident Fritz Neugebauer: Die Stimmabgabe ist beendet.

Die damit beauftragten Bediensteten des Hauses werden nunmehr unter Aufsicht der Schriftführer die Stimmenzählung vornehmen.

Zu diesem Zweck unterbreche ich die Sitzung für einige Minuten.

*****

(Die zuständigen Bediensteten nehmen die Stimmenzählung vor. – Die Sitzung wird um 13.08 Uhr unterbrochen und um 13.13 Uhr wieder aufgenommen.)

*****

Präsident Fritz Neugebauer: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf und gebe das Abstimmungsergebnis bekannt:

Abgegebene Stimmen: 163; davon „Ja“-Stimmen: 33, „Nein“-Stimmen: 130.

Der Entschließungsantrag der Abgeordneten Schatz, Kolleginnen und Kollegen ist somit abgelehnt.

Gemäß § 66 Abs. 8 der Geschäftsordnung werden die Namen der Abgeordneten unter Angabe ihres Abstimmungsverhaltens in das Stenographische Protokoll aufgenom­men.

Mit „Ja“ stimmten die Abgeordneten:

Brosz Dieter, Brunner Christiane, Bucher Josef;

Dolinschek;

Glawischnig-Piesczek, Grosz Gerald, Grünewald;

Hagen, Haubner Ursula, Huber Gerhard;

Kogler, Korun;


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 78

List, Lugar Robert;

Markowitz, Moser, Musiol;

Öllinger;

Petzner, Pirklhuber;

Schatz, Scheibner, Schenk, Schwentner, Spadiut, Stadler Ewald, Steinhauser;

Van der Bellen;

Walser, Widmann Rainer, Windbüchler-Souschill, Windholz;

Zinggl.

Mit „Nein“ stimmten die Abgeordneten:

Amon, Aubauer, Auer Jakob;

Bartenstein, Bayr, Becher, Binder-Maier;

Cap, Cortolezis-Schlager, Csörgits;

Deimek, Donabauer Karl, Doppler, Durchschlag;

Eßl;

Fazekas, Franz, Fuhrmann, Fürntrath-Moretti;

Gahr, Gartelgruber, Gartlehner, Gaßner, Gessl-Ranftl, Glaser, Gradauer, Großruck;

Haberzettl, Hackl Heinz-Peter, Hagenhofer, Haider, Hakel Elisabeth, Hakl Karin, Haubner Peter, Hechtl, Heinzl, Hell, Herbert Werner, Höbart Christian, Hofer, Höfinger, Höllerer, Hornek, Huainigg, Hübner Johannes;

Jannach, Jarolim, Jury;

Kaipel, Kapeller, Karlsböck, Katzian, Keck, Kirchgatterer, Kitzmüller, Klikovits, Köfer, Königsberger-Ludwig, Kopf, Kößl, Krainer, Kräuter, Krist, Kunasek, Kuntzl, Kuzdas;

Lapp, Lausch, Lettenbichler, Linder, Lipitsch, Lohfeyer, Lueger Angela;

Maier Ferdinand, Maier Johann, Matznetter, Mayer Elmar, Mayer Peter, Mayerhofer, Molterer, Muchitsch, Mühlberghuber, Muttonen;

Neubauer Werner, Neugebauer Fritz;

Oberhauser, Obernosterer;

Pack, Pendl, Podgorschek, Prammer, Praßl, Preiner, Prinz;

Rädler Johann, Rasinger, Riemer, Riepl, Rosenkranz, Rudas;

Sacher, Schickhofer, Schittenhelm, Schmuckenschlager, Schönegger Bernd, Schön­pass Rosemarie, Schopf, Schultes, Schüssel, Silhavy, Singer, Spindelberger, Stauber Peter, Steibl Ridi Maria, Steindl Konrad, Steßl-Mühlbacher, Strache, Stummvoll;

Tadler Erich, Tamandl, Themessl;


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 79

Unterreiner;

Vilimsky, Vock;

Weninger, Winter, Wittmann Peter, Wöginger, Wurm;

Zanger.

*****

 


Präsident Fritz Neugebauer: Wir kommen zur nächsten Abstimmung. Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen!

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Ing. Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend die Entwicklung der österreichischen Löhne in Folge der Ostöffnung des österreichischen Arbeitsmarktes 2011.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

13.14.193. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (876 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Künstler-Sozialversiche­rungs­fonds­gesetz und das Betriebliche Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz geändert werden (KünstlerInnensozialversicherungs-Strukturgesetz – KSV-SG) (899 d.B.)

 


Präsident Fritz Neugebauer: Wir kommen zum 3. Punkt der Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Erster Redner ist Herr Abgeordneter Vock. – Bitte.

 


13.14.43

Abgeordneter Bernhard Vock (FPÖ): Herr Präsident! Herr Minister! Hohes Haus! Wir Freiheitlichen haben natürlich Verständnis dafür, dass auch Künstler das Bedürfnis haben, sozialrechtlich abgesichert zu sein. Deswegen wurde auch dieses KünstlerIn­nensozialversicherungs-Strukturgesetz eingeführt.

Die eingesetzte Arbeitsgruppe, die die Reform dazu bearbeitet hat, hat die Probleme richtig umfasst. Es handelt sich meist um atypische Arbeits- und Erwerbsformen, unregelmäßige Erwerbsformen im Einkommen, Mehrfachbeschäftigungen, kurzfristige und geringfügige Beschäftigungen, wechselnde Arbeitsverhältnisse inklusive Leih- und Teilzeitarbeit. Und es gibt ein Problem der Abgrenzung, wann es sich um Selbstän­digkeit und wann um Unselbständigkeit handelt.

Nicht festgestellt wurde unserer Meinung nach von dieser Arbeitsgruppe, dass jeder Künstler grundsätzlich einen Drang nach Kreativität hat. Wirkliche Künstler können daher auch kaum definieren, wann ihre Kreativität aktiv ist oder wann sie ruht.

Nehmen wir ein Beispiel! Ein Maler, der regelmäßig Bilder malt, sagt: Okay, ich melde meine Tätigkeit als Künstler ruhend! – Wenn er dann doch ein Bild privat malt, dann darf er dieses nicht verkaufen. Er macht es ja während seiner ruhenden Zeit. Das ist ein Problem. Wenn er es dann doch verkauft, weil er plötzlich einen Kunstliebhaber findet, dann macht er sich damit strafrechtlich haftbar, weil er gegen seine Ruhens­bestimmungen verstoßen hat.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 80

Denken wir auch daran, dass dieser Vorschlag ermuntern kann, dass es zum Schaden unserer Künstler Missbrauch gibt. Es könnte sich der eine oder andere als Künstler anmelden, so lange Sozialversicherungsbeiträge einzahlen, bis seine Ruhensbestim­mungen möglich sind, seine Tätigkeit dann ruhend melden und Arbeitslose beziehen. Das würde den aktiven Künstlern, den wirklichen Künstlern schaden, weil dann alle plötzlich als Sozialschmarotzer dargestellt werden.

Daher sagen wir Freiheitlichen: Eine Änderung, wie sie hier vorgeschlagen ist, lehnen wir im Interesse der Künstler ab. (Beifall bei der FPÖ.)

13.17


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Mag. Lapp. – Bitte.

 


13.17.06

Abgeordnete Mag. Christine Lapp (SPÖ): Herr Präsident! Herr Minister! Hohes Haus! Das KünstlerInnensozialversicherungs-Strukturgesetz, das wir heute be­schließen, ist ein weiterer Schritt in Richtung zur sozialen Absicherung von Künstlerin­nen und Künstlern in unserem Land.

Wir von der SPÖ sehen das nicht so, wie das vor mir mein freiheitlicher Kollege dargestellt hat, dass er den Künstlerinnen und Künstlern über die Schultern schauen will, sondern wir erachten es als wesentlich, die flexiblen Lebenssituationen von Künstlerinnen und Künstlern auch in flexibler Art und Weise in unserem sozialen System zur Absicherung zu bringen.

Im Regierungsprogramm 2008 ist dazu ein Programmpunkt festgehalten worden. Daraufhin gab es eine interministerielle Arbeitsgruppe, woran insgesamt neun Ministerien beteiligt waren. Eine Studie zur sozialen Lage hat auch dazu geführt, dass die Vorschläge auf den Tisch gelangt sind.

Es gab einen intensiven Dialog und Austausch mit Betroffenen und auch eine nationale Konferenz zur sozialen Lage der Kreativen in unserem Land.

Die wesentlichen Punkte in diesem Sozialversicherungsgesetz sind die Schaffung eines Kompetenzzentrums für Kunstschaffende. Gerade aufgrund der flexiblen Lebens­situation oder der Tatsache, dass Künstlerinnen und Künstler wechselnde Arbeitsverhältnisse haben – von selbständiger Arbeit bis zu unselbständiger Arbeit –, ist es für die Betroffenen immer wieder schwierig gewesen, richtige Auskünfte zu erlangen.

Dazu wird jetzt eine Servicestelle eingerichtet, die sämtliche Bereiche der Arbeitslosen­versicherung und des Künstler-Sozialversicherungsfonds abdeckt. Das heißt, die Künstlerinnen und Künstler müssen nicht mehr selbst von Stelle zu Stelle laufen, sondern das wird ihnen im Rahmen der Servicestelle abgenommen. Das ist eine besondere Erleichterung und Anerkennung dieser besonderen Lebenssituation und eine Vereinfachung für Kunstschaffende in Österreich. Das ist eine sehr wichtige Unterstützung, denn Kunst- und Kulturschaffende in unserem Land werden gefördert.

Weiters gibt es die Möglichkeit einer Ruhendmeldung der künstlerischen Erwerbs­tätigkeit, um auch Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung lukrieren zu können.

Insgesamt ist dieses Gesetz ein sehr wichtiger Beitrag zur sozialen Absicherung von Künstlerinnen und Künstlern in unserem Land. (Beifall bei der SPÖ.)

13.19


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Petzner. – Bitte.

 



Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 81

13.19.40

Abgeordneter Stefan Petzner (BZÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Wir vom BZÖ lehnen diesen Gesetzentwurf auf alle Fälle ab.

Grund dafür ist folgender: Man kann durchaus über die soziale Absicherung von Künstlerinnen und Künstlern diskutieren, das ist schon richtig, aber – und das ist unser eigentlicher Ablehnungsgrund – man muss sich schon die Frage stellen, ob es in Zeiten des Sparens, der Budgetkonsolidierung, des größten Schuldenberges, den wir jemals hatten – ich erinnere an die gestrige Rede des Finanzministers zum Budget und daran, dass eine Verwaltungsreform ansteht, dass wir alle darüber diskutieren, die Struktu­ren zu verschlanken und Bürokratie abzubauen –, ob es also vor diesem Hintergrund richtig und sinnvoll ist, eine weitere Servicestelle auf Kosten des Steuer­zahlers einzurichten, eine Servicestelle, die neue Bürokratie, neue Kosten, noch mehr Verwaltung und einen noch stärker aufgeblähten Apparat bedeutet.

Wir vom BZÖ lehnen das ab. Wir wollen die Bürokratie abbauen und nicht ausbauen, wir wollen nicht mehr Verwaltung, sondern weniger Verwaltung, und wir wollen keine höheren Kosten für den Steuerzahler, sondern niedrigere Kosten. Vor allem wollen wir auch eine Steuersenkung, getreu dem Satz: Leistung muss sich lohnen!

Daher lehnen wir auch diesen Gesetzentwurf mit aller Entschiedenheit ab und werden heute dagegen stimmen, vor allem auch vor dem Hintergrund – und das ist ja wirklich exemplarisch für dieses Servicezentrum! –, dass man ein Servicezentrum für lediglich 200 Betroffene einrichten möchte! Da müssten wir ja für jeden Micky-Maus-Verein ein eigenes Servicezentrum einrichten, mit lauter Beamten, die das bearbeiten. (Beifall beim BZÖ. Abg. Mag. Lapp: Das ist aber jetzt menschenverachtend! Abg. Dolin­schek: Bürokratie zum Quadrat!)

Für 200 Personen wird – das ist ja wirklich ein Kinkerlitzchen! – eine Servicestelle eingerichtet, die pro Jahr 120 000 € an Kosten verschlingt. 120 000 € für 200 Per­sonen! Ich glaube, dass man diesen 200 Personen schon zumuten kann, die Leis­tungs­verbesserung, die sie erhalten sollen, in der Form zu lukrieren, dass sie die vorhandenen Anlaufstellen nützen. Da muss man eben zwei, drei Stellen anlaufen – man bekommt ja auch etwas dafür! Man will ja auch etwas, und dafür muss man auch etwas geben und ein bisschen Zeit investieren. Die Gemütlichkeit ist in Zeiten der Budgetkrise, glaube ich, vorbei. (Abg. Mag. Lapp: Das hat ja nichts mit Gemütlichkeit zu tun!)

Nur wegen der Gemütlichkeit Steuergeld beim Fenster hinauszuwerfen und 120 000 € für 200 Leute auszugeben, das ist typisch Sozialdemokratie. Da kann man wieder ein paar SPÖ-Günstlinge in dem Servicezentrum versorgen, ein paar Söhne und Töchter von hoch- und langgedienten Parteifunktionären, und die Sache ist geputzt. (Beifall beim BZÖ.)

Das ist die Politik der SPÖ, aber so werden wir die gewünschte Budgetkonsolidierung, die gewünschte Verwaltungsvereinfachung und -reform nicht zustande bringen. (Abg. Riepl: Das ist eine lustlose Rede heute! Sehr lustlos!) Lustig sind Sie mit Ihren Gesetzentwürfen und Anträgen, aber in Zeiten der Krise und des Sparens muss Schluss mit lustig sein. (Beifall beim BZÖ.)

13.22


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Mag. Fuhr­mann. – Bitte.

 


13.22.58

Abgeordnete Mag. Silvia Fuhrmann (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Herr Kollege Petzner! Mir fehlen jetzt irgendwie die Worte. So etwas habe ich in der


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Politik noch überhaupt nicht gehört, dass jemand sagt, es sind eh nur 200 Leute, das zahlt sich überhaupt nicht aus, dass wir zu dem Thema auch nur einen Finger rühren. (Abg. Markowitz: Ein eigenes Servicezentrum! Zwischenrufe des Abg. Petzner.) Das halte ich vom politischen Ansatz her schon einmal unabhängig vom Thema für einen Wahnsinn. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Wenn wir nämlich bei allen Themen so anfangen und sagen, es betrifft ohnehin nur ein paar Leute, das zahlt sich gar nicht aus, dann könnten wir eigentlich aufhören zu diskutieren, denn es wird immer Gruppen geben – Minderheitengruppen, Einzelinteres­sen –, bei denen der Politiker entscheiden muss, ob er dem nachgeht oder nicht. (Abg. Riepl: „Micky-Maus-Verein“ hat er gesagt!)

Faktum ist schon, dass gerade Künstler in Österreich – nicht nur in Österreich, sondern grundsätzlich – einer schwierigen Situation ausgesetzt sind, was deren eigene Absicherung betrifft. (Abg. Petzner: Künstler haben zwei gesunde Füße und zwei gesunde Hände! Das sind ja keine Behinderten ...!) Das hat auch die Studie zur sozialen Lage der Künstlerinnen und Künstler zum Ausdruck gebracht, und insofern muss es schon auch unser politisches Interesse sein, sich in einer Kulturnation wie Österreich auch um die Künstlerinnen und Künstler zu kümmern.

Wenn Sie schon Wert darauf legen, zu fragen, was die Künstler eigentlich uns bringen (Abg. Petzner: Das habe ich nicht gesagt! Tun Sie nicht die Unwahrheit verbreiten!), dann möchte ich Ihnen sagen, dass gerade im Jahr 2009 in ganz Österreich 9,8 Millionen Nächtigungen gezählt wurden, 2010 werden es wahrscheinlich mehr sein, und fast vier Millionen davon sind wegen der Kultur erfolgt. Das sind die Besucher, die man in den Museen zählt. (Abg. Grosz: Ich meine, haben Sie ihm nicht zugehört, dem Herrn Petzner?!)

Es sind natürlich vor allem auch nicht nur die historischen Künste, die die Besuche­rinnen und Besucher nach Wien ziehen, es sind auch zeitgenössische Künstler und auch Festivals wie die Design Week, die Fashion Week, berühmte Architekten und Designer wie Hans Hollein, Coop Himmelb(l)au, die über unser Land hinaus strahlen, die internationale Anerkennung genießen und für die viele Besucherinnen und Besucher auch nach Wien pilgern. Die wären vielleicht nicht so weit gekommen, gäbe es nicht auch eine Unterstützung durch die öffentliche Hand. Insofern ist es unser kulturpolitischer Auftrag, hier tätig zu sein. (Abg. Petzner auf den Blazer der Rednerin deutend : Das ist aber schön, dass Sie orange Knöpfe haben! Das ist das einzig Positive: Ihre orangen Knöpfe!)

Ich hoffe, die Maßnahmen, um die es heute geht – Kollegin Lapp hat sie ja schon dargestellt –, sind nur die ersten Schritte, um die soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler zu verbessern. (Abg. Grosz: Der erste, der die Servicestelle beanspruchen wird, ist der Herr Albert Fortell! Ist das ein „Fortell-Gesetz“?)

Ich halte es schon für wichtig, dieses Servicezentrum in der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft einzurichten, weil es darum geht und wichtig ist, über sozialrechtliche Angelegenheiten zu informieren, und weil es nun einmal durch Unwissenheit oder mangelnde Information schon passiert, dass Fristen übersehen werden und dadurch auch Ansprüche verloren gehen. Insofern ist nichts einfacher, als die Leute besser zu informieren, damit es zu keinen Verlusten kommt, bei denen dann wieder der Staat eingreifen muss, sei es durch den Sozialversicherungsfonds oder andere sozialrechtliche Maßnahmen, wenn kein Einkommen mehr erzielt werden kann.

Im Übrigen unterstützt der Sozialversicherungsfonds pro Jahr in etwa 5 000 Künstlerin­nen und Künstler. – Das sind Künstler, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, aber die Einkommensgrenze ist so gering, dass man von einem darunterfallenden Einkommen nicht leben kann. Von wegen, es sind eh nur 200: Schon allein 5 000 sind es, die den


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 83

Künstler-Sozialversicherungsfonds in Anspruch nehmen. (Abg. Petzner: Es steht in den Erläuterungen zum Gesetzentwurf, das mit rund 200 Antragstellungen zu rechnen ist!)

Auch die Ruhendmeldung ist eine sehr einfache Möglichkeit, wie man Künstlerinnen und Künstlern unter die Arme greifen kann. Diese Ruhendmeldung trägt dafür Sorge, dass es nicht mehr zu einem Hindernis für den Bezug von Leistungen kommt. In diesem Sinne ist jeder gegen die Kunst und gegen die Künstler, der diesem Gesetz nicht zustimmt, und das finde ich eigentlich traurig. Wir von der ÖVP sind jedenfalls immer auf der Seite der Künstlerinnen und Künstler. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der SPÖ.)

13.27


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Jury. – Bitte. (Abg. Großruck: Gagarin! Abg. Petzner in Richtung des sich zum Rednerpult begeben­den Abg. Jury –: Josef, jetzt erklär du ihnen das einmal!)

 


13.27.15

Abgeordneter Josef Jury (ohne Klubzugehörigkeit): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Frau Kollegin Fuhrmann ist insofern recht zu geben, als der Kulturtourismus in Österreich natürlich sehr wichtig ist. Mit diesem Gesetz, das wir heute schaffen, verbürokratisieren wir jedoch den Kunstbetrieb. Dass die Künstler damit einverstanden sind, kann ich mir schwer vorstellen. Es ist ein weiterer Anschlag auf die Republik (Abg. Großruck: He!) – natürlich, Kollege Großruck! (Abg. Großruck: Das ist ja unheimlich!) –, ein weiterer Anschlag auf die Republik, während die Regie­rung säumig ist, unsere Reformvorschläge und eine Verwaltungsreform umzusetzen.

Unsere Regierung schafft noch mehr Bürokratie, schafft noch mehr Verwaltung, schafft noch mehr Belastungen für die Bürger unseres Landes.

Mein Zugang und unser Vorschlag wäre es daher, die Kunstankäufe lebender und zeitgenössischer Künstler steuerfrei zu stellen – das heißt, dass sie steuerlich geltend gemacht werden können. (Abg. Großruck: Auch den Nitsch?) Das wäre eine echte Unterstützung für unsere zeitgenössischen Künstler, damit die Zeitgenossen von heute die Etablierten von morgen sind. (Beifall bei der FPÖ.)

13.29


Präsident Fritz Neugebauer: Zu Wort gelangt nun Herr Bundesminister Hundstorfer. – Bitte.

 


13.29.03

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Rudolf Hundstorfer: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir erleben gerade, dass einige Abgeordnete die Realität derjenigen, um die es hier geht, nicht einmal mehr ansatzweise kennen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Ich kann Sie nur einladen, reden Sie einmal mit dem Herrn Merkatz und lassen Sie sich vom ihm erzählen, wie er als Sechzigjähriger an ein und demselben Tag bei drei verschiedenen Sozialversicherungsträgern versichert war und was dann die Gesamt­administration dieser einen Person bedeutet hat! Reden Sie einmal mit Filmschau­spielern, die am Abend als Angestellte in einem Theater engagiert sind, am Nachmittag als Selbständige arbeiten, und, wenn es etwas besser Etablierte sind, am Vormittag in einer Lehrveranstaltung als Bundesbedienstete.

Warum haben wir denn diesen Gesetzentwurf überhaupt vorgelegt? – Weil wir mit den Künstlern, im Gegensatz zu Ihnen, Herr Grosz, über zwei Jahre hindurch zusammen­gesessen sind und uns bemüht haben, mit den Kulturschaffenden in diesem Land –


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 84

vom Schriftsteller bis zum Bildhauer, vom Schauspieler oder von der Schauspielerin bis zum freischaffenden Essayisten – eine einfachere Struktur für diese Personen zu schaffen.

Herr Petzner, wenn Sie schon Erläuterungen lesen, lesen Sie sie richtig! Es ist dort von 300 und nicht von 200 erwarteten Antragstellungen die Rede – nur, damit wir das auch einmal klargestellt haben.

Derzeit werden alleine im Rahmen dieses Sozialversicherungsfonds 5 000 Künstlerin­nen und Künstler unterstützt. Es ist der Wunsch dieser Betroffenen gewesen – von den Bildhauern bis zu den Schauspielern –, dass im österreichischen Sozialversicherungs­system eine Vereinfachung vorgenommen wird und dass es dadurch eine Anlaufstelle für sie alle gibt. – Und das ist diese Servicestelle.

Diese Servicestelle muss nun einmal eingerichtet werden. In Wirklichkeit ist das eine Verwaltungsreform und keine Verwaltungsvervielfachung. Daher ist das eine positive Entwicklung im Interesse der österreichischen Künstlerinnen und Künstler. Meine Damen und Herren von den Freiheitlichen, was Sie dauernd unterstellen, ist schon wie­der irgendwo der mögliche Missbrauch. Lösen Sie sich doch einmal von Ihrer Konzen­tration auf den Kontrollstaat! (Abg. Dr. Karlsböck: Na, na, na! Abg. Dr. Rosenkranz: Solange Sie in der Regierung sind, nicht!) Nehmen Sie doch wahr, dass diese Menschen eigenständig sind und Ihren Kontrollstaat nicht wollen! Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

13.31


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Dr. Zinggl. – Bitte.

 


13.32.00

Abgeordneter Mag. Dr. Wolfgang Zinggl (Grüne): Herr Präsident! Herr Minister! Meine Damen und Herren! (Abg. Dr. Rosenkranz – in Richtung Bundesminister Hundstorfer –: Sie hätten damals die Aufsichtsratslisten der BAWAG auch kontrollieren sollen und nicht unterschreiben! Das wäre fast noch besser! Kontrollieren ist sehr gut und wichtig! – Bundesminister Hundstorfer: Sie wissen ganz genau, was ich dort unterschrieben habe und was ich ...!) Darf ich jetzt auch etwas dazu sagen, wenn Sie sich vielleicht kurz zurückhalten ... (Unruhe im Saal.)

 


Präsident Fritz Neugebauer: Bitte hören Sie dem Redner zu! (Rufe und Gegenrufe zwischen den Abgeordneten Dr. Rosenkranz und Katzian.) Herr Abgeordneter Dr. Zinggl ist am Wort. – Bitte.

 


Abgeordneter Mag. Dr. Wolfgang Zinggl (fortsetzend): Meine Damen und Herren! Ich probiere es noch einmal. Vor zwei Jahren ist der Bericht der Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur herausgegeben worden, demzufolge die ökonomische und soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler katastrophal ist. Das haben wir alle mitbekommen. Ich nenne nur eine erschreckende Zahl: Die Hälfte der Kunstschaf­fenden verdient im Jahr unter 6 000 €.

Der beste Beweis dafür, dass die Künstlersozialversicherung mit all ihren Novellie­rungen nicht gegriffen hat, war genau dieser Bericht. Da geht es um die Pen­sions­versicherung, aber nicht um die tatsächliche aktuelle Lage der Kunstschaffenden. Die Ministerin hat daraufhin versprochen, sich gemeinsam mit dem Sozialminister diesem Thema zu widmen und irgendetwas auszuarbeiten, und es stimmt, dann wurden monatelang – zwei Jahre waren es nicht, aber egal – in fünf Arbeitskreisen insgesamt 32 Sitzungen abgehalten, ein Haufen von Fachleuten hat wie der sprichwörtliche Berg gekreißt, und am Schluss wurde ein Mäuschen geboren, und dieses Mäuschen heißt jetzt Servicezentrum.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 85

Meine Damen und Herren, dieses Servicezentrum ist eine gute Einrichtung, gar keine Frage, und daher stimmen wir dem auch zu, denn wenn die Kunstschaffenden bis jetzt unter verschiedenen Versicherungen gelitten haben, kann man fast sagen, und nicht genau gewusst haben, wo sie jeweils hinmüssen, sich in diesem Dschungel nicht zurechtgefunden haben, dann ist das jetzt eindeutig eine Verbesserung und kein bürokratischer Überbau – gar keine Frage.

Herr Bundesminister, die soziale Lage ist aber durch diese Anlaufstelle jedenfalls nicht verbessert worden. Daher haben wir auch schon seit vielen Jahren durch Ent­schließungs­anträge und Initiativanträge ein Konzept eingebracht, demgemäß die Künstlerinnen und Künstler hinsichtlich ihrer sozialen Lage mit einer Mindestsiche­rung – spezifisch für diese Berufsgruppe – abgesichert wären, und das wäre nicht einmal so teuer, es müsste einfach nur politisch umgesetzt werden.

Herr Minister, wenn Sie im Ausschuss sagen, Sie wollen keine Staatshaftung für die Kulturschaffenden übernehmen, dann ist das – gestatten Sie mir den Ausdruck! – eine zynische Äußerung angesichts dieser sozialen Lage, wo doch sehr viele Künstlerinnen und Künstler weit unter der Armutsgrenze leben.

Was sind denn Sozialleistungen des Staates überhaupt anderes als Staatshaftungen im Sozialbereich? Es gibt ja auch Staatshaftungen für Banken. Warum soll es denn keine Staatshaftung im Sozialbereich geben? Was ist denn daran verwerflich? Gerade im Zusammenhang mit der Kultur profitiert der Staat ja letztendlich von den Kunst­schaffenden mehr, als er ihnen gibt. Also warum soll man denen dann bitte um Gottes Willen nicht auch einmal ein Netz spannen? Die Zahlen sprechen ja dafür; das bringt uns ja nicht um. (Beifall bei den Grünen.)

Die allgemeine Mindestsicherung, die es jetzt gibt, greift bei den Kulturschaffenden überhaupt nicht – das wissen Sie ganz genau! –, denn eher darben Künstlerinnen oder Künstler, bevor sie sich irgendwohin umschulen lassen, auf einen Beruf, den sie sicher nicht ausüben werden und wollen. Da investieren sie lieber selber und leben lieber in Armut, bevor sie so etwas machen. Daher muss man auch spezifisch für diese Berufs­gruppe etwas machen. Es lassen sich eben nicht alle über einen Leisten schlagen.

Aber wenn man schon Gerechtigkeit als wichtige Leistung im Staat anerkennt, würde ich doch darum bitten, folgende Ungerechtigkeit, die tatsächlich existiert und die wir alle kennen, bei dieser Gelegenheit zu beseitigen. Normalerweise dürfen Zuschuss­bezieher und -bezieherinnen innerhalb einer bestimmten festgelegten Obergrenze etwas dazuverdienen, nicht aber jene Künstlerinnen und Künstler, die in Pension sind.

Das ist einfach eine Ungerechtigkeit, und daher bringe ich folgenden Antrag ein:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Zinggl, Öllinger, Kolleginnen und Kollegen zum Bericht des Aus­schusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage 876 der Beilagen:

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Regierungsvorlage (876 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Künstler-Sozialversicherungsfondsgesetz und das Betriebliche Mitarbeiter- und Selbständigen­vor­sorgegesetz geändert werden (KünstlerInnensozialversicherungs-Strukturgesetz – KSV-SG), in der Fassung des Ausschussberichts (899 der Beilagen) wird wie folgt geändert:

1. In Art. 3 wird nach Z 1 folgende Z 1a eingefügt:


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 86

„1.a. In § 17 entfällt Abs. 7. Der bisherige Abs. 8 erhält die Bezeichnung Abs. 7.“

2. In Art. 3 Z 3 lautet § 30 Abs. 5 folgendermaßen:

„(5) Die §§ 4, 17 und 22a samt Überschrift treten mit 1. Jänner 2011 in Kraft.“

*****

Meine Damen und Herren, ich würde Sie einladen und bitten, diesem Antrag zuzustim­men – einfach weil die derzeitige Lage dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht und daher eine Zustimmung wirklich nicht wehtut. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

13.37


Präsident Fritz Neugebauer: Der eingebrachte Abänderungsantrag steht mit in Verhandlung.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Zinggl, Öllinger, Kolleginnen und Kollegen zum Bericht des Aus­schusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (876 d.B.): Bun­des­gesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Künstler-Sozialversicherungsfondsgesetz und das Betriebliche Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz geändert werden (KünstlerIn­­nen­sozialversicherungs-Strukturgesetz – KSV-SG)

Antrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Regierungsvorlage (876 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozial­versicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Künstler-Sozialversicherungsfondsgesetz und das Betriebliche Mitarbeiter- und Selbständigen­vorsorgegesetz geändert werden (KünstlerInnensozialversicherungs-Strukturgesetz – KSV-SG) in der Fassung des Ausschussberichts (899 d.B.) wird wie folgt geändert:

1. In Art 3 wird nach Z 1 folgende Z 1a eingefügt:

„1.a. In § 17 entfällt Abs 7. Der bisherige Abs 8 erhält die Bezeichnung Abs 7.“

2. In Art 3 Z 3 lautet § 30 Abs 5 folgendermaßen:

„(5) Die §§ 4, 17 und 22a samt Überschrift treten mit 1. Jänner 2011 in Kraft.“

Begründung

Das Künstler-Sozialversicherungsfondsgesetz (K-SVFG) erfüllt, wie die Grünen wieder­holt angemerkt haben, keineswegs seinen Zweck der sozialen Absicherung von KünstlerInnen. Durch die letzte Novelle kommt es nunmehr zu einer eklatanten Schlechterstellung von KünstlerInnen, die ab 2008 Pension beziehen, weil ihnen im Fall der weiteren aktiven Berufsausübung gemäß § 17 Abs. 7 der Zuschuss zu ihren Sozialversicherungsleistungen gestrichen wird. Dazu ist anzumerken, dass die weitere Berufsausübung auch im Alter für KünstlerInnen den Normalfall darstellt, weil sie nur in den seltensten Fällen genügend anrechenbare Jahre gesammelt haben, um sich auch tatsächlich „zur Ruhe setzen“ zu können – ganz abgesehen davon, dass das


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künstlerische Wollen nicht einfach erlischt, bloß weil man ein bestimmtes Alter erreicht hat.

Konkret stellt sich ab 2008 die Situation für KünstlerInnen, die Pension beziehen und weiterhin aktiv tätig sind, folgendermaßen dar:

Von der bezogenen Pension müssen Lohnsteuer und Krankenversicherung bezahlt werden.

Für die Einkünfte aus selbständiger künstlerischer Arbeit sind ganz normal Steuern zu entrichten sowie die darauf basierenden Sozialversicherungsbeiträge, ohne dass eine Zuschussleistung möglich wäre.

Im Vergleich zu jüngeren, aktiven, zuschussberechtigten KünstlerInnen, denen Ein­künfte zusätzlich zu jenen aus selbständiger Arbeit zugestanden werden (bis zur festgelegten Einkommenshöchstgrenzen), gilt dies für die BezieherInnen von Alters­pension nicht.

Diese Ungerechtigkeit könnte mit der einfachen ersatzlosen Streichung des § 17 Abs. 7 K-SVFG behoben werden.

*****

 


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Grosz. – Bitte. (Abg. Steibl in Richtung des sich zum Rednerpult begebenden Abg. Grosz : Gerald, ist das deine Abschiedsrede?)

 


13.37.39

Abgeordneter Gerald Grosz (BZÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Zwei Redebeiträge erschrecken wirklich, und zwar aufgrund der Unwissenheit der Rednerin beziehungs­weise des Redners: Frau Abgeordneter Fuhrmann und des Ministers. (Zwischenrufe bei ÖVP und SPÖ.)

Herr Minister, es dürfte Ihrer geschätzten Aufmerksamkeit entgangen sein, dass nie­mand in diesem Haus das Künstlersozialversicherungsgesetz infrage stellt, denn: Wissen Sie überhaupt, wann es eingeführt worden ist? Wissen Sie, wer es in den neunziger Jahren verhindert hat? – Hums, Hostasch, Hesoun. Und wissen Sie, wer es 2001 eingeführt hat? – Bundeskanzler Schüssel, Staatssekretär Morak und Bundes­minister für Soziales Herbert Haupt. (Beifall beim BZÖ.)

Vorher gab es kein Künstlersozialversicherungsgesetz, weil gerade Sie es über Jahre in der Regierungsverantwortung versäumt haben, den Kulturschaffenden, denen Sie höchste Wertschätzung entgegengebracht haben, auch endlich eine soziale Absiche­rung in den prekären Beschäftigungsverhältnissen zu geben.

Ich weiß auch nicht, was es da für eine Missstimmung aufgrund der Ausführungen des Abgeordneten Petzner gibt, der lediglich festgestellt hat, dass die Einrichtung – die Sozialversicherungsanstalt besteht ja, die hat ja Personal! – einer zusätzlichen Servicestelle samt den Errichtungskosten im Jahr insgesamt 400 000 € kosten würde, und dies bei 200 Anträgen, die diese Servicestelle im Jahr zu bearbeiten hat, und, geschätzte Damen und Herren, bei 252 Arbeitstagen, an denen diese Servicestelle acht Stunden geöffnet hat. – Für Sie noch einmal zum Mitbuchstabieren: 252 Arbeits­tage, acht Stunden Öffnungszeiten, 400 000 € im Jahr an Kosten für diese Servicestelle und 200 Antragstellungen! Dort wartet man also drei Tage, bis endlich einmal möglicherweise vor der Mittagspause jemand hereinkommt und einen Antrag stellt. (Beifall beim BZÖ.)


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 88

Volles Service und sozialversicherungsrechtliche Absicherung für Kulturschaffende und Künstler: Das ist das Sozialversicherungsgesetz für Künstler, das 2001 durch Haupt und Morak ins Leben gerufen worden ist!

Aber, bitte schön, ersparen wir uns doch am Höhepunkt der Wirtschaftskrise und einer Budgetdebatte in Knittelfeld vulgo Loipersdorf am kommenden Wochenende, wo jeder über Sparen in diesem Land spricht, dass eine Serviceeinrichtung überbordend gestaltet wird, die 400 000 € im Jahr kostet.

Gestern gab es eine Diskussion darüber, dass man für 300 Lehrlinge in diesem Land kein eigenes Berufsbild, kein eigenes Lehrbild schafft. Die Antwort von der Regierungs­bank und vonseiten der Regierungsparteien war nämlich, für 300 machen wir nichts, das ist viel zu wenig. Aber für 200 Leute in diesem Land, die alle berechtigte Anliegen haben, die sich in der Sozialversicherungsanstalt ja wiederfinden, wird zusätzlich zur Sozialversicherungsanstalt eine eigene Servicestelle eingerichtet, die kein Mensch in diesem Land braucht.

Und deswegen und ausschließlich deswegen lehnen wir dieses Gesetz ab und lehnt es auch der Bundesrechnungshof ab, der Ihre Gesetzesvorlage ohnedies durch Sonne, Mond und Sterne geschossen hat. – Ich danke. (Beifall beim BZÖ.)

13.40


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Keck. – Bitte.

 


13.41.04

Abgeordneter Dietmar Keck (SPÖ): Herr Präsident! Herr Minister! Lieber Kollege Grosz, Sie reden viel, wenn der Tag lang ist – und wenn der Abend kommt, wenn Entscheidungen getroffen werden müssen, dann halten Sie nicht einmal das ein, was Sie uns ständig versprechen. Wir warten heute noch auf Ihren Rücktritt aus dem Nationalrat, den Sie uns sehr lange angekündigt haben. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP. – Zwischenruf des Abg. Grosz.)

Meine Damen und Herren, die Arbeitswelt hat sich gerade in den letzten zehn bis zwanzig Jahren sehr dramatisch verändert. Eine Arbeitsstelle von der Lehre bis zur Pensionierung gibt es heute nicht mehr. Arbeitsplatzwechsel, Umschulungen sind an der Tagesordnung, und das Risiko von Arbeitslosigkeit ist heute bedeutend höher, als es in der Vergangenheit war.

Es haben sich auch die Beschäftigungsverhältnisse verändert. Aus Tausenden Arbei­tern und Angestellten sind Neue Selbständige geworden. Das Schlagwort vonseiten der Wirtschaft lautet ja Flexibilisierung, was für die Betroffenen oft soziale Unsicherheit oder auch sozialen Abstieg bedeutet. Manche trifft es sehr hart, dass sie plötzlich das gesamte soziale Risiko tragen müssen. Der Armutsbericht zeigt uns das ja sehr deut­lich.

Eine besonders hohe Betroffenheit finden wir im Bereich der Kunst. Dort gibt es Tausende prekäre Arbeitsverhältnisse, Leih- und Teilzeitarbeit, einen ständigen Wechsel zwischen Arbeitszeiten und Arbeitslosigkeit.

Eine normale Anstellung bei einem Kunstunternehmen, einem Orchester oder Theater ist die Ausnahme. Die Regel bei den Künstlern sind Kurzzeitengagements, Werkver­träge und Honorarbasisarbeitsbedingungen.

Die Folge für die Künstlerinnen und Künstler ist ein ständiges Hin und Her zwischen Versicherungsträgern und Anlaufstellen. Da schaffen nicht nur unterschiedliche Beitragssätze und wiederkehrende Mehrfachversicherungen finanzielle Sorgen bei den Künstlerinnen und Künstlern. Das ist nicht nur wegen der Betroffenheit der Menschen falsch, meine Damen und Herren, sondern auch deswegen, weil nicht zuletzt die


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Kulturhauptstadt Linz 2009 gezeigt hat, dass die Kunst auch ein wesentlicher Wirt­schafts­faktor ist.

Das Stichwort ist Kreativwirtschaft. Maler, Bildhauer, Tänzer, Musiker, aber auch Schauspieler oder Autoren erarbeiten jährlich Hunderte Millionen an Wertschöpfung. Sie haben aber trotzdem einen sehr, sehr unsicheren sozialen Status.

Unter den 36 800 Unternehmen mit keinem einzigen Mitarbeiter dürften sich rund 10 000 Künstlerinnen und Künstler befinden. Die deutsche Kulturhauptstadt Ruhr 2010 geht davon aus, dass durch Kreativität und Kunst mehr als 150 000 neue Jobs geschaffen werden können. Was in Deutschland zutrifft, kann auch und wird auch auf Österreich zutreffen.

Daher war es wichtig und richtig, dass sich im Herbst 2009 eine Arbeitsgruppe KünstlerInnen unter einem Sozialversicherungsdach formiert hat. Ihr Arbeitsergebnis liegt nun auf dem Tisch, ein Kompetenzzentrum für Künstlerlinnen und Künstler, das dem modernen One-Stop-Shop-Prinzip folgt und künftig Anlaufstelle für die Anliegen der Künstlerlinnen und Künstler sein wird.

Angesiedelt wird das Zentrum bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft. Die Fragen der Ruhendmeldung und der Vermeidung der Versicherungs­pflicht in Phasen, in denen keine künstlerische Arbeit geleistet wird, konnten hier fachgerecht und in sehr kurzer Zeit gelöst werden. Das alles dient zum Wohle der Menschen, sehr wohl aber auch zum Vorteil der Kunst und des Kulturlandes Österreich. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

13.44


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Pack. – Bitte.

 


13.44.32

Abgeordneter Jochen Pack (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundes­minister! Meine geschätzten Damen und Herren! Ja, die häufig prekäre Arbeitssituation von Künstlerinnen und Künstlern hat den Ausschlag für diese Änderung gegeben. Die damit verbundenen atypischen Arbeits- und Erwerbsformen kennzeichnen das Arbeits­leben eines Künstlers.

Meine Vorredner haben es zu Recht gesagt, die Einrichtung dieser Serviceagentur, insbesondere bei der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft, ist für die Künstlerinnen und Künstler ein notwendiger Schritt gewesen. Dies wird eine zentrale Anlaufstelle für alle Fragen rund um die sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen sein und somit eine wesentliche Erleichterung darstellen. In diesem Sinn ist das ein guter Schritt, der auch von den Betroffenen entsprechend begrüßt wird.

Es war auch richtig, dass die im Ministerium eingerichtete Arbeitsgruppe in ihren Über­legungen vom ersten Lösungsansatz abgewichen ist, die Versicherungszuständig­keiten zu ändern, denn das hätte im Endeffekt zu mehr Problemen geführt, insbe­sondere bei den Betroffenen, als es geholfen hätte.

Die Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft erfüllt natürlich alle Kriterien, um ein effizientes Kompetenzzentrum zu sein. Die Ruhendmeldung ermöglicht den Künst­lern ohne Probleme die Geltendmachung beziehungsweise den Bezug von Leistungen im Bereich der Arbeitslosenversicherung. Das war eine notwendige Forderung der Betroffenen, der damit stattgegeben wird.

Natürlich ist auch ganz klar, und das haben auch Vorredner von mir betont, dass mit dem Gesetz die prinzipiell schwierige finanzielle Situation der einzelnen Künstlerinnen und Künstler im Detail nicht zu lösen ist. Aber ich glaube, es ist ganz klar, dass es


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keine staatlichen Garantien für gewisse Aufträge und so weiter geben kann und dass das ein Bereich im Wettbewerb ist.

Wenn ich ganz kurz auch auf die Debatte um die Kosten eingehen darf: Lieber Gerald Grosz, wenn du schon – ich wiederhole die Worte des Ministers  aus den Finanziellen Erläuterungen vorliest, dann solltest du das auch richtig tun. Da steht: einmalige Errichtungskosten in Höhe von 120 000 €, schätzt die Sozialversicherungsanstalt, und für den Betrieb 243 000 €, aber bei Weitem nicht die 400 000 €, wie du sie geschätzt hast. (Abg. Grosz: 4 200 € stehen auch noch drin! Können wir zusammenzählen?) – Wir können schon zusammenzählen. Aber der Unterschied ist der, dass du von jährlich sprichst. Das steht aber da in dem Bereich nicht drinnen.

Gleichzeitig ist auch die Begründung der FPÖ, dass damit sozusagen ein Anschlag auf den Staat erfolgt, total lächerlich. Man kann nicht nachvollziehen, wieso Sie in diesem Bereich dieser Materie nicht zustimmen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der SPÖ.)

13.47


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Riepl. – Bitte.

 


13.47.55

Abgeordneter Franz Riepl (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Der heutige Beschluss führt zu einer Verbesserung der sozialen Situation von Kunst­schaffenden in Österreich. Der Inhalt ist schon im Detail referiert und diskutiert worden. Es ist insbesondere auch vom Herrn Bundesminister klargestellt worden, warum dieses Gesetz besonders gut ist. Ich denke, er kann mit der Zustimmung der Sozial­demokratischen Partei in diesem Fall nicht nur rechnen, sondern wir werden diese Zustimmung mit Überzeugung geben. Es ist also gut, was wir da jetzt tun.

Nicht gut ist etwas anderes, was uns im Sozialversicherungsbereich seit wenigen Stun­den bekannt ist, nämlich dass wir einen traurigen Rekord erreicht haben, und zwar im Bereich der Schulden der Arbeitgeber bei den Gebietskrankenkassen, die bereits eine Milliarde überschritten haben. Seit Kurzem wissen wir das.

Bekannt ist, dass wir in diesem Haus – und das ist jetzt keine parteipolitische Ge­schichte, sondern einfach eine Sache, die man, glaube ich, andiskutieren muss – vieles getan haben. Wir haben den Sozialbetrug vielfach gesetzlich stärker bekämpft. (Abg. Kopf: Wollen Sie die Milliarde mit Betrug gleichsetzen?) – Lassen Sie mich einmal ausreden, es ist ja interessant, dass Sie gleich dagegenreden! (Abg. Kopf: Ich habe gefragt und nicht dagegengeredet!) – Hören Sie sich einmal an, was ich zu sagen habe, Herr Klubobmann!

Also ich stelle noch einmal fest: Wir haben einen Schuldenstand von Teilen der Wirt­schaft, zugegebenermaßen nicht von der Mehrheit, aber von einem Teil der Wirtschaft, der inakzeptabel ist und wo man eigentlich sagen müsste, es sollte etwas geschehen.

Wir haben drei Möglichkeiten: Wir können es zur Kenntnis nehmen, wir können zur Tagesordnung übergehen, wir können diese schwarze Schafherde der Wirtschaft weiter grasen lassen oder wir machen da weiter – und dazu lade ich ein –, womit wir begonnen haben, sichtlich ist aber noch zu wenig geschehen, nämlich dass wir mehr gegen Sozialbetrug, mehr gegen diesen Umstand tun.

Der geringere Teil von dieser einen Milliarde ist insolvenzverhangen. Es geht also auch um andere Bereiche. Ich könnte mir gut vorstellen, dass man die Strafzinsen, die man bei Schulden zahlen muss, in diesem Fall auf jenes Niveau hebt, das jemand bei der Bank an Überziehungszinsen bei einem Girokonto zahlt. Das wäre zum Beispiel etwas.


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Zu der einen Milliarde kommt aber noch etwas dazu, Herr Klubobmann Kopf, nämlich 125 Millionen €, die von den Gebietskrankenkassen in einem Jahr als uneinbringlich abgeschrieben werden mussten. (Zwischenruf des Abg. Kopf.) – Alles Zahlen aus 2009.

Denken wir doch gemeinsam darüber nach, Herr Klubobmann Kopf, dass 45 Prozent von diesem Schuldenstand – 1 Milliarde € und eben auch diese 125 Millionen € – Arbeit­nehmerbeiträge sind, die zwar einkassiert, aber nicht weitergegeben worden sind. Diese Situation zeigt doch, dass wir gemeinsam – und mehr will ich eigentlich nicht – darüber nachdenken sollen, ja müssen, was man dagegen tun kann. Wir können ganz einfach nicht akzeptieren, dass diese Schulden noch mehr steigen und dass Beträge nicht dorthin kommen, wo sie hinkommen sollten, und sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch noch vorhalten lassen müssen, dass soziale Leistungen vielleicht nicht mehr finanzierbar sein werden; Vorwürfe, die es ja in Bezug auf die Pensionen und Ähnliches mehr gibt. (Abg. Grosz: Sind wir beim falschen Tagesordnungspunkt?)

Ich glaube, es ist ganz gut, dass man, wenn man über die Sozialversicherung redet, auch darauf hinweist. Mehr wollte ich jetzt nicht, denn wir werden sicherlich in den nächsten Wochen noch Gelegenheit genug haben, über diesen Umstand zu disku­tieren. (Beifall bei der SPÖ.)

13.51

 


Präsident Fritz Neugebauer: Weitere Wortmeldungen hiezu liegen nicht vor. Die Debatte ist geschlossen.

Wir haben mehrere Abstimmungen zu bewältigen. Bitte, Platz zu nehmen!

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf in 899 der Beilagen.

Hiezu haben die Abgeordneten Dr. Zinggl, Kolleginnen und Kollegen einen Zusatz- beziehungsweise Abänderungsantrag eingebracht.

Ich werde zunächst über den erwähnten Zusatzantrag abstimmen lassen. An­schließend lasse ich – entsprechend der Systematik des Entwurfes – über den von dem erwähnten Abänderungsantrag betroffenen Teil und schließlich über die rest­lichen, noch nicht abgestimmten Teile des Gesetzentwurfes abstimmen.

Wir kommen daher zunächst zur Abstimmung über den Zusatzantrag der Abgeord­neten Dr. Zinggl, Kolleginnen und Kollegen, der die Einfügung einer neuen Ziffer 1a im Artikel 3 zum Inhalt hat.

Wenn Sie sich hiefür aussprechen, bitte ich um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Abänderungsantrag der Abgeordneten Dr. Zinggl, Kolleginnen und Kollegen, der sich auf Artikel 3 Ziffer 3 bezieht.

Wenn Sie sich hiefür aussprechen, bitte ich um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über diesen Teil des Entwurfes in der Fassung des Ausschussberichtes.

Ich ersuche jene Mitglieder des Hohen Hauses, die hiezu ihre Zustimmung erteilen, um ein Zeichen. – Das ist mit Mehrheit angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile des Entwurfes samt Titel und Eingang in der Fassung des Ausschussberichtes.

Ich bitte um Zustimmung. – Das ist mit Mehrheit angenommen.


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Wir kommen gleich zur dritten Lesung.

Wenn Sie auch in dritter Lesung für den vorliegenden Entwurf sind, bitte ich um ein zustimmendes Zeichen. – Das ist mit Mehrheit beschlossen. Der Entwurf ist somit auch in dritter Lesung angenommen.

13.53.434. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (865 d.B.): Abkommen zwischen der Republik Österreich und Montenegro über soziale Sicherheit (902 d.B.)


 Präsident Fritz Neugebauer: Wir kommen nun zum 4. Punkt der Tagesordnung.

Zu Wort gelangt als Erster Herr Abgeordneter Dr. Karlsböck. – Bitte, Herr Kollege.

 


13.54.03

Abgeordneter Dr. Andreas Karlsböck (FPÖ): Herr Präsident! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Dieser Punkt der heutigen Tagesordnung dürfte ja geradezu ein „Renner“ sein. Als einziger Redner meiner Fraktion hiezu möchte ich es daher kurz machen; jedenfalls sollten aber schon ein paar Worte dazu gesagt werden.

Grundsätzlich soll Montenegro näher an ein europäisches Niveau herangeführt wer­den, und zwar nicht nur im Fußball, wie jetzt in der Europameisterschafts-Qualifikation, wo Montenegro gegen England ein Unentschieden erzielen konnte. Alle Anstrengun­gen in diesem Bereich, Montenegro näher an die Europäischen Union heranzuführen, sind zu begrüßen.

Nach der Teilung der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien wurde das Abkommen zwischen Österreich und der Bundesrepublik Jugoslawien pragmatisch weiter ange­wendet. Montenegro war aber daran interessiert – auch zur Betonung seiner Eigen­staat­lichkeit –, dieses Abkommen durch ein neues zu ersetzen.

Durch das vorliegende neue Abkommen wird der bisherige Schutz im Bereich der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung sowie der Arbeitslosenversicherung mit im Wesentlichen gleichem materialrechtlichem Inhalt aufrechterhalten, in formaler Hinsicht aber gleichzeitig an die anderen von Österreich in den letzten Jahren geschlossenen Abkommen über soziale Sicherheit angepasst.

Das jetzige Abkommen zwischen der Republik Österreich und Montenegro über soziale Sicherheit fördert einerseits die Eigenstaatlichkeit Montenegros und gibt wichtige Impulse für eine umfassendere Datenschutzregelung.

Auch andere Projekte, so zum Beispiel das Twinning-Projekt, fördern die Entwicklung in diesem Bereich. Das Twinning-Projekt zielt darauf ab, die Kapazitäten von Montenegro hinsichtlich des Schutzes personenbezogener Daten und der Implementie­rung der Datenschutzgesetzgebung zu stärken.

Eine Projekt-Komponente befasst sich mit der weiteren Harmonisierung der daten­schutzrelevanten Gesetzgebung, mit dem EU-Acquis.

Eine weitere zielt darauf ab, die kürzlich eingerichtete unabhängige Datenschutz­behörde mit gezielten Trainings beim Aufbau der Tätigkeit der Behörde zu unterstüt­zen.

Trainings für Datenschutzverantwortliche in Ministerien, andere relevante Institutionen sowie im privaten Sektor sind ebenfalls Teil dieses Projekts.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 93

Das ist eine positiv zu bewertende Entwicklung, sodass wir dem zustimmen können. (Beifall bei der FPÖ.)

13.56


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Haubner. – Bitte.

 


13.56.25

Abgeordnete Ursula Haubner (BZÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundes­minister! Auch das BZÖ gibt seine Zustimmung zu diesem Abkommen über soziale Sicherheit zwischen der Republik Österreich und Montenegro. Es ist ein weiteres Abkommen – wir haben ja schon sehr viele hier im Parlament beschlossen –, das Klarheit schafft, das klare Spielregeln schafft für diejenigen, die in Montenegro arbei­ten, beziehungsweise für Menschen aus Montenegro, die in unserem Land beschäftigt sind.

Mit diesem Abkommen gibt es daher auch klare Spielregeln, was den Bereich der Kranken-, Unfall-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung betrifft. Es ist das ein Abkommen, das sehr gut vorbereitet wurde. Ich möchte daher auch den Beamtinnen und Beamten des Ministeriums sehr herzlich dafür danken, denn ich weiß aus eigener Erfahrung, wie sensibel dieser Bereich ist und wie notwendig es daher ist, eine gute Vorlage vorzubereiten.

Besonders begrüßen wir die klare umfassende Datenschutzregelung und dass unsere Standards, was personenbezogene Sozialdaten anlangt, letztendlich dann auch von Montenegro angewandt werden.

In diesem Sinne begrüßen wir dieses Abkommen und geben unsere Zustimmung dazu. (Beifall beim BZÖ.)

13.57


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Öllinger. – Bitte.

 


13.57.53

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Normalerweise sind Abkommen über soziale Sicherheit keine, über die wir hier in eine Debatte eintreten. Ich habe mich daher nur aus dem einen Grund dazu zu Wort gemeldet, dass nicht der Eindruck entsteht, die FPÖ sei der „Schutzherr“ der Monte­negriner beziehungsweise der Serben, was Sie von der FPÖ ja sonst gerne zum Besten geben würden. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Nein, dem ist nicht so!

Alle Fraktionen haben diesem Abkommen zugestimmt, und in der Regel wird ein derartiges Abkommen hier ohne Debatte beschlossen. Daher ist es schon auffällig, dass ein FPÖ-Abgeordneter, sozusagen mit stolzgeschwellter Brust, zu diesem Tages­ord­nungspunkt spricht. Ich möchte Ihnen, Frau Abgeordnete Haubner, absolut nicht dieses Motiv unterstellen, sondern meine, dass Sie aus einem ähnlichen Grund wie ich hier zum Rednerpult geschritten sind.

Um für alle klarzustellen: Serbien und Montenegro sind Gott sei Dank nicht der Privatbesitz der FPÖ. Und das wäre ja auch das Schlimmste, was diesen beiden Ländern passieren könnte. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von SPÖ und ÖVP.)

13.58


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Großruck. – Bitte.

 


13.59.00

Abgeordneter Wolfgang Großruck (ÖVP): Meine Damen und Herren! Ich mache es ganz kurz: Natürlich stimmen auch wir von der Österreichischen Volkspartei diesem


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Abkommen zu. Als jemand, der sich – wie viele andere hier – oft in Balkanstaaten aufhält, weiß ich ganz einfach, wie notwendig derartige Abkommen sind, obgleich sich diese Staaten – das sage ich hier kritisch dazu – schon noch gewaltig weiterentwickeln müssen. Und ich glaube, dass Abkommen wie diese dazu beitragen.

Ich rufe aber auch von dieser Stelle aus die Montenegriner auf, gewisse Raubritter­methoden – wenn man mit dem Auto durch dieses Land fährt, kennt man das – zu überdenken. Ich habe heuer ein Feuerwehrfahrzeug nach Albanien transportiert, und allein für die Durchfahrt durch Montenegro wurden mir über 100 € abgeknöpft – und das für 30 Kilometer! Ich glaube, auch das sollte man hier sagen; was ich hiemit getan habe. Europäisierung heißt auch Anpassen an unsere Standards und an unsere Dinge. Das habe ich hiermit gesagt.

Und: Natürlich stimmen wir diesem Abkommen auch zu. (Beifall bei der ÖVP.)

14.00


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Csörgits. – Bitte.

 


14.00.17

Abgeordnete Renate Csörgits (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Damit die Runde komplett ist, darf ich festhalten, dass auch die Sozialdemokratie für diese Ver­bes­serung ist, nämlich auch deshalb, weil sich gerade die Sozialdemokratie immer wieder dafür eingesetzt hat, dass soziale Bedingungen, soziale Voraussetzungen, soziale Grundwerte auch in anderen Ländern angepasst werden, im Sinne der Menschen, die dort beschäftigt sind. Daher freue ich mich über den einstimmigen Beschluss. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

14.00

14.00.30

 


Präsident Fritz Neugebauer: Eine nächste Fraktionsrunde kann ich nicht erkennen. (Allgemeine Heiterkeit.) Somit ist die Debatte geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Arbeit und Soziales, dem Abschluss des gegenständlichen Staatsvertrages in 865 der Beilagen gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes die Genehmigung zu erteilen.

Ich bitte um Ihre Zustimmung. – Das ist einstimmig angenommen.

14.01.225. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 121/A(E) der Abgeordneten Ing. Norbert Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Gebär­densprachkurse für Eltern gehörloser Kinder (903 d.B.)

6. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 123/A(E) der Abgeordneten Ing. Norbert Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend audio­pädagogische Förderung für hörbehinderte Kinder (904 d.B.)

7. Punkt

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 1168/A(E) der Abgeordneten Mag. Helene Jarmer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Aner­kennung von Taubblindheit als eigenständige Art der Behinderung (905 d.B.)

 



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Präsident Fritz Neugebauer: Wir kommen nun zu den Punkten 5 bis 7 der Tages­ordnung, über welche die Debatte unter einem durchgeführt wird.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Erster Redner ist Herr Abgeordneter Ing. Hofer. – Bitte, Herr Kollege.

 


14.02.10

Abgeordneter Ing. Norbert Hofer (FPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich sehr dafür bedanken, dass es hier im Hohen Haus möglich war, gemeinsam einen Antrag zur Anerkennung von Taubblind­heit einzubringen und heute auch zu beschließen, denn ich glaube, dass man damit schon sehr deutlich klarmacht, dass Menschen, die taubblind sind, nicht einfach blind und taub sind, sondern dass das eine völlig eigenständige Form der Behinderung ist, die auch sehr, sehr große Herausforderungen mit sich bringt. (Präsident Dr. Graf übernimmt den Vorsitz.)

Ich habe vor einiger Zeit, als ich unseren Antrag zum ersten Mal präsentiert habe, auch die sogenannte „Lorm-Hand“ gezeigt, also wie sich diese Menschen durch Druck auf Fingerspitzen und so weiter verständigen. Es ist wirklich eine große Herausforderung, damit in Kommunikation zu treten.

Wenn man sich jetzt die Anträge ansieht, die wir heute diskutieren, so ist zu erkennen, dass unser Budget unter Druck geraten ist, dass deswegen der Sozialstaat unter Druck geraten ist. Wir haben uns nämlich verpflichtet, Banken, die in Schwierigkeiten geraten sind, zu helfen – das war zum damaligen Zeitpunkt auch notwendig –, und wir haben uns auch verpflichtet, in Richtung Griechenland enorme Hilfeleistungen zu senden, wobei die Meinungen darüber, ob das notwendig ist oder nicht, weit auseinander­gehen – ich erinnere an die hohen Militärausgaben Griechenlands –, aber wir fragen uns schon, warum diese Anträge betreffend Gebärdensprachkurs für Eltern hörbe­hinderter Kinder oder die audiopädagogische Förderung für hörbehinderte Kinder nicht von der öffentlichen Hand unterstützt werden. Ich bin davon überzeugt, dass auch dafür finanzielle Mittel vorhanden wären, vor allem deshalb, weil sich die Ausgaben dafür wirklich in Grenzen halten.

Wenn man jetzt im Rahmen der Spardebatte – und da hat der Sozialminister natürlich im Rahmen seiner Verhandlungen mit dem Finanzminister eine besondere Verant­wortung – vor allem bei den Sozialausgaben spart, dann muss man sehr darauf achten, dass man nicht bei behinderten Menschen spart. Damit spreche ich ganz besonders das Pflegegeld an. (Beifall bei der FPÖ.)

Herr Bundesminister, Sie haben, als Behindertenorganisationen vor einiger Zeit begonnen haben, Unterschriften zu sammeln, als Reaktion darauf gesagt, Sie halten am siebenstufigen System in Österreich fest, es werde keine Änderungen geben. Zu diesem Zeitpunkt war bereits für jene, die sich mit der Sprache der Politik auseinan­dersetzen, klar, dass das bedeutet, dass die sieben Stufen bleiben, aber dass es innerhalb dieser sieben Stufen zu Veränderungen kommen wird.

Sie haben es dann auch angekündigt: Es wird schwieriger werden, die Stufe 1 und die Stufe 2 zu erreichen. Wir haben auch im Ausschuss darüber diskutiert. Sie haben dort die Ausgaben, die für Langzeitpflege in Österreich getätigt werden, angeführt und auch gesagt, dass viele Menschen, die Pflegegeld erhalten, diese Leistungen innerhalb der Familie weitergeben, dass also nicht kontrollierbar ist, ob diese Leistungen tatsächlich für die Pflege und für die Betreuung verwendet werden, weil hier keine mobilen Dienste, keine professionellen Dienste in Anspruch genommen werden.

Ich glaube, dass diese Argumentation ein Trugschluss ist, weil das Pflegegeld ja dafür gedacht war, dass es Selbstbestimmung gibt bei den pflegebedürftigen Menschen und


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dass man jene Angehörigen, die Unglaubliches leisten, auch ein bisschen finanziell entlastet. 80 Prozent der Pflegeleistungen, meine Damen und Herren, werden in Österreich von Angehörigen erbracht, und wiederum 80 Prozent dieser Angehörigen sind Frauen. Wenn man also im Bereich des Pflegegeldes spart, dann trifft man damit vor allem Frauen. (Beifall bei der FPÖ.)

Jetzt weiß ich schon, dass es Bestrebungen gibt, wo man sagt: Es müssen endlich auch mehr Männer in diesem Bereich aktiv werden!, aber es gibt einen Grund dafür, dass dem nicht so ist. Frau Kollegin Wurm und ich haben im vorletzten Ausschuss kurz darüber gesprochen, wo Sie dann scherzhaft gemeint hat, sie hätte eine Lösung, nämlich, es sollten halt die Frauen einfach jüngere Männer heiraten, dann würde das besser funktionieren.

Das ist richtig, das wäre der einzige Weg. In der Regel ist die Lebenserwartung von Frauen höher, Männer sterben früher, werden früher pflegebedürftig, und es sind oft die Frauen, die sich dann aufopfern und ihren Männern, mit denen sie ihr Leben verbracht haben, in den letzten Jahren helfen und darauf schauen, dass diese gepflegt werden. Dafür auch herzlichen Dank an die Frauen, die diese schwierige Arbeit in Österreich leisten. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

Es kommt auch immer wieder das Argument, dass es beim Pflegegeldbezug Missbrauch gibt. Ja, das gibt es, jedoch den Missbrauch als Grund herzunehmen, so wie das in Wien der Fall war, und zu sagen: Wir möchten gerne Sachleistungen um­setzen, statt Pflegegeld auszuzahlen!, das ist aus meiner Sicht nicht der richtige Weg. Das ist auch eine Ausrede, weil schon jetzt das Gesetz vorsieht, dass, wenn es zu Verwahrlosung kommt – und das kann ich kontrollieren –, statt Pflegegeld Sachleis­tungen bezahlt werden. Das heißt, hier das Pferd von hinten aufzuzäumen und zu sagen: Ich zahle lieber Sachleistungen, damit es nicht zu Missbrauch kommt!, ist sicherl­ich der falsche Weg.

Herr Bundesminister, unser großes Anliegen ist, dass Sie im Rahmen der Budgetver­hand­lungen – ich weiß, die „Beichtstuhlgespräche“ haben schon stattgefunden – alles daransetzen, dass es nicht zu diesen Einschränkungen beim Zugang zum Pflegegeld kommt.

Ich bringe daher folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Ing. Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Hände weg vom Pflegegeld!“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, wird aufgefordert, von neuen Einschränkungen beim Pflegegeld abzusehen und eine Inflationsanpassung des Pflegegeldes in die Wege zu leiten.“

*****

Herr Bundesminister, ich hoffe, dass Sie sich sehr, sehr intensiv für dieses Anliegen einsetzen. Viele Menschen in Österreich haben Verständnis dafür, dass gespart werden muss, man hat aber kein Verständnis dafür, wenn man ausgerechnet bei jenen spart, die sich absolut nicht wehren können. (Beifall bei der FPÖ.)

14.08



Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 97

Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Der soeben eingebrachte Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt und steht mit in Verhandlung.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Ing. Hofer und weiterer Abgeordneter betreffend „Hände weg vom Pflegegeld!“

eingebracht im Zuge der Debatte über den Tagesordnungspunkt 7, Bericht des Aus­schusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 1168/A(E) der Abgeordneten Mag. Helene Jarmer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Anerkennung von Taubblindheit als eigenständige Art der Behinderung (905 d.B.) in der 81. Sitzung des Nationalrates, XXIV. GP, am 21. Oktober 2010.

Behinderung ist eine Armutsfalle. Menschen mit Behinderung sind daher in hohem Ausmaß von Pflegegeld abhängig. Es ist daher dringend erforderlich, wie in anderen Lebensbereichen auch, Leistungen für behinderte Menschen der Inflation anzupassen. Auch taubblinde Menschen sind von realen Kürzungen aufgrund fehlender Wertanpas­sung betroffen. Bestrebungen, den Zugang zum Pflegegeld zu erschweren, sind unsozial und treffen jene Menschen, die sich am wenigsten wehren können.

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigenden Abgeordneten folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschliessen:

„Die Bundesregierung insbesondere der BM für Arbeit, Soziales und Konsumen­tenschutz wird aufgefordert, von neuen Einschränkungen beim Pflegegeld abzusehen und eine Inflationsanpassung des Pflegegeldes in die Wege zu leiten.“

*****

 


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Spindelberger. 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


14.08.27

Abgeordneter Erwin Spindelberger (SPÖ): Kollege Hofer, auch ich bin froh, dass es diesen Fünf-Parteien-Antrag betreffend Taubblindheit gibt und dass diese anerkannte Krankheit nun auch durch den Eintrag im Behindertenpass ihren Niederschlag findet.

Ich bin auch stolz darauf, dass im heurigen Jahr bereits vier Gesetze, die Menschen mit Handicap betreffen, einstimmig im Hohen Haus verabschiedet wurden. Ich sage es ganz offen: Ich würde mir diese Vorgangsweise viel, viel öfter wünschen, nämlich dass man an Problemstellungen gemeinsam herangeht.

Aber ich muss auch auf den gestrigen Tag ein bisschen zurückblicken, als die Debatte, wo es um das Budget gegangen ist, ganz anders verlaufen ist, nämlich gar nicht harmonisch. Da waren viele von den ÖVP-Abgeordneten – das muss ich ganz ehrlich sagen – darauf ausgerichtet, den eingeschlagenen Weg einer sozialen Budgetkon­solidierung zu verlassen, bevor er überhaupt beschritten wurde. (Abg. Steibl: Aber auch seitens der SPÖ!)

Wenn ich nur an jene Wortmeldung denke – ich kann ja vieles unterschreiben –, als Kollege Kopf gestern gesagt hat, dass wir in Österreich ein beeindruckendes Wohl­


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 98

stands­niveau haben und dass wir jetzt darangehen sollten, die Weichen für die Zukunft zu stellen. (Abg. Steibl: Da seid aber ihr auch eingeladen als Regierungspartner, Herr Kollege!) Das stimmt ja alles, aber was mich dann wirklich geärgert hat, war, dass sogar vom Sozialsprecher der ÖVP eine „Privilegiendiskussion“ vom Zaun gebrochen wurde, bei der auf einmal gesagt wird, es könne nicht mehr sein, dass jemand, der 45 Jahre lang gehackelt hat, dann mit 60 in Pension geht, weil er sich das nicht verdiene. (Abg. Steibl: Sie halten die falsche Rede, Herr Kollege! – Zwischenrufe der Abgeordneten Mag. Hakl und Mag. Molterer.)

Zu meiner großen Überraschung hat heute Kollegin Haubner als ehemalige Sozial­minis­terin durch ständiges Verbreiten von Unwahrheiten Neid geschürt, indem sie gesagt hat, die Eisenbahnerpensionen seien ein Privileg. (Zwischenrufe der Abgeord­neten Grosz und Ing. Westenthaler.)

Viele von euch müssen ja wissen, dass alle, die nach dem 1. Jänner 1995 bei den ÖBB zu arbeiten begonnen haben, gleich behandelt werden wie alle anderen ASVG-Versicherten, und dass bei allen, die nach diesem Datum eingetreten sind, das Pensionsantrittsalter auf 61,5 Jahre angehoben wurde. (Neuerlicher Zwischenruf der Abg. Mag. Hakl.)

Wenn von Staatssekretär Lopatka fast täglich die Pensionen der Eisenbahner – die 1 400 € monatlich betragen! – in den Mittelpunkt seiner Aussagen gerückt werden (Zwischenrufe bei der ÖVP), dann frage ich mich, wie er, der ehemalige Herr Staatssekretär, seine Politikerpension rechtfertigt, die das Dreifache der eines Eisen­bahners beträgt.

Hören Sie jetzt endlich einmal auf, meine Damen und Herren von der ÖVP – ich sage das auch ganz offen –, ständig zu monieren, die Leistungsträger dürfen bei der Budget­debatte nicht zum Handkuss kommen, um damit nur diejenigen zu schützen, die Millionen durch Aktienspekulationen verdienen!

Wir von der SPÖ sagen ganz klar: Auch diese sollten künftig endlich einmal ihren Bei­trag zur Budgetkonsolidierung leisten! Vielleicht stellen Sie sich in diesem Zusam­men­hang einmal die Frage – auch Herr Stummvoll redet immer von Leistungsträgern –, wer mehr Leistungen erbringt: der Hackler, der acht Stunden am Tag am Hochofen steht (Zwischenruf bei der ÖVP), Tag und Nacht schuftet und 43 Prozent seines Einkommens an Abgaben und Steuern leistet, oder der, der Millionen abzockt und das in die eigene Hosentasche steckt? (Beifall bei der SPÖ.)

Ich rufe Sie auf, am Wochenende darüber nachzudenken, gemeinsam an eine Budgeterstellung heranzugehen, die sozial ausgewogen ist. (Beifall bei der SPÖ. – Bravoruf des Abg. Heinzl.)

14.11


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Öllinger. 5 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


14.11.56

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es stimmt ja fast alles, was Kollege Spindelberger gesagt hat. Ich würde dem bedingungs­los zustimmen, das Problem ist allerdings: Es ist eigentlich der falsche Zeitpunkt, zu dem wir das diskutieren. Wir diskutieren jetzt notwendige und richtige Änderungen.

Trotzdem noch eine abschließende Bemerkung: Der Punkt – da hat Kollege Spindel­berger völlig Recht – sind nicht jetzt die ÖBB-Bediensteten, der Punkt ist auch nicht die sogenannte Hacklerpension, wobei mich nur verblüfft, Kollege Wöginger, wie schnell das bei dir gegangen ist beziehungsweise beim ÖAAB, weil ich jene Wortmeldungen noch gut im Ohr habe, in denen sich der ÖAAB als jene Fraktion gebrüstet hat, die


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unter keinen Umständen irgendeine Änderung bei der Langzeitversichertenregelung wollte ... (Abg. Wöginger: Nein! Nein! Nein!) – Selbstverständlich! Lieber Kollege Wögin­ger, ich kann dir diese Wortmeldungen beibringen. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Und das ist noch immer nicht der Punkt, über den wir diskutieren sollten. (Zwischenruf der Abg. Mag. Hakl.) Wir sollten darüber diskutieren.

Klar ist, dass wir Änderungen bei der Langzeitversichertenregelung brauchen. Aber eines muss auch klar sein, nämlich, dass ein Beschluss, den wir gemeinsam im Hohen Haus gefasst haben, wo hoffentlich jeder, der das mit verhandelt hat, im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war, nicht einfach von einem Jahr aufs andere Jahr ändern können. (Abg. Wöginger: Doch! – Abg. Mag. Hakl: Doch!)

Aber Änderungen bei der Langzeitversichertenpension sind notwendig, das wissen Sie alle, weil schon allein das unterschiedliche Pensionsalter für Männer und Frauen, das in der Langzeitversichertenpension noch enthalten ist, in Zukunft so nicht haltbar sein wird. Deshalb wäre es gescheiter, heute darüber zu reden statt morgen oder über­morgen – aber nicht mit dem Beiton, den Sie da in die Debatte einbringen! Das stört mich daran, nämlich, dass jetzt als Beiton in jeder sozialpolitischen Debatte vorkommt: Der überbordende Sozialstaat, mit dem müssen wir aufräumen! (Zwischenruf der Abg. Mag. Hakl), und dass das mit der Budgetsanierung begründet wird, aber das ein grundsätzlicher Angriff auf den Sozialstaat und auf bestimmte wohlfahrtsstaatliche Einrichtungen ist.

Damit bin ich bei dem Punkt, den auch Kollege Hofer angesprochen hat, obwohl ich anders beginnen wollte, und sage: Ja, wenn der Herr Bundesminister oder die Bundes­regierung tatsächlich die Kürzungen im Bereich Pflegegeld beabsichtigt, die Sie ja schon gemeinsam beschlossen haben – jeder weiß, dass die 70 Millionen Euro im Jahr 2011 nicht durch kleine Maßnahmen erzielbar sind –, dann kann das nur pas­sieren, indem es zu massiven Einschnitten im Bereich des Pflegegeldes kommt; überhaupt keine Frage.

Wir wissen, was die Pflegestufe 1 kostet, und wir wissen, was die Pflegestufe 2 kostet. Ich denke, Sie werden nicht daran denken, in den höheren Pflegestufen noch irgend­etwas einzusparen.

Nur: In der Pflegestufe 1 und in der Pflegestufe 2 sind die Einschnitte, wenn sie mit den rund 70 Millionen € für das Jahr 2011 so kommen, bereits sehr massiv. Wir sind absolut dagegen!

Wir können über vieles diskutieren, aber ganz sicher nicht darüber, 70 Millionen € beim Pflegegeld einzusparen. Und warum nicht? – Weil Sie alle – alle Fraktionen! – genauso wie wir wissen: Wir brauchen mehr Mittel im Bereich Pflege! Also wie soll es denn gehen, dass wir zu mehr Mitteln im Bereich Pflege kommen, wenn der erste Schritt der ist, dass wir gleich einmal im Bereich Pflege runterkürzen?!

Wie sollen die Leute denn dann zurechtkommen?! Und ausgerechnet die sich immer selbst als Familienpartei bezeichnende ÖVP – das gebe ich gerade Ihnen von der ÖVP zu bedenken –, ausgerechnet die Familienpartei ÖVP will bei den im familien­nahen Bereich erbrachten Leistungen ganz offensichtlich mit einsparen.

Ich weiß nicht genau, welche Änderungen Sie beabsichtigen, aber es ist genau in dem Spektrum, das Kollege Hofer charakterisiert hat: Betreuungen in den Pflegestufen 1 und 2, die zu 80 Prozent im familiennahen Bereich erbracht werden. Da wollen Sie sparen? – Nein, danke! Mit uns ganz sicher nicht! (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Ing. Hofer.)


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Jetzt zu dem, was mir das Einzige ist, das mir Freude macht, obwohl es auch traurig ist, weil ich Kollegin Jarmer dabei ersetzen muss. Ich muss sie entschuldigen, weil sie wirklich schwer krank ist. Sie freut sich natürlich riesig darüber, dass es einen gemeinsamen Antrag gibt, was die Taubblindheit, das Lormen betrifft. Ja, darüber sind wir sehr froh!

Ich habe diesen Handschuh jetzt mit, kann ihn auch anziehen, aber das ist eigentlich nicht der Punkt, sondern der Punkt ist der, dass ich gleich zum Antrag des Kollegen Hofer komme, der ja auch die Gebärdensprachkurse und ähnliche Unterstützungen betrifft. (Der Redner hält einen weißen Lorm-Handschuh, der zur Verständigung mit taubblinden Menschen dient, in die Höhe und zieht diesen über seine rechte Hand. Auf diesem Handschuh sind schwarze Buchstaben, Punkte und Striche gezeichnet. Durch Striche und Klopfen auf Finger und Hand werden die einzelnen Buchstaben des Alphabets übermittelt.)

So kann man beim Lormen für taubblinde Menschen mit dem Zeigen beziehungsweise mit dem Ertasten von Bewegungen das Alphabet erlernen. Es ist nicht einfach zu erlernen, überhaupt keine Frage.

Ich zeige es Ihnen nur deshalb, weil die Menschen, die diese Sprache mitlernen sollen, die ja nicht nur Taubblinde sind, auch dafür Zeit brauchen. Unabhängig davon, ob man das in einer Variante macht, wie es Kollege Hofer vorgeschlagen hat – den kosten­losen Kurs –, oder ob man den Eltern irgendeine Form von Freistellung gibt, damit sie das miterlernen können, sollte man das diskutieren.

Ich glaube, es braucht so etwas wie das schwedische Modell: Zwei Wochen Frei­stellung, intensives Lernen dieses Lormens, damit die Leute die Möglichkeit haben, das auch tatsächlich für ihre Kinder oder für ihre Angehörigen mitzulernen.

Egal, was es ist, ob es dieser Vorschlag ist oder ein anderer, vielleicht fällt Ihnen ein besserer ein, wir hätten gerne darüber diskutiert und nicht diesen Vorschlag – auch wenn er von der FPÖ ist – einfach negativ behandelt und ihn sozusagen durchgewun­ken.

Da sei Ihnen gesagt: Da brauchen wir eine andere Kultur! – auch und gerade im Sozialausschuss und auch und gerade in den nächsten Wochen. (Beifall bei Grünen und FPÖ sowie des Abg. Mag. Johann Maier.)

14.18


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Steibl. 4 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


14.18.38

Abgeordnete Ridi Maria Steibl (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundes­minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Eingangs zu Herrn Kollegen Hofer, der von den Pflegestufen gesprochen hat: Ja, es ist eine wichtige Thematik, aber Sie haben eines vergessen, Sie haben nicht über den Pflegefonds gesprochen. Wir sind der Meinung, dass raschest ein Pflegefonds eingerichtet gehört.

Herr Kollege Öllinger, wir von der ÖVP bekennen uns zur Hacklerregelung. Das haben wir immer zu diesem Beschluss gesagt. Nur: Die Anrechnung der Gratiszeiten war ein Fehler, und darüber muss man, glaube ich, diskutieren.

Drei Anträge diskutieren wir an dieser Stelle unter einem. Es wurde schon gesagt, sie alle betreffen Gehörlosigkeit, Hörbehinderung beziehungsweise die Taubblindheit.

Das Leben mit einer Behinderung muss sehr, sehr schwierig und auch beschwerlich sein. Ich kenne es nur aus den Vorsprachen, aus dem alltäglichen Arbeiten. Wir im Nationalrat haben tatsächlich die Aufgabe, als Politiker das Bestmögliche zu tun und zu


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 101

unterstützen. Wir haben das zumindest mit diesem einen gemeinsamen Antrag ge­zeigt.

Zwei weitere Anträge, in denen es bekanntlich inhaltlich um die audiopädagogische Förderung für hörbehinderte Kinder und um die Gebärdensprachkurse geht, werden wir ablehnen, weil das einfach ganz klar in die Kompetenz der Bundesländer fällt. Das muss man auch sagen.

Kollegin Königsberger-Ludwig gebe ich recht, wenn sie im Ausschuss zu bedenken gegeben hat, dass es teilweise dringenden Handlungsbedarf gibt, wenn Eltern von chronisch kranken behinderten Kindern von einer Förderstelle zur anderen laufen müssen. Das ist faktisch ein Spießrutenlauf. Sie werden einfach herumgeschickt, die Eltern sind wirklich oft an der Grenze des Machbaren. Hier haben wir auch einen Auftrag, formale Dinge so einfach wie möglich zu machen. Ebendieser eine Antrag könnte ein Signal sein, das auch in diese Richtung geht, für ein gemeinsames Vorgehen in diese Richtung; da bin ich bei Ihnen, Herr Kollege Öllinger.

Ich möchte an dieser Stelle auch ein Danke aussprechen an alle Bereichs­sprecher/in­nen für Menschen mit Behinderung in unseren Parteien, die immer wieder sagen und aufzeigen – insbesondere auch mein Kollege –, wo es genau hinzuschauen gilt.

Zusammenfassend: Dieser heutige gemeinsame Beschluss ist ein kleines Mosaik­steinchen, das positiv ist. Ich bin davon überzeugt, dass wir nach den Budgetver­handlungen wieder alle mehr gemeinsam vorgehen können, etwas normaler reden können und uns nicht gegenseitig sozusagen irgendwelche Steine oder Brocken an den Kopf werfen.

In diesem Sinne: Danke, dass wir einmal gemeinsam etwas zuwege bringen! (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

14.21


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Zu einer Stellungnahme hat sich Herr Bundesminis­ter Hundstorfer zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


14.21.49

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Rudolf Hundstorfer: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde jetzt nicht der Versuchung erliegen, dass ich Ihnen, wie Sie hier gemeint haben, sage, was wir vorhaben, weil das ja noch nicht fertig ist. Aber nehmen Sie zwei Botschaften mit: Es kann auch sein, dass Pflegestufen erhöht werden, weil das ebenfalls ein Teil eines intelligenten Sparens ist. – Das ist einmal Punkt eins.

Punkt zwei kann auch etwas sein, und da kann ich nur Sie alle gemeinsam zum Mitdenken einladen. Wir, die Länder und der Bund, geben jährlich 2,2 Milliarden € für Pflegegeld aus, was sinnvoll, toll und super ist. 1,5 Milliarden € kommen nicht mehr retour. 700 Millionen € kommen in Form der Mitfinanzierung von Sachleistung wie­derum in das Zusatzsystem der Sachleistung gemeinsam hinein.

Wir haben 1,5 Milliarden €, die bei den Familien bleiben. Viele dieser Personen, 58 Pro­zent der Betroffenen, nehmen keine mobilen Dienste in Anspruch. 58 Prozent – ein Teil dieser 58 Prozent wird natürlich von Angehörigen betreut, gar keine Frage. Aber warum habe ich dieses Beispiel gebracht? – Ich glaube, was wir zukünftig im System brauchen, muss sachleistungsorientierter sein, weil nur die Gießkanne ein paar Bedingungen nicht erfüllen wird. Dass nämlich dort, wo uns die Sachleistung in der Finanzierung davonläuft, das Pflegegeld mitgeht, das wird nicht funktionieren, weil man dann das Pflegegeld überproportional erhöhen müsste. Die 58 Prozent, die keine Leistung in Anspruch nehmen, hätten dann zwar mehr Geld, gar keine Frage, aber ob das der sinnvolle, richtige Weg ist, gestatte ich mir zu diskutieren.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 102

Das ist die Zukunftsdiskussion, um die es geht, und darum ist die Zukunftsdiskussion, wie dieser Pflegefonds ausschauen soll, eine so wesentliche, wichtige, denn nur das Pflegegeld zu erhöhen, ist zwar nett für alle Betroffenen, gar keine Frage, aber der Zusatzaufwand, den wir bei den Sachleistungen haben und der überproportional steigt, weil da eben die Gemeinden schlichtweg gar nicht mehr mitkommen – ob sie wollen oder nicht, da ja eine Pflegestufe 7 anders zu betreuen ist, eine Pflegestufe 6 anders zu betreuen ist –, betreffend diesen überproportionalen Steigerungsfaktor ist die Frage, ob man nicht den Fonds primär in Sachleistungsorientierung gibt und nicht nur eine Erhöhung des Pflegegeldes vornimmt. Das möchte ich hier nur dazusagen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Mag. Molterer: Alte Debatte!)

Alte Debatte, Hunderte Male bereits geführt ... (Abg. Mag. Molterer: Aber wir trauen es den Menschen zu, über das Geld selbst zu verfügen!) Ja, lieber Willi Molterer, natürlich ist das Selbstbestimmungsrecht der Menschen im Vordergrund stehend. Nur, wenn wir auch wissen, dass 58 Prozent keinerlei Sachleistung damit einkaufen und die 42 Prozent, die Sachleistung brauchen, natürlich stärker steigen – das meine ich damit: Wir kommen mit dem Pflegegeld gar nicht mehr mit. Das ist da die Logik, die dahintersteht. (Abg. Mag. Karin Hakl: ... in Würde alt werden!)

Aber zu den Anträgen selbst: Keine Frage, es wurde von der Frau Abgeordneten schon erwähnt. (Zwischenruf des Abg. Dr. Jarolim.) Herr Ing. Hofer, ich bin natürlich für die Schulung von Eltern gehörloser Kinder, das ist überhaupt nicht mein Thema. Nur haben wir in dem Land ein bisschen ein Kompetenzproblem: Das ist Landes­angelegenheit, und da sind wirklich die Länder gefordert. Ich weiß, dass das ein toller Antrag ist, ein super Antrag ist, aber da sind die Länder gefordert.

Bezüglich der Taubblindheit: Was wir dazu beitragen können – dass die Anerkennung noch exakter erfolgt –, das wird geschehen. Das wissen Sie, dieser Antrag ist ja da­durch auch einstimmig, das wird geschehen. Aber ich möchte schon bitten und ersuchen, bei diesem Gesamtkomplex auch ein bisschen zu schauen: Wo haben wir Länderkompetenzen und wo haben wir Bundeskompetenzen? (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

14.26


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Dolinschek. 4 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 


14.26.22

Abgeordneter Sigisbert Dolinschek (BZÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, Herr Bundesminister, so ist es: Das eine ist in Landeskompetenz, das andere ist in Bundeskompetenz. Es ist keine Frage, dass ich die beiden Anträge des Kollegen Hofer unterstützenswert finde – das habe ich auch im Ausschuss getan –, weil es ganz einfach nicht so sein kann. Jetzt ist das zwar eine Länderkompetenz, aber gerade in diesen Bereichen wäre es sinnvoll, wenn das österreichweit gleich geregelt wäre. Es wäre auch möglich – mit einer 15a-Vereinbarung –, dass man das macht.

Die Gebärdensprache ist für gehörlose Menschen ein unverzichtbares Mittel der Kom­munikation. Das ist so, vor allem auch schon in der Schulbildung bei Kindern. Da ist es aber auch notwendig, dass die Eltern gehörloser Kinder die Gebärdensprache perfekt beherrschen, damit sie den Kindern bei ihren Aufgaben sowohl in der Schule als auch im Alltag behilflich sein können, dass sie das fehlerfrei können und damit sie auch ihre Arbeiten bewerkstelligen können. Es ist aber in Österreich sehr schwierig, es gibt kaum Frühförderungen, es ist ein beträchtlicher Aufwand finanzieller Natur und auch zeit­licher Natur, die Gebärdensprache zu erlernen.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 103

Wenn ich daran denke, dass es in anderen Ländern Förderungen gibt, mit denen die Eltern genauso wie die Kinder dabei unterstützt werden, so sollten wir in Österreich denselben Weg gehen. Im Endeffekt sagen wir ja alle, dass die Prävention billiger kommt als die Rehabilitation und so weiter. Je besser die Kinder in der Schule mitkom­men, je besser sie ausgebildet sind, desto besser können sie sich auch später selbst erhalten und ein selbstbestimmtes Leben führen. Das gilt für die Gebärdensprache, das gilt genauso für die vielen schwerhörigen Menschen; es sind ja eineinhalb Millio­nen in Österreich, die schwerhörig sind. Dass man diese Förderungs- und Bil­dungs­maßnahmen für behinderte Kinder genauso wie für ihre Eltern und die Angehörigen verbessert, sind wichtige und notwendige Schritte, die wir setzen sollten.

Was die Taubblindheit betrifft, muss ich eines sagen: Ich bin froh, dass wir hier einen gemeinsamen Antrag zusammengebracht haben, auch im Ausschuss, und dass es da eine Fünf-Parteien-Einigung gibt, denn Taubblindheit ist bisher in Österreich keine eigenständige Art der Behinderung und als solche nicht anerkannt. Das Ganze sollte meiner Ansicht nach gleich anerkannt werden wie zum Beispiel in Dänemark, wo die Taubblindheit offiziell anerkannt worden ist.

Geschätzte Damen und Herren! Ich glaube, den Menschen mit Behinderung und deren Angehörigen, auch deren Kindern muss bestmöglich geholfen werden. Wir sollten alles daransetzen, dass ihnen geholfen wird, damit sie in Zukunft auch ein selbstbestimmtes Leben führen können und wir ihnen das ermöglichen. – Das ist einmal das eine. Das andere: Herr Kollege Hofer und Herr Spindelberger, Sie haben mit Ihren Debatten­bei­trä­gen sozusagen eine vorgezogene Budgetdebatte in diesem Bereich eingeleitet. Herr Bundesminister, wir werden sehen, was bei Ihrer Klausur herauskommen wird und was uns in Zukunft erwartet.

Nur muss ich auch eines zu der ganzen Diskussion über die Pensionen sagen. Wenn ein paar nicht rechnen können und ständig die Hacklerregelung dafür verantwortlich machen, dass die Leute mit 58 oder 57 Jahren in Pension gehen, so muss ich Folgen­des sagen: Wenn ein Mann das erst mit 60 Jahren oder 45 Beitragsjahren erreichen kann, dann kann er das nicht vor 60, und das neunte Schuljahr betrifft die 1952 Gebo­re­nen, also wird es dort praktisch überhaupt niemanden mehr geben, der vor 60,5 Jah­ren in die Hacklerregelung kommen kann.

Die Begleiterscheinungen dazu sind die anderen Dinge – wo es Privilegien und so weiter gibt. Da können Sie die österreichische Bevölkerung quer durch fragen: Privile­gien gehören abgebaut, die Altpolitikerrechte (Beifall beim BZÖ) genauso wie die Privilegien im Bereich der Oesterreichischen Nationalbank, bei den Österreichischen Bundesbahnen, in den Ländern und so weiter und so fort.

Eines auch noch, Herr Bundesminister: Sie wissen, wie hoch der Bundeszuschuss zur staatlichen Pensionsvorsorge ist. Im unselbständigen Bereich, beim ASVG, ist er bei zirka 13 Prozent, bei den Selbständigen ist er bei 34 Prozent, bei den Bauern bei 81 Prozent und bei den Beamten bei über 90 Prozent. Das ist nun einmal so, gleichen wir das dort einmal an. Wie ist das jetzt? – Arbeitgeberbeiträge, Arbeitnehmerbeiträge und Bundeszuschuss jeweils zu einem Drittel, so ist das Umlageverfahren aufgebaut worden. Setzen wir zuerst einmal dort den Stift an, aber nicht bei der Allgemeinheit, die das österreichische System aufrechterhält. Man sollte nicht bei den Falschen sparen! (Beifall beim BZÖ.)

14.31


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Hell. 3 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 



Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 104

14.31.06

Abgeordneter Johann Hell (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Von meinen Vorrednern ist zu den Tagesordnungs­punkten 5 und 6 schon einiges ausgeführt worden. Auch ich finde in den Anliegen, die hinter diesen Entschließungsanträgen stehen, sehr viele positive Punkte, und ich kann die Argumentationen, die hier angeführt werden, zu 100 Prozent unterstützen.

Der Herr Bundesminister hat es bereits angesprochen und auch im Ausschuss wurde darüber diskutiert: Wir haben ein Problem mit der Zuständigkeit. So leid es mir tut, dass wir hier nicht eine bundeseinheitliche Regelung finden können: Es sind nach der jetzigen Gesetzgebung die Länder für die Umsetzung der angeführten Punkte zustän­dig.

Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Menschen mit Behinderungen haben im beruflichen und im privaten Alltag ganz andere Voraussetzungen als nicht behinderte Menschen. Das sind Anliegen, die wir draußen bei unseren Sprechtagen sehr oft zu hören bekommen. Ich darf hier vielleicht erwähnen, dass es in Österreich rund 10 000 Menschen gibt, die gehörlos sind. Gerade diese Menschen haben in vielen Bereichen noch viel größere Probleme als Menschen mit anderen Behinderungen.

Dieses Haus hat in vielen Gesetzen bereits Vorsorge getroffen, dass es zu keiner Diskriminierung kommt. Österreich hat, wie viele Staaten der Welt, die Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte der Menschen mit Behinderungen unterzeichnet, und wir haben uns verpflichtet, dies in nationales Recht umzusetzen. Sehr viele Gesetze wurden hier, wie gesagt, schon für diese Personengruppe beschlossen.

Ich möchte noch kurz auf die Barrierefreiheit zu sprechen kommen. Barrierefreiheit bedeutet, Gegenstände, Medien und Einrichtungen so zu gestalten, dass sie von jedem Menschen ohne Einschränkung genutzt werden können, auch von Menschen mit einer Behinderung oder einer Einschränkung. Ich darf mich in diesem Zusam­men­hang ganz besonders bei Kollegin Jarmer und ihrem Team für den Einsatz und die Bemühungen bedanken, die wesentlich dazu beitragen, dass hörbehinderten Men­schen eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und eine selbstbe­stimmte Lebensführung in diesem Land ermöglicht wird. Frau Kollegin, ein herzliches Dankeschön – auch wenn Sie heute nicht anwesend sind.

Meine Damen und Herren, es gibt zum Tagesordnungspunkt 7 einen gemeinsamen Entschließungsantrag. Wir werden diesem Antrag natürlich auch zustimmen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

14.34


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Zweite Wortmeldung des Herrn Abgeordneten Öllinger. 1 Minute freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 


14.34.17

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Meine Damen und Herren, ich wollte mich – was sonst selten der Fall ist – ausdrücklich für einige Redebeiträge, aber besonders für den des Herrn Ministers bedanken, weil er im Kern ein sachlicher Debattenbeitrag zum Thema Entwicklung im Pflegebereich war.

Ja, Herr Minister, wir sind bereit, darüber zu diskutieren – aber sicher nicht unter dem Aspekt, dass dann trotz Erhöhungen bei den Pflegestufen das ganze System unter dem Strich um 70 Millionen € weniger kosten darf. Das kann nicht funktionieren, und ich weiß, wie es gehen würde: Man legt einfach auf die Pflegestufen 1 und 2 noch 100 € oder einen ähnlichen Betrag drauf, dann sieht das nach 250 € aus, und jeder denkt sich, bei der Pflegestufe 1 sind es dann um 100 € mehr; gleichzeitig bekommt man dafür nur Sachleistungen.


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Wir alle wissen betreffend den Bereich Sachleistungen, dass über Sachleistungen über professionelle Anbieter nicht die Pflege erbracht wird. Das heißt, egal, welche Variante der Lösung es geben wird: Es geht mit uns sicher keine, mit der das ganze System Pflegegeld unter dem Strich um 70 Millionen € weniger kostet. Das wäre Etiketten­schwin­del – um das klarzumachen.

Wir sind bei allem dabei, wo es im Prinzip darum geht, dass wir in Zukunft eine bes­sere und zusätzliche Professionalisierung in dem Bereich brauchen werden. Gleich­zeitig bin ich aber auch der Meinung, dass wir lange Zeit nicht ohne die im familiären Bereich erbrachten Pflege- und Betreuungsleistungen von Angehörigen auskommen werden. Wir müssen eher darauf achten: Was können wir zusätzlich dazu beitragen, dass sie möglich gemacht werden? (Beifall bei den Grünen.)

14.36


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Als vorläufig letzter Redner zu diesem Tages­ordnungspunkt ist Herr Abgeordneter Klikovits zu Wort gemeldet. 3 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 


14.36.25

Abgeordneter Oswald Klikovits (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Es wäre jetzt natürlich verlockend, hier eine Pflegedebatte oder überhaupt die Debatte über die Sozialpolitik in diesem Lande zu führen, die, glaube ich, im Großen und Ganzen sehr gut funktioniert, weil wir ja in vielen Bereichen die Beweise führen können. Einer davon ist auch der, dass wir alle bemüht sind, Menschen mit Handicap so zu unterstützen, dass sie entsprechend mit den notwendigen finanziellen Unter­stützungen besser durchs Leben kommen.

So ist jetzt auch von meinen Vorrednern richtigerweise angesprochen worden, dass die Anträge des Kollegen Hofer natürlich ihre Berechtigung haben und eine notwendige Voraussetzung dafür sind, dass Menschen mit Handicap, in dem Fall Gehörlose und Taubblinde, gut geschützt und unterstützt werden und die Möglichkeiten der Unterstüt­zung erhalten. Nur müssen wir eben auch die Kompetenzen einhalten, Herr Kollege Hofer, und daher bin ich so wie meine Vorredner dafür, dass wir das dort belassen, wo es letztendlich hingehört.

Der Fünf-Parteien-Antrag, den wir eingebracht haben und den wir jetzt gemeinsam beschließen werden, ist auch eine gute Voraussetzung dafür, hier für mehr Gerech­tigkeit zu sorgen. Wir haben letztendlich in Österreich 500 000 bis 700 000 Menschen, die nicht normal hören. Das ist eine sehr hohe Zahl, und daher ist auch das Anliegen meiner Ansicht nach durchaus gerechtfertigt.

Hohes Haus! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute von Kollegem Spindelberger schon angesprochen worden, der auf den gestrigen Tag abgezielt hat, als es eine heftige Debatte darüber gab. Wenn ich jetzt Kollegen Katzian anschaue, der hier in sehr klassenkämpferischer Manier Sozialpolitik dargestellt hat, und das auch von anderer Seite wieder angesprochen worden ist, so möchte ich schon auch sagen, wir sollten uns ein bisschen in Geduld üben. Wir sollten vor allem unseren Grund­sätzen folgen, die wir ja im normalen Leben haben und auch privat leben, nämlich das zu erwirtschaften, was man dann auch ausgibt, und das ehrlich behandeln.

Ich finde es nicht sehr nett von der SPÖ, dass sie als unser Koalitionspartner sozu­sagen „guter Cop – böser Cop“ spielt. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Das wird es nicht geben, bitte nehmen auch Sie Ihre Verantwortung wahr! Wenn wir gemeinsame Spar­ziele haben, dann werden wir sie auch gemeinsam umsetzen. (Beifall bei der ÖVP.)

Das gilt für Sie, und das gilt für uns natürlich gleichermaßen, daher sage ich: Warten wir einmal das Wochenende ab! Wir werden gemeinsam zu guten Lösungen kommen,


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dann werden wir sie gemeinsam vertreten, und wir werden vor die ÖsterreicherInnen hintreten und ihnen sagen: Ja, wir werden ein ordentliches Budget haben, das auch sozial gerecht und fair ist. (Beifall bei der ÖVP.)

14.39

14.39.20

 


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Ich schließe daher die Debatte.

Wünscht die Berichterstatterin ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Wir gelangen nun zur Abstimmung, die ich über jeden Ausschussantrag getrennt vor­nehme.

Zunächst kommen wir zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Arbeit und Soziales, seinen Bericht 903 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die hiezu ihre Zustimmung geben, um ein ent­sprechendes Zeichen. – Das ist mit Mehrheit angenommen.

Weiters gelangen wir zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Arbeit und Soziales, seinen Bericht 904 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die hiezu ihre Zustimmung geben, um ein ent­sprechendes Zeichen. – Auch das ist mit Mehrheit angenommen.

Nun kommen wir zur Abstimmung über die dem Ausschussbericht 905 der Beilagen angeschlossene Entschließung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die hiefür eintreten, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist einstimmig angenommen. (E 126.)

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abge­ordneten Ing. Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Hände weg vom Pflege­geld!“

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit und somit ist der Antrag abgelehnt.

14.41.138. Punkt

Bericht des Ausschusses für Konsumentenschutz über den Antrag 1233/A(E) der Abgeordneten Mag. Johann Maier, Gabriele Tamandl, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Standardisierte Produktinformation (Klipp-und-Klar-Informationen) für alle Versicherungskunden“ (907 d.B.)

 


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Wir gelangen nun zum 8. Punkt der Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Abgeordneter Mag. Maier. 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


14.41.47

Abgeordneter Mag. Johann Maier (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Finanz- und Versiche­rungsprodukte sind wenig transparent und wenig kundenfreundlich. Darauf hat die Europäische Union bereits reagiert und im Kreditbereich entsprechende Informationen für die Letztverbraucher vorgesehen.

Was derzeit noch abgeht, sind kurze, prägnante Informationen im Versicherungs­bereich. Die Arbeiterkammer und der Verein für Konsumenteninformation konnten bei mehreren Erhebungen nachweisen, wie intransparent und undurchsichtig die Allge­


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meinen Geschäftsbedingungen sind. Jeder von Ihnen hat auch Versicherungsverträge. Ich frage Sie alle, haben Sie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen gelesen und haben Sie sie auch verstanden? Haben Sie die Risikoausschlüsse mitbekommen? (Abg. Dr. Glawischnig-Piesczek: Nein!)

Die wenigsten bekommen diese mit, Kollegin Glawischnig-Piesczek. Auch ich habe es mir nicht leicht gemacht, als ich die Bedingungen studiert habe, aber auch ich konnte nicht alle Risken erkennen. Daher ist es notwendig, dass es standardisierte Infor­mationen gibt, damit nicht nur hoch spezialisierte Juristen die Risken erkennen, sondern auch gewöhnliche Verbraucher.

Hohes Haus! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit diesem Antrag gehen wir einen sehr geraden Weg und ersuchen den Bundesminister für Finanzen, auf euro­päischer Ebene für diese standardisierten Produktinformationen einzutreten. Diese Thematik ist natürlich auch im Zusammenhang mit fehlendem Finanzwissen zu sehen, insbesondere bei der jüngeren Generation, die nicht weiß, wie man mit Geld richtig umgeht.

Ich möchte mich in diesem Zusammenhang bei Ihnen, Herr Bundesminister, und bei den Mitarbeitern in der Sektion Konsumentenschutz recht herzlich bedanken. Hier gibt es nämlich eine neue Website. Ich lade Sie alle ein, diese zu besuchen. Hier gibt es das Kapitel Konsumentenbildung und Verbraucherbildung. Das ist gerade für die jüngere Generation absolut notwendig.

Hohes Haus! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Abschließend vielleicht noch eine Feststellung. Der Ausschuss für Konsumentenschutz versucht immer, gemeinsam Anträge zu beschließen. Ich darf Ihnen mitteilen, dass unser Antrag, den wir einstim­mig beschlossen haben, betreffend die Verschärfung der Richtlinie bezüglich Kin­derspielzeug jetzt in ähnlicher Form auch im Deutschen Bundestag beschlossen wurde, und dass der österreichische Antrag, den wir gemeinsam beschlossen haben, Gegenstand dieser Debatte war.

In diesem Sinne hoffe ich, dass es uns weiterhin gemeinsam gelingt, im Sinne der österreichischen Konsumentinnen und Konsumenten tätig zu werden. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

14.45


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Rädler. 4 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


14.45.09

Abgeordneter Johann Rädler (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Wir haben soeben von Kollegem Maier gehört, wie wichtig diese Klipp-und-Klar-Texte sind. Wahrscheinlich ist es jedem von Ihnen so gegangen wie mir: Man schließt einen Versicherungsvertrag ab, liest dann im Anhang die vier oder fünf Seiten Klein­gedrucktes und ruft wieder den Versicherungsbetreuer an, um das erklärt zu bekom­men.

Ganz anders ist es bei Verbraucherkrediten. Hier gibt es bereits die Lösung: Hier muss dem Kunden ein klarer Informationstext übergeben werden. Mit diesem Ent­schließungsantrag, den wir Gott sei Dank gemeinsam eingebracht haben, erwarten wir auch für Versicherungsverträge eine ähnliche Lösung. Wir wollen auch auf euro­pä­ischer Ebene solche Klipp-und-Klar-Texte durchsetzen.

„Klipp-und-Klar-Text“, das hört sich vielleicht ein bisschen komisch an, aber es geht dabei darum, dass Versicherungsverträgen Infoblätter beigelegt werden, aus denen der Konsument ersehen kann, was in diesem Vertrag die wichtigsten Maßnahmen und was die Hindernisse sind, die der Konsument vielleicht gar nicht abschließen wollte.


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Unter den wichtigsten Maßnahmen ist natürlich immer das Monetäre – die Prä­mienhöhe, was hier die Leistung ausmacht –, weiters sollen aus diesen Klipp-und-Klar-Texten der Leistungsinhalt und die Rechtsverbindlichkeiten, die man mit diesem Vertrag eingeht, hervorgehen.

Eine Untersuchung der Arbeiterkammer hat gezeigt, dass von 17 untersuchten Rechts­schutzverträgen, die abgeschlossen wurden, sieben eigentlich gegen die Interessen desjenigen abgeschlossen wurden, der diesen Vertrag mit dem Versicherungsgeber vereinbart hat: weil nämlich Leistungen betreffend Finanzdienstleistungen, die er wollte, in dieser Rechtsschutzversicherung ausgeschlossen waren. Ich glaube, gerade in einer Zeit der Bankenkrise sind wir alle ein wenig verunsichert und neigen zu Zweifeln, ob die Leistungen, für die wir gezahlt haben, zum Beispiel im Anlegerschutz, dann auch tatsächlich erfolgen können.

Wir erhoffen uns durch diese Initiative, dass das, was in der Bundesrepublik Deutsch­land bereits Recht ist, auch bei uns Recht wird. Daher begrüße ich es, dass hier eine gemeinsame Vorgangsweise gefunden werden konnte.

Weil Frau Abgeordnete Moser gerade gekommen ist – ich habe es Ihnen heute schon unter vier Augen gesagt; Klipp-und-Klar-Text auch für die Grünen zur gestrigen Situation –: Sie haben gemeint, in Niederösterreich werden die Nebenbahnen einge­stellt durch die gewalttätige Art der dortigen ÖVP. – Ich darf Ihnen klipp und klar sagen: Im Jahr 2011, also am 1. Jänner, werden wir in Niederösterreich 28 Nebenbahnen be­ziehungsweise Nebenstrecken übernehmen und sie mit gewaltigem finanziellen Aufwand weiterführen. Das ist die Wahrheit. Das ist Klartext in Niederösterreich! (Zwi­schenrufe bei SPÖ und Grünen.)

Und Herrn Abgeordnetem Van der Bellen, der meint, dass wir mit der blau-gelben Bildungspolitik sehr überheblich unterwegs wären, darf ich sagen: Unser Herr Landes­hauptmann hat hier die Linie klar vorgegeben. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Sie brauchen nicht zu lachen, Herr Abgeordneter Weninger! Ihre Bildungsministerin meint ja, es sei das Nichtziel – man beachte: das Nichtziel! –, dass die kleinen Schulen im ländlichen Raum erhalten bleiben. Dagegen wehren wir uns. Das betrifft in Niederösterreich 317 Volksschulen und 114 Hauptschulen. Da gibt es eben eine andere Sichtweise als die eines Politikers, der in Wien tätig ist, wie Herr Van der Bellen, der sagt: Das sind Probleme, die gar keine sind! – In Niederösterreich sind das welche.

Herr Bundesminister, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie auch die Weiter­bildung als Ziel genannt haben, und gesagt haben, dass Bildung eine wichtige Vor­aus­setzung ist. Diese wichtige Voraussetzung für das Leben allgemein und insbe­sondere für das Berufsleben können wir nur in der Form geben, dass wir Kinder nicht zu Pendlern machen. Wenn jemand pendeln soll, dann Lehrer, nicht Kinder! – Danke schön! (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dr. Jarolim: Ich habe auch gehört, dass der Herr Landeshauptmann Pröll Nebenbahnen hasst!)

14.49


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dipl.-Ing. Deimek. 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


14.49.36

Abgeordneter Dipl.-Ing. Gerhard Deimek (FPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Natürlich unterstützen auch wir von der FPÖ diesen Antrag zur standardisierten Produktbeschreibung, weil wir das für ein für die Konsumenten absolut sinnvolles Produkt halten. Und wie Kollege Johann Maier schon angeführt hat, liest praktisch niemand die AGBs. Manche tun es von Berufs


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wegen, ab und zu ich zum Beispiel. Man liest sich die AGBs durch, und nach dem Lesen kommt eigentlich noch zusätzlich das Verstehen.

Mir ist es oft passiert, dass ich, nachdem ich mir das durchgelesen hatte, die Lust verlor, den Vertrag abzuschließen. Oder ich musste über die AGBs noch einmal mit einer Versicherung verhandeln – und genau das gibt es nämlich nicht. Ich kann daher nur sagen: Diese Produktbeschreibung ist absolut sinnvoll!

Zum Antrag der Grünen, das Ganze nicht nur EU-weit, sondern nationalstaatlich zu machen: Ja, ich glaube, ich brauche in diesem Haus niemandem zu erzählen, wie kritisch wir der EU gegenüberstehen. Es wäre auch aus unserer Sicht prinzipiell sehr sinnvoll, aber wir haben gelernt, unter diesen Spielregeln zu arbeiten. Es ist absolut nicht sinnvoll, da etwas zu machen. Das wäre insofern kontraproduktiv, als wir dann entsprechende Wettbewerbsauflagen bekämen.

Kehren wir noch einmal an den Ausgangspunkt zurück: Warum gibt es überhaupt diese Klipp-und-Klar-Informationen? – Das waren diese Finanzprodukte und die wirklich nicht tollen Rechtsschutzversicherungen. Wenn wir jetzt im Bereich der Versicherungen diese Klipp-und-Klar-Informationen haben, dann würde ich mir wünschen, dass wir uns so etwas auch im Bereich der Finanzprodukte einfallen lassen.

Bei den Krediten gibt es ja schon etwas Ähnliches – mit den Bedingungen, aber auch bei den Anlageprodukten. Jetzt könnte jemand hergehen und sagen: Ist ja ganz ein­fach, für die börsennotierten Sachen gibt es ja die Prospektpflicht. – Nur sind wir da genauso weit wie bei den AGBs. Diese Prospekte liest kein Mensch. Es gibt Aus­nahmen von der Prospektpflicht und es gibt eben Produkte, die das Ganze nicht brauchen. Dort würden wir uns das auch wünschen.

Wir werden das so handhaben wie im Ausschuss für Konsumentenschutz üblich: Wir werden mit allen anderen Fraktionen darüber reden, was sie davon halten, und vielleicht einen gemeinsamen Gesetzesantrag formulieren. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

14.52


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Mag. Schatz. 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


14.52.16

Abgeordnete Mag. Birgit Schatz (Grüne): Herr Kollege Deimek, ich kann Ihnen sagen, es gibt bereits einen Antrag ... Herr Kollege Deimek! (Abg. Dipl.-Ing. Deimek spricht mit Abg. Podgorschek.) – Er hört mich nicht! Es gibt bereits einen Antrag auf Einführung eines standardisierten Produktinformationsproduktblattes für alle Finanz­pro­dukte. Dieser Antrag stammt von den Grünen und wurde auch schon im Ausschuss behandelt, aber eben vertagt. Das heißt, wenn Sie daran Interesse haben, können wir gerne verhandeln, ob mehr daraus wird.

Da wir – wie gesagt, auch in Form des von uns formulierten Antrags – sehr interessiert sind an standardisierten Informationen für die Konsumenten und Konsumentinnen, gerade in diesen komplexen Bereichen, stimmen wir diesem Antrag natürlich zu, wiewohl ich im Ausschuss bereits angeregt habe, doch auch zu versuchen, bereits vorher auch national zu handeln, bevor uns die EU hierzu etwas vorgibt.

Die Antwort war: Nein, das geht nicht, das ist eben sozusagen das Problem mit den Wettbewerbsregeln. Erstaunlich ist allerdings, dass in der Begründung dieses Fünf-Parteien-Antrages sehr wohl erwähnt wird, dass es eine entsprechende nationale Regelung in Deutschland bereits gibt. Also frage ich mich: Warum können die Deutschen damit anfangen und warum wäre es bei uns eine nicht kompatible Wett­bewerbsverzerrung? Das ist für mich so nicht nachvollziehbar.


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Insofern rege ich doch an, zu versuchen, in Österreich zu beginnen und natürlich den Herrn Minister, in diesem Fall den Herrn Finanzminister, zu bitten, sich auf EU-Ebene für einen entsprechenden Fortschritt einzusetzen.

Ich möchte dazu folgenden Antrag einbringen:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Schatz, Kolleginnen und Kollegen

Der Nationalrat wolle beschließen:

Der Antrag 1233/A(E) der Abgeordneten Mag. Johann Maier, Gabriele Tamandl, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend „Standardisierte Produktinformation (Klipp-und-Klar-Informationen) für alle Versicherungskunden“ (907 d.B.) wird wie folgt geändert:

„Die Bundesregierung und insbesondere der Bundesminister für Finanzen werden ersucht, entsprechende Maßnahmen zu treffen, um Versicherer künftig zu verpflichten, dem Versicherungsnehmer vor Abschluss eines Versicherungsvertrages ein standar­disiertes Produktinformationsblatt auszufolgen. Außerdem wird der Bundesminister für Finanzen ersucht, bei den Verhandlungen der legistischen Maßnahmen auf EU-Ebene zum Vertrieb von Anlageprodukten für Privatkunden darauf hinzuwirken, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer vor Abschluss eines Versicherungsvertrages ein standardisiertes Produktinformationsblatt auszufolgen hat. Diese standardisierte „Klipp-und-Klar“-Information soll den maßgeblichen Inhalt eines Versicherungs­vertra­ges sowie der Versicherungsbedingungen auf einen Blick sichtbar machen (verständliche Beschreibung der versicherten Risiken, Leistungsausschlüsse, wich­tigste Obliegenheiten, Prämienhöhe, Vertragsbeendigung etc.) und damit für mehr Transparenz sorgen.“

*****

Dieser Antrag ergänzt nur den vorgelegten um die Möglichkeit, eben in Österreich den ersten Schritt zu tun. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

14.55


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Der soeben eingebrachte Abänderungsantrag ist aus­reichend unterstützt und steht mit in Verhandlung.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Schatz, Kolleginnen und Kollegen

eingebracht im Zuge der Debatte über den Antrag 1233/A(E) der Abgeordneten Mag. Johann Maier, Gabriele Tamandl, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Standardisierte Produktinformation (Klipp-und-Klar-Informationen) für alle Versiche­rungs­kunden“ (907 d.B.)

Antrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

Der Antrag 1233/A(E) der Abgeordneten Mag. Johann Maier, Gabriele Tamandl, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Standardisierte Produktinformation (Klipp-und-Klar-Informationen) für alle Versicherungskunden“ (907 d.B.) wird wie folgt geändert:


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„Die Bundesregierung und insbesondere der Bundesminister für Finanzen werden ersucht, entsprechende Maßnahmen zu treffen, um Versicherer künftig zu verpflichten, dem Versicherungsnehmer vor Abschluss eines Versicherungsvertrages ein standar­disiertes Produktinformationsblatt auszufolgen. Außerdem wird der Bundesminister für Finanzen ersucht, bei den Verhandlungen der legistischen Maßnahmen auf EU-Ebene zum Vertrieb von Anlageprodukten für Privatkunden darauf hinzuwirken, dass der Ver­sicherer dem Versicherungsnehmer vor Abschluss eines Versicherungsvertrages ein standardisiertes Produktinformationsblatt auszufolgen hat. Diese standardisierte „Klipp-und-Klar“-Information soll den maßgeblichen Inhalt eines Versicherungsvertrages sowie der Versicherungsbedingungen auf einen Blick sichtbar machen (verständliche Beschreibung der versicherten Risiken, Leistungsausschlüsse, wichtigste Obliegen­heiten, Prämienhöhe, Vertragsbeendigung etc.) und damit für mehr Transparenz sorgen.“

Begründung

In der dem Bericht beigefügten Entschließung wird der Bundesminister für Finanzen bloß ersucht auf europäischer Ebene auf ein standardisiertes Produktinformationsblatt hinzuwirken. Eine konkrete österreichische Lösung ist allerdings nicht vorgesehen! Wenn im Bericht zu lesen ist, dass in Deutschland ein solches Produktinformationsblatt schon längst üblich sei (verpflichtend gemäß VVG-Informationspflichtenverordnung – VVG-InfoV), so ist aus konsumentInnenschutzpolitischer Sicht festzustellen, dass ein rasches innerstaatliches Vorgehen auch in Österreich sinnvoll wäre. In der Sache unbegründet bleiben hingegen die geäußerten Bedenken, dass eine österreichische Regelung zu Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Weder entsteht bei den öster­reichi­schen Versicherungsunternehmen durch die Beilage eines A4-Informationsblattes eine große Kostenbelastung, noch scheint eine klare Informationspolitik gegenüber den KonsumentInnen geeignet, diese an der Kaufentscheidung zu hindern.

*****

 


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Dolinschek. 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


14.55.42

Abgeordneter Sigisbert Dolinschek (BZÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Informationen bei Vertragsab­schluss sowie die Versicherungsbedingungen sind für viele Leute oft zu kompliziert, für die Versicherungskunden schwer durchschaubar, das haben auch alle Vorredner erwähnt. Wir sind einer Meinung, dass es in diesem Bereich standardisierte Informa­tionsbroschüren geben sollte, denn es ist untragbar, wenn jemand den Vertrag, den er abschließt, nicht versteht. Etwa was die Leistungsausschlüsse betrifft, zum Beispiel bei einer Rechtsschutzversicherung: Da ist vielleicht der Privatrechtsschutz nicht dabei, der Kfz-Rechtsschutz sehr wohl, und so weiter.

Deshalb sollten wir uns auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass es für den Privatkunden vergleichbare Anlageprodukte gibt, damit man das vergleichen kann. Man sollte das, wie bei den Krediten, auch im Versicherungsbereich machen, damit eben alle Kunden leicht vergleichen können, was die verschiedenen Institute anbieten.

Es ist gut, dass der Finanzminister jetzt mit diesem Antrag aufgefordert wird, sich bei den EU-Verhandlungen zum Vertrieb von Anlageprodukten für Privatkunden dafür einzusetzen, dass das europaweit einheitlich geregelt wird. Das ist in Ordnung, ja. Nur: Ob sich der Finanzminister in Brüssel damit auch durchsetzt, das steht auf einem


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anderen Blatt. Deshalb sollten wir parallel auch dafür sorgen, dass das auf nationaler Ebene geschieht, denn: Wenn es schon auf EU-Ebene nicht passiert, dann sollte man sich wenigstens auf nationaler Ebene etwas für die Konsumentinnen und Konsumen­ten in diesem Bereich einfallen lassen, damit das in Österreich eben schon vorher so passiert. – Danke für die Aufmerksamkeit! (Beifall beim BZÖ.)

14.57


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Ing. Kaipel. Eingestellte Redezeit: 2 Minuten. – Bitte.

 


14.57.51

Abgeordneter Ing. Erwin Kaipel (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin von den Grünen, wir werden die deutschen Anbieter bei uns nicht verpflichten können, daher wird diese Umsetzung oder unser Alleingang in Österreich sehr schwierig sein.

Versichern beruhigt, meine Damen und Herren, solange es zu keinem Versiche­rungsfall kommt. Alle Anwesenden kennen verschiedenste Probleme aus persönlicher Erfahrung oder aus ihrem Umfeld. Wenn es zu einem Versicherungsfall kommt, stellt sich heraus, dass es im konkreten Fall für die Versicherung keine Verpflichtungen gibt. Wir haben in kürzerer Vergangenheit auch im Bereich der Lebensversicherungen erlebt, dass es viele Geschädigte gibt und am Ende dann niemand verantwortlich ist.

Es gibt eine Reihe von Untersuchungen in Deutschland, aber auch in Österreich, mit demselben Ergebnis, nämlich dass es viele Arten von teils sehr hohen Nebenkosten gibt. In Summe belasten sie alle massiv das Ergebnis. Teilweise gibt es Produkte, wo es in den ersten zehn Jahren kein positives Ergebnis gibt – und all diese Möglichkeiten waren den Konsumenten nicht bekannt.

In Österreich haben wir mittlerweile für verschiedene Produkte Mindeststandards in Bezug auf Informationen. Wir haben also auch eine Regelung, dass die Nebenkosten nicht sofort, sondern aufgeteilt auf fünf Jahre anfallen dürfen. Das ist aber keinesfalls eine Garantie dafür, dass auch die Nebenkosten in Ordnung und nicht überhöht sind.

Wir wissen, es ist nachweisbar, dass die Lage für die Konsumenten immer schlechter wird, während sie für die Anbieter, für die Unternehmen immer besser wird – durch viele Zusatzzahlungen und dergleichen für Manager, Stichwort Bonuszahlungen. Zwei­fel, die es häufig gibt, sind durchaus berechtigt, und wir sind gefordert, diesen auf den Grund zu gehen.

Zum Antrag selbst: Es ist sinnvoll, dass es eine seriöse, umfassende und allgemein verständliche Produktinformation gibt, gut für die Sicherheit der Konsumenten, gut auch für den Wettbewerb. Wir müssen aber aufpassen, dass wir uns nicht von Lobby­isten auf einen falschen Weg leiten lassen. Wir müssen bei all dem, was wir tun, schauen, ob wir uns mit unseren Themen auch im Zentrum der Probleme befinden. (Beifall bei der SPÖ.)

15.00


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Ich unterbreche nunmehr die Verhandlung über den Punkt 8 der Tagesordnung, damit die verlangte Behandlung einer Dringlichen Anfrage gemäß der Geschäftsordnung um 15 Uhr stattfinden kann.

15.00.55Dringliche Anfrage

der Abgeordneten Mag. Ewald Stadler, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend „Bandions Blamagen“ und deren Folgen für den österreichischen Rechtsstaat (6687/J)

 



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Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Wir gelangen zur dringlichen Behandlung der schrift­lichen Anfrage 6687/J.

Da diese inzwischen allen Abgeordneten zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch den Schriftführer.

Die Dringliche Anfrage hat folgenden Wortlaut:

Eine unabhängige, objektive und funktionierende Justiz, der die Menschen dieses Landes vertrauen, ist neben Exekutive und Legislative die dritte wesentliche und tragen­de Säule eines demokratischen Rechtsstaates. Wankt das Vertrauen der Menschen in die Justiz, wankt auch das Vertrauen in den Staat und das Fundament, auf dem unsere Republik aufgebaut ist, ist bedroht. Die Sicherstellung von Vertrauen durch die Gewährleistung und Verteidigung einer unabhängigen, objektiven und funktionierenden Rechtsprechung ist daher zentrale Aufgabe der politischen Verant­wortungsträger, zu aller erst des Justizministers.

Im Wissen um diese besondere politische Verantwortung hat es in Österreich Tradition, dass das Amt des Justizministers mit einer Persönlichkeit besetzt wird, die sich durch besondere moralische Integrität, fachliche Kompetenz und absolute Unabhängigkeit auszuzeichnen hat. Diese gelebte und bewährte österreichische Tradition wurde mit der Bestellung von Claudia Bandion-Ortner zur Justizministerin gebrochen. Mit der Folge, dass das Vertrauen in die dritte wesentliche und tragende Säule eines demo­kratischen Rechtsstaates, die Justiz, nachhaltig erschüttert ist, dem Ansehen der Justiz in Österreich schwerer Schaden zugefügt, und das Prinzip der Rechtstaatlichkeit ausgehöhlt wurde.

Denn Bandion-Ortner steht bestenfalls für politische Scheinneutralität und - und das ist wesentlich - sie kann dem Anspruch auf moralische Integrität, fachliche Kompetenz und parteipolitische Unabhängigkeit in keiner Weise nachkommen. Das hat sie durch ihr Tun und Handeln hinlänglich bewiesen, das sich exemplarisch wie folgt darstellt und sich als „Bandions Blamagen“ bezeichnen lässt:

Erstens: Der Fall BAWAG

Wesentlicher Bestellungsgrund von Bandion-Ortner zur Justizministerin war ihre Tätigkeit als Richterin im  BAWAG-Prozess und die von ihr gefällten Urteile gegen rote Gewerkschafts- und Bankenfunktionäre. Gleiches gilt für ihren Kabinettschef Mag. Georg Krakow, der Ankläger im BAWAG-Verfahren war. Durch die seitens der Generalprokuratur empfohlene Aufhebung wesentlicher Teile der Urteile im BAWAG-Prozess, hat sich dieser ursprüngliche Bestellungsgrund für die BAWAG-Richterin Bandion-Ortner zur Justizministerin sowie des BAWAG-Anklägers Krakow zum Kabinettschef in einen Entlassungsgrund verwandelt, sprechen doch selbst laut Austria Presse Agentur ranghohe Vertreter aus der Richter- und Anwaltschaft von einem „Fiasko für die Justizministerin“ und ehemalige Arbeitskollegen Bandion-Ortners am Wiener Straflandesgericht von „peinlichen Schnitzern, die in so einem Fall nicht pas­sieren hätten dürfen“. Noch bezeichnender ist in diesem Zusammenhang die Aussage des ehemaligen Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes, Karl Korinek, wonach Bandion-Ortner nun in ihrer Handlungsfähigkeit als Ministerin „schwer eingeschränkt“ sei. Durch den juristischen Paukenschlag der Generalprokuratur ist die moralische Integrität, fachliche Kompetenz und politische Autorität Bandion-Ortners jedenfalls als schlichtweg nicht vorhanden einzustufen, was die logische Konsequenz des sofortigen Rücktritts zur Folge haben muss.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 114

Zweitens: Der Fall Natascha Kampusch

Der Fall Kampusch ist ein erschreckendes Beispiel des offensichtlich vorsätzlichen Versagens staatsanwaltlicher Verantwortungsträger bei der Staatsanwaltschaft Wien sowie der Verantwortungsträger im Innenministerium und im Justizministerium. So wurden unzählige Hinweise, insbesondere der ermittelnden Polizeibeamten zu tat­sächlichen Widersprüchen hinsichtlich der Mehrtätertheorie bzw. der Stellung des Geschäftsfreundes von Priklopil ignoriert und zum Teil weitergehende Ermittlungen sogar aktiv unterbunden oder beeinflusst. Ohne im Detail auf das 25-seitige Schreiben des früheren Präsidenten des Obersten Gerichtshofes und ehemaligen Mitgliedes der Kampusch-Evaluierungskommission, Dr. Johann Rzeszut, betreffend „Art. 52 B-VG – Sachverhaltsmitteilung zum staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren im Abhängigkeits­fall Natascha Kampusch“ eingehen zu wollen, ist an dieser Stelle zu vermerken, dass die Frau Bundesministerin für Justiz Bandion-Ortner frühzeitig im Juni/Juli 2009 von Dr. Johann Rzeszut über die von auffälliger Ignoranz gekennzeichnete staatsan­waltliche Fallbehandlung informiert wurde. Bereits am 24. Juli 2009 übermittelte er ein Schreiben an die Justizministerin, „in dem jene gravierenden Gründe angeführt wurden, die eine ehestmögliche, nach konkreten verfahrensaktuellen Erfahrungen im Inter­esse eines sachdienlichen Verfahrensfortgangs unabdingbare Übertragung der weiteren justiziellen Fallbearbeitung aus dem Verantwortungsbereich der Oberstaats­anwalt Wien an eine andere, ihrem Einfluss nicht unterliegende staatsanwaltliche Ermittlungsverantwortung dringend nahe legten.“ Eine Vorausinformation sei zudem dem Kabinettschef Georg Krakow per Mail zugegangen. Jedoch: Nichts geschah. Es erhärtet sich damit der auf Basis bereits vorliegender Informationen bestehende Verdacht, dass im Fall Kampusch verdeckt und vertuscht wurde und offene Fragen wie die mögliche Involvierung eines Pädophilenringes unbeantwortet blieben. Dieser Sach­verhalt ist in Hinblick auf Rzeszuts Schlussbemerkung besonders überprüfungswürdig, die lautet: „Was hier jedoch aus dominierendem öffentlichen Interesse aufgezeigt wer­den musste, ist die fachlich nicht nachvollziehbare Pflichtverweigerung führender staatsanwaltlicher Verantwortungsträger und das Scheitern des Versuchs, die nach Lage des Falles gebotene Abhilfe an insoweit oberster Verantwortungsebene zu erwirken.“ Das völlig unbefriedigende Ermittlungs- und Verfahrensergebnis erschreckt insbesondere auch in Anbetracht der Vielzahl führender staatsanwaltlicher Vertreter, die in der Endphase des Verfahrens maßgeblich beteiligt waren. So nahmen an einer ermittlungsstrategischen Besprechung im Bundesministerium für Inneres am 30. April 2008 als führende Vertreter der Oberstaatsanwaltschaft Wien deren Leiter Dr. Werner Pleischl und einer seiner Vertreter, für die Staatsanwaltschaft Wien deren Leiter Dr. Otto Schneider und der den konkreten Fall bearbeitende Staatsanwalt Mag. Hans-Peter Kronawetter teil.

Drittens: Der Fall Hypo Niederösterreich

In die politische Verantwortung der Ministerin Bandion-Ortner fällt die am 7. Juli 2010 seitens der St. Pöltner Staatsanwaltschaft mündlich erteilte Weisung an die ermitteln­den Kriminalbeamten, wonach ihre Arbeit in der Causa Hypo Niederösterreich, wo es um den Verdacht der Untreue, Bilanzfälschung und der Verspekulierung von über 1,2 Milliar­den Euro Wohnbaugeldern geht, „sofort und bis auf Widerruf“ zu stoppen sei. Und das, obwohl sie „noch weit entfernt von einem Abschluss“ ihrer Arbeit waren, wie der zuständige niederösterreichische Kriminalbeamte damals erklärte. Im Justiz­ministerium liegt nunmehr ein Vorhabensbericht der Staatsanwaltschaft St. Pölten auf Einstellung des Verfahrens. Erst nach umfangreicher kritischer Medienberichterstat­tung sollen die Ermittlungen nun doch wieder aufgenommen werden. Diese Vorge­


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hens­weise der Staatsanwaltschaft St. Pölten sowie des Justizministeriums weckt den Verdacht der politischen Einflussnahme durch ÖVP-Politiker des Landes Nieder­österreich auf die unabhängige Justiz und die Justizministerin und stellt die Unab­hängigkeit der Justiz massiv in Frage.

Viertens: Der Fall Hypo Alpe Adria

Während bei der ÖVP-Landesbank Hypo Niederösterreich die Ermittlungen auf Wei­sung von oben gestoppt werden, wird im Fall der Hypo Alpe Adria umso vehementer vorgegangen, handelt es sich doch um die vermeintliche „Haider-Bank“, die sie nie war. Kurz gesagt: Nicht das Gesetz, sondern die politische Zugehörigkeit entscheidet unter Bandion-Ortner über eine mögliche Strafverfolgung durch die Justiz. Nicht anders ist es zu erklären, warum in Niederösterreich nur ein Staatsanwalt ermittelt, während in Kärnten gleich fünf Staatsanwälte, plus SOKO Hypo, plus CSI Hypo ermitteln. Nicht anders ist es weiters zu erklären, warum in Niederösterreich Ermittlungen auf Weisung der zuständigen Staatsanwaltschaft gestoppt werden, und ein Vorhabensbericht mit der Empfehlung auf Einstellung des Verfahrens an das Justizministerium wandert, während in Kärnten Personen verhaftet werden. Dieser politisch motivierten Ungleich­behandlung entspricht auch die Vorgehensweise bei weiteren Bankenskandalen, in denen trotz enormer Schadenssummen und tausender geprellter Sparer in straf­rechtlicher Hinsicht mangelhaft, schleppend oder gar nicht ermittelt wird, wie etwa in den Causen Kommunalkredit, Immofinanz, Meinl oder Volksbanken.

Fünftens: Der Fall Karl-Heinz Grasser

Ebenfalls in die politische Verantwortung der Justizministerin fällt die „schiefe Optik der Zwei-Klassen-Justiz“ wie sie SPÖ-Justizsprecher Dr. Hannes Jarolim im Zusam­menhang mit den Ermittlungen gegen Karl-Heinz Grasser ortet. Tatsächlich: Die schleppenden Ermittlungen gegen Karl-Heinz Grasser lassen einen gewährten Promi-Bonus seitens der Justizministerin für ÖVP-Leute ebenso vermuten wie eine beauf­tragte, bewusste Nicht-Verfolgung von ehemaligen politischen ÖVP-Funktionsträgern durch die Justiz.

Sechstens: Der Fall Ernst Strasser

Die Frage der bewussten Nicht-Verfolgung von politischen ÖVP-Funktionsträgern stellt sich auch beim ehemaligen Innenminister Ernst Strasser, wurde doch eine zentimeter­dicke Amtsmissbrauchs-Anzeige gegen Strasser seitens des zuständigen Staats­anwaltes zufällig genau so lange „übersehen“, bis die Angelegenheit verjährt war.

Siebentens: Der Fall der angeblichen Haider-Konten

Nach der Veröffentlichung einer vorgeblichen Aufdeckergeschichte eines Nachrichten­magazins über angebliche Millionen-Konten des verstorbenen Kärntner Landes­hauptmannes Dr. Jörg Haider erklärte am 02. August 2010 Justizministerin Bandion-Ortner im Morgenjournal-Interview, selbst von den geheimen Konten Jörg Haiders erfahren zu haben. Ob das Geld aus legalen oder illegalen Quellen stamme, das überprüfe nun die Staatsanwaltschaft, so Bandion-Ortner damals. Diese Angaben der Ministerin wurden aber von der Staatsanwaltschaft in Liechtenstein, den Staatsanwalt­schaften in Österreich und auch seitens des deutschen Bundeskriminalamtes heftig


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dementiert. Das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) erklärte: „Es ist derlei nicht bekannt. Wir können das in keinster Weise bestätigen.“ Auch aus Vaduz kam ein Dementi: „In den in Liechtenstein beschlagnahmten Unterlagen sind keine Konten oder Gesellschaften aufgetaucht, die von Dr. Jörg Haider oder seinem unmittelbaren Umfeld kontrolliert wurden oder werden“, heißt es in einer Stellungnahme der Leitenden Staatsanwaltschaft. Und die Staatsanwaltschaft Wien betonte ebenso wie die Staats­anwaltschaft in Klagenfurt, nicht auf Konten mit Verbindung zu Haider gestoßen zu sein. Bis heute liegt kein einziger Beweis oder konkreter Hinweis auf die angeblichen Haider-Konten vor. Was aber vorliegt ist der Fall einer Justizministerin, die den verstorbenen Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider übel benachredet sowie die Öffentlichkeit bewusst falsch informiert hat, sich dafür aber bis heute nicht entschuldigt und auch keine Konsequenzen gezogen hat.

Achtens: Der Fall Gottfried Kranz

Justizministerin Bandion-Ortner duldet es, dass unter ihr als Ministerin seitens der Staatsanwaltschaften und Ermittlungsbehörden permanente Verstöße gegen das Amtsgeheimnis und der Bruch der Verschwiegenheitspflicht passieren. Bestes Bei­spiel: Dr. Gottfried Kranz, leitender Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Klagenfurt. Er hat im Rahmen dieser Funktion Anfang August 2010 gegenüber dem ORF im Zusam­menhang mit den Medienberichten rund um angeblich auf Liechtensteiner Konten entdeckten 45 Millionen Euro des verstorbenen Landeshauptmannes Dr. Jörg Haider folgende Aussage getätigt: „Wohl habe ich hier vor ganz kurzer Zeit aus Wien eine Nachricht erhalten, dass hier ein Aktenvorgang nach Klagenfurt unterwegs sein soll, wonach eben tatsächlich aus einem ausländischen Staat nach Liechtenstein auf das Konto von Doktor Jörg Haider ein Betrag von 45 Millionen eingezahlt worden sein soll.“ Diese Aussage von Dr. Kranz hat sich nachweislich als irreführend und falsch herausgestellt, womit der Leiter der Staatsanwaltschaft Klagenfurt die Öffentlichkeit bewusst falsch informiert hat. Denn der Sprecher der Korruptionsstaatsanwaltschaft, Friedrich Alexander König, stellte klar, es handle sich dabei nur um ein Notizbuch mit „Eintragungen vom Hörensagen, die wiederum ein anderer vom Hörensagen gehört haben soll“, was heiße, dass „keine konkreten Beweise bekannt sind“. Dr. Gottfried Kranz hat mit seinen unrichtigen Aussagen in der Öffentlichkeit gegen die Amts­verschwiegenheit verstoßen und einen Bruch des Amtsgeheimnisses begangen, weil er mit seinem Gang an die Öffentlichkeit gegen § 58 des Richter- und Staats­anwalt­schaftsdienstgesetzes und gegen die Bestimmungen des Erlasses des Bundes­ministeriums für Justiz vom 12. November 2003 über die Zusammenarbeit mit den Medien verstoßen hat. Konsequenzen für Kranz gibt es bis heute nicht, was wiederum die Tätigkeit oder besser gesagt völlige Untätigkeit der Ministerin vor Augen führt, die keinerlei Konsequenzen zieht, keinen Korrekturbedarf ortet und das Prinzip der Unschuldsvermutung damit mit Füßen tritt. Dies ist umso dramatischer, als dass es sich beim Fall Kranz um keinen Einzelfall handelt, sondern der Bruch der Amtsver­schwiegenheit und der Bruch des Amtsgeheimnisses mittlerweile zur gängigen Praxis in der Justiz gehören. Vor allem, wenn es sich bei den Betroffenen um Politiker der Opposition handelt.

Neuntens: Gerichtliche Testamentsfälschungen in Vorarlberg

In der Testamentsfälschungsaffäre am Bezirksgericht Dornbirn wird in Feldkirch in zig Verdachtsfällen ermittelt, in zwei Fällen – die wegen Befangenheit abgegeben wur­


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den – in Steyr. Insgesamt laufen gegen 13 Personen Erhebungen, bei fünf der Be­schul­digten handelt es sich um Justizangehörige, darunter auch eine aktive Richterin. Insgesamt wurden bei den Verdächtigen rund 1,8 Mio. Euro an Bankguthaben sicher­gestellt, zudem weitere Vermögenswerte. Fragen nach der politischen Verantwortung, der Höhe der Schadenssumme, der Zahl der Geschädigten, der nötigen Wieder­gutmachung und vor allem der nötigen Schritte zur zukünftigen Verhinderung solcher Vorfälle sind bis dato seitens der Justizministerin unbeantwortet geblieben.

Zehntens: Verletzung der Pressefreiheit und Ausschaltung des Redaktionsgeheimnisses

Bandion-Ortner lässt es zu und verteidigt es, wenn in Österreich verfassungsgesetzlich geschützte Rechte wie die Pressefreiheit mit Füßen getreten werden und das Redak­tionsgeheimnis ausgeschalten wird. So sind zwei Journalisten des Nachrichten­maga­zins „profil“ im September 2010 auf Basis eines Rechtshilfeersuchens der Staats­anwaltschaft München 1 seitens der Staatsanwaltschaft Wien formal als Beschuldigte vernommen worden, ohne dass es dafür eine rechtliche Deckung gab. Gleiches drohte einem NEWS-Reporter, der ebenfalls ohne Rechtsgrundlage hätte einvernommen werden sollen. Die internationale Journalistenorganisation „Reporter ohne Grenzen“ bezeichnete dieses Vorgehen der Wiener Anklagebehörde als „grobe Verletzung von Pressefreiheit und Meinungsvielfalt in Österreich“. Der Präsident der Journalisten­gewerkschaft, Franz C. Bauer, ortete ebenfalls „einen beispiellosen Anschlag auf die Pressefreiheit in unserem Land. Aus Steuergeldern bezahlte Politiker und Beamte versuchen offenbar willfährig, ausländische Gesetze in Österreich zu vollziehen und dabei die Meinungsfreiheit einzuschränken“. Seitens der politisch verantwortlichen Justiz­ministerin Claudia Bandion-Ortner wurden bis heute keine Konsequenzen gezogen oder entsprechende gesetzliche Klarstellungen in Sachen Redaktions­geheimnis getroffen. Gleiches gilt auch für die Groteske rund um die versuchte Erzwingung der Herausgabe von Videomaterial durch den ORF, was seitens der Justiz nichts anderes als den Versuch der Beschaffung eines Erkundungsbeweises bedeutet. SPÖ-Justizsprecher Jarolim sieht folglich „Feuer am Dach“ und greift Justizministerin Claudia Bandion-Ortner an: „Nachdem die Justiz seit der Amtsübernahme von Justizministerin Bandion-Ortner an Ansehen und Vertrauen in der Bevölkerung massiv verloren hat, ist jetzt auch das Grundrecht der Pressefreiheit in Gefahr. Für mich stellt sich grundsätzlich die Frage, inwiefern die Justizministerin hinter dem Grundrecht der Presse- und Meinungsfreiheit steht und ob und wie sie diese vor den Organen der Justiz und der ihr unterstellten Staatsanwaltschaft zu schützen gedenkt.“

Zu diesen „Bandion Blamagen“ hinzu kommen weitere Justizskandale wie die Causa Mensdorff, Fälle von Politjustiz durch die Staatsanwaltschaft Wien, Unterschriften­fälschungen am Bezirksgericht Bludenz, überdies noch die missglückte gesetzliche Einführung der elektronischen Fußfessel und nicht zuletzt wachsender Unmut und Unzufriedenheit in den Reihen der Richterschaft durch ministerielles Missmanagement, fehlende finanzielle Ressourcen und schwere justizpolitische Fehlentscheidungen.

In Erfüllung der zentralen Aufgabe der politischen Verantwortungsträger, nämlich der angeführten Sicherstellung von Vertrauen durch die Gewährleistung und Verteidigung einer unabhängigen, objektiven und funktionierenden Rechtssprechung sowie in Sorge um das Ansehen der Justiz in Österreich und die Gültigkeit des Prinzips der Rechts­staatlichkeit stellen die unterfertigten Abgeordneten an die Justizministerin folgende


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Dringliche Anfrage:

Der Fall BAWAG

1. Was entgegnen Sie angesichts dessen, dass Ihre angeblich so exzellente Prozessführung im BAWAG-Verfahren gegen die SPÖ-Verantwortlichen dieses Bankdesasters Ihnen das Ministeramt verschafft hat, den vielfachen öffentlichen Fest­stellungen – z.B. von Verfassungsgerichtshofpräsident i.R. Dr. Karl Korinek –, dass Sie nach der Blamage der Stellungnahme der Generalprokuratur als Justizministerin nicht mehr voll handlungsfähig sind?

2. Werden Sie dann, wenn der Oberste Gerichtshof den Empfehlungen der General­prokuratur folgt, gemeinsam mit Ihrem ebenfalls für das BAWAG-Verfahren als Ankläger verantwortlichen Kabinettschef Mag. Georg Krakow zurücktreten? Wenn nein, warum sind Sie der Ansicht, dass eine Ressortministerin, der von höchster Stelle fachliche mangelnde Kompetenz bescheinigt wird, das Amt des Justizministers vollwertig ausfüllen kann?

3. Wann wird das von Ihrem Kabinettschef als damaligem Staatsanwalt im BAWAG-Verfahren schon vor Jahren als unmittelbar bevorstehend angekündigte „BAWAG II Verfahren“ über den Verbleib der angeblich verspekulierten BAWAG-Gelder statt­finden, wie ist der Verfahrensstand derzeit und welche Ermittlungsschritte wurden mit welchem Ergebnis bisher gesetzt? Wenn ein solches Strafverfahren nicht mehr geführt wird, mit welcher Begründung unterbleibt dies angesichts der Tatsache, dass das Urteil für Wolfgang Flöttl bei persönlicher Bereicherung angesichts einer milliardenschweren Schadenssumme wohl anders ausfallen müsste?

4. Wann wird das Strafverfahren betreffend die aus den „Kellerakten“ erkennbare, zumindest steuerschonende, wenn nicht strafrechtlich relevante Finanzierung von ÖGB und SPÖ durch die BAWAG stattfinden, wie ist der Ermittlungsstand derzeit und welche Ermittlungsschritte wurden mit welchem Ergebnis bisher gesetzt? Wenn ein solches Strafverfahren nicht mehr geführt wird, mit welcher Begründung?

5. Wie begründen Sie die überlange Untersuchungshaft von mittlerweile mehr als drei Jahren für Helmut Elsner, während sich alle anderen verurteilten Personen auf freiem Fuß befinden?

6. Aus welchen konkreten Gründen wurde Helmut Elsners Antrag auf elektronisch überwachten Hausarrest abgelehnt und wie beurteilen Sie dies?

7. Wie beurteilen Sie die Begründung der Ablehnung in Hinblick auf die Gesetzes­begründung, in der klar zum Ausdruck kommt, dass der elektronisch überwachte Hausarrest auch für den Vollzug der Untersuchungshaft eine Alternative bietet?

Der Fall Natascha Kampusch

8. Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dem 25-seitigen Schreiben des Mitglieds der Kampusch-Evaluierungskommission OGH-Präsident i.R. Dr. Johann Rzeszut betref­fend „Art. 52 B-VG – Sachverhaltsmitteilung zum staatsanwaltlichen Ermittlungs­verfahren im Abhängigkeitsfall Natascha Kampusch“, in dem er

eklatante Mängel in der staatsanwaltschaftlichen Behandlung des Falles und bewusste Schritte gegen die Aufklärung wie das Unterlassen bzw. sogar aktive Unterdrücken sinnvoller Ermittlungen gegen wahrscheinlich vorhandene weitere Täter,


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eine vorzeitige Freigabe der Liegenschaft von Herrn Priklopil zur Räumung, die insbesondere die Entfernung aller elektronischen Aufzeichnungen ermöglichte,

eine krass wahrheitswidrige Information der Öffentlichkeit,

das Unter-Druck-Setzen des operativen Leiters der Sonderkommission des Bundes­krimi­nalamts mit Selbstmordfolge und schließlich

eine nach den Ergebnissen der Evaluierungskommission unvertretbare Einstellung des Verfahrens feststellt?

9. Aus welchen konkreten Gründen sind Sie den mehrmaligen Ersuchen von Dr. Rzeszut, die justizielle Fallbearbeitung aus dem Verantwortungsbereich der Ober­staatsanwaltschaft Wien herauszuverlegen, nicht nachgekommen?

10. Aus welchen Gründen wurde das Kampusch-Verfahren eingestellt, obwohl die hochkarätig besetzte Evaluierungskommission des BMI weitere Ermittlungen für unver­zichtbar hielt? Wurden diesbezüglich auf irgendeiner Ebene der Staatsanwaltschaft oder des BMJ Weisungen erteilt? Wenn ja, wie lauten sie? Wenn nein, war diese Einstellung mit Ihnen akkordiert?

11. Werden Sie im Hinblick auf die Vielzahl der bestehenden Widersprüche im Fall Kampusch (Mehrtätertheorie bzw. Stellung des Geschäftsfreundes in Hinblick auf die Aussage der einzigen Zeugin etc.), die von Dr. Rzeszut aufgezeigt worden sind, die Ermittlungen fortsetzen lassen? Wenn nein, warum können Sie es verantworten, dass mögliche Mittäter Priklopils nicht im Interesse der Bevölkerung und des Opfers verfolgt werden? Wenn ja, wird das Verfahren im Bereich einer anderen Oberstaats­anwalt­schaft geführt werden?

Der Fall Hypo Niederösterreich

12. Wie ist der aktuelle Ermittlungsstand im ÖVP-Fall Hypo Niederösterreich?

13. Aus welchen konkreten Gründen und auf wessen Weisung bzw. mit wessen Zustimmung wurden die Ermittlungen vorübergehend gestoppt und wie beurteilen Sie dieses Vorgehen insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass noch nicht alle polizeilichen Ermittlungsschritte getätigt waren?

14. Welche Entscheidungen wurden auf Basis des übermittelten Vorhabensberichts der Staatsanwaltschaft St. Pölten von wem und mit welcher Begründung getroffen?

15. Wurden Sie und, wenn ja, mit welchem Ziel wurden Sie bezüglich dieses Ver­fahrens seitens des Landeshauptmanns von Niederösterreich, Dr. Erwin Pröll, oder sonstiger Mitglieder der ÖVP angesprochen bzw. gab es oder gibt es politische Einflussnahmen in diesem Verfahren?

16. Wie begründen Sie die gravierenden Unterschiede im Bereich des Personal­einsatzes zur Aufklärung der Fälle Hypo Niederösterreich und Hypo Alpe Adria?

Der Fall Hypo Alpe Adria

17. Welche Gründe rechtfertigen im Einzelnen, dass sich Wolfgang Kulterer in Untersuchungshaft  befindet und aus welchen Gründen wurde gegen die späteren Ent­scheidungsträger in der Bank und sonstigen Tatverdächtigen wie Günther Striedinger keine Untersuchungshaft beantragt?


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 120

18. Wurde bei den strafrechtlichen Beurteilungen beachtet, dass die wesentlichen bilanziellen Negativentwicklungen erst nach 2007 in alleiniger Verantwortung des Mehrheitseigentümers Bayern LB und den von ihr eingesetzten Vorständen erfolgten?

Der Fall Karl-Heinz Grasser

19. Was sind die Gründe für die monatelang verzögerten Ermittlungen gegen Karl-Heinz Grasser und können Sie ausschließen, dass durch diese Verzögerung Absprachen und die Vernichtung von Beweismitteln ermöglicht wurden?

20. Können Sie politische Einflussnahmen von Vertretern der ÖVP in diesem Fall ausschließen?

Der Fall Ernst Strasser

21. Welche konkreten Umstände führten dazu, dass ein derart umfangreicher und zentimeterdicker Akt einfach übersehen werden konnte? 

22. Haben Sie organisatorische Maßnahmen getroffen, die eine Wiederholung eines solchen Fehlers verunmöglichen und wenn ja, welche Maßnahmen sind dies?

Der Fall der angeblichen Haider-Konten

23. Auf Basis welcher Ihnen damals bekannten Faktenlage haben Sie gegenüber dem ORF am 2. August 2010 erklärt, selbst von den geheimen Konten Dr. Jörg Haiders erfahren zu haben und dass die Staatsanwaltschaft nun prüfe, ob das Geld aus legalen oder illegalen Quellen stamme?

24. Wie vereinbaren Sie diese Aussage mit Ihrem Amtsverständnis als Justizministerin angesichts der Tatsache, dass ihre Aussage von sämtlichen Staatsanwaltschaften und ausländischen Ermittlungsbehörden zurückgewiesen wurde und bis heute kein einziger Beweis für die von Ihnen behaupteten Konten vorliegt und Sie damit eigentlich den Straftatbestand der üblen Nachrede erfüllt haben?

25. Welche konkreten Beweise liegen für die angeblichen Millionenkonten Dr. Jörg Haiders derzeit vor?

Der Fall Gottfried Kranz

26. Auf welcher rechtlichen Basis erfolgte die Veröffentlichung von Informationen betreffend das Ermittlungsverfahren hinsichtlich möglicher Haider-Konten in Lichten­stein durch Gottfried Kranz und wie beurteilen Sie dieses Vorgangsweisen aus strafrechtlicher, disziplinarrechtlicher sowie aus medienrechtlicher Sicht?

27. Wurden disziplinarrechtliche Schritte gegen Gottfried Kranz eingeleitet?

Gerichtliche Testamentsfälschungen in Vorarlberg

28. Welche konkreten Schritte wurden bisher gesetzt, um aktiv alle Verlas­sen­schaftsverfahren der letzten Jahrzehnte in Dornbirn nachzuprüfen, allen - auch alten -


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Vorwürfen Betroffener wenigstens nachträglich nachzugehen und den Geschädigten rasch zu einer Wiedergutmachung ihres Schadens zu verhelfen?

29. Welche konkreten Änderungen wurden oder werden vorgenommen, um ähnliche organisierte kriminelle Machenschaften im Umfeld von Gerichten wirksam zu verhin­dern?

Verletzung der Pressefreiheit und Ausschaltung des Redaktionsgeheimnisses

30. Wie können Sie erklären, dass dem Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft München 1 entgegen der österreichischen Rechtslage stattgegeben wurde und welche (organisatorischen) Schritte haben Sie gesetzt, um derartigen Fehlern künftig entgegenzuwirken und die Pressefreiheit sowie das Redaktionsgeheimnis ausreichend zu schützen?

31. Welche disziplinarrechtlichen Konsequenzen wurden gegen die Verantwortlichen in der Staatsanwaltschaft Wien wegen der illegalen Einvernahme von Journalisten im Zusam­menhang mit dem Fall Hypo Alpe Adria gezogen und, wenn nein, warum nicht?

32. Welche gesetzlichen Klarstellungen wollen Sie treffen, um in Zukunft den vor­sätzlichen Bruch des Redaktionsgeheimnisses durch strafrechtliche Ermittlungen wie im Fall ORF zu verhindern?

In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage im Sinne des § 93 Abs. 1 GOG-NR zum frühestmöglichen Zeitpunkt dringlich zu behandeln und dem Erstanfragesteller Gelegenheit zur mündlichen Begründung zu geben.

*****

 


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Ich erteile Herrn Abgeordnetem Mag. Stadler als erstem Fragesteller zur Begrüßung, pardon: zur Begründung der Anfrage, die gemäß § 93 Abs. 5 der Geschäftsordnung 20 Minuten nicht überschreiten darf, das Wort. – Bitte.

 


15.01.25

Abgeordneter Mag. Ewald Stadler (BZÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Das mit der „Begrüßung“ war eine freudsche Fehlleistung. Wir warten alle noch auf die ÖVP-Fraktion, die sich offensichtlich verflüchtigt hat, die das so macht wie die Raiffeisen-Zei­tung heute, der „Kurier“ ... (Abg. Kopf: Sie wollen sich das nicht antun!) – Die wollen sich das nicht antun? Ach so! So wie sich der „Kurier“ das nicht antun möchte, die Frau Bundesministerin zu unterstützen, wie man heute lesen kann. (Abg. Kopf: Sie wollen sich deine Rede nicht anhören!) Ja, so ähnlich. Ja, ja, gut, das haben wir verstanden. (Beifall beim BZÖ.)

Meine Damen und Herren! Hohes Haus! Ich gehe ein bisschen in die Geschichte der Bestellung der Frau Minister Bandion-Ortner ein. Ich möchte Ihnen gleich dazusagen, Frau Bundesminister, das, was wir heute führen, ist eine politische Debatte und hat nichts mit persönlichen Antipathien oder Sympathien zu tun. Das möchte ich Ihnen gleich dazusagen. Ich sage Ihnen auch gleich dazu, dass ich vermute, dass Sie diese Ent­scheidung, dass Sie dem Herrn Vizekanzler Josef Pröll zugesagt haben, wahr­scheinlich schon sehr häufig bereut haben. Davon bin ich überzeugt. Zumindest in den letzten Abendstunden, als Sie gesehen haben, dass das Raiffeisen-Medium „Kurier“ Sie auch schon fallenlässt. (Beifall beim BZÖ.)


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Wie ist es also zu dieser Ministerbestellung gekommen? – Das ist eine interessante Sache, die gleichzeitig ein bisschen Warnung darstellen soll, wie man eben nicht Minister werden soll, insbesondere nicht Justizminister.

Am 16. Juli 2007 hat die Hauptverhandlung gegen Elsner und die Mitangeklagten begon­nen. Dieser Prozess hat sich über die Jahreswende 2007/2008 hingezogen. Am 4. Juli 2008 ist die letzte Hauptverhandlung gewesen und es wurden die Urteile mündlich verkündet, sodass sich dann die Frau Vorsitzende des Gerichtshofes, näm­lich die Frau Rat Mag. Bandion-Ortner, zurückziehen konnte, um das Urteil schriftlich auszufertigen.

In der Zwischenzeit gab es eine Nationalratswahl. Es kam zu einer Regierungsbildung. Der Herr Vizekanzler in spe hat eine Justizministerin gesucht. Und das ist jetzt das Fatale: Da ist der Josef Pröll auf die Idee gekommen, weil medial schon in der Berichterstattung, er holt sich sozusagen die Vorsitzführende eines Gerichtsverfahrens, das bis dorthin ein enormes mediales Echo hatte, und weil mediales Echo, daher gute Justizministerin.

Meine Damen und Herren! Hohes Haus! Frau Bundesminister, dass man eine gute Richterin ist, heißt noch lange nicht, dass man deswegen auch eine gute Politikerin ist. Ich will Ihnen jetzt nicht sagen, dass Sie eine schlechte Politikerin sind, aber Sie sind in diesem Ressort alles schuldig geblieben, was Sie an Erwartungshaltungen geweckt und hier bei Ihrer Präsentation im Jänner 2008 versprochen haben. (Beifall beim BZÖ.)

Meine Damen und Herren! Der erste Vorwurf ist daher gar nicht einmal so sehr an die Frau Bundesminister Bandion-Ortner zu richten, sondern der erste Vorwurf ist an den Vizekanzler Josef Pröll zu richten, dass er aus einem laufenden Verfahren heraus eine Richterin geholt hat, die noch nicht einmal mit ihrem Urteil fertig war, nur weil er jemanden gebraucht hat für ein Ministerium, für das er offensichtlich niemanden hatte. (Beifall beim BZÖ.)

Meine Damen und Herren! Dann haben wir als Zwischenlösung den zwischenzeitlich in die EU verflüchtigten Herrn Hahn gehabt. Der hat im Ministerium überhaupt nichts gemacht, sondern man musste nur warten, bis die Frau Mag. Bandion-Ortner mit ihrem Urteil gegen Elsner und Mitangeklagte fertig war.

Das heißt, der erste Vorwurf geht an jene, die die Frau Bandion-Ortner überhaupt in dieses Ministerium geholt haben, weil man in einem laufenden Verfahren, Frau Bun­desminister, nicht in ein Ministeramt wechseln soll. Es gab genügend Stimmen damals, die Sie davor gewarnt haben, dass das eine schiefe Optik ist.

Aber die Optik wurde ja noch gedoppelt, und der Vorwurf, Frau Bundesminister, der ist Ihnen zu machen, nämlich der Vorwurf, dass Sie überhaupt zugesagt haben, obwohl Sie wussten, dass Sie aus einem laufenden Verfahren heraus kommen, aus dem bis dorthin spektakulärsten Wirtschaftskriminalverfahren, das geführt wurde, und dass Sie gleichzeitig auch noch den Ankläger dieses Verfahrens mit in Ihr Kabinett geholt und zum Kabinettschef gemacht haben.

Meine Damen und Herren! Die Optik ist schiefer nicht mehr denkbar. Wen hätten Sie denn noch mitnehmen wollen: den Gefängnisdirektor? Nein, das hätte irgendwie nicht zusammengepasst. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Was heißt: Lass die Kirche im Dorf!? Ich möchte die ÖVP-Kritik nicht hören, wenn das die Roten gemacht hätten. Die Roten haben in der Zeit Broda einiges gemacht. Damals haben die Schwarzen zu Recht kritisiert, was unter Broda, Oberhammer und Company alles möglich war und unter dem unseligen Herrn Staatsanwalt Müller. Aber dass man aus einem laufenden Verfahren heraus eine vorsitzführende Richterin und gleichzeitig noch den Staats­an­


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walt in ein Ministerium holt, das hat noch niemand vorher zustande gebracht, meine Damen und Herren. Das ist schon der ÖVP vorbehalten geblieben. (Beifall beim BZÖ.)

Das heißt, so wird man eben genau nicht Minister, nur wegen medialer Präsenz aufgrund eines Strafverfahrens. Das ist nämlich genau das falsche Signal. Das heißt: Liebe Justiztätige, vernadert nur möglichst rasch und spektakulär irgendeinen Politiker, vernagelt ihn, wickelt möglichst spektakulär und medial präsent ein Verfahren ab, dann habt ihr politische Karrierechancen. Ein fatales Signal, meine Damen und Herren! (Zwischenruf des Abg. Dr. Bartenstein.)

Geh, Kollege Bartenstein! Lest doch einmal eure alten Protokolle, als die damalige Untersuchungsrichterin Helene Partik-Pablé zur Abgeordneten gewählt wurde, nicht zur Ministerin bestellt wurde. Die ÖVP hat sich ja ereifert und gegeifert, warum die überhaupt Abgeordnete werden konnte, meine Damen und Herren. Und dann geht man seitens der ÖVP her und bestellt nicht nur eine Richterin zu einer Abgeordneten, sondern gleich zu einer Ministerin, obwohl das Verfahren noch gar abgeschlossen ist – und der Staatsanwalt wird gleich mitgeliefert, meine Damen und Herren! (Beifall beim BZÖ.)

Das ist die Doppelbödigkeit der ÖVP! Das ich nenne ich Unkultur, das nenne ich Unkultur des politischen Aufstiegs, meine Damen und Herren.

Und das ist der Vorwurf, Frau Bundesministerin, der Ihnen auch zu machen ist: dass Sie gewusst haben mussten – und ich behaupte, Sie wussten es auch –, gewusst haben mussten, dass das Ihren politischen Handlungsspielraum schwer einschränkt. Wenn Sie es nicht gewusst haben, haben Sie keine Zeitungen gelesen, denn man hat es Ihnen damals bereits vorausgesagt, dass das Ihren politischen Handlungsspielraum schwer einschränken wird.

Und genau so ist es gekommen. Es ist dann auf einmal in diesem Verfahren rund um Bawag 1 überhaupt nichts mehr weiter gegangen. Es gab zwar das Versprechen, es gibt ein Bawag-2-Verfahren, in dem man endlich einmal schauen wird, wo diese 1,7 Milliarden € hingegangen sind. Es gibt ja alle möglichen Spekulationen. Es wird behauptet, die SPÖ hat es kassiert, es wird behauptet, der Flöttl hat es in Amerika vergraben, es wird behauptet, dass der ÖGB zugelangt hat. Niemand hat in einem Bawag-2-Verfahren je geklärt, wo dieses Geld hingekommen ist, meine Damen und Herren.

Ja, wessen Aufgabe wäre es denn gewesen, dafür zu sorgen, dass es ein Bawag-2-Verfahren gibt, wenn die Staatsanwaltschaft selber nicht weitermacht?! Es wäre Aufgabe der politisch Verantwortlichen gewesen, meine Damen und Herren. Und jetzt raten wir einmal, wer das sein könnte. Mit Sicherheit ist das nicht der Portier vom AKH. Überlegen wir einmal, ob es der Portier vom Justizministerium ist. Da kommen wir der Sache schon näher. Es wäre selbstverständlich die politisch Verantwortliche gewesen, die das durchzuführen gehabt hätte, nämlich die Frau Bundesminister Bandion-Ortner. Aber sie hat es nicht getan, weil ihr nämlich in diesem Verfahren die Hände gebunden waren. Es hätte natürlich eine noch schiefere Optik gegeben, wenn die Richterin vorher im Verfahren mit ihrem Staatsanwalt auch noch dafür gesorgt hätte, dass das Verfahren weitergezogen wird, meine Damen und Herren.

Genau so wird man nicht Minister, meine Damen und Herren.

Und deswegen – behaupten wir – ist es zu keinem Bawag-2-Verfahren gekommen, sondern zu einem meiner Ansicht nach nicht verantwortbaren Stillstand, und es ist bis heute nicht aufgeklärt worden, was zum Beispiel mit diesen Kellerakten passiert ist, die man beim Herrn Flöttl sen. gefunden hat; zunächst einmal gar nicht finden wollte und dann doch gefunden hat. Die SPÖ nickt mit dem Kopf. Natürlich wisst ihr alle, was


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damit gemeint ist. Zuerst ist man geflissentlich an diesen Kellerakten vorbeigegangen, mittlerweile muss die Frau Ruth Elsner landauf und landab rennen und sagen: Bitte, interessiert euch doch auch einmal für die Akten, die man dort unten zunächst übersehen hat!

Aber kein Mensch interessiert sich für diese Akten. Was macht die politisch verantwortliche Ebene? – Gar nichts! Nichts geht. Natürlich nicht. Warum? – Weil man Angst hat, man könnte sich sonst als ehemalige Richterin, als ehemaliger Ankläger im Verfahren politisch anpatzen und dem Vorwurf aussetzen, man würde politische Einflussnahme üben.

Meine Damen und Herren! Genau deswegen wäre es gut gewesen, hier einen Minister oder eine Ministerin zu haben, Herr Vizekanzler, der eben nicht verfahrensbefangen ist, und zwar weder in der Rolle des Richters noch in der Rolle des Anklägers, noch in der Rolle irgendeines Ermittlers, meine Damen und Herren. Herr Vizekanzler, lassen Sie sich das bei Ihren nächsten Ministerbesetzungen, die wahrscheinlich schon in Bälde anstehen, gesagt sein. Das ist ein guter Ratschlag von mir, meine Damen und Herren. Sie werden um eine Kabinettsumbildung in den nächsten Wochen ohnehin nicht umhinkommen. (Beifall beim BZÖ.)

So, jetzt sind wir beim nächsten Fall, dort wird es auch deutlich, das ist der Fall Kampusch. Die FPÖ-Fraktion hat heute einen Antrag auf Einsetzung eines Unter­suchungsausschusses dazu eingebracht. Das finde ich richtig. Es ist Gott sei Dank dieser Bericht jetzt auch abgedruckt worden, sodass er nicht nur von den Klub­obleuten, die ihn zum Teil gar nicht weitergeleitet haben, wie wir im Justizausschuss gemerkt haben, gelesen werden muss, sondern auch von allen anderen Abgeordneten gelesen werden kann.

Meine Damen und Herren, wer diesen Bericht liest, stellt fest, dass niemand Gerin­gerer als der ehemalige Präsident des Obersten Gerichtshofes Dr. Johann Rzeszut – und ich sage es noch einmal: einer der besten, erfahrensten Juristen dieses Landes, das wird niemand in Abrede stellen; das ist nämlich das Pech an der Sache, dass man den nicht zum Narren erklären kann –, dass dieser Mann sagt, dass seine Versuche, die oberste Verantwortungsebene dazu zu bringen, endlich zu handeln, gescheitert sind.

Jetzt fragt man wieder nach: Wer ist die oberste Verantwortungsebene, die politische Verantwortungsebene, dass hier nichts weitergegangen ist? Rätseln wir wieder. Den Portier vom AKH haben wir schon ausgeschieden, den Portier vom Justizministerin haben wir auch schon ausgeschieden, also bleibt wieder nur die Justizministerin, meine Damen und Herren. Das ist die oberste politische ... (Ruf bei der ÖVP: Stadler!) Wer war das mit dem Zwischenruf „Stadler“? Bitte aufzeigen! – Ah, der Herr Polizeichef, der da herinnen sitzt, meine Damen und Herren. Der sagt, der Stadler ist es, bloß nicht die ÖVP. Für alles Unangenehme ist die ÖVP nicht zuständig, sie ist nur für die Sonnenscheintage zuständig, für das schlechte Wetter ist der Stadler zuständig.

Meine Damen und Herren, so gehen Sie mit Rzeszut-Berichten um! Es ist gut, dass Herr Rzeszut sieht, wie die ÖVP über ihn denkt, meine Damen und Herren. (Beifall beim BZÖ.)

Herr Präsident Rzeszut hat einen flehentlichen Brief an die Frau Ministerin geschrieben, hat sich flehentlich an den Herrn Kabinettschef gewandt. Echo null! Warum? – Weil die ÖVP sagt: Das ist nicht unser Thema, Stadler ist dafür zuständig.

Ja, Stadler hat seine Zuständigkeit wahrgenommen. Ich war nämlich der Einzige – das wird Sie jetzt überraschen, Herr Polizeichef –, der den Bericht gelesen hat. Ich bin auch der Einzige gewesen, der ihn im Justizausschuss zur Sprache gebracht hat, und


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da hat sich herausgestellt, dass keiner von den Abgeordneten diesen Bericht über­haupt angeschaut hat. So war es nämlich, meine Damen und Herren. So schaut es aus! (Beifall beim BZÖ.)

Daher will ich Ihnen nur sagen, wenn der pensionierte Präsident eines Gerichtshofes auf so viel Ignoranz stößt, dann darf man sich nicht wundern, dass er bei der Staatsanwaltschaft noch viel mehr Ignoranz hat.

Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen daher: Wenn die oberste politische Verant­wortungsebene – und das sind Sie, Frau Bundesminister, niemand sonst –, wenn die oberste politische Verantwortungsebene bis heute nicht einmal das Gespräch mit dem Herrn Präsidenten Rzeszut gesucht hat, nicht einmal nachgefragt hat, wie er zu diesen ungeheuerlichen Schlüssen kommt – lesen Sie das jetzt nach im Antrag der FPÖ, es ist ja nachzulesen, der Bericht liegt ja jetzt jedem vor, lesen Sie also nach –, wenn eine Ministerin sich nicht einmal die Mühe macht, ihrem Kabinettchef zu sagen: Laden Sie mir einmal den Herrn Rzeszut ein!, nein, ich habe am Montag gesagt, bitte, Herr Rzeszut, kann ich mit Ihnen reden ... (Vizekanzler Dipl.-Ing. Pröll: Was ist das?) Ah, das kennt der Herr Vizekanzler gar nicht. Der Herr Vizekanzler kennt das gar nicht! Na, jetzt hat der Polizeichef wirklich recht. Da sitzt er schon, der Ignorant!

Wir debattieren seit Tagen über diesen Rzeszut-Bericht. Es ist sogar in den Zeitungen nachlesbar, dass der Präsident des Obersten Gerichtshofes sich hilfesuchend mit einem Brief an die Frau Bundesminister wendet, vor Monaten bereits, ignoriert wird, sich an den Kabinettchef wendet, ignoriert wird, und dann schreibt er dem Parlament, nämlich allen Klubobleuten, einen 25 Seiten starken Bericht, Herr Vizekanzler, und er wird weiter ignoriert, bis der Ewald Stadler – da hat er wieder recht, der Herr Polizeichef – endlich den Bericht liest und dem Justizministerium sagt: Seid ihr noch bei Trost? Was tut ihr damit?

Von Ungeheuerlichkeiten strotzend ist dieser Bericht, und es interessiert sich niemand dafür! In diesem Bericht wird vom Herrn Präsidenten Rzeszut beklagt, dass die Ermitt­lungen in der Evaluierung im Fall Kampusch gezielt verschleppt, behindert und sogar die Ermittlungsergebnisse ignoriert wurden. Man hatte kein Interesse (Abg. Grosz: Warum?) – das Warum kläre ich nicht –, offensichtlich hat außer dem Herrn Rzeszut und dem Herrn Präsidenten Adamovich, der dafür auch schon zum Handkuss gekom­men ist, niemand ein Interesse daran, dass dieser Bericht überhaupt weiter behandelt wird. Und er beklagt daher zu Recht, dass die politische Verantwortungsebene, id est Bundesministerium für Justiz, nicht einmal mit einem Ohrwaschl wackelt, damit hier etwas weitergeht.

Es ist das Gleiche mit Hypo Niederösterreich. Jetzt wende ich mich in erster Linie an die ÖVP-Fraktion. Zur Hypo Niederösterreich gibt es eine Weisung eines Staats­anwaltes – kein Mensch weiß, wie er zu dem Ergebnis gekommen ist –, es gibt eine Weisung des Staatsanwaltes, die Polizei hat nicht weiter zu ermitteln, obwohl die Polizei sagt: Wir haben noch gar nichts richtig ausermittelt. Darauf sagt er: Keine weiteren Ermittlungen, bis weitere Weisungen kommen.

Das kennen wir übrigens schon, Herr Kollege Pilz, aus dem Untersuchungsausschuss. Keine weiteren Ermittlungen, bis weitere Weisungen kommen. Und die kommen halt dann einfach nicht.

Wenn das Ganze nicht an die Öffentlichkeit gekommen wäre, dann wäre überhaupt nichts weitergegangen. Es gibt einen Vorhabensbericht im Justizministerium, und ich würde von Ihnen heute gerne wissen, Frau Bundesminister, wie Sie mit diesem Vor­habens­bericht umgehen, wo der Staatsanwalt sagt, wir haben vor, überhaupt alles einzustellen. Außer Spesen nichts gewesen. Die Polizei ist zwar der Meinung, man sollte weiter ermitteln, aber das halten wir nicht für notwendig.


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Einen Staatsanwalt gibt es in Niederösterreich, eine ganze Kohorte aber ist in Kärnten unterwegs. Warum? – Weil dort natürlich nicht Erwin Pröll draufsteht, dort steht auch nicht ÖVP drauf, sondern da steht Haider drauf, bilden Sie sich alle ein. Alle bilden sich das ein, auch Sie, Herr Vizekanzler. (Zwischenbemerkung von Vizekanzler Dipl.-Ing. Pröll.) Ja, ja, Haider-Bank ist das bei Ihnen, und das andere ist eben die Pröll-Bank. Das ist der Unterschied. (Vizekanzler Dipl.-Ing. Pröll: Beides wird untersucht!) Ja, ja, ja. Erklären Sie mir noch Hypo, und dann werden wir uns schon einig werden.

Tatsache ist, dass in einem Fall ein Staatsanwalt ermittelt, ein Staatsanwalt am liebs­ten sofort einstellen würde, obwohl die Kriminalpolizei sagt, wir haben noch gar nicht richtig ermittelt, und im anderen Fall, da ist man dran. SOKO-Hypo, CSI-Hypo. Ich glaube, ein Teil davon kommt ohnehin von Ihnen – oder, Herr Vizekanzler? Warum wollen Sie eigentlich nicht gleich das Justizministerium übernehmen, dann können wir uns die weitere Debatte sparen.

Denn die Wahrheit ist – und das ist das Bedauerliche, Frau Bundesminister, und da haben Sie mich enttäuscht –: In diesem Land (Zwischenbemerkung von Vizekanzler Dipl.-Ing. Pröll) – reden Sie ruhig weiter, Sie bringen mich nicht aus dem Konzept –, in diesem Land hängt es davon ab, ob Strafverfahren geführt werden nach Gesetz und Recht, ob man eine politische Zugehörigkeit hat, die passt oder nicht. Das ist das Prob­lem, meine Damen und Herren, und das werfe ich Ihnen vor. (Beifall beim BZÖ.)

Es sind also die politisch motivierten Ungleichbehandlungen – wir haben das in ande­ren Fällen im Untersuchungsausschuss schon gehabt –, es sind die politisch motivier­ten Ungleichbehandlungen von Fällen und auch von Tätern oder mutmaßlichen Tätern, die dazu geführt haben, dass man in diesem Land die Justiz immer stärker politisch instrumentalisiert.

Deswegen sage ich Ihnen, meine Damen und Herren, dass die Vorgehensweise, die ich gestern angezogen habe und die wir heute ohnehin noch in der Präsidialkonferenz diskutieren werden, genau in dieses Bild hineinpasst.

Aber noch einmal: Ich wehre mich schon. Eine Staatsanwältin, die glaubt, meinen parlamentarischen Mitarbeiter unter Druck setzen zu können, nur damit er mich belastet, und das hier im Hause ... (Vizekanzler Dipl.-Ing. Pröll: Das glaube ich nicht!) – Was? Das glaubt er nicht! Oh ja, ich gebe Ihnen gleich etwas zu lesen, Sie müssen mir nur versprechen, dass Sie es mir wieder zurückgeben. Schauen Sie, Herr Vizekanzler, wenn Ihnen langweilig ist, wenn Sie nicht glauben, wie dieser Staat ausschaut, lesen Sie sich das durch! Es schadet nicht, wenn man hin und wieder etwas liest. Sie geben es mir nur nachher wieder zurück, bitte. (Der Redner reicht Vizekanzler Dipl.-Ing. Pröll ein Schriftstück.) Vielleicht sind Sie dann nachher ein bisschen gescheiter. (Beifall beim BZÖ.)

Eine Staatsanwältin, die also einen Mitarbeiter von mir unter Druck setzt, nur damit er mich belastet, weil ihr nicht gepasst hat, dass er mich entlastet hat, eine Staatsanwältin glaubt, so wie die Frau Bandion-Ortner über meinen Buckel politische Karriere machen zu können. Da täuscht sie sich! Da täuscht sie sich, meine Damen und Herren.

Und ich bin nicht allein mit dieser Kritik. Ich will Ihnen, Frau Bundesminister, einmal einen Bericht vortragen, der für Sie eigentlich die Ausgangssituation Ihrer Minister­schaft hätte sein müssen. Es gab im Jahre 2008 einen Bericht der Evaluierungsgruppe der Generaldirektion für Menschenrechte beim Europarat, Abteilung Überwachung.

Da wird zu Österreich im Jahre 2008 – der Bericht ist vom 13. Juni 2008 – Folgendes gesagt – ich zitiere –:

 „Analyse: Insgesamt werden die Polizei und die Staatsanwaltschaften als nicht unab­hängig genug oder stark politisiert wahrgenommen. Durch einige Fälle, über welche


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von den Medien in den vergangenen Jahren berichtet wurde, wurde diese Sichtweise offenbar noch verstärkt. Dem GET“ – das ist die Evaluierungsgruppe – „wurde mitgeteilt, dass, obwohl der Einfluss des ‚Proporz‘-Systems nicht so bedeutend war wie in der Vergangenheit, politische Unterstützung noch immer zu einer Beschleunigung der Karriere bei Staatsanwälten oder Polizeibeamten (oder Richtern in geringerem Ausmaß) beitragen kann, zum Nachteil eines besser geeigneten, hart arbeitenden Kollegen, welcher ‚nicht die richtige Parteifarbe‘ hat.“ – Ende des Zitats, meine Damen und Herren.

So, wo ist jetzt die ÖVP? Herr „Polizeichef“, wo ist die ÖVP? Ihr zitiert ja bei jeder Gelegenheit die europäische Ebene, aber wenn es euch nicht passt, zitiert ihr sie nicht. Ich zitiere sie jetzt einmal. Und die Frau Bundesministerin hätte, genau von hier aus­gehend, handeln müssen, hätte sagen müssen. Nein, ich trete an als parteiun­abhängig – so ist sie ja auch angetreten –, ich will genau das ändern. Aber sie hat dazu nichts geändert, sondern es ist alles noch viel schlimmer geworden. Wir haben das in der parlamentarischen Anfrage dargelegt.

Ich bin auch nicht allein mit dieser Auffassung, ähnlich sieht es auch der Herr Präsident des Verfassungsgerichtshofes außer Dienst, Karl Korinek. Ich möchte gleich dazusagen, nur damit wir gleich die politische Farbe geklärt haben, er ist nicht im Verdacht, BZÖ-Anhänger zu sein, er ist nicht im Verdacht, jemals beim BZÖ überhaupt angestreift zu sein. Karl Korinek sagt Folgendes, ich zitiere aus dem heutigen „Kurier“:

„So gut die Entscheidung der Generalprokuratur ist, so schwer ist natürlich die Minis­terin nun in ihrer Handlungsfähigkeit beeinträchtigt.“ Und die frühere Präsidentin der Richtervereinigung, Barbara Helige, sagt, dass die Wurzel des Übels in der Bestellung Bandion-Ortners zur Ministerin liegt. „Wenn man eine Richterin, die noch an einem Urteil schreibt, zur Justizministerin macht, ist das rechtsstaatlich wegen der Gewalten­trennung problematisch.“ Meine Damen und Herren, das ist nicht von mir geschrieben, sondern von durchaus kompetenten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.

Ich sage Ihnen: Deswegen ist es eine Fehlbesetzung, wenn man aus einem laufenden Verfahren heraus eine Ministerin bestellt, die dann politisch so gut wie nicht mehr handlungsfähig ist. Deswegen wird es heute einen Misstrauensantrag geben. Nicht, Frau Bundesministerin, weil wir Ihnen das Urteil vorwerfen. Es ist auch nicht so, dass wir glauben, dass alle erstinstanzlichen Urteile bis in die letzte Instanz halten müssen, da bräuchten wir ja keinen Instanzenzug. So naiv sind wir ja nicht. (Zwischen­bemerkung von Vizekanzler Dipl.-Ing. Pröll.) So ist es, sagt auch der Vizekanzler. Ja natürlich ist es so, es hat ja niemand anderes behauptet!

Was ich behaupte, ist, dass Ihr Bestellungsvorgang, Herr Vizekanzler, im Wissen  wenn Sie es eh schon wissen , dass es so ist, genau diese Justizministerin zu einer Justizministerin gemacht hat, die gar nicht handlungsfähig ist. (Beifall beim BZÖ.)

Oder, meine Damen und Herren, der Herr Vizekanzler wollte so eine Ministerin. Ich habe anhand der Zwischenrufe von der Regierungsbank mittlerweile den Eindruck, Herr Vizekanzler, dass Sie genau so eine Ministerin wollten. (Abg. Ing. Westenthaler: Wir nicht!) Ich sage Ihnen in aller Form: Wir wollen so eine Ministerin nicht, und daher gibt es heute einen Misstrauensantrag. (Beifall beim BZÖ.)

15.21


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Zur Beantwortung der Anfrage hat sich Frau Bundesministerin für Justiz Mag. Bandion-Ortner zu Wort gemeldet. Die Redezeit soll 20 Minuten nicht überschreiten. – Bitte.

 



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15.22.09

Bundesministerin für Justiz Mag. Claudia Bandion-Ortner: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Liebe KollegInnen auf der Regierungsbank! Sehr verehrte Damen und Herren Abgeordnete! Es kommt wahrscheinlich nicht oft vor, dass eine Ministerin froh über eine Dringliche Anfrage ist so wie ich heute, zumal ich jetzt die Gelegenheit habe, doch einiges klarzustellen. (Abg. Dr. Moser: Das sagen Sie aber oft!)

Ich sehe mich derzeit einigen Kommentaren, Artikeln und Diskussionsbeiträgen gegen­über, die meine Bestellung als Ministerin in Zweifel ziehen. Nun, zur Beantwortung der Frage, warum ich eingeladen wurde, das Amt der Justizministerin zu übernehmen, fühle ich mich wenig berufen. Ich verweise dazu auf die öffentlichen Begründungen meines verehrten Vizekanzlers, Dipl.-Ing. Josef Pröll. (Beifall bei der ÖVP. – Oh-Rufe beim BZÖ. Zwischenrufe der Abgeordneten Ing. Westenthaler und Mag. Stadler.) – Na, hören Sie mir zu! (Abg. Ing. Westenthaler: Ich glaube, sie meint den Onkel Pröll! Zwischenbemerkung von Vizekanzler Dipl.-Ing. Pröll.)

Sicher wäre es vermessen, zu glauben, dass dies mit meiner Verhandlungsführung im BAWAG-Prozess gar nichts zu tun hätte, war dieses Verfahren doch im höchsten öffentlichen Interesse, aber auch unter dem kritischen Blick vieler in- und ausländischer Medienvertreter. Diese öffentliche Kontrollfunktion der Medien hat ganz allgemein zu dem Urteil geführt: Da steht eine Frau als Richterin, unter größten Belastungen ange­sichts der Komplexität des Verfahrens und der zu lösenden Tat- und Rechtsfragen, ihren Mann.

Dadurch ist es auch in das öffentliche Bewusstsein gedrungen, dass ich mir schon vor diesem Großverfahren als Richterin in einigen bedeutenden Verfahren  und auch als Standesvertreterin der Richter  einen Namen gemacht habe. Mir wurde von den gleichen Journalisten, die nun Kritik üben, eine zielgerichtete und kompetente Ver­hand­lungsführung bescheinigt  auch im BAWAG-Prozess. (Beifall bei der ÖVP.)

Dies gilt aber auch für Prozesse wie zum Beispiel den Konsum-Prozess, für eines der größten Steuerbetrugsverfahren, für zahlreiche große Krida-Verfahren, aber auch für den einen oder anderen spektakulären Mordprozess – vielleicht erinnern Sie sich! Oder erinnern Sie sich etwa an meinen Kampf als Standesvertreterin gegen die Teilung des Grauen Hauses, oder an öffentlich geführte Diskussionen im Zusammenhang mit der Entlohnung von Richtern und Staatsanwälten!

Ich denke, dass mich diese  meine berufliche und persönliche  Unabhängigkeit auch für mein Amt der Justizministerin besonders auszeichnet (Beifall bei der ÖVP), gilt es doch, die Stimme der dritten Gewalt auch in der Politik durch eine lange gelebte und glaubwürdig vermittelte Unabhängigkeit wahrnehmbar zu machen.

Ich komme jetzt aber zurück zu dem BAWAG-Prozess und den jetzigen Diskussionen um die Stellungnahme der Generalprokuratur am Obersten Gerichtshof. Was ich für andere Verfahren vor den unabhängigen Gerichten vertrete, gilt auch für mich selbst. Sie werden von mir keine Kritik an der Kritik hören. Was es zu beurteilen gilt, ist die Frage, ob die Strafjustiz in der Lage war und ist, die Ursachen für das größte Wirtschaftsstrafverfahren in der Justizgeschichte aufzuklären und festzuschreiben.

Durch den Umstand, dass aus Sicht der Generalprokuratur im Hinblick auf den Haupt­angeklagten 14 von 18 Fakten und der gesamte sechsjährige Tatzeitraum zu bestä­tigen wären – ich sage: wären –, kann man diese Frage wohl mit Fug und Recht bejahen.

Ich habe bewiesen, dass in einer Dauer, in der manch andere Verfahren noch nicht einmal zur Anklagereife gediehen sind, dieses Großverfahren so abgewickelt werden


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konnte, dass das Tatgeschehen, aus dem ein riesiger wirtschaftlicher Nachteil entstand, klar zutage trat. (Beifall bei der ÖVP sowie des Abg. Petzner.)

Ich glaube, dass dies auch im Interesse jener ist, die ihre kleinen Ersparnisse Bankinstituten anvertrauen. Das ist das, was die Strafjustiz zu leisten hat: mehr Schutz durch Recht, gerade für die kleinen Anleger! (Beifall bei der ÖVP.)

Sehr geehrte Damen und Herren, natürlich kommt der Stellungnahme der General­prokuratur besonderes Gewicht zu. Der Akzent liegt jedoch auf dem eindeutigen Hinweis, dass die Justiz völlig unbeeinflusst und unabhängig agieren kann (Abg. Petzner: Entschuldige!), denn sehen Sie es einmal so: Eine Richterin schreibt ein Urteil, und die Generalprokuratur vertritt in einzelnen Bereichen des Urteils eine andere Rechtsansicht  und das, obwohl die Richterin mittlerweile Ministerin ist. Wenn es noch eines Beweises der Unabhängigkeit bedurfte, da ist er! (Beifall bei der ÖVP.)

Und eines noch: Vielleicht haben Sie die „ZiB 2“ am 19. Oktober gesehen und den Herrn Generalanwalt Dr. Seidl gehört. Er hat Blamage verneint, und er hat auch gemeint, das sei ein außerordentliches Verfahren gewesen und das Urteil sei sehr umfangreich und akribisch gearbeitet.

Sehr geehrte Damen und Herren, bevor ich zur Beantwortung der Fragen komme, darf ich Sie um eines bitten: Messen Sie mich als Politikerin, als Ministerin, als solche bin ich Ihnen als Abgeordnete und der österreichischen Bevölkerung verantwortlich! (Beifall bei der ÖVP. Abg. Mag. Stadler: Genau das haben wir getan!)

Die Bandbreite der von mir umgesetzten notwendigen Reformen und Initiativen im Justizbereich kann sich durchaus sehen lassen. Ich habe zum Beispiel die umfang­reichste Insolvenzrechtsreform seit 1914 umgesetzt. Ich habe dreimal in diesem Jahr Planstellen und auch die erforderlichen finanziellen Mittel dazu gewonnen. (Zwischen­rufe beim BZÖ.)

Ich habe mit der elektronischen Aufsicht, also mit der Fußfessel, eine neue Form der Haft eingeführt. Diese neue Form der Haft ist gut angelaufen; ich werde dazu vielleicht später noch etwas sagen. (Beifall bei der ÖVP.)

Ich habe auch wirksame Instrumente zur Abschreckung von Kriminaltouristen durch Einhebung einer Sicherheitsleistung umgesetzt. Ich habe mit dem Gesetz für eingetragene Partnerschaften ein neues Rechtsinstitut für gleichgeschlechtliche Paare geschaffen. (Oh-Rufe bei der FPÖ. Abg. Dr. Rosenkranz: Jetzt schwankt es dann! Die Stimmung ...!)

Denken Sie auch an das Rehabilitierungsgesetz, an das Aktienrechtsänderungsgesetz, an die Zivilverfahrens-Novelle, an die Wohnrechts-Novelle! Wir haben wichtige und notwendige Weichenstellungen zum Schutz unserer Kinder umgesetzt und in Angriff genommen: Denken Sie an die Einführung des Kinderbeistandes! Denken Sie an die Strafverschärfungen bei Sexualdelikten! Denken Sie an die Maßnahmen zur Rückfallsvermeidung von Sexualstraftätern!

Nicht zuletzt führe ich einen sehr engagierten Kampf gegen Kinderpornographie, das wissen Sie. Wir haben nämlich auch einen Tatbestand eingeführt, der komplett neu war, und mit diesem Straftatbestand sind wir jetzt Vorreiter in ganz Europa. Darauf bin ich stolz! (Beifall bei der ÖVP.)

Aber auch im Bereich des Besuchsrechtes und der Obsorge habe ich so einige notwendige Diskussionen in Gang gebracht. Diese Sache ist politisch noch nicht gelöst, aber ich bin überzeugt, dass wir eine gute Lösung, im Sinne des Wohls unserer Kinder, finden werden.


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Ich verweise noch auf einige Initiativen für notwendige strukturelle Änderungen und effizienzsteigernde Maßnahmen im Bereich der Justiz, wie etwa die Stärkung der Kompetenz in Wirtschaftsstrafsachen durch eine konzentrierte Form der Aus- und Fortbildung in diesem Bereich, die Schaffung einer bundesweit zuständigen zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption und eine kleine Verwaltungsreform mit dem Ziel, Gerichte und Staatsanwaltschaften in ihrer täglichen Arbeit zu entlasten.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich könnte noch viel reden über meine Gesetze, die ich in den letzten eineinhalb Jahren umgesetzt habe. Wie gesagt, das sind eine ganze Menge  und daran messen Sie mich, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP. Abg. Mag. Gaßner: Die haben wir umgesetzt!)

Jetzt komme ich zur Beantwortung der einzelnen Fragen.

Zu den Fragen 1 und 2, den Fall BAWAG betreffend.

Ich habe schon einleitend bemerkt, dass das Verfahren von den unabhängigen Gerichten und die von der Generalprokuratur vertretene Rechtsansicht zur Vermeidung auch nur des geringsten Anscheins der Beeinflussung nicht kommentiert werden kann.

Weder die Generalprokuratur noch der Oberste Gerichtshof ist umgekehrt berufen, mein politisches Wirken zu beurteilen. Ich habe meine Tätigkeit als Ressortleiterin auch in keiner Sekunde dazu benützt, die Entscheidungsfindung zu beeinflussen, sodass ich keinen Grund für einen Rücktritt zu erkennen vermag. (Beifall bei der ÖVP.)

Wäre es wirklich so, dass mit jedem stattgebenden Urteil des Obersten Gerichtshofes auch abschließend über die mangelnde Kompetenz einer Richterin gesprochen werden würde, so wären die Personalprobleme in der Justiz wohl enorm. (Abg. Mag. Stadler: Das hat der Ewald Stadler nie behauptet!)

Der Verfassungsgerichtshof hebt jedes Jahr mehrere, von politischen Verantwortungs­trägern vorbereitete und oft auch von der Opposition mitbeschlossene Gesetze als verfassungswidrig auf. Ich habe noch nie erlebt, dass deswegen der Rücktritt von Ressortleitern oder Abgeordneten gefordert worden wäre. (Abg. Grosz: Selbstver­ständlich! Oft genug! Ambulanzgebühren, Unfallrente! Unruhe im Saal.)

Zur Frage 3:

Derzeit sind folgende Verfahren im Zusammenhang mit der Causa BAWAG hinsichtlich weiterer, nicht von der Anklage erfasster beziehungsweise der Verfolgung vorbehaltener Fakten bei der Staatsanwaltschaft Wien anhängig:

Das betrifft einerseits die Sondergeschäfte, die sogenannten Karibik-1-Geschäfte von 1995 bis1998, Fakten im Zusammenhang mit der Refco-Gruppe, insbesondere auch die Gewährung eines Kredites durch die BAWAG im Oktober 2005, Fakten im Zusam­menhang mit der Firma Stiefelkönig, Untreuehandlung durch Gewährung diverser Vergünstigungen an Helmut Elsner und Fritz Verzetnitsch, zum Beispiel durch Verkauf und Vermietung von Wohnungen unter dem Verkehrswert, die sogenannte Penthouse-Affäre, und so weiter.

In diesen Verfahren wurden zwar keine Zwangsmaßnahmen gesetzt, es fand jedoch eine umfangreiche freiwillige Nachschau bei Stiefelkönig statt. Weiters waren und sind die Aufarbeitung der umfangreichen sichergestellten Unterlagen – die Akten füllen im Übrigen Zimmer – und laufenden Vernehmungen, fallweise auch im Ausland, durch­zuführen. Ich gehe davon aus, dass nun bald mit Enderledigungen zu rechnen ist.


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Zur Frage 4:

Die Erhebungen der SOKO BAWAG zum Faktenkomplex Kellerakten wurden im März 2009 abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft Wien teilte mit Bericht vom 16. April 2009 mit, dass das wegen § 153 geführte Ermittlungsverfahren gegen Walter Flöttl aus Beweisgründen beziehungsweise wegen Verjährung und gegen Dkfm. Jo­hann Zwettler aus Beweisgründen beziehungsweise da mit der Verhängung einer Zusatz­strafe nicht zu rechnen sei, eingestellt worden sei. Die finanzstrafrechtliche Beurteilung ist im Übrigen noch Gegenstand weiterer Überprüfungen.

Zu den Fragen 5 bis 7:

Diese Fragen betreffen Inhalte und Begründungen von gerichtlichen Entscheidungen, die im Rahmen des in Ausübung der Rechtsprechung unabhängigen richterlichen Amtes erfolgt sind. Sie sind daher nicht Gegenstand der Vollziehung eines Mitgliedes der Bundesregierung.

Zur Frage 8, zum Komplex Natascha Kampusch:

Ich habe veranlasst, dass das Schreiben von Dr. Rzeszut der gesetzlich zuständigen Korruptionsstaatsanwaltschaft zur strafrechtlichen Beurteilung übergeben wird. (Abg. Grosz: Wann?) Diese hat, wie auch aus den Medienberichten bekannt, in ihrer Eigenschaft als Staatsanwaltschaft im Sprengel der Oberstaatsanwaltschaft Wien die Generalprokuratur zur allfälligen Bestimmung einer außerhalb dieses Sprengels gele­genen Staatsanwaltschaft befasst, weil strafrechtliche Vorwürfe gegen Organe aus den Bereichen der Oberstaatsanwaltschaften Wien und Graz erhoben wurden.

Die Generalprokuratur hat die Staatsanwaltschaft Innsbruck als zuständig bestimmt. Das Ergebnis deren Prüfung kann und will ich nicht präjudizieren. Also es sei Ihnen versichert, dass ich selbst zu denjenigen gehöre, die an einer vorbehaltlosen Aufklä­rung der strafrechtlichen Seite, gerade dieses Falles, interessiert ist.

Zur Frage 9:

Die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften im Ermittlungsverfahren richtet sich nach den einschlägigen Bestimmungen in der StPO und diese können nicht nach Belieben umgangen werden. Gemäß § 25 Abs. 1 StPO ist für das Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft zuständig, in deren Sprengel die Straftat ausgeführt wurde. Die Delegierung einer Strafsache kann nur dann erfolgen, wenn dies aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen wichtigen Gründen erforderlich ist.

Ein solcher Delegierungsgrund lag im gegenständlichen Fall nicht vor. Auch das Verlangen einzelner  auch hochrangiger Personen reicht in einem Rechtsstaat nicht aus, willkürlich die Zuständigkeit zu ändern. Im Übrigen zeigt sich die objektive Vor­gangsweise der Staatsanwaltschaft Wien auch in dem Umstand, dass über ihre Veranlassung gegen Ernst H. ein Strafantrag wegen § 299 Abs. 1 StGB eingebracht wurde.

Zur Frage 10:

Die Ergebnisse der Ermittlungen und die Argumente der Evaluierungskommission wur­den von dem, der Oberstaatsanwaltschaft Wien zugeteilten, zuständigen Sach­bearbeiter umfassend geprüft. Das Ergebnis dieser Prüfung bot keinen Anlass für ein weiteres strafrechtliches Vorgehen gegen andere Personen, nämlich Personen, die an der Entführung der Natascha Kampusch, neben Wolfgang P., noch mitgewirkt hätten. (Abg. Grosz: In Österreich ... vertuschen ... !)

Insbesondere lag auch, betreffend den Beschuldigten Ernst H., die für eine Anklage­erhebung wegen einer Mit- oder Beitragstäterschaft im Zusammenhang mit der Entfüh­


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rung von Natascha Kampusch erforderliche Beweislage nicht vor. Der Abschluss­bericht des zuständigen Sachbearbeiters wurde dem Bundesministerium für Justiz mit Bericht vom 9. Februar 2010 zur Kenntnis gebracht.

Die Oberstaatsanwaltschaft Wien hat mit Erlass vom 9. Februar 2010 die Staats­anwaltschaft Wien ersucht, das Verfahren gegen Ernst H. wegen des Verdachts der Freiheitsentziehung teileinzustellen und hinsichtlich des Vorwurfes der Begünstigung einen Strafantrag beim Landesgericht für Strafsachen Wien einzubringen.

Ernst H. wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30. Au­gust 2010 vom Vorwurf der Begünstigung gemäß § 259 Z 3 StPO aus Beweisgründen freigesprochen. Die unabhängige Rechtsprechung hat in diesem Fall gesprochen.

Zur Frage 11:

Ich verweise dazu auf die Beantwortung der Frage 8.

Zur Frage 12, zum Fall Hypo Niederösterreich:

Das Verfahren befindet sich derzeit im Stadium offener Ermittlungen.

Zu den Fragen 13 und 14:

In der gegenständlichen Strafsache werden derzeit von der zuständigen Fachabteilung des Bundesministeriums für Justiz die Vorhabensberichte der Oberstaatsanwaltschaft Wien – der letzte ist mit 14. Oktober 2010 datiert – geprüft. Ich ersuche daher um Verständnis, dass ich im Hinblick auf § 12 StPO und § 34 Staatsanwaltschaftsgesetz derzeit keine Auskünfte zum Inhalt der Vorhabensberichte erteilen kann.

Zur Frage 15:

Ich wurde weder vom Landeshauptmann von Niederösterreich noch von sonstigen Funktionsträgern der ÖVP auf das Verfahren angesprochen. (Abg. Grosz: Vorsicht!) Es gab und gibt im Bundesministerium für Justiz auch keine politische Einflussnahme in diesem Verfahren. (Abg. Petzner: Das ist sehr unklar!)

Ganz generell darf ich sagen, dass ich parteipolitische Einflussnahme auf ein Straf- oder auf ein Zivilverfahren nicht dulden würde. Verfahren sind gemäß den Verfah­rensvorschriften ohne Ansehen der Person, ohne Prominentenbonus aber auch ohne Prominentenmalus zu führen.

Noch so heftige Forderungen der Oppositions- und der Regierungsparteien dürfen keinesfalls dazu führen, dass unsachlich ermittelt wird. Genau dafür stehe ich, weil ich diese Einstellung als Richterin gleichsam als Glaubensbekenntnis mitbekommen habe! (Ruf bei der FPÖ: Amen!)

Zur Frage 16:

Die Causa Hypo sprengt alle bisher bei Wirtschaftsfällen bekannten Dimensionen: vier Staatsanwälte, 21 SOKO-Beamte, und 3 Millionen Seiten umfasst der Akt derzeit. Allein die vorläufigen Ermittlungsergebnisse füllen 50 000 Seiten. Es ist die Causa Hypo eine unglaubliche Herausforderung, denn immerhin betrifft es einen Konzern in zwölf Ländern mit 350 Standorten.

Es gab 30 Hausdurchsuchungen in Kärnten, Wien, Vorarlberg und Liechtenstein, und dabei wurde umfangreiches Material sichergestellt. Darunter sind schriftliche Unter­lagen, CDs, Laptops und einzelne Festplatten. Es hat rund 200 Einvernahmen gegeben, der Großteil davon fand in Österreich statt.

Es hat bis jetzt rund 2 000 eruierte Personen- und Firmenverflechtungen gegeben, und es haben sich bisher wirklich sehr, sehr viele Dinge herausgestellt, die jetzt in Form


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einer speziellen Datenrecherche durchleuchtet werden. 56 Beschuldigte sind derzeit im Visier der Justiz und der Kriminalpolizei.

Also, wie gesagt, der Akt im Fall Hypo ist von seinem Umfang her nicht vergleichbar mit dem Fall Hypo Niederösterreich. Und nur weil in beiden Fällen eine Hypobank involviert ist, sind die Fälle deswegen nicht vergleichbar in der Dimension.

Zu den Fragen 17 und 18, noch einmal zum Fall Hypo Alpe-Adria.

Bei Dr. Wolfgang Kulterer wurden vom zuständigen Gericht die Haftgründe der Flucht-, Verdunkelungs- und der Tatbegehungsgefahr genannt. Bei weiteren Tatverdächtigen wurde mangels Haftgründen ein Antrag auf Verhängung der Untersuchungshaft nicht gestellt.

Das Verfahren der StA Klagenfurt befindet sich im Stadium laufender Ermittlungen. Eine abschließende strafrechtliche Beurteilung der Sachverhalte ist nicht erfolgt. Sie kann naturgemäß erst nach ausreichender Klärung des Sachverhaltes vorgenommen werden.

Zur Frage 19, zum Fall Karl-Heinz Grasser.

Staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren werden unabhängig von medialer Be­richt­erstattung geführt, sodass daraus, dass Zeitungsartikel erscheinen oder unter­bleiben, keinerlei Rückschlüsse auf die Tätigkeiten der Staatsanwaltschaft gezogen werden können.

Aus den mir vorliegenden Berichten der Anklagebehörden lassen sich keine Hinweise auf Verzögerungen der Ermittlungen gegen den Genannten ableiten, zumal zahlreiche Ermittlungsschritte, etwa Hausdurchsuchungen – mindestens 13 –, Kontoöffnungen – mindestens 20, und teilweise auch im Rechtshilfeweg – sowie Telefonüberwachungen durchgeführt wurden.

Wir haben umfangreiche Unterlagen aus dem Finanzministerium zu sichten und auch zahlreiche Personen zu vernehmen.

Zur Frage 20:

Ich habe auch in diesem Fall keine Versuche politischer Einflussnahme von Vertretern der ÖVP erlebt, wohl aber haben Vertreter der Opposition bestimmte Ermittlungs­handlungen gefordert, aber die Strafverfolgungsbehörden arbeiten unbeirrt auf der Basis des ihnen vorliegenden Sachverhalts. (Ruf bei der FPÖ: Bitte wer von der Opposition? – Abg. Mag. Stadler: Seit wann ist die SPÖ in der Opposition?)

Ich darf Sie daran erinnern, dass ich parteipolitische Einflussnahme auf Straf- und Zivilverfahren stets unterbinden würde. Und wie unabhängig die Justiz arbeitet, hat sich ja in den letzten Tagen sehr deutlich gezeigt. (Zwischenruf bei der FPÖ. – Abg. Mag. Stadler: Kollege Jarolim, seit wann sind Sie in der Opposition?)

Zur Frage 21:

Ich verweise dazu auf die mündliche Beantwortung der Dringlichen Anfrage des Abgeordneten Dr. Peter Pilz zum Thema Regierungsjustiz und Ministerblockade in der 43. Sitzung des Nationalrates am 5. November 2009 und auf die Ergebnisse des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Untersuchung von Abhör- und Beeinflussungsmaßnahmen im Bereich des Parlaments.

Zur Frage 22:

In der Organisation der Staatsanwaltschaft Wien wurden Änderungen vorgenommen. (Abg. Mag. Stadler: Die erste öffentliche ...!) Durch die Umgestaltung der vormals zuständigen Gruppe für politische Delikte soll das die interne Kontrolle der Staats­


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anwalt­schaften auszeichnende System der Checks and Balances effizienter zur Wirkung kommen.

Zu den Fragen 23 bis 25, zum Fall der angeblichen Haider-Konten:

Wie wir alle habe ich durch die Berichte eines Wochenmagazins über angebliche Konten erfahren, und genau das habe ich auch erklärt. (Zwischenruf des Abg. Ing. Westenthaler. – Abg. Petzner: Sie haben gesagt, es gibt diese Konten! – Weitere Zwischenrufe beim BZÖ.) Auch Sie haben zu dieser Zeit durch diesen oder durch nachfolgende Berichte von diesen Konten erfahren. Darauf habe ich mich bezogen.

Die Justiz arbeitet aber nicht auf Zuruf von Medien, sondern sie ermittelt unbeeinflusst, was zu ermitteln ist.

Die Bestätigung, dass in einem Fall von öffentlichem Interesse ermittelt wird (Abg. Scheibner: Das ist jetzt wirklich die Unwahrheit! Das ist jetzt wirklich die Unwahrheit!), kann wohl nicht den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen. Ich frage mich, welche Vorwürfe erhoben worden wären, wenn die Justiz diesen Vorwürfen nicht nachgegangen wäre. (Abg. Scheibner: Das ist die Unwahrheit! Das ist jetzt falsch!)

Die von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt im Rechtshilfeweg ersuchten und durch­geführten Kontoöffnungen im Fürstentum Liechtenstein standen nach den mir vorliegenden Informationen in keinem Zusammenhang mit den in den Medien kolpor­tierten Konten des verstorbenen Landeshauptmanns Dr. Haider.

Inwieweit die Medienberichte über geheime Konten und Finanztransaktionen den Tat­sachen entsprechen, werden die Erhebungen durch die zuständigen Strafverfol­gungsbehörden zeigen. (Ruf beim BZÖ: Ja, wo sind die Konten? Das würden wir gerne wissen!)

Das Verfahren ist derzeit noch im Ermittlungsstadium. Ermittlungsverfahren sind, wie wir alle wissen, nicht öffentliche Verfahren. Wir alle, Sie und ich, haben ein gemein­sames Interesse daran, dass die Wahrheit ans Licht kommt und alles möglichst umfas­send aufgeklärt wird.

Zur Frage 26, zum Herrn Leitenden Staatsanwalt Gottfried Kranz.

Hierbei ist zwischen dem Gebot der Amtsverschwiegenheit und dem Informations­bedürfnis der Öffentlichkeit abzuwägen. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Person des öffentlichen Lebens, sodass nach Beurteilung des Leiters der Staatsan­waltschaft Klagenfurt ein solches Informationsbedürfnis überwog. (Abg. Mag. Stadler: Das deckt sich zufällig ... Haider! – Ruf beim BZÖ: Der gar nicht mehr lebt!)

Zur Frage 27:

Der Abgeordnete zum Nationalrat Stefan Petzner erstattete gegen den Leiter der Staatsanwaltschaft Klagenfurt, Dr. Gottfried Kranz, wegen der wiedergegebenen Äußerung eine Disziplinaranzeige, die an das OLG Wien als zuständiges Disziplinar­gericht weitergeleitet wurde.

Im Hinblick auf die Bestimmungen des § 127 ist es bedauerlicherweise – das möchte ich nämlich wirklich ändern – verboten, über den Verlauf und das Ergebnis von Disziplinarverfahren irgendwelche Mitteilungen zu machen. – Da bin ich vollkommen Ihrer Meinung, da müssen wir transparenter werden. Das nehmen wir jetzt auch in Angriff.


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Zu den Fragen 28 und 29:

Vorweg ist zu betonen, dass es der Justiz ein großes Anliegen ist, das Vertrauen der Bevölkerung in die gerichtlichen Verlassenschaftsabhandlungen wiederherzustellen. Vielleicht ganz kurz zur Erinnerung: Es geht um die Testamentsaffäre in Vorarlberg.

Es ist jetzt wirklich die Zeit für strenge Maßnahmen in diesem Bereich, und das habe ich anlässlich eines Besuchs in Vorarlberg vor ein paar Tagen auch ganz vehement festgestellt. Aus diesem Grund wurde nach Bekanntwerden der Malversationen sofort eine Sonderrevision beim Bezirksgericht Dornbirn durchgeführt, die maßgeblich zur Aufklärung des Sachverhaltes beigetragen hat und auch zu konkreten Erfolgen geführt hat.

Auf diese Weise konnten die im Zuge der Sonderrevision als Verdachtsfälle einge­stuften Dokumente der StA zur Untersuchung übermittelt werden. Und es konnte durch das Auffinden von bereits angefertigten, aber noch nicht verwendeten gefälschten Testamenten künftiger Schaden abgewendet werden.

Um derartige Unregelmäßigkeiten für die Zukunft zu verhindern beziehungsweise sich eines rechtmäßigen Vorgehens bei anderen Gerichten zu versichern, wurde ein Maßnahmenpaket geschnürt, das sich aus straf-, zivil- und dienstrechtlichen sowie dienstaufsichtsbehördlichen Schritten zusammensetzt.

Die Dienstaufsicht hat im Sommer 2010 eine bundesweite Überprüfung der vollstän­digen Eintragung der bei Gericht in den letzten 20 Jahren hinterlegten Urkunden und der letztwilligen Verfügungen in das UV-Register sowie die Registrierungen im Österreichischen Zentralen Testamentsregister auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit veranlasst.

Für den Bereich des Dienstrechtes hat das Justizministerium mit Erlass festgelegt, von der Bestellung von Gerichtsbediensteten zu Verlassenschaftskuratoren Abstand zu nehmen.

Die innere Revision hat in ihrem Programm für die Regelrevisionen der Gerichte des Jahres 2010 zwei weitere Prüfungsschwerpunkte aufgenommen. Zusätzlich wurden beim Bezirksgericht Dornbirn vorsorglich zwei weitere Sonderrevisionen, nämlich betreffend Wirtschaftsverwaltung und Justizverwaltung, durchgeführt.

Am Landesgericht Feldkirch wurde vor ein paar Tagen eine Informationsstelle in der Testaments-Affäre eingerichtet. Sie steht geschädigten und Rat suchenden Personen für Informationen und Auskünfte im Zusammenhang mit der Testaments­fäl­schungs­affäre beim Bezirksgericht Dornbirn zur Verfügung. Leiter dieser Informationsstelle ist der in Ruhe befindliche Senatspräsident Dr. Heinz Moser. Er wird von einer Beamtin unterstützt. Der Leiter der Informationsstelle wird Rat suchenden Bürgern nach Erhebung der Aktenlage und entsprechender Prüfung Auskünfte zur Rechtslage, insbesondere den einschlägigen erbrechtlichen Vorschriften, erteilen, die Möglichkeiten einer allfälligen Durchsetzung von Ansprüchen darlegen, wie auch die Möglichkeiten und Wege einer außergerichtlichen Einigung, etwa mit der Finanzprokuratur.

Auch mittelfristig sind legislative Änderungen im Erbrecht beabsichtigt. Bei der Staats­anwaltschaft Feldkirch ist ein sehr umfangreiches Strafverfahren gegen zehn Personen anhängig, die im Verdacht dieser Malversationen stehen. Zwei der Beschuldigten befin­den sich noch in Untersuchungshaft.

In einem Fall – nämlich bei einem im Sommer 2002 durch einen Verlassen­schafts­richter des BG Dornbirn angezeigten Sachverhalt – ist es tatsächlich zu einer verfrüh­ten Einstellung des Verfahrens gekommen. Aufgrund der fachaufsichtsbehördlichen Prüfung im Frühjahr 2010 wurde jedoch festgestellt, dass in diesem Fall tatsächlich


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nicht sämtliche mögliche Ermittlungsmaßnahmen ausgeschöpft wurden, sodass hin­sichtlich der Verfolgung eines in diesen Fall involvierten Beschuldigten Verjährung ein­treten konnte. Hinsichtlich der anderen Beschuldigten ist aber auch dieser Fall nunmehr Gegenstand des derzeitigen, noch nicht abgeschlossenen Ermittlungs­ver­fahrens.

Derzeit ist der Abschlussbericht der Kriminalpolizei in Arbeit, mit dessen Vorliegen etwa Ende November 2010 gerechnet wird.

Eines noch an dieser Stelle: Diese Malversationen wurden im Übrigen von einer sehr jungen, couragierten Richterin aufgedeckt. (Abg. Scheibner: Die ist dann versetzt worden!)

Zur Frage 30, die Pressefreiheit und Redaktionsgeheimnis betrifft.

Festzuhalten ist, dass zwar die von der Staatsanwaltschaft München I begehrten Verneh­mungen von zwei österreichischen Journalisten rechtsirrig erfolgt sind, jedoch die Ergebnisse dieser Vernehmungen noch bei der Staatsanwaltschaft Wien vernichtet wurden (Abg. Petzner: Und was sind die Konsequenzen?) und der ersuchenden deutschen Justizbehörde die Unzulässigkeit der Rechtshilfe mangels beiderseitiger Strafbarkeit der Tat mitgeteilt wurde. (Zwischenruf des Abg. Amon.) Dem Rechtshilfe­ersuchen wurde daher letztlich gegenüber der ausländischen Justizbehörde nicht stattgegeben.

Es handelt sich übrigens in diesem Fall um ein gutes Beispiel dafür, wie gut die Fachaufsicht funktioniert.

Zur Frage 31:

Es handelt sich um einen Rechtsirrtum des österreichischen Justizorgans. Dieser ist sehr zu bedauern (Zwischenruf des Abg. Mag. Stadler), aber im Hinblick darauf, dass dieser Fehler umgehend und rechtzeitig korrigiert wurde und weil er für das Verfahren in Deutschland keine Folgen nach sich gezogen hat, steht ein disziplinarrechtliches Vorgehen, wie etwa eine Suspendierung oder Entlassung, nicht im Verhältnis.

Die Leitung der Staatsanwaltschaft Wien hat jedoch den zuständigen Staatsanwalt eingehend auf die zwischenstaatliche Rechtslage hingewiesen und deren sorgfältige  Beachtung in Erinnerung gerufen.

Zur Frage 32:

Ich möchte mich zunächst dagegen verwahren, dass die Entscheidung eines Ober­landesgerichtes als vorsätzlicher Bruch des Redaktionsgeheimnisses bezeichnet wird. Nach der von diesem vertretenen Rechtsansicht liegt ja eben kein unzulässiger Eingriff in das Redaktionsgeheimnis vor.

Aber auch in diesem Bereich geht es mir um eine objektive Vorgangsweise, die darauf gerichtet sein muss, klarzumachen, zu wessen Schutz denn eigentlich das Redaktions­geheimnis dient. Das sind nicht die Medienmitarbeiter oder das Unternehmen, sondern jene Personen, die sich im Vertrauen auf Schutz vor Preisgabe ihrer Identität und ihrer Informationsquellen an Journalisten wenden.

Ich habe übrigens zu diesem Thema gemeinsam mit Herrn Staatssekretär Ostermayer die Durchführung einer Fachveranstaltung unter Beiziehung hochrangiger Experten vereinbart, die noch im November stattfinden wird. Die Justiz- und die Mediensprecher der Fraktionen werden Gelegenheit haben, sich daran zu beteiligen. Parallel dazu führen wir eine Umfrage über die Rechtslage in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch. Anhand der Ergebnisse dieser Fachtagung werden wir dann jene Be­


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reiche ausloten (Zwischenruf des Abg. Brosz), in denen im Bereich des Medien­gesetzes Präzisierungen erforderlich sind.

Ich meine, dass in dieser Diskussion auch Fragen der journalistischen Sorgfalt und Ethik nicht ausgeklammert werden dürfen. (Abg. Brosz: Sind da die Mediensprecher der Regierungsparteien ...?) Wie im Bereich der wichtigen dritten Gewalt bedarf es auch im Bereich der ebenfalls bedeutenden vierten Gewalt einer glaubwürdigen und effizienten Selbstkontrolle, damit die Medien ihrerseits die ihnen obliegenden Kontroll­aufgaben angemessen wahrnehmen können. – Danke schön. (Lang anhaltender Beifall bei der ÖVP.)

15.51


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Wir gehen nun in die Debatte ein.

Ich mache darauf aufmerksam, dass gemäß der Geschäftsordnung kein Redner länger als 10 Minuten sprechen darf, wobei jedem Klub eine Gesamtredezeit von 25 Minuten zukommt. (Abg. Scheibner: „Begeisterung“ bei der SPÖ! – Ruf beim BZÖ: Ich glaube, dass die SPÖ ...!)

Zu Wort gelangt als Erster Herr Abgeordneter Petzner. 10 Minuten Redezeit sind eingestellt. – Bitte.

 


15.52.17

Abgeordneter Stefan Petzner (BZÖ): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Sie haben mit Ihrer Anfragebeantwortung eigentlich den heutigen Misstrauensantrag des BZÖ, den ich dann einbringen werde, eins zu eins bestätigt und gerechtfertigt.

Ich möchte nur ein Beispiel nennen: Sie haben im Fall Haider und betreffend die Haider-Konten in Ihrer Beantwortung hier die glatte Unwahrheit gesagt (Zwischen­bemerkung auf der Regierungsbank), denn Sie selbst haben am 2. August 2010 gegenüber dem „ORF-Morgenjournal“ persönlich die Existenz dieser geheimen Konten Jörg Haiders bestätigt. (Zwischenrufe beim BZÖ.)

Sie selbst, Frau Bundesministerin, haben gesagt, es gebe diese Konten, aber Sie wüss­ten nicht, ob sie aus legalen oder illegalen Quellen stammen, und die Staats­anwaltschaft werde das nun untersuchen. (Beifall beim BZÖ.)

Das haben Sie gesagt – und im Nachhinein stellt sich heraus, dass Sie die glatte Unwahrheit gesagt haben als Justizministerin (Zwischenruf des Abg. Grosz), denn bis heute können Sie selbst nicht – und niemand anderer kann – einen konkreten Beweis für diese angeblichen Haider-Konten vorlegen. (Abg. Großruck: ... eine Reihe von Verfahren im Genick!)

Es ist eine sehr heikle und ernste Situation, weswegen wir auch diese Dringliche Anfrage eingebracht haben, auch an vielen Beispielen festgemacht haben, weil die Funktion beziehungsweise das Amt des Justizministers in einem demokratischen Rechtsstaat ein sehr wichtiges, sensibles und verantwortungsvolles Amt ist. Sie selbst haben gerade in Ihrer Anfragebeantwortung gesagt, dass die Säule der Justiz eine der drei tragenden Säulen eines demokratischen Rechtsstaates ist.

Sie tragen durch Ihre Amtsführung die Verantwortung dafür, dass die dritte Säule, die der Justiz, untergraben wird und das Vertrauen der Menschen in die Unabhängigkeit der Justiz zutiefst erschüttert ist. Dafür tragen Sie die Verantwortung, und dafür werden Sie heute auch einen Misstrauensantrag kassieren.

Ich sage gleich dazu: Wir sind nicht die Pflichtverteidiger irgendeines Beschuldigten – ob er Elsner oder Kulterer heißt (Zwischenruf des Abg. Mag. Schönegger) –, aber wir sind als Partei und Parlamentarier dazu verpflichtet, die Pflichtverteidiger eines unab­hängigen, objektiven Rechtsstaates zu sein. (Beifall beim BZÖ.)


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Wir sind die Pflichtverteidiger von Recht und Gerechtigkeit. Wir sind die Pflicht­verteidiger des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit, das Sie mit Füßen treten (Zwischen­ruf des Abg. Großruck), denn jeder Staatsbürger dieses Landes – egal, welcher sozialen Herkunft, egal, welchen Status er hat – hat das Recht auf ein faires, unabhängiges und objektives Verfahren, auf ein faires und gerechtes Urteil, und dieses Recht ist durch Sie nicht mehr gewährleistet. Jeder Staatsbürger hat – in einem Satz gesagt – das Recht auf Gerechtigkeit, und Sie als Ministerin tragen die politische Verantwortung dafür, dass dieses Recht auf Gerechtigkeit mit Füßen getreten wird.

Ich möchte Ihnen ein Zitat zum Nachdenken mitgeben, ein Zitat von Cicero, der gesagt hat: „Wir sind an das Gesetz gefesselt, um frei zu sein.“

Und ich sage Ihnen gegenüber: Wir sind unfrei geworden, weil Sie dem Gesetz elektronische Fußfesseln angelegt haben. – Das ist die Wahrheit, Frau Bundes­minister, und dafür müssen Sie auch zur Verantwortung gezogen werden! (Beifall beim BZÖ.)

Ich bringe Ihnen ein weiteres Zitat, eines von Bert Brecht, der gesagt hat: „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“

Daher leisten wir heute Widerstand hier in diesem Hohen Haus, denn es ist ein Un­recht zum Beispiel, wenn es im BAWAG-Verfahren neun Verurteilte gibt (Abg. Großruck: Die Mehrheit der Österreicher ...!), aber ein einziger in Haft ist, und das ohne rechtskräftiges Urteil, und eine überlange Untersuchungshaft von über dreiein­halb Jahren, mittlerweile, über sich ergehen lassen muss. Das ist ein Unrecht!

Ich darf an dieser Stelle Ruth Elsner, die heute gekommen ist und auf der Galerie sitzt, herzlich begrüßen.

Noch einmal: Wir sind nicht hier, um Schuld oder Unschuld zu beurteilen, aber ich darf ihr persönlich meinen Respekt dafür ausdrücken, wie sehr sie als Ehefrau für ihren Mann kämpft. (Beifall beim BZÖ.)

Es ist ein Unrecht, meine Damen und Herren, wenn von einem Staatsanwalt eine zentimeterdicke Anzeige schlichtweg übersehen wird, weil der Betroffene ein ehe­maliger Minister der ÖVP ist.

Es ist ein Unrecht, wenn auf Weisung der Staatsanwaltschaft St. Pölten Ermittlungen wegen Untreue und Bilanzfälschung gestoppt werden, weil die betroffene Bank eine ÖVP-Bank, die Bank des niederösterreichischen Landeshauptmannes Erwin Pröll ist. (Abg. Kößl: ... Unterstellung!)

Es ist Unrecht, meine Damen und Herren, wenn Ermittlungen bewusst verzögert und verschleppt werden, weil der Betroffene Karl-Heinz Grasser heißt und ein Ex-Minister der Österreichischen Volkspartei ist.

Es ist ein Unrecht, wenn in der Verfassung verankerte Grundrechte wie das Redak­tions­geheimnis oder die Pressefreiheit von Ihnen mit Füßen getreten werden, weil Sie unliebsame Berichterstattung verhindern wollen. (Beifall beim BZÖ.)

Und es ist ein Unrecht, wenn Sie im Rahmen Ihrer Funktion einem verstorbenen Lan­deshauptmann kriminelle Machenschaften unterstellen, weil er die falsche Parteizugehörigkeit hat. Das ist ein Unrecht, und das bleibt ein Unrecht! (Beifall beim BZÖ.)

Sie haben die Verantwortung, für Unabhängigkeit – für Parteiunabhängigkeit – im Justizressort zu sorgen, aber Sie machen genau das Gegenteil. In einem Sinnbild


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gesagt: In Ihrem Ministerium hängt nicht der Bundesadler über Ihrem Büroschreibtisch, sondern das Giebelkreuz des Raiffeisen-Konzerns. (Zwischenbemerkung auf der Regierungsbank.)

Es ist die Wahrheit, dass Sie, Frau Dr. Bandion-Ortner, eigentlich die Wunschkan­di­datin des Raiffeisen-Generaldirektors Christian Konrad, waren. (Heiterkeit bei Abg. Kößl. – Abg. Großruck: ... Dalai Lama! ... Mutter Teresa!)

Es ist eine zweite Wahrheit, dass wir neben dem Obersten Gerichtshof, den es bereits gibt, zusätzlich eine Art schwarzen Gerichtshof bekommen haben, von dem im Auftrag der ÖVP-Zentrale Funktionäre der eigenen Partei von der Justiz geschont und ge­schützt werden, unliebsame Oppositionspolitiker verfolgt und angezeigt werden und hier im Hohen Haus Mitarbeiter von Oppositionspolitikern verhört werden. (Zwischenruf des Abg. Kößl.)

Das ist eine Schande für das Hohe Haus! Das ist eine Schande für den österreichi­schen Rechtsstaat, meine Damen und Herren! (Beifall beim BZÖ.) Als aufrechter Demokrat darf man nicht zulassen, dass mit der Justiz in Österreich derart verfahren wird. (Zwischenruf des Abg. Grosz.)

Meine Damen und Herren, noch einmal: Es hat jeder das Recht darauf, ein faires, unabhängiges und objektives Verfahren zu bekommen. Friedrich der Große hat schon gesagt (Abg. Mag. Schönegger: Na geh, zitiert er schon wieder? Zuerst den Brecht und dann ...!): „In den Gerichtshöfen sollen die Gesetze sprechen und der Herrscher schweigen.“

Ich fordere Sie auf, Herr Bundesparteiobmann und Vizekanzler Josef Pröll: Unterlas­sen Sie es, parteipolitischen Einfluss über die Frau Justizministerin Bandion-Ortner auf die Justiz und Rechtsprechung in Österreich auszuüben – denn das tun Sie, und das ist mehrfach bewiesen! (Beifall beim BZÖ.)

Eines sage ich Ihnen schon heute: Wir werden nicht aufhören – als eine Partei, die die Unabhängigkeit der Justiz und die Bürgerrechte beschützt und verteidigt –, diese Vorgehensweisen auch in Zukunft anzuprangern, Ihnen genau auf die Finger zu schauen und vor allem auch dafür zu kämpfen, dass Sie gemeinsam mit Ihrem Kabi­nettschef Krakow das Feld räumen, Ihre Brillen zusammenräumen und das Justiz­ministerium verlassen. (Vizekanzler Dipl.-Ing. Pröll: Stefan, bitte, hör auf!)

Ein letzter Beweis für die ÖVP-Machenschaften im Justizministerium ist die Tatsache, dass Georg Krakow nunmehr zum Generalanwalt in der Generalprokuratur bestellt werden soll, damit die Volkspartei über die Person Georg Krakow auch einen Zugriff in der Generalprokuratur hat. Das ist die Wahrheit! (Beifall beim BZÖ.) Meine Damen und Herren! Mir versagt die Stimme, aber Ihnen, Frau Bundesministerin, versagen wir das Vertrauen!

Ich darf daher folgenden Antrag einbringen:

Misstrauensantrag

der Abgeordneten Petzner, Mag. Stadler, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ver­sagen des Vertrauens gegenüber der Bundesministerin für Justiz

Der Nationalrat wolle beschließen:


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„Der Bundesministerin für Justiz wird gemäß Art. 74 Abs. 1 B-VG durch ausdrückliche Entschließung des Nationalrates das Vertrauen versagt.“

*****

Frau Bundesministerin! Ihr Bestellungsgrund war das BAWAG-Urteil – und das ist vor wenigen Tagen für Sie zum Entlassungsgrund geworden. Räumen Sie das Feld im Sinne der Unabhängigkeit und der Rechtsstaatlichkeit! (Beifall beim BZÖ. – Ruf: Das war die schwächste Rede, die ich je gehört habe!)

16.01


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Der soeben eingebrachte Misstrauensantrag gemäß § 55 Geschäftsordnungsgesetz ist ausreichend unterstützt und steht mit in Verhand­lung.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Misstrauensantrag

der Abgeordneten Petzner, Mag. Stadler Kolleginnen und Kollegen betreffend Ver­sagen des Vertrauens gegenüber der Bundesministerin für Justiz

eingebracht im Zuge der Debatte zur Dringlichen Anfrage der Abgeordneten Petzner, Mag. Stadler Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend „Bandions Blamagen“ und deren Folgen für den österreichischen Rechtsstaat in der 81. Sitzung des Nationalrates

Eine unabhängige, objektive und funktionierende Justiz, der die Menschen dieses Lan­des vertrauen, ist neben Exekutive und Legislative die dritte wesentliche und tragende Säule eines demokratischen Rechtsstaates. Wankt das Vertrauen der Menschen in die Justiz, wankt auch das Vertrauen in den Staat, und das Fundament, auf dem unsere Republik aufgebaut ist, ist bedroht. Die Sicherstellung von Vertrauen durch die Gewähr­leistung und Verteidigung einer unabhängigen, objektiven und funktionierenden Rechtsprechung ist daher zentrale Aufgabe der politischen Verantwortungsträger, zu aller erst des Justizministers.

Im Wissen um diese besondere politische Verantwortung hat es in Österreich Tradition, dass das Amt des Justizministers mit einer Persönlichkeit besetzt wird, die sich durch besondere moralische Integrität, fachliche Kompetenz und absolute Unabhängigkeit auszuzeichnen hat. Diese gelebte und bewährte österreichische Tradition wurde mit der Bestellung von Claudia Bandion-Ortner zur Justizministerin gebrochen. Mit der Folge, dass das Vertrauen in die dritte wesentliche und tragende Säule eines demo­kratischen Rechtsstaates, die Justiz, nachhaltig erschüttert ist, dem Ansehen der Justiz in Österreich schwerer Schaden zugefügt und das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit ausgehöhlt wurde.

Denn Bandion-Ortner steht bestenfalls für politische Scheinneutralität, und – und das ist wesentlich – sie kann dem Anspruch auf moralische Integrität, fachliche Kompetenz und parteipolitische Unabhängigkeit in keiner Weise gerecht werden. Das hat sie durch ihr Tun und Handeln hinlänglich bewiesen, was unter anderem am Beispiel der Fälle BAWAG, Natascha Kampusch, Hypo Niederösterreich, Hypo Alpe Adria, Karl-Heinz Grasser, Ernst Strasser, der angeblichen Haider-Konten oder am Fall Gottfried Kranz deutlich wird.

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen nachstehenden


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Antrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesministerin für Justiz wird gemäß Art. 74 Abs. 1 B-VG durch ausdrückliche Entschließung des Nationalrates das Vertrauen versagt.“

*****

 


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Dr. Jarolim. 7 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


16.00.56

Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim (SPÖ): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Meine Damen und Herren MinisterInnen! Meine Damen und Herren! (Abg. Ing. Westenthaler: Jetzt kommt der Pflichtverteidiger! – Zwischenruf des Abg. Bucher.) Ich glaube, man muss unterscheiden – es ist ja auch Gegenstand der heutigen Diskussion – zwischen einerseits dem Amt der Ministerin und andererseits der Tätigkeit eines Richters/einer Richterin. (Abg. Grosz: Knittelfeld!)

Natürlich ist es kein Ruhmesblatt, wenn man von der Generalprokuratur erfährt, dass hier ein Urteil, das ein sehr wesentliches Urteil war in diesem Land, mit nicht uner­heblichen Mängeln behaftet ist. (Abg. Dr. Rosenkranz: Aber wo! Das ist ja nur nebensächlich! So kleine Nebensachen!) Das ist aber noch nicht letztgültig, da gibt es ja noch eine OGH-Entscheidung. Das ist sicherlich kein Ruhmesblatt und auch sicherlich nicht irrelevant.

Man muss auf der anderen Seite allerdings anerkennen, dass der Keim dieser Ent­scheidung – sofern sie mangelhaft war – natürlich auch darin gesteckt ist, dass die Anklage mangelhaft war. So ist etwa nicht berücksichtigt worden, dass das Auslie­ferungsbegehren Tatbestände nicht beinhaltet hat, die dann beurteilt worden sind.

Also ich meine, dass man hier schon etwas relativieren muss. Daher glaube ich, kann man sich nur der Meinung des Herrn Vizekanzlers anschließen, diesbezüglich sozu­sagen die Stimme des OGH – im Dezember gibt es eine Entscheidung – abzuwarten und dann in dieser Angelegenheit selbst zu sprechen, weil es eben ein Gutachten ist, aber nicht eine letztgültige Entscheidung.

In der Sache selbst ist ein Wort gefallen. Es ist nicht unerwartet, dass Fehler pas­sieren. Ich glaube, wir müssen alles dazu beitragen, um zu schauen, dass das Vertrauen in die Justiz nicht gefährdet wird, dass es aufgebaut wird. Insofern wün­schen wir uns natürlich alle – und ich glaube auch, alle müssen dazu beitragen –, dass wir Verhältnisse schaffen, die es ermöglichen, dass es in der Justiz möglichst wenige Fehler gibt. Wir brauchen eine gut ausgebildete Justiz und die österreichische Justiz hat international einen hervorragenden Ruf.

Daher ist es auch gut und sinnvoll gewesen, dass wir jetzt eine Budgetposition freigespielt haben, um der Justiz vermehrt Verstärkung personeller Natur zu geben. Damit ist es auch möglich geworden, dass Kompetenzpaket, das ja schon in der letzten Diskussion hier vorgestellt wurde, auf Schiene zu bringen. Ich denke, dass wir hier auf der inhaltlichen Ebene, auf der ministerialen Ebene sehr wohl gute Fortschritte erzielen werden.

Ich möchte etwas zum BAWAG-Urteil sagen, weil das hier angesprochen wurde. Das war eines mit einer sehr kurzen Verhandlung, einem sehr vehementen Vorgehen der damaligen Richterin und des damaligen Staatsanwaltes. Was ich mir wünsche, ist, dass wir ein ähnliches Verhalten auch in den Verfahren zeigen, die wir sonst kennen,


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so zum Beispiel Hypo Alpe-Adria, das Verfahren gegen Grasser in der Causa Meinl, Libro, YLine, die laufen schon zehn Jahre! (Abg. Strache: Kommunalkredit bitte nicht vergessen! Hypo Niederösterreich bitte nicht vergessen!)

Frau Justizministerin, insofern darf ich Sie ersuchen, sich an die Zeit des BAWAG-Urteils zu erinnern und die gleiche Dynamik hier in die Strafverhandlungen hinein­zubringen.

Reden wir jetzt noch einmal über die BAWAG! Mir ist es nicht ganz verständlich – das muss ich auch gleich einräumen –, dass der Herr Flöttl sage und schreibe 637 Mil­lionen € zur Gänze verzockt hat. Also einer, der im Kapitalmarkt tätig ist, der sehr erfolgreich war in der Zeit davor, der 637 Millionen € weggespielt hat (Abg. Mag. Stadler: Oder verteilt! – Abg. Ing. Westenthaler: Oder verteilt und vergraben!), der uns erklärt hat, dass der Laptop, auf dem das alles war, leider verschwunden ist, einen Datenabsturz hatte und die Unterlagen, die sonst auch vorhanden sein müssten, auch nicht da sind, dass der nicht verfolgt wird! Ich höre jetzt von einer Verjährung.

Frau Ministerin, ich glaube, dass es wichtig ist, dass sich die staatsanwaltschaftlichen Behörden das noch einmal ganz genau anschauen, weil es doch ein ganz, ganz wesentlicher Aspekt in der Angelegenheit BAWAG war. (Präsidentin Mag. Prammer übernimmt den Vorsitz.)

Ansonsten denke ich aufgrund der gegenständlichen Diskussion, dass wir auch dar­über diskutieren sollten, weiter diskutieren sollten, ob es nicht sinnvoll ist, eine Bun­desstaatsanwaltschaft zu schaffen, damit wir genau diese Argumente, um die es derzeit geht, in Zukunft nicht mehr haben. Wir haben eine Bundesstaatsanwaltschaft vorgeschlagen. Expertinnen und Experten haben das vorgeschlagen. Dieser Vorschlag ist jetzt nahezu ein Jahrzehnt alt. Einen Bundesstaatsanwalt, eine Bundesstaats­anwältin – das kann man nennen, wie man will –, kann man mit zwei Drittel der Parla­mentsmehrheit wählen, damit hier ein besonderer Ausdruck des Vertrauens vorliegt. Der soll dann über die Belange der Staatsanwaltschaft Kompetenzen haben.

Ich glaube, das ist ein guter Vorschlag. Er wird von Expertinnen und Experten weitest­gehend unterstützt. Ich weiß nicht, warum wir uns dem hier verschließen. Ich appelliere an den Herrn Vizekanzler, dass wir uns hiemit in die richtige Richtung bewegen.

Frau Bundesministerin, wenn wir jetzt über die Justiz und die Funktionalität der Justiz sprechen, müssen wir auch darüber reden, wie es innerhalb der Justiz ausschaut, auch wie es innerhalb eines Ministeriums ausschaut und ausschauen kann. Daher wäre mein Appell – ich spreche jetzt die Causa Bogensberger an –, dass man zukünftig anders vorgeht als in dieser Angelegenheit. Ein außerordentlich renommierter, inter­national anerkannter Experte im Strafrecht wurde in laufender Fünf-Jahres-Periode durch eine, wie ich meine, doch eher fadenscheinige Reorganisation abmontiert.

Wenn ich mir in der letzten Ausgabe der „Österreichischen Richterzeitung“ eine Stellungnahme von ihm durchlese, die ich vielleicht ganz kurz zitieren darf, dann hoffe ich, dass Sie wissen, was ich meine. Das sollte ja wirklich nicht vorkommen. Bogens­berger sagt:

Ich hatte bisher immer Vorgesetzte gehabt, die mir mit Wertschätzung begegnet sind. Nunmehr musste ich aber mit völlig neuen Rahmenbedingungen auskommen: ausgrenzen, Informationen vorenthalten, übergehen, nicht einbeziehen in wesentliche Gespräche, also Rahmenbedingungen, die mich zunehmend in meiner Arbeitsfähigkeit behindert haben. – Zitatende.

Frau Ministerin, ich sage nicht, dass Sie das zu vertreten haben, glaube aber, dass Sie sehr wohl in Ihrem Kabinett Sorge dafür tragen müssen (Zwischenruf bei der ÖVP –


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Abg. Mag. Stadler: Zeuge Jarolim!), dass derartige Verhältnisse im Haus nicht statt­finden, weil wir dann insgesamt in der Justiz natürlich einen ruhigeren Ablauf hätten.

Das, was ich jetzt hier betreffend Generalprokuratur gehört habe, und dass sich der Kabinettschef möglicherweise für die Generalprokuratur bewirbt, da würde ich ersuchen – ich weiß nicht, wie weit das ist, ich habe das auch erst gestern gehört –, dass Sie sich das wirklich sehr gut überlegen. Das gab es in der Zweiten Republik bis dato nicht.

Ich glaube, es wäre eine fatale Optik für die Justiz, aber auch für die betroffenen Personen – und ersuche Sie, darüber noch einmal nachzudenken. (Beifall bei SPÖ und BZÖ. – Abg. Mag. Stadler: Das war der Zeuge Jarolim! – Abg. Petzner hält ein Schriftstück in die Höhe.)

16.07


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Klubobmann Kopf. Ich stelle die Uhr wunschgemäß auf 7 Minuten. – Bitte.

 


16.08.03

Abgeordneter Karlheinz Kopf (ÖVP): Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Geschätzte Damen und Herren auf der Regierungsbank! Geschätzte Damen und Herren Abgeordnete! Ich stimme mit dem Einleitungstext der Dringlichen Anfrage durchaus überein (Abg. Scheibner: Was ist mit der Blamage?):

„Eine unabhängige, objektive und funktionierende Justiz, der die Menschen dieses Landes vertrauen, ist neben Exekutive und Legislative die dritte wesentliche und tragende Säule eines demokratischen Rechtsstaates. (Abg. Petzner: Schöner Satz!)

Es geht noch weiter – und auch das referiere ich gerne –:

„Die Sicherstellung von Vertrauen durch die Gewährleistung und Verteidigung einer unabhängigen, objektiven und funktionierenden Rechtsprechung ist daher zentrale Aufgabe der politischen Verantwortungsträger (...).“

Das sind viele. Die Praxis zeigt leider in vielen Fällen ein ganz anderes Bild. Justiz­verfahren werden permanent und, wie ich zumindest feststelle, immer häufiger Gegenstand der politischen Agitation. Insbesondere, aber leider nicht nur, die Oppo­sition tut sich dabei hervor. (Rufe beim BZÖ: Oh! – Abg. Mag. Stadler: Darf er das?) Die Staatsanwaltschaft wird von Politikern zu bestimmten Ermittlungshandlungen aufgefordert. Das ist ungeheuerlich.

Meine Damen und Herren, es geht noch weiter. Es werden dauernd Attacken auf die Justiz und in letzter Konsequenz auf die Justizministerin geritten (Abg. Grosz: Es gibt sogenannte steirische Schwitzhütten!) – und da tun sich leider auch die Damen und Herren unseres Koalitionspartners namens Jarolim, Kräuter, Rudas immer wieder hervor. (Zwischenruf des Abg. Mag. Gaßner.)

Meine Damen und Herren von der SPÖ, ich frage Sie: Haben Sie schon bemerkt, dass Sie seit 2007 nicht mehr in der Opposition sind? Haben Sie bemerkt, dass Sie nicht mehr in der Opposition sind? (Beifall bei der ÖVP.)

Dann kommen noch die bühnenreifen Auftritte und Verschwörungstheorien des Kollegen Stadler dazu. Die waren gestern wieder bühnenreif. (Abg. Petzner: Das schon!) Die Frau Präsidentin ist Ihnen sogar darauf hereingefallen (Abg. Mag. Gaßner: ... unerhört! – Abg. Strache: Frau Präsident! Wie geht er mit Ihnen um?!), was auch noch Gegenstand der Diskussion sein wird.

Aber zur Anfrage, die Sie gestellt haben: Sie bezweifeln die fachliche Kompetenz von Frau Bundesministerin Bandion-Ortner? – Von vielen Experten wird der Frau Bundes­


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ministerin höchste Kompetenz beschieden! (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenruf des Abg. Bucher.) Frau Mag. Bandion-Ortner hat komplexeste Verfahren wie BAWAG, „Konsum“ und Rydl in einer souveränen, hervorragenden Art und Weise abgewickelt, die vielen Expertinnen, Experten hohe Bewunderung abgerungen hat. Auch das Urteil, das sie letzen Endes in dieser Komplexität gefällt hat, ist ja jetzt von der General­prokuratur im Wesentlichen bestätigt worden, in einigen Punkten nicht.

Es wird mit Sicherheit beim Strafausmaß, wenn überhaupt, eine ganz geringfügige Korrektur geben und da spricht jemand, der Herr Jarolim vorhin, von Fehlern. – Ja, es gibt unterschiedliche Rechtsauffassungen in den Instanzen der Rechtsprechung. Deswegen ist es kein Fehler, die Rechtsauffassung der Erstinstanz zu haben, auch wenn die nächste Instanz oder eine übergeordnete Instanz eine andere Rechtsauf­fassung vertritt. Das ist kein Fehler, sondern Gott sei Dank gibt es die übergeordneten Instanzen, die wir alle in Anspruch nehmen können, aber das ist kein Fehlverhalten und kein Fehler der damaligen Richterin – in diesem Fall – Claudia Bandion-Ortner. (Beifall bei der ÖVP.)

Ausgerechnet Sie wollen die moralische Integrität der Frau Bundesministerin in Zweifel ziehen, ausgerechnet Sie?! (Ruf bei der ÖVP: Das ist eine Chuzpe!) Die Frau Bundes­ministerin muss damit leben. Sie ist in die Politik gegangen und hier herrschen offenbar ganz andere Sitten. Mit dem muss man sich abfinden und anfreunden. (Abg. Mag. Stadler: Das „Schmerzensgeld“ war hoch!) Das ist oft nicht angenehm, vor allem wenn es persönliche Angriffe sind. Aber das geht zu weit, Kollege Stadler!

Die moralische Integrität einer Bundesministerin auf diese Weise, wie Sie es tun, in Frage zu stellen (Ruf bei der ÖVP: Darf man das?), da finden sich dann Rede­wendungen wie: „weckt den Verdacht, dass ...“ oder „lassen vermuten, dass ...“ – Da entsteht eine schiefe Optik.

Wenn Sie damit Ihre Vorwürfe begründen wollen, dann sollten Sie sich wirklich etwas Besseres suchen. (Beifall bei der ÖVP.)

Die Frau Bundesministerin hat zu Recht auf viele Dinge verwiesen, die sie in ihrer noch recht kurzen politischen Laufbahn, in den letzten zwei Jahren, auf die Wege gebracht hat. Die Insolvenzrechtsreform, die elektronische Aufsicht, die eingetragene Partner­schaft und vieles andere mehr sind in dieser kurzen Zeit an Reformen auf den Weg gebracht worden. Frau Bundesministerin, ich kann dir dazu nur recht herzlich gratu­lieren und dich ermuntern, auf diesem Wege weiterzugehen. (Beifall bei der ÖVP. – Ruf beim BZÖ: Bussi, Bussi!)

Noch eines, meine Damen und Herren, die Rechtspflege in diesem Land funktioniert, aber es gibt individuelle Fehler, überhaupt keine Frage. (Abg. Bucher: Das heißt nichts Gutes! Solche Sachen sind immer gefährlich!) Testamentsfälschungen in Vorarlberg sind individuelle, persönliche Verfehlungen, leider innerhalb der Justiz (Abg. Mag. Stadler: Vier Jahre lang nicht aufgefallen! Keinem ist es aufgefallen!), oder diese Sache mit der Einvernahme von Journalisten und der Brechung des Redaktionsge­heimnisses durch die Staatsanwaltschaft Wien. Da hat die Frau Ministerin ja auch entsprechend gehandelt. Das sind Fehler, die passiert sind.

Es gibt auch unbewiesene Vorwürfe, wie zum Beispiel im Fall Kampusch. Ich schätze den ehemaligen OGH-Präsidenten Herrn Rzeszut sehr und man muss das auch ernst nehmen. Die Frau Bundesministerin tut das auch, sie lässt die ganze Sache noch einmal überprüfen. Aber es sind im Moment unbewiesene Vorwürfe. (Abg. Mag. Stadler: Mit den Vorwürfen seid ihr sonst auch immer schnell!) Daraus einen Vorwurf an die Frau Bundesministerin zu konstruieren, ist geradezu absurd, Herr Kollege Stadler. (Beifall bei der ÖVP.)


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Wenn wir über etwas diskutieren sollten, dann über die Frage, ob wir nicht möglicher­weise – das müssen wir uns alle hier fragen – mit der letzten Strafprozessord­nungsno­velle nicht doch unter Umständen ein Problem geschaffen haben. Die Staats­anwaltschaft als alleinige Herrin des Verfahrens scheint mir in der Zwischenzeit mit den gewonnen Erfahrungen nicht unproblematisch zu sein. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Mag. Stadler: Hurra! Hurra!) Es gibt aber mehrere Erfahrungen, das muss evaluiert werden. (Zwischenruf des Abg. Grosz.)

Es gibt mehrere Möglichkeiten, mit dieser Erkenntnis umzugehen. (Abg. Mag. Stadler: Heureka!) Ich halte nichts von der Idee der SPÖ, einen Bundesstaatsanwalt, der dann auch noch politisch gewählt wird, zu bestellen. Aber wir müssen über das Thema Kontrolle der Staatsanwaltschaft hier mit Sicherheit reden. (Abg. Dr. Rosenkranz: Am besten in einem Untersuchungsausschuss!)

Es gibt auch andere Möglichkeiten einer parlamentarischen Kontrolle der Staatsanwalt­schaft. Natürlich nicht im Einzelfall, keine Frage, aber in generaliter wäre es möglich, eine solche Kontrolle einzuführen. Ich denke, wir sollten aber abseits solcher pole­mischer Attacken, die hier jetzt gerade geritten werden, darüber in Ruhe, seriös unter den Experten und unter uns Politikern reden. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abgeordneten Hagenhofer und Mag. Johann Maier.)

Ein Letztes, meine Damen und Herren, unterlassen – und zwar gilt das für nahezu alle – wir doch diese polemischen Angriffe und Untergriffe auf ein Institut unseres Rechtsstaates, das nicht wichtiger sein könnte wie eben die Justiz. Unsere Bundes­ministerin Claudia Bandion kämpft engagiert für die notwendigen Reformen. Sie bekämpft engagiert fehlerhaftes Verhalten, wo es vorkommt, und sie sichert mit ihrem Einsatz die Unabhängigkeit der Justiz.

Frau Bundesministerin, ich gratuliere dir dazu und wir werden dir mit Sicherheit anschließend das volle Vertrauen aussprechen. Ich lade alle dazu ein, dasselbe zu tun. Dieser Misstrauensantrag ist so etwas von überflüssig und nicht sachgerecht und wird deiner Arbeit in keiner Weise gerecht. Ganz im Gegenteil, du verdienst unser unein­geschränktes Vertrauen! (Beifall bei der ÖVP.)

16.17


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Dr. Hübner. Wunschgemäß stelle ich die Uhr auf 9 Minuten Redezeit ein. – Bitte.

 


16.17.47

Abgeordneter Dr. Johannes Hübner (FPÖ): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Vorredner! Ja, dem Kollegen Kopf ist natürlich zuzustimmen – das ist ein ganz wichtiger Punkt –: Der unabhängigen Justiz darf weder von den Politikern noch von den Medien und auch nicht von uns ans Zeug geflickt werden.

Aber die Justiz teilt sich heute und insbesondere seit der letzten StPO-Novelle in zwei Bereiche. Da gibt es wirklich die unabhängige Justiz, die aus unabsetzbaren, unver­setz­baren und unabhängigen Richtern besteht und dann gibt es die Staatsanwalt­schaft. In der Staatsanwaltschaft gibt es das Vorverfahren oder die Voruntersuchung. Hier sind wir in einem Bereich, wo eben nicht mehr der unabhängige, unversetzbare und weisungsfreie Richter, sondern wo eine weisungsgebundene und letzthin der Frau Bundesministerin für Justiz unterstehende Behörde agiert. Und da ist sehr wohl Handlungsbedarf für einen Politiker und daher für das Parlament gegeben. (Beifall bei der FPÖ.)

Das heißt, diese generelle Zurückweisung der Beschäftigung mit den Problemen ist sachlich falsch und nicht angebracht. Jetzt aber zum Misstrauensantrag und zu den Anfragen selbst.


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Missstände gibt es natürlich im Bereich der Voruntersuchungen und des Vorver­fahrens. Darüber können wir uns nicht hinwegschwindeln. Der Kollege Petzner hat ja schon einige philosophische Überlegungen gebracht über die Justiz als Fessel, damit wir in Freiheit leben können. Aber eine ganz wichtige Überlegung möchte ich noch beifügen, und zwar der große Immanuel Kant hat einmal gesagt, dass die Gerech­tigkeit und die Justiz es ist, die Willkür des einen und die Willkür des anderen nach den Gesetzen der allgemeinen Freiheit beschränken. – Das Wichtige dabei ist das Wort „und“. Es gibt verschiedene Spieler in unserer Ordnung und alle wollen sich möglichst viel Platz und möglichst viele Rechte herausholen. Die Gerechtigkeit und die Justiz müssen diese so beschränken, dass jeder in einem Maximum an Freiheit und in Entfaltung seiner Möglichkeiten und seiner Rechte leben kann.

Das scheint für den durchschnittlichen Beobachter derzeit gefährdet zu sein, denn wir sehen Gewichtungen in den Vorerhebungen und Voruntersuchungen, die nicht nur mit diesem Kantischen Grundsatz, sondern auch mit meinem Verständnis von Gleich­behandlung und Gleichgewichtung nicht mehr in Einklang zu bringen sind.

Ich erzähle hier nicht die ganzen Geschichten, sondern ich werfe nur Schlagworte hin, weil wir das ohnehin kennen. Vergleichen Sie nur einmal CSI Hypo – das ist eh schon erwähnt worden – mit dem Vorgehen in Sachen Kommunalkredit oder Hypo Nieder­österreich. Bei der Hypo Niederösterreich ist wenigstens ein bisschen etwas passiert. Es ist zwar gleich beendet worden, aber bei der Kommunalkredit ist überhaupt nichts passiert. (Beifall bei der FPÖ. – Abg. Strache: Das ist richtig!)

Bei der Kommunalkredit ist ein Schaden in Milliardenhöhe entstanden, den wir gar nicht abschätzen können. Wir kriegen ja halbjährlich Berichte vom Staatssekretär über den Stand dieser Katastrophe. Das ist eine Affäre, die einen ganzen Sektor der österreichischen Finanzwirtschaft, nämlich den Volksbankensektor, an den Rand des Abgrundes gebracht hat und die uns über Jahre belasten wird und die dazu geführt hat, dass die beiden Teile der Kommunalkredit verschenkt wurden, und zwar ein Teil an die Republik und der andere Teil an einen ausländischen Partner.

Hier ist aber gar nichts geschehen! Ich sage jetzt nicht, dass das damit zu tun, dass die mitverantwortliche Vorstandsdirektorin jetzt Ministerin ist, aber ein gewisser Ein­druck in diese Richtung lässt sich wohl nicht wegwischen. (Beifall bei der FPÖ.)

Ich spreche auch davon, dass es die Justiz unterlassen hat, in den eigenen Reihen für Sauberkeit zu sorgen. Ich erwähne auch da wieder nur schlagwortartig das auch hier schon mehrfach besprochene Problem der früheren Wirtschaftsstaatsanwaltschaft des Landesgerichts für Strafsachen Wien, und da Staatsanwalt Roland Schön.

Wir kennen ja nur kleine Flanken – sage ich einmal – der Vorwürfe durch Veröffent­lichungen im „Falter“, dem das zugespielt worden ist. Fast jeder, der in der österreichi­schen oder in der Wiener Rechtsverfolgung tätig ist, kennt Fälle, wo diese Staats­anwaltschaft in einer Weise gehandelt hat, die jeder Beschreibung spottet. Und was haben wir heute hier gehört statt der Forderung: Da muss durchgegriffen werden, da muss aufgeräumt werden, da müssen wir ein Beispiel setzen und da müssen wir den allgemein ordentlichen, den allgemein pflichtbewussten und unbestechlichen Mitar­beitern der Justiz zeigen, wie die schwarzen Schafe behandelt werden!? Stattdessen haben wir hier gehört: Na ja, man hat letztendlich alles eingestellt, denn es hat sich ja um eine immerhin vertretene Rechtsmeinung gehandelt!

Das sind Dinge, die wirklich problematisch sind und die tatsächlich das Vertrauen in die Rechtsverfolgung, zumindest was die staatsanwaltschaftliche Seite betrifft, unter­graben!


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Ein Letztes möchte ich noch bringen, weil es hier auch gefallen ist: Das ist die Causa Moschitz, die meiner Ansicht nach völlig falsch angezogen worden ist. Hier wird näm­lich gerügt, dass sich die Staatsanwaltschaft bemüht, ein Beweismittel herauszube­kommen. Warum das rügepflichtig sein soll, weiß ich nicht. Wohl nur deshalb, weil sich da der ORF in falscher Auslegung auf ein Redaktionsgeheimnis beruft und weil einige Leute da sekundieren. Ein Redaktionsgeheimnis, das den Informanten schützt, wird verwendet, um den Herrn Johannes Fischer und den Herrn Moschitz und die anderen Mitbeteiligten zu schützen, um sich der Justiz zu widersetzen. (Beifall bei der FPÖ.)

Also da hat die Justiz richtig und konsequent und gesetzmäßig gehandelt. Aber in einem Punkt hat sie problematisch gehandelt. Das sage ich jetzt als FPÖler und Mitbetroffener, aber auch als Staatsbürger. Sie hat sehr problematisch darin gehandelt, dass die Staatsanwaltschaft, nämlich die Oberstaatsanwaltschaft, nach Rücksprache mit dem Justizministerium, wie wir das im Rahmen der Behandlung im Immunitätsausschuss dem Akt entnehmen konnten, angeordnet hat, das Opfer dieser Angelegenheit, nämlich Heinz-Christian Strache, als Beschuldigten zu führen, und zwar mit der Begründung, dass in einer Anzeige behauptet wurde, all das, was Strache behauptet hat, ist nicht wahr.

Das heißt, es geht so weit, dass die Staatsanwaltschaft Dinge anordnet, die dazu führen, dass ein Opfer prinzipiell gleichzeitig mit dem Beschuldigten als Beschuldigter zu führen ist, denn wenn das Opfer nicht recht gehabt haben sollte, wenn der Beschuldigte freigesprochen wird, dann müsste ja das Opfer gleich als Verleumder oder zumindest als falscher Zeuge behandelt werden. (Abg. Mag. Stadler: Das ist ein beliebtes Spielchen! – Abg. Ing. Westenthaler: Das ist nichts Neues!) Also man muss sicherheitshalber immer gleich die Opfer auf die Beschuldigtenbank setzen, damit man das gleich mit verhandelt.

Das ist etwas, was in der österreichischen Justiz bisher nicht vorgefallen ist! Ich zumindest kenne – und ich bin auch schon eine Weile Rechtsanwalt – kein Beispiel, wo das passiert ist. (Beifall bei der FPÖ. – Abg. Mag. Stadler: Bei Westenthaler!)

Vielleicht das Beispiel Westenthaler, aber den Akt habe ich nicht verfolgt. Ich kenne kein Beispiel, wo passiert ist, dass man den Anzeigenden, das Opfer mit auf die Anklage­bank gesetzt hat. (Neuerlicher Beifall bei der FPÖ. – Abg. Ing. Westenthaler: Genau das ist bei mir passiert!) – Da könnte ich noch vieles sagen, aber jetzt muss ich ein bisschen die Seiten wechseln.

Man muss auch eines sagen: Die Vorwürfe, die jetzt zur Grundlage des Misstrauens­antrages gemacht wurden, beruhen im Wesentlichen auf medialen Berichterstattungen, auf Privatmeinungen, auf Ansichten des Herrn Rzeszut. Sollte – ich betone: sollte! – das alles so stimmen, wie der Herr Rzeszut es dargestellt hat, dann wäre wahr­schein­lich Handlungsbedarf gegeben und dann müsste man natürlich über den Rücktritt der Frau Ministerin nachdenken. Keine Frage! Aber nur deshalb, weil jemand Vorwürfe erhebt, können wir nicht davon ausgehen, dass das alles wahr ist, und die Forderung erheben, die Ministerin muss einmal prophylaktisch zurücktreten. Das ist mit meinem Verständnis einer rechtsstaatlichen Vorgangsweise auch nicht vereinbar. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

Wenn ich hier die Liste der Vorwürfe durchgehe, dann muss ich sagen: Ja, da kann man über alles Mögliche diskutieren, da hätte man vielleicht etwas anders machen können! Ich habe ja einiges davon erwähnt. Aber Fälle wie zum Beispiel die Causa Strasser (Zwischenruf des Abg. Mag. Stadler), so ärgerlich die ist und so wenig so etwas hätte passieren dürfen, der Frau Justizministerin anzulasten und als Rück­trittsgrund heranzuziehen, wo sie doch viel später, nämlich am 1. Jänner 2009, Minis­terin geworden ist, zu einem Zeitpunkt, wo das alles längst schon verjährt war, da


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muss ich sagen: Das geht schon, lieber Kollege Stadler, ein bisschen sehr, sehr weit! (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Mag. Stadler.)

Kurz und zusammengefasst daher: Wir werden dem Misstrauensantrag der Kollegen Petzner und Stadler und wer immer noch dabei ist aus den erwähnten Gründen nicht zustimmen – zumindest vorläufig nicht zustimmen –, denn zuerst muss abgeklärt werden, was an diesen ganzen Geschichten wirklich dran ist.

Ich ersuche aber, unserem eingebrachten Antrag auf Einsetzung eines Unter­suchungs­ausschusses zu den Rzeszut-Vorwürfen zuzustimmen. Schauen wir, was da heraus­kommt – und dann reden wir weiter über die Ministerverantwortlichkeit! – Danke. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

16.26


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Abgeordneter Mag. Steinhauser gelangt nun zu Wort. – Bitte.

 


16.26.56

Abgeordneter Mag. Albert Steinhauser (Grüne): Sehr geehrte Damen und Herren! Was lehrt uns die Zusammensetzung auf der Regierungsbank? – In der Not hält man zusammen, oder man genießt sein Amt, solange man es noch hat. Ich frage mich nur, wo Innenministerin Fekter geblieben ist, denn dann wäre das Krisenquartett vollständig.

Aber wirklich freue ich mich über die Anwesenheit unseres Vizekanzlers. Das zeigt, dass er zumindest ein kleines Stück Reue und Mitverantwortung empfindet, denn er hat die Bestellung der Frau Justizministerin zu verantworten, die ja der eigentliche Sündenfall ist – nicht, dass eine Richterin bestellt wurde.

Eine Richterin kann natürlich Justizministerin werden, und das ist auch grundsätzlich zu begrüßen. Was zu kritisieren ist, das ist der Zeitpunkt der Bestellung. Denn: Damals war das Urteil weder rechtskräftig, ja es war noch nicht einmal geschrieben, und die Folge war, dass die spätere Justizministerin, die damalige BAWAG-Richterin, unter hohem Zeitdruck das Urteil ausfertigen musste.

Wir erinnern uns: Sie musste dann krank werden, damit sie nicht angelobt wird. Während dieser Krankheit hat sie das BAWAG-Urteil fertiggeschrieben und ist ein Monat verspätet angelobt worden. Wenn wir heute hören, das Urteil wäre mangelhaft begründet, dann frage ich mich schon, welche Mitverantwortung der Herr Vizekanzler mit seiner Bestellung da wohl auch trägt. (Vizekanzler Dipl.-Ing. Pröll: Das war jetzt eine Umschreibung ...!)

Herr Vizekanzler, die Konsequenzen müssen ohnedies Sie ziehen, indem Sie jetzt hier auch als Parteiobmann für diese Krise der Justizministerin geradestehen müssen.

Klar ist: Die Bestellung der Justizministerin hat unmittelbar mit dem BAWAG-Verfahren zu tun. Frau Bandion-Ortner wäre heute nicht Justizministerin, wenn sie damals der Zufallsgenerator nicht für das BAWAG-Verfahren ausgewählt hätte. Und damit ist auch klar, dass Sie sich heute nicht beschweren dürfen, wenn die mögliche Aufhebung des BAWAG-Urteils auch eine Debatte über die Justizministerin auslöst.

Schon damals haben wir uns kritisch geäußert – nicht deshalb, weil Sie, Frau Bandion-Ortner, Justizministerin geworden sind, sondern deswegen, weil wir den Zeitpunkt für falsch gehalten haben. Damals haben wir schon gesagt: Wenn dieses Urteil nicht hält, dann wird das unweigerlich zu einer Debatte über die Justizministerin führen.

Aber ich nehme Ihre Einladung gern an: Ich will nicht über Sie als Richterin sprechen! Es ist ja tatsächlich richtig: Eine Richterin, die ein Urteil macht, das nicht hält, muss nicht zurücktreten! Es ist auch richtig, dass es vorkommt, dass Urteile nicht halten –


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wobei es nicht intendiert ist. Das muss man auch dazusagen. Intendiert ist schon, dass die erste Instanz entscheidet und dass das hält. Aber gut, es gibt Rechtsschutz­kon­trollen, Instanzen, die kontrollieren, und es ist gut, dass dann, wenn Fehler gemacht worden sind, das durch die Instanzen korrigiert wird.

Aber reden wir über Ihre Justizpolitik! Ich nehme Ihre Einladung gerne an.

Ihre Justizpolitik, Frau Ministerin, ist eine Aneinanderreihung von Pannen und Pleiten. Sie haben sich von einer Krise zur nächsten bewegt.

Erster Schritt Ihrer Amtshandlung: Kaum waren Sie angelobt, haben Sie das strenge Korruptionsstrafrecht aufgeschnürt und einen Kniefall vor den Lobbyisten der ÖVP gemacht. Das hat international für Aufsehen und Empörung gesorgt. Aber das war offensichtlich der Preis für Ihren Eintritt.

Ich muss Ihnen aber zugutehalten, dass Sie damals offensichtlich – ich habe zumin­dest das Gefühl gehabt – ohnedies nicht hinter dieser Maßnahme gestanden sind. Ich hatte den Eindruck, dass Sie damals auf großen Druck hin gehandelt haben.

Dann ist es weitergegangen. Der nächste Höhepunkt war die sogenannte Busspur-Affäre. Sie erinnern sich: Damals wollte unsere Justizministerin auf der Busspur an den Wienerinnen und Wienern vorbeibrausen. (Vizekanzler Dipl.-Ing. Pröll: Geh hör auf!) Dieses Anliegen ist dann wieder zurückgezogen worden, nachdem man erkannt hat, dass man so nicht den Bürgerinnen und Bürgern entgegentreten kann.

Nächster Höhepunkt war die Debatte im Sommer 2009. Damals haben wir über Inter­ventionen in heiklen politische Causen debattiert. Das war der berühmte Sack, der von einem Whistleblower zum „Falter“ getragen worden ist. Das hat die erste große Debatte über die Justiz ausgelöst und das Vertrauen in die Justiz massiv beschädigt. Und Ihr Krisenmanagement hat damals absolut nicht funktioniert, denn das Einzige, das Sie angeboten haben, war, dass Sie gesagt haben: Wir müssen den Verräter finden! – Das ist, glaube ich, zu wenig gewesen. Das haben Sie dann etwas verspätet erkannt, haben eine Kommission eingesetzt, die sehr schnell gearbeitet hat, aber mit der Umsetzung der Ergebnisse hat es dann wieder ein Jahr gedauert.

Dann hat es, kaum war diese Krise ausgestanden, den Untersuchungsausschuss gegeben, und zwar im Herbst 2009. Wieder hat es Fehler bei der Staatsanwaltschaft gegeben, für die Sie, zugegeben, nicht unmittelbar verantwortlich waren, denn das war vor Ihrer Zeit. Aber das Krisenmanagement war wieder suboptimal, denn zuerst haben Sie erklärt, es sei eh alles in Ordnung, und dann haben Sie die Fehler doch zugeben müssen. Und das löst halt wieder Misstrauen aus und wirft Fragen auf.

Dann war es eine Zeit lang ein bisschen ruhiger. Und dann ist der Sommer 2010 gekommen, und da haben wir diskutiert, dass in den heiklen Wirtschaftscausen nichts weitergeht. Auch da hat man feststellen müssen, dass wir ein Jahr versäumt haben, in dem wir gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen und die personelle Ressourcen­aus­stattung zu verbessern gehabt hätten. Sie haben das unter Druck nachgeholt – aber beim Weisungsrecht sind Sie heute noch reformresistent. Erst unlängst haben Sie lauter Expertinnen und Experten eingeladen, und das Erste, was Sie erklärt haben bei der Frage: Wie geht man mit dem Weisungsrecht der Staatsanwaltschaft um?, war, dass Sie da nichts ändern wollen.

Und jetzt kommen wir zu den Postenbesetzungen im Justizbereich. – Man hat das Gefühl, es weht der Geist von Ernst Strasser durch das Justizministerium, und man hat den Eindruck, dass das, was im Innenministerium gang und gäbe war, jetzt auch im Justizministerium stattfindet.


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Die eigenen Beamten sind empört über Ihre Vorgangsweise. Der Kollege Jarolim hat in diesem Zusammenhang den ehemaligen Sektionschef Bogensberger zitiert. Es heißt, man verstehe Sie nicht, man verstehe die Umstrukturierung nicht, man verstehe Ihre Personalbestellungen nicht.

Jetzt stehen wieder zwei heikle Personalbestellungen an. Es haben sich zwei Kabinetts­mitglieder beworben. Man wird Sie, Frau Justizministerin, daran messen, wie Sie sich in dieser Frage verhalten werden. Da werden wir sehr genau schauen, ob hier das, was begonnen wurde, fortgesetzt wird, nämlich, ob es politisch – ich sage nicht „partei­politisch“ – motivierte Postenbesetzungen gibt: ja oder nein?! Sie wissen, von welchen Posten ich rede. Wir werden uns das, wie gesagt, sehr, sehr genau an­schauen.

Der Rest Ihrer Tätigkeit war eine Art justizpolitische Mangelwirtschaft. Sie haben ver­sucht, mehr Personal zu bekommen. Ihr größter Erfolg ist, dass Sie ausverhandeln konnten, dass Einsparungen zurückgenommen werden, die Sie eineinhalb Jahre vorher im Personalbereich selbst verhandelt haben. Es sagt schon viel aus, dass Sie das als größten Erfolg gefeiert haben.

Frau Justizministerin, Sie haben es leider auch nicht geschafft, Ihre Parteiunge­bundenheit zu nutzen. Ich glaube, Sie sind heute abhängiger denn je. Sie sind vielleicht parteifrei – aber abhängiger denn je vom Wohlwollen des ÖVP-Parteiob­mannes Pröll.

Jetzt kommt die Debatte um das BAWAG-Urteil.

Die positive Nachricht ist: Die Rechtsschutzinstanzen funktionieren. Trotzdem wird – und das war ganz klar – diese Debatte an Ihnen nicht spurlos vorbeigehen. Man kann folgende Qualifizierungen über Sie lesen: „Bandion-Ortners Blamage“, „technisches K.O. gegen Ministerin“, „Justizdebakel für Bandion-Ortner“, „Josef Pröll hat einen Fehl­griff getan“, „lame duck“.

Das sind nicht Qualifizierungen der Opposition, sondern das sind Qualifizierungen der Leitartikel- und Kommentarschreiber und -schreiberinnen der österreichischen Tages­zeitungen.

Sie machen es sich einfach, wenn Sie jetzt sagen: Die Opposition ist schuld! – Wenn der Abgeordnete Steinhauser mit einer OTS so viel bewegen könnte, dann wäre er froh. Es ist leider nicht so! Nein, das ist das Urteil der Journalistinnen und Journalisten über Ihre Arbeit.

Frau Justizministerin, Sie sind tatsächlich schwer angezählt. Nach den vielen Pannen in den letzten Monaten ist das das i-Tüpfelchen in Ihrer Arbeit. Die Justiz braucht jetzt eine handlungsfähige Ministerin nach den doch durchaus bewegten Zeiten. Und die Frage ist, ob Sie das tatsächlich noch sind, ob Sie wirklich die notwendigen großen Herausforderungen im Justizbereich lösen können: ja oder nein?

Ich weiß nicht, ob Sie als Justizministerin mit dem Finanzminister Pröll wirklich mehr Ressourcen für die Justiz herausverhandeln können, wenn gleichzeitig Ihr politisches Überleben vom Parteiobmann Pröll abhängig ist.

Wir werden den Misstrauensantrag gegen Sie heute unterstützen. Mir ist es aber wichtig, zu sagen: nicht wegen des BAWAG-Urteils! Wenn Ihre Ministerinnenschaft durchgehend erfolgreich wäre, dann wäre das BAWAG-Urteil kein Problem. Das kann einer Richterin passieren. Wir werden dem Misstrauensantrag deshalb zustimmen, weil es leider in Ihrer Tätigkeit eine Pannen- und Pleitenserie in letzter Zeit gegeben hat und die Debatte um Ihre Person eigentlich nur ein weiterer Punkt ist, der dazu geführt hat, dass das Vertrauen in die Justiz angekratzt ist.


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Man könnte Ihre Ministertätigkeit folgendermaßen zusammenfassen: Sie wollten auf der Busspur überholen, sind aber politisch im Stau steckengeblieben. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

16.36


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Abgeordneter Hagen gelangt nun zu Wort. Ich stelle die Uhr auf 6 Minuten. – Bitte.

 


16.36.55

Abgeordneter Christoph Hagen (BZÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren auf der Ministerbank! Hohes Haus! Die Frau Bundesministerin hat hier ein riesiges Lob für die Fachaufsicht betreffend die Testaments-Affäre in Dornbirn verlauten lassen. So stark loben kann man diese Leute nicht, denn immerhin muss man bedenken, dass die Visitatoren 40 Jahre lang geschlafen haben und ihnen nichts aufgefallen ist. (Beifall beim BZÖ.)

Wie ist man dann mit der Aufdeckerin verfahren? – Diese gute junge Juristin – zufällig eine Nachbarin von mir, neben mir aufgewachsen – wurde dann zum Dank dafür versetzt. So schaut es aus, meine Damen und Herren!

Jetzt komme ich zu einem weiteren Fall in dieser Testaments-Affäre. Im Jahr 2002 wurde schon aufgezeigt, dass jener Fall aus Dornbirn, der glasklar ist, zwei Mal bei der Staatsanwaltschaft angezeigt und zwei Mal eingestellt wurde. Jetzt, da diese Testaments-Affäre ans Tageslicht gekommen ist, ist überall das große Staunen ausgebrochen. Nun hat man etwas in den Händen, und der Fall wird endlich verfolgt. Man hat das Ganze seit diesen zwei Anzeigen verschlafen und nicht urgiert. Also hier hat man, Frau Ministerin, ganz klar versagt.

Erwähnen möchte ich noch – dann höre ich mit diesem Fall schon auf, weil ich Ihnen noch ein paar andere „schöne“ Dinge zu Gehör bringen möchte –, dass auch die Frau Vizepräsidentin des Landesgerichts Feldkirch, Kornelia Ratz, in diese Testaments-Affäre involviert war, wie wir alle wissen. Aber es hat ganze drei Wochen gedauert, bis diese Dame suspendiert und ihres Amtes enthoben worden ist – das finde ich skandalös! Man hätte schon am ersten Tag nach Bekanntwerden dieser Anschul­digungen durchgreifen müssen. Auch in dieser Sache haben Sie versagt, Frau Minis­terin.

Vorhin haben Sie gesagt, Sie legen sich die Latte dort, wo es um Gesetzesvorhaben geht, Sie wollen an den Gesetzesinitiativen gemessen werden. – Frau Ministerin, Sie sind verantwortlich für die Justiz, und Sie sind auch dafür verantwortlich, dass Gesetze vollzogen und auch befolgt werden.

Jetzt möchte ich Ihnen einen Fall vom Bezirksgericht Bludenz zu Gehör bringen. Er wird Ihnen vielleicht bekannt sein oder auch nicht. Ich weiß nicht, wie gut Sie informiert sind, aber dieser Fall fällt in Ihr Ressort.

Es geht darum – mein Kollege Themessl hat eine Anfrage dazu eingebracht –, dass ein Gerichtsmitarbeiter eine Urkundenfälschung seiner Vorgesetzten aufgezeigt hat. Jener Gerichtsmitarbeiter hat diese Meldung an den Bezirksgerichtsvorsteher Erich Mayer gemacht, der jetzt selbst in der Bredouille ist, weil er Unterschriften fälschen ließ.

Passiert ist dann Folgendes: Man hat versucht, das Ganze zu vertuschen. Dann hat er selbst die Korruptionsstaatsanwaltschaft eingeschaltet, weil nichts geschehen ist, mit der Folge, dass eine Disziplinaranzeige gegen den Herrn Gerichtsvorsteher Mayer gemacht worden ist. Interessanterweise hat dieser eine sehr geringe Disziplinar­maßnahme bekommen, und strafrechtlich ist das Ganze eingestellt worden – ohne Angabe von Gründen. Das ist schon ein Skandal.


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In weiterer Folge wurde genau dieser Bezirksgerichtsvorsteher Mayer, der versucht hat, alles zu vertuschen, verurteilt und ist jetzt wieder von einer weiteren Mitarbeiterin belastet worden, die für diesen Gerichtsvorsteher dessen Unterschrift fälschen musste. Es geht hier offiziell um 500 bis 800 Fälle. Mittlerweile habe ich gehört, dass man nach weiteren Recherchen schon bei über 2 000 Fällen ist. Das heißt, diese Urteile, die dort gemacht worden sind, müssen alle wieder neu aufgerollt werden und neu verhandelt werden. – Also wenn das kein Skandal ist, Frau Ministerin, dann kenne ich mich nicht mehr aus.

Wenn man in der Sache weiterverfolgt, wie es diesem Beamten nachher ergangen ist: Dieser wurde gemobbt. Beispiel: Wenn er in den Speisesaal hereingekommen ist, sind alle aufgestanden und weggegangen – man hat ein kollektives Mobbing betrieben. Er wurde mit Anzeigen eingedeckt – also Mobbing Länge mal Breite. Er wurde im ganzen Land Vorarlberg herumversetzt und dann mit 53 Jahren aus „Invaliditätsgründen“ – und dieser Mann ist kerngesund, ich habe ihn kennengelernt – in Zwangspension geschickt. – Für mich ist das ein Skandal, Frau Ministerin! Für mich sind solche Vorkommnisse nicht nachvollziehbar.

Dasselbe Schema bei der Dame, die die Unterschriftenaktion mit jenem Gerichts­vorsteher aufgezeigt hat, dieser Frau geht es jetzt genau gleich, sie ist von Mobbing und Versetzung betroffen. An sie wurden Drohungen mit Jobverlust gerichtet, und auch sie will man in Frühpension schicken.

Frau Ministerin, das ist skandalös! Das ist in Ihrer Verantwortung, das haben Sie zu rechtfertigen, und Sie können sich nicht auf irgendjemand anderen ausreden. (Beifall beim BZÖ.)

Und es geht sogar noch weiter: Diese Dame ist später als Zeugin in dem Verfahren gegen den Bezirksgerichtsvorsteher vorgeladen worden – als Zeugin –, und hinaus­gegan­gen ist sie als Beschuldigte. Der gleiche Fall wie beim Mitarbeiter von Ewald Stadler!

So gehen Sie mit Recht im österreichischen Staat um, Frau Ministerin! Das ist rücktrittswürdig! (Beifall beim BZÖ.)

Aber es geht noch weiter. Ich habe einen weiteren Fall, in den Bürgermeister Berchtold aus Feldkirch verwickelt ist. Auch dieser Fall wird Ihnen bekannt sein. Man stelle sich vor: Ein ÖVP-Bürgermeister wird im März dieses Jahres wegen Vergewaltigung ange­zeigt. Das Verfahren läuft. Es passiert gar nichts – nicht ein Bleistiftstrich, gar nichts! –, das heißt weder eine Einvernahme der Geschädigten noch eine Einvernahme des Beschuldigten, noch sonst irgendeine Aktion. Fakt ist, dass die Justiz erst am 5. Oktober 2010 gehandelt hat, als die Medien davon berichteten. Eine Woche später wurde die Geschädigte einvernommen.

Das ist ein riesen Skandal und das lässt den Schluss nicht fern, dass hier politisch interveniert wurde, konkret dass versucht wurde, das Ganze unter den Tisch zu kehren. Das ist Politjustiz, Frau Ministerin! Das ist Ihre Politik! (Vizekanzler Dipl.-Ing. Pröll: Das sind schwere Vorwürfe!) – Ja, das sind schwere Vorwürfe. (Vizekanzler Dipl.-Ing. Pröll: Das ist unglaublich!) Aber das ist nicht unglaublich, sondern das sind Tatsachen, meine Damen und Herren! (Beifall beim BZÖ.)

Sie bekommen von mir heute noch eine Anfrage dazu. Sie werden sich noch wundern!

Und damit will ich es belassen. Ich sage nur noch: Ich spreche Ihnen das Misstrauen aus. Ich werde heute gegen Sie stimmen. (Beifall und Bravoruf beim BZÖ.)

16.43



Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 153

Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Es gelangt nun Herr Abgeordneter Mag. Maier zu Wort. Ich stelle die Uhr auf 5 Minuten. – Bitte.

 


16.43.39

Abgeordneter Mag. Johann Maier (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Vizekanzler! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Es gibt ein gemeinsames Regierungsübereinkommen von SPÖ und ÖVP mit klaren rechtspolitischen Zielsetzungen. Wir haben bisher zahl­reiche dieser Anliegen bereits beschließen können, die meisten dieser Anliegen ein­stimmig im Parlament. Wir sehen daher überhaupt keine Veranlassung, diesem Miss­trauensantrag des BZÖ nahezutreten (demonstrativer Beifall des Abg. Dr. Bartenstein), weil es eine erfolgreiche Rechtspolitik war. (Beifall bei der ÖVP.)

Dessen ungeachtet gibt es natürlich, und der Klubobmann der ÖVP Karlheinz Kopf hat darauf hingewiesen, auch individuelle Fehler – ich würde das ergänzen: auch struk­turelle Fehler – in der Justiz, über die wir gemeinsam nachdenken müssen, die wir gemeinsam diskutieren müssen. Und ich bin dir sehr dankbar, dass du das Problem des Vorverfahrens der Strafprozessnovelle angesprochen hast. Die Frau Bundesminis­terin hat uns zugesichert, dass wir im November den Evaluierungsbericht bekommen werden, und ich glaube, wir werden uns sehr lange und sehr intensiv mit den offenen Fragen auseinandersetzen müssen, nicht nur was die Rolle der Staatsanwaltschaften betrifft, sondern auch ob die Ziele dieser Strafprozessreform tatsächlich erreicht wurden. Ich denke hier insbesondere an die Stellung der Opfer. Die Stellung der Opfer wurde ja gestärkt. Gleichzeitig sollte auch erreicht werden, dass geschädigte Personen leichter Privatbeteiligtenanschlüsse erklären können. Nur: Wenn man analysiert, dann stellt man fest, dass es gegenüber der alten Rechtslage weniger geworden sind. Und ich glaube, all diese Probleme sollten wir gemeinsam diskutieren.

Hohes Haus! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über eines müssen wir uns auch im Klaren sein: Es gibt derzeit in unserer Gesellschaft eine sehr bedenkliche Stimmungslage gegen die Justiz. Menschen haben zunehmend den Eindruck gewon­nen, dass durch die Justiz nicht alle gleich behandelt werden. Gegen Promi­nente gäbe es eine nicht nachvollziehbare Zurückhaltung. Bei einer aktuellen Umfrage des Linzer Meinungsforschungsinstituts IMAS klagten 83 Prozent der Österreicher über Miss­stände im Land. Die überwiegende Mehrheit ist überzeugt, es gäbe in Österreich heutzutage mehr Korruption als in früheren Zeiten.

Nun wird, Frau Bundesministerin, mit dieser Kritik zunehmend auch die Objektivität und die Unabhängigkeit der Justiz in Frage gestellt. (Demonstrativer Beifall des Abg. Petzner.) Es gibt nämlich bei den Menschen den Eindruck von Klassenjustiz unter Bevorzugung bestimmter Personen. (Demonstrativer Beifall beim BZÖ.) 82 Prozent der Befragten hegen Misstrauen, was die Gleichbehandlung aller Bürger betrifft.

Ich glaube, mit dieser Einstellung müssen wir uns auseinandersetzen. Es gibt auch aus Sicht der Medien ein gestörtes Verhältnis zwischen der Justiz und der Öffentlichkeit. Es fehlt zumindest eines: ein aktives Informationsmanagement der Justiz in der Öffent­lichkeit. Das wurde auch vom neuen Sektionschef Dr. Pilnacek in einem Interview gegenüber den „Salzburger Nachrichten“ bestätigt.

Erlauben Sie mir noch eine auch persönliche Feststellung: Ich habe den Eindruck ge­won­nen, wenn Missstände und Fehler in der Justiz öffentlich bekannt werden und unabhängige Kontrollen eingefordert werden, dann wird abgeblockt, oft mit dem Hinweis auf Amtsverschwiegenheit. Ja es gibt sogar Maulkorberlässe! Engagierte Be­amte werden damit kaltgestellt.

Jede externe Kontrolle wird vom Justizapparat und den Interessenvertretern – ich betone: den Interessenvertretern in der Justiz – lautstark abgelehnt, denn: Die Justiz kontrolliere sich selbst.


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Aktuell wird ein Rat der Gerichtsbarkeit mit Budget- und Personalhoheit verlangt, der allerdings auch wieder aus Vertretern der Justiz bestehen soll. Diese Selbstkontrolle – und das ist unser Eindruck – funktioniert aber in der Justiz derzeit nicht. Und darüber, Frau Bundesministerin, sollten wir nachdenken.

Frau Bundesministerin, Sie haben die Möglichkeit bekommen, zusätzliche Planstellen einzurichten. Sie haben die Möglichkeit bekommen, dass Wirtschaftsverfahren be­schleu­nigt werden. Ich appelliere wirklich an Sie, dass alles unternommen wird, dass Verfahren wie YLine – ein Verfahren, das 2001 begonnen hat und bis heute nicht abgeschlossen ist, wo das Strafverfahren noch offen ist, und zwar nicht nur gegenüber dem Herrn Böhm, sondern auch einer Reihe von anderen Personen – abgeschlossen werden. Ich appelliere an Sie, dass endlich auch das Verfahren Libro-Konkurs, eben­falls eingeleitet vor neun Jahren, mit mehreren Angeklagten – derzeit wurde Anklage erhoben –, so rasch wie möglich abgeschlossen wird.

Denn eines muss allen klar sein: Je länger derartige Verfahren dauern, umso kritischer wird die Öffentlichkeit. Und auf der Strecke bleiben meistens die geschädigten Anleger und Privatpersonen. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

16.49


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Abgeordneter Mag. Donnerbauer gelangt nun zu Wort. Ich stelle die Uhr wunschgemäß auf 5 Minuten. – Bitte.

 


16.49.36

Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Werte Frau Justizministerin! Hohes Haus! Ich glaube, es ist ein sehr durchsichtiges Manöver, das hier heute gestartet wurde und sich auch in den letzten Tagen abgespielt hat: Eine beliebte, eine kompetente, eine unab­hängige Justizministerin soll durch Dauerbeschuss und durch untergriffige und persön­liche Angriffe sturmreif geschossen werden, beschädigt werden. (Abg. Mag. Stadler: Welcher persönliche Angriff? Welcher? – Die Rede solltest du dir selbst schreiben – und nicht vom Sekretär schreiben lassen!)

Dieses Muster kennen wir, lieber Herr Kollege Stadler: Wenn alle Rohre der Oppo­sition, vor allem heute hier von zwei Oppositionsparteien, auf ein einziges Regierungs­mitglied gerichtet sind, dann kann man sicher sein, dass dieses politisch erfolgreich und damit der Opposition ein Dorn im Auge ist, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Sie haben schon im Vorjahr und auch im heurigen Sommer versucht, die Justizminis­terin hier anzugreifen. Sie sind damit erfolglos geblieben, und Sie werden auch diesmal erfolglos bleiben. (Ruf beim BZÖ: Das wissen wir eh!)

Die Stellungnahme der Generalprokuratur, die, wie heute schon mehrmals betont wurde, gerade zeigt, dass unser Rechtsstaat funktioniert, ist Ihnen da einfach nur gerade recht gekommen, nach dem Motto: Nützen politische Angriffe, politische Kritik nichts, dann geht es halt einfach ins Persönliche. (Abg. Mag. Stadler: Wer war persönlich? Wer war persönlich?) – Dagegen sprechen wir uns aus, und dagegen werden wir uns auch wehren. (Beifall bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Ursula Haubner: Ein Beispiel für „persönlich“!)

Ich bin froh, dass sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt hat – das war in den letzten Tagen auch schon anders (Abg. Ursula Haubner: Ein Beispiel für „per­sönlich“! – neuerlicher Zwischenruf des Abg. Mag. Stadler) –, dass man die politische Funktion der Justizministerin und die berufliche Tätigkeit der Richterin Bandion-Ortner ganz klar auseinanderhalten muss. Aber in beiden Bereichen, meine sehr verehrten


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Damen und Herren, braucht Claudia Bandion-Ortner keinen Vergleich und auch keine Bilanz zu scheuen.

Beginnen wir einfach bei der Richterin Claudia Bandion-Ortner. Befragen wir Außen­stehende und daher wohl unverdächtige Zeugen!

„Kronen Zeitung“ vom 13. Jänner 2009, Dieter Kindermann:

„Erstmals übernimmt diese Position“ – nämlich jene der Justizministerin – „eine partei­lose Richterin, die bewiesen hat, dass sie unbestechlich ist: Claudia Bandion-Ortner hat eines der größten Wirtschaftsverfahren der Zweiten Republik, den BAWAG-Pro­zess, souverän geführt. Sie hat allen vor Augen geführt, dass Wirtschaftskriminalität, Korruption keine Kavaliersdelikte sind.“

Das war das Urteil über die Richterin Claudia Bandion-Ortner. Oder, „Kleine Zeitung“, Alfred Lobnik, vom 16. Jänner 2009:

„Das Bawag-Urteil ist fertig, das Monster-Verfahren hat sie“ – nämlich Claudia Bandion-Ortner – „mehr als souverän geleitet. Als Richterin kennt sie die Bedürfnisse der Rechtsuchenden aus der täglichen Praxis, ebenso wie die Anliegen aller in der Justiz tätigen Berufsgruppen. Selten dürfte eine österreichische Justizministerin fachlich so gut auf ihre Aufgabe vorbereitet gewesen sein.“

Das ist das Urteil einer unabhängigen Darstellung. (Beifall bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Bucher: Das waren jetzt die Raiffeisen-Medien!)

Oder ganz – ich glaube, auch für Sie – unverdächtig, Bundeskanzler Werner Faymann:

Fairness als oberstes Prinzip der Rechtsprechung – die Richterin Claudia Bandion-Ortner steht für diese Fairness! – So der Bundeskanzler anlässlich der Angelobung unserer Justizministerin.

Was kann man aus diesen Urteilen ableiten, meine sehr verehrten Damen und Herren? – Die Richterin Claudia Bandion-Ortner hat über viele Jahre – allgemein anerkannt – sehr erfolgreich ihr Amt als Richterin ausgeübt. Sie ist in vielen Verfahren tätig gewesen, zuletzt in ihrer beruflichen Tätigkeit als Richterin auch in sehr großen, komplexen Wirtschaftsverfahren. (Abg. Bucher: Das klingt wie eine Abschieds-Laudatio, eine Abschiedsrede!) Es wird Ihnen daher nicht gelingen, auch nicht mit dieser heutigen Dringlichen Anfrage, den Erfolg, die erfolgreiche Tätigkeit der Richterin Claudia Bandion-Ortner anzuzweifeln oder in den Schmutz zu ziehen.

Die Überprüfung von Urteilen und auch deren gänzliche oder auch nur teilweise Abänderung oder Aufhebung ist ein essenzieller Bestandteil unseres Rechtsstaates und ist weder Schande noch ein Rücktrittsgrund.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, nehmen wir doch auch die politische Bilanz der Justizministerin Claudia Bandion-Ortner her! Und auch diese ist sehr beeindruckend: In weniger als zwei Jahren eine ganze Liste von Gesetzesvorhaben. Die Zeit erlaubt mir nicht, Ihnen hier jetzt alle darzustellen. Ich erwähne sie nur beispielsweise: Familienrechts-Änderungsgesetz, Aktienrechts-Änderungsgesetz, Zivil­verfah­rens-Novelle, Gewaltschutzgesetz – eine ganz wichtige Materie im Kampf gegen Kindesmissbrauch und sexuelle Ausbeutung –, Kinderbeistand-Gesetz, im heurigen Jahr die Einführung der Fußfesseln, die erfolgreich angelaufen sind, oder drei Personalpakete für die Justiz mit dem Ergebnis: mehr als 300 zusätzliche Richter und Staatsanwälte für unsere Justiz. – Eine erfolgreiche Bilanz! Die kann sich sehen lassen, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Was Sie hier machen, werte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und vom BZÖ, das ist nicht Politik. Was Sie hier mit Ihrer Vorgangsweise machen, ist das Geschäft


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verurteilter Straftäter. (Abg. Grosz: Die SPÖ ist euer Koalitionspartner!) – Herr Grosz, hören Sie nur zu! – Sie lassen sich vor den Karren von Menschen spannen, die für Milliardenverluste verantwortlich sind, die eine Bank an den Rand des Ruins getrieben haben (Abg. Mag. Stadler: Von welcher Bank reden Sie? Von der Hypo Nieder­österreich? Von der Investkredit? – Welche Bank ist das?) und die den Verlust von Tausenden Arbeitsplätzen und das wirtschaftliche Schicksal der Gewerkschaft bewusst riskiert haben. – Dagegen sind wir!

Daher: Kein Misstrauen gegenüber der Justizministerin, sondern gemeinsame Arbeit für volles Vertrauen in unser Justizsystem und für das Funktionieren dieses Systems! – Danke sehr. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Ing. Westenthaler: Das war der Nachruf des Herrn Donnerbauer!)

16.55


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Dr. Ro­sen­kranz. Ich stelle die Uhr wunschgemäß auf 8 Minuten. – Bitte.

 


16.55.29

Abgeordneter Dr. Walter Rosenkranz (FPÖ): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Regierungsbank! Frau Bundesministerin, nahezu auf der Anklagebank! Trotz der Rede meines Vorgängers werden wir dem Misstrauensantrag nicht zustimmen, obwohl: Dieser Redebeitrag, in dem so viel Sonnenschein an die Wand gemalt wurde, wo in Wirklichkeit doch auch einige Schatten zu sehen sind, hat es an sich etwas schwieriger gemacht.

Aber was diese Dringliche Anfrage und diesen Antrag betrifft: Was erwartet man sich eigentlich davon, wenn vom Kollegen Stadler – ich spreche ihn hier in zweifacher Hinsicht als Kollegen an – eine Frage kommt, die lautet: „Wie begründen Sie die überlange Untersuchungshaft von mittlerweile mehr als drei Jahren ...?“

Wie soll eine Ministerin begründen, was ein Richter zu entscheiden hat? Also ich habe geglaubt, es geht immer um die Gewaltenteilung – es spricht jeder von den drei Gewalten –, aber in der Anfrage selbst wird dieses Prinzip offensichtlich über Bord geworfen.

Es wurde auch sehr viel von der Gewaltenteilung gesprochen, aber aus allen Redebeiträgen – ob das jetzt jener des Kollegen Maier war, ob es jener des Kollegen Donnerbauer war – kommt jetzt die vierte Gewalt, der Journalismus hervor. Also angesichts dessen, was da jetzt schon an Urteilen über die Ministerin gefällt wird – jene, die Sie zitiert haben, oder Ähnliches –, da muss man sich schon fragen, ob wir wirklich nur mehr darauf zu reagieren haben, was uns die Schlagzeile vorgibt oder was nicht. Wir Freiheitlichen glauben, das ist nicht der Fall. (Beifall bei der FPÖ sowie demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der ÖVP.)

Es sind hier Zwischenrufe vonseiten des BZÖ gekommen: Als Kollege Hübner angekündigt hat, dass wir dem Misstrauensantrag nicht zustimmen werden, da wurde auf einmal von Anbiederung und Koalition gesprochen. – Nun, eines wollen wir schon sagen: Wir Freiheitliche grenzen in der politischen Zusammenarbeit niemanden aus, und wir suchen uns daher auch in Zukunft aus, wen wir nach der nächsten Wahl als Junior-Partner in eine Regierung mit hineinnehmen. (Beifall bei der FPÖ. – Ironische Heiterkeit des Abg. Mag. Stadler. – Ruf beim BZÖ: Au weh, au weh! – Abg. Bucher: Wer sind Sie überhaupt? Wer sind Sie? – Eine Witzfigur! Eine lächerliche Witzfigur!)

Das einzige Problem wird sein, dass es das BZÖ dabei nicht mehr geben wird und dass es keine Kategorie, weder in numerischer noch in sonstiger politischer Hinsicht, darstellen wird.


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Zur Frage selbst: Den BAWAG-Prozess jetzt heranzuziehen, weil wir dazu jetzt ein Gutachten seitens der Generalprokuratur vorliegen haben, also bitte! Das ist ein bisschen wenig. Wir haben nämlich offensichtlich noch irgend so etwas Kleines vergessen: Ich glaube, am 22. Dezember soll die Entscheidung fallen. Da gibt es ja so etwas: Oberster Gerichtshof – relativ unbedeutend wahrscheinlich für die meisten, die jetzt diesen Misstrauensantrag machen.

Ich bin jetzt einmal daran interessiert. Warten wir einmal ab, was das oberste Gericht in Österreich in dieser Sache zu sprechen hat, und dann werden wir weitersehen – obwohl das eigentlich mit der Frage der Qualität der ministeriellen Tätigkeit nichts zu tun hat.

Eines muss natürlich klar sein: Die Frage, welche Konsequenzen die Frau Ministerin selbst oder der Herr Vizekanzler zieht, ist von ihnen selbst zu beantworten. Denn das muss man schon wissen: Die Welle der Begeisterung aus dem BAWAG-Prozess hat die Frau Ministerin dorthin gebracht. Nur, nach einer Welle gibt es auch manchmal ein Wellental. Das ist eben jetzt der Fall. Aber die Schlüsse, die daraus zu ziehen sind, und die Entscheidungen, die zu treffen sind, sind persönliche, höchstpersönliche.

Und es sind vielleicht manche, die am Strand diese Welle sehen, ob das der Herr Vizekanzler ist, oder, wie man auch gemunkelt hat, der Herr Raiffeisen-General Konrad. Das ist alles dann deren Problem und deren Sache. Man muss das ja auch der Bevölkerung entsprechend darstellen und darlegen. Und das ist eine hoch politi­sche Entscheidung, aber nicht die Frage eines Misstrauensantrags. Mit dem darf die ÖVP, die ja derzeit besonders erfolgsverwöhnt ist, sich auch zusätzlich auseinander­setzen.

Was die Frage des Falles Natascha Kampusch betrifft, so gibt es in Österreich viele, die sagen, ich kann das eigentlich schon überhaupt nicht mehr hören, dieses „Natascha Kampusch“. Aber es ist eines passiert, und das ist beispielhaft und das geht unser Haus an – wir werden bei einem späteren Tagesordnungspunkt noch dazu kommen –, es geht um die Frage eines Untersuchungsausschusses: Es hat sich, bitte, der ehemalige Präsident des Obersten Gerichtshofs an sämtliche Parlamentsparteien gewandt. Und das muss schon etwas bedeuten für dieses Haus, und ich möchte in der Begründung am Abend dann seitens der Regierungsparteien, wenn das vielleicht niedergestimmt wird, nicht hören, dass sie dann sagen: Wir wollen, dass zuerst die unabhängigen Gerichte entscheiden!

Das glaube ich nicht, denn es gibt nämlich hier gar kein unabhängiges Gericht mehr. Es gibt nämlich nur mehr die Staatsanwaltschaft, die hier ermittelt. – Da sehe ich auch ein Problem. Die Evaluierung der Strafprozessordnung wurde auch bereits ange­sprochen. Ich persönlich muss sagen, mir wäre wahrscheinlich nach den Erfahrungen, die man mittlerweile gemacht hat, das System des Untersuchungsrichters in vielen Belangen hundertmal lieber.

Wenn wir zum Ergebnis kommen, dass sich das nicht bewährt hat, dann sind wir gefordert, das möglichst rasch anzugehen, denn das wäre auch wiederum ein Schritt in Richtung mehr Vertrauen in die Justiz. Ich glaube nämlich, es bringt auch nichts, wenn Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft Wien jetzt von der Staatsanwaltschaft Graz aufbereitet werden und dann, wenn das Dossier von Rzeszut kommt, das Ganze an die Korruptionsstaatsanwaltschaft weitergegeben wird, die sagt, dass sie das nicht machen kann, worauf der Akt dann an die Staatsanwaltschaft Innsbruck geht. Angesichts dieses Ringelspiels der Staatsanwaltschaften, die alle einmal abgeklappert werden, wollen wir das im Parlament eben anders kontrollieren. Das ist eine Aufgabe, die wir als Volksvertreter haben.


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Zu den Fragen Hypo Niederösterreich, Hypo Alpe-Adria, Fall Karl-Heinz Grasser, Prominente und Ähnliches: Es ist vielleicht der Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass diese prominenten verdächtigen prospektiven Straftäter nicht etwa einfach mit einer U-Bahn fahren, dort weißes Pulver verkaufen, von der Polizei erwischt werden und das eine relativ klare Sache ist. Man hat auch noch nicht gesehen, dass Herr Karl-Heinz Grasser irgendwo in einer Diskothek irgendjemanden verprügelt hätte.

Verfahren in diesem Zusammenhang sind relativ einfach, das würde auch schnell gehen. In der Regel sind diese Prominenten aber in Verfahren verwickelt, die wirklich von Undurchsichtigkeit geprägt sind, und das dauert dann halt. Man weiß ja, dass die Mühlen der Gerichtsbarkeit manchmal langsam mahlen, aber dafür entsprechend gerecht. – Damit komme ich auch schon zu einem Problem.

Frau Bundesministerin, Sie haben damit nichts zu tun, weil Sie nicht die Anklage­be­hörde waren. Allerdings wurde immer versprochen, dass es den BAWAG-II-Prozess geben wird, in dem Refco und Ähnliches abgehandelt werden wird. Davon war im Untersuchungsausschuss zu den Banken die Rede. Ihr derzeitiger Kabinettchef hat das gesagt. Wo aber ist das jetzt? Es drohen Verjährungen, und da muss sehr wohl eingegriffen werden!

Gestern war der Rechnungshof hier, und der Präsident hat im Bericht auch darauf hingewiesen, dass man bei den Bezirksanwälten etwas ändern muss, weil Ver­jährungen drohen können. – So weit darf es in unserem Rechtsstaat nicht kommen, dass man sich auf die Langsamkeit der Justiz verlassen kann, wenn man kriminell wird! (Beifall bei der FPÖ.)

Material dazu gibt es genug. – Nachdem Sie vom „sehr verehrten Herrn Vizekanzler“ gesprochen haben, darf ich aus meiner Sicht sagen, dass der verehrte Dritte Präsident Graf ein entsprechendes Buch sozusagen zur Anleitung geschrieben hat. In diesem steht genug darüber, wie man einen zweiten Prozess machen kann. Ich bitte, dieses dann auch an Ihre nachgeordneten Dienststellen weiterzuleiten! Ich darf Ihnen das Buch so geben. (Der Redner überreicht Bundesministerin Mag. Bandion-Ortner ein Buch.) Darin steht genug. Die Einlösung dieses Versprechens ist man uns schuldig geblieben!

Die Frage von Personalentscheidungen wurde auch angesprochen: Natürlich werden Sie dabei beobachtet, und Sie müssen sich als Politikerin auch die Kritik gefallen las­sen, wenn Sie die eine oder andere Personalentscheidung treffen, dass diese mehr oder weniger nach dem Geschmack verschiedener Personen oder Gruppen ist.

Zu den gerichtlichen Testamentsfälschungen in Vorarlberg: Wir glauben nicht gerade, dass die Justizministerin für jegliche kriminelle Energie eines Mitarbeiters im Justiz­bereich verantwortlich gemacht werden kann, so wie man überhaupt für Verbrechen – außer man ist der Anstifter – nicht verantwortlich gemacht werden kann.

Jetzt noch zur Verletzung der Pressefreiheit: Die Rechtsansicht, die Herausgabe der Videobeweise betreffend die Sache Moschitz/Karl-Heinz Strache ... (Zwischenrufe beim BZÖ.) Ich meinte natürlich H.-C. Strache. (Abg. Grosz: Karl-Heinz Strache und H.-C. Grasser! Kennen Sie die? – Weitere lebhafte Zwischenrufe und Heiterkeit beim BZÖ.) – Haben Sie sich wieder ein bisschen beruhigt? Ah, Herr Grosz, Sie sind auch noch da! Das freut uns! Man hat Sie fast ein bisschen übersehen! (Beifall bei der FPÖ.)

Ich möchte etwas feststellen: Wenn Herr Frodl auf die Idee gekommen wäre, die Straftat, die er verübt hat – einen kleinen Mord –, so nebenbei auf Video aufzunehmen und dieses als Informationsmaterial dem ORF zur Verfügung zu stellen, dann hätte man das nach Ihrer Rechtsansicht gar nicht verwerten dürfen. – In Wirklichkeit schützen Sie mit Ihrer Sicht der Dinge Neonazis, die unter Umständen das Verbrechen


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der Wiederbetätigung begangen haben. Das ist Ihre Politik! Das wollte H.-C. Strache aufzeigen. So ist es! (Beifall bei der FPÖ.)

Sie schauen ein bisschen verdattert! Vielleicht nehmen Sie einen kräftigenden Schluck an der Bar, und dann geht es wieder weiter! (Beifall bei der FPÖ.)

17.04


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Dr. Pilz. – Bitte.

 


17.04.34

Abgeordneter Dr. Peter Pilz (Grüne): Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich danke für die schöne Kreation „Karl-Heinz Strache“! Zum Glück haben Sie nicht gleich „Wolf-Christian Strache“ oder anderes aus ihm gemacht! – Das ist einmal ein Punkt.

Zweitens möchte ich kurz auf den wesentlich ernsteren heutigen Vorfall eingehen und einige Fragen an die Justizministerin stellen.

Kollege Stadler, wir sollten zwei Punkte nicht durcheinander bringen: Es hat eine ordnungsgemäße Auslieferung deiner Person in einem Strafverfahren gegeben. Das ist eine Entscheidung des Parlaments, die du zur Kenntnis genommen hast, und es ist ein Strafverfahren geführt worden beziehungsweise wird geführt.

Aber dann ist einiges geschehen, von dem ich ausgehe, dass das alle Fraktionen beun­ruhigt, und ich glaube, diesbezüglich haben wir auch vor einem Jahr keine Ausnahme gemacht. Das wird ja in der Präsidiale noch besprochen, und ich hoffe, dass es hier Konsequenzen geben wird!

Es hat sich mehrerlei herausgestellt.

Erstens wird ein Mitarbeiter eines Parlamentsklubs zu einem Verhör beziehungsweise zu einer Zeugenvernehmung mit der Absicht geladen, den Abgeordneten, dessen Mit­ar­beiter er ist, zu belasten. Die Einvernahme wird von einer Staatsanwältin – und deswegen habe ich auch Fragen an Sie, Frau Bundesministerin, zu stellen – und drei Polizeibeamten durchgeführt. Es gibt auch Hinweise auf einen vierten Polizisten, aber das ist nebensächlich. Der Ort des Verhörs ist ein Büro des Verfassungsschutzes hier im Haus. Die Innenministerin erklärt, als sie auf dieses Verhörzentrum im Parlament angesprochen wird, gegenüber dem Parlament, es handle sich hiebei um eine Serviceeinrichtung. (Zwischenruf des Abg. Kopf. – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Jetzt soll gar nicht bestritten werden, dass es Gefährdungssituationen des Hauses geben kann, in welchen das Haus durchaus Hilfeleistungen vonseiten der Exekutive oder manchmal auch der Strafjustiz braucht. Und ich habe auch keinen Zweifel daran – denn ich kenne einige der Verfassungsschutzbeamten hier im Hause –, dass es sich hiebei um seriöse und redliche Beamte handelt.

Ich meine aber, die Tatsache, dass ein Verhör eines Mitarbeiters hier im Haus erfolgt, erfordert doch, dass wir uns überlegen sollten, ob die Strafverfolgung von Abgeord­neten und ihren Mitarbeitern durch Organe des Justizministeriums und des Innenminis­teriums, das heißt: der Exekutive, hier im Haus stattfinden soll. Hier ist nämlich nicht der Ort der Exekutive, sondern der Ort der Legislative – und auf diese Gewal­tentrennung sollten wir größten Wert legen! (Beifall bei den Grünen.)

Dann ist etwas Erstaunliches geschehen. Kollege Stadler hat heute öffentlich die Protokolle der Zeugenvernehmung verteilt. Ich habe mir das durchgelesen, mir war das bis dahin nicht bekannt. Dieser Mitarbeiter wurde als Zeuge und als Opfer gemäß § 154 StPO unter anderem befragt, ob er bereit ist, in dieser Zeugenvernehmung Abgeordneten Stadler zu belasten. – Er ist dazu nicht bereit und belastet ihn nicht.


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Daraufhin entscheiden Staatsanwältin und anwesende Polizeibeamte, den Status der beiden auszutauschen und auf der Stelle aus dem Beschuldigten Stadler ein Opfer und aus dem Opfer – nämlich dem Parlamentsmitarbeiter – auf der Stelle einen Beschul­digten zu machen. Das geht aus dem Protokoll hervor: Das wird ihm dort noch mitge­teilt. Und er hat selbst ein Protokoll angefertigt, dass er unter Druck gesetzt wurde, einen Abgeordneten zu beschuldigen, und dass ihm von einer Staatsanwältin gedroht wurde, dass er, wenn er nicht bereit ist, mit seiner Unterschrift einen Abgeordneten zu belasten, selbst zum Beschuldigten wird und wegen Verleumdung verfolgt wird, und darauf steht ein Strafrahmen von bis zu fünf Jahren.

Kolleginnen und Kollegen! Ich will nicht das Verfahren bewerten, aber ich bewerte durchaus die Vorgangsweise, die ich für äußerst problematisch halte. Es wird im Rahmen der Präsidiale erstens zu klären sein, ob wir derartige Vorgangsweisen im Hause wollen und dulden, ob dieses Haus ein Haus einer etwas seltsamen Begegnung von Legislative und Exekutive wird oder ob wir der Exekutive durchaus ihre Räume außerhalb des Hauses zuweisen, und zweitens, ob das wirklich akzeptabel ist.

Sie wissen ganz genau, dass ich kein politischer Freund des BZÖ bin. Vor einem Jahr, als wir eine Reihe ähnlicher Fälle hier erörtert haben, die dann zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses geführt haben, war es aber, wie ich glaube, das gut verstandene gemeinsame Interesse aller Abgeordneten, solche Fälle genau zu untersuchen. Ich gehe daher davon aus, dass man das jetzt in der Präsidiale vonseiten aller Fraktionen ernsthaft versucht. Nichts anderes rege ich hier an! Darum ersuche ich.

Ich ersuche die Justizministerin, möglichst noch in dieser Debatte klarzustellen – Sie haben ja die Möglichkeit, sich das anzuschauen, und ich glaube, dass Ihnen dieser Fall nicht unbekannt ist –, ob sie mit der Vorgangsweise Ihrer Staatsanwältin einverstanden ist oder ob das nicht der Fall ist. Ich halte das für eine ganz heikle und wichtige Frage.

Frau Bundesministerin, es wurde hier schon etliches im Zusammenhang mit dem BAWAG-Verfahren und so weiter angesprochen, ich möchte jetzt nicht wieder die ganzen Verfahren aufzählen und auf meiner Meinung nach durchaus berechtigte Kritikpunkte auch im Zusammenhang mit Ihrer Amtsführung hinweisen. Mir ist aber mehreres aufgefallen.

Erstens habe ich mir einmal einen Verhandlungstag im BAWAG-Prozess angesehen. An diesem Tag interessierte mich die Zeugeneinvernahme Martin Schlaffs. – Martin Schlaff ist bekanntlich nicht irgendwer, sondern er wird von den israelischen bis zu den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden verdächtigt, ein wesentlicher Kopf der Europa weit überschreitenden internationalen Wirtschaftskriminalität zu sein. Die öster­reichischen Strafverfolgungsbehörden haben sich in diesem Zusammenhang hoch interessant und hoch problematisch verhalten. Ich schildere kurz meinen persönlichen Eindruck von diesem Prozesstag.

Vor Herrn Schlaff wurde eine Sekretärin des Herrn Elsner einvernommen, und ich habe selten eine derart harte, schonungslose und zum Teil ins Persönliche gehende Einvernahme erlebt. Dieser Frau ist es wirklich nicht gut gegangen, sie war aber alles andere als eine Hauptverdächtige des BAWAG-Komplexes.

Dann wurde Herr Elsner in den Zeugenstand gerufen, und da habe ich mir gedacht: Zum Glück ist es nicht so weit gekommen, dass vom Vorsitz jetzt nur noch eine Frage gestellt wird, nämlich: Dürfen wir Ihnen etwas zu essen und zu trinken bringen? Und: Würden Sie noch weitere Fragen zulassen? (Abg. Öllinger: Da war Schlaff im Zeugenstand, nicht Elsner!?) Entschuldigung! Ich meinte natürlich Schlaff!


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Das war eine Einvernahme, die den Namen Einvernahme nicht verdient hat! Das war der Versuch, einen großen Bogen um einen der Köpfe dieses Komplexes zu machen. Und ich habe noch immer das Versprechen im Ohr: Der Komplex Schlaff wird auch verfolgt werden, und zwar nicht nur im Zusammenhang mit BAWAG II, sondern im Zusammenhang mit einer Reihe äußerst dubioser Geschäfte bis zu den Casinos in Jericho und den Telekom-Geschäften in Serbien und in Bulgarien. Es ist aber über­haupt nichts geschehen! Frau Bundesministerin! Es wurde Ihnen zu Recht einige Male vorgeworfen, dass auch in Ihrer Zeit nichts geschehen ist. Sie haben das nicht erfunden, aber Sie führen das System fort, nämlich dass um politisch wichtige Haupt­verdächtige große Bögen gemacht werden!

Es hat sich in diesem Zusammenhang ein österreichisches System herausgebildet, nämlich das Sündenbock-System. Wenn ein Fall überhaupt unhaltbar wird, dann wird nicht gegen alle ermittelt und dann werden nicht alle Beschuldigten gleich behandelt, sondern dann ist man bereit, einen zu opfern, zum Beispiel Elsner für den gesamten BAWAG-Komplex oder Kulterer für den gesamten Hypo-Komplex. (Abg. Hornek: Er war rein zufällig Vorstandsvorsitzender!)

Jetzt ist halt einmal Meischberger dran, und im Zweifelsfall, nachdem er für die Partei nicht mehr so wichtig ist, wird man vielleicht auch Herrn Karl-Heinz Grasser opfern. Das ist noch nicht klar. Aber auch Sie können nicht erklären, Frau Justizministerin, warum da bis jetzt nichts geschehen ist, warum es keine Hausdurchsuchung, sehr späte Kontenöffnungen und keine Gesprächsüberwachung in der Anfangsphase der Ermittlungen gab!

Dass die Justizministerin beliebt ist, wie der Abgeordnete von der ÖVP gesagt hat, mag stimmen! Die Frage ist nur: Wo hat sich die Justizministerin beliebt gemacht? (Abg. Grosz: Zum Beispiel auf dem „Jägerball“!) Meine persönliche Ansicht ist, Frau Bundesministerin, dass Sie sich zum Teil wirklich bei den Falschen beliebt gemacht haben! Sie hätten sich bei den Menschen beliebt machen sollen, die im Rechtsstaat vor allem etwas wollen, nämlich die Gleichbehandlung aller Bürgerinnen und Bürger vor dem Gesetz.

Dass das nicht funktioniert, ist nach wie vor der Hauptmangel der Justiz. Wir haben nicht das Problem, dass wir zu wenig gute, hoch qualifizierte und gut ausgebildete Staats­anwälte und Staatsanwältinnen haben. Wir haben immer noch zu wenig, aber wir haben viele davon. Wir haben jedoch ein Justizsystem, das die Gleichheit vor dem Gesetz und gleiches Recht für alle noch immer nicht zulässt, weil viele dieser Verfahren nach wie vor von der Spitze her politisch in eine Richtung gesteuert werden. (Präsidentin Mag. Prammer gibt das Glockenzeichen.)

Frau Präsidentin, ich bringe meinen letzten Satz: Die ganz großen Vorhaben, Frau Ministerin, die insbesondere in der Korruptionsbekämpfung vor Ihnen liegen, können nur von einer Justizministerin durchgeführt werden, die ihre volle Kraft und ihr volles Gewicht ins Amt einbringen kann. Sie haben dieses Gewicht nicht mehr! Sie haben dieses Ansehen nicht mehr! Als lahme Ente werden Sie diese großen Reformen nicht durchführen können. (Präsidentin Mag. Prammer gibt neuerlich das Glockenzeichen.)

Machen Sie daher Platz für eine handlungsfähige Justizministerin, die dem Rechtsstaat bessere Dienste erweisen kann als Sie! (Beifall bei den Grünen. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

17.15


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Abgeordneter Scheibner gelangt nun zu Wort. Ich stelle die Uhr wunschgemäß auf 6 Minuten. – Bitte.

 



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17.15.25

Abgeordneter Herbert Scheibner (BZÖ): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Justizministerin! Sie haben eingangs in Ihren Ausführungen verlangt beziehungs­weise darum ersucht, dass wir Sie als Politikerin an Ihren politischen Handlungen messen sollen. – Genau das tun wir, Frau Justizministerin!

Ich möchte auch nicht an die Vorschusslorbeeren anschließen, die Klubobmann Kopf hier zur Sprache gebracht hat. Ihre Vorschusslorbeeren waren natürlich die Führung des BAWAG-Prozesses. Wir alle haben Ihnen Vorschusslorbeeren zugestanden. Wir alle sind auch immer sehr vorsichtig bei der Beurteilung einer Justizministerin und sind sehr froh, wenn es eine unabhängige Justizministerin oder einen unabhängigen Justizminister gibt, so wie es in der Vergangenheit tatsächlich viele unabhängige Justizminister gegeben hat.

Aber gerade als Politikerin müssen Sie sich an Ihren Handlungen messen lassen, und die Beispiele, die jetzt gebracht wurden, zeigen doch, dass es von Ihrer Seite zu wenig Aufsicht gibt. Es geht um die Aufsicht der Justiz: Dort wo es Missstände gibt, muss eine Justizministerin eingreifen, nicht bei den unabhängigen Gerichten, aber bei den weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften. Das, was sich hier abspielt beziehungs­weise abgespielt hat, kann nicht akzeptiert werden und kann nicht nur lapidar mit vorgelesenen Statements abgetan werden!

Der Fall des Abgeordneten Stadler wurde hier schon angeführt. Es gibt aber einen weiteren Fall. Wir alle haben hier sehr intensiv den Listerien-Skandal mit 14 Toten, der ins Gesundheitsministerium reicht, diskutiert. Frau Justizministerin, wir hören wenig über Ermittlungen gegen die Täter beziehungsweise Beschuldigten in diesem Skandal! Es gab 14 Tote, und angeblich wurde ermittelt! (Abg. Grillitsch: Das betrifft das Gesundheitsministerium!)

Lieber Kollege, jetzt wäre es einmal besser, ein bisschen ruhig zu sein! Es wurde näm­lich nicht beziehungsweise zu wenig und noch nicht abschließend gegen jene ermittelt, die für 14 Tote in diesem Land verantwortlich sind. Es wurde gegen eine Referentin im BZÖ-Parlamentsklub ermittelt, woher sie denn die Informationen hatte, die zur Aufdeckung dieses Skandals geführt haben, also wegen Geheimnisverrats. Das ist der Skandal! Es wird gegen die ermittelt, die aufdecken, und nicht gegen die, welche die Täter sind. Das kritisieren wir! (Beifall beim BZÖ.)

Meine Damen und Herren! Abgeordneter Petzner wurde heute auch von Ihnen wegen seiner Ausführungen kritisiert, und es ist interessant, wenn aus den ÖVP-Reihen dann Drohungen gegen ihn kommen und gesagt wird, dass einer, der so viel Dreck am Stecken hat wie er, sich nicht hier herausstellen und die Justiz kritisieren soll. Das wurde von einem Abgeordneten der ÖVP gesagt. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Und zufälligerweise bekommt derselbe Abgeordnete Petzner über einen Bekannten eine Drohung aus der Staatsanwaltschaft Wien: Über ein Telefonat heißt es, er solle die Justiz nicht kritisieren. Es sei nicht ratsam, sich mit der Justiz anzulegen, das solle er sich merken.

Frau Justizministerin, ist das die Justiz, die wir uns alle erwarten und wünschen und wozu Sie nichts zu sagen haben? Wie gibt es das, diesen Staat im Staat? Es geht um das Vertrauen in die Justiz, in eine unabhängige Justiz, von der die Täter verfolgt, aber nicht die Opfer kriminalisiert werden! Das würden wir uns alle von einer unabhängigen Justiz erwarten. (Beifall beim BZÖ.)

Es gibt viele Punkte, an deren Beispiel dieses Ungleichgewicht zu diskutieren ist. Es wurde schon angesprochen, dass bei der Hypo Niederösterreich die Verfahren einge­stellt werden sollen und dass in das Verfahren Hypo Alpe-Adria Legionen von CSIs und Staatsanwälten geschickt werden. – Das ist gut! Es soll aufgeklärt werden.


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Komisch ist nur, wenn in diesem Fall jeder Ermittlungsschritt sofort in der Öffentlichkeit bekannt ist und an die Medien kommt und Sie nur sagen, dass man das nicht vergleichen kann, weil die Volumina anders sind. Ich glaube, bei Delikten wie Untreue, Bilanzfälschungen et cetera geht es nicht um die Volumina, sondern um das Delikt.

Und es geht um die politische Verantwortung, Frau Bundesministerin! Sie haben heute hier die Unwahrheit gesagt. Sie haben das vorgelesen, vielleicht war das nicht Ihre Stellungnahme, aber wenn Sie sagen, in der Causa Haider hätten Sie das auch nur aus den Medien erfahren und das hätten Sie auch so gesagt, dann ist das die Unwahrheit!

Ich zitiere aus der Abschrift des „Morgenjournals“ im ORF am 2. August um 7 Uhr. Sie sind dort gefragt worden, wie Sie zu diesen Vorwürfen gegen den toten Jörg Haider, 45 Millionen € an Konten in Liechtenstein zu haben, stehen.

Darauf haben Sie, Frau Justizministerin, wörtlich gesagt: „Ich habe auch genauso erst vor kurzem davon erfahren. Wie man merkt, passiert auch einiges in der Justiz. Es werden Konten geöffnet, es finden Hausdurchsuchungen und Ermittlungen statt.“

Das heißt, Sie haben die Justiz noch gelobt dafür, dass anscheinend und angeblich Haider-Konten gefunden wurden.

Sie haben dann weiters gesagt, dass man noch nicht weiß, woher das Geld ist, ob es sozusagen aus legalen oder aus illegalen Quellen ist, dass das jetzt Gegenstand von Ermittlungen ist (Zwischenrufe beim BZÖ) und dass Sie davon überzeugt sind, dass die Staatsanwaltschaft und die ermittelnden Behörden das aufdecken werden.

Frau Justizministerin, Sie haben damals falsche Meldungen in der Öffentlichkeit legitimiert! (Beifall beim BZÖ.)

Da ist ein toter Jörg Haider beschmutzt worden, denn danach haben die Liechten­steiner gesagt, dass es gar keine Ermittlungen gibt, dass es keine Konten gibt. Erst dann hat man das alles umgedreht, und plötzlich ist herausgekommen, dass Fiktionen in einem Notizbuch des Herrn Meischberger die einzige Grundlage für die Verdächtigungen waren. (Abg. Mag. Stadler: Vom Hörensagen!)

Sie haben nicht gesagt, dass Sie das selbst aus den Medien erfahren haben, sondern Sie haben mit Ihrer Meldung noch die Justiz dafür gelobt, dass sie das aufgedeckt habe.

Frau Justizministerin, allein das wäre Grund genug für einen Misstrauensantrag – es gibt aber auch noch viele andere. Es geht um Ihre politische Verantwortung für eine Justiz, die ein Staat im Staat geworden ist. Und das wollen und können wir nicht zulassen! (Beifall beim BZÖ.)

17.21


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nun gelangt Frau Abgeordnete Mag. Wurm zu Wort. Ich stelle die Uhr auf 5 Minuten. – Bitte.

 


17.22.03

Abgeordnete Mag. Gisela Wurm (SPÖ): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Ministerin­nen! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! In der heutigen Debatte wurden schon viele Denker, Philosophen, Literaten zitiert. Ich möchte einen hinzu­fü­gen, nämlich Friedrich Dürrenmatt. Friedrich Dürrenmatt hat gesagt: „Die Gerechtigkeit wohnt in einer Etage, zu der die Justiz keinen Zutritt hat.“

Sie erinnern sich vielleicht an das Buch „Justiz“, vielleicht auch an die Verfilmung mit Maximilian Schell – ein sehr zu Herzen gehendes Buch und ein ebensolcher Film.


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Wir haben heute hier philosophiert über die dritte Staatsgewalt, eventuell die vierte Staatsgewalt, über Gerechtigkeit, darüber, was Justiz mit Gerechtigkeit zu tun hat, und so weiter, über die persönliche Integrität, auch die persönliche Integrität der Justiz­minis­terin. Ich bin nicht dafür, dass man Menschen – egal, in welcher Funktion sie sind – persönlich angreift.

Damit bin ich schon beim Herrn Klubobmann Kopf, der hier der große Zensor sein wollte und zu unserer Präsidentin gesagt hat, dass sie auf Herrn Stadler hereingefallen ist, als sie gestern – meines Erachtens zu Recht – darauf hingewiesen hat, dass sie sofort gehandelt hat. Die Frau Präsidentin hat einerseits mit der Justizministerin telefoniert und das andererseits – für den Fall, dass sich diese Verdachtsmomente erhärten – als inakzeptabel verurteilt, und dafür ist ihr zu danken. Da kann niemand etwas anderes sagen! Ich bin froh darüber, dass Sie, Frau Präsidentin, so gehandelt haben! (Beifall bei SPÖ und BZÖ sowie des Abg. Dr. Van der Bellen.)

Klubobmann Kopf hat hier an dieser Stelle auch darauf hingewiesen, dass es vielleicht Mängel gegeben hat. Diese sind in der Ära Böhmdorfer zu suchen. Damals wurde nämlich die Strafprozessreform hier im Haus debattiert. Es wurde lange darüber gesprochen. Wir hätten uns von der Intention her schon mit diesem Gesetz anfreunden können, wenn verschiedene Mängel beseitigt worden wären. Unsere Fraktion hat dann nicht zugestimmt und hat einen umfassenden Minderheitsbericht verfasst, der Ihnen vorliegt, den Sie sich anschauen können. Das ist etwas, über das wir nach wie vor diskutieren müssen, wenn der Evaluierungsbericht in den Justizausschuss kommt.

Es geht darum, dass – das haben wir damals schon gesagt – genügend finanzielle Ressourcen vorhanden sein müssen, um bei den Staatsanwälten eine entsprechende Personalaufstockung vornehmen zu können. Es geht um die Rolle von Kriminalpolizei und Justiz – da ist etwas änderungsbedürftig. Es geht auch um die Frage der Opfer­rolle – dazu habe ich damals einen Antrag eingebracht –, und, und, und. Da haben wir Handlungsbedarf, da ist einiges zu tun, da sollten wir novellieren.

Frau Bundesministerin, das, was ich nicht verstehe, ist, warum Sie – und es ist nicht gut, wenn die Justiz ins Gerede kommt – in diesem Zusammenhang unserem Vor­schlag nicht beitreten können, nämlich einen Bundesstaatsanwalt einzusetzen. Ich rede von einem Bundesstaatsanwalt – für diese Funktion gibt es seit nahezu zehn Jahren Konzepte, die Ihnen und auch der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Dieser Bundesstaatsanwalt sollte – so wie Sie auch – als Exekutive dem Parlament gegenüber selbstverständlich berichtspflichtig sein. Dann bräuchten Sie sich nicht mehr um einzelne Strafsachen kümmern. Die Staatsanwaltschaft würde von einem weisungsungebundenen Kontrollorgan beaufsichtigt, und das täte der Justiz, der dritten Gewalt im Staate, davon bin ich überzeugt, um vieles besser als das derzeitige System.

Kollege Maier hat schon ausgeführt, dass die Justiz ins Gerede gekommen ist. Die Menschen haben nicht mehr so großes Vertrauen in die Gerichtsbarkeit. Hier haben wir Handlungsbedarf, hier haben wir zu agieren.

In der letzten Zeit ist viel geschehen. Ich erinnere an den großen Justizgipfel – ich glaube, er hat am 26. August stattgefunden –, bei dem darauf abgestellt wurde, dass mehr Geld für die Justiz zur Verfügung steht, und, und, und. Es wurden selbst­verständlich Reformschritte eingeleitet. Frau Minister, Sie haben ein mir sehr wichtiges Gesetz nicht erwähnt: das Gewaltschutzgesetz. (Zwischenruf des Abg. Amon.) Eine sehr wichtige Maßnahme für sehr viele vor allem weibliche Opfer.


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Es ist viel gemacht worden, der Reformwille sollte uns aber nicht abhandenkommen. Der weisungsunabhängige Bundesstaatsanwalt wäre der richtige Schritt in die richtige Richtung. (Beifall bei der SPÖ.)

17.27


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Als Nächster gelangt Herr Abgeordneter Hornek zu Wort. – Bitte. (Abg. Mag. Stadler  in Richtung des sich zum Rednerpult begeben­den Abg. Hornek –: Das nenne ich Mut!)

 


17.27.25

Abgeordneter Erwin Hornek (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Mit­glieder der Bundesregierung! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Dring­liche Anfrage gibt die Möglichkeit, einige Klarstellungen zu treffen.

Das BZÖ versucht permanent, Vergleiche zwischen der Landesbank Niederösterreich und der Hypo Alpe-Adria zu ziehen. Mit Ausnahme der Tatsache, dass es sich dabei um zwei Landesbanken handelt, gibt es keine vergleichbaren Tatbestände. (Abg. Mag. Kogler: In Niederösterreich sind die Spekulanten eh schon in der Regierung!)

Massiv wird kritisiert, dass es da zu Unzulänglichkeiten gekommen ist. Es wurde in dieser Hinsicht seitens des Rechnungshofes sehr detailliert geprüft.

Ich zitiere aus dem Rechnungshofbericht der Reihe Niederösterreich 2010/5, Vorlage am 30. Juni 2010, in Bezug auf die Veranlagung der Wohnbaugelder des Landes Niederösterreichs, wo es heißt:

„Die Performance der veranlagten Gelder unterschritt bis Ende 2008 das langfristige Ergebnisziel des Landes ...“ – Ich halte ausdrücklich fest: das selbst gesetzte Ziel des Landes Niederösterreich!

Weiter heißt es dann: „Der Nettovermögenswert der Fonds zum Ende 2008 zuzüglich sämtlicher Auszahlungen an das Land wies im Vergleich zum Anfangsbestand einen positiven Saldo von 66,71 Mill. EUR auf.“

Damit ist klar und deutlich unter Beweis gestellt, dass es da zu keinen Spekulations­verlusten gekommen ist. (Beifall bei der ÖVP.)

Faktum ist, dass diese Landesbank keine Steuermittel in Anspruch nehmen musste, wie dies jedoch bei anderen Banken, etwa der Bawag, der Kommunalkredit und anderen, der Fall war. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt viele Unternehmer, die sich einen höheren Gewinn wünschen, aber bedauerlicherweise muss man manchmal auch mit einem niedrigeren Gewinn zufrieden sein. (Abg. Dr. Wittmann: Sehr unglücklich!) Viele Banken in Österreich hätten sich in den schwierigen Zeiten, die wir jetzt hatten, gewünscht, in ihrer Bilanz, in Bezug auf ihre Bilanzberichte den Begriff „positiv“ zu finden.

Besonders bemerkenswert ist, dass gerade das BZÖ hier diese Thematik in den Mittel­punkt stellt. Das BZÖ und das gesamte Land Kärnten müssten doch dem österreichi­schen Steuerzahler in höchstem Maße dankbar sein, denn ohne Unterstützung durch den österreichischen Steuerzahler, der binnen kürzester Zeit den enorm hohen Betrag von 1,4 Milliarden € zur Eigenmittelstärkung zur Verfügung gestellt hat, wäre die Landesbank in Kärnten leider insolvent geworden. – Da nützt Ihr Kopfschütteln, Herr Kollege Petzner, überhaupt nichts!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man sich wundert, dass da intensiv geprüft wird, muss man aber schon auch bedenken, dass die Bayerische Landesbank definitiv 3,7 Milliarden € verloren hat! Und wenn man in den letzten Tagen die Diskus­


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sionen in diesem Haus in Bezug auf das Budget verfolgt hat, muss man sagen, dass das Dimensionen sind, die dem Sparziel der Republik Österreich in Bezug auf Budgetoptimierung sehr nahe kommen.

Festzuhalten ist, dass die ehemaligen Eigentümer der Landesbank in Kärnten ihre Aufgabe als Eigentümervertreter sträflich vernachlässigt haben. (Zwischenruf des Abg. Petzner.) – Herr Petzner, wenn Sie hier gewesen wären, hätten Sie bereits die Infor­mationen entgegennehmen können.

Faktum ist, dass auch die Geschäftsführung der Hypo Alpe-Adria da ihre Sorgfalt offenkundig nicht entsprechend wahrgenommen hat.

Geschätzte Damen und Herren! Es gibt sehr, sehr viele offene Fragen. Es geht da um extrem viel Geld. Noch niemals zuvor in der Geschichte Österreichs hat eine Bank ein gesamtes Bundesland beinahe an den finanziellen Abgrund gebracht. (Zwischenruf des Abg. Jury.) Daher ist es legitim und gerechtfertigt, dass bei diesem enormen Volumen genau geprüft wird. (Zwischenruf des Abg. Petzner.) Es gibt überhaupt keinen Ansatz, der Justiz da zu misstrauen. Dieser Aufwand ist notwendig.

Herr Petzner! Faktum ist, dass die Kärntner allen österreichischen Steuerzahlern in höchstem Maße dankbar sein können. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Petzner: Niederösterreich hat die höchsten Schulden! – Abg. Krainer: So schlimm hätte ich die Hypo Niederösterreich nicht eingeschätzt!)

17.32


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nun gelangt Herr Abgeordneter Dr. Königshofer zu Wort. Ich stelle die Uhr auf 8 Minuten; das ist die Gesamtrestredezeit. – Bitte.

 


17.32.20

Abgeordneter DDr. Werner Königshofer (FPÖ): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank! Hohes Haus! Man muss schon feststellen: Es ist einiges faul im Justizministerium der Republik Österreich!

Ich möchte Ihnen drei Gruppen von Sachverhalten bringen, die so im Ministerium nicht weiter zu dulden sind. Ich würde Sie, Frau Minister, bitten, sich ernsthaft darum zu kümmern.

Punkt eins: Es gibt ein System, das sich vor allem im Osten Österreichs breitgemacht hat, und Sie dürften offenbar ein Teil dieses Systems oder die Spitze des Systems sein. Das ist das System Dr. Schön, des damaligen Oberstaatsanwaltes, bei dem sich manche Staatsanwälte und einige Rechtsanwälte und Strafverteidiger zusammentun, um sich in Strafsachen sogenannte Wunschstaatsanwälte zu suchen, die dann unzu­stän­digerweise Strafsachen im Sinne der entsprechenden Klienten abwickeln.

Meine Damen und Herren! Das ist ein reiner Widerspruch zur Rechtsordnung und zum Rechtsstaat. Sie sollten einmal nachschauen, Frau Minister, wie sich im Osten Österreichs da die Dinge in Strafverfahren abspielen. (Beifall bei der FPÖ.)

Ich bringe Ihnen dazu beispielhaft einen Fall, den Fall der Frau Schörghuber gegen ihren Ex-Ehemann, Rechtsanwalt Dr. Zanger. Wenn Sie sich dieses Verfahren, das Frau Schörghuber aufgezeigt hat, ansehen, werden Sie erkennen, dass es sich hier so abspielt und dass es da auch zur „Umkehr“ von Beschuldigtem und Geschädigtem kommt, dass der Geschädigte oft in die Rolle des Beschuldigten gedrängt wird.

Meine Damen und Herren, es ist auch nicht so, dass die Staatsanwälte nach dem Zu­fallsprinzip allein ausgesucht werden. Ihr Staatsanwalt, Frau Ministerin, Mag. Krakow, war nicht umsonst bei den meisten wichtigen Wirtschaftsverfahren tätig, bei Libro, AMIS, BAWAG und anderen.


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Schauen Sie darauf, Frau Minister, dass die Auswahl der Staatsanwälte objektiv erfolgt und dass ein solches Zusammenwirken zwischen Staatsanwälten und Rechtsanwälten in Zukunft nicht mehr stattfinden kann!

Das Zweite, das ich ansprechen möchte, ist der BAWAG-Prozess, nämlich der Straf­prozess gegen die Herren Elsner, Flöttl, Zwettler, Nakowitz und so weiter, den Sie geführt haben und wo sicherlich noch einige Dinge hinterfragenswert sind, vor allem in Bezug auf das Ende dieses Prozesses.

Es wurde heute vom Kollegen Stadler schon gesagt: Die Urteile waren noch gar nicht geschrieben, wurden Sie schon zur Ministerin ernannt. Sie haben dann die Urteile fertig geschrieben und wurden dann als Ministerin angelobt. All die Urteile sind bis heute noch nicht rechtskräftig, aber Sie sind die Chefin des Justizministeriums, die Chefin der Anklagebehörde, der Staatsanwaltschaft, und somit auch weisungsberech­tigt gegenüber der Staatsanwaltschaft.

Das heißt, in diesem BAWAG-Prozess waren Sie Richterin und sind Sie jetzt auch Anklägerin. Meine Damen und Herren, wir nähern uns damit dem inquisitorischen Prinzip: Richter und Ankläger.

Meine Damen und Herren, da stimmt etwas im Rechtsstaat nicht! Und Sie, Frau Ministerin, sollten darauf einmal eingehen und diese Ihre Rolle in diesem Prozess hinterfragen.

Es ist auch abzuklären, warum in diesem Verfahren nur ein Mann in U-Haft genommen wurde, nämlich Herr Elsner. Ich bin kein Freund des Herrn Elsner, ich bin weder verwandt noch bekannt mit ihm, aber ich muss feststellen, dass mit den vier Jahren Untersuchungshaft für einen alten kranken Mann die Unmenschlichkeit zum Prinzip erhoben wurde.

Meine Damen und Herren, man muss die ganze Sache einmal dahin gehend hinter­fragen, ob da nicht wirklich das Sündenbockmodell gespielt wird und andere Mitange­klagte freigespielt werden.

Ich spreche nur einen Mitangeklagten, Herrn Flöttl jun., an und die Sequenz in dem Prozess, wo Flöttl gefragt wurde, wohin denn die Gelder, die ihm von Elsner und der BAWAG anvertraut wurden, verbracht wurden. Darauf sagte er, der Computer wäre ihm abgestürzt und er könne keine Antwort mehr geben.

Frau Minister, als Richterin hat Ihnen das genügt?! – Hätte man nicht fragen können, ob es nicht Gegenbuchungen gibt? (Abg. Mag. Stadler: Das wollte gar niemand wissen!) Wo hat Herr Flöttl jun. die Gelder veranlagt, bei welcher Bank, bei welcher Investmentfirma, bei welchem Broker? – Es wurde überhaupt nichts hinterfragt, man hat sich damit zufrieden gegeben.

Aber ich darf Sie auf einen Artikel aufmerksam machen, der vor vier oder fünf Jahren im „profil“ erschienen ist, in dem die Sache auch unter diesem Aspekt beleuchtet wurde. Dort wurde geschrieben, dass Herr Flöttl jun. dreimal einen größeren Kredit bei der Meinl Bank aufgenommen hat: einmal zum Kauf einer Yacht, einmal zum Kauf eines Flugzeuges und einmal zum Ankauf einer teuren Liegenschaft in der Londoner City. Und immer dann, wenn Flöttl jun. einen größeren Verlust aus Anlagespekula­tionsgeschäften seinen Auftraggebern in der BAWAG bekannt gegeben hat, wurde einer der Kredite bei der Meinl Bank zurückgeführt.

Man kann sich sein Bild, seinen Reim darauf machen oder nicht, auf jeden Fall sind das Sachverhalte, die hinterfragenswert sind.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 168

Das Dritte ist der Fall Kommunalkredit. Meine Damen und Herren, es kann nicht so sein, dass man die Kleinen hängt und die Großen laufen lässt. Ich darf Ihnen nur ein Beispiel dazu bringen.

Letzte Woche wurde in Tirol ein kleiner Raiffeisen-Banker der Raiffeisenbank Wattens zu vier Jahren Strafhaft verurteilt, weil er ein Kreditvolumen von 900 000 € dubios vergeben hätte. (Abg. Mag. Stadler: Das ist das Sündenbockprinzip!) Vier Jahre, davon ein Jahr unbedingt!

Und auf der anderen Seite haben wir den Fall der Kommunalkredit. Frau Ministerin Dr. Claudia „Hase“ – zwischen Klammern: weiß von nichts –, vormals Schmied, war in der Zeit von 2004 bis 2007 gemeinsam mit einem Innsbrucker, Dr. Reinhard Platzer, Chefin der Kommunalkredit. Und genau in dieser Zeit sind die riesigen Spekulations­geschäfte initiiert worden. Frau Ministerin Schmied müsste sich daher auch ihrer Verantwortung stellen.

Wir, Dr. Martin Graf, ich und einige andere Abgeordnete, haben bereits im März 2009 eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Wien geschickt. Wir haben bis heute nicht gehört, was daraus geworden ist.

Ich sage es Ihnen noch einmal: Es kann nicht so sein, dass man die Kleinen wegen 900 000 € „hängt“, und die Großen, die verantwortlich sind für Milliardenverluste, für die der Staat und der Steuerzahler aufkommen muss, laufen lässt.

Ich darf abschließend Folgendes sagen: Frau Minister Schmied hat sich in der Kom­munalkredit noch einen Pensionsvertrag herausverhandelt, durch den sie im Jahr 308 000 € brutto bekommt. Das sind 14-mal im Jahr 17 175 €, das sind netto etwa 12 000, 13 000 € monatlich, 14-mal im Jahr. Und das für ein Milliardendesaster (Prä­sidentin Mag. Prammer gibt das Glockenzeichen), das sie bei der Kommunalkredit veranlasst hat, worunter die ÖVAG, die Muttergesellschaft, heute noch leidet. (Beifall bei der FPÖ. – Abg. Mag. Stadler: Aber ... warum stimmt ihr dann gegen den Misstrau­ens­antrag?)

In diesem Sinne möchte ich, dass Sie da einmal nachschauen und die Dinge auf­klären. – Danke. (Beifall bei der FPÖ)

17.40


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Abgeordneter Dr. Walser gelangt nun zu Wort. Ich stelle die Uhr wunschgemäß auf 5 Minuten. Gesamte Restredezeit Ihrer Frak­tion sind 6 Minuten. – Bitte.

 


17.41.04

Abgeordneter Dr. Harald Walser (Grüne): Frau Präsidentin! Geschätzte Mitglieder der Bundesregierung! Hohes Haus! Das Vertrauen in die Justiz, das ist heute mehrfach erwähnt worden, hat in den letzten Jahren – Frau Ministerin, daran sind nicht nur Sie schuld – erheblich gelitten.

Ich habe Ihnen im Justizausschuss von einer Podiumsveranstaltung in Feldkirch berichtet, wo sowohl der Präsident des Landesgerichts als auch der Präsident der Notariatskammer, der Oberstaatsanwalt und führende Vertreter der Justiz in Vorarlberg nahezu physisch attackiert worden sind von aufgebrachten Menschen, von durchaus verzweifelten Menschen, von Menschen, die das Gefühl haben, sie können der Justiz nicht mehr vertrauen, von Menschen, die das Gefühl haben, dass sie selber zum Teil um Hab und Gut gekommen sind. Die Fälle sind für mich als Zuhörer und Teilnehmer an dieser Diskussion natürlich schwer nachvollziehbar oder objektivierbar gewesen, aber das Gefühl herrscht vor.


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Sie haben in dieser Situation bei einem Skandal, der mittlerweile ein Jahr andauert, eine Rolle gespielt, die Ihrer Funktion als Ministerin nicht gerecht wird. Wenn ich von ÖVP-Seite heute gehört habe, es habe sich in dieser Testamentsaffäre um individuelle Fehler gehandelt – individuelle Fehler! –, also individuelles Fehlverhalten, so muss ich sagen, es handelt sich um kriminelles Verhalten von Mitgliedern, ohne das jetzt vor­verurteilen zu wollen, des Justizapparats.

Wir müssen uns vorstellen, dass die Vizepräsidentin des Landesgerichts betroffen ist, dass der Vorsteher des Bezirksgerichts Bludenz inzwischen suspendiert ist, dass Richter am Bezirksgericht Feldkirch betroffen sind, Staatsanwälte betroffen sind, Rechts­anwälte – diese gehören auch irgendwie zum Rechtsapparat dazu – betroffen sind. Da dürfen wir uns natürlich nicht wundern, wenn das Vertrauen in diese Justiz nicht mehr vorhanden ist und die Menschen das Gefühl haben, dass es sich hier um ein regelrechtes Netzwerk handelt, das sie im entscheidenden Fall um ihr Hab und Gut und um ihre Rechte bringt. (Zwischenruf des Abg. Grillitsch.)

Und was haben Sie, Frau Ministerin, in dieser Situation getan? Was tun Sie jetzt? – Denken wir zurück an den letzten Justizausschuss: Sie schieben die Schuld nicht nur im Justizausschuss, sondern dann auch noch gegenüber der Presse in Vorarlberg, Sie schieben den Ball den höheren Beamten oder den höchsten Richtern zu. Sie sagen: Dr. Pilgermair wird in die Pflicht genommen in dieser Situation. – Ja, so einfach können Sie sich das nicht machen! Sie haben hier seit einem Jahr die Verantwortung.

Sie haben hier seit einem Jahr eigentlich überhaupt nichts getan. Sie haben beispiels­weise nach wie vor nicht geklärt, warum Sie diesen Fall nicht sofort an die Korrup­tionsstaatsanwaltschaft übergeben haben. Sie haben in mehreren Anfragen, Sie haben im Justizausschuss immer wieder dasselbe gesagt: Sie können das nicht tun. – Natür­lich, die Generalprokuratur kann das machen! Wir wissen das, und Sie formulieren über diese Angelegenheit einfach hinweg. Sie nehmen Ihre Verantwortung in diesem Zusammenhang nicht wahr.

Sie nehmen Ihre Verantwortung auch nicht wahr, was die Geschädigten in dieser Angelegenheit betrifft. Es gibt sehr vernünftige Vorschläge, und – man höre und staune! – es sind die Rechtsanwälte der mutmaßlichen Täter, die diese Vorschläge machen, etwa auf Einrichtung eines Fonds für die Geschädigten. Es gibt ja die Zusage, dass sie hier mitwirken, damit die Geschädigten rechtzeitig beziehungsweise früher zu ihrem Recht, zu ihrem Besitz kommen.

Es gibt die Petition des Rechtsanwaltes Mennel, der mir sagt, er bekommt nicht einmal eine richtige Antwort von Ihnen. Ich habe Ihnen in den letzten Tagen auch Briefe von Personen aus Vorarlberg übermittelt, die nicht einmal mehr das Vertrauen haben, dass ihre Beschwerden auch bei Ihnen landen.

Also, hier herrscht wirklich eine Situation, in der viele, viele Menschen das Vertrauen in die Justiz verloren haben und in der Sie seit einem Jahr schlicht untergetaucht sind. Gesehen hat man Sie bei der Eröffnung der Bregenzer Festspiele, ansonsten war in dieser Angelegenheit sehr wenig von Ihnen zu hören. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Was wäre zu tun? – Die Sonderrevision des Oberlandesgerichts Innsbruck hat ihre Arbeit vollbracht. Das ist aber, bitte, nicht genug! Es pfeifen die Spatzen von den Dächern, dass hier intensivere Untersuchungen angestellt werden müssen. Es ist vollkommen klar, dass hier eine breit angelegte Untersuchung aller Testamente zu erfolgen hat, dass hier auch Historiker mit in das Geschehen einzubeziehen sind, damit wir auch wirklich in der Lage sind, alle Zweifel auszuschließen, dass es nicht noch weitere Leichen in diesem Justizkeller gibt.


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Diese Behörde ist zeitlich und personell extrem belastet. Sie ist personell nicht in der Lage, diese Vielzahl an Aufgaben auch wirklich durchzuführen.

Was wäre weiter zu tun? – Noch immer sind nicht alle potenziell Geschädigten infor­miert darüber, dass sie geschädigt sein könnten. Sie können bis heute nicht garantie­ren, dass alle Geschädigten oder potenziell Geschädigten informiert worden sind. Frau Ministerin! Das sind einfach Mängel in der Ausübung Ihres politischen Amtes, die nicht zu akzeptieren sind!

Wenn Jacky Maier sagt (Präsidentin Mag. Prammer gibt das Glockenzeichen), es herrscht großes Unbehagen, dann ist das, glaube ich, milde ausgedrückt. Es herrscht mehr als Unbehagen: Es herrscht Verzweiflung bei vielen Menschen. Frau Ministerin! Sie haben Ihre Funktion in dieser Affäre – allein in dieser Affäre! – im letzten Jahr nicht wahrgenommen, deshalb ist für uns klar, dass wir der Rücktrittsaufforderung zustimmen. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

17.47


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Abgeordneter Dr. Wittmann gelangt nun zu Wort. Ich stelle die Uhr auf 4 Minuten. Die gesamte Restredezeit Ihrer Fraktion beträgt 8 Minuten. – Bitte.

 


17.47.45

Abgeordneter Dr. Peter Wittmann (SPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Regierungsbank! Zunächst einmal: Warum werden wir heute hier mit einer Dringlichen Anfrage konfrontiert? Warum gibt es diese Anfrage? – Diese Anfrage gibt es, weil es offensichtlich Mode geworden ist, schon in vorauseilendem Gehorsam der Presse zu liefern, was sie gerne hätte.

Ich halte nichts davon, dass man das macht wegen eines Gutachtens, das die Gene­ral­prokuratur erstellt hat über ein Urteil, das eine Richterin gefällt hat. Laut diesem Gutachten ist es systemimmanent, dass auch Fehler aufgezeigt werden und dass Richter bei derartig großen Entscheidungen auch Fehler machen. Da ist doch noch nicht einmal etwas vom Obersten Gerichtshof entschieden worden, der letztendlich die Instanz wäre, die zu entscheiden hat! Das heißt, es geht um ein Rechtsgutachten, das im Sinne der Justiz bei allen größeren Verfahren irgendwelche Mängel aufzeigt. Das ist auch hier der Fall. Und ganz ehrlich: Ein Gutachten für eine Rücktrittsaufforderung heranzuziehen, das ist ein bisschen mager, würde ich sagen. Das ist ein bisschen mager! (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Und dann, lieber Kollege Stadler, Fragen zu stellen wie nach der Begründung der überlangen Untersuchungshaft! – Also ich bin froh, dass die Frau Minister sie nicht beantwortet hat, aber ich glaube, genau das wäre der Fehler, den man nicht machen darf: dass eine Ministerin sich einmischt in die richterlichen Entscheidungen. Also, das in den Mund zu legen ist allein schon gefährlicher als die ganze Geschichte mit dem Gutachten, würde ich sagen!

Und den Rücktritt daran aufzuhängen, dass die Frau Justizminister als Richterin Ja gesagt hätte zu einer Berufung zur Justizministerin (Abg. Mag. Stadler: Sie haben es ja selber kritisiert!), das halte ich aus einem Grund für ein schwieriges Unterfangen, nämlich: Die Trennung zwischen Legislative und Justiz muss wirklich klar gezogen werden, aber da kann man doch nicht der Frau Justizministerin die Schuld geben, dass sie als Richterin Ja zur Berufung zur Justizministerin gesagt hat!

Die Richter sind weder ausgeschlossen davon, noch hat sie in irgendeiner Weise etwas Rechtswidriges gemacht, noch ist es in irgendeiner Weise ihr vorzuwerfen, dass Sie Ja sagt, dass sie Justizministerin wird, sondern wir wären aufgefordert, als Rechtsgeber, als Legislative, hier klare Trennstriche bekanntzugeben, zu sagen: Das


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geht eben nicht in einem laufenden Verfahren. – Ein Richter wird es nicht machen, wenn das nicht geht (Zwischenruf des Abg. Mag. Stadler), aber daraus einen Rücktrittsgrund zu konstruieren? – Da bin ich ein bisschen heikel in der Sache, weil das sind keine Gründe, aus denen man so etwas konstruieren kann.

Bleiben diese Vorwürfe im Zusammenhang mit Grasser, die wir schon alle kennen, und mit Kampusch, die wir schon alle kennen.

Ich glaube, das Grundübel liegt in einem weiteren Systemfehler, nämlich in der StPO-Reform, durch die ausschließlich der Staatsanwalt Herr des Vorverfahrens wurde, weil überall in diesen Verfahren staatsanwaltliche Fehler vorliegen. Und ich glaube, diesen Fehler müssen wir korrigieren, da bin ich bei Klubobmann Kopf. Ich glaube, dass es richtig ist, diese Strafprozessordnung neuerlich zu novellieren, weil aus diesen alleini­gen Herren des Vorverfahrens viele Fehler resultieren.

Aber einen Punkt möchte ich schon noch erwähnen. Es war eine ein bisschen unglück­liche Wortmeldung des Kollegen Hornek hinsichtlich Niederösterreich, sogar eine sehr unglückliche Wortmeldung: Wenn die Finanzmarktaufsicht eine Anzeige macht (Zwischenruf des Abg. Mag. Donnerbauer), wenn es im September eine Sachver­haltsdarstellung des Kollegen Heinzl gibt und wenn dort drinnen auf 34 Seiten penibel nachgewiesen wird, wo der Verdacht der Untreue und der Verdacht der Bilanzfäl­schung liegt (neuerlicher Zwischenruf des Abg. Mag. Donnerbauer), dann gibt es noch eine weitere Sachverhaltsdarstellung, und dann wird ohne Ermittlungen – ohne Ermittlungen! – ein Vorhabensbericht abgesandt, der die Einstellung des Verfahrens bringt (neuerlicher Zwischenruf des Abg. Mag. Donnerbauer), dann, muss ich ganz ehrlich sagen, ist das nicht die Form, die wir uns als Justiz wünschen. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten des BZÖ.)

Wenn dann nämlich selbst der Referent für Wirtschaftssachen im Landeskriminalamt sagt, auf Weisung des Staatsanwaltes dürfen sie keine Ermittlungen durchführen, dann ist es für mich schon verdächtig, und, Frau Justizministerin, ich appelliere an Sie von dieser Stelle, dass man da besonders sorgfältig und besonders genau prüft und letzt­endlich einen entsprechenden Bericht macht.

Aber meiner Meinung nach rechtfertigen alle diese Vorwürfe keine Rücktritts­aufforde­rung. (Beifall bei der SPÖ.)

17.52


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Amon. Ich stelle die Uhr auf 5 Minuten; Gesamtrestredezeit Ihrer Fraktion: 6 Minuten. – Bitte.

 


17.52.34

Abgeordneter Werner Amon, MBA (ÖVP): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Frauen Bundesministerinnen! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Die heutige Dringliche und der eingebrachte Misstrauensantrag des BZÖ führen natürlich auch dazu, dass so wichtige parlamentarische Waffen wie die Dring­liche Anfrage, der Misstrauensantrag, aber auch schon in der Vergangenheit Unter­suchungsausschüsse, dass diese wichtigen parlamentarischen Waffen, diese wichti­gen parlamentarischen Instrumente immer stumpfer werden. (Zwischenruf des Abg. Mag. Stadler. – Abg. Öllinger: Hauptsache, Sie werden nicht stumpf!)

Sie „vernudeln“ im Grunde genommen dieses wichtige Instrument, weil Sie selbst in Ihrer Argumentation im eigenen Klub nicht dieselbe Argumentationslinie haben und Kritik üben.

Herr Kollege Stadler hat ja die Anfrage begründet, hat aber ausdrücklich darauf verwie­sen – da hatte ich ja die Hoffnung, dass das eine inhaltlich durchaus interessante Debatte werden kann –, dass eben nicht das Gutachten der Generalprokuratur das


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Thema sein soll, warum hier der Justizministerin das Misstrauen ausgesprochen werden soll. Das haben Sie ausdrücklich so argumentiert.

Einer Ihrer Nachredner, nämlich Kollege Petzner, hat das genaue Gegenteil argumen­tiert: Er hat hier ausdrücklich gesagt, dass aufgrund des Gutachtens der Generalpro­kuratur und der darin enthaltenen Kritik am BAWAG-Urteil der Ministerin das Miss­trauen ausgesprochen werden soll.

Sie müssen sich einmal überlegen, was Sie wollen, meine Damen und Herren! Ist es berechtigt oder nicht berechtigt? (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenruf des Abg. Mag. Stadler.)

Es ist gerade dieses Gutachten, das beweist, dass die Frau Bundesministerin nicht Einfluss nimmt, sondern dass sie die unabhängige Justiz arbeiten lässt, und daher auch die Möglichkeit besteht, ganz selbstverständlich ein Urteil, das sie als Richterin gefällt hat, in der nächsten Instanz zu überprüfen. Das ist ja, bitte, auch das, was wir von einem ordentlichen Rechtsstaat erwarten: dass der Bürger/die Bürgerin, jeder Ge- und Verklagte die Möglichkeit hat, im Instanzenzug ein Urteil auch zu bekämpfen. Das ist notwendig, das ist richtig, und diese Justizministerin garantiert, dass die Unabhän­gig­keit sichergestellt ist. (Beifall bei der ÖVP.)

Sie stumpfen die parlamentarische Waffe des Misstrauensantrages auch deshalb ab, weil Sie jetzt schon in jede Sitzung mit einem Misstrauensantrag kommen. (Abg. Öllinger: Rührend! Rührend!) Das hat aber nichts mit der an sich exzellenten Leistung der Bundesregierung zu tun, sondern hängt einfach damit zusammen, dass Ihnen nichts mehr einfällt. (Abg. Dr. Glawischnig-Piesczek: Wo sind denn diese „exzellenten Leistungen“?)

Den ganzen Sommer über hat die Opposition nichts zustande gebracht. Jetzt, weil keine andere Möglichkeit besteht und Teile der Opposition, das muss man wirklich sagen, hier wirklich nichts mehr zustande gebracht haben (Abg. Öllinger: Ihre Sorgen möchten wir haben!), müssen Sie sich halt mit aller Gewalt hier Dinge einfallen lassen, wie Sie der Regierung eines am Zeug flicken können. (Abg. Ing. Höbart: Wo ist denn das Budget? – Abg. Mag. Stefan: Wie wäre es mit einem Budget? – Unruhe im Saal.)

Aber zurück zum Ernst, meine Damen und Herren! Wenn hier etwa die Causa Kampusch angesprochen wird (Präsidentin Mag. Prammer gibt das Glockenzeichen), gibt es natürlich schon Punkte, die einem als Parlamentarier nahe gehen, die einem als Familienvater nahe gehen: Ich denke an die Aussagen des Präsidenten Adamovich – da wollte man das so ein bisschen als ich weiß nicht was abtun; es ist durchaus ernst zu nehmen, was Präsident Adamovich gesagt hat, als er noch die Kommission leitete –, an die Aussagen des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes jetzt und auch an den Selbstmord eines leitenden Exekutivbeamten. (Abg. Strache: Oder vielleicht auch Mord!)

Meine Damen und Herren! Deshalb bin ich auch der Frau Justizministerin dankbar, dass sie ausdrücklich Anordnung gegeben hat, diese Causa noch einmal zu überprü­fen. Ich halte das auch für gerechtfertigt und für notwendig, und auch das zeigt, dass die Frau Justizministerin die Justiz und die Justizbehörden entsprechend unabhängig arbeiten lässt. (Beifall bei der ÖVP.)

Abschließend: Ich halte die ganze Diskussion jetzt um dieses Gutachten der General­prokuratur im Zusammenhang mit dem BAWAG-Urteil für falsch. Bei manchen Oppo­sitionsparteien gewinnt man ja schon fast den Eindruck, dass das alles anständige Herren im Nadelstreif waren, die da auf der Anklagebank gesessen sind. Ja, bitte, wir alle haben das im Untersuchungsausschuss erlebt, was es da an Malversationen gegeben hat, und die waren auch eindeutig! Ehrlich gesagt, das Mitleid mit diesen


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Personen hält sich bei mir sehr in Grenzen. (Abg. Strache: ... dass der Elsner stell­vertretend für viele ...! – Zwischenruf des Abg. Öllinger.) Ich verstehe nicht, welches Mitleid das BZÖ mit manchen Persönlichkeiten hat.

Ich denke etwa an das Vermögen des ÖGB, das da in den Sand gesetzt worden ist, das Vermögen der Mitglieder des ÖGB, meine Damen und Herren. Und dass dies der größte Kapitalbetrug in der Geschichte der Zweiten Republik bis damals war, ist wohl auch Grund genug, dass man einen solchen Monsterprozess, den diese Justiz­minis­terin hervorragend geleitet hat, ernst nimmt und dass man das jetzt nicht, weil jemand eine andere Rechtsmeinung vertritt, ins Lächerliche zieht. (Beifall bei der ÖVP.)

Ganz zum Schluss möchte ich Sie noch einmal um Folgendes bitten: Verwenden Sie diese wichtigen parlamentarischen Instrumente nicht derart inflationär, wie Sie das derzeit tun (Abg. Öllinger: Ja, ja, rührend!), denn das stumpft diese wichtigen parlamen­tarischen Instrumente ab, und dann, wenn man sie wirklich einmal braucht, können sie keine Wirkung mehr entfalten. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Öllinger: ... so besorgt!)

17.58


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Abgeordneter Mag. Stadler hat sich noch einmal zu Wort gemeldet. Gesamte Restredezeit Ihrer Fraktion: 4 Minuten. Ich erteile Ihnen das Wort.

 


17.58.35

Abgeordneter Mag. Ewald Stadler (BZÖ): Bei der Rede des Kollegen Amon hätte es mir fast die Stimme verschlagen vor lauter Rührung, aber ich gehe gar nicht darauf ein. (Zwischenruf des Abg. Amon.) Aber natürlich, vor lauter Rührung, welche Sorgen er sich macht um die parlamentarischen Instrumente der Opposition!

Meine Damen und Herren, es ist vor allem etwas anderes interessant: Dass die SPÖ dem Misstrauensantrag nicht zustimmt – dafür bekommt ihr gleich die verbalen Ohr­feigen, das habt ihr ja jetzt gehört –, ist nicht weiter verwunderlich. Aber ihr solltet vielleicht einmal kritisch darüber nachdenken, ob es gescheit war, der ÖVP gleichzeitig das Innenressort und das Justizressort zu überlassen. Das ist eine Überlegung, die gebe ich nur als Denkanstoß mit. (Beifall beim BZÖ.)

Bemerkenswert ist auch nicht, wenn Kollege Donnerbauer herauskommt – weil er angenommen hat, dass wir die Debatte an diesem Gutachten der Generalprokuratur aufhängen und dass wir persönliche Untergriffe machen; er hat natürlich die Rede nicht umgeschrieben, nur weil der Debattenverlauf ein anderer war (Zwischenruf des Abg. Strache) – und behauptet, wir hätten persönliche Untergriffe gemacht.

Natürlich kann es so sein, dass bei der ÖVP – speziell in Niederösterreich – nicht loben bereits ein Untergriff ist, das ist klar – oder eine Dringliche Anfrage, ein Misstrauens­antrag kann auch schon ein persönlicher Untergriff sein; auch das ist möglich, ja –, aber es hat jedenfalls den Debattenverlauf nicht wiedergegeben, wenn er das behaup­tet. Die Frau Bundesministerin hat jedenfalls keinen einzigen persönlichen Untergriff abbekommen.

Aber wissen Sie, was ein persönlicher Untergriff ist? Das ist ein persönlicher Untergriff: ÖVP-Presse von heute, Raiffeisen-Presse von heute. (Der Redner hält einen Zeitungs­ausschnitt in die Höhe.)

Frau Bundesministerin, falls Sie es noch nicht gesehen haben: Das ist die Karikatur Ihres Protegés, des Raiffeisensektors. (Beifall beim BZÖ. – Der Redner übergibt den Zeitungsausschnitt Bundesministerin Mag. Bandion-Ortner.) Das ist ein persönlicher Untergriff! Nicht vom BZÖ – von Ihren Protegés, von denen, denen Ihr Herr Vize­kanzler, den Sie so lieb begrüßt haben, so sehr verpflichtet ist: das Giebelkreuz. (Zwi­


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schenbemerkung von Vizekanzler Dipl.-Ing. Pröll.– Bitte? Was? – Wenn man etwas hören will, hört man nichts von ihm.

Meine Damen und Herren! Bemerkenswert war etwas anderes. Bemerkenswert war, dass die Redner der FPÖ herausgehen, der Reihe nach Gründe vorbringen, warum man eigentlich der Ministerin das Vertrauen versagen sollte, es aber nicht tun. Ich weiß sogar von einzelnen Mitgliedern – ich werde sie jetzt nicht namentlich nennen –, dass sie gesagt haben: Natürlich wollen wir dem Misstrauensantrag zustimmen. – Dürfen sie nicht! Aber warum nicht? Das ist auch eine Form der subtilen Einfluss­nahme auf die Justiz, einer besonders subtilen Einflussnahme. Glaubt ihr wirklich, dass deswegen ein Strafverfahren gegen den Heinz-Christian Strache nicht stattfindet, nur weil ihr heute der Justizministerin das Vertrauen aussprecht?! Glaubt ihr das ernsthaft? (Ironische Heiterkeit bei der FPÖ.) Das ist eine besonders subtile Form des Versuches der politischen Einflussnahme. (Abg. Mag. Stefan: In der Welt des Herrn Stadler wäre es vielleicht so!) Ich habe den Verdacht, dass ihr das wirklich glaubt.

Dann sage ich euch jetzt etwas von jemandem, der wirklich ein freier Bürger ist: Ich werde mich bei keiner Ministerin, bei keinem Polizeibeamten, bei keinem Staatsanwalt nur deswegen devot verhalten, damit er mich nicht verfolgt, meine Damen und Herren! Das werde ich nicht tun! (Beifall beim BZÖ.)

Dazu bin ich nicht auf die Welt gekommen und Abgeordneter geworden, dass ich vor irgendjemandem einen Kotau mache, nur damit ich nicht verfolgt werde; aber das glaubt man dort.

Und ich warte es ab, Herr Kollege Hübner: In wenigen Wochen oder Monaten schon werdet ihr alle hier über die Justizministerin herfallen, weil es eine Anklage gibt. Das erwarten wir, da brauchen wir uns nur Zeit zu lassen, denn genauso wird es kommen. Wir werden uns also den Verfahrensfortgang sehr genau anschauen.

Meine Damen und Herren! Letztlich ist das heute einzig Substantielle, das von der ÖVP gekommen ist, die Ankündigung und Erkenntnis, dass man die Strafprozess­ord­nung doch noch einmal novellieren muss, dass man doch noch einmal darüber nach­denken muss, ob man den Staatsanwalt zum alleinigen und unkontrollierten Herrn des Vorverfahrens macht. Meine Damen und Herren, wenn das das Ergebnis der heutigen Dringlichen war, dann war sie eine der erfolgreichsten Dringlichen, die in den letzten Monaten hier stattgefunden haben. (Beifall beim BZÖ.)

18.02


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Dr. Cap. Gesamte Restredezeit: 3 Minuten. – Bitte.

 


18.02.27

Abgeordneter Dr. Josef Cap (SPÖ): Herr Abgeordneter Stadler, Sie können sich noch so bemühen, aber wir sind da heute kuschelresistent, auch wenn Sie noch so sehr versuchen, sich an uns heranzukuscheln. Das ist natürlich schon interessant, dass es hier eine Justizdebatte mit den versammelten orangen „Engerln“ gibt, die ja mit der Justiz in letzter Zeit buchstäblich nichts zu tun gehabt haben. (Heiterkeit.)

Aber ich will das ernst nehmen, weil ich glaube, dass das wichtig ist, und ich möchte gleich aufgreifen, was Klubobmann Kopf gesagt hat im Zusammenhang mit der StPO-Novelle. Wir sollten uns zusammensetzen – ich greife Ihren Vorschlag auf – und begin­nen, über eine Novelle nachzudenken. Und wenn das das Ergebnis der Dringlichen ist, dann stimme ich in dem Fall wieder dem Vorredner zu, dann, glaube ich, hat das einen Sinn. (Beifall beim BZÖ sowie bei Abgeordneten der SPÖ.) – Das ist der erste Punkt.


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Der zweite Punkt ist: Ich muss auch sagen, das war heute eine dünne Veranstaltung, weil man immer gemerkt hat, am Ende der Rede haben die, die für den Misstrauens­antrag waren, ein Problem gehabt, wie sie diesen Misstrauensantrag eigentlich begrün­den sollen. Ich habe so ein Dem-eigenen-Antrag-Nachlaufen noch selten hier erlebt.

Dann setzen wir uns zusammen und machen wir Regeln, dass eine Richterin oder ein Staatsanwalt nicht Justizminister werden soll – und aus! Aber jemand vorzuwerfen, wenn man gefragt wird: Wollen Sie nicht Minister werden?, dass man sagt: Na ja, warum nicht, ich kann es mir vorstellen!, das ist ein bisschen zu wenig. Das ist zu wenig – bei aller Kritik, die durchaus berechtigt ist. Und ich sage auch gleich: Die Frau Ministerin wird gut beraten sein, dass sie das eine oder andere, was in der Öffentlichkeit kritisiert wurde, dass sie Kritik an Mängeln in der Justiz ernsthaft aufgreift und dass sie versucht, das ernsthaft mit uns allen hier, soweit es hier gesetzliche Maßnahmen geben muss, auch umzusetzen. Unbestritten!

Aber es ist immer so ein bisschen eine Mischung: Da kommt ein bisschen eine Vorver­urteilung rein, da kommt ein bisschen das rein und ein bisschen jenes rein. Wir wollen doch das auf einen seriösen Kern zurückführen, und das ist mir wichtig, dass wir das auch machen.

Der OGH hat das endgültig zu entscheiden, das ist eine Binsenweisheit, und dann werden wir darüber weiterdiskutieren.

Ein letzter Punkt noch: Ich finde, es war die Aufgabe der Präsidentin, diesen Hinweis zu machen, dass hier jemand verhört wurde und dass das eigentlich eine Einrichtung ist, die für die Antiterrorbekämpfung zuständig ist und zu diesen Schritten nicht befugt ist. Und es ist die Aufgabe der Präsidentin, das sehr ernst zu nehmen, und da bin ich der Meinung, das sollte man respektieren und nicht durch die Kritik heruntermachen, sie wäre da auf etwas hereingefallen. Herr Klubobmann Kopf, diese Ihre Meinung teile ich nicht. Ich gebe die Kritik hiermit wieder an Sie zurück.

Wir stehen hinter unserer Präsidentin und haben nichts anderes von ihr erwartet, als dass sie genau diese Schritte setzt, weil wir daran interessiert sind, dass hier nicht plötzlich eine Behörde, die im Haus sitzt, Aufgaben wahrnimmt, die nicht zu ihrem Aufgabenbereich gehören. Und daher unterstützen wir die Präsidentin hier mit Nachdruck! (Beifall bei SPÖ und BZÖ.)

18.05

18.05.20

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Petzner, Kolleginnen und Kollegen betreffend Versagen des Vertrauens gegenüber der Bundesministerin für Justiz gemäß Artikel 74 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes.

Da zu einem solchen Beschluss des Nationalrates gemäß Abs. 2 der zitierten Verfas­sungsbestimmung die Anwesenheit der Hälfte der Abgeordneten erforderlich ist, stelle ich diese ausdrücklich fest.

Ich bitte jene Damen und Herren, die sich für den gegenständlichen Misstrauensantrag aussprechen, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Dieser Misstrauensantrag ist abgelehnt.

(Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)


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18.06.27Fortsetzung der Tagesordnung

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Ich nehme die Verhandlungen über den 8. Punkt der Tagesordnung wieder auf.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Abgeordnete Mag. Aubauer mit gewünschten 3 Minuten.

Und an die Mitglieder der Präsidiale gerichtet: In rund 10 Minuten wird die vereinbarte Präsidialsitzung stattfinden.

Bitte, Frau Abgeordnete Aubauer.

 


18.06.58

Abgeordnete Mag. Gertrude Aubauer (ÖVP): Frau Präsidentin! Hohes Haus! Schön, dass wir wieder beim Konsumentenschutz sind.

Wir leben, so heißt es, in einer Informationsgesellschaft, aber mitunter hat es den Anschein, es ist eine Desinformationsgesellschaft. Wenn Sie in Ihrem Bekanntenkreis fragen, wer denn eine Versicherung, eine Haushaltsversicherung hat und wogegen man wirklich versichert ist – wissen die Wenigsten darüber Bescheid. Das Kleinge­druckte hat wohl kaum jemand gelesen, und der, der es liest, kann es oft nicht ver­stehen.

Aber wie viel Rätselraten ist uns Konsumenten zumutbar? Wir meinen, es ist genug, die Grenze der Zumutbarkeit ist in diesem Bereich erreicht. Das heißt, wir wollen Klipp-und-Klar-Informationen, Kurzinformationen auf ein bis zwei Seiten, das Wichtigste auf einen Blick, eine Klipp-und-Klar-Information. (Präsident Neugebauer übernimmt den Vorsitz.)

Peter Resetarits hat es ja vor Kurzem in einer ORF-Sendung drastisch aufgezeigt: Da zahlen Menschen jahrelang Prämien ein, und im Schadensfall will die Versicherung dann nicht zahlen. Das soll nicht passieren. Wir wollen mehr Information, aber nicht mehr Kleingedrucktes, sondern Information klipp und klar. Da sollten wir auf EU-Ebene Druck machen, denn Rätselraten, das wollen wir alle nicht, sondern wir wollen eine klare, transparente Information, und ich freue mich, wenn es hier zu einem Beschluss kommt. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

18.08


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Jannach. – Bitte.

 


18.08.39

Abgeordneter Harald Jannach (FPÖ): Geschätzter Herr Präsident! Frau Ministerin! Es haben ja schon alle Vorredner angesprochen: Es ist tatsächlich höchst an der Zeit, dass wir endlich für korrekte Produktinformation auch im Versicherungs- und Banken­bereich sorgen. Wir haben das im Ausschuss ausreichend diskutiert. Es ist tatsächlich so, dass man zum Lesen der Versicherungsverträge fast eine Lupe und zum Ver­stehen derselben einen Rechtsbeistand braucht. Es ist für uns eigentlich unverständ­lich, dass gerade Banken und Versicherungen, die eigentlich Vertrauen ausstrahlen sollten, hier zu solchen Trickser- und Täuschermethoden greifen. Dagegen müssen wir uns leider gesetzlich wehren.

Es sind teilweise unhaltbare Konsumenteninformationen im Kleingedruckten enthalten. Und das, was Frau Aubauer schon gesagt hat, ist vollkommen richtig: Konsumenten zahlen an die Versicherungen und an die Banken im guten Vertrauen, im guten Glauben ein, und dann werden sie von ihnen im Grunde komplett hinters Licht geführt. (Beifall bei der FPÖ.)


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 177

Wir werden dem Antrag des Ausschusses für Konsumentenschutz betreffend diese Klipp-und-Klar-Informationen zustimmen. Ein kleiner Wermutstropfen ist allerdings, dass der Antrag beinhaltet, dass wir auf eine EU-weite Regelung warten. Wir können das nicht ganz verstehen, denn gerade in Deutschland – das haben wir heute auch schon gehört – gibt es bereits eine diesbezügliche Regelung, und ich weiß nicht, warum die österreichische Bundesregierung und wir hier im Nationalrat auf eine EU-weite Regelung warten sollen.

Ein Kuriosum möchte ich noch erwähnen – es ist von Herrn Abgeordnetem Maier gekommen –, dass nämlich die Arbeiterkammer in Studien festgestellt hat, dass da sehr viel Schindluder getrieben wird. – Dazu möchte ich sagen: Es gibt in der Arbeiterkammer Herrn Direktor Werner Muhm. Dieser sitzt auch im Aufsichtsrat einer der größten Versicherungen in Österreich, nämlich im Aufsichtsrat der Wiener Städti­schen. Daher wäre es für die SPÖ angebracht, dass sie mit Direktor Muhm, der in dieser Studie kritisiert hat, dass die Versicherungen tricksen und täuschen, das im Aufsichtsrat der Wiener Städtischen zum Thema macht und das dort ändert.

Das Gleiche gilt für die ÖVP, denn der Chef der UNIQA-Versicherung, Herr Brand­stetter, war ein ehemaliger Kabinettsmitarbeiter; Sie kennen ihn wahrscheinlich.

Daher: Es wäre günstig, wenn ÖVP und SPÖ mit ihren Leuten in den Versicherungen darüber einmal reden würden, denn dann würden wir uns hier viel ersparen, und das Ganze wäre auch wesentlich ehrlicher. Dann wäre alles einfacher, es würde schneller gehen – und Sie und Ihre Parteifreunde würden auch viel an Glaubwürdigkeit gewinnen. (Beifall bei der FPÖ.)

18.11


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Preiner. – Bitte.

 


18.11.29

Abgeordneter Erwin Preiner (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Ihnen nun ein kurzes Beispiel aus der Praxis dafür geben, warum es notwendig ist, dass der vorliegende An­trag 1233/A(E) beschlossen wird – und dass dem dann, wie ich hoffe, auch bald konkrete Taten folgen werden.

Ich darf kurz zitieren: Wird eine dieser bei und nach Eintritt des Versicherungsfalles bestehenden Obliegenheiten verletzt, können sich erhebliche rechtliche Nachteile ergeben. Erfolgt die Obliegenheitsverletzung vorsätzlich, geht der Leistungsanspruch verloren. Bei grob fahrlässiger Verletzung sind wir berechtigt, die Leistungen in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Die Kürzung kann bis zur vollständigen Leistungsfreiheit führen. – Zitatende.

Dieser Text stammt, wie man sich denken kann, aus einem aktuellen Versicherungs­vertrag, konkret aus einer Lebensversicherung. Bei mehreren Seiten derartigen Textes kann mir aber niemand erzählen, dass „Otto Normalverbraucher“ nicht zumindest längere Zeit dafür braucht, um diesen Text nicht nur zu lesen, sondern ihn auch inhaltlich zu verstehen.

Ziel ist, dass im Sinne der Klipp-und-Klar-Informationen mehr Transparenz, mehr Information an die Versicherungsnehmer herangetragen wird. Vor allem haben Ver­siche­rungsnehmer ohne höhere Schulbildung teilweise mit dem inhaltlichen Erfassen dieses Textes Schwierigkeiten – und wahrscheinlich auch Migranten. Daher ist es not­wen­dig und sinnvoll, dass Deutschkurse auch von Migranten zum Zwecke des besseren Verstehens ähnlich gearteter Texte im Sinne einer besseren Integration be­sucht werden.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 178

Auf ein Aus eines derartigen „Versicherungs-Chinesisch“ zielt der Antrag 1233/A(E) ab, den wir heute beschließen werden. Ziel ist es – ich darf wiederholen –, dass im Sinne von mehr Transparenz und mehr Information lesbare „Beipacktexte“ den Konsumentin­nen und Konsumenten zur Verfügung gestellt werden. Es soll klar und deutlich erkennbar sein, welche Inhalte der jeweilige Versicherungsvertrag hat, zum Beispiel: Wie lange ist die Laufzeit? Was kann ich als Versicherungsnehmer tun, wenn ich den Vertrag vorzeitig kündigen möchte beziehungsweise welche Erträge kann ich nach Ablauf des Vertrages erwarten?

Angesichts der Tatsache, dass Frau und Herr Österreicher im Schnitt 1,3 Versiche­rungs­verträge haben, kann diese Maßnahme in Richtung mehr Transparenz als wirk­lich notwendig erachtet werden.

In Österreich gibt es sehr viele Menschen, die zwei oder drei Lebensversicherungen und oft auch zwei oder drei Rechtsschutzversicherungen haben, teilweise in Unkennt­nis des konkreten Inhalts. Letzten Endes aber geht es auch darum, dass Menschen nicht auf „gute Ratschläge“ von Versicherungsmaklern hereinfallen sollen. Das Beispiel Deutschland betreffend Klipp-und-Klar-Informationen wurde in diesem Zusammenhang ja schon angesprochen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

18.14


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Praßl. – Bitte.

 


18.14.53

Abgeordneter Michael Praßl (ÖVP): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Produktinformation für Versicherungskunden muss verbessert werden. Es kann doch nicht sein, dass man fast ein Jurist sein muss, um sich durch eine Versicherungsurkunde „durchkämpfen“ zu können. Versicherungs­bedingungen sind oft wirklich sehr kompliziert. – Vorhin wurde ja bereits angesprochen, dass sich in Deutschland auf diesem Gebiet vieles zum Positiven verändert hat.

Ziel soll es daher auch bei uns sein, dass in Zukunft sozusagen „Beipackzettel“ mit zwei bis drei Seiten an Informationen weitergegeben werden, sodass der Vertrags­nehmer den Inhalt leicht erfassen kann.

Zusammenfassend: Ich finde es höchst an der Zeit, dass solche Regelungen, die für mehr Transparenz sorgen, auch auf dem Versicherungsmarkt eingeführt werden. Ver­siche­rungsprodukte müssen einfach lesbar und leicht vergleichbar sein. Wir müssen für die Konsumentinnen und Konsumenten eine Entscheidungsfindung so übersichtlich und einfach wie nur möglich machen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

18.16


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Spindelberger. – Bitte.

 


18.16.44

Abgeordneter Erwin Spindelberger (SPÖ): Meine Damen und Herren, wie heißt es so schön: Es ist bereits alles gesagt worden – nur noch nicht von jedem! Und deshalb habe ich mich auch zu diesem Tagesordnungspunkt zu Wort gemeldet.

Mein Kollege Jacky Maier hat es in seiner Rede schon gesagt, dass für uns Kon­sumentinnen und Konsumenten die Versicherungsbedingungen oft schwer bis gar nicht verständlich sind. Wer ist denn wirklich in der Lage, die Versicherungspolizze – wie das mein Vorredner angeführt hat – beziehungsweise die im Anhang befindlichen Punkte auf Punkt und Beistrich durchzulesen und zu verstehen?


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 179

Abgeordneter Jannach hat gesagt, dass es ein Test der Arbeiterkammer ans Tages­licht gebracht hat, dass es in unzähligen Fällen, wenn die Konsumentinnen und Konsumenten zur Versicherung gegangen sind und dort eine Versicherungsleistung beantragt haben, geheißen hat: Tut uns leid, aber diese Sache ist durch die Polizze nicht gedeckt!

Da Kollege Jannach kritisiert hat, dass wir diesen Entschließungsantrag sozusagen einengen, nur auf EU-Ebene müsse etwas geschehen, möchte ich ihm sagen, dass es in unserem Lande schon der Fall ist, dass sehr viele Österreicherinnen und Öster­reicher ausländische Versicherungen abgeschlossen haben. Und um diesen Gesamt­komplex überhaupt in den Griff zu bekommen, ist es eben notwendig, dass ein Produktinformationsblatt auf europäischer Ebene herausgegeben wird, wo auf ein, zwei Seiten wirklich punktgenau dargestellt wird, was die wesentlichen Versicherungs­leistungen sind.

Wie ja bereits aus dem Betreff des Antrages ersichtlich ist, wollen wir da eine klipp und klare, eine leicht verständliche Produktinformation haben, so unter dem Slogan: Wo Versicherung draufsteht, soll auch Versicherung drin sein! (Beifall bei der SPÖ.)

18.18

18.18.26

 


Präsident Fritz Neugebauer: Weitere Wortmeldungen hiezu liegen nicht vor. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über die dem Ausschussbericht 907 der Beilagen angeschlossene Entschließung.

Hiezu haben die Abgeordneten Mag. Schatz, Kolleginnen und Kollegen einen gesamt­ändernden Abänderungsantrag eingebracht.

Ich werde daher zunächst über diesen Abänderungsantrag und bei Ablehnung danach über die dem Ausschussbericht 907 der Beilagen angeschlossene Entschließung abstim­men lassen.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die sich für den Abänderungsantrag Mag. Schatz aussprechen, um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die dem Ausschussbericht 907 der Beilagen angeschlossene Entschließung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die sich dafür aussprechen, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist einstimmig angenommen. (E 127.)

18.19.259. Punkt

Bericht des Gleichbehandlungsausschusses über den Frauenbericht 2010 der Bundesministerin für Frauen und öffentlichen Dienst (III-174/919 d.B.)

 


 Präsident Fritz Neugebauer: Wir kommen zum 9. Punkt der Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Gartelgruber. – Bitte, Frau Kollegin.

 


18.20.05

Abgeordnete Carmen Gartelgruber (FPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Gleich zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich festhalten, dass dieser Frauen­bericht stark am Gender-Aspekt ausgerichtet ist (Beifall und Bravoruf der Abg. Mag. Wurm), dass dieser Bericht genau diese ideologische Tendenz zeigt. Besonders


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 180

stark zeigt dieser Bericht die Tendenz in der Beurteilung von frauenpolitischen Aus­richtungen der Parlamentsparteien auf. Wenn auf Seite 402 des Berichtes steht, dass die FPÖ und auch das BZÖ Frauen auf ihre reproduktiven Fähigkeiten reduzieren (Rufe bei den Freiheitlichen: Unerhört!), so ist das nicht nur schlecht und falsch, sondern auch eine bösartige Unterstellung. Auch dass die freiheitlichen Forderungen nach einer Mütterpension eine ausländerfeindliche Stoßrichtung der freiheitlichen Frauen­politik belegen würde, ist eine bösartige Unterstellung. Dagegen verwehre ich mich vehement. (Beifall bei der FPÖ. – Abg. Zanger: Das hat in einem Bericht der Bundesregierung nichts verloren!)

Die FPÖ mit mir als Frauensprecherin betreibt aktive Frauenpolitik im Sinne der Österreicherinnen. (Beifall bei der FPÖ sowie der Abg. Schittenhelm.) Im Gleich­behand­lungsausschuss liegen etliche Anträge – unbehandelt – von mir, die aufgrund mangelnder Ausschusssitzungen nicht auf die Tagesordnung kommen. Diese Anträge befassen sich ernsthaft mit der Einkommensverbesserung von Frauen, mit der Verbes­serung der Situation von Frauen mit Migrationshintergrund, mit der Schaffung von Frauenhäusern, und diese Anträge werden nicht behandelt.

Ebenso – muss ich dazusagen – werde ich in Tirol in einer Referenzliste von Frauen­häusern angeführt, weil ich mich ernsthaft für Frauen, die von Gewalt betroffen sind, einsetze. Auch das möchte ich an dieser Stelle einmal ganz klar festhalten. (Beifall bei der FPÖ.)

Deshalb kann ich diesem Bericht, so wie er vorliegt, natürlich nicht zustimmen. Diese unwahren Darstellungen im vorliegenden Frauenbericht lehne ich entschiedenst ab.

Nun aber zum Inhalt des Berichtes: Frauenpolitik ist naturgemäß eine Querschnitt­materie und betrifft die verschiedensten Lebensbereiche. Diesem Bericht aber fehlt der sprichwörtliche rote Faden, der die einzelnen Teilbereiche zusammensetzt. So fällt es wirklich schwer, brauchbare Ergebnisse im Frauenbericht festzustellen. Ähnlich schwie­rig ist es, die unzähligen Statistiken, die in diesem Frauenbericht aufgelistet sind, miteinander zu verbinden, damit man ein Gesamtbild bekommt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mir ist es besonders wichtig, auf die Frauen­armut in Österreich einzugehen. Viele Frauen, besonders Alleinerziehende und junge Mütter, leben in prekären Situationen und sind von Armut betroffen oder bedroht. Sicherlich ist unter anderem das niedrige Einkommen in frauenspezifischen Berufen ein Grund dafür, aber auch die Tatsache, dass Karenzzeiten nicht in den Kollek­tivverträgen bei den Gehaltseinstufungen mit eingerechnet werden, stellt ein Problem dar. In diesem Zusammenhang darf ich auf meinen Antrag verweisen, der in späterer Folge noch behandelt wird.

Ein weiterer Kampf in der freiheitlichen Frauenpolitik wird in diesem Bericht ebenfalls verzerrt und nicht deutlich dargestellt. Es geht um die Teilzeitarbeit. Ich möchte noch einmal klar und deutlich feststellen: Frauen wollen Teilzeit arbeiten, denn das ist das Optimale, um Familie und Beruf zu verbinden! Auch wenn Ihnen das jetzt nicht gefällt, es ist eine Tatsache. (Beifall bei der FPÖ.)

Ein letzter Punkt, den ich noch behandeln möchte und der mir wichtig zu sein scheint, ist, dass in diesem Frauenbericht das erste Mal das Kapitel „Migrantinnen“ behandelt wird. Ja, auch dieses Thema ist wichtig, was mir aber in diesem Kapitel fehlt, ist die Situation von jungen Migrantinnen, die nach Abschluss der Hauptschule beziehungs­weise Pflichtschule einfach nicht mehr „aufscheinen“, praktisch verschwinden. Junge Mädchen, die keine weiterführende Ausbildung machen können, die nicht weiter in die Schule gehen können, „verschwinden“. Diesbezüglich habe ich einmal eine Anfrage an Frau Bildungsministerin Schmied gestellt, die mir dann nur lapidar geantwortet hat: Es gibt darüber keine Statistiken. In diesem Bereich gibt es tatsächlich Handlungsbedarf.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 181

Ich kann mir kaum vorstellen, dass all jene junge Frauen, die freiwillig keine weiter­führende Ausbildung machen wollen, nicht doch hier arbeiten wollen. Da besteht wirklich großer Handlungsbedarf. (Beifall bei der FPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Leider gibt der Frauenbericht über viele Problemfelder der Frauen in diesem Land wirklich keine treffende Auskunft. Er bietet auch keine echte Perspektive, die die Lebenssituation der österreichischen Frauen tatsächlich verbessern könnte. So bleiben in einem 545 Seiten dicken Bericht viele Bereiche, die eher ideologische Ausrichtungen der Verfasserinnen widerspiegeln als die Lebensrealität der österreichischen Frauen. Dieser Bericht ist aus meiner Sicht eine vergebene Chance. Die Autorinnen haben die Möglichkeit vergeben, durch das Aufzeigen echter Probleme von Frauen den Weg für sinnvolle Lösungsansätze zu bereiten. – Schade. (Beifall bei der FPÖ.)

18.25


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Mag. Wurm. – Bitte.

 


18.25.39

Abgeordnete Mag. Gisela Wurm (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Meine Vorrednerin, Carmen Gartelgruber, hat ja schon darüber gesprochen. Wir diskutieren heute den vierten Frauenbericht. Endlich liegt ein solcher Bericht wieder vor. Bundesministerin Bures hat ihn in Auftrag gegeben, jetzt, unter Bundesministerin Heinisch-Hosek, diskutieren wir ihn. Der Bericht ist ein umfas­sendes Nachschlagewerk. Er beleuchtet sehr genau in verschiedenen Facetten die Situation der Frauen in Österreich. Wenn Sie, Frau Gartelgruber, nun die Beiträge von Wissenschafterinnen kritisieren, dann kann ich Ihnen als grundrechts- und menschen­rechtsverliebte Frau dazu nur sagen: Lehre und Wissenschaft, Lehre und Forschung sind frei, und das soll auch so bleiben. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Lehre und die Forschung sind frei, und für diesen Bericht haben namhafte Wis­senschafterinnen unseres Landes ihre Beiträge, und zwar sehr gute Beiträge, verfasst. Zwei zusätzliche Kapitel wurden dieses Mal behandelt: zum einen die Frage der Integration, die Frage der Migrantinnen – es ist gut, dass dieser Frauenbericht um dieses Kapitel ergänzt wurde; das ist das eine –, und zum anderen die Situation der Frauen im ländlichen Raum. Dass da unterschiedliche Defizite bestehen, wissen wir, wir haben unsere Pflichten in den einzelnen Bundesländern zu erfüllen. Ich rede nur von Kinderbetreuungseinrichtungen.

Sie, Frau Kollegin Gartelgruber, haben uns gesagt, dass Frauen in Teilzeit arbeiten wollen, und wir jene, die Teilzeitarbeit eine Zeit lang bevorzugen, benachteiligen wür­den, daher gebe ich Ihnen zur Antwort: So ist es nicht! Sie müssen sich das differen­zierter ansehen, auch differenzierter denken in diesem Zusammenhang. Es ist nämlich so, dass Frauen, auch Väter, die ihre Kinderbetreuungspflichten ernst nehmen, eine Zeit lang gerne reduzierte Arbeitszeiten in Anspruch nehmen, dann aber – und auch dazu gibt es Studien – wieder ihren Vollzeitarbeitsplatz zurückhaben wollen. Das ist dann oft nicht möglich, und das ist eine Schande in diesem Land. (Beifall bei Abgeordneten der SPÖ.)

Was heißt denn Teilzeitarbeit? – Weniger Erwerbstätigkeit bedeutet oft auch Armut im Alter. Natürlich haben wir diesbezüglich viel gemacht. Es wurden Kinderbetreu­ungszeiten anerkannt, und, und, und, damit sich die Pension erhöht. Aber Faktum ist, dass Sie damals bei der großen Pensionsreform mitgemacht haben, als Durchrech­nungs­zeiträume vor allem für Frauen erhöht wurden. Das führt selbstverständlich dazu, dass die Pensionen der Frauen reduziert werden. Das war aber Ihre Tat und nicht unsere.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 182

Sehr geehrte Damen und Herren, jetzt zu den Ergebnissen dieses Frauenberichtes: Für mich ein sehr wichtiges Ergebnis war – in verschiedenen Bereichen ist es eher langsam vorangegangen, in anderen  Bereichen haben wir aber Fortschritte erzielt –, dass wir zum Beispiel sehr gut ausgebildete Frauen haben, dass sich das aber oft nicht im Portemonnaie niederschlägt. Es war für mich sehr interessant, beim ExpertInnen-Hearing in unserem Ausschuss zu hören, dass immer dann, wenn wir über Frauen­berufe reden, das Thema niedrigere Einkommen zur Sprache kommt. Ich rede von der Verkäuferin, auch von der Lehrerin, auch von verschiedenen anderen Berufsgruppen, Bürokauffrau zum Beispiel. Daher müssen wir auch über eine Neubewertung der Arbeit reden; auch das ist eine wichtige Erkenntnis. (Abg. Kitzmüller: Ihr seid in der Regierung!)

Sie können jederzeit mitmachen, wenn wir darüber reden, dass vielleicht Quotierungen bei Aufsichtsräten eingeführt werden sollen. Wir waren in Norwegen, wir haben es uns angesehen. Norwegen hat gute Bilanzen, hat auch bei den börsenotierten Unterneh­men, wo Frauen entsprechend beteiligt sind, nämlich mit der 40-Prozent-Quote, immer gut abgeschnitten.

Ich habe mir heute den „Kurier“ angesehen und von einem entzauberten Millionär, nämlich von Herrn Kovats, gelesen. Ich kann mich noch gut erinnern an den Film „Let’s make MONEY“, in dem er sozusagen eine der Hauptrollen gespielt hat. – So schnell geht’s, und man ist plötzlich nicht mehr in der obersten Etage! Ich weiß, dass die Frauen bei diesem Gesellschaftsspiel „Let’s make MONEY“ die kleinste Rolle gespielt haben. Ich weiß, dass wir immer dann nicht am großen Kuchen mitnaschen, wenn es ums Verteilen geht. Wir dürfen mitnaschen, wenn es um unbezahlte Arbeit geht, wenn es um wenig Vermögen geht – und dass dann auch noch quasi oft zum Undank der Bevölkerung.

Ich zitiere Christina Thürmer-Rohr, die in ihrem Buch „Vagabundinnen“ meint, es gibt immer „Mittäterinnen“, und das tut mir als Frau besonders weh. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abgeordneten Mag. Korun und Mag. Steinhauser.)

18.30


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Mag. Unter­reiner. – Bitte.

 


18.31.01

Abgeordnete Mag. Heidemarie Unterreiner (FPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Ich versuche jetzt, ein bisschen ruhiger zu argumen­tieren. Außerdem spreche ich jetzt nur zu einem Antrag. Es kommen noch zwei Rednerinnen aus meiner Fraktion, ich werde mich daher entsprechend kurz halten. Es geht um den Antrag – den wir alle gemeinsam eingebracht haben –, dass es mehr Männer als Lehrer geben soll. Ich habe mich mit dieser Thematik schon seit Langem beschäftigt, und natürlich war es mir wichtig, dass dieser Antrag eingebracht wird.

Es geht darum, dass man immer so tut, als hätten nur Frauen eine soziale Kompetenz. So darf man das nicht sehen. Frauen haben vielleicht in der Hinsicht eine andere soziale Kompetenz, aber die Männer bringen sich auch ein. Gerne wollen sie ihre Kreativität als Mann einbringen. Im Gegensatz zu Ihnen, Frau Kollegin, sind wir ja nicht der Meinung, dass es ein soziales Geschlecht gibt. Wir sind der Meinung, dass es Männer und Frauen gibt und das auch biologisch vorgegeben ist. Wir unterscheiden uns in dieser Hinsicht. Die Gender-Theoretikerinnen sind ja eher der Meinung, dass das Geschlecht formbar und machbar sei. Das denken wir nicht. Unserer Meinung nach ist das ein totalitärer Ansatz, wir schätzen das nicht.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 183

Ich kehre zurück zum Antrag. Es sollen auch Männer ihre eigene Gestaltungskraft einbringen können, weil die Erziehung vermehrt in weiblichen Händen liegt. Die Buben und Mädchen brauchen aber auch männliche Vorbilder. (Beifall bei der FPÖ sowie des Abg. Amon.) Das sollten primär natürlich die Väter sein, aber es gibt hier ein Defizit, und es ist gut für Buben und Mädchen, wenn auch Männer im Lehrberuf tätig sind. Das ist dringend notwendig, weil Männer ja wahrscheinlich Pädagogik auch ganz anders umsetzen. Das macht einen Unterschied. Die Buben raufen einmal gerne, messen ihre Kräfte, haben eine andere Einstellung, versöhnen sich auch wieder schnell. Das erfor­dert vielleicht eine andere pädagogische und didaktische Vorgehensweise als bei Mädchen. Es wäre daher gut, wenn auch Männer Verantwortung tragen können; sie sollen das auch. Unserer Meinung nach ist das jetzt nicht nur gut für Männer und Frauen, sondern vor allem auch für die Kinder. (Beifall bei der FPÖ.)

18.33


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Schittenhelm. – Bitte.

 


18.33.45

Abgeordnete Dorothea Schittenhelm (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Ge­schätzte Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Der vorliegende Frauenbericht 2010 ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil beschäftigt sich mit detaillierten statistischen Analysen der Statistik Austria, der zweite Teil mit den Fragen der Entwicklung der Frauen­politik in Österreich, der Erwerbsarbeit von Frauen und ihrer ökonomischen Situation sowie mit dem Thema Gewalt gegen Frauen in Beziehungen.

Eines zeigt der Bericht ganz klar auf: Österreich ist weiblich. In Österreich leben 4,4 Millionen Frauen und 4,1 Millionen Männer. Somit stellen die Frauen mit einem Anteil von 51,3 Prozent – wenn ich an die Wiener Wahl denke, so ist das eine satte absolute Mehrheit – ganz einfach die absolute Mehrheit der Bevölkerung. Wenn man bedenkt, dass wir trotz dieser absoluten Mehrheit noch einen Frauenbericht brauchen, ist das doch ein wenig desaströs; wir verfügen über keinen Männerbericht. Letztendlich ist es so, dass es deshalb einen Frauenbericht gibt, weil nach wie vor bei den Frauen Ungerechtigkeiten, Ungleichheiten sowohl im gesellschaftlichen als auch im beruflichen Leben vorhanden sind. Das ist leider die Realität.

Ich weiß, wir haben das schon oft rauf und runter debattiert und verschiedenste Ansätze und gemeinsame Anträge gehabt. Tatsache ist, dass Frauen bei gleicher Arbeit noch immer 18 Prozent weniger verdienen als Männer. Deshalb wird auch in diesem Bericht gerade der Bereich Frauen im Beruf ausführlich dargelegt, ausführlich dokumentiert, und es wird auch aufgezeigt, woran es liegen könnte. Es fehlen mir in diesem Bericht allerdings die Lösungsansätze.

Der Frauenerwerbsanteil ist in Österreich auf 1,4 Millionen Frauen angestiegen, und wir haben nach wie vor 193 000 Frauen, die sich ausschließlich der Arbeit in der Familie, im Haushalt widmen – und das ohne sozialrechtliche Absicherung. Diese Leistungen könnten wir finanziell nicht erbringen, gäbe es nicht diese Frauen, die diese Arbeit in den Familien tun.

Wir haben eine Frauenerwerbsquote von 68,6 Prozent, wobei ein sehr starkes Anstei­gen der Teilzeitarbeit zu verzeichnen ist. Ich stehe zur Teilzeitarbeit, vier von zehn Frauen arbeiten in Teilzeit, nur eines müssen wir dabei auch sehen, und diese Entwick­lung ist keine positive: dass immer mehr Großkonzerne Frauen wie Männer in Teilzeitarbeit drängen, ihnen ausschließlich nur mehr 20- und 30-Stunden-Jobs anbie­ten, obwohl sie mehr Stunden wollen. Jene Teilzeit, die freiwillig gewählt ist, um Familie und Beruf zu vereinbaren, wollen wir, jawohl, denn das ist ein Zeichen dafür, dass die Frauen ihr Muttersein wirklich bewusst und verantwortungsvoll leben und


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genauso aber auch im Beruf verbleiben wollen. Dazu steht die Österreichische Volkspartei. (Beifall bei der ÖVP.)

Faktum ist aber auch, und auch das ist dokumentiert, dass die Geburt eines Kindes für Frauen im außerhäuslichen Erwerbsleben nach wie vor nachhaltige Einschnitte mit sich bringt und vor allem auch Nachteile, vor allem dann, wenn es in die Pensionszeit hineingeht. Die geringen Pensionen orientieren sich nicht nur am niedrigen Erwerbs­ein­kom­men während der gesamten aktiven Arbeitszeit, sondern bei lückenhaften Versicherungsverläufen fällt die Pension für Frauen wesentlich niedriger aus als bei Männern. Hier sind wir gefordert, hier gilt es auch anzusetzen.

Faktum ist auch – auch das ist festgeschrieben –, dass das Entdiskriminieren der Frauen nicht allein die Lösung ist. Wir brauchen ganz einfach eine Vernetzung der Schnittstellen der Marktwirtschaft in den Bereichen Bildung, Haushalt und Staat. Wir brauchen ganz einfach neue Anreizsysteme, damit wir entsprechende Effizienzstei­gerungen erreichen können.

Meine Damen und Herren! Wir brauchen vor allem auch für die Zukunft nachhaltige flexible Maßnahmen, damit Familie und Beruf besser vereinbar sind, und ich stehe dazu, dass die ÖVP-Frauenpolitik selbstverständlich auch eine Kinderpolitik und eine Familienpolitik ist. (Beifall bei der ÖVP.)

18.37


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Kitzmüller. – Bitte.

 


18.38.00

Abgeordnete Anneliese Kitzmüller (FPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Die Situation der Frauen und Alleinerzieherinnen hat sich in den letzten Jahren sicherlich gebessert, ist aber immer noch sehr prekär. So wichtig es auch ist, die Männer in die Kindererziehung mit einzubeziehen, so wichtig ist es auch, die Ungleichbehandlung der Alleinerzieherinnen aus der Welt zu schaffen. (Beifall bei der FPÖ.)

Ohne männliche Unterstützung ist die Inanspruchnahme zum Beispiel der Karenz­zeiten unmöglich. Egal, welches Modell der Karenzzeit man auch betrachtet und ins Auge fasst, es wird immer von einer Männerbeteiligung ausgegangen. Nehmen wir einmal an, eine Frau, eine Alleinerzieherin, will die Langzeitvariante in Anspruch neh­men, will drei Jahre zu Hause bleiben. Was macht sie? Sie hat die Möglichkeit, zweieinhalb Jahre zu Hause zu bleiben, um das letzte halbe Jahr fällt sie um. Der Kündigungsschutz umfasst allerdings nur zwei Jahre. – Was passt da zusammen? Was ist daran frauen- oder auch familienfreundlich?

Genau das ist ein Beispiel dafür, dass aus unserer Sicht die Bereiche Familie und Frauen nicht zu trennen sind. Die Trennung dieser zwei Bereiche, Familien- und Frauenpolitik, ist unserer Meinung nach ein Anschlag auf die Gesellschaft. (Beifall bei der FPÖ.)

Wir Freiheitlichen sagen, dass Frauenpolitik und Familienpolitik – und das ist auch gut und richtig – zusammengelegt gehören. Frauen- und Familienpolitik ist eine Quer­schnitts­materie. Wenn das keine Querschnittsmaterie ist, was denn dann?

Wir Freiheitlichen betreiben Politik für Frauen, Männer und Kinder. Wir betreiben eine Familienpolitik, und wir sind die Einzigen, die Familienpolitik betreiben und zum Wohle der Kinder agieren. (Beifall bei der FPÖ.)

Wir brauchen sogenannte Kampf-Emanzinnen – in diesem Fall mit zwei „n“ geschrie­ben – nicht, die tun unserer Frauenpolitik nicht gut. Und es ist ein Trugschluss, wenn


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 185

wir annehmen, dass Frauen nicht Teilzeit arbeiten wollen. Lesen Sie Ihre Berichte, in denen das sehr wohl steht!

Wir brauchen Wahlfreiheit für die Frauen, für Alleinerzieherinnen und nicht Vor­schrif­ten, und wir brauchen keine von unserer Ministerin in eine Schablone gedrängten Frauen. Wir brauchen das nicht. Wir wollen Wahlfreiheit, und wir wollen ein politisches Miteinander von Frauen und Männern, eben eine Familienpolitik. Aus diesem Grund können wir den vorliegenden Frauenbericht sicher nicht annehmen. (Beifall bei der FPÖ.)

18.40


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Mag. Schwentner. – Bitte.

 


18.40.51

Abgeordnete Mag. Judith Schwentner (Grüne): Herr Präsident! Frau Ministerin! Ich wollte nur darauf hinweisen, dass man „Kampf-Emanzinnen“ mit vier „n“ schreibt, aber ich weiß nicht, vielleicht haben Sie ein anderes Wort gemeint. Das ist ein schwieriges Wort für die FPÖ, ich weiß. (Abg. Dr. Rosenkranz: Sie schreiben es auch mit vier? Ich habe gedacht, Sie schreiben es mit drei?)

Ich würde nun gern zum Frauenbericht, der ja auf unser Begehren hin ins Plenum gekommen ist, sprechen. Das war eine grüne Initiative, und ich bin sehr froh, dass es nach 15 Jahren diesen Bericht gibt; wir haben sehr lang darauf gewartet. Der Bericht ist sehr zentral für unsere weitere Arbeit, er beinhaltet viele wichtige Punkte. Das heißt, er ist nicht nur gewichtig, sondern eben auch sehr wichtig.

Umso mehr tut es mir leid, dass er um diese Uhrzeit hier im Plenum diskutiert wird und nicht ein bisschen früher. Das zeigt halt auch, wie schlecht wir alle offensichtlich noch im Verhandeln sind, wenn es um Gleichbehandlungsanliegen im Parlament geht. (Abg. Mag. Wurm: Die Dringliche hat uns die Zeit ...!) – Die Dringliche hat uns die ent­sprechende Zeit genommen, das stimmt.

Eines zeigt der Bericht ganz klar, und das zieht sich wie ein roter Faden durch, nämlich die Situation von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt, die Ungleichheit bei den Einkommen. Die Einkommensschere ist, wie Sie alle wissen, so groß wie kaum anderswo. Nicht nur EU-weit sind wir diesbezüglich an vorletzter Stelle, wir sind auch im internationalen Vergleich, so das neue Ranking im Gender Gap Report, wenn es um die Sparte gleicher Lohn für gleiche Arbeit geht, auf Platz 126 von 134 verglichenen Ländern.

Das ist sehr unrühmlich und weist darauf hin, dass es sehr großen Handlungsbedarf gibt, womit ich bei den Handlungen wäre. Zwei Jahre ist die Regierung jetzt am Werk, und im Regierungsübereinkommen steht auch, dass man die Einkommensschere unbedingt schließen will, dass es viele Vorhaben gibt. Eines der großen Vorhaben ist uns jetzt seit Monaten vollmundig und groß angekündigt worden, nämlich die Novelle des Gleichbehandlungsgesetzes, wo es um die Offenlegung der Gehälter geht. Da gab es sehr, sehr viele Vorschusslorbeeren, so viele, dass sie in der ganzen Fülle kaum zu ernten sind, würde ich meinen. Wenn ich die Presseaussendungen lese, komme ich mir vor wie im Märchen: Ab jetzt wird alles gut, ab jetzt gibt es keine Geheimniskrämerei mehr, es gibt keine undurchsichtigen Gehaltsmauscheleien mehr, keine undurchsichtigen Gehaltsmanschetten, das ist ein Meilenstein, und alles ist demnächst im Lot.

Es gibt, wie Sie wissen, solche und solche Märchen, und in dem Fall ist es meiner Ansicht nach kein Märchen, das gut ausgeht. Ich denke da eher an „Des Kaisers neue


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Kleider“, und ich fühle mich auch so, als würden alle irgendwohin schauen, und ich verstehe es nicht, denn da läuft einiges in die falsche Richtung.

Ich glaube nicht, dass da eine Tür aufgeht, wie Sie, Frau Ministerin, sagen, wo wir jetzt wirklich zu einer großen Lösung kommen, nicht nur, weil es nur ein Prozent der Unternehmen treffen wird, nämlich ein Prozent, wo kaum Frauen tätig sind. (Abg. Mag. Wurm: ... in Stufen!) Bis 2014 sind es Unternehmen bis 150 Mitarbeiter, bis es dann sozusagen abgeschlossen ist, und bis dahin ist es ein Prozent der Unternehmen.

Kleine und mittlere Unternehmen, in denen vor allem Frauen tätig sind, sind ausge­nommen. Das finde ich sehr bedauerlich. Aber nicht nur das, glaube ich, hat negative Auswirkungen, sondern einer der großen Wermutstropfen, wie Sie sagen, im Gesetz – ich meine, das ist mehr als ein großer Wermutstropfen, das ist eine riesengroße Ungerechtigkeit – ist, dass, wenn Arbeitnehmerinnen sich künftig öffentlich in irgendeiner Form über den Einkommensbericht äußern, wenn sie draufkommen, dass es in dem Bericht nicht mit rechten Dingen zugeht, wenn sie mit dem Betriebsrat reden und der dann vielleicht zur Gleichbehandlungsanwaltschaft geht – hinzu kommt, dass die Gleichbehandlungsanwaltschaft keinen automatischen Einblick hat in die Berichte –, dass sie also, wenn sie das ausplaudern, dafür bestraft werden.

Die werden bestraft in einem Ausmaß, das höher ist als jede Verwaltungsstrafe, die das Gleichbehandlungsgesetz vorsieht, und das ist meiner Meinung nach ein Hohn für alle Frauen! (Beifall bei den Grünen.)

Frau Ministerin, Sie sagen, es ist schön, dass die Strafe deutlich niedriger angesetzt ist als ursprünglich geplant. Zuerst war die Rede von 2 300 €, jetzt sind es 1 500. Ich meine, das ist trotzdem immer noch zu viel. Und die Unternehmen, die entweder den Einkommensbericht nicht vorlegen, die sich an das Gesetz künftig vielleicht nicht halten, die eventuell den Einkommensbericht in irgendeiner Form verfälschen, kommen ohne Sanktionen davon. Das wird nicht kontrolliert, dafür gibt es keine Strafen!

Das heißt, auf der einen Seite ist der große Unternehmer, der in dem Fall einfach weiter tun kann, was er will, während die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer, der beziehungsweise die sich ungleich behandelt fühlt, bestraft wird. Das ist wirklich eine Frechheit! (Beifall bei den Grünen.)

Der Bericht zeigt auch, dass es noch viel, viel mehr zu tun gibt. Ich meine, wenn es in dem Tempo weitergeht, muss man nicht unbedingt Kassandra heißen, um zu wissen, dass die nächsten Einkommensberichte und der nächste Gender Gap Report zeigen werden, dass es da leider gleich ausschauen wird wie jetzt und sich nicht viel ändern wird. Ich bin diesbezüglich wirklich sehr, sehr pessimistisch.

Wir haben heute über einen Mindestlohn diskutiert. Genau das wäre etwas, wofür man sich dringend einsetzen müsste, und zwar auf gesetzlicher Ebene noch einmal. Auch die Aufwertung der Teilzeit ist immer wieder in Diskussion, aber das sind Beschwö­rungen, die mantraartig erfolgen, aber tatsächlich umgesetzt wird in diese Richtung gar nichts!

Im vorliegenden Antrag, den wir gemeinsam beschlossen haben, ist natürlich auch ein Aspekt, dass die klassischen Frauenberufe dringend aufgewertet werden müssen, und zwar nicht nur deshalb, damit sich auch mehr Männer dafür interessieren, sondern auch deshalb, dass Frauen besser bezahlt werden und etwa Lehrberufe ein besseres Image und mehr Prestige in unserer Gesellschaft haben.

Wenn sich auf der anderen Seite nichts ändert und die Frauen in der Privatwirtschaft nicht bessere Chancen, Aufstiegschancen, Gehälter und Möglichkeiten haben, wird sich auch innerhalb dieses Gefüges wenig ändern. Das heißt, man muss gleichzeitig


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auch immer auf die Privatwirtschaft schauen – egal, ob wir über die Beamten reden, über die Lehrberufe oder sonst etwas.

Es gibt also noch viel zu tun, und ich plädiere dafür, dieser Novelle, wie sie vorliegt, nicht zuzustimmen, denn sonst geht, glaube ich, ein Schuss nach hinten los. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

18.47


Präsident Fritz Neugebauer: Zu Wort gemeldet ist nun Frau Bundesministerin Heinisch-Hosek. – Bitte.

 


18.47.54

Bundesministerin für Frauen und öffentlichen Dienst Gabriele Heinisch-Hosek: Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Hohes Haus! Je öfter wir über Gleichstellung sprechen, desto mehr, glaube ich, dringt ins Bewusstsein, dass hier einiges noch immer nicht stimmt. Das ist mir persönlich sehr wichtig, und ich freue mich, dass wir bereits zum zweiten Mal – neben dem Gleichbehandlungsbericht für die Privatwirtschaft, den wir vor etwa einem Jahr hier im Hohen Haus besprochen haben –, heute auf Initiative der Grünen – das finde ich sehr begrüßenswert –, über diesen Frauenbericht, der von meiner Kollegin Doris Bures 2008 in Auftrag gegeben wurde, sprechen können.

Die letzten 15 Jahre beleuchten es nicht ganz: Es ist der Zeitraum von 1998 bis 2008. Die einen mögen zu viel Statistik darin sehen, die anderen sagen, das sei wichtig. Ich glaube, um vergleichen zu können, wie es den Frauen über die Jahre in ihrer sozio­ökonomischen Situation, beim Einkommen im Allgemeinen, bei der Armutsgefährdung, bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, bei Gesundheit und Pflege, beim Leben auf dem Lande geht, wie es Frauen mit Migrationshintergrund geht, ist es schon wichtig, dass wir Zahlen, Daten und Fakten haben.

Der Frauenbericht umfasst aber nicht nur diese acht Kapitel, die ich soeben versucht habe zu skizzieren, sondern da sind auch Expertinnen zu Wort gekommen, die sich in vier Kapiteln mit Beziehungsgewalt gegen Frauen auseinandersetzen, allgemein mit der ökonomischen Situation von Frauen – und die ist nicht immer rosig; darauf werde ich dann gleich noch zu sprechen kommen –, mit dem Verlauf von Frauen­erwerbs­arbeit in Österreich, Fortschritten und Rückschritten der letzten Jahre, aber auch mit allgemeinen frauenpolitischen Entwicklungen und Brüchen.

Ich glaube, es ist sehr wichtig, hier festzuhalten, dass sich manches zum Positiven verändert hat, dass Frauen von den Bildungsabschlüssen her so gut ausgebildet sind wie noch nie zuvor, aber von ihrer ökonomischen Situation her davon leider noch nicht genug profitieren können. Das heißt, die gute Ausbildung, ein guter Job nützt nicht immer, sodass Frauen sagen können: Für die gleiche oder gleichwertige Arbeit bekomme ich gleich viel bezahlt wie Männer! Und daran ist zu arbeiten, meine Damen und Herren.

Es ist mitunter schon mehr als ein Wermutstropfen, der hier zu vergießen ist, wenn ich sage, dass es leider noch immer nicht gelungen ist, in Bezug auf diese Einkom­mensschere schneller voranzukommen. Was ich aber auch nicht sage, ist, dass das, was jetzt in eine Novelle des Gleichbehandlungsgesetzes kommen wird, abzulehnen ist.

Das ist, wie ich meine, der falsche Zugang, wenn man etwas ablehnt, was überhaupt zum ersten Mal in ein Gesetz gegossen wird, nämlich anonym in Gruppen nach­zuschauen, was Männer und Frauen wo verdienen. Zunächst geschieht das in sehr großen Betrieben, dann, bis 2014, abgestuft auf kleinere Betriebe. Man kann doch nicht sagen, man lehnt etwas ab, weil das noch nie zuvor Gesetzeslage war!


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Ich bin davon überzeugt, dass wir, wenn wir das Thema Einkommensschere an­sprechen werden – im nächsten Jahr, in den nächsten Jahren –, Fortschritte erzielt haben werden. Dass es schneller geht, das möchte ich auch; keine Frage. Aber ich glaube nicht, dass es gut ist zu sagen: Dann lehne ich die ganze Novelle überhaupt ab!

Auf der anderen Seite ist es, wie ich meine, nicht so positiv zu sagen, dass es soziale Rollenzuschreibungen nicht gibt, denn Sie von der FPÖ hätten ja gerne – Sie bringen ja diesbezüglich einen Antrag ein – mehr Männer in pädagogischen Berufen. Wir alle wünschen uns auch mehr Väter in Karenz. Das hat ja auch mit der Rolle, die ein Mann einnehmen sollte, zu tun, nämlich ein positiver Vater zu sein und auch in pädago­gischen Berufen seine soziale Kompetenz einzubringen. – Wenn ich von sozialer Kompetenz spreche, dann ist das ja schon eine soziale Zuschreibung einer Rolle, dass sich Mann genauso in Tätigkeiten wohlfühlen kann, die sonst eigentlich mehr den Frauen zugeschrieben werden. Lehrer zum Beispiel, das war früher einmal ein männlicher Beruf; jetzt ist es das schon lange nicht mehr. – Jedenfalls meine ich, dass wir in unseren Auffassungen gar nicht so weit voneinander entfernt sind und dass wir dieses Trennen von sozialer Rolle gar nicht so festhalten können, ja dass da schon viel aufgeweicht ist.

Nun ein Appell an alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier, denn wir haben ja im parlamentarischen Prozess noch Gespräche darüber zu führen, ob diese Strafen, die Arbeitnehmerinnen treffen können, so haltbar sind. Auch ich freue mich nicht – das können Sie mir glauben –, dass das noch immer 1 500 € sind. (Abg. Öllinger: Dass es überhaupt Strafen gibt!) Ich wollte das bis zum Schluss herausverhandeln, was mir aber leider nicht gelungen ist; das gebe ich zu.

In diesem Zusammenhang gibt es eine Protokollanmerkung zum Ministerrats­be­schluss – und bis zum Schluss können wir ja hier im parlamentarischen Prozess noch über diese Strafe reden und verhandeln. Ich bin jedenfalls der Meinung, dass wir diese Strafen gemeinsam – vor allem Sie hier im Hohen Haus – wieder heraus bekommen können. Da ist also noch eine Möglichkeit gegeben; auch diesbezüglich ist noch nicht aller Tage Abend. (Beifall bei der SPÖ.)

Warum viele Frauen in ihrer ökonomischen Lebensweise noch nicht so bevorzugt sind, wie es zum Teil die Männer sind, das liegt schon auch daran, dass das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch immer nur den Frauen zugeschrieben wird. Da ist es an der Zeit, dass sich auch mehr Männer beteiligen, und zwar nicht nur im Reden, sondern auch im Tun.

Aber auch das zeigt der Frauenbericht: Es machen schon viel mehr Männer mit da­heim, aber die Entlastung der Frauen zu Hause ist noch immer zu wenig, als dass sich Frauen so verwirklichen können, wie sie das möchten.

Glauben Sie mir: Ich bin die Letzte, die Frauen vorschreiben möchte, welches Leben sie führen sollen, nur möchte ich es nicht verabsäumen, Angebote zu machen, dass Frauen ihre Lebensart tatsächlich frei wählen können. Das ist mir wichtig: Selbstbe­stimmt, unabhängig, frei von Gewalt – so ein Leben wünsche ich jeder Frau in Öster­reich. Und dazu gehört natürlich auch, dass wir, dass Sie hier im Hohen Haus die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass das Frauen überhaupt möglich ist. (Abg. Kitzmüller: Aber nicht mit Gewalt!)

Es ist nicht egal, wo Frauen in Österreich leben, weil sie an verschiedenen Orten ganz verschiedene Bedingungen vorfinden. Im Westen Österreichs gibt es leider noch nicht jene Zahl an Kinderbetreuungs- und Kinderbildungseinrichtungen, wie wir uns das wünschen. Im Osten unseres Landes ist das hingegen ganz gut abgedeckt. Jedenfalls hätte ich gerne, dass jedes Kind in Österreich die gleichen Voraussetzungen und somit auch jede Familie in Österreich die gleichen Bedingungen hat, damit Kind und Familie


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vereinbar sind. (Abg. Zanger: Die erste Betreuungseinrichtung ist die Mutter!) – Mutter und Vater, sehr geehrter Herr Kollege!

Meine Damen und Herren, ich habe hier vorhin Zählungen vorgenommen. Es waren hier herinnen zu Beginn der Debatte über den Frauenbericht ungefähr zehn Männer mehr als Frauen – und die haben sich dann entfernt. Jetzt steht es hier ungefähr fifty-fifty. Diese Quote würde mir gut gefallen, und ich glaube, dass in einem solchen Fall einige Entscheidungen anders ausgingen. (Abg. Zanger: Ich bin immer dabei bei den Frauen! Immer!) Ich nehme da keine Partei aus, denn es ist in jeder Fraktion so, dass die Männer die Mehrheit bilden.

Zum Schluss kommend, sehr geehrte Damen und Herren: Dieser Frauenbericht, der die letzten zehn Jahre beleuchtet, stellt eine Analyse der Situation dar, und in diesem Bericht wird auch festgehalten, wie sich die Situation verändert hat – und damit haben wir etwas Konkretes in der Hand, sodass wir gemeinsam und zukunftsorientiert arbei­ten können.

Daran können wir auch ermessen, wie ernst es uns allen – vor allem auch Ihnen hier im Hohen Haus – mit der Gleichstellung ist, denn der Nationale Aktionsplan „Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt“ beinhaltet 55 verschiedene, aber sehr konkrete Maßnahmen, wo wir jeden einzelnen Punkt abarbeiten können, sodass sich die Situation der Frauen und Männer in unserem Lande verbessert.

Auf der einen Seite wollen wir Frauen, die ein unabhängiges Leben führen – und auf der anderen Seite wollen wir mehr Männer, die sich auch an der Haushaltsarbeit, an der Kinderbetreuung, an der Kindererziehung beteiligen, weil das ja auch sozial kom­petent macht. Es ist ja nicht so, dass jemand, der immer nur als Alleinverdiener seinem Beruf nachgeht und sagt: Ich habe keine Zeit für meine Kinder!, es unbedingt besser hat.

Das Ergebnis vieler Befragungen und Untersuchungen ist doch, dass Männer sehr oft sagen: Eigentlich würde ich gerne weniger Überstunden machen; ich würde mich gern mehr meiner Familie widmen, nur wird es nicht zugelassen!

Meine Damen und Herren, ich stehe nach wie vor sehr zur Sozialpartnerschaft, hätte aber eigentlich nicht so gerne, dass auch da Mindestlöhne gesetzlich vorgeschrieben werden. Ich möchte auch nicht – obwohl mir das mit diesen 1 500 € absolut nicht gefällt –, dass über die Sozialpartner drübergefahren wird, weil ich meine, dass wir nur gemeinsam, also ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen, gut vorankommen.

Das eine oder andere Mal braucht es vielleicht mehr, ja, das meine ich schon, aber Frauen- und Gleichstellungspolitik ist eine Sache, die sich wie ein Marathon für mich darstellt: Wir kommen weiter, zwar nicht schnell genug, aber trotzdem meine ich, dass es hier im Hohen Haus weitere Möglichkeiten geben wird, Fortschritte zu erzielen in Bezug darauf, diese Einkommensschere zwischen Frauen und Männern zu verringern, in Bezug auf Vereinbarkeitsfragen Verbesserungen zu erzielen und die Lebenssituation der Menschen in Österreich insgesamt zu verbessern. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

18.57


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Mühlberghuber. – Bitte.

 


18.57.53

Abgeordnete Edith Mühlberghuber (FPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Im Großen und Ganzen hat sich laut dem neuen Frauenbericht wenig getan, es kam leider nur zu wenigen Veränderungen.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 190

Nun zu ein paar Punkten, die bereits meine Vorrednerinnen angesprochen haben. Die relative Einkommenssituation der Frauen hat sich nicht verbessert. Noch immer verdienen Frauen für gleiche Arbeit bis zu 18 Prozent weniger als Männer. Das hat ja auch schon Frau Schittenhelm angesprochen.

Weiters: Frauen und Alleinerzieherinnen sind daher im Alter auch stärker armuts­gefähr­det als Männer.

Als positiv ist jedoch anzumerken, dass Frauen im Bildungsbereich aufgeholt haben.

Nun möchte ich ein bisschen auf die Situation im ländlichen Raum eingehen. Im ländlichen Raum zeige sich eine starke Benachteiligung bei der Kinderbetreuung, heißt es in diesem Bericht. Ein Großteil der Kindergärten bietet weniger Stunden an Betreuung pro Tag an, als das in den Städten der Fall ist.

Um weiterhin beim Thema ländlicher Raum zu bleiben – allerdings wird in diesem Bericht sehr wenig über die Situation der Bäuerinnen gesprochen –: Der Frauenbericht zeigt auf, dass Frauen in der Landwirtschaft eine sehr wichtige Rolle spielen. Einen beson­deren Beitrag leisten Bäuerinnen beispielsweise bei der Aufrechterhaltung des Nebenerwerbs, in der Erwerbskombination mit Tourismus und anderen Dienstleis­tungen oder etwa auch durch die Übernahme der Direktvermarktung.

Die Zahl der bäuerlichen Betriebsführerinnen hat sich in den letzten zehn Jahren verändert, und zwar hat diese deutlich zugenommen. Aufgrund der Erwerbstätigkeit von Landwirten mit geringerer Betriebsgröße übernehmen deren Frauen den land­wirtschaftlichen Betrieb. Und rund 40 Prozent der bäuerlichen Betriebe werden über­haupt und ausschließlich von Frauen geführt.

Meine Damen und Herren, wir Freiheitlichen sprechen uns für ein System der Wahlfreiheit aus und lehnen den Frauenbericht ab, weil er ideologisch geprägt ist. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

19.00


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Schenk. – Bitte.

 


19.00.20

Abgeordnete Martina Schenk (BZÖ): Herr Präsident! Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zusammenfassend kann man sagen, dass der Frauenbericht nicht viel Neues aufzeigt. Er zeigt Probleme auf, die evident sind, die wir kennen, die wir aus anderen Berichten kennen. Er zeigt auch seitenweise eigenartige Formulierungen und politische Wertungen auf, auf die meine Kollegin Haubner noch eingehen wird. Er ist summa summarum aber ein umfassendes Nachschlagewerk, und ich finde es gut und richtig, dass es diesen Frauenbericht gibt.

Positiv ist dabei auch anzumerken, dass es in vielen Bereichen eigentlich leider gar nicht mehr schlechter werden kann. Das dürfte auch das Credo der Frau Ministerin sein, wenn sie in einer österreichischen Tageszeitung folgendermaßen zitiert wird: „Wir sind auf dem richtigen Weg, bewegen uns aber im Schneckentempo.“

Wenn man sich allerdings vor Augen führt, dass wir zum Beispiel bei der Einkom­mensschere im EU-Vergleich immer noch an vorletzter Stelle liegen, dann frage ich mich, ob wir in der Frauenpolitik tatsächlich auf dem richtigen Weg sind, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall beim BZÖ.)

Noch viel dramatischer ist die Einkommenssituation bei den in Österreich lebenden Migrantinnen. Dass diese Tatsache definitiv kein Beitrag zu einer gelingenden Inte­gration sein kann, liegt auf der Hand. Die Verantwortung dafür kann man der Frau Ministerin nicht alleine in die Schuhe schieben, aber es stellt sich auch hier wieder die Frage, ob wir uns da auf dem richtigen Weg befinden.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 191

Eine weitere Baustelle gibt es im Pflegebereich. Darüber haben wir gestern hier im Hohen Haus schon ausführlich diskutiert und auch darauf hingewiesen. Wenn wir uns die Situation in den Pflegeberufen ansehen, so zeigt sich folgendes Bild: 82 Prozent der in Pflegeberufen tätigen Personen sind Frauen; das sind Berufe mit enorm hohen psychischen und physischen Anforderungen, aber mit vergleichsweise minimaler Entlohnung. 79 Prozent der pflegenden Angehörigen sind ebenfalls Frauen. Und gera­de wenn man sich das Einkommensgefälle zwischen Männern und Frauen vergegen­wärtigt, sollte man das nicht außer Acht lassen.

Gestern haben wir hier einen umfassenden Antrag zur Verbesserung der Situation im Pflegebereich eingebracht, wovon auch die Frauen in Österreich profitieren könnten. Die Vertreter von Rot und Schwarz haben diesem umfassenden Antrag leider nicht zugestimmt. Da hätten wir eine sinnvolle Maßnahme, eine sinnvolle Lösung, aber Sie haben es verabsäumt, hier zu einer Verbesserung der finanziellen Situation der öster­reichischen Frauen beizutragen. (Beifall beim BZÖ.)

Aber dass es auch anders geht, haben wir im letzten Gleichbehandlungsausschuss gesehen. Ich bin sehr froh darüber, dass wir dort einen Fünf-Parteien-Antrag erzielen konnten, nämlich auf Initiative des BZÖ hin. Wir haben schon im März dieses Jahres einen Antrag betreffend Maßnahmen zur Steigerung des männlichen Anteils in päda­gogischen Berufen gestellt, weil dies sehr wichtig ist, weil dies auch für die Kinder und Jugendlichen sehr wichtig ist.

Die Regierungsparteien haben sich kurz vor der Ausschusssitzung darauf geeinigt, diesem Antrag näherzutreten. Daraus ist ein Fünf-Parteien-Antrag geworden, über den ich mich auch sehr freue. Ich hoffe auch, dass hier etwas zügig umgesetzt wird. Wir hatten eine Fristsetzung in unserem Antrag, in dem neuen Fünf-Parteien-Antrag wurde dies herausreklamiert, aber ich hoffe, dass das zügig zum Abschluss kommt und wirklich der Anteil von Männern in pädagogischen Berufen erhöht wird.

Eine Aufwertung der pädagogischen Berufe im Hinblick auf Ausbildung und Entlohnung würde für viele Kindergartenpädagoginnen, für die Volksschullehrerinnen, also für die Frauen, die in diesem Bereich tätig sind, Verbesserungen bringen, aber vor allem auch Männer in diese Berufsfelder bringen. Eine wichtige und konkrete Maßnahme ist es, einerseits faire Voraussetzungen für Männer und Frauen zu schaffen und gleichzeitig auch, wie schon angesprochen, den Kindern die Chance zu geben, auch von Männern in ihrer Entwicklung gefördert zu werden.

Mir liegt hier nun vor allem eines am Herzen, nämlich das Klischee vom typischen Frauenberuf als sozial schlecht bezahlt und deshalb belächelt endlich aufzubrechen, und zwar nicht nur mit bloßen Ankündigungen, meine sehr geehrten Damen und Herren, sondern mit konkreten Maßnahmen, denn das ist meines Erachtens der einzi­ge Weg, dass wir Österreich in der Frauenpolitik und in der Gleichbehandlungspolitik nach vorne bringen und nicht wie jetzt abgeschlagen an vorletzter Stelle liegen. (Beifall beim BZÖ.)

Ich darf abschließend an Sie, sehr geehrte Damen und Herren von den Regierungs­parteien, appellieren, dass Sie unsere Vorschläge und Ideen öfter aufgreifen und sich hier unseren Maßnahmen anschließen. Wir vom BZÖ werden auch weiterhin einen konstruktiven Beitrag leisten und immer wieder konstruktive Vorschläge einbringen. – Danke. (Beifall beim BZÖ.)

19.05


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Binder-Maier. – Bitte.

 



Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 192

19.05.17

Abgeordnete Gabriele Binder-Maier (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Frau Bundesministerin, danke für die Vorlage des Frauen­berichtes, der Daten, Fakten und Zahlen präsentiert. Ich finde es schon „spannend“, wenn man hier die Querverbindung herstellt, dass der Statistik Austria, die sehr maßgeblich an der Gestaltung der Unterlagen beteiligt war, Ideologie unterstellt wird. Das finde ich sehr bemerkenswert.

Zum anderen stelle ich fest, dass es viele Querverbindungen zum Familienbericht gibt, den wir ja schon diskutiert haben, und dass die Darstellungen im Bericht den Ist-Zustand der Situation der Frauen in Österreich präsentieren und sich für uns natürlich neue Handlungsfelder und neue Politfelder eröffnen.

Wesentlich erscheint mir auch, dass es unterschiedliche Lösungsvorschläge und Lösungs­ansätze von ExpertInnen gibt. Es geht vor allen Dingen um die Lebensfelder und Lebenswelten von Frauen, es geht um deren Arbeitssituationen, um ihre wirtschaftliche Situation und, wie es eine Expertin bezeichnet hat, um die Beharrlichkeit der Bilder, der Rollenklischees, der Rollenbilder. Dementsprechend langsam, lang­wierig und mühsam sind auch Veränderungen herbeizuführen.

Ich greife vier Themenfelder aus dem Bericht heraus: die Einkommenssituation von Frauen, die Vereinbarkeitsfrage, bezahlte/unbezahlte Arbeit und Frauen in Führungs­po­sitionen.

Zur Einkommenssituation wurde schon sehr viel gesagt. Der Einkommensunterschied wurde nicht verkleinert, sondern vergrößert. Es gibt eine Fülle von Gründen dafür: zum einen die Berufsauswahl, die oft sehr unfreiwillig geleistete Teilzeitarbeit und die un­gleiche Bezahlung. Dass die Erwerbsquote dennoch bei den Frauen – das sagt der Bericht – bei 68 Prozent liegt, zeigt, wie sich das Bild der Frauen in der Arbeitswelt geändert hat. Einkommenstransparenz wäre einer der Lösungsansätze.

Vereinbarkeit ist auch ein Schlüsselwort im Frauenbericht. Es geht darum, Beruf und Versorgungsarbeit miteinander vereinbaren zu können. Uns geht es darum, die Väterbeteiligung zu stärken, zu fördern, zu forcieren. Ziel muss das Selbstverständnis der Partnerschaft in allen Ebenen und Bereichen sein.

Bezahlte/unbezahlte Arbeit ist ein wesentlicher Aspekt. 77 Prozent der Frauen sind noch immer allein für die Hausarbeit zuständig, obwohl die Frauen in Österreich so gut ausgebildet sind wie nie zuvor.

Frauen in Führungspositionen: Auch da gibt es einen Lösungsansatz, nämlich Quoten einzuführen, um es Frauen zu ermöglichen, dass sie die gläserne Decke durchstoßen, denn gemessen am Anteil von Frauen und Männern in Österreich ist dieser Anteil von 9,7 Prozent in Führungspositionen absolut zu klein.

Meine Damen und Herren, zusammengefasst: Die Frauenministerin ist auf dem richtigen Weg. Der Rucksack ist gefüllt, wir werden sie begleiten. Das Ziel soll sein, die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von Frauen in Österreich zu gewährleisten, damit die Frauen die Chance haben, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es gerne möchten. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Mag. Aubauer.)

19.09


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Durchschlag. – Bitte.

 


19.09.12

Abgeordnete Claudia Durchschlag (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Der Frauenbericht 1998 bis


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 193

2008 ist ein sehr umfangreiches, gut und übersichtlich aufbereitetes Werk. Daher auch einmal von meiner Seite ein ganz herzliches Dankeschön an die Verfasserinnen und Mitarbeiterinnen an diesem Bericht. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

Auf die Aspekte Fraueneinkommen, Durchbrechen der gläsernen Decke, Frauenarmut ist heute schon in einigen Redebeiträgen eingegangen worden. Ich möchte mich daher auf zwei Themenbereiche beziehen, die in dieser Art und Weise in den Frauenbericht das erste Mal eingeflossen sind und zumindest im Ansatz einen Überblick über die Situation der Frauen in diesen beiden Bereichen geben, nämlich die Themen Frauen­gesundheit und Pflege.

Zum Bereich Gesundheit: Wenn man den Bericht aufmerksam liest, stellt man fest, es gibt neben den bereits bekannten Themen, wie zum Beispiel der Zunahme von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen, dabei auch mehr weibliche Tote. Frauen sterben 1,5 Mal so oft wie Männer an Herz-Kreislauf-Erkrankungen – auch Informationen, die einer breiten Öffentlichkeit vielleicht noch nicht so bekannt sind.

So hat beispielsweise die Zahl der Raucherinnen besonders im jüngeren Alter zum Teil dramatisch zugenommen. Das halte ich für ein falsches Verständnis von Emanzipation. Damit im Zusammenhang stehend ist der Lungenkrebs von einer für Frauen äußerst seltenen Krebsart zum zweithäufigsten Karzinom bei Neuerkrankungen geworden.

Im Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen steht auch die Zunahme der Zahl von übergewichtigen und adipösen Männern und Frauen. Bei Mädchen ist diese Zunahme leider noch ausgeprägter als bei Burschen. Auch ist die körperliche Inaktivität bei Mädchen ausgeprägter. Das ist, wenn man jetzt einen Bogen zum Gesund­heitswesen spannt, ein äußerst dramatischer Ausblick und wird unser Gesundheits­system vor zusätzliche Herausforderungen stellen.

Wenn man jetzt die Gesundheitsfragen in Zusammenhang mit der sozialen Lage bringt, so gibt es einen ganz klaren Zusammenhang mit der Bildung und dem Einkom­men. Daher gibt es auch von dieser Seite her einen eindeutigen Auftrag, sich noch mehr um Bildung und damit auch um Fraueneinkommen zu kümmern, Stichwort MINT-Fächer und technische Lehrberufe. Zur Bildung zähle ich zusätzlich auch das Wissen um gesundheitsrelevante Lebensweisen, Prävention und Vorsorge.

Zum Thema Pflege: Lebensverläufe von Frauen sind sehr oft von einem tätigen Verantwortungsbewusstsein anderen Menschen gegenüber geprägt. Das gilt auf der einen Seite für die Kinder, auf der anderen Seite für alte Menschen. Der Großteil der pflegebedürftigen Menschen wird zu Hause – und da wieder zu zwei Dritteln von Frauen – betreut. Pflegende Angehörige – auch das ist in diesem Bericht herausgekommen – fühlen sich zu einem großen Teil oft überfordert und landen nicht selten in einem Burnout.

Es wird daher wichtig sein, vermehrt Unterstützungsmaßnahmen anzubieten – Maß­nahmen wie beispielsweise Tagespflegezentren, die es besonders berufstätigen Frauen ermöglichen, die bezahlte Tätigkeit nicht zugunsten der unbezahlten einzu­schrän­ken oder gar aufzugeben, wie das auch sehr oft vorkommt.

Wenn Sie so wollen, ist das durchaus mit der Betreuung von Kindern vergleichbar. Da ist uns allen klar, dass eine ausreichende Kinderbetreuung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf Voraussetzung ist. Gleich verhält es sich auch mit der Betreuung älterer Angehöriger. Daher ein Appell von mir: Gehen wir auch in der Frage der Betreuung und Pflege alter und pflegebedürftiger Menschen vermehrt neue Wege, um das Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen in allen Lebensphasen positiv zu lösen. – Danke sehr. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

19.12



Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 194

Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Windbüchler-Souschill. – Bitte.

 


19.13.02

Abgeordnete Tanja Windbüchler-Souschill (Grüne): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben jetzt sehr viel von den statistischen Daten des Frauenberichts gehört. Die Erfassung statistischer Daten ist enorm wichtig, einer­seits als Bestandsaufnahme der politischen Maßnahmen der letzten Jahre, deren Zweckmäßigkeit und somit auch Kontrolle, aber andererseits geht es auch um die Grundlage für die kommenden politischen Entscheidungen, die einfach wichtig sind.

Eines zeigt der vorliegende Bericht auf alle Fälle auf – das sagen auch die Experten und Expertinnen im Ausschuss, die wir gehört haben –: Der Schlüssel aktiver Frauenpolitik ist die Gleichstellung von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt. Frau Ministerin, Sie reden sehr oft und gerne über die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt. Es gibt persönliche Analysen von Ihnen und es gibt Wünsche. Es gibt ständig Wünsche von Ihnen, aber meiner Ansicht nach sind Wünsche alleine zu wenig.

Politik ist kein Wunschkonzert, sondern es braucht ganz klare Umsetzungen. Es hapert an diesen Umsetzungsbedingungen und auch an den Rahmenbedingungen für eine aktive Frauenpolitik.

Dazu ein gutes Beispiel, das auch im Frauenbericht gut herauskommt: Jede zweite Frau macht zurzeit die Matura. Mehr Frauen als Männer studieren danach an einer FH oder an einer Universität, aber nur – und das ist wirklich nur – 16 Prozent der Pro­fessoren sind weiblich. Und da geht die Schere total auf zwischen dem, was Frauen im Bildungsbereich schaffen, und dem, wo sie im Endeffekt landen. Da braucht es kein Wunschkonzert, sondern da braucht es aktive Umsetzungspolitik.

Es braucht die emanzipatorische Wahlfreiheit für alle Frauen, es braucht Rahmen­bedingungen und es braucht eben die aktive Gleichstellung. Und daran muss gear­beitet werden. (Beifall bei den Grünen.)

Das passiert einfach nicht. An der Segregation von Frauen und Männern im Berufs­leben ist das am besten festzumachen. Gezielte Projekte, die Mädchen und junge Frauen in den Berufen Technik und Handwerk fördern sollten, werden einfach abge­dreht. Die Projekte „MUT“ und „FIT“ sind unter Ihren Augen abgedreht worden, Sie haben einfach zugesehen.

Geschlechtssensibler Unterricht, Technikdidaktik für Mädchen und junge Frauen – passiert nicht! Es gibt Unmengen an Studien in Europa, es gibt Wissenschafterinnen, die sich damit sehr gut und fundiert auseinandersetzen, aber diese Studien sind anschei­nend im Ministerium noch nicht eingezogen, und dieser Einzug sollte endlich passieren.

Die Erhöhung des Mädchenanteils in männerdominierten Lehrberufen findet unserer Ansicht nach nicht einmal ansatzweise statt. Gemeinsam mit dem AMS und mit den Betrieben könnte hier einiges getan werden, um Mädchen und junge Frauen wirklich zu fördern, in die männerdominierten Lehrberufe hineinzugehen.

Weiter geht es dann in Richtung FHs und Universitäten und deren technische Studien­richtungen. Zurzeit gibt es ja Folder mit Zuckerln, Minzzuckerln wahrscheinlich, womit die sogenannten MINT-Fächer beworben werden sollen.

Es gibt einen Folder mit Wegweisern der emanzipatorischen Wahlfreiheit von Mädchen und jungen Frauen: Sucht euch doch aus, was ihr machen wollt! – Aber das stimmt nicht. Mädchen und junge Frauen in der jetzigen Situation können sich nicht aus­


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 195

suchen, was sie gerne wollen, weil die Schere einfach noch immer extrem auseinan­dergeht.

All das, was die Frauenbewegung in den letzten Jahrzehnten geschafft hat, all das ist plötzlich weg: weg im Sinne vom ganzen Wissen, weg im Sinne vom ganzen Aktionis­mus, der passiert ist, und weg auch von einem emanzipatorischen Ansatz der Wahl­freiheit. (Abg. Steibl: Nein, so viel Blödsinn! So ein blödes Gequatsche und Gelabere! Entschuldigung!)

Das Interesse von Mädchen und Frauen für Technik und Handwerk zu wecken, das ist sicher nicht einfach – keine Frage –, aber es ist machbar. Es geht um Vorbilder, es geht darum, dass Frauen in entscheidenden Positionen sitzen und dass das Normalität ist. Es geht darum, positive Faktoren entlang eines Lebensverlaufes darzulegen, dass zum Beispiel die Stärken von Mädchen und jungen Frauen in Kindergarten und Schule wirklich gestärkt werden und dass dort die Interessen geweckt werden. Das ist politische Verantwortung. Das ist kein Wunschkonzert, sondern das ist machbar.

Und es geht auch um Chancengerechtigkeit – Chancengerechtigkeit, dass Familie und Beruf einfach vereinbar sind. Das ist auch politische Verantwortung und kein Wunsch­konzert.

Echte Selbstbestimmung für alle Frauen und Mädchen muss das Ziel sein. Weg vom persönlichen Wunschkonzert, hin zur echten Gestaltung.

Verringern Sie die Armutsgefährdung! Verringern Sie Gewalt an Frauen und Kindern! Setzen Sie endlich aktive Sozial- und Arbeitsmarktpolitik um – und das für alle Frauen in Österreich! (Beifall bei den Grünen.)

19.18


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Haubner. – Bitte.

 


19.18.57

Abgeordnete Ursula Haubner (BZÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundes­ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja schon vieles oder fast alles in den wichtigen Bereichen gesagt worden. (Abgeordnete der SPÖ unterhalten sich, mit dem Rücken zum Rednerpult im SPÖ-Sektor auf den Stufen stehend.)

 


Präsident Fritz Neugebauer: Entschuldigung, Frau Kollegin! Sind die Kollegen so nett, den Damen nicht den Rücken zuzudrehen und ein bisschen leiser zu sein?!

 


Abgeordnete Ursula Haubner (fortsetzend): Danke für die frauenfreundliche Mel­dung, Herr Präsident! (Abg. Steibl: Es ist meistens so! Bei Finanzthemen nicht!)

Es ist, wie gesagt, vieles schon gesagt worden. Meine Kollegin Martina Schenk hat festgestellt, dass dieses vorliegende Werk nicht gerade ein Grund zum Jubeln darüber ist, was in den letzten zehn Jahren passiert ist. Aber ich denke, eines ist sicher: Das Thema Gleichstellung, das Thema Gleichbehandlung ist einmal in den Köpfen aller angekommen – in den Köpfen angekommen; ob es schon in den Herzen drinnen ist und in den Taten, das bezweifle ich. Da ist insgesamt noch großer Nachholbedarf gegeben.

Es zeigt sich gerade an diesem Frauenbericht, dass Politik für Frauen eine absolute Querschnittmaterie ist. Wir sehen, dass im Bereich der Bildung Frauen bestens oder gut ausgebildet sind und der Anteil steigt. Wir sehen, dass noch nie so viele Frauen berufstätig gewesen sind. Das heißt: Der Trend zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Frauen ist – so möchte ich sagen – ein vermehrter und ein fast selbstver­ständ­licher.


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Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass gerade durch die vermehrte Berufstätigkeit und die Doppel- und Dreifachbelastung von Frauen die psychische Belastung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine sehr, sehr große ist.

Wir dürfen auch nicht übersehen, dass die Einkommensschere, die wir alle seit Jahren beschwören, noch nicht geschlossen ist und nach wie vor sogar weiter auseinander­geht. Kollegin Schenk hat es schon gesagt: Wir liegen in Europa an vorletzter Stelle, was die Jahreseinkommen im Vergleich von Männern und Frauen anbelangt. Wir sehen auch, dass die Ursachen hiefür sehr vielfältig sind.

Wenn man weiß, dass die Ursachen sehr vielfältig sind, dann müsste man, so meine ich, viel mehr Aktivitäten setzen. Daher verstehe ich nicht, dass heute ein Antrag für die Einführung eines Mindestlohnes, der gerade Frauen in diesen doch sehr atypi­schen Beschäftigungsverhältnissen betrifft, von der Mehrheit dieses Hauses abgelehnt wurde.

Denn das ist auch ein Grund. Es ist nicht nur die Teilzeit. Es ist natürlich die Teilzeit – die von vielen Frauen gewollt ist; man soll also niemanden zwangsbeglücken –, diese spielt sicher eine wesentliche Rolle, aber auch die geringen Stundenlöhne und zum Teil auch die einseitige Berufslaufbahn der Frauen. Technische Berufe, handwerkliche Berufe, Berufe, in denen es vermehrt Chancen gäbe, werden leider von Frauen noch viel zu wenig wahrgenommen.

Was wir an diesem Bericht auch sehen, ist, dass Haushalt, Pflege nach wie vor tradi­tionell weiblich sind. 300 000 Frauen pflegen zu Hause ältere Angehörige beziehungs­weise Behinderte.

Ich freue mich, dass gerade dem Kapitel Pflege erstmals in diesem Bericht eine große Bedeutung beigemessen wird. Wie Kollegin Durchschlag schon gesagt hat, bezieht sich das auf die Vereinbarkeitspolitik. Wir reden immer davon, dass Beruf und Familie vereinbar sein sollen, und denken dabei immer an die Kinder – was richtig, wichtig und gut ist –, aber wir denken nicht daran, dass Frauen, die zu Hause Ältere pflegen, mindestens genau das gleiche, wenn nicht ein größeres Problem haben.

Ich höre sehr gerne Ihre Worte, Frau Kollegin Durchschlag, wenn Sie sagen: Wir müs­sen da neue Wege gehen, wir müssen Ideen entwickeln! – Eine Idee liegt schon seit einigen Monaten hier im Parlament auf, nämlich ein genereller Ausbau von Tages­betreu­ungsstätten: Tagesbetreuungsstätten, die Angehörige, die ihre Mütter, Großmüt­ter, Schwiegermütter, Schwiegerväter – wen immer – pflegen, entlasten, indem diese Menschen stundenweise oder tageweise in bester qualitätvoller Pflege dort betreut werden können.

Das wäre ein innovativer, neuer Weg. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Ich denke daher, man sollte da ansetzen.

Es wurde sehr viel von den Fakten gesprochen. Ich glaube – und Sie, Frau Bundes­ministerin, haben es ja gesagt –, so ein Bericht ist immer eine Art Handlungsanleitung für die Dinge, die gemacht werden müssen. Eines liegt mir besonders am Herzen – und das hat indirekt auch mit der Pflege zu tun –: Gerade die unbezahlte Arbeit in der Familie muss spürbar etwas wert sein und wert werden und muss einfach besser für die entsprechende Alterssicherung von Frauen angerechnet werden.

Es kann nicht sein, dass 20 Prozent der Frauen, die zu Hause pflegen, keine Pen­sionsversicherung haben. Da besteht, wie ich meine, absoluter Handlungsbedarf. Dafür sollten Sie rasch etwas tun.

Zum Schluss möchte ich auf etwas hinweisen, was mich persönlich stört und was ich so unnötig finde. Wie ich zu Beginn gesagt habe: Politik für Frauen ist eine Quer­


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schnitt­materie. Die Notwendigkeit der Gleichstellung der Frauen gegenüber den Männern, der Gleichbehandlung, der gleichen Chancen ist unbestritten. Ich finde es unnötig, dass man wieder in einigen Kapiteln versucht, ideologische Fleißaufgaben anzufügen.

Die einen sind wieder die Konservativen, und die anderen sind wieder die Pro­gressiven. Die Konservativen reduzieren das Rollenbild der Frauen auf die Mütter. Dagegen verwahre ich mich, denn Mütter sind genauso gleichwertig wie andere Frauen, die keine Kinder haben. Mich stört, dass man wieder ein Rollenbild beschwört, das es im Grunde nicht gibt.

Ich spreche natürlich in erster Linie für meine Partei, für das BZÖ. Ich verwahre mich dagegen, wenn Familienleistungen wie das Kindergeld in dem Zusammenhang er­wähnt werden, dass sie das Rollenbild der Frau als Mutter verfestigen. Was soll dieser Blödsinn? (Beifall bei BZÖ, ÖVP und FPÖ.)

Das Kinderbetreuungsgeld ist eine Familienleistung. Und Familienleistungen werden für die Familien gegeben, weil sie etwas nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Gesellschaft tun, etwas sehr, sehr Wertvolles.

Und daher – so sage ich – ist das überhaupt nicht in ein Rollenbild einzuordnen. Ich glaube, wir sollten wirklich den Frauen überlassen, welches Lebensmodell sie wählen, wie sie zusammenleben. Wir sollten respektieren, welche Frau wie ihre Kinder erzieht beziehungsweise wie sie ihre Alten pflegt und betreut. Die Frauen brauchen keine Ideologien. Die Frauen brauchen Optionen, die Frauen brauchen die besten Rahmen­bedingungen, und die Frauen können dann frei entscheiden, welches Lebensmodell sie wählen.

Das muss unser Ziel in der Frauenpolitik im 21. Jahrhundert sein – und nicht wieder dieses althergebrachte, ideologische Rollenbildspiel von den einen, den Besseren und den anderen, den weniger Guten. Das bringt den Frauen nichts, das bringt der Politik insgesamt nichts und ist einfach nicht im Sinne einer guten Zukunft. – Danke. (Beifall bei BZÖ und ÖVP.)

19.26


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Csörgits. – Bitte.

 


19.26.57

Abgeordnete Renate Csörgits (SPÖ): Herr Präsident! Geschätzte Frau Bundesminis­terin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich in meiner Rede zum Frauenbericht auf die Frauenerwerbsquote konzentrieren und darf einmal grundsätz­lich feststellen, dass es positiv ist, dass wir vermerken dürfen, dass es zu einer wesent­lichen Erhöhung der Frauenerwerbsquote in Österreich gekommen ist.

Wir können feststellen, dass sieben von zehn Frauen unselbstständig erwerbstätig sind. Ich halte das deshalb für notwendig, richtig und gut, weil einerseits klar ist, dass man mit einem eigenen Einkommen auch dementsprechend selbständiger ist, und weil eine Erwerbstätigkeit mit einem Einkommen, von dem man auch auskommen kann, dafür Sorge trägt, dass es eine Absicherung im Alter gibt.

Was mich nachdenklich stimmt und wovon ich glaube, dass wir darauf ganz besonders Bedacht nehmen müssen, ist der Umstand, dass es zu einer sehr starken Steigerung der Teilzeitrate gekommen ist. Wenn ich mir vorstelle, dass sich die Zahl der teilzeitbeschäftigten Frauen in den letzten 15 Jahren fast verdoppelt hat – im Jahr 1995 waren es 367 000 Frauen und im Jahr 2009 sind es 732 000 Frauen –, so denke ich, das muss uns wachrütteln.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 198

Es gibt natürlich den Umstand, dass viele Frauen das auch wollen, weil es eine Möglichkeit ist, Beruf und Privatleben besser zu vereinbaren. Das ist mir immerhin noch lieber, als würden Frauen ganz aus der Berufstätigkeit ausscheiden. (Zwischenruf der Abg. Kitzmüller.)

Was aber auch noch dahinter steht, sehr geschätzte Kollegin, ist der Umstand, dass einerseits sehr viele Frauen, obwohl sie in Vollzeitbeschäftigung arbeiten wollen, keine Vollzeitbeschäftigung bekommen, weil sie am Arbeitsmarkt nicht angeboten wird oder aber auch weil dementsprechende Rahmenbedingungen nicht vorhanden sind.

Daher denke ich, dieser Frauenbericht ist nicht nur eine sehr gute statistische Unterlage, sondern gibt uns auch die Möglichkeit, dementsprechend punktgenau zu agieren und dort, wo es notwendig ist, Maßnahmen zu setzen. Ich glaube, insbeson­dere im Bereich der Teilzeitbeschäftigung sollen wir den Schwerpunkt darauf legen, dass es überall in ganz Österreich die Möglichkeit gibt, dass ganztägige Kinderbetreu­ungseinrichtungen/Kinderbildungseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden, dass aber auch weiterhin Maßnahmen gesetzt werden, um auch die Väter ein bisschen mehr in die Verantwortung der Familienpflichten einzubinden. Auch das ist, wie ich glaube, sehr wichtig.

Was mir ebenfalls wichtig erscheint, ist der Umstand, dass man, wenn man in einem Betrieb teilzeitbeschäftigt ist, dann auch dementsprechend die Möglichkeit hat, im Betrieb leichter auch auf Vollzeitbeschäftigung umsteigen zu können.

Die Frau Bundesministerin hat es schon erwähnt: Eine gute Quelle dafür ist der soge­nannte Nationale Aktionsplan „Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeits­markt“ – eine gute Unterlage, eine hervorragende Unterlage, ein tolles Werk, das die Frau Bundesministerin gemeinsam mit den Sozialpartnern ausgehandelt hat. Wir alle sind dazu aufgerufen worden, unseren Beitrag in die Richtung hin zu aktivieren, dafür Sorge zu tragen, dass dieser Aktionsplan auch wirklich mit Leben erfüllt wird. – Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

19.29


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Mag. Aubauer. – Bitte.

 


19.30.23

Abgeordnete Mag. Gertrude Aubauer (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Ge­schätzte Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Wir haben heute schon viel von der sogenannten Einkommensschere gehört. Ganz dramatisch verschärft sich diese Einkommensschere in der Pension. Die mittleren Einkommen der Alterspensionis­tinnen sind nur etwa halb so hoch wie die der Männer.

Was können wir dagegen tun? – Viele Frauen würden gerne – das ist eine der Möglichkeiten – länger im Job bleiben. Das geht aber derzeit nicht. In der Praxis ist es so, dass fast in allen Betriebsvereinbarungen das Pensionsalter mit 60 Jahren festgeschrieben ist.

Was heißt das dann? – Mit 60 Jahren heißt es für die Frauen: ab in die Pension. Män­ner werden Generaldirektoren, und Frauen schickt man in Pension. So kann es nicht sein, werte Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der ÖVP.)

Nach dem derzeitigen Gesetz soll die Angleichung der Pensionsalter von Frauen und Männern erst im Jahr 2024 beginnen. Meine Anregung: Diskutieren wir darüber, ob nicht eine raschere Angleichung der Frauenpensionsalter notwendig wäre!


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 199

Frau Minister, ich verstehe sehr wohl Ihr Argument! Sie sagen, Frauen sind sowieso schon doppelt und dreifach belastet – mit Familie, mit Kindererziehung, mit Job –, und solange dieser Zustand so ist, sollen sie früher in Pension gehen können.

Ja, das ist für viele ein Vorteil. Aber es gibt auch eine Gruppe von Frauen, für die diese Regelung ein großes Hemmnis ist. Daher: Schaffen wir auch die Möglichkeit für jene, die freiwillig länger bleiben wollen! Wir sollten gerade jenen Frauen, die eine lange Aus­bildung in Kauf nehmen, die sich hinaufgearbeitet haben – um es salopp zu sagen –, nicht Prügel vor die Füße werfen. (Beifall bei der ÖVP.)

Zu guter Letzt freue ich mich auf den nächsten Redner. Nach 14 Frauen tritt erstmals auch ein Mann ans Rednerpult, denn Gleichbehandlung ist sicher nicht ausschließlich eine Sache der Frauen. (Beifall bei der ÖVP.)

19.33


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Öllinger. – Bitte.

 


19.33.04

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Bundesministerin! Als Mann soll man ja besonders bei dieser Debatte jedenfalls den Fehler vermeiden, besserwisserisch aufzutreten. Das will ich auch nicht. Aber ich will den Frauen – vor allem den SPÖ-Frauen, aber auch den ÖVP-Frauen – ernsthaft nahelegen: Bitte, denken Sie nach, bevor Sie diese Einkommenstransparenz-Regelung so beschließen, wie sie geplant ist.

Ich verstehe ja die Einkommenstransparenz-Regelung als ein Instrument, um dorthin zu kommen, dass es gleiche Einkommen gibt, und nicht als das Ziel als solches. Es geht nicht darum, dass wir einfach einen Einkommenstransparenz-Bericht haben – damit haben wir noch gar nichts erreicht –, sondern mit Hilfe eines Einkommens­transparenz-Berichtes – bitte noch einmal: es geht um das Wort „Transparenz-Bericht“, um die Transparenz! – sollen wir dann dorthin kommen, soll es leichter möglich sein, dorthin zu kommen.

Wenn der Einkommenstransparenz-Bericht aber gesetzliche Bestimmungen enthalten soll, die den Frauen beziehungsweise allen Beschäftigten im Betrieb, die darüber nach außen berichten, eine Strafdrohung auferlegt – das heißt, wenn der Arbeitgeber der Meinung ist, diejenigen haben da etwas nach außen berichtet –, dann ist etwas falsch, und zwar grundsätzlich falsch. Da geht es ja nicht mehr um Transparenz, sondern da geht es um das Gegenteil von Transparenz. Da soll Transparenz verhindert werden.

Wir diskutieren in anderen Zusammenhängen über Whistleblower-Regelungen. – Das aber ist eine Regelung, mit der der Whistleblower, also derjenige, der über Ungerech­tigkeiten, die in anonymisierter Form in einem Einkommensbericht enthalten sind, nach außen berichtet, bestraft wird.

Bitte folgen Sie mir jetzt in ein anderes Land, nach China! Wenn dort – und ich ver­gleiche die sozialen Verhältnisse sonst sicher nicht! – Arbeiter über die Ungerech­tig­keiten, die im Betrieb passieren, berichten, damit an die Öffentlichkeit gehen, dann – das wissen wir aus den Berichten – sind sie diejenigen, die gestraft werden. Die Unter­nehmen kommen in der Regel ohne irgendeine Sanktion davon. Ob das der Milch­skandal in China oder was auch sonst immer war: Nichts ist ihnen passiert. Die Arbeitnehmer oder diejenigen, die diese Information an die Öffentlichkeit getragen haben – das waren ja teilweise auch betriebsfremde Personen – sind bestraft worden.

Wollen wir wirklich, dass das, was wir dort für demokratiepolitisch katastrophal halten, in einer milderen und anderen Form bei uns ein Regelwerk wird? Arbeitnehmer, die berichten, die sozusagen das ernst nehmen, was im Einkommensbericht drinnen steht, werden bestraft?! Da geht es ja um Ungerechtigkeiten, und da geht es darum, dass


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darüber Transparenz geschaffen werden soll. Ich sage noch einmal: Transparenz! Diejenigen, die darüber berichten, sollen bestraft werden, während die Unternehmen, die überhaupt keinen Einkommensbericht machen, straffrei bleiben?

Am Präsidium sitzt ein erfahrener Gewerkschafter. Er kann jetzt leider nicht sagen, was er da wahrscheinlich für einen Verhandlungserfolg halten würde. Ich halte es noch für keinen Verhandlungserfolg, Frau Bundesministerin, wenn herauskommt, dass auch die Arbeitnehmerinnen oder die Arbeitnehmer, die das nach außen tragen, weil sie von diesen Verhältnissen beschwert sind, straffrei bleiben. Das reicht mir noch nicht aus, wenn beide sozusagen sanktionslos bleiben.

Für die einen geht es darum, dass sie unter bestimmten ökonomischen Verhältnissen im Betrieb wahrscheinlich wirklich leiden, auf alle Fälle beschwert sind und nur ein geringeres Einkommen haben. Und für die anderen geht es darum, dass sie solche Verhältnisse herstellen. Denen passiert überhaupt nichts nach diesem Einkommens­transparenz-Bericht. Und diejenigen, die sagen: Uns geht es schlecht!, müssen eine Geldstrafe bezahlen? – Das kann es wohl nicht sein.

Ich bitte Sie wirklich inständig, darüber nachzudenken! Es geht nicht um den Einkom­menstransparenz-Bericht als solchen – das ist noch kein Erfolg –, sondern es geht um die Verringerung der Einkommensunterschiede. Auf dem Weg dorthin werden wir sehr viel Öffentlichkeit und Druck brauchen, damit wir das erreichen.

Damit bin ich bei dem Punkt, wo wir auch schon heute Vormittag beziehungsweise gestern in der Debatte waren – das sei nur als Anmerkung noch mitzunehmen! Wir haben heute Vormittag über einen gesetzlichen oder auch nicht gesetzlichen Mindest­lohn in der Höhe von 1 300 € brutto diskutiert. Das hat die Frau Ministerin gefordert, das hat die FPÖ gefordert, das hat die SPÖ gefordert, das hat in vergangenen Zeiten auch die ÖVP in der Steiermark gefordert. Wenn es darum geht, hier konkret etwas durchzusetzen, dann kann ich nur an die Frauen quer durch die Fraktionen appellieren: Wo ist Ihre Solidarität? Wo sind Sie bereit, das tatsächlich umzusetzen?

Heute am Vormittag hat man gesehen, wie schnell so etwas zerbröckelt. Da braucht man nicht den Frauenbericht zu diskutieren, wenn man nicht konkrete Maßnahmen setzen will. Da braucht man die Debatte darüber wirklich nicht. Machen Sie konkrete Maßnahmen, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall der Abg. Kitzmüller.) Es ist höchst an der Zeit.

Wir brauchen nicht über das Durchstoßen der gläsernen Decke zu reden, wenn der Boden unter den Füßen schwankt und wenn man immer weiter nach unten gezogen wird. Das ist doch die Realität in Österreich, dass bei den niedrigen Einkommen – das sagen Sie ja selbst in der Diskussion über den Frauenbericht – alles wegbricht. Wir haben keine fixen Grenzen nach unten. Darum müssen wir sie schaffen. Ein Mindest­lohn – und meinetwegen über einen Generalkollektivvertrag, obwohl ich ihn nicht für den geeigneten Weg halte, egal – gehört her!

Sie schaffen es nicht, das über Kollektivverträge in einer akzeptablen Zeit durchzu­setzen. Also, warum nicht der gesetzliche Mindestlohn? (Beifall bei den Grünen.)

Wissen Sie, was der Frauenbericht dazu sagt? Das habe ich mir genau angeschaut:

„Während die Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern in Österreich im Schnitt langfristig relativ stabil und vergleichsweise hoch sind, haben sie sich im Vereinigten Königreich verringert (minus 5 Prozentpunkte zwischen 1995 und 2006). Dafür dürfte nicht zuletzt die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes im Jahr 1999 verantwortlich gewesen sein.“

Nehmen Sie sich das bitte wirklich zu Herzen! (Beifall bei den Grünen.)

19.39



Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 201

Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Gessl-Ranftl. – Bitte.

 


19.40.08

Abgeordnete Andrea Gessl-Ranftl (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Minis­terin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Ausschuss ausführlich über den umfassenden Frauenbericht 2010 diskutiert, und auch meine Vorrednerinnen und mein Vorredner sind auf genaue Daten, Fakten und Zahlen eingegangen. Mich persönlich freut es sehr, dass es im Ausschuss gelungen ist, einen Fünf-Parteien-Antrag bezüg­lich mehr Männer in pädagogischen Berufen zu beschließen, denn Kindererziehung ist nicht nur Frauensache, und das betrifft auch die pädagogische Arbeit.

Ich möchte aber schon auch festhalten, dass ich es als lächerlich empfinde, über eine Art „Urheberrecht“ zu diskutieren, also darüber, wer wann welchen Antrag eingebracht und formuliert hat. Es geht um die gemeinsame Sache und um die Initiative, die im Gleichbehandlungsausschuss auch gesetzt wurde. (Abg. Schenk: Das sind Fakten!)

In den letzten Jahren wächst das Bewusstsein dafür, dass Männer für die Entwicklung von Kindern sehr wichtig sind. Das ist ein wichtiger Ansatz, denn der Anteil männlicher Pädagogen liegt in den meisten europäischen Ländern unter 5 Prozent, und in Österreich liegt er noch weit unter dem EU-Durchschnitt.

Die Forderung nach mehr Männern in der Pädagogik ist in den letzten Jahren populär geworden und muss auch so rasch wie möglich politisch unterstützt werden, um wieder mehr Männer für diesen Beruf zu interessieren, und auch, um wieder mehr Männer für diesen Beruf zu gewinnen. Unsere Kinder und Jugendlichen – das hat Frau Kollegin Unterreiner bereits angesprochen – brauchen männliche Bezugspersonen und Identifi­kations­figuren, und daher muss die Schule diesen Anforderungen und Bedürfnissen gerecht werden. Immerhin verbringen die Lehrerinnen und Lehrer mit ihren Schü­lerinnen und Schülern ungefähr 900 Stunden im Jahr.

Gleichzeitig muss aber auch der Beruf Lehrerin/Lehrer attraktiver gestaltet werden und das Image des Lehrers und der Lehrerin gehoben werden. Hiezu braucht es ein neues Dienst- und Besoldungsrecht für alle neu einsteigenden Pädagoginnen und Pädago­gen, bessere Karrieremöglichkeiten, aber auch eine neue Lehrerinnen- und Lehrerbil­dung.

Abschließend ist festzuhalten, dass die Politik sehr wohl gefordert ist, alle pädagogi­schen Berufe aufzuwerten. Ministerin Schmied ist mit Sicherheit auf einem richtigen und zukunftsweisenden Weg, wenn sie zum Wohle unserer Kinder eine gemeinsame pädagogische Ausbildung, beginnend beim Kindergarten bis hin zur AHS, fordert, denn unsere Pädagoginnen und Pädagogen sind sehr wohl kompetente Vermittler von Inhalten. Sie lehren, motivieren, erziehen, beurteilen, schlichten und sind sehr wohl Ersatz­mutter und Ersatzvater. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

19.43


Präsident Fritz Neugebauer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Dr. Plassnik. – Bitte.

 


19.43.29

Abgeordnete Dr. Ursula Plassnik (ÖVP): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich die Diskussion des österreichischen Frauenberichts zum Anlass nehmen, um auf ein Thema hinzuweisen, von dem ich nicht gerne hätte, dass es im österreichischen Nationalrat gar nicht behandelt wird, und zwar das Thema Frauen in bewaffneten Konflikten, Frauen und Frieden, die Resolution 1325 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 202

Nächste Woche jährt sich zum zehnten Mal der Tag, an dem diese bahnbrechende Resolution in den Vereinten Nationen angenommen wurde, und wir haben in den letzten zehn Jahren im Wesentlichen zwei Lektionen gelernt, nämlich: Friedensarbeit braucht Frauen für die Bodenhaftung, und Frauen müssen von der Opferrolle hin zur Teilhabe kommen, gerade im Wiederaufbau ihrer Gesellschaften.

Wir dürfen nicht am Anfang des Weges, den wir eingeschlagen haben, stehen bleiben, denn die Rechtsgrundlagen im internationalen Bereich haben sich in den letzten zehn Jahren deutlich verbessert, insbesondere durch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofes.

Wir haben diese Resolution nun Tag für Tag in den Konfliktherden der Welt umzu­setzen. Da geht es um Themen wie Demokratische Republik Kongo, Afghanistan, Irak, Sudan, aber auch um die Region vor unserer Haustür, den Balkan. Der 31. Oktober 2010 wird daher keine Feierstunde werden, sondern Gelegenheit zu einer sehr nüchternen Bestandsaufnahme bieten. In New York wird zu diesem Thema erstmals eine offene Sitzung des Sicherheitsrates stattfinden, und ich hoffe, dass ein Bewusst­seins­schub für weitere konsequente Umsetzungsarbeit erfolgen wird.

Frauen brauchen diesen Schutz, sie brauchen die Teilhabe am Wiederaufbau und nicht Papiertiger oder leere Versprechen. Österreich hat sich da federführend einge­bracht – und dafür möchte ich danken –, nicht nur im UNO-Sicherheitsrat, son­dern auch regional bei der Umsetzung, bei UNO- und EU-Missionen, in der Entwick­lungszu­sammenarbeit. Wir arbeiten derzeit an der dritten Revision des Nationalen Aktions­plans, und da möchte ich ausdrücklich allen NGOs danken, die daran mitar­beiten, aber auch dem Außenministerium, dem Verteidigungsministerium, dem Innen­minis­terium, dem Frauenministerium, den politischen Parteien, die das als parteienübergreifendes Anliegen verstehen, und auch den Medien.

Was jetzt auf uns zukommt, ist die Phase, in der die Straflosigkeit zu einem Ende kommen muss, denn die Umsetzung des Römer Statuts bedeutet, dass bei Kriegs­ver­brechen gegen Frauen auch konsequent mit den nötigen juristischen und politischen Mitteln vorgegangen wird, das Ende auch der politischen Folgenlosigkeit bei der Nichteinbeziehung von Frauen in die Konfliktlösung, in die Friedensfestigung und in den Wiederaufbau.

Wir können in der täglichen Praxis der Außenpolitik viele kleine Maßnahmen setzen, den Zugang von Frauen zu Information, Gesundheitsversorgung, Infrastruktur, Wasser, Energie, Transport, Bildung, Entwicklungsprojektgeldern sichern. Auf UNO-Ebene ist einiges passiert. Es gibt eine neue Einheit, UN Women, die sich federführend der Umsetzung der Resolution 1325 widmen wird. Die ehemalige chilenische Präsidentin Bachelet ist an die Spitze dieser Einheit getreten. Wir haben auch eine eigene Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für sexuelle Gewalt gegen Frauen, und auch sie wird eine starke Stimme zu diesem Thema sein. Wir müssen weg von den Lippenbekenntnissen hin zu messbaren Fortschritten für die Frauen. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie der Abg. Ursula Haubner.)

19.47


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Hell. – Bitte.

 


19.47.37

Abgeordneter Johann Hell (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine sehr geschätzten Damen und Herren! In der laufenden Debatte wurde schon ein umfas­sender Überblick über die Situation der Frauen in Österreich gegeben. Ich möchte noch einmal das Thema Chancengleichheit von Frauen am Arbeitsplatz ansprechen.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 203

Aus Erfahrung wissen wir, dass eine Vernachlässigung der Chancengleichheit von Frauen am Arbeitsplatz viele Folgeprobleme mit sich bringt, darunter auch die unzu­reichende Absicherung bei Arbeitslosigkeit, die häufigere Betroffenheit von Armuts­gefährdung und Probleme der Absicherung im Alter.

Daher bin ich auch davon überzeugt, dass es einer nachhaltigen wie auch umfas­senden Strategie zur Förderung der Erwerbstätigkeit von Frauen bedarf und dass wir Unternehmen brauchen, die auf das große Potenzial hoch qualifizierter und motivierter Mitarbeiterinnen und Führungskräfte nicht verzichten wollen. Ich bekenne mich zur Einkommenstransparenz, zu Karrierechancen, zum Abbau der Einkommensunter­schiede zwischen Männern und Frauen und vor allem zu einem geänderten Rollenbild.

Meine sehr geschätzten Damen und Herren, Sie werden vielleicht wissen, dass ich in einer ÖBB-Firma für die Aus- und Weiterbildung von Triebfahrzeugführern tätig bin. Der Bahnsektor ist aufgrund seiner technischen Orientierung immer ein klassisches Beispiel für männerdominierte Wirtschaftsbereiche gewesen. Erfreulicherweise erobern aber immer mehr Frauen hochtechnologische Bereiche in frauenuntypischen Berufen. Fahrdienstleiterinnen, Berufskraftfahrerinnen, Triebfahrzeugführerinnen, Zugbegleite­rin­nen gehören heute zum täglichen Erscheinungsbild in diesem Unternehmen. (Beifall bei der SPÖ.)

In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch einmal auf die Situation von Jugend­lichen zu sprechen kommen. Auch dazu ein Beispiel aus dem Unternehmen ÖBB: Das Unternehmen ÖBB hat derzeit 318 weibliche Lehrlinge, davon werden 145 bereits in technischen Berufen ausgebildet – das sind 46 Prozent – und 173 im kaufmännisch Bereich. (Beifall und Bravoruf der Abg. Mag. Wurm.)

Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Abschließend ein Zitat aus einem Radio-Interview mit einer Triebfahrzeugführerin:

„Ich arbeite seit mittlerweile fünf Jahren als Triebfahrzeugführerin bei den ÖBB. [...] Als Frau ist mir besonders wichtig, dass ich in allen Dingen gleich behandelt werde. Schließlich will ich genauso ernst genommen werden wie meine männlichen Kollegen. Aber das ist hier längst kein Problem mehr!“

Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

19.50


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Obernosterer. – Bitte.

 


19.50.36

Abgeordneter Gabriel Obernosterer (ÖVP): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frau Bundesministerin hat vorhin gesagt, sie wünscht sich in Österreich unabhängige, selbstbestimmte, eigenständige Frauen, die ein Leben frei von Gewalt und in Chancengleichheit führen können. Es gibt, wie aus den Ausführungen meiner Vorredner hervorgeht, keine Fraktion, die nicht für diese Inhalte eintritt.

Man hat sich den Frauenbericht gut angeschaut, glaube ich, und viele meiner Vorred­ner sind auf die verschiedenen Punkte eingegangen. Was ich aber in diesem Frauen­bericht gesucht habe, ist eine Bestandsaufnahme zu der Einkommensschere. Ich bin selbständig und kenne die Einkommensschere zumindest in der Berufsbranche, in der ich arbeite, eigentlich nicht, weil dort rein nach Leistung bezahlt wird. Es würde mich wirklich einmal sehr interessieren – und wahrscheinlich nicht nur mich, sondern viele andere auch –, in welcher Berufssparte es die Einkommensschere überhaupt gibt und mit welchen Unterschieden, damit man auch wissen könnte, wo man reagieren sollte.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 204

Frau Kollegin Aubauer hat das Thema Pensionen angeschnitten. – In der Pension ist die Einkommensschere natürlich dann dementsprechend groß. Wir wissen, dass die Frauen eine wesentlich höhere Lebenserwartung haben als die Männer. Wie vorhin gesagt wurde, ist es auch so, dass das gesetzliche Pensionsantrittsalter für Frauen nach wie vor 60 Jahre, für Männer hingegen 65 Jahre ist. (Zwischenruf der Abg. Mag. Wurm.)

Was auch in diesem Frauenbericht gestanden ist: Qualifizierte Frauen wandern aus dem ländlichen Raum ab in die Stadt. Das wurde auch vom Erstredner angesprochen. Das liegt zum Teil daran, dass es keine Kinderbetreuungsplätze gibt, aber das wirkliche Problem, warum hoch qualifizierte Frauen aus dem ländlichen Raum abwandern, liegt, glaube ich, woanders. Ich kann das auch sehr gut begründen, weil ich selbst im ländlichen Raum lebe.

Wir wissen, dass dort einfach die entsprechenden Arbeitsplätze fehlen. Wir wissen, dass gerade im ländlichen Bereich Arbeitsplätze für hoch qualifizierte Kräfte sehr selten sind. Dort finden sich hauptsächlich Strukturen der Landwirtschaft und des Tourismus. – Das ist in Tirol gleich wie in Kärnten und in jedem anderen Bundesland. Wir wissen, dass die jungen Mädchen, wenn sie in die Schule oder sogar auf eine Hochschule gehen und dann ihren Abschluss haben, zu Hause keinen Arbeitsplatz finden und eben in den Zentralräumen bleiben. – Da muss man den Hebel irgendwo anders ansetzen. Es geht nicht nur darum, dass die Frauen draußen auf dem Land bleiben, sondern auch um folgenden Aspekt: Wenn die besser gebildeten Frauen auf dem Land wieder Arbeit finden, dann könnten wir zugleich auch das Problem der Abwanderung in den Griff bekommen.

Dieser Bericht stellt auch eine Bestandsaufnahme dar. Viele der darin enthaltenen Kritikpunkte betreffend die Nachteile von Frauen sollte man einmal genauer dahin gehend analysieren, woran es überhaupt liegt.

Wie gesagt, ich kenne das aus meinem Umfeld nicht. – Ich habe meine Kinder auch selbst gewickelt. Ich bin Vater von zwei Kindern, beide Kinder sind verheiratet. Ich habe vier Enkelkinder. Einer meiner Schwiegersöhne und eine meiner Töchter sind in Karenz. In unserem Familienverband und auch in unserem Umfeld kenne ich diese Problematik nicht, sondern ich glaube, es geht um eine allgemeine Bewusst­seins­bildung. Überhaupt kann das Leben miteinander nur dann funktionieren, wenn die Frau den gleichen Stellenwert hat wie der Mann – aber auch umgekehrt, sage ich dazu! – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

19.54


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Zanger. – Bitte.

 


19.54.44

Abgeordneter Wolfgang Zanger (FPÖ): Herr Präsident! Geschätzte Frau Bundes­ministerin! Hohes Haus! Vor allem aber meine geschätzten Damen! Es gibt natürlich auch in der Freiheitlichen Partei Männer, die sich über Frauen zu reden trauen. (Beifall bei der FPÖ.) Deswegen darf ich heute hier noch ein bisschen mit Ihnen diskutieren und auch als Mann zum Thema Frauen sprechen. (Beifall bei der FPÖ.)

Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich den Damen eine besondere Wertschätzung entgegenbringe – und mittlerweile sie mir bis zu einem gewissen Grade auch. Dafür bedanke ich mich sehr herzlich.

Ich habe die heutige Diskussion verfolgt, und es hat mich dabei Folgendes schon ein bisschen bedrückt: Es ist über die Frau in der Erwerbstätigkeit gesprochen worden, darüber, ob sie Vollzeit oder Teilzeit beschäftigt sein soll, und über die jeweiligen Vor- und Nachteile. Es ist über Frauen in Aufsichtsräten gesprochen worden, über Frauen in


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Vorständen, also im Wesentlichen über Frauen in hohen Positionen, in Karriere­ämtern. Das ist alles kein Problem! Eine Frau, die das für sich gerne möchte und die die Fähigkeit dazu mitbringt – überhaupt kein Problem, selbstverständlich, herzlich gerne! Sie ist jederzeit eine Bereicherung in jedem Amt, das sie erfüllt.

Traurig macht mich, dass hier von der Frau nur als Wirtschaftsfaktor und nichts anderes gesprochen wurde. Wird der Wert einer Frau nur daran bemessen, wie viel sie verdienen kann, wie viel Zeit sie im Erwerbsleben verbringt? Das kann es doch nicht sein! (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf der Abg. Mag. Muttonen.)

Frau Kollegin Csörgits hat gesagt, Teilzeit ist bei den Frauen nicht ihr Ding, am liebsten ganztags beschäftigt, aber bevor sie gar nichts tut, ist ihr die Teilzeit noch lieber. Okay, aber was ist, wenn es eine Frau gibt, die das nicht will? Haben Sie schon einmal überlegt, dass Sie eine Politik machen, die den Frauen aufoktroyiert, was sie zu tun haben, und ihnen de facto keinen freien Willen mehr lässt, wenn Sie solche Argumente bringen? (Beifall bei der FPÖ.)

Sie fordern – und da sind wir auch hundertprozentig auf Ihrer Seite – Gleichberech­tigung zwischen Mann und Frau. Selbstverständlich! Aber ich orte – verzeihen Sie mir den Ausdruck! – eine gewisse Art von Schizophrenie in Ihrer Argumentation, denn Sie müssen es erst einmal schaffen, Gleichberechtigung unter den Frauen zu erreichen, nämlich bei Ihnen selbst, in Ihren Gedanken, in Ihren Argumentationen: Frauen zum einen in der Wirtschaft, Frauen als Erwerbstätige, aber auch Frauen als Hausfrau und Mutter. – Und diese Hausfrau und Mutter hat zumindest denselben Wert wie die Frau, die erwerbstätig ist und auf dem Arbeitsmarkt mit tätig ist. (Beifall bei der FPÖ.)

Frau Bundesministerin, ich verwahre mich dagegen  entschieden verwahre ich mich dagegen! –, dass Sie in Ihrem Frauenbericht die Mütter als billige Reproduktionsstätten bezeichnen und das alles dann noch der Freiheitlichen Partei in die Schuhe schieben. Das ist nicht wahr, das wissen Sie ganz genau! (Abg. Dr. Rosenkranz: Das ist unglaublich!) Ich erwarte von Ihnen, dass im nächsten Frauenbericht diese Aus­drucksweise nicht mehr vorkommt. (Beifall bei der FPÖ. Bundesministerin Heinisch-Hosek: Auf welcher Seite steht das? Abg. Mag. Wurm: Wo haben Sie das her?)

Betreuungseinrichtungen werden gefördert. – Selbstverständlich, dort wo es notwendig ist, wird das auch von uns mitgetragen. Aber wer hat daran gedacht, einmal eine Mutter zu fördern, die ihr Kind nicht in eine Betreuungseinrichtung abschieben will? – Und ich bezeichne das jetzt absichtlich so! (Abg. Mag. Wurm: „Abschieben“! Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Absichtlich bezeichne ich das als Abschieben in eine Betreuungseinrichtung! (Beifall bei der FPÖ. Abg. Mag. Wurm: Aufpassen! Abg. Dr. Matznetter: Entschuldigen Sie sich bei den Müttern, Herr Kollege! Abg. Mag. Wurm: Eine unglaubliche Entgleisung!)

Es ist ja komplett logisch: Wenn es sich eine junge Familie nicht leisten kann, zuhause zu bleiben, obwohl sie es vielleicht gerne möchte – und es gibt genug Frauen, junge Mütter, die zu mir kommen und sagen, sie möchten gerne zu Hause bleiben, aber sie können es sich nicht leisten –, dann wird eine Betreuungseinrichtung bezahlt, aber für die Mutter wird überhaupt nichts getan in diesem Lande, und das ist ungerecht. – Da gehört einmal Gleichberechtigung her! (Beifall bei der FPÖ. Abg. Mag. Wurm: Entschuldigen Sie sich bei all den Frauen, die ihre Kinder in einer solchen Einrichtung unterbringen! Abg. Dr. Matznetter: ... Ihre Beschimpfungen!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schlussendlich bleibt mir nur festzustellen: Dieser Frauenbericht drückt eigentlich aus, dass das Rätsel Frau für die Frau selbst unlösbar ist. (Beifall bei der FPÖ. Abg. Mag. Wurm: Eine Beleidigung aller Mütter,


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 206

die ihre Kinder in Kinderbetreuungseinrichtungen haben! Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

19.59

19.59.10

 


Präsident Fritz Neugebauer: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet.

Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag des Gleichbehand­lungsaus­schus­ses, den vorliegenden Bericht III-174 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Wer für diese Kenntnisnahme ist, den bitte ich um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist mit Mehrheit angenommen.

Wir kommen weiters zur Abstimmung über die dem Ausschussbericht 919 der Beilagen angeschlossene Entschließung.

Wenn Sie dafür eintreten, bitte ich um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist mit Mehrheit angenommen. (E 128.)

(Rufe bei der FPÖ, deren Abgeordnete sich erst nach Verkündung des Abstimmungs­ergebnisses von den Plätzen erhoben haben: Einstimmig! Abg. Dr. Bartenstein: Ohne Strache sind sie völlig kopflos! Weitere Zwischenrufe bei ÖVP und SPÖ.)

Ich habe festgestellt, dass die Entschließung mit Mehrheit angenommen ist. Einige Damen und Herren sind möglicherweise erst später aufgestanden.

19.59.5910. Punkt

Bericht des Gleichbehandlungsausschusses über den Antrag 1081/A(E) der Abgeordneten Mag. Gisela Wurm, Dorothea Schittenhelm, Mag. Judith Schwent­ner, Martina Schenk, Kolleginnen und Kollegen betreffend Gleichstellung von Frauen und Männern im Programm Ländliche Entwicklung 2007–2013 (LE 07–13) (920 d.B.)

 


Präsident Fritz Neugebauer: Wir kommen nun zum 10. Punkt der Tagesordnung.

Zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Kitzmüller. – Bitte, Frau Kollegin. (Präsident Dr. Graf übernimmt den Vorsitz.)

 


20.00.57

Abgeordnete Anneliese Kitzmüller (FPÖ): Noch einmal Grüß Gott, Frau Minister! Meine Herren Präsidenten! Natürlich sind Förderungen, auch und im Speziellen in der Landwirtschaft, gut und wichtig. Wir in Österreich haben ein entsprechendes Förder­programm, das auch gut funktioniert. Dieser Antrag hätte natürlich auch unsere Zustimmung bekommen, wenn auf die Anträge, Wünsche und Vorschläge, die wir eingebracht haben, Rücksicht genommen worden wäre.

Abseits dieser Überlegungen muss ich jedoch sagen, dass mit dieser Förderung hier eine Mussquote eingesetzt, also gekoppelt ist und diese eine gesetzlich, wie ich jetzt dazu sagen möchte, vorgeschriebene Erpressung der Frau darstellen soll, denn da wird eine Förderung nur dann gegeben, wenn eine Quote erreicht ist. Wo bleibt da, meine Damen und Herren, die Wahlfreiheit?

Förderungen sind ohne Quotenregelung notwendig. Und die Chancengleichheit, über die hier ständig gesprochen wird, steht auch im Bericht selbst. Da heißt es, dass Österreich mit 40 Prozent die höchste Zahl an weiblichen Betriebsleiterinnen im EU-Raum aufweist. Frauen nehmen in den Betrieben der österreichischen Landwirtschaft als Betriebsführerinnen eine bedeutende Rolle ein.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 207

Und was soll jetzt, meine Damen und Herren, dieser Antrag? Soll das eine schleichen­de Beseitigung der Männer in Entscheidungsgremien der Landwirtschaft sein? Wollen Sie hier eine feministische Pionierarbeit leisten? (Abg. Mag. Wurm: Jawohl!)

Meine Damen und Herren! Ihre Auslegung von Gender Mainstreaming ist bedenklich, und auch mir als Frau ist diese absolute Überdrüberfunktion, das Hineinbringen der Frau in Rollen, die sie nicht haben möchte, und das Verbinden damit, dass Förderungen eben nur dann ausgezahlt werden, wenn die Quote erreicht wird, zu viel.

Ich möchte zum Schluss noch etwas anderes dazu sagen: Es geht uns hier darum, deutlich zu machen, dass wir erstens einmal den Antrag so nicht akzeptieren und zweitens auch die Zuweisung an den Landwirtschaftsausschuss nicht einsehen. Es muss sich ja jemand etwas dabei gedacht haben, als der Antrag in den Gleichbehand­lungsausschuss gekommen ist. Jetzt soll er dem Landwirtschaftsausschuss zugewie­sen werden, und wenn wir ihn dort haben, dann soll er vielleicht, was weiß ich, in irgendeinen anderen Ausschuss kommen. Dieses ständige Herumschieben von Anträgen lehnen wir auch ab. (Beifall bei der FPÖ.)

20.03


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Lipitsch. 2 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


20.03.40

Abgeordneter Hermann Lipitsch (SPÖ): Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Kitzmüller, Sie haben es angesprochen: 40 Prozent Frauen in der Betriebsführung im landwirtschaftlichen Bereich sind maßgeblich an der nachhaltigen Entwicklung des ländlichen Bereiches mit beteiligt und sind, wie ich meine, sogar tonangebend. Das sind die Betriebsführerinnen. Und es ist für uns wichtig, dass gerade diese Frauen in diesem Bereich gefördert werden.

Die elf Punkte, die hier in diesem Antrag angesprochen sind, beinhalten Fördermaß­nahmen, um Chancengleichheit zu erreichen, aber auch Teilhabe an Entscheidungs­prozessen und Aus- und Weiterbildung. Besonders in den Gremien sollten die Frauen entsprechend dem Frauenanteil in der Bevölkerung auch vertreten sein. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Forderung, dass die Frauen dort, wo sie maßgeblich beteiligt sind, auch in den Entscheidungsprozessen mit eingebunden sind. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Europäische Kommission hat bereits 1996 Gender Mainstreaming, also Chan­cen­gleichheit von Frauen und Männern, zum verbindlichen Prinzip ihrer Tätigkeit erkoren. Die Kommission sagt auch, dass gleiche wirtschaftliche Unabhängigkeit für Frauen und Männer gerade im Bereich der Umsetzung sämtlicher Strukturfonds und Landwirt­schaftsfonds besonders gefördert gehört.

Auch was das Österreichische Programm für die Entwicklung des Ländlichen Raums 2007-2013 betrifft, gilt auf allen Stufen die Unterstützung des Prinzips der Chancengleichheit und Gleichstellung. Auf die Förderung von Frauen, Jugendlichen und benachteiligten Gruppen ist besonders zu achten.

Ich möchte nur anmerken, dass es ganz wichtig ist, dass personelle Ressourcen und klar definierte Budgetansätze zur Verfügung gestellt werden, um dieses Ziel zu erreichen. Dieses Geld muss aus dem Bereich Landwirtschaft kommen. Und des­wegen stimmen wir zu, dass dieser Antrag dem Landwirtschaftsausschuss zugewiesen wird. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich wünsche der Frau Ministerin auf ihrem Weg Gleichbehandlung und Frauen, auch den ländlichen Bereich betreffend, sehr viel Kraft, aber vor allem viel Freude. Ich sage das nicht ganz ohne Eigennutz, denn Gleichstellung bedeutet für uns Männer unter


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 208

Umständen, dass wir Männer im Bauernkalender auch wieder vorkommen dürfen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPÖ.)

Etwas möchte ich hier schon noch anmerken, weil heute Vormittag der Mindestlohn von 1 300 € angesprochen wurde: Vor wenigen Stunden hat eine Fachgewerkschaft, die Gewerkschaft vida, einen Kollektivvertrag für die Reiniger – und Reiniger sind meistens Frauen, 90 Prozent Frauen  abgeschlossen, worin 1 302 € Mindestlohn für 40 Stunden Arbeit enthalten ist. Wir arbeiten, der ÖGB mit seinen Fachgewerkschaften arbeitet und diskutiert nicht nur. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen.)

20.06


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Dr. Pirklhuber. 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


20.06.51

Abgeordneter Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Pirklhuber (Grüne): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Dieser Vier-Parteien-Antrag ist ein ganz wichtiger Antrag, geht es doch dabei um ein wirklich großes Paket von Förder­maßnahmen gerade in den ländlichen Regionen. Und ich muss schon sagen: Ich verstehe es überhaupt nicht, dass die Regierungsfraktionen das nicht im Gleichbe­hand­lungsausschuss beschließen, also dort auch endgültig abstimmen und die Lösung dort suchen, wo der Antrag auch wirklich hingehört. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten der FPÖ. – Zwischenruf der Abg. Höllerer.)

Herr Pirklhuber!, sagt Frau Höllerer. Ich werde es Ihnen erklären, Frau Kollegin. Warum ist das so wichtig? – Es wäre genauso absurd, wenn dann, wenn es um Pensionen von Beamten, die im Justizministerium tätig gewesen sind, ginge, gesagt würde, das müssen wir im Justizausschuss behandeln. (Abg. Riepl: Der Vergleich hinkt aber!)

Hier geht es um Männer und Frauen, es geht um Frauen in ländlichen Regionen und es geht um ein Programm, das quer über die Sektoren auch im Rahmen der Regional­politik von verschiedensten Stellen zu beackern und zu bearbeiten ist, also um eine Querschnittsmaterie. Daher ist es sinnvoll und richtig, einen Ausschuss, der eine Bedeutung haben soll ... (Zwischenruf der Abg. Mag. Wurm.) Und die hat er doch zweifelsfrei, würde ich meinen, Frau Kollegin Wurm, ein Gleichstellungsausschuss ist ja wichtig. (Neuerlicher Zwischenruf der Abg. Mag. Wurm.)

Schauen Sie, von allem reden wir nicht, aber hier geht es ganz explizit um die Gleich­stellung bei einem Thema, also unter dem Aspekt von Gender Mainstreaming, das ein substantielles Element dieser Programme ist und selbstverständlich auch dort unter diesem Aspekt, nämlich der Gleichstellung, auch einmal zu diskutieren ist.

Gender Mainstreaming meint ja mehr als Gleichstellung, aber gerade im Rahmen der ländlichen Entwicklung ist das so zu diskutieren, denn es sitzen ja nur Männer, bitte, ich sage das ja aus guter Erfahrung, in den verschiedensten Gremien. Die Agrarpolitik ist wie kein anderer Politikbereich von Männern dominiert, von Bauernvertretern und nicht von Bäuerinnenvertreterinnen.

Frau Kollegin Höllerer, Sie sind die Einzige in Ihrer Fraktion von den Bäuerinnen, das ist Realität. Ich meine, es ist halt so – aber das wollen wir doch gemeinsam ändern! (Zwischenruf des Abg. Eßl.) Du weißt genau, Kollege Eßl: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen! Schau dir deine Landwirtschaftskammer in Salzburg an! Wir haben bei den grünen Bäuerinnen und Bauern ganz viele Frauen im Vorstand, die aktiv bei uns mitarbeiten. (Beifall bei den Grünen.)


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 209

Aber jetzt noch eines zu Ihnen, Frau Bundesministerin: Ich möchte Ihnen durchaus auch danken dafür, dass Sie sich dieses Problems von Frauen im ländlichen Raum annehmen. Ich würde Sie ersuchen, da dranzubleiben. Ich selbst war einmal bei einer Veranstaltung mit Bäuerinnen zur Frage der Direktvermarktung, die Sie mit durchge­führt haben. Wir haben beide, glaube ich, gesehen, wie engagiert diese Bäuerinnen sind, wie berechtigt ihre Forderungen sind. Es ist wirklich höchste Zeit, diesen Frauen auch die entsprechende Wertschätzung zukommen zu lassen.

Daher hoffe ich, dass wir trotz allem zu einem guten Ergebnis bei der Beschluss­fassung dieses Antrags kommen. Aber ich bin überzeugt davon, dass er auch schon im Gleichbehandlungsausschuss hätte beschlossen werden können. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

20.09


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Höllerer. 3 Minu­ten Redezeit. – Bitte.

 


20.10.14

Abgeordnete Anna Höllerer (ÖVP): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundes­ministerin! Werte Damen und Herren! Herr Abgeordneter Pirklhuber – er hört gerade nicht zu –, ein bisschen erstaunt bin ich jetzt schon über Ihre Argumentation. Ich werde Sie auch bei Gelegenheit wieder daran erinnern, denn Sie sind immer derjenige, der sagt, dass bestimmte Themen in die Fachausschüsse gehören, dorthin, wo die Exper­ten sitzen, wo die sitzen, die sich damit auseinandersetzen.

Und bei diesem Antrag geht es um Maßnahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik, um die zweite Säule, um die ländliche Entwicklung, um die Partizipation der Frauen an den Programmen, Herr Pirklhuber. Daher gehört das in den Landwirtschaftsausschuss, dort muss das mit diskutiert werden! (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Gemäß der Zielsetzung der aktuellen Förderungsperiode 2007 bis 2013 ist die Gleich­stellung von Frauen und Männern zu fördern, Herr Abgeordneter. So gesehen sollen Männer und Frauen gleichermaßen von den Maßnahmen im Bereich der Gemein­samen Agrarpolitik, von den Maßnahmen im Bereich der ländlichen Entwicklung profitieren.

Es stimmt – das wurde heute schon angesprochen –, dass laut Grünem Bericht 38 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe in Österreich von Bäuerinnen geführt werden. Die Bäuerinnen bringen mit großer Kompetenz Verantwortung in ihre Betriebe ein. Sie sind in den agrarischen Gremien, in ihrer Berufsvertretung noch verhältnis­mäßig dünn gesät. Wir haben allerdings schon Bundesländer, wo sie gut Fuß gefasst haben. Sie konzentrieren sich auf die Entwicklung ihrer Betriebe, mit großem Engage­ment, und sie gehören dort unterstützt, damit sie die Informationen bekommen, sodass sie sämtliche Fördermaßnahmen bestmöglich für ihre Betriebe nutzen können. Genau da gilt es auch anzusetzen, damit sie an diesen Maßnahmen partizipieren können. Das gilt für alle Frauen im ländlichen Raum, die selbstverständlich diese Zugänge brauchen. Daher müssen wir das intensivst diskutieren.

Selbstverständlich ist es eine Zielausrichtung, die Frauen in agrarwirtschaftlichen und agrarpolitischen Themen dermaßen kompetent und sicher zu machen. Daher brauchen wir auch Bildungsprogramme, frauenspezifische Aus- und Weiterbildung, damit die Frauen auch in den agrarischen Gremien Positionen erreichen und diese dort auch mit Freude ausfüllen können, Herr Pirklhuber.

Wie Sie wissen, werden in diesen Wochen in der EU-Kommission, im Agrarministerrat für die Gemeinsame Agrarpolitik 2014 bis 2020 die Weichen für die Zukunft gestellt.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 210

Dabei geht es um sehr bedeutende Entscheidungen, die weit über den Agrarsektor hinaus wirken werden.

All das wird selbstverständlich auch im Landwirtschaftsausschuss intensiv diskutiert. (Abg. Mag. Gaßner: Wann?) Alle Abgeordneten, der Herr Bundesminister und die Experten sitzen in diesem Ausschuss, und daher ist es natürlich für meine Fraktion äußerst wichtig, dass wir diesen Antrag, in dem es um die Gleichstellung von Frauen und Männern im Programm Ländlichen Entwicklung in der Förderperiode 2007 bis 2013 und darüber hinaus geht, im Landwirtschaftsausschuss im Sinne der Bäuerinnen und vor allem auch im Sinne der Frauen im ländlichen Raum diskutieren. Daher unter­stützt das meine Fraktion selbstverständlich. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeord­neten der SPÖ.)

20.13


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Als vorläufig Letzte zu diesem Tagesordnungspunkt ist Frau Abgeordnete Schenk zu Wort gemeldet. 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


20.13.47

Abgeordnete Martina Schenk (BZÖ): Herr Präsident! Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, wir sind jetzt hier im Hohen Haus wieder einmal bei dem Thema: Such den Antrag!

Dass man bei der Behandlung von Anträgen hier im Hohen Haus Geduld aufbringen muss – vor allem wir von der Oppositionspartei –, ist ja hinlänglich bekannt. Im Zusam­menhang mit dem vorliegenden Antrag, der inhaltlich in Ordnung ist, den wir natürlich auch mit unterstützen und der sich auf die Gleichstellung von Männern und Frauen im Programm Ländliche Entwicklung 2007-2013 bezieht, lohnt es sich, die Zeitkompo­nente ins Auge zu fassen und auf die Zeitkomponente aufmerksam zu machen.

Wir schreiben das Jahr 2010 – das Programm läuft 2013 aus. Was ist nun passiert? – Im Ausschuss wird dieser Antrag vermutlich erst 2011 behandelt werden, meine sehr geehrten Damen und Herren. Da frage ich Sie schon, wo hier die Ernsthaftigkeit bleibt, wo die Ernsthaftigkeit dieses Antrages bleibt. – So weit, so schlecht.

Ursprünglich hätte dieser Antrag ja im Gleichbehandlungsausschuss behandelt werden sollen; darauf haben wir uns geeinigt und verständigt. Aber was ist im Gleichbehand­lungsausschuss passiert? – Der Antrag wurde dort nicht behandelt (Abg. Riepl: Disku­tiert ist er schon worden!), sondern dem Landwirtschaftsausschuss zugewiesen, obwohl es laut Geschäftsordnung möglich wäre, in den Gleichbehandlungsausschuss auch die Experten und den Landwirtschaftsminister zu laden, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das wurde verabsäumt, und ich finde es sehr schade, dass wir hier zu keinem Ergebnis gekommen sind und im Landwirtschaftsausschuss dieses wichtige Thema nicht behandelt haben.

Auf der Strecke bleiben, wie gesagt, wichtige Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Landwirtschaft, aber offensichtlich ist Ihrer Meinung nach da keine Eile angebracht. Wir haben ja „erst“ das Jahr 2010 – in drei Jahren läuft aber das Programm aus!

Wir stimmen dieser Zuweisung an den Landwirtschaftsausschuss nicht zu. Wir hätten das, wie gesagt, gerne im Gleichbehandlungsausschuss besprochen, diskutiert und beschlossen – dort, wo es hingehört! – Danke. (Beifall bei BZÖ und Grünen.)

20.15

20.15.20

 


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet.

Die Debatte ist geschlossen.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 211

Wünscht die Frau Berichterstatterin ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Wir gelangen nun zur Abstimmung über den Antrag des Gleichbehandlungs­ausschus­ses, seinen Bericht 920 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die hiezu ihre Zustimmung geben, um ein ent­sprechendes Zeichen. – Das ist mit Mehrheit angenommen.

Ich weise den Antrag 1081/A(E) dem Ausschuss für Land- und Forstwirtschaft zu.

20.16.2611. Punkt

Bericht des Gleichbehandlungsausschusses über den Antrag 1218/A(E) der Abgeordneten Carmen Gartelgruber, Kolleginnen und Kollegen betreffend die Aufnahme von Verhandlungen mit den Sozialpartnern hinsichtlich der Verbes­serung der Einkommenssituation von Frauen (921 d.B.)

 


 Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Wir gelangen nun zum 11. Punkt der Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Als Erste zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Gartelgruber. 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

20.17.02

Abgeordnete Carmen Gartelgruber (FPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Liebe Kollegen! Wir haben ja heute bei der Behandlung des Frauenberichts immer wieder gehört, die sogenannte Gehaltsschere sei der Grund, der verhindert, dass Frauen ein ebenso hohes Gehalt wie Männer beziehen. Das ist ein großes Problem.

Eines der wichtigsten Werkzeuge, um Gehälter für Österreicherinnen und Österreicher festzusetzen, sind die Kollektivverträge. Doch genau in diesem Bereich haben Frauen oft einen sehr großen Nachteil, denn ein wesentlicher Faktor für die Gehalts­bemes­sung sind die Dienstzeiten, sodass der Lohn bei längeren Vordienstzeiten natürlich entsprechend höher ist als nach Dienstausfällen. Karenzzeiten werden allerdings in sehr wenigen Kollektivverträgen mit einberechnet. Beispielhaft möchte ich da ein paar Branchen nennen, in denen überdurchschnittlich viele Frauen beschäftigt sind: Angestellte im Gewerbe Hotellerie, Angestellte im Gewerbe Dienstleistung, Pflege et cetera.

In den entsprechenden Kollektivverträgen werden Karenzzeiten gemäß Mutterschutz­gesetz und Väterkarenzgesetz nicht als Vordienstzeiten eingerechnet, sodass Mütter, aber auch Väter, die sich um ihre Kinder kümmern, erhebliche Nachteile haben. Dort dauert es länger, dass Arbeitnehmer in eine höhere Gehaltsklasse eingestuft werden. Wir von der FPÖ sind aber der Ansicht, dass gerade Frauen und Männer, die sich um ihre Kinder kümmern, nicht bestraft werden dürfen. (Beifall bei der FPÖ.)

Deshalb ist es für mich völlig unverständlich, warum mein Antrag besonders in der SPÖ und bei den Gewerkschaftsvertretern auf massiven Widerstand gestoßen ist. Liegt es etwa daran, dass es die Gewerkschafter in den letzten 60 Jahren verabsäumt haben, diese wichtigen frauenfördernden Maßnahmen in Kollektivverträgen durchzu­setzen? Oder ist es der Versuch der Frau Frauenministerin, ihre Untätigkeit genau in diesem Bereich unter den Tisch zu kehren? Mir ist natürlich bewusst, dass unsere Frau Minister in der letzten Zeit viel mehr mit dem Gesetz zur Gehaltsoffenlegung beschäftigt war, statt sich um die wahren Probleme der Frauen in Österreich zu kümmern.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 212

Lassen Sie mich aber nebenbei noch festhalten, dass es sich bei dem Gesetz zur Gehaltsoffenlegung um eine Pseudomaßnahme handelt. Fast möchte man ja der ÖVP danken, dass sie diesen Gesetzentwurf der Frauenministerin nahezu bis zur Unkennt­lichkeit verstümmelt hat. Es ist aber traurig, mit ansehen zu müssen, wie Sie, Frau Frauenministerin, sich in einem populistischen Prestigeprojekt verrennen und dabei die Bedürfnisse der österreichischen Frauen völlig aus den Augen verlieren.

Mein Antrag brächte hingegen eine echte, spürbare Verbesserung für Frauen in Öster­reich. Uns geht es nicht um die Ideologie von vorgestern, sondern um die österreichi­schen Frauen. (Beifall bei der FPÖ.)

20.20


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Riepl. 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


20.20.03

Abgeordneter Franz Riepl (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Wir alle wollen eine Verbesserung der Einkommenssituation von Frauen; ich glaube, darin sind wir uns einig. Nicht einig sind wir uns jedoch hinsichtlich der vorgeschlagenen Wege, um dorthin zu kommen.

Warum unterstützen wir als SPÖ den Antrag der Grünen und den noch einzubrin­genden Antrag vom BZÖ, von Frau Kollegin Haubner, nicht – denn ihr Antrag will eigentlich das gleiche Ergebnis? – Es geht um Folgendes: Wir glauben nicht, dass es der richtige Weg ist, wenn Regierungsmitglieder mit Sozialpartnern Kollektivverträge verhandeln. Wir haben das im Ausschuss schon andiskutiert. Die Politik soll sich raushalten, wenn die Sozialpartner sich um die Arbeits- und Lohnbedingungen der einzelnen Branchen kümmern.

Das ist unsere Position, und ich glaube, dass wir mit dieser Position richtig liegen. Beweis dafür: In vielen Kollektivverträgen ist die Anrechnung von Karenzzeiten seit vielen Jahren üblich. Das heißt, es kommt zu keiner Diskriminierung, wenn eine Unterbrechung des Dienstverhältnisses gegeben ist, im Gegenteil, es wird weiterge­rechnet, als wäre das Dienstverhältnis nicht unterbrochen. – Man darf nicht etwas verlangen, was es in vielen Bereichen schon gibt.

Ein weiterer Punkt in dem Zusammenhang ist, dass Karenzzeiten oder Unter­brechungs­zeiten, wenn sie angerechnet werden, nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer angerechnet werden. Ich glaube, es ist auch wichtig, darauf hinzuweisen.

Für uns ist das, wie gesagt, ein großes Anliegen, aber es geht auch darum, dass man die Rechte der Frauen und insbesondere der Arbeitnehmer durchsetzen kann. Wenn man sich die Aussendungen der Statistik Austria anschaut, kann man unter anderem Folgendes lesen: Es werden beispielsweise nicht alle geleisteten Überstunden bezahlt oder durch einen entsprechenden Zeitausgleich mit Zuschlägen abgegolten. Der Anteil unbezahlt geleisteter Überstunden liegt bei Frauen deutlich höher als bei Männern. – So eine aktuelle Aussendung der Statistik Austria.

Auch da besteht Handlungsbedarf für alle Beteiligten, um die Einkommenssituation der Frauen, aber auch der Männer richtigzustellen und entsprechend zu verbessern.

Ich gratuliere der Gewerkschaft vida zu dem neuen Mindestlohn, der vor ein paar Stunden zustande gekommen ist. Vielleicht haben wir das Glück, noch heute in der gesamten Metallindustrie, in der ja auch in Produktionsbereichen viele Frauen beschäf­tigt sind, ebenfalls einen Kollektivvertragsabschluss zu bekommen, bei dem es darum geht, auch die unteren Einkommen im Besonderen zu erhöhen. Jede Woche werden Kollektivverträge in Österreich verhandelt, und ich glaube, bei der Gelegenheit soll man nicht vergessen, auf diese Thematik hinzuweisen.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 213

Aber wissen Sie, was noch wichtig ist, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü­nen? – Wichtig ist, Betriebsräte in den Unternehmen zu wählen und entsprechend auch Mitglied der Gewerkschaft zu werden, weil dort, wo Betriebsräte in den Unternehmen tätig sind, sind nach unseren Berechnungen und Studien die Einkommen um mindestens 10 Prozent höher als in Betrieben ohne Betriebsrat. Ich denke, das sollte man auch einmal deutlich aussprechen.

Also fordern wir doch gemeinsam alle Männer und Frauen in den Betrieben, alle Arbeiter­nehmerinnen und Arbeitnehmer auf: Wählt euch Betriebsräte, wir als Gewerk­schaft übernehmen die Schulung, und dann wird auch die Einkommenssituation besser! (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Wöginger.)

20.23


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Windbüchler-Souschill. 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


20.23.37

Abgeordnete Tanja Windbüchler-Souschill (Grüne): Herr Präsident! Sehr geehrte Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mein Vorredner, Kollege Riepl, ist doch das beste Beispiel dafür, dass Politik und Kollektivverträge irrsinnig gut zusam­menpassen. Deshalb verstehe ich nicht, dass hier nicht auch über Kollektivvertrags­politik diskutiert werden kann.

Zweitens: Der Antrag ist nicht von den Grünen, Herr Kollege Riepl – ganz und gar nicht! Wäre dieser Antrag nämlich von den Grünen, sähe er ganz anders aus. Der Antrag kommt von der Fraktion der FPÖ.

Ich möchte Ihnen gerne in Erinnerung rufen, dass die Gewerkschaft Metall-Textil schon einmal ein Projekt zu Gender-Mainstreaming durchgeführt hat. Meiner Ansicht nach wären gegenderte Verträge – nämlich Kollektivverträge – ein wirklich wichtiger Schritt nach vorne, denn es sollten die Diskriminierungen in den Kollektivverträgen nicht nur gefunden, sondern tatsächlich gestrichen werden. Es handelt sich dabei oft um ver­steckte Diskriminierungen wie zum Beispiel die Bewertung von Tätigkeiten, die Höhe der Gehaltsdifferenz zwischen den einzelnen Gehaltsgruppen, die Anerkennung und die Bewertung von Qualifikationen, die Anrechnung von Vordienstzeiten oder die Höhe der Zuschläge – ein sehr männerdominierter Bereich, sei es Schmutz-, Erschwernis-, Gefahren- oder Nachtschichtzulage, wo Frauen, die auch unter erschwerten Bedin­gungen arbeiten, nicht berücksichtigt werden.

Und zu Ihrer Erinnerung: Im Regierungsprogramm ist genau dieses Vorhaben enthal­ten, nämlich „gemeinsame Initiative mit den Sozialpartnern zur Eliminierung von versteckten Diskriminierungen in kollektivvertraglichen Bestimmungen und Beseitigung von Stereotypen bei der Arbeitsbewertung [...], insbesondere durch Anrechnung von Elternkarenzzeiten als Vordienstzeiten“. So steht es im Regierungsübereinkommen, und ein kleiner Aspekt ist dieser Antrag der freiheitlichen Fraktion heute. Das heißt, wir Grüne stimmen zu, aber es ist eben nur ein kleiner Aspekt, und Sie sollten sich überlegen, wie sehr dieses Regierungsübereinkommen für Sie überhaupt noch Gültigkeit hat. (Beifall bei den Grünen.)

20.25


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Schittenhelm. 4 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


20.26.01

Abgeordnete Dorothea Schittenhelm (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Ge­schätz­te Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Folgendes möchte ich schon klarstellen: Die Frauenpolitik hängt nicht am Gängelband der Gewerkschaft. Wir machen hier im


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 214

Parlament Frauenpolitik. Wenn Sie, Herr Abgeordneter Riepl, sagen, Politik soll sich aus Gehaltsverhandlungen raushalten, dann meine ich, dass das ein starkes Stück ist. Dagegen verwahren wir uns. Das kann nicht sein!

Frauenpolitik wird hier im Parlament gemacht; wir schauen, dass die Frauen ein entsprechendes Einkommen haben – und nicht die Gewerkschaft. (Beifall der Abgeord­neten Gartelgruber und Neubauer.)

Die Gewerkschaften können verhandeln, aber wir haben die Schuldigkeit und auch die Verantwortung, die Frauen in keinster Weise der Gewerkschaft allein zu überlassen. Das wäre sehr traurig. (Beifall bei der ÖVP.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Antrag der Frau Abgeordneten Gartel­gruber: Ich verstehe das, und ich verstehe auch das Ansinnen, Einfluss zu nehmen beziehungsweise die Sozialpartner aufzufordern, bei den Kollektivvertragsverhandlun­gen entsprechend tätig zu werden. Man sollte auch hinterfragen, ob jene, die hier ad personam diskutieren und verhandeln – es sind ja nahezu ausschließlich Männer –, wirklich das Wissen und das Verständnis dafür haben, was Frauen brauchen. – Das sage ich einmal dazu.

Dennoch sage ich auch ganz klar: Die Verbesserung der Einkommenssituation von Frauen zu erreichen, bedarf einer Reihe von Maßnahmen. Es ist nicht allein damit getan, die Kollektivverträge entsprechend anzupassen. Natürlich wäre das eine ein­fache Lösung, aber keine nachhaltige. (Zwischenruf der Abg. Gartelgruber.)

Wir alle wissen – und das haben viele Diskussionsbeiträge zum Frauenbericht heute auch aufgezeigt –, dass die Einkommenssituation nach wie vor eine schlechte ist, dass sie weit auseinanderklafft, was Frauen und Männer betrifft, und dass gerade in jenen Bereichen des Dienstleistungssektors mit geringen Löhnen und schlechten Aufstiegs­chancen junge Frauen ihren Beruf wählen.

Daher braucht es aus meiner Sicht eine gezielte Ausbildung und Berufsberatung, und zwar schon in der Pflichtschule und nicht erst dann, wenn es darum geht, den Beruf zu wählen. Wir brauchen eine verpflichtende, flächendeckende Beratung an der Schwelle zum Übertritt in weiterführende Schulen – mit 10 Jahren, mit 14 Jahren, mit 18 Jahren.

Ich glaube auch, dass die tatsächliche Beteiligung von Frauen in Führungsgremien eine Besserstellung der Positionen von Frauen in den Betrieben erwarten lässt. Aber eines gehört auch dazu – und da müssen die Frauen selbst an sich glauben und sich am Riemen reißen –: lebensbegleitendes und lebenslanges Lernen, das zur Selbstver­ständlichkeit werden muss, auch wenn es neben den familiären Aufgaben und der Kindererziehung natürlich nicht leicht für die Frauen ist. (Beifall bei der ÖVP.)

Ich hoffe aber sehr auf die Novelle des Gleichbehandlungsgesetzes, die am Dienstag im Ministerrat beschlossen wurde, mit dem Kernpunkt der Einführung von anonymisier­ten Einkommensberichten. Ich lasse mich überraschen, ob diese Maßnahme tatsächlich reicht. Die Lohnunterschiede werden dadurch jedenfalls – nehme ich an – aufgezeigt werden, und es soll vor allem – und deshalb unterstütze ich das auch – eine bewusstseinsbildende Maßnahme sein, um diese ungerechte Differenz zwischen den Einkommen der Frauen und der Männer hervorzuheben und auch zu entschärfen.

Meine Damen und Herren, der Bericht der Europäischen Kommission zeigt, dass durch die Beseitigung der Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen allein im Euro-Raum die Wirtschaftsleistung um 27 Prozent gesteigert werden kann. In Österreich könnten wir die Wirtschaftsleistung, wenn diese Lohnunterschiede beseitigt werden, sogar um 32 Prozent steigern. Wir lassen diese Ressourcen liegen; das ist fahrlässig. Wir nützen die Chancen nicht, die wir durch das Wissen und das Können der Frauen haben.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 215

Bis heute, meine Damen und Herren, werden die Fähigkeiten der Frauen nicht wirklich richtig eingeschätzt, wertgeschätzt und entsprechend leistungsorientiert entlohnt. Ge­ben wir dieser Novellierung des Gleichbehandlungsgesetzes eine Chance, beobachten wir, wie es sich entwickelt, und schauen wir, wie die hoffentlich tatsächlichen Verbes­serungen dann zutage treten.

Ganz kurz auch noch ein Satz zum Entschließungsantrag des BZÖ: Ja, wir, die ÖVP, stehen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wir stehen aber auch für die Wahl­freiheit. Wir haben schon vieles erreicht, wenn ich an das einkommensabhängige Kinder­betreuungsgeld denke, an das Gratis-Kindergartenjahr, an die steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten.

Es ist vieles getan worden. Wir sind aber mit unseren Leistungen nicht ganz zufrieden; es bedarf noch mehrerer Anstrengungen. Ich glaube, dass die richtige Zeit dafür auch kommen wird. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abg. Mag. Wurm.)

20.30


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Vorläufig letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungs­punkt: Frau Abgeordnete Haubner. 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


20.31.08

Abgeordnete Ursula Haubner (BZÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Der vorliegende Antrag von Kollegin Gartelgruber zeigt ein Problem auf. Er zeigt auch auf, dass es sehr wohl entscheidend ist – auch für die Entscheidung für oder gegen Kinder –, wenn Vereinbarkeit von Beruf und Familie gegeben ist. Wir sehen das in erster Linie als ein Vereinbarkeitsproblem.

Wir wissen, dass der Wunsch nach Kindern bei den jungen Familien, bei den jungen Menschen ein sehr großer ist. Die Realität schaut immer wieder anders aus, und die Realität scheitert an verschiedenen Barrieren. – Das ist einmal die ökonomische Situation.

Eine Barriere ist, dass es keine oder zu wenig Betreuungsmöglichkeiten gibt, um Beruf und Familie zu vereinbaren. Es hängt aber auch sehr stark von der eigenen beruflichen Situation der Frau und von ihrem Wiedereinstieg ins Erwerbsleben ab.

Daher wäre es ein neuer Weg, ein neuer Impuls – von neuen Wegen ist ja heute und gestern schon ein paar Mal gesprochen worden –, wenn die Familienphase auch in der Berechnung des Gehaltes ihren Niederschlag fände. – Ich sage „Familienphase“ und nicht „Familienpause“, denn die Phase, in der man in der Karenzzeit zum Beispiel ausschließlich für die Familie zu Hause ist, ist keine verlorene, sondern eine sehr wertvolle Zeit, die eine große Herausforderung für Frauen und Männer darstellt, weil sie vor einer neuen Situation stehen, mit Kindern den Haushalt zu organisieren und zu managen oder behinderte Menschen beziehungsweise ältere Menschen zu betreuen. (Beifall beim BZÖ.)

Es geht um eine Einrechnung der Kindererziehungszeiten, um eine Einrechnung der Pflegezeiten; das soll bei der Einstufung berücksichtigt werden.

Daher bringe ich folgenden Entschließungsantrag der Abgeordneten Ursula Haubner, Martina Schenk betreffend Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein.

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, mit den Sozialpartnern in Verhandlung zu treten, um auf privatwirtschaftlicher Ebene Verbesserungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu realisieren. Insbesondere soll im Rahmen der Kollektivverträge ein Modus gefunden werden, der die Einrechnung von Kindererziehungszeiten und die


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Zeit für die Pflege von Familienangehörigen bei der Gehaltseinstufung positiv berück­sichtigt.“

*****

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BZÖ.)

20.34


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Der soeben eingebrachte Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt und steht mit in Verhandlung.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Ursula Haubner, Martina Schenk und Kollegen betreffend Maß­nahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Im jüngst dem Nationalrat vorgelegten fünften Familienbericht wird u. a die Frage nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den Vordergrund gerückt, wobei es nicht nur die Unterstützungsmaßnahmen bei der Betreuung von Kindern, sondern auch die Pflege älterer Menschen angesprochen wird, die nach wie vor zum größten Teil im familiären Kontext geleistet wird. Der Familienbericht stellt fest, dass die Mehrzahl der pflegenden Personen zu Beginn des Pflegeprozesses nicht abschätzen kann, welche Folgen durch die Übernahme dieser Verantwortung auf sie und ihre Familie zukommen. Die Pflege älterer Familienmitglieder wird zum überwiegenden Teil von weiblichen Familienmitglie­dern übernommen. D.h. Frauen, besonders Mütter, sind im strengsten Fall schweren Doppelbelastungen ausgesetzt, wenn sie etwa zur gleichen Zeit die Betreuung von Kleinkindern und die Pflege von älteren Angehörigen zu bewältigen haben. Abgesehen von der entstehenden enormen physischen und psychischen Belastung, nehmen die Kinderbetreuung und die Pflege älterer Familienmitglieder Zeit in Anspruch, die nach dem Wiedereinstieg ins Berufsleben als Einstufungsanrechnung fehlen und damit Benachteiligungen hinsichtlich Gehaltseinstufung und beruflichem Fortkommen mit sich bringen.

Laut dem Familienbericht blieb die Aufteilung der unbezahlten Arbeiten im Haushalt und bei der Kinderbetreuung trotz des Anstiegs der Frauenerwerbsquote relativ unver­ändert und damit einseitig zu Lasten der Frauen und Mütter. In Haushalten, in denen Männer eine Kinderbetreuungsaufgabe allein übernehmen, wünschen sich Frauen aber häufiger ein zweites Kind. Im Entscheidungsprozess für oder gegen ein Kind werden laut Familienbericht ökonomische Faktoren von etwa einem Drittel der Befragten als bedeutend angesehen. Auch hängt diese Entscheidung für jede zweite Frau stark von der eigenen beruflichen Situation und vom Wiedereinstieg ins Erwerbsleben ab.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag:

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, mit den Sozialpartnern in Verhandlung zu treten, um auf privatwirtschaftlicher Ebene Verbesserungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu realisieren. Insbesondere soll im Rahmen der Kollektivverträge ein Modus gefunden werden, der die Einrechnung von Kindererziehungszeiten und die


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 217

Zeit für die Pflege von Familienangehörigen bei der Gehaltseinstufung positiv berück­sichtigt.“

*****

20.35.01

 


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wünscht die Frau Berichterstatterin ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag des Gleichbehandlungsaus­schus­ses, seinen Bericht 921 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die hiezu ihre Zustimmung geben, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist mit Mehrheit angenommen.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abge­ordneten Ursula Haubner, Kollegin und Kollegen betreffend Maßnahmen zur Verbes­serung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist somit abgelehnt.

20.35.0812. Punkt

Bericht des Ausschusses für Land- und Forstwirtschaft über den Grünen Bericht 2010 der Bundesregierung (III-179/906 d.B.)

 


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Wir gelangen nun zum 12. Punkt der Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Erster Redner ist Herr Abgeordneter Grillitsch. 4 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


20.35.33

Abgeordneter Fritz Grillitsch (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Grünen Bericht 2010 haben wir auch die Einkommenssituation in der Land- und Forstwirtschaft in Österreich klar auf dem Tisch, schwarz auf weiß. Faktum ist, die Einkünfte aus der Land- und Forstwirtschaft je Betrieb beliefen sich auf 19 000 €. Das heißt, 28 Prozent minus gegenüber dem Jahr 2008. (Abg. Mag. Gaßner: Ah!) – Nichts „ah!“, Herr Kollege Gaßner! Keine einzige Berufsgruppe in Österreich musste einen so hohen Einkommensverlust hinnehmen wie die Bäuerinnen und Bauern.

Das ist sehr bedauerlich, sage ich Ihnen, weil die österreichischen Bäuerinnen und Bauern für die Konsumenten, für die Österreicherinnen und Österreicher jeden Tag mühevoll große Verantwortung tragen und große Kompetenz einbringen. Dafür sage ich heute hier im Hohen Haus auch einmal danke. (Beifall bei der ÖVP.)

Danke den Bäuerinnen und Bauern, den bäuerlichen Familien für diese großartigen Leistungen, dass sie das machen, was sich die Konsumenten wünschen, nämlich umwelt­gerecht und tiergerecht sichere Lebensmittel zu produzieren und auch die Landschaft als eine wesentliche Grundlage für den Tourismus offenzuhalten.

Ich sage hier ganz bewusst: Agrarpolitik von heute ist moderne Gesellschaftspolitik von heute und für morgen. (Abg. Dr. Pirklhuber: Hoffentlich!)


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 218

Es geht um die Sicherung von Lebensgrundlagen, und das erfüllen wir, glaube ich, mit dieser bäuerlichen Struktur in Österreich ganz hervorragend – auch dank einer hervor­ragenden Agrarpolitik in den letzten Jahrzehnten. (Beifall bei der ÖVP.)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den vergangenen zwei Jahren eine Wirtschaftskrise erlebt, durch die wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass jeder jeden braucht.

Deswegen haben wir im Bauernbund die Aktion „Heimisch kaufen sichert Jobs“ ge­grün­det, im Rahmen derer es neben all diesem Mehrwert, der durch die bäuerliche Landwirtschaft produziert wird, auch um die Erhaltung beziehungsweise Schaffung von Arbeitsplätzen geht. Die Konsumenten werden darauf aufmerksam gemacht, dass sie es tagtäglich in der Hand haben, durch ihren Einkauf nicht nur die Bäuerinnen und Bauern in der Einkommensentwicklung zu stärken, sondern auch dazu beizutragen, Jobs zu sichern.

Eine Studie sagt, dass der Kauf von 10 Prozent mehr an heimischen Lebensmitteln 10 000 Arbeitsplätze mehr bedeutet. Das ist wichtig, weil diese bäuerliche Land­wirtschaft in Österreich insgesamt rund 500 000 Arbeitsplätze vor- und nachgelagert sichert.

Daher ist es für mich völlig unverständlich, dass wir in Zeiten wie diesen Diskussionen aus einer ideologischen Mottenkiste erleben müssen (Abg. Mag. Gaßner: Ha!), wo Klassenkampf betrieben wird, Herr Kollege Gaßner, wo Neid geschürt wird, wo auf dem Rücken der Bauern Politik gemacht wird. Hören Sie auf damit! Die Bäuerinnen und Bauern in Österreich haben das nicht verdient. (Beifall bei der ÖVP.)

Daher bitte ich Sie und appelliere ich an Sie: Die Landwirtschaft hat für die Zukunft insgesamt eine große Perspektive. Lebensmittelsicherheit, Ernährungssouveränität werden im Mittelpunkt auch der europäischen Agrarpolitik stehen. Das sind Werte, die in den letzten Jahren eigentlich kaum diskutiert wurden, weil sie selbstverständlich waren. Aber nehmen wir diese Perspektive auf, nicht nur für die Bäuerinnen und Bauern. Ich sage Ihnen: Sicherheit für die bäuerlichen Familien bedeutet in Wirklichkeit auch die größte Sicherheit für die Konsumenten und für die Österreicherinnen und Österreicher. (Beifall bei der ÖVP.)

20.39


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Binder-Maier. 2 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


20.40.01

Abgeordnete Gabriele Binder-Maier (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Vielen Dank für die Erstellung des Grünen Berichtes! Wie jedes Jahr bietet dieser Bericht eine sehr reichhaltige Darstellung über das Leben und die Lebenswelten der Menschen am Bauernhof, der Bäuerinnen und Bauern. Die Situation der Menschen am Land kann dadurch nachvollzogen werden.

Worum, Kollege Grillitsch, geht es uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten? – Bestätigt durch den Grünen Bericht – und wir werden nicht müde, es immer wieder zu erwähnen – geht uns Sozialdemokraten um die Arbeit der Bäuerinnen und Bauern auf ihrem Hof, um die Arbeit, die dort geleistet wird. Es geht uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten um das Einkommen der Bäuerinnen und Bauern, um die, die es haben und die es auch erarbeiten. Es geht uns auch darum, dass dieses Einkommen fürs Leben ausreicht. Es geht schlicht und einfach um den Arbeitsplatz Bauernhof, einen Arbeitsplatz mit einem sehr hohen Frauenanteil, auf den wir stolz sein können: 40 Prozent – der höchste in ganz Europa!


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 219

Meine Damen und Herren, das Einkommen der Bäuerinnen und Bauern besteht aus einem Mix: aus Einkommen aus eigener Produktion, aus öffentlichen Fördergeldern und aus Transferleistungen. Dieser Mix ist notwendig zur Erhaltung der Strukturen, damit die Vielfalt der Bauernhöfe, so wie wir sie alle in unseren Köpfen haben, weiter­hin bestehen bleibt.

Es geht uns aber auch um die gerechte Verteilung von öffentlichen Geldern. Es geht um das gerechte Teilhaben und Teilhaben-Können der Bäuerinnen und Bauern. Die Schieflage ist immer wieder erkennbar. Arbeitseinsatz, Arbeitskraft am Bauernhof muss sich lohnen.

Der Spielraum für mehr Gerechtigkeit wäre für den Landwirtschaftsminister aus­reichend gegeben. Wie schaut es aus, Herr Minister? – Das Ziel muss die Erhaltung, Weiterentwicklung und Wertschätzung des ländlichen Raumes, die nachhaltige und gerechte Förderung der Arbeit der österreichischen Bäuerinnen und Bauern sein. – So viel, Kollege Grilltisch, zum Klassenkampf. (Beifall bei der SPÖ.)

20.42


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Jannach. 3 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 


20.42.31

Abgeordneter Harald Jannach (FPÖ): Geschätzter Herr Präsident! Herr Minister! Lieber Abgeordneter Grillitsch, „hervorragende Agrarpolitik“ – du hast ja nicht erwartet, dass ich Applaus spende, als du das erwähnt hast! Wir haben heute den Grünen Bericht zu diskutieren, und es gibt darin ein paar Kennzahlen, die eindeutig sind und die eigentlich die Bankrotterklärung der Agrarpolitik sind. Das ist also unsere Intention. Es haben in den letzten zehn Jahren 30 000 heimische landwirtschaftliche Betriebe zugesperrt – das steht da drin (Zwischenruf des Abg. Grillitsch) –, wir haben im Schnitt 28 Prozent an Einkommensminus, und dann gehst du heraus und sagst: „hervorragende Agrarpolitik“. Das ist wirklich alles andere als eine hervorragende Agrarpolitik! (Beifall bei der FPÖ sowie des Abg. Dr. Pirklhuber.)

Ich habe mir in den letzten zwei Jahre öfters gewünscht, dass Herr Präsident Neu­gebauer unser Interessenvertreter wäre, weil er schon schimpft, wenn es nur eine ein­pro­zentige Lohnerhöhung gibt. Aber bei uns ist es im Schnitt ein 28-prozentiges Einkommensminus, und ihr sitzt da und sagt: Eh alles bestens, da kann man nichts machen!

Wir haben im Landwirtschaftsausschuss diskutiert, und ich muss vielleicht auch noch eine kurze Anmerkung zu der letzten Sitzung des Landwirtschaftsausschusses machen: Am 5. Oktober 2010 eine Jahresvorschau 2010 für ein Programm für die Landwirtschaft zu machen, ist wohl sehr, sehr spärlich und im Grunde eine Frotzelei. Eine Jahresvorschau macht man ein Jahr vorher fürs nächste Jahr, aber nicht im Oktober, weil das dann nichts mehr bringt. (Beifall bei der FPÖ.)

Wir hatten als 2. Tagesordnungspunkt die Maßnahmen, die jetzt gesetzt werden. Das Einkommensminus ist ja gewaltig, da kann man nicht einfach sagen: Okay, das sind 2 Prozent minus, das sind 3 Prozent minus – das sind 28 Prozent minus! Und die Maßnahmen, die gesetzt worden sind, waren keine, weil das Milchpaket mit 6 Millionen €, das 0,05 Cent pro Kilo Milch ausmacht, keinen einzigen Bauernhof gerettet hat. Auch das Vorziehen der Auszahlungen der Förderung um einen Monat hat in Wirklichkeit gar nichts gebracht.

Im Ausschuss haben wir gehört – ich habe die Hoffnung, dass wir heute etwas anderes hören –, was denn jetzt die konkreten Maßnahmen bei so einem Desaster in der Agrarpolitik, bei einem Drittel weniger an Einkommen wirklich sind. Ich freue mich


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 220

schon darauf, dass der Herr Minister heute einmal konkret sagen wird, was er wirklich für die Bauern tun wird.

Wir haben eine einzige Maßnahme gehabt – und das steht auch im Grünen Bericht –, und zwar dieses große „Unternehmen Landwirtschaft 2020“. Das wird da viel geprie­sen, aber was steckt denn hinter dem „Unternehmen Landwirtschaft 2020“? – Wir hatten im Jahr 2008 eine Agraroffensive, die „Grüne Offensive“; Ergebnisse sind nicht bekannt. Wir hatten im Jahr 2009 eine Agraroffensive „Zukunftsfeld Bauernhof“; trotz Anfrage: Ergebnisse nicht bekannt. Die Ergebnisse der bisherigen Agraroffensiven fließen jetzt in die neue Agraroffensive „Unternehmen Landwirtschaft 2020“ ein. Ich hoffe, dass wir möglichst bald Ergebnisse sehen, die den Bauern wirklich konkret helfen, denn bis jetzt ist wirklich nur sehr, sehr viel heiße Luft produziert worden.

Eine Maßnahme habe ich noch vergessen – und das zeigt auch die klassenkämp­ferischen Töne zwischen ÖVP und SPÖ auf –, den „Kampf um unsere Bauernhöfe“, also die Unterschriftenaktion, wo man schreibt: Seit Monaten greifen SPÖ und Bundes­arbeitskammer unsere Bäuerinnen und Bauern massiv an. – Zitatende.

Ich war schon nahe daran, vorzuschlagen, dass man die Agrarpolitik in den koalitions­freien Raum stellt, denn ich sehe im Bereich der Verteilungsgerechtigkeit sehr viele Parallelen zwischen uns und der SPÖ (Beifall bei der FPÖ), aber wenige Parallelen in dem Bereich mit euch von der ÖVP.

Wir haben zum Beispiel die Vorstellung einer Förderobergrenze für die landwirtschaft­lichen Betriebe. Es wissen hier alle – das ist schon oft genug diskutiert worden –, dass die Großbetriebe, die flächenintensiven und tierintensiven Betriebe, Haufen an Förderungen bekommen, Hundertausende Euro, dass Verarbeitungs- und Verede­lungs­betriebe, dass öffentliche Körperschaften einen Haufen Geld aus dem Bauern­budget bekommen. Wir wollen hier eine Obergrenze haben, wir stellen uns vor, vielleicht 75 000 € pro Betrieb – nicht für diese öffentlichen Körperschaften wie Kammern oder AMA, die auch Bauerngelder bekommen. Die SPÖ und wir sind einan­der da also sehr ähnlich.

Aber das Kuriose, das ich jetzt gefunden habe, ist die Forderung oder Feststellung des Landwirtschaftsministers, der auch eine Förderobergrenze für die einzelnen Betriebe will. Wisst ihr, wo diese Förderobergrenze liegt? – Bei 800 000 € pro Jahr! Ich weiß nicht, wie viele Betriebe 800 000 € bekommen – vielleicht fünf oder zehn Betriebe –, aber das sind keine landwirtschaftlichen Betriebe, sondern Industriebetriebe. (Abg. Zanger: Ich werde sofort Bauer!)

Er hat das in einem Presseinterview bekannt gegeben: 800 000 € soll die Förderober­grenze sein; das sind 11 Millionen Schilling! Wie will man das irgendjemandem, irgend­einem Bürger noch erklären, dass die Förderobergrenze bei Bauern ... (Zwi­schen­bemerkung von Bundesminister Dipl.-Ing. Berlakovich.) – Herr Minister, hier steht es: Förderungen auf 800 000 € begrenzen. (Bundesminister Dipl.-Ing. Berlakovich: Dass Sie es nicht verstehen, überrascht mich nicht!) Wie will man auch nur irgendeinem Normalbürger, der nichts mit der Landwirtschaft zu tun hat, überhaupt erklären, dass man einem einzelnen Betrieb 11 Millionen Schilling zur Verfügung stellen will?

Hier sehen wir also sehr große Ungerechtigkeiten, hier gibt es sehr, sehr großen Hand­lungsbedarf. Wir wollen einfach eine Förderobergrenze einführen, die in etwa – darüber kann man noch reden – bei 75 000 € liegt. Das ist immer noch 1 Million Schilling, und das sollte für einen Arbeitsplatz am Bauernhof auch ausreichend sein. (Beifall bei der FPÖ.)

Zudem wünschen wir uns, dass man das Agrarbudget endlich trennt, in Förderungen für tatsächlich aktive Landwirte und in Förderungen für Handelsbetriebe, für Gewerbe­


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 221

betriebe und für die öffentlichen Körperschaften, die man herausnimmt. Das hat nichts mit dem Agrarbudget zu tun. Das belastet imagemäßig die Bauern, denn diese Betriebe, auch die öffentlichen Körperschaften wie Kammern und AMA, bekommen Unsummen an Fördergeldern. Die sollen aus einem anderen Topf kommen, aber nicht aus dem Agrarbudget! (Beifall bei der FPÖ sowie des Abg. Mag. Gaßner.)

Herr Bundesminister, der Grüne Bericht ist eindeutig, und wir stimmen dem Grünen Bericht heute auch zu – aber nicht, weil wir die Agrarpolitik gutheißen, sondern weil er einfach eine Bestandsaufnahme dessen ist, was in der Agrarpolitik tatsächlich passiert. Wir haben ein 28- oder 29-prozentiges Einkommensminus, und wir haben von Ihnen noch keine einzige Sofortmaßnahme – bis auf diese Lapidarsachen mit der Förde­rungs­vorziehung – gehört. Das ist kein Ruhmesblatt für das Ministerium, aber auch kein Ruhmesblatt für die Interessenvertretung.

Wenn weiter nichts geschieht, dann passiert das, was wir auch befürchten: dass sich die Landwirtschaft in die europäischen Gunstlagen verlagert, in die intensiven Betriebe. Das ist nicht das, was wir als Vertreter der Freiheitlichen Partei wollen, nämlich dass im Berggebiet die heimischen Betriebe gänzlich verschwinden. (Beifall bei der FPÖ.)

20.49


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Als nächster Redner zu Wort gelangt Herr Abgeord­neter Dr. Pirklhuber. 7 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 


20.49.41

Abgeordneter Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Pirklhuber (Grüne): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Kollege Jannach hat wirklich sehr gut versucht, klarzulegen, was das Problem ist. Kollege Grillitsch, du bist nur ganz kurz auf den Grünen Bericht eingegangen. Ich möchte zu Beginn sagen, dieser Grüne Bericht ist – wie auch schon in den letzten Jahren – ein ausgezeichnetes Kompendium für die Analyse der Landwirtschaft und Lebensmittelpolitik in Österreich. Er enthält auch gute Kapitel zu Energiefragen, Klimaschutzfragen oder Biodiversitätsfragen; keine Frage, dahinter steckt viel Know-how.

Wir dürfen auch nicht vergessen – und das ist ja positiv –, dass wir alle auch unsere ParteienvertreterInnen in der §-7-Kommission haben, dass dieser Bericht auf Basis des österreichischen Landwirtschaftsgesetzes erstellt wird. Und was ist das Ziel des Land­wirtschaftsgesetzes? – Die Erhaltung einer lebensfähigen, aktiven bäuerlichen Bevöl­ke­rung, um für die Konsumentinnen und Konsumenten die besten Lebensmittel zu produzieren, die es in diesem schönen Land ja auch gibt und die man auch hier produ­zieren kann.

Da bin ich bei dir, lieber Kollege Grillitsch: Ja, das ist die Aufgabe, die erste Aufgabe der Landwirtschaft und die wertvollste, die wir haben und die wir uns nicht aus der Hand schlagen lassen dürfen, von wem auch immer, seien es die internationalen Saat­gut­konzerne, sei es das große Agrobusiness, seien es die Lebensmittelkonzerne oder die Handelsbetriebe, die Druck auf die Bauernschaft ausüben. Da haben wir vielleicht auch wirklich einen Konsens im Haus; ich weiß es nicht, es könnte ja sein.

Aber – und jetzt kommen wir zu den Kernfragen – ziehen wir auch die gleichen Schlüsse, Kollege Grillitsch? Oder teilen wir wenigstens dieselben Analysen, die aus diesem Bericht herauszudestillieren sind? – Das ist meine Frage an Sie. Ich stimme Ihnen zu: minus 29 Prozent bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft ... (Abg. Jakob Auer: Einmal „du“, einmal „Sie“!) Das macht gar nichts; je nachdem, wie gut wir im Ausschuss beieinander sind. Wenn es funktioniert, sind wir per du, und wenn es nicht so funktioniert, dann nicht. Du weißt es ohnehin, Kollege Auer.


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Also: 2009 ein Minus von 29 Prozent bei den Einkünften aus Land- und Forstwirt­schaft – ein Katastrophenjahr für die Landwirtschaft! Jetzt eine Frage an das Audito­rium hier: Wie hoch sind denn, glauben Sie, die Förderungen, anteilig an den Einkünf­ten der Land- und Forstwirtschaft im Jahr 2009? Wie hoch sind die Förderungen, anteilig an diesen Einkünften? (Ruf bei der SPÖ: 94 Prozent!) – 94 Prozent! Danke schön, Sie haben das richtig formuliert: Es sind 94 Prozent, absolut korrekt.

Diese Ziffer steht zwar so nicht im Bericht – das ist schade –, aber Generalsekretär Mang hat es in seiner Beantwortung völlig richtig dargestellt, als ja Sie, Herr Minister, nicht mehr Zeit finden konnten wegen dieser Sondersitzungsproblematik. Er hat das sehr gut und auch korrekt dargestellt.

Das ist also schon sehr heikel, und es zeigt die reale Situation. Da hat Kollege Jannach auch recht: Wenn es heute so ist, dass in der Land- und Forstwirtschaft fast hundert Prozent der Einkünfte aus Förderungen bestehen, im Schnitt über alle Betriebe gerech­net, dann ist das eine Bankrotterklärung für die Agrarpolitik, weil Bäuerinnen und Bauern für ihre Betriebe keinen Deckungsbeitrag mehr aus der landwirtschaftlichen Produktion erwirtschaften können.

Unter solchen Voraussetzungen ist das auch ein absolutes Desaster der europäischen Marktpolitik, meine Damen und Herren, denn darauf läuft es hinaus: Was wollen wir? Wollen wir, dass Bäuerinnen und Bauern durch die Arbeit, die sie auf ihren Höfen vollbringen, und durch die wertvollen Produkte, die sie erzeugen, auch ein Einkommen aus dieser Produktion selbst erwirtschaften? – Das ist die Kernfrage, Herr Minister, diese Frage stelle ich Ihnen auch hier ganz explizit. Beantworten Sie uns, welche Maß­nahmen Sie bisher auf europäischer Ebene im Rahmen des Reformprozesses konkret eingebracht haben, um genau diese Option – Einkommen aus Produktion von Land- und Forstwirtschaft – auch wirklich zu erzielen. Kollege Grillitsch, das ist die Heraus­forderung, wenn wir eine Förderquote von 94 Prozent haben.

Dann muss man auch konkret sagen: Wie schaut es denn mit den zukünftigen Herausforderungen bei Kürzungen des Budgets aus? – In keinem Ausschuss hat uns der Minister bisher klar sagen können, welche Maßnahmen er setzen wird. Wenn ich diese Zahlen sehe, Kollege Auer, dann muss ich auch feststellen: Jeder Cent, den man im Schnitt – ich sage immer: im Durchschnitt – bei den Bauern abzwackt, ist eigentlich Vernichtung von bäuerlichem Einkommen, weil eben der Förderanteil, wie gesagt, fast hundert Prozent beträgt – im schlechten Jahr 2009, heuer ist es besser, keine Frage.

Unter diesen Gesichtspunkten müsste man das auch sachlich diskutieren, wir müssten uns im nächsten Ausschuss die Zeit dafür nehmen. Wir werden ja bei den Budgetver­handlungen sicher intensiv darüber diskutieren.

Das wäre meine zweite Frage an Sie: Werden Sie sämtliche Förderungen vom Agrar­budget abziehen und von der Restmenge, nämlich von 600 Millionen €, die 3,6 Prozent an Kürzungen durchführen? In welchen Bereichen werden Sie diese bei der Verwal­tung durchführen? Und welche Kürzungen werden Sie allenfalls in den Investitions­maßnahmen oder dort, wo es bei den Bauern nicht direkt einkommenswirksam ist, vorschlagen? Oder werden Sie generell mit dem Koalitionspartner aushandeln, keine Kürzungen durchzuführen? – Das ist eine zentrale Frage. Wenn wir heute über den Grünen Bericht diskutieren, dann wäre das auch die Frage, die zu beantworten wäre.

Dann bin ich auch schon bei der Positiv-Strategie. Wir Grüne haben eine Positiv-Strategie für die Landwirtschaft, und die heißt ganz klar: Leitbild Biolandbau! Wir sind Europameister, und wir können Weltmeister werden, wenn wir zeigen, dass biologische Landwirtschaft in allen Betriebszweigen, auch in der Schweinehaltung – das ist mir wichtig –, auch in der Geflügelhaltung mit gentechnikfreien Futtermitteln nicht nur mög­lich, sondern auch rentabel ist und auf dem Markt Erträge erwirtschaftet. Ich weiß, das


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ist eine große Vision, aber sie ist es wert, darüber nachzudenken. Wir haben inzwischen 18,5 Prozent der Fläche im Biolandbau, wir haben 16 Prozent der Betriebe, die biologisch wirtschaften.

Meine Damen und Herren, wenn wir so einen Weg gehen, dann haben wir einige Aufgaben und einige Chancen. Die Chancen sind klar: In ganz Europa wächst der Biomarkt, heuer haben wir 40 Prozent an Zuwachs gehabt, sogar im Bereich der Diskonter von Lidl bis Hofer, zum Teil sogar mit qualitativ hochwertigen Bioprodukten. Das engagierte Projekt „Zurück zum Ursprung“ muss man anerkennen: am Markt gut etabliert, ein gutes Marketing und auch hohe Produktqualität. Nicht jedes Produkt im Diskonter ist ein schlechtes Produkt, das muss man auch sagen. Das kommt auch den Konsumentinnen und Konsumenten zugute.

Aber wenn wir so etwas wollen, dann braucht es auch die notwendigen Rahmen­bedingungen, Herr Bundesminister, und müssen wir Prioritäten setzen. Die vermissen wir. Bisher haben wir keine einzige Diskussion geführt, strukturell und inhaltlich, zur großen Reform der Agrarpolitik in Europa, die nach 2013 ansteht. Es liegt seit Ende September ein Papier der Kommission vor, das Non-Paper, worin drei Optionen darge­stellt werden. Die letzte Bauernzeitung bespricht ja diese drei Optionen; ich hoffe, auch wir besprechen dies im nächsten Landwirtschaftsausschuss am 25. November.

Das sind dann die Herausforderungen: Welche Chancen haben wir, ein stabiles, sinnvolles europäisches Agrarprogramm und Agrarbudget zu erhalten? – Sie haben heute eine Veranstaltung gemacht, Sie haben ja einige Vertreter, die auch auf höchster Ebene in Europa aktiv sind. Ich erwarte mir, dass diese Kollegen – wie Kollege Molterer – auch das Wort ergreifen. Es ist doch ungeheuerlich, dass ÖVP-Abgeordnete in ihrem Klub eine Veranstaltung machen und sich einer öffentlichen politischen Debatte hier im Haus überhaupt nicht stellen, weder im Ausschuss noch hier im Plenum! (Beifall bei den Grünen.)

Das kann ich einfach nicht akzeptieren, und ich halte das für eine Schande für den Parlamentarismus, wenn die Agrarvertreter in kleinen Veranstaltungen unter ihres­gleichen irgendetwas diskutieren, aber hier eine öffentliche Debatte scheuen. Das kann und darf es nicht geben, und wir werden uns bemühen, beim nächsten Ausschuss endlich die Voraussetzungen zu schaffen, dass es auch eine breite öffentliche Debatte dazu gibt. (Beifall bei den Grünen. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Um diese Zeit, Kollege Hornek, brauchst du nicht laut zu schreien! Zähle einmal deine Bauernbundfunktionäre, die bei der Agrardebatte hier sind, zähle sie einmal zusammen! (Heiterkeit und Beifall bei den Grünen.) So schaut’s aus! Aber wir haben klare Zielvorstellungen ... (Abg. Grillitsch: Sag einmal, wer ist nicht da? – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) Schreien bringt gar nichts in der Sache.

Aber welche sind die grünen Perspektiven? – Diese möchte ich Ihnen nicht vorent­halten. Unsere Ziele für die gemeinsame Agrarpolitik haben drei konkrete Stoßrich­tun­gen. Wir müssen die Agrarpolitik endlich auf den Binnenmarkt von 500 Millionen Kon­su­mentInnen ausrichten. Es ist die ureigenste Aufgabe der Bauernschaft, in Europa für unsere Konsumenten hier in Europa zu produzieren und nicht mit Dumpingpreisen die Lebensmittelmärkte in Afrika oder sonst wo zu zerstören. Das darf nicht weiter fortgesetzt werden. (Beifall bei den Grünen.)

Damit wir das erreichen, brauchen wir Marktregulierung und nicht Deregulierung, nicht nur bei den Finanzmärkten, sondern auch bei den Agrarmärkten, weil diese hoch­sensibel sind. Wir sehen, dass die weltweiten Spekulationen hier massive Verwerfun­gen und auch Gefahren für den Frieden in der Welt mit sich bringen. Hungerrevolten sind gar nicht so aus der Luft gegriffen.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 224

Um stabile Agrarmärkte zu erreichen, müssen wir den Markt in Europa entsprechend qualifiziert schützen. Wie das geschieht, dazu sind wir alle aufgefordert, Vorschläge zu machen, weil wir eines brauchen: kostendeckende Preise bei den Bauern.

Abschließend: Keine Frage, Marktregulierung braucht auch zusätzliche ergänzende Maßnahmen, ökologische Leistungen müssen abgegolten werden. Wir brauchen einen europäischen Bioaktionsplan, verpflichtend in jedem Mitgliedstaat. Seine genaue Aus­gestaltung soll Sache der Länder sein, aber es soll eine Verpflichtung zu Ökologisie­rung und Qualitätsproduktion geben.

Und das Zweite, eine alte Forderung österreichischer Landwirtschaftsvertreter aller Parteien: die Kreislaufwirtschaft. Wenn wir die Kreislaufwirtschaft in Europa nicht wieder ganz oben auf die Agenda setzen, wird es ein Dilemma sein, wird es ein Fiasko sein! Dann wird die Bauernschaft am Schluss übrig bleiben und in die Arbeitslosigkeit abdriften, während die Agrarindustrie das Geschäft machen wird. Das ist das Problem.

Wir brauchen auch gentechnikfreie Futtermittel in Europa. Wir müssen den Kreislauf im Futtermittelbereich wieder schließen. Ich bin ich schon sehr neugierig, was der Herr Bundesminister dazu an Vorschlägen bringt, meine Damen und Herren.

Ich freue mich auf den nächsten Ausschuss. Der Grüne Bericht ist auf jeden Fall eine ausgezeichnete Grundlage, um hier weiter zu diskutieren. Daher werden wir diesem Bericht unsere Zustimmung geben. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von ÖVP, FPÖ und BZÖ.)

21.01


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Dr. Spadiut. 4 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


21.01.25

Abgeordneter Dr. Wolfgang Spadiut (BZÖ): Herr Präsident! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Der Grüne Bericht ist ein umfassendes Werk, das die Situation der Landwirtschaft sehr deutlich zeigt – und diese Situation ist sehr besorgniserregend. Rückgang des Produktionswertes, Verschlechterung des Einkommens der heimischen Landwirtschaft. Besonders alarmierend für mich ist aber der Rückgang der Betriebe: Seit 1999 haben exakt 30 474 Betriebe zugesperrt. (Abg. Huber: Unglaublich!)

Meine Damen und Herren, wenn man rechnet, dass pro Betrieb zwei Personen den Arbeitsplatz verloren haben, sind das über 60 000 Personen, die auf den Arbeitsmarkt kommen. Wenn man rechnet, dass ein großer Teil davon umgeschult werden muss, so sind das enorme Kosten – dabei wäre es doch viel besser, man hätte mit diesem Geld die Landwirtschaft gefördert.

Wo liegen die Gründe für das Zusperren der Betriebe? – Das niedrige Einkommen, wenig Geld für die Erzeugnisse und völlig falsche Verteilung der Fördermittel. Dazu kommt überflüssigerweise noch die Forderung der SPÖ nach einer hohen Besteuerung der Landwirtschaft, der Bauern. Auch das Vorhaben der AMA ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) – Bitte um Ruhe! – Die AMA sagt: Lieber Bauer, vor fünf Jahren haben wir deine Flächen vermessen. Jetzt haben wir neu vermessen. Du hast weniger, also zahle für fünf Jahre die Förderungen zurück. – Das kann nicht sein!

Meine Damen und Herren! In diesem Jahr haben acht von mir betreute Landwirt­schaften den Betrieb eingestellt. (Heiterkeit. – Zwischenrufe.) Bei diesen Landwirt­schaften handelt es sich ausschließlich um klein strukturierte Bergbauernbetriebe. Sind Sie (in Richtung ÖVP) wirklich vom Bauernbund, wenn Sie das so lustig finden, Herr Kollege?!


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 225

Was passiert mit den Flächen der Bergbauernbetriebe? Die Flächen auf der Ebene zu verpachten, ist leicht, am Berg die Steilflächen zu verpachten, ist fast nicht möglich. Was macht der Bauer? Er wird sie aufforsten, und mit der Zeit werden die Almen langsam verschwinden.

Aufhalten kann man dieses Bauernsterben meines Erachtens nur durch ein Neuüber­denken der Auszahlung der Förderungen, und zwar unter dem Motto – und so lautet auch unser Motto – „Leistung muss sich lohnen“, Auszahlung nach effektiven Arbeits­stunden, nach effektiver Arbeitszeit. (Beifall beim BZÖ.)

Wenn das nicht geschieht, werden die Großen immer größer werden, die Kleinen wer­den sterben. Und durch diese Industrialisierung der Landwirtschaft wird der Konsument in Zukunft auf die qualitativ hochwertigen Lebensmittel unserer Landwirtschaft verzich­ten müssen. (Beifall beim BZÖ.)

21.04


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Als nächster Redner zu Wort gelangt Herr Abgeord­neter Auer. 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


21.04.31

Abgeordneter Jakob Auer (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminis­ter! Meine sehr verehrten Damen und Herren ! Lieber ehemaliger Landwirtschafts­sprecher der SPÖ, lieber Kollege Gradwohl! Landwirtschaft ist Wirtschaft am Lande. Ich glaube, dass die österreichische Landwirtschaft beziehungsweise die Bauern und Bäuerinnen hervorragend wirtschaften. Daher ist erst einmal den Bauern und den Bäuerinnen für ihre hervorragende Arbeit zu danken, jenen Betrieben, welche die ausgezeichneten Unterlagen für diesen Grünen Bericht liefern. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Der Bericht ist bemerkenswert, wirklich hervorragend gestaltet. Daher ist auch allen Beamten und Zuständigen zu danken, die diesen Bericht erstellen. Es ist wirklich eine professionelle Grundlage. Und bei dieser Gelegenheit gilt natürlich auch mein beson­derer Dank dem Bundesminister und den Damen und Herren aus seiner Beamten­schaft. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie des Abg. Dr. Pirklhuber.)

Meine Damen und Herren, ich sage ganz offen, ich könnte heute fast alles unter­schreiben, was der Kollege Pirklhuber hier gesagt hat (demonstrativer Beifall der Abg. Dr. Moser), sowie das, was die Kollegin Gabriele Binder-Maier über die Situation der Bäuerinnen gesagt hat.

Meine Damen und Herren, auch mich stört, wenn in der Darstellung der Ausgleichs­zahlungen – manche Kommentatoren meinen ja: Förderungen – alles vermischt wird, von der Naturschutzabteilung über den Betrieb X, über den Gewerbebetrieb Sowieso, über andere Einrichtungen. Und dann wird alles in Summe in einem schönen Paket verpackt, und dann heißt es, die Bauern würden so viel Steuergelder erhalten.

Tatsache ist: Wir bekennen uns auch aus der Sicht der Bauernschaft zu Zahlungen, zu Unterstützung und Subvention von Betrieben. Das ist letztlich Arbeitsplatzsicherung. Dann soll man es aber auch so darstellen, und nicht am Rücken des Bauern sozu­sagen kassieren und gleichzeitig den Bauern sagen: Ihr seid die größten Sub­ventions­empfänger! (Abg. Dr. Pirklhuber: Richtig!) Man soll sagen: Wir aus der Arbeitnehmer­schaft, aus den Betrieben, gewerblichen oder sonstigen Einrichtungen erhalten die Summe sowieso, keine Frage.

Zweitens: Dieser Bericht zeigt deutlich die schwierige Situation auf, nämlich dieses Minus. Es ist dramatisch, daran ist nicht zu rütteln. Aber so zu tun, als ob die Agrarpolitik allein schuld wäre und der Markt, die Wirtschaftskrise nichts damit zu tun


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 226

hätte, das ist, seid mir nicht böse, billige Polemik. (Zwischenruf des Abg. Huber.) Wir sollten auch wissen, wie schnell Märkte reagieren.

Dieser Tage hat in St. Wolfgang das interessante 2. Oesterreichische Milchforum statt­ge­funden. Da sind auch die großen Vertreter von Billa, Spar und anderen Konzernen aufgetreten. Sie sagten kühl und deutlich, dass auch der Preis entscheidend ist, ob in ihren Läden, in ihren Verkaufsregalen weiterhin die Produkte österreichischer Bauern verkauft werden. Sie gestehen uns zu, dass hervorragende Qualität produziert wird. Das ist ein Kompliment an die Bäuerinnen und Bauern, aber auch an die Verarbei­tungs­betriebe, wo diese Produkte produziert werden.

Man sollte sich die klare Haltung dieser Einkäufer vor Augen führen: Sie haben kein Mitleid mit Bauern und Bäuerinnen. Sie haben kein Verständnis für Kosten in anderen Bereichen, für sie sind nur die Margen entscheidend. Ich kenne auch sehr viele Fleischhauer – aller Farbenspiele –, die rücksichtslos sind und am Markt nur dann einkaufen, wenn der Preis stimmt. Wenn in Österreich irgendetwas im Rohprodukt um fünf Cent teurer ist, dann kauft man von anderen Ländern ein. Sie können sich die Dinge ansehen, meine Damen und Herren. Daher sollte man wirklich die Kirche im Dorf lassen! (Abg. Krainer: ... Kapitalismus!)

Welche Chancen haben wir? Manchmal habe ich das Gefühl, dass man unter den wirklich idealistischen Vorstellungen einer zukünftigen Agrarpolitik noch mehr Kontrolle, Auflagen, Bürokratie und Überprüfung, noch mehr Einengung des persönlichen Spielraums des Bauern versteht und dabei vergisst, dass der kleine Betrieb keine Chance hat, diese Kosten unterzubringen! Das kann der große Betrieb. Herr Kollege Spadiut, auch bei den Tierärzten ist das so. (Abg. Großruck: Genau!) Der große Betrieb hat mehr Chancen, diese Kosten zu verkraften, denn die Zufahrt des Tierarztes kostet gleich, unabhängig davon, ob er ein Tier behandelt oder 25 Stück. Und er hat es dann umzulegen auf diese Stückzahl.

Daher sollte man, meine Damen und Herren, auch alles tun, damit in Zukunft alle Möglichkeiten der neuen Finanzperiode 2013 bis 2020 genützt werden, damit jeder Euro aus Brüssel abgeholt wird, und auch im nationalen Budget entsprechende Mittel sichergestellt werden! (Beifall der Abgeordneten Prinz und Huber.)

Wir sollten wirklich versuchen, die Chance zu nützen, Energie aus der Region für die Region zu nützen, und nicht auf Kilometerbasis irgendwo hertransportiert, hergekarrt, weil wir die Chance hätten, eigene Energie noch stärker zur Verfügung zu stellen.

Zum Dritten, meine Damen und Herren, frage ich mich immer, warum einerseits die Erdölbevorratung selbstverständlich ist – mit riesigen Kosten, Anlagen und so weiter –, man aber andererseits nicht in der Lage oder nicht willens ist, auch seitens der Europäischen Union in diesem Bereich Lageraufbau und Abfederungen der Märkte zu ermöglichen.

Das Beispiel Russland sollte uns heuer zu denken geben: Dort wurde der Getreide­export verboten. China stoppt indessen die Einfuhren von Milch und anderen Produk­ten. Wir sollten für diesen Markt in Europa wirklich etwas einführen, was auch der Kollege Pirklhuber meinte, nämlich ein Reglement, damit die großen Schwankungen beziehungsweise die Volatilität abgefedert wird. Das wird notwendig sein – im Interesse der Tausenden, Zigtausenden Bäuerinnen und Bauern.

Trotzdem, liebe Freunde, wenn ich auch vieles von dem, was ihr heute gesagt habt, unterschreiben könnte: Beim Minister Berlakovich ist die Landwirtschaftspolitik noch immer in besseren Händen. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenruf des Abg. Dr. Pirklhuber.)

21.11



Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 227

Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Muchitsch. 2 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


21.11.10

Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundes­minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Grüne Bericht gibt Einblick in verschiedenste Bereiche der Landwirtschaft. Berichtet wird auch über die Einhaltung und Weiterentwicklung des ländlichen Raums. Eine wesentliche Voraussetzung ist dabei sicherlich eine bäuerliche, nachhaltige und vor allem wettbewerbsfähige Land­wirtschaft – zur Sicherung der natürlichen Grundlagen für unsere Bauern und damit auch ihres Einkommens.

Diese Erkenntnis verliert in der Praxis leider immer mehr an Glaubwürdigkeit. Ein Grund dafür: Immer mehr Tierfabriken mit Massentierhaltungen verdrängen unsere echten Bauern aus der Landwirtschaft. Die Bauern selbst wollen mittlerweile diese großen Tierfabriken nicht mehr. Nicht nur wegen des unfairen Wettbewerbs, sondern auch, weil diese Tierfabriken mit ihrer Gülle unsere Umwelt vernichten.

Ein letztes aktuelles Beispiel aus der Südsteiermark: Im September 2010 flossen von einer Schweinetierfabrik Hunderttausende Liter in den angrenzenden Schwarzaubach. Tausende tote Fische wurden hier von der Bevölkerung und von der Freiwilligen Feuerwehr tagelang geborgen. Ein Bild des Schreckens, bedrohte Fischbestände wurden mit einem Schlag vernichtet.

Unverständlich. Viele von Ihnen kennen die Südsteiermark. (Abg. Grillitsch: Da liegt auch meine Heimatgemeinde!) Wir bewerben mit viel Geld unsere Genussregion Südsteiermark, Tausende Touristen besuchen unsere schöne Region – und parallel werden Schweinetierfabriken errichtet, die mit ihrer Gülle unsere Umwelt und unser Grundwasser versauen. Distanzieren wir uns daher von dieser Massentierhaltung, von diesen Tierfabriken! Lassen wir nicht zu, dass solche Skandale unter den Tisch gekehrt werden, sondern schützen wir unsere Natur und unser Grundwasser – und sichern wir damit auch die Einkommen unserer echten Bauern!

Lieber Fritz Grillitsch, was den „Klassenkampf“ betrifft – du hast dieses Wort hier als Erster in den Mund genommen –: Der Bauernbund führt einen heimlichen Klassen­kampf, weil man nämlich die ganz Großen schützt und bei den ganz Kleinen wegschaut. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

21.13


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Doppler. 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


21.13.50

Abgeordneter Rupert Doppler (FPÖ): Herr Präsident! Herr Minister! Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Der Grüne Bericht ist zweifelsohne ein gutes Nachschlagewerk. Das haben wir letztes Jahr gesagt, das werden wir dieses Jahr sagen und das nächste Jahr wahrscheinlich auch wieder. Aber die Einkommens­situation der Bauern, vor allem der Bergbauern, hat sich dadurch leider nicht ge­bessert.

Meine sehr geschätzten Damen und Herren, die Bauern müssen immer noch mehr Vorschriften und Richtlinien einhalten. Immer mehr Bauern geben auf, verlassen die Höfe. Die Förderungen stopfen wir weiterhin in den nimmersatten Rachen der Lebens­mittelindustrie. Die Bauern, besonders die Bergbauern, bekommen einen Hungerlohn für ihren Fleiß. Meine sehr geschätzten Damen und Herren, es ist höchste Zeit, dass


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 228

die Bauern jene Ausgleichszahlungen bekommen, die ihnen für ihre vorbildhafte Landschaftspflege unserer Heimat zustehen! (Beifall bei der FPÖ.)

Sehr geschätzte Damen und Herren, was wir nicht wollen, ist, dass, wie geplant, nach 2013 die Förderungen gekürzt werden, dass die kleinen Höfe verlassen werden beziehungsweise aufgegeben werden müssen. Herr Landwirtschaftsminister, ich glaube nicht, dass Sie das wollen! Wir Freiheitliche wollen das auch nicht. Wir wollen, dass die heimischen Bauern und Bergbauern weiterhin gesunde Grundnahrungsmittel erzeugen und davon anständig leben können. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der FPÖ sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

21.15


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Als nächste Rednerin zu Wort gelangt Frau Abge­ordnete Mag. Brunner. 4 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


21.15.18

Abgeordnete Mag. Christiane Brunner (Grüne): Herr Präsident! Der Grüne Bericht bietet nicht nur sehr wertvolle Informationen für die Landwirtschaftspolitik, darin steht auch sehr viel Wesentliches für die Energie- und Umweltpolitik. Aber nicht nur der Grüne Bericht, auch der Umweltkontrollbericht sollte, meine ich, eine sehr wesentliche Grundlage für die Umweltpolitik der nächsten Jahre sein und ist, weil auch er nur alle drei Jahre erscheint, der einzige in dieser Legislaturperiode. Deswegen finde ich es sehr, sehr schade, dass es im Ausschuss nicht dazu gekommen ist, dass wir auch den Umweltkontrollbericht hier diskutieren können.

Ich möchte nicht den einen Bericht gegen den anderen ausspielen. Ich finde den Grünen Bericht sehr wichtig, aber ich denke, der Umweltkontrollbericht hätte es sich auch verdient, heute hier diskutiert zu werden – auch deswegen, weil es sehr viele Über­schneidungen mit dem Grünen Bericht gibt. (Beifall bei den Grünen. – Zwischen­rufe bei der ÖVP.)

Ich verstehe schon, wenn Sie sich jetzt ein bisschen aufregen. Immerhin steht im Umweltkontrollbericht auch viel Kritisches, zu sehr vielen Themen, leider. Die Umwelt­situation im ehemaligen Umweltmusterland Österreich ist leider gar nicht so, wie wir sie, glaube ich, alle gerne hätten. Ich kann jetzt in der kurzen Zeit, die mir zur Ver­fügung steht, leider nicht auf alle Themenbereiche eingehen, aber ich sage: In den Bereichen Lärm, Luft, Wasser und Hochwasser hinken wir hinterher!

Wir stoßen bei unterschiedlichen Schadstoffen viel mehr aus, als wir eigentlich sollten, wir sind säumig bei der Umsetzung von EU-Richtlinien. Schlimm ist es auch beim Arten­schutz. Im Jahr 2010, dem Jahr der Biodiversität, sind fast alle Reptilien- und Amphibienarten in Österreich vom Aussterben bedroht, sowie die Hälfte der Farn- und Blütenpflanzen.

Wir alle kennen auch die schlechte Klimabilanz. Ein wesentlicher Teil ist auch der Energiebereich, zu dem der Umweltkontrollbericht ganz klar festhält, dass es in Österreich in die falsche Richtung geht, dass nämlich der Bruttoinlands­produktver­brauch noch immer steigt. Der Umweltkontrollbericht gibt dazu die deutliche Empfeh­lung, das Wirtschaftswachstum endlich vom Energieverbrauch zu entkoppeln.

Es gibt da sehr wohl einen engen Zusammenhang zum Grünen Bericht. Dass wir einen Ausbaustopp beim Ökostrom haben, ist ja bekannt, doch ist im Grünen Bericht nun erstmals vermerkt: Das ist so aufgrund der schlechten Rahmenbedingungen, die wir in Österreich haben. Ich finde es wichtig, dass das endlich einmal festgehalten wird. Ich fordere Sie dringend auf, das zu ändern! (Beifall bei den Grünen. – Ruf bei der ÖVP: Wasserkraft!) – Als eine Form, wie wir gestern besprochen haben. (Abg. Grillitsch: Sie


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 229

sind auch dafür?) – Ich bin, wie Sie wissen, wie ich hier mehrmals gesagt habe, für einen breiten Energiemix. (Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Fallweise ja.

Ich bin für einen breiten Energiemix, der von Region zu Region betrachtet werden muss und der eine dezentrale Energieversorgung ermöglicht. Da kann man nicht auf wenige große Kraftwerke setzen, man muss sich das Region für Region anschauen und für jede Region den bestimmten Energiemix wählen. Aber diese Strategie vermisse ich bei Ihnen, die gibt es in Österreich leider nicht. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Desaströs ist auch unsere Klimabilanz; auch das hält der Umweltkontrollbericht fest. Wir werden die Kyoto-Ziele nicht erreichen, auch diese traurige Tatsache ist bekannt. Wir werden aber leider nicht einmal die 2020-Ziele der EU erreichen, wenn jetzt nicht endlich zusätzliche Maßnahmen erfolgen – und das ist besonders beschämend!

Ich erspare Ihnen jetzt Prozentrechnereien, aber wenn man das gegenüberstellt und sich anschaut, wie die Bilanzierung eigentlich erfolgt ist, dann bedeutet das 2020-Ziel laut Umweltkontrollbericht für Österreich nichts anderes als einen Mehrausstoß an CO2 gegenüber 1990 um genau plus 3 Prozent. Aufgrund einer völlig verfehlten Klimapolitik in Österreich schaffen wir es nicht einmal, die CO2-Emissionen bei plus 3 Prozent einzudämmen. Ich finde das skandalös, beschämend! Für ein ehemaliges Umwelt­musterland fordere ich endlich eine radikale Kehrtwende in der Klimapolitik, hier müssen endlich Maßnahmen ergriffen werden. (Beifall bei den Grünen.)

Ich finde es auch schade, dass wir den Umweltkontrollbericht nicht thematisieren – auch aus abfallwirtschaftlicher Sicht, auch im Abfallbereich hinken wir hinterher. Wir hatten schon einmal 96 Prozent Mehrwegquote in den 1990-ern, jetzt sind wir bei 24 Prozent angelangt. Wir haben einen Wildwuchs von Müllverbrennungsanlagen in Österreich, die absolut nicht notwendig sind. Nicht einmal für unsere jetzigen Müllver­bren­nungsanlagen haben wir genug Müll. Da vermisse ich auch Aktivitäten Ihrerseits. Beim Abfallwirtschaftsgesetz haben Sie künftig die Chance dazu. (Zwischenbemerkung von Bundesminister Dipl.-Ing. Berlakovich.)

Es ist auch schade für Sie, dass wir hier den Umweltkontrollbericht nicht breiter diskutieren werden, denn im Abfallbereich würde ich auch einen Punkt finden, wo ich Sie durchaus loben würde: Wenn Sie den Vorschlag zum Öko-Bonus-Malus-System für Mehrwegquoten, der jetzt auf dem Tisch liegt, umsetzen, haben Sie unsere Unter­stützung. (Bundesminister Dipl.-Ing. Berlakovich: Sie haben das Thema verfehlt!)

Ich habe das Thema nicht verfehlt, ich habe zu Beginn sehr wohl gesagt – und Sie haben es ja selbst in der Einleitung des Grünen Berichts geschrieben –, dass Landwirtschaftspolitik und Energie- und Klimapolitik zusammenhängen und es da sehr viele Querverbindungen gibt. Deswegen möchte ich auch darauf hinweisen, und ich weise auch extra deswegen besonders darauf hin, weil sich gerade die ÖVP im Umweltausschuss geweigert hat, Umweltpolitik hier hereinzunehmen. Gut, das ist aus Ihrer Sicht vielleicht verständlich, aber ich finde es sehr schade, dass wir das nicht öffentlich diskutieren können oder nicht mehr diskutieren können.

Ich rate Ihnen aber dringend, die Empfehlungen des Umweltkontrollberichtes umzu­setzen, und deswegen bringe ich auch folgenden Entschließungsantrag ein:

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung und insbesondere die ressortzuständigen FachministerInnen, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit den Ländern und Landeshauptleuten, werden


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 230

aufgefordert, die im 9. Umweltkontrollbericht an den Nationalrat für die obengenannten Bereiche aufgelisteten Empfehlungen umgehend umzusetzen.

*****

Wie gesagt, schade, dass wir es nicht breiter diskutieren werden, ich erwarte mit aber endlich Maßnahmen in der Umweltpolitik und bin im Übrigen der Meinung, Österreich braucht ein eigenständiges, starkes und engagiertes Umweltministerium. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Grillitsch: Wir haben eines!)

21.21


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Frau Kollegin Mag. Brunner, ich möchte an dieser Stelle nur mitteilen, dass der Antrag, den Sie jetzt mündlich eingebracht haben, noch nicht hier am Präsidium eingelangt ist. Wenn Sie das bitte nachholen, dann kann ich es enunziieren.

Nächster Redner: Herr Abgeordneter Huber. 3 Minuten. – Bitte.

 


21.22.12

Abgeordneter Gerhard Huber (BZÖ): Geschätzter Herr Präsident! Herr Bundes­minister! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich eingangs ganz herzlich bei der §-7-Kommission bedanken, denn sie hat wirklich Hervorragendes geleistet. Dieser Grüne Bericht ist wirklich ein sehr empfehlenswertes Nachschlagewerk, das den wahren Zustand unserer Landwirtschaft wiedergibt.

Er heißt zwar Grüner Bericht, aber er ist ein Trauerbericht, denn was drinnen steht, ist durchaus traurig: das Einkommen minus 30 Prozent, das Bauernsterben wird alles andere als eingestellt. Ich glaube, da ist es jetzt höchste Zeit, dass wir einen Konsens finden im gesamten Hohen Haus, dass wir uns ohne Polemik, ohne Populismus für die Bauern einsetzen und dass wir alles, was wir national machen können, auch wirklich machen.

Dazu gehört dringend, dass man einmal das Bild der Landwirtschaft ganz anders darstellt. Der Bauer ist nicht der Bittsteller der Nation, der Bauer ist ein Leistungsträger, er ist ein Rückgrat unserer Gesellschaft. Dafür müssen wir uns auch einmal bedanken.

Folgendes muss man schon sagen: Wenn die Kollegen, auch des Bauernbundes, da wirklich nur hergehen und lachen, wenn wir Einkommensverluste von einem Drittel haben, dann muss ich mich fragen, warum man das tut. (Abg. Grillitsch: Wer lacht denn? Da gehört ja ein Ordnungsruf, wenn Sie das behaupten! Wer lacht denn? Wir lachen doch nicht!) – Ihr habt jetzt während der ganzen Diskussion gelacht. Das ist ja im Protokoll nachzulesen. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Alle sollten sich dafür einsetzen, wie wir den Arbeitsplatz Bauernhof nicht nur ab­sichern, sondern ausbauen können, wie es uns gelingt, aus dem Landwirt einen Energiewirt zu machen, dass man hergeht und einmal das Ökostromgesetz aufmacht, dass man sich von anderen Ländern Beispiele nimmt. Das sind Dinge, die wir machen müssen. (Beifall beim BZÖ.)

Da könnten wir erstens Österreich energieautark machen, zweitens würden wir auf allen unseren Stalldächern mit Photovoltaik-Anlagen einen guten Strom erzeugen, den wir ja sehr, sehr dringend brauchen.

Und das Nächstes ist: Der Landwirt ist ja der Garant der intakten Landwirtschaft. Unsere sauberen Flüsse, dass keine größeren Naturkatastrophen kommen, das ist alles ein Verdienst der Landwirtschaft, und das, glaube ich, müssen wir den Bauern schon entsprechend abgelten.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 231

Die Landwirtschaft ist auch die Voraussetzung dafür, dass unser Tourismus funk­tioniert. Das müssen wir nicht nur stützen, sondern das müssen wir auch absichern. Daher muss man einmal die AMA auffordern, dass sie Marketing betreibt, denn nur mit einem richtigen Marketing erzielen unsere Landwirte bessere Preise. Kontrollieren kann ja auch die Vorfeldparteiorganisation oder die Landwirtschaftskammer, die ja als Prüfmodelle durchaus anerkannt wären.

Wenn wir uns den Milchmarkt anschauen, so produzieren 87 Prozent unserer Land­wirte die Milch im Berggebiet. Und was machen wir? – Wir schauen, dass Raffeisen, dass die Konzerne immer größer werden, dass die Molkereien größer werden, dass man mehr Macht auf den Landwirt ausüben kann, statt dass man hergeht, wie in anderen Regionen, die vergleichbar sind mit Österreich, wie Bayern, wie Südtirol, dass man kleine Molkereien fördert. Das ist die Voraussetzung. (Abg. Eßl: Wie viele Bauern gibt es denn noch in Bayern?) – Ja, schau nach Südtirol, schau nach Bayern! Da müssen wir Sachen machen, nicht schauen, dass die TirolMilch mit irgendeinem anderen Milchgiganten fusioniert, nur um mehr Macht zu bekommen.

Das ist leider, leider schwach, aber ich glaube, das hat jetzt keinen Sinn, denn da könnten wir drei Stunden reden, was wir dringend machen müssten, aber das, was sich die LandwirtInnen und die Bauern jetzt von uns erwarten, ist, dass wir über die GAP nach 2013 reden. Bereits Anfang September habe ich euch allen gesagt, dass es sehr, sehr gefährlich ist, dass von den EU-Agrarförderungen ein großer, ein massiver Teil von uns abgezogen wird und in den Osten rinnt. Da habt ihr mich damals noch ausgelacht. Aber ich kann euch nur sagen, heute steht zum Beispiel im „Kurier“, einem Raiffeisen-Blatt, also sicher nicht BZÖ-nahe, was die deutsche Agrarministerin, die Frau Aigner, sagt: Gewisse Verschiebungen von Fördermitteln Richtung Osteuropa sind zu akzeptieren.

Ja, Männer, da müssen wir uns einmal auf die Füße stellen, da muss der Herr Bundesminister aktiv werden, da müssen wir den Bauern helfen. Wir können nicht die Bauern anlügen und hier im Hohen Haus sagen, wir setzen uns ein und alles ist gut, aber dann macht der Herr Berlakovich eine Pressekonferenz, wo so etwas verkündet wird, und protestiert nicht, nimmt alles so zur Kenntnis, wie es ist.

Das Nächste: Herr Bundesminister, ich bin mir sicher, dass Sie heute schon genau den Strategieplan und die nationale Schwerpunktsetzung und die Gestaltungsspielräume für Österreich genau wissen, und deswegen möchte ich heute einen Entschließungs­antrag betreffend die Herausgabe des Strategieplanes „Nationale Schwerpunktsetzung und Gestaltungsspielräume“ durch den Landwirtschaftsminister einbringen.

Heute habt ihr, wie Kollege Pirklhuber zuvor gesagt hat, von 10.30 Uhr bis 13 Uhr eine ÖVP-klubinterne, hochbesetzte Agrarkonferenz gehabt oder Podiumsdiskussion oder wie auch immer man das nennt. Uns habt ihr zwar nicht eingeladen, aber gut, das ist von der ÖVP nicht anders zu erwarten (ironische Heiterkeit bei der ÖVP – Zwischenruf des Abg. Großruck), aber ich habe genaue Informationen, dass der Strategieplan „Nationale Schwerpunktsetzung und Gestaltungsspielräume“ im Landwirtschaftsminis­te­rium in der Sektion des geschäftsführenden Sektionschefs Lindner bereits fertig auf dem Tisch liegt.

Deswegen bringe ich folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Huber, Kolleginnen und Kollegen betreffend Herausgabe des Strategieplanes „Nationale Schwerpunktsetzung und Gestaltungsspielräume“ durch den Landwirtschaftsminister


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 232

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft wird aufgefordert, dem Nationalrat umgehend den im Ministerium bereits vorliegenden Strategie­plan ,Nationale Schwerpunktsetzung und Gestaltungsspielräume‘, abzielend auf die GAP nach 2013, zuzuleiten.“

*****

Das, lieber Kollege Grillitsch, wollt ihr uns allen so verheimlichen, aber da werdet ihr ja doch zustimmen. Ich glaube, es ist das Wichtigste, dass wir da jetzt keine Geheimnisse haben und dass wir alles erfahren. Der Herr Bundesminister weiß schon genau, wie das weitergeht, also bitte informiert den Nationalrat umgehend. (Beifall beim BZÖ. – Abg. Großruck: Hast du gesagt, „den Nationalrat umgehen“?)

21.29


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Sowohl der soeben eingebrachte Entschließungs­antrag als auch der Entschließungsantrag, der von Frau Abgeordneter Mag. Brunner eingebracht wurde, sind ordnungsgemäß eingebracht und ausreichend unterstützt und stehen somit mit in Verhandlung.

Die Anträge haben folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Huber, Dr. Spadiut, Kolleginnen und Kollegen betreffend Heraus­gabe des Strategieplanes „Nationale Schwerpunktsetzung und Gestaltungsspielräume“ durch den Landwirtschaftsminister

eingebracht im Zuge der Debatte über den Bericht (906 d.B.) des Ausschusses für Land- und Forstwirtschaft über den Grünen Bericht 2010 der Bundesregierung (III-179 d.B.)

Vor dem Hintergrund der aktuellen österreichischen Agrardebatte und im Hinblick auf die bereits erwartete Mitteilung der Europäischen Kommission zur Gemeinsamen Agrarpolitik 2014-2020 im November 2010, waren am Donnerstag, 21. Oktober 2010 von 10.30 - 12.30 Uhr, im ÖVP-Klub, Figl-Saal, 2. Stock, Parlament nach der Be­grüßung durch Herrn NR Fritz Grillitsch (Landwirtschaftssprecher Parlamentsklub) die Referenten:

Dr. Corrado Pirzio-Biroli (Präsident der European Landowners ELO) zum Thema: „Europäische Perspektive zur GAP post 2013“

NR Mag. Wilhelm Molterer (Vorsitzender der EVP-Arbeitsgruppe „EU-Agrarreform“) zum Thema „EVP-Position zur Zukunft der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik“

Dipl.-Ing. Rupert Lindner (BMLFUW; Sektion III Landwirtschaft und Ernährung) zum Thema „Agrarpolitik: Nationale Schwerpunktsetzung sowie Gestaltungsspielräume“

und

LKR Dipl.-Ing. Felix Montecuccoli (Präsident der Land&Forst Betriebe Österreich) zum Thema: „Welche Anforderungen stellen die Landbewirtschafter an die künftige Agrarpolitik?“

zu einem agrarpolitischen Gespräch und zur Podiumsdiskussion, mit dem Zweck der Einstimmung auf die Linie des Landwirtschaftsministeriums geladen.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 233

Zusätzlich liegt den Antragstellern die Information vor, dass der Strategieplan zur nationalen Schwerpunktsetzung und den Gestaltungsspielräumen im Landwirtschafts­ministerium, in der Sektion des Geschäftsführenden Sektionschefs Dipl.-Ing. Rupert Lindner, bereits fertig gestellt ist.

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigen Abgeordneten folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft wird aufgefordert, dem Nationalrat umgehend den im Ministerium bereits vorliegenden Strategieplan „Nationale Schwerpunktsetzung und Gestaltungsspielräume“, abzielend auf die GAP nach 2013, zuzuleiten.“

*****

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Brunner, Moser, Pirklhuber, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Grüner Bericht 2010 und die damit zusammenhängenden Empfehlungen des 9. Um­welt­kontrollberichtes“

eingebracht im Zuge der Debatte über Bericht des Ausschusses für Land- und Forstwirtschaft über den Grünen Bericht 2010 der Bundesregierung

Der Grüne Bericht zeigt die zahlreichen wichtigen Querbezüge zwischen Land­wirtschafts- und Umweltpolitik auf. Der zuständige Minister Nikolaus Berlakovich merkt in seinem Vorwort zum Grünen Bericht 2010 an, dass die Landwirtschaft unter anderem durch den Klimawandel vor großen Herausforderungen stehe, spricht ganz zentral auch die Sicherung der Versorgung mit gesunden, regionalen Lebensmitteln an - wofür unter anderem Bodenschutz, Wasser- und Luftreinhaltung, der verant­wortungs­bewusste Umgang mit Altlasten, Chemikalien, Bioziden und Pflanzenschutz­mitteln sowie eine nachhaltige, die Flächenversiegelung hintan haltende Raument­wicklung wichtige Eckpunkte sind - und betont wörtlich: „Aber auch der Aspekt des Umwelt- und Klimaschutzes ist mir wichtig. Ich setze daher auf die Forcierung erneuerbarer Energie­träger.“

Im Sinne der „integralen Politik für den ländlichen Raum“, deren „Nachschlagewerk“ der Grüne Bericht laut Landwirtschafts- und Umweltminister Berlakovich sein soll, ist es schlüssig, dass umgekehrt auch die Umweltpolitik sich dieser eng verknüpften Themen entsprechend annimmt. So widmet sich der 9. Umweltkontrollbericht (UKB) nicht nur explizit der Landwirtschaft und der Thematik Wald und Waldnutzung, sondern auch den genannten, für eine gedeihliche nachhaltige Landwirtschaft und einen lebendigen, lebenswerten ländlichen Raum existenziell wichtigen Themenfeldern. Er kommt dabei in diesen Themenfeldern zu sehr wichtigen Aussagen und leitet daraus höchst beden­kens­werte Empfehlungen an die Politik ab:

Im Bereich Landwirtschaft zeigt der Bericht eine deutliche Tendenz zur Intensivierung in Form größerer Betriebseinheiten, erhöhtem Einsatz von Dünge- und Pflanzen­schutzmitteln und erhöhtem Nitratgehalt im Grundwasser. Bedenklich ist auch der Rückgang der landwirtschaftlichen Nutzfläche, insbesondere beim Grünland und extensivem Grünland, das für eine Reihe von Umweltfunktionen enorme Bedeutung hat. Auch auf die Benachteiligung kleiner und in ihren Produktionsbedingungen


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benachteiligter Betriebe, insbesondere im Berggebiet, wird hingewiesen und eine angemessene Förderung dieser Betriebe vorgeschlagen. Um die landwirtschaftliche Nutzung von Grenzertragsgebieten zu sichern und Umweltbelastungen zu begrenzen, ist auf eine Gemeinsame Agrarpolitik nach 2013 hinzuwirken, die insbesondere eine Förderung umweltgerechter Landwirtschaft ermöglicht.

Waldökosysteme sind gegenüber den Folgen des Klimawandels besonders verwund­bar. Verstärkt wird diese Bedrohung durch intensive Bewirtschaftung, teils hohe Wildschadensbelastung und Schädlingsdruck. Fehlende Verjüngung und anhaltend hoher Wildverbiss gefährden die Regenerationsfähigkeit und ökologische Stabilität der Schutzwälder. Die biologische Vielfalt des Waldes verändert sich bereits jetzt klimabedingt. Luftschadstoffe, verursacht durch den Verkehr, Hausbrand, die Industrie und Landwirtschaft schädigen den Wald. Der Zielwert für Ozon zum Schutz der Vegetation wird auf dem Großteil der Waldfläche überschritten. Die Schwermetalle Cadmium und Quecksilber zeigen einen deutlichen Anstieg in den atmosphärischen Schadstoffeinträgen. Das langfristige Überleben einzelner Waldarten wird durch die Zerschneidung von großen in isolierte kleine Waldflächen bedroht.

Ein wesentlicher waldschädigender Luftschadstoff ist das Stickstoffoxid. Der Immis­sions­grenzwert für die Vegetation wird im Nahbereich von Hauptverkehrswegen überschritten. Die NOx-Emissionshöchstmenge für 2010 gemäß der Emissionshöchst­mengen-RL wird bei weitem überschritten werden. Demnach müssten 34 000 Tonnen eingespart werden. Gemäß dem Umweltkontrollbericht ist das jüngst erlassene NOx-Aktionsprogramm völlig unzureichend: „Die Summe der Maßnahmenpotenziale der in diesem Programm angeführten Maßnahmen beträgt 10 600 Tonnen. Die Gesamt­wirkung ist aber geringer, da sich die Wirkungen einzelner Maßnahmen über­schneiden. Somit werden selbst bei Umsetzung aller Maßnahmen im Programm die Emissionshöchstmengen nicht erreicht werden. Daher ist es – wie im Ministerrats­beschluss der Bundesregierung festgehalten – notwendig, weitere Maßnahmen vor allem in den Bereichen Industrie und Verkehr zu identifizieren und umzusetzen, mit dem Ziel, die Höchstmengen möglichst bald einzuhalten.“

„Das Hauptproblem für die Grundwasserqualität sind Einträge von Nitrat und Pflanzen­schutzmitteln aus diffusen Quellen. Intensive landwirtschaftliche Bodennutzungen auf Standorten mit seichten Böden sind in den meisten Fällen ausschlaggebend für eine Gefährdung von Grundwasserkörpern.“ Gemäß dem Umweltkontrollbericht ist erforderlich, das Aktionsprogramm Nitrat und die Maßnahmen des ÖPUL begleitend zu kontrollieren und zu evaluieren, ob die Maßnahmen in den relevanten Regionen in ausreichendem Ausmaß angenommen werden und die erforderliche Wirkung erzielt werden kann. Nach Ansicht der Grünen müssten im Gewässerbewirtschaftsplan zur Nitratbelastung zusätzliche Maßnahmen vorgesehen werden. Im Bereich der Pflan­zenschutzmittel-Gesetzgebung ist eine effiziente Maßnahmenplanung für das Grund­wasser zu gewährleisten, ist eine abgestimmte Beurteilung von relevanten und nicht relevanten Metaboliten erforderlich.

Der Tourismus ist für viele landwirtschaftliche Betriebe ein bedeutsames zweites Stand­bein. Voraussetzung dafür ist eine intakte Natur, insbesondere auch natürliche Flusslandschaften. Gemäß der Wasserrahmen-RL sind naturbelassene Flüsse zu erhalten und soweit eine Beeinträchtigung vorliegt, ist bis 2015 der gute ökologische Zustand wiederherzustellen. Derzeit verfehlen zwei Drittel der bewerteten Gewässer­abschnitte das Ziel des guten ökologischen Zustands. Daher sind umfassende Maßnahmen zur Wiederherstellung der Fischpassierbarkeit, wie Fischaufstiegshilfen oder Umgehungsgerinne bei Kraftwerken, ausreichende Restwasserdotation und die Verbesserung von Gewässerstrukturen, etwa durch Renaturierungen sicherzustellen. Der Handlungsspielraum für neue Standorte für Wasserkraftwerke ist sehr einge­


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schränkt. Erforderlich ist ein Katalog, der sowohl gewässerökologische, naturschutz- und wasserrechtliche als auch energiewirtschaftliche Kriterien erhält. Nach Ansicht der Grünen sollten No Go-Areas ausgewiesen werden.

In seinem Tourismuskapitel hält der 9. UKB außerdem fest, dass ökologisch sensible Gebirgsregionen zunehmend unter Druck geraten und fordert daher eine Orientierung des Tourismussektors hin zu Nachhaltigkeit, um wirtschaftliches Wachstum mit den umwelt- und klimapolitischen Zielen – etwa der Alpenkonvention und ihrer Protokolle – in Einklang zu bringen.

Dramatisches Versagen konstatieren die Experten des Umweltbundesamtes im Be­reich Klimaschutz. Der Umweltkontrollbericht stellt dazu wörtlich fest, dass ohne zusätzliche Maßnahmen weder das Kyoto-Ziel noch die Ziele für 2020 erreicht werden können. Insbesondere in Sektoren Verkehr und Raumwärme seien umgehend weitere Maßnahmen notwendig. Jedenfalls sei „davon auszugehen, dass die Lücke zum Kyoto-Ziel für 2008 durch den Zukauf von [] Emissionsrechten [] gedeckt werden muss“.

Der Verkehr trägt maßgeblich zu den Umwelt- und Klimaproblemen Österreichs bei. Der 9. UKB hält dazu wörtlich fest, dass ungeachtet der im „Grünen Bericht“ angesprochenen Agrosprit-Entwicklungen die Fortsetzung des Trends im Bereich Verkehr – stark steigende Verkehrsleistung v.a. im Kfz-Straßenverkehr und im Flug­verkehr – der Erreichung ökologischer Zielsetzungen in den Bereichen Klimaschutz, Luftreinhaltung, Lärm und Flächenverbrauchs-Eindämmung entgegensteht. Es sei deshalb die Entwicklung der derzeit noch fehlenden „Gesamtverkehrsstrategie“ nötig; in deren Rahmen müssten weitere, kurzfristig wirksame Maßnahmen sowohl auf ordnungspolitischer als auch auf Kosten-Ebene gesetzt werden, um die kurz-, mittel- und langfristigen Umwelt- und Klimaziele zu erreichen.

Auch im Bereich Energie gehen die Entwicklungen laut 9. UKB in die falsche Richtung: Der Bruttoinlandsverbrauch an Energie ist in Österreich seit 1990 um 36% gestiegen, der energetische Endverbrauch (Endverbraucher) um 42%, der Stromverbrauch im gleichen Zeitraum um 39%. Gleichzeitig stagniert die Ökostromproduktion seit der Novellierung des Ökostromgesetzes 2006.

Um den energetischen Endverbrauch zu stabilisieren und damit überhaupt erst die Voraussetzung für die Erreichung der Klimaziele bis 2020  zu schaffen, sieht der UKB ein Bündel von Maßnahmen notwendig, inklusive der Verteuerung fossiler Energie­träger.

Ebenfalls alarmierend, die Ergebnisse des Kapitels zu Raumentwicklung. Für Bau- und Verkehrszwecke werden in Österreich im Schnitt der letzten Jahre 11 Hektar pro Tag verbraucht, das ist das mehr als Vierfache des Zielwerts der Nachhaltigkeitsstrategie (2,5 ha/d). 40% davon gehen allein Konto des Straßenbaus.

Katastrophale Entwicklungen konstatiert der Bericht im Bereich Ressourcenmanage­ment und Abfallwirtschaft. Österreichs Abfallaufkommen müsse sich vom Wirtschafts­wachstum entkoppeln, um dem wichtigsten Punkt der Abfallhierarchie zu entsprechen, der Abfallvermeidung. Ein Weg zur Abfallvermeidung sei wieder mehr Mehrweg­verpackungen in die Regale zu bringen. Während es in den neunziger Jahren noch 97 Prozent der im österreichischen Handel befindlichen Mineralwasser Mehrwegprodukte waren, so sind es heute nur mehr etwa 20 Prozent.

Der Verlust an biologischer Vielfalt und die Gefährdung der Flusslebensräume in Öster­reich schreitet weiter voran. Der Umweltkontrollbericht zeigt, dass trotz Artenschutz-, Erhaltungs- und Pflegemaßnahmen sowie Ausweisung von Schutzge­bieten die Erhaltung der Biodiversität nicht ausreichend gesichert ist. Das EU-Ziel, den Verlust an Biodiversität bis Ende 2010 zu stoppen, wird klar verfehlt. Mehr als 40


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Prozent aller Farn- und Blütenpflanzen sind derzeit in Österreich gefährdet oder vom Aussterben bedroht. Bei den Tiergruppen sind es teilweise sogar bis zu hundert Prozent, wie etwa bei Amphibien und Reptilien.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung und insbesondere die ressortzuständigen FachministerInnen, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit den Ländern und Landeshauptleuten, werden aufgefordert, die im 9. Umweltkontrollbericht an den Nationalrat für die obengenannten Bereiche aufgelisteten Empfehlungen umgehend umzusetzen.

*****

 


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Eßl. 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


21.29.40

Abgeordneter Franz Eßl (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine geschätzten Damen und Herren! Der Grüne Bericht 2009 ist, glaube ich, ein wirklich gutes und seriöses Nachschlagewerk, das auch den Vergleich über die Jahre zulässt. Ich glaube aber, wenn man die Einkommenssituation betrach­tet, dann ist es nur seriös, wenn man das über mehrere Jahre macht, obwohl ganz klar festzuhalten ist, dass diese Entwicklung 2009 dramatisch ist und von uns so nicht zur Kenntnis genommen werden kann. Wir wissen allerdings, dass die Volatilität der Märkte, die größeren Preisschwankungen den Ausschlag gegeben haben und Angebot und Nachfrage eben das Entscheidende sind. Diese Situation hat noch mehr als früher gezeigt, dass es unbedingt notwendig ist, dass die Bauern diese Direktzahlungen, die sie erhalten sollen, auch tatsächlich bekommen.

Was ich nicht verstehen kann, ist, dass auch in dieser Runde immer wieder davon die Rede ist, dass die Bauern Förderungen kriegen. Irgendwo so unterschwellig wird fast noch mitverpackt, eigentlich sind das Geschenke. In den Redebeiträgen wird dann doch wieder dort und da herausgestrichen, dass die Bauern entsprechende Leistungen erbringen.

Ich sage, ein ganz kleiner Teil dieser Zahlungen, die zu den Bauern kommen, sind tatsächlich Förderungen, Investitionsförderungen zum Beispiel, der überwiegende Teil – wenn ich jetzt das ganze Paket des Umweltprogramms nehme – sind Entgelte für erbrachte Leistungen. Wenn ich beim Umweltprogramm teilnehme und auf Spritzmittel verzichte, dann habe ich halt auch einmal um 100 €, 150 € Mindererträge durch diese Maßnahme, und es ist recht und billig, dass diese Mindererträge auch entsprechend ausgeglichen werden mit Geldern aus der öffentlichen Hand.

Da sind wir dann irgendwann einmal bei diesen Obergrenzen, die in den Diskussionen beliebig irgendwo angesetzt werden. (Abg. Mag. Gaßner: Reden wir darüber!) Wenn einer viele Hektar hat, dann wird er diese Mindereinnahmen auch beim x-ten Hektar haben, und wenn er es dort nicht ausgeglichen bekommt, dann wird er auch ent­sprechend an diesem Programm nicht teilnehmen.

Kostendeckende Preise hat Herr Kollege Pirklhuber gesagt. Das ist das Schlagwort, das ein jeder sagt und meint, dann ist er bei den Bauern gut angeschrieben. Ich möchte das Beispiel von zwei Betrieben aus meinem Bundesland bringen. Ich habe


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einen Betrieb, der liefert 700 000 Kilogramm Milch. Der hat 28 000 € an Direkt­zah­lungen. Wenn man diese 28 000 € ausgleichen will, braucht er 4 Cent an Mehrpreis. Ich schätze, die Politik hätte die Möglichkeit, das zu verändern. Ich habe aber einen Betrieb, der hat 50 000 Kilogramm Milchkontingent und der bekommt 27 000 € Direktzahlungen, ein Bergbetrieb. (Abg. Dr. Pirklhuber: Bergbauernbetrieb!) Der bräuch­te 54 Cent mehr, um das ausgeglichen zu haben. Das ist nicht möglich.

Deshalb: Bleiben wir bei unserem bewährten System, dass wir schauen, dass die Bauern vernünftige Agrarpreise kriegen, und schauen wir gleichzeitig, dass die Direktzahlungen gesichert sind. Ich sage auch, man sollte das endlich einmal aus dem Bereich der Ermessensausgaben herausnehmen und in die Pflichtausgaben hineinnehmen, wenn die Bauern zum Beispiel am Umweltprogramm teilnehmen. Das gilt auch für die Direktzahlungen aus der Europäischen Union.

Ich darf mich herzlich bedanken und hoffe, dass sich beim nächsten Budget alle wieder so für die Bauern einsetzen, damit wir da etwas Vernünftiges beschließen. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dr. Pirklhuber: Da wären wir sofort dabei! Das ist ein sehr guter Vorschlag, was die Bergbauernförderung betrifft!)

21.33


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Sacher. 2 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


21.33.18

Abgeordneter Ewald Sacher (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzter Herr Bundesminister! Der Grüne Bericht ist ein Spiegelbild des ländlichen Raumes, und uns geht es um die Menschen im ländlichen Raum, und zwar um alle im ländlichen Raum. Uns Sozialdemokraten geht es um gerechte Einkommen sowohl für die Arbeitnehmer als auch für die Selbständigen und für die Bauern. Das ist kein Klassenkampf, Kollege Grillitsch. Wir haben aus Respekt vor der Leistung und der Arbeit, egal, ob das in der Industrie, im Gewerbe, in der Verwaltung oder in der Landwirtschaft passiert, die Mei­nung, alle gehören gerecht entlohnt. Das bestehende Fördersystem ist unserer Meinung nach nicht gerecht, es kommt dieser Gerechtigkeit nicht nach. Die gerechte Verteilung des Einkommens ist nicht gegeben, und das verschärft noch die Probleme im ländlichen Raum und vor allem in den strukturschwachen Gebieten.

Ich komme aus dem Waldviertel, einem strukturschwachen Gebiet. Ich weiß daher, wovon ich rede. Wir leiden unter einer dramatischen Abwanderung, verursacht durch verschiedenste Gründe, aber auch natürlich durch diese Auswirkungen der Förderpolitik. Ich sage noch dazu, durch Jahrzehnte gab es auch eine politische Domi­nanz einer Partei, die hat das nicht verhindert, die hat das vielleicht sogar noch verstärkt. Das müsste man der ÖVP, vor allem in Niederösterreich, ins Stammbuch schreiben.

Wir sind der Meinung, gerade in strukturschwachen Regionen wie dem Waldviertel sollten die kleinen landwirtschaftlichen Strukturen erhalten werden. Die bestehende Förder­politik bewirkt aus unserer Sicht das Gegenteil. In diesen strukturschwachen Gebieten soll der Nebenerwerb als wertvoll gestärkt werden. Die ländlichen Infrastrukturen gehören verbessert und ausgebaut, zum Beispiel die Verkehrs­infrastruktur, damit die Pendler in den städtischen Raum zu ihren Arbeitsplätzen kommen und zugleich daheim den Arbeitsplatz am Bauernhof erhalten können. (Abg. Eßl: Wir sind gerade dabei!) – Wir sind dabei? Der Landesrat für Verkehr in Niederösterreich macht gerade das Gegenteil! Er sperrt alles zu!

Daher fordern wir eine Reform der Förderpolitik. Förderung nicht für den Großgrund­besitz, nicht für die großen Strukturen, nicht für die industrielle Landwirtschaft, mehr


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Förderung für die Arbeitskraft am Bauernhof, und dann werden wir hoffentlich zu einer gerechten Einkommensverteilung im ländlichen Raum kommen. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

21.35


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Als nächster Redner zu Wort gelangt Herr Abgeord­neter Vock. 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


21.35.57

Abgeordneter Bernhard Vock (FPÖ): Herr Präsident! Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Gestatten Sie mir, den Grünen Bericht auch aus Tierschutzsicht ein bisschen zu beleuchten. Wenn man die Strukturerhebung 2007 liest, dann scheint die Welt der tierischen Erzeugung noch in Ordnung zu sein, denn 25,7 Rinder je Halter, 10,5 Milchkühe je Halter oder 71,1 Schweine je Halter, bei Biobetrieben sogar 15,8 Schweine je Halter, das klingt noch optimal, das klingt nach kleinbäuerlicher Struktur. Aber wenn man sich dann die Gesamtzahlen anschaut und sieht, dass es zwei Millionen Rinder in Österreich gibt, 3,1 Millionen Schweine und 12,4 Millionen Hühner, dann weiß man, dass dieser kleinbäuerlichen Struktur, die wir Gott sei Dank vereinzelt noch haben, offensichtlich große Tierfabriken gegenüber­stehen, deren Zahl noch zunimmt. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Da muss man sich auch den jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch in Österreich anschauen. Der hat sich in den letzten 20 Jahren nicht wirklich verändert. Er ist beim Rindfleisch zwar um 30 Prozent zurückgegangen, von 26,1 Kilogramm auf 18,4 Kilogramm, beim Schweinefleisch von 54,4 Kilogramm auf 56,4 Kilogramm leicht gestiegen, aber nicht wirklich, beim Geflügel hat er sich fast verdoppelt von vorher 11,1 Kilogramm auf 19,3 Kilogramm, und bei der Milch ist er auch zurückgegangen von 101,3 Kilogramm auf 92,1 Kilogramm.

Nur frage ich mich dann, was hier passiert. Wir haben zunehmende Importe, zuneh­mende Exporte, das heißt, ich habe als Tierschutzsprecher immer wieder den Ein­druck, dass wir importieren und exportieren, um hier in den Schlachtereien den österreichischen Qualitätsstempel zu bekommen, nur damit wir halt zum Beispiel polnisches Rind als österreichisches Rind verkaufen können. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Das sieht man auch in diesem Bericht. Es ist in den Vorjahren immer auch in Kilo­gramm ausgewiesen worden, jetzt hat man das in Preisen versteckt, in Euro versteckt. Man sieht aber auch, dass der einzelne Bauer – das hat der Kollege Jannach ja schon schön aufgezeigt – nicht profitiert. Die Preise halten sich ungefähr gleich bei den Tieren, bei den Stücken, gleichzeitig werden natürlich die Kosten für den Hof immer teurer mit der normalen Preisindexsteigerung. Das Ergebnis: Unsere Bauern verdienen immer weniger, und das ist nicht eine momentane Erscheinung, sondern das ist eine kontinuierliche Erscheinung.

So ist auch die Zahl der Betriebe stark rückläufig. Der Kollege Jannach hat es nur kurz beleuchtet. Wenn man sich das aber von 1980 auf 2009 anschaut, so sind von früher 180 000 Betrieben jetzt nur noch 73 466 Betriebe, die Rinderhalter sind. Das sind nur mehr 40 Prozent der Betriebe. Bei Schweinehaltung hatten wir 1980 noch 202 463, 2009 nur noch 38 000, also nur mehr 20 Prozent.

Was verursacht dieses Bauernsterben? – Natürlich der Preisverfall auf der einen Seite, die geringere Ertragssituation, auf der anderen Seite, dass wir Großbetriebe offensichtlich mehr fördern. (Abg. Eßl: Das ist einfach die Technisierung!) Das ist aber nicht im Sinne der Qualität. (Beifall bei der FPÖ.)


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Ich sage Ihnen eines, meine Damen und Herren: Man kann es einfach machen, und das wäre die große Aufgabe hier von uns als Politiker. Wo Österreich auf der Verpackung steht, da sollte österreichische Qualität auch wirklich drinnen sein, dann sind Tierschutz und Landwirtschaft auch vereinbar. (Beifall bei der FPÖ.)

21.39


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Gahr. 3 Minu­ten Redezeit. – Bitte.

 


21.39.37

Abgeordneter Hermann Gahr (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Ge­schätzte Kolleginnen und Kollegen! Eingangs zur Aufklärung: Es hat heute eine Expertenkonferenz der Gutsbetriebe Land- und Forstwirtschaft Österreichs gegeben über Einladung von Felix Montecuccoli, bei der es um Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht gegangen ist. Als einziger Abgeordneter hat Willi Molterer daran teilgenommen, und ich glaube, das ist durchaus legitim, weil er österreichische Land­wirt­schaftsinteressen in der EVP vertritt. Also das dazu. (Abg. Huber: Das stimmt nicht, denn der Kollege Grillitsch war auch dort!)

Zum Grünen Bericht: Ich glaube, es ist heute hier vieles ausgetauscht worden und es gab Schuldzuweisungen, aber insgesamt sollten wir die Realität erkennen. Es geht darum, dass das Jahr 2009 ein sehr schwieriges Jahr war  für die Wirtschaft und auch für die Landwirtschaft. Es geht darum, dass der Wettbewerb härter wird und darum, dass die Ausgaben für Lebensmittel sinken und in anderen Bereichen die Ausgaben für das Leben steigen.

Insgesamt kann man sich in der Landwirtschaft darauf einstellen, es gibt dazu auch eine Zeitungsmeldung, dass es hinauf und hinunter geht. Es geht einfach darum, dass die Produktionszeiträume Planung erschweren. Der Zyklus startet und die Preiswende kommt unangemeldet, und daher müssen wir uns auch auf die Zukunft einstellen und uns nicht gegenseitig Vorhalte machen. Österreichs Landwirtschaft wird überleben und sich auch in Zukunft gestalten, wenn es uns gelingt, drei starke Säulen zu bauen.

Einerseits ist das die Gemeinsame Agrarpolitik in Europa. Österreich muss mitgestal­ten, Österreich ist dabei, wenn es darum geht, wichtige Themen abzuhandeln, zum Beispiel Gentechnik. Österreich muss auch dabei sein, wenn es darum geht, die Berggebiete abzusichern, und da muss übergreifend zusammengearbeitet werden. (Beifall der Abgeordneten Schmuckenschlager und Huber.)

Die zweite starke Säule ist die nationale Agrarpolitik in Verbindung mit Umwelt-, Wirt­schafts- und Ernährungspolitik. Es geht darum, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe zu sichern und auch die Auflagen überschaubar zu halten. Herr Minister, ich bin ganz fest davon überzeugt, dass Ihr Projekt „Landwirtschaft 2020“ ein Projekt für die Zukunft ist. Ihr Projekt „Green Jobs“ ist ein Projekt, wo die Landwirtschaft dazu beiträgt, Arbeitsplätze zu sichern.

Die letzte und für mich wichtige starke Säule – und wir alle kommen ja großteils aus Regionen – ist eine starke, nachhaltige Regionalpolitik, wo die Landwirtschaft eine wichtige Rolle spielt. Ich glaube, wir sollten auch das Positive aus diesem Grünen Bericht mitnehmen, wenn auch 28 Prozent (Abg. Dr. Pirklhuber: 29!) wirklich ein Hammer sind, und das tut weh.

Doch ich glaube, es nützt uns nichts, sondern wir sollten sagen, Österreichs Landwirt­schaft – Kollege Pirklhuber, ich glaube, wir sind uns da einig – braucht eine stärkere Bio-Landwirtschaft, wir brauchen heimische Produkte auf heimischen Tischen, wir brauchen also auch Allianzen mit Tourismus und Wirtschaft. Eines ist ganz klar  und jeder hier kann dazu beitragen –: Wir sollten auf die heimische bäuerliche Landwirt­


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schaft schauen und eigentlich der industriellen Landwirtschaft einfach die rote Karte zeigen, wenn wir Kaufentscheidungen an der Theke treffen  und daher lade ich alle dazu ein, österreichische Produkte zu kaufen. Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP.)

21.42


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Mag. Schickhofer. 2 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


21.42.45

Abgeordneter Mag. Michael Schickhofer (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Ich habe mir die Entwicklung der landwirtschaftlichen Einkommen auch sehr genau angeschaut. Von 2005 bis 2009 hat man von einer Basis 100 ausgehend starke Steigerungen von 10 Prozent auf das Jahr 2006 gehabt. Dann gab es eine weitere Steigerung um 10 Prozent, das heißt gegenüber 2005 um 20 Prozent, dann ist es ein Jahr stagniert und jetzt hat man diesen massiven Rück­gang.

Das hilft natürlich in der statistischen Betrachtung nichts. Die Bauern haben jetzt weniger Einkommen, im Vergleich mit den anderen Arbeitnehmern habe ich aber im Durchschnitt der letzten fünf Jahre diese Steigerung. Ich habe mir dann aber die Gesamt­statistik angeschaut und ...  (Abg. Huber: Was für eine Steigerung haben wir dann in fünf Jahren? Zwischenrufe bei der ÖVP.) – In fünf Jahren bei den Bauern? Im Schnitt dürften es dann um die 11, 12 Prozent sein, ich habe es nicht durch­gerechnet. (Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP sowie des Abg. Huber.)

Die Gesamtsteigerungen im Schnitt sind jedenfalls da, wenn ich zuerst gegenüber der Ausgangsbasis 20 Prozent mehr habe. Ich will aber eigentlich auf die wirkliche Dramatik eingehen. (Zwischenruf des Abg. Mag. Ikrath.) Im heurigen Jahr haben wir nämlich das gleiche Niveau wie im Jahr 1991, und das ist die Schwierigkeit – dass es eigentlich damals die Situation gab, dass das Einkommen zum Großteil wirklich aus der Urproduktion stammte und nur ein sehr kleiner Teil die Förderung war, und diese Gesamtentwicklung hat sich gänzlich umgekehrt.

Ich glaube, es ist eines festzuhalten, nämlich dass man von eitel Wonne und Son­nenschein nicht sprechen kann. Gott sei Dank ist das Einkommen insgesamt höher, das ergibt sich aber aus den außerlandwirtschaftlichen Bereichen und den Sozial­transfers. Daher denke ich, man kann nur einen Schluss ziehen: Man muss im Bereich der ländlichen Entwicklung, im Bereich des Nebenerwerbs auch Arbeitsmöglichkeiten für die Bauern schaffen, damit sie selbstbewusst und selbst Einkommen für sich schaffen können und nicht auf Dauer von der EU-Agrarpolitik oder von unserer Budgetpolitik abhängig sind. Das ist eine wirklich schwierige Situation.

Man muss den Bauern auch ehrlich sagen, dass sie in Bereichen wie Biomasse und Tourismus, aber auch anderen, Aktivitäten setzen müssen, um zusätzlich Einkommen generieren und dieses auch absichern zu können. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Jannach. Abg. Dr. Pirklhuber: Das ist wenig Verständnis für das Problem der Nebenerwerbsbauern!)

21.45


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Höllerer. 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


21.45.13

Abgeordnete Anna Höllerer (ÖVP): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundes­minister! Hohes Haus! Der Grüne Bericht ist ein umfangreiches Nachschlagewerk, das vor allem auch die realistische Situation der Landwirtschaft des Jahres 2009 sehr


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deutlich darstellt, und ich bedanke mich bei allen, die diesen Bericht erstellt und daran gearbeitet haben.

Es geht, und das wurde heute schon einige Male gesagt, aus dem Bericht hervor, dass das Einkommen der Landwirtschaft im Jahr 2009 – in einem ausgesprochen schwieri­gen Wirtschaftsjahr – ein sehr prekäres war, dass wir im Durchschnitt der Betriebe 19 000 € lukrieren konnten, dass davon 18 000 € aus Leistungsabgeltungen gekom­men sind und dass sich bei den kleineren Betrieben das Verhältnis sogar noch etwas drastischer darstellt.

Es steht auch drinnen, dass 38 Prozent der Betriebe von Frauen geführt werden, dass bei den Größenklassen unter 20 Hektar die Frauenbetriebe bei 44 Prozent liegen und dass insbesondere von dieser etwas prekären schwierigen Situation des Jahres 2009 viele Frauenbetriebe betroffen waren. Es war aber für die Frauenbetriebe auch wichtig, dass diese Zahlungen, diese Leistungsabgeltungen aus der Gemeinsamen Agrarpolitik für die Betriebe gekommen sind, damit ihre Betriebe auch in diesem schweren Jahr überlebensfähig waren.

Das ist ein Erfolg einer guten Agrarpolitik, auch wenn aus den Erlösen aus Milch, Fleisch und Getreide gerade einmal die Produktkosten abgeglichen werden konnten. Wir müssen darüber diskutieren – und das haben heute schon alle angesprochen –, wie sich die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Landwirtschaft, die eine sehr kleinstrukturierte ist, in der europäischen, in der globalen Landwirtschaft zukünftig absichern und darstellen lässt. (Ruf bei der FPÖ: Es ist wirklich erstrebenswert, Bauer zu sein!)

Wir müssen über die Produktpreisgestaltung diskutieren, über die Produktionspreise, über die Auflagen, die den landwirtschaftlichen Betrieben gestellt werden, damit vor allem auch diese kleinstrukturierte Landwirtschaft erhalten bleiben kann. Sicher wissen wir, und auch das geht aus dem Grünen Bericht hervor, dass die Verbrauchsausgaben in Österreich sinken, dass im Jahr 1980 noch 17 Prozent der gesamten Ausgaben der Haushalte für die Lebensmittelversorgung ausgegeben werden mussten, im Jahr 2000 waren es 13 Prozent und die Tendenz ist weiter sinkend.

Wir wissen, dass die Konsumentinnen und Konsumenten auf die hochqualitativen Lebensmittel der österreichischen Bauern vertrauen und dass sie sich auch wünschen, dass sie Lebensmittel kontrollierter Qualität im Geschäft bekommen und dass sie auch eine Herkunftsbezeichnung auf diesen Lebensmitteln finden möchten. (Abg. Dr. Pirklhuber: Das AMA-Gütesiegel!)

Sie vertrauen auch auf das seit 15 Jahren bestehende und von der EU notifizierte Qualitätssicherungsprogramm, auf das AMA-Gütesiegel und auf das AMA-Biozeichen. Das hat auch einen sehr großen Bekanntheitsgrad in Österreich und daher dürfen wir auch von diesen Qualitätssiegeln, diesen Qualitätszeichen, die sich aus einer strengen Qualitätskontrolle definieren – von der Produktion über die Verarbeitung bis hin zum Verkauf –, nicht abweichen.

Ich appelliere auch an alle, die jetzt unnötig und kleingeistig über neue Herkunfts­zeichen diskutieren, das zu unterlassen. Die österreichischen Bäuerinnen und Bauern haben andere Sorgen, die brauchen eine Agrarpolitik, die sie auch zukünftig absichert, die die kleinstrukturierte Landwirtschaft erhält, und die ist bei unserem Bundesminister Niki Berlakovich in den besten Händen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP. Abg. Dr. Pirklhuber: Aber ein Gütesiegelgesetz brauchen wir schon, Frau Kollegin Höllerer?!)

21.49



Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 242

Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Schönpass. 2 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


21.49.13

Abgeordnete Rosemarie Schönpass (SPÖ): Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Nach drei guten Jahren mussten die Betriebe im Jahr 2009 starke Erwerbseinbußen hinnehmen. Besonders dramatisch war der Einkommensrückgang bei den Nebenerwerbsbetrieben – er betrug über 50 Prozent.

Im Jahr 2009 wurden 2,3 Milliarden € an EU-, Bundes- und Landesmitteln für die Land- und Forstwirtschaft aufgewendet. Das ist eine Steigerung von 5 Prozent. Der Anteil der öffentlichen Gelder an Einkommen stieg aufgrund der schlechten Ertragslage im Durchschnitt auf 94 Prozent, Herr Pirklhuber. Die Direktzahlungen an landwirtschaft­liche Betriebe stiegen um 76 Millionen € auf 1,76 Milliarden € an.

Diese Fördermittel sind weiterhin sehr ungleich verteilt. Knapp die Hälfte der Betriebe erhielt zusammen nur 11 Prozent der Gelder. 36 Prozent der Betriebe im unteren För­der­bereich erhielten im Durchschnitt nur 2 000 € je Betrieb. 3 Prozent der Betriebe am oberen Ende lukrierten 18 Prozent aller Fördermittel, im Durchschnitt 80 000 € je Betrieb.

In den Genuss von jeweils über 100 000 € Direktzahlungen kamen 565 Betriebe, die zusammen 97 Millionen € erhielten. Das ist ein Durchschnitt von 170 000 € je Betrieb. Diese ungleiche Verteilung ist vor allem auf die Ausgestaltung der einheitlichen Be­triebs­prämie zurückzuführen.

Wir von der SPÖ stehen für mehr Gerechtigkeit, auch im Agrarbereich, damit unsere Bäuerinnen und Bauern auf den Höfen bleiben. Daher sollte man Arbeit statt Hektar fördern. Übrigens: Die Zahl der Versicherten in der Pensionsversicherung lag bei 158 483, wobei die durchschnittliche Alterspension 738 € ausmachte; Männer beka­men 1027 €, Frauen 542 €. (Abg. Dr. Pirklhuber: Beschämend!) Ist das gerecht, Herr Grillitsch? Ist das eine gute Agrarpolitik? Wir fordern daher, die Arbeit zu fördern und weniger die Gutsbetriebe und die Industrie.  Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

21.51


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Mayer. 3 Minuten Redezeit. – Bitte. (Abg. Dr. Pirklhuber: Auf geht’s!)

 


21.51.54

Abgeordneter Peter Mayer (ÖVP): Herr Präsident! Geschätzter Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Am Anfang möchte ich gleich eine Feststellung machen, besser gesagt eine Richtigstellung.

Herr Abgeordneter Huber hat gesagt, der Bauernbund belächle ein Einkommensminus in der Landwirtschaft von 30 Prozent. (Abg. Huber: Ja! Ihr habt’s die ganze Liste!) Das war eben nicht so. Wir haben beim Redebeitrag des Herrn Dr. Spadiut gelacht, als er eine Geschichte über sein Umfeld zuhause als Tierarzt erzählt hat, wo acht Klein­betriebe zugesperrt haben. Da hat es einen Zwischenruf gegeben, der gelautet hat, dass da wohl der Tierarzt zu teuer gewesen sein wird. Wir haben zu diesem Zwi­schen­ruf gelacht und nicht zu dem Minus von 30 Prozent, da dieses Minus ein sehr ernstes Thema ist. (Zwischenrufe bei der FPÖ. Abg. Huber: Der Kollege Großruck hat übrigens gelacht!)

Ich entschuldige mich natürlich beim Herrn Dr. Spadiut, er ist jetzt leider nicht hier, er kann das nicht hören, aber vielleicht kann ihm das jemand ausrichten, weil ich Herrn


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Dr. Spadiut und auch sein Engagement für die Landwirtschaft, für die heimischen Bauern sehr schätze. (Zwischenruf der Abg. Ursula Haubner.)

Aber nun zum Grünen Bericht und zur Lage der österreichischen Landwirtschaft. Ich glaube, jeder Redner hat festgestellt, dass der Grüne Bericht ein geeignetes Mittel ist, um diese festzustellen. Aber ich sage auch: Nur der Vergleich mit den Nachbarländern zeigt uns sicher, wie gut wir in der Agrarpolitik in Österreich liegen – und da kann man schon wichtige Punkte aufzeigen.

Zum Beispiel hat sich der Strukturwandel in Österreich verlangsamt, er ist nicht mehr so rasant fortgeschritten wie früher, und das haben andere EU-Mitgliedstaaten nicht zusammengebracht. Wir aber haben das mit unserer Agrarpolitik zustande gebracht. Genauso ist der hohe Anteil an Biobetrieben hervorzuheben.

Nicht zuletzt möchte ich auch die geleistete Arbeit unserer Erzeugergemeinschaften erwähnen, unserer Genossenschaften, die es einer kleinstrukturierten Landwirtschaft ermöglichen, ein Einkommen auf den Agrarmärkten zu erlangen.

Dazu möchte ich auch eine Mitarbeiterin, hier im Parlament auf den Zuschauerrängen, begrüßen, nämlich Frau Dipl.-Ing. Singer, die eine wertvolle Mitarbeiterin der Saatgut­genossenschaft Linz ist und wirklich tolle Arbeit für unsere Bauern leistet. (Rufe: Wo? Der Redner deutet auf die Besuchergalerie.  Allgemeiner Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten von FPÖ und Grünen.)

Aber wir müssen uns auch für zukünftige Herausforderungen rüsten, und die größte Heraus­forderung ist sicher die Gemeinsame Agrarpolitik nach 2013. Da sind wir mit vielen offenen Fragen konfrontiert, zum Beispiel wie viel Budget nach 2013 überhaupt zur Verfügung steht. Wer wird sich da einsetzen? Damals, beim jetzigen Programm, hat sich unser Kanzler Schüssel massiv dafür eingesetzt, dass wir da sehr gut ausgestattet sind; und in Zukunft wird das sicher ein Kanzler Faymann übernehmen müssen  und da wird er gemessen werden, wie viel ihm die Bauern eigentlich wert sind. In diesem Sinne wünsche ich auch ihm viel Erfolg bei diesem großen Unter­fangen.

Aber wir müssen uns auch anschauen, wie die zukünftigen Marktordnungsinstrumente ausschauen. Wir sind da mit einer Volatilität der Preise konfrontiert, die wir eigentlich in der Vergangenheit nicht gehabt haben. (Abg. Dr. Pirklhuber: Das ist richtig! Abg. Huber: Das schauen wir uns am 25. an!) Einige meiner Vorredner sind ja hier schon darauf eingegangen, man muss sich da längere Zeiträume anschauen. Aber wir brauchen wirkungsvolle Instrumente, wo wir ausgleichend gegensteuern können. Es ist mir schon ein Anliegen, dass wir auch solche Instrumente einfordern.

Was ich noch anmerken möchte, ist die aktuelle Diskussion über die Gütesiegelkenn­zeichnung, Herkunftskennzeichnung. Da frage ich mich schon, warum diese Dis­kus­sion sein muss. Wir haben ja schon ein sehr gutes Gütesiegel, das AMA-Gütesiegel, das vieles kann und auch von den Konsumenten geschätzt und anerkannt wird. (Abg. Dr. Pirklhuber: Das steht doch im Regierungsübereinkommen drinnen! Ich verstehe die Regierung nicht mehr!)

Wenn es aber darum geht, die Gentechnikfreiheit in den Produkten zu garantieren, dann haben wir auch schon eine Lösung: das AMA-Biokennzeichen. Wer darauf Wert legt, der kann sich darauf verlassen, denn das AMA-Biokennzeichen garantiert eine abso­lute Gentechnikfreiheit. (Beifall bei der ÖVP.) In diesem Sinne, glaube ich, waren wir nicht so schlecht unterwegs, und mit unserem Bundesminister sind wir gut aufge­stellt.  Danke. (Beifall bei der ÖVP. Abg. Huber: Jetzt hast aber alle ... Bauern ... !)

21.56



Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 244

Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Zu einer Stellungnahme hat sich Herr Bundes­minister Dipl.-Ing. Berlakovich zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


21.56.19

Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Nikolaus Berlakovich: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es freut mich, dass Sie den Grünen Bericht an sich als umfangreiches Nachschlagewerk allgemein loben. Ich darf das Lob an die Mitar­beiter und Mitarbeiterinnen des Lebensministeriums weitergeben.

Es gibt keinen Wirtschaftsbereich, keinen Sektor in Österreich, der derart umfassend und transparent dargestellt wird, wie der Agrarsektor im Grünen Bericht  mit all den Statistiken und Ausführungen. Es gibt keinen Sektor, der so transparent und für jedermann nachlesbar ist, auch die viel und heiß diskutierten Prämienzahlungen, die vergeben werden. Keine Berufsgruppe hat eine dermaßen hohe Transparenz wie der Agrarsektor. (Abg. Krainer: Politiker!)

Es wurde schon dargestellt, dass das Einkommensminus 28 Prozent betragen hat, der Grüne Bericht zeigt aber auch auf, dass es da je nach Bewirtschaftungsform Unter­schiede gibt. Es ist erfreulich, dass in der höchsten Lage, in der hochalpinen Gebirgs­region, das Einkommensminus nur 9 Prozent ausmacht. Das zeigt die Differenziertheit der Betrachtung und die Notwendigkeit, sich differenziert mit diesem Thema auseinan­derzusetzen.

Der Bericht zeigt aber auch, und zwar durch dieses starke Einkommensminus, wie abhängig die Bauern von den völlig liberalisierten Märkten sind. Der Milchpreis, der Getreidepreis waren im vergangenen Jahr am Boden, und das hat sich auf die Einkom­menssituation durchgeschlagen. Das müssen all jene registrieren, die noch immer nach noch mehr Markt und immer stärkerer Liberalisierung schreien, denn der Effekt war, dass die europäische Speiseeis- und Keksindustrie vor zwei, drei Jahren, als der Milchpreis hoch war, sagte: Wir verdrängen die Milch, das Milcheiweiß aus den Rezep­turen. Sie finden heute in der europäischen Keksindustrie, im europäischen Speiseeis kein Milcheiweiß mehr, sondern Pflanzenöl  vorzugsweise aus Indonesien.

Ist das die Antwort? (Abg. Dr. Pirklhuber: Öffentlichkeit ... wo bleibt der Aufschrei? Das ist ja der Punkt! Zwischenruf des Abg. Huber.) Wo ist Ihr Aufschrei, wenn Sie von liberalisierten Märkten reden und dann gleichzeitig beklagen, dass Bauern Prä­mien bekommen? Wenn die Bauern nur vom Milchpreis und vom Getreidepreis leben müssten, könnten sie nicht existieren, daher bedarf es Ökozahlungen, um Betriebe überhaupt zu stabilisieren. (Beifall bei der ÖVP.)

Ich erinnere mich: Als es um die Diskussion der Zuckermarktordnung auf europäischer Ebene gegangen ist, haben erstmals Bauern gemeinsam mit Gewerkschaftern vor der Europäischen Kommission in Wien demonstriert, weil nach der Zuckermarktordnung dann auch Zuckerfabriken in Europa geschlossen haben und nicht nur die Bauern ihren Job verloren haben, sondern auch die Arbeiter in der Zuckerfabrik.

Sie sehen, dass es keine Schwarz-weiß-Diskussion gibt  da die Bauern, dort die Arbeitnehmer , sondern dass in Wirklichkeit die Sektoren miteinander verbunden sind.

Nun zu den vieldiskutierten Zahlungen, weil hier von einigen Rednern gesagt wurde, dass die Agrarpolitik auf diese schwierige Situation nicht reagiert hat: Das stimmt ja nicht! (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Wenn Sie sich damit befassen, dann müssen Sie erkennen, dass die Europäische Union gesagt hat: Wir greifen nicht in den Markt ein! Freier Markt, es regelt sich alles von selbst, wenn der Milchpreis niedrig ist, sollen die Bauern aufhören, wem das nicht genug ist, der soll sich einen anderen Job suchen! – Gerade wir, Österreich mit


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Partnern, haben dafür gekämpft, dass die EU in den Markt eingreift, und sie hat es getan. Sie hat Interventionen gemacht, nämlich Milchpulver und Butter aus dem Markt herausgekauft, eben aus besagten Gründen: hoher Milchpreis vor zwei Jahren, aus den Rezepturen verdrängt. (Abg. Dr. Pirklhuber: Ja, aber die Quotenaufstockung!)

Es gab ein Überangebot auf dem Markt und daher den Versuch, Angebot und Nach­frage ins Gleichgewicht zu bringen. Die Politik hat reagiert, sie hat in etwa 700 Millio­nen € europaweit in den Milchmarkt investiert, um Märkte zu stabilisieren. Das hat den Effekt gehabt, dass sich der Milchpreis dann gegen Jahresende wieder verbessert hat, und das war eine echte Hilfe für die Bauern, genauso wie das Vorziehen der Direktzahlungen. (Präsidentin Mag. Prammer übernimmt wieder den Vorsitz.)

Herr Kollege Spadiut hat gesagt, Leistung müsse sich lohnen. Da gebe ich ihm Recht. Wir vertreten mit unserer Agrarpolitik die Konzeption, dass der Bauer dieses Geld nicht zum Nulltarif bekommen soll – quasi ohne Leistung –, sondern einen Nachweis erbrin­gen soll. Was in dieser Diskussion alle vergessen, ist, dass es sich hierbei nicht um Sozialzahlungen handelt, sondern dass das Leistungszahlungen sind, die einerseits den Bauern Sicherheit geben sollen, aber andererseits auch eine starke Leistungs­komponente haben. Wer mehr für die Umwelt tut, bekommt eine höhere Ökoprämie als jemand, der gar nichts tut, der bekommt nämlich keine Ökoprämie. Genau diesen Leis­tungsgedanken vertreten wir.

Daher ist es sinnvoll, dass da auch größere Betriebe Unterstützung bekommen. Wenn Sie von der SPÖ sagen, Arbeit statt Hektar, dann ist das ein politischer Slogan. Die Wirklichkeit ist ja umgekehrt. Die Arbeit wird ja pro Hektar erbracht. Sie werden mir doch wohl recht geben, dass jemand, der zehn Hektar bewirtschaftet, eine höhere Arbeitsleistung hat, als jemand, der einen Hektar bewirtschaftet. Das ist doch wohl klar. (Abg. Krainer: Muss nicht sein!) Daher kann es nicht so sein. (Abg. Krainer: Kein Automatismus!) – Ja, bei Spezialkulturen, aber bei gleichen Betriebsverhältnissen kann das nicht sein. (Abg. Krainer: Kein Automatismus! – Abg. Schönpass: Wenn die Bauern ...!) Daher gibt es da sehr wohl eine Leistungskomponente, und genau das ist der Punkt.

Frau Kollegin Brunner verwechselt die Debatte um den Grünen Bericht hier mit einer Umweltdebatte. (Zwischenruf der Abg. Schönpass.) Wir legen Leistungsprogramme auf und wollen, dass die Bauern hier mittun. Wir geben Incentives – Anreize, Ökoprämien –, damit sie den Boden ökologisch und nachhaltig bewirtschaften.

Ein Biobauer bekommt eine höhere Prämie als einer, der sich weniger ökologisch verhält. Aber Tatsache ist, dass diese Leistungskomponente, dieses Leistungspro­gramm mit sich bringt, dass wir nicht Bio-Europameister sind, Herr Pirklhuber, sondern Bio-Weltmeister. Und zwar deswegen, weil die flächenstarken Betriebe, mit 300, mit 500 Hektar, in den letzten Jahren auf Bio umgestellt haben. Die großen Betriebe haben umgestellt (Abg. Dr. Pirklhuber: Die kleinen Betriebe auch!), die kleinen waren schon dort. Wenn man diesen Betrieben diese Ökoprämie nicht mehr gibt, steigen sie aus – und Österreich wäre kein Bio-Musterland mehr.

Wollen Sie das? (Abg. Dr. Pirklhuber: Habe ich das behauptet?) Das gebe ich zu beden­ken, bei all der parteipolitischen Polemik, die damit verbunden ist, und der Debatte über sozialen Ausgleich. Das ist eine Frage der Sozialpolitik, aber nicht der Leistungskomponente bei der Agrarpolitik. (Abg. Dr. Pirklhuber: Habe ich das behauptet? – Abg. Schönpass: Wo nehmen Sie Geld her?)

Herr Kollege Sacher, Sie haben den ländlichen Raum erwähnt. Ich gebe Ihnen voll­kommen recht. Das Wifo hat die Agrarzahlungen untersucht, alle Zahlungen für die ländliche Entwicklung. In ganz Europa – weltweit ist es im Übrigen auch so – wachsen die Städte stärker als der ländliche Raum, außer in Österreich. In Österreich ist laut


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Wifo-Berechnungen der ländliche Raum eine Spur dynamischer als die städtischen Agglomerationen (Zwischenruf der Abg. Silhavy); auch durch die Zahlungen für die ländliche Entwicklung, die ja nicht nur der Landwirtschaft zugutekommen – ich bin ganz bei Ihnen –, die ja die Sektoren vernetzen sollen: Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Tourismus, gewerblicher Bereich und Landwirtschaft.

Da Kollege Schickhofer sagt, es brauche Arbeitsplätze im ländlichen Raum: Genau das ist ja der Punkt, das wurde damit erreicht! Und das Wifo sagt, gäbe es die Agrarzahlungen nicht, müsste nicht nur sofort die Hälfte der Bauern aufhören – dann hätten wir tatsächlich ein Bauernsterben, im Berggebiet 60 Prozent (Abg. Schönpass: Wir haben eh jetzt schon ein Bauernsterben!); sie sind von diesen öffentlichen Geldern abhängig –, sondern es würden im ländlichen Raum noch einmal 23 000 Arbeitsplätze verloren gehen, in Summe also 100 000 Arbeitsplätze weniger.

Daher kämpfe ich, kämpfen wir dafür, dass wir diese Programme aufrechterhalten (Zwischenruf beim BZÖ), weil wir in ganz Europa gelobt werden für unseren ökologischen, nachhaltigen Weg in der Landwirtschaft. Viele loben uns für diesen Weg, nur hier in Österreich gibt es Menschen, die sagen: Ist nichts, bringt nichts!

Die Agrarpolitik ist erfolgreich. Es gibt natürlich Betriebe, die aufhören – das wird es immer geben –, aber wir haben nach wie vor eine der kleinstbäuerlichen Strukturen in ganz Europa. (Zwischenruf des Abg. Mag. Gaßner.) Das ist Faktum. Wir haben eine der jüngsten Landwirtschaften – bis zum 35. Lebensjahr belegen wir den zweiten Platz in Europa. (Zwischenruf der Abg. Schönpass.) Wir haben eine der weiblichsten Land­wirtschaften – 40 Prozent der Betriebe werden von Frauen geführt. Die österreichische Landwirtschaft wäre undenkbar, wenn es nicht den Einsatz der Bäuerinnen gäbe.

Österreich ist Bio-Weltmeister und Spitzenreiter beim Einsatz der erneuerbaren Ener­gie. Diesen Weg möchte ich, möchten wir weitergehen und unterstützen, weil er richtig ist, weil er eben nicht in die industrialisierte Landwirtschaft führt, sondern in eine ökologisch orientierte, nachhaltige – was ja die Gesellschaft auch von der Land­wirtschaft erwartet. (Abg. Dr. Pirklhuber: Uns brauchen Sie eh nicht zu überzeugen! Wir wollen ...!)

Eines darf ich noch sagen: Der Effekt dieser Zahlungen ist, dass sich die Bevölkerung zu leistbaren Preisen ernähren kann. Erschwingliche Nahrungsmittel für jedermann, das ist das Ziel auch der Agrarpolitik. (Abg. Dr. Pirklhuber: Aber kein Dumping! Kein Dumping! – Zwischenruf des Abg. Huber.)

Wenn der Milchpreis vor 30 Jahren bei etwa 81 Cent lag, dann müsste er aufgrund der Teuerung jetzt bei 1,30 € liegen. In Wirklichkeit ist der Milchpreis heute niedriger, als er vor 30 Jahren war – der Trinkmilchpreis. (Abg. Dr. Pirklhuber: Ist das nicht ein Problem? Schauen Sie einmal, was ein Red Bull kostet! 5 €!) Wir stehen ja dazu, dass sich die Menschen ordentlich ernähren können, aber dann muss man auf der anderen Seite, damit die Betriebe überleben, auch Zahlungen leisten. Und diese werden über die Ökoprogramme geleistet, sodass vor 30 Jahren ein Durchschnittsösterreicher noch 30 Prozent seines Einkommens für die Ernährung ausgegeben hat und heute nur mehr 13 Prozent.

Ich sage, Gott sei Dank, weil sich der Österreicher dadurch nämlich auch anderes leisten kann. Das ist ja auch richtig, aber das wird durch diese Zahlungen, die wir im Agrarbereich haben, gewährleistet. Daher kämpfe ich jetzt beim Budget darum, weil ich es für falsch hielte, wenn wir das Kind mit dem Bade ausschütteten und ein bewährtes System kippten – genauso wie bei der Gemeinsamen Agrarpolitik ab 2014.

Europa steht am Scheideweg: Gehen wir in Richtung einer industrialisierten Landwirt­schaft, die vielleicht den Steuerzahler ein paar Millionen weniger kostet, die in Wirk­


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 247

lich­keit aber eine Industrielandwirtschaft mit sich bringt, die wir nicht wollen – die wir in Österreich derzeit nicht haben, Gott sei Dank, und die wir auch nicht wollen. (Zwi­schenruf des Abg. Mag. Gaßner.)

Wenn wir die Zahlungen nicht hätten – Herr Kollege Gaßner, Sie wissen das ganz genau –, dann gäbe es gar keine kleinen Bauern mehr und nur mehr Riesenbetriebe wie in Ungarn, mit 30 000 Säuen, aber nicht mit 300 Säuen. (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Mag. Gaßner.) Sie wissen das! Schauen Sie sich das an! – Wir wollen das nicht.

Das ist auch – abschließend – das Thema: „Unternehmen Landwirtschaft 2020“ (Zwi­schenruf des Abg. Dr. Pirklhuber), der Strategiedialog des Agrarsektors darüber, wo die neuen Chancen sind, damit wir die Bauern nicht nur im Bereich der öffentlichen Zahlungen abgesichert haben, sondern damit sich neue Marktchancen eröffnen – im Lebensmittelbereich, in der erneuerbaren Energie und auch in vielen anderen Be­reichen, in denen der Agrarsektor für die Gesellschaft öffentliche Leistungen erbringt. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der ÖVP.)

22.06


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Mag. Gaßner. – Bitte.

 


22.06.44

Abgeordneter Mag. Kurt Gaßner (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Herr Kollege Mayer, nur so viel zum Gütezeichengesetz: Das steht im Regierungs­über­einkommen. Sie haben gemeint, dass wir das nicht brauchen. Das steht im Überein­kommen. (Ruf bei der ÖVP: Na das wird schon ...!)

Zum Grünen Bericht wurde schon viel gesagt – ein hervorragendes Werk, tadellos. Ich meine allerdings – und das weiß ich aus vielen Gesprächen mit Landwirten, mit Bauern –, dass der Grüne Bericht mit seinem wirklich großen und informativen Wert den Bauern selbst gar nicht bekannt ist. Vielleicht könnte der Bauernbund einmal ein Weihnachtsgeschenk an seine Mitglieder machen und ihnen einen Grünen Bericht schenken, damit die Bauern wirklich einmal wissen, wie es um sie steht. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Mayerhofer. – Abg. Mag. Molterer: Das wissen aber die Bauern viel besser!)

Ich bin fast versucht, zu sagen, dass auch Sie, Herr Bundesminister, den Grünen Bericht nicht ganz genau kennen, denn ich lese immer sehr aufmerksam verschiedene Agrarzeitungen – „Blick ins Land“, zum Beispiel –, und da schreiben Sie, die Agrar­zahlungen kämen in erster Linie den kleinen Bauern zugute und seien der Grund dafür, dass der ländliche Raum überlebensfähig sei. (Zwischenbemerkung von Bundesminis­ter Dipl.-Ing. Berlakovich.)

Herr Bundesminister, Sie haben es gerade erklärt, aber schauen Sie sich den Grünen Bericht an! Auf Seite 64 steht genau, wie viele Bauern seit 2005 zugesperrt haben. Ab dem Jahr 1999 steht die Zahl drinnen, auf Seite 211 stehen diese Zahlen. Das ergibt – und das ist schon sehr tragisch – eine Quote von täglich fünf Betrieben, die schließen. Ich frage mich, ob das das Ziel einer guten Landwirtschaftspolitik ist. Das sind mensch­liche Schicksale, die da immer wieder betroffen sind. Das ist in meinen Augen keine gute Landwirtschaftspolitik! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten von FPÖ und Grünen sowie des Abg. Huber. – Zwischenruf bei der ÖVP.)

Ihre Aussage, Herr Bundesminister, würde dann stimmen (Ruf: ... in der bäuerlichen Landwirtschaft), wenn wir endlich zu mehr Fördergerechtigkeit kämen. Es kann nicht sein, dass Gutsbesitzer, Industrien Millionen nehmen, und die Kleinen ein paar hundert Euro bekommen und dann gezwungen sind, zuzusperren.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 248

Herr Minister, Sie haben gesagt, die Arbeit in die Förderung einzurechnen, wäre ein politischer Slogan. Dieser politische Slogan, Herr Bundesminister, steht auch im Regierungsübereinkommen!

Da heißt es nämlich: „Die Bundesregierung will sich bei künftigen Verhandlungen klar positionieren, dass auf EU-Ebene die Intensität des Arbeitseinsatzes in der Land­wirt­schaft und die Qualität der Produkte als Kriterien für Direktzahlungen“ berücksichtigt werden. (Abg. Dr. Pirklhuber: Genau! Sehr wichtig! Gut so! – Bundesminister Dipl.-Ing. Berlakovich: ... nach Betrieb!) – Das sagt das Regierungsübereinkommen.

Wir nähern uns jetzt einer sehr magischen Zahl – 2013/2014 –, und seit Monaten versuchen wir, Stellungnahmen des Ministeriums, des Ministers dazu zu bekommen, wie unsere Position bezüglich der Agrarpolitik nach 2013 ist. (Zwischenruf bei der ÖVP. – Abg. Huber: Stimmt unserem Antrag zu!) Wir bekommen sie ganz einfach nicht. Das ist keine Marotte von uns, keine Marotte der hier vertretenen Parteien.

Auch das steht im Regierungsprogramm. Da heißt es: Die Weiterentwicklung der GAP stelle eine besondere Aufgabe dar, „bei der“ – Herr Minister, jetzt passen Sie ganz genau auf! (Abg. Mag. Molterer: Uiuiui!) – „ein nationaler Konsens gesucht wird“. – Kollege Molterer, das ist nicht „ui“, das ist das Regierungsprogramm.

Bis jetzt ist es leider noch nicht dazu gekommen, auch nur darüber zu reden. (Ruf bei der ÖVP: ... Agrarkommissar!) Ich bekomme ein Papier des Bauernbundes, in dem schon allerhand steht. (Abg. Grillitsch: Das ist eh das Beste! Das ist eh das Beste! Da hast du eh alles, was du brauchst! So viel hast du noch nie gehabt!)

Ist das Ministerium nur mehr eine Dienststelle des Bauernbundes, oder wie? Wir haben immer noch ein Parlament, das darüber auch zu diskutieren hat. – Da steht drinnen, lieber Kollege Grillitsch, dass ganz gescheite Leute schon eine Position erarbeitet haben. Herr Molterer, Sie waren dabei. Warum bekommen wir diese Position nicht? (Zwischenruf des Abg. Dr. Pirklhuber. – Abg. Grillitsch: Das ist das Zukunftspapier!)

Herr Bundesminister, ich bitte Sie eindringlich, uns rechtzeitig vor dem 25. November die Position des Ministeriums zu übermitteln, damit wir uns auf eine ordentliche Diskus­sion vorbereiten können. Das ist eine minimale Forderung, die ich Ihnen hier über­bringe. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten von FPÖ und Grünen sowie des Abg. Huber.)

Leider ist meine Redezeit schon vorbei. Eines möchte ich aber noch anmerken für das „Klassenkampf-Schachterl“ des Kollegen Grillitsch. Er hat gemeint, den Bauern und Bäuerinnen sei für ihre fleißige Arbeit zu danken. (Abg. Grillitsch: Stimmt das nicht?) – Voll und ganz! Ich bedanke mich bei den Bauern und Bäuerinnen, bei denen, die hart arbeiten, damit sie überleben können.

Ich bedanke mich aber auch bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die hart arbeiten, Steuern zahlen, denn damit können wir die Landwirtschaft fördern. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Grillitsch: Das war nicht einmal so schlecht, das Schlusswort!)

22.12


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Ing. Schultes. – Bitte.

 


22.12.11

Abgeordneter Ing. Hermann Schultes (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsident! Ge­schätzter Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren! Ich stehe hier vor einem ziemlich devastierten Rednerpult, das Kollege Gaßner ganz schön hergerichtet hat. Aber das macht nichts! (Heiterkeit.) Das ist ungefähr so wie die SPÖ-Agrarpolitik:


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 249

Sie ist eben chaotisch, aber irgendwie werden wir es schon wieder richten. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Kollege Gaßner hat sich gerade beschwert über die mangelnde Mitsprachemöglichkeit. EU-Kommissar Dacian Ciolos war in Österreich, und alle Agrarsprecher waren eingeladen. Sie aber, Kollege Gaßner, waren nicht dort, Sie haben auch keinen Ersatz geschickt. Hätten Sie wenigstens mich geschickt, ich wäre gerne hingegangen, und wir hätten auch wirklich etwas zusammengebracht. (Abg. Mag. Gaßner: Hätten Sie auch im Sacher gerne einmal gegessen? Hätten Sie auch im Sacher gerne einmal gegessen?) – Du warst schon öfters dort, brauchst nicht neidig zu sein. (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Mag. Gaßner.)

Meine Damen und Herren! Die Agrarpolitik steht auf dem Prüfstand, wenn der Grüne Bericht unter die Leute kommt. Herr Gaßner meint, wir sollten ihn als Weihnachts­geschenk verschenken. – Das ist nicht notwendig. Die Bauern haben Internet, und der Bericht ist über das Internet abzurufen. (Abg. Mag. Brunner: Aber wissen muss man es halt!) Und unsere Diskussionen im Bauernbund bauen auf dem Wissen der Bauern auf, weil die sich nämlich auskennen.

Herr Kollege Gaßner, unterschätzen Sie die Leute nicht, bevormunden Sie die Leute auch nicht und reden Sie schon gar nicht herablassend davon, dass Sie die Bauern fördern! (Abg. Dr. Pirklhuber: Aber auch der Bauernbund soll die Leute nicht ...! Nicht die eigenen Mitglieder!)

Klar ist: Die europäische Agrarpolitik geht davon aus, dass sie Lebensmittel zu Preisen anbieten möchte, die weltmarktfähig sind, damit die europäischen Konsumenten zu Weltmarktpreisen einkaufen können, damit die europäischen Konsumenten keine höheren Lebenshaltungskosten haben als Menschen irgendwo in Amerika oder vielleicht in China. (Abg. Dr. Pirklhuber: Na geh, das stimmt doch auch nicht!)

In der gesamten Europäischen Union kann allerdings Landwirtschaft zu diesen Preisen nicht betrieben werden. Ihre Großen, Ihre Kleinen, Ihre Roten, Ihre Blauen – niemand in Europa kann zu diesen Preisen produzieren. Daher hat die Europäische Union ein System mit Betriebsprämien entwickelt, die kommen müssen. Und in Österreich kommen sie bei den Bauern an, das ist das Besondere. Sie werden ausbezahlt, und die Bauern bekommen sie. (Abg. Schönpass: Warum haben sie denn so ein schlechtes Einkommen?)

Wir haben ein System aufgebaut, in dem der kleine Bauer genauso wie der große Bauer für seine Leistung den gerechten Ausgleich bekommt.

Dass das Geld ja nicht mehr wird, daran arbeiten Sie von der SPÖ wohl sehr oft, ja täglich mit. Ich würde Sie dringend ersuchen, die ständigen Wünsche, die Agrar­zah­lungen einzugrenzen, zu beenden und sich bei der Europäischen Union, bei Ihren Freunden dort, dafür einzusetzen, dass die Agrarbudgets wieder ausgestattet werden. (Beifall bei der ÖVP.) Denn eine Zukunft der Landwirtschaft wird es nicht durch die Umverteiler geben, sondern nur durch Jugendliche, die an diesen Beruf glauben und darin eine Zukunft sehen.

Die ständige Debatte um das Zuviel und Zuwenig, gierig und neidig, kann nicht funktionieren. (Ruf bei der SPÖ: Und gerecht! Gerecht!) – Gerechtigkeit, das ist in der Landwirtschaft etwas ganz anderes. (Zwischenruf bei der SPÖ.) Wir glauben an den Herrgott und an die Gerechtigkeit, die wir uns selbst erarbeiten können. – Ihre „Gerechtigkeit“ hingegen ist es, dem einen etwas wegzunehmen und dem anderen nichts zu geben (Ruf bei der SPÖ: Hallo, hallo, hallo!), und das ist die wirkliche Sauerei. (Beifall bei der ÖVP.)


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 250

Meine Damen und Herren! Die Sache ist sehr einfach: Ein Marktfruchtbetrieb hatte im Durchschnitt des letzten Jahres laut Grünem Bericht aus Verkauf 87 000 € Erlös. Das hört sich viel an. Davon waren 25 000 € aus öffentlichen Geldern. Das errechnete Ein­kommen waren 21 000 €. Wissen Sie, was das heißt? – Hätte er nichts getan, keinen Aufwand getrieben (Abg. Dr. Pirklhuber: Hätte er besser abgeschnitten!), hätte er besser abgeschnitten. Welche Welt ist das?!

Wir brauchen Preise, die die Arbeit lohnen und honorieren, und dann reden wir von Respekt für die Menschen. Wenn wir das haben, dann kann man wieder weiterreden. (Ruf bei der SPÖ: Hallo, hallo, hallo!) Im heurigen Jahr werden wir vielleicht wieder solche Preise haben – hoffentlich.

Ich sage Ihnen nur eines: Herr Kollege Gaßner, ich komme aus der größten Abwan­derungsregion, und wir haben die größten Betriebe in der Region. Es sind nicht nur die kleinen Betriebe, die zusperren, sondern es sind auch die größeren, die zusperren, weil ihnen das Geld ausgeht. (Abg. Dr. Pirklhuber: Das soll uns auch zu denken geben!) Und diesen sind Sie die Förderungen neidig? Denken Sie einmal über die Wirklichkeit nach! (Zwischenruf des Abg. Mag. Gaßner.)

Je rascher der Betriebswandel im Weinviertel vor sich geht, desto schneller werden die Betriebe so groß werden wie in der Slowakei, was Sie alle nicht wollen.

Ich sage Ihnen etwas: 38 Prozent Einkommensminus hatten wir im letzten Jahr. Wissen Sie, was das heißt? Wenn wir wieder auf dasselbe Einkommen kommen wollen, brauchen wir heuer ein Plus von 61 Prozent. (Ruf beim BZÖ: Das stimmt!) Wenn uns das wirklich gelingt, dann möchte ich hören, was Sie dazu sagen.

Ich würde mich sehr freuen, wenn alle, die heute dem Grünen Bericht zustimmen, auch dem zustimmen, dass es unser Ziel sein muss, dass im heurigen Jahr für diese Region plus 61 Prozent beim Einkommen herausschauen. (Abg. Dr. Pirklhuber: Das ist jetzt auch populistisch!) Damit die Bauern überhaupt bleiben können, muss es Betriebs­prämien geben, damit Lebensmittel für Sie als Konsumenten weiter billig bleiben, damit die Umwelt erhalten werden kann und damit Sie alle täglich sicher sein können, dass Sie das Beste, das es in Österreich zu essen gibt, auf Ihrem Teller wiederfinden können. (Abg. Dr. Pirklhuber: So einfach geht’s auch nicht, weil die Lagerhäuser können auch nicht mehr zahlen!)

Ich wünsche Ihnen allen mit der österreichischen Landwirtschaft täglich viel Freude! – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

22.17


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Abgeordneter Auer gelangt nun zu Wort. – Bitte.

 


22.17.18

Abgeordneter Jakob Auer (ÖVP): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich würde mir wünschen, dass wir wieder zu etwas mehr Sachlichkeit zurückkommen, Herr Kollege Gaßner. (Zwischenruf bei der SPÖ.)

Es ist bedauerlich – kein Vorwurf –, da hat er recht, dass täglich so viele Betriebe zusperren. Aber vielleicht sollte man ehrlicherweise einen Faktor dazusagen: Wissen Sie, wie viele Hektar Grund täglich verbaut werden durch Straßenbau, durch Eisen­bahn-, durch Wohnbau? (Zwischenruf der Abg. Mag. Brunner.)

Hat irgendjemand hier einmal gesagt, dass seit 1970 bis zum Jahr 2008 die Zahl der Einwohner in Österreich um 900 000 zugenommen hat – Einwohner, die Wohnraum brauchten, die ein Eigenheim gebaut haben? Und sehr oft, meine Damen und Herren, wird der Grund, der für öffentliche Straßenbauten benötigt wird, auch enteignet – nicht


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 251

immer zur Freude der Bauern und Grundbesitzer. (Zwischenruf beim BZÖ.) Daher verlieren viele Bauern auch ihren Grund und Boden und sperren zu. Das sollte man einmal dazusagen.

Vielleicht sollte man auch dazusagen, wie viele Naturschutzgebiete in den letzten 20 Jahren errichtet wurden, die aufgrund anderer Bestimmungen – und nicht zur Freude der Bauern – beschlossen wurden, und wie viele „Natura 2000“-Gebiete seitens der Europäischen Union in Österreich umgesetzt wurden und daher das Wirt­schaften für Bauern deutlich erschwerten, meine Damen und Herren.

Wenn Kollege Vock – und auch ihm sei gesagt: ja, man sollte die Sicht des Natur­schutzes nicht verkennen – dann meint, dass in Österreich Großbetriebe herrschen, dann sollte er einmal eine kurze Reise über Deutschland, Tschechien, Ungarn, Rumänien, Holland oder Dänemark machen, damit er einmal sehen kann, was es heißt, groß zu sein. Dagegen sind österreichische Betriebe Miniaturbetriebe.

Ich zeige Ihnen hier einen Prospekt, in dem eine österreichische Firma voll Stolz verkündet, dass sie einen Auftrag erhalten hat, in einem russischen Betrieb mit 97 500 Stück Schweinen, meine Damen und Herren. (Der Redner zeigt den erwähnten Prospekt.) Da kann man dann von Großbetrieben reden.

Daher: Lassen wir die Kirche wirklich im Dorf! (Beifall bei der ÖVP.)

22.19


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Linder. – Bitte.

 


22.19.25

Abgeordneter Maximilian Linder (ohne Klubzugehörigkeit): Sehr geehrte Frau Prä­sident! Geschätzter Herr Minister! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Heute hat Kol­lege Amon bei der Dringlichen gemeint, dass sich die zwei BZÖ-Abgeordneten nicht abgesprochen hätten. Als ich heute den ersten Redebeitrag von Jakob Auer gehört habe und dann den von Franz Eßl, habe ich mir gedacht, ihr habt euch auch nicht abgesprochen.

Die erste Aussage von Jakob Auer war wirklich, dass er gesagt hat, die kleinen Bauern muss man schützen, muss man halten. Du hast das Beispiel mit dem Tierarzt gebracht, wo du gesagt hast, einmal hinfahren für ein Stück Vieh ist teurer, als wenn er 25 behandelt – und dann geht Franz Eßl herunter und sagt, der kleine Bauer hat gleich viel pro Hektar wie der große. Das kann es nicht sein. Der Herr Minister sagt auch, der Aufwand bei einem Hektar ist derselbe wie bei zehn Hektar. (Abg. Dr. Pirklhuber: Stimmt nicht!)

Liebe Kollegen, das stimmt nicht, denn je größer der Betrieb ist, desto effizienter kann man arbeiten, desto durchorganisierter kann man arbeiten, und das ist unser Problem und dazu sollten wir stehen. Wenn wir die kleinen Bauern schützen wollen, wenn wir sie halten wollen (Abg. Eßl: Selbstverständlich wollen wir die Kleinen schützen!), dann bitte tun wir es auch. Oder wir gehen in die Richtung, dass wir sagen, nein, wir müssen industrialisieren, wir müssen größer werden, damit wir überleben können. (Zwischen­bemerkung von Bundesminister Dipl.-Ing. Berlakovich.)

Nein, Herr Minister, ich bin selbst Bauer und ich weiß, dass ich heute, wenn ich einen halben Hektar oder einen Hektar mähen muss, mehr Aufwand habe, als wenn ich mit einem großen Mähwerk mähen und 40 Hektar auf einmal mähen kann. Ich glaube, das weiß jeder, dass da ein Unterschied ist. (Beifall bei der FPÖ.)

Auch beim Fördersystem haben wir genau dasselbe Problem, dass wir teilweise mit Aufwendungen zu kämpfen haben, die ein kleiner Bauer nicht mehr mitmachen kann.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 252

Der sagt sich irgendwann: Rutsch mir den Buckel hinunter, das mache ich nicht mehr! Ich beantrage das nicht mehr, ich tue es nicht mehr, ich mache es nicht mehr! – Was große Bauern sehr wohl können: Sie können besser organisieren, sind besser durch­organisiert. Ich glaube, hier wäre es notwendig, wenn wir dazu stehen, dass wir eine kleine Landwirtschaft haben wollen, dass wir das verändern. (Ruf: ... Sozialstaat!) Nicht Sozialstaat, nur: Wollen wir die kleinbäuerliche Landwirtschaft haben, dann ändern wir es. Ich glaube, da können wir sehr wohl den Hebel ansetzen, indem wir die Förde­rungen wirklich staffeln (Abg. Grillitsch: Umweltsteuern sind nicht sozial staffelbar!) und sagen, bei kleineren Betrieben eine höhere Hektarstaffel als bei großen Bauern. (Abg. Eßl: Haben wir ja!)

Ich glaube, dass wir einen zweiten Weg hätten, Herr Minister. Genau das, was Sie heute gesagt haben, diese Förderungen, sind ja wirklich Preisstützungen, damit wir den Konsumenten günstige Nahrungsmittel bieten können. Vielleicht sollten wir ver­stärkt dafür Werbung machen, vielleicht sollten wir noch stärker versuchen, den Konsumenten das zu erklären, dass die Produkte gestützt sind.

Wenn ich zu den Preisen komme, fällt mir immer wieder Helmut Petschar, der Chef der österreichischen Milchverarbeiter ein. Er erklärt, 200 Milliliter Katzenmilch gibt es um 99 Cent, das heißt, der Liter Katzenmilch kostet 5 € – und der Liter Trinkmilch 95 Cent. Ich glaube, da müssen wir den Hebel ansetzen und den Konsumenten erklären, dass die Förderungen in diese Richtung gehen.

Ein Letztes von meiner Seite: Ich glaube wirklich, es muss uns gelingen, die 75 000 € Förderobergrenze einzuziehen und aber heute schon den jungen Bauern zu erklären, dass es nach 2013 weitergeht. So wie du, Kollege Gaßner, gesagt hast: Wir wollen es wissen, die brauchen die Information! Heute beginnt das Zusperren. (Abg. Mag. Gaßner: Das wird toleriert!) Der sagt heute schon: Wer weiß, was nach 2013 sein wird? Ich höre heute auf zu investieren und gehe heute schon einem anderen Beruf nach. – Deshalb, Herr Minister: Informieren wir heute! Bekennen wir uns heute dazu, dass wir eine Obergrenze einziehen, damit die Kleinen wissen, dass sie weiter­hin einen Betrag bekommen werden. Ich glaube, so können wir wirklich für die kleinstrukturierte Landwirtschaft etwas tun und sie weiterhin erhalten. (Beifall bei FPÖ und BZÖ. – Abg. Grillitsch: Sozial strukturiert!)

22.23


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Abgeordneter Dr. Pirklhuber kommt zu Wort. – Bitte. (Abg. Grillitsch: Wie viel Redezeit hat er? – Abg. Huber: 2 Minuten!)

 


22.23.39

Abgeordneter Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Pirklhuber (Grüne): Der Herr Bundesminister hat meiner Ansicht nach in dieser Debatte zum Grünen Bericht nicht klarmachen kön­nen, was seine Kernstrategie in den Verhandlungen ist, die eigentlich jetzt schon laufend auf europäischer Ebene geführt werden.

Einige der Vertreter der ÖVP sind in den höchsten Gremien federführend mit dabei. Auch diese Vertreter, wie der Kollege Molterer, haben hier nicht die Möglichkeit genützt, uns über diese Gespräche zu informieren. (Zwischenruf des Abg. Mag. Molterer.) Ich danke dem Kollegen Gaßner für die ganz einfachen Wordings, die sich auf das Regierungsübereinkommen bezogen. (Abg. Grillitsch: ... Bauernbund­opposition!) Sie haben nur den Koalitionspartner erinnert, was dort steht. Wir als Oppositionsabgeordnete sind überrascht, dass Sie so wenig miteinander kommunizie­ren, um diese Dinge, die Sie einmal festgeschrieben haben, auch in irgendwie reelle Politik hineinzugießen.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 253

Wir von der Opposition, Kollege Grillitsch, sind sehr wohl bereit, einen nationalen Konsens in dieser Sache zu gehen, wenn es eine offene, transparente politische Debatte im Ausschuss gibt. Ich erwarte mir, Kollege Auer, dass im nächsten Land­wirtschaftsausschuss am 25. November diese Papiere endlich auf den Tisch kommen. (Abg. Grillitsch: Der Gaßner hat sie schon!) Dann können wir wirklich über Fakten reden und endlich aus einer polemischen Debatte zu den Themen der Zukunft kommen.

Der EU-Kommissar hat ganz klar gesagt, es soll eine Basisprämie geben im Optionenpapier, das für Kleinbetriebe gut ist, und es wird eine Obergrenze geben. Also, Verteilungsgerechtigkeit ist eines der zentralen Themen der Zukunft der GAP. Da stehen wir dahinter, und das ist auch die europäische Position. Deshalb wundert es mich, dass das für die ÖVP überhaupt keine Bedeutung hat. Das finde ich komisch, schade und eigentlich nicht dem derzeitigen Stand der Diskussion entsprechend. (Beifall bei den Grünen. – Ruf bei der ÖVP: Jetzt jammert’s nicht immer!)

22.25


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Jannach. – Bitte.

 


22.25.32

Abgeordneter Harald Jannach (FPÖ): Frau Präsidentin! Herr Minister! Wenn man die Debatte verfolgt, dann, muss man sagen, ist im Grunde die Front klar: Da gibt es die Bewahrer dieses Systems, das unserer Ansicht nach absolut ungerecht ist, und da sind wir auf SPÖ-Seite: Wir brauchen eine Förderobergrenze, die nicht, so wie der Herr Minister gesagt hat, bei 800 000 € im Jahr liegt, sondern bei maximal 75 000 €, viel­leicht 100 000 €, aber nicht darüber, denn das ist durch nichts zu rechtfertigen.

Was mich heute aber besonders enttäuscht hat, ist, dass wir zum wiederholten Mal von Ihnen, Herr Minister, nichts darüber gehört haben, was Sie konkret gegen dieses 30-prozentige Einkommensminus, das der Grüne Bericht vorgelegt hat, unternehmen wollen. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesminister Dipl.-Ing. Berlakovich: Sie haben nicht einmal zugehört und stellen sich hier her?!) Kein anderes Ministerium, keine Interes­senvertretung würde sich so etwas in dieser Form gefallen lassen, dass man hier im Ministerium und im Bauernbund sitzt, die Hände verschränkt und zusieht, quasi nach dem Motto: Ein 30-prozentiges Einkommensminus, das muss man akzeptieren, da kann man nichts machen.

Mein dringender Appell an die SPÖ: Bitte die Agrarpolitik aus dem Koalitionsüber­einkommen herausnehmen, in den koalitionsfreien Raum stellen und mit uns eine ordentliche Agrarpolitik machen. 30 000 Bauern in zehn Jahren weniger, das kann keine erfolgreiche Agrarpolitik sein. (Beifall bei der FPÖ.)

Noch eine kurze Bemerkung: Der Herr Minister hat erwähnt, es gäbe diese vielen Bio­betriebe in Österreich. – Die gäbe es nicht, wenn es nicht die Förderungen für diese Flächen gäbe. Das allein zeigt die Widersinnigkeit dieses Systems: Die Landwirte machen heute nur mehr etwas, weil sie dafür die Förderungen bekommen. (Zwi­schenruf bei der ÖVP.) Wenn ich ein Biobetrieb werden will, dann werde ich das aus Überzeugung. Aber die großflächigen Gutsbesitzer, die Adeligen machen deswegen einen Biobetrieb, weil dort die Förderung am höchsten ist. (Zwischenruf der Abg. Höllerer.) Da geht es nicht um Überzeugung, da geht es rein um Abkassieren von unglaublichen Fördersummen.

Dagegen müssen wir uns alle wehren. Das ist vor der restlichen Bevölkerung nicht zu rechtfertigen. Eine Förderobergrenze mit 75 000 €, vielleicht mit 100 000 € – aber dann muss Schluss sein! (Beifall bei der FPÖ sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

22.27

22.27.30

 



Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 254

Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Es ist hiezu niemand mehr zu Wort gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Der Herr Berichterstatter wünscht kein Schlusswort.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Land- und Forstwirtschaft, den vorliegenden Bericht III-179 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für dessen Kenntnisnahme eintreten, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist einstimmig angenommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Brunner, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Grüner Bericht 2010 und die damit zusammenhängenden Empfehlungen des 9. Umweltkontrollberichtes“.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Huber, Kolleginnen und Kollegen betreffend Herausgabe des Strategieplanes „Natio­nale Schwerpunktsetzung und Gestaltungsspielräume“ durch den Landwirtschafts­minister.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen.  – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

22.29.1113. Punkt

Bericht des Ausschusses für Land- und Forstwirtschaft über den An­trag 488/A(E) der Abgeordneten Gerhard Huber, Kolleginnen und Kollegen betreffend Österreich als gentechnikfreie Modellregion (941 d.B.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir gelangen zum 13. Punkt der Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Als Erster kommt Herr Abgeordneter Jannach zu Wort. – Bitte. (Zwischenruf. – Der an das Rednerpult tretende Abg. Jannach: Ja, das ist leider in der Rednerreihenfolge so eingeteilt, da habe ich keinen Einfluss darauf!)

 


22.29.34

Abgeordneter Harald Jannach (FPÖ): Wir werden dem Antrag von Gerhard Huber vom BZÖ zustimmen, wobei wir wissen, dass Österreich bereits gentechnikfrei im Anbau ist. Das ist ein gemeinsames Interesse von uns und wir sind sehr froh, dass das so ist. Wir haben bereits diese Anbauverbote für die Gentechnik.

Was wir allerdings auf europäischer Ebene brauchen würden, das wäre eine klare und verbindliche Haftung der Hersteller von gentechnikverändertem Saatgut, dass sie für diese Produkte, die sie produzieren, auch haften und im Schadensfall von den Bürgern oder von den einzelnen Staaten zur Verantwortung gezogen werden. (Abg. Ing. Schultes: Das ist in Österreich geltendes Recht!)

Problematisch finden wir aber trotzdem die Einfuhr von 500 000 bis 600 000 Tonnen Sojaschrot in Österreich, denn das ist zu 90 Prozent gentechnisch verändert und indiskutabel für uns.

Jetzt komme ich zu einem Debattenbeitrag, der früher schon gekommen ist, betreffend dieses „gentechnikfrei“-Siegel, das der Gesundheitsminister will, aber das Landwirt­schaftsministerium im Grunde blockiert. Hier sind wir klar der Meinung, dass wir ein „gentechnikfrei“-Gütezeichen einfach und unproblematisch machen können. Der Herr


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 255

Minister hat im Ausschuss vorgeschlagen, dass er zuerst ein paar Studien und Gut­achten darüber bringen will. Ich frage mich, warum man eine Studie und ein Gutachten für ein Produkt braucht, wenn man „gentechnikfrei“ draufschreibt. Man braucht allenfalls Kontrollen – man muss das kontrollieren, dass da nichts drinnen ist –, aber man braucht keine Studie. Wenn ein Produkt gentechnikfrei ist, dann weiß ich nicht, was man da mit einer Studie erreichen soll. Unser Wunsch wäre es natürlich, dass wir uns endlich auf dieses Gütezeichen einigen könnten. Leider gibt es auch da, wie im Landwirtschaftsbereich, verstärkt keinen Zusammenhalt oder keine Einigkeit zwischen den Koalitionspartnern. Hier haben wir das auch nicht.

Zum AMA-Gütesiegel möchte ich sagen: Das AMA-Gütesiegel ist zweifellos eines der bekanntesten Gütezeichen in Österreich. Aber das AMA-Gütesiegel täuscht unserer Ansicht nach den Konsumenten auch etwas vor (Beifall des Abg. Huber), das es nicht beinhaltet (Abg. Steindl: Wer sagt das? – Zwischenruf der Abg. Höllerer.)

Das AMA-Gütesiegel sagt nämlich nichts über Gentechnikfreiheit aus. Wenn das AMA-Gütesiegel auf einem Produkt drauf ist, dann nimmt der Konsument das an, dass das so sein sollte. Das ist aber nicht so. (Abg. Höllerer: Das ist unwahr!) Frau Höllerer, das ist nicht der Fall! Es wird dem Konsumenten suggeriert: AMA-Gütezeichen – gentechnikfrei. Das aber (neuerlicher Zwischenruf der Abg. Höllerer) ist nicht der Fall. Hier wird bewusst getäuscht.

Deswegen bräuchten wir ein „gentechnikfrei“-Zeichen. Das AMA-Gütesiegel trifft keine Aussage, ob oder ob nicht mit deklarationspflichtigem Sojaschrot Rinder gefüttert wurden. Hier brauchen wir ein klares Zeichen. (Beifall bei der FPÖ.)

Im Übrigen ein Beispiel aus der Praxis – ich bin ja auch Landwirt –: Sie dürfen – nur zur Erläuterung für einige – gentechnisch veränderten Sojaschrot füttern und gentech­nikfreien Sojaschrot verfüttern. Für Milchbetriebe gilt ein absolutes Verbot von gen­technisch verändertem Sojaschrot. Wenn Sie aber einen gemischten Betrieb haben, wo Sie Rinder mästen und Milch produzieren, dann können Sie sowohl diesen gen­technisch veränderten Sojaschrot als auch den gentechnikfreien am Hof lagern. Sie können aber nicht kontrollieren, ob der Landwirt Jannach jetzt aus dem Häfen mit dem gentechnisch veränderten Sojaschrot seine Milchkühe füttert oder ob er das nur den Tieren zur Mast gibt. Hier haben wir eine absolute Kontrolllücke, weil Sie es nicht kontrollieren können. (Abg. Ing. Schultes: Beim Jannach wäre ich mir auch nicht so sicher!) Ich habe keine Rinder mehr (Abg. Grillitsch: Ist eh gescheiter!), aber: Sie können in der Milch nicht nachweisen, ob Sie mit gentechnisch veränderten Soja gefüttert haben oder nicht. Sie können es auch im Fleisch nicht nachweisen. (Abg. Hornek: Auch das wäre ein Schmäh!)

Wir bräuchten eine klare Regelung, dass nur gentechnikfreies Soja – allenfalls, wenn es nicht verfügbar ist, Ersatzstoffe – in der Fütterung verwendet werden darf. Das wäre unser Wunsch. Aber der größte Wunsch ist, dieses „gentechnikfrei“-Zeichen auf Basis einer Einigung zwischen dem Landwirtschaftsministerium und dem Gesundheits­minis­terium endlich umzusetzen – relativ einfach, relativ billig, aber relativ übersichtlich für den Konsumenten. (Beifall bei der FPÖ.)

22.34


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Abgeordneter, ich bin ein bisschen ver­wirrt. An und für sich wäre da noch ein Antrag gewesen. Der ist aber jetzt nicht eingebracht worden. (Ruf bei der ÖVP: Brauchen wir nicht!) – Ich sage es nur.

Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Grillitsch. – Bitte.

 



Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 256

22.34.39

Abgeordneter Fritz Grillitsch (ÖVP): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Herr Kollege Jannach! Nur eine Richtigstellung: Niemand von uns hat behauptet, dass das AMA-Gütezeichen Gentechnikfreiheit anzeige, sondern da ist leider der Arbeiterkam­mer – bewusst oder unbewusst – etwas passiert. Die hat nämlich suggeriert, das AMA-Gütezeichen würde Gentechnikfreiheit beinhalten. Das ist nicht so, sondern wenn Sie Gentechnikfreiheit haben wollen, auch in der Fütterung, dann braucht man das AMA-Biogütezeichen. Das ist dann alles absolut gentechnikfrei, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. Also immer schön bei der Wahrheit bleiben.

Ich möchte es aber ganz kurz machen. Ich möchte mich insbesondere beim Minister Berlakovich bedanken, dass Österreich in Wahrheit wirklich eine gentechnikfreie Modell­region bereits ist, denn in Österreich ist der Anbau gentechnikfrei. – Herr Bun­desminister, das ist ein großes Verdienst. Danke für deinen Einsatz, auch auf euro­päischer Ebene!

Gehen Sie diesen Weg mit und versuchen wir nicht ständig, durch neue Gütezeichen­diskussionen, wie es auch Herr Minister Stöger macht, die Konsumenten zu verunsichern (Abg. Mag. Gaßner: Unglaublich, was er erzählt!), sondern stärken wir die bestehenden Gütezeichen, dann sind wir auf einem erfolgreichen Weg. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenruf des Abg. Dr. Pirklhuber.)

22.35


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Dr. Pirkl­huber. – Bitte.

 


22.35.54

Abgeordneter Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Pirklhuber (Grüne): Jetzt bin ich auch wirklich schockiert, muss ich ehrlich sagen. Herr Kollege Grillitsch, Sie haben sich noch nie die AMA-Homepage angeschaut. Sie haben noch nie einen Werbespot in Zeitungen gelesen oder im Radio gehört, in dem das AMA-Gütesiegel mit „100 Prozent gentech­nikfreier Milch“ in der Werbung sehr wohl vorgekommen ist und vorkommt, und zwar das AMA-Gütesiegel. Also ich bin schockiert, dass Sie keine Ahnung haben, was eigentlich am Markt passiert. (Beifall bei den Grünen.)

Selbstverständlich stimmt es: Das Biozeichen gibt es, das ist gentechnikfrei, hundert­prozentig – aber das Gütesiegel nicht. Das ist ein Faktum, das weiß jeder, das ist korrekt. Jeder, der das hört, ... (Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Okay.

Also, worum geht es bei dieser Sache „Modellregion gentechnikfreies Österreich“? Wir unterstützen auch diesen Antrag, weil wir glauben, nicht nur im Anbau müssen wir gentechnikfrei sein, sondern in der gesamten Lebensmittel- und Wertschöpfungskette im Lebensmittelbereich. Das ist die große Herausforderung auch im Rahmen der GAP-Reform. Gentechnikfreie Qualitätsproduktion mit gentechnikfreien Futtermitteln, das ist die Chance für Europa, denn damit können wir auch WTO-konform eine europäische Eiweißfuttermittelproduktion aufbauen. Sojaanbau gentechnikfrei in Europa, statt Überschüsse, die die Märkte zerstören, die Preise ruinieren.

Daher bringe ich folgenden Antrag ein (Abg. Ing. Schultes: Das ist der freiheitliche!):

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Pirklhuber, Kolleginnen und Kollegen betreffend Kennzeich­nungs­pflicht für Lebensmittel von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln ernährt wurden

Der Nationalrat wolle beschließen:


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 257

Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung werden ersucht,

1. sich für eine Anpassung der EU-Verordnung 1829/2003 hinsichtlich der Kennzeich­nung tierischer Lebensmittel dahin gehend einzusetzen, dass auch Produkte von Tieren (wie zum Beispiel Fleisch, Milch und Eier), die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln ernährt wurden, kennzeichnungspflichtig werden,

2. sich für EU-weit geeignete Rahmenbedingungen einzusetzen, damit ein ausreich­endes Angebot von gentechnikfreien Futtermitteln zur Verfügung steht, sowie den Aufbau einer Logistik zu fördern, welche die Lagerung und Kontrolle von Handels­strömen für gentechnikfreie Futtermittel sicherstellt,

3. in Österreich verstärkt Markenprogramme zur Auslobung gentechnikfreier Produkte auch im Fleischbereich zu unterstützen und eine Informationsoffensive über gentech­nikfreie Lebensmittel umzusetzen.

*****

Meine Damen und Herren! Das ist ein konkreter Antrag, wie wir hier in diesem sensiblen Bereich der Lebensmittelproduktion weiterkommen. Das ist auch eine Stoß­richtung, die der Gesundheitsminister Stöger mit einem bundeseinheitlichen, staat­lichen Gütesiegel für gentechnikfreie Produkte bisher vorbereitet hat, das wir sehr begrüßen und wo wir uns auch erwarten würden, dass Sie, sprich die ÖVP  die SPÖ steht ja, nehme ich an, hundertprozentig hinter ihrem Minister –, in dieser Sache endlich auch die Blockade beenden. (Abg. Mag. Gaßner: Taktisch klug, aber nicht möglich!)

Herr Bundesminister! Sie haben ja angedeutet, dass Sie ohnedies miteinander Gespräche führen. Die sollten Sie rasch zu Ende führen, damit wir so ein Gütesiegel für gentechnikfreie Produkte staatlich anerkannt in Österreich haben. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

22.39


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Der soeben eingebrachte Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt und steht mit in Verhandlung.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Pirklhuber, Freundinnen und Freunde betreffend Kennzeich­nungspflicht für Lebensmittel von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Futter­mitteln ernährt wurden

eingebracht im Zuge der Debatte über Bericht des Ausschusses für Land- und Forst­wirtschaft über den Antrag 488/A(E) der Abgeordneten Gerhard Huber, Kolleginnen und Kollegen betreffend Österreich als gentechnikfreie Modellregion, 941 d.B., (TOP 13 der Tagesordnung)

Seit April 2004 müssen entsprechend der EU-Verordnung 1829/2003 Futtermittel, die aus gentechnisch veränderten Pflanzen hergestellt werden, als solche gekennzeichnet werden, wenn deren Ausgangsstoffe zu mehr als 0,9 Prozent aus gentechnisch veränderten Produkten bestehen. Von der Kennzeichnungspflicht ausgenommen sind jedoch die tierischen Erzeugnisse wie Fleisch, Milch und Eier von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert werden.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 258

Eine kontrolliert gentechnikfreie Erzeugung ist ein besonderes Qualitätsmerkmal, das der Erwartung der überwiegenden Mehrheit der KonsumentInnen nach hochwertigen Lebensmitteln voll entspricht. Dass Gentechnik-Freiheit in großem Rahmen auch der­zeit noch machbar ist, zeigt die Entscheidung von Betrieben der österreichischen Lebensmittelbranche wie Molkereien, Schlachtbetriebe, Lebensmittelhandelsketten, nur mehr Produkte in kontrolliert gentechnikfreier Qualität anzubieten. Dem Wunsch der KonsumentInnen nach einer klaren Kennzeichnung gentechnisch veränderter Pro­dukte wird jedoch in der EU-weit gültigen Kennzeichnungsregelung nicht Rechnung getragen.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung werden ersucht,

1. sich für eine Anpassung der EU-Verordnung 1829/2003 hinsichtlich der Kenn­zeichnung tierischer Lebensmittel dahingehend einzusetzen, dass auch Produkte von Tieren (wie z.B. Fleisch, Milch und Eier), die mit gentechnisch veränderten Futter­mitteln ernährt wurden, kennzeichnungspflichtig werden

2. sich für EU-weit geeignete Rahmenbedingungen einzusetzen, damit ein aus­reichendes Angebot von gentechnikfreien Futtermitteln zur Verfügung steht sowie den Aufbau einer Logistik zu fördern, welche die Lagerung und Kontrolle von Handels­strömen für gentechnikfreie Futtermittel sicherstellt

3. in Österreich verstärkt Markenprogramme zur Auslobung gentechnikfreier Produkte auch im Fleischbereich zu unterstützen und eine Informationsoffensive über gentech­nik­freie Lebensmittel umzusetzen.

*****

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Schopf. – Bitte.

 


22.39.14

Abgeordneter Walter Schopf (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolle­ginnen! Liebe Kollegen! Zum Antrag des Kollegen Huber vom BZÖ gleich vorweg: Es wird hiezu von unserer Fraktion keine Zustimmung geben. (Abg. Huber: Echt?!)

Nicht, weil der Antrag schlecht ist, im Gegenteil: Es gibt darin viel Gutes, und er ist auch wichtig. (Demonstrativer Beifall des Abg. Huber.)

Kollege Huber, wir haben diesen Antrag ja bereits zweimal behandelt und zweimal beschlossen. Du warst unter anderem auch selbst ein Antragsteller. Das ist der Grund, warum wir diesbezüglich keine Zustimmung zu diesem Antrag geben.

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte auch noch ein paar Sätze zum Grünen Bericht sagen, insbesondere dazu, was die §-7-Kommission empfiehlt. Aufgabe der §-7-Kommission ist es, Empfehlungen für den zuständigen Minister abzugeben, was letztendlich der Weiterentwicklung der Land- und Forstwirtschaft im kommenden Jahr dient.

Von diesen Empfehlungen ist für mich beziehungsweise für meine Fraktion die „Empfehlung 1“ von größter Bedeutung und am wichtigsten. Ich zitiere:


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 259

„Nach Auslaufen der derzeitig geltenden Pensionsregelung für Langzeitversicherte (‚Hacklerregelung‘) möge dafür Sorge getragen werden,“ – nämlich vom Minister – „dass für die bäuerlichen Versicherten“ – ich nehme an, auch für die Versicherten im ASVG-System – „– im Gleichklang mit den übrigen Systemen – eine entsprechende Nachfolgeregelung geschaffen wird, um Versicherten bei Vorliegen von 45 Beitrags­jahren einen vorzeitigen Pensionsantritt zu ermöglichen.“

Herr Minister, ich frage Sie konkret: Wie gehen Sie mit dieser Empfehlung um und was gedenken Sie zu tun? – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

22.41


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Huber. – Bitte. (Oje-Ruf des Abg. Grillitsch. – Abg. Huber – auf dem Weg zum Rednerpult –: „Oje“?)

 


22.41.20

Abgeordneter Gerhard Huber (BZÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundes­minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Neuerlicher Zwischenruf bei der ÖVP.) – Die ÖVP schreit schon wieder. Bitte protokolliert das! – Jetzt hätten wir die Chance, wirklich einmal eine Modellregion in ganz Europa zu werden. (Abg. Grillitsch: Sind wir ja schon! Das haben Sie verschlafen!) Doch was macht ihr?! – Es ist wirklich unglaublich!

Wenn wir heute wirklich auf den Import von gentechnisch verseuchten Futtermitteln verzichten würden, dann würde Österreich der Feinkostladen Europas werden. Das, was euer Kollege Fischler, mein Landsmann, einmal gepredigt hat, könnten wir wirklich werden. (Zwischenruf des Abg. Mag. Molterer: Das sind wir!) Das könnten wir werden, aber das sind wir bei Weitem nicht! Unsere Preise bei Milch liegen um 60 Prozent unter jenen in Italien und bei Fleisch um 55 Prozent unter jenen in Italien. Aber der ehemalige Landwirtschaftsminister, Kollege Molterer, schreit hier heraus: „Das sind wir!“

Das Gegenteil ist der Fall! Eine Tragödie ist das, auch auf dem Getreidemarkt. Wenn wir auf den Import von gentechnisch verseuchtem Getreide verzichten würden, dann würden wir auf dem Getreidemarkt sofort Steigerungen erzielen. Vielen Bauern wäre damit geholfen. Wir könnten dann auch Förderungen einsparen. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Hören Sie zu! – Auch Ölfrüchte können wir selber genug anbauen. Aber nein, um die Gewinne des „lieben“ Raiffeisen-Lagerhauses in die Höhe zu treiben, müssen wir 600 000 Tonnen gentechnisch verseuchten Futters importieren. (Neuerliche Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Sie nehmen in Kauf, dass die ganzen Regenwälder in Brasilien, dass im ganzen Urwald abgeholzt wird. Dort bauen die Konzerne Monsanto und Bayer auf Tausenden Hektar gentechnisch verseuchte Futtermittel an und brauchen dazu viel mehr Wasser, als man für den herkömmlichen Anbau braucht. Und diese Futtermittel importieren wir. Nach neun Jahren ist dort Wüste. Und was haben wir davon?

Das kann ich euch sagen: Es gibt heute sehr viele Studien darüber, warum so viele Kinder heute an Allergien leiden. Was meint ihr, warum? Ich werde euch einmal ein paar neueste Studien zukommen lassen. Wie ihr das mit eurem Gewissen vereinbaren könnt, ist wirklich ein Wahnsinn! (Beifall beim BZÖ.)

Und was macht unser Herr Bundesminister? – Anstatt sich für eine wahre Modellregion einzusetzen, fungiert er als Fotomodell und lacht aus den Zeitungen heraus und meint, mit einer schönen Krawatte für die Bauern glaubwürdig zu sein. Dafür werden Gelder hinausgeschmissen, anstatt Politik für Österreich zu machen.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 260

Wenn wir in Österreich diese gentechnisch verseuchten Futtermittel verbieten, dann wird es mit uns aufwärtsgehen. Die EU kann uns ruhig klagen, die EU kann uns ruhig nachweisen, dass diese Futtermittel nicht gesundheitsschädlich sind. Jedes Verfahren werden wir gewinnen, absolut jedes.

Nun zum AMA-Gütesiegel: Weißt du, Kollege Grillitsch, was die Bauern sagen? – Die Bauern sagen: Wo „AMA“ draufsteht, ist die ÖVP mit dem Grillitsch drinnen! (Heiterkeit und Beifall beim BZÖ.)

22.44


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Linder. – Bitte.

 


22.44.46

Abgeordneter Maximilian Linder (ohne Klubzugehörigkeit): Sehr geehrte Frau Präsi­dentin! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Zum Fütterungsverbot für gentechnisch veränderte Futtermittel: Leider haben 2007 die EU-Umweltminister das Importverbot für Genmais aufgehoben. Jetzt hören wir die ersten Berichte über resistente Unkräuter, die mittels Gentechnik verändert worden sind.

Herr Minister! Ich glaube, wir werden keine Chance haben gegen die großen Acker­baubetriebe, gegen die großen Ackerbaugebiete in Europa.

Ich sage daher: Nützen wir die Chance, positionieren wir uns als gentechnikfreie Zone, als gentechnikfreie Modellregion Österreich! Ich glaube, das wäre eine Chance für uns österreichische Bauern. Gehen wir diesen Schritt! Erklären wir uns als gentechnikfreie Zone! Vielleicht haben wir dann gegen die großen Ackerbaugebiete eine Chance und hätten mehr Möglichkeiten für unsere Landwirte. (Beifall bei der FPÖ sowie des Abg. Dr. Pirklhuber.)

22.45


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundesminister Dipl.-Ing. Berlakovich gelangt nun zu Wort. – Bitte.

 


22.45.54

Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Nikolaus Berlakovich: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine sehr geehrten Abgeordneten, weil Sie wiederholt eine gentechnikfreie Zone Österreich fordern: Österreich ist gentechnikfrei im Anbau, war es und wird es auch bleiben. Dafür kämpfe ich, und das habe ich auch auf der europäischen Ebene veranlasst.

Die Europäische Union sagt, es muss eine Gentechniklandwirtschaft geben, es muss eine sogenannte Koexistenz zwischen Bio-, konventioneller und GVO-Landwirtschaft geben. Damit das nicht passiert, haben wir die auf europäischer Ebene zugelassenen GVO-Sorten in Österreich mit einem Anbauverbot belegt. Es kann die Kommission – und so war es im März des vergangenen Jahres zum vierten Mal – den Antrag stellen, diese nationalen Anbauverbote, die nicht nur wir haben, sondern die zum Beispiel auch Ungarn hat, zu kippen, und man muss jedes Mal nicht eine einfache Mehrheit, sondern eine qualifizierte Mehrheit von 75 Prozent der gewichteten Stimmen erhalten. Im März 2009 ist es mir gelungen – damals zum vierten Mal – das Anbauverbot zu verteidigen.

Das kann nicht das gemeinsame Europa sein, dass Europa uns vorschreibt, was wir auf unseren Feldern anbauen. Ich habe damals die Initiative „Selbstbestimmungsrecht in der Frage der Gentechnik“ gestartet. Es haben mich einige Mitgliedstaaten dabei unterstützt. Und bei der Beantragung im Juni 2009 haben viele gesagt, wie zum


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 261

Beispiel Deutschland: Sie haben in ein Wespennest gestochen, Sie werden damit nicht durchkommen! Das Vereinigte Königreich hat gesagt, es ist gegen die WTO-Regeln.

Jedenfalls war der große politische Erfolg dieser Initiative, die mit vielen Staaten, die aus einem breiten Parteienspektrum kamen – das waren nicht nur konservative Staaten, sondern beispielsweise auch Holland; die sozialdemokratische Umweltminis­terin hat mich damals dort unterstützt –, ergriffen wurde, dass das die neue Kom­mis­sion nach der Europawahl übernommen hat. Barroso hat diese Initiative Österreichs zur Selbstbestimmung in der Gentechnik übernommen.

Wir sind sehr froh darüber, ich freue mich darüber, und es liegt jetzt an der Kommis­sion, das auch rechtlich durchzusetzen. EU-Gesundheitskommissar Dalli hat in der Kommission beantragt, dass sich Regionen als gentechnikfrei erklären können – Österreich ist eine solche – und dass das Ganze auch rechtlich abgesichert werden muss, und zwar, indem die EU-Freisetzungsrichtlinie geändert wird.

Dazu gibt es jetzt Diskussionen. Es hat im Agrarministerrat und im Umweltministerrat eine solche gegeben. Da gibt es nach wie vor unterschiedliche Standpunkte. Der Ball liegt jetzt bei der Europäischen Kommission, es liegt an ihr, dass diese rechtliche Absicherung auch getroffen wird. Österreich wird sie dabei unterstützen, denn wir wollen auch in Zukunft im Anbau gentechnikfrei bleiben. Das will unsere Landwirtschaft, das wollen aber auch unsere Konsumentinnen und Konsumenten.

Das ist das Ziel unserer heimischen Agrarpolitik, und dafür setze ich mich auch weiterhin auf europäischer Ebene ein! – Herzlichen Dank. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

22.48


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Jannach. – Bitte.

 


22.48.58

Abgeordneter Harald Jannach (FPÖ): Frau Präsidentin! Herr Minister! Frau Präsidentin, herzlichen Dank, dass Sie mich erinnert haben, dass wir einen Ent­schließungs­antrag einbringen wollen betreffend die Errichtung gentechnikfreier Schutz­zonen in Österreich. Das wird hiermit nachgeholt. Darin geht es um Schutzzonen, die wir, um die Koexistenz gewährleisten zu können, haben wollen. (Abg. Grillitsch: In Kärnten?) Nicht nur in Kärnten, sondern österreichweit.

Ich bringe folgenden Entschließungsantrag ein:

 Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung und insbesondere der Bundesminister für Land- und Forst­wirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft werden aufgefordert, insbesondere zum Schutz der österreichischen Bevölkerung umfangreiche Schutzzonen rund um Bio-Landwirtschaftsbetriebe, Bienenstöcke und Naturschutzgebiete einzurichten, innerhalb derer der Einsatz von Gentechnik völlig ausgeschlossen ist.“

*****

Nochmals herzlichen Dank, Frau Präsidentin, für die Erinnerung. Das ist der Antrag. (Beifall bei der FPÖ.)

22.49


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Der Entschließungsantrag ist somit eingebracht und steht mit in Verhandlung.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 262

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Ing. Hofer und weiterer Abgeordneter betreffend Errichtung gen­technik­freier Schutzzonen in Österreich

eingebracht in der 81. Sitzung des Nationalrates, XXIV. GP, am 21. Oktober 2010 im Zuge der Behandlung von TOP 13, Bericht des Ausschusse für Land- und Forst­wirtschaft über den Antrag 488/A(E) der Abgeordneten Gerald Huber, Kolleginnen und Kollegen betreffend Österreich als gentechnikfreie Modellregion (941 d.B.)

Bulgarien hat mit neuen Schutzbestimmungen rund um Bienenstöcke, Naturschutz­gebiete und Bio-Anbauflächen eine landesweite Gentechnikfreiheit erreicht und bleibt damit trotz anderslautender Richtlinien aus Brüssel auch künftig gentechnikfreie Zone.

Weil ein generelles Verbot von gentechnisch veränderten Organismen nach euro­päischem Recht nicht zulässig ist, gibt es künftig um jeden einzelnen Bienenstock im Land einen Schutzradius von zehn Kilometern ohne Gentechnikanbau. Auch im Umkreis von sieben Kilometern von einer Bio-Landwirtschaft dürfen keine gentech­nisch veränderten Organismen angebaut werden. Und rund um Naturschutzgebiete gilt sogar ein entsprechender Radius von 30 Kilometern. Die verantwortlichen bulgarischen Politiker sind zufrieden mit dieser Entscheidung, die letztendlich auf Druck der Bürger zustande gekommen ist.

Die österreichische Bevölkerung steht der Gentechnik sehr skeptisch gegenüber und lehnt diese großteils ab. Der Einsatz von gentechnisch veränderten Organismen in der Land- und Forstwirtschaft wird ausnahmslos abgelehnt. Die Auswirkungen genetisch veränderter Produkte im tierischen und menschlichen Körper, sowie im gesamten Ökosystem sind völlig unbekannt und nicht vorhersehbar.

Auch der österreichische Nationalrat fasste wiederholt Entschließungen gegen den Einsatz von Gentechnik in Österreich, letztmalig am 25.3.2010, wo sich alle 5 Fraktionen einstimmig gegen den Anbau für die Gentechnik-Kartoffel „Amflora" von BASF ausgesprochen haben.

Aus diesen Gründen stellen die unterfertigten Abgeordneten daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung und insbesondere der Bundesminister für Land- und Forstwirt­schaft, Umwelt und Wasserwirtschaft werden aufgefordert, insbesondere zum Schutz der österreichischen Bevölkerung umfangreiche Schutzzonen rund um Bio-Landwirt­schaftsbetriebe, Bienenstöcke und Naturschutzgebiete einzurichten, innerhalb derer der Einsatz von Gentechnik völlig ausgeschlossen ist.“

*****

22.49.10

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Kein Schlusswort seitens des Herrn Berichterstatters.

Wir gelangen nun zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Land- und Forstwirtschaft, seinen Bericht 941 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 263

Ich bitte jene Damen und Herren, die dazu ihre Zustimmung geben, um ein ent­sprechendes Zeichen. – Der Antrag wird mit Mehrheit angenommen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Pirklhuber, Kolleginnen und Kollegen betreffend Kennzeichnungspflicht für Lebens­mittel von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln ernährt wurden.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir gelangen weiters zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abge­ordneten Ing. Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Errichtung gentechnikfreier Schutzzonen in Österreich.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist wiederum die Minderheit. Der Antrag ist abge­lehnt.

22.51.2014. Punkt

Bericht des Umweltausschusses über den Antrag 1280/A(E) der Abgeordneten Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend sofortige Stilllegung von Isar 1 (925 d.B.)

15. Punkt

Bericht des Umweltausschusses über den Antrag 1043/A(E) der Abgeordneten Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend keine Betriebsverlän­gerung für Isar 1 (926 d.B.)

16. Punkt

Bericht des Umweltausschusses über den Antrag 1188/A(E) der Abgeordneten Mag. Rainer Widmann, Kolleginnen und Kollegen betreffend Euratom-Ausstieg Österreichs (927 d.B.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir gelangen nun zu den Punkten 14 bis 16 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem durchgeführt wird.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster gelangt Herr Abgeordneter Neubauer zu Wort. – Bitte. (Abg. Neubauer stellt, am Rednerpult angelangt, ein Foto von einem AKW mit der Aufschrift „Deutsch­lands Atomkraftwerke gefährden Österreich! Greenpeace.“ auf das Rednerpult.)

 


22.52.04

Abgeordneter Werner Neubauer (FPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehr­ter Herr Bundesminister! Ich muss feststellen, dieses Land befindet sich derzeit in einer unglaublichen Geiselhaft – in einer Geiselhaft einer Bundesregierung, die nicht mehr in der Lage ist, dieses Land positiv in die Zukunft zu bewegen, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

In diesem Land gibt es eine Bundesministerin, die vom Erstaufnahmezentrum in Eberau angefangen bis zu den unglücklichen Vorfällen im Asylwesen versagt, es gibt einen Vizekanzler, der kein Budget zusammenbringt, es gibt eine Bundesministerin für


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 264

Justiz, die, wie wir heute gehört haben, massive Probleme hat, und es gibt einen Bundesminister für Umwelt und Landwirtschaft, der ebenfalls in seinem Bereich nichts für Österreich weiterbringt, geschweige denn bereit ist, etwas zu tun. (Abg. Ing. Schultes: Und der Winter kommt auch bald!)

Es gibt eine Atomlobby in Europa, die einen Rechtsbruch nach dem anderen begeht – und was tut diese Republik Österreich, obwohl dieses Land mittlerweile vom Norden bis in den Süden von lauter Atomkraftwerken eingekreist wird, deren Betrieb entweder verlängert wird – der Betrieb von Schrottreaktoren – oder die, wie im Süden, in Italien, gebaut werden sollen? Der zuständige Bundesminister schweigt dazu.

Die Slowakei mit dem Kernkraftwerk Mochovce wurde erst vor Kurzem nach dem internationalen Recht verurteilt, und Experten leiten davon ab, dass dadurch auch EU-Recht verletzt wird. – Und was macht der Herr Bundesminister? Er verschweigt sich!

Der Herr Bundesminister verschweigt sich zu Tschechien, zu Temelín, und er ver­schweigt sich auch dazu, was es mit der Laufzeit der Atomkraftwerke in Deutschland auf sich hat. (Bundesminister Dipl.-Ing. Berlakovich: Das stimmt nicht!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hunderttausende Menschen sind in Deutsch­land in den letzten Wochen aufgrund dieses Umstandes auf die Straßen gegangen, weil sie diese Form der Atompolitik einfach satthaben. Sie wollen das nicht mehr haben. Es gibt massive Proteste – und Österreich als Nachbar verschweigt sich dazu.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dieser Politik werden ernsthaft die Interessen österreichischer Bürger verraten und verkauft – zugunsten einer Atomlobby, die sich mit unserem Geld von EURATOM auch noch ins Fäustchen lacht!

Wenn man einer Partei angehört, die ein Mitglied in diesem Nationalrat hat, das im RWE-Konzern für die Atomlobby noch Lobbyismus betreibt, dann darf man sich nicht wundern, wenn diese Partei hier in diesem Hause gegen den Grundkonsens einer Anti-Atom-Politik zu Felde zieht. (Beifall bei FPÖ und Grünen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das hat begonnen mit den merkwürdigen Vorkommnissen um das Melker Abkommen. Schon damals haben wir geahnt, dass uns da die Tschechen über den Tisch ziehen. Genauso ist es gekommen. Aber warum nicht, wenn man fürstlich entlohnt wird für den Verrat? Seinerzeit waren es 30 Silber­linge, heute sind es angeblich 300 000 €; na ja, mit der Wertsteigerung ist es ein bisschen gestiegen.

Aber eines werde ich Ihnen sagen: Wir werden einen Weg finden, den Österreiche­rinnen und Österreichern zu ihrem Recht zu verhelfen.

Wenn Sie heute hergehen und im Namen der Bundesregierung einen Antrag einbrin­gen und meinen, Sie können damit die österreichischen Bürger am Schmäh führen, dann haben Sie sich getäuscht.

Sie haben gestern, Herr Bundesminister, über die Deutsche Presse-Agentur absetzen lassen – ich zitiere –:

„Österreich hat nach einem Expertentreffen in Bonn die Laufzeitverlängerung der deutschen Meiler akzeptiert und keine Forderungen mehr.“ (Bundesminister Dipl.-Ing. Berlakovich: Das stimmt nicht!)

Ich zitiere weiter: „,Unsere deutschen Nachbarn haben alle unsere Fragen beant­wortet‘, wird Umweltminister Nikolaus Berlakovich (ÖVP) von der dpa in diesem Zu­sam­menhang heute zitiert.“

Herr Bundesminister! Dafür müssen Sie sich wirklich schämen! Das ist ganz mies, was Sie hier den Österreicherinnen und Österreichern, die wirklich Besorgnis haben um


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 265

den Zustand dieser Kraftwerke, zumuten. Dafür müssen Sie sich schämen, und ich würde Ihrer Fraktion empfehlen, den Antrag, den Sie heute hier einbringen wollen, zurückzuziehen, denn er ist eigentlich überholt und eigentlich für nichts mehr gut. (Beifall bei FPÖ und Grünen.)

In diesem Zusammenhang bringe ich folgende Anträge ein:

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung und insbesondere der Bundesminister für Land- und Forst­wirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft sowie der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten werden aufgefordert,

1. die deutsche Regierung auf die Rückziehung ihrer Anträge zum Energiekonzept und zur Änderung des Atomgesetzes aufzufordern oder

2. von der deutschen Regierung die Durchführung einer grenzüberschreitenden UVP im Zusammenhang mit einer Laufzeitverlängerung der deutschen AKWs zu verlangen.“

*****

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung und insbesondere der Bundesminister für Land- und Forst­wirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft werden aufgefordert, alles zu unternehmen, damit es in Italien nicht tatsächlich zum Wiedereinstig in die Nuklearenergie kommt und Italien weder AKWs errichtet noch in Betrieb nimmt.“

*****

Herr Bundesminister, nehmen Sie Ihre Verantwortung für die österreichische Bevöl­kerung endlich wahr und stimmen Sie diesen unseren Anträgen zu! (Beifall bei der FPÖ.)

22.57


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Die beiden eingebrachten Entschließungs­an­träge sind ausreichend unterstützt und stehen daher mit in Verhandlung.

Die beiden Anträge haben folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Neubauer und weiterer Abgeordneter betreffend grenzüber­schrei­tende UVP bei Betriebsverlängerung deutscher AKWs

eingebracht in der 81. Sitzung des Nationalrates, XXIV. GP, am 21. Oktober 2010 im Zuge der Behandlung von TOP 14, Bericht des Umweltausschusses über den Antrag 1280/A(E) der Abgeordneten Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend sofortige Stilllegung von Isar 1 (925 d.B.)

Mit seinem Versuch, die Laufzeit seiner veralteten Atomkraftwerke zu erhöhen, setzt Deutschland Österreich einer stetig steigenden atomaren Gefährdung aus. Im Rahmen


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 266

der bilateralen Nukleargespräche wird am 19. Oktober 2010 in Berlin die Laufzeit­verlängerung der deutschen Atomkraftwerke thematisiert.

Besorgte Bürger und Atomgegner sehen diese Gespräche als Nagelprobe und fordern die Vertreter Österreich dazu auf, die EURATOM-Mitgliedschaft Österreichs zu nutzen und die Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke im Interesse der Sicher­heit der österreichischen Bevölkerung zu stoppen. Seitens der österreichischen Bun­des­regierung wird ja immer wieder betont, dass die Mitgliedschaft Österreichs bei EURATOM für die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung essentiell wäre, dass man die Atompolitik in Europa durch die Mitgliedschaft bei EURATOM mitbestimmen könne und dass man die Antiatom-Politik Österreichs nach Europa trage.

Zudem ist die Rechtmäßigkeit der Anträge zur Betriebsverlängerung der deutschen AKWs mehr als in Frage gestellt. Der Anti-Atom-Beauftragte des Landes Ober­österreich Radko Pavlovec stellte als Ergebnis eines aktuellen Berichtes fest, dass die Anträge zur Betriebsverlängerung deutscher Kernkraftwerke im deutschen Bundestag wegen bestehender UVP-Pflicht zurückgezogen werden müssen.

Im Rahmen dieses Berichtes wurden die Bestimmungen der EU-Richtlinie 2001/42/EG (SUP-EU-Richtlinie) sowie des deutschen UVP-Gesetzes herangezogen. Aufgrund der genannten gesetzlichen Bestimmungen ergibt sich die Pflicht zur Durchführung einer grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung vor allfälligen Bundestags­be­schlüs­sen. Bislang ignoriert die deutsche Bundesregierung die Bestimmungen und bricht damit sowohl deutsches Recht als auch EU-Recht.

Die Bestimmungen der EU-Richtlinie sind seit Juli 2004 verpflichtend. "Die deutsche Bundesregierung ist daher verpflichtet, die Anträge zum Energiekonzept und zur Änderung des Atomgesetzes im Bundestag umgehend zurückzuziehen und die Erstellung des Energiekonzeptes im Einklang mit dem deutschen UVP-Gesetz sowie der SUP-EU-Richtlinie 2001/42/EG durchzuführen", so Radko Pavlovec.

Aufgrund der gesetzlichen Situation ergibt sich allerdings auch eine sofortige Hand­lungspflicht für die bisher säumige österreichische Bundesregierung. Da das deutsche Energiekonzept ohne Zweifel einen Gegenstand der grenzüberschreitenden Umwelt­verträg­lichkeitsprüfung darstellt, ist die österreichische Bundesregierung zum Schutz der Interessen österreichischer Staatsbürger verpflichtet, umgehend an die deutsche Bundesregierung heranzutreten und die Durchführung einer grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung im Einklang mit Artikel 7 der SUP-EU-Richtlinie vor dem Beschluss im Bundestag einzufordern.

Im Rahmen der zwischenstaatlichen Konsultationen zum grenzüberschreitenden UVP-Verfahren sind alle Fragen umfassend zu klären, die eine mögliche Gefährdung Öster­reichs durch die beabsichtigte Verlängerung der Betriebsdauer deutscher Kern­kraft­werke betreffen. Es sind Maßnahmen zu vereinbaren, um eine solche Gefährdung zu vermeiden. Ganz besonders ist auf die unverzügliche Stilllegung der völlig veralteten Reaktoren der Baureihe 69 zu drängen, zu denen auch das grenznahe AKW Isar 1 gehört.

Im Falle der Weigerung der deutschen Bundesregierung, ihren gesetzlichen und inter­nationalen Verpflichtungen nachzukommen, ist die österreichische Bundesregierung verpflichtet, unverzüglich ein zwischenstaatliches Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland einzuleiten und den Europäischen Gerichtshof anzurufen.

Aus den Bestimmungen des Artikels 8 der SUP-EU-Richtlinie ergeben sich gleiche Ver­pflichtungen für die Regierungen der betroffenen Staaten. Die deutsche Bun­desregierung hat es verabsäumt, die Nachbarstaaten über die Entstehung des Ener­


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giekonzeptes zu informieren, obwohl erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt der Nachbarstaaten zu erwarten sind. "Die österreichische Bundesregierung hat es jedoch ebenfalls verabsäumt, einen Antrag nach Artikel 7 Absatz 1 zu stellen. Damit trägt die österreichische Bundesregierung direkte Mitverantwortung für den Bruch des EU-Rechts", erklärt Radko Pavlovec. "Die zuständigen Mitglieder der österreichischen Bun­desregierung sind daher aufgefordert, diesen unhaltbaren Zustand zu beenden und die überfälligen Schritte umgehend zu setzen".

Aus diesen Gründen stellen die unterfertigten Abgeordneten daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung und insbesondere der Bundesminister für Land- und Forst­wirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft sowie der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten werden aufgefordert,

1. die deutsche Regierung auf die Rückziehung ihrer Anträge zum Energiekonzept und zur Änderung des Atomgesetzes aufzufordern oder

2. von der deutschen Regierung die Durchführung einer grenzüberschreitenden UVP in Zusammenhang mit einer Laufzeitverlängerung der deutschen AKWs zu verlangen.“

*****

Entschließungsantrag

des Abgeordneten Neubauer und weiterer Abgeordneter betreffend keine Rückkehr zur Atomkraft in Italien

eingebracht in der 81. Sitzung des Nationalrates, XXIV. GP, am 21. Oktober 2010 im Zuge der Behandlung von TOP 14, Bericht des Umweltausschusses über den Antrag 1280/A(E) der Abgeordneten Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend sofortige Stilllegung von Isar 1 (925 d.B.)

Vor mehr als 20 Jahren ist Italien aus der Atomenergie ausgestiegen. Vor kurzem hat die italienische Regierung aber mittels eines Gesetzesdekrets die Wiedereinführung der Kernkraft beschlossen und will nunmehr in den nächsten Jahren vier Atom­kraftwerke voraussichtlich in den Regionen Venetien und Sizilien bzw. in der Lom­bar­dei bauen. Dafür werden der halbstaatliche Stromkonzern Enel und die französische EdF zusammenarbeiten. Zu Wochenbeginn haben Enel und Edf das gemeinsame Unternehmen „Sviluppo Nucleare Italia“ gegründet. Das Unternehmen mit Sitz in Rom soll Machbarkeitsstudien für die vier Atomkraftwerke erstellen.

Vorgesehen ist, dass bei den vier Werken die Technologie des französischen Druck­wasserreaktors Erp zur Anwendung kommt. Enel ist am französischen Atomreaktor Erp mit zwölf Prozent beteiligt. Der italienische Stromkonzern ist auch Protagonist bei dem Ausbau der Atomkraftwerke in der Slowakei. Dort sollen die Kapazitäten des Kraft­werks von Mochovce bis 2012 verdoppelt werden.

Mit der Einführung der Atomkraft soll auch der Energiemix Italiens verändert werden: Nur noch 50 Prozent statt bislang 82 Prozent sollen aus Öl- und Gaswerken gewonnen werden. 25 Prozent sollen künftig aus Atomkraftwerken und weitere 25 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen (bisher 18 Prozent) kommen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist allerdings der Bau von zwölf Atomkraftwerken mit einer Kapazität von je


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1300 Megawatt nötig. (Thesy Kness-Bastaroli, DER STANDARD, Printausgabe, 4.8.2009)

Unmittelbar nach Bekanntwerden des Wiedereinstieges in die Nuklearenergie und zahlreichen Protesten der FPÖ, hat sich das offizielle Österreich mit dem Ersuchen um Abhaltung bilateraler Nuklear-Expertengespräche und den Abschluss eines bilateralen Nuklearinformationsabkommens an Italien gewandt.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen dazu folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung und insbesondere der Bundesminister für Land- und Forst­wirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft werden aufgefordert, alles zu unternehmen, damit es in Italien nicht tatsächlich zum Wiedereinstieg in die Nuklearenergie kommt und Italien weder AKWs errichtet noch in Betrieb nimmt.“

*****

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nun gelangt Herr Abgeordneter Ing. Schultes zu Wort. – Bitte.

 


22.58.03

Abgeordneter Ing. Hermann Schultes (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätztes Hohes Haus! Herr Abgeordneter Neubauer hat mich jetzt ein wenig aus der Ruhe gebracht (Abg. Neubauer: Gott sei Dank!), denn ich dachte mir: Wie geht es dem zu Hause, wenn er das Licht aufdreht und weiß, dass er im oberösterreichischen Stromnetz gelegentlich Atomstrom aus Deutschland drinnen hat? (Abg. Neubauer: Schlecht!) Das muss ja furchtbar sein! (Abg. Neubauer: Eh!) Gut. Okay. (Abg. Neubauer: Ich wechsle jetzt auch den Anbieter!) Das wird ja höchste Zeit. Genau so ist es!

Also schön langsam werden wir ein bisschen wahrhaftig in unserer Debatte und auch in unserer Atomdebatte. (Abg. Mag. Brunner: Das heißt, das ist okay! Das ist wieder die Bestätigung!)

Wir wissen ganz genau, dass wir in Österreich einen sehr klaren Grundsatz, eine klare Position zur Frage der Kernkraftwerke haben. Wir haben das sicherste Kernkraftwerk der Welt. Wir haben das in Zwentendorf. Das wird mit Solarenergie betrieben. Die Photo­voltaikanlage der EVN wurde in Betrieb genommen. Und so wird es auch bleiben.

Wir haben rundherum Nachbarn, die Kernkraftwerke betreiben. Wir haben mit allen Nachbarn, wenn sie sich nicht an die Spielregeln gehalten haben, klare Worte gewechselt, und wir sind jetzt bestürzt, dass Deutschland den Konsens aufgibt und eine Verlängerung des Betriebes der Kernkraftwerke beschließt.

Das ist nicht in Ordnung! Das ist für die nachbarschaftlichen Verhältnisse nicht in Ordnung, weil natürlich die Informationspflichten nicht erfüllt sind. (Abg. Mag. Brunner: Was tun Sie dagegen? Bestürzt sein kann ein jeder!) Und es ist überhaupt nicht in Ordnung, wenn man bedenkt, dass der Umstieg auf die erneuerbaren Energien durch diese Hü-hott-Politik in ganz Europa behindert wird.

Gerade in der Energiepolitik geht es darum, über langfristige Zeiträume Konzepte zu entwickeln und zu verwirklichen. Wir wissen ganz genau, dass der Stromleitungsbau


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 269

dazu gehört, der Gasleitungsbau dazu gehört und eben die Errichtung der Wind­kraftanlagen, die den Strom bis in die Netze in Europa liefern müssen. Wir wissen, dass wir Ausgleichsenergie brauchen, und wir wissen, dass die Umstellung dieses Systems eine ist, die auch die Biomasse braucht, um regional stabile Netze zu gewährleisten.

Wir wollen daher den Konsens in der Bundesregierung, der durch unseren Bundes­minister Niki Berlakovich unmittelbar nach Bekanntwerden des deutschen Beschlusses herbeigeführt wurde, der im Ministerrat beschlossen wurde und der zwischen unseren Parteien besteht, hält und ohne Zweifel auch weiter getragen wird, durch die Unterstützung des Parlaments bekräftigen.

Ich ersuche Sie alle in dieser Frage um ein deutliches Zeichen aller fünf Parteien, dass wir in der Frage der Kernkraftpolitik Österreichs zusammenhalten, dass wir der Regie­rung den Auftrag geben, alles zu verlangen, was in Europa denkmöglich ist, um unsere Rechte zu sichern, die Informationen zu bekommen, die Nachrüstungen zu ermög­lichen. Ich ersuche Sie, dem zuzustimmen.

Ich bringe nun einen Entschließungsantrag ein, den ich in den wesentlichen Punkten vorlesen werde.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Abgeordneter, den Antragstext müssen Sie leider zur Gänze vorlesen.

 


Abgeordneter Ing. Hermann Schultes (fortsetzend): Frau Präsidentin, schenken Sie mir dafür noch drei Sekunden!

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung werden aufgefordert, alle Möglich­keiten zu nutzen, um

konkrete Informationen über die tatsächliche Verlängerung der Laufzeit der deutschen Kernkraftwerke zu erhalten;

Informationen über geplante Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit der deut­schen Kernkraftwerke zu erhalten;

konkrete Maßnahmen zur sicherheitstechnischen Nachrüstung deutscher Kernkraft­werke zu erwirken;

eine rasche Abschaltung der älteren Anlagen, vor allem der Siedewasserreaktoren der Baulinie SWR-69, zu erwirken;

angesichts der geographischen Lage insbesondere eine rasche Abschaltung des KKW Isar-1 zu erwirken, sollten nicht alle Sicherheitsdefizite ausreichend behoben werden können;

die sich im Rahmen der EU stellenden wettbewerbs-, vergaberechtlichen sowie sonstigen rechtlichen Fragen im Dialog mit der Europäischen Kommission zu klären.

*****

Wenn Deutschland das alles erfüllt, ist der ganze Beschluss nicht zu halten und die österreichische Position durchgesetzt. Und dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. (Beifall bei Abgeordneten von ÖVP und SPÖ.)

23.02



Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 270

Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Der eingebrachte Entschließungsantrag ist aus­reichend unterstützt und steht ebenfalls mit in Beratung.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Ing. Schultes, Petra Bayr, Kolleginnen und Kollegen betreffend ge­plante Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken in Deutschland

eingebracht im Zuge der Debatte zum Tagesordnungspunkt 14, Bericht des Umwelt­ausschusses über den Antrag 1280/A(E) der Abgeordneten Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend sofortige Stilllegung von Isar 1 (925 d.B.) in der 81. Sitzung des Nationalrates am 21. Oktober 2010

Die aktuellen Entwicklungen zur Atomenergie in Deutschland haben in Österreich große Besorgnis ausgelöst.

Österreich lehnt die energetische Nutzung der Kernenergie ab. Dort, wo es um legitime Schutzbedürfnisse der österreichischen Bevölkerung, bzw. um den Schutz der Umwelt, geht, ist Österreich berechtigt und verpflichtet, seine Stimme zu erheben. Die Bundes­regierung wird - wie im Regierungsprogramm ausgeführt - in allen Fällen von kern­technischen Anlagen, die negative Auswirkungen auf Österreich haben oder haben könnten, alle Möglichkeiten zur Wahrung der österreichischen Sicherheitsinteressen nutzen.

Bisher wurde in Deutschland der „Atomausstieg“ in einem Vertrag der Bundesrepublik mit den Betreibergesellschaften geregelt, dem so genannten Atomkonsens. Auf Grund­lage dieses Vertrags wurde seinerzeit das Atomgesetz (AtG 2002) novelliert. In diesem Vertrag wurden die Reststrommengen für die deutschen Kernkraftwerke (KKW) fest­gelegt.

Im neuen Koalitionsvertrag wurde eine Verlängerung der Laufzeiten der KKW anvisiert. Es folgten Verhandlungen zwischen dem deutschen Umwelt- und dem Wirtschafts­ministerium. Am 5. September 2010 einigten sich die deutschen Koalitionsparteien auf einen Kompromiss.

Aus diesem Kompromiss sind nun folgende Änderungen bekannt: Für die älteren KKW bis einschließlich 1980 werden die nach dem AtG 2002 definierten Laufzeiten um acht Jahre verlängert. Bei den neueren KKW werden die Laufzeiten auf 14 Jahre ausge­dehnt. Daraus resultiert eine durchschnittliche Verlängerung von 12 Jahren. Aus diesen Daten ergibt sich eine Verschiebung des Atomausstiegs voraussichtlich auf das Jahr 2040. Die Jahreszahlen sind allerdings nur Eckpunkte, da die tatsächliche Laufzeit von der produzierten Strommenge abhängig ist.

In Zusammenhang mit der Sicherheit stehen konkrete Entscheidungen noch aus, es wird jedoch betont, dass die Sicherheit der KKW höchste Priorität hat.

Durch die Laufzeitverlängerungen verschärft sich auch das Entsorgungsproblem. Laut deutschem Bundesamt für Strahlenschutz (Bf) würden bei einer durchschnittlichen Laufzeitverlängerung von 12 Jahren zusätzlich 4.400 t Wärme entwickelnde Abfälle anfallen. Derzeit werden die Abfälle an allen KKW-Standorten zwischengelagert. Es gibt auch in Deutschland kein Endlager für hochradioaktiven Abfall.

Mit Deutschland besteht ein bilaterales Informationsabkommen zur Regelung von Fragen gemeinsamen Interesses im Zusammenhang mit nuklearer Sicherheit und Strahlenschutz („Nuklearinformationsabkommen“), in dessen Rahmen regelmäßig Treffen stattfinden.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 271

Bereits am 5. September, an dem die politische Einigung auf den neuen deutschen "Atomkonsens" bekannt wurde, hat Bundesminister DI Nikolaus Berlakovich seine Ablehnung und Enttäuschung deutlich gemacht und auch die planmäßige Schließung des Kernkraftwerkes Isar1 gefordert, sollten nicht alle Sicherheitsdefizite ausreichend behoben werden können. Zusätzlich wurde ein Sondertreffen im Rahmen des bilate­ralen "Nuklearinformationsabkommen" gefordert, bei dem Deutschland zu erklären haben wird, welche Auswirkungen sich für Österreich ergeben, speziell im Hinblick auf die grenznahen Kernreaktoren und wie es um die sicherheitstechnische Nachrüstung bestellt ist. Erste Konsultationen sind bereits für den 19. Oktober 2010 vorgesehen.

Weiters hat Bundeskanzler Faymann in einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Merkel am 10. September sowie bei anderen Gelegenheiten die diesbezügliche österreichi­sche Position nachdrücklich dargelegt. Der Bundesminister für europäische und inter­nationale Angelegenheiten hat den österreichischen Botschafter in Berlin mit einer umgehenden Vorsprache beim deutschen Umweltminister Röttgen beauftragt. Zudem hat der Generalsekretär im BMeiA die österreichischen Bedenken gegenüber Staats­minister Hoyer vorgebracht.

Die Entscheidung der deutschen Bundesregierung unterstreicht einmal mehr, dass sich das europa- und geopolitische Umfeld für die österreichische Anti-Atom-Politik in den vergangenen Jahren sehr verschlechtert hat. Österreich hat zudem weiterhin im Einklang mit internationalem und europäischem Recht die nationale Souveränität anderer Staaten hinsichtlich deren Auswahl der Energieträger zu respektieren. Es ist daher umso mehr geboten, dass die Maßnahmen der österreichischen Bundes­regie­rung zielorientiert ausgestaltet werden und insbesondere auch die österreichische Öffentlichkeit über Inhalt und Umfang der Österreich zur Verfügung stehenden Instrumente klar ins Bild gesetzt wird.

Vor diesem Hintergrund wird die Vertretung von Österreichs Sicherheitsinteressen konsequent fortgesetzt. Dies bedarf der Mitwirkung der gesamten Bundesregierung.

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag:

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung werden aufgefordert alle Möglich­keiten zu nutzen, um

konkrete Informationen über die tatsächliche Verlängerung der Laufzeit der deutschen Kernkraftwerke zu erhalten;

Informationen über geplante Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke zu erhalten;

konkrete Maßnahmen zur sicherheitstechnischen Nachrüstung deutscher Kernkraft­werke zu erwirken;

eine rasche Abschaltung der älteren Anlagen, vor allem der Siedewasserreaktoren der Baulinie SWR-69, zu erwirken;

angesichts der geographischen Lage insbesondere eine rasche Abschaltung des KKW Isar-1 zu erwirken, sollten nicht alle Sicherheitsdefizite ausreichend behoben werden können;


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die sich im Rahmen der EU stellenden wettbewerbs-, vergaberechtlichen sowie sonstigen rechtlichen Fragen im Dialog mit der Europäischen Kommission zu klären.

*****

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Mag. Brunner. – Frau Abgeordnete, 5 Minuten stelle ich Ihnen ein. Gesamtrestredezeit: 10 Minuten. – Bitte.

 


23.02.49

Abgeordnete Mag. Christiane Brunner (Grüne): Frau Präsidentin! Herr Landwirt­schaftsminister! Zunächst finde ich interessant, dass Kollege – „Kollege“ ist er eigent­lich nicht, denn ich sitze in keinem Atom-Aufsichtsrat – Schüssel nicht mehr da ist. Es wäre interessant gewesen, auch seine Position und seinen Beitrag zu dieser ganzen Debatte hier zu hören. Ich hätte ihn auch gerne einmal persönlich aufgefordert, sein Mandat zurückzulegen.

Kurz vorweg: Den Anträgen der Opposition werden wir gerne allen zustimmen, weil sie alle dem Anti-Atom-Konsens entsprechen und wichtige Bausteine dazu sind.

Jetzt zum Regierungsantrag, den mein Vorredner eingebracht hat.

Ich meine, Kollege Schultes, bestürzt ist, glaube ich, jeder und jede in Österreich. Aber jede und jeder in Österreich würde sich erwarten, dass die Regierung nicht nur bestürzt ist, sondern auch etwas tut und endlich handelt. Und das vermisse ich wirklich. (Beifall bei den Grünen.)

Da gibt es nämlich andere Möglichkeiten, als nur bestürzt zu sein.

Und um auf Ihren Antrag zu sprechen zu kommen: Also ich frage mich schon! Dieser Antrag ist wortident, wirklich Buchstabe für Buchstabe, mit dem Ministerratsbeschluss von vor drei Wochen. Und als jemand, der in diesem Parlament sitzt, frage ich mich: Was wollen Sie jetzt damit erreichen? Warum sollen wir jetzt, drei Wochen nachdem das im Ministerrat beschlossen wurde, etwas beschließen, was die Regierung seit drei Wochen tun hätte sollen und tun hätte müssen? (Beifall bei den Grünen. – Abg. Ing. Schultes: Schon getan hat!)

Nein, eben nicht! Und so schwammig, wie dieser Antrag formuliert ist, ist es nichts anderes als Schaumschlägerei und So-tun-als-ob. Ich meine, dass die Regierung Informationen erhalten soll – no na! (Zwischenruf bei der ÖVP.) – Naja, aber das ist ja nicht aktives Auftreten gegen die deutschen Atomkraftwerke! Da gibt es ganz andere Möglichkeiten. Ich werde das auch in unserem Antrag noch einmal erklären. (Abg. Dr. Rasinger: Welche? Welche?) – Ich komme gleich dazu.

Ich frage Sie: Was haben Sie in den letzten drei Wochen getan, Herr Minister? Und auch: Was soll dieser Antrag jetzt bewirken, jetzt, heute, wenn am 28. Oktober im Deutschen Bundestag dieser Beschluss bereits gefällt worden ist?

Wir haben uns sehr wohl Gedanken gemacht, welche konkreten Informationen oder Möglichkeiten es gibt, dagegen auch wirklich vorzukämpfen und etwas zu tun, Maß­nahmen zu setzen. Und da gibt es genug, nämlich auch Klagen anzustrengen in der Europäischen Union. (Abg. Ing. Schultes: Da werden wir Informationen dazu brauchen!)

Ja, aber bis Sie die Informationen einmal haben, ist es längst zu spät. Am 28. Oktober wird es beschlossen – wir fordern daher, dass Sie die Klagen jetzt sofort einbringen. (Beifall bei den Grünen.)


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 273

Dieses Energiekonzept widerspricht dem Wettbewerbsrecht, dem Vergaberecht, dem Euratom-Vertrag, und wir sind auch der Meinung, dass für dieses Energiekonzept durchaus eine strategische Umweltprüfung durchzuführen wäre.

All das haben wir in einem Maßnahmenpaket zusammengefasst, und ich möchte das jetzt auch einbringen und Sie auffordern, das zu tun.

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung und insbesondere Bundeskanzler Faymann werden aufgefor­dert, umgehend scharfen Protest bei der deutschen Bundesregierung gegen die bevor­stehende Rücknahme des deutschen Atomausstiegs einzulegen und alle Mittel auszuschöpfen, um die deutsche Regierung von ihrem umwelt-, energie- und sicher­heitspolitisch gefährlichen Vorhaben abzubringen.

Insbesondere wird die Bundesregierung aufgefordert, im Sinne von Artikel 259 AEUV die Europäische Kommission umgehend mit den oben genannten Rechtsverstößen im Zusammenhang mit dem Gesetzesvorhaben Laufzeitverlängerung deutscher Kern­kraft­werke zu befassen und gegebenenfalls Klagen vor dem EuGH gegen Deutschland zu erheben.

*****

All das haben Sie nicht getan, und all das wären wichtige Maßnahmen, die Sie sofort treffen müssten. Diese Laufzeitverlängerungen bedeuten ein immenses Sicherheits­risiko nicht nur für Deutschland, sondern auch für die österreichische Bevölkerung. Der deutsche Atomexperte Renneberg sagt, kein einziges der deutschen Atomkraftwerke wäre heute auch nur genehmigungsfähig. Die entsprechen nicht einmal dem Stand von 1994.

Es sind keine Nachrüstungen vorgesehen, keine Sicherheitsbestimmungen, auch was Flugzeugabstürze angeht, zum Beispiel beim Kraftwerk Isar 1, das nur 100 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt ist. Also da erwarte ich mir massives Vorgehen, das bisher ausgeblieben ist.

Die deutsche Bundesregierung hat einen Kniefall vor der Atomlobby gemacht, unter anderem vor dem Konzern von Wolfgang Schüssel, vor RWE.

Ich hätte mir erwartet, dass das in der österreichischen Bundesregierung nicht passiert. Mit diesem Beschluss werden Profite von Konzernen gegen die Interessen von Bür­gerinnen und Bürgern durchgesetzt. (Abg. Dr. Pirklhuber: Der Schüssel profitiert! Und dann ist er nicht einmal bei der Abstimmung dabei! So schaut’s aus!) Die Atomlobby kann damit mit zusätzlichen Gewinnen von 100 Milliarden € rechnen – auf Kosten von Bürgerinnen und Bürgern, auf Kosten der Sicherheit, auf Kosten der Umwelt.

Sie, Herr Minister, haben die Sonderbilaterale angesprochen. Ich habe Sie aufge­fordert, die Umweltsprecher aller Parteien da mit hineinzunehmen, um auch Trans­parenz sicherzustellen. Dann hätten Sie jetzt auch unabhängige Zeugen dessen, was darin passiert ist. Die haben Sie nicht, und ich bin schon entsetzt, wenn ich jetzt lese, dass Sie festhalten, dass alle offenen Fragen nachvollziehbar beantwortet wurden und das alles sehr überzeugend ist. Das sehe ich auch als einen Kniefall vor der Atom­lobby.

Ich fordere Sie auf, sich heute hier zu erklären, was genau in dieser Sonderbilaterale stattgefunden hat, was Sie dort angesprochen haben, wie Ihnen diese Erklärungen


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 274

hinsichtlich Sicherheitsstandards gegeben wurden, wer dort aller teilgenommen hat, wer die Delegation geleitet hat. Ich kann Ihnen auch versichern, eine diesbezügliche Anfrage ist schon auf dem Weg zu Ihnen.

Ich erwarte mir hier umgehend Erklärung und hoffe, Sie sind noch einsichtig. Ich setze mich hier in Österreich ein, weil ich als Abgeordnete dieses Hauses von Ihnen als zuständigem Minister, der einen Anti-Atom-Konsens zu vertreten hat, erwarte, dass Sie mit allen möglichen Mitteln dagegen auftreten. Erfüllen Sie unseren Antrag, ansonsten kann ich Ihnen das nicht abnehmen und muss annehmen, dass sich Wolfgang Schüssel in Ihrer Partei leider durchgesetzt hat.

Deswegen bin ich der Meinung, Österreich braucht ein eigenständiges, starkes und engagiertes Umweltministerium. – Danke. (Abg. Rädler: Ja, genau! Keine Grünen!)

23.09


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Der eingebrachte Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt und steht mit in Verhandlung.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Brunner, Freundinnen und Freunde betreffend Stopp der geplanten Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke

eingebracht im Zuge der Debatte über den Bericht des Umweltausschusses über den Antrag 1280/A(E) der Abgeordneten Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend sofortige Stilllegung von Isar 1 (925 d.B.)

Am 28. Oktober 2010 plant die deutsche Bundesregierung ein Gesetzesvorhaben im Bundestag zu beschließen, dass die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke zwi­schen acht und vierzehn Jahren verlängert. Tritt dieses Gesetz in Kraft, bedeutet dies das Ende des deutschen Atomausstiegs.

Gleichzeitig plant die deutsche Regierung eine deutliche Senkung des Schutzniveaus für Atomkraftwerke, die Sicherheitsstandards sollen gesenkt, alte Atomkraftwerke nicht mehr nachgerüstet werden.

Dies wäre ein umwelt-, energie- und sicherheitspolitisches Fiasko.

Laufzeitverlängerung ist Milliardengeschenk an Atomkonzerne

Jedes Jahr bringt ihnen die Laufzeitverlängerung bis zu zehn Milliarden Euro Zusatz­gewinne. Insgesamt würden RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall zusätzliche Profite von mehr als 100 Milliarden Euro kassieren. Im Gegenzug sollen die Atomkonzerne sechs Jahre lang je 2,3 Mrd. Euro an den Staat abführen und für den Ausbau der erneuer­baren Energien einmalig Zusatzmittel von 1,4 Mrd. Euro in einen Fonds einzahlen. Sämtliche Zahlungen werden von den Konzernen von der Steuer abgesetzt. Das ist eine Farce.

Deutscher Atom-Umfaller ist Ablasshandel auf Kosten der Sicherheit

Wie eine Studie des ehemaligen Leiters der deutschen Atomaufsicht, Wolfgang Renne­berg, belegt, führt eine Verlängerung der Laufzeiten zu einer erheblichen Erhöhung der Atom-Risiken. Keines der derzeit in Betrieb befindlichen AKW wäre heute noch genehmigungsfähig.

Für die österreichische Bevölkerung ist dies besonders bedrohlich. Gerade die Meiler in Süddeutschland würden nach den jetzigen Plänen am längsten laufen. Das Risko-


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 275

AKW Isar 1, gerade mal 100 km von Österreichs Grenze entfernt, hätte laut deutschem Atomausstiegsgesetz bereits 2011 vom Netz sollen. Jetzt soll es bis mindestens 2019 weiter betrieben werden. Der deutsche Atomausstieg hätte bedeutet, dass in den kommenden zwei Jahren sieben AKW vom Netz gehen (vier davon in Grenznähe zu Österreich).

Die Regierung Merkel hat sich der Profitgier der deutschen Atomkonzerne unterworfen. Energie- und wirtschaftspolitisch ist dieser Schritt sinnlos und kontraproduktiv.

Laufzeitverlängerung schwerer Rückschlag für erneuerbare Energien 

Die ältesten acht AKWs erzeugen gerade soviel Strom wie Deutschland netto expor­tiert. Sie könnten abgeschaltet werden, ohne dass auch nur ein Licht ausgeht. Die Laufzeitverlängerung bremst zudem die erneuerbaren Energien in ganz Europa. Gemäß Gutachten der deutschen Bundesregierung wird es 2020 in Deutschland 21 Prozent weniger Wind, Wasser und Solarstrom geben, als wenn die AKW plan­gemäß vom Netz gingen. Deutschland ist das Zugpferd im europäischen Markt für erneuerbare Energien. Die Einbrüche werden sich daher nicht auf Deutschland beschränken.

Laufzeitverlängerung verstößt gegen deutsches Verfassungs- und EU-Recht

1. Die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke in Deutschland ist verfassungswidrig. Eine gesetzliche Regelung zur Verlängerung der Betriebszeiten der Atomkraftwerke in Deutschland bedarf nämlich der Zustimmung durch den Bundesrat. Die Bundes­regierung Merkel versucht indes, die Einigung am Bundesrat vorbei zu beschließen. Die deutschen Oppositionsparteien haben Klagen vor dem Verfassungsgerichtshof ange­kündigt. Geprüft wird derzeit ebenfalls, ob die Bundesregierung durch Verträge mit Energieversorgungsunternehmen ohne Einschaltung des Parlaments vollendete Tatsachen schaffen darf.

2. Die Laufzeitverlängerung ist nicht mit dem EU-Wettbewerbsrecht vereinbar. Die Vereinbarung stellt eine unfaire Begünstigung der großen Stromanbieter dar, die durch die längeren Atomlaufzeiten einen enormen Vorteil gegenüber anderen Energie­versorgern hätten. Zudem wird die Marktmacht der Atomkonzerne zementiert und der Wettbewerb auf dem Strommarkt entsprechend behindert. Stromanbieter, die ihren Strom durch regenerative Energiequellen erzeugten sowie kleinere Stromanbieter und Stadtwerke, haben einen erheblich schlechteren Zugang zum Markt.

3. Die Laufzeitverlängerung bricht den Euratom-Vertrag. Ein von Greenpeace in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten hat ergeben, dass Deutschland mit der geplanten Laufzeitverlängerung durch den Euratom-Vertrag eine Mitteilungspflicht nach Artikel 37 auslöst. Da die deutsche Bundesregierung dieser Mitteilungspflicht im Vorfeld des Gesetz­gebungsprozesses nicht nachgekommen ist, liegt hier ein Bruch von EU-Recht vor. Aus dem Greenpeace-Gutachten geht hervor, dass der deutsche Bundestag die Laufzeitverlängerung erst dann beschließen darf, wenn die Stellungnahme der Europäischen Kommission vorliegt. Dies ist bisher nicht der Fall, obwohl der Gesetz­gebungsprozess im deutschen Bundestag bereits kurz vor dem Abschluss steht.

4. Die Laufzeitverlängerung ist vergaberechtlich nicht vertretbar. Nach Ansicht des deutschen Juristen Stefan Hertwig kommt die Verlängerung der Betriebsgeneh­migun­gen für die deutschen Atomkraftwerke juristisch einer Neuerteilung gleich. Neue Pro­duk­tionslizenzen dürfen nationale Regierungen in einem europäischen Binnenmarkt für Elektrizität allerdings nicht so ohne Weiteres vergeben. Die jüngst wieder erneuerte Richtlinie über den Elektrizitätsbinnenmarkt (Art. 4, 6 und 7, 2003/53/EG) bestimmt eindeutig, dass neue Kapazitäten in einem "offenen, transparenten und diskriminie­rungsfreien Verfahren genehmigt oder europaweit ausgeschrieben werden müssen".


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 276

Nach dem Willen der Bundesregierung in Deutschland sollen aber die Produktions­lizenzen einem exklusiven Kreis von vier Konzernen einfach so zugesagt werden.

5. Die Laufzeitverlängerung müsste einer grenzüberschreitenden strategischen Umweltprüfung (SUP) unterzogen werden. Es wurde vorgebracht, dass entscheidende umweltpolitische Weichenstellungen wie ein neues Energiekonzept laut Europarecht Gegenstand einer grenzüberschreitenden strategischen Umweltprüfung seien. Bei ver­gleich­baren Planungen wurde eine SUP von Tschechien und der Slowakei durch­geführt.

Die Laufzeitverlängerung und das Absenken von Sicherheitsstandards deutscher Kernkraftwerke sind ein Spiel mit dem Feuer. Geschenke an Konzerne auf Kosten der Allgemeinheit in ganz Europa darf Österreich nicht hinnehmen.

Die österreichische Bundesregierung muss sich unter Einsatz aller ihr zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel dafür einsetzen, dass die Regierung Merkel von ihren Plänen Abstand nimmt.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung und insbesondere Bundeskanzler Faymann werden aufge­fordert, umgehend scharfen Protest bei der deutschen Bundesregierung gegen die bevor­stehende Rücknahme des deutschen Atomaustiegs einzulegen und alle Mittel auszuschöpfen, um die deutsche Regierung von ihrem umwelt-, energie- und sicher­heits­politisch gefährlichen Vorhaben abzubringen.

Insbesondere wird die Bundesregierung aufgefordert, im Sinne von Artikel 259 AEUV die Europäische Kommission umgehend mit den oben genannten Rechtsverstößen im Zusammenhang mit dem Gesetzesvorhaben Laufzeitverlängerung deutscher Kern­kraft­werke zu befassen und gegebenenfalls Klagen vor dem EuGH gegen Deutschland zu erheben.“

*****

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Bayr. – Bitte.

 


23.09.47

Abgeordnete Petra Bayr (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Großen und Ganzen sind in dieser Debatte vier Optionen im Gespräch, wie man mit dieser sehr unleidlichen Geschichte umgehen kann:

Zum einen der erwähnte Artikel 37 im EURATOM-Vertrag. Das ist übrigens der Vertrag, aus dem sehr viele heraus wollen. Vielleicht könnte er doch als Hebel die­nen – was weiß man? Zum Zweiten die Frage der grenzüberschreitenden Umweltver­träglichkeitsprüfung, zum Dritten die strategische Umweltprüfung, und zum Vierten die Frage von Binnenmarkt und Vergaberegelungen. (Abg. Mag. Donnerbauer: Die ÖVP ist die Wiege der Anti-Atom-Bewegung!)

Mir ist eine seriöse Anti-Atom-Politik wichtig, daher ist es mir ein Anliegen, auf alle vier Optionen einzugehen und sie ganz sachlich zu diskutieren. Dieses Hamburger Gutachten zum Artikel 37 des EURATOM-Vertrags, das herumgeistert, geht, glaube ich, von der falschen Prämisse aus, die nicht berücksichtigt, dass die deutschen AKWs


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 277

eine unbefristete Betriebsbewilligung haben und dass sie seinerzeit einfach auch mitnotifiziert worden sind.

Zum Zweiten, was die Frage des Hebels der Umweltverträglichkeitsprüfung betrifft, ist das Problem, dass es sich eben um keine substanzielle Erweiterung handelt und auch keine Neugenehmigung von irgendwelchen Anlagen gegeben ist.

Strategische Umweltprüfung kommt wohl auch nicht in Frage, weil dieser Plan der Verlängerung der Laufzeiten kein strategisch neuer Plan im Sinne der UVP oder der Richtlinie über die Strategische Umweltprüfung ist.

Und zum Vierten, der Frage des Binnenmarkts und der Vergaberegelungen: Ich glaube, dass genau da auch der Dialog mit der Europäischen Kommission zu suchen sein wird, und das steht unter anderem auch in diesem von der Opposition viel kritisierten Antrag drinnen, den wir da heute beschließen werden.

Wenn wir über diese Novelle des deutschen Atomgesetzes reden, dann reden wir eigentlich über zwei Novellen, nämlich einerseits die elfte und andererseits die zwölfte Atomgesetznovelle: die erste, in der es darum geht, die Laufzeiten zu verlängern, und die zweite, in der es darum geht, die Sicherheitsanforderungen an kerntechnische Anlagen zu erhöhen. Und aus den bilateralen Kontakten bislang scheint schon glaub­haft abzuleiten zu sein, dass zumindest die Einforderung von zusätzlichen Sicherheits­maßnahmen für Österreich möglich werden wird und dass es auch zu einer Verbes­serung des Informationsflusses, speziell rund um Isar 1, kommen wird. Und wir wissen, wie sperrig die Bayern da bislang mit ihrer Weitergabepolitik von Informationen gewe­sen sind.

Dass beide Gesetze sogenannte Einspruchsgesetze sind und dass – ähnlich wie bei uns, aber mit einem anderen Prozedere – auch der deutsche Bundesrat zuständig ist, dieser einen Einspruch erheben kann, den Vermittlungsausschuss anrufen kann und dass er, wenn es keinen Konsens gibt, zumindest mit einem verzögernden Veto diese Geschichte ein bisschen aufhalten kann und uns als Nachbarstaat damit mehr Spielraum für Verhandlungen geben kann, darauf hoffe ich schon auch.

Die SPD setzt sich auch für eine Befassung durch den Bundesrat ein, weil es uns auch in Österreich die Chance gäbe, mehr Zeit dafür zu haben, zu schauen, dass wir wirklich alle in Frage kommenden Tasten des Klaviers auch spielen können, und zu schauen, dass wir eben bei diesem Knackpunkt der wettbewerbs- und vergabe­rechtlichen Klärung mit der Europäischen Kommission vielleicht auch noch etwas tun können.

Was uns sicherlich alle eint, ist, dass es schwer hinzunehmen ist, dass die konservativ-liberale Regierung in Deutschland offensichtlich nur nach der Pfeife der Atomindustrie tanzt. Und es freut mich sehr, dass wir uns einig sind, dass die rot-grüne Politik in Deutschland in dieser Frage eindeutig die bessere gewesen ist. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

23.13


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Abgeordneter Mag. Widmann gelangt nun zu Wort. – Bitte.

 


23.13.31

Abgeordneter Mag. Rainer Widmann (BZÖ): Frau Minister! Hohes Haus! Ich beginne einmal diese energiepolitische Geisterstunde damit (Abg. Mag. Widmann läutet mit einer von ihm mitgebrachten Glocke), um auch die Koalitionsparteien etwas aufzu­wecken, und bitte Sie um Ihre Aufmerksamkeit, denn die Energiepolitik in Österreich, die liegt wirklich im Schlafen.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 278

Die Anti-Atom-Politik liegt im Schlafen, die Energiepolitik – und letztlich passiert gar nichts. Wir befinden uns vor dem größten Versagen in der österreichischen Ge­schichte, weil hier eigentlich überhaupt nichts weitergeht. (Zwischenrufe der Abge­ordneten Mag. Donnerbauer und Hornek.)

Ich darf das gerne begründen, Herr Kollege: EURATOM – da investieren wir jährlich 40 Millionen österreichische Steuer-Euro hinein, um die Atomlobby länger am Leben zu erhalten. Und Ihre Partei ist es, die immer argumentiert – auch Ihr Minister –, EURATOM wäre wichtig, weil wir da bei Mindeststandards mitreden könnten, damit die Kraftwerke sicherer machen und, und, und.

Ich frage jetzt die Kollegen von der ÖVP-Fraktion: Wo war denn EURATOM bei den Ergebnissen bei Temelín? Wo war es in Krško? Wo war es bei Mochovce? (Abg. Rädler: ... ein Blödsinn!) Wo ist denn das Mitspracherecht in Italien? Es ist nicht vorhanden! – Sie sagen hier, das ist ein Blödsinn. – Ein Blödsinn, ein Topfen ist das, was Sie hier verbreiten, liebe Kollegen von der ÖVP-Fraktion! (Abg. Rädler: Warst du im Krieg?)

Und wir haben auch aufgezeigt, dass ein Ausstieg aus diesem EURATOM-Vertrag aufgrund des Lissabon-Vertrags möglich wäre. Sie schreiben selbst sogar ins Regierungsübereinkommen hinein, zu prüfen, ob der Ausstieg aus EURATOM möglich ist. Halten Sie sich doch nur an Ihr Regierungsprogramm und steigen Sie aus EURATOM aus! – Aber Sie bemühen sich ja gar nicht.

Und daher bleibt eigentlich nur eines übrig: Die große EURATOM-Lüge. Die bleibt übrig. Da zahlen Sie hinein. Da reden Sie nicht mit. Da können Sie nicht aussteigen. Das Einzige, was Sie können, ist, kräftig hineinzuzahlen. Das ist uns zu wenig!

Und daher liegt auch vom BZÖ heute ein Antrag vor, aus diesem misslichen EURATOM-Vertrag auszusteigen.

Der Herr Minister argumentiert ja zum Teil auch immer mit Gutachten, dass das nicht ginge, aber beim letzten Umweltausschuss war er ehrlich. Beim letzten Umweltaus­schuss hat er gesagt, es wäre weniger ein rechtliches Problem als vielmehr eine politische Frage der Entscheidung.

Das heißt: Sie wollen gar nicht aussteigen! Sie wollen gar nicht aus dem EURATOM-Vertrag aussteigen.

Und ähnlich ist es ja auch bei Isar 1. Es gibt eine Menge von guten Anträgen, die wir unterstützen, bis auf den Wischiwaschi-Antrag der Bundesregierung.

Also bitte schön, stellen Sie sich nicht hierher, Kollege Schultes, und sagen Sie nicht, wir brauchen einen gemeinsamen Schulterschluss. Der Antrag an sich ist ja völlig inhaltsleer, der hat ja keine rechtlichen Konsequenzen. Das Einzige, worum es bei Ihnen geht, ist, dass der Herr Bundeskanzler oder auch der Herr Umweltminister telefonieren soll, nach Bonn rausfahren soll, fragen soll: Welche Information dürfen wir denn haben? Und dürfen wir ein bisschen mitreden? – Und das war es dann. Aber es werden daraus keine rechtlichen Konsequenzen abgeleitet, kein Rechtsinstrument. All die Vorzüge der EU, die Sie immer so sehr hochloben, die nützen Sie jetzt nicht.

Was ist mit den EU-Richtlinien? Es gibt sie! Es gibt die EU-Richtlinien 49 und 42 aus 2001, die ja ein grenzüberschreitendes UVP-Verfahren oder SUP-Verfahren vorsehen. Warum nützen Sie das nicht?

Und dann kommt die Kollegin Bayr von der SPÖ und sagt: Na ja, aber bei dem Konzepterl, weil die Kraftwerke jetzt um acht Jahre länger laufen, da gilt das jetzt nicht! – Ja dann sagen Sie uns endlich: Wo gilt denn dann EU-Recht im Energie­bereich? Oder gilt es gar nicht?


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 279

Daher haben wir auch den Antrag eingebracht, hier alle rechtlichen Möglichkeiten auszunützen und auszuschöpfen, auch in Form eines Entschließungsantrages, den ich kurz vorlesen werde:

Entschließungsantrag

„Die österreichische Bundesregierung wird aufgefordert, sich im Sinne der EU-Richtlinie 2001/42/EG, Artikel 7, Absatz 1, an die deutsche Bundesregierung zu wenden, um die Einleitung eines grenzüberschreitenden UVP-“ – beziehungsweise SUP- – „Verfahrens zu veranlassen.“

*****

Ich bitte Sie: Machen Sie Nägel mit Köpfen! Hören Sie auf damit, dass Sie Anträge produzieren für das Papier, Anträge, die Sie vielleicht als Medienblasen verwerten können, aber die faktisch überhaupt nichts bringen! Denn das ist letztlich der Punkt bei Ihren Anträgen.

Herr Minister, eines würde mich auch interessieren – Kollegin Brunner hat es ange­sprochen –: Was ist denn rausgekommen bei diesen Gesprächen in Bonn? Was war die konkrete Fragestellung? Was war der Inhalt? Was war die Antwort aus Bonn? Sind wir jetzt beteiligt? Gibt es eine UVP oder gibt es keine? Oder was kommt raus?

Herausgekommen ist das, was Kollege Neubauer zeigt: die Verlängerung der Atomkraft um mindestens acht Jahre in Deutschland. Und da frage ich mich schon: Isar 1 ist rund 60 Kilometer von Braunau entfernt, liegt in der Nähe von Oberösterreich, in der Nähe von Salzburg, von Tirol, von Vorarlberg – und Sie machen business as usual: Da reden wir ein bisschen mit dem Minister draußen, kommen mit leeren Taschen zurück, haben keine konkreten Vorschläge, wie wir das verhindern, nützen auch nicht die Rechtsinstrumente dieser Europäischen Union, sondern lassen uns eigentlich von der Atomlobby draußen, der deutschen, das aufdiktieren, dass die Atomkraft noch um viele Jahre länger betrieben wird, noch dazu mit ganz gefährlichen Kraftwerken. (Zwischenruf des Abg. Ing. Schultes.)

Da gibt es aber, Herr Kollege Schultes, zum Glück Menschen, die haben ein Gespür für das. Allein in Oberösterreich, initiiert von NGOs und auch vom Anti-Atom-Beauf­tragten Pavlovec, wurden in wenigen Tagen über 8 000 Unterschriften für dieses UVP-Verfahren grenzüberschreitend gesammelt. Eine Aufforderung! Also bitte schön, nehmen Sie 8 000 Leute ernst, auch aus Oberösterreich oder auch die bayrischen Kollegen. In Bayern haben sie in wenigen Tagen 1 700 Unterschriften gegen dieses Ener­gie­konzept gesammelt.

Warum tun Sie da nichts dagegen? Warum nehmen Sie keine Rechtsinstrumente in die Hand und bemühen sich nicht, einmal die Fakten auf den Tisch zu legen?

Vom Herrn Umweltminister höre ich immer: Ein Ausstieg aus EURATOM geht rechtlich nicht. – Na ja, ein UVP-Verfahren oder SUP-Verfahren zu Isar 1 geht ja rechtlich auch nicht. Ich habe bis heute kein einziges Gutachten gesehen. Herr Minister, legen Sie die Gutachten des Verfassungsdienstes des BKA endlich auf den Tisch! Ich möchte sie einmal sehen. Mich würde es ja interessieren, denn ich glaube es schön langsam nicht mehr. Ich glaube, das geht sehr wohl, aber man will es einfach politisch nicht. Und daher werden uns auch diese Gutachten vorenthalten.

Das heißt: Ich bitte Sie wirklich, jetzt Nägel mit Köpfen zu machen (Abg. Mag. Ikrath: Das haben wir jetzt schon dreimal gehört! Eine bessere Rhetorik, Herr Kollege!), aber auch die Menschen ernst zu nehmen. Und, Herr Kollege Ikrath, eines sage ich Ihnen


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auch: Wenn bei mir Menschen einen Termin haben wollen, dann bekommen sie ihn. Herr Umweltminister, ich ersuche Sie ausdrücklich hier im Parlament, dem Anti-Atom-Komitee aus Oberösterreich einen Termin zu gewähren. (Abg. Mag. Ikrath: Für Nägel mit Köpfen!) Die versuchen seit Monaten, einen Termin bei ihm zu bekommen, und sie bekommen ihn nicht, Herr Kollege Ikrath. Das ist nicht die Bürgernähe, die ich mir erwarten würde. Aber vielleicht sieht das die ÖVP ein bisschen anders.

Also ich frage mich wirklich, warum hier nichts weitergeht.

Zum Schluss fordere ich Sie auf: Setzen Sie endlich konkrete Taten! Agieren Sie nicht nur mit Luftblasen und Papierchen! (Zwischenruf des Abg. Mag. Ikrath.) Setzen Sie Taten in Form von konkreten Rechtsschritten, denn bei der Energiepolitik und bei der Anti-Atom-Politik, Herr Kollege Ikrath, ist es fünf nach zwölf!

Zum Schluss gibt es für mich und besonders für Sie von der ÖVP-Fraktion die Alarmglocke. (Beifall beim BZÖ. – Abg. Mag. Widmann läutet, bevor er das Rednerpult verlässt, neuerlich mit der von ihm mitgebrachten Glocke.)

23.20


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Abgeordneter Mag. Widmann, ich rechne es der späten Stunde zu, dass Sie nicht bemerkt haben, dass sich das Glocken­mono­pol hier am Präsidium befindet!

Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht mit in Verhand­lung.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Widmann, Hagen, Kolleginnen und Kollegen, betreffend Bean­tragung einer grenzüberschreitenden Umweltprüfung

eingebracht in der 81. Sitzung des Nationalrates am 21. Oktober 2010 im Zuge der Debatte zu TOP 14, Bericht des Umweltausschusses über den Antrag 1280/A(E) der Abgeordneten Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend sofortige Stilllegung von Isar 1 (925 d.B.)

Die Vorgangsweise der deutschen Bundesregierung, die Laufzeit von Kraftwerken wie Isar 1 um acht Jahre zu verlängern, ist stark zu kritisieren. Isar 1 zählt zu den ältesten Kernkraftwerken, eine Stilllegung ist längst überfällig. Isar 1 liegt außerdem in der Einflugschneise des Münchner Flughafens, auf Grund der Hauptwindrichtung aus Westen stellt Isar1 ein potentielles Sicherheitsrisiko für das angrenzende Oberöster­reich dar.

Die Erstellung des deutschen Energiekonzeptes, welches die Basis für die beabsich­tigte massive Verlängerung der Betriebszeiten deutscher Atomkraftwerke darstellt, unterliegt einer grenzüberschreitenden UVP-Pflicht gemäß EU-Richtlinie 2001/49/EG. Die deutsche Bundesregierung versucht nun, das Konzept im Eilver­fahren durch den Bundestag zu bringen, um sich ein grenzüberschreitendes UVP-Verfahren zu sparen.

Aber auch die österreichische Bundesregierung ist in die Verantwortung zu nehmen und muss gemäß EU-Richtlinie 2001/42/EG eine grenzüberschreitende Umweltprüfung bei der deutschen Bundesregierung urgieren. Bei Ablehnung dieses Anliegens seitens der deutschen Bundesregierung müsste ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet werden.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 281

Seitens der österreichischen Bundesregierung setzt man auf Gespräche, eine doch sehr unverbindliche und wirkungslose Maßnahme, wenn man die Erfahrungen im Melker Prozess zur Lösung der Sicherheitsfragen beim AKW Temelin beachtet. Schein­bar haben die Regierungsfraktionen aus dem Desaster rund um den Schrott­reaktor Temelin nichts dazu gelernt, denn nach wie vor weigern sie sich auf Basis der zitierten rechtlichen Grundlagen, Maßnahmen zum Schutz der heimischen Bevölke­rung vor atomaren Gefahren zu ergreifen.

Die österreichische Atompolitik ist mittlerweile zu einer Farce mutiert, was sowohl der Posten des ehemaligen ÖVP-Bundeskanzlers im Aufsichtsrat eines der größten Atomstromerzeuger Deutschlands veranschaulicht, als auch die EURATOM-Lüge. Im Regierungsprogramm ist das anhaltende Bemühen um Reformbestrebungen des EURATOM-Vertrags, das die Möglichkeit eines einseitigen Ausstiegs einzelner Mitgliedsstaaten zum Ziel haben soll, festgehalten. Durch Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags ist diese Möglichkeit gegeben, wird jedoch von der österreichischen Bundes­regierung nicht genutzt. Stattdessen wurde zunächst diese Möglichkeit verleugnet und auf ein Gutachten des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes verwiesen. Bei näherer Nachfrage gab der Umweltminister zu, dass es sich um keine rechtliche, sondern eine politische Frage handle. Als EURATOM-Mitglied habe Österreich laut Umweltminister Berlakovich mehr Mitspracherechte und werde besser über Aktivitäten der Atomlobby informiert. Den Wahrheitsgehalt dieser Aussage hat die Temelin-Dis­kussion eindrucksvoll bewiesen.

Dieser Antrag gibt erneut die Gelegenheit, die wahre Ausrichtung der österreichischen Atompolitik zu beweisen.

Daher stellen die unterzeichneten Abgeordneten nachstehenden

Entschließungsantrag:

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die österreichische Bundesregierung wird aufgefordert, sich im Sinne der EU-Richtlinie 2001/42/EG Art. 7 Abs. 1 an die deutsche Bundesregierung zu wenden, um die Einleitung eines grenzüberschreitenden UVP- Verfahrens zu veranlassen.

*****

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abg. Schmuckenschlager. – Bitte.

 


23.20.43

Abgeordneter Johannes Schmuckenschlager (ÖVP): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Herr Kollege Widmann, Sie sind mit dem Glockerl eigentlich um zwei Monate zu früh (Zwischenruf der Abg. Steibl), denn dort, woher ich komme, wird das Christkind mit dem Glöckchen eingeläutet. Aber nach Ihren Ausführungen muss ich Ihnen schon sagen, dass Sie anscheinend auch energie- und außenpolitisch ein bisschen ein Christkindl sind! (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Wir müssen festhalten: In der EU sind derzeit 58 AKW in Betrieb, von 27 Staaten haben 14 AKW. Der Anteil der Kernenergie hat eine Schwankungsbreite von 4 Prozent in den Niederlanden bis hin zu 78 Prozent in Frankreich. Diesbezüglich muss man schon realistisch sein! Die Stromversorgung ist notwendig, denn Elektrogeräte funk­tionieren ja nicht mit einer Kurbel, und wir dürfen natürlich davon ausgehen, dass der Strom nicht einfach aus der Steckdose kommt, sondern dass man sich die Frage


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 282

stellen muss, Frau Kollegin: Wie kommt der Strom in die Steckdose hinein? (Abg. Mag. Brunner: Sind Sie jetzt für AKW oder nicht?)

Ein Drittel der EU-Staaten hat allerdings keine Kernenergie, und zu diesen Staaten zählt auch Österreich. Wir sprechen uns dafür aus, dass wir diese Energiequelle nicht wollen und auch nicht brauchen. Daher gilt es, wenn Gefahr an unseren Grenzen besteht, die Bevölkerung zu schützen, und genau diesen Zweck erfüllt der Ent­schließungsantrag und erfüllen auch die Initiativen des Herrn Bundesministers, der mit dem bilateralen Nuklearinformationsabkommen mit Deutschland sehr viel voranbringt. (Zwischenruf des Abg. Neubauer.)

Wir können einem anderen Staat nicht vorschreiben, was man dort in der Energiepolitik zu tun hat, denn wir wollen ja auch nicht, dass uns jemand vorschreibt, dass wir AKW errichten, sehr geehrter Herr Kollege! (Beifall bei der ÖVP.)

Wir können allerdings Alternativen aufzeigen, und dabei geht es vor allem um die Sicherheitsmaßnahmen. Es wäre widersinnig, aus Euratom auszusteigen. Das wäre geradezu fahrlässig und kurzsichtig. (Abg. Dr. Moser: Sie haben überhaupt keine Ahnung!) Es geht hier um die Verbesserung der Sicherheitsmaßnahmen, und der Verbleib Österreichs bei Euratom sichert uns die Teilnahme an Sicherheitsprüfungen und auch die Ausübung eines entsprechenden Einflusses. Dies ist insbesondere natürlich im Zusammenhang mit den AKW in unseren Grenzgebieten von hoher Bedeutung. (Zwischenruf der Abg. Mag. Brunner.)

Wir müssen ehrlich diskutieren und erkennen: Wir alle brauchen Strom, und Energie­politik ist und wird in den nächsten Jahren der entscheidende Wirtschaftsfaktor für unseren Standort sein und somit auch zum Wohlstand unserer Bevölkerung beitragen. Daher müssen wir aber auch alle Kraft daransetzen, erneuerbare Energien noch stärker einzusetzen und diese Energieformen stark zu fördern. Dank Bundesminister Berlakovich sind wir europaweit Vorreiter bei dieser Energie und beschreiten da einen sehr guten Weg.

Jeder Einzelne hat aber natürlich schon heute die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass weniger Strom vonnöten ist, und das ist relativ leicht zu erreichen, indem wir weniger Strom verbrauchen und einfach Strom sparen, denn Strom, den wir nicht verbrauchen, brauchen wir auch nicht zu produzieren. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

23.23


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Bundesminister Dipl.-Ing. Berlakovich. – Bitte.

 


23.24.00

Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Nikolaus Berlakovich: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die österreichische Bundesregierung hat einen ganz klaren Standpunkt: Wir sind nicht für die Atomkraft. Atomkraft ist für uns keine Form der nachhaltigen Energieversorgung. Atomkraft lässt mehr Fragen offen, als es Antworten gibt. Denken Sie an den hoch radioaktiven Restmüll, für den es auf der ganzen Welt kein Endlager gibt.

In diesem Sinne habe ich sofort Protest erhoben, als sich die deutsche Bundes­regie­rung auf das Energiekonzept geeinigt hat. Ich war der Erste, der das aufgezeigt und sofort Kontakt aufgenommen hat. Damals waren etliche, die sich jetzt ziemlich echauffieren, noch ziemlich still und ruhig. Wir haben in einem Gespräch erreicht – und ich habe das vom deutschen Umweltminister eingefordert –, dass wir im Rahmen des


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Bilateralen Nuklearinformationsabkommens, wie wir es auch mit Tschechien und mit der Slowakei haben, in erster Linie eine klare transparente Information bekommen.

Dieser Beschluss ist sehr detailliert und spricht viele Teilbereiche an. Darin geht es in erster Linie um Transparenz und Information, und es gab auch die ganz klare Zusicherung, dass es das geben wird.

In der weiteren Folge war es mir wichtig, dass wir auf Bundesebene zu einem gemein­samen Standpunkt gelangen, und das habe ich im Rahmen eines Ministerratsvortrags auch erreicht. Die österreichische Bundesregierung hat sich einstimmig dafür ausge­sprochen, gegenüber Deutschland ganz klar denselben Standpunkt einzunehmen wie gegenüber Tschechien oder der Slowakei. Uns wird vorgehalten, dass wir bei den einen schärfer und bei den anderen weniger scharf sind, aber das stimmt nicht! Wenn es um die Sicherheit der Österreicherinnen und Österreicher geht, sind wir überall mit der gleichen Intensität dahinter, und daher haben wir beschlossen, dass wir einerseits alle Details des Regierungsbeschlusses erfahren und dass andererseits die Infor­mationen laufend erfolgen müssen, dass wir erwarten, dass es konkrete Maßnahmen zur sicherheitstechnischen Nachrüstung von deutschen AKW gibt und dass wir Informationen über die Auswirkungen der grenznahen AKW auf Österreich erhalten wollen, insbesondere zum Reaktion Isar 1, der geschlossen werden muss, sofern er tech­nisch nicht nachgerüstet werden kann. (Abg. Mag. Brunner: All das wissen wir schon, das ist bekannt!)

In der Folge hat die deutsche Bundesregierung ihre Einigung beschlossen, und wir erziel­ten einen Teilerfolg: Gegenüber der ursprünglichen Einigung hat die deutsche Bundes­regierung festgelegt, dass sie verschärfte und ergänzende Sicherheitsmaß­nahmen trifft. Das ist ein erster Erfolg auch unserer Bemühungen, nicht nur, aber auch unserer Bemühungen. (Beifall bei der ÖVP.)

Das schon vielfach zitierte Treffen am 19. Oktober hat in einem gut nachbar­schaft­lichen Sinne stattgefunden. Die deutschen Behörden haben uns wirklich transparent und im Detail informiert. Das, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Neubauer, dass ich über die Deutsche Presseagentur etwas hätte verlauten lassen, stimmt nicht. Die Deutsche Presseagentur hat völlig falsch informiert. Sie hat dann ja auch ihre eigene Aussendung zurückgenommen und korrigiert. Ich habe niemals etwas Diesbezügliches gesagt, und auch kein Experte in Österreich akzeptiert den Beschluss der deutschen Bundesregierung. Das ist eine glatte Falschmeldung! (Zwischenruf des Abg. Neubauer.) Lesen Sie die Entgegnung! Natürlich hat es eine Entgegnung gegeben!

Im Gegenteil: Unsere Experten haben unseren Standpunkt bekräftigt! Es war dies nämlich – wie Sie auch wissen, Frau Kollegin Brunner! – keine politische Runde, sondern das war eine reine Fachexpertenrunde. (Abg. Mag. Brunner: Wann wird die politische Runde stattfinden?) Gedulden Sie sich! Das muss ja aufgearbeitet werden! Wollen Sie eine seriöse Information oder eine halbherzige? Sie werden die Information bekommen, das habe ich Ihnen zugesagt! (Abg. Mag. Brunner: Ich will die Information aber nicht erst dann, wenn es zu spät ist!)

Jedenfalls ist positiv zu vermerken, dass die deutschen Experten informiert und alle Details auf den Tisch gelegt haben, und das war uns wichtig. Daher trifft auch der Vorwurf – da hat Kollegin Bayr recht – nicht zu, dass wir die Rechtsmöglichkeiten nicht ausschöpfen. Sie können davon ausgehen, dass wir alle rechtlichen Möglichkeiten prüfen!

Wenn Sie hier wiederholt behaupten, dass eine SUP, eine Strategische Umwelt­prüfung, möglich wäre, dann stimmt das ganz einfach nicht. Kollegin Bayr hat dies­bezüglich völlig recht: Eine solche ist nur anzuwenden, wenn Pläne und Programme erstellt werden, die aufgrund einer Rechts- und Verwaltungsvorschrift erlassen wurden.


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Es muss also eine rechtliche oder gesetzliche Verpflichtung vorliegen, einen Plan oder ein Programm zu erstellen. Das Energiekonzept der deutschen Bundesregierung ist ein politisches Programm ohne rechtliche und gesetzliche Verpflichtung. Daher ist die SUP-Richtlinie nicht anzuwenden. Da können Sie deuten, so viel Sie wollen! Recht bleibt Recht, ob mir das gefällt oder nicht. (Abg. Mag. Brunner: Und was ist mit dem Wettbewerb?) 

Sie können davon ausgehen, dass wir das aktiviert hätten, wenn wir rechtliche Mög­lichkeiten gehabt hätten! Dessen können Sie ganz sicher sein! Man kann es aber nicht mit der Brechstange machen, weil Sie dann nämlich rechtlich eine Abfuhr erleiden. (Weiterer Zwischenruf der Abg. Mag. Brunner.)

Im Übrigen ist die Europäische Kommission die Hüterin der Verträge. Diese muss, ob es sich um Deutschland, Tschechien, die Slowakei oder einen anderen Staat handelt, auf das Kommissionsrecht Rücksicht nehmen und diesem zum Durchbruch verhelfen.

In diesem Sinne wird die österreichische Bundesregierung und werden wir uns weiter dafür einsetzen, dass es maximale Sicherheit für die österreichische Bevölkerung gibt. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der ÖVP.)

23.29


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Dipl.-Ing. Deimek. – Bitte.

 


23.29.19

Abgeordneter Dipl.-Ing. Gerhard Deimek (FPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundes­minister! Meine Damen und Herren! Hier wurde anscheinend so agiert, dass der Starkstromtechniker wahrscheinlich wiederum bis spät in der Früh seine Sachen suchen muss.

Nun zum eigentlichen Thema: Ich verstehe irgendwie die Haltung der deutschen Bundesregierung, ich verstehe sie aus einem wirtschaftlichen oder, genauer gesagt, aus einem betriebswirtschaftlichen Aspekt. Alte, abgeschriebene AKW auszufahren – wenn man zynisch ist, könnte man sagen, das Ganze auszufahren wie die Amerikaner, bis das Ding bricht –, das ist halt nicht wirklich das Gelbe vom Ei. Das liefert natürlich Strom zu den allerbilligsten Kosten, aber niemand redet von der Angst in den Leuten (Beifall bei der FPÖ.)

Diese Kraftwerke haben ein altes, schlechtes Design. Das Kraftwerk Landshut liegt, wie schon gesagt, in der Einflugschneise des Flughafens München. Wenn man dort vorbeifährt, sieht man auch, dass sich das Kraftwerk auch absolut in der Nähe zur Autobahn befindet. Wer ein bisschen mit Flugmodellen spielen will – ich habe mir das einmal von Kollegen Hofer erklären lassen –, wird feststellen, dass es ein Leichtes ist, ein bisschen etwas auf das Atomkraftwerk fallen zu lassen. Dann bekommt es einen Kratzer im Mantel, und schon haben wir den schönsten Strahlungsaustritt! (Zwi­schenruf des Abg. Scheibner.) – Richtig!

Der Punkt ist: Auch beim Flughafen kann natürlich etwas passieren. In Anlehnung an den alten Spruch, dass auch schon Hausherren gestorben sind, möchte ich sagen: Auch Concordes sind schon herunter gekommen! (Abg. Amon: Herunter kommen sie immer!)

Das ist der Punkt, der Angst bei den Menschen verbreitet, und auf diese Angst hat Frau Bundeskanzlerin Merkel leider nicht reagiert. Sie hält sich nicht an ihre eigenen deutschen Gesetze, und sie kümmert sich schon gar nicht um die EU-Regeln und um ihre EU-Partner. – Das erfordert allerdings eine österreichische Bundesregierung, die agieren muss, wenn man all die Demonstrationsveranstaltungen und Lichterketten


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 285

nicht zu reinen Folklore-Veranstaltungen in Deutschland oder im oberösterreichischen Raum verkommen lassen möchte.

Wir reagiert die Bundesregierung jetzt? – Ich weiß nicht, was die SPÖ bewegt hat, im Ministerrat dem Papier der ÖVP zuzustimmen! Was in diesem Papier steht und was wir heute vom Kollegen Schultes in Form eines Entschließungsantrags gesehen haben, ist jedenfalls Wischiwaschi beziehungsweise handelt es sich dabei, wie eine Referentin bei uns gesagt hat, um ein „Lulu-Papier“. Es fehlt nur mehr, dass wir es morgen der ganzen Klasse sagen. Das ist wirklich unter jeglicher Kritik! Es sind absolut keine Informationen darin enthalten! Was ist an Informationen darin enthalten? Der Wunsch an das Christkind? Das kann es bitte nicht sein!

Meine Damen und Herren! Sie kennen unsere sehr kritische Haltung zum EURATOM-Vertrag. Es hat immer geheißen, dass wir unbedingt dabei sein müssen, weil wir dann, wenn etwas geschieht, auch etwas verlangen können. Und was wird jetzt verlangt? – Der Herr Bundesminister hat es jetzt erklärt. Das, was jetzt im Rahmen des EURATOM-Vertrages verlangt wird, ist aber nicht wirklich das, was wir uns darunter vorstellen! Es ist nett, wenn wir Infos erhalten, aber das kann es nicht sein! Wir stellen uns vor, dass man nicht nur auf ÖVP-Seite einen ehemaligen Bundeskanzler hat, der seine persönlichen Nehmerqualitäten zeigt, ein bisschen Geld kassiert und seine Pension aufbessert, sondern wir stellen uns vor, dass man Rückgrat zeigt und dass man nicht ein Rückgrat wie einen Gartenschlauch hat!

Kollege Schmuckenschlager, ich weiß schon: Der Strom, der aus der Dose heraus­kommt, muss vorher hineinkommen. Das Ganze soll aber System haben. Wir werden klagen, wir sind die Guten, und wir ziehen das durch. – Danke. (Beifall bei der FPÖ. – Rufe: Das ist unerhört!)

23.33


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Schopf. – Bitte.

 


23.33.21

Abgeordneter Walter Schopf (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolle­ginnen! Liebe Kollegen! Es ist schon viel gesagt worden, daher nur noch ein paar Ausführungen dazu: Natürlich ist die gesamte Republik verunsichert, was diese Entwicklung in der Bundesrepublik betrifft. Etwas ist aber klar: Das ist jetzt nicht gegen die Opposition, ich bitte aber doch, zur Kenntnis zu nehmen, dass die ÖVP und die SPÖ und, wie ich annehme, auch alle anderen Parteien die Nutzung der Kernenergie ablehnen. Es gibt schon sehr viele gemeinsame Anträge, gemäß welchen wir im Hohen Haus diese Position beschlossen haben.

Es war auch richtig, dass nicht nur der Herr Minister sofort mit seinen Amtskollegen in Kontakt getreten ist und die österreichische Position dargelegt hat, sondern dass auch unser Bundeskanzler sofort mit Frau Merkel die Diskussion geführt hat, um ihr die Situation, die Schwierigkeiten und vor allem die Ängste, die in der Republik Österreich bestehen, darzulegen.

Meine Damen und Herren, worum geht es dabei? – Wenn man sich die Fakten ansieht, dann weiß man, dass das ein riesiges Problem ist. In dem neuen Koalitionsvertrag in der Bundesrepublik Deutschland werden die Betriebszeiten massiv verlängert, bei den älteren Atomkraftwerken geht es bekanntlich um immerhin acht Jahre und bei den neueren Atomkraftwerken, und zwar nicht nur bei Isar, sondern bei sämtlichen Atomkraftwerken, um 14 Jahre. Das bedeutet letztlich, dass der Ausstieg aus der Atomkraft in der Bundesrepublik Deutschland erst im Jahr 2040 stattfinden wird, und das bedeutet auch, dass über vier Tonnen an zusätzlichen radioaktiven Abfällen pro­


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 286

duziert werden. Das ist sicherlich ein großes Problem, weil bis heute kein ent­sprechendes Endlager existiert.

Ich meine, dass sicherlich die rechtlichen Möglichkeiten, die wir haben, ganz ausgeschöpft werden, und ich denke, dass es auch wichtig ist, eine politische Lösung anzustreben. Wir können nur versuchen, auf politischem Wege bilateral mit unseren Nachbarn ins Gespräch zu kommen, um sie zu überzeugen, dass der Weg, den die Bundesrepublik Deutschland in diesem Zusammenhang eingeschlagen hat, nicht richtig ist. (Beifall bei der SPÖ.)

23.35


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Jannach. – Bitte.

 


23.35.54

Abgeordneter Harald Jannach (FPÖ): Frau Präsidentin! Herr Minister! Herr Abge­ordneter Schopf, es ist zweifelsohne richtig, dass wir bilaterale Gespräche führen müssen, und wir alle sind uns einig darüber, dass wir in Österreich keine Kernenergie haben wollen.

Ich frage aber wirklich, was Sie als Abgeordnete von den Regierungsparteien und die Leute von der ÖVP-Atomlobby tun, wenn in Temelίn, in Krško oder in Bohunice wirklich etwas passiert? Was tun Sie denn dann? – Dann bekommen Sie eine Information, und der Herr Minister wird als erster im Strahlenschutzbunker sitzen und eine Protestnote nach Pressburg, Laibach oder wohin auch immer schicken, aber das wird dann nicht mehr helfen! Bilaterale Gespräche sind schön und gut, aber man muss sich doch wirklich beherzt gegen diese Atomenergie einsetzen. Diese Kernkraftwerke, vor allem die unsicheren wie Temelín, Bohunice und Krško befinden sich nämlich alle im unmittelbaren Nahbereich Österreichs.

Deshalb wollen wir, dass man wirklich massiv dagegen auftritt und nicht sagt: Der Strom muss erst in die Steckdose hinein, wir müssen jetzt etwas bauen! Es hilft nichts, wenn man das nicht will, dann muss man das auch intensiv vertreten und darf nicht nur sagen: Wir können nichts machen! Ich sage: Man muss eben konsequent auftreten!

Wir von der FPÖ sind dafür, aus dem EURATOM-Vertrag auszusteigen. Das geht! (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Wir sind auf jeden Fall dafür, aus diesem EURATOM-Vertrag auszusteigen, weil wir bis heute noch nicht in Erfahrung bringen konnten, was die Mitgliedschaft bei diesem EURATOM-Vertrag Österreich wirklich bringt! Nicht einmal der Bundeskanzler war auf Anfrage bereit, zu erklären, was das die Öster­reicher kostet. Es schwirren Zahlen von 30 oder 40 Millionen herum. Niemand weiß etwas Genaues. Deswegen werden wir uns dem Antrag des Kollegen Widmann vom BZÖ anschließen, in dem schon zum wiederholten Male ein Ausstieg aus diesem EURATOM-Vertrag gefordert wird, denn EURATOM fördert die Atomenergie und verhindert sie nicht.

Wenn Sie immer sagen, dass man dabei sein muss, damit man mitreden kann, dann möchte ich nur ein einziges Argument hören, was die Mitgliedschaft bei EURATOM bis jetzt gebracht hat. Der Minister war bis jetzt nicht bereit, irgendetwas zu sagen, weder was es kostet, noch was es bringt. Eine aktive Anti-Atompolitik kann nicht darin be­stehen, dass man nur hergeht und sagt, dass wir einfach bilaterale Gespräche führen und dann schon nichts passieren wird. Das stellen wir uns nicht als aktive Anti-Atom­energie-Politik vor! – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

23.38


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Hornek. – Bitte.

 



Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 287

23.38.33

Abgeordneter Erwin Hornek (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Der öster­reichische Standpunkt in Bezug auf Atomenergie ist klar und wird von der öster­reichischen Bevölkerung gemeinsam getragen. Grundsätzlich kann man festhalten, dass auch die hier in diesem Haus vertretenen Parteien gemeinsam einen einhelligen Standpunkt gegen die Nutzung der Atomenergie für Energiezwecke einnehmen. Die geplante Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken in Deutschland hat verständlicher­weise große Besorgnisse ausgelöst.

Sehr geehrte Damen und Herren! Dort, wo es um legitime Schutzbedürfnisse der österreichischen Bevölkerung beziehungsweise um den Schutz der Umwelt geht, ist Österreich berechtigt und verpflichtet, die Stimme zu erheben. Die österreichischen Interessen werden federführend von unserem Bundesminister für Umwelt Niki Berla­kovich wahrgenommen. Von Kollegen Neubauer würde ich mir erwarten, dass er sich mit der gleichen Inbrunst, wie er sie heute hier zum Ausdruck gebracht hat, bei seinem Parteifreund Brüderle einbringen möge, denn gerade dieser ist als Deutschlands Wirtschaftminister dafür zuständig, Herr Kollege Neubauer.

Österreich hat einen extrem hohen Eigenversorgungsgrad in Bezug auf Strompro­duktion, resultierend aus der Wasserkraft. Viele andere Bereiche wurden in den letzten Jahren in Bezug auf erneuerbare Energie und Stromproduktion ausgebaut.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben gestern einstimmig einer Kapital­erhöhung des Verbundes zugestimmt. (Abg. Mag. Brunner: Nein, nicht einstimmig!) – Frau Kollegin, ich nehme zur Kenntnis, dass das Ihrerseits nicht der Fall war und bin umso verwunderter, denn gerade das wäre ein richtiges Signal gewesen, um erneuer­bare Energieformen wie Wasserkraft zu unterstützen.

Wie mein Kollege Hermann Schultes schon ausgeführt hat, ist für die Verwendung von erneuerbarer Energie auch ein solides Stromnetz vonnöten, um die aus Windenergie, Biomasse und Wasserkraft gewonnenen Strommengen zur Bevölkerung zu bringen.

Unser gemeinsames positives Beispiel in Österreich kann man, wie Kollege Deimek meinte, unter Titel stellen kann: Wir alle zusammen sind in diesem Zusammenhang die Guten! (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dipl.-Ing. Deimek: Nein, so habe ich das nicht gemeint!)

23.41


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zu einer tatsächlichen Berichtigung zu Wort gemeldet hat sich Herr Abgeordneter Neubauer. Herr Abgeordneter, Sie kennen die GO-Bestimmungen. – Bitte.

 


23.41.18

Abgeordneter Werner Neubauer (FPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrt­er Herr Bundesminister! Mein Vorredner, Herr Kollege Hornek, hat gerade behaup­tet, ich sei Parteifreund eines gewissen Herrn Brüderle.

Ich berichtige tatsächlich: Ich bin kein Parteifreund von Herrn Brüderle, ich kenne ihn auch nicht – und möchte ihn auch nicht kennenlernen.

23.41


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Gessl-Ranftl. – Bitte.

 


23.41.52

Abgeordnete Andrea Gessl-Ranftl (SPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es heute schon des Öfteren


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 288

gehört: In den letzten Tagen und Wochen haben sehr wohl die aktuellen Entwicklungen zur Atomenergie in Deutschland in Österreich große Besorgnis ausgelöst. Österreichs Bevölkerung lehnt die Atomkraft ab. Sie wehrt sich immer wieder engagiert gegen grenznahe Atommeiler, und das hat die Politik wahrzunehmen und zu akzeptieren, sie hat darauf zu reagieren und daraus auch Schlüsse zu ziehen.

Die Verlängerung der AKW-Laufzeiten ist mit Sicherheit ein fatales Signal über Deutsch­land hinaus. Angesichts des Klimawandels reden wir immer von einer Stärkung der erneuerbaren Energien, daher möchte ich schon deutlich darauf hinweisen, dass die Atomkraft eindeutig nicht dazu gehört.

Die Entscheidung, die Deutschland damit getroffen hat, ist meines Erachtens äußerst unverantwortlich.

Für mich stellt sich auch immer wieder die Frage der Endlagerung. Und aufgrund der letzten Diskussionen kann man sehr wohl behaupten, dass diese Frage noch immer als eine offene gilt und dass man bei der Entsorgung des Atommülls nach wie vor auf der Stelle tritt. Es sind da also noch viele Fragen offen, und die Atomkraft ist eine veraltete Technologie.

Angesichts der geographischen Lage ist es ein politisches Muss, eine rasche Ab­schaltung des Kernkraftwerkes Isar 1 zu erwirken. Isar 1 ist ein alter Reaktor und müsste demnach sofort abgeschaltet werden. Solche Atomkraftwerke gefährden die Bevölkerung in Deutschland und in Österreich. Sie stellen, wie wir alle wissen, ein enormes Risiko dar. Der Reaktor Isar 1 weist auch nur eine sehr dünne Außenhülle auf.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von der Politik wird erwartet, dass es über die Grenzen hinweg eine saubere Energiegewinnung gibt. (Abg. Scheibner: Frau Kollegin, haben Sie das Ihrem Bundeskanzler schon gesagt?) Das heißt, dass wir alles unternehmen müssen, um die erneuerbaren Energien zu forcieren, denn unsere Zukunft liegt darin. (Abg. Scheibner: Dem Bundeskanzler sagen!)

Atomkraft als erneuerbare Energie zu bewerten, wie das in der EU immer wieder geschieht, ist für mich beinahe schon grotesk. (Abg. Scheibner: Der Herr Bundes­kanzler könnte das vertreten!)

Wir haben uns in Österreich dafür entschieden, unsere Nachkommen vor Atommüll und Strahlung zu schützen und in erneuerbare Energien zu investieren. (Abg. Petzner: Ist das eine Vorlesung oder ...?) – Herr Petzner, wenn Sie etwas zu sagen haben, sagen Sie es mir bitte nachher. (Abg. Scheibner: Nein, jetzt!)

Dieses Konzept muss nachhaltig verfolgt, aber auch entsprechend ausgebaut wer­den. – Danke. (Beifall und Bravoruf bei der SPÖ.)

23.44


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Mayer. – Bitte.

 


23.44.36

Abgeordneter Peter Mayer (ÖVP): Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kol­le­gen, mir geht es genauso wie Ihnen: Ich bin nicht begeistert von der Entscheidung, die in Deutschland getroffen wurde! Aber wir müssen auch daran arbeiten, dem etwas entgegenzusetzen: einerseits, indem wir politisch aktiv werden – und das tun wir auch –, andererseits müssen wir auch Alternativen aufzeigen.

Welche Alternativen zu Atomenergie haben wir? – Natürlich die erneuerbaren Ener­gien. Wir haben in Österreich die Energiestrategie, entwickelt von den Bundesministern Berlakovich und Mitterlehner, die genau aufzeigt, welche Potenziale wir da haben. Und


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 289

wenn wir diese Potenziale nicht voll ausschöpfen, dann werden wir dem nichts entge­gen­zusetzen haben.

In meiner Heimatgemeinde musste ich im politischen Alltag folgende Erfahrung machen, als es um eine Abstimmung im Gemeinderat über die Widmung eines Wind­parks ging – es handelt sich dabei um vier Windräder; wir haben bereits eines, das sehr wirtschaftlich arbeitet, und das hat wirklich Zukunft –: Aus parteipolitischem Kalkül haben das BZÖ – wir haben eine BZÖ-Gemeinderätin – und die FPÖ dagegen gestimmt! (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Pendl: Hört! Hört!)

Meine geschätzten Damen und Herren! Wenn wir da nach dem Florianiprinzip handeln, werden wir in Zukunft der Atomenergie nie etwas entgegenzusetzen haben. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

23.46


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Mag. Maier. – Bitte.

 


23.46.06

Abgeordneter Mag. Johann Maier (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Wort zum Kollegen Neubauer: Wir wissen schon, es gibt immer Probleme auf der internationalen Ebene, mit wem die Freiheitlichen gerade zusammenarbeiten, wen sie kennen, wen sie nicht kennen, wen sie kennen wollen. Und das ist ein Problem!

Kollege Neubauer, das mit der FDP mag stimmen, aber wie sieht es eigentlich mit der Popolo della Libertà und der Lega Nord aus? Wie steht es um die Glaubwürdigkeit der Freiheitlichen Partei in der Frage des Wiedereinstiegs Italiens in die Nuklearenergie, wo die Berlusconi-Partei Popolo della Libertà mit der Lega Nord gemeinsam den Wiedereinstieg beschlossen hat? Ich habe darüber nichts erfahren – und Österreich ist davon genauso berührt. (Zwischenruf des Abg. Neubauer.)

Kollege Neubauer, solange die Freiheitliche Partei hier nicht klare Positionen gegen­über der Lega Nord vertritt, so lange ist jeder Antrag in dieser Richtung absolut unglaubwürdig! (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Hohes Haus! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Österreich eint ein Anti-Atom­konsens. In der Frage des Euratom-Vertrages gibt es unterschiedliche rechtliche Einschätzungen. Es gibt auch unterschiedliche Einschätzungen in der Frage, welche Möglichkeiten wir haben, gegen Kernkraftwerke in anderen Ländern vorzugehen.

Diesen nationalen Anti-Atomkonsens gibt es auch in den Bundesländern, und ich darf dem Hohen Haus berichten, dass am Mittwoch im Salzburger Landtag einstimmig ein Antrag beschlossen wurde – auch mit den Stimmen der Freiheitlichen und mit den Stimmen der Grünen –, der im Grunde genommen dem Antrag der Regierungsparteien hier entspricht.

In diesem Sinne darf ich Sie einladen, unserem Antrag auch zuzustimmen. (Beifall bei der SPÖ.)

23.48


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Mag. Brunner. Frau Abgeordnete, ich mache darauf aufmerksam, das sind die letzten 3 Minuten für Ihre Fraktion. – Bitte.

 


23.48.25

Abgeordnete Mag. Christiane Brunner (Grüne): Frau Präsidentin! Nur kurz zu den energiepolitischen Expertisen, die es da gegeben hat:


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 290

Ja, erneuerbare Energien sind wichtig. Wir machen in Österreich diesbezüglich aber zu wenig. Und gerade auch diese Entscheidung, auf Atomenergie zu setzen, ist zum Nachteil für die erneuerbaren Energieträger. (Zwischenruf des Abg. Großruck.)

Wenn Sie von der Abschaltung der Kernkraftwerke sprechen: Wenn auch nur die acht ältesten Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet werden würden, so würde das etwa dem entsprechen, was Deutschland an Strom exportiert. Ich kann Sie beruhigen, es ginge in Deutschland also sicher nicht das Licht aus.

Herr Minister, Sie haben gesagt, klare, transparente Informationen habe es aus deutscher Sicht gegeben. Ich würde mir wünschen, dass es das auch in Österreich gibt. Das gibt es nämlich nicht!

Ich habe Sie vor mehr als drei Wochen aufgefordert, uns alle einzubeziehen, ich habe allerdings keine Antwort bekommen. – Das zu Ihrer Informationspolitik.

Zu den Informationen, die Sie jetzt haben wollen oder auf die Sie geduldig warten wollen: Diese Informationen sind bekannt. Es ist bekannt, dass es eine Senkung des Schutzniveaus geben wird. Es ist bekannt, dass Isar 1 nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert ist, dass das einfach als Rest-Risiko hingenommen wird.

Ich frage Sie daher jetzt noch einmal: Worauf wollen Sie geduldig warten? Und bis wann wollen Sie warten, denn – noch einmal – der Beschluss erfolgt am 28. Okto­ber? – Sie haben gesagt, wenn es rechtliche Möglichkeiten gibt, dann werden Sie diese ergreifen.

Bei der Strategischen Umweltprüfung kann man vielleicht diskutieren, aber – ich habe es Ihnen aufgezählt, auch in unserem Antrag – dieser Beschluss widerspricht dem EU-Wettbewerbsrecht, er widerspricht dem Vergaberecht. Kann ich jetzt davon ausgehen, dass Sie Klagen anstrengen werden? Ich habe darauf keine Antwort von Ihnen bekom­men, würde mir das aber erwarten.

Wenn die Kollegen von der FPÖ einen positiven Effekt unserer EURATOM-Mitgliedschaft haben wollen, dann kann ich sagen: Deutschland hat mit dieser Entscheidung auch den EURATOM-Vertrag verletzt, nämlich die Auskunfts- und Meldepflicht. Das wäre jetzt eine Möglichkeit, wenn wir jetzt noch dabei sind, dass wir hier klagen und diese Mitteilungspflicht, die Deutschland nicht erfüllt hat, einklagen.

Also noch einmal, Herr Bundesminister: Was werden Sie jetzt tun, außer auf Infor­mationen zu warten? Werden Sie diese Klagen anstrengen: ja oder nein? – Danke. (Beifall bei Abgeordneten der Grünen. – Ruf bei der ÖVP: Verhaltener Applaus!)

23.50


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Mag. Letten­bichler. – Bitte.

 


23.50.54

Abgeordneter Mag. Josef Lettenbichler (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ge­schätzter Herr Bundesminister! Frau Kollegin Brunner, Sie mühen sich hier ja redlich ab, aber wenn Sie in Ihre eigenen Reihen schauen, dann werden Sie sehen, gerade fünf Abgeordnete der Grünen sind anwesend. Da sehen Sie, wie weit sich Ihre Partei von den Wurzeln einer ökologisch bewegten Partei entfernt hat. (Beifall bei der ÖVP.) Nur fünf Abgeordnete, also nur ein Viertel der Abgeordneten, sind anwesend. „Gratu­lation“ dazu! (Zwischenruf des Abg. Brosz.)

Meine Vorredner von der ÖVP haben ja schon mehrmals klargestellt, dass die Atomkraft für Österreich keine Option darstellt, weder für die Energiegewinnung noch für Klimaschutzmaßnahmen. Wir gehen da in Österreich andere Wege. Der Weg, den unsere Bundesregierung da geht, ist der richtige Weg, denn es ist der nachhaltige. Wir


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 291

setzen künftig noch mehr auf bei uns vorhandene Ressourcen und somit auf erneuer­bare Energie.

Einmal mehr verwundert mich die Haltung der Grünen. So hat ja gestern Kollegin Brunner im Zuge der Debatte über die Kapitalerhöhung des Bundes an der Ver­bund AG zwar gemeint, sie wolle ja nicht die Wasserkraft – und ich zitiere hier – schlechtmachen, sprach sich sogar für einzelne – einzelne! – Kleinwasserkraftwerke aus, aber im selben Atemzug wurde gleich gegen den Verbund wieder „losgeledert“, und schon war wieder die Rede von Riesenkraftwerken und Großkraftwerken, die man nicht will. (Abg. Mag. Brunner: Ja!) Und da frage ich mich schon, was Sie wollen. Das ist die typische Ja, aber- und dann doch Nein-Haltung der Grünen.

Frau Kollegin, mit Ihrer Doppelzüngigkeit und Wischiwaschi-Haltung bringen Sie Österreich in der Energiefrage keinen Zentimeter weiter. (Beifall bei der ÖVP.) Aber machen Sie nur so weiter und pflegen Sie Ihr Image als Verhinderungspartei! – Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Mag. Lettenbichler – das Rednerpult verlassend –: Fünf Abgeordnete, und davon redet eine!)

23.52


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Noch einmal Herr Abgeord­neter Neubauer. – Bitte.

 


23.52.57

Abgeordneter Werner Neubauer (FPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehr­ter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn man über dieses hochsensible Thema spricht, dann sollte man sich auch ein bisschen in der Grund­substanz auskennen, wie ich meine, und sich nicht hier herstellen und auf Kosten der österreichischen Bevölkerung polemisieren.

Worum geht es? – Es geht um zwei extrem wichtige Punkte: einerseits um die Frage, ob Rechtsbruch in Deutschland selbst erfolgt ist, ob durch die Verlängerung der Laufdauer der Atomkraftwerke deutsches Recht und damit auch EU-Recht verletzt worden sein könnte, ob dadurch die Grundverfassung, wie es in Deutschland heißt, nämlich das Grundrecht, verletzt worden sein könnte. (Abg. Dr. Moser: Grund­gesetz ...!)

Einer der profiliertesten Kenner dieser Rechtsmaterie, Herr Professor Dr. Hans-Jürgen Papier, immerhin ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichtes in Deutsch­land, hat in einem Gutachten eindeutig festgestellt, dass dieser Fall eingetreten ist und dass es rechtswidrig ist, dass die Bundesländer damit nicht befasst wurden.

Gleichzeitig leitet der Atomspezialist Wolfgang Renneberg davon ab, dass durch die Verlängerung der Laufzeiten von zehn Atomkraftwerken eine massive Gefährdung gesundheitlicher Natur der deutschen und österreichischen Bevölkerung bevorsteht und EU-Richtlinien verletzt werden, weil in diesem Fall eine Umweltverträglich­keitsprüfung grenzüberschreitend hätte durchgeführt werden müssen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Geschätzter Herr Bundesminister, wenn Sie hier hergehen und sagen, es gebe keine Rechtsposition, die wir Österreicher vertreten könnten, um hier einzuschreiten, dann sind Sie wirklich in Unkenntnis der gesamten Sach- und Rechtslage. Diesen Vorwurf kann ich Ihnen nicht ersparen!

Wir werden den Rechtsweg beschreiten. Wir werden beim Europäischen Gerichtshof morgen die Klage gegen Deutschland einreichen. Was Sie machen, das ist mir einerlei! (Beifall bei der FPÖ. – Abg. Großruck: Subjektiv hat er nicht unrecht, objektiv ...!)

23.55



Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 292

Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Stauber. – Bitte.

 


23.55.21

Abgeordneter Peter Stauber (SPÖ): Frau Präsidentin! Sehr geschätzter Herr Minis­ter! Werte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzter Herr Kollege Neubauer, ich glaube doch, dass uns allen hier in diesem Hause klar ist, wie prekär die Situation in Deutsch­land ist, und dass wir uns alle gemeinsam gegen diese Vorgänge aussprechen. Ich glaube, das haben alle Redner heute auch zum Ausdruck gebracht.

Es ist erfreulich, dass sich hier in diesem Hause wirklich jetzt knapp vor Mitternacht alle gegen dieses Atomgespenst, das in den Nachbarstaaten um Österreich herumkreist, aus­sprechen und Maßnahmen dagegen setzen wollen.

Ich möchte an dieser Stelle nochmals betonen, dass Österreich nicht nur an den nördlichen und östlichen Grenzen diese Bedrohung hat, sondern vor allem auch an den südlichen Grenzen. Wir in Kärnten haben das Atomkraftwerk Krško in unserer unmittel­baren Umgebung, und auch in Italien, in Norditalien steht dieses Gespenst vor der Tür, auch dort will man ein neues Atomkraftwerk bauen. Noch dazu stellt man Überlegungen dahin gehend an, an der österreichischen, an der Kärntner Grenze Endlagerstätten für Atommüll, die man dort in Aussicht hat, zu errichten.

Herr Minister! Ich fordere Sie und die Bundesregierung auf, auch das nicht zu ver­schlafen, sondern vehement dagegen aufzutreten, insbesondere was Krško, was Slowenien betrifft, denn Slowenien hat sich beim Beitritt zur EU dazu bekannt, dage­gen auftreten zu wollen. Bitte auch das einzufordern und auch die Italiener frühzeitig zu warnen, dass Österreich alles unternehmen wird, um das zu verhindern. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ und BZÖ sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

23.56

23.56.20

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet.

Die Debatte ist geschlossen.

Ein Schlusswort seitens des Berichterstatters wird nicht gewünscht.

Wir gelangen nun zur Abstimmung, die ich über jeden Ausschussantrag getrennt vornehme.

Zunächst kommen wir zur Abstimmung über den Antrag des Umweltausschusses, seinen Bericht 925 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dazu ihre Zustimmung geben, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist mit Mehrheit angenommen.

Wir gelangen weiters zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abge­ordneten Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend grenzüberschreitende UVP bei Betriebsverlängerung deutscher AKWs.

Wer diesem Antrag die Zustimmung gibt, den bitte ich um ein diesbezügliches Zeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir gelangen ferner zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abge­ordneten Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend keine Rückkehr zur Atom­kraft in Italien.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dazu die Zustimmung geben, um ein ent­sprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 293

Wir gelangen des Weiteren zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Ing. Schultes, Bayr, Kolleginnen und Kollegen betreffend geplante Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken in Deutschland.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dazu ihre Zustimmung geben, um ein diesbezügliches Zeichen. – Dieser Antrag ist mit Mehrheit angenommen. (E 129.) (Abg. Neubauer: Das ist der peinlichste Antrag heute!)

Wir gelangen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeord­neten Mag. Brunner, Kolleginnen und Kollegen betreffend Stopp der geplanten Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke.

Wer diesem Antrag die Zustimmung gibt, den bitte ich um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt. (Abg. Scheibner – in Richtung SPÖ –: Was ist mit der Frau Lehrer dort hinten in der letzten Reihe? – Gegenruf der Abg. Mag. Wurm. – Abg. Scheibner: Dafür reden und dagegen stim­men!)

Wir gelangen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Widmann, Kolleginnen und Kollegen betreffend Beantragung einer grenzüber­schreitenden Umweltprüfung.

Wer diesem Antrag die Zustimmung gibt, den bitte ich um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.

Weiters gelangen wir zur Abstimmung über den Antrag des Umweltausschusses, seinen Bericht 926 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dazu ihre Zustimmung geben, um ein ent­sprechendes Zeichen. – Das ist mit Mehrheit angenommen.

Schließlich kommen wir zur Abstimmung über den Antrag des Umweltausschusses, seinen Bericht 927 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Wer diesem Antrag des Umweltausschusses die Zustimmung gibt, den bitte ich um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist mit Mehrheit angenommen.

*****

Die Tagesordnung ist erschöpft.

00.00.01Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über den Antrag der Abgeordneten Neubauer, Dr. Rosenkranz auf Einsetzung eines Unter­suchungsausschusses betreffend die nähere Untersuchung der politischen und rechtlichen Verantwortung in Zusammenhang mit dem staatsanwaltschaftlichen Ermitt­lungs­verfahren im Abgängigkeitsfall Natascha Kampusch.

Da dieser Antrag inzwischen an alle Abgeordneten verteilt wurde, braucht eine Ver­lesung durch den Schriftführer nicht zu erfolgen.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 294

Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses mit Debatte (Verlangen)

der Abgeordneten Neubauer, Dr. Rosenkranz und weiterer Abgeordneter betreffend die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gemäß § 33 GOG-NR zur näheren Untersuchung der politischen und rechtlichen Verantwortung im Zusammenhang mit dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren im Abgängigkeitsfall Natascha Kampusch

Die unterfertigten Abgeordneten stellen den Antrag, einen Untersuchungsausschuss im Verhältnis S : V : F : G : B = 5 : 5 : 3 : 1 : 1 einzusetzen.

Gegenstand der Untersuchung:

1. Untersuchung der von Dr. Johann Rzeszut, Präsident des Obersten Gerichtshofes i.R., erhobenen Vorwürfe der fachlich nicht plausibel zu erklärenden Besonderheiten des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens im Kriminalfall Natascha Kam­pusch.

2. Aufklärung, ob entscheidende polizeiliche Ermittlungsergebnisse in einer konse­quenten und beharrlich fortgesetzten Art und Weise vernachlässigt wurden.

3. Aufklärung, ob und warum es zu langfristigen Verzögerungen bzw. bis zuletzt zur gänzlichen Unterlassung offensichtlicher und kriminaltechnisch indizierter wesentlicher Ermittlungsschritte gekommen ist.

4. Aufklärung, ob und warum es zu einer wesentlichen und langfristigen Behinderung der vom Innenressort angeordneten Evaluierung sicherheitsbehördlicher Ermittlungs­maß­nahmen gekommen ist.

5. Aufklärung, ob und warum es zu einer beharrlichen Nichtbeachtung der Angaben der einzigen unbeteiligten Zeugin kam.

6. Aufklärung, ob und warum es zu einer sachlich nicht vertretbaren Druckausübung, den Ermittlungsakt zwecks Durchführung einer finalen Pressekonferenz umgehend zu schließen, auf jenen Polizeibeamten, der zuletzt vom Bundeskriminalamt mit den fall­be­zogenen Ermittlungen beauftragt war, gekommen ist.

7. Aufklärung, ob und warum es zu einer staatsanwaltschaftlichen Vernachlässigung weiterer Ermittlungsansätze gekommen ist.

Untersuchungsauftrag:

Der Untersuchungsausschuss soll durch die Anwendung aller in der VO-UA vorge­sehenen Instrumente zum Untersuchungsgegenstand, insbesondere durch die Vorlage von Akten der Bundesministerien für Inneres und Justiz sowie von Akten der Justizbehörden sowie durch die Anhörung von Auskunftspersonen, die den Gegen­stand der Untersuchung bildenden Umstände ermitteln.

Begründung:

*****

(Anmerk.: Textinterpretation des im Original-Antrag eingescannten Schreibens)

*****

Dr. Johann Rzeszut

Präsident des Obersten Gerichtshofes i.R.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 295

p.A. OGH-Präsidium

Justizpalast, Schmerlingplatz 10-11

1016 Wien

Tel.Nr.: +43(0) 6765081005

Herrn Dr. Josef CAP

Obmann des Klubs der sozialdemokratischen Abgeordneten zum Nationalrat

Herrn Karlheinz KOPF

Obmann des Parlamentsklubs der Österreichischen Volkspartei

Herrn Heinz-Christian STRACHE

Obmann des Freiheitlichen Parlamentsklubs

Frau Mag. Dr. Eva GLAWISCHNIG-PIESCZEK

Obfrau des Grünen Klubs im Parlament

Herrn Josef BUCHER

Obmann des Parlamentsklubs des BZÖ

durchwegs Parlament, Dr. Karl Renner-Ring 3

1017 Wien                                                                                                                                                          

                                                                                                                   Wien, am 29. September 2010

Sehr geehrte Frau Dr. Glawischnig,

sehr geehrte Herren Klubobmänner!

Betrifft: Art. 52 B-VG – Sachverhaltsmitteilung zum staatsanwaltschaftlichen Ermitt­lungs­verfahren im Abgängigkeitsfall Natascha Kampusch

Das vorliegende Schreiben fällt mir nicht leicht, als ehemaligem Staatsanwalt und auch im Ruhestand mit der Justiz bleibend verbundenem Richter sogar extrem schwer, aber das Gewicht und die grundsätzliche Bedeutung der zum Entführungs- und Abgängig­keitsfall Natascha Kampusch im Bereich staatsanwaltschaftlicher Verantwortung praktizierten atypischen, sachlich nicht nachvollziehbaren Vorgangsweisen und die in diesem Zusammenhang leider gemachte Erfahrung, dass eine sachdienliche ressortinterne Abhilfe auch in oberster Ebene nicht zu erwirken war, machen es mir mit Blick auf Art. 52 B-VG zur Pflicht, die Führungsverantwortung der Klubs der im Parla­ment vertretenen Parteien entsprechend zu informieren. Dies umso mehr als man nach allem, was dazu bekannt wurde, nicht umhin kann, den tragischen Selbstmord von Polizeioberst Franz Kröll, des früheren Leiters des Landeskriminalamtes Steiermark und zuletzt führenden Ermittlers der mit dem „Fall Kampusch“ betrauten operativen Sonderkommission des Bundeskriminalamtes, als Verzweiflungstat zu verstehen, die nicht unwesentlich durch eine unverständlich beharrliche Resistenz der staatsanwalt­schaftlichen Ermittlungsleitung gegenüber sicherheitsbehördlichem Ermittlungsfort­schritt entscheidend mitausgelöst wurde.

Vorweg: Ginge es allein um ein Opfer, das im Alter von 10 Jahren – damals erwie­senermaßen gegen seinen Willen – entführt wurde und in der Folge unter Bedin­gungen zu einer jungen Frau heranwuchs, die mit normaler Kindheit nichts zu tun hat­ten, wären die strafrechtliche Seite des Falls mit dem Ableben des vom Opfer bezeich­neten angeblichen Alleintäters abgeschlossen und Opferinteressen an einem ehest­möglichen Abklingen belastender Kindheitserfahrungen uneingeschränkt zu respek­tieren. Was in der Folge angesprochen wird, ist das – auch wirksamen Opferschutz ein­schließende – öffentliche Interesse an sachkompetenter und pflichtgemäßer Wahr­nehmung staatsanwaltschaftlicher Verantwortung, das insbesondere im Bereich kapitaler Delinquenz akzentuiertes Gewicht hat und es vorliegend nicht zulässt, mit Stillschweigen darüber hinwegzugehen, was im Folgenden aufgezeigt wird.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 296

Die fachlich plausibel nicht zu erklärenden Besonderheiten des staatsanwalt­schaft­lichen Ermittlungsverfahrens zum sog. Fall Kampusch liegen:

1.) in einer konsequenten und beharrlich fortgesetzten Vernachlässigung ent­schei­dender polizeilicher Ermittlungsergebnisse, insbesondere der Angaben der einzigen unbeteiligten Tatzeugin Ischtar Rahel Akcan, die nach dem Inhalt der polizeilichen Ermittlungsakten in der Zeit vom 3. März 1998 bis 31. August 2006 bei insgesamt sechs aktenkundigen Befragungen durch Beamte unterschiedlicher Sicher­heitsbehörden durchwegs mit Bestimmtheit bekräftigte, beim Zugriff auf das Tatopfer zwei männliche Täter (neben dem handanlegenden Gewalttäter – gleich­zeitig – auch einen am Fahrersitz wartenden und in der Folge das Fahrzeug lenkenden Komplizen) wahrgenommen zu haben. Obwohl die Angaben der Tatzeugin seit teilweise länger als acht Jahren aktenkundig waren, wurde das Anwesen des Wolfgang Priklopil in Straßhof auf der Basis allein der Opferangaben über nur einen (am 23. August 2006 aus dem Leben geschiedenen) Entführer justiziell umgehend zur teilweisen Räumung freigegeben und das Ermittlungsverfahren (zunächst bereits) nach wenigen Wochen finalisiert. Dass im Anwesen des Nachrichtentechnikers Wolfgang Priklopil in der Folge keine wie immer geartete elektronische telekommunikative Aus­rüstung, insbesondere auch kein einschlägiges Speichermaterial, gefunden wurde, musste daher nicht verwundern. Auf derselben Linie lag es, dass es von staats­anwaltschaftlicher Seite unter anderem auch nicht der Mühe wert befunden wurde, die (später als aussagerelevant verifizierten) Ergebnisse einer Rufdatenrückerfassung, die hinsichtlich sichergestellter Mobiltelefone angeordnet worden war, überhaupt nur zu sichten, geschweige denn auszuwerten.

2.) in der langfristigen Verzögerung beziehungsweise bis zuletzt gänzlichen Unter­lassung nachhaltigst indizierter wesentlicher Ermittlungsschritte, deren entscheidende Bedeutung von allem Anfang an auf der Hand lag und die am 30. April 2008 im Bundesministerium für Inneres bei einer Besprechung detailliert erörtert wur­den. An dieser ermittlungsstrategischen Besprechung, die über Initiative der Evaluie­rungskommission des Bundesministeriums für Inneres zustande kam, nahmen als führende Vertreter der Oberstaatsanwaltschaft Wien deren Leitender Oberstaats­anwalt Dr. Werner Pleischl und einer seiner Vertreter, für die Staatsanwaltschaft Wien deren Leitender Staatsanwalt Dr. Otto Schneider und der den konkreten Fall bearbeitende Staatsanwalt Mag. Hans-Peter Kronawetter, ferner die Mitglieder der Evaluierungskommission (mit Ausnahme des damals verhinderten Kommissions­vorsitzenden) und Beamte des Bundeskriminalamtes teil. Bei dieser Besprechung wurde den staatsanwaltschaftlichen Verantwortungsträgern die Videoaufzeichnung der unter Beiziehung der Tatzeugin durchgeführten Tatrekonstruktion präsentiert und jedem von ihnen ein (unter führender Mitwirkung von Oberst Franz Kröll erstelltes) Kompendium wesentlicher Aktenteile ausgefolgt. Nach dem einvernehmlichen Be­sprechungsergebnis sollte das Ermittlungsverfahren demnach mit der Bildung eines aus Vertretern der Staatsanwaltschaft Wien und des Bundeskriminalamtes zusam­mengesetzten Teams wieder aufgenommen, dieses Vorhaben jedoch vorerst staatsanwaltschaftlich der damaligen Justizministerin berichtet werden. Noch im Zuge dieser Sitzung wurde die staatsanwaltschaftliche Seite darüber informiert, dass (ua auch) Oberst Kröll für das ins Auge gefasste Ermittlungsteam von sonstigen Aufgaben freigestellt werde. Nach wochenlangem Zuwarten auf die angekündigten staats­anwaltschaftlichen Veranlassungen zu der in Aussicht genommenen Teambildung musste durch entsprechende Nachfragen (bei der Oberstaatsan­walt­schaft Wien und beim Bundesministerium für Justiz) in Erfahrung gebracht werden, dass die Staats­anwaltschaft Wien und die Oberstaatsanwaltschaft Wien entgegen dem einver­ständlichen Besprechungsergebnis vom 30. April 2008 (und ohne jedwede Infor­mation für die fallspezifisch bereits freigestellten Beamten des Bundeskriminalamtes)


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 297

dem Bundesministerium für Justiz berichtet hatten, ein weiterer fallbezogener Ermitt­lungsbedarf wäre nicht zu ersehen. Dies stand damit im Einklang, dass es sowohl LOStA Dr. Pleischl (und sein Vertreter) als auch LStA Dr. Schneider nicht für nötig erachteten, das ihnen zur Unterstützung ihrer Aufsichtspflicht vorbereitete Akten­kompendium am 30. April 2008 nach Sitzungsabschluss mitzunehmen und solcherart wenigstens eine Anscheinsoptik pflichtgemäßen Fallinteresses zu wahren (die Unterlagen wurden von den durchwegs Leitungsverantwortlichen mit dem Bemerken retourniert, der Sachbearbeiter Mag. Kronawetter verfüge ohnedies über ein ent­sprechendes Exemplar).

3.) in einer wesentlichen und langfristigen Behinderung der vom Innenressort angeordneten Evaluierung sicherheitsbehördlicher Ermittlungsmaßnahmen, indem der Evaluierungskommission und damit dem Innenressort die Einsichtnahme in die justiziell unter Verschluss gehaltenen polizeilichen Niederschriften mit Natascha Kampusch und damit die Wahrnehmung der ressortinternen Fachaufsicht verwehrt wurde.

4.) in der medialen Verbreitung krass wahrheitswidriger Informationen zum Ermittlungsverfahren und zu angeblichen Verzögerungsursachen.

5.) in einer sachlich nicht vertretbaren Druckausübung auf jenen Polizeibeamten, der zuletzt vom Bundeskriminalamt führend mit den fallbezogenen Ermittlungen beauf­tragt war. Es handelte sich dabei um den dem Bundeskriminalamt zugeteilten vormaligen Leiter des Landeskriminalamtes Steiermark, Oberst Franz Kröll, der in seinem beruflichen Umfeld (nicht nur bei den Mitgliedern der Evaluierungskommission im Rahmen nahezu zweijähriger enger Zusammenarbeit) als in jeder Hinsicht vorbild­licher, extrem gewissenhafter, sachkompetenter und loyaler Beamter hochgeschätzt war. Er wurde in der Schlussphase des Ermittlungsverfahrens, insbesondere im An­schluss an eine (unter Beteiligung von OStA Dr. Thomas Mühlbacher, der Mitglieder der Evaluierungskommission sowie der Polizeibeamten Oberst Kröll und Chefinspektor Linzer abgehaltenen) Besprechung des damals aktuellen Ermittlungsstandes am 20. November 2009, unter Druck gesetzt, indem man ihm (nach seinen eigenen Worten) „unmissverständlich nahe legte“, den Ermittlungsakt zwecks Durchführung einer finalen Pressekonferenz umgehend zu schließen. Diese Pressekonferenz, bei der die Öffentlichkeit – wie dann im Jänner dieses Jahres tatsächlich geschehen – über eine Entkräftung des Verdachtes der Tatbeteiligung eines oder mehrerer Entführungs­komplizen des Wolfgang Priklopil informiert werden sollte, war laut Aviso Dris. Mühlbacher in letzterwähnter Sitzung von staatsanwaltschaftlicher Seite bereits für die erste Dezemberhälfte 2009 geplant. Dieses staatsanwaltschaftliche Vorhaben kam für die Mitglieder der Evaluierungskommission und für Oberst Franz Kröll umso uner­warteter, als sich kurz zuvor weiterer akzentuierter Aufklärungsbedarf ergeben hatte. Laut einem kriminaltechnischen Untersuchungsbericht vom 18. November 2009 weist eine angeblich von Wolfgang Priklopil begonnene Abschiedszuschrift an seine Mutter, die von seinem Freund und Geschäftspartner präsentiert worden war, keine Über­einstimmung mit der Handschrift des behaupteten Verfassers, dafür aber teilweise eine nennenswerte Affinität zur Handschrift des Geschäftspartners auf. Erst auf Grund des nachdrücklichen Vorhalts aus der Evaluierungskommission, dass neben anderen justiziellen Versäumnissen noch nicht einmal die aus nahe gelegenen Gründen primär unabdingbare Gegenüberstellung der (justiziell im Übrigen bis heute noch nie vernommenen) Tatzeugin Ischtar Rahel Akcan mit Natascha Kampusch vorgenommen worden war, ließ Dr. Mühlbacher eine entsprechende Bereitschaft mit dem Bemerken anklingen, dass die Pressekonferenz „dann eben Anfang Jänner 2010 stattfinden“ wer­de. Bezeichnenderweise verstand er sich zu dieser Erklärung gegenüber den Kom­missionsmitgliedern, obwohl es damals als völlig offen zu gelten hatte, welches Ergeb­nis die reklamierte Gegenüberstellung zeitigen würde. Aus staatsanwaltschaftlicher


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Sicht stand somit der Ermittlungsabschluss bereits am 20. November 2010 defi­nitiv fest.

Was anschließend geschah, war eine konsequente Umsetzung dieses Vorhabens: Ohne dass es in der Folge zu einer den gesetzlichen Vorgaben gemäß § 163 Abs. 3 StPO entsprechenden Gegenüberstellung der beiden Tatzeuginnen mit gravierenden Aussagedivergenzen kam, beugte sich Oberst Kröll den unmissverständlich zum Ausdruck gebrachten abweichenden staatsanwaltschaftlichen Intentionen (§§ 99 Abs. l, 103 Abs. l StPO) am 3. und 4. Dezember 2009 in einer Weise, die seiner mit den Kommissionsmitgliedern (insbesondere auch in Einzelgesprächen mit dem Gefertigten) immer wieder erörterten persönlichen Beurteilung des Ermittlungsstandes und der anstehenden Ermittlungsschritte krass widersprach. An Stelle der sachlich längst (seit mehr als drei Jahren) als Beweisaufnahme auf justizieller Ebene überfälligen Zeugengegenüberstellung kam es am 3. Dezember 2009 unter Beizie­hung jeweiliger Begleitpersonen zum Arrangement eines informellen Gesprächs­kontakts zwischen den beiden jungen Frauen, dessen Ablauf und Inhalt Oberst Kröll am Folgetag lediglich in einem Amtsvermerk festhielt. (Näheres unten ad 5.) Daraus ist ersichtlich, dass das (in Anwesenheit von Natascha Kampusch, ihres Rechts­beistands und ihres psychologischen Betreuers, sowie ferner der Zeugin Ischtar Rahel Akcan, ihrer Mutter Rosa Akcan und der beiden Polizeibeamten Oberst Kröll und Chefinspektor Linzer abgelaufene) Gespräch in völlig atypischer und krass einseitig-suggestiver Einflussnahme auf Ischtar Rahel Akcan ausschließlich darauf ausgerichtet war, die langjährig konstanten Angaben dieser Zeugin über den Entfüh­rungskomplizen des Wolfgang Priklopil, die den staatsanwaltschaftlichen Einstellungs­intentionen hinderlich entgegenstanden, zu beseitigen. Oberst Kröll wurde mit dieser vorgegebenen Vorgangsweise, bei der wesentliche, der massiven Zeugenbeeinflus­sung krass widerstreitende Ermittlungsergebnisse gezielt und ohne jedweden Vorhalt unerwähnt blieben, in der Folge seelisch nicht fertig und verübte schließlich (nach monatelangen Selbstvorwürfen) am 25. Juni dieses Jahres Selbstmord, indem er sich erschoss. Nach allem, was dazu aus seinem privaten und dienstlichen Umfeld bekannt wurde, kommen für diese Verzweiflungstat ausschließlich dienstliche Gründe in Betracht, die mit dem angesprochenen Ermittlungsverfahren und dessen von staatsanwaltschaftlicher Seite in fachlich nicht nachvollziehbarer Weise gelenk­tem Abschluss zusammenhängen (dazu Näheres: unten Ad 5).

Dazu im Folgenden die wesentlichen Sachverhaltsdetails:

Am 10. Februar 2008 setzte der damalige Innenminister zur Evaluierung der sicher­heitsbehördlichen Behandlung des „Falles Natascha Kampusch“ eine weisungsfrei gestellte Evaluierungskommission ein, die beauftragt wurde, die sicherheitsbehördliche Fallbearbeitung nachzuvollziehen, Möglichkeiten zu allfälligen Strukturverbesserungen in der polizeilichen Arbeit zu sondieren und gegebenenfalls entsprechende Vorschläge auszuarbeiten. Die damit verbundene Beschäftigung mit dem sicherheitsbehördlichen Ermittlungsverfahren eröffnete zwangsläufig auch einen kontextabhängigen Einblick in die justizielle, insbesondere staatsanwaltschaftliche Fallbehandlung, deren Bewer­tung der Evaluierungskommission des Innenressorts naturgemäß entzogen war.

Was allerdings dazu während eines Zeitraums von rund zwei Jahren an atypischen Besonderheiten hervorkam beziehungsweise praktiziert wurde (siehe unten zu 1. und 2.), gab aus noch darzulegenden Gründen gravierenden Anlass zu im Ergebnis letzt­lich erfolglos gebliebenen Versuchen, innerhalb des Justizressorts die gebotene kom­pe­tente Abhilfe zu erwirken. Dies geschah zunächst durch persönliche Gesprächs­kontakte des Gefertigten mit Justizministerin Dr. Bandion-Ortner (Juni/Juli 2009), die in die Zusage einer eingehenden ministeriellen Prüfung der staatsanwaltschaftlichen Fall­behandlung mündeten und zunächst immerhin dazu führten, dass der (damals der


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Oberstaatsanwaltschaft Graz angehörende) Oberstaatsanwalt Dr. Thomas Mühlbacher zunächst mit der Klärung der Frage befasst wurde, ob der Evaluierungskommission die ihr von justizieller, insbesondere staatsanwaltschaftlicher Seite langfristig verwehrte Einsicht in die unter Verschluss gehaltenen polizeilichen Niederschriften mit Natascha Kampusch zu eröffnen sei. Unter dem Eindruck eines im Wochenmagazin „profilveröffentlichten Interviews mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt Dr. Werner Pleischl (Oberstaatsanwaltschaft Wien) richtete der Gefertigte (als ehrenamtliches Mitglied der Evaluierungskommission) am 24. Juli 2009 ein (in seinem Wortlaut der Beilage 1 zu entnehmendes) Schreiben an die Justizministerin Dr. Bandion-Ortner, in dem jene gravierenden Gründe angeführt wurden, die eine ehestmögliche, nach konkreten verfahrensaktuellen Erfahrungen im Interesse eines sachdienlichen Verfahrensfort­ganges unabdingbare Übertragung der weiteren justiziellen Fallbearbeitung aus dem Verantwortungsbereich der Oberstaatsanwaltschaft Wien an eine andere, ihrem Ein­fluss nicht unterliegende staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverantwortung dringend nahe legten. Dem Kabinettschef des Justizministeriums Mag. Georg Krakow ging per Mail eine entsprechende Vorausinformation zu (Beilage 2). Initiativen zur Übertragung der leitenden Ermittlungsverantwortung aus dem Kompetenzbereich der Oberstaats­anwaltschaft Wien zu einer ihrem Einfluss nicht unterliegenden Ermittlungsleitung sind in der Folge nicht bekannt geworden. Man beschränkte sich lediglich auf die Veranlas­sung einer partiellen Unterstützung der staatsanwaltschaftlichen Fallbearbeitung, indem OStA Dr. Mühlbacher mit einem Teil seiner Arbeitskraft für das weitere, in der führenden Verantwortung der Oberstaatsanwaltschaft Wien belassene Ermittlungs­ver­fahren freigestellt wurde.

Bei den eingangs zu den Punkten 1. bis 5. angesprochenen Auffälligkeiten in der Wahrnehmung staatsanwaltschaftlicher Verantwortung handelt es sich im Einzelnen um folgende aktenkundige Fakten:

Ad 1. und 2.):

a) Beharrliche Nichtbeachtung der Angaben der einzigen unbeteiligten Zeugin Ischtar Rahel AKCAN zum Tathergang am 2. März 1998

Die damals zehnjährige Natascha Kampusch wurde bekanntlich am 2. März 1998 kurz nach 7 Uhr in Wien 22., Rennbahnweg, auf dem Schulweg in einen weißen Kasten­wagen gezerrt und war in der Folge bis zum Frühnachmittag des 23. August 2006 abgängig. Der Täterzugriff und der Abtransport des Tatopfers wurden von einer (der neben Natascha Kampusch einzigen) Tatzeugin unmittelbar wahrgenommen. Es handelte sich dabei um die damals zwölfjährige Schülerin Ischtar Rahel AKCAN, die das (aus seiner Zufahrtsrichtung gesehen am rechten Fahrbahnrand) geparkte Tatfahr­zeug zum Tatzeitpunkt auf dem gegenüberliegenden Gehsteig in zur Opferannäherung entgegengesetzter Gehrichtung passierte. Ihre von Anfang an wesentlichen Angaben über die unmittelbare Tatbeteiligung zweier männlicher Personen, die der späteren Darstellung der Natascha Kampusch, sie sei lediglich von Wolfgang Priklopil ohne Beteiligung eines Komplizen entführt worden, unvereinbar zuwiderlaufen, fanden in den sicherheitsbehördlichen Ermittlungsakten nachangeführten Niederschlag, auf des­sen detaillierte Wiedergabe hier wegen seiner besonderen Bedeutung nicht verzichtet werden kann:

Am 3. März 1998 meldete sich Ischtar Rahel AKCAN in Begleitung ihrer Mutter Rosa AKCAN am Polizeiwachzimmer 1220 Wien, Rennbahnweg 27, und machte Angaben zum Tathergang, die mit polizeilichem Bericht vom selben Tag inhaltlich festgehalten wurden. Die Tatzeugin bekundete dabei ausdrücklich und unmissverständlich die Be­teili­gung zweier Täter, nämlich die Handanlegung durch einen von ihr detailliert be­schrie­benen (später als Wolfgang Priklopil identifizierten) Täter und die Fahrzeug­


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lenkung durch eine zweite, jedenfalls männliche Person, die sie infolge dunkler Fahrzeugverglasung „nicht richtig sehen“ konnte:

„... Erinnerlich ist mir, dass der Mann, der das Mädchen ins Auto zerrte, ca. 30 Jahre alt war, ca. 175 cm groß, schwarzes kurzes Haar, nach rückwärts frisiert mit einzelnen blonden Strähnen, südlicher Typ, bekleidet mit buntem T-Shirt und darüber einem einfärbigen hellen Hemd. Den Fahrer konnte ich aufgrund der dunklen Scheiben­färbung nicht richtig sehen. Ich nahm nur wahr, dass sich eine männliche Person auf dem Fahrersitz befand ...“

Das Tatfahrzeug beschrieb die Zeugin als weißen Kastenwagen mit einem an der Heckseite auffallenden „Buckel“. Sie gab weiters an, das Tatfahrzeug kurz darauf nochmals wahrgenommen zu haben: „... Ich ging meinen Weg weiter und fuhr das Auto einige Minuten später an mir vorbei in Richtung Schwimmbad ...“. Ischtar Rahel AKCAN, die das ihr bis dahin persönlich nicht, lediglich vom Sehen her bekannt gewesene Tatopfer objektiv zutreffend als ca. zehnjährig einstufte, wurde dabei polizeilich ausdrücklich „glaubwürdiger Eindruck“ bescheinigt.

Laut Bericht des Sicherheitsbüros vom 5. März 1998 bekräftigte die Tatzeugin ihre Angaben vom 3. März 1998 zwei Tage danach als mit Sicherheit richtig und hielt laut gleichfalls aktenkundigem Bericht des Sicherheitsbüros anlässlich einer ergän­zenden Befragung am 17. März 1998 erneut daran fest. Dementsprechend wurde die von Ischtar Rahel AKCAN fortgesetzt bekundete Tatausführung durch zwei männliche Täter, von denen einer das Tatfahrzeug lenkte, der andere das Opfer in den Kasten­wagen zerrte, vom Sicherheitsbüro auch als Grundlage der am 18. März 1998 in Umlauf gesetzten fernschriftlichen Tatbeschreibung übernommen. Laut Bericht des Sicherheitsbüros vom 19. März 1998 wurde die Tatzeugin an diesem Tag nochmals ergänzend befragt, wobei sie keine neuen Angaben machte und es abermals als „sicher“ zum Ausdruck brachte, dass es sich bei jenem weißen Kastenwagen, der ihren fortgesetzten Schulweg auf einer Folgekreuzung querte und von ihr dabei erneut (auch von der Frontseite her) wahrgenommen wurde, um das (mit zwei männlichen Personen besetzte) Tatfahrzeug handelte.

Nachdem sämtliche Ermittlungsinitiativen des zunächst durch einen Zeitraum von mehr als vier Jahren fallbefassten Sicherheitsbüros zur Täterausforschung scheiterten, wurde die weitere Bearbeitung des Abgängigkeitsfalls Natascha Kampusch ab 18. Juli 2002 dem Landesgendarmeriekommando Burgenland übertragen.

Laut Aktenvermerk der Kriminalabteilung des Landesgendarmeriekommandos Burgenland vom 15. November 2002 wurde Ischtar Rahel Akcan an diesem Tag von Beamten dieser Dienststelle über ihre Wahrnehmungen zum Tathergang befragt. Die wesentlichen Passagen ihrer Angaben wurden dabei (ab der Wahrnehmung des auf der gegenüberliegenden Fahrbahnseite mit der Frontseite gegen ihre Gehrichtung geparkten Tatfahrzeugs) inhaltlich wörtlich wie folgt zusammengefasst:

„... Am Fahrersitz saß unbeweglich ein Mann und blickte nach vorne. Auf der ihr (der Zeugin) abgewandten Fahrzeugseite öffnete sich eine Schiebetür, ein Mann sprang heraus und lief von ihr gesehen in Richtung rechts zu einem Mädchen. Er packte dieses und zerrte dieses mit Gewalt in das Fahrzeug. Dabei schrie das Mädchen laut und der Mann blickte, während er das Mädchen zerrte, zu ihr, sodass sie sein Gesicht von vorne sehen konnte. Da sie selbst große Angst hatte, verbarg sie sich hinter einer Gebüschreihe bei der Hundewiese. Ischtar hörte noch, wie die Schiebetür des Fahrzeuges zuschlug und sah, dass das Fahrzeug wackelte ... Sie ist sich sicher, dass es sich um 2 Männer gehandelt hatte, da der eine die ganze Zeit am Fahrersitz sitzen blieb. Nachdem die Schiebetür geschlossen wurde, fuhr das Fahrzeug sofort in Richtung Kreisverkehr und bog dort nach links ab. Sie bemerkte, als sie ihren


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Schulweg fortsetzte, dass dieses Fahrzeug bei der ersten Gasse nach der Hunde­wiese wieder nach rechts in den Rennbahnweg einbog und in Richtung zweiten Kreisverkehr davonfuhr. Aufgefallen ist ihr nur, dass dieser große weiße Wagen an der Rückseite einen großen „Buckel“ hatte ...“.

Am 27. August 2006, somit bereits nach dem Ende der (bis 23. August 2006 währenden) Abgängigkeit der Natascha Kampusch, wurde mit Ischtar Rahel AKCAN von Beamten des Landeskriminalamtes Burgenland eine Niederschrift aufge­nom­men, die nachangeführten Wortlaut hat:

„Ich werde noch einmal mit dem Tag der Entführung der Natascha Kampusch kon­frontiert, insbesondere mit dem Umstand, dass von mir 2 Personen im Fahrzeug wahrgenommen worden sind.

Ich gebe an, dass ich im Rahmen meiner Beobachtungen des damaligen Flucht­fahr­zeuges 2 Personen gesehen habe. Beide Personen saßen vorne. Einer am Fahrersitz, einer beifahrerseitig. Die ganze Sache habe ich allerdings bereits im Rahmen meiner oftmaligen Einvernahmen genauestens angegeben.

Noch einmal gebe ich an, dass ich das Tatfahrzeug von der Seite im Vorbeigehen gesehen habe. Zu diesem Zeitpunkt war es mit 2 Personen besetzt. Ich muss aber anführen, dass das Fahrzeug, welches ich im Fernsehen gesehen habe, nicht hundert­prozentig dem Fahrzeug entspricht, welches ich damals gesehen habe. Das Fahrzeug, das im Fernsehen gezeigt wurde, hat hinten offene Scheiben, das Fahrzeug, das ich damals gesehen habe, war hinten verdunkelt. Außerdem hat das Fahrzeug hinten am Heck eine Art „Buckel“ gehabt, von der Dachoberkante bis zur Mitte Höhe des Auf­baues. Dieser Buckel ist mir bereits das erste Mal aufgefallen, als das Fahrzeug gestanden ist, und auch beim zweiten Kreisverkehr, als es auf mich zugekommen ist. Auch dieser Buckel fehlt bei dem gezeigten Tatfahrzeug.

Den Täter kann ich anhand der Bilder eindeutig als damaligen Beifahrer identifizieren. Die Person vom Fahrersitz hatte ganz kurze Haare, eine Stoppelglatze. Die Zeit vom ersten Mal, als ich den Bus gesehen habe, bis zur Entführung, also wo ich die Natascha schreien gehört habe, hat etwa 2-5 Minuten gedauert.

Bei der Entführung selbst, das heißt zum Zeitpunkt, wo Natascha geschrieen hat und ich die Türen des Fahrzeuges hörte, habe ich nur eine Person am Fahrersitz wahrge­nommen. Bei dieser Person konnte ich nur den seitlichen Kopfbereich wahrnehmen. Ob zu diesem Zeitpunkt jemand im Laderaum bei Natascha war, kann ich nicht sagen.

Ich denke, dass ich das Fahrzeug dann kurz darauf noch einmal gesehen habe, als es bei einem zweiten Kreisverkehr nochmals bei mir vorbeigefahren ist. Dabei habe ich jedoch Priklopil nicht erkannt, da hatte er Brillen auf, auch hatte er die Haare irgendwie anders. Ich habe das Fahrzeug ein kurzes Stück vorne gesehen, da es aus der zum Kreisverkehr führenden Straße in meine Richtung gefahren ist. Dieses Fahrzeug hatte auch den „Buckel“ und die verdunkelten Scheiben.

Ansonsten verweise ich, insbesondere mit den Beschreibungen etc., auf die bereits gemachten Protokolle, das Ganze ist ja schon 8,5 Jahre her, ich bin mir trotzdem sicher, dass eine zweite Person dabei war.

Ich möchte anführen, dass ich Priklopil eindeutig anhand der Bilder erkannt habe, auch als diese das erste Mal im Fernsehen waren, bin ich sofort aufgesprungen und (war) ganz aufgeregt. Das hat auch meine Mutter mitbekommen (Anmerkung: Mutter gibt an, dass Tochter bei Erscheinen des Bildes im TV ganz aufgeregt war und sofort sagte, dass das die Person vom Auto(Bus) war.) Ich schließe aus, dass hinter dem von mir gesehenen Bus noch einer gestanden ist, ich bin mir sicher, dass das der Bus der Entführung war.


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Auch wenn mir gesagt wird, dass Natascha Kampusch aussagt, dass nur eine Person die Entführung gemacht hat, bin ich mir sicher, dass in dem Bus, welchen ich gesehen habe, 2 Personen gesessen sind. Priklopil habe ich eindeutig erkannt, zur zweiten Per­son habe ich bereits Personenbeschreibung abgegeben. Dezidiert schließe ich aus, dass Priklopil alleine in dem von mir gesehenen Bus war.

Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Diese hier vollständig und wörtlich wiedergegebene, mit 27. August 2006 (!) datierte Niederschrift vor dem Landeskriminalamt Burgenland ist nach dem Informationsstand der Evaluierungskommission das erste(!) und bis heute einzige(!) von der Tatzeugin Ischtar AKCAN unterfertigte Protokoll, das im Zuge des gesamten polizeilichen und justiziellen Ermittlungsverfahrens angefertigt wurde.

Am 31. August 2006 wurde schließlich von Beamten des Landeskriminalamtes Burgenland am Tatort Wien 22., Rennbahnweg (nahe der Kreuzung Melangasse) im Beisein der inzwischen knapp 21-jährigen Tatzeugin AKCAN nach deren Angaben und unter Einbeziehung des seinerzeitigen Tatfahrzeuges eine mit Videoaufzeichnung doku­men­tierte Tatrekonstruktion durchgeführt, deren Ergebnis in einem Akten­vermerk vom selben Tag wie folgt festgehalten wurde:

„Das Tatfahrzeug, der sichergestellte Mercedes MB 100-D-L, weiß lackiert, wurde zum Rekonstruktionsort überstellt und dort in Fahrtrichtung Kubin Platz laut Angaben der Zeugin Ischtar Rahel AKCAN geparkt. Da am Fahrzeug in der Zwischenzeit die dunklen Folien der Fenster bereits entfernt wurden, erfolgte zusätzlich eine Identifizie­rung über Lichtbilder aus dem Jahre 1998. Ischtar Rahel AKCAN erkannte aufgrund dieser Lichtbilder und des geparkten Fahrzeuges mit großer Sicherheit dieses als Tatf­ahrzeug wieder. Lediglich am Heck des Fahrzeuges fehle dieser bereits mehrmals von ihr angegebene „Buckel“. Dabei soll es sich um eine schwarze Abdeckung über beide hinteren Heckfenster handeln, welche ca 20 bis 30 cm über das Fahrzeugheck hinausragte und die Form eines „B“ hatte. Dies habe sie damals beim geparkten Fahrzeug als auch bei ihrer zweiten Begegnung mit diesem Fahrzeug beim nächsten Kreisverkehr deutlich gesehen.

Mit Ischtar Rahel AKCAN wurden anschließend der Schulweg, die Erstwahrnehmung des Fahrzeuges sowie die weiteren Beobachtungen im Zuge der Entführung be­sprochen und rekonstruiert. Dabei gab sie an, dass der ihr nun namentlich bekannte Wolfgang Priklopil im Fahrzeug am Beifahrersitz saß und mit einem weiteren Mann, welchen sie nur seitlich genauer gesehen habe, gesprochen hat. Dieser zweite Mann hätte ganz kurze bräunliche Haare (Bürstenhaarschnitt – keine Glatze oder Glatzen­ansatz) gehabt und trug keinen Bart. Nachdem sie am Fahrzeug auf der gegenüber­liegenden Seite in Richtung Wagramer Straße vorbeiging, habe sie die ihr vom Sehen her bekannte Natascha aus Richtung Rennbahnwegsiedlung kommend auf der Straßenseite des Fahrzeuges wahrgenommen. Plötzlich hörte sie eine Schiebetür, blieb stehen, drehte sich zum Fahrzeug zurück und konnte sehen, wie Natascha durch Hände gepackt und zurück zum Fahrzeug gezogen wurde. Gleichzeitig sah sie den Lenker im Fahrzeug sitzen, welcher seinen Kopf zur Seitenscheibe geneigt hatte. Danach bekam sie Angst und lief hinter die Büsche der Hundewiese. Nachdem das Fahrzeug unmittelbar danach in Richtung Kubin Platz weggefahren war, setzte sie aufgeregt ihren Weg in Richtung Wagramer Straße fort. Beim nächsten Kreisverkehr musste sie bei der Straßenüberquerung stehen bleiben, da dieses Fahrzeug mit erhöhter Geschwindigkeit von rechts kam und nach links weiterfuhr. Auch dabei habe sie die beiden Männer wieder eindeutig gesehen, wobei sich Wolfgang Priklopil wieder am Beifahrersitz befand und der zweite Mann das Fahrzeug lenkte. Das Fahrzeug hatte mit Sicherheit rückseitig ein Kennzeichen angebracht, welches könne sie jedoch nicht angeben.


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Im Zuge der Rekonstruktion wurde auch die Variante ohne Beifahrer und statt diesem eine Jacke auf dem Sitz ausprobiert. Die Zeugin verblieb aber bei ihrer Aussage, dass sich zwei Männer im Fahrzeug befanden.

Abschließend wird angeführt, dass die Mutter Rosa AKCAN angab, dass, als das erste Mal das Foto des Wolfgang Priklopil im Fernsehen gezeigt wurde, ihre Tochter sofort aufgeschrieen hatte und diesen als Entführer der Natascha wieder erkannt hat. Ischtar schlafe seitdem sehr unruhig und wird immer wieder nachts wach.

Die polizeilichen Ermittlungsergebnisse beinhalten eine die Angaben der Zeugin Ischtar Rahel AKCAN zeichnerisch festhaltende Skizze, auf welcher die Zeugin ihre gleichzeitige Wahrnehmung sowohl des Fahrzeuglenkers als auch des handan­legenden Komplizen mit strichlierten Sichtlinien veranschaulichte und dies auch mit einem entsprechenden handschriftlichen Zusatz betonte.

Diesen Zeugenangaben, die im inhaltlichen Kernbereich trotz langfristiger zeitlicher Streu­ung konstant und in ihrem zentralen Aussagewert von vereinzelten missver­ständlichen Details ihrer sicherheitsbehördlichen Dokumentation unberührt blieben, schenkte die staatsanwaltschaftliche Verantwortung beider Instanzen konsequent keine Beachtung und ließ immer wieder verlauten, dass es keinen Hinweis auf Tatkomplizen gäbe.

Obwohl es sowohl nach alter (bis 31. Dezember 2007 geltender) als auch nach neuer Rechtslage zum strafprozessualen Einmaleins zählt, wesentliche Widersprüche in sicherheitsbehördlichen Ermittlungsergebnissen auf justizieller Ebene (früher Untersuchungsrichter, jetzt Staatsanwaltschaft und/oder Ermittlungsrichter) abzuklären, wurde Ischtar Rahel AKCAN von justizieller Seite bis heute nicht ein einziges Mal vernommen. Was von justizieller, insbesondere staatsanwaltschaftlicher Seite an Vernehmungsinitiativen entfaltet wurde, beschränkte sich auf Befragungen der Natascha Kampusch durch OStA Dr. Mühlbacher mit Unterstützung durch eine weitere Staatsanwältin im Herbst 2009 (!), bei denen noch dazu das von polizeilicher Seite (Oberst Kröll) vorbereitete Fragenprogramm nicht in allen Punkten erfüllt wurde, und auf eine partielle Teilnahme von OStA Dr. Mühlbacher und der ihn begleitenden Staats­anwältin an der kriminalpolizeilichen Befragung des im Ermittlungskontext in viel­facher Hinsicht mit erdrückendem detailliertem Ermittlungsbedarf auffällig gewordenen einzigen langjährigen Freund und Geschäftspartner des Wolfgang Priklopil am 13. November 2009.

Mit dem Ende der Abgängigkeit der Natascha Kampusch am 23. August 2006 (somit mehr als acht Jahre nach den oben wiedergegebenen aktenkundigen Erstangaben der unbeteiligten Tatzeugin) und dem Tod des von ihr als Alleintäter bezeichneten Wolfgang Priklopil wurde dessen Anwesen Straßhof, Heinestraße 60, von justizieller Seite unverzüglich zur teilweisen, unkontrollierten Räumung durch den Freund und Geschäftspartner des Toten freigegeben. Dieser berief sich bei der (noch während der sicherheitsbehördlichen Tatortaufnahme einsetzenden umtriebigen) Weg­schaffung nicht mehr feststellbarer Objekte auf eine angebliche mündliche Bevoll­mächtigung durch die Mutter des Verstorbenen, die – dazu in der Folge befragt – eine derartige Gesprächseinlassung und eine Auftragserteilung der behaupteten Art nicht bestätigte. Selbst eine derartige, nach dem damaligen (und auch späteren) Ermitt­lungs­stand fachlich nicht nachvollziehbare unkritische Preisgabe wesentlicher Beweis­mög­lichkeiten und ein allfälliges Bemühen, die Bedeutung dieser Fehlleistung nach­träglich zu minimieren, reichen für sich allein nicht aus, die beharrliche Konsequenz schlüssig zu erklären, mit der sich die staatsanwaltschaftliche Verantwortung seither jedem Ermittlungsansatz widersetzte, der geeignet war, die Opferangaben über den angeblichen Alleintäter kritisch zu hinterfragen. Die staatsanwaltschaftliche Haltung ist auch aus der Sicht von Opferschutzinteressen umso unverständlicher, als eine Vielzahl


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unbestrittener Ermittlungsergebnisse ins Auge sprang (und seitens der für staats­anwaltliche Belange nicht zuständigen Evaluierungskommission auch wiederholt mündlich wie schriftlich angesprochen wurde), die weiteren Ermittlungsbedarf zu einem unmittelbar beteiligten Entführungskomplizen unterstrich (dazu Näheres unten).

Dies alles wurde den führenden staatsanwaltschaftlichen Vertretern in der oben erwähnten Besprechung am 30. April 2008 nahe gebracht, die dann entgegen dem dort erzielten Einvernehmen dem Bundesministerium für Justiz einen negativen Vor­habensbericht in Richtung Verfahrensfinalisierung erstatteten. Es bedurfte an­schließen­der Interventionen bis hin zur Inanspruchnahme der Hilfe der Bundes­ministerinnen für Inneres und für Justiz, um die Oberstaatsanwaltschaft Wien und die Staatsanwaltschaft Wien schließlich im Herbst 2008 zum Überdenken ihres negativen Berichtsvorhabens zu bewegen. Das Ergebnis einer letztlich am 8. Oktober 2008 erwirkten Sitzung im Bundesministerium für Inneres, an der auf justizieller Seite Vertreter der Oberstaatsanwaltschaft Wien und der Staatanwaltschaft Wien teilnah­men, war ein nach Lage des Falles (insbesondere mit Blick auf einen umfassenden polizeilichen Zwischenbericht vom 22. Oktober 2008 mit detailliert konkretisierten Verdachtsaspekten) denkbar vage gehaltenes, mit 7. November 2008 datiertes Schreiben der Staatsanwaltschaft Wien mit dem an das Bundeskriminalamt gerich­teten Auftrag, „im Rahmen von zweckdienlichen Erkundigungen“ bei vier namentlich genannten Personen „abzuklären, ob Verdachtsmomente in Richtung § 207a StGB konkretisiert werden können“.

Am 12. Dezember 2008 verfügte die Bundesministerin für Inneres eine Weiterführung der Evaluierungskommission mit dem Ziel einer interdisziplinären begleitenden Unterstützung der Kriminalpolizei, im Besonderen auch der Evaluierung allfälliger weiterer Vorwürfe im Zusammenhang mit der bisherigen Bearbeitung des „Falles Kampusch“ wie auch weiterführender Ermittlungen jedweder Art. Auch die Folge­erfahrungen zeigten, dass die gebotene sachgerechte kriminalpolizeiliche Ausschöp­fung der verfügbaren Ermittlungsansätze keinen größeren Widerstand zu überwinden hatte, als die beharrliche Weigerung der staatsanwaltschaftlichen Verantwortung in beiden Instanzen, die zur Beteiligung eines Entführungskomplizen insgesamt er­drückende Beweislage zur Kenntnis zu nehmen und insoweit zwangsläufig die Opferangaben kritisch zu hinterfragen. In diesem Zusammenhang scheute man sich nicht, die Öffentlichkeit (teils krass) wahrheitswidrig zu informieren (dazu unten 4.).

b) Sachlich nicht nachvollziehbare Alleinorientierung an den Angaben der Natascha Kampusch zum Tathergang am 2. März 1998

Was den Angaben der Natascha Kampusch zur Frage eines von Wolfgang Priklopil verschiedenen Fahrzeuglenkers zu entnehmen ist, widerspricht der Darstellung der Zeugin AKCAN. Der von Kampusch bekundete Ablauf ihrer Entführung am 2. März 1998 stellt sich so dar, dass sie in (heckseitiger) Annäherung an das Tatfahrzeug bereits aus einiger Entfernung rechts neben dem nachmaligen Tatfahrzeug am Gehsteig einen Mann wahrgenommen, dabei ein „ungutes Gefühl“ gehabt und daher zunächst beabsichtigt hätte, die Straßenseite zu wechseln. Davon hätte sie jedoch letztlich Abstand genommen, sei dann auf Fahrzeughöhe von dem Täter erfasst und in das Fahrzeug gezerrt worden. Der Täter sei dann auf den Fahrersitz geklettert und mit ihr in der Folge längere Zeit in der Umgebung des Tatorts umhergefahren.

Die Frage nach Komplizen des Täters beantwortete Kampusch zunächst anlässlich eines informellen Gesprächs mit ihrer polizeilichen Erstbetreuerin am 23. August 2006 (damals allerdings noch ohne konkrete Bezugnahme auf einen Fahrzeuglenker) mit „Ich weiß keine Namen“, zu späteren Befragungsanlässen zunächst dahin, dass sie außer Wolfgang Priklopil keine weitere Person im Tatfahrzeug wahrgenommen habe,


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bis sie schließlich zuletzt einen von Priklopil verschiedenen Fahrzeuglenker mit Bestimmtheit ausschloss.

Die Aussagedivergenzen zwischen den Zeuginnen Kampusch und Akcan sind in ihrem wesentlichen Kern (einerseits definitiver Ausschluss eines Komplizen als Fahrzeug­lenker durch das Opfer als Wageninsassin, andererseits gleichzeitige Wahrnehmung einer männlichen Person am Fahrersitz und eines weiteren, unmittelbar Gewalt anwendenden Täters durch die unbeteiligte Zeugin) plausibel nicht mit bloßen Wahr­nehmungsfehlern, schlüssig vielmehr nur mit partiell bewusst unwahren Angaben einer der beiden Seiten zu erklären (dafür ausschlaggebende Motive liegen allein auf der Opferseite nahe). Dazu fällt (von staatsanwaltschaftlicher Seite erneut unbeachtet) auf, dass die Darstellungen beider Zeuginnen, soweit sie sich hinsichtlich der aus entge­gengesetzter Richtung gleichzeitigen Annäherung an den Tatort wechselseitig unberührt lassen, im Kontext eindeutig die Beteiligung zweier männlicher Per­sonen bestätigen: Wenn sich nämlich Kampusch dem Tatfahrzeug von dessen Heckseite her näherte und dabei den später als Wolfgang Priklopil identifizierten Täter schon aus einiger Entfernung rechts neben dem Fahrzeug am Gehsteig stehend wahrgenommen hat, dann war die gleichzeitig von Akcan aus der Gegenrichtung von der gegenüber liegenden Straßenseite her am Fahrersitz wahrgenommene männliche Person notwendigerweise ein von (dem durch das Fahrzeug zunächst ihrer Sicht entzogenen) Wolfgang Priklopil verschiedener Komplize. Nur dann, wenn der Zeugin Akcan ohne jede Ermittlungsgrundlage unterstellt wird, sie hätte sich bei ihrer Annähe­rung an die Frontseite des Tatfahrzeuges in der Wahrnehmung einer männlichen Person am Lenkersitz geirrt, bliebe Raum für die von Kampusch vorgebrachte Eintäter­version. Ein derartiger Irrtum wurde der Tatzeugin nicht einmal bei der noch darzu­legenden inhaltlichen Inszenierung des Kontaktgesprächs zwischen ihr und Natascha Kampusch am 3. Dezember 2009 insinuiert.

Die Anführung sämtlicher aktenkundiger Gründe, die hinreichenden Anlass gaben und geben, die Zuverlässigkeit der Angaben (auch) der tatbetroffenen Zeugin kritisch zu hinterfragen, würde hier zu weit führen. Lediglich beispielsweise sei angeführt, dass

Natascha Kampusch aktenkundigen Ermittlungsergebnissen zufolge jahrelang man­nigfaltige Gelegenheiten, mündlich oder (beispielsweise durch verdeckte Ablage eines entsprechenden Zettels) schriftlich auf sich aufmerksam zu machen, unge­nützt vorübergehen ließ, wie sommerliche und winterliche Ausflüge mit Wolfgang Priklopil mit zahlreichen, ihren eigenen Angaben zu entnehmende und teilweise auch durch Zeugenaussagen (zB für Sommer 2004 in Lackenhof) bestätigte Möglichkeiten zu Drittkontakten (Gastronomie, Skiverleih, Skilift, Toilettenbesuche etc.), Einkaufs­tätigkeiten in Super- und Baumärkten wie auch an Tankstellen und in einer Apotheke, Nachbarschaftskontakte (zB wiederkehrende Benützung des nachbarlichen Swimming-Pools in Straßhof), Hilfeleistungen bei Arbeiten zur Wohnungsrenovierung, Aufsuchen der Wohnung von Priklopils Mutter, Radausflüge, Ausflugsfahrt nach Orth an der Donau, durch Zeugen bestätigtes ca. halbstündiges unbeaufsichtigtes Zuwarten auf Wolfgang Priklopil in dessen PKW vor der von ihm mitbetriebenen Veranstaltungshalle in Wien 23., etc. bis hin zu einer polizeilichen Verkehrskontrolle, bei der sie als Beifahrerin des Wolfgang Priklopil sogar unmittelbaren Polizeikontakt hatte, sich jedoch auf bloßes „Augenrollen“ beschränkt haben will;

Natascha Kampusch zum Ende ihrer Abgängigkeit eine seelische Verfassung zeigte, die dem Bild eines jahrelang gefangen gehaltenen und gepeinigten Entführungsopfers krass widersprach, indem sie beispielsweise trotz angeblicher achtjähriger Gefangen­schaft zum Ende ihrer Abgängigkeit ehestmöglichen Kontakt weder zu ihrer Mutter, noch zu ihrem Vater suchte, vielmehr ausschließlich an der aktuellen Lebenssituation ihrer Großmutter interessiert war, sie ferner Stolz darüber äußerte, seelisch stärker


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als ihr Entführer gewesen zu sein, und schon nach kurzem Primärkontakt einen Wechsel in der Person ihres (von ihr als unerträglich abgelehnten) Rechtsbeistands forderte und damit ein Verhalten zeigte, das eher für intaktes jugendliches Selbst­bewusstsein als für eine schicksalsbedingt geknickte oder angeschlagene Per­sönlichkeit spricht;

die Tür des so genannten Verlieses mit einer gewindeabhängigen Sperreinrichtung ohne Mithilfe von der Innenseite (Gegendruck) nicht komplikationsfrei (bloß zufalls­abhängig) abgeschlossen werden konnte;

Natascha Kampusch sich im Zusammenhang mit ihrer Rückkehr aus der Abgängigkeit nach der Beschaffenheit der für sie angeblich neuen „Euro“-Münze erkundigte und sich eine solche zeigen ließ, obwohl sie (neben zahlreichen persönlichen Einkaufs­erfahrungen) ohnedies selbst über Euro-Münzen und -Banknoten verfügte, wie sich bei der Sichtung ihrer im sog. „Verlies“ verwahrten Gegenstände herausstellte;

laut polizeilichem Bericht vom 1. September 2006 (!) bereits damals geplant war, Natascha Kampusch unverzüglich nach dem Ende ihrer Abgängigkeit (23. August 2006) durch ihren schon damals bevollmächtigten Rechtsbeistand (Rechtsanwalt Dr. Gabriel Lansky) vom Ort ihrer damaligen Unterbringung (im Allgemeinen Krankenhaus Wien) „wegzubringen, da sie verschiedene Verträge mit ver­schiedenen Medien in Österreich und Deutschland hat, was in der Folge erst durch sicherheitsbehördliches Einschreiten im AKH-Bereich verhindert werden konnte; dazu stellt sich die Frage, wie ein versierter Rechtsanwalt, der tatsächlich an eine länger als acht Jahre währende Verlies-Anhaltung eines im Entführungszeitpunkt 10-jährigen Kindes glaubt, überhaupt eine zur Vollmachtserteilung taugliche Ges­chäfts­fähigkeit der mittlerweile Jugendlichen annehmen kann;

Natascha Kampusch die für ein Tatopfer ungewöhnliche Interviewerklärung abgab, „ihr Fall würde nie ganz geklärt werden“;

sie ihre (mehr als drei Jahre nach Ende ihrer Abgängigkeit veranlasste) staats­anwaltschaftliche Vernehmung auffällig atypisch unterbrach, um sich mit ihrem Rechtsvertreter über die Tragweite ihrer unmittelbar vorangegangenen Bekundung zu beraten, dass ihr Entführer das Tatfahrzeug auch an dem von ihrer Mutter betrie­benen Geschäftslokal vorbeigelenkt hätte;

ein Kind ohne die Erfahrung funktionierender familiärer Geborgenheit sehr bald geneigt sein kann, sich im Entführungsfall mit der Täterseite zu arrangieren und deren Angebot zu einer verlockend dargestellten, familienfernen Lebensalternative anzu­nehmen, um schließlich später, etwa beim Eintritt in die Großjährigkeit, die Tragweite fehlender Identität und den Stellenwert einer möglichst opportunen Rückkehr aus der Abgängigkeit samt entsprechendem Handlungsbedarf voll zu erfas­sen;

etc.,etc.

c) Staatsanwaltschaftliche Vernachlässigung weiterer Ermittlungsansätze

Hinzu kamen zahlreiche aktenkundige Ermittlungsansätze, die den langjährigen Freund und Geschäftspartner des Wolfgang Priklopil betreffen und von staatsanwalt­schaftlicher Seite (bis heute) weder einzeln, geschweige denn in ihrem kontextbeding­ten Beweiswert zum Anlass genommen wurden, ihn auf justizieller Ebene mit den gebotenen detaillierten Vorhalten zu vernehmen, wie dies seitens der Evaluierungs­kommission wiederholt (zuletzt sogar unter Hinweis auf stichhältige Gründe für eine Antragstellung auf Anordnung der Untersuchungshaft) angeregt wurde.


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1. Bei einer unmittelbaren Tatbeteiligung zweier Täter (umfassend taugliche Beweis­grundlage: Zeugin Akcan) ist es nicht bloß nahe liegend, vielmehr zwingend, dass jener Täter, dem das gemeinsame Opfer später entweicht, unverzüglich danach seinen Komplizen kontaktiert (sofortiger Handlungsbedarf wegen der grundlegenden Ände­rung der Situation durch Kontrollverlust über das Opfer bei anlaufender Fahndung nach dem nunmehr polizeibekannten der beiden Täter). Vorliegend war es sein einziger langjähriger Freund und Geschäftspartner, den Wolfgang Priklopil unverzüglich nach dem Entweichen der Natascha Kampusch telefonisch kontaktierte. Priklopil hatte nach gesichertem Ermittlungsstand ein äußerst begrenztes persönliches Umfeld, aus dem lediglich eine einzige (männliche) Person für jenes Vertrauensverhältnis in Betracht kam (und kommt), das für eine Deliktsausführung der in Rede stehenden Art unab­dingbar war: nämlich sein einziger enger langjähriger Freund und Geschäftspartner.

Demgegenüber hätte ein ohnedies bereits polizeibekannter Einzeltäter, dem das Opfer zur Polizei entwichen ist, ohne tatbeteiligtem Komplizen (Version Kampusch) und ohne dem Erfordernis einer dringenden unverzüglichen Übergabe belastenden Mate­rials aus seiner Unterkunft keinen Grund, sich aus der unmittelbar fahndungs­gefährdeten Umgebung seines PKWs abholen zu lassen, wenn er gleichzeitig die weniger fahndungsgefährdete Anonymität der U-Bahn (Station Kagran-Donauzentrum) zur Verfügung hatte (Priklopil war nach dem Ergebnis der polizeilichen Tatortaufnahme aus seinem Haus unter Begleitumständen zum Donauzentrum geflüchtet, die ein über­stürztes letztmaliges Aufsuchen des sog. Verlieses belegten: umgestürzter Tresor vor offener Verliestür, am Boden verstreute Sachwerte wie Schmuck, Bargeld, Spar­buch etc.; versehentliches Zurücklassen von Bargeld und Handy). Priklopil war Nachrichtentechniker, in seiner Unterkunft konnte (ein längst veraltetes Commodore-Modell für Spielverwendungen ausgenommen) keine elektronische Ausrüstung (PC, Speicherinstrumentarium etc.) sichergestellt werden.

Im Übrigen hätte die Planung einer gewaltsamen Kindesentführung durch einen Allein­täter ohne Komplizenunterstützung in verbautem Gebiet eine Fahrzeuglenkung samt gleichzeitiger Opferkontrolle und Verhinderung von Drittwahrnehmungen (ver­kehrs­bedingte Anhaltephasen zB bei Rotlicht etc.) einzukalkulieren gehabt. Sie wäre demnach a priori ohne realistische Erfolgsaussicht gewesen.

2. Der erwähnte Geschäftspartner zeigte in unmittelbarem Zusammenhang mit dem eigenmächtigen Entweichen der Zeugin Kampusch vom Anwesen Priklopils in Straßhof, Heinestraße 60, sinnfällige, für einen angeblich tatunbeteiligten Freund und Geschäftspartner völlig atypische Auffälligkeiten:

a) Er ließ Priklopil beim Donauzentrum, wo der Flüchtende seinen bereits polizei­be­kann­ten PKW geparkt hatte, in seinen eigenen PKW einsteigen, verbrachte an­schließend mehr als fünf Stunden in unmittelbarer Nähe des Ortes, wo er den damals aus seiner Sicht mehrfach hilfsbedürftigen Freund und Geschäftspartner ohne Geld, Telefon und vor polizeilicher Nachforschung sicherer Unterkunft aus seinem Fahrzeug aussteigen ließ und wo dieser kurz darauf von einem Zug gerädert wurde.

b) Er entfernte ebenso unverzüglich wie behördlich unbehindert nicht mehr konkretisierbare Objekte aus dem Anwesen Priklopils, berief sich dabei auf eine angeblich mündliche Ermächtigung durch die Mutter des Wolfgang Priklopil und erklärte dieses Vorgehen später mit der Abholung von Werkzeug, das er an Priklopil angeblich verliehen hätte; dass die Mutter des Verstorbenen die Erteilung einer derartigen Ermächtigung verneinte, fügt sich in das Bild.

c) Er organisierte (als zuletzt angeblich nur sporadische Kontakte unterhaltender Freund) innerhalb weniger Tage eine Pressekonferenz, bei der er eine von seiner Schwester konzipierte, inhaltlich unrichtige Erklärung verlas und strikt hinzufügte,


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für darüber hinaus gehende Auskünfte nicht zur Verfügung zu stehen.

d) Er präsentierte – nach entsprechender Einmahnung durch seine Schwester (der Autorin seiner tatsachenwidrigen Presseerklärung) – einen Zettel mit dem handschriftlichen Schriftzug „Mamaals angeblichen Versuch des Wolfgang Priklopil, Abschiedsworte zwecks Übergabe an seine (Priklopils) Mutter zu verfassen. Ein erwachsener Mann, der seinem Freund einen ausschließlich mit „Mama“ be­schriebenen Zettel als angeblichen Abschiedsgruß mit dem Ersuchen übergibt, ihn im Ernstfall an die Mutter weiterzuleiten, widerspricht jedweder Lebenserfahrung.

Es war daher nicht verwunderlich, dass laut kriminaltechnischem Untersuchungs­bericht des Bundeskriminalamts  Abteilung Handschriften und Urkunden – vom 18. November 2009 dieser Schriftzug nach Maßgabe verfügbarer Vergleichshand­schriften keinen Anhaltspunkt für eine Urheberschaft des Wolfgang Priklopil aufweist, dafür aber „einzelne aufzeigenswerte graphische Übereinstimmungenmit der Handschrift des befreundeten Geschäftspartners. Dem daraus folgenden gravie­renden Fälschungsverdacht mit nahe liegendem neuem und erweitertem Ermittlungs­bedarf schenkte die damals (wie auch bereits längerfristig zuvor) zum Ermittlungs­abbruch entschlossene Staatsanwaltschaft (vgl. Ignorierung des im Innenministerium erarbeiteten Besprechungsergebnisses vom 30. April 2008 durch den negativen staatsanwaltschaftlichen Vorhabensbericht an das Bundesministerium für Justiz; „profil“-lnterview LOStA DrPleischl aus Juli 2009 – dazu Beilage 1) keine wie immer geartete Beachtung. Die Staatsanwaltschaft ging vielmehr mit dem im Folgenden zu 5.) behandelten Ermittlungsabschluss vor, dessen Verwirklichung eine gezielte Entschär­fung der akzentuierten Angaben der Tatzeugin Ischtar Rahel Akcan über die Beteili­gung zweier Tatkomplizen zur unabdingbaren Voraussetzung hatte.

e) Der befreundete Geschäftspartner wurde kurz nach der Auffindung des toten Wolfgang Priklopil bei einer mit diesem gemeinsam gewerblich genutzten Halle polizeilich bei der Verbringung (gleichfalls) nicht näher festgestellter Gegenstände betreten und verlor dabei ohne vorangegangene Konkretisierung des sicherheits­behörd­lichen Einsatzgrundes in einem für die intervenierende Polizeibeamtin massivst alarmierenden Ausmaß die Fassung (Schweißausbruch, Gesichtsblässe, Zittern), wobei ihm die spontane Frage „Hot er’s(ie) umbracht, entglitt (die entsprechende Festnahmeanregung der lediglich für die Sicherung des Einsatzortes zuständigen Polizeibeamtin CI Wipfler blieb seitens der operativen sicherheitsbehördlichen Einsatzverantwortung unbeachtet).

Der vorerwähnten Fragestellung, ordnet man ihr eine Ausrichtung auf Natascha Kampusch zu, kommt aus der Sicht keiner der vom in Rede stehenden Geschäfts­partner angebotenen Versionen seiner letzten Kontakte zu Wolfgang Priklopil schlüs­sige Sinnhaftigkeit zu:

Nach der Erstversion, Priklopil hätte ihm gegenüber die Flucht vor der Polizei lediglich mit krass vorschriftswidrigem Verkehrsverhalten begründet, konnte der Geschäfts­partner von den Zusammenhängen Priklopil-Kampusch keine Kenntnis besitzen. Die polizeilich bekundete Fragestellung nach einer Tötung der Entführten war daher zum Nachteil des Fragenden massiv belastend. Nach dem Wechsel seines Rechtsbei­standes im Herbst 2009 ersetzte er dann (mit einer Verspätung von mehr als drei Jahren nach dem Ende der Abgängigkeit der Natascha Kampusch) seine bisherige Einlassung durch eine Zweitvariante, wonach Wolfgang Priklopil nach seiner Abholung vom Donauzentrum eine „Lebensbeichte“ mit dem Eingeständnis der Entführung samt anschließender achtjähriger Anhaltung der Natascha Kampusch eröffnet hätte. Das damit ersichtlich verbundene Ziel, den belastenden Aussagewert der Angaben der Polizeibeamtin Chefinspektorin Wipfler zu der erwähnten Verbalreaktion („Hot er’s umbrocht?“) plausibel zu entkräften, wurde damit jedoch nicht erreicht: Die Frage nach


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einer allfälligen zwischenzeitigen Tötung des Opfers, das inhaltlich der angeblichen, kurz zuvor erfahrenen Lebensbeichte des Täters zur fahndenden Polizei geflüchtet und damit auch nach dem Wissensstand des Geschäftspartners dem Täterzugriff entzogen war, macht nicht mehr Sinn, als die versehentlich unterlaufene Bekundung eines Informationsstandes, den er nach eigener Erstversion gar nicht haben konnte.

Nahe liegender schlüssiger Sinn kommt der Fragestellung hingegen zu, wenn sie in Wahrheit – mit identem dialektgeprägtem Ausspracheeffekt „Hot er’si umbracht?“ – auf Wolfgang Priklopil selbst ausgerichtet war. Verdachtsmomente in der Richtung, dass jemand, der allenfalls Grund zur Fälschung ansatzweiser Abschiedszeilen eines in der Folge auf Bahngleisen gerädert Vorgefundenen an seine Mutter gefunden haben kann (kriminaltechnischer graphologischer Untersuchungsbericht vom 18. November 2009), auch daran interessiert gewesen sein könnte, anlaufende sicherheits­behörd­liche Ermittlungsinitiativen in Richtung Selbstmord zu kanalisieren, sind zumindest vorweg nicht von der Hand zu weisen und demzufolge jedenfalls aufklärungsbedürftig. Aus potenzieller Tätersicht wären ein paar Buchstaben, die planmäßig als abge­brochene Initiative zu einem Abschiedsbrief an die Mutter ins Treffen geführt werden, unschwer als graphologisch weniger verfänglich zu erkennen, als eine allfällige Komplettfälschung eines ganzen oder mehrerer vollständiger Sätze.

Dass der Priklopil-Geschäftspartner als Zeuge vor dem Bezirksgericht Gleisdorf (von damals anwesenden Mitgliedern der Evaluierungskommission persönlich wahrgenom­men und teilweise auch mitnotiert, wenn auch ohne Niederschlag im gerafften gericht­lichen Verhandlungsprotokoll) im Widerspruch zu den aktenkundigen Angaben der erwähnten Polizeibeamtin definitiv abstritt, eine derartige Fragestellung („Hot er’s umbrocht?“) überhaupt geäußert zu haben, sei nur zur Abrundung hinzugefügt.

f) Nachdem bekannt geworden war, dass Natascha Kampusch am 2. März 1998 mit einem weiß lackierten Kastenwagen entführt worden war, hat der Priklopil-Freund und Geschäftspartner seinen eigenen Angaben zufolge gemeinsam mit dem befreundeten Rudolf Hürner Überlegungen in der Richtung angestellt, ob Wolfgang Priklopil, um dessen gleichartigen Kastenwagen sie wussten, als Täter in Betracht kommen könnte. Diesen Gedanken will er gemeinsam mit dem genannten Freund, der dies bestätigt, jedoch verworfen haben.

Gleichzeitig gibt er aber zu, in unmittelbarem zeitlichem Umfeld zur Entführung der Natascha Kampusch einen Bagger auf das von Wolfgang Priklopil bewohnte Anwesen Straßhof, Heinestraße 60, verbracht, für entsprechende Arbeiten des Priklopil dort bis zum Abtransport zum elterlichen Besitz in Mistelbach im Mai 1998 belassen und mit dem Gerät auch selbst gelegentlich auf dem Grundstück – wie er sagt – „geübtzu haben. Im Kontext mit der (auch durch die Angaben der Natascha Kampusch belegten) Tatsache, dass das so genannte Verlies im Zeitpunkt der Entführung noch nicht für eine längerfristige Bewohnbarkeit ausgestattet war, insbesondere auch die Installation der in einen Heckenabschnitt mündenden Ent- und Belüftungsein­rich­tung mit nachträglichen Erdbewegungen verbunden war, der Priklopil-Geschäfts­partner, teilweise durch aktenkundige Lichtbilder belegt, sowohl vor als auch nach dem 2. März 1998 an Umbauten in und an dem von Priklopil bewohnten Haus (teils auch durch Bereitstellung von Arbeitern) beteiligt war, bestand und bestünde nach wie vor sinnfälliger Aufklärungsbedarf in der Richtung, aus welchem Grund die damals aktu­ellen Baggerarbeiten auf dem gesprächsweise als allfällige Täter- und Opfer­unter­kunft in Betracht gezogenen Anwesen bei den erwähnten, auch von Rudolf Hürner bestätigten, gemeinsamen Überlegungen keine Rolle gespielt haben sollen.

g) Auffällig waren und sind auch Veranlassungen des Geschäftspartners und seiner ab dem Wiederauftreten der Natascha Kampusch atypisch umtriebigen Schwester, einer Juristin, welche in zeitlicher Nähe zum Ableben des Wolfgang Priklopil dessen


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Mutter betrafen. Diese Juristin erwirkte bei der Mutter des Wolfgang Priklopil die Erteilung einer weitgehenden Vollmacht, auf deren rechtlicher Basis sie namens der Vollmachtgeberin zwei deren verstorbenem Sohn gehörige Eigentumswohnungen an ihren Bruder, den Priklopil-Freund, verkaufte, wobei der Kaufpreis inhaltlich der Ver­trags­textierung jeweils durch Gegenverrechnung mit angeblich noch offenen geschäftlichen Geldforderungen des Käufers an Wolfgang Priklopil als bezahlt zu gelten hatte. Diese Geldforderungen waren in keiner Weise belegt. Mag es auch zutreffen, dass die durch den Tod ihres Sohnes naturgemäß massiv getroffene Mutter Primärsorgen hatte, die vermögensrechtliche Belange in den Hintergrund treten ließen, eine unkritische Bereitschaft, erhebliche Teile des ihr vor tragischem Hintergrund zufallenden Vermögens in großem Stil zu verschenken, ist weder ihren aktenkundigen Angaben, noch sonstigen Ermittlungsergebnissen zu entnehmen. Vielmehr hat sie ihren Angaben zufolge den Geschäftspartner ihres Sohnes im Zusammenhang mit dessen Ableben nach dem aufrechten Bestand von Geschäfts- oder sonstigen Schulden ihres verstorbenen Sohnes gefragt, was vom Angesprochenen mit der Äuße­rung „Nein, im Gegenteil ...“ verneint worden sei.

Nach polizeilichen Ermittlungen verfügte der Priklopil-Freund und Firmenpartner bereits zuvor über mehr als zehn Eigentumswohnungen, die er zum Teil an junge Frauen aus Osteuropa vermietete.

Die vorerwähnte Juristin erledigte ferner für ihre Vollmachtgeberin zur Hintanhaltung weiterer Kontaktversuche von Medienvertretern (ihren Angaben zufolge aus Mitleid beziehungsweise menschlichen Gründen) die Formalitäten einer Namensänderung und den Ankauf einer Wohnung in einem anderen Wiener Gemeindebezirk, zu welcher erneut ihr Bruder als grundbücherlicher Eigentümer ausgewiesen ist, während die den Kaufpreis aufbringende Mutter Wolfgang Priklopils lediglich ein lebenslanges Wohnrecht eingeräumt erhalten hat. Die Juristin und Schwester des Priklopil Freundes war es auch, die trotz bis dahin lediglich sporadischer Kontakte zur Familie Priklopil umgehend das Begräbnis (Urnenbeisetzung?) für Wolfgang Priklopil organisierte und es veranlasste, dass der Verstorbene unter einem seine wahre Identität verschleiernden Namen auf dem Friedhof ihres Wohnortes Laxenburg beigesetzt wurde.

Entsprechende Zwischenberichte des Bundeskriminalamts an die Staatsanwaltschaft Wien waren nicht geeignet, dortige Reaktionen, geschweige denn weiteres Ermitt­lungs­interesse auszulösen.

3. Natascha Kampusch vollendete am 17. Februar 2006 ihr 18. Lebensjahr. Wolfgang Priklopil schenkte ihr zu diesem Anlass eine mit entsprechender Aufschrift versehene Geburtstagsorte, die der Geschäftspartner über Ersuchen Priklopils durch seine Ehegattin anfertigen ließ. Da sich Wolfgang Priklopil damit – unter der Annahme seiner Alleintäterschaft bei der Kampusch-Entführung – im Verhältnis zu seinem diesfalls uneingeweihten Freund und Geschäftspartner einem belastenden Erklärungsbedarf ausgesetzt hätte, der für ihn durch eine unverfängliche Tortenbeschaffung von dritter Seite leicht vermeidbar gewesen wäre, kommt der gewählten Vorgangsweise gleichfalls eine kontextabrundende Indizwirkung zu.

4. Die Verfahrenseinlassung des ermittlungsbetroffenen Geschäftspartners erfuhr in zeitlichem Zusammenhang mit dem Vollmachtswechsel in seiner Rechtsvertretung eine (neben der die Lebensbeichte Priklopils betreffenden Letztversion) weitere wesentliche Änderung. Den Geldtransfer im Ausmaß von rund einer halben Million Schilling, der im März 1998 über ein auf den Namen der Mutter des Wolfgang Priklopil lautendes Konto rückabgewickelt wurde, erklärte der Priklopil-Firmenpartner bis Herbst 2009 damit, dass er Priklopil (ohne jede schriftliche Absicherung) für einen von diesem ins Auge gefassten Ankauf eines PKWs der Marke Porsche ein Darlehen in der


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erwähnten Höhe gewährt hätte. Der Ankauf wäre in der Folge gescheitert und er hätte das Darlehen auf dem besagten Überweisungsweg zurückerhalten. Dieser Erstversion lief zuwider, dass Priklopil erwiesenermaßen erst kurz zuvor einen teuren BMW der Serie 850 gekauft hatte und der Geschäftspartner nicht imstande war, den mit der behaupteten Darlehensgewährung angeblich zusammenhängenden Porsche-Ankauf auch nur ansatzweise durch entsprechende Kontakthinweise zu konkretisieren. Der Geldtransfer wird von ihm daher seit Herbst 2009 in einer von der Erstversion abweichenden Variante, nämlich mit rein fiskalischen Zielsetzungen erklärt, schlüssig jedoch ebenso wenig begründet wie überhaupt diese Änderung seiner Verantwortung.

Schlüssig zu erklären wäre der Geldtransfer hingegen mit der Rückabwicklung eines bereits in Angriff genommenen, aus welchen Gründen auch immer abgebrochenen kriminellen Geschäftskontaktes (zB Entgeltrückzahlung nach unterbliebener Inan­spruch­nahme einer vereinbarten Leistung). Dass das sog. Verlies am Tag der Entführung noch weitgehend adaptierungsbedürftig und für eine längere Anhaltung nicht eingerichtet war, spricht ebenso für eine ursprünglich tatplangemäße Weiter­führung des Opfers zu einem kriminellen Abnehmerkreis, wie einzelne Komponenten des von Kampusch beschriebenen Verhaltens des Wolfgang Priklopil im Anschluss an ihre Entführung.

5. Aus staatsanwaltschaftlicher Sicht konnte es auch als nicht ausschlaggebend auf sich beruhen, dass besagter Geschäftspartner nach aktenkundigen Ermittlungs­ergeb­nissen ein Zusammentreffen mit Wolfgang Priklopil und Natascha Kampusch, das zumindest für den Bereich einer gemeinsam betriebenen Veranstaltungshalle unbe­stritte­nermaßen erwiesen ist, bei seiner polizeilichen Befragung damit erklärt hat, Priklopil hätte ihm das Mädchen als Helferin aus seiner Nachbarschaft vorgestellt, während er Natascha Kampusch auf die Frage eines Mitarbeiters, um wen es sich bei dem Mädchen handle, als Verwandte aus einer früheren Ehe bezeichnete.

6. Der Priklopil-Freund hat Natascha Kampusch, die ihm bis dahin angeblich nur von dem oben erwähnten einmaligen Streifkontakt bei der Veranstaltungshalle im 23. Wiener Gemeindebezirk bekannt war, kurz nach dem Ende ihrer Abgängigkeit im Allgemeinen Krankenhaus in Wien besucht und mit ihr in den Folgewochen an die einhundert Telefonate geführt, die zum Teil stundenlang andauerten. Sinn und Zweck dieser Telefonate wird beiderseits mit dem Bestreben erklärt, das jeweils eigene Persönlichkeitsbild von Wolfgang Priklopil mit Hilfe des anderen Gesprächspartners zu vervollständigen und abzurunden.

Was der Geschäftspartner und Freund Priklopils bei seinen späteren polizeilichen Befra­gungen an begrenztem Einblick in die Lebensführung Wolfgang Priklopils preisgab, lässt mit wenigen Ausnahmen sein Bemühen erkennen, die Kampusch-Angaben nicht zu konterkarieren.

7. Auf Grund der Aufzeichnung einer Überwachungskamera am Informationsschalter des Donauzentrums ist erwiesen, dass der flüchtende Wolfgang Priklopil den Fahrzeugschlüssel zu seinem BMW 850 in der Weise mit sich führte, dass der Schlüssel mit einem Anhänger beziehungsweise Etui verbunden war. Bei der Leiche des Wolfgang Priklopil wurde der Schlüssel jedoch ohne jedes Zubehör vorgefunden, während das von der Überwachungskamera festgehaltene Zubehör im Handschuhfach jenes Wagens sichergestellt werden konnte, mit dem ihn sein Geschäftspartner vom Donauzentrum abgeholt hatte.

Dazu befragt gab Letzterer zunächst an, er könne sich daran erinnern, dass Wolfgang Priklopil als Beifahrer in seinem PKW mit seinem eigenen Fahrzeug­schlüssel gespielt, dabei möglicherweise den Anhänger und das Etui vom Schlüssel gelöst und im Handschuhfach hinterlegt habe. Die Frage nach dem wesentlich auffälli­


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gerem Detail, ob nämlich mit dem Zusteigen des Priklopil in seinen PKW auch ein Umladen von Gegenständen verbunden gewesen wäre, beantwortete er demgegen­über damit, er könne sich an einen derartigen Vorgang nicht erinnern. Zuletzt brachte er am 13. November 2009 vor, den Schlüsselanhänger von Priklopil als per­sönliches Erinnerungsstück geschenkt erhalten zu haben.

Ad 3.): Langfristige staatsanwaltschaftliche Behinderung des Innenressorts bei der ressortinternen Fachaufsicht und Evaluierung der sicherheitsbehördlichen Fallbehandlung

Natascha Kampusch wurde, durchwegs polizeilich, am 24., 30. und 31. August 2006, ferner am 2., 3., 7. und 15. September 2006 vernommen, wobei die Vernehmungs­niederschriften aus Opferschutzinteressen ab dem 30. August 2006 jeweils nur einfach im Original ausgefertigt und unverzüglich unter justiziellen Verschluss genommen wurden. Anlass für diese damals nachvollziehbare und sachlich auch zu recht­fertigende Maßnahme war die nicht unbegründete Sorge vor unbefugtem medialem Zugriff auf sensible Aussagepassagen und denkbarer, damit verbundener Verlet­zungen der Intimsphäre des Entführungsopfers.

Die evaluierungsessenzielle Prüfung der Frage, ob kriminalpolizeilich sämtliche verfüg­baren Ermittlungsansätze sachdienlich erfasst und behandelt wurden, setzt zwangsläufig auch eine umfassende Kenntnis der polizeilichen Niederschriften mit Natascha Kampusch voraus. Es bedurfte mehr als einjähriger Bemühungen und letztlich der Abhilfe durch die aktuelle Bundesministerin für Justiz, bis schließlich Ende Juli 2009 (wenn auch unter schikanösen Rahmenbedingungen) zwei Beamten des Bundeskriminalamtes (Oberst Kröll und Chefinspektor Linzer) eine entsprechende Einsichtnahme gewährt wurde, wobei die Beamten lediglich Notizen machen, keine Kopien anfertigen und während der Einsicht auch kein Handy benützen durften. Den eingesehenen Niederschriften war unter anderem auch zu entnehmen, dass Natascha Kampusch während der Zeit ihrer Abgängigkeit nicht nur zahlreiche und vielfältige Möglichkeiten, auf sich aufmerksam zu machen, ungenützt ließ, sondern dazu auch optimal geeignete Zwischenfälle, wie zum Beispiel die bereits vorerwähnte polizeiliche Verkehrskontrolle, der sie als Beifahrerin des Fahrzeuglenkers Wolfgang Priklopil beiwohnte.

Ad 4.): Mediale Verbreitung krass wahrheitswidriger Informationen:

Die ab Herbst 2008 zur weiteren Fallbearbeitung eingesetzte operative Sonder­kommission des Bundeskriminalamtes erstattete der Staatsanwaltschaft Wien zum Ermittlungsfortgang in der Zeit vom 4. Februar 2009 bis 14. Juli 2009 insgesamt sechs Zwischenberichte, denen insbesondere die Ergebnisse der Befragungen von insgesamt 102 Personen und zwei Zeugenvernehmungen zugrunde lagen (dazu der von Oberst Kröll verfasste Bericht Beilage 3). Obwohl diesen kriminal­polizeilichen Berichten wiederholt weiterer ermittlungsstrategischer Handlungsbedarf zu entnehmen war, unterblieb dazu seitens der im Ermittlungsverfahren leitungs­befugten Staatsanwaltschaft Wien jedweder Rückkontakt beziehungsweise jed­wede Reaktion.

Dessenungeachtet verstieg sich der damalige Mediensprecher dieser Behörde, Staatsanwalt Dr. Gerhard Jarosch, in sommerlichen Zeitungsinterviews zu den die Realität krass verkehrenden Behauptungen, „dass die Kriminalisten in acht Mona­ten nur eine einzige Einvernahme durchgeführt haben, was nicht eben viel“ sei (Tageszeitung „Kurier“) beziehungsweise „Wir hatten der SOKO schon im Novem­ber 2008 den Auftrag gegeben, vier Personen einzuvernehmen – eine wurde davon tatsächlich befragt“ (Tageszeitung „Heute“). In Wahrheit mussten die Oberstaats­anwalt­schaft Wien und die Staatsanwaltschaft Wien im vorangegangenen Jahr


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monatelang zur Fortführung des Ermittlungsverfahrens gedrängt werden, bis ihr dann (mit Unterstützung auf Ministerebene) im November 2008 der kursorische Auftrag zu bloßen zweckdienlichen „Erkundigungen“ (ohne auch nur einen einzigen Verneh­mungs­auftrag) abgerungen werden konnte.

Nicht anders verhält es sich mit jenen medialen Stellungnahmen des Leitenden Oberstaatsanwalts Dr. Pleischl, in denen er den „Fall Kampusch“ als „bis zum ,Geht nicht mehr‘ ermittelt“ bezeichnete, obwohl bis dahin von justizieller Seite sachdienliche Ermittlungsbeiträge nicht einmal versucht worden waren.

Sämtliche oben angesprochenen Ermittlungsdetails sind federführend dem Einsatz und den kriminalistischen Fähigkeiten von Polizeioberst Franz Kröll zu verdanken, der in seinem Wirken bis Sommer 2009 durch ein dreiköpfiges Team unterstützt wurde, das aus dem Bundeskriminalamt zugeteilten, gleichfalls hoch qualifizierten und ambitionier­ten Beamten bestand. Die Mitglieder der Evaluierungskommission, die ab ihrer weiterführenden Neubestellung im Dezember 2008 mit dem operativen Ermittlungs­team des Bundeskriminalamtes in fortgesetztem engem Kontakt standen, konnten sich unmittelbar von den frustrierenden Auswirkungen überzeugen, die das Fehlen jedweder staatsanwaltschaftlichen Reaktion auf die polizeilichen Zwischenberichte welcher Art auch immer bei den ermittelnden Beamten auslöste. Dass diese Frus­tration dann mit den oben erwähnten absurden staatsanwaltschaftlichen Presse­erklärungen massiver Fassungslosigkeit wich, versteht sich von selbst.

Ad 5.): Staatsanwaltschaftliche Druckausübung auf Oberst Kröll in Richtung Ermittlungseinstellung per Jahresende 2009

Die Ergebnisse der im Jahr 2009 intensivierten Ermittlungen brachten auf der Basis vor allem der Angaben der Zeugin Ischtar Rahel Akcan, der besonderen Auffälligkeiten im objektivierten Verhalten des Freundes und Geschäftspartners von Wolfgang Priklopil, der mehrfachen Widersprüche in seiner in wesentlichen Punkten widerlegten Ver­fahrenseinlassung, wie auch mit der Singularität seines Naheverhältnisses zu Wolf­gang Priklopil eine sinnfällige Verdichtung und Abrundung des Verdachtes mit sich, dass es sich bei ihm um den von der genannten Zeugin beobachteten Entführungs­komplizen handelt. Hinzu kam schließlich, wie oben dargelegt, der graphologische Untersuchungsbericht des Bundeskriminalamtes vom 18. November 2009 mit dem diesen Verdächtigen zusätzlich belastenden Aussagewert, dass es sich bei dem von ihm als angebliche Zuschrift des Wolfgang Priklopil an seine Mutter ausgegebenen Schriftzug mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine Fälschung handelt. Bei der am 20. November 2009 durchgeführten Erörterung des Ermittlungsstandes durch die Mitglieder der Evaluierungskommission und OStA Dr. Mühlbacher war unter anderem auch Oberst Franz Kröll als operativer Leiter der Sonderkommission des Bundeskriminalamts anwesend. Dabei musste er ebenso wie die Mitglieder der Evaluierungskommission erneut zur Kenntnis nehmen, dass von staatsanwalt­schaftlicher Seite keine Ermittlungsbereitschaft bestand, die darüber hinausgegangen wäre, was (die ab Austritt aus ihrer Abgängigkeit von den Rechtsanwaltspartnern Dr. Lansky/Dr. Ganzger vertretene) Natascha Kampusch zum Verfahrensgegenstand vorgebracht hatte. Zum wesentlichen Besprechungsablauf ist auf oben bereits Gesag­tes und insbesondere nochmals darauf zu verweisen, dass OStA Dr. Mühlbacher dabei trotz des offenen Ausgangs der (erst nach entsprechender nachdrücklicher Rekla­mation letztlich doch) in Aussicht genommenen Gegenüberstellung der diver­gierend aussagenden Tatzeuginnen bereits am 20. November 2009 mit vorgefasster inhaltlicher Bestimmtheit von der finalen Pressekonferenz Anfang Jänner 2010 ausging. Diese staatsanwaltschaftliche Sperrhaltung gegenüber den kriminalpolizei­lichen Ermittlungsfortschritten veranlasste Oberst Kröll nach dem Ende der Be­sprechung im Zuge eines kurzen Meinungsaustauschs mit dem Gefertigten zu mas­


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siver Resignation („sinnloses Anrennen gegen Betonwand“). Diese war umso verständlicher, als zum damaligen Zeitpunkt eine gleichfalls mit führendem Ermitt­lungsverdienst von Oberst Kröll erarbeitete Strafanzeige vom 30. Jänner 2009, die (ohne unmittelbaren Konnex zum „Fall Kampusch“) mit schwerer Körperverletzung eines potenziellen weiblichen Missbrauchsopfers und schwerem Betrug zwei Kapital­verbrechen (samt einem Antrag auf Kontoöffnung) zum Gegenstand hatte, seit nahezu einem Jahr auf eine staatsanwaltschaftliche Erledigung wartete.

Was dann allerdings am 3. Dezember 2009 unter der Etikette „Gegenüberstellungunter der formalen Leitung von Oberst Kröll ablief und von ihm am Folgetag in einem Amtsvermerk (§ 95 StPO) auch festgehalten wurde (Beilage 4), hatte mit der von Mitgliedern der Evaluierungskommission nicht erst am 20. November 2009 als unabdingbar reklamierten Gegenüberstellung der beiden Tatzeuginnen im Sinn des § 163 Abs. 3 StPO nichts zu tun und stand in diametralem Gegensatz zu all jenen Grundsätzen und vernehmungstechnischen Gepflogenheiten, von denen das ein­schlägige Wirken dieses in jeder Hinsicht vorbildlichen Polizeibeamten bis dahin regelmäßig bestimmt war. Die ohne jede Bezugnahme auf die zahlreichen voran­gegangenen Angaben der Zeugin Akcan zu dem von ihr neben Wolfgang Priklopil gleichzeitig wahrgenommenen Fahrzeuglenker praktizierte suggestive „Umpolung“ der Genannten auf eine völlig unkritische Danksagung an Natascha Kampusch dafür, dass sie ihr „die Angst vor einem zweiten Täter nehme und sie nun wieder ruhig schlafen könne“, ist vor dem Hintergrund der besonderen Fachqualifikation, der detaillierten Aktenkenntnis und der außergewöhnlichen Gewissenhaftigkeit, die Oberst Kröll in seinem polizeilichen Werdegang stets auszeichneten, nur als Vorgabe schlüssig zu erklären, zu deren Umsetzung sich Oberst Kröll in Kapitulation vor der bereits rund zwei Jahre währenden staatsanwaltschaftlichen Ignorierung seines Ermittlungseinsatzes und der dabei erzielten Erfolge letztlich gegen seine Überzeu­gung verstanden hat. Dass die aus nahe liegenden Gründen über die Gesprächs­entwicklung verwunderte und ansatzweise dagegen auftretende Mutter der Zeugin Ischtar Rahel Akcan, Rosa Akcan, deswegen auch noch ausdrücklich abgemahnt wurde, rundet das Gesamtbild der Inszenierung vom 3. Dezember 2009 ab, die letztlich darin gipfelte, dass der Tatzeugin entgegen ihrer ausdrücklichen wiederholten Identi­fizierung des Tatfahrzeuges an dem atypischen heckseitigen „Buckel“ die Möglichkeit eingeredet wurde, dass es sich bei dem an einer der Folgekreuzungen neuerlich wahrgenommenen weißen Kastenwagen mit verdunkelten Seitenscheiben um einen vom Tatfahrzeug verschiedenen Wagen gehandelt haben könnte.

Oberst Franz Kröll war die Tragweite der objektiv pflichtwidrigen Gegenüber­stellungsfarce vom 3. Dezember 2009 als Grundlage des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsabschlusses voll bewusst. Im Gegensatz zu seiner sonstigen Gepflogen­heit, vor wichtigen Ermittlungsschritten, insbesondere auch bei der Erarbeitung von Fragenprogrammen, mit denen er anstehende Befragungen und Vernehmungen akzen­tuierter Bedeutung regelmäßig vorbereitete, persönlichen beratenden Kontakt zu Personen seines Vertrauens zu suchen, vermied er in Anbahnung der so genannten „Gegenüberstellung“ vom 3. Dezember 2009, die in dieser Form (insbesondere ohne unmittelbare Einbindung der Justizebene) weder am 20. November 2009 ange­sprochen wurde noch akzeptiert worden wäre, jedwede derartige Kontaktaufnahme. In einem kollegialen Mail vom 16. Dezember 2009 brachte Oberst Kröll zum Ausdruck, dass ihm die Beendigung des Ermittlungsverfahrens „unmissverständlich nahe gelegtworden war. Dem Mail ist auch zu entnehmen, dass er kollegiale Kritik in Erwägung zog, die – so der Wortlaut des Mails vom 16. Dezember 2009 – sein „weiteres Leben in einem Siechenheim erforderlich machen könnte“. Obwohl er die operative Sonderkommission des Bundeskriminalamtes geleitet hatte, lehnte er es ab, sich für die planmäßige abschließende Pressekonferenz im Jänner 2010 zur Verfügung


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zu stellen, deren inhaltlicher Ablauf für jeden, der die tatsächlichen Ermittlungs­ergebnisse kannte, unverständlich war. In den Folgemonaten äußerte Oberst Kröll immer wieder Selbstvorwürfe in der Richtung, das negative Endergebnis des Ermittlungsverfahrens zum „Fall Kampusch“ verschuldet zu haben, bis er sich letztlich am 25. Juni 2010 mit einer alten Dienstpistole das Leben nahm.

Schlussbemerkung

Wie eingangs erwähnt fällt es mir nicht leicht, dieses Schreiben an Sie, sehr geehrte Frau Dr. Glawischnig, und Sie, sehr geehrte Herren Klubobmänner der Parlaments­parteien, zu richten. Es widerstrebt mir massivst, als der Justiz nach wie vor engst verbundener ehemaliger Verantwortungsträger mit den vorstehenden Ausführungen dazu beizutragen, dass mein früheres berufliches Umfeld in ein negatives Licht gerückt wird. Dies umso mehr als es die Gesamtheit der in richterlicher und staats­anwaltschaftlicher Funktion regelmäßig und überwiegend ausgezeichnete Arbeit leistenden Kollegenschaft ist, die erfahrungsgemäß vorschnellen Vorurteilen und unge­recht­fertigten Generalisierungen ausgesetzt ist.

Was hier jedoch aus dominierendem öffentlichem Interesse aufgezeigt werden musste, ist die fachlich nicht nachvollziehbare Pflichtverweigerung führender staatsan­walt­schaftlicher Verantwortungsträger und das Scheitern des Versuchs, die nach Lage des Falles gebotene Abhilfe an insoweit oberster Verantwortungsebene zu erwirken. Defizite einer Justiz, in der es möglich ist, dass im Bereich der Kapital­delinquenz Beweisgrundlagen von (isoliert betrachtet wie auch kontextbedingt) schla­gender Qualität (aus welchen Gründen auch immer) solange mit methodischer Beharr­lichkeit unter den Tisch gekehrt werden, bis sich ein damit konfrontierter vorbildlich pflichtbewusster Beamter aus Resignation und Frustration gezwungen sieht, seine Ermittlungsbemühungen im Sinn übergeordneter Weichenstellungen zu finalisieren und sich in der Folge mit Selbstvorwürfen soweit unter Druck zu setzen, dass er keinen anderen Ausweg als den Freitod sieht, während es exponierten Verdachtsträgern mit jahrelanger tatenloser Duldung von staatsanwaltschaftlicher Seite ermöglicht wird, mögliche Beweisgrundlagen zu neutralisieren und vorgebrachte Exkulpierungs­varian­ten ohne jede Nachteilsfolgen nach Belieben und nach jeweils aktuellem Bedarf zu adaptieren, können nicht mit Stillschweigen übergangen werden.

Hinzuzufügen ist, dass jene justiziellen Erfahrungen, die der Vorsitzende der Evaluie­rungskommission, Präsident des Verfassungsgerichtshofes i.R. Univ.-Prof. Dr. Ludwig Adamovich, bisher im Zusammenhang mit dem von der Mutter der Natascha Kampusch gegen ihn angestrengten Privatanklageverfahren machen musste, nicht geeignet sind, zu gesteigertem Vertrauen in die aktuelle justizielle Strafrechtspflege zu ermutigen. Dass er in erster Instanz (wenn auch noch nicht rechtskräftig) von einer Richterin, die die Tochter des in führender Mitverantwortung im Ermittlungsverfahren zum „Fall Kampusch“ tätig gewesenen (inzwischen in den dauernden Ruhestand übergetretenen) Leiters der Staatsanwaltschaft Wien ist und deshalb im unmittelbaren Umfeld gesetzlicher Ausgeschlossenheit (§ 43 Abs 1 Z 1 StPO) jedenfalls im Interesse der gebotenen objektiven Anscheinsvermeidung zur Erklärung ihrer Befangenheit ver­pflichtet gewesen wäre, am 24. Dezember 2009 (!) des Vergehens der üblen Nachrede schuldig erkannt wurde, kann zwar naturgemäß nicht in der Verantwortung der Bundesministerin für Justiz liegen, fügt sich aber nach Maßgabe der dieses Urteil und das vorangegangene erstinstanzliche Verfahren prägenden Modalitäten nahtlos in die Fassungslosigkeit, die eine fachkundige Nachbetrachtung des gesamten Ermittlungs­komplexes auslösen muss. Vor dem Hintergrund der oben nur angerissenen Ermitt­lungsergebnisse beurteilte die Erstrichterin in fugenloser Anknüpfung an das staats­anwaltschaftliche Fallengagement im Hauptverfahren (bei gleichzeitiger Abweisung von Beweisanträgen) die „Feststellungen zur Entführung und Gefangenschaft der


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Natascha Kampusch“ in der Begründung ihres Urteils als „notorisch“, weil sie „Gegen­stand weltweiter Berichterstattung“ waren und „sogar Eingang in die enzyklopädische Webseite wikipedia“ gefunden haben. Dazu erübrigt sich jeder Kommentar.

Aus menschlicher Sicht ist es verständlich, einer (heute) jungen Frau, die als zehn­jähriges Kind unbestrittenermaßen aus schwieriger familiärer Umgebung entführt, in ihrer weiteren Entwicklung mit jedenfalls atypischen Rahmenbedingungen belastet wurde und schon deshalb persönlich nicht dafür verantwortlich gemacht werden kann, was die inhaltliche Ausrichtung ihrer aktuellen Öffentlichkeitskontakte bestimmt, möglichst schonend zu begegnen. Die exklusive Rücksichtnahme auf Opferinteressen hat aber dort ihre Zulässigkeitsgrenze, wo sinnfällige Ermittlungsansätze den Verdacht schwerkrimineller Komplizenschaft von dritter Seite und eine Prüfung der Frage nahe legen, ob die in mehrfacher Hinsicht mit objektivierten Ermittlungsergebnissen schlüs­sig nicht in Einklang zu bringende (teils vom Opfer selbst widersprüchlich und mit wechselnden Detailangaben begründete) Behauptung, durch mehr als acht Jahre in einem Kellerverlies wehrlos einem abnorm veranlagten Peiniger ausgeliefert gewesen zu sein, ihren Ursprung weniger in einer so erlebten Realität, als in einem kalkulierten Sachzwang hat, der sich aus einer bisher nicht offen gelegten anderen Realität ergibt (ein durch acht Jahre „bewohnter“ Verliesraum hätte nach der Einschätzung eines erfahrenen fallbefassten Tatortspezialisten andere als die dort festgestellten Ge­brauchs­spuren). Dass ein entführtes Kind ohne wirksame familiäre Bindung der Versuchung eines allfälligen (von welcher Motivation auch immer geleiteten) Täter­angebots, familiäre Trostlosigkeit gegen ein „familienfreies“ und individuell organisier­tes Leben zu tauschen, in relativ kurzer Zeit unterliegen kann, ist schon mit Blick auf die immer wiederkehrenden Fälle, wo Heranwachsende ihr Elternhaus aus Eigen­initiative verlassen, unschwer einsichtig. Ebenso einsichtig ist es, dass eine in langfristiger Anonymität lebende Abgängige irgendwann (zB mit dem Eintritt in die Großjährigkeit) zwangsläufig die Notwendigkeit empfindet, wieder eine (vorzugsweise ihre eigene) Identität anzunehmen. Die Begleitumstände, unter denen Natascha Kampusch im konkreten Fall ihre langjährige Abgängigkeit beendet hat, und ihre dazu abgegebenen Erklärungen können auch als eine Ausstiegsvariante gesehen werden, die sowohl ihren persönlichen (auch verständlichen wirtschaftlichen) Interessen, als auch jenen (denkmöglich in zahlreichen, teils stundenlangen Telefonaten abge­stimmten) Interessen optimal Rechnung trägt, die gegebenenfalls ein ehemals entfüh­rungsbeteiligter Dritter an fortgesetztem Einvernehmen mit dem seinerzeitigen Entfüh­rungsopfer haben kann.

Was jedenfalls, besonders aber im Bereich schwerer Kriminalität, weder gesetzlich gedeckt, noch sonst in öffentlichem Interesse gelegen oder mit den Grundsätzen verant­wortungsvollen Opferschutzes vereinbar ist, ist die im konkreten Fall von staatsanwaltschaftlicher Seite aller Ebenen praktizierte Grundhaltung, alles beharrlich zu ignorieren, was mit den Angaben des seinerzeitigen Entführungsopfers unvereinbar ist oder es im Ermittlungsfall sein könnte. Sie indiziert Defizite aktueller staatsanwalt­schaftlicher Strafrechtspflege, die zwar in erster Linie mit dem individuellen Funktions­verständnis einzelner Verantwortungsträger zusammenhängen, zum Teil aber auch erst durch systeminhärente Elemente des neuen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungs­verfahrens ermöglicht werden. Eine – wie hier – von Anfang an beharrlich durchge­zo­gene staatsanwaltschaftliche Einäugigkeit in der Fallbehandlung wäre bei traditio­neller untersuchungsrichterlicher Einbindung und der damit verbundenen, informations­bedingt zwangsläufig „in justizieller Augenhöhe“ kontrollierenden Ermittlungsbegleitung ausgeschlossen gewesen.

Wenn vorliegend auf der Basis von Art. 52 B-VG parlamentarische Verantwortung angesprochen wird, so kann hier ein Vorwurf nicht unerwidert bleiben, der von einem Parlamentarier – nicht erst jüngst (Ausgabe der Tagezeitung „Österreich“ vom 12. Sep­


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tember 2010) – gegen die Mitglieder der Evaluierungskommission erhoben wurde. Es geht dabei um den Vorwurf, die Mitglieder der (als „ziemlicher Schmarrn“ hinge­stellten – „Österreich“ vom 30. August 2009) Evaluierungskommission, von denen nach dem Eindruck des Parlamentariers nicht ein einziges „seriös gearbeitet hat“, hätten wiederholt an einer parteipolitisch motivierten „Vertuschung“ kriminalpolizeilicher Fehl­leistungen im Zusammenhang mit dem Mitte April 1998 (somit wenige Wochen nach der Entführung der Natascha Kampusch) eingegangenen Hinweis eines polizeilichen Hundeführers auf den Bewohner des Hauses Straßhof, Heinestraße 60 (Anwesen Wolfgang Priklopil), mitgewirkt. Mit der konsequenten Nichtbeachtung der Ausführun­gen der Evaluierungskommission im ersten Zwischenbericht vom 25. Februar 2008 (Seiten 5 und 10), im zweiten Zwischenbericht vom 9. Mai 2008 (Seiten 7 bis 10), im Abschlussbericht der ersten Wirkungsphase vom 9. Juni 2008 (Seiten 20, 39 bis 41, 47 und 48, 52) und im Abschlussbericht der zweiten Wirkungsphase vom 15. Jänner 2010 (Seiten 7 und 8) dürfte sich der in Rede stehende parlamentarische Kommissions­kritiker die oben dargelegten Modalitäten des staatsanwaltschaftlichen Umgangs mit den kriminalpolizeilichen Ermittlungsergebnissen zum Beispiel genommen haben. Mehr als eine detaillierte Dokumentation der kriminalpolizeilichen Behandlung des sog. „Hundeführerhinweises“ samt der Anführung sämtlicher dafür ausschlaggebender (insbesondere in der Ermittlungsanlaufphase extreme Ausnahmebelastungen, aber auch organisatorische Mängel einschließender) Rahmenbedingungen und Ursachen war der Evaluierungskommission weder möglich, noch abzufordern. Dass es aus der Sicht einer parteipolitischen Strategie nicht schlüssig wäre, eine Fehlleistung, die unter der Ressortverantwortung eines politischen Mitbewerbers unterlaufen ist, nachträglich zu „vertuschen“, ist allgemein einsichtig und musste nicht näher begründet werden. Richtig ist zwar, dass der sog. „Fall Kampusch“ den grundsätzlich dankenswerten Einsatz freier „Aufdecker-Kapazitäten“ vertragen hätte. Soweit sich solche jedoch darauf beschränken, die Seriosität der Evaluierungskommission ohne Detailbefassung mit ihrem Wirken zu problematisieren, setzen sie sich der Gefahr aus, die erhobenen Vorwürfe gegen sich selbst zu kehren.

Abschließend darf ich Sie, sehr geehrte Frau Dr. Glawischnig, und Sie, sehr geehrte Herren Klubobmänner, um Verständnis dafür ersuchen, dass ich dies alles nicht mit Stillschweigen übergehen konnte und mit diesem Schreiben Ihr Zeitmanagement zusätzlich belaste. Ich war in den in Rede stehenden Fall zwar nur am Rande als ad hoc ersuchtes, ehrenamtliches Mitglied der Evaluierungskommission des Innen­ministeriums eingebunden, aber nach (immerhin über zwei Jahre erstreckter) Kenntnis­nahme all der dargelegten Einzelheiten aus meinem ehemaligen beruflichen Aufgaben­gebiet, die dem repräsentativen Verantwortungs- und Funktionsverständnis krass zuwiderlaufen und leider auch tragische Folgen nach sich gezogen haben, war mir stillschweigende Untätigkeit nicht möglich. In 42 Justiz-Dienstjahren habe ich Ver­gleichbares nicht erlebt.

Mit respektvollen Grüßen

*****

Dr. Johann Rzeszut

Tel.Nr.: 06765081005

                                          Wien, am 24. Juli 2009

Frau

Bundesministerin für Justiz

Mag. Claudia Bandion-Ortner


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Bundesministerium für Justiz

Neustiftgasse 2

1070 Wien

Betrifft: „profil“ - Nr. 30/09 vom 20.07.2009

Fall Kampusch – Interview-Leitender Oberstaatsanwalt Dr. Werner Pleischl

Sehr geehrte Frau Bundesministerin!

Vorweg darf ich versichern, dass mir die neuerliche Kontaktaufnahme zum sog. „Fall Kampusch“ im Bewusstsein des belasteten Zeitmanagements der Ressortleitung nicht leicht fällt, aber der in der „profil“-Ausgabe Nr. 30/09 vom 20.07.2009 veröffentlichte Bericht über ein Interview mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt Dr. Werner Pleischl und mein Verständnis jener Verantwortung, die mit meiner ehrenamtlichen Berufung in die vom Bundesministerium für Inneres eingesetzten Evaluierungskommission verbunden ist, lassen mir keine andere Wahl.

In dem vorerwähnten Interview wird zunächst darauf Bezug genommen, dass „in den – vorgeblich längst geklärten – ,Kriminalfall Kampusch‘ wieder Bewegung“ komme, indem nunmehr zwei Ermittlungsbeamten des Bundeskriminalamtes unter bestimmten Auflagen (Zulässigkeit bloßer Notizen ohne Kopiererlaubnis) die Einsicht in die justiziell unter Verschluss gehaltenen Vernehmungsprotokolle eröffnet werde, wozu sich dann Dr. Pleischl – laut Interview „selbst mit der nun gestatteten Minimalvariante nicht ganz glücklich“ – geäußert haben soll (optische Hervorhebung durch kursive Schreibweise und Fettdruck in Abweichung von der Publikation nur hier gewählt): „Die Sache ist hochgespielt worden. Solche Diskussionen müsste man intern führen, nicht über die Öffentlichkeit.“ Dabei soll er zum Ausdruck gebracht haben, „er persönlich verstehe nicht, wieso um diese Einvernahmen so viel Wind gemacht werde. Im Wesent­lichen sei ja bekannt, was Kampusch erzählt habe“. Der in Rede stehende Abschnitt des Interviewberichtes schließt mit der als Wortzitat wiedergegebenen Passage: „,Als Nächstes kommt vielleicht auch noch jemand von der Sozialversicherung und will sich die Protokolle anschauen‘, ätzt Pleischl.“

Im Folgenden geht der Interviewbericht auf die fallbezogenen Kooperationsmodalitäten zwischen Staatsanwaltschaft und Exekutive ein. Dazu wird (ua) ausgeführt: „... Obwohl die Evaluierungskommission eine ganze Reihe von Seltsamkeiten und verdächtigen Details zusammentrug, hält der Staatsanwalt die Causa für im Prinzip geklärt. Natascha Kampusch selbst habe stets nur von einem Täter gesprochen. Auch in den Tagebuchaufzeichnungen (,die wir gelesen haben‘) sei nur von Wolfgang Priklopil die Rede. Weitere Recherchen in diese Richtung findet Pleischl offenkundig lächerlich: ,Man kann sich natürlich alles Mögliche zusammenreimen. In Österreich herrscht bekanntlich Meinungsfreiheit.‘“

Im Anschluss daran wird selbst im Interviewbericht bemerkt: „... Zu denken geben müsste Pleischl allerdings, dass ein renommierter Berufskollege die Causa deutlich weniger salopp beurteilt ...“, womit auf OStA Dr. Thomas Mühlbacher Bezug genom­men wird.

Sehr geehrte Frau Bundesministerin, insbesondere vor dem Hintergrund Ihrer bis­herigen fallbezogenen Gesprächskontakte mit Mitgliedern der Evaluierungs­kom­mission und der daraufhin vom Bundesministerium für Justiz ausgegangenen Veran­lassungen kann Ihr dankenswertes Bemühen und Engagement im Interesse einer sach­kom­petenten justiziellen Fallbearbeitung nicht verkannt und auch nicht übersehen werden, dass das Verhältnis zwischen Ressortleitung und den Verantwortungs­be­reichen der Oberstaatsanwaltschaften und Staatsanwaltschaften von dem grundlegen­den Erfordernis geprägt ist, auf der Basis wechselseitigen Respekts und verständnisvoller


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Begegnung möglichst sachdienlich für gemeinsame Aufgaben und Ziele zu koope­rieren.

Dies geschieht in der Praxis auch regelmäßig und findet darin entsprechenden Niederschlag, dass nur in seltenen Ausnahmefällen vom Weisungsrecht Gebrauch gemacht werden muss. Die mir seit nunmehr rund eineinhalb Jahren zum Fall Kampusch eröffneten Detailerfahrungen zu jenem Echo, das kriminalpolizeiliche Ermitt­lungsansätze, -anregungen und -ergebnisse selbst sinnfälligster Bedeutung bei der Staatsanwaltschaft Wien und der ihr übergeordneten Oberstaatsanwaltschaft fin­den beziehungsweise (in der Realität) hier regelmäßig vergebens suchen, fügen sich fugenlos in jene Sichtweise auf das in Rede stehende Schwerverbrechen, wie sie in den Intervieweinlassungen Dris. Pleischl unmissverständlich zum Ausdruck kommt und die es (nicht allein) meines Erachtens weitgehend ausschließt, den „Fall Kampusch“ weiterhin im Zuständigkeitsbereich der Oberstaatsanwaltschaft Wien zu belassen.

LOStA Dr. Pleischl wurde (wie auch neben einem seiner Stellvertreter der damalige Leiter der Staatsanwaltschaft Wien und deren zuständiger Sachbearbeiter) am 30.04.2008, sohin vor bereits mehr als einem Jahr anlässlich einer rund zweistündigen Besprechung im Bundesministerium für Inneres (im Beisein des Gefertigten) über schon damals weitreichende Ermittlungsdetails informiert. Unter dem Eindruck des damals ausführlich zur Sprache gebrachten Ermittlungsstandes (vor allem des Films über die kriminalpolizeiliche Tatrekonstruktion und der dabei dokumentierten Angaben der einzigen, mittlerweile rund zwanzigjährigen Tatzeugin, der Ergebnisse der kom­missionseigenen Befragungen von fallbefassten Sicherheitsorganen sowie der Ergeb­nisse von Handy-Rufdatenauswertungen) wurde unter sämtlichen Be­sprechungs­teilnehmern Einvernehmen in der Richtung erzielt, dass zur weiteren Fallermittlung ein Team aus Vertretern der Staatsanwaltschaft und aus kriminal­polizei­lichen Beamten, die wegen ihrer unterstützenden Mitarbeit für die Evaluierungs­kommission bereits detailliert fallkundig waren, zu bilden, zuvor jedoch von (ober-)staatsanwaltlicher Seite eine entsprechende Abstimmung mit der (damaligen) Bundesministerin für Justiz zu veranlassen wäre. Dies vor dem Hintergrund, dass

die Tatzeugin (von allem Anfang an und in der Folge gleichbleibend) unmiss­verständlich und in einer jedweden Wahrnehmungsirrtum ausschließenden Weise die Lenkung des Tatfahrzeuges durch einen weiteren männlichen Mittäter bekun­det(e);

die Angaben der (jedwedes denkbare Motiv für Falschangaben entbehrenden) Tatzeugin spätestens seit dem Ende der Abgängigkeit der Natascha Kampusch am 23.08.2006 hinsichtlich sowohl der zeitlichen, örtlichen und unmittelbar opfer­bezogenen Modalitäten der Entführung, als auch hinsichtlich des Tatfahrzeuges eine zweifelsfrei objektivierte Bestätigung erfahren haben;

die Angaben der Tatzeugin zum Tatfahrzeug ersichtlich von Anfang an von Ermittlungsseite für völlig unbedenklich beurteilt und zum Anlass genommen wurden, auf ihrer Basis umfangreiche, hochgradig personalintensive sicherheitsbehördliche Überprüfungen der insgesamt annähernd eintausend in Betracht kommenden Fahr­zeug­halter vorzunehmen;

die Angaben des Tatopfers, keinen Mittäter im Tatfahrzeug wahrgenommen zu haben, sowohl mit den Angaben der Tatzeugin als auch mit dem notorischen Umstand unvereinbar sind, dass ein nicht betäubter PKW-Insasse ohne verbundene Augen die Mitwirkung eines vom unmittelbar handanlegenden Entführer verschiedenen Wagen­len­kers nicht übersehen kann, ein entsprechender Irrtum demzufolge ausscheidet, weshalb auch auf Opferseite in die Prüfung der Frage einzutreten ist, ob dazu ein Motiv für bewusste partielle Falschangaben plausibel ist (im Gegensatz zur


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Aussagemotivation der Tatzeugin kommt in dieser Hinsicht eine Reihe nachvollzieh­barer Gründe für bewusste Falschangaben des Tatopfers in Betracht, von denen denkbarer aufrechter Druck seitens eines bisher nicht belangten Mittäters spezifische Opferschutzaspekte aktualisiert, die keiner näheren Erörterung bedürfen);

Natascha Kampusch zu einer Reihe von Einzelheiten erwiesenermaßen in sich widersprüchliche, teilweise gesichert wahrheitswidrige Angaben macht(e);

Natascha Kampusch nach den Angaben von einschlägig befasst gewesenen Polizeibeamten vor der Evaluierungskommission im Zuge einer ihrer mehrfachen polizeilichen Einvernahmen bekundet haben soll, Priklopil habe nach dem Verlassen des Tatortes Telefonkontakt zu weiteren Personen gesucht, die er damals vergeblich erwartet hätte (die Niederschriften zu den bezogenen Vernehmungen befin­den sich unter justiziellem Verschluss und werden laut Mitteilung der beim Bundes­kriminal­amt eingerichteten Sonderkommission unter bestimmten Auflagen erst nächste Woche von zwei Beamten dieser operativen Sonderkommission einzusehen sein);

die Auswertungsergebnisse der Rufdatenrückerfassung Kontakte zur Pornoszene ergaben, die nicht allein Wolfgang Priklopil betrafen und im Kontext das Erfordernis der Vernehmung konkreter, namentlich aktenkundiger Personen (darunter auch des aus mehrfacher Sicht der Mittäterschaft Mitverdächtigen) akzentuieren;

das persönliche Umfeld des Wolfgang Priklopil sich im Wesentlichen auf eine einzige männliche Person reduziert, die nach Lage des Falles aus mehreren Gründen den (durch eine wie erwähnt umfassend unbedenkliche Tatzeugin belegten) Verdacht einer Mittäterschaft rechtfertigt (diese bisher lediglich bruchstückhaft und bloß kursorisch befragte Person hat sich nach den vorhandenen Ermittlungsergebnissen in mehrfacher Hinsicht gravierend auffällig verhalten und zu wesentlichen Punkten zum Teil haarsträubend absurde Angaben gemacht; eine umfassende Vernehmung des nach Auffassung sämtlicher Mitglieder der Evaluierungskommission massiv Mitver­dächtigen setzt zwingend die Ausschöpfung sämtlicher Möglichkeiten zu detaillier­ten Vorhalten und damit insbesondere auch eine detaillierte Kenntnis sämtlicher bisherigen Angaben von Natascha Kampusch voraus).

Die Aufzählung der bereits am 30.04.2008 mit dem staatsanwaltschaftlichen Verant­wortungsbereich erörterten Grundlagen für weiteren Ermittlungsbedarf ließe sich zwanglos fortsetzen, würde jedoch den Rahmen dieses Anlassschreibens sprengen.

Die der erwähnten Besprechung im Bundesministerium für Inneres mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt (im Beisein eines seiner Vertreter), dem damaligen Leiter der Staatsanwaltschaft Wien und dem für den vorliegenden Fall zuständigen Sachbe­arbeiter dieser Behörde nachfolgende Fallbehandlung durch die Staatsanwaltschaft Wien und die Oberstaatsanwaltschaft Wien ist aus der Sicht gesetzeskonformer Pflichterfüllung absolut nicht nachvollziehbar.

Nach einigen Wochen, in denen die absprachegemäß für die in Aussicht genommene weitere operative Teamarbeit freigestellten kriminalpolizeilichen Beamten vergeblich auf das Ergebnis der staatsanwaltschaftlich angekündigten Abstimmung mit der justiziellen Ressortleitung gewartet hatten, kam letztlich hervor, dass das dem Bundesministerium für Justiz berichtete staatsanwaltschaftliche Vorhaben in diame­tralem Gegensatz zu dem vorausgegangenen einvernehmlichen Besprechungs­ergeb­nis darauf ausgerichtet war, von jedweden weiteren Veranlassungen Abstand zu nehmen. Für das Innenressort erhebt sich demnach die Frage nach den dafür maß­geblichen Gründen.

Dieser ein weiteres Ermittlungsvorhaben ablehnende staatsanwaltschaftliche Mei­nungs­umbruch geschah, obwohl mehrere zentral bedeutsame Personen bis dahin


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überhaupt noch nie oder nur partiell und nicht auf der Basis des zuletzt aktuellen Ermittlungsstandes vernommen worden waren. Es bedurfte in der Folge initiativer Bemühungen der (über ihren Abschlussbericht vom Juni 2008 hinaus fallbefassten) Evaluierungskommission und der sie unterstützenden kriminalpolizeilichen Beamten wie auch der dankenswerten Einflussnahme durch das Bundesministerium für Justiz, bis sich die Staatsanwaltschaft Wien mit einer Verzögerung von rund einem halben Jahr im November 2008 zu einem denkbar vage gehaltenen Ermittlungsauftrag an das Bundeskriminalamt verstand, zu dem die daraufhin dort eingerichtete operative Sonderkommission (mit begleitender Beratung durch die seitens der Bundesministerin für Inneres entsprechend neu beauftragte Evaluierungskommission) umfangreiche sachdienliche Ermittlungen durchführte.

Diese ergaben unter anderem die restlose Aufklärung zweier Kapitalverbrechen, die mangels Ausforschung der Täter beziehungsweise mangels staatsanwaltschaftlicher Beachtung der aus der seinerzeitigen sicherheitsbehördlichen Anzeige ersichtlichen, strafrechtlich relevanten Ermittlungsergebnisse bis zu diesem Zeitpunkt ungeahndet geblieben waren.

Im Jänner 2009 wurden entsprechende Vollanzeigen gegen die (geständigen) Täter erstattet, die in einem Fall mit der Anregung einer zur Geständnisobjektivierung erforderlichen Provisorialmaßnahme (gerichtliche Anordnung einer Kontoeröffnung) verbunden war. Das weitere Schicksal dieser Anzeigen deckt sich mit jenem beharrlichen staatsanwaltschaftlichen Autismus, den die weiteren Zwischenberichte und Anregungen der operativen Sonderkommission zum Fall Kampusch erfahren mussten. Im Klartext: Es gab und gibt diesbezüglich keine Reaktion der Staats­anwaltschaft. Für das Innenressort erhebt sich daher auch insoweit die Frage nach den hiefür maßgeblichen Gründen.

Zur Bedeutung und zum fallbezogenen Aussagewert der an die Staatsanwaltschaft Wien berichteten kriminalpolizeilichen Ermittlungsergebnisse sei lediglich beispiels­weise auf inzwischen niederschriftlich festgehaltene Angaben verschiedener Personen darüber verwiesen, dass der sinnfällig der Mittäterschaft Verdächtige während der Zeit der Abgängigkeit der Natascha Kampusch wiederholt an unterschiedlichen Orten gemeinsam mit Wolfgang Priklopil und dem Tatopfer angetroffen worden war. Weder dieser, noch andere vergleichbar wesentliche Aspekte waren bisher geeignet, die Staatsanwaltschaft Wien und die Oberstaatsanwaltschaft Wien von ihrer chroni­schen Resistenz gegen plausibel begründete kriminalpolizeiliche Ermittlungs­ergebnis­se und -anregungen abzubringen. Für das Innenressort erhebt sich abermals die Frage nach den dafür ausschlaggebenden Gründen.

Ein staatsanwaltschaftlicher Verantwortungsbereich, der sich trotz damals bereits achtjähriger Kenntnis der Angaben der einzigen Tatzeugin dazu versteht, allein auf der Basis sinnfällig überprüfungsbedürftiger Opferangaben über die angebliche Alleinver­antwortung eines aus dem Leben geschiedenen Täters sämtliches Beweismaterial aus dem Täterhaus freizugeben, und in der Folge jedwedes Interesse an von stetem Erfolgsfortschritt gekennzeichneten kriminalpolizeilichen Ermittlungen vermissen lässt, diese Ermittlungen zudem durch den beharrlichen Verschluss der Niederschriften mit den Primärangaben des Tatopfers partiell erheblich behindert und schließlich im Zusammenhang mit dem bisher einzigen Kommissionskontakt die oben ange­sproche­ne Doppelbödigkeit der Meinungsbildung erkennen lässt, gibt schon isoliert betrachtet Anlass zu massiven Bedenken gegen seine fallbezogene Ermittlungsbereitschaft und Sachkompetenz. Diese finden nunmehr durch die eingangs erwähnte Interviewein­lassung seines führenden Leiters eine negative Krönung. Es versteht sich von selbst, dass im Arbeitsdruck mitunter unterlaufene, in langfristigen Abläufen unvermeidbare Fehler nicht geeignet sein müssen, das Verantwortungsbewusstsein und die Sachkom­


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petenz entsprechend ingerierter Organwalter grundsätzlich zu problematisieren. Ein Leitender Oberstaatsanwalt jedoch, der sich bei der hier inhaltlich nur angerissenen Sachlage über verantwortungsbewusste Ermittlungs- und Evaluierungsinitiativen des Innenressorts – für eine breite Öffentlichkeit zugänglich – in gezielt desavouier­ender Art und Weise lustig macht, statt sich pflichtgemäß mit den erarbeiteten Ermittlungsergebnissen auseinanderzusetzen, der überdies – wie anderen Medien­be­rich­ten zu entnehmen ist – den vorliegenden Fall als „bis zum ,Geht nicht mehr‘ ermittelt“ darstellt, obwohl die grundlegend wichtigsten Vernehmungen wegen der unabdingbaren Voraussammlung sämtlicher Möglichkeiten zu zielführenden Vorhalten noch nicht einmal begonnen wurden, der mit den ihm unterstellten Organwaltern bisher nicht den geringsten substanziellen Beitrag zur anhängigen Wahrheitsfindung geleistet hat, bietet ein insgesamt skandalöses Beispiel negativer Vorbildwirkung, das infolge der fortgesetzt einäugigen Problemsicht und der beharrlichen Nichtberück­sich­tigung kriminalpolizeilichen Ermittlungsfortschritts auf eine willküraffine Behandlung des in Rede stehenden Kriminalfalls hinausläuft, dessen clamorose Bedeutung (zwangs­läufig auch Dr. Pleischl bewusst) längst nicht mehr auf das Inland beschränkt ist. Mit der von ihm ersichtlich führend mitbestimmten und mit zu verantwortenden staatsanwaltschaftlichen Fallbehandlung und seiner breit publizierten Beurteilung der (auch) ihm zur Kenntnis gebrachten kriminalpolizeilichen Ermittlungsergebnisse und -anregungen disqualifiziert er sich selbst.

Sehr geehrte Frau Bundesministerin, ich bin mir bewusst, dass sie keine Ratschläge Außenstehender benötigen. Mein praxisgeprägtes Verständnis traditioneller staats­anwalt­schaftlicher Pflichtauffassung zwingt mich jedoch zu der (von sämtlichen Mitgliedern der Evaluierungskommission und weiteren Funktionsträgern des Innen­ressorts geteilten) Sorge, dass eine Fortführung der Fallbearbeitung im Bereich der Oberstaatsanwaltschaft Wien nicht sachdienlich sein kann, daher nicht fortgesetzt zu vertreten und vor der Öffentlichkeit mit entsprechendem Informationsinteresse kaum länger zu verantworten ist.

Abschließend darf ich vollständigkeitshalber hinzufügen, dass es (nicht allein) meiner Auffassung nach keine rechtliche Grundlage dafür gibt, der leitenden Verantwortung des Innenressorts die ressortinterne Fachaufsicht dadurch unmöglich zu machen, dass lediglich in Originalen vorliegende (wohlgemerkt) sicherheitsbehördliche Nie­der­schriften ohne Einvernehmen mit der Leitung des Innenressorts unter Ver­schluss gehalten und dieser nicht auch in Form von Kopien zur Verfügung gestellt werden. Die damit angesprochene Problematik hat nichts mit den Kriterien strafpro­zessualer Akteneinsicht, vielmehr dominierend mit Belangen ressortinterner Fach­aufsicht zu tun. Die mit der nunmehr anstehenden Einsichtnahme durch Vertreter des Innenressorts verbundenen Auflagen laufen auf ein rechtlich nicht gedecktes Misstrauen gegenüber einer Sachverantwortung hinaus, mit der die Staatsanwaltschaft gesetzesgewollt zu umfassender Kooperation verpflichtet ist und daher auch im konkreten Fall verpflichtet wäre. Davon abgesehen: Kann es ernsthaft gesetzlichen Kooperationsanforderungen entsprechen, vernehmungsbeauftragten Polizeibeamten zum Zweck entsprechender Vorhalte aus polizeilichen Niederschriften, wie sie sich im Zuge der anstehenden Vernehmungen vorweg absehbar als sachdienlich ergeben können, die ausschließlich handschriftliche Abschrift von (zumindest) Protokollaus­zügen zuzumuten? Kann sachkompetentem Ermittlungsverständnis tatsächlich die Sicht darauf verstellt sein, dass eine vernehmungstechnische Bezugnahme auf hand­schriftliche Notizen von Vernehmungsbeamten keinen tauglichen Ersatz für die absehbar notwendige Konfrontation zu vernehmender Personen mit wesentlichen Niederschriftspassagen bedeuten kann, weil – für jeden mit Vernehmungspraxis Vertrauten einsichtig – eben nur Originale oder wenigstens originalgleiche vollständige Kopien hinreichend einwandsresistent präsentierbar sind. Der von staatsanwalt­schaft­


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licher Seite dazu bisher beharrlich praktizierte Rechtsstandpunkt ist mit dem (noch dazu wie bereits dargelegt lediglich einäugigen, weil nicht sämtliche denkbaren Opfer­ris­ken mitberücksichtigenden) Hinweis auf den Schutz individueller Opferinteressen nicht hinreichend zu rechtfertigen. Speziell bei Kapitalverbrechen fällt das öffentliche Interesse an umfassender Wahrheitsfindung massiv ins Gewicht. Dass die staats­anwaltschaftliche Problemsicht von einem Leitenden Oberstaatsanwalt führend mitbestimmt wird, der sich als damaliger Legist des Bundesministeriums für Justiz jahrelang als zutiefst überzeugter Bannerträger des seit Jahresanfang 2008 für das strafprozessuale Vorverfahren in Geltung stehenden kriminalpolizeilichen-staats­an­walt­schaftlichen Kooperationsmodells präsentiert hat, ist nicht geeignet, die in Rede stehende Rechtsauffassung der Anklagebehörden schlüssiger, geschweige denn sachdienlicher erscheinen zu lassen.

In sachbezogener Sorge verbunden respektvoll grüßend

(Dr. Johann Rzeszut)

*****

„Fall Kampusch“

Betreff: Fall Kampusch“

Von: Johann Rzeszut <johann.rz@aon.at>  

Datum: Sat, 25 Jul 2009 20:20:21 +0200

An: georg.krakow@bmj.gv.at

Sehr geehrter Herr Kabinettsleiter, lieber Georg,

kollegial und freundschaftlich verbunden darf ich Dir als Inhalt eines persönlichen Schreibens an die Frau Bundesministerin für Justiz übermitteln, das ich gestern (nach unserer Sitzung) im Einvernehmen mit allen Mitgliedern der Evaluierungskommission zur Post gegeben habe. Dazu darf ich privat und ergänzend bemerken, dass alle Mitglieder der Evaluierungskommission (Univ. Prof. Dr. Adamovich, Univ.Prof. Reindl-Krauskopf, SC Dr. Mathias Vogl, Dr. Thomas Müller, der Leiter des Landes­kriminalamtes für Oberösterreich Dr. Keplinger, ich selbst sowie assistierend der Leiter des Landeskriminalamtes für Steiermark Oberst Kröll und Mag. Semler von der Sicherheitsakademie) die wir – teils in Erfüllung einer beruflichen Zusatzverpflichtung, teils rein ehrenamtlich – seit rund eineinhalb Jahren im öffentlichen Interesse nach bestem Wissen und Gewissen, mit ausschließlich sachorientiertem Engagement und mit vollem Einsatz um die Erfüllung unseres Auftrages bemüht sind, (gelinde aus­gedrückt) erschüttert sind, wie seitens der Justiz mit dem in Rede stehenden Kriminalfall umgegangen wird. Wir sehen bei unveränderten Rahmenbedingungen (Staatsanwaltschaft Wien und insbesondere der fortgesetzte Kniefall vor der im angesprochenen Zusammenhang völlig indiskutablen Oberstaatsanwaltschaft Wien) für unseren Einsatz und unsere Bemühungen keinen Sinn mehr und haben (nach den noch ausständigen Finalvernehmungen durch die operative Sonderkommission des BKA) einen detaillierten Endbericht im Auge, der aller Voraussicht nach auf einen handfesten Justizskandal hinauslaufen wird. Ich muss nicht betonen, dass ich mich selbstverständlich nach wie vor dem Justizbereich aufs Engste verbunden fühle und diese Entwicklung daher besonders bedauere, aber gerade bei Wertschätzung fundamentaler Interessen der österreichischen Strafrechtspflege und der inländischen Rechtsstaatlichkeit im Allgemeinen kann man derartige Zustände nicht reaktionslos hinnehmen. Ein fallbezogen an ernstzunehmender Dienstaufsicht ersichtlich nicht interessierter Oberstaatsanwalt, der in einem selbst international beachteten Kriminal­


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fall über ein mühsam erarbeitetes, ebenso facettenreiches wie aussagekräftiges Indizien- und Beweisspektrum hinwegblödelt und sich über qualifizierte Ermittlungsbemühungen lustig macht, die in Wahrheit die führend ihm und seinem Verantwortungsbereich obliegende Arbeit ersetzen, ist indiskutabel.

Freundschaftlich verbunden

Hans Rzeszut

*****

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Bundesministerium für Inneres

Bundeskriminalamt

GZ: 2.225.901/1-ll/BK/3/zw

Betreff: Artikel in der Zeitschrift Heute, Ausgabe vom 03.08.2009,

Seite 9 mit der Überschrift

Kampusch: Justiz kritisiert SOKO-Ermittler

Bezug: 1. Auftrag der Staatsanwaltschaft Wien, Zl.: 502 St 64/08f

                                        07.11.2008;

Amtsvermerk (§ 95)

Zu obigem „Betreff“ und „Bezug“ wird berichtet und klargestellt:

Über ho. Auftrag wurde vom Gefertigten eine mit 22.10.2008 datierte Sach­verhaltsdarstellung mit dem Betreff: Hinreichende Verdachtsgründe – „Anfangs­verdacht zumindest gegen

Verdachtsgründe hinsichtlich Tathandlungen nach §§ 206, 207 und 207a StGB, aufgrund bisher gewonnener Erkenntnisse im Zusammenhang mit der Evaluierung des bestehenden Aktes im Fall Natascha Kampusch unter Bezugnahme auf die am 08.10.2008 unter Teilnahme von Vertretern der Justiz im Innenministerium stattgefun­denen Besprechung“, adressiert an die Staatsanwaltschaft Wien, verfasst.

Gegenständliche Sachverhaltsdarstellung mit den angeschlossenen Beilagen wurde vom Gefertigten dem damaligen Kabinettchef Herrn Franz Lang persönlich überbracht und übergeben.

Mit einem am 24.10.2008 unter der GZ: 100954/13-KBM/08 datierten und vom Kabinettchef Franz Lang unterzeichneten Anschreiben an das Bundesministerium für Justiz zu Handen des Herrn KC Dr. Albert Dearing wurde der Antrag des Bundeskriminalamtes unter Bezugnahme auf die Vereinbarungen bei der Besprechung am 08.10.2008 mit dem Ersuchen um Auftragserteilung an diese Behörde übermittelt.

Am 21.11.2008 langte von der Staatsanwaltschaft Wien unter dem Aktenzeichen: 502 St 64/08f ein mit 07.11.2008 datierter Auftrag beim ho. Bundeskriminalamt mit dem Ersuchen ein, im Rahmen von zweckdienlichen Erkundigungen bei den dort genannten Personen abzuklären, ob Verdachtsmomente in Richtung 207a StGB konkretisiert werden können. Gleichzeitig wurde das seinerzeitige Aktenkonvolut vom 22.10.2008 dem Bundeskriminalamt rückübermittelt.

Im unter „Bezug“ angeführten Artikel wurde die Kritik des Sprechers der Staats­anwaltschaft Wien, Dr. Gerhard Jarosch, gegenüber dem „Kurier“, „dass die Kriminalisten in acht Monaten nur eine einzige Einvernahme durchgeführt haben, das sei nicht eben viel“, zitiert und setzte der Staatsanwalt im „Heute“ Gespräch nach: „Wir


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hatten der SOKO schon im November 2008 den Auftrag gegeben, vier Personen einzuvernehmen – eine wurde dann tatsächlich befragt.

Diese Aussage des Sprechers der Staatsanwaltschaft ist unrichtig und widerspricht dem an das Bundeskriminalamt ergangenen Auftrag, nämlich im Rahmen von zweckdienlichen Erkundigungen im Sinne des § 152 Strafprozessreformgesetz gegen die in Rede stehenden Personen abzuklären, ob Verdachtsmomente in Richtung 207a StGB konkretisiert werden können.

Anmerkung: Der Zwecke einer „Erkundigung“ § 151 (Z 1) besteht in einer voraus­gehenden Klärung, wer in welcher Eigenschaft prozessdienliche Angaben machen kann. § 152 Abs 1 weist den Erkundigungen im Wesentlichen eine die Beweis­aufnahme vorbereitende Funktion zu.

Richtig ist, dass sich der gegen Anica Andric bestandene Anfangsverdacht am 20.03.2009 im Rahmen ihrer Befragung im Sinne des § 152 Strafprozess­reformgesetz (setzte die freiwillige Mitwirkung an der Befragung voraus) als haltlos herausstellte. Darüber wurde der Staatsanwaltschaft Wien ausführlich im 2. Zwischen­bericht, datiert mit 17.04.2009, Pkt. 2.4. berichtet.

Mit Ermittlungsstand vom 03.08.2009 wurden der Staatsanwaltschaft Wien folgende Berichte übermittelt:

1. 1. Zwischenbericht vom 04.02.2009

2. 1. Anlassbericht vom 09.02.2009

3. 2. Zwischenbericht vom 17.04.2009

4. 2. Anlassbericht vom 13.05.2009

5. 3. Anlassbericht vom 19.05.2009

6. 3. Zwischenbericht vom 14.07.2009

In jedem der angeführten Zwischenberichte ist das weitere geplante Vorgehen der Kriminalpolizei nachvollziehbar dokumentiert

Im Anlassbericht vom 19.05.2009 wurde unter Pkt.2. an die Staatsanwaltschaft Wien konkret das Ersuchen gestellt, in die unter „Verschluss“ gehaltenen Protokolle und Beweisgegenstände durch zwei Ermittler der eingerichteten SOKO Einsicht zu nehmen, und darauf hingewiesen, dass die bisher umfangreich geführten Ermittlungen nunmehr in eine entscheidende Endphase treten und eine erfolgversprechende Ermitt­lungsstrategie regelmäßig darauf angewiesen ist, zunächst ein möglichst umfassendes Spektrum an Details und Rahmenfakten zu fallrelevanten Abläufen sowie Personen­kreisen und -kontakten zu erarbeiten, deren kontextabhängiger Aussagewert dann wesentliche Widersprüche aufdecken und so die Möglichkeit eröffnen kann, mit zielführenden Vorhalten die Wahrheitsfindung entscheidend zu fördern.

In diesem Anlassbericht wurde vom ho. Bundeskriminalamt der Staats­anwaltschaft Wien die 22. Kalenderwoche für eine Einsichtnahme höflich in Vorschlag gebracht

Am 21.07.2009  30. Kalenderwoche wurde Herr AL MR Mag. Zwettler vom Staatsanwalt Mag. Kronawetter in Kenntnis gesetzt, dass zwei Ermittlungsbeamte am 28.07.2009, mit Beginn um 10:00 Uhr, im Landesgericht für Strafsachen Wien, eine Einsichtnahme in die unter Verschluss gehaltenen Vernehmungsprotokolle von Natascha Kampusch unter den Voraussetzungen der von der Oberstaatsanwaltschaft Wien festgesetzten Bedingungen (keine Kopien, sondern lediglich Notizen) vornehmen können.

Angemerkt und festgehalten wird, dass durch den fallbefassten Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Wien, Herrn Mag. Kronawetter, zu sämtlichen Anlass- und Zwi­


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schen­berichten überhaupt keine Rückäußerung im Rahmen seiner Leitungs­befugnis im Ermittlungsverfahren an die SOKO Kampusch kam. Vielmehr wurde er bei der persönlichen Überbringung des Anlassberichtes vom 19.05.2009 in dessen Büro von Oberst Kröll im Beisein von Cl Linzer konkret befragt, ob er von seiner Seite zu den bisherigen Berichten Aufträge an die mit der Erledigung des Auftrages der Staatsanwaltschaft Wien, datiert mit 07.11.2009, Aktenzeichen: 502 St64/08f, befass­ten Ermittler habe. Seine Antwort darauf war sinngemäß, dass er diese „Berichte“ durchgeackert habe, darüber einen Vorhabensbericht erstatten und darin seine „Meinung“ äußern werde. Seine im Vorhabensbericht dargestellte „Meinung“ könne er den Ermittlern jedoch nicht sagen.

Im 3. Zwischenbericht, datiert mit 14.07.2009, wurde der fallbefasste Staatsanwalt, Herr Mag. Kronawetter, nunmehr schriftlich unter Hinweise auf die mündliche Anfrage vom 19.05.2009 um eine konkrete Rückäußerung zu dem in den Berichten dokumentierten geplanten weiteren Vorgehen ersucht.

Während der Einsichtnahme in die Vernehmungsprotokolle von Natascha Kampusch beim Landesgericht für Strafsachen Wien, im Leseraum des do. Präsidiums, übergab der Staatsanwalt Mag. Kronawetter dem Oberst Kröll ein von der Staatsanwaltschaft Wien an das Bundeskriminalamt gerichtetes Ersuchen, datiert mit 28.07.2009. Darin ersucht die Staatsanwaltschaft Wien – unter Hinweise auf das Ersuchen vom 07.11.2008 – die durch zweckdienliche Erkundigungen bei den Personen gewon­nenen Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft Wien bekannt zu geben.

Dazu wird konkret angeführt, dass der Staatsanwaltschaft Wien bereits im Anlass­bericht, datiert mit 13.05.2009, ausführlich berichtet wurde, dass es im Zuge der umfangreich geführten „Erkundigungen“ gelang, einen Verdacht gegen Ernst Holzapfel dahingehend zu erbringen, dass er Natascha Kampusch zumindest seit Mai 2004 nicht nur kannte, sondern durch verschiedene bereits bekannte Umstände auch davon Kenntnis hatte, dass diese durch Wolfgang Priklopil am 02.03.1998 entführt wurde, und es unterließ, davon die Strafverfolgungsbehörde (§ 151 Abs. 3) im Sinne des § 286 StGB davon in Kenntnis zu setzen.

In diesem Zusammenhang wird auf die Angaben des Andreas Schodl und des Dragomir Djordjevic, der über seine Wahrnehmungen als Zeuge einvernommen und dessen Vernehmungsprotokoll der Staatsanwaltschaft Wien bereits mit dem 2. Zwischenbericht, datiert mit 17.04.2009, unter Pkt.2.5., e), übermittelt worden war, verwiesen.

Mit Ermittlungsstand vom 03.08.2009 wurden bei den bisher zielgerichtet geführten „Erkundigungen“ insgesamt 102 Personen befragt und zwei Personen, nämlich Dragomir Djordjevic und Hans Huslisti (Chefreporter der Zeitschrift „die aktuelle“), hinsichtlich ihrer Wahrnehmungen zeugenschaftlich einvernommen. Auch davon wurde der Staatsanwaltschaft Wien nachvollziehbar berichtet.

Es versteht sich aus kriminalistischer Hinsicht von selbst, dass erst das Ergebnis zielgerichteter Umfelderhebungen zu einem Auftrag dazu führen kann, entlastende oder belastende Umstände zu einem bestehenden Anfangsverdacht gegen eine Per­son zu erbringen. Ohne das Ergebnis von Umfelderhebungen an eine unter Anfangs­verdacht stehende Person heranzutreten, würde jeder Ermittlungsstrategie wider­sprechen.

Weiters wird berichtet, dass es den Ermittlern der eingerichteten SOKO im Zuge der umfangreich geführten Umfelderhebungen gelang, zwei ungeklärte Verbrechen aufzuklären und die daran beteiligten Beschuldigten zu einem Geständnis, das gegen Widerruf abgesichert ist, zu bewegen. Diese Straftaten wurden der Staatsanwaltschaft Wien unter der ho. Zl.: 2.239.519/1-ll/BK3-zw. am 30.01.2009 angezeigt und unter


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anderem eine Kontenöffnung angeregt. Zu dieser Strafanzeige erfolgte bis zum heutigen Tage (03.08.2009) keine Rückmeldung.

Mit Schreiben der Frau Ministerin Mag. Dr. Fekter an die Mitglieder der Evaluie­rungskommission, datiert mit 12.12.2008, wurde von ihr der Auftrag für eine Weiter­führung der „Evaluierungskommssion“ erteilt. Diesem Auftrag ist zu entnehmen, dass im Hinblick auf die jüngsten Entwicklungen die besondere Bedeutung der in Rede stehenden Fallproblematik und das damit verbundene nachhaltige öffentliche Inter­esse, insbesondere auch an einer möglichst umfassenden Objektivitäts- und Effizienz­garantie, die Evaluierungskommission mit den vorangeführten Mitgliedern unter dem Vorsitz von Univ.-Prof. Dr. Dr.h.c. mult. Ludwig Adamovich mit dem Ziel einer interdisziplinären begleitenden strukturellen Unterstützung der Kriminalpolizei, im Besonderen auch der Evaluierung allfälliger weiterer Vorwürfe im Zusammenhang mit der bisherigen Bearbeitung des Falles „Kampusch“ wie auch weiterführender Ermittlungen jedweder Art, erneut eingesetzt wird.

Aufgrund des vorstehenden Auftrages nahm Oberst Kröll an allen von der Kommission anberaumten Besprechungen nicht nur teil, sondern informierte dabei auch über den jeweiligen Ermittlungsstand und berichtete darüber dem ho. AL MR. Mag. Zwettler.

Aufgrund der nachvollziehbar geleisteten umfangreich geführten Ermittlungen der mit der Fallbearbeitung befassten Ermittler der eingerichteten SOKO werden die Aussagen des Sprechers der Staatsanwaltschaft Wien, Herrn Dr. Jarosch, zumindest als befrem­dend bezeichnet und scheint es so zu sein, dass er über die Ergebnisse der Ermittlungsarbeit und das Verhalten des fallbefassten Staatsanwaltes Mag. Krona­wetter zu diesen Ermittlungsergebnissen nicht ausreichend informiert ist.

Ergeht an:

1. Herrn Leiter des Bundeskriminalamtes, General Franz Lang

2. Herrn AL MR Mag. Zwettler

3. an die Mitglieder der Evaluierungskommission

4. aa. Ordner Staatsanwaltschaft Wien

Kröll Franz

Oberst

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Bundeskriminalamt

GZ:2.225.901/1-II/BK/3/zw                                                                                Wien, am 04.12.2009

Betreff: Durchführung einer Gegenüberstellung – § 163 Strafprozessreformgesetz

Bezug: 1. Auftrag der Oberstaatsanwaltschaft Wien vom 10.09.2009, Zl:

2 OStA 911/08m

2. Bisherige niederschriftliche festgehaltene Angaben von Natascha Kampusch und Akcan Ischtar über ihre Wahrnehmungen zum Tathergang am 02.03.1998, gegen 07:10 Uhr, am Rennbahnweg in 1220 Wien.

Amtsvermerk (§95)

Nachdem es CI Kurt Linzer gelang, zu Natascha Kampusch ab ihr zeugenschaftlichen Einvernahme am 15.10.2009 durch den EOSt Oberstaatsanwaltschaft Graz, bei der er


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sowie die Staatsanwältin waren, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, erklärte sich Natascha von sich aus bereit, die beauftragten Ermittler bei der Fallbearbeitung aktiv zu unterstützen.

Kampusch Natascha übergab dem Cl Linzer unter anderem auch verschiedene sich im Haus Strasshof, Heinestraße 60 verwahrt gewesene Unterlagen, welche ihr in der Folge ausgefolgt wurden und die sie nunmehr in ihrer Wohnung verwahrte, zur Einsichtnahme beziehungsweise Auswertung. Dabei handelt es sich vorwiegend um Disketten für den im Eigentum des Wolfgang Priklopil gestandenen Commodore 64. Zu diesen Disketten wurde festgestellt, dass die darauf befindlichen Imgage-Dateien von den damals fallbefassten Beamten zwar aufgelistet, der Inhalt der jeweiligen Datei, jedoch scheinbar nicht gesichtet worden waren. Eine Auswertung von relevanten Dateien wurde daher eingeleitet.

Kampusch Natascha erklärte sich gegenüber Cl Linzer in der Folge auch bereit, mit der damaligen Tatzeugin Ischtar Akcan ein Gespräch mit dem Ziel zu führen, dieser Zeugin einerseits die nach wie vor bestehende Angst zu nehmen, dass der aus ihrer Sicht an der Tat beteiligte zweite Mann gegen sie vorgehen könnte, und andererseits durch dieses Gespräch die bestehenden Widersprüche zwischen ihren Angaben und den Angaben der Tatzeugin Ischtar Akcan abgeklärt werden können.

Aufgrund dieser Bereitschaft von Natascha Kampusch wurde durch Oberst Kröll sowohl mit Ischtar Akcan als auch mit deren Mutter Rosa Akcan ein ausführliches Gespräch geführt und dabei von beiden Personen ebenfalls die Bereitschaft zu einem Gespräch mit Natascha Kampusch mit den angestrebten Zielen erreicht.

Nachdem sowohl von Natascha Kampusch als auch von der Tatzeugin Ischtar Akcan die Bereitschaft zu einem Gespräch mit den angestrebten Zielen erreicht werden konnte, ist eine Gegenüberstellung nach § 163 Strafprozessordnung insbesondere im Fall voneinander abweichender Aussagen zulässig, wenn anzunehmen ist, dass dadurch Widersprüche abgeklärt werden können.

Zwischen Natascha Kampusch und Ischtar Akcan wurde einvernehmlich der 03.12.2009, mit Beginn um 18:30 Uhr, im ho. Bundeskriminalamt, als Termin des Gespräches für das geplante Vorhaben vereinbart, wobei beiden Personen eröffnet wurde, jeweils eine Vertrauensperson beiziehen zu können.

Ablauf dieser Amtshandlung:

Beginn:                             03.12.2009, 18:45 Uhr.

Örtlichkeit:                      Bundeskriminalamt, Dienstraum 4336

Beamte:                           Oberst Kröll und Cl Linzer

Teilnehmer:                    Kampusch Natascha,

Dr. Ganzger,

Silveri Johannes (Betreuer)

Akcan Ischtar,

Akcan Rosa (Mutter)

Oberst Kröll begrüßte die Teilnehmer, bedankte sich für die Bereitschaft zur Mitwirkung und brachte nochmals die Ziele vor, wobei er unmissverständlich zum Ausdruck brachte, dass die voneinander abweichenden Aussagen zwischen Natascha Kampusch und Ischtar Akcan bezüglich der Anzahl der an der Tatausführung beteiligten Personen keinesfalls auf eine bewusst vorgebrachte Unwahrheit zurück­zuführen sind, sondern vielmehr aufgrund des „Erlebten“ zu einer Irritation bei der Wahrnehmung des Tatherganges geführt haben dürfte.


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Kampusch Natascha erzählte danach ausführlich den von ihr erlebten Tathergang, erklärte dabei, dass sie Wolfgang Priklopil erstmals wahrnahm, als er bereits außerhalb des Fahrzeuges stand, sie erfasste, sie in das Fahrzeug und dabei auf die völlig leere Ladefläche verbrachte. Unmittelbar danach wäre Wolfgang Priklopil eingestiegen, habe die Schiebetüre geschlossen und wäre über die leere Ladefläche zum Fahrersitz gelangt und eigentlich sogleich losgefahren. Sie habe auch wahrgenommen, dass Wolfgang Priklopil mit dem Fahrzeug schnell losfuhr. In der Folge habe sie den Eindruck gehabt, dass Wolfgang Priklopil vorerst, ihrer Einschätzung nach stunden­lang, mit dem Fahrzeug im Bereich der Lieblgasse-Maculangasse im Kreis gefahren und erst dann in Richtung Strasshof gefahren wäre. Während der gesamten Fahrt vom Entführungsort weg bis zum Zwischenstopp in einem Waldstück und der Weiterfahrt bis zum Haus in Strasshof habe sie mit Sicherheit keine zweite Person im Fahrzeug wahrgenommen beziehungsweise wäre keine Person während dieser Zeit in das Fahrzeug ein- oder ausgestiegen. Wenn tatsächlich eine zweite Person im Fahrzeug gewesen wäre, hätte sie diese mit Sicherheit wahrgenommen und davon auch der Polizei erzählt.

Anmerkung zu den Schilderungen von Natascha Kampusch:

Ihre Schilderungen waren flüssig und standen dabei auch mit ihrer gezeigten Körper­sprache im Einklang. Es bestand aus der Sicht der anwesenden Beamten kein Verdacht, dass sie für diese Schilderungen vorbereitet wurde. Sie redete frei, wich auch einem Blickkontakt mit den Beamten nicht aus, wirkte sicher und beantwortete auch die ihr durch die Beamten gestellten Zwischenfragen spontan.

Akcan Ischtar, aber auch deren Mutter Rosa Akcan, wirkten zu Beginn der Schilde­rungen von Natascha Kampusch merklich angespannt und brachten das auch durch die Körpersprache zum Ausdruck. In der Folge löste sich diese Anspannung und ging merklich in eine Gelöstheit und Erleichterung über.

Nach den Schilderungen von Natascha Kampusch erzählte Ischtar Akcan ihre Wahrnehmungen über den Tathergang.

Als sie damals auf dem Schulweg war und dabei auf dem Gehsteig des Renn­bahnweges ging, habe sie aus einer Entfernung von ca. 20 Meter auf der gegen­überliegenden Straßenseite einen weißen Kastenwagen und im Fahrzeug auf dem Fahrersitz einen Mann wahrgenommen. Auf dem Beifahrersitz wäre damals niemand gesessen. Diese Wahrnehmung wäre vollkommen zufällig gewesen und habe sie sich dabei überhaupt nichts gedacht beziehungsweise diese Wahrnehmung bei ihr etwas ausgelöst oder bewirkt. Erst als sie beim normalen Weitergehen in Höhe des Heck­bereiches des Fahrzeuges war, habe sie einen Mann gesehen, den sie später zweifelsfrei als Wolfgang Priklopil erkannte, der ein Mädchen, das sie ebenfalls dann auf den Fahndungsplakaten zweifelsfrei als Natascha Kampusch wiedererkannte, packte, wobei sie einen Schrei des Mädchen hören habe können. Dann habe sie das Zuschlagen einer Türe gehört und noch gesehen, dass das Fahrzeug wackelte. Aus Angst habe sie sich dann bei einem Gebüsch bei der do. Hundewiese versteckt. Das Fahrzeug wäre ein paar Minuten gestanden und dann losgefahren.

Anmerkung:

Kampusch Natascha meinte dazu an, dass der Ablauf ganz schnell vor sich ging und sie nicht den Eindruck hatte, dass das Fahrzeug nachdem sie sich bereits im Fahrzeug befand, noch ein paar Minuten stand, sondern sogleich und zwar ziemlich rasch losfuhr.

Über Befragen brachte Ischtar Akcan vor, dass sie von ihrem Versteck bei einem Gebüsch der Hundewiese aus keinen Sichtkontakt zur Fahrerkabine hatte und


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demnach auch nicht sehen konnte, ob sich dort zwei Personen beim Losfahren befanden.

Jedenfalls habe Ischtar Akcan im Gebüsch das Losfahren des Fahrzeuges abgewartet und ist erst danach aus dem Gebüsch hervorgekommen. Zum Zeitpunkt des Hervor­kommens und der Fortsetzung ihres Schulweges habe sie das Fahrzeug am Renn­bahnweg nicht mehr gesehen und daher auch nicht angeben können, in welche Richtung das Fahrzeug beim Kreisverkehr dann tatsächlich weiterfuhr.

Anmerkung:

Das Einfahren des Fahrzeuges vom Rennbahnweg in den Kreisverkehr und dann die Weiterfahrt hat die Zeugin Mathilde Heisinger vom Balkon ihrer Wohnung in der Melangasse 3 aus beobachtet, wobei sie wahrnahm, dass das Fahrzeug sich mit hoher Geschwindigkeit dem Kreisverkehr näherte, in diesen einfuhr und die Fahrt auf der Melangasse fortsetzte.

Akcan Ischtar wäre nach dem Herauskommen aus dem Gebüsch bei der Hundewiese weiter auf dem Rennbahnweg in Richtung Wagramerstraße gegangen. Bei der Kreu­zung Rennbahnweg-Panethgasse wäre gerade zu der Zeit, als sie diese Kreuzung überqueren habe wollen, das von ihr am Tatort wahrgenommene Fahrzeug auf der Panethgasse von links (von ihrem Standort aus gesehen) daher gekommen, habe angehalten und wäre sie daraufhin vor dem angehaltenen Fahrzeug über die Fahrbahn gelaufen. Als sie das Fahrzeug dort wahrnahm, habe sie wieder Angst bekommen und gedacht, dass nun auch sie entführt wird. Deshalb wäre sie so schnell vor dem angehaltenen Fahrzeug über die Panethgasse gelaufen. Während ihrer Wahrnehmung habe sie auch gesehen, dass im Fahrzeug zwei Männer waren, wobei sie vom Lenker in Erinnerung hatte, dass dieser hellhäutig war und eine sogenannte Stoppelglatze gehabt habe.

Über Befragen des Oberst Kröll, ob sie an diesem Standort erstmals zwei Männer im Fahrzeug sitzen sah, brachte Ischtar Akcan vor, dass das richtig ist.

Anmerkung:

Die Entfernung zwischen dem Tatort beziehungsweise dem Gebüsch bei der Hundewiese bis zur Kreuzung Rennbahnweg-Panethgasse beträgt ungefähr 350 Me­ter. Demnach muss Ischtar vom Gebüsch weg bis zur angeführten Kreuzung auf dem Gehsteig des Rennbahnweges ungefähr 350 Meter gegangen sein. Die Wartezeit beim Gebüsch in die Zeit für die Bewältigung der Wegstrecke bis zur Panethgasse dazugerechnet, lässt die Aussage zu, dass einige Minuten vergangen waren, bis Ischtar Akcan dann das Fahrzeug auf der Panethgasse von links kommend wieder wahrnahm.

Anmerkung von Natascha Kampusch:

Sie brachte zu diesen Angaben von Ischtar Akcan vor, dass sie mehr oder minder immer die gleiche Wegstrecke zur Schule gegangen war und sie dabei immer wieder verschiedene weiße Kastenwagen gesehen habe. Auch ihr Vater Ludwig Koch habe für das Ausführen der Backwaren unter anderem weiße Kastenwagen verwendet. Sie brachte vor, dass sie vorerst der Meinung gewesen wäre, dass es sich bei dem Entführer um einen Angestellten ihres Vaters handelte, der auf ihren Vater böse gewesen sein könnte, zumal der Kastenwagen auch weiß gewesen war. Sie habe den Wolfgang Priklopil während der Fahrt auch gefragt, ob er ein Angestellter ihres Vaters wäre. (Diese Angaben sind neu und waren bisher von Natascha Kampusch nicht gemacht worden.)


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Nachdem Ischtar Akcan angab, erstmals auf der Kreuzung Rennbahnweg-Paneth­gasse im weißen Kastenwagen zwei Männer sitzen gesehen zu haben, und aufgrund der Angaben von Natascha Kampusch, wonach sie im Tatfahrzeug auf die leere Lade­fläche gebracht wurde, demnach außer dem Fahrer- und dem Beifahrersitz keine weiteren Sitze im Fahrzeug waren, wurde ihr durch Oberst Kröll auch folgende Überlegung zu ihrer Wahrnehmung über den Tathergang erklärt:

Aus einer Entfernung von ca. 20 Metern nimmt sie rein zufällig den weißen Kastenwagen und einen am Fahrersitz sitzenden Mann war, ohne beim Weitergehen weiter auf dieses Fahrzeug oder den am Fahrersitz sitzenden Mann zu achten. Nach ihrer zufälligen Wahrnehmung geht sie demnach ungefähr 20 Meter bis sie auf gleicher Höhe mit der Stirnseite des Fahrzeuges ist, geht am Fahrzeug vorbei und macht erst, als sie sich im Heckbereich des Fahrzeuges befand, von der gegenüberliegenden Straßenseite aus, ihre Wahrnehmung zum Tathergang. Demnach war es möglich, dass Wolfgang Priklopil vom Beifahrersitz aus, die Annäherung von Natascha Kampusch über den Außenspiegel an der Beifahrerseite beobachtete, sich vom Fahrzeugsitz weg über die leere Ladefläche zur Schiebetüre begab, diese öffnete, aus dem Fahrzeug ausstieg und bereits außerhalb des Fahrzeuges die sich dem Fahrzeug annähernde Natascha Kampusch erwartete, erfasste und in das Fahrzeug beziehungsweise auf die leere Ladefläche verbrachte, danach die Schiebetüre zumachte (was offenbar von Ischtar Akcan auch gehört wurde) und sich über die leere Ladefläche auf den Fahrersitz begab und losfuhr.

Demnach ist die Aussage zulässig, dass Ischtar Akcan bei der Annäherung, wie bereits geschildert, zufällig den weißen Kastenwagen und einen am Fahrersitz sitzenden Mann wahrnahm, dann im Heckbereich den Tathergang beobachte und dabei sah, wie ein Mann ein Mädchen erfasste und nunmehr der Meinung war, dass es sich um zwei verschiedene Männer handelte, und zwar der, den sie zufällig am Fahrersitz sitzen sah, und den, der die Tat auch dann tatsächlich ausführte. Nachdem Natascha Kampusch vorbrachte, dass zur Tatzeit an der Tatörtlichkeit tatsächlich nur Wolfgang Priklopil im Fahrzeug war und nur er die Tat ausführte und sie nur mit ihm vom Tatort weg bis zum Haus in der Heinestraße 60 allein im Fahrzeug war, ist davon auszugehen, dass sich Ischtar Akcan irrte.

Akcan Ischtar brachte dazu vor, dass es durchaus so gewesen sein kann, wie es ihr zuvor von Oberst Kröll geschildert wurde, und sie die Angaben der Natascha Kampusch keinesfalls bezweifeln würde.

Angemerkt wird, dass die Mutter von Ischtar Akcan, Rosa Akcan, ihre Tochter während des Gespräches dahin gehend zu beeinflussen versuchte, doch zwei Täter gesehen zu haben, und sie sich nicht vorstellen könne, dass sich ihre Tochter irren würde. Ihr wurde durch Oberst Kröll dazu erklärt, dass ein Erlebnis dieser Art durchaus dazu führen kann, Irritationen bei der Beobachtung und Wahrnehmung auszulösen, und es verständlicherweise immer wieder vorkommt, dass Zeugen und Opfer, die Schreckliches erleben, bedingt durch das Erlebte, Angaben zu und über einen Täter oder Tathergang machen, die dann bei der Ausforschung des Täters beziehungsweise Klärung der Straftat sich als nicht richtig wahrgenommen herausstellen. Akcan Ischtar wirkte daraufhin nicht mehr auf ihre Tochter ein.

Akcan Ischtar schloss in der Folge nicht mehr aus, dass es sich bei dem an der Kreuzung Rennbahnweg-Panethgasse wahrgenommenen weißen Kastenwagen auch um ein anderes als das Tatfahrzeug gehandelt haben könnte.

Ergebnis der Amtshandlung:

1. Kampusch Natascha, deren Anwalt Dr. Ganzger, der Betreuer von Natascha, Herr  


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Silveri, Akcan Ischtar und deren Mutter Rosa Akcan, äußerten sich positiv zum zustande gekommenen Gespräch beziehungsweise auch zur Darstellung des jeweils Erlebten durch Natascha Kampusch und Ischtar Akcan.

2. Insbesondere bedankte sich Rosa Akcan bei Natascha Kampusch für die Bereitschaft zu diesem Gespräch und brachte gegenüber den Beamten vor, dass sie sich durch die Aussagen von Natascha Kampusch erleichtert fühle, zumal ihren Erzählungen nach nur ein Täter beteiligt war und ihrer Tochter dadurch auch die Angst genommen wurde.

3. Akcan Ischtar brachte gegenüber dem Cl Linzer vor, dass sie jetzt endlich ruhig schlafen könne, zumal es wirklich nur einen Täter am 02.03.1998 gegeben habe und sie sich offensichtlich wirklich geirrt haben muss. Auch brachte sie vor, dass sie möglicherweise im Bereich der Panethgasse einen zweiten Kastenwagen gesehen habe, der nicht mit dem Täterfahrzeug ident war. Jedenfalls sei sie jetzt erleichtert, dass der sie seit vielen Jahren belastende Sachverhalt nunmehr abgeklärt wurde.

Ende der Amtshandlung: 03.12.2009, um 19:40 Uhr.

Der fallbefasste EOStA Dr. Mühlbacher wurde durch Oberst Kröll vom Ergebnis dieser Amtshandlung am 03.12.2009, um 19:50 Uhr, telefonisch in Kenntnis gesetzt.

Kröll, Oberst

*****

(Anmerk.: Ende der Textinterpretation)

*****

Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist geboten, zumal durch die im Schreiben von Dr. Johann Rzeszut, Präsident des Obersten Gerichtshofes i.R., erhobenen Vorwürfe der begründete Verdacht besteht, dass durch die Vorgehens­weise der Staatsanwaltschaft im Abgängigkeitsfall Natascha Kampusch Straftaten ungesühnt bleiben.

Verlangen

Die unterzeichneten Abgeordneten verlangen weiters gemäß § 33 Abs 2 GOG-NR, über diesen Antrag eine kurze Debatte durchzuführen.

*****

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir gehen in die Debatte ein.

Im Sinne des § 57a Abs. 1 der Geschäftsordnung beträgt die Redezeit in dieser De­batte 5 Minuten für jeden Redner/jede Rednerin. Erstredner 10 Minuten. Stellung­nahme von Mitgliedern jeweils 10 Minuten.

Als Erster erhält der Antragsteller, Herr Abgeordneter Dr. Rosenkranz, das Wort. Ich erteile es Ihnen hiermit und mache noch einmal aufmerksam: 10 Minuten Redezeit.

 



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0.00.42

Abgeordneter Dr. Walter Rosenkranz (FPÖ): Frau Präsidentin! Der Sachverhalt ist relativ klar. Der Fall Kampusch ist ebenfalls klar. Im Jahr 2008 gibt es eine Evaluie­rungskommission, der neben renommierten Beamten und einer Wissenschaftlerin auch der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofes Ludwig Adamovich, der be­rühmte Kriminalpsychologe Dr. Thomas Müller – Sie wissen, Franz Fuchs – und der ehemalige Präsident des Obersten Gerichtshofes Dr. Johann Rzeszut angehörte. Diese haben Evaluierungsberichte erstellt, und daraufhin wurde die Staatsanwaltschaft in Wien tätig. Dann wurde auch die Staatsanwaltschaft in Graz tätig.

Dennoch war einer, der sich besonders gut auskennt, nicht sehr zufrieden mit diesen Ermittlungen, die nachher getätigt wurden, und er hat sich dann mit einem Dossier an die Spitze der Justiz gewandt. Dort ist auch eine Zeit lang nichts passiert, und jetzt hat das Parlament in Form der fünf Klubobleute Post bekommen, eben vom Präsidenten des Obersten Gerichtshofes i.R., Rzeszut.

Dieser kommt in seinem Dossier zu bemerkenswerten Schlüssen, nämlich dass die Staatsanwaltschaft Wien, aber auch die Oberstaatsanwaltschaft Wien konsequent und beharrlich Vernachlässigung entscheidender polizeilicher Ermittlungsergebnisse betrieben haben, langfristig verzögert haben, Berichte negiert worden sind, es zu wesentlichen und langfristigen Behinderungen der Evaluierung gekommen ist, mediale Verbreitungen krass wahrheitswidriger Informationen passiert sind, sachlich nicht vertretbare Druckausübungen auf ermittelnde Beamte erfolgt sind, fachlich nicht nachvollziehbare Pflichtverweigerungen erfolgt sind und Beweisgrundlagen von schlagender Qualität unter den Tisch fallen gelassen worden sind.

Meine Damen und Herren! Es ist sehr unbefriedigend, und ich glaube, es ist jetzt die Pflicht dieses Hauses, die Vollziehung, insbesondere die der Staatsanwaltschaft, zu untersuchen.

Ich kenne schon die Argumentationen, die kommen werden: Bevor wir einen parla­mentarischen Untersuchungsausschuss machen, muss man ja zuerst einmal die ordentlichen Gerichte fragen, die unabhängige Justiz. – Die wird nur nicht gefragt, weil die ganze Angelegenheit von einer Staatsanwaltschaft zur anderen geschoben wird, nicht nur, weil Verjährungen eintreten könnten oder ähnliches, sondern weil es über­haupt niemanden interessiert.

Ich erlaube mir jetzt, nur um es ein bisschen deutlich zu machen, auch etwas zu zitieren, und zwar was Herr Präsident Rzeszut zum Punkt der medialen Verbreitung krass wahrheitswidriger Informationen meint. Ich zitiere:

„Die ab Herbst 2008 zur weiteren Fallbearbeitung eingesetzte operative Sonder­kommission des Bundeskriminalamtes erstattete der Staatsanwaltschaft Wien zum Ermitt­lungsfortgang in der Zeit vom 4. Februar 2009 bis 14. Juli 2009 insgesamt sechs Zwischenberichte, denen insbesondere die Ergebnisse der Befragungen von insgesamt 102 Personen und zwei Zeugenvernehmungen zugrunde lagen“ ...

Und weiters: „Obwohl diesen kriminalpolizeilichen Berichten wiederholt weiterer ermittlungs­strategischer Handlungsbedarf zu entnehmen war, unterblieb dazu seitens der im Ermittlungsverfahren leitungsbefugten Staatsanwaltschaft Wien jedweder Rückkontakt beziehungsweise jedwede Reaktion. Dessenungeachtet verstieg sich der damalige Mediensprecher dieser Behörde,“  – ein Staatsanwalt, wir kennen ihn auch aus dem Untersuchungsausschuss des letzten Jahres –  „in sommerlichen Zeitungs­interviews zu den die Realität krass verkehrenden Behauptungen, ‚dass die Krimi­nalisten in acht Monaten nur eine einzige Einvernahme durchgeführt haben, was nicht eben viel‘ sei (Tageszeitung Kurier) bzw. ‚Wir hatten der SOKO schon im Novem­


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ber 2008 den Auftrag gegeben, vier Personen einzuvernehmen – eine wurde davon tatsächlich befragt‘ (Tageszeitung Heute).“ – Zitatende.

In Wahrheit sind 102 Personen einvernommen worden, darunter zwei Zeugen. Das lässt schon einmal darauf schließen, dass einfach etwas faul im Staate Dänemark ist.

Und wenn das Parlament als Kontrollorgan der Exekutive hier nicht einschreiten möchte, wenn es vielleicht auch lustig klingen möchte in so einer ernsten Situation, dann frage ich: Wozu sind gewählte Volksvertreter da? (Beifall bei der FPÖ.)

Dass dieser Präsident Rzeszut kein Spinner ist, der irgendwelchen Verschwörungs­theorien oder sonst etwas nachhängt, ich glaube, das muss nicht ausreichend dokumentiert werden. Es ist eher beeindruckend, wie er selbst dieses Dossier, in der Erwartung, dass das Parlament etwas unternimmt, an die fünf Klubobleute gerichtet hat.

Präsident Rzeszut schreibt: „Das vorliegende Schreiben fällt mir nicht leicht, als ehe­maligem Staatsanwalt und auch im Ruhestand mit der Justiz bleibend verbundenem Richter sogar extrem schwer, aber das Gewicht und die grundsätzliche Bedeutung der zum Entführungs- und Abgängigkeitsfall Natascha Kampusch im Bereich staats­anwalt­schaftlicher Verantwortung praktizierten atypischen, sachlich nicht nachvollziehbaren Vor­gangsweisen und die in diesem Zusammenhang leider ge­machte Erfahrung, dass eine sachdienliche ressortinterne Abhilfe auch in oberster Ebene nicht zu erwirken war, machen es mir mit Blick auf Art. 52 B-VG zur Pflicht, die Führungsverantwortung der Klubs der im Parlament vertretenen Parteien entsprechend zu informieren. Dies umso mehr, als man nach allem, was dazu bekannt wurde, nicht umhin kann, den tragischen Selbstmord von Polizeioberst Franz Kröll, des früheren Leiters des Landeskrimi­nal­amtes Steiermark und zuletzt führenden Ermittlers der mit dem ‚Fall Kampusch‘ betrau­ten operativen Sonderkommission des Bundeskriminal­amtes, als Verzweiflungstat zu verstehen, die nicht unwesentlich durch eine unver­ständlich beharrliche Resistenz der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsleitung gegen­über sicherheitsbehördlichem Ermitt­lungs­fortschritt entscheidend mitausgelöst wur­de.“ – Zitatende.

Meine Damen und Herren, eindringlicher kann man die Notwendigkeit der parlamen­tarischen Kontrolle hier nicht beschreiben. Ich bitte daher um Zustimmung zu diesem Antrag. (Beifall bei der FPÖ.)

0.07


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Die Redezeit der nunmehr zu Wort gemeldeten Abgeordneten beträgt jeweils 5 Minuten.

Bitte, Herr Abgeordneter Pendl.

 


0.07.18

Abgeordneter Otto Pendl (SPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine geschätzten Damen und Herren! Hohes Haus! Auch zu fortgeschrittener Stunde würde ich meinen, dass wir dieses Thema sehr sachlich und auf dem Boden der Realität diskutieren sollten.

Wir bemühen uns gemeinsam seit Monaten im sogenannten GO-Komitee um neue Spielregeln, um eine neue Organisationsstruktur mit Minderheitenrecht für den Unter­suchungsausschuss zustande zu bringen.

Es war interessant, und ich habe mich ja gefreut, dass wenigstens einige mitgefahren sind – alle wollen das deutsche Recht –: Wir waren in Berlin. Der Zweite Präsident und ich waren die einzigen Abgeordneten, die dort waren. Es war hoch interessant, meine Damen und Herren. Die Allfraktionsmeinung im Deutschen Bundestag zu dem von uns allen gewünschten Untersuchungsausschussmodell ist folgende: Politische Kampf­


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bühne und dient nicht zur Wahrheitsfindung. – Interessant. Das haben alle gehört, die mit waren, es waren von allen Klubs Bedienstete mit. (Zwischenruf bei der FPÖ.)

Nur so viel zum Zugang zum Untersuchungsausschuss. Ich habe aber großes Inter­esse, meine sehr geehrten Damen und Herren, und Kollege Amon und ich haben beim letzten Untersuchungsausschuss (Ruf bei der FPÖ: Klären Sie auf und denken Sie nach!) bereits über einen Entschließungsantrag einige Punkte gefordert. Dazu gehört auch die Evaluierung der StPO-Reform, die wir ja, so glaube ich, im nächsten Monat vorgestellt bekommen.

Ich habe mich gefreut, dass einige Ausführungen sowohl der Klubchefs als auch ver­schiedenster Fraktionskolleginnen und -kollegen in die Richtung gingen: Schauen wir uns die letzte StPO-Reform wirklich an.

Ich habe gestern dem Kollegen Stadler von diesem Rednerpult aus gesagt: Schaut alle einmal nach, wie die Diskussion war beim Gesetzwerdungsprozess zur letzten StPO-Reform! Ich kann mich an unseren Minderheitsbericht gut erinnern. Es hat sich leider bewahrheitet, ohne dass ich da näher darauf eingehen will.

Aber wir haben damals, meine sehr geehrten Damen und Herren, einen Fünf-Parteien-Entschließungsantrag beschlossen, dass wir eine Behördenreform in dieser Republik durchführen sollen. Ich habe gestern schon gesagt: Laden wir alle dazu ein, versuchen wir es wirklich umzusetzen.

Ich glaube, bei allem, was wir bis jetzt wissen, dass es, wenn wir fair vorgehen, nicht eine Herumschieberei ist, dass also nicht von einer StA zur anderen geschoben wird, sondern es ist doch einer betroffen. Es wird ohnehin jemand genannt, das ist zufälligerweise der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien. Also ist es naheliegend, dass das weitergegeben wurde an die Staatsanwaltschaft Innsbruck; völlig korrekt und richtig.

Ich glaube, wir alle sollten uns das Ergebnis, das bei der Untersuchung dann heraus­kommt, anschauen, und wenn es notwendig ist, ist es überhaupt keine Frage, dass man über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses redet; vielleicht dann schon mit einem neuen Modell.

Aber ich denke, wenn wir es ernst meinen, sollten wir diese Chance der Staats­anwaltschaft Innsbruck auch geben. Dann bleiben wir nicht bei Vermutungen stehen, denn die Vermutungen kennen wir ja in Wirklichkeit seit dem Jahr 2008, die haben wir auch schon in Untersuchungsausschüssen diskutiert, haben sie in allen Bereichen schon diskutiert, und dann sollte man bei aller Sensibilität – und auch mir ist bewusst, was es bedeutet, wenn ein ehemaliger Präsident des OGH zu dieser Vorgangsweise greift – über echte Fakten reden und nicht jetzt so ein bisschen ins Nebulose hinein.

Ich glaube, dass wir gute Chancen haben, dass wir, wenn wir zügig weiterarbeiten, zu einem neuen Modell des Untersuchungsausschusses kommen. In der Zwischenzeit werden wir auch das Ergebnis von der Staatsanwaltschaft Innsbruck vorliegen haben, das wir dann gemeinsam beurteilen werden; und wenn es Handlungsbedarf gibt, werden wir das rasch umsetzen. (Ruf bei der FPÖ: Handlungsbedarf ist gegeben!)

Ich lade Sie alle aber nichtsdestotrotz dazu ein, dass wir jene Bereiche, die wir bereits kennen, Kollege Amon, zügig angehen, weil ich glaube, dass wir nicht darauf zu warten brauchen. Wir wissen ganz genau, wo Handlungsbedarf zum Beispiel in der StPO gegeben ist. Klubobmann Kopf hat sich gestern auch bereit erklärt, über dieses Thema zu sprechen. Dann haben wir die Grundlage, auch in diesem so sensiblen Fall zu beurteilen, ob wir den Untersuchungsausschuss einsetzen oder nicht.


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Ich möchte aber abschließend noch eine menschliche Komponente einbringen. Man kann zu all diesen Vorgängen stehen, wie man will, eines kennen wir aus den Untersuchungsausschüssen, nämlich dass sie alle medienwirksam sind und jeden Tag in den Medien Berichte darüber stattfinden. (Präsidentin Dr. Prammer gibt das Glockenzeichen.)

Man sollte auch bedenken, was diese junge Dame in ihrem Leben bereits erlebt hat, und ob sie wirklich neugierig darauf ist, dass wir jetzt wieder eine Show über die Medien abführen. Das wage ich zu bezweifeln. Ich denke, die menschliche Komponente sollte man ebenfalls bedenken.

Zur Stunde sehe ich keine Notwendigkeit, einen Untersuchungsausschuss einzu­setzen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

0.13


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Amon. – Bitte.

 


0.13.09

Abgeordneter Werner Amon, MBA (ÖVP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin ganz beim Kollegen Pendl. (Rufe bei der FPÖ: Das überrascht uns aber nicht! – Das hätte uns gewundert!) Ich habe auch nicht meine Aufgabe in erster Linie darin gesehen, Sie zu überraschen, meine Damen und Herren, das ist nicht meine Aufgabe. (Abg. Mag. Stefan: Wir lassen uns gern überraschen!)

Aber ich glaube, es ist richtig, was Kollege Pendl gesagt hat, dass man, wann immer man eine derartige Entscheidung trifft, die menschliche Komponente nicht außer Acht lassen darf.

Wir haben das heute eigentlich auch schon im Rahmen der Dringlichen debattiert. Unser Klubobmann hat die Frage der Evaluierung der StPO-Reform, der letzten nämlich, angesprochen, Kollege Pendl hat auf den Entschließungsantrag nach dem letzten Untersuchungsausschuss hingewiesen.

In der Tat gilt in dem Bereich, wo die Staatsanwaltschaft nicht sozusagen als Teil der Gerichte agiert, sondern eigentlich exekutiv agiert und der Justiz unterstellt ist, auch nicht im Grunde die Entzugsmöglichkeit vor der parlamentarischen Kontrolle. Das haben wir im letzten Untersuchungsausschuss vielfach diskutiert. Ich bin auch schon sehr gespannt auf den Evaluierungsbericht des Justizressorts, weil wir uns diese Frage sehr genau anschauen wollen.

Wir sind auch unter den Fraktionen im Übrigen übereingekommen, dass im Unter­ausschuss des Innenausschusses künftig die Argumentation, dass die Innenministerin über Vorfälle und Vorgänge im Bereich des LVT oder des BVT nicht berichten kann, weil es eben im Auftrag der Staatsanwaltschaft und damit unter der Ägide der Justiz passiert ist, nicht überprüft werden kann.

Wir sind überein gekommen, dass wir künftig die Frau Justizministerin bitten werden, im Unterausschuss Auskunft zu geben.

Zum Vorschlag, jetzt einen Untersuchungsausschuss in der Causa Kampusch einzu­setzen, ist zum Ersten zu sagen, dass dieser Fall bereits Gegenstand eines Unter­suchungsausschusses war.

Zweitens – und ich habe das heute im Zuge der Debatte um die Dringliche schon festgehalten –: Natürlich sind Aussagen des Präsidenten Adamovich, Aussagen des Präsidenten Rzeszut, der tragische Selbstmord eines leitenden Exekutivbeamten (Abg. Neubauer: Das werden wir erst sehen!) Vorfälle, die sehr, sehr ernst zu nehmen sind. Deswegen bin ich auch der Justizministerin sehr dankbar, dass sie die Korrup­


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tions­staatsanwaltschaft beauftragt hat, sich die Vorwürfe noch einmal anzusehen. Aber aufgrund der Tatsache, dass der Vorwurf des Amtsmissbrauchs gegen den Leiter der Oberstaatsanwaltschaft, der gleichzeitig die Oberbehörde oder Aufsichtsbehörde der Korruptionsstaatsanwaltschaft ist, besteht, wurde das eben weiterdelegiert an die Staatsanwaltschaft Innsbruck. Das ist ein vollkommen korrekter Vorgang.

Ich würde vorschlagen, dass wir zunächst einmal diesen Bericht abwarten und dann erneut über die Frage diskutieren. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

0.16


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Neubauer. – Bitte.

 


0.16.34

Abgeordneter Werner Neubauer (FPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege Pendl! Sehr geehrter Kollege Amon! Natürlich hat so eine Geschichte menschliche Aspekte. Natürlich hat sie aber auch gesellschaftspolitische Aspekte, die zu beachten sind, und vor allen Dingen sind in diesem Zusammenhang auch politische Argumente von uns zu handhaben, da wir auf die Verfassung angelobt wurden. Und wenn solche Papiere an die Öffentlichkeit gelangen, haben wir natürlich dafür zu sorgen, dass der Rechtsstaat die entsprechenden Mittel, die uns als Parla­ment zur Verfügung stehen, auch ergreift. (Beifall bei der FPÖ.)

Ich darf nur daran erinnern, dass ich damals Mitglied dieses von Ihnen, Herr Kollege, angesprochenen Untersuchungsausschusses war, und Sie haben eines nicht dazu gesagt, nämlich dass damals bei diesem Untersuchungsausschuss folgende Punkte hätten behandelt werden sollen:

Erstens hätte die Aufklärung erfolgen sollen, ob es bei den kriminalpolizeilichen und gerichtlichen Ermittlungen im Fall Kampusch zu schweren Fehlern gekommen ist;

Punkt zwei: die Aufklärung, ob vom Kabinett des Bundesministeriums für Inneres dem damaligen Direktor des BKA die Weisung erteilt wurde, die Vernehmung eines Zeugen im Zusammenhang mit dem Fall Kampusch vor den Wahlen zu unterlassen;

Punkt drei: die Aufklärung, ob im Weiteren die Evaluierung der kriminalpolizeilichen Ermittlungen im Fall Kampusch verhindert und schwere Fehler bei den Ermittlungen vertuscht oder gar nicht untersucht wurden, sehr geehrte Damen und Herren, und ob all das nicht geschehen ist, weil offenbar aus lauter Ehrfurcht vor diesen Vorwürfen die SPÖ und ÖVP diesen Ausschuss abgedreht haben, bevor es zu diesen Unter­suchun­gen gekommen ist.

Ich bin der Meinung, dass dieses nun aufgetauchte Papier des Herrn Rzeszut Grund genug ist, all diese Punkte einer neuerlichen Bewertung durch das Parlament zu unterziehen, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei der FPÖ.)

Wenn man weiß, dass auch Präsident Adamovich in seinem Bericht schwere Vorwürfe zu den Ermittlungsverhandlungen erhoben hat, dann weiß man, dass nicht die Oppo­sition die Politshow abgezogen hat, sondern andere dafür verantwortlich waren, dass es zu diesem leidigen Endergebnis dieses Ausschusses gekommen ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf drei Punkte aus diesem Gutachten hervorheben, weil es mir wichtig ist.

Es geht um die Person des damals ermittelnden Inspektor Kröll, der, wie Sie gesagt haben, auf tragische Art und Weise durch einen Selbstmord ums Leben gekommen sein soll.


Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 338

Mir seit gestern zur Verfügung stehende neue Unterlagen beweisen gutachtlich, dass dieser Herr Inspektor höchstwahrscheinlich einem Mord zum Opfer gefallen ist. Es hat kein einziger Nachbar, obwohl alle fünf Nachbarn zu Hause waren – und bei offenem Fenster, auf einer Terrasse soll dieser Selbstmord geschehen sein –, einen Schuss gehört, und es wurden am Opfer keine Schmauchspuren festgestellt. Andererseits wurde per Gutachten festgestellt, dass sich Herr Inspektor Kröll als Rechtshänder in die linke Schläfe seines Kopfes geschossen haben soll. Auch deshalb wird vom Gutachter der Selbstmord heftig bezweifelt. (Rufe und Gegenrufe zwischen Abgeord­neten von ÖVP und FPÖ.)

Ich darf Ihnen auch noch sagen, dass die Frage des Opfers Priklopil einer ganz neuen Bewertung zu unterziehen sein wird, denn es bestehen auch schwere Bedenken gegen die Theorie, dass er Selbstmord auf einem Bahngleis begangen haben soll.

Gleichzeitig stellt auch Herr Rzeszut fest, dass überhaupt die Ein-Täter-Theorie durch keinen einzigen Sachverhalt mehr aufrechtzuerhalten ist. Auch hier muss man das Menschliche voranstellen, da gebe ich Ihnen recht, denn hier denke ich vor allen Dingen daran: Wenn es nicht nur ein Täter bei Natascha Kampusch war, dann wäre somit auch sie in Gefahr, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das sollte man in dieser Auseinandersetzung nie vergessen.

Abschließend darf ich Ihnen aus dem Gutachten des Herrn Rzeszut noch Folgendes vorlesen – ich zitiere –:

Weiters wird berichtet (Präsidentin Mag. Prammer gibt das Glockenzeichen), dass es den Ermittlern der eingereichten SOKO im Zuge der umfangreich geführten Umfeld­erhebungen gelang, zwei ungeklärte Verbrechen aufzuklären und die daran beteiligten Beschuldigten zu einem Geständnis, das gegen Widerruf abgesichert ist, zu bewegen. (Präsidentin Mag. Prammer gibt neuerlich das Glockenzeichen.) Diese Straftaten wurden der Staatsanwaltschaft Wien unter der Zahl 2239.519/1 am 30. Jänner 2009 angezeigt (Abg. Silhavy: Redezeit!) und unter anderem eine Kontoeröffnung angeregt. (Präsidentin Mag. Prammer gibt das Glockenzeichen.) Zu dieser Strafanzeige erfolgte bis zum heutigen Tag nicht einmal eine Rückmeldung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren ...

0.22


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Abgeordneter, es tut mir wirklich leid, aber ich muss Sie unterbrechen, weil die 5 Minuten bedeutend überschritten sind.

(Beifall bei der FPÖ für den das Rednerpult verlassenden Abg. Neubauer.)

Als Nächster gelangt Herr Abgeordneter Mag. Steinhauser zu Wort. – Bitte.

 


0.22.30

Abgeordneter Mag. Albert Steinhauser (Grüne): Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn man dieses Konvolut bekommt und liest und einen Funken Verantwortung hat, dann ist es die einzige Konsequenz, dass man für parlamentarische Aufklärung eintritt. Ich kann mir Ihre zögerliche Haltung nur damit erklären, dass Sie das offensichtlich nicht gelesen haben. Das will ich nicht jedem einzelnen Abgeordneten vorwerfen, aber das will ich zumindest jenen vorwerfen, die herausgehen und gegen einen Untersuchungsausschuss argumentieren. (Beifall bei Grünen und FPÖ.)

Ihre Argumente stechen alle nicht.

Erstes Argument: Das wäre schon in einem Untersuchungsausschuss Untersuchungs­gegenstand gewesen. – Ja, technisch haben Sie recht: Das stimmt, das war dieser Innenministeriums-Untersuchungsausschuss. Nur war dieser Sachverhalt nie Gegen­


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stand einer Untersuchung, weil der Untersuchungsausschuss vorher beendet werden musste, da es zu Neuwahlen gekommen war und Rot und Schwarz im Sommer nicht tagen wollten. Das ist die Wahrheit. Das heißt, die Vorwürfe im Zusammenhang mit den Ermittlungen Kampusch waren nie Gegenstand eines Untersuchungsausschusses.

Argument zwei, das nicht zieht, ist: Die Justiz soll arbeiten. – Spätestens seit Juli 2009 ist das obsolet. Wir haben im Juli 2009 einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, in dem Kollege Öllinger – wie immer man zu ihm steht – dem Vorwurf ausgesetzt war, er hätte Anstiftung zum Amtsmissbrauch im Fall Sailer begangen.

Nach der klassischen Argumentation hätten die ÖVP und die SPÖ sagen müssen: Das ist ein Fall für die Staatsanwaltschaft, wir machen keinen Untersuchungsausschuss. – Das Gegenteil war der Fall! Ich kann mich noch daran erinnern, wie damals alle geifernd durch die Gänge gelaufen sind und einen Untersuchungsausschuss gefordert haben. Wir haben ihn auch gefordert. Nur: Argumentieren Sie jetzt nicht damit, dass das ein Fall für die Justiz ist, wenn Sie in anderen Fällen, bei anderen Personen, anders argumentieren!

Das schlechteste Argument ist die Geschäftsordnungsreform: Das überzeugt mich überhaupt nicht! Wenn das ein Argument sein soll, dann weiß ich, dass wir noch lange auf diese Reform werden warten müssen. Wir haben eine Geschäftsordnung, wir können Untersuchungsausschüsse abhalten. Da warten wir also noch lange mit der Aufklärung, wenn das ein ernstes Argument sein soll.

Was ist zu klären? – Ich glaube, das ist das, was für die Bürgerinnen und Bürger wich­tig ist: Können sich Eltern, deren Kinder verschwinden, darauf verlassen, dass Staats­anwaltschaft und Exekutive alles machen werden, um einen möglichen Kriminalfall aufzuklären? – Das ist die Frage, die das Parlament klären muss, denn im Fall Kampusch gibt es ja Anhaltspunkte, dass das nicht der Fall war. Das heißt, wir müssen uns anschauen, was hier konkret an Missständen in der Staatsanwaltschaft genannt wird und wie es dazu kommen konnte.

Der zweite Fall, den man sich anschauen muss, ist die Arbeit der Exekutive. Wie konnte es sein, dass Ermittlungsfehler offen vertuscht worden sind? – Das ist das, was noch aus dem Innenministeriums-Untersuchungsausschuss offen ist. Ich erinnere daran: Damals hat ein Polizeihundeführer ganz konkret ausgesagt, er hat den Namen Priklopil genannt, und er hat über pädophile sexuelle Vorlieben des Priklopil geredet. Das ist damals weggedrückt worden, obwohl das nicht irgendwer war, sondern ein Polizeihundeführer.

Das heißt, nicht irgendjemand, der einfach irgendeinen vernadert, sondern einer, der guten Grund hatte, warum er der Exekutive diese Information gibt, ist weggedrückt worden. Und es ist im Wahlkampf vertuscht worden. Nie wurde aufgeklärt, warum das so war. Ich stelle nur fest: Alle, die an der Vertuschung mitgewirkt haben, sind heute in leitenden Positionen im Bundeskriminalamt und in anderen Positionen der Exekutive. (Ruf bei der ÖVP: Schwere Unterstellung!)

Was darf nicht passieren? – Dass wir glauben, dass wir kriminalpolitische Ermittlungen aufnehmen müssen und den Fall Kampusch restlos klären sollten. Das ist nicht Aufgabe des Parlaments, da bin ich bei Ihnen. Das ist wahrscheinlich auch nicht im Sinn der Betroffenen. Aber ich sehe die hohe Verantwortung darin, dass das Parlament genau das nicht anstrebt, sondern dass wir hier gemeinsam klären wollen: Was ist die Verantwortung der Staatsanwaltschaft? Was ist die Verantwortung der Polizei?

Das ist unsere Aufgabe. Keine Partei braucht sich zu fürchten. Es geht nicht primär um parteipolitisch Betroffene, sondern was wir wollen, ist: Wir wollen aus dem Fall und aus


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den Vertuschungen lernen und es besser machen. Das ist Aufgabe des Parlaments, und dem sollte sich hier niemand entziehen. – Danke schön. (Beifall bei Grünen, FPÖ und BZÖ.)

0.26


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Mag. Stadler. – Bitte.

 


0.26.43

Abgeordneter Mag. Ewald Stadler (BZÖ): Frau Präsidentin! Hohes Haus! Ohne begleitende Kontrolle des Parlaments ist meine Hoffnung, dass die Staatsanwaltschaft von sich aus hinreichende Energie aufbringt, den Fall aufzuklären, enden wollend. Denn wenn es so gewesen wäre, dass wir das alles schon im Untersuchungs­aus­schuss aufgeklärt hätten, dann hätte Herr Präsident Rzeszut diesen Bericht nicht schreiben müssen. Wahrscheinlich hätte sich Herr Oberst Kröll nicht einmal selbst umbringen müssen.

Ich bin übrigens dagegen, dass wir jetzt damit anfangen, darüber zu spekulieren, wer durch Selbstmord und wer durch fremde Hand umgekommen ist. Das gibt die Faktenlage einfach nicht her, das ist unsinnig. Es genügt, das aufzuklären, was Herr Präsident Rzeszut hier zu Papier gebracht hat, und das, was er hier zu Papier gebracht hat, ist beweisbar.

Es ist nicht so, Herr Kollege Steinhauser, dass hier keine politischen Seilschaften da sind. Bei der Vertuschung sind sie es nun einmal, die sind eindeutig politisch zuorden­bar. Es ist die Kanzlei Lansky, Ganzger; es ist die, die Natascha Kampusch vertreten hat, die zufällig auch bestimmte Medien vertritt, wo zufällig auch Staatsanwälte vorher aus und ein gegangen sind und darüber beraten haben, wie viele Rote man in Zukunft in der Justiz noch unterbringen kann. Das ist nachweisbar.

Das war die rechte Hand von Herrn Pleischl, dem Herrn Pleischl, der von vornherein gar kein Interesse daran hatte, dass man da überhaupt irgendetwas aufklärt. Auch Mühlbacher ist eindeutig politisch zuordenbar, das ist auch ganz eindeutig. Herr Jarosch auch: Stiefsohn des Sektionschefs Miklau, dem dieser Umstand nicht wirklich karrierehinderlich war.

Dazu kommt noch als Tüpfelchen auf dem i, dass dann die Tochter eines Staats­an­walts, der hier namentlich genannt wird, zufällig die Richterin ist, die Herrn Adamovich in erster Instanz verurteilt. Alles reine Zufälle!

Auf der anderen Seite gibt es dann noch die Frage der Mehr-Täter-Theorie. Ich glaube, dass die Einzeltäter-Theorie nach diesem Bericht nicht aufrechtzuerhalten ist.

Da gibt es wiederum eine politische Querverbindung. Ich sage nicht, dass die Parteien drinstecken, aber es sind Funktionäre, die politische Beziehungen haben. Bei der Rufdatenauswertung der Handys von Priklopil und von diesem Geschäftspartner ist man auf einen Milizoffizier gestoßen, der zufällig ein Wirtschaftsbundfunktionär ist. Wobei sie im Kreis herumtelefoniert haben und alle dann zufällig immer wieder bei einer Pornohändlerin, die namentlich bekannt ist und im Akt namentlich aufscheint, sich jeweils über Handy gemeldet haben. (Bundesminister Dr. Bartenstein: Reicht zurück ...!) Das ist bis heute nie aufgeklärt worden. Bitte? (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Ich weiß schon, dass euch das alles nicht passt. Euch ist das Thema zuwider. Ich sage, hier steckt mehr dahinter. Und alle Eltern dieses Landes haben ein Recht darauf, dass die Hintergründe aufgeklärt werden, meine Damen und Herren! (Beifall bei BZÖ, FPÖ und Grünen.) Das ist der zentrale Punkt: Wir haben ein Recht darauf, dass die


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Justiz nicht nach Gutdünken arbeitet, sondern nach Recht und Gesetz, und dass ein derartiger Kriminalfall, der ganz Österreich bewegt hat und weltweit Schlagzeilen gemacht hat, auch wirklich aufgeklärt wird.

Verlassen Sie sich darauf, wir werden nicht nur hier im Parlament für begleitende Kontrolle sorgen – und zwar unabhängig davon, ob Sie jetzt den Ausschuss einrichten oder nicht, das wird einfach ein Thema bleiben, dafür sorge ich auch –, sondern wir werden dafür sorgen, dass sich auch ausländische Medien dafür interessieren. Es ist bereits Interesse da.

Da Herr Kollege Neubauer vorhin diese Strafanzeige vom 30. Jänner 2009 erwähnt hat: Ich habe mich erkundigt, was dahinter steckt. Es haben zwei namentlich bekannte und geständige Täter versucht, eine 17-Jährige zu entführen. Diese zwei Täter betreiben hier in Wien einen Sado-Maso-Klub. Die Dame wurde mit einer Taschen­lampe niedergeschlagen und hat geschrien; daraufhin ist ein Zeuge aufmerksam geworden, und die 17-Jährige wurde aus dem Auto hinausgeschmissen, weil dieser Zeuge dem jungen Mädchen zu Hilfe gekommen ist.

Das alles war gedacht – das ist Teil des Geständnisses dieser beiden Täter – zur Durch­führung einer realistischen Vergewaltigung in diesem Sado-Maso-Klub, der durchaus nicht unprominent frequentiert ist.

Bis heute ist aber in diesem Fall nichts geschehen. Das alles schreibt Herr Präsident Rzeszut. Das schreibe nicht ich, sondern Präsident Rzeszut. Ich habe ihn gefragt, worum es in diesem Fall geht. Im Zuge der Recherchen beim Fall Kampusch ist dieser Ermittler – übrigens mit einem weiteren Ermittler, der Gott sei Dank noch lebt – auf diesen Fall aufmerksam gemacht worden. 

Aber nichts ist geschehen bei der Staatsanwaltschaft! Das heißt, hier geht es nicht nur darum, dass man den Fall Kampusch untersucht, sondern auch darum, zu unter­suchen, warum in anderen Fällen, die auch dramatisch sind, nichts weitergeht.

Verlassen Sie sich darauf – nochmals: unabhängig davon, ob Sie diesen Ausschuss heute einrichten oder nicht; den Optimismus habe ich nicht, dass Sie das tun –: Das bleibt auf der Tagesordnung, weil ich weiß, dass ohne begleitenden Druck von hier aus die Staatsanwaltschaft keine große Neigung hat, mit Engagement aufzutreten und zu agieren, und zwar so zu agieren, wie dies notwendig wäre. (Beifall bei BZÖ, FPÖ und Grünen.)

0.31

00.31.48

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Neubauer, Dr. Rosenkranz auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dazu die Zustimmung geben, um ein Zeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.

00.32.12Einlauf

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Ich gebe noch bekannt, dass in der heutigen Sitzung die Selbständigen Anträge 1316/A(E) bis 1334/A eingebracht wurden.

Ferner sind die Anfragen 6687/J bis 6738/J eingelangt.


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Schließlich ist eine Anfrage des Abgeordneten Dipl.-Ing. Deimek an die Präsidentin des Nationalrates eingebracht worden. (Unruhe.)

*****

Meine Damen und Herren, wir sind noch nicht fertig, wir haben dann auch noch eine Zuweisungssitzung!

00.32.34Verlangen im Sinne des § 99 (2) GOG

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weiters gebe ich bekannt, dass im Zusam­menhang mit dem Selbständigen Antrag 1323/A auf Durchführung eines besonderen Aktes der Gebarungsprüfung durch den Rechnungshof hinsichtlich des Beschaffungs­vorganges „Elektronische Aufsicht“ samt der diesbezüglichen Entscheidungen des Bundesministeriums für Justiz und der Bundesbeschaffungs GmbH unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, dass es zum Zeitpunkt der Ausschreibung dafür keine gesetzliche Grundlage gegeben hat, ein Verlangen von 20 Abgeordneten im Sinne des § 99 Abs. 2 der Geschäftsordnung gestellt wurde.

Da die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind, ist diese Gebarungsprüfung auch ohne Beschluss des Nationalrates durchzuführen.

*****

Die nächste Sitzung des Nationalrates, die geschäftsordnungsmäßige Mitteilungen und Zuweisungen betreffen wird, berufe ich für 0.33 Uhr – das ist gleich im Anschluss an diese Sitzung – ein.

Die Sitzung ist geschlossen.

00.33.46Schluss der Sitzung: 0.33 Uhr

 

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